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German Pages [324] Year 1988
V6R
MICHAEL WOLTER
Die Pastoralbriefe als Paulustradition
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Wolfgang Schräge und Rudolf Smend 146. Heft der ganzen Reihe
CIP-Titelaufitahme der Deutschen Bibliothek Wolter, Michael: Die Pastoralbriefe als Paulustradition / Michael Wolter. Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht, 1988 (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments ; Η. 146) ISBN 3-525-53827-8 NE: GT
© 1988. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesetzt aus Garamond auf Digiset 200 Τ 2 Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen
Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Juni 1986 vom Fachbereich Evangelische Theologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Habilitationsschrift angenommen. Für den Druck habe ich sie leicht gekürzt und geringfügig überarbeitet. - Von den beiden 1986 erschienenen Dissertationen zu den Pastoralbriefen von Benjamin Fiore und Lewis R. Donelson konnte ich nur die Arbeit Fiores in vollem Umfang berücksichtigen, da sie mir bereits seit einigen Jahren als MikrofilmDruck vorlag. Anläßlich der Publikation gilt mein Dank in erster Linie Herrn Prof. Dr. Dr. Otto Böcher, dessen Assistent ich in den vergangenen Jahren sein durfte und der mich in großzügiger Weise für die eigene Arbeit freistellte und ihr darüber hinaus wichtige Anregungen und Förderung angedeihen ließ. Zu danken habe ich weiterhin Herrn Prof. Dr. Ehrhard Kamiah, der das Korreferat zur Habilitationsschrift erstellt hat und dessen Anfragen und Hinweise ebenfalls der Druckfassung zugute gekommen sind. - Für die freundliche Bereitschaft, meine Arbeit in die „Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments" aufzunehmen, danke ich den Herausgebern dieser Reihe, Prof. Dr. Wolfgang Schräge und Prof. Dr. Rudolf Smend. Erstgenanntem verdankt die hier vorgelegte Arbeit darüber hinaus eine ganze Reihe von hilfreichen Anregungen und Präzisierungen. Ermöglicht wurde die Veröffentlichung der Arbeit durch einen umfangreichen Druckkostenzuschuß der Deutschen Forschungsgemeinschaft; auch dafür möchte ich an dieser Stelle danken, ebenso dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für die ausgezeichnete Zusammenarbeit bei der Drucklegung. Mainz, im September 1987
Michael Wolter
Inhalt Vorwort
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Α. Einleitung
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Β. Paulus, der Garant des Heils
27
I. Grundlegung: 1. Tim 1,12-17 1. Einsetzung in den apostolischen Dienst (V. 12. 14). . . 2. Der erste der geretteten Sünder (V. 15-16) a) Priorität und Autorität b) Urbildliche Heilserfahrung 3. Gesamtbewertung II. Priorität und Soteriologie 1. Zur Soteriologie der Pastoralbriefe 2. 1. Tim 2,4-7 a) Heil durch Erkenntnis der Wahrheit (V. 4 f.) . . . . b) „Zum Zeugnis eingesetzt ... in Treue und Wahrheit" (V. 7) 3. Tit 1,1-3 4. Zusammenfassung III. Priorität und Tradition 1. Die ,Norm am Anfang' 2. Im frühen Christentum (außerhalb der Pastoralbriefe)
27 29 49 51 56 61 64 64 69 70 77 82 90 95 99 102
Petrinische Traditionslinie (S. 104). - Johanneische Traditionslinie (S. 107). - Traditionsübergreifende Priorität außerhalb des Neuen Testaments (S. 112)
3. Pastoralbriefe C. Die literarische Gestalt der Tradition
114 131
I. Überblick 131 1. Der briefliche und paränetische Charakter der Pastoralbriefe 131 2. Literarische Differenzierungen - Bestandsaufnahme . 140
8
Inhalt
II. 1. Timotheus- und Titusbrief 1. Der ignatianische .Pastoralbrief' an Polykarp als Gattungsparallele 2. Verwandte außerchristliche Texte aus hellenistisch-römischer Zeit a) P.Tebt703 b) Mandata principis c) Hellenistische Königsbriefe d) Julian, ep. 39/84a; 47-48/89ab 3. Zwischenergebnis 4. Weitere Aspekte
156 157 161 163 164 170 175 178 180
Erinnerung an einen vorher erteilten Auftrag (l.Tim 1,3; Tit 1,5) (S. 180). - Zurücklassen von Stellvertretern (ebd.) (S. 181). - Die Adressaten und ihre Stellung in der Gemeinde (S. 185). - l.Tim 4,14a (S.185). - l.Tim 4,12 und Tit 2,15b (S. 189). - Aufforderung zur Vorbildlichkeit (l.Tim 4,12 und Tit 2,6 f.) (S. 191)
5. Zusammenfassung III. 2. Timotheusbrief 1. Das Proömium (1,3-5) 2. Paulus und Timotheus
196 202 203 214
Einsetzung des Nachfolgers (2.Tim 2,1) (S.215). - Die Nachfolge von Josua auf Mose als Modell (S.218)
3. Der testamentarische Charakter des 2. Tim a) 2.Tim und Act 20,17-35 b) Testamentarische Elemente im 2. Tim
222 223 226
2.Tim 4,6 (S.226). - 2.Tim 3 , l - 5 a . 6 - 7 ; 4,3f. (S.228). 2.Tim 4,7 (S.230). - 2.Tim 2,2 (S.233)
4. Der 2. Timotheusbrief als testamentarische Mahnrede (Zusammenfassung) 236 D. Die Gemeinde der Pastoralbriefe als paulinische Gemeinde in nachpaulinischer Zeit I. Als paulinische Gemeinde in ihrer Umwelt II. Die Irrlehrer und ihre Bekämpfung
243 245 256
1. Ihre Identität 256 2. Die Folgen der häretischen Propaganda und die Antwort der Pastoralbriefe 267
Inhalt
9
Abkürzungen
271
Quellen und Literatur
273
Register
310
Bibelstellen (Auswahl) Sachen und Begriffe Autoren
310 314 316
Α. Einleitung 1. Die Formulierung des Titels läßt erkennen, daß die folgende Untersuchung von der Voraussetzung ausgeht, daß die Pastoralbriefe nicht von Paulus geschrieben wurden 1 , sondern aus einer späteren Zeit stammen, in der das Apostolische nur noch als Tradition präsent war. Der Begriff der Paulustradition ist dabei als eine literarische Kategorie verstanden, die ihren Ausdruck in dem pseudepigraphischen Charakter der Pastoralbriefe findet 2 : Die nachpaulinische Fiktion der paulinischen Verfasserschaft der drei Briefe setzt ein Verständnis von Autorität voraus, dem zufolge für die je eigene Gegenwart verbindliche Inhalte ihre Normativität dadurch erhalten, daß sie von einer autoritativen Gestalt der Vergangenheit formuliert wurden, eben dadurch also, daß sie für diese Gegenwart Tradition sind. In diesem Sinne wollen die Pastoralbriefe insgesamt als unter die fiktive Verfasserschaft der autoritativen paulinischen Norm der Vergangenheit gestellte Briefe ihrem Selbstverständnis nach für ihre Gegenwart verbindliche Paulustradition formulieren und verkörpern 3 . Damit stellt sich sogleich die Frage nach den Motiven dieser Fiktion, die in engem Zusammenhang mit der Datierung der Pastoralbriefe 4 1 Dies entspricht dem kritischen Konsens innerhalb der exegetischen Literatur; vgl. die ausführlichen Darstellungen bei Spicq, Past 1,157 ff. (der selbst an der paulinischen Authentizität der drei Briefe festhält); Brox, Past 22 ff.; Wikenhauser/Schmid, Einleitung 515 ff.; Trümmer, Paulustradition 19 ff.; Kümmel, Einleitung 326 ff. 2 Vgl. dazu ausführlich u.S.95ff. 5 Paulustradition ist hier also nicht im Sinne von „Paulusrezeption" (vgl. Trümmer, Corpus Paulinum 141) verstanden, d.h. als Bestand von literarisch oder mündlich vermittelten, auf Paulus zurückgehenden Traditionen, die durch „einen umfassenden literarischen Vergleich der Past[oralbriefe] mit Paulus" (Trümmer, ebd. 142) herauszuarbeiten wären. - Dieser Begriff wird im folgenden ausschließlich in dem genannten literarischen Sinne benutzt. Da er in der Literatur in unterschiedlicher Weise gebraucht wird, seien einige terminologische Näherbestimmungen vorausgeschickt: Sprachliche Traditionen, die sich in irgendeiner Weise auf die Biographie des Paulus beziehen, nenne ich im folgenden (paulinische) Personaltradition. Als paulinische Tradition oder paulinische Traditionslinie bezeichne ich die faktische Bestimmtheit der theologischen Identität des Verfassers der Pastoralbriefe und seiner Gemeinde durch Paulus als den Archegeten dieser Tradition (Näheres s.u. S.99ff.). Dort, wo sich an konkreten Texten zeigen läßt, daß sie von mündlich vermittelter - paulinischer Sprache bestimmt sind, rede ich von paulinischer Sprachtradition. 4
Vgl. dazu u.S. 22 ff.
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Einleitung
steht: In einem Teil der Literatur wird auf der einen Seite aus dem Fehlen der Pastoralbriefe im Kanon Marcions gefolgert, es habe sie zu dessen Zeit noch gar nicht gegeben. Sie seien vielmehr als Reaktion der Großkirche auf das Auftreten dieses und anderer Häretiker zu verstehen und dementsprechend in die 30er oder 40er Jahre des 2. Jahrhunderts zu datieren 5 . Die drei Briefe seien darum in einer Phase des frühen Christentums entstanden, in der Paulus von der .rechtgläubigen' Kirche verdrängt und vergessen worden sei und sich nur bei Häretikern wie vor allem Marcion der Hochschätzung erfreuen konnte 6 . Von daher sieht man in der Paulusdarstellung der Pastoralbriefe eine Reaktion auf den „häretischen Mißbrauch" dieses Apostels und „einen Versuch der Kirche, Paulus unmißverständlich in die antihäretische Front einzugliedern und den Mangel an Vertrauen zu ihm in kirchlichen Kreisen zu beheben" 7 . - Auf der anderen und in der neueren Literatur zum überwiegenden Teil vertretenen Seite werden die Pastoralbriefe auf die Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert datiert 8 und in die breite Strömung eines kirchlichen Paulinismus eingeordnet. Man sieht sie hier „auf eine gesicherte paulinische Autorität zurückgreifen" 9 , die keineswegs vergessen oder in Frage gestellt gewesen sei, so daß die Person des Apostels erst wieder kirchlich akzeptabel gemacht werden müßte. Die Berufung auf ihn hätte vielmehr unbedingt verbindliches und normierendes Gewicht besessen, das zur Autorisierung der paränetischen Inhalte der drei Briefe und vor allem in der Auseinandersetzung mit den Häretikern in die Waagschale geworfen werden konnte. Dem Verfasser der Pastoralbriefe sei es darum gegangen, in der Situation der Konsolidierung der Gemeinde und deren Bedrohung durch judenchristlich-gnostische Irrlehrer „die lebenswichtige apostolische Autorität in der Kirche gegenwärtig (zu) halten" 10 und das paulinische Erbe für seine Gegenwart neu zur Sprache zu bringen. Seine Intention richte sich demnach auf die Herstellung von Kontinuität mit dem normativen Ursprung der
5 Vgl. ζ. B. Bauer, Rechtgläubigkeit 225 ff.; v. Campenhausen, Polykarp 203 ff.; Vielhauer, Geschichte 237. - Maßgeblich für die Annahme dieser Frontstellung ist dabei weitgehend, daß man in l.Tim 6,20 eine Anspielung auf die ^Antithesen' Marcions sieht (Bauer, a.a.O. 229; v. Campenhausen, a.a.O. 205 f.; Vielhauer, a.a.O. 237). 6 Vgl. z.B. Rist, Refutations 50ff.; Schneemelcher, Paulus; Weiß, Paulus. 7 Bauer, Rechtgläubigkeit 228; vgl. auch Barnett, Paul 251; v.Campenhausen, Polykarp 205f.; Strecker, Paulus 215; Vielhauer, Geschichte 237; Schneemelcher, Paulus 11. Auch für das Paulusbild der Apostelgeschichte wird dies mitunter angenommen (vgl. z.B. Knox, Marcion 138). 8 Vgl. u.S.22 mit Anm.61. 9 Wanke, Paulus 173; vgl. auch Roloff, Apostolat 238; Lindemann, Paulus 49 u.a. 10 Brox, Verfasserangaben 113.
Einleitung
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apostolischen (paulinischen) Tradition 11 , deren getreue Bewahrung unter die Verantwortung der innergemeindlichen Amtsträger, die ihre Typisierung in Timotheus und Titus fänden, gestellt werde. Damit korrespondiert die Darstellung des Paulusbildes der Pastoralbriefe, über dessen im folgenden kurz zu skizzierende Grundzüge in der exegetischen Literatur im wesentlichen Einigkeit besteht 12 . Die entsprechenden Einzelaussagen werden zu einem mosaikartigen Gesamtbild zusammengefaßt, in dem man „deutliche Spuren einer beginnenden Paulushagiographie" 13 erkennen zu können meint: Demnach werde Paulus in den Pastoralbriefen im Unterschied vor allem zu den authentischen Paulusbriefen und der Apostelgeschichte als der einzige und alleinige Apostel dargestellt, neben dem es keine weitere apostolische Autorität gebe. Er werde dadurch zur nicht hinterfragbaren Instanz des autoritativen „Kirchenlehrers", „zum ersten Glied einer apostolisch qualifizierten Traditionskette" 14 , dessen Evangelium und Lehre ein unantastbares, für die Kirche und deren Amtsträger unbedingt verpflichtendes und zu bewahrendes Depositum darstellten, an das die Gemeinde sich in der Gestaltung ihrer Ordnung und ihres Lebens zu halten hätte und das das alleinige Kriterium für die Unterscheidung zwischen Rechtgläubigkeit und Häresie bilde 15 . - Gleichzeitig werde Paulus in den Pastoralbriefen aber auch selbst zum Gegenstand der Verkündigung 16 , insofern er in ihnen mit paränetischer Intention als Vorbild für alle Christen, insonderheit der Amtsträger dargestellt werde: so etwa in l.Tim 1,12-17 als „Urbild des bekehrten Sünders, (dem es) nachzueifern gilt"17, oder im 2.Tim - dem sog. „Vermächtnis des scheidenden Apostels" 18 - als exemplarisch leidender und in seine 11
Vgl. etwa Brox, Past 66 ff.; Köster, Gnomai 145; Hegermann, Ort 47; Trümmer, Paulustradition 246ff.; Zmijewski, Pastoralbriefe 118; Müller, Traditionsprozeß 250ff.; Börse, Past 14 f. 12 Im einzelnen bestehende Differenzen werden in ihrem jeweiligen sachlichen Zusammenhang dargestellt und diskutiert. 15 Dassmann, Stachel 166 unter Berufung auf Collins, Image 147; vgl. auch Wanke, Paulus 188: „Die Gestalt des Paulus (erhält) ikonenhafte Züge" und wird zum „Objekt pietätvoller Betrachtung" (ebd. 176). - Zum Folgenden s.bes. Spicq, Past II,595 ff.; Roloff, Apostolat 236 ff.; Brox, Past 69 ff.; Strecker, Paulus; Collins, Image; Wilson, Portrait; Wanke, Paulus; Trümmer, Paulustradition l l l f . ; Dassmann, Stachel 165ff.; Lindemann, Paulus 44 ff.; Schille, Paulusbild 69 ff.; de Boer, Images; Lohfink, Theologie. 14 Strecker, Paulus 209. 15 Vgl. ζ. B. Wagenmann, Stellung 99: „Es genügt, auf ihn zu verweisen, wenn man etwas als christlich und als allgemein verpflichtend hinstellen will." " Wanke (Paulus 187) spricht von einer „ .Kerygmatisierung' der Paulusgestalt"; „in Analogie zur Transformierung der vorösterlichen Botschaft Jesu vom Gottesreich zum nachösterlichen Kerygma von Jesus als dem Christus" werde hier „aus dem Paulus praedicans (der) Paulus praedicatus". " Wanke, a.a.O. 181; vgl. insgesamt ebd. 176 ff. " Wanke, a.a.O. 181.
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Einleitung
Leidensnachfolge rufender Apostel 19 . - Hieran sei unmittelbar die Frage angeschlossen, ob ein in dieser Weise zusammengesetztes Gesamtbild dem Anliegen der Paulusdarstellung der Pastoralbriefe wirklich in zureichendem Maße gerecht wird. Werden dabei nicht die verschiedenen Einzelelemente aus ihrem jeweiligen literarischen Kontext herausgelöst und in veräußerlichender Weise zu einem synthetischen Konstrukt zusammengefügt? Dies gilt etwa für das erwähnte Motiv der Vorbildlichkeit des Apostels: Sie spielt de facto nur im 2. Tim (und nicht auch in l.Tim 1,12ff. 20 ) eine Rolle und gehört dort zu den von diesem Brief rezipierten testamentarischen Gattungselementen 21 . Von daher wäre es erforderlich, dieses Motiv traditionsgeschichtlich aus dem vorgegebenen Sinngefüge der frühjüdischen Testamente her verständlich zu machen und es nicht einfach im Wege der bloßen Addition den anderen Teilelementen des pastoralen Paulusbildes hinzuzufügen. Es ist hiervon abgesehen überhaupt ein Charakteristikum der Untersuchungen zum Paulusbild der Pastoralbriefe, daß fast ohne Ausnahme darauf verzichtet wird, dieses Bild unter Zuhilfenahme traditionsgeschichtlicher Fragestellungen darzustellen. Allenfalls beschränkt man sich darauf, einen Einfluß von paulinischer Personaltradition anzunehmen22, der bisweilen bis auf das Selbstverständnis des historischen Paulus zurückgeführt wird 23 , oder gar diesbezügliche literarische Abhängigkeit von den authentischen Paulusbriefen zu postulieren 24 . Gänzlich außerhalb der Perspektive bleibt dabei die Frage, ob nicht auch außerpaulinische und außerchristliche Sprachtraditionen und Deutungsschemata in das Paulusbild der Pastoralbriefe eingeflossen sind, ohne deren Herausarbeitung dieses Bild nicht verständlich gemacht werden kann. Und selbst dort, wo die Pastoralbriefe möglicherweise literarisch von den authentischen Paulusbriefen abhängig sein oder mündliche Personaltradition rezipieren sollten, würde doch als semantische Konnota19
Vgl. Wanke, a.a.O. 181 ff.; Dassmann, Stachel 167f.; Lindemann, Paulus 47. - Lindemann (ebd.) und Ollrog (Paulus 50 Anm.232) sehen in 2.Tim 1,15ff.; 4 , 9 f f . das Bild des einsamen Apostels gezeichnet, in dem sie einen literarischen Topos erkennen wollen, „der sich mit dem Motiv der Einsamkeit Jesu nach seiner Verhaftung vergleichen läßt" (Lindemann, ebd.). 20 S_. dazu u.S. 56 f. mit Anm.48. » S.u.S.230ff. 22 Vgl. Schenke, Weiterwirken 511; Barrett, Controversies 239 ff.; Plümacher: TRE 3,498 ff.; Roloff, Paulus-Darstellung 517 f. - Wanke erkennt den Personaltraditionen keine Relevanz für das Paulusbild der Pastoralbriefe zu (Paulus 186); ähnlich auch Trümmer (Corpus Paulinum 142). 23 Vgl. vor allem Lohfink, Theologie passim; Jervell, Paulus 35 (s. auch ebd. 49): Das Paulusbild der Pastoralbriefe sei ebenso wie das lukanische „ein Teil des unbekannten Paulus der Paulusbriefe", d. h. derjenigen Aspekte des paulinischen Lebens und Selbstbewußtseins, die in seinen Briefen keinen literarischen Niederschlag gefunden haben. 24 Vgl. vor allem Lohfink, Theologie.
Einleitung
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tion immer auch der übergreifende sprachliche Traditionszusammenhang mitschwingen, auf dessen Hinzuziehung bei der Interpretation nicht verzichtet werden kann. - Es gibt in dieser Hinsicht also einen gewissen Nachholbedarf, und die vorgelegte Untersuchung will sich darum bemühen, diesen wenigstens zum Teil etwas aufzufüllen. 2. Vielleicht läßt sich der eingangs skizzierte Interpretationsansatz der Pseudonymität der Pastoralbriefe und ihrer Motive aber auch noch etwas zugespitzter akzentuieren. Auszugehen ist hierbei von der sicheren und keinem Zweifel unterliegenden Voraussetzung, daß es sich bei der Gemeinde, in der der Verfasser der Pastoralbriefe lebt, um eine dezidiert paulinische Gemeinde handelt; d. h. es handelt sich um eine von Paulus selbst gegründete Gemeinde, deren Bestimmtheit durch Person und Theologie des Apostels über die Wirkungsgeschichte und die rein literarische Rezeption seiner Briefe hinausgeht 25 . Sie war im pointierten Sinne des Wortes eine .Paulus-Gemeinde', und ihre Tradition, als deren normativer Ursprung und Garant Paulus ihr galt, wurde als konstitutiver Bestandteil ihrer eigenen Identität erfahren. .Tradition' ist dabei verstanden als .soziales Gedächtnis', d.h. als von der Vergangenheit übernommener und die Gegenwart mit dieser verbindender Erfahrungs- und Sprachzusammenhang und ist als solcher „eine Grundbedingung für die Existenz jeder Art von Sozietäten überhaupt" 26 . Erscheint Tradition in diesem Sinne als identitätsstiftender „Garant überindividueller Konstanz und ... sozialer Kontinuität" 27 , ist damit sogleich aber auch ihre Gefährdung impliziert: Unter dem Vorzeichen des tiefgreifenden historischen und sozialen Wandels einer menschlichen Gemeinschaft wird das Bewußtsein der selbstverständlichen Kontinuität mit der Tradition überformt von der Erfahrung der faktisch bestehenden Distanz und Diskontinuität, die zugleich auch die eigene Identität bedroht. Diese Bedrohung kann noch verschärft werden durch die Konfrontation mit von Seiten anderer Gruppen vertretenen inhaltlich neuen Identitätsangeboten, die an die Stelle der durch die Tradition konstituierten Identität treten wollen. - In einer vergleichbaren Situation befindet sich m. E. auch die Gemeinde der Pastoralbriefe: Sie sind verfaßt auf dem Hintergrund einer akuten Identitäts- und Kontinuitätskrise einer sich als paulinisch verstehenden Gemeinde in nachpaulinischer Zeit. Ihren Grund hat diese Krise in dem Konflikt zwischen der für das Selbstverständnis der Gemeinde als normativ gel" S. u. S. 247 ff. - Paulus hatte zumindest bis in die Zeit der Pastoralbriefe hinein nicht nur eine literarische Wirkungsgeschichte; diese bildet vielmehr nur einen Teilaspekt und, wenn man so will, die literarische Außenseite der paulinischen Nachwirkung. 26 Barner, Wirkungsgeschichte 87. 27 Barner, ebd.
Einleitung
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tenden paulinischen Tradition und der faktischen Verfaßtheit dieser Gemeinde, und zwar sowohl intern wie auch nach außen, d. h. in ihrem Verhalten gegenüber der Umwelt. Ein Reflex dieses Identitätskonflikts wäre auf der Textebene der Pastoralbriefe die Diskrepanz zwischen der für diese Briefe spezifischen außerordentlichen Hochschätzung des Paulus als exklusiver apostolischer Autorität (dies unterscheidet die Pastoralbriefe gerade auch von den anderen Deuteropaulinen - in keinem anderen Brief wird Paulus in auch nur annähernd vergleichbarer Weise in den Mittelpunkt gestellt) und der augenfälligen Differenz gegenüber den theologischen und insonderheit ekklesiologischen Konzeptionen des historischen Paulus, soweit sie uns in dessen authentischen Briefen begegnen, was Köster von einem „Ausverkauf der paulinischen Theologie unter ungünstigen Bedingungen" sprechen läßt 28 . Verschärft, wenn nicht allererst hervorgerufen, wurde diese Krise durch die Existenz von christlichen Gruppen, die andere theologische Inhalte propagierten und der Gemeinde eine Identität zu vermitteln suchten, in der Paulus und die paulinische Tradition der Gemeinde keine Rolle mehr spielten29. Angesichts dieser Situation versucht der Verfasser der Pastoralbriefe mit Hilfe des literarischen Mittels der Pseudepigraphie die akut bedrohte paulinische Identität seiner Gemeinde zu sichern und auf eine neue Basis zu stellen. In diesem Sinne ginge es ihm dann zum einen um den Nachweis, daß die innere Verfaßtheit der Gemeinde, wie sie die entsprechenden Passagen der Briefe widerspiegeln, ihrer paulinischen Identität ohne Abstriche entspricht, die Gemeinde also durchaus nicht die Kontinuität mit dem normativen Ursprung ihrer Tradition verloren hat. Zum anderen stellte der Verfasser der drei Briefe in der Auseinandersetzung mit den Gegnern klar, daß die Gemeinde diese ihre Identität nur dann bewahrt, wenn sie an dem von ihm gewiesenen Weg festhält. - Die folgende Untersuchung will dementsprechend danach fragen, inwiefern sich die Pastoralbriefe möglicherweise in diesem Sinne als Reaktion auf die Erfahrung des drohenden Zerbrechens der Kontinuität mit der als konstitutiver Bestandteil der eigenen Identität geltenden paulinischen Tradition verständlich machen lassen. Es soll dabei versucht werden, die für die Beantwortung dieser Frage entscheidende Paulusdarstellung der Pastoralbriefe nicht als Addition von Einzelaussagen, sondern soweit wie möglich in ihrem inneren sachlichen und literarischen Zusammenhang zu erarbeiten. Hierzu gehört auch die Erörterung des den Pastoralbriefen zugrundeliegenden Kommunikationsgefälles, mithin also die Frage nach dem literarischen Charakter der drei Briefe, denn auch die für die Urheberfiktion gewählte Kommunika28 29
Köster, Gnomai 145. Zur Identität der Gegner s.u. S.256ff.
Einleitung
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tionsform ist ja ein integraler Bestandteil des Paulusbildes der Pastoralbriefe. 3. In der Diskussion der Echtheitsfrage galt es stets als wesentliches Argument für den nichtpaulinischen Charakter der Pastoralbriefe, daß sich die in ihnen vorausgesetzten biographischen Daten nicht mit der aus Apostelgeschichte und authentischen Briefen bekannten PaulusChronologie vereinbaren lassen und daß die Echtheit der drei Briefe nur dann aufrechterhalten werden kann, wenn man sie in der Zeit nach Act 28,30 f. unterbringt und eine Freilassung des Paulus aus der römischen Gefangenschaft mit anschließender Reisetätigkeit im Osten und erneuter Gefangenschaft in Rom postuliert 30 . Vielmehr lassen sich die z.T. äußerst detaillierten .auto'-biographischen Angaben und persönlichen Notizen der Pastoralbriefe ohne Mühe als geläufiges pseudepigraphisches Stilmittel erweisen, das dazu dient, dem Leser den Eindruck der Authentizität der Briefe zu vermitteln 31 . a) Die besondere Eigenart der Pastoralbriefe als Pseudepigrapha besteht nun gegenüber den anderen pseudepigraphischen Briefen des Neuen Testaments darin, daß wir es hier nicht nur mit einem einzelnen, sondern gleich mit drei fingierten Briefen aus der Feder eines einzigen Autors zu tun haben. Diese Briefe werden mit Hilfe der fiktiven Zeitund Ortsangaben unterschiedlichen Stationen der paulinischen Biographie zugewiesen, wollen also den Eindruck eines chronologischen Nacheinanders ihrer Abfassung fingieren. Nun läßt es sich aber nicht erweisen, daß die Pastoralbriefe als pseudepigraphische Schriften selbst auch in einem solchen Nacheinander verfaßt worden sind und auf unterschiedliche historische Situationen reagieren 32 . Es ist vielmehr davon 30
Die Argumente sollen hier nicht im einzelnen wiederholt werden; verwiesen sei auf die entsprechenden Passagen der Einleitungen und Kommentare. Die ausführlichste Darstellung der Geschichte der Diskussion findet sich bei Trümmer, Paulustradition 19 ff. 11 Vgl. vor allem Brox, Notizen 275 f.; Speyer, Fälschung 82 ( J e genauer die Angaben sind, desto falscher sind sie"); Donelson, Pseudepigraphy 23 ff. 32 Einen solchen Versuch hat in jüngster Zeit Schwarz (Christentum 22 ff.) im Anschluß an v.Soden (Past 157 ff.; vgl. auch u.S. 141 mit Anm.4) unternommen. Demnach sei 2.Tim der älteste Brief, auf den zunächst Tit und dann l.Tim folgten. Vor allem die von Schwarz beigebrachten Argumente sind jedoch kaum geeignet, seine Hypothese zu stützen: Die „geschlossene Einheit" der Haustafel von Tit 2,1-10 sei in l.Tim 2,1-6,2a „verschiedentlich erweitert" (a.a.O. 23); desgleichen der Bischofsspiegel von Tit 1,6-8 in l.Tim 3,1-7 (ebd.); umgekehrt seien die in Tit fehlenden Anweisungen für den Umgang mit den Witwen in l.Tim 5,3-16 bzw. den Presbytern (5,17-22) und die Ermahmung an die Reichen in 6,17-19 als „Sondergut von 1 Tim" ein Hinweis auf die frühere Abfassung des Tit (ebd.); die Sklavenparänese in Tit 2,9f. werde in l.Tim 6,2a „für den Fall erweitert, daß einer einen gläubigen Herrn hat" (ebd. 24); in Tit 3,1 werde „der Gehorsam gegen die Obrigkeit bedingungslos gefordert", während l.Tim 2,2 „vorsichtiger" klinge, „was möglicherweise erstes Anzeichen politischer Repression sein könnte" (ebd.); und
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Einleitung
auszugehen, daß sie von vornherein als einheitliches, dreiteiliges Corpus konzipiert sind 33 . Trümmer hat seine pointiert formulierte Sicht der Pastoralbriefe als eines geschlossen konzipierten Corpus Pastorale mit zum Teil durchaus einleuchtenden Erwägungen zu erläutern versucht. Demnach sei die „eigentliche Bezugsgröße" des Corpus Pastorale „das oder besser: ein bereits im Wachsen begriffenes Corpus Paulinuma>A, wobei er sich nicht auf dessen U m f a n g festlegt, sondern mit der Existenz von Teilsammlungen der Paulusbriefe rechnet 35 . Dabei wollten die Pastoralbriefe nicht die älteren Briefe ersetzen, sondern verstünden sich „als Schlußpunkt oder Ausrufzeichen' am Ende eines . . . durch sie abzuschließenden Corpus Paulinum" und hätten nur „im Zuge einer Neuedition des bisherigen Corpus" „geschrieben und verbreitet" werden können 1 6 . - D a ß die Pastoralbriefe trotz der Orientierung an einer Sammlung von Paulusbriefen nicht wie diese an eine Ortsgemeinde, sondern an in unterschiedlichen Orten befindliche Einzelpersonen gerichtet sind, will Trümmer als Ausdruck einer „von vornherein überindividuell und überzeitlich (intendiert[en]) Geltung" verstanden wissen 17 . D i e Wahl der Apostelschüler als Adressaten würde so zur Zwischenstufe innerhalb der Entwicklung der frühchristlichen Pseudepigraphie mit Tendenz zur Ausweitung des Geltungsbereichs zwischen den an eine Einzelgemeinde gerichteten Briefen und den katholischen Briefen, und in der Tat: „Schon durch diese fiktive Adresse an Einzelpersonen wird so ein überindividuelles, überzeitliches Corpus, ein Corpus pastorale catholicum angestrebt." 18 schließlich seien die Presbyter in l.Tim „bereits vorausgesetzt", während sie Titus zufolge Tit 1,5 erst noch einsetzen solle (ebd.). Für die Annahme, daß 2.Tim der „ursprünglichste" (sie!; ebd. 25) Brief ist, wird außer v. Sodens Postulat eines weniger entwickelten Stadiums der häretischen Bedrohung (vgl. Past 163 f.) der persönliche Charakter dieses Briefes sowie das Fehlen von Anweisungen für die Gemeinde und von Erwähnungen der Amtsträger geltend gemacht (a.a.O. 24). - Diese Argumentation ist, abgesehen von ihrem unzureichend reflektierten methodischen Ansatz, schlechterdings abenteuerlich und geht in einer Weise mit den Texten um, als hätte es nie form- und traditionsgeschichtliche Arbeit an paränetischen Texten gegeben (vgl. dazu u.S. 133 ff.). Zudem ließe sich mit einer ganzen Reihe der von Schwarz einander gegenübergestellten Texte ohne größeren interpretatorischen Aufwand auch eine genau umgekehrte Reihenfolge der drei Briefe begründen. 33 Vgl. bereits Hilgenfeld, Einleitung 764 (s.u. S. 131 f. Anm.4) und vor allem Trümmer, Corpus Paulinum 123 ff.; dann auch Lindemann, Paulus 44; Hanson, Past 1982, 28; Quinn, Volume; ders., Captivity 291 ff.; letztgenannter mit der These, die Pastoralbriefe stammten von Lukas und seien in der Reihenfolge Tit - l.Tim - 2.Tim der letzte Teil des lukanischen Gesamtwerks als einer von vornherein als solcher geplanten Trilogie; vgl. auch u. S. 25 Anm. 76. 34 Trümmer, Corpus Paulinum 123 (Hervorhebungen im Original). 35 Trümmer, ebd. 131; zur Existenz von derartigen Teilcorpora vgl. jetzt Aland, Entstehung, bes. 335 ff. 36 Trümmer, Corpus Paulinum 133. 37 Trümmer, ebd. 128. 3 * Trümmer, ebd. (Hervorhebung im Original). - Diese These ist allerdings mit einem Fragezeichen zu versehen: Wenn die Pastoralbriefe tatsächlich eine Sammlung von Paulusbriefen voraussetzen, so hat allein die Tatsache einer Zusammenfügung von Paulus-
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Man könnte aber auch fragen, ob das Corpus Pastorale, welchen Begriff ich dankbar von Trümmer übernehme, nicht viel eher in Analogie zu hellenistischrömischen Briefsammlungen konzipiert ist. Abgesehen von den durch den Autor selbst vorgenommenen späteren Sammeleditionen seiner Briefe (z.B. die Briefe des Plinius, die dieser in Triaden, d. h. in drei Corpora von jeweils drei Büchern, herausgab 39 ), waren der Umwelt des Neuen Testaments sowohl die postume, von Nachkommen oder Schülern veranstaltete Edition von Briefsammlungen 40 geläufig wie auch die in hellenistischer Zeit aufkommende Anfertigung von pseudepigraphischen Briefsammlungen, die eine selbständige Literaturgattung bildeten 41 . Als älteste der erhaltenen pseudepigraphischen Sammlungen gelten die wohl in das 3. Jahrhundert v.Chr. zu datierenden Anacharsisbriefe 42 , in denen Anacharsis als Vertreter und Vorbild kynischer Lehre und Lebensführung dargestellt wird. Ebenfalls kynischer Provenienz sind die von Malherbe herausgegebenen pseudepigraphischen Briefsammlungen, die Crates, Diogenes, Heraklit sowie Sokrates und die Sokratiker als Autoren fingieren. Die drei erstgenannten Sammlungen sind Kompilationen von Teilcorpora, die von unterschiedlichen Autoren stammen 43 , während die Briefe des Sokrates (1-7; 1.Jh. n.Chr. oder früher) und der Sokratiker (8-27.29-34 44 ; ca. 200 n.Chr.) jeweils auf einen einzigen Verfasser zurückgehen 45 . Weitere von vornherein als solche konzipierte Briefsammlungen pseudepigraphischen Charakters sind die von Diogenes Laertius (10,3) erwähnten 50 „unzüchtigen Briefe", die der Stoiker Diotimus dem Epikur mit der Absicht der Verleumdung unterschob, oder die an gleicher Stelle genannte pseudepigraphische Briefsammlung Epikurs, mit deren Abfassung Chrysipp in Verbindung gebracht wird. Weiter zu nennen wären noch die pseudepigraphischen Sammlungen der Hippokratesbriefe aus dem l . J h . v.Chr 46 , der Briefe Chions von Heraklea (1. Jh. n.Chr.) 47 oder derjenigen des Aeschines (Mitte des 2. Jh. n.Chr.) 48 . - Es wäre nun sicher nicht angemessen, von hier aus gegenüber der oben skizzierten These Trummers ein starres Entweder-Oder zu konstruieren und die Annahme briefen zu Corpora ihrerseits zur Voraussetzung, daß den Briefen eine Verbindlichkeit zuerkannt wurde, die über die Grenzen der jeweils angeschriebenen einzelnen Gemeinden hinausging. Die Wahl von Einzelpersonen als Adressaten wird darum wohl noch einen tieferen Grund haben (s. dazu u . S . 9 8 f . 239. 269 f.). " Vgl. Peter, Brief 107ff.; Syme, Tacitus 11,663. 40 Vgl. Sykutris: PRE.S 5,198 f.; Schmidt: KP 2,326. 41 Vgl. Susemihl, Geschichte II, 579 ff.; Gudeman, Fälschungen 60 ff.; Sykutris: PRE.S 5,210ff.; Schmidt: KP 2,326. - Sykutris ordnet a.a.O. 211 die Pastoralbriefe ausdrücklich in diesen Kontext ein. 42 Der zehnte Brief gehört nicht zur ursprünglichen Sammlung hinzu, sondern ist älteren Datums (vgl. Reuters in seiner Edition dieser Briefe 6f.). 43 . Vgl. dazu die Einleitungen von Malherbe und R. F. Hock (Cratesbriefe) 6 ff. 44 Zählung nach Sykutris, Briefe und der Edition Malherbes. 45 Vgl. Sykutris, Briefe 106 ff. 112 ff. 44 Es handelt sich hier wie bei den Sokratikerbriefen um einen Briefroman, der zudem nicht nur Briefe des Hippokrates enthält; s.dazu Philippson, Verfasser. 47 Vgl. Düring in seiner Ausgabe der Briefe 7ff., bes. 16ff.; s. dazu auch u.S.21 Anm. 51. 48 Vgl. dazu Schwegler, De epistolis 8 ff. 81.
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einer Orientierung des Corpus Pastorale am entstehenden Corpus Paulinum auszuspielen gegen eine Herleitung von hellenistischen pseudepigraphischen Briefsammlungen. Doch so wenig die Sammlung von Paulusbriefen eine literarische Größe sui generis darstellt, sondern im Zusammenhang mit den postumen Sammeleditionen von Briefen in hellenistisch-römischer Zeit gesehen werden muß, so wenig wird man die Abfassung der Pastoralbriefe als pseudepigraphischer Briefsammlung von der gleichartigen Literaturproduktion ihrer Zeit abkoppeln dürfen. Insofern würde gerade die Annahme der Orientierung an einer postumen Sammlung von Paulusbriefen nahelegen, das Corpus Pastorale von den pseudepigraphischen Briefsammlungen seiner Umwelt her zu verstehen.
Unter dieser Voraussetzung der Konzeption der Pastoralbriefe als einer einheitlichen Sammlung von drei Briefen stellt sich die für eine Interpretation nicht unerhebliche Frage, ob es möglich ist, eine Aussage darüber zu machen, in welcher Reihenfolge die drei Briefe gelesen werden wollten, d. h. in welcher Reihenfoge sie ihr Verfasser zusammengeordnet und herausgegeben hat. Daß die erstmals im Kanonverzeichnis des Codex Claromontanus49 bezeugte Reihenfolge im neutestamentlichen Kanon (l.Tim - 2.Tim - Tit) nicht notwendig der ursprünglichen Abfolge entspricht, erhellt vor allem daraus, daß sie im Canon Muratori, dem ältesten Verzeichnis der neutestamentlichen Schriften, in der Reihenfolge Tit - l./2.Tim aufgeführt werden. Die kanonische Anordnung orientiert sich vielmehr an der auch für die Abfolge der übrigen paulinischen Briefe maßgeblichen Länge der einzelnen Briefe, so daß entsprechend der Philemonbrief, der im muratorischen Fragment noch vor den Pastoralbriefen rangierte, ans Ende der Sammlung rutscht. Abgesehen davon bedeutet aber die Tatsache, daß die beiden Briefe an Timotheus hier wie dort nebeneinander stehen, noch nicht, daß sie dies auch in der ursprünglichen Sammlung getan haben. Diese Zusammenordnung läßt sich vielmehr ohne Mühe auf die übereinstimmende Adressierung der beiden Briefe zurückführen, die eine gegenseitige Anziehungskraft entwickelte 50 . Die Frage nach einer von ihrem Autor möglicherweise bewußt intendierten Anordnung der Pastoralbriefe untereinander muß also aus den Briefen selbst heraus zu beantworten versucht werden.
49 Der Text ist am leichtesten zugänglich bei Zahn, Geschichte 11/1,158 f.; die U m fangsangabe für 2.Tim (288 Verse, gegenüber 208 Versen für l.Tim) dürfte auf einen Fehler bei der Abschrift des Verzeichnisses zurückgehen. Zahn datiert den Katalog in das 3. oder beginnende 4. Jh. (ebd. 172; s.auch Kümmel, Einleitung 438). 50 Dies wird etwa für Tertullian, Marc. 5,21,1 gelten (Marcion habe „ad Timotheum duas et unam ad Titum zurückgewiesen"; s. dazu auch u.S.24). - Quinns Hinweis auf die gemeinsame Nennung der beiden Briefe an Timotheus bei Irenäus, haer. 3,3,3 (Captivity 291 mit Anm. 5 [298]) ist ohne Beweiskraft, weil Tit hier nicht genannt wird.
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Am leichtesten läßt sich eine entsprechende Aussage in bezug auf den 2.Tim machen: Die fingierten autobiographischen Angaben - der pastorale Paulus befindet sich gefangen in Rom (1,8.16f.; 2,9) und hat den Tod unmittelbar vor Augen (4,6-8) - wollen diesen Brief, für dessen Testamentscharakter sie den äußeren Rahmen abgeben, so eindeutig an das Ende des Lebens des Apostels weisen, daß man in ihm ohne Schwierigkeiten den als letzten Teil des Corpus Pastorale fingierten Brief erkennen kann 51 . Schwieriger ist die Bestimmung der literarischen Reihenfolge von 1. Tim und Tit, weil hier die fiktiven biographischen Angaben nur wenig weiterhelfen". Es gibt jedoch einige Indizien dafür, daß innerhalb des Corpus Pastorale 1. Tim vor Tit gelesen werden wollte, dieser Brief also am Anfang der ursprünglichen Sammlung stand. Dies ist zum einen die von l.Tim zu Tit und dann vor allem zu 2.Tim sich verstärkende Tendenz zur Abwesenheit des pastoralen Paulus, welche Linie sich virtuell bis in die nachpaulinische Zeit der Abfassung der Pastoralbriefe verlängert": Während der Apostel zufolge l.Tim 3,14; 4,13 sein baldiges Kommen (wenn auch mit einem kleinen Vorbehalt in 3,15) in Aussicht stellt, ist in Tit davon nicht mehr die Rede - Titus soll vielmehr seinerseits zu ihm kommen (3,12). In 2.Tim wird dann die endgültige Abwesenheit des Apostels vorbereitet. Hinzu kommt, daß in l.Tim dem Eintritt in das Corpus dieses Briefes (1,18) 54 in 1,12-17 eine Selbstvorstellung seines Pseudonymen Autors vorgeschaltet ist, die ihrem Umfang nach diejenige von Tit 1,1-4 bei weitem übertrifft 55 und darüber hinaus biographisch viel weiter, nämlich bis in die vorchristliche Zeit des pastoralen Paulus zurückreicht (1,13). Von daher ist es unter der Voraussetzung, daß die Pastoralbriefe als einheitliches Corpus konzipiert sind, schwer vorstellbar, daß l.Tim seinen ursprünglichen Ort in der Mitte der dreiteiligen Sammlung hatte 56 . Man wird vielmehr davon auszugehen haben, daß dieser Brief vom unbekannten Autor des Corpus Pastorale an den Anfang seiner Sammlung gestellt wurde. Dies heißt dann aber auch, daß die Selbstvorstellung des Apostels in l.Tim 51 Auch der letzte Brief der unter dem Namen Chions von Heraclea fingierten Sammlung (s.o.S. 19) führt seinen Pseudonymen Autor an die Schwelle des Todes und hat den Charakter einer Abschiedsrede. Zum Testamentscharakter des 2.Tim s.u. S. 141 mit Anm.5. 52 Vgl. die Erörterung bei Dibelius/Conzelmann, Past 13 f. 114 ff. " Vgl. Stenger, Timotheus 265. 54 Vgl. u.S. 118 mit Anm. 19; 179. " Dies wird von Quinn, der Tit für den ersten Brief der Sammlung hält und zur Begründung auf den Umfang des Präskripts dieses Briefes verweist (Captivity 291), nicht beachtet. 56 Dies hieße in der Tat, um es mit Quinns Worten zu sagen, „building the west portal of York minster in front of a village church" (ebd.).
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1,12-17 die Funktion hat, nicht nur den l.Tim, sondern die Pastoralbriefe insgesamt einzuleiten. Die folgende Untersuchung hat aus diesem Grunde ihren Ausgang in l.Tim 1,12-17 zu nehmen, und es soll anschließend danach gefragt werden, ob und inwieweit dieser Text möglicherweise programmatische Bedeutung für die Paulusdarstellung der Pastoralbriefe insgesamt hat. b) Die übrigen Einleitungsfragen lassen sich relativ kurz abhandeln, weil hier keine sicheren Ergebnisse erzielt und über die bereits bekannten Fakten und Argumente hinaus kaum neue Gesichtspunkte beigebracht werden können. In bezug auf den mutmaßlichen Abfassungsort der Pastoralbriefe läßt sich mit einiger Sicherheit nur sagen, daß sie in einer Gemeinde des paulinischen Missionsgebietes, also der römischen Provinzen Achaja, Mazedonien und der Asia, anzusiedeln sind 57 . Eingrenzende geographische Zuweisungen - Entstehung in Kleinasien, näherhin in Ephesus 58 sind zwar „nicht beweisbar" 59 , bleiben aber, da sie sich in dem gesteckten Rahmen bewegen, möglich und hängen z.T. auch von einer Identifikation der in den Pastoralbriefen bekämpften Gegner ab60. Ahnlich unpräzise muß die Bestimmung der Abfassungszeit bleiben. Im überwiegenden Teil der Literatur werden die drei Briefe in die Jahre um die Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert datiert, wenngleich auch spätere und frühere Ansetzungen vertreten werden 61 . Vorauszusetzen ist außer dem Tod des Paulus zweifellos auch das Ableben der fiktiven Adressaten, d.h. der Apostelschüler. Der Verfasser gehört damit zur .dritten Generation' der πιστοί άνθρωποι, denen Timotheus zufolge 2. Tim 2,2 das apostolische Erbe weiterzugeben aufgefordert wird. Wenn in der Notiz über die Freilassung „unseres Bruders Timotheus" in Hebr 13,23 tatsächlich der Paulus-Mitarbeiter und fiktive Adressat
57 Vgl. z.B. Schmithals: RGG 3 5,147; Schenke/Fischer, Einleitung 229; Köster, Einführung 744 („ägäischer Raum"); Hasler, Past 9. 5 * Vgl. Lietzmann, Geschichte 1,229; Brox, Past 58; Hegermann, Ort 47; Lohse, Entstehung 64; Vielhauer, Geschichte 237; Müller, Theologiegeschichte 62; Hanson, Past 1982, 14; Hultgren, Past 21 ff. u.a. " Kümmel, Einleitung 341. 40 Vgl. u.S. 264. 61 Datierung um 100: Brox, Past 38; Hegermann, Ort 47; Kümmel, Einleitung 341; Lohse, Entstehung 64; Schenke/Fischer, Einleitung 229; Müller, Theologiegeschichte 54 f.; v. Lips, Glaube 24; Lindemann, Paulus 45; Hanson, Past 1982, 12 f.; Hultgren, Past 29. - Zur Spätdatierung s.o.S. 12 mit Anm.5 sowie Köster, Einführung 744 („nur eine Zeit relativer Sicherheit vor Verfolgungen", die es allein unter Hadrian und Antoninus Pius gegeben habe: 120-160 n.Chr.). - Eine frühere Datierung vertritt Roloff, Apostolat 238 (kaum nach 80, weil „das Wirken des Paulus und seiner Mitarbeiter noch in Einzelheiten gegenwärtige Erinnerung war").
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zweier Pastoralbriefe gemeint sein sollte - wofür einiges spricht 62 ergäbe sich als sicherer Terminus post quem einzig die Abfassung des Hebräerbriefes. Damit ist freilich noch nicht viel gewonnen, denn die zumeist vertretene zeitliche Ansetzung des Hebr (80-90) ist nicht hundertprozentig gesichert und läßt darüber hinaus noch einen relativ weiten Spielraum offen. Nicht leichter wird die Datierung, wenn man eine Abhängigkeit der Pastoralbriefe von der Apostelgeschichte voraussetzt 63 . Auch die Apostelgeschichte ist wahrscheinlich in das neunte Jahrzehnt des 1. Jahrhunderts zu datieren 64 , und darüber hinaus ist keineswegs sicher, daß 2.Tim 4,6-8 an Act 20,17-38 anknüpft 65 und die Ubereinstimmung der Reihenfolge der paulinischen Leidensstationen in 2.Tim 3,11 (Antiochien, Ikonium, Lystra) mit der Darstellung in Act 13-14 auf literarischer Abhängigkeit der Pastoralbriefe von der Apostelgeschichte beruht. Eher könnte noch das Ende der Christenverfolgung Domitians (96 n. Chr. oder unmittelbar davor) als Terminus post quem dienen, weil in den Pastoralbriefen nichts von einer akuten Verfolgungssituation sichtbar wird. Die Nachrichten über eine solche Verfolgung sind jedoch vor allem in bezug auf die Situation in den Provinzen überaus lückenhaft und unsicher (eine planmäßige reichsweite Christenverfolgung gab es erst in der Mitte des 3. Jahrhunderts, und es ist durchaus vorstellbar, daß auch zur Zeit der Abfassung der Pastoralbriefe anderswo eine scharfe Verfolgung stattfand) sowie darüber hinaus durch ein von der senatorischen Geschichtsschreibung der trajanischen Zeit entworfenes negatives Domitianbild bestimmt 66 , so daß auch hier eine Datierung der Pastoralbriefe keinen sicheren Bezugspunkt findet. Für die Bestimmung des Terminus ante quem haben wir als früheste Anhaltspunkte die wahrscheinliche Anknüpfung an l.Tim 2,1 f. bei Athenagoras, leg. 37,1 (ca. 177 n. Chr) bzw. das sichere Zitat dieser Stelle bei Theophilus, Autolyk. 3,14 (kurz nach 180)67. Ein älteres Datum " Vgl. Michel, Hebr 543 f.; Ollrog, Paulus 23 f. Anm.87; Braun, Hebr 483. 63 So etwa Brox, Past 57; Lindemann, Paulus 45; Hanson, Past 1982, 13 und viele andere. " Vgl. Plümacher: ThR N F 49,169. " S. dazu u.S. 223. 64 Vgl. Willmer, Domitian-Bild; Christ, Herrscherauffassung, bes. 13 ff.; Speigl, Staat 18 ff. 67 Die sprachlichen Affinitäten zwischen den Pastoralbriefen und den anderen frühchristlichen Schriften sind so unspezifisch, daß sie sich nicht auf eine literarische Abhängigkeit dieser von jenen zurückführen lassen. Man wird vielmehr in allen Fällen lediglich mit einem gemeinsamen sprachlichen Traditionshintergrund zu rechnen haben. Dies gilt sowohl für l.Clem (vgl. zuletzt Hagner, Use 230ff.) wie für Ignatius (vgl. Rathke, Ignatius); Barn; Polykarp (vgl. Hanson, Past 1982, 12) oder Justin, bei welch letzterem Aland in dial. 7,3; 35,2 einen Bezug auf l . T i m 4,1 feststellen zu können meint (Entstehung
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ist mit Hilfe äußerer Zeugnisse nicht zu ermitteln, so daß man unter der Voraussetzung, daß zwischen Abfassung der Pastoralbriefe und ihrer Durchsetzung als Paulusbriefe ein Zeitraum von etwa 30 Jahren liegt, auf ein Entstehungsdatum etwa in den 40er Jahren des 2. Jahrhunderts käme. Daß die Pastoralbriefe im Kanon Marcions fehlen, muß weder heißen, daß es sie zu seiner Zeit noch nicht gegeben hat 68 , noch daß er sie zurückgewiesen hat (Tertullian, Marc. 5,21,1); Marcion könnte sie auch einfach nicht gekannt haben, weil ihre Abfassung erst so kurze Zeit zurücklag, daß sie sich noch nicht allgemein durchgesetzt hatten. Als Gesichtspunkt für die Bestimmung des Terminus ante quem wird häufig geltend gemacht, daß in den Pastoralbriefen die Entwicklung zum monarchischen Episkopat noch nicht so weit fortgeschritten sei wie bei Ignatius, diese Briefe also zu einem früheren Zeitpunkt als diejenigen des Bischofs von Antiochien entstanden sein müssen 49 . Dieses Argument ist jedoch nur von begrenzter Tragfähigkeit: Denn abgesehen davon, daß Ignatius weniger einen bereits ausgebildeten monarchischen Episkopat voraussetzt als vielmehr allererst dafür wirbt 70 , ist doch damit zu rechnen, daß die diesbezügliche Entwicklung geographisch ganz unterschiedlich verlief und anderswo noch längst nicht so weit gediehen war wie in Syrien71. Schließlich ist auch das nach dem Zeugnis der Ketzerbekämpfung der Pastoralbriefe angeblich „noch ganz unentfaltete Stadium der gnostischen Häresie" 72 schwerlich geeignet, einen Anhaltspunkt für eine präzisere Datierung der drei Briefe abzugeben. Vorausgesetzt, daß es sich wirklich um gnostische Gegner handelt, läßt die Äußerlichkeiten in den Mittelpunkt rückende, polemisch verzerrende Darstellung der Gegner in den Pastoralbriefen doch wohl kaum einen derartigen Rückschluß zu. - Die Abfassungszeit der Pastoralbriefe läßt sich also auf der Grundlage der vorliegenden Zeugnisse kaum enger als auf den Zeitraum zwischen ca. 90 und (optimistisch geschätzt) ca. 140 n.Chr. datieren, wobei die Tatsache, daß die drei Briefe eine dezidiert paulinische Traditionslinie repräsentieren und deren Profil noch nicht gesamt324), wofür die hier wie dort begegnende synsemantische Verbindung von πνεύματα und πλάνη/πλάνος aber bei weitem nicht ausreicht (vgl. hierzu auch u. S.229 sowie zur Problematik insgesamt Brox, Past 26 ff.; ders., Probleme 81 f.; Trümmer, Paulustradition 15 ff.; Aland, a.a.O. 325). 68 S.o. S. 12. " Vgl. etwa Müller, Theologiegeschichte 55; v. Lips, Glaube 24 Anm. 60; Hanson, Past 1982, 13 u.a. 70 Vgl. Dassmann, Entstehung 75; Hanson: T R E 2,535 f.; Neumann: TRE 6,655; Paulsen, Ignatius 44. 71 Vgl. Dassmann, Entstehung 75 mit Anm. 13; Herrmann, Ecclesia 23 ff. n Brox, Past 58; vgl. auch Kümmel, Einleitung 341.
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kirchlich absorbiert ist73, eine Entstehung eher in der ersten Hälfte dieses Zeitraums nahelegt. In bezug auf den Verfasser der Pastoralbriefe gilt nach wie vor Brox' Urteil: „Irgendeine bekannte Persönlichkeit der altkirchlichen Zeit als wahrscheinlichen Autor zu benennen, ist gänzlich aussichtslos." 74 In diesem Sinne läßt sich weder die durch v. Campenhausen vorgenommene und jetzt von Köster aufgegriffene Zuschreibung der Pastoralbriefe an Polykarp von Smyrna 75 plausibel machen, noch kann die These, Lukas sei der Verfasser der Pastoralbriefe 76 , einleuchtend begründet werden. Mit einiger Wahrscheinlichkeit läßt sich vom Verfasser der Pastoralbriefe nur sagen, daß er - ohne deswegen zwangsläufig auch Amtsträger gewesen zu sein - als einer jener in 2. Tim 2,2 genannten πιστοί άνθρωποι der Sachwalter und Vertreter des paulinischen Erbes in seiner Gemeinde war. Seine sprachliche Kompetenz, wie sie in den drei Briefen greifbar wird, konstituiert sich nicht nur durch paulinische Sprachtradition oder gar literarische Abhängigkeit von den authentischen Paulusbriefen, sondern ist auch - und, wie zu zeigen sein wird, in viel größerem Umfang als bisher angenommen - durch hellenistisch-jüdische Sprachtraditionen bestimmt 77 . 73
Vgl. auch u. S. 100 ff. Brox, Past 57. 74 Vgl. v. Campenhausen, Polykarp; Köster, Einführung 744. - Zur Kritik: Käsemann, Überblick 215; Trümmer, Paulustradition 39 ff. 76 Die Zuschreibung der Pastoralbriefe an Lukas ist in letzter Zeit mehrfach mit z.T. unterschiedlichen Begründungen und Nuancierungen vertreten worden, wobei vor allem sprachstatistische Argumente herangezogen werden; vgl. Strobel, Schreiben; Feuillet, Doctrine; Quinn Volume (s. dazu o. S. 18 Anm. 33); Wilson, Luke. Zur Kritik dieser These sind die Argumente (vor allem in bezug auf die Tragfähigkeit sprachstatistischer Gesichtspunkte und die nicht miteinander zu vereinbarenden Paulusbilder) bereits in ausreichendem Maße vorgetragen worden (vgl. vor allem Brox, Lukas; Trümmer, Paulustradition 44 ff.; Marshall, Rez. Wilson; Plümacher: T h R NF 49,161 f.), so daß sich eine erneute Auseinandersetzung an dieser Stelle erübrigt. 77 Daß der Verfasser der Pastoralbriefe durch die Schule des Rabbinats gegangen sei, läßt sich trotz der ausführlichen Untersuchungen Naucks zur Syntax, Terminologie, kirchlichen Praxis und Schriftauslegung der Pastoralbriefe (Herkunft; vgl. auch Bill. I, 811 Anm. 1) nicht positiv nachweisen. 74
Β. Paulus, der Garant des Heils
I. Grundlegung: l.Tim 1,12-17 Die erste der in den Pastoralbriefen an mehreren Stellen begegnenden autebiographischen Aussagen ist als Danksagung formuliert. Ihr Gegenstand ist die Einsetzung des pastoralen Paulus in sein apostolisches Amt. Mit den brieflichen Danksagungen der meisten authentischen und deuteropaulinischen Briefe 1 ist sie nicht vergleichbar 2 , weil sie einmal nicht wie diese unmittelbar auf das Präskript folgt - in 1. Tim schließt sich daran die Erinnerung an den dem Adressaten erteilten Auftrag an (1,3; ebenso auch in Tit 1,5)3 - und sie sich darüber hinaus auch nicht auf die Adressaten, sondern auf das Handeln Christi an Paulus bezieht. Der gesamte Abschnitt ist zunächst unmittelbar durch l.Tim 1,11 motiviert, wo erstmals in den Pastoralbriefen die enge Bindung des Evangeliums an die Person des Paulus zum Ausdruck gebracht wird und dessen Aussage er entfaltet und begründet 4 . Von daher wird man den Text in seiner Stellung vor dem Corpus des l.Tim, das in 1,18 beginnt 5 , und am Anfang des Corpus Pastorale überhaupt 6 zu verstehen haben als briefliche Selbstvorstellung des pastoralen Paulus und seine Intention in der Legitimation von dessen apostolischem Auftrag sehen können 7 . Die nächsten Analogien finden sich in den Selbstvorstellungen von Rom 1,1-5; Gal 1,11-24; Phil 3,4-11 (wenn der letztgenannte Text der Beginn von Phil C ist). In der Literatur erfährt d i e s e r A b s c h n i t t hinsichtlich seiner I n t e n t i o n e i n e relativ k o n s e n s h a f t e u n d nur in N u a n c e n d i f f e r i e r e n d e Beurteilung, die in V . 16 1
Vgl. Rom 1,8; l . K o r l , 4 f . ; Phil 1,3ff.; Kol 1,3f.; l.Thess l , 2 f f . ; 2.Tess 1,3; (2,13); 2.Tim 1,3ff.; Phlm 4ff.; dazu: Schubert, Form; Rigaux, Briefe 171 f.; Robinson, Hodajot-Formel 201 ff.; Mullins, Formulars; Berger, Apostelbrief 219 ff.; Vielhauer, Geschichte 65 f.; O'Brien, Thanksgiving; ders, Thanksgivings; White, Literature 1741 f. 2 Gegen O'Brien, Thanksgiving 61; sie entspricht in Form und Ausrichtung vielmehr den Eulogien in 2.Kor 1,3f.; Eph 1,3; l.Petr 1,3; s. dazu u. S.30f. 3 S. dazu u. S. 180 f. 4 Vgl. Brox, Past 109; Collins, Image 166. 5 S. dazu u. S. 118 mit Anm.19. 4 S.o. S.21 f. 7 Vgl. Berger, Gattungen 1353f.; ders., Formgeschichte 268.
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ihren Ausgangspunkt nimmt: Demnach werde Paulus hier als „Prototyp des Erlösten"® dargestellt, dessen Bekehrung urbildlich die Art und Weise des Heilshandelns Christi an allen Gläubigen veranschauliche 9 und „aus paränetischen Gründen (aktualisiert)" werde 10 . Dadurch sei „in seiner Existenz selbst... die heilschaffende Kraft des Evangeliums ausgeprägt und sichtbar gemacht" 11 sowie „auch seine Person und sein Leben ... Verkündigung" geworden 12 : „Seine Lebenswende ... ist nicht nur die paradigmatische Bekehrung eines Sünders, sondern Aufweis der Kraft des Evangeliums." 13 Lohfink leitet von hier her die in den Pastoralbriefen mehrfach herausgestellte Vorbildlichkeit der Lehre und Existenz des Apostels ab, die in „wesentlichen Strukturen ... bereits bei dem Paulus der echten Briefe sichtbar" werde 14 . - Trümmer überträgt darüber hinaus den exemplarischen Charakter der Bekehrung des Paulus auf die Berufung in dessen apostolisches Amt und versteht sie als „Paradigma einer Amtseinsetzung des nachpaulinischen Amtsträgers" 15 . Unterschiedlich gesehen wird demgegenüber die traditionsgeschichtliche Einordnung des Textes: Trümmer untersucht l.Tim 1,12-17 aufgrund seines methodischen Ansatzes nicht eigentlich traditionsgeschichtlich, sondern erklärt diesen Text von den authentischen .Anamnesen' in l . K o r 15,8f.; Phil 3 , 1 b 4,1; Gal 1,13-16 her und sieht ihn „an diesen literarischen Vorbildern orientiert" 16 . Dabei handele es sich hier nicht wie dort um den „historischen", sondern um den „erhöhten" Paulus 17 . Insgesamt entspreche die Darstellung „ganz dem Modell der hellenistischen Missionspredigt" 18 . - Demgegenüber sieht Köster in l.Tim 1,12ff. ein in „der freien Gemeindetradition" überliefertes „literarisches Motiv" verarbeitet 19 , das auf l.Kor 15,9 zurückgehe und auch in Eph 3,8 und Barn 5,920 begegne. Seine „Pointe" bestehe darin, „zu zeigen, wie sich in der Auswahl von solchen Sündern zu Aposteln Gottes Größe zeigt" 21 . - Einen anderen Weg beschreitet Löning: Seiner Meinung nach gehört l.Tim 8
Brox, Past 111; vgl. auch Standaert, Paul; Collins, Image 165f.; Wilson, Portrait 398; Wanke, Paulus 176; s. auch o. S. 13. 9 Vgl. Klein, Apostel 135; Roloff, Apostolat 240; Dibelius/Conzelmann, Past 23; Brox, Past 114; Wanke, Paulus 179; de. Boer, Images 371. 10 Klein, Apostel 138; vgl. auch Dibelius/Conzelmann, Past 115; Trümmer, Paulustradition 118. Diese Interpretationen hängen sämtlich an einem qualitativen Verständnis von πρώτος in V. 15 c. 16b (vgl. dazu u. S. 50f.). 11 Lohfink, Theologie 82. 12 Wanke, Paulus 187. 13 Wanke, ebd. 14 Lohfink, Theologie 80 ff. (Zitat S.82). 15 Trümmer, Paulustradition 119; ihm folgt Lohfink, Theologie 78. 16 Trümmer, Paulustradition 117; vgl. auch Sabugal, Autotestimonio 359 ff. 17 Trümmer, Paulustradition 117. 18 19
Trümmer, ebd. 118.
Köster, Überlieferung 145.143. In Barn 5,9 wie in l . T i m 1,12ff. sei es zudem „noch weiter ausgestaltet durch die Hinzufügung eines entsprechenden Herrenwortes" (Köster, a.a.O. 144). 21 Köster, a.a.O. 143. - Gegenüber Kleins Kritik an älteren Interpretationen (Apostel 139) will Fischer ausdrücklich daran festhalten, daß es in diesen Texten „eine sich steigernde Entwicklung . . . gibt" (Tendenz 98). 20
Amtseinsetzung (V. 12.14)
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1,12ff. zu einem sog. „paulinistischen Lehrtopos", der in Gal 1,13f.; l.Kor 15,8 f. und Phil 3,6 greifbar sei, die Verfolgertätigkeit des Paulus theologisch unter Hinweis auf dessen Gesetzeseifer (ζήλος-Motiv) interpretiere22 und „in der die Bekehrung des Paulus als soteriologisches Exempel dargestellt" sei23. Dieser „Lehrtopos" sei in l.Tim 1,12ff. „zu einer allgemeingültigen, primär auf das Selbstverständnis von Heidenchristen zugeschnittenen Aussage umgeformt ..., die nicht mehr auf das paulinische Gesetzesproblem abhebt"24. Die Lehrtradition gehe möglicherweise auf Paulus selbst zurück und finde sich abgesehen von l.Tim 1,12ff. auch sonst im nachpaulinischen Schrifttum wie etwa in der Übernahme des ζήλος-Μοϋνβ durch Lukas (Act 22,3 f.; 26,4 f.)25 und auch bei Ignatius v. Antiochien, Rom 9,2 (hier von Paulus abgelöst); EpApost (äth.) 31 (42)26 sowie ActPetr 227.
Im folgenden soll es nun zum einen darum gehen, l.Tim 1,12-17 auf sein argumentatives Gefälle hin zu untersuchen und dabei danach zu fragen, in welchem wechselseitigen Begründungs- bzw. Folgerungszusammenhang die Einzelaussagen zueinander stehen. Zum anderen soll der Traditionshintergrund der in diesem Text verarbeiteten Topoi herausgearbeitet werden, um auf diese Weise die Intention von l.Tim 1,12-17 im Blick auf die Gesamtheit der Pastoralbriefe eventuell präziser bestimmen zu können.
1. Einsetzung
in den apostolischen Dienst (V. 12.14)
a) In dem l.Tim 1,12-17 einleitenden Hauptsatz dankt der pastorale Paulus Christus als demjenigen, der ihn „gestärkt" hat (ένδυναμοϋν), wobei es die genaue inhaltliche Wechselbeziehung von .Stärkung' und Amtseinsetzung ist, die im folgenden näher zu bestimmen sein wird. Zunächst zu erörtern ist die sprachliche Frage nach dem Bezug von χάριν εχω, genauer: nach dem Verhältnis der Partizipialkonstruktion (κάριν 8χω) τ φ ένδυναμώσαντί με Χριστφ Ίησοϋ (V. 12 a) und dem angeschlossenen kausalen δτι-Satz (V. 12b). Inhaltlich ist dies die Frage, wie sich .Stärkung' und Amtseinsetzung vom argumentativen Gefälle dieses Verses her - d. h. in bezug auf χάριν εχω - zueinander verhalten. 22
Löning, Saulustradition 54 ff.; vgl. auch ders., Paulinismus 216 ff. Löning, Paulinismus 217; vgl. auch ders., Saulustradition 56. 24 Löning, Saulustradition 171. - Das ζήλος-Motiv werde dabei in l.Tim 1,13 „durch das der Hybris ersetzt" (ebd.); vgl. auch Bertram: T h W N T 8,306 Anm.81. 25 Löning, Saulustradition 60f.; ders., Paulinismus 217. 26 Löning, Saulustradition 57 f. Anm. 104. Löning versucht ebd. nachzuweisen, daß dieser Text von der Darstellung der Apostelgeschichte unabhängig ist (zur Kritik vgl. Lindemann, Paulus 110 Anm. 9). 17 Löning, Saulustradition 171. 25
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- Die Literatur sieht hier keine Schwierigkeiten und versteht in der Regel V. 12 b als Grund und Gegenstand des Dankes und ένδυναμοϋν als die zur Ausübung der διακονία erforderliche .Stärkung' 1 bzw. trennt die Partizipialkonstruktion vom δτι-Satz 2 . Die auf diese Weise hergestellte einlinige Kausalverbindung χάριν εχω ..., δτι scheint mir jedoch den Begründungszusammenhang von V. 12 unzulässig zu verkürzen, denn ein Blick auf andere Danksagungen inner- und außerhalb des Neuen Testaments zeigt, daß deren Begründung allein durch einen mit δτι angeschlossenen kausalen Nebensatz keineswegs die einzig mögliche ist. Daneben wird (fast sogar häufiger und abgesehen von anderen Präpositionen und Konjunktionen 3 ) der Grund des Dankes mit Hilfe einer dessen Adressaten attributiv zugeordneten Partizipialkonstruktion ausgedrückt, wie sie sich auch in V. 12 a findet, bzw. in einen dem attributiven Partizip gleichwertigen Relativsatz 4 gekleidet 5 . Diese Form der Begründung des Dankes entspricht, wie Deichgräber gezeigt hat 6 , dem Stil der jüdischen Eulogie, für die eine partizipiale Begründung spezifisch ist. Dazu paßt auch, daß die Briefeingangseulogien 7 in 2. Kor 1,3f.; Eph 1,3; l.Petr 1,3 sich mit l.Tim 1,12 von den einleitenden Danksagungen der anderen Paulusbriefe dadurch unterscheiden, daß sie sich auf das Handeln Gottes bzw. Christi (vgl. auch z.B. Ignatius, Eph 1,3; Barn 6,10) und nicht auf den Stand der Adressaten beziehen. Es finden sich aber auch wie in l.Tim 1,12 gleichsam ,doppelte' Begründungen des Dankes, wobei die an zweiter Stelle genannte Begründung immer die Konkretion der erstgenannten allgemeineren darstellt 8 . 1 Bisping, Past 78; v.Soden, Past 225; Weiß, Past 93; Lock, Past 14; Schlatter, Kirche 56; Scott, Past 12; Brox, Past 109; Jeremias, Past 16; ν. Campenhausen, Amt 125; Schille, Paulusbild 73. 1 Wohlenberg versteht ένδυναμοϋν von 2. Tim 4,17 her als „Entlassung aus mehrjähriger Haft" (Past 94), Spicq (Past 1,340) und Dornier (Past 43) als Stärkung der menschlichen άσθένεια des Apostels im Damaskusgeschehen. 3 Vgl. Bauer, Wörterbuch 1737. 4 S. Blaß/Debrunner/Rehkopf, Grammatik §412,4. 5 Partizip: l . K o r 15,57; 2.Kor 2,14; 8,16; Kol 1,12; Philo, her.309; 2.Makk 10,7A. Relativsatz: Philo, somn. 2,213; Jdt 8,25. 6 Deichgräber, Gotteshymnus 40ff. (bes.43, wo auch l . T i m 1,12 in diesen sprachlichen Zusammenhang eingeordnet wird); s. auch Delling, Gottesprädikationen 2 ff. sowie Robinson (Hodajot-Formel 203), der gezeigt hat, daß die jüdische Eulogie im frühen Christentum „eine allmähliche Ersetzung . . . durch die Hodajot-Formel" (die Danksagung) gefunden hat. l . T i m 1,12 zeigt dann sehr schön diesen Übergang, insofern die typisch griechische Formulierung χάριν ϊχω (vgl. Bauer, Wörterbuch 1737) mit einer für die jüdische Eulogie spezifischen partizipialen Begründung versehen wird. 7 Vgl. Dahl, Adresse 250 ff.; Deichgräber, Gotteshymnus 64. 8 Vgl. l . K o r l , 4 f . ; 2.Makk 1,11 f.; Hermas, vis.9,14,3. Philo verkürzt das erste Glied der doppelten Begründung mitunter zu einer Gottesprädikation: leg.all. 3,40: χάρις τφ φιλοδώρφ, δτι; eher.32: χάρις τφ τεχνίτη, δτι; der δτι-Satz entfaltet hier jeweils die Prädikation inhaltlich.
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- Zusammengefaßt hieße die Formulierung des Dankesgrundes in l . T i m 1,12 in Anlehnung an den Stil der jüdischen Eulogie, wonach die Partizipialkonstruktion den Gegenstand des Dankes angibt und der δτι-Satz als dessen inhaltliche Näherbestimmung fungiert: Der pastorale Paulus dankt dem Herrn für seine ,Stärkung', und diese besteht darin, daß der Herr ihn für πιστός erachtet und in die διακονία eingesetzt hat9. b) Dieses sprachliche Ergebnis läßt sich noch inhaltlich konkretisieren. Es kann gezeigt werden, daß der Verfasser der Pastoralbriefe mit ένδυναμοϋν an einen ganz spezifischen traditionell vorgegebenen Sprachgebrauch anknüpft 10 und diesen zur Ausgestaltung seiner Paulusdarstellung an dieser Stelle in einer für ihn charakteristischen Weise interpretierend aufnimmt: Dabei handelt es sich näherhin um die Vorstellung, daß Gott die von ihm Gesandten zur Ausführung ihres Auftrags mit seiner δύναμις ausstattet 11 und sie dadurch als von ihm beauftragt autorisiert. α) Im Neuen Testament findet sich diese Vorstellung vor allem bei Paulus in bezug auf sich selbst (Rom 15,19; l . K o r 2,4f.; 2.Kor 4,7; 6,7; 12,9; Phil 4,13) 12 und bei Lukas in bezug auf Jesus (Lk 4,14.36; 5,17; Act 10,38; vgl. auch IgnSm 1,1; Justin, l.apol. 23,2; dial. 105,1), die Apostel (Lk 9,1; 24,49; Act 1,8; 3,12; 4,7.33) 13 und andere Auserwählte (Johannes der Täufer: Lk 1,17) oder Glaubenszeugen wie Stephanus (Act 6,8) bzw. Paulus (Act 9,22) 14 . Auch in das Paulusbild von Eph und Kol ist dieser Sprachgebrauch eingeflossen (vgl. Eph 3,7; Kol ' Der δτι- Satz ist demnach syntaktisch nicht von χάριν ϊχω, sondern von ένδυναμοΟν abhängig (vgl. auch 2. Kor 8,16: δτι ist hier konsekutiv; CorpHerm 6,4). Hier wie dort dient der δτι-Satz der näheren Erläuterung der Begründung des Dankes. 10 Die vielfach vertretene Annahme, l.Tim 1,12 knüpfe an Phil 4,13 an (vgl. Barnett, Paul 254; Lock, Past 14; Trümmer, Paulustradition 119; Hanson, Past 1982, 60; Schenk, Philipperbriefe 340 u.a.) greift zu kurz und berücksichtigt nicht die unterschiedlichen Tempora (l.Tim 1,12: Aorist; Phil 4,13: Präsens), die für das jeweilige Verständnis der beiden Texte wesentlich sind. Diese gehen zwar auf den gleichen allgemeinen Traditionshintergrund zurück, entfalten jedoch unterschiedliche Aspekte. 11 Vgl. zum Folgenden Schmitz, Begriff; Grundmann, Begriff 92 ff.; Fascher: RAC 4; Rood, Christ; Prümm, Dynamis; ders., Diakonia Pneumatos 11/2,243 ff.; Lüdemann, Untersuchungen 42ff.; v.Lips, Glaube 214ff.; Nielsen, Verwendung. 12 S. dazu gleich im folgenden mit Anm. 17. 13 Vgl. auch Ignatius, Eph 11,2: Die Epheser haben an der δύναμις der Apostel Anteil. 14 Vgl. auch Ignatius, Magn 3,1 vom Bischof, dem κατά δύναμιν θεοϋ (»die in ihm ist", Fischer, z.St. Anm. 8) alle Ehrfurcht zu erweisen ist; TestLevi 16,3 (christliche Interpolation, s.Becker, Untersuchungen 284) von einem Mann, der das Gesetz έν δυνάμει ύψιστου erneuert. - Mit umgekehrten Vorzeichen TestHiob 3,3: Dieser (Götze) ist nicht Gott, sondern die δύναμις τοΟ διαβόλου; Apk 13,2: Der Drache (Satan) gibt dem Tier aus dem Meer (Antichrist) seine δύναμις; s. auch 2.Thess 2,9.
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1,29). Die Verleihung (ένδυναμοϋν) dieser δύναμις Gottes oder Christi begründet dabei erst die Autorität und besondere Vollmacht der betreffenden Person. Sie äußert sich als Ausweis und Kennzeichen der göttlichen Sendung in der Befähigung zu einem Handeln, zu dem die damit Ausgestatteten als .natürliche' Personen nicht in der Lage wären, wie dies exemplarisch in l.Clem 55,3 zum Ausdruck kommt: Erst als durch die Gnade Gottes Gestärkte (ένδυναμωθεΐσαι) konnten Frauen (hier Judith und Esther) männliche Taten (άνδρεία) vollbringen15. In Sonderheit ist dies die Fähigkeit zum Vollbringen von Wundern (δυνάμεις)16. Von daher ist auch der in Act 3,12-16; 4,7-10 begegnende Hinweis, daß die Apostel aus Gottes bzw. Christi und nicht aus eigener δύναμις handeln, zu verstehen. Entsprechend verweist vor allem Paulus immer wieder von sich selbst weg auf die in ihm wirkende δύναμις Gottes (Rom 15,19). Dies findet vor allem im 2. Kor seinen Ausdruck, wo Paulus gegenüber seinen mit pneumatischen Macht- und Krafttaten auftretenden Gegnern den dialektischen Charakter der δύναμις θεοΰ hervorhebt: Ihr und damit des apostolischen Gesandtseins Kennzeichen sind θλΐψις und ασθένεια, weil nur so die δύναμις als δύναμις θεοΰ sichtbar wird (vgl. auch 4,7). Denn entscheidend sind für ihn nicht etwa äußerliche Manifestationen der δύναμις, sondern die eine Gabe der Kraft, die sich darum auch in der Schwachheit zeigen kann17. Seinen Hintergrund hat dieser Sprachgebrauch in alttestamentlichjüdischer Tradition, wo etwa die Propheten (vgl. Mi 3,8; vom Gottesknecht Jes 42,6: „Ich habe dich gerufen και ένισχύσω σε) oder " Vgl. auch LibAnt 27,10: Der „spiritus virtutis" verwandelt Kenas, den Kalebsohn, in einen anderen Mann; Hippolyt, Comm. in Dan.3,7,5: ύπό ... toö πνεύματος ένδυναμούμενος hat Daniel wie ein Engel ausgesehen. 16 Vgl. dazu Delling, Wundertexte, Reg. s.v. δύναμις; sowie Jervell, Zeichen; v.Lips, Glaube 216. - Vor allem im Zusammenhang der Befähigung zum Wundertun dürften hellenistische Kraftvorstellungen einfließen, wie sie sich vor allem im Kontext von Zauber und Magie finden (vgl. PGM 4,197. 216. 478ff.; 12,266. 30lff.; Nilsson, Geschichte II, 511 ff.; 1,184 ff.; Fascher: RAC 4,421ff.) und mit der Gestalt des θείος άνήρ verbinden (vgl. die Prädikation des Simon Magus in Act 8,10; s. dazu die folgende Anm. sowie S. 34f. Anm. 25); vgl. Bieler, Δύναμις 189; ders., ΘΕΙΟΣ ΑΝΗΡ 1,80 ff. - Anders als in alttestamentlich-jüdischer Tradition ist die δύναμις hier jedoch als stoffliches Fluidum gedacht, das sich lediglich ein Gefäß sucht und dementsprechend auch nicht-personalen Größen einwohnt wie etwa der Zwiebel, der Feige oder dem Fell des Seehunds (Plutarch, mor. 664 c). 17 Vgl. noch 2. Kor 6,7 (hier folgt wie auf 4,7 ein Peristasenkatalog); 12,9; 13,4 (Verbindung mit άσθένεια) und dazu Schütz, Paul 187ff.; Nielsen, Verwendung 142ff., der freilich die paulinischen Aussagen zu sehr miteinander harmonisiert und die besondere Frontstellung des 2. Kor nicht berücksichtigt sowie die Bedeutung von δύναμις als Botenund Legitimationsbegriff nicht erkennt, von woher die Aussagen gerade dieses Briefes ihr Profil bekommen: Daß Paulus von Gott gesandt ist, erweist sich gerade in seiner άσθένεια ; und wenn die Gegner diesen Zusammenhang leugnen, zeigt dies, daß ihr Anspruch nicht durch Gott oder Christus legitimiert ist. Vgl. auch Jervell, Charismatiker 197.
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andere von Gott beauftragte Boten und Mittler18 von diesem mit und zur Übernahme ihrer Aufgabe, wozu auch die Versehung des priesterlichen Dienstes gehören kann19, „gestärkt" werden. Geradezu klassisch findet diese Vorstellung ihren Ausdruck in Ex 4,12 f. (LXX diff.MT) im Zusammenhang der Berufung und Sendung des Mose, wo dieser auf den Auftrag, Israel aus Ägypten herauszuführen („und geh nun hin, und ich werde deinen Mund öffnen und dich lehren, was du sagen sollst"), mit den Worten reagiert: „bestimme einen anderen Starken (δυνάμενον άλλον), den du aussendest; vgl. die Parallele bei Josephus, ant. 2,272.275; s. auch Justin, l.apol 62,4: Mose erhielt den Auftrag, nach Ägypten zu gehen und Israel herauszuführen, „und empfing gewaltige Kraft" (δύναμιν ΐσχυράν). Die Begrifflichkeit findet sich darum gerade in bezug auf die allgemeine Beauftragung und Übernahme amtlicher Funktionen, vor allem im Kontext der Einsetzung des Nachfolgers, der von seinem Vorgänger gestärkt und zum Starksein aufgefordert wird, in welchen sachlichen Kontext auch 2.Tim 2,1 gehört20. Einen wesentlichen Haftpunkt hat dieser Sprachgebrauch auch in Erscheinungsberichten. Hier wird die Stärkung des Visionärs als durch die Mitteilung des Offenbarungsinhalts bewirkt verstanden (vgl. Dan 10,1 Theod.: „durch die Erscheinung wurde ihm δύναμις μεγάλη und Einsicht gegeben")21, wobei sich die erworbene ,Kraft' dann auf der Linie des oben dargestellten Verständniszusammenhangs, und sofern Erscheinungen oft die Funktion der Berufung haben, in der Aussendung des Offenbarungsempfängers wirksam erweist: Die durch die Offenbarung erworbene .Kraft' autorisiert ihn als Boten Gottes und versetzt ihn 18 Vgl. auch Jes 41,10; Josephus, ant. 8,408 (Micha ist άληθής, weil er toö θείου πνεύματος ... δύναμιν hat; Anknüpfung an Mi 3,8); Ri 6,34A; LibAnt 36,2; Parjer 7,12; ApkElia 35,10 („wir [Henoch und Elia] sind stark im Herrn allezeit, du [der endzeitliche Widersacher] aber bist Gott feind allezeit"); in JosAs 4,7; 18,1 f.; 21,21 wird Joseph als δυνατός θεοΟ bezeichnet (desgl. Jub 40,7 als Akklamation bei der Inthronisation); TestIsaak 9,7. " Vgl. l.Chr. 9,13 LXX. 20 Vgl. Mose - Josua: Dtn 3,28; 31,7. 23 (anders als im MT ist es in 31,23 LXX Mose, der „stärkt"; vgl. dazu Lohfink, Darstellung); AssMos 10,15; LibAnt 20,5; David - Salomo: l.Kön 2,2; l.Chr 22,13; 28,10. 20; s. auch Jos 1,6. 9. 18. - Im MT wird jeweils die Wendung f!3Kl ptn gebraucht (vgl. dazu Hesse: ThWAT 2,854 f.; Schreiner: ebd. l,349ff., mit weiteren Belegen. - Zu 2.Tim 2,1 s.u. S.215ff. 21 Vgl. auch noch Dan (Theod.) 2,23 (σοφίαν και δύναμιν ίίδωκάς μοι); LibAnt 53,2; äthHen 45,3; 71,10 f. (der Geist Henochs verwandelt sich durch die Erscheinung Gottes zum „Geist der Kraft"); CorpHerm 1,27; Ri 6,12. 14; 4.Esr. 12,6. 8; Josephus, ant.2,275: Kraft durch die Mitteilung des Namens Gottes; Schatzhöhle 23,14 (Rießler 969); Lk 22,43 (ώφθη ... άγγελος άπ' ούρανού ένισχύων αύτόν); Hermas, vis.4,1,3; auch in Eph 3,7 steht δύναμις in lockerer Beziehung zum Offenbarungsempfang (vgl. V. 3. 5); weitere Texte bei Berger, Auferstehung 532 f. - Dieser Zusammenhang liegt auch 2. Tim 4,17 zugrunde (s.u. S.45ff.).
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in die Lage, den in der Vision erhaltenen Weitergabebefehl auszuführen. Dementsprechend - und hier verbinden sich dieser und der oben skizzierte Verwendungszusammenhang - ist auch die Zusage der ,Kraft' am Schluß von Erscheinungsberichten belegt und dort stets mit der Aussendung des Offenbarungsempfängers und dem Auftrag an ihn verbunden 22 . In diesem Zusammenhang wird die Zusage der ,Kraft' häufig mit der Verheißung des Beistandes (Mit-Seins) verknüpft 23 , ein Element, das sich auch sonst oft in nicht-visionären Beauftragungen mit der Stärkung des Boten/Mittlers verbindet 24 . Die Begrifflichkeit gehört also im umfassenden Sinne in den Kontext der Beauftragung, Autorisierung und Legitimation von Boten und Mittlern. So unterscheidet sich Micha als von Gott gesandter Prophet gerade dadurch (vgl. Josephus, ant. 8,408: Er ist αληθής) von den falschen Propheten, daß er mit „Kraft" erfüllt ist (Mi 3,8), und Jephtha ist nach LibAnt 39,8 erst dadurch in der Lage, das Richteramt zu übernehmen, daß sein Geist „gestärkt" wird. - Der Sprachgebrauch findet seine Zuspitzung darüber hinaus dann darin, daß die Boten und Mittler als δύναμις dessen bezeichnet werden, den sie vertreten (Act 8,10: Simon Magus 25 ; l . K o r 1,24: Christus; Justin, dial. 116,1: der Engel Gottes; Test22 Vgl. Ex 4,12f. LXX (s.o.) am Schluß der Erscheinung Gottes im brennenden Dornbusch; Ri 6,14; Parjer 7,12; Dan 2,23 f. (Theod.): Auf den Dank für die δύναμις folgt sogleich die Weitergabe der Offenbarung; Josephus, ant. 2,272. 275); 1 QGenApocr 22,20f.; CorpHerm 1,27: Ende der Vision - δυναμωθείς και διδαχθείς ..., „und ich begann, den Menschen ... zu verkündigen"; EpApost 30 (41): „Gehet und predigt den zwölf Stämmen (Israels) und den Heiden ... geht und predigt... und ich werde euch geben meinen Frieden und von meinem Geiste werde ich euch geben eine Kraft, auf daß ihr ihnen prophezeit zum ewigen Leben" (kopt.); 31 (42) (äth.) von Paulus: Beschreibung der Vision - „Und er wird stark werden unter den Völkern und wird predigen und lehren" (die Darstellung gilt zwar als von Act 9 abhängig [vgl. zuletzt Lindemann, Paulus 110 Anm.9], worauf es hier aber ankommt und was über Act 9,22 hinausgeht, ist die inhaltliche Näherbestimmung von „stark werden" durch „predigen und lehren"); vgl. auch die u. S. 36 Anm. 37 genannten Texte. 23 Vgl. Ri 6,12. 14; Parjer 7,12; Schatzhöhle 23,14 (Rießler 969); Testjud 3,10; 1 QGenApocr 22,30f.; EpApost (äth.) 30 (41); Hermas, mand. 12,6,1.4; sim.7,6; MartMatth 10 (II/l, 228,2f. 18f. Lipsius/Bonnet); ActAndrMatth 3 (ebd.67,9ff.); s. auch ActTom 1 (ebd.II/2, 100,4 ff.): Sendung - Überwindung der άσθένεια durch Mit-Sein der Gnade; weitere Texte bei Berger, Auferstehung 153f. 434f. 505f. 535. 24 Vgl. Dtn 31,6f. 23; Jos 1,9; l . C h r 28,20; 2.Chr 19,11; Jes 41,10; Jer 20,11 u.ö. (Belege jeweils nach LXX); Hermas, mand. 5,2,1 („meine δύναμις ist mit ihnen [sc. den Knechten Gottes]"); s. dazu vor allem van Unnik, Dominus vobiscum (367: „this expression ... [defines] a dynamic power"); Grundmann: T h W N T 7,774 (die Zusage des MitSeins „wird ... Menschen zuteil, die zu einem besonderen Auftrag erwählt sind"). Dies dürfte auch der Sinn von ένδυναμοΟν in Phil 4,13 sein, worauf vor allem das Präsens hindeutet (vgl. auch Ignatius, Sm 4,2). 25 Der Genitiv xoö θεοϋ ist, wie Haenchen gezeigt hat (Apg 293; vgl. auch Beyschlag, Simon Magus 104), lukanisches „Interpretament", das den Namen der höchsten Gottheit der Simonianer zur Bezeichnung des (hypostatischen) Boten umgestaltet; vgl. dazu auch
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Hiob 3,3: Der Götze ist nicht Gott, sondern die δύναμις toö διαβόλου), wobei der Genitiv jeweils den Autorisierenden als den Aussendenden angibt, bzw. darin, daß δύναμις (ohne Genitiv) überhaupt zum Eigennamen des Gesandten wird wie in EvHebr Frgm. 1 (ΝΤΑρο 4 1,107) von Michael und Maria oder ApkAbr 10,8 von dem Engel Jaoel26, die dadurch geradezu zu Hypostasen der Gott eigenen δύναμις werden27. Wichtig ist nun aber darüber hinaus, daß es sich bei dem Vorgang der .Stärkung' um ein ausschließlich pneumatisches Geschehen handelt. Sehr schön findet dies seinen Ausdruck etwa bei Philo, leg. all. 1,37: „Gott dehnt die von ihm kommende δύναμις durch die Vermittlung des πνεύμα bis zum Gegenstand (dem Nous) hin" (vgl. auch ebd. 42). Die Begriffe δύναμις etc. und πνεύμα begegnen in vielfältiger sprachlicher und sachlicher Verbindung28: So geht es etwa darum, daß der Geist des von Gott Erwählten ,gestärkt' wird29. In den meisten Fällen sind jedoch δύναμις und πνεύμα in der Weise miteinander verbunden, daß man die Gabe der Kraft in der Verleihung des Geistes bestehen sieht (ζ. B. Act 1,8; s. auch Eph 3,16)30, was vor allem in den Genitiwerbindungen δύKippenberg, Garizim 328 ff.; Beyschlag, Simon Magus 106 ff.; Lüdemann, Untersuchungen 40 ff. mit weiterer Literatur (und Auseinandersetzung mit Kippenberg; dazu: Rudolph, Simon 323 f.); Rudolph, Simon 315: Act 8,10 liege eine „Rekognitionsformel" zugrunde, mit der Simon entweder sich selbst „als eine Epiphanie Gottes (ausgab)" oder von seinen Anhängern so bezeichnet wurde (vgl. ebd. 327 f.). 26 Dieser wird zur Kraft dadurch, daß er den Namen Gottes trägt (ApkAbr 10,4. 8: „eine Kraft vermittels des Namens, der mir beigelegt"); vgl. auch Justin, dial. 113,4 (s.u. Anm. 30). " Vgl. auch 2. M a k k 3,38 f.; Schatzhöhle 22,8, wo die Kraft Gottes als eigenständige Hypostase erscheint. M Abgesehen von den im folgenden genannten Texten sind δόναμις und πνεϋμα synsemantisch verbunden in Act 4,7f.; Rom 1,4; l . K o r 5,4; Gal 3,5; Eph 3,16; 2.Tim 1,7; H e b r 2,4; Hermas, mand.9,11; 11,5 f. 10 f. 17; vgl. auch Sir 39,28 (die πνεύματα schütten ισχύς aus); H a g 2,4 f. (das dreimalige κατίσχυε wird durch den Beistand des Geistes begründet); Sach 4,6; Jes 33,11 LXX; Dan 10,8. 17 sowie Lull, Spirit 69ff. " Vgl. äthHen 41,8; 45,3; 71,10f.; 1 Q H 1,32; LibAnt39,8; Hermas, vis.3,12,3. Verstanden ist dies als „Anschluß an die Geistkraft der Gotteswelt selber" durch „die mitgeteilte Geistkraft" dieser Welt (Brandenburger, Fleisch 93; vgl. auch Berger, Auferstehung 535 Anm. 309). 30 Vgl. auch Jes 42,1/6 (LXX); Ri 6,34B: Das πνεϋμα Gottes „stärkte" (ένεδυνάμωσεν) Gideon; l . C h r 12,19 AV+; 1 Q H 7,6f.; 16,7 ( [ - | Β Π ] ρ Π Π 2 ρ Τ Γ Τ ί ΐ η ) ; Mi 3,8 (hier ist die Angabe über den Geist „nachgetragener Kommentar" [Wolff, Micha 61; vgl. auch Rudolph, Micha 68] zur Angabe über die Kraft); Jes 11,2: auf dem Messias wird der Geist Gottes ruhen, der Geist des Rates und der Kraft (Ισχύς); LibAnt 36,2; Josephus, ant.8,408; Lk 1,17. 35; Act 10,38; Rom 15,19 (έν δυνάμει πνεύματος θεοΟ); l . K o r 2,4; EpApost 30 (41) („von meinem Geist werde ich euch eine Kraft geben"; s. auch ebd. [äth.]); Hermas, mand. 11,2. 5f. 17.21; sim. 9,1,2 (ένεδυναμώθης δια τοϋ πνεύματος); 9,13,7 (λαβόντες ... τά πνεύματα ταϋτα ένεδυναμώθησαν); Justin, dial. 113,4 (Josua wurde mit dem Namen Jesu umbenannt und empfing von dessen Geist Kraft); Hippolyt, Comm. in Dan 3,7,5 (s.o. S.32 Anm. 15).
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ναμις τοϋ πνεύματος bzw. πνεϋμα δυνάμεως seinen Ausdruck findet (Philo, opif.m. 131; Josephus, ant. 8,408; Lk4,14; Rom 15,13.19; Hermas, mand. 11,2. - LibAnt 27,10; Sap 5,23; 11,20; 2.Tim 1,7; vgl. auch Jes 11,2)31. Daneben ist ebenso häufig die Wendung δύναμις και πνεΰμα (oder umgekehrt) belegt (z.B. Lk 1,17; Act 10,38; l.Kor 2,4; l.Thess 1,5)32, wobei wegen der beschriebenen spezifischen sachlichen Verbindung beider Begriffe zu erwägen wäre, ob diese Koordination nicht als Hendiadyoin zu verstehen ist33. - Seinen Ausdruck findet dieser Sprachgebrauch vor allem bei Lukas, der ein dezidiert pneumatisches Bild der Apostel und anderen Glaubenszeugen einschließlich des Paulus entwirft: Sie erhalten nach der Aufnahme Jesu in den Himmel das verheißene Pneuma als έξ ΰψους δύναμις (Lk 24,49) 34 , wodurch sie in die Lage versetzt werden, Jesu Zeugen zu sein „bis an das Ende der Erde" (Act 1,8), wobei Schweizer 35 im lukanischen Sprachgebrauch wohl mit Recht differenziert: Während er δύναμις eng mit Wundertaten verbunden sieht, spreche der Geist sich seiner Meinung nach in erster Linie im prophetischen Wort, „in der inspirierten Rede der Zeugen Jesu" 36 aus. Beides findet jedoch seine Einheit in der einen Gabe des Geistes (Act 1,8) und in der Person des Glaubenszeugen (vgl. Act 4,7 f. und auch 9,22, wo die Christuspredigt des Paulus durch ένδυναμοϋν vorbereitet wird) 37 . ß) In l.Tim 1,12 ist ένδυναμοϋν also zu verstehen als Rückgriff auf einen ursprünglich aus alttestamentlich-jüdischer Tradition stammenden pneumatisch-charismatischen Amts- und Botenbegriff, der vor al31 Es handelt sich hier jeweils um einen Genitiv des Inhalts, näherhin um einen Genitivus appositivus (Blaß/Debrunner/Rehkopf, Grammatik §167,2). 32 Vgl. auch den Parallelismus membrorum in Lk 1,35: „πνεΟμα &γιον wird über dich kommen und δύναμις ύψιστου wird dich überschatten"; MartAndr 1 (11/1,46,11-13 Lipsius/Bonnet): „Und jetzt ist über einen jeden von uns gefallen die Dynamis, die vom Himmel kommt, und ausgegossen ist über uns das Geschenk des heiligen Geistes." 33 Vgl. Blaß/Debrunner/Rehkopf, Grammatik §442,9 b. 34 Dies unterscheidet die δύναμις der Apostel von der aller anderen Wundertäter, was am Beispiel des Simon Magus sichtbar wird: Dieser kann nicht wie Philippus und Petrus den Heiligen Geist weitergeben, weil er ihn nicht besitzt (Act 8,18 f. 21; gegen Barrett, Light 291) und nur durch Zauber wirkt (8,11). Aus diesem Grunde ist für Lukas die ihm zugeschriebene „Kraft" (8,10) nicht von Gott bzw. für Justin nur die των ένεργούντων δαιμόνων τέχνη (l.apol.26,2). 35 Schweizer: T h W N T 6,405 ff.; ders., Heiliger Geist 83ff.; vgl. zur Sache noch Jervell, Zeichen; Eckert, Zeichen 26 ff.; Pfitzner, Apostleship, die freilich alle die Arbeit von Schweizer übergehen. Kritik findet Schweizer bei Bovon, Luc 228; vgl. auch Kremer: E W N T 3,288. 36 Schweizer: T h W N T 6,405,9. 37 Act 9,22 ist möglicherweise mit l.Sam 30,6f.; l . C h r 12,19A; LibAnt 36,2; 39,8 vergleichbar: Hier wie dort erwächst die berichtete Rede explizit aus der unmittelbar vorher erfahrenen Stärkung.
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lern auch von Lukas und Paulus rezipiert wurde, sich aber auch sonst im Neuen Testament und in der übrigen frühchristlichen Literatur findet. Mit ihm verbindet sich die Vorstellung, daß die Begabung mit der δύναμις Gottes die Ausübung der Boten- oder Mittlerfunktion erst ermöglicht bzw. daß entsprechend ein Auftreten als Repräsentant Gottes erst durch den Besitz dieser δύναμις legitimiert und autorisiert wird, insofern die Gott eigene δύναμις in seinen Boten und Mittlern präsent ist. δύναμις und (έν)δυναμοϋν sind dabei in der Hinsicht pneumatische Kategorien, als die .Stärkung' mit der Verleihung des Geistes einhergeht. Die Gabe der Kraft findet ihre Näherbestimmung in der des Geistes und umgekehrt. Die dieser Koinzidenz zugrundeliegende Vorstellung ist wohl diejenige, daß das πνεϋμα als „feinste himmlische Stofflichkeit, die in den Menschen einzudringen vermag"38, die Übermittlung der δύναμις als deren „substanzhafter Hypostase" 3 ' erst ermöglicht, wobei selbstverständlich die Rolle des Geistes nicht auf die eines bloßen Kommunikationsmittels reduziert werden darf. - Die Begrifflichkeit ist, wie ihre Verwendung bei Paulus, in Kol 1,29; Eph 3,7 und in der Apostelgeschichte sichtbar macht, bereits vor der Abfassung der Pastoralbriefe auf Paulus übertragen worden. Der Zusammenhang ist dabei wohl mit Ausnahme von Kol 1,29 und Eph 3,7 nicht literarisch40 oder als spezifisch paulinische Sprachtradition zu erklären, sondern muß vom allgemeinen traditionsgeschichtlichen Hintergrund her verstanden werden 41 . 38
Käsemann, Anliegen 17. Wolter, Rechtfertigung 164. 40 Gegen Trümmer, Paulustradition 119 (s. auch o. S.31 Anm. 10). 41 Es ist nicht möglich, die differentia specifica der Pastoralbriefe und lukanischen Schriften in einem gegenüber Paulus, Kol und Eph „verengten Sprachgebrauch" zu sehen (v. Lips, Glaube 216), weil δύναμις hier zu einem „speziellen Vollmachtsbegriff" geworden sei und „nur einem auserwählten Personenkreis zukommt" (ebd.), während sie dort auch auf die Glaubenden allgemein bezogen werden könne. Das Urteil v. Lips' beruht auf einem undifferenzierten Gebrauch von δύναμις und ist durch eine fehlende traditionsgeschichtliche Untersuchung belastet: Die ethisch-paränetischen Belege (Kol 1,11; Eph 6,10) gehören wie auch Röm 4,20 in einen ganz anderen Traditionszusammenhang. Im Hintergrund stehen hier Aussagen vom ,Starksein' im Gesetz/in den Geboten bzw. vom .Starksein' als Voraussetzung seiner/ihrer Erfüllung (vgl. l.Kön 2,2f. LXX; Sir 48,22; Jub 21,25; 22,10; syrBar 66,5; Hermas, mand.5,2,8; 12,5,1; 6,4; sim.6,1,2 u.ö.). An die Stelle des Gesetzes/der Gebote ist in der christlichen Überlieferung wie in anderen Aussagezusammenhängen auch der Glaube (Röm 4,20; Hermas, vis. 3,12,3) getreten. 1. Kor 2,5 meint die έν άποδείξει πνεύματος και δυνάμεως der apostolischen Verkündigung (V.4) wirksame δύναμις Gottes; in Eph 1,19 ist die im Christusgeschehen für uns wirksame Kraft Gottes (vgl. V.20; Röm 1,4; 2.Kor 13,4) angesprochen - von einer Verleihung an die Christen ist hier nicht die Rede; auch die Charismen sind in l . K o r 12 so verstanden, daß sie immer nur einzelnen und als außergewöhnliche Gabe zugeeignet wurden (darum sieht Paulus ja gerade das οΐκοδομεϊν der gesamten Gemeinde gefährdet). Die verbleibenden Texte (wie z.B. Röm 1,16; l . K o r 1,18 u.a.) können nicht belegen, daß der traditionelle Boten- und Vollmachtsbegriff im paulinisch-deuteropaulinischen Schrifttum auf alle Glaubenden entschränkt wurde. 39
38
l.Tim 1,12-17
Es wäre zu überlegen, ob l.Tim 1,12 mit ένδυναμοΰν nicht möglicherweise das Damaskusgeschehen im Blick hat 42 : Dafür spräche mancherlei: zunächst die Tatsache, daß innerhalb paulinischer Personaltradition die Berufung des Apostels in sein Amt wohl immer auch in Verbindung mit der Art und Weise dieser Berufung, der Vision vor Damaskus, gestanden haben wird. Ein zweites Argument wäre die oben 43 herausgearbeitete Verwendung von ένδυναμοΰν etc. in Erscheinungsberichten, und als dritter Hinweis ließe sich aus l.Tim 1,12 der Dank für die .Stärkung' anführen: Für die durch Offenbarung in der Erscheinung vermittelte δύναμις danken Daniel in Dan 2,23 (Theod.) und der Visionär in CorpHerm 1,27. Diese Texte sind jedoch nur Spezialfälle für den in der frühjüdischen und frühchristlichen Literatur häufig belegten Dank für Offenbarung, der sich vor allem auch am Schluß von Erscheinungsberichten findet 44 . Letztgültige Sicherheit ist in diesem Punkte jedoch nicht zu gewinnen, so daß es bei der Erwägung als Möglichkeit bleiben muß; als solche soll sie aber ausdrücklich formuliert werden. c) In l.Tim 1,12b wird ένδυναμοΰν inhaltlich gefüllt: Die .Stärkung' des Apostels durch Christus besteht darin, daß dieser ihn πιστόν .. .ήγήσατο θέμενος εις διακονίαν. - Mit πιστός wird paronomastisch an έπιστεύθην (V. 11) angeknüpft 45 , und das Adjektiv hat dementsprechend nicht wie in Joh 20,27; Act 16,15; l.Tim 4,3; l.Petr 1,21 u.ö. 46 die .religiöse' Bedeutung „gläubig", sondern entspricht dem sog. .profanen' Gebrauch von „treu, zuverlässig" 47 . Innerhalb dieses noch relativ unspezifischen und in der vorgenommenen Abgrenzung sicher nicht unproblematischen 48 allgemeinen Horizontes läßt sich die Bedeutung 42 Diese Beziehung stellen bereits Spicq und Dornier her (s. o. S. 30 Anm. 2), ohne dies freilich exegetisch befriedigend aufzuweisen. Von Lohfink wird dieser Zusammenhang ausdrücklich bestritten (Theologie 78). Seine Alternative („nicht... Offenbarungsgeschehen, sondern . . . Amtseinsetzung") leuchtet freilich nicht ein, weil sich beides nicht ausschließt: Wie viele Amtseinsetzungen werden in der frühjüdischen und -christlichen Literatur auf Offenbarungen zurückgeführt! 43 Vgl. S. 33f. mit Anm.21 und 22. 44 Vgl. Jub 32,1; äthHen 22,14; 39,9-11; 69,26; TestLevi 5,7; grBar 17,3; CorpHerm 6,4; Hermas, vis.2,1,1; 4 , l , 3 f . ; sim.6,1,1; 9,14,3; EpApost 31 (42); Asclep 41 (11,353 Nock/Festugiere) sowie die bei Grimm, Dank und Berger, Apostelbrief 220 Anm. 142 genannten weiteren Texte. 45 Vgl. Dibelius/Conzelmann, Past 14; Spicq, Past 1,340 u.a. - Vgl. die analoge Korrespondenz in l . C l e m 43,1 in bezug auf Mose; auch Philo, sacr.93. 46 Weitere Belege bei Bauer, Wörterbuch 1318 f.; Barth: E W N T 3,233. 47 Vgl. dazu allgemein vor allem Bultmann: T h W N T 6,175. 204 f.; Bauer, Wörterbuch 1317f.; Barth: E W N T 3,231 f.; Schwarz, Christentum 66f.; zu hebr. |»K ni. s.Weiser: T h W N T 6,184 f. 48 Vgl. etwa in bezug auf Abraham: Gal 3,9 (oi έκ πίστεως werden gesegnet mit τφ πιστφ Abraham) mit l.Clem 10,1 (Abraham πιστός εύρέθη, da er den Worten Gottes ge-
Amtseinsetzung (V. 12.14)
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des Begriffes an dieser Stelle jedoch noch genauer bestimmen, und zwar von den Texten her, in denen πιστός der Qualifizierung einer mit einer zeitlich begrenzten Funktion oder einem zeitlich nicht begrenzten Amt betrauten Person dient. Innerhalb dieses Sachzusammenhangs sind folgende Wortfeldverbindungen von πιστός charakteristisch: δοΟλος: 2.Makk 1,2; Josephus, ant. 5,256; 18,182; Mt 24,45; 25,21.23; Lk 19,17; Kol 1,7; 4,7; διάκονος u.a.: Josephus, ant. 7,201.224; Eph 6,21; Kol 1,7; 4,7; οίκετης: Josephus, ant. 2,252; 6,205.330; 8,384; 9,88; οικονόμος: CIG 4631; Lk 12,42; l.Kor 4,2; προφήτης49: l.Sam 3,20; Sir 46,14f.; 48,22; l.Makk 14,41; άποστέλλειν/πέμπειν (der πιστός wird gesandt): Prov 25,13; l.Makk 7,8; Josephus, ant. 2,252; 5,75; 7,223; 9,88; 12,402; 18,182.325; SGUÄ 7241,13f.; l.Kor 4,17; Kol 4,7f.; l.Clem 63,3; φυλάσσειν u.ä. als Aufgabe des πιστός: Isokrates, eir.53; Epiktet, diss. 2,8,23; EpArist 102; Josephus, ant. 13,51; 18,325; 20,93; vit. 163.228.242; Ap. 2,44; Philo, quod.det.65; immut. 113; ebr. 80. - Für den Sprachgebrauch gilt insgesamt, was Waddington für die Bedeutung von πιστός in zahlreichen griechischen Inschriften 50 aus Syrien zusammenfassend feststellt: πιστός „parait signifier komme de confiance, ou peut-etre fidei-commissaire"S1. Dementsprechend sind es in alttestamentlich-jüdischer und christlicher Tradition immer wieder die großen Mittlergestalten, die mit dem Prädikat πιστός versehen werden: Allen voran Mose in Aufnahme von Num 12,7: Philo, leg. all. 2,67; 3,103.204.228; AssMos 11,16; Hebr 3,2.5; l.Clem 17,5; 43,1; dann Samuel: l.Sam 2,35; 3,20; Sir 46,14 und die Propheten (s.o.). Im Neuen Testament wird Paulus selbst nur in l.Kor 7,25, häufiger dagegen werden seine Mitarbeiter (l.Kor 4,17: Timotheus; Eph 6,21; Kol 4,7: Tychicus; Kol 1,7: Epaphras; Kol 4,9: Onesimus; l.Petr 5,12: Silvanus) als πιστός qualifiziert. In der großen Mehrzahl der Texte ist die Qualifizierung einer Person als πιστός unmittelbar verbunden mit der Angabe des ihr übertragenen Auftrags oder Amtes, für deren Ausführung bzw. -übung πιστός zu sein die erforderliche und maßgebliche Kategorie ist. Diese Verbindung der Feststellung von πιστός-Sein und Übertragung einer Aufgabe belegt auch l . T i m 1,12b. Die Parallelität mit vergleichbaren Texten geht mitunter bis hinein in die syntaktische Struktur (Verbum finitum + Partizip). Am deutlichsten zeigt dies z.B. Philo, immut. 114 („um Unterbefehlshaber und Nachfolger im Gefängnisdienst der Sünden zu horsam war). - Auf keinen Fall aber kann die Abgrenzung hier wie von Holtz (Past 44) bestimmt werden: „Treue wird durch die Kraft der Gnade zu Glauben." " Vgl. Berger, Amen-Worte 109, bei dem freilich das breitere Spektrum unberücksichtigt bleibt. so Waddington, Inscriptions Nr. 1984; 2022 a; 2029; 2034; 2045 f.; 2070; 2127 f.; 2130; 2219; 2239; 2239 a; 2240; 2243; 2394 f.; 2427. 51 Waddington, Inscriptions 546 (zu Nr. 2394; Hervorhebung im Original); Lietzmann, l./2.Kor 33; s. auch Barth: E W N T 3,232: πιστός „ist fast wie ein Titel gebraucht: .Vertrauensmann/Beauftragter'" (zu l . K o r 7,25).
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l . T i m 1,12-17
w e r d e n , n a c h d e m s i e als z u v e r l ä s s i g e r f u n d e n w u r d e n [ π ι σ τ ο ί κ ρ ι θ έ ν τ ε ς ] ) " 5 2 . O b e i n e P e r s o n π ι σ τ ό ς ist, b e m i ß t s i c h a l l e i n a n d e r E r f ü l l u n g der ihr ü b e r t r a g e n e n A u f g a b e , nicht an ihrer d a v o n a b s e h e n d e n v o r g ä n g i g e n A u t o r i s i e r u n g o d e r Q u a l i t ä t d i e s e r P e r s o n " . V o n d e r als π ι σ τ ό ς q u a l i f i z i e r t e n P e r s o n k a n n v e r l ä ß l i c h e r w a r t e t w e r d e n , d a ß sie d i e i h r übertragene A u f g a b e zuverlässig erfüllt54. Dieselbe semantische K o n n o t a t i o n hat dann auch das Verb πιστεύειν τινί τι b z w . πιστευθήναί τι ( l . T i m 1,11; T i t 1,3), das dementsprechend auch dieselben Wortfeldverbindungen wie πιστός eingeht: φίλος: Esth 8,12 e; οικονομία: l . K o r 9,17; D i o g n 7,1; διακονία: IgnMagn 6,1; φ υ λ ά σ σ ε ι ν u.ä.: Polybius 8,15,5; B G U 1159,10; 2 . M a k k 3,22; vgl. auch Josephus, bell. 5,567; vit. 137; πράγματα: Esth 8 , 1 2 e ; 3 . M a k k 3,21; Josephus, bell. 4 , 4 9 2 " . Gegenbegriff ist bei Polybius 3 , 6 9 , 1 ένδίδωμι (verraten). In
l.Tim
1,12b
ist
es
die
διακονία,
in
die
Paulus
.eingesetzt'
( τ ί θ η μ ι ) 5 6 ist, u n d d i e s e E i n s e t z u n g ist A u s d r u c k d e r E r w a r t u n g , d a ß e r die ihm übertragene A u f g a b e zuverlässig ausführen wird. M i t d e m „nivellierenden"57 Begriff διακονία umschreibt der Verfasser der Pastoralbriefe k o m p r e h e n s i v das gesamte apostolische W i r k e n des
Apostels,
o h n e dieses inhaltlich zu konkretisieren. " Vgl. noch l . K o r 7,25; l.Clem 9,4; Ker.Petr. bei Clemens V.Alexandrien, str. 6,48,2: „ich sende αποστόλους πιστούς ήγησάμενος είναι in die Welt, um den Menschen ... das Evangelium zu verkündigen. - Zum Verhältnis von Verbum finitum und Partizip vgl. Blaß/Debrunner/Rehkopf, Grammatik § 339,1 mit Anm. 5. " Dies wird von Hasler (Ephiphanie 203) verkannt, wenn er im Blick auf l . T i m 1,13 f. schreibt: „Das gerühmte Erbarmen und die erfahrene Gnade ... stärken die vorgefundene Treue." Welcher Treue sollte wohl bei dem in V. 13 beschriebenen Paulus vorgefunden worden sein? 54 S. auch die rabbinischen Texte bei Bill. 1,972 (zu Mt 25,21). 55 Vgl. dazu Denis, Apötre 300 ff.; Collins, Image 151. Die Differenzierung zwischen Amtseinsetzung und „anvertrauen" durch v. Lips (Glaube 275) wird, auch wenn er sie „als zwei Seiten des gleichen Vorgangs" ansieht, dem sprachlichen Befund darum nicht gerecht; beides ist gerade auch außerhalb der Pastoralbriefe immer dasselbe. " τίθημι mit εις oder Prädikatsakkusativ in bezug auf Einsetzung in ein Amt oder eine Funktion auch 2.Kön 11,18; Jes 49,6; Jer 1,5; l . M a k k 10,65; Act 20,28; l . K o r 12,28; l.Tim 2,7; 2.Tim 1,11. 57 Burchard, Zeuge 127. - Lohfinks Feststellung, die „Kennzeichnung des Apostelamtes als διακονία" (Theologie 76) sei „von Paulus her ... rezipiert" (ebd.75), verkürzt den sprachlichen Befund und ist eher unwahrscheinlich: Lohfink berücksichtigt nicht, daß auch sonst außerhalb der authentischen Paulusbriefe die Tätigkeit des Paulus in dieser Weise beschrieben wird (Act 12,25; 20,24; 21,19; Eph 3,7; Kol 1,23. 25), was eher auf eine Aufnahme von paulinischer Sprachtradition und eine nur mittelbare Anknüpfung an das paulinische Selbstverständnis deutet. Der sprachliche Hintergrund wird aber darüber hinaus noch unspezifischer, insofern diese Kennzeichnung bei Paulus und in der paulinischen Tradition gar nicht exklusiv auf Paulus festgelegt ist, sondern auch auf andere Mitarbeiter und Funktionsträger bezogen wird (vgl. Act 12,25: Barnabas; 19,22: Timotheus und Erastus; Kol 1,7: Epaphras; Eph 6,21; Kol 4,7: Tychicus; 4,17: Archippus; 2.Tim 4,5: Timotheus).
Amtseinsetzung (V. 12.14)
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d) Aufschlußreich ist nun aber, daß der Verfasser der Pastoralbriefe in l.Tim 1,12 zwei Traditions- und Sprachzusammenhänge einander zuordnet, die traditionsgeschichtlich nichts miteinander zu tun haben, insofern sie ganz unterschiedliche Interpretations- und Begründungszusammenhänge von Autorität und Beauftragung beinhalten: Während die durch ένδυναμοϋν repräsentierte Tradition Autorität pneumatischcharismatisch begründet sieht, was in den genannten Texten seinen häufigen Ausdruck darin findet, daß diese als durch das πνεϋμα vermittelt und bewirkt bestimmt wird 58 , spielt dieses in dem in V. 12 b aufgenommenen traditionellen Sprachgebrauch nicht die geringste Rolle. Es geht hier auch nicht eigentlich um Autorisierung, sondern um die Feststellung von Zuverlässigkeit im Hinblick auf die Übernahme eines Auftrags bzw. Amtes und deren Durchführung und Ausübung. Auch die Wortfelder der beiden Sprachtraditionen überschneiden sich so gut wie an keiner Stelle. Dem entspricht, daß bei Lukas keine einzige der durch die δυναμις Christi oder Gottes autorisierten Personen 59 auch noch als πιστός in der .profanen' Bedeutung des Wortes bezeichnet wird. Das gleiche gilt für Paulus und die deuteropaulinischen Briefe, wo diese Kategorie mit Ausnahme von l . K o r 7,25 nie auf den Apostel selbst, sondern immer nur auf dessen Mitarbeiter bezogen wird, während umgekehrt die Autorisierung durch δυναμις und πνεϋμα auf Paulus beschränkt und seinen Mitarbeitern vorenthalten bleibt. Die spezifische redaktionelle Leistung des Verfassers der Pastoralbriefe liegt nach dem Vorstehenden darin, daß er diese beiden so unterschiedlichen traditionellen Sprachzusammenhänge in l.Tim 1,12 miteinander verknüpft: Die inhaltliche Näherbestimmung von ένδυναμοϋν erfolgt nicht durch einen Hinweis auf das dem Apostel verliehene πνεϋμα, wie es vom traditionellen Sprachgebrauch her naheliegen würde; die .Stärkung' wird vielmehr als eine sonst an keiner Stelle als pneumatisches Geschehen verstandene Amtseinsetzung aufgrund von Zuverlässigkeit dargestellt. Damit ist in l.Tim 1,12 das Verständnis von ένδυναμοϋν als eines pneumatischen Geschehens ganz in den Hintergrund gedrängt zugunsten einer Näherbestimmung, die die Autorisierung des Apostels als gänzlich unpneumatisch begründete Einsetzung in die διακονία interpretiert. Diesem Ergebnis entspricht auch der zurückhaltende Gebrauch von πνεϋμα in den Pastoralbriefen im allgemeinen und in bezug auf die Amtsträger im besonderen60, was auf der Linie dessen liegt, was Luz für die Entwicklung zum 58
S.o. S.35f. mit Anm.28ff. " S.o. S.31. 60 Vgl. zum Folgenden Schweizer: ThWNT 6,443 f.; Luz, Erwägungen 99 f.; Dunn, Jesus 347ff.; Quinn, Spirit; v.Lips, Glaube 213f.; Haykin, Vision.
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Frühkatholizismus formuliert hat". Die auffallende und auch schon häufig konstatierte Seltenheit von Geistaussagen in den Pastoralbriefen unterscheidet diese (mit Kol) von den authentischen Paulusbriefen, dem Epheserbrief und der Apostelgeschichte. Auch der Apostolat und die Sendung des pastoralen Paulus werden - anders wiederum vor allem als bei Paulus selbst - an keiner Stelle mit der Wirkung des Geistes in Verbindung gebracht. Von den sieben Belegen kommen für unsere Fragestellung nur 2. Tim 1,7 und 1,14 in Betracht 62 . Gegen Brox (Past 229.235) u. a. ist hier aber nicht der nur Paulus und Timotheus als Amtsträgern verliehene Geist gemeint. Die Verwendung der l.Pers.Pl. weist in diesen Texten wie auch sonst immer in den Pastoralbriefen auf die Gesamtheit der Glaubenden hin, in die der pastorale Paulus sich selbst und Timotheus einschließt 63 . - Für 2.Tim 1,7 wird dies besonders deutlich von V.6 her, weil hier die Gabe des Geistes nicht auf die dort erwähnte Handauflegung bezogen wird (£δωκεν ήμϊν schließt dies aus) und somit auch nicht als durch diese vermittelt angesehen wird 64 , was naheläge bzw. geradezu gefordert wäre, würde der Verfasser der Pastoralbriefe πνεδμα als speziellen .Amtsgeist' verstehen. Hier wie auch in 1,14 wird Timotheus also auf den allen Glaubenden gemeinsam verliehenen Geist hin angesprochen; auf eine besondere „pneumatische Befähigung des Amtsträgers" 65 wird nicht abgehoben. Vor allen Dingen ist es aber auch nicht möglich, die Intention des Sprachgebrauchs der Pastoralbriefe in der Reservierung des Geistes für den Amtsträger zuungunsten der Allgemeinheit der Glaubenden zu sehen, wie es in der Tendenz der Darstellung v. Lips' liegt66. Das ,Amt' des Timotheus und seine Autorität sind nicht als durch den Geist konstituiert vorgestellt (wie auch sonst die Pastoralbriefe die kirchlichen Ämter an keiner Stelle mit diesem in Verbindung bringen). Sie basieren vielmehr wie auch die anderen Amter auf der ethisch-moralischen Qualität ihrer Inhaber, die dem allgemeinen Geistbesitz vorgeordnet ist67. Sichtbar wird dies vor allem in 2. Tim 1,7, wo die sachliche Begründung der Aufforderung von V. 6 in der Konkretion des Geistes, den Tugenden der δύναμις, άγάπη und σωφρονισμός, liegt. - Dies hat eine gewisse Parallele in Ps. Philo, Samps. 25, wo ebenfalls die „Gaben des Geistes" ethische Tugenden wie Gerechtigkeit, Beherrschung, Eifer u.a. darstellen, durch die sich die damit Versehenen in ihrem Handeln auszeichnen 68 . Das πνεϋμα erscheint hier eher als Modus der Übermittlung bzw. " Vgl. Luz, Erwägungen 104 f. 62 Zu l . T i m 3,16; 4,1 (bis); 2.Tim 4,22 vgl. Schweizer: T h W N T 6,414,27ff.; 379,36ff.; 443,32; 433,15f. In Tit 3,5 ist eine auch in Gal 3,26-28; Kol 3,10f.; Eph 2,14-18 u.ö. begegnende Tauftradition verarbeitet; vgl. dazu zuletzt Quinn, Spirit 347 ff. 63 Vgl. Dibelius/Conzelmann, Past 73 u. a. 64 Gegen Quinn, Spirit 361. M v.Lips, Glaube 218; s. auch Käsemann, Amt 128f.; Prast, Presbyter 399; Berger: T R E 12,192,50 f. 66 Vgl. v.Lips, Glaube 213f. 217f. " Vgl. Luz, Erwägungen 105; Dunn, Jesus 349: „subordinate to office, to ritual, to tradition". " Diese anthropologische Ethisierung des Geistes findet auch in der Schilderung der πνεύματα τής πλάνης in TestRub 2 , I f . ; 3,3-6 ihren Ausdruck, die „mit bestimmten Lastern gleichgesetzt (werden)" (Böcher, Dualismus 35; vgl. auch die ebd. 35 f. genannten weiteren Texte aus den Test XII und Qumran). In Qumran werden die Laster auf den ei-
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des Vorhandenseins dieser Tugenden im Menschen. Timotheus wird in V. 6 f. also weniger auf den Geist als solchen, sondern auf die in ihm durch diesen anwesenden Tugenden hin angesprochen. In 2. Tim 1,14 ist eine Sprachtradition verarbeitet, die erstmals in Ez 36,27 („Ich will meinen Geist in euch geben und euch zu solchen machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte bewahren [φυλάσσειν] und sie praktizieren") belegt ist und die Möglichkeit der Gesetzeserfüllung in der Gabe des Geistes begründet sieht"; von dorther kann zur Begründung paränetischer Anweisungen auf den Besitz des Geistes verwiesen werden. Aus dem Gesagten ergibt sich nun aber, daß das spezifische Profil des Sprachgebrauchs der Pastoralbriefe nicht dadurch bestimmt ist, daß der bei Paulus noch als allen Christen verliehen vorgestellte Geist auf die Amtsträger eingeschränkt wird (eine Entwicklung, die sich nach v. Lips schon bei Lukas andeute 70 ). Es ist vielmehr dadurch charakterisiert, daß - anders als bei Paulus und Lukas und anders auch als bei Ignatius 71 , der für sich und die anderen kirchlichen Ämter die Autorität des Geistes ausdrücklich reklamiert (vgl. Ign Rom 7,2; Phld inscr.; 7,1 f.) - das Verständnis des Amtes als pneumatisches in den Hintergrund tritt, und zwar sowohl in bezug auf die innergemeindlichen Amter und die Ämter' der Adressaten 72 als auch in bezug auf den Apostolat des Paulus selbst. Ein weiteres Indiz für das allgemeine Zurücktreten des Geistes in den Pastoralbriefen gerade gegenüber der frühen paulinischen Tradition dürfte das Lehrverbot für die Frauen in l.Tim 2,11-14 sein, denn es wurde in dieser Beziehung ja gerade als eine Wirkung des Geistes angesehen, daß die Unterschiede zwischen Mann und Frau aufgehoben und auch die Frauen zu geisterfüllter Rede befähigt waren (vgl. Gal 3,26-28 mit dem Hinweis auf die den Geist vermittelnde Taufe; l . K o r 12,13; Act 2,17; 21,9; s. auch LibAnt 32,14)73. Demgegenüber bestreitet der Verfasser der Pastoralbriefe den Frauen die venia docendi nen „Geist des Frevels" zurückgeführt (1QS 4,9 f.), der dem „Geist der Wahrheit" gegenübersteht. Beide sind dem Menschen festgesetzt (D1®) als Möglichkeiten der Bestimmung seines Wandels (1QS 3,18f.; 4,23ff.). - In der sekundären (Becker, Untersuchungen 189 f.), jedoch traditionsgeschichtlich „mit Sicherheit vorchristlich(en)" (Böcher, a.a.O. 35 Anm. 111) Interpolation TestRub 2,3-3,2 gelten auch die natürlichen Eigenschaften des Menschen, die fünf Sinne, die Sprache und die Sexualität, als ihm bei seiner Erschaffung verliehene πνεύματα; durch sie ist jedes menschliche Tun bewirkt (TestRub 2,3). " Vgl. auch Ez 11,19f.; Jub l,23f.; Testjud 24,2f.; TestBen 8,2; 1QS 4,20ff.; 1QH 4,31 f.; 16,6f.; Röm 8,4; Gal 5,22; zu schwach und unspezifisch bleibt die Formulierung Haufes („Kraft zum Festhalten am überlieferten Glauben"; Form 77); vgl. vor allem Schweizer: T h W N T 6,361,23ff.; Brandenburger, Fleisch 93 zu 1QH 4,31 f.: „Die Gerechtigkeit, welche die Pneumasphäre Gottes charakterisiert, wird also durch die substanzhafte Ausstattung mit der pneumatischen Dynamis dieser Sphäre irdisch ermöglicht". 70 v. Lips, Glaube 217. 71 Vgl. Paulsen, Studien 124 ff. 72 Dieser Sachverhalt wäre dann auch für das Verständnis von χάρισμα (l.Tim 4,14; 2.Tim 1,6) zu berücksichtigen; vgl. dazu u. S. 185 ff. 73 Vgl. dazu vor allem jetzt Dautzenberg, Stellung 187 ff.; zum Geistbesitz der Frauen im Urchristentum vgl. Müller, Theologiegeschichte 72f.; Berger: TRE 12,181,29ff.
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und begründet dies mit dem Hinweis auf die Minderwertigkeit der Frau gegenüber dem Mann (V. 13 f.) 74 . - Im Hintergrund dieser Tendenz dürfte die unten ausführlicher darzustellende konkrete soziale Vorfindlichkeit der Gemeinde der Pastoralbriefe stehen 75 . Für der Gemeinde innere Konsolidierung und ihr Überleben in der antiken Welt (vgl. die Begründung der Aufforderung zur U n terordnung der Frau in Tit 2,5) war von entscheidender Bedeutung, die enthusiastischen Elemente im Gemeindeleben zurückzudrängen 7 6 und damit die 74 Der Verfasser der Pastoralbriefe differenziert hier zwischen Adam als dem Stammvater der Männer und Eva als der Stammutter der Frauen. Ergibt sich aufgrund der Priorität Adams (V. 13) schon eine Überlegenheit von dessen Nachfahren gegenüber den Frauen (vgl. zu dieser Argumentationsweise u. S. 51 ff.; Küchler, Schweigen 21 ff.), so wird die allgemeine Minderwertigkeit der Frau in V. 14 auch hamartiologisch begründet: Wenn hier festgestellt wird, daß nicht Adam, sondern die Frau (sie!) getäuscht wurde und „in die Übertretung (des göttlichen Gebotes) geriet" (γέγονεν ist Perfekt!), so ist damit zugleich gesagt, daß dadurch das Sündenverhängnis für alle Frauen inauguriert wurde: Durch Eva sind alle Frauen in die παράβασις geraten. Diese Ausrichtung bringt der Verfasser dadurch zum Ausdruck, daß er in V. 14 ganz offensichtlich mit Bedacht nicht Adam und Eva (wie noch in V. 13), sondern Adam und die Frau einander gegenüberstellt. Die im Frühjudentum und bei Paulus geläufige Vorstellung, daß es die prototypische Sünde Adams war, die über die Menschheit das Herausfallen aus dem Heilsbereich und den Tod als Strafe Gottes brachte (vgl. 4.Esr 3,7. 21; 7,118; syrBar 17,2f.; 23,4; 48,42; 54,15; 56,5f.; Röm 5,12ff.; l.Kor 15,22; dazu: Brandenburger, Adam 45ff.; Harnisch, Verhängnis 106 ff.), wird hierdurch charakteristisch verändert: Zum einen ist es ausdrücklich nicht Adam (V. 14 a), sondern wie in Sir 25,24 (vgl. auch ApkMos 14; weitere Texte zur Bedeutung Evas für den SUndenfall und seine Folgen bei Brandenburger, a.a.O. 49 f.) Eva, also die Frau, die das Verhängnis prototypisch inaugurierte. Hierbei handelt es sich nicht um eine „psychologische Bemerkung über die größere Anfälligkeit und Schwäche des weiblichen Geschlechtes" (Holtz, Past 70), so daß Eva nur als quasi zeitloses Exemplum für den weiblichen Charakter fungierte. Es ist auch nicht nötig, für diese Argumentation dazwischenliegende rabbinische Exegesen zu postulieren (Brox, Past 135; Hanson, Use 208 f.). Das bekannte frühjüdische Quellenmaterial reicht für das Verständnis des Textes völlig aus. Zum anderen weist die ausdrückliche Befreiung Adams (V. 14 a) von der Verantwortung für die Inauguration des Verhängnisses darauf hin, daß der Verfasser der Pastoralbriefe hier ein Sünden- und Strafverhängnis nur für Frauen herausarbeiten will, um damit die Forderungen von V. 12 zu begründen (vgl. auch Moo, I Timothy 2:11-15,70). Durch die bewußte Gegenüberstellung von Adam' und .Frau' erscheint Eva hier anders als in Sir 25,24 („ihretwegen sterben wir alle") nicht als Prototyp der gesamten Menschheit, sondern nur der Frauen. Weil es eine Frau und nicht ein Mann war, die sich verführen ließ und das göttliche Gebot übertrat, sind alle Frauen mit ihr und durch sie dem göttlichen Strafverhängnis unterworfen. Diese Konsequenz macht dann aber die abschließende Aussage von l.Tim 2,15 völlig sinnvoll, wenn nicht gar erforderlich: Hier wird deutlich gemacht, wodurch die Frau dem durch ihren Prototyp inaugurierten Verhängnis entgehen kann: durch das Gebären von Kindern sowie durch das Verbleiben „in Glaube, Liebe und Heiligung einschließlich der Sittsamkeit".
" Vgl. u.S. 253 f. n Vgl. dazu Dautzenberg, Stellung 193 ff. Nicht ohne Grund schließt die nachpaulinische Interpolation in 1. Kor 14,33 b-36 an ού γάρ έστιν Ακαταστασίας ό θεός (V. 33 a) an: Das (geisterfüllte) Reden der Frau galt in den nachpaulinischen Gemeinden der dritten Generation als wesentliches Merkmal der Unordnung. - Trummers Argumente gegen die Annahme einer Interpolation (Paulustradition 144 ff.) sind nicht stichhaltig: Auf die lite-
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R o l l e d e s P n e u m a t i s c h e n e i n z u g r e n z e n 7 7 . l . T i m 2 , 1 1 f. w e i s t der Frau w i e d e r e i n V e r h a l t e n z u , das ihrer R o l l e im H a u s w e s e n entspricht, w i e sie in der h e l l e nistischen Ö k o n o m i k g e s e h e n wird 7 8 .
e) Zusammenfassend kann festgehalten werden: Das innerhalb der Profangräzität breit belegte und geläufige χάριν £χω wird im Stil der jüdischen Eulogie begründet durch eine Partizipialkonstruktion, die dort den Adressaten der Eulogie (hier des Dankes) prädiziert. Grund und Gegenstand des Dankes ist in l.Tim 1,12 demnach nicht die Einsetzung in die διακονία (V. 12 b), sondern die .Stärkung' des Apostels durch Christus. Diese erfährt in V. 12 b ihre inhaltliche Konkretisierung und Näherbestimmung. Der Terminus ένδυναμοϋν entspringt nicht einfach der Beliebigkeit der Formulierung durch den Verfasser der Pastoralbriefe, sondern hat einen ganz spezifischen Traditionshintergrund, der ihn als in diesem Zusammenhang bewußt eingesetzten Autorisationsbegriff ausweist: Aufgenommen ist damit ein alttestamentlich-jüdischer Vorstellungszusammenhang, der auch sonst im frühen Christentum rezipiert ist, wonach Gott die von ihm erwählten Boten und Mittler mit der ihm eignenden δυναμις ausstattet und sie so zu seinen Repräsentanten macht. Da die Begrifflichkeit vor allem auch im Kontext von Visionen belegt ist, besteht die Möglichkeit, daß der Verfasser der Pastoralbriefe in l.Tim 1,12 auf das Damaskusgeschehen anspielen will, was aber nicht sicher zu erweisen ist. - Die spezifische redaktionelle Leistung des Autors der Pastoralbriefe besteht an dieser Stelle darin, daß er zwei ganz unterschiedliche sprachliche Traditionen miteinander verknüpft: die .Stärkung' wird nicht, wie es von der Kohärenz dieses Traditionszusammenhangs her zu erwarten wäre, als pneumatisches Geschehen dargestellt, sondern ganz unpneumatisch mit der auf die Zuverlässigkeit des Apostels zurückgeführten Einsetzung in sein Amt begründet. D e r T e r m i n u s έ ν δ υ ν α μ ο Ο ν b e g e g n e t in b e z u g auf P a u l u s ein z w e i t e s M a l am E n d e der P a s t o r a l b r i e f e in 2. Tim 4,1779. O b m a n hierin e i n e E n t s p r e c h u n g z u seiner V e r w e n d u n g am A n f a n g der brieflichen S e l b s t v o r s t e l l u n g d e s A p o s t e l s rarkritischen Argumente Fitzers (vgl. auch Weiß, l . K o r 342) geht er mit keinem Wort ein; die (richtige) Beobachtung, daß l . K o r 14,34f. gegenüber l . T i m 2,12f. allgemeiner und unbestimmter ist, spricht nicht gegen, sondern gerade fiir eine Abhängigkeit des erstvom zweitgenannten Text, und die Auskunft: „ l . K o r 14,34 verpflichtet auf eine in allen pln Kirchen respektierte . . . Regel, daß Frauen in der Kirche schweigen sollen" (a.a.O. 145) ist - wenn sie, wie bei ihm vorausgesetzt, für die Lebenszeit des Apostels selbst gelten soll - sicher unzutreffend und beschreibt eher das Ideal der dritten Generation. 77 Vgl. dazu auch u. S.253. 78 Vgl. dazu allgemein: Thraede, Hintergrund; Lührmann, Haustafeln; speziell: Thraede, Ärger 62 ff. " Der 2.Tim ist als letzter Brief des Apostels fingiert (s.o. S.21), und 4,19-22 enthalten nur noch die Schlußgrüße und das Eschatokoll.
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zu Beginn des Corpus Pastorale sehen kann, sei dahingestellt. Der pastorale Paulus formuliert hier in pointiertem Kontrast zu V. 16: Während ihn bei seiner ersten Gerichtsverhandlung alle früheren Mitarbeiter verließen, „stand" ihm dort allein „der Herr bei" (παρέστη) und „stärkte" (ένεδυνάμωσεν) ihn. Die hiermit inhaltlich verbundene Vorstellung läßt sich unschwer auf der Basis des oben herausgearbeiteten Bedeutungsfeldes von ένδυναμοϋν bestimmen: Demnach bezieht sich dieser Begriff an dieser Stelle auf Mitteilung von Offenbarung, die den pastoralen Paulus innerhalb der Gerichtsverhandlung in die Lage versetzt, seine Sache verteidigend und verkündigend zu vertreten, und zwar indem ihm vom Herrn mitgeteilt wurde, was er zu sagen hatte. Abgesehen von den den allgemeinen Zusammenhang von Offenbarung und .Stärkung' belegenden Texten 80 kann für diesen letztgenannten spezifischen Aussagezusammenhang vor allem zunächst auf Ex 4,12 f. (LXX) 81 hingewiesen werden. Er findet sich aber auch - und damit kommen wir ganz in die Nähe von 2. Tim 4,17 - gerade in forensischem Kontext, insofern es hier wiederum der Geist als Korrelatbegriff zu ένδυναμοϋν 82 ist, der die Verteidigung ermöglichen soll83 (vgl. Mk 13,9-11 par. Mt 10,19f.; Lk 12,11 f.; s. auch Lk 21,12-15). Auch Act 4,7f.; 6,15 (Angesicht wie das eines Engels als Zeichen des Geistbesitzes 84 ; vgl. auch 6,10) sehen die Verteidigungsrede als durch den Geist bewirkt an. In diesen Zusammenhang weist auch παριστημι, das zumeist unspezifisch als „beistehen, helfen" verstanden wird 85 . Dieser Begriff hat jedoch, wie Josephus, bell. 2,245 zeigt, auch seine konkrete Bedeutung im Kontext von Gerichtsverhandlungen 86 , und zwar im Sinne unterstützender Anwesenheit bei einer Prozeßpartei. Demnach würde παριστημι dann in 2.Tim 4,17 zum Ausdruck bringen, daß der Herr es war, der dem Apostel im Prozeß erschienen ist87 und diesen dadurch „gestärkt" hat, was ganz auf der Linie des eben über die Funktion des Geistes Gesagten liegt88.
80
S.o. S.33f. mit Anm.21. S.o. S.33. 82 S.o. S.35f. 83 Vgl. bereits Holtz, Past 197. 84 Vgl. Haenchen, Apg 265. - Hippolyt, Comm. in Dan.3,7,5 (s.o. S.32 Anm. 15) führt das engelgleiche Aussehen Daniels auf das ένδυναμοϋν (!) des Geistes zurück. 85 Vgl. Reicke; T h W N T 5,838,15f.; Bauer, Wörterbuch 1245; Sand: E W N T 3,96. 86 In der Verhandlung eines Konfliktes (vgl. bell. 2,232 ff.) zwischen Juden, Samaritanern und Cumanus, dem Prokurator Judäas, vor Kaiser Claudius habe sich Agrippa für die Juden eingesetzt, während „dem Cumanus viele der Vornehmen zur Seite standen (παρίσταντο)"; vgl. auch Plutarch, mor.95d. 87 Vgl. Philo, Jos.94; Josephus, ant. 1,279. 341; 5,213; Plutarch, Luculi. 10,2; Brut. 36,4; Lys.20,7; Strabo 4,1,4; Act 10,1; 27,23; vgl. Wikenhauser, Traumgesichte 333. Wegen der Breite der Bezeugung entsprechen darum weder das Verb noch der Dativ „aufs genaueste lukanischem Stil" (Lohfink, Himmelfahrt 199); s. auch die ebd. Anm. 136 genannten Texte für die Funktion von ΐστημι und Komposita zur Beschreibung von Erscheinungen; Hanson, Dreams 1410 f. Anm. 65. 88 Sehr schön illustriert gerade diesen Zusammenhang auch Philo, gig. 55, w o von Mose als dem „Lehrer der göttlichen Dinge, die er . . . auslegen wird", gesagt ist: „Bei diesem weilte (παρίσταται) immer der göttliche Geist." 81
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Ebenfalls in dieses Bezugsfeld von ένδυναμοϋν gehört der Ausblick auf die Verkündigung als Weitergabe der Offenbarung" in 4,17 b: Durch deren Mitteilung .gestärkt', ist ihr Empfänger in der Lage, sie weiterzugeben. Dabei weist nach weitgehendem Konsens 90 die Formulierung ίνα δι' έμοϋ τό κήρυγμα πληροφορηθώ και άκούσωσιν πάντα τά εθνη über die konkrete Gerichtssituation hinaus auf die durch „das Forum des Gerichtshofes repräsentiert(en)" 91 πάντα τά £θνη, an die die .Apologie' gerichtet ist92. Sichtbar wird in diesem Bezug noch einmal der Charakter von ένδυναμοϋν als Bötenbegriff, als welcher er auch in 2.Tim 4,17 verstanden werden will. Die Angabe der Intention der .Stärkung' am Schluß des Corpus Pastorale (ϊνα ... άκούσωσιν πάντα τά έθνη, V. 17b) berührt sich in auffallender Weise mit dem Schluß der Apostelgeschichte (28,28: „Den Heiden wurde dieses Heil Gottes gesandt, αυτοί και άκούσονται" 93 , wo Act 1,8 wieder aufgegriffen wird (vgl. auch den Ausblick in Lk 24,47: κηρυχθηναι ... εις πάντα τά £θνη). Für diese Konvergenz dürften jedoch weniger literarische Faktoren (Abfassung der Pastoralbriefe durch Lukas oder deren Kenntnis der Apostelgeschichte) bestimmend gewesen sein. Hier wie dort spiegelt sich vielmehr das faktische Ergebnis der paulinischen Missionsarbeit, nämlich die Hinwendung zu den Heiden: Die Pastoralbriefe wie Lukas setzen christliche Gemeinden voraus, die wesentlich aus ehemaligen Heiden bestehen. Aus diesem Grunde - und hierin wird darum wahrscheinlich paulinische Sprachtradition greifbar - kann mit keiner Formulierung das Lebenswerk des Paulus sachlich zutreffender zusammengefaßt werden als durch die Formulierungen, mit denen Lukas in Act 28,28 und der Verfasser der Pastoralbriefe in 2.Tim 4,17 ihre Paulusdarstellungen abschließen. Dies wird auch darin sichtbar, daß ebenfalls der mutmaßlich sekundäre Schluß des Römerbriefs (16,25-27) in V.26 auf die Verkündigung εις πάντα τά £θνη aus- oder besser: zurückblickt. In der gleichen literarischen Position blickt auch Mt 28,19 auf die Mission unter πάντα τά εθνη aus, welchem Text eine analoge Ausrichtung zugrundeliegt 94 .
89 S.o. S.34 mit Anm.22 und Act 9,22 ohne expliziten Bezug auf Offenbarung, der freilich auch hier bei ένδυναμοϋν durchaus mitschwingen kann. 90 Vgl. zuletzt Baumeister, Anfänge 199. 91 Brox, Past 276. 92 Darauf deutet auch πληρόω hin, das in entsprechender Bedeutung im Zusammenhang missionarischer Wirksamkeit auch in Act 14,26; 19,21; Rom 15,19; Kol 1,25 begegnet; Lohfinks isolierte Nebeneinanderordnung von 2. Tim 4,17 und Rom 15,19 (Theologie 78) wird diesem Befund darum nicht gerecht. Es dürfte sich hier demnach weniger um eine direkte „Rezeption von Selbstaussagen des historischen Paulus" (Lohfink, ebd.) handeln, als vielmehr um einen Reflex (nach)paulinischer Missionstradition, zu der auch die Betonung der Hinwendung zu den Heiden gehört (vgl. Kol 1,27; Eph 3,8 und die Darstellung der paulinischen Mission in der Apostelgeschichte), die ihrerseits im paulinischen Selbstverständnis und der daraus erwachsenen Missionspraxis (vgl. Rom 1,5; 15,18; Gal 1,16; 2,8 f. u.ö.) ihren Ausgangspunkt hat (vgl. zuletzt Zeller, Theologie 175 ff. und gleich im folgenden). 93 94
Vgl. Hauser, Strukturen 103 ff.; Dupont, Conclusion 373 ff. Vgl. dazu Friedrich, Struktur 178 ff.
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Der Kreis des in V. 12 begonnenen Gedankenganges wird in V. 14 geschlossen: Nach dem exkursartig eingeschalteten Rückblick auf die vorchristliche Existenz des Paulus 95 kehrt der Verfasser der Pastoralbriefe auf die Argumentationsebene von V. 12 zurück. Inhaltlich bildet V. 14 die Synthese der im Gegenüber von V. 12 und V. 13 implizierten Dialektik, insofern die durch Christus bewirkte Stärkung und Einsetzung in die διακονία (V. 12) des vormaligen βλάσφημος, διώκτης und ύβριστής (V. 13) auf Christi überbordende Gnade zurückgeführt wird. Der Maßlosigkeit der Feindschaft entspricht die diese überbietende (ύπερπλεονάζειν) 96 Maßlosigkeit der Gnade. Nicht zu übersehen ist der auch regelmäßig in der Literatur konstatierte' 7 und so genannte ,paulinische Charakter' der Formulierung ύπερεπλεόνασεν ... ή χάρις, wobei besonders auf Röm 5,20 hingewiesen wird 98 . Hyperbolisch von der Gnade Gottes redet Paulus abgesehen von Röm 5,20 und seiner unmittelbaren Umgebung (5,15.17; vgl. auch 6,1: assoziativer Stichwortanschluß an 5,20 f.) zwar noch in 2. Kor 9,14 (vgl. auch 4,15), jedoch fehlt hier die in Röm 5,15.17.20; 6,1 vorliegende antithetische und jene überbietende Bezogenheit auf die Sünde, die ja auch in l.Tim 1,14 (im Blick auf V. 13) vorzuliegen scheint. Gleichwohl halte ich es für fraglich, daß damit der Verstehenshorizont von l.Tim 1,14 zureichend bestimmt ist. Dies gilt vor allem im Hinblick darauf, daß χάρις bei Paulus auch ohne die antithetische Beziehung auf άμαρτία" in Sachzusammenhängen begegnet, die mit l.Tim 1,12.14 unmittelbar vergleichbar sind. Es handelt sich näherhin um Texte, in denen Paulus χάρις mit seinem Apostolat und der Berufung zu diesem in Zusammenhang bringt 100 , und dies ist ja auch das Thema von l.Tim 1,12.14. Paulus versteht sein apostolisches Amt im Horizont weisheitlich-apokalyptischer Traditionen (Gnade als Erwählung durch Offenbarung) 101 als in der ihn auserwählenden Gnade Gottes gründend (vgl. l.Kor 15,10; Gal 1,15). Er begreift es generell als vom Herrn empfangene Gnade (Röm 1,5: έλάβομεν χάριν; 12,3; 15,15; l . K o r 95 Vgl. dazu Wolter, Paulus. " Zu diesem innerhalb des Neuen Testaments nur hier und außerhalb nur ganz vereinzelt (s. außer den bei Bauer, Wörterbuch 1665 genannten Belegen noch PsSal 5,16) belegten Verb vgl. Delling: T h W N T 6,263,42 f£.; ders., Gebrauch 144. 97 Vgl. zuletzt Theobald, Gnade 44 Anm. 116: „Hier wirkt paulinischer Stil nach"; mit Bezug auf „die Hyperbolie als Merkmal der paulinischen Rede von Gottes Heilstat in Jesus Christus" (Überschrift von Kap. 1). 98 Zuletzt Lohfink, Theologie 76: „Reminiszenz". 99 Diese findet sich überhaupt nur in Röm 5-6; vgl. Doughty, Priority 172 ff.; Berger, .Gnade' 16 ff. 100 Vgl. Satake, Apostolat 98 ff.; Berger, .Gnade' 10 ff.; auch in 2. Tim 2,1 ist χάρις in diesem Sinne verstanden (s.u. S. 215 ff.). 101 Vgl. Berger, .Gnade' 3 ff. mit Belegen.
Der erste gerettete Sünder (V. 15-16)
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3,10; Gal 2,9: ή χάρις ή δοθείς μοι), die ihm in seiner Berufungsvision zuteil wurde. Es ist also weniger der Gegensatz von Sünde und Gnade wie er in Rom 5,15-6,1 begegnet, sondern eher der Zusammenhang von Erwählung und Gnade, der in l . T i m 1,14 aufgenommen wird und sich in πίστις und άγάπη realisiert, wofür in erster Linie die thematische Parallelität des Kontextes zu den entsprechenden Aussagen des authentischen Paulus über seine Berufung spricht. In Aufnahme dieser paulinischen Sprachtradition wird demnach in l . T i m 1,14 des Paulus Einsetzung in die διακονία (V. 12) auf die seine vormalige Gottesfeindschaft überbietende erwählende Gnade Christi zurückgeführt, wodurch sich in l . T i m 1,12-14 ein geschlossener Darstellungszusammenhang ergibt.
2. Der erste der geretteten Sünder (V. 15-16) In V. 15 erhält die Argumentation eine neue Perspektive: Ging es in V. 12-14 um die äußeren biographischen Faktoren, d.h. des Paulus Berufung in sein apostolisches Amt, seine vorchristliche Existenz als Gottesfeind und seine Bekehrung, so stellen V. 15 f. das in dieser Bekehrung erfahrene Geschick des pastoralen Paulus in den Horizont des allgemeinen Heilshandelns Christi. Zu dessen Beschreibung nimmt der Verfasser der Pastoralbriefe eine wahrscheinlich aus der frühchristlichen Gemeindetradition stammende kerygmatische Formulierung 1 auf (Χριστός Ίησοϋς ήλθεν εις τον κόσμον 2 αμαρτωλούς σώσαι), die mit Hilfe der für die Pastoralbriefe typischen Wendung πιστός ό λόγος (και πάσης αποδοχής άξιος) 3 hervorgehoben wird, ohne dadurch schon als 1 Vgl. Dibelius/Conzelmann, Past 25; Köster, Überlieferung 139ff. l.Tim 1,15 und die anderen mehr oder weniger parallelen Aussagen wie Mk 2,17 par. Mt 9,13; Lk 19,10; Joh 3,17; 12,47; Barn 5,9 dürften voneinander unabhängige Ausformulierungen dieser Sprachtradition darstellen (vgl. die Erörterung bei Knight, Sayings 42 ff. sowie Hasler, Epiphanie 203; Oberlinner, ,Epiphaneia' 206 f.). 2 Die Aussage J e s u s ist in die Welt gekommen" bezieht sich nicht auf die Inkarnation (gegen Weiß, Past 97; Brox, Past 164: „nicht sicher, aber immerhin wahrscheinlich"; vgl. zur Kritik bereits Windisch, Christologie 221 f. mit Verweis auf Bill. 11,358), sondern ist ähnlich zu verstehen wie έπιφάνεια in 2.Tim 1,10 (s. auch Tit 2,11; 3,4), das ebensowenig die Inkarnation beschreibt (gegen Jeremias, Past 50; Brox, Past 231), sondern - wie Lührmann, Epiphaneia, bes. 197ff. gezeigt hat - im Horizont des allgemeinen hellenistischen Sprachgebrauchs „das geschichtlich faßbare Eingreifen des Gottes zugunsten seiner Verehrer" (195 f.) kennzeichnet. J Vgl. noch l.Tim 3,1; 4,9; 2.Tim 2,11; Tit 3,8; s. dazu umfassend Knight, Sayings mit älterer Literatur; Berger, Amen-Worte 104 ff.; Noack, .Trovaerdige tale' sowie die Exkurse in den meisten neueren Kommentaren z. St. - Nicht wie hier als Nominalsatz (vgl. Blaß/Debrunner/Rehkopf, Grammatik § 1277) formuliert, erscheint die Wendung in Josephus, ant. 19,132: εΐ καί τισιν πιστός ό λόγος (die Nachricht von Caesars Tod) φανείη; s. auch ebd. 16,100; 17,62; Schatzhöhle 53,15 (u. S.79 Anm.45).
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l . T i m 1,12-17
Zitat gekennzeichnet zu sein. - Zusammengehalten werden beide Teile des Abschnittes durch das parallele άλλα ήλεήθην (V. 13b/16a). Während V. 13 jedoch den Grund (δτι) für das Erbarmen, das Paulus fand, angab, zielt V. 16 auf dessen Sinngebung in bezug auf den in V. 15 b formulierten Logos ab (δια τοϋτο . . ί ν α ) . - Ob und inwiefern dem Geschick des Paulus in diesem Zusammenhang mehr als die Funktion eines rhetorischen Beispiels oder eines paränetisch aktualisierten Vorbilds 4 zukommt, wird im folgenden zu zeigen sein. Von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der Argumentation ist die bereits eingangs angesprochene 5 Interpretation des doppelten πρώτος in V. 15 c und 16 b. Vor mehr als einem Vierteljahrhundert hat G. Klein eine Erklärung vorgelegt, die die Struktur der Argumentation nicht durch die qualitative Differenz zwischen Paulus und den zukünftig Glaubenden bestimmt sieht - wie dies in der Literatur zumeist und auch heute noch (s.u.) vertreten wird -, sondern sie von ihrem temporalen Gefälle her interpretiert 6 . Nicht um Paulus als den schlimmsten aller Sünder gehe es hier, sondern um Paulus als den zeitlich ersten aller geretteten Sünder 7 . Klein begründet seine These mit dem „futurischen Bezug" von V. 16b (Ausblick auf die μέλλοντες πιστεύειν), so daß ύποτύπωσις als .Urbild' den „betreffende(n) Vorgang nicht nur (als) ein(en) typischen Fall unter anderen, sondern ... zugleich auch ... als ersten ... zur Erscheinung kommende^)" markiere 8 . Von dieser „temporale(n) Ausrichtung von V. 16 b" her müsse „auch das πρώτος von 16 a temporal zu verstehen" sein (S. 136f.). Daraus folgert Klein: „Ist aber der temporale Sinn des zweiten πρώτος sichergestellt, so kann auch das erste (15 b) nicht wohl anders verstanden werden - dazu ist es allzu deutlich auf die Fortsetzung hin formuliert" (S. 137). Motiviert sei diese Betonung der Priorität des Paulus durch „heilsgeschichtliche Interessen"', ohne daß diese jedoch von Klein näher präzisiert werden. Leider hat die Erklärung Kleins in der Folgezeit mit ganz geringen Ausnahmen 10 entweder keine Resonanz gefunden bzw. wurde mitunter a limine zurückgewiesen 11 . Dies ist um so unverständlicher, als die auf einem qualitativen Verständnis des doppelten πρώτος basierenden Interpretationsversuche durchweg unbefriedigend bleiben und zu Hilfskonstruktionen Zuflucht nehmen müssen, die sämtlich keinen Anhalt 4
S.o. S.27f. > S.o. S.28 Anm.10. ' Vgl. Klein, Apostel 136 ff.; ältere Vertreter dieser Sicht nennt Klein, ebd. 137 Anm. 667. 7 Eine Reihe von Exegeten differenziert in der Weise, daß sie πρώτος in V. 15 qualitativ und in V. 16 temporal verstehen: v. Soden, Past 226f.; Weiß, Past 98; Spicq, Past 1,345; Michaelis: T h W N T 6,869 Anm. 15; Lohfink, Theologie 71; Hanson, Past 1982, 62. • Klein, Apostel 136. ' Klein, ebd. 139. 10 Vgl. Merk, Glaube 96 sowie o. Anm. 7. 11 Vgl. Fischer, Tendenz 98: „Darum besteht auch keine Notwendigkeit, Kleins philologischen Argumenten ... nachzugehen."
Der erste gerettete Sünder (V. 15-16)
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am Text haben: Die die präsentische Form von V. 15 c berücksichtigenden Erklärungen als beständig weiter quälenden Stachel der früheren Schuld (Lock; Spicq; Jeremias, jeweils z.St.) 12 hat Klein bereits selbst mit Recht zurückgewiesen („in den Text hineingelesen" 13 ). Ebensowenig überzeugend ist aber auch die in der Literatur am häufigsten vorgetragene Erklärung des qualitativen πρώτος im Sinne einer a-fortiori-Argumentation: ,Wenn schon Paulus als Schlimmster aller Sünder Vergebung fand, wird dies erst recht f ü r die übrigen μέλλοντες πιστεύειν gelten.' 14 Denn durch diese Interpretation wird die Bedeutung von ύποτύπωσις 15 , wodurch diese Argumentation ihre innere Schlüssigkeit gewinnen soll, in einer Weise umgebogen, die nicht mehr durch das Bedeutungsspektrum dieses Begriffs gedeckt ist. Dieser InterpretationsVorschlag nimmt darüber hinaus auch nicht die bereits angesprochene präsentische Form von V. 15 c ernst genug: Wie ist es denn vorstellbar, daß der Verfasser der Pastoralbriefe den mit dem Evangelium betrauten (V. 11) sowie als treu erfundenen und in die Diakonia eingesetzten (V. 12) Paulus anschließend und nach der Darstellung der radikalen Existenzwende von sich selbst sagen läßt: ,Ich bin der Schlimmste aller Sünder', wenn man nicht zu so gesuchten und dem Text aufgezwungenen Erklärungen wie den oben genannten greifen will? Der Annahme, daß πρώτος in V. 15 c temporal zu verstehen ist, widerspricht auch nicht das V. 16 einleitende αλλά, das in keiner Weise zwingend den Gegensatz zum Vorhergehenden zum Ausdruck bringen muß, sondern ebenso der rhetorischen Steigerung des argumentativen Neueinsatzes dienen kann 16 , wenn es nicht ohnehin parallel zu V. 13 (άλλα ήλεήθην) formuliert ist. - Außer den vorstehend genannten Argumenten spricht f ü r ein temporales Verständnis des doppelten πρώτος in l . T i m 1,15c. 16b, daß sich der Text gerade von der Hervorhebung der zeitlichen Priorität des Heilsgeschicks des pastoralen Paulus her sinnvoller erklären läßt, als dies die bisher vorgetragenen Versuche vermochten. a) Priorität und Autorität Wenn Paulus in l . K o r 15,8f. die Tatsache, daß der Herr ihm als letztem von allen erschienen ist, damit begründet, daß er der Geringste 12
Vgl. auch Kelly, Past 55; Brox, Past 114: „.Paulus' ist bleibend der Mensch, der von sich aus in tiefer Heillosigkeit steckt". 13 Klein, Apostel 137 Anm.668. 14 Vgl. Dibelius/Conzelmann, Past 23; Holtz, Past 48; Knight, Sayings 47f.; Brox, Past 115; Collins, Image 168: „What a consolation for those w h o can convict themselves of sin but whose sin is not as great as that of Paul himself!" Für Collins (ebd.) hat πρώτος jeweils zugleich qualitative und temporale Bedeutung; vgl. auch Standaert, Paul 67. 15 S. dazu u. S. 56 ff. " Vgl. Blaß/Debrunner/Rehkopf, Grammatik § 448,6.
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der Apostel sei, so bringt er durch diese rhetorische Selbstminderung 17 zeitliche und qualitative Kategorien in ein ganz spezifisches Abhängigkeitsverhältnis voneinander: Seine qualitative Nichtigkeit (έκτρωμα) im Vergleich zu den anderen Erscheinungszeugen hat zur Folge, daß er der zeitlich letzte in der Reihe dieser Zeugen wurde, die zeitliche Posteriorität ist von Paulus hier also durch seine Inferiorität bedingt gesehen 18 . - Dem entspricht umgekehrt die Nennung des Petrus als des ersten Erscheinungszeugen ( l . K o r 15,5). E.Dinkier sieht mit anderen in der Protophanie des Auferstandenen vor Petrus den Realgrund für dessen Autorität in der frühen Kirche 19 . Dieser enge Konnex von Priorität und Autorität bleibt auch dann gewahrt, wenn man in diesem Falle das Begründungsverhältnis mit R. Pesch umdreht, auch wenn dessen extreme Interpretation des ώφθη Κηφφ als einer reinen „Legitimationsformel ..., welche die Funktion hat, den genannten Erscheinungsempfänger als Autorität auszuweisen" 20 , vielleicht etwas zu weit geht 21 , kommt der sachliche Zusammenhang von Priorität und Autorität auch hierin zum Ausdruck. Die Nennung des Petrus an der ersten Stelle der Zeugenreihe wäre dann ein Reflex seiner besonderen Autorität als des Leiters der Jerusalemer Urgemeinde 22 , was gegenüber der erstgenannten Sicht des Zusammenhangs nicht ohne eine gewisse Plausibilität ist, fehlt doch in der gesamten urchristlichen Uberlieferung ein Bericht über eine isolierte Ersterscheinung vor Petrus 23 , wie auch sonst die Auferstehungszeugenschaft des Petrus in der altkirchlichen Überlieferung 17
Vgl. dazu auch u. S. 55 f. mit Anm.43. Auf diesen Zusammenhang der Reihe der Erscheinungszeugen hat bereits v. d. Osten-Sacken hingewiesen (Apologie, bes. 255 ff.; vgl. auch Berger, Auferstehung 619ff. Anm. 554; Schenk, Aspekte 474ff.). Keine Beachtung gefunden hat bei v. d. OstenSacken jedoch das Begründungsverhältnis von V. 8 u. 9 mit dem Zusammenhang von Εσχατος und έλάχιστος: V. 9 a begründet weniger die Apposition ώσπερει τφ έκτρώματι (vgl. auch ders.: EWNT 1,1031; zum Verständnis von έκτρωμα s. jetzt Sellin, Streit 246 ff.) als vielmehr das ϊσχατος in V. 8, dessen temporales Gewicht v. d. Osten-Sacken nicht ernst genug nimmt. " Vgl. Dinkier: ThR NF 25,196; 27,34 f. 20 Pesch, Entstehung 212 ff. (Zitat S.217). 21 Vgl. die scharfe Kritik von Stuhlmacher (.Kritischer ...' 248 ff.) und Hengel (Osterglaube 264 ff.) sowie die abgewogene Erörterung bei Hoffmann (TRE 4,491 ff.); vgl. jetzt die zusammenfassende Darstellung der Diskussion bei Winden, Osterglauben. 22 Diesem Verständnis der sekundären Legitimationsfunktion der Protophanie entspricht auch, daß nach EvHebr, frgm.7 (Hieronymus, vir. ill. 2; dt.: NTApo 4 1,108) dem Herrenbruder Jakobus die Protophanie zuteil wird, was dessen herausragende Stellung in der späteren judenchristlichen Tradition reflektiert (vgl. auch EvThom 12 sowie mit weiteren Texten Pesch, Simon-Petrus 71 f.); s. dazu und zur Funktion anderer Prioritätsaussagen u. S. 103 ff. 23 Lk 24,34 ist - hierin gibt es inzwischen so etwas wie einen Konsens in der Forschung - von der Ostertradition (l.Kor 15,5) abhängig (vgl. Alsup, Stories 63 und zuletzt Schweizer, Lk 247). 18
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keine Rolle spielt24 und die autoritätsbegründende Priorität des Petrus in den nachneutestamentlichen Pseudepigraphen eher aus Mt 16,17 abgeleitet wird 25 . In Analogie zu der Herleitung der petrinischen Autorität aus der Protophanie scheint mir nun mit guten Gründen angenommen werden zu können, daß wir es in l.Tim 1,15f. mit so etwas wie der Versio Paulina dieses Zusammenhangs zu tun haben: In einer Gemeinde, die wie die der Pastoralbriefe in paulinischer Tradition steht, wird die Autorität des Paulus darauf zurückgeführt, daß es dieser war, in dessen Existenzwende sich das Kerygma von der Rettung der Sünder erstmals realisierte. Die Intention des doppelten πρώτος in l.Tim 1,15f. besteht dann darin, die apostolische Autorität des Paulus dadurch aufzuweisen, daß dieser als der erste der geretteten Sünder dargestellt wird. Mit dieser Korrelation von Priorität und Autorität 26 nehmen die Tradition von der Protophanie vor Petrus und l.Tim 1,15f. einen ganz spezifischen Traditionszusammenhang auf, der von dieser Wechselbeziehung entscheidend bestimmt ist: Es handelt sich um den erstmals von K. Thraede im Überblick dargestellten 27 sog. .hellenistischen Prioritätstopos', dessen biographische Form danach fragt, was eine Person μόνος ή πρώτος vollbracht habe 28 . In der doxographischen Tradition geht es entsprechend um die „Archegeten der jeweiligen philosophischen Fächer" und Lehren 29 . Eine besondere Rolle spielt hier Sokrates: Nach Diogenes Laertius 2,20 war er in vielfacher Hinsicht ,der erste': Er lehrte als erster das φητορεύειν, diskutierte als erster περί βίου und verlor als erster der Philosophen sein Leben aufgrund einer gerichtlichen Verurteilung. Sokrates gilt aber vor allem als derjenige, der als er24 Vgl. dazu Staats: TRE 4,520: „Die älteste römische Bischofstradition spricht Petrus die Würde des vornehmsten Märtyrers, nicht aber des ältesten Auferstehungszeugen zu". » S.u. S. 104f. 26 Dieser Korrelation entspricht die herausgehobene Stellung der Erstbekehrten in l.Kor 16,15; l.Clem 42,4; Origenes, hom.11,4 in Num. (vgl. auch Röm 16,5); s. dazu v. Campenhausen, Amt 72. 27 Thraede: RAC 5,1191 ff. 28 Vgl. Aristoteles, rhet. 1368all; Ps.Anacharsis, ep. 9,16f.: τόν τε πρώτον εύρόντα ... μακαριστότατον δγουσι); Isocrates, Evag.78 (πρώτος και μόνος); Quintilian, inst. 3,7,16 („solus aut primus"); Philo, leg. Gai. 143 in einer Lobrede auf Augustus: Wegen der Größe seiner kaiserlichen Herrschaft und seiner Vortrefflichkeit πρώτος όνομασθεις Σεβαστός, welchen Namen „er nicht als Erbe erhielt, sondern selbst zur άρχή σεβασμοϋ für seine Nachfolger wurde". - Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf die Studie von Alföldy, der die überaus häufige Verwendung des Prioritätstopos in römischen Grabund Ehreninschriften herausgearbeitet hat (Rolle 22 ff. mit reichem Belegmaterial). 2 ' Thraede: RAC 5,1222 mit Belegen; vgl. außer der folgenden Anm. noch Diogenes Laertius 1,22-24 zu Thaies: πρώτος σοφός ώνομάσθη (22); er befaßte sich als erster mit der Sternkunde (23) und soll als erster die Unsterblichkeit der Seele vertreten haben; ebd. 2,48: Xenophon war der erste Geschichtsschreiber unter den Philosophen.
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ster die Philosophie auf die Ethik zurückgeführt und sie als solche auch gelebt hat 30 , so daß er von daher „zum vollkommensten Repräsentanten der philosophischen Lebensform" 31 wurde, worin wiederum seine philosophiegeschichtliche Nachwirkung als herausragendes Vorbild 3 2 begründet ist. Im Frühjudentum sind es vor allem die alttestamentlichen Väterfiguren, auf die der Prioritätstopos übertragen wird 33 : So kommt ζ. B. Abraham, der in diesem H o r i z o n t dementsprechend auch als Erfinder dargestellt wird 34 , in zahlreichen Texten seine herausragende Stellung dadurch zu, daß er ,der erste' war: V o n Abraham heißt es, „daß er als erster an Gott glaubte" (Philo, virt. 216); er ist der erste der Proselyten (bSuk 49 b 35 ). Abraham „wagte als erster, Gott als den einen Schöpfer aller D i n g e darzustellen" (Josephus, ant. 1,155), und er „vollzog als erster die Beschneidung" (Barn 9,7); er ist „der erste, der vom Schwindel zur Wahrheit übertrat" (Philo, praem. 27) 36 . Analoges gilt von Mose: Josephus, Ap. 2,154 hebt seine historische Priorität als Gesetzgeber hervor, in LibAnt 35,6 gilt er als „primus omnium prophetarum"i?, und Eupolemos bezeichnet ihn als πρώτος σοφός (Eusebius ν. Caesarea, praep.ev. 9,26,1). Besonders deutlich wird die Korrelation von Priorität und Autorität in Memar Marqah 4,12 (1,112; II, 188 f. MacDonald) 3 8 , w o Abraham und M o s e gemeinsam gepriesen werden. 30 Vgl. Aristoteles, metaph. 1078bl7ff.; Diogenes Laertius 1,14.18; 2,16; Cicero, Tusc. 5,10; Galen, hist.phil. 1 (597,2 ff. Diels); Hippolyt, haer. 5 u.ö.; s. dazu Döring, Exemplum 3.21. 31 Gigon, Erzählungen 3. 32 Vgl. dazu Döring, Exemplum. 33 Vgl. Berger, Auferstehung 468 f. Anm. 141. 34 Vgl. Thraede: RAC 5,1243 ff.; Mayer, Aspekte 123 f. zum Topos Abraham als Erfinder der Astrologie'; Küchler, Weisheitstraditionen 119 ff.; Berger: TRE 1,373 (jeweils mit Belegen). Entsprechend werden umgekehrt in äthHen 8 die bösen Engel als Erfinder „verderblicher Techniken", die „mit magischer Praxis zusammen(hängen)", dargestellt (Thraede: RAC 5,1242 mit Lit.); vgl. auch Lactanz, div.inst. 2,16. 35 Bill. 111,195 (dort auch weitere Belege); vgl. dazu auch u. S. 60 f. 36 S. auch Josephus, ant. 1,155: Abraham als der erste Vertreter des Monotheismus. 37 Die Korrelation von Priorität und Autorität in LibAnt 35,6 wird von Haacker/ Schäfer (Traditionen 153) verkannt, wenn für sie Mose hier „nicht mehr als" der erste aller Propheten ist. Daß Priorität in diesem Zusammenhang Normativität begründet (vgl. auch Philo, virt. 70; Meeks, Prophet-King 125 ff. 198 ff.), wird gerade am Beispiel dieses Textes deutlich (vgl. u. S.93 ff. sowie den folgenden Abschnitt). 38 Nach Auskunft des Herausgebers stammt der Memar Marqah, der zu den ältesten Schichten der samaritanischen Literatur gehört (vgl. Kippenberg, Garizim 17), aus dem 2.-4. Jh. n.Chr. (Macdonald Ι,χχ). Eng sind vor allem die Beziehungen zum Johannesevangelium (vgl. Cullmann, Kreis 39; Kippenberg, Garizim 324 f.). - Insgesamt beschreibt Macdonald den Memar Marqah „as a Thesaurus of early Samaritan traditions, hymns, beliefs, swas and epithets, and possibly primitive liturgical phrases and expressions" (I,xviii).
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„Abraham war Ursprung (ms) in dem, was er tat, und der große Prophet Mose Ursprung (®ΊΚ) in dem, was er offenbarte. ... Abraham war das Haupt WH) der Gereenten und Mose der Höchste (Dil) aller Propheten."3' Innerhalb des Neuen Testaments korrelieren personale Priorität und Autorität außer in Kol 1,18 (πρωτότοκος έκ των νεκρών - πρωτεύειν) auch in J o h 1,15.30: Jesus nimmt einen höheren Rang als Johannes ein 40 , weil er ihm aufgrund seiner Präexistenz zeitlich voraus ist, und auch in Joh 8,52 ff.: Jesus hält sich für größer (μείζων, V . 5 3 ) als Abraham, denn „ehe Abraham ward, bin ich" 4 1 . Wenn die vorstehenden Überlegungen dieses Abschnitts mit einem Blick auf l . K o r 15,8 f. eingeleitet wurden, so findet dies seine Entsprechung in weiten Teilen der Literatur, wo dieser Text ebenfalls mit l . T i m 1,15 f. in Verbindung gebracht wird und man hier wie dort mehr oder weniger denselben Sachverhalt zum Ausdruck kommen sieht 42 . Dies ist jedoch - nimmt man die für 1. Kor 15,8 f. wie für 1. Tim 1,15 f. konstitutiven temporalen Komponenten ernst - eine Sichtweise, die den Texten nicht gerecht wird: Beide Texte finden zwar ihre Einheit in dem gemeinsamen Bezug auf den hellenistischen Prioritätstopos, inhaltlich und argumentativ verhalten sie sich jedoch wie dessen zwei Pole zueinander: 1. Kor 15,8 f. formuliert die Korrelation von Inferiorität und Posteriorität und dient damit dem Ausdruck der Selbstminderung, wie sie sich öfter in der Rhetorik (als captatio benevolentiae) 43 findet, während für l . T i m 1,15f. die Korrelation von Priorität und Autorität bestimmend ist. Diese Differenz zwischen den beiden Texten kann sehr schön
Er ist von daher also durchaus von einigem traditionsgeschichtlichen Wert für die Arbeit am Neuen Testament. " Vgl. auch Jub 4,17 f.: Henoch lernte als erster Schreiben, Wissenschaft und Weisheit ...; er schrieb als erster ein Zeugnis auf. 40 Gegen Kretzer: E W N T 1,1090; einander zugeordnet sind in Joh 1,15. 30 όπίσω (des Auftretens) und πρώτος (im Sinne der Präexistenz). Zu ϊμπροσθέν τίνος γίνεσθαι zur Bezeichnung qualitativer Überlegenheit vgl. Plutarch, Perikl. 11,1; Bauer, Wörterbuch 510. 41 Zu Joh 8,52 ff. s. auch u. S. 103. - Selbstverständlich ist der Anwendungsbereich des Prioritätstopos weitaus vielfältiger. Seinen wesentlichen Ort hat er in der Panegyrik. Die oben genannten Belege (s. S. 53 Anm. 28) stehen im Zusammenhang der Darstellung des Genos epideiktikon der antiken Rhetorik (vgl. Lausberg, Handbuch § 245); der Evagoras des Isocrates ist ein Enkomion auf den verstorbenen Fürsten. Im Neuen Testament begegnet der Prioritätstopos abgesehen von l . T i m 1,15f. und den u. S. 102ff. zu nennenden Texten etwa noch in Gal 3,17 (Verheißung vor Gesetz) und wohl auch in Röm 4,10 f. (δικαιοσύνη έν άκροβυστίςι vor der Beschneidung). 42 Vgl. z.B. Spicq, Past 1,344; Brox, Past 114; Löning, Saulustradition 56f.; Trümmer, Paulustradition 117f. u.a.m. 43 Vgl. Lausberg, Handbuch § 275; Berger, Apostelbrief 226. - Hierher gehören auch Eph 3,8 und Ignatius, Röm 9,2.
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am Beispiel von LibAnt 35,6 veranschaulicht werden: Gideon reagiert hier auf seine Erwählung (35,4 f.) mit dem Einwand 44 : „Mose hat als primus omnium prophetarum den Herrn um ein Zeichen gebeten, und es wurde ihm gegeben. Ich aber, wer bin ich, wenn der Herr mich nicht
zufällig {forte) erwählt hätte?"
Darauf folgt dann entsprechend Bitte und Gewährung eines Zeichens (35,6 f.) 45 . - Es läßt sich unschwer erkennen, inwiefern dieser Text die Differenz zwischen l . K o r 15,8f. und l . T i m 1,15f. sichtbar werden läßt, denn in ihm finden sich die hier auseinandergetretenen unterschiedlichen Aspekte des Prioritätstopos nebeneinander: Etwas zugespitzt formuliert, entspricht der paulinischen Selbsteinschätzung in 1. Kor 15,8 f. die Selbsteinschätzung Gideons {„ego autern quis sum ...?"), während l . T i m 1,15f. Paulus in einer Weise darstellt, die der Aussage Gideons über Mose entspricht. b) Urbildliche Heilserfahrung Die Priorität des Paulus als des ersten der geretteten Sünder wird in l . T i m 1,16 nun noch in der Weise spezifiziert, daß diesem Geschehen typologische Bedeutung zuerkannt wird: In der Bekehrung des Paulus ist in urbildlicher Weise sichtbar geworden, wie der Heilsweg der in seiner Nachfolge zum Glauben Kommenden aussieht. - Diese grob skizzierte Paraphrase des Gedankens bildet zugleich auch einen gewissen Konsens, auf den sich die kritische Forschung inzwischen verständigt hat 46 . - Zum besseren Verständnis der „schwierigen Wendung" 4 7 sind zwei sprachliche Abgrenzungen vorauszuschicken: 1. Daß ύποτύπωσις hier nicht als moralisch oder erbaulich belehrendes .Vorbild', sondern als .Urbild' zu verstehen ist, erhellt aus dem an44 Ein auf die eigene Unzulänglichkeit hinweisender Einwand begegnet häufig in alttestamentlichen Berufungserzählungen (vgl. Ex 3,11; 4,10; Jer 1,6 u.ö.). 45 LibAnt 35,6 führt auch in dieser Hinsicht ganz in die Nähe von l.Tim 1,16: Der Modus der Erwählung des „ersten aller Propheten" Mose mit der Zeichengewährung wird als normatives Urbild für alle folgenden Erwählungen angesehen, so daß konsequenterweise auch Gideon ein Zeichen fordert. « Vgl. z.B. Spicq, Past 1,345; Goppelt: T h W N T 8,250,18f.; Brox, Past 115; Collins, Image 168; Lohfink, Theologie 80; Fiore, Function 198. - Ausgeschlossen ist die Interpretation von Holtz (Past 47), wonach die μέλλοντες πιστεύειν zur μακροθυμία nach dem Vorbild Christi aufgefordert werden sollen. Holtz übersieht, daß ύποτύπωσις hier nicht mit Dativ, sondern mit Genitiv konstruiert ist (vgl. u. Anm.48); diese wichtige Differenzierung spielt auch bei Lee (Words) und Fiore (Function 198 ff.) keine Rolle, während sie von Lohfink (Theologie 79 Anm.25) zwar erkannt, aber nicht zureichend erklärt wird (vgl. dazu ausführlich u. Anm.48). 47 Lohfink, Theologie 79, dessen Auflösung freilich die abschließende Bestimmung εις ζωήν αΐώνιον unberücksichtigt läßt.
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geschlossenen Genitiv (των μελλόντων πιστεύειν έπ' αύτφ) 48 ; anderenfalls müßte der Dativ stehen. 49 Dies heißt aber, daß der Vorgang (ύποτύπωσις ist nomen actionis) der .Rettung' des Paulus nicht einfach als am Anfang einer Reihe stehend angesehen wird bzw. als vorgängiges Exemplum, auf das zur Veranschaulichung oder Belehrung verwiesen wird 50 , fungiert, sondern daß in diesem Vorgang alle folgenden gleichartigen bereits urbildlich eingeschlossen sind. Zwischen dem Geschick des Paulus und dem der μέλλοντες πιστεύειν besteht von daher nicht die Distanz, die Raum dafür ließe, diese auf das Beispiel jenes zu verweisen. Vor allem die syntaktische Verbindung von ύποτύπωσις mit μέλλειν läßt, wie vergleichbare Formulierungen zeigen, erkennen, daß der erstgenannte Begriff hier im Sinne von .Urbild' verstanden werden 48 Der entsprechende neutestamentliche und außerneutestamentliche Sprachgebrauch (vgl. die Belege bei Goppelt: T h W N T 8,246 f.) ist in dieser Beziehung völlig eindeutig. Der bei Verbalsubstantiven für den Akkusativ des affizierten Objekts (vgl. Schwyzer, Grammatik II, 121; s. auch v. Blumenthal, ΤΥΠΟΣ 393 ff.) eingetretene adnominale Genitiv (Gen. object.) bei τύπος, ύπόδειγμα, ύποτύπωσις etc. bezeichnet immer den Gegenstand (z.B. Ex 25,8; l . C h r 28,11. 18. 20; Ez 42,15; Philo, vit.Mos. 2,34), die Personen oder Personengruppen (z.B. Röm 5,14; l . K o r 10,6; Hebr 8,5; Did 4,11; Ignatius, Magn 6,1: der Bischof als τύπος θεοΟ und die Presbyter als τύπος συνεδρίου των άποστόλων; Barn 7,10) oder die nicht gegenständlichen ethischen und theologischen Kategorien sowie die Verhaltensweisen (z.B. 4.Makk 6,19; Hebr 4,11; Jak 5,10; Ignatius, Magn 6,2), deren Vorausdarstellung, Ideal- oder Urbild der τύπος etc. ist. - Demgegenüber nennt der Dativ als Dativus commodi ohne Ausnahme immer diejenigen, die durch den τύπος belehrt werden und sich an ihm als einem Vorbild orientieren sollen (vgl. zB. 3.Makk 2,5; Joh 13,19; l.Thess 1,7; 2.Thess 3,9; Polykarp 8,2). - Besonders deutlich wird der Unterschied, wenn Genitiv und Dativ nebeneinander stehen: Sir 44,16 LXX: Henoch als ύπόδειγμα μετανοίας ταϊς γενεαϊς; 4.Makk 6,19: ήμεις γενοίμεθα τοις νέοις άσεβείας τύπος; OGIS 1,383,212ff.: τύπον δέ εύσεβείας ... έγώ παισίν έκγόνοις τε έμοΐς έμφανή(ι). 4
' Dies gilt im übrigen auch für die Mahnung an die Presbyter in l.Petr 5,3, sie sollten τύποι τοΰ ποιμνίου sein: Die Pointe der Argumentation in 1. Petr 5,1 ff. („Verzicht auf die Herrenrolle"; „die Vorgesetzten sind ... Diener"; Brox, l.Petr 232.231) kommt nur dann zum Ausdruck, und die Gegenüberstellung κατακυριεύοντες - τύποι τοΟ ποιμνίου ist nur dann eine sinnvolle Alternative (Brox' Formulierung „,nicht Herren ..., sondern Vorbilder'" [ebd. 232] ist wohl kaum ein echter Gegensatz; vgl. u. S. 194 f.: Es sind gerade die .Herren', die zur Vorbildlichkeit aufgefordert werden), wenn τύπος mit dem abhängigen Genitiv im Sinne der in vorstehender Anm. genannten Beispiele aufgefaßt wird: Nicht als .Herren' sollen die Presbyter ihr Amt versehen, sondern als „.solidarische'" (Brox, ebd. 232) Idealbilder der Herde, d.h. der von ihnen geleiteten Gemeinde. Anders gesagt: Die Presbyter sollen sich nicht über die ihnen untergeordneten Gemeindeglieder erheben, sondern diese Unterordnung in idealer Weise verkörpern. 50 Vgl. Lumpe: RAC 6,1229 ff. - Das Heilsgeschick des Paulus kann hier gerade auch deswegen nicht die Funktion eines Exemplum haben, weil dieses nach dem Verständnis der antiken Rhetorik stets „eine außerhalb der causa liegende Quelle hat": Es „ist eine von außen geholte probatio" (Lausberg, Handbuch § 411; s. auch Trillitzsch, Beweisführung 32 ff.; Fiore, Function 26 ff.). Und die in Rede stehende causa ist hier weder die μακροθυμία Christi noch der Weg anderer zum Glauben, sondern das Heilsgeschick des pastoralen Paulus selbst.
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will 51 . Von daher erscheint es als überaus problematisch, von diesem Text aus die Vorbildlichkeit des Paulus in den Pastoralbriefen darzustellen". 2. Die abschließende präpositionale Bestimmung εις ζωήν αΐώνιον ist - anders als dies in der Literatur durchweg und ohne weitere Erörterung vertreten wird 53 - nicht von πιστεύειν abhängig 54 , sondern bezieht sich syntaktisch auf ύποτύπωσις 55 , für welchen Sprachgebrauch es auch etliche Parallelen gibt56. Hinzu kommt einmal auf der literarischen Ebene, daß die Wendung εις ζωήν αΐώνιον oder überhaupt der Ausblick auf das (ewige) Leben als summarische Umschreibungen des eschatologischen Heils 57 in zahlreichen neutestamentlichen und altkirchlichen Texten die deutliche Tendenz haben, Text-, Sinn- und syntaktische Einheiten pointiert abzuschließen und damit jeweils den letztgültigen Horizont des vorausgegangenen Textes insgesamt zu formulieren 58 . Zum anderen wird damit auf der traditionsgeschichtlichen Ebene der enge Zusammenhang von Bekehrung und jenseitiger Heilsvollendung als deren eigentlichem Zielpunkt in zahlreichen Texten zum Ausdruck gebracht 59 . Und diesen Zielpunkt formuliert in l.Tim 1,16 die präposi51
Vgl. Ps. Isocrates, Demon. 34 (die Vergangenheit ist παράδειγμα ... των μελλόντων, der Zukunft also); Philo, vit. Mos. 2,74; Röm 5,14 (Adam ist τύπος τοΟ μέλλοντος); 2.Petr 2,6 (Sodom und Gomorra als ύπόδειγμα μελλόντων άσεβεΐν); Barn 7,10 (der Asaselbock ist τύπος τοϋ μέλλοντος πάσχειν Ίησοϋ); 12,2. 52 Lohfink, Theologie 79 ff.; vgl. auch Haufe, Irrlehre 334 f.; Collins, Image 165 ff. Zu der von Lohfink so genannten „.Sukzession' der Vorbildlichkeit" in den Pastoralbriefen (a.a.O. 81) s.u. S.153f. " Vgl. die Kommentare jeweils z. St.; v. Soden (Past 227) und Schlatter (Kirche 63) ordnen es ένδείξηται... την Άπασαν μακροθυμίαν zu. - Vollständig in die Irre geht Hasler (Epiphanie 203), der είς την ζωήν αΐώνιον auf πίστις und άγάπη in V. 14 bezieht: „die Tugenden des Glaubens und der Liebe, die vorerst einmal zur zukünftigen Erlangung des ewigen Lebens nötig sind". 54 Tritt εις zu πιστεύειν hinzu, so bezeichnet es immer und ohne jede Ausnahme den Gegenstand des Glaubens (vgl. die Zusammenstellung der neutestamentlichen Belege in V K G N T s.v. πιστεύειν [b]; l.Tim 1,16 ist hierunter mit Recht nicht verzeichnet). Dieser sprachliche Sachverhalt darf nicht einfach suspendiert und dem Verf. der Pastoralbriefe ein derart ungewöhnlicher Sprachgebrauch untergeschoben werden. Dibelius/Conzelmann (Past 25) tragen dem z.T. Rechnung, wenn sie die Beziehung als „locker" bezeichnen, ohne daraus freilich weitere Konsequenzen zu ziehen. 55 Vgl. bereits Bengel, Gnomon 819: „Potest construi cum exemplar". " Vgl. z.B. 2.Makk 6,28; Philo, vit.Mos. 1,119; l . K o r 10,6; 2.Thess 3,9; s. auch Philo, opif. m. 34 und die finale Bestimmung (ίνα) in eher. 29. " Vgl. Schottroff: E W N T 2,262. s « Vgl. Mt 25,46; Lk 18,30; Joh 3,15f.; 4,14; 11,26; Act 13,48; Röm 2,7; 5,21; 6,22; Gal 6,8; l.Tim 6,19; Tit 3,7; l . J o h 2,25; 5,20; Jud 21; 2.Clem 5,5; 8,4; 17,3; Ignatius, Eph 18,1. " Vgl. z. B. Philo, praem. 152: der Proselyt wird gepriesen, „weil... er zu Gott übergetreten ist und als dazu gehöriges Geschenk den sicheren Platz im Himmel empfangen hat (s. auch virt. 177); JosAs 8,9 (Abschluß des Gebets Josephs um Aseneths Bekehrung): „Sie
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tionale Wendung εις ζωήν αίώνιον, die wie die parallelen Formulierungen in den genannten Texten auch die Bestimmung des Urbildes - hier: des urbildlichen Geschicks des pastoralen Paulus - angibt: ewiges Leben für alle, die in dieser Weise zum Glauben kommen werden. Daraus folgt nun aber für l.Tim 1,16, daß der urbildlichen Bekehrung des Paulus gleichsam soteriologische Bedeutung für die μέλλοντες πιστεύειν zugeschrieben wird: In seinem Geschick liegt das eschatologische Heil all derer beschlossen, die nach ihm wie er zum Glauben kommen. An Paulus als erstem hat Gott urbildlich und normativ dargestellt, wie der Weg aller Glaubenden zu diesem Heil aussieht, und die Kontinuität zwischen Paulus und den zukünftig Glaubenden besteht in der Selbigkeit des Handelns Christi. - Dieser Gedanke ist von nicht zu überschätzender Bedeutung für das Paulusbild der Pastoralbriefe und ihr eigenes Selbstverständnis. Sie kann darüber hinaus geradezu zum Schlüssel für das Verständnis ihres sog. „exklusiven Paulinismus" 60 in seinen unterschiedlichen Aspekten werden, und zwar in einer ganz anderen und viel komplexeren Weise, als daß Paulus - wie Lohfink dies umschreibt - „zur Verkörperung des Evangeliums von der Gnade" 61 werde. Paulus ist nicht nur ein prominentes Beispiel des sich allen Menschen zuwendenden göttlichen Heilswillens, sondern er und sein Geschick sind selbst Bestandteil des Heilshandelns Christi an den Glaubenden. Wie dies dann in den Pastoralbriefen umgesetzt wird, wird in den folgenden Abschnitten ausführlich darzulegen sein; fürs erste soll aber noch kurz bei l.Tim 1,16 verweilt werden. Als unmittelbare Analogie für das urbildliche Heilsgeschick des pastoralen Paulus mit der über diesen hinausweisenden allgemeinen soteriologischen Perspektive legt sich sofort die Entfaltung der soteriologischen Bedeutung der Bekehrung Aseneths in JosAs 15,7 nahe: Aseneth wird als „gottgewolltes Urbild ... der Proselyten" 62 zur πόλις καταφυγής, in der „viele Völker Zuflucht finden werden" und die „allen, die sich bekehren, einen Ruheort im Himmel bereitet hat" 63 . Aseneth ist die gehe ein in deine Ruhe ..., und sie lebe in deinem ewigen Leben bis in ewige Zeit"; 15,7 (s. dazu gleich unten); Act 26,18; vgl. noch Berger, Missionsliteratur 237; Fischer, Eschatologie 112 f. sowie u. S.71 mit Anm. 14. 60 Brox, Past 73; Wanke, Paulus 174. 61 Lohfink, Theologie 82 mit weiterer Literatur (Anm. 35); vgl. auch Wanke, Paulus 172: l . T i m 1,15 werde „mit dem Hinweis auf Paulus . . . abgesichert". 62 Burchard, Untersuchungen 117 mit älterer Literatur (Anm. 5); vgl. auch ders.: JSHRZ 11/4,600: Aseneth war „für JosAs vielleicht die erste Heidin überhaupt", die sich zum Judentum bekehrte (die „Urproselytin"; ebd. 608), worin wiederum die Korrelation von chronologischer Priorität und Urbildfunktion sichtbar würde. " Vgl. auch Fischer, Eschatologie 113: „Dieser Satz macht zugleich deutlich, daß der . . . .Heilsweg' Aseneths der Heilsweg aller Proselyten ist, daß also Aseneth paradigmatische Bedeutung hat."
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„Mutterstadt" (μητρόπολις) aller, die sich wie sie zum Herrn bekehren (16,16). Sie erhält aufgrund ihrer urbildlichen Bekehrung also in der Hinsicht soteriologische Bedeutung für alle Proselyten, daß sie deren „Zion" wird 64 und daß mit ihrem individuellen Geschick das Geschick von vielen, nämlich aller Proselyten, zusammengebunden ist65; Burchard spricht in diesem Zusammenhang von „eine(r) bestimmte(n) Art von Identität" zwischen Aseneth und den Proselyten 66 . Entsprechendes gilt vor allem aber von Abraham, der als erster derjenigen, die sich zu Gott bekehrten 67 , zum κανών des Adels für alle Proselyten geworden ist (Philo, virt.219). Hierin vor allem wird sichtbar, wie zeitliche Priorität und Urbildfunktion zusammenfallen. Die soteriologische Bedeutung Abrahams wird über dessen Vater-Sein (Gen 17,5)68 und alle Völker einschließende Segnung (Gen 12,1-3) entfaltet: Seine Nachkommen werden des ihm verheißenen Heils teilhaftig, sofern sie dem Urbild Abrahams gleichen. Dies wird in unterschiedlichen Bezügen dargestellt: So kann die das Heil bereitende Verbindung entweder einfach in der äußeren Tatsache der leiblichen Abstammung begründet sein (vgl. Bill. 1,116 ff.) oder durch den Nachvollzug der Beschneidung Abrahams hergestellt werden (vgl. Bill. IV/l,31ff.) oder auch - teilweise in ausdrücklicher Abrogation des heilstiftenden Stellenwerts der leiblichen Abstammung (Philo, praem. 152) bzw. der Beschneidung (vgl. Rom 2,25 ff.; 9,6 ff.) - dadurch Zustandekommen, daß man sich wie Abraham bekehrt und darin seine Zugehörigkeit zu diesem erweist (Philo, virt.219 69 ; praem. 152; bChag 3a: Abraham der Vater der Proselyten 70 ) oder in derselben Weise wie er, nämlich durch ** Vgl. Burchard, Untersuchungen 118 f., der zeigt, daß hier die in Sach 2,15 LXX Zion geltende Weissagung auf Aseneth übertragen wird. 65 Neutestamentliche Parallelen dieses „Denkschemas" (a.a.O. 120) sieht Burchard in Röm 4; Gal 4,21-31; Mt 16,17-19 und („vielleicht") in Mk 14,24 par. Mt 26,28 (ebd. 121). " Burchard, ebd. 120. " Vgl. die o. S. 54 genannten Texte. - Auf die Vergleichbarkeit dieses Aspektes der Rollen Abrahams und Aseneths weist auch Burchard hin (vgl. JSHRZ 11/4,600). " Zum Vater als Prototyp vgl. Bauer, Wörterbuch 1260 (s.v. πατήρ 2f.). " Vgl. dazu Liihrmann, Henoch 113; im übergreifenden Kontext zeichnet Philo Abraham als „Prototyp derer, die wahren Adel nicht durch Abstammung, sondern allein aufgrund ihrer Gerechtigkeit besitzen" (Berger: TRE 1,377,19f.). - Diese Konzeption des nicht durch Abstammung, sondern durch Tugend erworbenen Adels ist stoisch (vgl. SVF III, 85,2 Iff.). 70 Im Genesis-Midrasch wird Abrahams prototypische Funktion als „erster" (bSuk 49b) bzw. „Vater" (bChag 3a; weitere Texte bei Bill. 111,211) der Proselyten dahingehend entfaltet, daß er selbst Nichtjuden zum Glauben führt und sie zu Proselyten macht; vgl. die von Bill. III, 195 f. angeführten Texte: BerR 30 (18 b; 1,274 Theodor/Albeck): Abraham war dazu bestimmt, „die ganze Welt zur Buße zu leiten"; 39 (24 b; 1,376 ebd.): Abraham soll „die Fernen herzubringen"; (24 c; 1,381 ebd.): Abraham „fing an, Prosely-
Gesamtbewertung
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Glauben, Gerechtigkeit erlangt (Rom 4,9 ff.; Gal 3,6 ff.; Hebr 11,8 ff.) 71 . Vor allem Gal 3,9 formuliert die inklusive Funktion Abrahams in bezug auf diejenigen, die wie er glauben: εύλογοϋνται συν τφ πιστφ 'Αβραάμ. - Aus dem Vorstehenden folgt, daß auf der Basis von l . T i m 1,15f. nicht die Vorbildfunktion des Paulus in den Pastoralbriefen, sondern deren Soteriologie darzustellen sein wird, insofern es hier wie in den vorgenannten Texten darum geht, eine Aussage über das Geschick des .Prototyps' zu machen und dieses als Vorausgestaltung des Geschicks der zu ihm gehörenden .Späteren' aufzuweisen 72 .
3.
Gesamtbewertung
Aus dem voraufgegangenen Abschnitt dürfte deutlich geworden sein, daß es sich in l . T i m 1,15 f. nicht um eine Argumentation a fortiori handelt, die von einem schweren Fäll (Paulus) auf minder schwere Fälle (die zukünftig Glaubenden) schließt und der .Erbauung' dienen soll, sondern daß der Text die zeitliche Priorität des Apostels und den prototypischen Charakter seines Geschicks herausstellen will. Chronologische Priorität begründet nicht nur Autorität, sondern setzt auch die Norm. Dadurch, daß an Paulus als erstem vor allen anderen und urbildlich für alle anderen Christus gezeigt hat, daß „er in die Welt gekommen ist, um die Sünder zu retten" (1,15), wird der Apostel zur Autorität κατ' έξοχήν sowie zur unbedingt verbindlichen Norm dieses soteriologischen Kerygmas: Durch sein prototypisches Geschick wird Paulus in einer Weise, die vor allem der Sicht der Bedeutung Abrahams im Frühjudentum vergleichbar ist, zum Garanten des Heils 1 . A u s d i e s e m G r u n d e ist d a s G e s c h i c k d e s P a u l u s a u c h nicht e i n f a c h ein „ s o t e r i o l o g i s c h e s Exempel" 2 , das d e n W a h r h e i t s b e w e i s f ü r die A u s s a g e v o n V . 15 erbringen soll. - In die Irre g e h t aber auch T r u m m e r s Erklärungsversuch, der d e m T e x t eine „spezielle p a r ä n e t i s c h e F u n k t i o n . . . f ü r die n a c h p l n A m t s t r ä g e r " z u s c h r e i b e n will u n d in i h m „ P [ a u l u s ] als das P a r a d i g m a e i n e r A m t s e i n s e t z u n g ten zu machen und sie unter die Flügel der Schechina zu bringen". Von hierher wird unmittelbar einsichtig, warum Abraham im Frühjudentum zur Zentralfigur der jüdischen Mission wurde (vgl. Georgi, Gegner 76 ff.; Mayer, Aspekte 122 f.). 71 Ebenso wird auch in der Henochtradition dem Geschick Henochs „prototypische Bedeutung" (Brandenburger, Fleisch 73; vgl. 69 ff.) zugeschrieben; vgl. äthHen 71,16; zum Gesamtzusammenhang s. Lührmann, Henoch. 72 Vgl. auch Rom 5,12ff.; l . K o r 15,21 f.: Die durch die Sünde hergestellte Zugehörigkeit zu Adam gibt Anteil an dessen Todesgeschick, die Zugehörigkeit zu Christus ( l . K o r 15,23: oi toö Χριστού) schließt die Teilnahme an dessen Auferstehung ein. 1
Gegen Merk, Glaube 96. Löning, Paulinismus 217; vgl. auch ders., Saulustradition 170 f.; Wanke, Paulus 117 sowie o. S.28 f. mit Anm.23. 2
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des nachpln Amtsträgers" erscheinen sieht3. Abgesehen von einigen Widersprüchlichkeiten in Trummers Argumentation 4 ist eine Beziehung des Heilsgeschicks des Paulus speziell auf „Amtsträger" in dem Text beim besten Willen nicht zu entdecken. Im Gegenteil: Dadurch, daß erstens ausdrücklich gesagt wird, auf wen dieses Geschick bezogen ist und in welchem Horizont es verstanden werden will, nämlich auf die μέλλοντες πιστεύειν und εις ζωήν αίώνιον, tritt zweitens die grundsätzliche Unvergleichbarkeit der paulinischen Amtseinsetzung und derjenigen der nachpaulinischen Amtsträger deutlich hervor, welch letzterer eben nicht diese über sich selbst hinausweisende Bedeutung der paulinischen Bekehrung und Amtseinsetzung zukommt. Die soteriologische und ,amtliche* Individualität des paulinischen Geschicks darf darum nicht in dieser Weise relativiert werden. Darüber hinaus unterscheidet sich aufgrund ihrer Priorität die paulinische nicht nur zeitlich, sondern kategorisch von allen späteren Amtseinsetzungen: Kein einziger der nachpaulinischen Amtsträger wird nach dem „Paradigma" des paulinischen Geschicks in sein Amt eingesetzt, denn nur das paulinische Amt' ist durch Christi Heilshandeln direkt konstituiert und nur dieses hat normative Funktion. Und deswegen ist die paulinische Amtseinsetzung auch nicht „eine" unter anderen, sondern die „einmalige Beauftragung und Stärkung" des Apostels schlechthin5. Damit schließt sich der Kreis des Gedankengangs von l . T i m 1,12-17: Dieser Text ist veranlaßt durch die in V. 11 thetisch herausgestellte Beauftragung mit dem Evangelium und bleibt durchgängig darauf bezogen. Thema dieser brieflichen Selbstvorstellung zu Beginn des Corpus Pastorale ist darum die Erklärung und Begründung dieser Beauftragung. In V. 15 wird das dem Apostel anvertraute Evangelium inhaltlich bestimmt, und des Paulus' Amtseinsetzung (V. 12.14) wird in V. 16 dahingehend entfaltet, daß der vormalige Gottesfeind Paulus (V. 13) das Heilshandeln Christi als Inhalt dieses Evangeliums als erster und prototypisch erfahren hat 6 . Hierin und in nichts anderem liegt darum der Grund für die in den Pastoralbriefen wiederholt formulierte
3 Trümmer, Paulustradition 119 (gemeint ist wohl die Bekehrung des Paulus); vgl. auch Lohfink, Theologie 78. 4 Auf der einen Seite „soll sich der nachpln Heide in P[aulus] wiedererkennen" (Trümmer, Paulustradition 118), dann wieder ist Paulus Paradigma eines nachpaulinischen Amtsträgers. Dieser Widerspruch wird auch nicht durch die abschließende Zusammenfassung (Paulus sei als „Vorbild für die nachpln hellenistische Missionssituation und vor allem als Beispiel für den nachpln Amtsträger" gesehen; ebd. 120) beseitigt. V. 13 und V. 16 gehören doch zusammen, und es ist mehr als unwahrscheinlich, daß der nachpaulinische Amtsträger sich als ehemaligen Heiden begreifen soll (vgl. l.Tim 3,6). s Trümmer, ebd. 120 (Hervorhebung von mir). ' Lohfink (Theologie 78) verkürzt darum den Sachverhalt, wenn er „die entscheidende Wende im Leben des Paulus . . . als Amtseinsetzung formuliert" sieht (Hervorhebung im Original): l . T i m 1,12-14 darf nicht unter Absehung von V. 15f. betrachtet werden, und dann ist die entscheidende Wende die prototypische Errettung, aus der sich die Amtseinsetzung erst ergibt.
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Behauptung, daß ihm das εύαγγέλιον (l.Tim 1,11; 2.Tim 1,10), das μαρτύριον (l.Tim 2,6) und das κήρυγμα (Tit 1,3) von Gottes und Christi Heilshandeln an den Glaubenden anvertraut wurde, und vor allen Dingen dafür, daß er allein und ausschließlich es normativ vertritt 7 . Die Darstellung der Einsetzung des Paulus in sein apostolisches Amt als Bekehrung des Gottesfeindes interpretiert der Verfasser der Pastoralbriefe in der Weise, daß der Inhalt des Evangeliums, das Paulus zur Verkündigung anvertraut wurde, deckungsgleich ist mit dessen eigenem Heilsgeschick, welches eben dadurch zur Berufung und Amtseinsetzung wird. Und insofern diesem Heilsgeschick prototypische Bedeutung zukommt, wird Paulus zum normativen Ursprung der Lehre und der Verkündigung der Heilsbotschaft. Formgeschichtlich kann l.Tim 1,12-17 aufgrund des Anfangs und des doxologischen Abschlusses (V. 17) als literarisch gestalteter Dankhymnus angesehen werden. Es finden sich in diesem Text wesentliche und spezifische Elemente dieser Gattung 8 : Einleitungsformel (χάριν εχω) mit Angabe des Grundes (V. 12); Rückblick auf die Zeit davor, die dem Notbericht der alttestamentlichen Danklieder des einzelnen entspricht (V. 13); Rettungsbericht (V. 14); abschließendes hymnisches Bekenntnis (V. 17). Eine gewisse Analogie stellen die „,berichtende(n) Loblieder des Offenbarungsmittlers'" 9 , die sog. .Lehrerlieder', aus den Hodajot dar ( 1 Q H 2,1[?]-19; 2,20-30 10 ; 4,5-5,4; 5,5-19.20-36[?]; 7,6-25; 8,4-40 [?]). Gegenstand des Dankes ist die als prototypische Errettung verstandene Bekehrung des Paulus und die darin bestehende Erwählung und Amtseinsetzung. Die nächste traditionsgeschichtliche Parallele dürfte in dem bereits erwähnten 11 Dank für Offenbarung und Erkenntnis als Dank für darin sich aussprechende Erwählung und Beauftragung zur Verkündigung vorliegen: Der Empfänger der Offenbarung - dies berührt sich wieder mit dem Prioritätstopos, insofern jener der erste ist, dem sie zuteil wird (vgl. das Beispiel des Petrus 12 ) - ist zur Weitergabe ihres Inhalts berufen und autorisiert. 7 Vgl. bereits Roloff, Apostolat 240 f. - Aus diesem Grunde verfehlt aber auch Haslers Fazit zu l.Tim 1,15 („Der Blick fällt nicht zurück auf ein bereits vollbrachtes Heilswerk Christi..., sondern er erhebt sich himmelwärts zum regierenden Kyrios"; Epiphanie 203; vgl. auch Oberlinner, .Epiphaneia' 206) den Skopus des Textes: Nicht auf den „thron e n d e ^ ) Herr(n)" (Hasler, ebd.) wird hier der Blick gelenkt, sondern auf Paulus als den ersten der geretteten Sünder und auf dessen urbildliches Heilsgeschick, in dem das eschatologische Heil aller zukünftig Glaubenden beschlossen liegt und das eben doch „ein bereits vollbrachtes Heilswerk Christi" (ebd.) darstellt. ' Vgl. vor allem Morawe, Aufbau 21 ff. 108 ff.; Crüsemann, Studien 210 ff.; Westermann, Lob 76 ff. ' Kuhn, Enderwartung 23; vgl. dazu Morawe, Aufbau 108 ff. 10 Vgl. dazu Kuhn, Enderwartung 24. 11 S.o. S.38 mit den in Anm.44 genannten Texten. 12 S.o. S.51 ff. und u. S. 104f.
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Priorität und Soteriologie
Durch l.Tim 1,12-17 als brieflicher Selbstvorstellung des pastoralen Paulus und deren Darstellung der Amtseinsetzung als in der prototypischen Priorität des paulinischen Heilsgeschicks gründend wird die Basis gelegt für die exklusive Autorität, mit der die Pastoralbriefe den Apostel dann in ihrem weiteren Verlauf auftreten lassen. - Dies kann nun nach zwei Seiten hin entfaltet werden: Zum einen in bezug auf die Soteriologie der Pastoralbriefe (Abschn. II) und zum anderen in bezug auf das für die drei Briefe spezifische Traditionsverständnis (Abschn. III).
II. Priorität und Soteriologie 1. Zur Soteriologie
der
Pastoralbriefe
a) Die charakteristische Grundstruktur der Soteriologie der Pastoralbriefe wird in der exegetischen Literatur darin gesehen, daß in ihnen Gott als das maßgebliche „Subjekt des erlösenden Heilsgeschehens" 1 gelte und daß das Christusgeschehen die Realisierung des universalen Heilswillens Gottes darstelle. Dies läßt Oberlinner in Ubereinstimmung mit dem allgemeinen Konsens 2 von einer „unübersehbare(n) und . . . ganz bewußt vorgenommene(n) Unterordnung der .Retter'-Funktion (sc. Christi) unter die .Souveränität Gottes'" bzw. von einer „funktionalen Hinordnung des Heilswerkes Jesu auf die von Gott initiierte und bleibend von ihm getragene Heilsgeschichte" sprechen 3 . Diese Struktur sei greifbar in der Bezeichnung Gottes als σωτήρ (l.Tim 1,1; 2,3; 4,10; Tit 1,3; 2,10; 3,4) 4 und finde ihren spezifischen Ausdruck in dem Be1
v. Lips, Glaube 88; vgl. auch Trümmer, Paulustradition 185. Vgl. Windisch, Christologie 226; Hasler, Epiphanie; v. Lips, Glaube 88 („subordinatianische Christologie") u.a. 3 Oberlinner, .Epiphaneia' 199. - Dies wird zusätzlich illustriert durch das gegenüber den authentischen Paulusbriefen vollständige Fehlen von .soteriologischen Kurzaussagen' (δια Χριστοϋ u.ä.); die einzige Ausnahme in Tit 3,6 gehört zu einer älteren Tauftradition. 4 Dieser Titel solle dann „im Rahmen der Epiphanie theologie" (Windisch, Christologie 228) auch auf Christus übergehen (2. Tim 1,10; Tit 2,13; 3,6; auch Tit 1,4; außerhalb der Past im NT: Lk 2,11; Joh 4,42; Act 5,31; 13,23; Eph 5,23; Phil 3,20; 2.Petr 1,1.11; 2,20; 3,2.18; 1. Joh 4,14; bei den Apostolischen Vätern: Ignatius, Eph 1,1; Magn inscr.; Phld 9,2; Smyrn 7,1; Polykarp, Phil inscr.; 2.Clem 20,5). -. Trotz des weitgehenden Konsenses, die Übertragung des σωτήρ-Titels auf Christus müsse, da anders als die Bezeichnung Gottes als .Retter' (vgl. Foerster/Fohrer: T h W N T 7,1031 ff.; Schelkle: E W N T 2
Soteriologie der Pastoralbriefe
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griff έπιφάνεια und den anderen Derivaten des Wortstammes. Hiermit wird, wie Lührmann gezeigt hat5, summarisch das rettende und helfende Eingreifen Gottes zugunsten der Menschen umschrieben: Die Gnade (2.Tim 1,10; Tit 2,11) bzw. die Freundlichkeit und Menschenliebe (Tit 3,4) Gottes sind im Christusgeschehen insofern .offenbar1 geworden, als sich in diesem als Heilsgeschehen verstandenen Ereignis Gottes .helfendes Eingreifen' realisiert hat. Mit diesen Aussagen sprachlich (έπιφάνεια von Attributen Gottes) und inhaltlich vergleichbar sind 3.Makk 2,19; 6,4.39, wo das έπιφαίνειν der Barmherzigkeit Gottes verstanden ist als Erfahrung der Rettung Israels durch Gottes Eingreifen. Es widerspricht darum dem Textbefund in den Pastoralbriefen, wenn Hasler den ,Heilswillen Gottes' und dessen .Epiphanie' im Christusgeschehen in der Weise auseinandertreten läßt, daß letzteres seinen heilswirksamen Ereignischarakter verliert6 und „Karfreitag und Ostern ... lediglich Kerygma, kein Heilsfaktum" mehr seien7. Gerade die Übertragung des σωτήφ-Titels auf Christus (2. Tim 1,10; Tit 2,13; 3,6) und hier vor allem 2. Tim 1,10 machen den soteriologischen Ereignischarakter des Christusgeschehens deutlich: Wenn in diesem Text von der „έπιφάνεια unseres Retters Christus Jesus" die Rede ist, so wird unter der Voraussetzung, daß auch hier mit έπιφάνεια „nicht einfach das .Erscheinen' Jesu, sondern das helfende Eingreifen" gemeint ist8, 3,782) alttestamentlich und innerjüdisch nicht ableitbar, aus „der geläufigen Verwendung dieses Titels in der Gottesverehrung und im Herrscherkult der griechisch-hellenistischen Welt" hergeleitet werden (Oberlinner, .Epiphaneia' 198; ebd. Anm.28 weitere Vertreter), wird man den Einfluß von innerchristlichen Sprachtraditionen nicht unterschätzen dürfen: Auszugehen ist von der im Neuen Testament breit belegten Hinordnung von σψζειν und σωτηρία als zentralen Deutungskategorien des Heilsgeschehens auf Christus, sei es in bezug auf das Geschehen in Kreuz und Auferstehung, sei es in bezug auf sein zukünftiges eschatologisches Rettungshandeln. Im Zuge der zunehmenden Titularisierung innerhalb der Entwicklung der frühchristlichen Christologie gerinnt die Bestimmung der rettenden und erlösenden Funktion Christi und des Christusgeschehens zur Bezeichnung und formelhaften Titulierung jenes als σωτήρ. Der Verwendung des Begriffs im Herrscherkult (vgl. die Darstellung bei Foerster: T h W N T 7,1009 ff.) dürfte in diesem Zusammenhang allenfalls ein mittelbarer terminologischer Einfluß zukommen, insofern die titulare Verwendung von σωτήρ im Sprachgebrauch der Umwelt bereitlag und die Übertragung dieses Titels auf Christus assoziativ erfolgen konnte, wie ja auch an anderen Stellen Kategorien des hellenistischen Herrscherkults auf Christus übertragen wurden. Sachlich maßgebend bleibt jedoch der innerchristliche Traditionshintergrund (vgl. auch Brox, Past 233; Quinn, Jesus 251: „The title hypostatized the action designated by sözein"). 5 Lührmann, Epiphaneia, bes. 197ff.; s. auch Oberlinner, .Epiphaneia' 200ff. * Vgl. Hasler, Epiphanie 207: Der Tod Jesu ist „nicht als Heil schaffende Versöhnung verstanden. Seine soteriologische Bedeutung besteht lediglich darin, dass er den ewigen Heilsbeschluss Gottes, allen Menschen das ewige Leben in Aussicht zu stellen, offenbart hat". Haslers Urteil beruht auf einem unsachgemäßen Epiphanie-Begriff. 7 Hasler, Epiphanie 202; zur Kritik vgl. Oberlinner, .Epiphaneia' 206 Anm.66. * Lührmann, Epiphaneia 198.
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Priorität und Soteriologie
doch deutlich, daß es dabei um nichts anderes als um das Rettungshandeln Christi zugunsten der Glaubenden geht. Dem widerspricht auch nicht das nachklappende δια toö εύαγγελίου (V. 10), das auf der einen Seite wieder auf die übergreifende Argumentationsebene zurücklenkt 9 und auf der anderen Seite die Einsetzung des pastoralen Paulus in sein apostolisches Amt mit dem Heilsgeschehen zusammenbindet. Zufolge 2. Tim 1,9 entspricht dieses Heilshandeln Christi dem vorzeitlichen Ratschluß Gottes, durch den uns bereits προ χρόνων αιωνίων die Gnade έν Χριστφ Ίησοϋ gegeben wurde. Dieser Aussagezusammenhang berührt sich zunächst eng mit Eph 1,4 (Gott hat uns erwählt έν αύτφ [Christus] προ καταβολής κόσμου) 10 . Die Formulierung έν Χριστφ Ίησοϋ in 2. Tim 1,9 ist instrumental zu verstehen 11 und will weder die vorzeitliche Präexistenz Christi noch diejenige der Gläubigen in ihm zum Ausdruck bringen. Die Verankerung der Realisierung der Gnade im Christusgeschehen in Gottes vorzeitlichem Ratschluß soll vielmehr das ού κατά τά εργα (V. 9) begründen, wie Trümmer richtig feststellt: „Gottes Gnade kann ihren Maßstab schon rein deswegen gar nicht an unseren Werken nehmen, weil unsere Erwählung zum Heil in Christus bereits vor Grundlegung der Welt erfolgte." 12 Dasselbe argumentative Gefälle weist Rom 9,11 f. auf, weshalb man sagen kann, daß der Verfasser der Pastoralbriefe hier (wie auch in Tit 3,3 ff.) durchaus ,paulinisch' argumentiert, auch wenn sich bei ihm die für Paulus spezifische Schärfe der Konturierung seiner Rechtfertigungstheologie durch die Antithetik von Gesetz und Glaube (vgl. allerdings l.Kor 6,9-11; dazu gleich im folgenden) nicht wiederfindet 13 . Soteriologische Aussagen finden sich in den Pastoralbriefen an sechs Stellen: l.Tim l,15f.; 2,4-6; 2.Tim l,9f.; Tit l,2f.; 2,11-14; 3,3-7. Diese Texte lassen sich leicht gruppieren: Auf der einen Seite stehen Tit 2,11-14; 3,3-7, welche Texte vom Einst-Jetzt-Schema geprägt sind und motivatorische Funktion in bezug auf die Weisungen des Kontextes haben. Sie machen diese Weisungen
' S. dazu u. S. 215 f. Hofius (.Erwählt ...') nennt dazu als „echte sachliche Entsprechung" (124) JosAs 8,9 und die rabbinische Auslegung von Ps 74,2, worin sich „der Gedanke einer vorweltlichen Erwählung des Gottesvolkes" (128) ausspreche (vgl. auch AssMos 1,13, wenn man nicht mit Clemen: KIT 10, z.St. in 1,12 statt „plebem" „legem" lesen muß). 11 Vgl. Allan, Formula 120, der auf die terminologische Parallele in l.Kor 1,4 hinweist. Fischer, Tendenz 115 nimmt auch für έν αύτφ in Eph 1,4 ein instrumentales Verständnis an; anders Schnackenburg, Eph 51. 12 Trümmer, Paulustradition 188 mit Hinweis auf Eph 1,4 (Hervorhebung im Original). 13 Vgl. Luz, Rechtfertigung 376 ff.; Mußner, Petrus 95 ff.; Marshall, Faith 207. 10
Soteriologie der Pastoralbriefe
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zu postconversionalen Mahnreden 14 , die die Intention haben, das geforderte Verhalten als zwangsläufige Konsequenz des durch das Heilsgeschehen bewirkten Umbruchs darzustellen. In diesem Sinne kennzeichnen die Laster (Tit 2,12; 3,3) jeweils die Zeit vor der Wende. Es geht hier also um die Forderung eines Verhaltens, das mit der neu gewonnenen christlichen Identität übereinstimmt, und wer sich nicht in der angegebenen Weise verhält, geht dieser Identität verlustig und fällt in die Zeit davor zurück. - In der gleichen Weise wie vor allem Tit 3,3-7 argumentiert auch Paulus in l . K o r 6,9-11 15 . Beide Texte, die jeweils auf ältere Tauftradition zurückgreifen 16 , sind in mehrfacher Hinsicht erstaunlich parallel gestaltet: Einst-Jetzt-Schema, in dem das Einst mit Hilfe eines Lasterkatalogs beschrieben wird ( l . K o r 6,9f. - και ταΰτά τίνες ήτε, V. 11; Tit 3,3 - ήμεν γάρ ποτε και ημείς); reditus ad baptismum (l.Kor 6,11; Tit 3,5f.); δικαιοϋσθαι ( l . K o r 6,11; Tit 3,7); Ausblick auf das eschatologische Heil (βασιλείαν θεοϋ κληρονομεϊν, 1. Kor 6,10; κληρονόμοι... ζωης αιωνίου, Tit 3,7); beide Texte dienen schließlich der Begründung paränetischer Weisungen. Da eine literarische Abhängigkeit von Tit 3,3-7 von 1. Kor 6,9-11 auszuschließen ist, dürfte die weitgehende Ubereinstimmung der beiden Texte und das scheinbare Auseinanderfallen von Soteriologie und Ethik in ein zeitliches Nacheinander, wie dies für Tit 3,3-7 immer wieder behauptet wird, in der Gattung der Texte als postconversionalen bzw. -baptismalen Mahnreden begründet sein17. Die anderen vier Texte unterscheiden sich von den beiden genannten zunächst dadurch, daß sie keinen unmittelbaren paränetischen Kontextbezug aufweisen. Darüber hinaus ist ihnen gemeinsam, daß sie alle das Heilsgeschehen mit der Einsetzung des pastoralen Paulus in sein apostolisches Amt verbinden. Dies geschieht entweder in der Weise, daß soteriologische Aussagen in die Selbstvorstellung des Apostels einbezo14 Vgl. Berger, Formgeschichte 130 ff.; zu παιδεύειν als ethischem Bekehrungsbegriff s. Mott, Ethics 30 ff. 15 S. auch Hahn, Taufe 105. Daß l.Kor 6,1-11 durch V.9-11 den formgeschichtlichen Charakter einer postbaptismalen Mahnrede bekommt, wird von Schnelle (Gerechtigkeit 38 f. 42 ff.) nicht erkannt, weil er mit einem methodisch zu engen Begriff von Formgeschichte arbeitet und die formgeschichtliche Analyse ausschließlich auf die Frage nach der vorpaulinischen mündlichen Uberlieferungseinheit eingrenzt (vgl. ebd. 39). 16 Vgl. Conzelmann, l.Kor 128f.; Schnelle, Gerechtigkeit 39. 17 Vgl. zur Gesamtproblematik u. S.93ff. - Im übrigen zeigt l.Kor 6,9-11, daß auch Paulus in diesem Kontext das Rechtfertigungsgeschehen ohne Rückgriff auf die πίστις bzw. die Antithetik von Gesetz und Glaube darstellen kann. Daß das δικαιωθηναι in l. Kor 6,11 nicht von den Rechtfertigungsaussagen des Gal und Rom her verstanden werden darf, hat nach dem Vorgang von Heitmüller (Taufe 12) unlängst Schnelle erneut gezeigt (Gerechtigkeit 40). Von daher ist es sachlich unangemessen, Tit 3,3-7 den Aussagen von Gal und Röm gegenüberzustellen und hier die Radikalität der paulinischen Rechtfertigungstheologie aufgeweicht zu sehen.
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Priorität und Soteriologie
gen werden (l.Tim 1,12-14/15-16; Tit 1,1-3) oder daß die Darstellung des Heilsgeschehens auf den pastoralen Paulus hin verlängert wird (l.Tim 2,4-6/7; 2.Tim 1,9-10/11), wobei der Übergang jeweils syntaktisch unsauber ist. - Damit stehen wir aber schon vor der für unsere Untersuchung maßgeblichen Frage nach der Einbeziehung des Paulus in die Soteriologie der Pastoralbriefe. b) In der exegetischen Literatur wird diese Problematik zumeist unter der Überschrift „Der Apostel und das Evangelium" o. ä. verhandelt18. Dies hat seinen Grund in der dargestellten Bindung der Aussagen über die Amtseinsetzung des pastoralen Paulus an die Darstellung des Heilsgeschehens. Dabei läßt der Verfasser der Pastoralbriefe den Apostel von seiner Beauftragung immer nur in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Heilsgeschehen sprechen, wobei die Verknüpfung jeweils mit Hilfe eines der „synonymen" 19 Begriffe εύαγγέλιον (2. Tim 1,10; vgl. l.Tim 1,11), κήρυγμα (Tit 1,3) bzw. μαρτύριον (l.Tim 2,6) hergestellt wird. Paulus wurde dazu .bestimmt' (τιθημι εις; l.Tim 2,7; 2.Tim 1,11), bzw. es wurde ihm .anvertraut' (πιστεύομαι, l.Tim 1,11; Tit 1,3) 20 . - Dieser Textbefund wird dabei in der Weise interpretiert, daß die Verkündigung des Evangeliums in den Pastoralbriefen als „Vermittlung des Heilsgeschehens" 21 , ja sogar, in direkter Anknüpfung an den authentischen Paulus, als „Heilsereignis" selbst" angesehen wird. Diese Verknüpfung von Heilsgeschehen und Beauftragung des pastoralen Paulus kann jedoch vielleicht noch profilierter dargestellt werden, wenn man sie von l.Tim 1,12ff. her zu verstehen sucht. Daß dies, obwohl es in der Literatur fast durchweg versäumt wird23, nicht nur sinnvoll, sondern geboten ist, erhellt vor allem aus der programmatischen Stellung dieses Textes als brieflicher Selbstvorstellung zu Beginn des Corpus Pastorale. Aus diesem Grunde sollen die genannten Texte, in denen das Heilsgeschehen hinsichtlich seines materialen Zustande18 Vgl. Wanke, Paulus 170; Lohfink, Theologie 93; Roloff, Apostolat 239 („Der Apostel und das Kerygma"). " Vgl. Burchard, Formen 325 f.; v. Lips, Glaube 41 f.; Lohfink, Theologie 94. 20 S. dazu o. S.40 Anm.56. 21 v. Lips, Glaube 43; vgl. auch ebd. 91. 22 Lohfink, Theologie 95; vgl. auch Oberlinner, ,Epiphaneia' 202 f. 23 Dieser Zusammenhang wird allein von Roloff (Apostolat 239 ff.) und Wanke (Paulus 172) hergestellt, die ihn allerdings eher argumentativ und ohne Berücksichtigung der die Glaubenden inkludierenden soteriologischen Komponente auffassen: Paulus sei „lebendiger Rtlckverweis auf die Kraft des Evangeliums" (Roloff, a.a.O. 240) bzw. „lebendige Illustration ihrer [der in l.Tim 1,15 formulierten Tradition] Zuverlässigkeit" (Wanke, a.a.O. 172); vgl. zu l.Tim 2,5-7 auch Dibelius/Conzelmann, Past 36 („jedenfalls liegt wieder das Schema von 1,15 vor") und Kretschmar, Glaube 118 („das gleiche Gedankengeftige"). 129.
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kommens dargestellt und mit der Amtseinsetzung des Apostels verbunden wird, daraufhin befragt werden, inwieweit sie von l.Tim 1,15f. her und als Entfaltung der hier richtungweisend formulierten Einbeziehung des pastoralen Paulus in dieses Heilsgeschehen verstanden werden können. Einer ausführlichen Analyse sollen l.Tim 2,4-7 und Tit 1,1-3 unterzogen werden; 2.Tim 1,9-11 soll dabei durchgängig mit im Blick behalten werden.
2. l.Tim
2,4-7
Die Argumentationsstruktur dieser in Anweisungen zum christlichen Gebet (l.Tim 2,1-3.8-10) eingeschobenen1 Passage ist bestimmt durch das Nebeneinander von selbständiger Formulierung des Verfassers der Pastoralbriefe und der Wiedergabe von älterer Gemeindetradition. In V.4 wird in einem Relativsatz, der das Retter-Sein Gottes (V. 3) expliziert - die Wiederholung desselben Wortstammes (σωτήρ - σωθήναι) im Nebensatz entspricht der Stilfigur der Paronomasie 2 -, die These formuliert: Gott „will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen" (πάντας άνθρώπους θέλει σωθηναι και εις έπίγνωσιν άληθείας έλθεϊν). Zur Begründung (γάρ)3 werden in V. 5-6 a zwei traditionelle Formulierungen angeführt, die die Rettung als im Christusgeschehen begründet darstellen. Der Verfasser der Pastoralbriefe verknüpft hier eine doppelte είς-Akklamation mit einer Selbsthingabeformel4, welch letztere wiederum entfaltet, inwiefern Christus der μεσίτης θεοϋ και άνθρώπων ist: in der Weise, daß er sich selbst als άντίλυτρον ύπερ πάντων hingegeben hat. Dabei ergänzt der Verfasser an der Nahtstelle noch die Wendung άνθρωπος Χριστός Ίησοϋς. Textlinguistisch betrachtet, handelt es sich in V. 4-6 a um eine rekursive Argumentation5: Eine These oder Aussage wird durch eine folgende Aussage begründet, die dann wiederum durch eine weitere begründet wird, usw. Mit jeder Begründung wird dabei auf eine ,tiefere' 1 Dabei korrespondiert wohl die Ermahnung rum Gebet für alle Menschen (V. 1) dem sich auf alle Menschen richtenden Heilswillen Gottes (V.4) (vgl. Ignatius, Eph 10,1: Gebet für die anderen Menschen, „denn es besteht bei ihnen Hoffnung auf Umkehr, damit sie Gott erreichen"; Weiß, Past 110; Wohlenberg, Past 107 u.a.; zuletzt Kretschmar, Glaube 129). 1 Vgl. Blaß/Debrunner/Rehkopf, Grammatik § 488,1; Lausberg, Handbuch § 637. 3 Zum BegrUndungsverhältnis von V.4 und V.5 vgl. ausführlicher u. S.73ff. 4 Zu den überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhängen der beiden Traditionsstücke vgl. Kramer, Christos 9 1 f f . l l 2 f f . ; Popkes, Christus 196ff.271ff.; Wengst, Formeln 71 ff. 136ff.; Kerst, Taufbekenntnis 132ff.; Vielhauer, Geschichte 16ff.32ff. s Vgl. dazu Schnelle, Explikation 68 (Definition 13: „retrogredierender argumentativer Text": Die Prämissen folgen den Konklusionen nach); Wonneberger, Ansätze 172f.
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Priorität und Soteriologie
Argumentationsebene herabgestiegen. - V . 6 b (τό μαρτύριον καιροΐς ιδίοις)6 kehrt auf die Textebene von V.4 zurück, und zwar mit Hilfe der vielfach belegten semantischen Korrespondenz von μαρτύριον und έπίγνωσις sowie μαρτύριον und αλήθεια (das Zeugnis führt zur Erkenntnis, und zwar - wenn es zutreffend ist - zur Erkenntnis der Wahrheit) bzw. der anderen Derivate der drei Wortstämme 7 . Dadurch bezieht die syntaktisch „hart nachgestellte"8 Wendung die Aussage über die Selbsthingabe Jesu (V. 6 a) auf V. 4 b (εις έπίγνωσιν άληθείας έλθεϊν) 9 , so daß im Argumentationsgefälle des Textes ein Rahmen um die beiden Traditionsstücke gelegt ist, zu dem auch noch dessen Anbindung an den apostolischen Auftrag des Paulus in dem syntaktisch an μαρτύριον angeschlossenen V. 7 gehört, worin die gesamte Argumentation ihren sachlichen Zielpunkt findet. a) Heil durch Erkenntnis der Wahrheit
(V.4f.)
α) In V.4 sollte das Verhältnis der beiden Satzhälften zueinander, d. h. das Verständnis des sie verknüpfenden καί, nicht unerörtert bleiben: Es hat dabei einige Wahrscheinlichkeit für sich, daß καί hier nicht einfach zwei gleichrangig nebeneinanderstehende Satzteile koordiniert,
6 Für μαρτύριον ist hier wie auch in 2.Tim 1,8, womit das in V. 10 beschriebene Heilsgeschehen gemeint ist, vom spezifischen Wortsinn als „eines objektiv vorliegenden Zeugnisses oder Beweismittels" (Strathmann: T h W N T 4,488,26; vgl. auch ebd. 480,19ff.; 508,29 ff.; Beutler, Martyria 47 f.; Bauer, Wörterbuch 976) auszugehen. 7 Für die Verbindung von Zeugnis und Erkenntnis vgl. z.B. Ψ 118,152; Jes 43,10 LXX („ihr seid meine Zeugen, und ich bin Zeuge ..., damit ihr erkennt und glaubt und versteht, daß ich es bin; vor mir war kein anderer Gott, und nach mir wird keiner sein"); Philo, somn. 1,231 („dies bezeugt [μαρτυρεί] der Spruch [Ex 3,14] ..., damit der Mensch ... Gottes Existenz erkennen kann [έπιγνφ]"); Ps.Philo,Jon.25 (95) („als Zeugen für [all] dies [braucht man nur] mich anzusehen. ... Man wird das Sinnbild der Wahrheit verstehen und ... in allem an dich glauben"; Übers. Siegert); äthHen 89,63 („damit es mir zum Zeugnis gegen sie sei, und ich alles Tun der Hirten weiß"); μαρτυρία und εΐδέναι auch Demosthenes, or. 29,39; 39,20; 49,18; im Neuen Testament ist diese Verbindung in Joh 2,25; l . K o r 1,5f. belegt. - Die Zahl der Belege für die synsemantische Verbindung der Wortstämme μαρτ- und άληθ- ist noch weitaus größer (für die Profangräzität vgl. Strathmann: T h W N T 4,479ff.; Beutler, Martyria 45ff., bes. 47 Anm.21); neutestamentlich: Joh 3,32f.; 5,32f.; 8,13f.l7; 18,37; 19,35; 21,24; Rom 9,1; Tit 1,13; l.Petr 5,12; 1. Joh 5,6; 3. Joh 3.12; Apk 3,14. - Dem semantischen Verhältnis von έπίγνωσις άληθείας und μαρτύριον in l.Tim 2,4. 6 entspricht am ehesten der oben zitierte Text von Ps.Philo, Jon 25 (95). * Hasler, Epiphanie 205. ' τό μαρτύριον καιροΐς ιδίοις ist darum weder als „Attribut zu Χριστός Ίησοϋς" noch als „Objekt zu ό δούς" (Trümmer, Paulustradition 120 Anm.59) zureichend erklärt. Trümmer prolongiert damit auch nur die syntaktischen Erleichterungsversuche der handschriftlichen Uberlieferung (vgl. den textkritischen Apparat z. St.).
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sondern explikativ zu verstehen ist10: εις έπίγνωσιν άληθείας έλθεΐν 11 bildet die inhaltliche Näherbestimmung von σωθηναι, und zwar in der Weise, daß die Rettung als in der Erkenntnis der Wahrheit gründend angesehen wird12. Dafür spricht zum einen, daß ,zur Erkenntnis kommen' oder .erkennen' in frühjüdischem und -christlichem Traditionszusammenhang als Termini technici im Zusammenhang von Bekehrung und zu deren Umschreibung gebraucht werden13 und dabei die entscheidende Wendung vom Unheil zum Heil kennzeichnen. Dies findet seinen sprachlichen Ausdruck darin, daß ,erkennen' und ,Heil' in den Bekehrungstexten mitunter auch direkt einander zugeordnet werden14. Hinzu kommt, daß auch άλήθεια in diesen Sachzusammenhang gehört, insofern dieser Begriff sowie die anderen Derivate seines Stammes innerhalb der frühchristlichen Missionssprache im Wortfeld von Verkündigung und Bekehrung (zu letzterem vgl. 2. Tim 2,25: μετάνοια εις έπίγνωσιν άληθείας) Verwendung finden und hier charakteristische Verbindungen mit Verkündigungsbegriffen und άκούειν, δέχεσθαι, πιστεύειν etc. eingehen. Hierzu gehört auch und gerade die Zusammenordnung von .Wahrheit' und .Rettung, Erlösung': Zu nennen sind zunächst Texte, in denen von Wahrheit im Zusammenhang von Missionspredigt und Annahme der Verkündigung, d.h. Gläubig-Werden die Rede ist: Kol 1,5f.; Eph 1,13; 4,21; 2.Thess 2,10.12; 2,13f. In den Zusammenhang dieser deuteropaulinischen Texte wäre dann auch l.Tim 4,3 einzuordnen15.
10
Vgl. Bauer, Wörterbuch s.v. 1.3, Sp.776; Blaß/Debrunner/Rehkopf, Grammatik § 442,6 a. 11 Diese Wendung findet weder bei Haslers (Epiphanie 203 ff.) noch bei Oberlinners (.Epiphaneia' 203ff.) Interpretation von l.Tim 2,4ff. Berücksichtigung. 12 Vgl. auch Weiß, Past 110; Spicq, Past 1,364. 13 Vgl. JosAs 13,11; Philo, Abr. 70; virt.180; plant. 98; TestSim 2,13; Sir 36,4; Jdt 5,8; Sap 12,27; Gal 4,8f.; Kol 1,6; 3,10; 2.Tim 2,25; Joh 4,42; l . J o h 5,20; l.Clem 59,2; Hermas, mand. 4,2,2 (die Bekehrung ist eine σύνεσις μεγάλη); Erkenntnis von Wahrheit und Bekehrung: Sap 12,27. - In l.Tim 2,4 kommt also weder „die lehrhafte Ausprägung der Religion in den Pastoralbriefen" (Dibelius, Έπίγνωσις 2; vgl. auch Michel, Grundfragen 88) noch eine „polemische Tendenz" (Brox, Past 127; vgl. auch v. Lips, Glaube 37) zum Ausdruck. 14 Vgl. TestGad 5,7; Ps.Philo, Jon 35 (136); Lk 1,77 in bezug auf die Bußpredigt des Täufers: „um seinem Volk Erkenntnis des Heils (γνώσιν σωτηρίας) zu geben"; sowie die o. S. 58 f. Anm.59 genannten Texte. Nur anhangsweise hingewiesen sei auf den für die gnostischen Texte konstitutiven Konnex von Erkenntnis und Heil (z.B. CorpHerm 10,15: τούτο μόνον σωτήριον άνθρώπφ έστίν, ή γνώσις τοΟ θεοϋ). 15 Vgl. v. Lips, Glaube 37f.; s. auch Hermas, vis. 3,6,2-5; mand. 11,4: „Alle nun, die im Glauben an den Herrn gefestigt und mit der Wahrheit bekleidet sind"; Aristides, apol. 15,1: „Die Christen aber ... haben umhersuchend die Wahrheit gefunden und stehen ... der Wahrheit und genauen Erkenntnis näher als die übrigen Völker" (vgl. auch u. S. 81); Mk 16,14 W: ύποστρέφειν εις την άλήθειαν.
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Dieser Bezug von άλήθεια auf Bekehrung läßt sich auch im Frühjudentum belegen, und zwar vor allem in den Qumrantexten 1 '. Hier wird das für den einzelnen entscheidende Heilsereignis des Eintritts in die Gemeinde mehrfach als Hinwendung zur Wahrheit bezeichnet: So etwa 1QS 6,15: „in den Bund bringen, daß er umkehre zur Wahrheit" (ΓΙΒ10 31&V); 2,25 f.: Jeder, der sich weigert, [in den Bund Gotjtes einzutreten ..., soll nicht [in die Gejmeinschaft seiner Wahrheit kommen" (ΙΠΒΚ ["ΙΠ'3 Π Ι Γ ] Kl^ 13^). Derselbe Vorgang wird des öfteren mit Hilfe von b 313 hitp.17 ausgedrückt: 1 QS 1,11 f.: »Alle, die sich willig erweisen für seine Wahrheit (ITlÖltV D'STJH), sollen all ihr Wissen und ihre Kraft und ihren Besitz in die Gemeinschaft Gottes einbringen"; 5,6: „sich willig erweisen zum Heiligtum in Aaron und dem Haus der Wahrheit (Il'sV ΠΪ3ΚΠ ) in Israel"; 5,10: „die Menge der Männer ihres Bundes, die sich zusammen willig erwiesen haben zu seiner Wahrheit" (IflöK^ 1ΓΓ D'3UJian). Entsprechend wird der Abfall von der Gemeinde als „von der Wahrheit abtrünnig werden" (1QS 7,18, J1ÖX3 TU3) bezeichnet 1 '. - Außerhalb der Qumrantexte wäre hinzuweisen etwa noch auf JosAs 8,9, wo Joseph in seinem Gebet um Aseneths Bekehrung Gott als den prädiziert, „der alles lebendig machte und von der Finsternis in das Licht rief und vom Irrtum zur Wahrheit"1'; PsPhilo, Jon. 31: „die Wahrheit finden" als Ziel der Bekehrung; Philo, spec. leg. 4,178: der Proselyt „trat zur Wahrheit über"; praem. 27: Abraham „trat vom Schwindel zur Wahrheit über" und „empfängt als Lohn das Vertrauen auf Gott". Mit dem aus JosAs 8,9 zitierten Text berührt sich ConstApost 7,39,3: „Er rief vom Irrtum und der Nichtigkeit zur Erkenntnis der Wahrheit."20
" Vgl. dazu Nötscher, .Wahrheit' 120 f.; de la Potterie, Verite 11,546; Murphy-O'Connor,,Verite' 33.61 ff. Letztgenannter engt freilich den sprachlichen Befund unzulässig ein, wenn er (wie Kosmala, Hebräer 135 ff.) den Gebrauch von έπίγνωσις άληθείας in den Pastoralbriefen auf die „influence de la terminologie essenienne" (a.a.O. 66) zurückführt (vgl. die im Anschluß an die Qumrantexte genannten hellenistisch-jüdischen Belege). 17 Daß V 31} hitp. zum Wortfeld des Eintritts in die Gemeinde gehört, indem es die Bereitschaft zu diesem Schritt beschreibt, macht die Verwendung dieses Verbs in den anderen Texten deutlich sichtbar: vgl. 1QS 5,1. 22 (31®V 1TJ); 1,7 (die Gebote Gottes zu erfüllen); 5,$ (0'3"»η»Π sind die Mitglieder der Gemeinde); 6,13 f. (sich dem Rat der Gemeinschaft anzuschließen [ΙΠ'Π W by «l'Dirrt»]). 18 Vgl. hierzu die Aussagen über die Häretiker in den Pastoralbriefen, die als von der Wahrheit (l.Tim 6,5; 2.Tim 2,18; 4,4; Tit 1,14) wie vom Glauben (l.Tim l,5f.; 4,1; 6,21) gleichermaßen Abgefallene dargestellt werden (vgl. v. Lips, Glaube 37 f.; s. auch Jak 5,19; Hermas, vis. 3,6,2; 3,7,1; sim. 6,2,1. 4). " Das heißt, so wird Aseneths Bekehrung begriffen (vgl. die ebd. folgenden Imperative). Die Perspektive dieser so verstandenen Bekehrung ist eschatologisches Heil: vgl. ebd. („sie lebe in deinem ewigen Leben bis in ewige Zeit"). - Zum Zusammenhang von Wahrheit und eschatologischem Heil vgl. noch Jak 5,19 f. (wer einen von den Brüdern, der von der Wahrheit abgeirrt ist, wieder zu ihr zurückbringt, wird dessen Seele vom Tode erretten); Hermas, mand. 3,5 (wenn du von jetzt an Wahrheit redest, wirst du dir selbst Leben verschaffen können); in umgekehrter Ausrichtung: grHen 99,1 f.; Röm 2,8. Eschatologisches Heil oder Unheil hängt also maßgeblich von der Stellung zur Wahrheit ab. 20 Zur Aufnahme jüdischer Traditionen in ConstApost 7 s. Goodenough, Light 306 ff.; zum zitierten Text 326 f.
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Noch weiter verfolgt werden kann die in den zitierten Texten bereits sichtbar gewordene Korrelation von Wahrheit und Glauben21: άλήθεια etc. verbindet sich innerhalb der johanneischen Sendungschristologie in der Weise mit πιστεύειν, daß Jesus als von Gott gesandt und autorisiert geglaubt wird, weil das, was er verkündet, sowie auch er selbst ,wahr' sind. Wahrheit deutet auf Sendung von Gott (s. u. S. 79 ff.) und ruft Glauben hervor22: Joh 4,42; vgl. auch 7,40 (jeweils wie oben mit άκούειν); 8,45 (in umgekehrter Zuspitzung von den Juden: „Weil ich aber die Wahrheit sage, glaubt ihr mir nicht"; 17,8 („die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und αληθώς [d.h. ,wie es der Wahrheit entspricht'; vgl. TestHiob 38,6] erkannt, daß ich von dir ausgegangen bin, und sie sind zum Glauben gekommen, daß du mich gesandt hast"). Innerhalb der johanneischen Überlieferung wird diese Linie dann zum Lieblingsjünger als dem Traditionsgaranten der johanneischen Gemeinde 23 hin ausgezogen, wenn es in Joh 19,35 nun von diesem heißt: „Und jener weiß, daß er die Wahrheit redet (άληθή λέγει), damit auch ihr glaubt (vgl. auch Joh 21,24). In den Sachzusammenhang von Missionspredigt und Bekehrung gehört im Frühjudentum und im frühen Christentum aber auch das Bekenntnis zu dem einen Gott (l.Tim 2,5a) 24 . Die Hinwendung zu dem einen Gott korreliert mit der Abwendung von den vielen Götzen (vgl. l.Thess 1,9; Jes 45,21 f.) 25 und geht häufig eine synsemantische Verbindung mit .erkennen* ein (Bekehrung durch die Erkenntnis, daß Gott,einer' ist):
21 Vgl. auch grHen 104,12 f.: „Meine Bücher werden den Gerechten, Frommen und Verständigen gegeben werden εις χαράν Αληθείας, und sie werden ihnen glauben und sich in ihnen freuen"; der chiastische Aufbau läßt den Zusammenhang von .Wahrheit' und .glauben' deutlich hervortreten; ActThom 79 (II/2,194,3f. Lipsius/Bonnet): „Glaubt dem Lehrer der Wahrheit, glaubt dem, der euch die Wahrheit zeigt". 22 Vgl. dazu v. a. Beutler, Martyria 322 ff. mit älterer Literatur; de la Potterie, Verite II, 553 ff. " Vgl. dazu Näheres u. S. 107 ff. 24 Vgl. mit Belegen: Peterson, είς Θεός 213 ff.; Bornkamm, Doppelgebot 40; Dalbert, Theologie 124 ff.; Kramer, Christos 91 f.; Kerst, Taufbekenntnis 132 f.; Bußmann, Themen 176 ff. Kerst notiert ausdrücklich die Parallelität von έπίγνωσις άληθείας und εΤς θεός" in l.Tim 2,4f. (a.a.O. 132 Anm.25). - Aufschlußreich gerade auch im Blick auf l.Tim 2,4f. sind die von Peterson (a.a.O. 183ff.) zusammengestellten εΤς-θεός-Akklamationen im Rahmen von Wundererzählungen der apokryphen Apostelakten, wo sie topisch als Reaktion der Umstehenden auf das Wunder (.Chorschluß') gebraucht werden und deren Bekehrung dokumentieren: Der eine Gott wird zugleich auch ausdrücklich als der rettende bekannt: vgl. ActPetr 26 (1,73,36 Lipsius/Bonnet); MartAndr 1,17 (11/1,57,3 ff. ebd.); Actjoh 42 (171,Iff. ebd.); MartMatth 19 (242,4ff. ebd.); 21 246,20ff. ebd.); ActPaulThec 38 (1,264,lOff. ebd.); s. auch 2.Kön 19,19 par Jer 37,20: σώσον ήμβς ... και γνώσονται... δτι σύ κύριος ό θεός μόνος. 25 Einen Zusammenhang zwischen l.Tim 2,3-5 und der LXX-Fassung von Jes 45,21 f. sieht auch Hanson (Use 212). Es scheint mir demgegenüber jedoch viel wahrscheinlicher zu sein, daß hier nicht auf diesen einen Text zurückgegriffen ist, sondern daß l.Tim 2,4f. in einen breiteren Traditionszusammenhang einzuordnen ist (vgl. die im folgenden zu nennenden Texte).
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2.Kön 19,19 par. Jes 37,20 (vgl. auch l.Kön 8,60): „Und alle Königreiche auf Erden werden erkennen, daß du, Herr, allein (paV; μόνος) Gott bist." Jes 43,10 (s.o. S.70 Anm.7) Dan 3,45 LXX: „Sie sollen erkennen, daß du, Herr, allein Gott bist." Sir 36,4(5): „Und sie (alle Völker) werden dich erkennen, wie auch wir erkannt haben, daß es außer dir, Herr, keinen Gott gibt." OrSib Frgm. 1,31 f. (Theophilus, Autol. 2,36): „Erkennt, in deren Brust die Weisheit gelegt ist: είς θεός έστιν." l.Clem 59,4: Alle Völker sollen dich erkennen, δτι σύ εΐ ό θεός μόνος. KerPetr (Clemens ν. Alexandrien, str. 6,39,2): Erkennt nun, δτι είς θεός έστιν. ebd. 6,48,2: „Ich sende (treue Apostel) in die Welt, um den ... Menschen das Evangelium zu verkündigen, daß sie erkennen, δτι εΤς θεός έστιν. MartAndr 1,12 (11/1,53,18 ff. Lipsius/Bonnet): „unter allen Völkern verkündigen ..., damit die Menschheit die gottfeindliche Vielgötterei ablegt und τον ένα και μόνον θεόν erkennt." MartPorph 7 (274,10 Van de Vorst): „damit alle erkennen ..., daß es keinen anderen Gott gibt außer unserem Gott." Daß das Nebeneinander von έπίγνωσις άληθείας und είς θεός in l.Tim 2,4f. eine traditionell vorgeprägte Zusammengehörigkeit ist, erhellt auch aus Texten, die den Zusammenhang von αλήθεια und εΤς θεός innerhalb von Bekehrungsaussagen belegen, wie z.B. Philo, spec.leg. 4,178 (der Proselyt „trat zur Wahrheit und zur Verehrung des Einen, dem Ehre gebührt, über") 26 . Derselbe Sachverhalt findet seinen Ausdruck darin, wenn in komprimierter Formulierung Bekehrung als Hinwendung zum .wahren' Gott oder als Erkenntnis (sie!) des .wahren' Gottes beschrieben wird (JosAs 11,10 f.; Sap 12,27: θεόν έπεγνωσαν άληθη; vgl. auch l.Thess 1,9; MartBarth 7 [s.o.]). Als Ertrag läßt sich festhalten: Die Zuordnung des Bekenntnisses zu dem einen Gott zu der rettenden Erkenntnis der Wahrheit in l . T i m 2,4 b.5 a entspringt nicht einem mehr oder weniger zufälligen Belieben des Verfassers der Pastoralbriefe noch ist es gar als Abgrenzung gegenüber der gnostischen Konzeption der zwei ,Götter', dem Demiurgen und dem höchsten Gott, zu verstehen 27 . Hier wird vielmehr ein traditionell fest geprägter sprachlicher Zusammenhang aufgegriffen, der seinen spezifischen Ort in frühjüdischer und frühchristlicher Missions- und Bekehrungssprache hat. 28 26 Vgl. auch Philo, praem. 162: „Gott allein (μόνφ) muß anhängen, wer unverstellter W a h r h e i t . . . nachjagt." 17 Brox, Past 127. 28 Wenn Trümmer aus der Tatsache, daß die einzelnen Elemente des in l . T i m 2 , 4 f . verarbeiteten Begriffsfeldes auch im Epheserbrief begegnen (Eph 1,13.17; 4,6.13), folgert, „daß die P[aulus]-Interpretation der Past und besonders diese Anamnese . . . durch das Medium der nachpln Interpretation, wie sie im Eph erfolgte, hindurchgehen" (Paulustradition 121; vgl. auch Barnett, Paul 255), und dann auch noch eine „literarische Ab-
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β) Die in dem explikativen Verhältnis der beiden Satzhälften zum Ausdruck gebrachte Bindung des eschatologischen Heils an die Erkenntnis der Wahrheit, den Vorgang der Bekehrung also, ist vor dem Hintergrund der genannten Texte nun aber nicht die differentia specifica der Soteriologie der Pastoralbriefe. l.Tim 2,4f. bewegt sich vielmehr ganz im Rahmen anderer Rettungsaussagen, wie sie innerhalb der frühchristlichen Missionssprache Verwendung finden. Für diese ist charakteristisch, daß der soteriologische Angelpunkt von der zunächst allein ausschlaggebenden christologischen Grundlage in den Vorgang von Verkündigung und Bekehrung hinübergeführt wird: Der Ausgangspunkt wird zunächst die Begründung der Bekehrungsforderung in der Missionspredigt an die Heiden gewesen sein, wie sie sich in der vorpaulinischen Zusammenfassung in l.Thess 1,9f. findet: Wenn die Heiden sich von ihrem Götzendienst ab- und dem einen Gott (vgl. 1. Tim 2,5) zuwenden, werden sie durch den erhöhten und wiederkommenden Herrn aus dem zukünftigen Vernichtungsgericht errettet. Diese Argumentationsweise, die auch „den Grundbestand der IsraelPredigt seitens des hellenistischen Judenchristentums" reflektieren dürfte 29 , findet sich in der Apostelgeschichte in den Missionspredigten sowohl an die Juden wie an die Heiden (vgl. Act. 4,12; 10,42; 16,31; 17,30f.; s. auch 2,20f. zit. Joel 3,4f.; 3,19-21). Die Bekehrung und Hinwendung zum Glauben an Christus bewahren vor der Vernichtung im Endgericht und bilden die Voraussetzung für die Erlangung des eschatologischen Heils der Zukunft. Parallel dazu wird nun aber dem so verstandenen entscheidenden Stellenwert der Bekehrung dadurch Rechnung getragen, daß innerhalb von Bekehrungspredigt und -interpretation dieser Zusammenhang in der Weise sprachlich zugespitzt wird, daß das zukünftige Rettungsgeschehen in die Bekehrung selbst und in die zu ihr führende Verkündigung hinein verlagert wird. Diese Transformation findet ihren Ausdruck vor allem darin, daß σωτηρία/ σφζειν im Sachzusammenhang von Verkündigung und Bekehrung charakteristische Wortfeldverbindungen eingehen: Hier sind es nun die ρήματα, die der Apostel an den bekehrungswilligen Cornelius richten soll, durch die dieser und sein Haus der zukünftigen Errettung teilhaftig werden (Act 11,14). Dem entspricht es, wenn Petrus zur Annahme seiner Predigt und Bekehrung mit den Worten auffordert: σώθητε από της γενεάς της σκόλιας ταύτης (Act 2,40), und wenn anschließend diejenigen, die sich zum Anschluß an die erste Gemeinde verstanden haben, als σφζόμενοι bezeichnet werden (2,47). Weitere Texte, für die allesamt hängigkeit der Pastoralbriefe vom Epheserbrief „wahrscheinlich werden" (ebd. 122) sieht, wird er dem traditionsgeschichtlichen Befund bei weitem nicht gerecht. 2 ' Brandenburger: TRE 12,471,43.
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der Bezug zu Missionsverkündigung und Bekehrung konstitutiv ist, bestätigen dieses Bild: Die Annahme der άγάπη τής άληθείας rettet (2.Thess 2,10); Glauben rettet (Act 15,7.11; 16,30f.: Aufforderung zur Bekehrung als Aufforderung zu glauben, vgl. auch Lk 8, 1230)31; die apostolische Verkündigung rettet (Act 28,28; l.Kor 1,21: die μωρία toC κηρύγματος; Eph 1,13: das Evangelium; 1.Thess 2,16); der Apostel selbst rettet (l.Kor 9,22; 10,33; Act 13,47 zit. Jes 49,6) 32 . In diesen Zusammenhang der Transformation der Rettungsaussagen innerhalb der frühchristlichen Missionssprache gehört auch l.Tim 2,4-5 mit der Begründung des eschatologischen Heils in der als Erkenntnis der Wahrheit explizierten und im Bekenntnis zu dem einen Gott und dem einen Mittler sich vollziehenden Bekehrung. - Wenn der Verfasser der Pastoralbriefe dann in V. 6 a auf eine Aussage zurückgreift, die den soteriologischen Charakter des Todes Jesu formuliert, und diesen mit der zukünftigen Errettung in Verbindung bringt, knüpft er damit an eine spezifisch paulinische Argumentationsweise an, in der die Gewißheit der Erlangung des eschatologischen Heils der Zukunft von Christi stellvertretendem Sühnetod her argumentativ expliziert 30 In der auf die frühchristliche Missionssituation abzielenden Deutung des Gleichnisses vom viererlei Acker ist die Begründung des Eingreifens des Widersachers (ίνα μή πιστεύσαντες σωθώσιν) lukanisch. - Zur Zuordnung von σφζειν und πιστεύειν bei Lukas vgl. Menoud, Salut; Throckmorton, Σφζειν 517 f., welch letzterer den Zusammenhang von σφζειν und Bekehrung im Sinne einer präsentischen Eschatologie interpretiert (ebd. 518.524); vgl. auch Wilckens, Missionsreden 184; George, Emploi 315 ff.; Gräßer, Problem 211 (zu Act 2,47): „Der Gläubige ist der Gerettete! Demnach ist die σωτηρία hier als gegenwärtige gemeint", während - so schränkt Gräßer sogleich ein - das Heil etwa in Act 2,21; 15,11; 16,30f. „als ein künftiges vorgestellt ist" (ebd.). - Futurisch z.B. Kränkl, Jesus 204 f. - Damit ist insgesamt die Frage nach der lukanischen Eschatologie berührt, in der „alles strittig" ist (Plümacher: T h R NF 48,45) und die hier keiner Lösung zugeführt werden soll. Zweierlei wird man allerdings sagen können: Wenn, und daran dürfte für Lukas (und wohl auch für Paulus) kein Zweifel bestehen, die erwartete Parusie und die zukünftige (vgl. Gräßer, Parusieerwartung 110) βασιλεία τοδ θεοΟ eschatologische Größen sind, die ein das gegenwärtige Heil (Geistbesitz) ontologisch überbietendes Heil heraufführen, wird man die Heils- und Rettungsaussagen in den Bekehrungstexten nicht der futurisch-eschatologischen Perspektive entkleiden oder diese kerygmatheologisch nivellieren dürfen. Hinzu kommt, daß Bekehrungsaussagen überall dahin tendieren, die Bekehrung als den entscheidenden Schritt zum Heil, als für den einzelnen entscheidendes Heilsereignis darzustellen. Dies mußte vor allem ein Anliegen der zur Bekehrung hinführenden Missionspredigt sein. - Vgl. zum Ganzen noch Dupont, L'apotre, bes. 356 ff.; Zeller, Theologie 170 ff., bes. 172 f. 51 Vgl. auch KerPetr bei Clemens V.Alexandrien, str. 6,48,2: „um den Menschen in der ganzen Welt das Evangelium zu verkündigen ..., damit οί άκοόσαντες και πιστευσαντες σωθΦσιν". 32 Diese Sicht der apostolischen Existenz liegt auch der Sinngebung des Leidens in 2. Kor 1,6 zugrunde und wirkt in 2.Tim 2,10 nach (Vermittlung wohl durch paulinische Personaltradition und nicht durch literarische Abhängigkeit, wie Barnett, Paul 268 vermutet).
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wird (vgl. Rom 5,1-11; 8,31-39; l . K o r 15,2f.; Gal 1,4; l.Thess 5,9f.). Den Zusammenhang der soteriologischen Aussage von der Selbsthingabe Jesu mit der Rettungsaussage von V. 4 stellt die Wendung τό μαρτύριον καιροϊς ιδίοις (V. 6 b) her, indem sie erstere interpretierend aufnimmt und sie über die oben aufgewiesene semantische Korrespondenz 53 auf die heilstiftende έπίγνωσις αληθείας bezieht. Dadurch, daß das Christusgeschehen zum μαρτόριον, d.h. zum „objektiv vorliegenden Zeugnis" 34 wird, bildet es den Realgrund der Möglichkeit der zum eschatologischen Heil führenden und durch die apostolische Verkündigung (V.7) vermittelten Erkenntnis des einen Gottes wie des einen Mittlers und damit der Wahrheit. Von daher werden dann aber auch die Einsetzung des pastoralen Paulus in sein apostolisches Amt und seine Verkündigung selbst, wie der direkte Anschluß 35 von l . T i m 2,7 an τό μαρτόριον und damit an den gesamten Argumentationsgang zeigt, konstitutiver Bestandteil der Realisierung des in V. 4 formulierten universalen Heilswillens Gottes. b) „Zum Zeugnis eingesetzt...
in Treue und Wahrheit" (V. 7)
Vor dem skizzierten Hintergrund ist l . T i m 2,7 (wie auch 2.Tim 1,11 als parallel gestalteter Text) gerade bzw. überhaupt erst von l . T i m 1,15 f. her konsequenter End- und Zielpunkt der voraufgegangenen soteriologischen Argumentation: Die geschilderte Neuakzentuierung der Soteriologie in der frühchristlichen Missions- und Bekehrungssprache, die auch in l . T i m 2,4-6 ihren Niederschlag gefunden hat, erhält an dieser Stelle ihre materiale Voraussetzung in entscheidender Weise durch 1,15 f. Das eigene prototypische Geschick des Apostels ist nach der Darstellung der Pastoralbriefe der Realgrund f ü r diese Transformation, insofern in ihm prototypisch und das eschatologische Heil aller Glaubenden inkludierend das μαρτύρων (2,6) bzw. εύαγγέλιον (2.Tim 1,10) des Heilsgeschehens greifbar und der pastorale Paulus dadurch zum authentischen Garanten und Interpreten des Heilshandelns Christi an den Menschen wurde. Und gerade das Heilsgeschick des Paulus macht deutlich, daß das Christusgeschehen als μαρτύριον des universalen Heilswillens Gottes nicht nur „Heilsbezeugung" 36 , sondern reales Erlösungsgeschehen ist, das sich am Apostel prototypisch vollzogen " S.o. S.70 mit Anm.7. " Strathmann: T h W N T 4,488,26; s. auch o. S.70 Anm.6. 35 είς als Ausdruck der Beziehung im Sinne von Bauer, Wörterbuch s. v. 5, wenn nicht als Ersatz für den Dat.commodi (Bauer, ebd. 4.g). - Zu τίθημι mit είς oder Prädikatsakkusativ - hier: -nominativ wegen des Passivs - als Bezeichnung der Amtseinsetzung oder der Beauftragung s.o. S.40 Anm.56. " Hasler, Epiphanie 205.
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hat. l.Tim 2,7 und 2.Tim 1,11 sind darum in ihrer spezifischen Beziehung zu den jeweils vorausgehenden soteriologischen Aussagen erst von l.Tim 1,15f. her recht zu verstehen, denn die Hineinnahme des Christusgeschehens in die Verkündigung des Apostels, wie sie hier ihren Ausdruck findet, hat für den Verfasser der Pastoralbriefe ihren exklusiven Grund im eigenen Heilsgeschick des Paulus, dessen Verkündigung von dort her und darum erst ihre eigentliche soteriologische Verbindlichkeit erhält. α) Die Verknüpfung von 1. Tim 2,7 mit dem Vorstehenden wird jedoch nicht nur durch den relativischen Anschluß an μαρτύρων hergestellt, sondern auch terminologisch durch die Wiederaufnahme von άλήθεια aus V.4 in der sog. .Beteuerungsformel' άλήθειαν λέγω, ού ψεύδομαι 37 sowie in der abschließenden Gesamtbestimmung des paulinischen Apostolats έν πίστει και άληθείςι38. Bereits oben 39 wurde auf die zentrale Funktion der Wahrheit in frühjüdischen und -christlichen Bekehrungstexten hingewiesen. Dem korrespondiert - was ebenfalls angedeutet wurde - , daß Wahrheit als das die (Missions-)Verkündigung entscheidend legitimierende Kriterium gilt und auf Sendung von Gott deutet. Der sachliche Zusammenhang dieser beiden Aussagefelder liegt auf der Hand: Wenn die Rettung in der Erkenntnis der Wahrheit besteht, muß die Wahrheit in der zur Rettung führenden Verkündigung und in der Person des Verkündigers präsent sein; und dieser Zusammenhang ist es auch, der l.Tim 2,4 und 2,7 zusammenbindet. ß) Es geht bei der Schlußwendung έν πίστει και άληθείςι also um die Zuverlässigkeit (im Sinne von πιστός in l.Tim 1,1240) und Wahrhaftig37 Vergleichbar mit dieser Beteuerungsformel ist nicht nur Röm 9,1, von welchem Text gar nicht einmal sicher ist, ob hier direkt auf ihn zurückgegriffen wird (die Auslassung von έν Χριστφ wäre dann unverständlich), sondern vor allem die mit άλήθεια gebildeten Bekräftigungsformeln wie z.B. Mk 12,43 par.; Lk 4,25; 9,27; 12,44; Joh 16,7; Act 10,34; außerneutestamentlich z.B. TestDan 2,11; Demosthenes, or. 18,17; SIG 495,174 u.ö.; vgl. dazu Stählin, Gebrauch 129; Berger, Amen-Worte, Reg. 38 Vgl. bereits Weiß, Past 115 (mit Berufung auf Beck und Krukenberg); Lock, Past 29; Spicq, Past 1,371. - Ansonsten bereitet diese Wendung der Literatur deutliche Schwierigkeiten, was sich darin spiegelt, daß zahlreiche neuere Kommentare und Untersuchungen sie entweder ganz übergehen oder über eine vage und oberflächliche Interpretation nicht hinausgelangen. Die älteren Kommentare sahen z . T . hier „die Sphäre, in welcher sich die Apostelwirksamkeit bewegt" (v. Soden, Past 230; vgl. auch Weiß, Past 115; Lock, Past 29; anders Wohlenberg, Past 113: Hinweis „auf seine ... in Treue und Wahrhaftigkeit geschehende Amtsführung"; Scott, Past 23). " S. S.71 f 40 S. o. S. 38 ff. - In der LXX findet sich die Wendung έν (rfj) πίστει fast schon formelhaft in denselben Bezügen wie πιστός als Übersetzung von vor allem Π3ΊΒΚ3, aber auch J1BK3 zur Umschreibung der zuverlässigen Ausführung eines Auftrags: z.B. l . C h r 9,26.31; 2.Chr 31,12.15.18; 34,12; Esth 3,13c; 3.Makk 6,25; Sir 45,4; 46,15 (von Sa-
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keit 41 des Apostels als Attributen des authentischen Interpreten des μαρτύριον 42 . Daß diese Wendung sich auf μαρτύριον bezieht, ist als wahrscheinlich anzusehen, bilden doch - wie an anderer Stelle bereits gezeigt werden konnte 43 - die Stämme μαρτ- und πιστ-/άληθ- einen festen sprachlichen Zusammenhang. Dieser wird vor allem in Formulierungen wie τάδε λέγει ό αμήν, ό μάρτυς ό πιστός και αληθινός (Apk 3,14); „der Zeuge hüllt sich in πίστις und αλήθεια (Philo, spec. leg. 4,43); άξιόπιστοι μάρτυρες της αληθείας (Justin, dial. 7,2 von den Propheten) oder μάρτυς πιστός ού ψεύδεται (Prov 14,5) sichtbar44. Hervorgehoben wird dadurch die Authentizität der ,Zeugenschaft' des Apostels, die hier allerdings nicht wie in der Offenbarungsliteratur als Augen zeugenschaft (der Apokalyptiker teilt nur das mit, was ihm offenbart ist)45 verstanden ist, sondern ihren Grund in der eigenen urbildlichen Heilserfahrung des Apostels hat. Intentional richtet sich die mit Hilfe dieser Begrifflichkeit hervorgehobene Betonung der Authentizität immer auf die Legitimation von Vollmacht, d. h. des Anspruchs, von Gott gesandt zu sein, weil die Verkündigung nur auf von Gott mitgeteilter Offenbarung beruht, πίστις und αλήθεια werden so zu Kriterien des von Gott Gesandt- und Autorisiert-Seins. Eben dieses will die mehrfache Berufung Jesu auf die Wahrheit im Johannesevangelium zum Ausdruck bringen: Vgl. z.B. Joh 7,18 („wer άφ' έαυτοΟ redet, muel: έν πίστει αύτοΟ ήκριβάσθη προφήτης - dazu 1. Sam 3,20: πιστός Σ. εις προφήτην τφ κυρίφ); Jer 33 (26), 15; 35 (28), 9 (s. dazu gleich u.); vgl. auch 1 Q H 16,7; 17,14 (dir Jinxa bzw. rtJIUKa zu dienen); l.Clem 42,5 (καταστήσω ... τούς διακόνους αύτών έν πίστει); äquivalent ist Hermas, mand. 3,4 (ώς θεοϋ δοΟλον έν άληθείςι πορεύεσθαι). 41 Grammatisch dürfte das έν den modalen Dativ umschreiben (vgl. Blaß/Debrunner/ Rehkopf, Grammatik § 198,4; 219,4 sowie gleich im folgenden). - Zur semantischen Differenzierung und Zusammengehörigkeit beider Begriffe auf dem Hintergrund ihrer Rückführung auf die von demselben Stamm gebildeten hebräischen Begriffe Π310Κ und il»K vgl. vor allem Michel, 'ÄMÄT 36 f.; Wildberger: T H A T 1,209. 42 Gegen Weiß, Past 11 f.; Wohlenberg, Past 109 f. ist die Schlußwendung nicht isoliert auf διδάσκαλος, sondern auf den gesamten Vers zu beziehen. 43 S.o. S.70 Anm.7; 73. 44 Vgl. auch Jer 42,5: Gott sei gegen uns pKJl nOK LXX (49,5): μάρτυς δίκαιος και πιστός. 45 Vgl. die Abschlußformulierungen in Dan 2,45 Theod. (άληθινόν τό ένυπνιον, και πιστή ή σύγκρισις αύτοΟ); Apk 21,5 (γράψον, δτι οδτοι οΐ λόγοι πιστοί και άληθινοί είσιν); 22,6; 1Q 27 I 8 („Verläßlich trifft das Wort ein und wahrhaftig [il»K] ist der Ausspruch, und daraus sei euch bekannt, daß er nicht rückgängig wird"); s. auch Schatzhöhle 53,15 („Dieses Wort des Apostels, daß dieser Fels der Messias war [ 1. Kor 10,4], ist wahr und sehr glaubwürdig") sowie das in bBer erwähnte Gebet, das auf das Abendschema folgt (Bill. IV/1,194) und mit den Worten beginnt: ilRrVa ΠΠ0Κ1 flÖK (Bamberger 88). In diesen Kontext gehören auch die in den Pastoralbriefen mehrfach begegnenden Wendungen πιστός ό λόγος (s. ο. S. 49 Anm. 3), die ihr Äquivalent in der Formulierung άληθινός ό λόγος haben (z.B. Dan 6,13 Theod.; 10,1; auch Koh 12,10; Joh 4,37; Apk 19,10; zum Ganzen s. auch Holtz, Christologie 169 Anm. 1).
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sucht seine eigene δόξα; wer aber die δόξα dessen sucht, der ihn gesandt hat, άληθής έστιν"); 8,13 f. („du zeugst περί σεαυτοϋ; dein Zeugnis ist nicht wahr"; Jesus: „auch wenn ich περί έμαυτοϋ zeuge, ist mein Zeugnis wahr, denn ich weiß, woher ich kam und wohin ich gehe"); 8,40 („ich habe euch die Wahrheit gesagt, die ich von Gott gehört habe"); 18,35; 16,13 („der Geist der Wahrheit [Paraklet] wird nicht άφ' έαυτοϋ reden, άλλ' δσα άκούσει λαλήσει"); vgl. auch OdSal 18,1 („er erfüllte mich mit Worten der Wahrheit, weil ich sie verkünden sollte"). - Allen johanneischen Texten liegt der Gedanke zugrunde, daß die Verkündigung Jesu deshalb wahr ist und zum Glauben führt 4 ', weil sie göttlichen Ursprungs ist (Joh 3,11 bildet so etwas wie die .Theorie* dieser Vorstellung). Dies stellt die johanneische Sendungschristologie in den Zusammenhang des alttestamentlich-frühjüdischen Bildes vom (prophetischen) Boten Gottes47, für den die Berufung auf die Wahrheit konstitutiv ist: Nach Jer 23,28 unterscheidet sich der von Gott gesandte Prophet von den Lügenpropheten (23,14.25 f.), die „Visionen aus ihrem Herzen verkünden und nicht aus dem Munde des Herrn" (V. 16), die Gott nicht gesandt und zu denen er nicht gesprochen hat (V.21) und die nur eigene Träume verkünden (V. 28), dadurch, daß in ihm das Wort Gottes ist; er soll das Wort Gottes „als (sich erfüllende) Wahrheit sagen" (LXX: έπ' άληθείας)4«; vgl. auch Jer 33(26),15; 35(28),9 (s. dazu gleich im folgenden). Wahrheit ist das Attribut des von Gott gesandten Propheten auch in l.Kön 17,24: „Nun weiß ich, daß du (Elia) ein Mann Gottes bist, und das Wort des Herrn in deinem Mund ist ΠΗΧ" (LXX: φήμα κυρίου έν στόματί σου άληθινόν) und CD 2,12 f.: „Und er (Gott) belehrte sie durch die Gesalbten seines heiligen Geistes und die Seher der Wahrheit" (vgl. auch Justin, dial. 7,1 f.: Die Propheten „haben als einzige die Wahrheit gesehen und den Menschen verkündet"; sie sind άξιοπιστότατοι μάρτυρες τής άληθείας)49. Entsprechend wird in Dan 10,21; 11,2 die Offenbarung als Offenbarung von Wahrheit dargestellt; ebenso auch syrBar 20,5 („ich will mich dir offenbaren und will wahrhaftige Dinge mit dir reden"); Jub 45,4 („wahr ist das Gesicht, das ich in Bethel gesehen habe"); OrSib 3,829 (Abschluß des 3. Buches: „also soll von meinem Mund άληθινά πάντα gesagt sein"); grHen 21,5; 25,1. - In der Testamentenliteratur begegnet die Berufung auf die Wahrheit mehrfach an derselben Stelle im Munde des Patriarchen, und zwar jeweils zu Beginn der Paränese, deren Verbindlichkeit als von Gott autorisierter Offenbarungsrede dadurch hervorgehoben wird (TestDan 2,1; TestGad 3,1; aramTestLevi 43,7-10 [205/207 Beyer]: „[Hört an] die Rede eures Vaters Levi und lauscht den Gebo-
44 S.o. S.73. " Dies hat Bühner in seiner informativen Arbeit m. E. überzeugend nachzuweisen vermocht (Gesandte 374 ff.). Leider geht er aber auf die konstitutive Funktion der άλήθεια und die genannten Texte nicht näher ein. " Übersetzung nach Michel, 'ÄMÄT 43. 4 ' Die alttestamentlichen Propheten werden hier nach dem Bild der griechischen Philosophen der Wahrheit gezeichnet, was aus den auf sie übertragenen Attributen μακάριος, δίκαιος und θεοφιλής erhellt (vgl. auch Dio Chrysostomus, or. 12,47; Lukian, vit.auct. 8 sowie Schmid, Apologetik 180 mit Anm.44; Hyldahl, Philosophie 228; Osborn, Justin 69 f.; Krämer: T h W N T 6,794,11 ff.).
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ten des Lieblings Gottes! Ich gebe euch Gebote . . . und ich verkünde euch die Wahrheit"; LibAnt 2 8 , 3 : „exeat de ore eius Veritas")50. Allen genannten Texten liegt als gemeinsame Struktur zugrunde, daß die Mitteilung von Offenbarung an den Propheten u. ä. Mitteilung von Wahrheit und als solche auf autorisierte Weitergabe hin angelegt ist. Umgekehrt weisen Feststellung oder Anspruch der Präsenz von Wahrheit im Vorgang von Lehre und Verkündigung immer über die Person des Lehrers resp. Verkündigers hinaus und charakterisieren diesen als bevollmächtigten Boten, dessen Botschaft ,wahr' ist, weil sie nicht von ihm selbst stammt, sondern Weitergabe von an ihn ergangener Offenbarung ist. Wahrheit wird so im Kontext von Sendung und Verkündigung zu einem Vollmachts- und Legitimationsbegriff, der die Authentizität des Boten und seiner Botschaft als von Gott ausgehende und autorisierte garantieren soll.
Die Herkunft von έν πίστει και άληθείςι in l.Tim 2,7 aus der ursprünglich mit dem Bild des Propheten verbundenen Sprachtradition illustrieren am ehesten die mit diesem Text deutlich korrespondierenden LXX-Fassungen von Jer 33(26), 15 (,,έν άληθείςι [J1ÖR1] hat mich der Herr zu euch gesandt") und 35 (28),9 („wenn das Wort eintrifft, wird man den Propheten erkennen, den der Herr ... έν πίστει [ί1ΏΧ3] gesandt hat"). Hinzu kommt, daß πίστις und αλήθεια Attribute Gottes sind51. Darum belegen die in der Verkündigung präsente πίστις und άλήθεια deren Herkunft von Gott und autorisieren den Verkündiger auch in dieser Hinsicht als von Gott gesandt, denn dieser hat ihm seine eigene πίστις und άλήθεια mitgeteilt. Aus diesem Grunde begegnet die Verbindung der beiden Wortgruppen immer wieder in spezifischen Zusammenhängen52: Außer den oben53 genannten Texten wären noch zu nennen: 6.Esr 1,1 f. („rede zu den Ohren meines Volkes sermones prophetiae, die ich dir in den Mund legen werde, ... und laß sie auf Papier schreiben, quoniam fideles et veri sunt"); Apk 19,11 (der aus dem Himmel herabkommende Messias heißt πιστός και άληθινός) und vor allem ActPetr 26 (1,73,24 f. Lipsius/Bonnet), wo die Identität der Präsenz von πίστις und άλήθεια bei Gott und dem von ihm Gesandten deutlich zum Ausdruck kommt: Durch die Auferweckung des toten Knaben soll Petrus zeigen, daß der Präfekt mit Recht „auf dich und auf deinen Herrn, den du verkündigst, (vertraut), ob ihr wirklich certi et veri estis". Von diesem Bezugsfeld der Begriffe πίστις und άλήθεια her ist auch 1. Tim 2,7 zu verstehen: Der Verfasser der Pastoralbriefe kennzeichnet " Vgl. auch TestAbr A 20: Der von Gott zu Abraham gesandte Tod eröffnet seine Rede mit den Worten άμήν άμήν, λέγω σοι έν αληθείς θεοδ. " Vgl. exemplarisch 3.Makk 2,11; insgesamt (mit Belegen): Jepsen: ThWAT 1,337ff. 343 ff.; de la Potterie, Verite 31 ff. " Und nicht nur in l.Tim 2,7 (so v. Soden, Past 230, der die anderen Derivate der Stämme zu Unrecht nicht beachtet). " S. S.79 Anm.45; vgl. noch EpApost (äth.) 28 (39).
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Paulus mit dieser ursprünglich dem alttestamentlich-frühjüdischen Prophetenbild zugeordneten Begrifflichkeit als von Gott gesandten und autorisierten Apostel, weil in ihm und in seiner Verkündigung Gottes πίστις und άλήθεια präsent sind. Damit wird die soteriologische Authentizität seiner Interpretation des μαρτύριον/Heilsgeschehens, die ihren Sachgrund in der eigenen Heilserfahrung des Apostels hat, noch einmal ausdrücklich sanktioniert. Diese Authentizität ist hier jedoch nicht wie in den anderen genannten Texten als durch die Offenbarungsmittlerschaft des Augenzeugen garantiert vorgestellt, sondern durch das eigene prototypische Heilsgeschick des pastoralen Paulus, wie es in l.Tim 1,15f. programmatisch beschrieben ist. Während für die anderen Texte die Traditionskette ,Gott - Offenbarungsmittler Offenbarungsempfänger' bestimmend ist54, gilt für l.Tim 2,(4-)7 die Formulierung ,Gott/Christus - Prototyp (Paulus) - Christen', und die Vermittlung besteht nicht in der Weitergabe von Offenbarungswissen, sondern in der Verkündigung des Heilsgeschehens, wie der pastorale Paulus es in seiner eigenen Existenz erfahren hat.
3. Tit 1,1-3 In diesem Text findet die exklusive Bindung der Soteriologie an Paulus ihren noch zugespitzteren Ausdruck. Es ist die nach der des Römerbriefs längste superscriptio in einem Präskript der neutestamentlichen Briefliteratur 1 . Tit 1,1-3 unterscheidet sich von l.Tim 2,4-7 dadurch, daß die Darstellung hier wie in l.Tim 1,15f. an Paulus selbst und seiner apostolischen Beauftragung orientiert ist, worin die genannte Zuspitzung auch ihren Grund haben dürfte. Anders als in l.Tim 2,4-6 und 2. Tim 1,9 f., wo der Verfasser der Pastoralbriefe auf ältere Tradition zurückgreift 2 , formuliert er hier selbständig. Dabei wird die apostolische Titulatur durch zwei parallele präpositionale Wendungen näher bestimmt. Die erste ist doppelgliedrig (κατά πίστιν έκλεκτών θεοϋ και έπίγνωσιν αληθείας ...), greift auf denselben Traditionszusammenhang zurück und formuliert denselben Sachverhalt wie l.Tim 2,4.7 3 : 54 1
Vgl. Berger, Amen-Worte 104.
Vgl. Lohfink, Theologie 72; Collins, Image 149 sowie Spicq, Past II, 595 ff., der hier an die Auslegung von Tit 1,1-4 einen Exkurs über den paulinischen Apostolat anschließt; Tit 1,1-3 zählen seiner Meinung nach „au point de vue doctrinal" zu den „plus denses (versets) de toute l'fecriture" (ebd. 595). 2 Zu l.Tim 2 , 5 f . s.o. S.69 mit Anm.4; zu 2.Tim l , 9 f . vgl. Luz, Rechtfertigung 378. 3 S.o. S.70ff. κατά gibt in Tit 1,1 dementsprechend das Ziel an, für das Paulus wirkt (mit den bei Spicq, Past 11,592 Genannten sowie Lohfink, Theologie 73). Der Hinweis auf έν πίστει και άληθείςι in l . T i m 2,7 (v.Soden, Past 207; v.Lips, Glaube 32 Anm.33)
T i t 1,1-3
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Glaube und Erkenntnis der Wahrheit als zum eschatologischen Heil führende Verkündigungsziele des Apostels. - Die zweite präpositionale Wendung (έπ' έλπίδι ζωής αιωνίου) wird durch einen Relativsatz spezifiziert. Dieser ist syntaktisch abhängig von ζωής αιωνίου, dem GenitivAttribut zu έλπίς 4 . Anakoluthisch angeschlossen ist ein vollständiger Hauptsatz, als dessen Subjekt das des Relativsatzes (θεός) zu übertragen ist und der mit der Erwähnung der paulinischen Beauftragung thematisch wieder zum Ausgangspunkt der Absenderangabe zurückführt. - Gegenüber dem in Rom 16,25 f.; Kol 1,26 f.; Eph 3,4-7.8-11 begegnenden sog. .Revelationsschema' fehlt neben dem Verborgenheitsmotiv5 vor allem die antithetische Struktur (bisher verborgen - jetzt offenbar)6. Demgegenüber ist darüber hinaus in Tit 1,2 ausdrücklich von .Verheißung' (έπηγγείλατο), und zwar „des ewigen Lebens" (ζωής αιωνίου) die Rede, was in ganz andere Sprach- und Sachzusammenhänge weist 7 . Hinzu kommt weiter - und das ist der wesentlichste Unterschied zur Konzeption des Revelationsschemas - , daß in Tit 1,2 f. das Verheißene (ewiges Leben) nicht mit dem jetzt Offenbarten, dem λόγος (θεοϋ) identisch ist8 und seine Erfüllung (anders als dies in Act 13,22 f. ausdrücklich gesagt wird) mithin noch aussteht und der eschatologischen Zukunft vorbehalten bleibt9. Das, was jetzt offenbart wird, mit dem Ergebnis, daß hier wie dort „die Beziehung ausgedrückt" sei (v. Lips, ebd.), führt zu einer unzulässigen Harmonisierung unterschiedlicher Aspekte. 4 Gegen Lührmann, Offenbarungsverständnis 132; die von ihm hergestellte Beziehung des Relativsatzes auf άλήθεια ist syntaktisch nicht möglich. 5 Vgl. Lührmann, Offenbarungsverständnis 125. ' Dem widersprechen auch nicht die miteinander korrespondierenden Zeitangaben πρό χρόνων αιωνίων (V. 2) - καιροΐς ιδίοις (V. 3), denn hier werden nicht zwei Zeiträume voneinander abgegrenzt wie in den genannten Texten, sondern in den Verheißungsbogen zwischen Protologie und Eschatologie wird die Offenbarung des λόγος im Kerygma eingeordnet; vgl. dazu gleich im folgenden. 7 S. dazu gleich im folgenden. - Sichtbar wird dies rein äußerlich schon darin, daß das Motiv der Verheißung nie im Umfeld von .Geheimnis' und .Verborgenheit' begegnet, wie umgekehrt nie von der Verheißung gesagt wird, daß sie verborgen sei. - Entsprechend wird auch in den Klagen der drei ersten Visionen des 4. Esrabuches die „Aporie der Verheißung" (Harnisch, Verhängnis 19; Brandenburger, Verborgenheit 167 f. Anm.67 möchte das Problem der „Nichteinlösung der Verheißung" [168] wegen der Bindung des Verheißungsbegriffs an die Erwählungstradition Israels [s. dazu u. S. 84 f.] auf die Klage in der zweiten Vision [4.Esr 5,23-30] beschränkt wissen) als „Frage nach der Wahrheit der Verheißung" (Harnisch, a.a.O. 42; vgl. auch grApkEsr 3,10: „Du sagtest zu Abraham . . . ; und wo bleibt deine Verheißung?") und nicht nach ihrer Verborgenheit verstanden. .Verborgen' ist allein das Verständnis des Weges Gottes (4.Esr 3,31; 4,2; 5,34. 40). 8 Dem entspricht auch der sprachliche Befund, der mit dem Fehlen des Geheimnisund Verborgenheitsmotivs im Wortfeld .Verheißung' (s. vorstehende Anm.) korrespondiert: An keiner Stelle ist - jedenfalls soweit ich die Belege überblicke - φανερός/φανερόω der zu έπαγγελία/έπαγγέλλομαι gehörende Korrelatbegriff, der die Realisierung der Verheißung beschreibt. 9 Vgl. Weiß, Past 334. - Diese wesentliche inhaltliche Differenz wird von Lohfink
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ist nicht das, was verheißen ist, und dies unterscheidet Tit 1,2 f. deutlich von 2. Tim 1,9 f., wo entsprechend auch nicht von Verheißung die Rede ist. Vielmehr ist dem Spannungsbogen von protologischer Verheißung und eschatologischer Realisierung des ewigen Lebens die Offenbarung des λόγος im Kerygma, das Paulus anvertraut wurde, zwischengeordnet, und es ist diese spezifische Korrelation, die das Proprium des Textes ausmacht und die im folgenden zu interpretieren ist. Dieselbe Hinordnung des paulinischen Apostolats auf die Verheißung des eschatologischen Heils findet sich in verdichteter Form auch in der superscriptio des Präskripts von 2.Tim (1,1: Paulus, Apostel... κατ' έπαγγελίαν ζωής τής έν Χριστφ). Daß hier wie dort ein wesentlicher Aspekt des pastoralen Paulusbildes greifbar ist, erhellt allein schon aus der äußerlichen Tatsache, daß eine in dieser Weise vergleichbare erweiterte Absenderangabe in der neutestamentlichen Briefliteratur nur in den Präskripten von Röm (1,1-6) und Gal (1,1) begegnet, wo der Erweiterung jeweils großes theologisches Gewicht und für die folgende Argumentation programmatische Bedeutung zukommt. a) Tit 1,2 (έπ έλπίδι ζωής αιωνίου, ήν έπηγγείλατο ό άψευδής θεός προ χρόνων αιωνίων) knüpft an ursprünglich frühjüdische, jedoch bereits christianisierte Sprachtraditionen an: Zunächst zu nennen ist der Aussagezusammenhang, dem zufolge Gott den Gerechten und Frommen das eschatologische Heil der Zukunft verheißen hat und der mit dieser eschatologischen Perspektive vor allem in apokalyptischen Texten begegnet wie etwa in syrBar 14,13 („die Gerechten ... erwarten, die Welt zu empfangen, die du ihnen verheißen hast") oder 4.Esr 7,119 („promissum est nobis immortale tempus")10. Diese Beziehung d e r V e r h e i -
ßung Gottes auf das eschatologische Heil findet sich auch im Neuen Testament (vgl. Act 26,6; Hebr 4,1; 6,12; 9,15; 10,36; 11,39; 12,26; Jak 1,12; 2,5; 2.Petr 3,4.9; l.Joh 2,25), wobei hier (einschließlich Tit 1,2) wie auch in frühjüdischen und anderen frühchristlichen Texten 11
unzulässig eingeebnet, wenn er „das ewige Leben ... als Verheißung schon von Ewigkeit her in Gott gegeben, ... aber erst offenbargemacht im Wort der Verkündigung" sieht (Theologie 73); auch Brox (Past 281) und Baumgarten (EWNT 2,577) verkürzen den Sachverhalt. 10 Vgl. darüber hinaus syrBar 51,3; 57,2: „In jener Zeit (sc. Abrahams und seiner Geschlechter) wurde gepflanzt die Verheißung eines Lebens, das einmal kommen wird"; 59,2; 83,4 sowie die bei Schniewind/Friedrich: ThWNT 2,576; Luz, Geschichtsverständnis 66 Anm. 148 genannten Texte. Deutlich in den Vordergrund tritt dieser eschatologische Bezug bei den Apostolischen Vätern (vgl. Barn 6,17; l.Clem 34,7; 35,4; 2.Clem 5,5; 11,7). 11 Vgl. Philo, migr.Abr.37; syrBar 57,2; l.Tim 4,8; 2.Tim 1,1; Jak 1,12; l.Joh 2,25; Barn 6,17; l.Clem 35,2. 4; 2.Clem 5,5.
Tit 1,1-3
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das verheißene Heil inhaltlich häufig als (ewiges) Leben 12 umschrieben wird. In den frühjüdischen und vor allem dann in den neutestamentlichen und anderen frühchristlichen Texten ist der Begriff der Verheißung eng auf die Erwählungstraditionen Israels13 bezogen und verbindet sich hier in erster Linie mit der Erwählung Abrahams als des Stammvaters Israels14 bzw. mit derjenigen der .Väter' allgemein15. Dazu paßt nun aber nicht, daß in Tit 1,2 die Verheißung des eschatologischen Heils in Gestalt des ewigen Lebens über Israel und das Alte Testament hinweg in der Zeit προ χρόνων αιωνίων festgemacht wird. Diese zeitliche Verankerung, die ernstzunehmen ist und nicht durch harmonisierende Erklärungen 16 abgeschwächt werden darf, ist ebenfalls auf die Verarbeitung einer christianisierten frühjüdischen Tradition zurückzuführen. Es handelt sich hier um die Vorstellung, daß das eschatologische Geschehen der Zukunft Gottes vorzeitlichem Ratschluß entspricht, wobei näherhin das eschatologische Heil bereits vor Beginn der Schöpfung oder mit dieser selbst von Gott geschaffen wurde und seitdem bei ihm für die Gerechten bereitliegt (vgl. ζ. B. syrBar 4,3, wo es vom zukünftigen Jerusalem heißt, daß es „schon seit der Zeit bereitet ist, in der das Paradies zu schaffen ich beschlossen hatte"; 1QS 3,15-4,26, bes. 4,22 ff.; neutestamentlich: Mt 25,34; Act 3,20; Rom 9,23) 17 . Diese Verankerung des eschatologischen Heilsgutes oder des endzeitlichen Geschehens in der Vorzeitlichkeit hat in diesem Kontext zum einen die Funktion, die Zuversicht im Hinblick auf dessen Erwartung zu begründen und zum anderen die alleinige Souveränität Gottes über dieses Heilsgut zu unterstreichen. Nun liegt die Intention der direkten und Israel übergehenden Verbindung der beiden genannten Traditionen in Tit 1,2 sicher nicht darin, 12
Diese Verbindung von έπαγγελία und ζωή ist also keineswegs nur für die Pastoralbriefe spezifisch und „auffallend" (Sand: E W N T 2,39). Zum Begriff ζωή αιώνιος s.o. S. 58 f. 13 Vgl. exemplarisch Röm 9,4; s. auch 3.Makk 2,10; syrBar 78,7. 14 Vgl. z.B. syrBar 57,2; MekhY 35a (zu Ex 14,15); BerR 41 u.a. (s.Bill. III,207f.; dort auch die genannten Texte); Sir 44,21; Act 7,5. 17; Röm 4,13; Gal 3,16. 18. 29; Hebr 6, 13. 15; 7,6; 11,9. 17; l.Clem 10,2; Justin, dial. 119,4. 15 Vgl. Sap 12,21; Testjos 20,1; Act 13,32; 26,6; Röm 15,8. 16 Weiß, Past 333; Wohlenberg, Past 213 (Gen 3,15); Schlatter, Past 212; Freundorfer, Past 247; Lock, Past 126; Scott, Past 150; Holtz, Past 205; Brox, Past 280; Lohfink, Theologie 74. - Zutreffend Jeremias, Past 68; Spicq, Past 11,593; Kelly, Past 227; Hasler, Past 85; Collins, Image 151. 17 Vgl. auch 4.Esr 7,70: „Als der Höchste die Welt erschuf, ... bereitete er zuerst das Gericht vor und was zum Gericht gehört"; slavHen(B) 49,1 f.: „Bevor der Mensch geworden, (ward) ein Ort des Gerichts ihm zuvor bereitet". In Röm 8,30 wird der vorgängige Heilsplan Gottes durch einen Kettenschluß entfaltet, der von προορίζειν bis δοξάζειν reicht (s. dazu Balz, Heilsvertrauen 107 f.; Brandenburger, Schriftauslegung 35ff.).
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daß Israel hier bewußt als Verheißungsträger ausgeschaltet werden soll. Der Sachverhalt wird vielmehr so zu interpretieren sein, daß zur Zeit bzw. in der Gemeinde der Pastoralbriefe das vorher noch bei Paulus und dann auch in der Apostelgeschichte virulente Problem der Kontinuität der christlichen Gemeinden mit Israel und seinen Verheißungen offensichtlich keine Rolle mehr spielte bzw. hinter der Frage nach der Kontinuität mit Paulus ganz zurücktrat 18 . Aus diesem Grunde konnte der Begriff der Verheißung ohne Schwierigkeiten aus seinem ursprünglichen Zusammenhang der Erwählungstradition herausgelöst und in einen anderen sprachlichen Zusammenhang eingetragen werden. Zum Wortfeld von έπαγγελία gehören aus dem Vokabular von Tit 1,2 auch έλπίς und άψευδής 19 : έλπίς kennzeichnet die Hoffnung der Empfänger der Verheißung auf deren Erfüllung 20 , während άψευδής u. ä. sich auf den Geber der Verheißung oder diese selbst bezieht und deren Erfüllung zum Kriterium hat 21 . Insofern korrespondieren also έλπίς und άψευδής, denn es gibt begründete Hoffnung auf Erfüllung der Verheißung nur dann, wenn diese bzw. ihr Geber wahr oder zuverlässig sind. Ob aber eine Verheißung zuverlässig und der Verheißungsgeber άψευδής sind, erweist sich immer erst in ihrer Erfüllung, die im Falle von Tit 1,2 f. noch aussteht 22 . b) Nun hat Gott aber zufolge V. 3 schon vor der eschatologischen Realisierung seiner Verheißung gezeigt, daß er άψευδής ist und die Hoffnung darauf einen festen und verbindlichen Grund hat: Gott hat seinen λόγος in καιροΐς ιδίοις, wodurch der angesprochene Vorgang sowohl gegenüber der vorzeitlichen Vergangenheit des Aussprechens der Verheißung wie gegenüber deren Realisierung in der Zukunft abgegrenzt wird 23 , „offenbart", und zwar im Kerygma, das dem Apostel an" Vgl. auch Roloff, Pfeiler 233. " Dasselbe Wortfeld (Verheißung - nicht lügen - Hoffnung) ist auch in Hebr 6,17 f. verarbeitet. - Zum Sinnbezirk von άψευδής gehören auch die Entsprechungen wie άληθής/άλήθεια und πιστός (vgl. 3.Makk 2,10 f.) zur Korrelation von άψευδής und πιστός vgl. 1. Clem 27,1 f. 20 Prov 13,12; 2.Makk 2,18; Josephus, ant. 1,236; Act 26,6; Eph 2,12; Hebr 10,23; l . C l e m 27,1 u.ö. 21 Für den Zusammenhang von Wahrheit und Verheißung im A T vgl. Michel, 'AMAT 41 ff. („Übereinstimmung eines [göttlichen] Worts . . . mit zukünftigen Ereignissen", 41); frühchristlich: Rom 15,8; Hebr 10,23; l.Clem 27,1 f.; 2.Clem 11,6. 22 S.o. S.83f. " Die Wendung καιροϊς Ιδίοις darf darum nicht einseitig von der Verheißung her bestimmt werden (so Dibelius/Conzelmann, Past 35; Holtz, Past 205). Barrs scharfe Abgrenzung gegen die Interpretation von καιροί ίδιοι als .bestimmter Zeit' (Words 45 Anm. 2: „impossible ... in every way") konstruiert freilich eine unangemessene Alternative, sind doch in diesem Kontext die Offenbarung des Logos in Tit 1,3 und die anderen έν καιροΐς ιδίοις geschehenden Ereignisse damit nicht aus Gottes Plan herausgenommen. Sie folgen gerade dadurch, daß sie sich in „,right or proper time'" (Barr, ebd.) vollziehen,
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vertraut wurde. - Nicht erfaßt ist das Profil dieser Aussage, wenn man es kerygmatheologisch („die Offenbarung ... geschieht als λόγος toö θεοΰ durch die Verkündigung des Paulus") 24 oder im Sinne des katholischen Lehramtsverständnisses (die Offenbarung „ist im Wort der apostolischen und kirchlichen Verkündigung präsent, angeboten, aktualisiert") 25 interpretiert. Die Formulierung in Tit 1,3 muß vielmehr auf das zurückliegende Heilsgeschehen als das Sünder rettende Heilshandeln Gottes bezogen werden 26 . Dies ist vor allem durch die aoristische Formulierung έφανέρωσεν nahegelegt, die ihre Entsprechung innerhalb der Pastoralbriefe in den ebenfalls aoristischen Formulierungen φανερωθεΐσαν (2.Tim 1,10) und έπεφάνη (Tit 2,11; 3,4) hat, welche sich ganz eindeutig auf das Christusgeschehen beziehen, wie auch sonst die Pastoralbriefe von diesem immer im Aorist reden (l.Tim 1,15; 2,6) 27 . Entsprechend umschreibt κήρυγμα dann auch nicht den Vorgang der paulinischen „Predigt ... des Wortes Gottes" 28 , sondern kennzeichnet als nomen rei actae und analog zu μαρτύριον (l.Tim 2,6) und εύαγγέλιον (2.Tim 1,10) zugleich und in erster Linie metonymisch deren Inhalt, das Heilsgeschehen als Rettung der Sünder, wie es einmal in den soteriologischen Passagen der Pastoralbriefe mehrfach beschrieben wird und in l.Tim 1,15 seinen nuancierten und programmatischen Ausdruck gefunden hat und wie es zum anderen auf die authentische Verkündigung durch Paulus hin angelegt und in dieser präsent ist. Chronologisch und inhaltlich ist Tit 1,3 dem in V. 2 beschriebenen Verheißungsbogen zwischengeordnet und will zum Ausdruck bringen, daß
der festgestellten Welt- und Geschichtsordnung. Dies wird außer in l.Tim 6,15 deutlich etwa in syrBar 5,2 („mein Name und mein Ruhm währt bis in Ewigkeit, mein Gericht aber wird zu seiner Zeit sein Recht geltend machen") oder in l.Clem 20,4, w o die καιροί 'ίδιοι ausdrücklich auf Gottes Schöpfungswillen (θέλημα) und -bestimmungen (δεδογματισμενοι) zurückgeführt werden: „Die Erde trägt Frucht nach seinem Willen und bringt τοις ιδίοις καιροΐς Nahrung hervor . . . , ohne etwas an seinen Bestimmungen zu ändern". 24 Lührmann, Offenbarungsverständnis 132; vgl. auch v. Lips, Glaube 43; Dibelius/ Conzelmann, Past 99; Conzelmann, Grundriß 53 Anm.4; Hasler, Epiphanie 202 („Karfreitag und Ostern sind lediglich Kerygma, kein Heilsfaktum"); Kretschmar, Glaube 121 (mit den καιροί ίδιοι sei die Zeit der Missionspredigt gemeint). 25 Brox, Past 281; noch deutlicher ebd.: „Die . . . Verheißung des ewigen Lebens ist im amtlichen Kerygma bleibend und verläßlich zugänglich"; vgl. dazu die Ausführungen der .Dogmatischen Konstitution über die göttliche Offenbarung' des 2. Vatikanischen Konzils (11,7-10; LThK.E 2,515 ff). 24 Vgl. Jeremias, Past 68. 27 Darüber hinaus eignet sich die punktuelle Aktionsart des Aorist (vgl. Blaß/Debrunner/Rehkopf, Grammatik §318. 331 ff.; Spicq, Past 11,594) schwerlich dazu, den für die Pastoralbriefe noch unabgeschlossenen Vorgang der paulinischen Verkündigung zu umschreiben. 28 Burchard, Formen 326; vgl. auch Friedrich: T h W N T 3,716 („actus praedicandi"); Kretschmar, Glaube 121 („die konkrete Missionspredigt").
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Gott sein Verheißungswort 29 bereits vor der Erfüllung der Verheißung in der eschatologischen Zukunft als wahr erwiesen hat. Dieses Verständnis von φανερόω hat seine nächste sprachliche Parallele in der LXX-Fassung von Gen 42,16: „Schickt einen von euch und holt euren Bruder, ihr aber bleibt zurück, 8ως τοΟ φανερά γενέσθαι τά φήματα ύμών, εί άληθεύετε η ου" sowie auch bei Ignatius, Rom 8,2: „Ich bitte euch, glaubt mir, denn Jesus Christus ύμϊν ταΰτα φανερώσει, δτι αληθώς λέγω." Die nächste sachliche Parallele findet sich vielleicht in LibAnt 27,13: „Der Herr zeigt, daß die Dinge, die er zu dir gesprochen hatte, fidelia waren, und was wir per verbum gehört haben, sehen wir nun visu, apparente opere sermonis Dei". Hier wie auch in Tit 1,2 f. besteht das Offenbarwerden in dem Erweis der Wahrheit des Gesagten (in Tit 1,2 f. des Verheißungswortes Gottes, der άψευδής ist). Der allen Texten gemeinsam zugrundeliegende Gedanke ist der, daß sich die Wahrheit und Verläßlichkeit von Worten erst in einem Geschehen bzw. in Werken offenbaren. Dies hat seinen allgemeinen Hintergrund in der Zuordnung von λόγοι und έργα, wonach .Worte' nur dann glaubwürdig sind, wenn sie mit den .Taten' übereinstimmen'0. Das in den genannten Texten verarbeitete Wortfeld begegnet auch in 2. Kor 4,2 („wir wandeln nicht in Hinterlist und verfälschen das Wort Gottes nicht, sondern tfj φανερώσει της άληθείας empfehlen wir uns selbst"). Nach Tit 1,2 f. ist demnach die Erfüllung der eschatologischen Verheißung des ewigen Lebens sicher verbürgt, weil Gott bereits jetzt sein Verheißungswort als wahr erwiesen hat. - Dieses Argumentationsgefälle vom Heilsgeschehen in der Geschichte zum eschatologischen Heil jenseits der Geschichte ist zwar seiner Struktur nach gut paulinisch 31 , weist aber eine für die Pastoralbriefe spezifische Umakzentuierung auf, die in dem Begriff κήρυγμα und in dem diesem eignenden Doppelaspekt der „Tätigkeit des Verkündigens und (des) Inhalt(s) der Verkündigung" 3 2 sowie in dem identifizierenden Relativsatz 33 greifbar wird: Während in den authentischen Paulusbriefen die an Abraham bzw. die " λόγος in diesem Sinne auch z.B. Rom 9,6. 9; zur Sache vgl. noch 2.Sam 7,25. 28 (to φήμα ... χίστωσον έως αιώνος σύ εί ό θεός, και οι λόγοι σου Εσονται άληθινοί); LibAnt 27,13 („Der Herr . . . hat gezeigt (ostendit), daß zuverlässig war, was er dir gesagt hatte"); 1Q27 I 8 (s.o. S.79 Anm.45). 10 Vgl. zum Verhältnis von λόγοι und Κργα in paganen griechischen Texten die informative Darstellung bei Heiligenthal, Werke 14 ff. 31 Vgl. z.B. Röm 5,9f.; 8,31 ff.; l.Kor 15,Iff.; Gal 1,4; l.Thess 4,14 u.ö.; diese Argumentationsweise ist auch in dem paulinischer Tradition entstammenden Text Tit 3,4-7 (vgl. Luz, Rechtfertigung 370 f.; Lindemann, Paulus 141 f.) rezipiert. 32 Merk: E W N T 2,719. - Dieser Doppelaspekt von κήρυγμα findet sich m.E. auch in l.Kor 1,21. Die μωρία τοΟ κηρύγματος ist aufgrund des Kontextes nicht allein „die törichte Predigt(weise)" als „Predigt ohne .sophistische' Argumente" (Goldammer, KERYGMA-Begriff 80 mit Anm. 5) sondern durch ihren Inhalt, das Kreuz, determiniert (vgl. Conzelmann, l.Kor 61). 33 S.u. S.90 mit Anm.36.
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Väter ergangene Verheißung durchweg ausdrücklich auf Christus bezogen wird (vgl. Gal 3,16), durch den sie die βεβαίωσις im Hinblick auf ihre zukünftige 3 4 Erfüllung erfährt (Rom 15,8: ύπέρ άληθείας θεοϋ als sprachliches Äquivalent zu ό άψευδής θεός in Tit 1,2; 2. Kor 1,20 f.), tritt das Christusgeschehen in Tit 1,3 b sprachlich und sachlich ganz in den Hintergrund und bleibt allein präsent als dem pastoralen Paulus zur Verkündigung aufgetragenes Heilsereignis. Christus und das Geschehen von Kreuz und Auferstehung bleiben so exklusiv hingeordnet auf den Paulus der Pastoralbriefe, der hier selbst in die Funktion des Garanten des eschatologischen Heils der Z u k u n f t eintritt. - Dies liegt zum einen ganz auf der Linie der oben aufgezeigten 35 Neuakzentuierung der Soteriologie innerhalb der frühchristlichen Missionssprache, wobei die das Christusgeschehen gegenüber l . T i m 2,4-7 und 2.Tim 1,9-11 sprachlich zurückdrängende Zuspitzung darauf zurückgehen dürfte, daß hier die Darstellung aufgrund ihrer Einbettung in die superscriptio des Präskripts ausschließlich an Paulus orientiert ist. Gleichzeitig besteht hierin ein inhaltlicher Zusammenhang mit l . T i m 1,15f., insofern sich beide Gedankengänge miteinander zur Deckung bringen lassen: Weil Paulus dort als erster der geretteten Sünder herausgestellt wird, an dem sich Christi Heilshandeln prototypisch zum eschatologischen Heil f ü r alle Glaubenden vollzogen hat, und er damit zur authentischen Verkündigung dieses Heilsgeschehens autorisiert ist, kann der Verfasser der Pastoralbriefe diesen Vorgang - den die Formulierung in Tit 1,3 b wieder aufgreift - in Tit 1,2 f. als Erweis der Wahrheit des Verheißungswortes Gottes darstellen. Als βεβαίωσις der Verheißung des eschatologischen Heils der Zukunft f ü r die Gläubigen fungiert also, wenn man Tit 1,2f. von l . T i m 1,15f. her liest, das Christusgeschehen lediglich insofern, als es von dem pastoralen Paulus prototypisch erfahren wurde und als es nur in der Bindung an ihn zugänglich bleibt, wodurch dieser zum Garanten dieses Heils wird. U n d von daher kann auch der erwähnte Doppelaspekt von κήρυγμα in Tit 1,3 inhaltlich gefüllt werden: Er liegt darin begründet, daß das prototypische, alle Glaubenden einschließende Heilshandeln Christi an Paulus zugleich auch dessen Einsetzung zum autorisierten Interpreten des Heilsgeschehens bedeutet. Entsprechend beziehen sich hier und in den anderen Texten die Formulierungen, die die Beauftragung des Apostels umschreiben, auf nichts anderes als auf sein eigenes, in l . T i m 1,15f. beschriebenes Heilsgeschick: In der urbildlichen Errettung des Paulus vollzieht sich seine Amtseinsetzung. Und dementsprechend haben diese an εύαγγέ54 Auch Paulus „spricht ... nicht von einer gegenwärtigen Erfüllung früherer Verheißungen, sondern von ihrer Bekräftigung bzw. In-Geltung-Setzung" (Koch, Schrift 309). » S.o. S.75f.
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λιον (l.Tim 1,11; 2.Tim l,10f.), μαρτύριον ( l - T T i m 2,6f.) und κήρυγμα (Tit 1,3) angeschlossenen Relativsätze nicht spezifizierende, sondern eindeutig identifizierende bzw. charakterisierende Bedeutung 36 : Es gibt kein anderes εύαγγέλιον, μαρτύριον und κήρυγμα als das dem Paulus anvertraute und von ihm vertretene. - Vor diesem Hintergrund ist in Tit 1,3 c die Herleitung des apostolischen Auftrags des pastoralen Paulus von Gott als dem „Retter" (vgl. auch l.Tim 1,1) nicht als mehr oder weniger unreflektierte Beliebigkeit der Formulierung anzusehen, sondern hat programmatische Bedeutung: Der Verfasser der Pastoralbriefe versteht den paulinischen Apostolat als konstitutiven Teil des göttlichen Heilsplans, insofern in der eigenen Heilserfahrung des Paulus und dessen Einsetzung in das apostolische Amt die Erfüllung der Hoffnung auf das von Gott verheißene eschatologische Heil der Zukunft sicher verbürgt ist und in der Bindung der Gläubigen an den Apostel erhalten bleibt. 37
4.
Zusammenfassung
Für die vorstehend besprochenen Texte, in denen die Amtseinsetzung und Beauftragung des pastoralen Paulus vom Christusgeschehen her dargestellt wird, ist zunächst charakteristisch, daß die Verknüpfung zwischen den beiden Ereignissen jeweils mit Hilfe eines Begriffes hergestellt wird, der das Heilsgeschehen aus seiner zurückliegenden Faktizität in die Sprache der Verkündigung hinüberführt: μαρτύριον (l.Tim 2,6; vgl. auch 2.Tim 1,8), εύαγγέλιον (2.Tim 1,10; vgl. auch l.Tim 1,11) und κήρυγμα (Tit 1,3). In Tit 1,2 f. ist diese Transformation auf die Spitze getrieben, insofern das Heilsgeschehen als Christusgeschehen hier nur als durch den Begriff κήρυγμα metonymisch umschriebenes in den Blick kommt 1 . Die Pastoralbriefe bewegen sich damit auf der Linie der Umakzentuierung der Soteriologie innerhalb der frühchristlichen Missions- und Verkündigungssprache, wie sie schon und vor allem bei Paulus zu beobachten ist2. Diese hermeneutische Umsetzung 36 Vgl. dazu Seiler, Relativsatz 19 ff., der hier die Bedeutungsdifferenz zwischen Spezifikation und Charakterisierung umfassend herausarbeitet. " Vor diesem Hintergrund kann man gerade nicht die an sich richtige (s.o. S.64f.) These der „funktionalen Hinordnung des Heilswerkes Jesu auf die von Gott initiierte und bleibend von ihm getragene Heilsgeschichte" (Oberlinner, .Epiphaneia' 199) mit dem Hinweis auf Tit 1,3 in dem Sinne belegen, „daß mit Jesus Gottes letztes Wort an die Menschen gesprochen ist" (Oberlinner, ebd.; Hervorhebung im Original), denn zwischen Jesus und den Menschen hat eben doch - wenn man so will und in Anführungszeichen noch eine „andere .Heilsgestalt' . . . Platz" (Oberlinner, ebd.), nämlich Paulus. 1 2
Zu den Gründen dieser sprachlichen Ökonomie s.o. S.82. S.o. S.75f.
Zusammenfassung
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des Christusgeschehens erfolgte bei Paulus mit der Intention, die zeitliche Distanz zwischen der Missionspredigt in seiner Gegenwart und dem zurückliegenden Christusgeschehen zu überbrücken und den Heilscharakter des letzteren in die Verkündigung des frühchristlichen Missionars hineinzunehmen, und sie ist auch f ü r die Anbindung der Amtseinsetzung des pastoralen Paulus an das Christusgeschehen bestimmend gewesen 3 . Dadurch, daß die Pastoralbriefe der Verkündigung des Apostels soteriologische Relevanz zuschreiben, unterscheiden sie sich darum im Prinzip nicht von dieser Sicht. Was der Konzeption der Pastoralbriefe aber ihr unverwechselbares Profil verleiht und sie von der paulinischen und auch der lukanischen trennt, ist weniger ihr sog. „exklusiver Paulinismus" 4 , als vielmehr die inhaltliche Begründung der soteriologischen Relevanz der apostolischen Verkündigung. Dabei liegt die Differenz nicht darin, daß sich hier und dort unterschiedliche inhaltliche Begründungen finden, sondern darin, daß der Heilscharakter der apostolischen Verkündigung überhaupt nur in den Pastoralbriefen inhaltlich im eigentlichen Sinne des Wortes begründet wird, und zwar insofern dieser Heilscharakter der Verkündigung in dem Heilscharakter des Geschicks des pastoralen Paulus gründet, wie er in l . T i m 1,15f. beschrieben ist. Während bei Paulus und Lukas die apostolische Beauftragung und Sendung unabhängig von Christi Heilshandeln in eigenen Berufungs- und Sendungsvorgängen Erscheinungen des Erhöhten (Lk 24,36-49; Act 1,6-8; 9,3 ff. par.; l . K o r 15,8; Gal 1,16) - dargestellt wird, nehmen die Pastoralbriefe die Beauftragung des Paulus mit in das Heilsgeschehen selbst hinein, so daß die Einsetzung des pastoralen Paulus in sein apostolisches Amt zu einem „integrale(n)" 5 Bestandteil dieses Heilsgeschehens selbst wird. Erst unter dieser Voraussetzung, d.h. dem in l . T i m 1,15f. beschriebenen prototypischen, weil alle zukünftig Glaubenden einschließenden soteriologischen Charakter der paulinischen Heilserfahrung, die zugleich die Einsetzung in sein apostolisches Amt ist, erhält die Verkündigung des pastoralen Paulus selbst soteriologischen Charakter und Verbindlichkeit. Die in den besprochenen Texten zutage getretene Identifikation der paulinischen Botschaft mit dem Evangelium hat ihren Grund darum nicht in einer von Christi Heilshandeln an den Gläubigen unabhängigen Autorisierung wie bei Lukas und Paulus, sondern ist organischer Bestandteil dieses Heilshandelns. Die zeitliche Differenz zwischen dem Christusgeschehen und der Verkündigung wird also in den 3
Vgl. auch Kretschmar, Glaube 121: „Eben diese Differenz der Zeiten überbrückt die Offenbarung im Wort. Das Bindeglied ist der Apostel." Hiermit meint Kretschmar Tit 1,3, welchen Text er ebd. 120 f. anders und m.E. unzutreffend interpretiert. 4 Brox, Past 73; Wanke, Paulus 174. s Kretschmar, Glaube 119.
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Pastoralbriefen geschlossen durch die Hineinnahme der Beauftragung und Sendung des Apostels in das Heilsgeschehen selbst. Und anders als bei Lukas wird Paulus durch seine Bekehrung auch nicht zum .Zeugen' dessen, was er gesehen und gehört hat (Act 22,14 f.; 26,16), sondern zum soteriologischen Garanten des universalen Heilswillens Gottes und des Heilshandelns Christi. Uber das Gesagte hinaus bedarf es keines umfangreichen Nachweises, um zu sehen, wie weit die Pastoralbriefe mit dieser Konzeption vor allem von dem Selbstverständnis des Paulus der authentischen Briefe entfernt sind. Lohfinks Bemühungen 6 , die exklusive Bindung des Evangeliums an den pastoralen Paulus als direkten „Rückgriff auf das Selbstverständnis des authentischen Paulus" 7 zu erweisen, beziehen sich auf die ererbte GemeiWetradition und z.T. auf Inhalte, die durch paulinische Sprachtradition vermittelt sein dürften wie etwa die Ausrichtung des paulinischen Evangeliums auf die εθνη 8 , und kommen ansonsten über die Zusammenstellung rein äußerlicher und formaler Entsprechungen nicht hinaus. Entscheidend ist aber die inhaltliche Begründung der „Korrelation Apostel-Evangelium"', und hier dürfte die Differenz zwischen Paulus und den Pastoralbriefen unübersehbar sein: Zwar begreift sich auch Paulus immer als von Gott selbst erwählten und autorisierten Verkündiger des Evangeliums Gottes (Rom 1,1; 15,16) und Christi (Röm 1,9), an keiner Stelle aber verbindet er seine eigene Bekehrungserfahrung in der Weise mit dem Inhalt des Evangeliums, daß er dieser eine über sich selbst hinausweisende soteriologische Bedeutung zuschreibt. Und wenn Paulus seine Bekehrung thematisiert wie in Gal 1,11-16 und Phil 3,4-11, so verweist er dabei immer von sich selbst weg auf den, der den maßgeblichen Inhalt seines Evangeliums darstellt, Jesus Christus, so daß sein eigenes Geschick nie wie in l.Tim 1,15f. zwischen das Christusgeschehen und dessen Heilsbedeutung für die Gläubigen tritt. Dadurch, daß die Pastoralbriefe an entscheidenden
' Lohfink, Theologie 75 ff. 94 ff. 7 Lohfink, ebd. 75; vgl. auch die Zusammenfassungen: „All das [die Aussagen der Past über den paulinischen Apostolat, M.W.] ist gut paulinisch und stellt eine klare Rezeption von Selbstaussagen des historischen Paulus dar" (ebd. 78), und ebd. 96. - Vgl. zum Folgenden u. S. 247 ff. • Lohfink, ebd. 77 f. ' Lohfink, ebd. 76. - Lohfink sieht hier lediglich unterschiedliche „Akzentsetzungen" (ebd. 78): Bei Paulus werde „die Betrauung mit dem Apostolat meist mit der Offenbarung des Auferstandenen in Verbindung gebracht", während sie in den Pastoralbriefen „als Amtseinsetzung formuliert" sei (ebd.; Hervorhebungen im Original). Dies ist jedoch nicht die entscheidende Alternative, denn erstens ist es möglich, daß ένδυναμοΟν in l.Tim 1,12 doch eine Reminiszenz an das Damaskusgeschehen darstellt (s. o. S. 38), das hier deutlich als Amtseinsetzung interpretiert ist, und zweitens ergibt sich letztere erst aus dem prototypischen Heilsgeschick des Apostels (s.o. S.62 Anm.6).
Zusammenfassung
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Stellen (l.Tim 1,15f.; 2,5-7; 2.Tim 1,10f.; Tit 1,2f.) vom Christusgeschehen reden, nicht ohne sogleich auf Paulus als dessen authentischen und für die Gläubigen verbindlichen Garanten und Interpreten zu verweisen, verschieben sie die Gewichte in charakteristischer Weise. Denn während Paulus immer wieder von sich weg auf Christus als den maßgeblichen Heilsgrund verweist, verweisen l.Tim 1,15f. und die anderen im Horizont dieses Textes stehenden Aussagen von Christus auf Paulus als den soteriologischen Garanten, über den allein der Zugang zu dem durch Christus bewirkten Heil möglich ist. Davon abgesehen übersieht Lohfink, wenn er als „formale und inhaltliche Gemeinsamkeiten" 10 zwischen Paulus und den Pastoralbriefen an erster Stelle den absoluten Gebrauch von εύαγγέλιον (2.Tim 1,8.10) und die Wendung εύαγγέλιόν μου (2.Tim 2,8) hervorhebt11 - sofern der zahlenmäßig spärliche Gebrauch von εύαγγέλιον in den Pastoralbriefen (4 Belege) überhaupt eine ausreichende Basis für derartige Vergleiche abgibt -, eine wesentliche Differenz in der Verwendung dieses Begriffs: Während in den authentischen Paulusbriefen immerhin ein Drittel aller Belege von εύαγγέλιον mit dem Genitiv-Attribut (τοΟ) θεού bzw. (τοϋ) (ΊησοΟ) ΧριστοΟ versehen ist12, wodurch der paulinische Sprachgebrauch sein unverwechselbares Profil erhält11, findet sich hiervon in den Pastoralbriefen nichts, so daß zumindest in dieser Hinsicht „die Nähe der Past[oralbriefe] zu Paulus" keineswegs „auf der Hand liegt"14, sondern letztere sich signifikant von Paulus unterscheiden.
Vor diesem Hintergrund ist es aber vielleicht auch möglich, das Verhältnis von Soteriologie und Paränese, Indikativ und Imperativ, in den Pastoralbriefen näher zu bestimmen. O. Merk u. a. heben unter Heranziehung vor allem von Tit 2,11-14; 3,3-7 mit ihrem jeweiligen Kontext 15 den engen Zusammenhang zwischen beiden Größen hervor und sehen auch in den Pastoralbriefen die paränetischen Anweisungen „im Indikativ des Heils verankert" 16 , wobei der jeweilige Begründungszusammenhang sich von der paulinischen Position allerdings oder nur durch geringeren „Tiefgang" 17 unterscheide. Demgegenüber konstatiert 10
Lohfink, ebd. 94. » Lohfink, ebd. 94 f. Vgl. die übersichtliche Kennzeichnung in V K G N T 1,462 f.; zu ergänzen wäre hier noch Röm 1,9. 13 Dies gilt auch dann, wenn Paulus „ebenso wie Mk das absolute εύ[αγγέλιον] und die Genitiwerbindung toö θεοΟ bzw. τοϋ ΧριστοΟ in der hellenistisch-christl[ichen] Überlieferung vorgefunden (hat), (aber nicht wirklich) unterscheidet" (Strecker: E W N T 2,177; s. auch ders., Evangelium 524f.); vgl. z.B. Gal l , 6 f . 11 f. 16. " Lohfink, Theologie 96. 15 Vgl. zu diesen Texten o. S. 66 f. " Merk, Glaube 99; vgl. auch ebd. 98: „Anweisungen für die Gemeindeleiter wie für die Gemeinde vornehmlich mit Hinweisen auf das empfangene und darum gegenwärtige Heil zu begründen"; Trümmer, Paulustradition 229 f.; Schräge, Ethik 245; Bultmann, Theologie 536; v. Lips, Glaube 75. 17 Merk, Glaube 99. 12
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U. Luz eine „Beziehungslosigkeit" von Soteriologie und Ethik, wodurch „es in den Pastoralbriefen offenbar nicht mehr gelingt, den Imperativ im Indikativ zu begründen" 1 8 : „In der Terminologie späterer D o g matik: Rechtfertigung und Heiligung fallen zeitlich auseinander, sind nicht mehr Vorder- und Kehrseite ein und desselben Geschehens, sondern Ausgangspunkt und Fortsetzung." 1 9 Auch Luz zieht Tit 2,11-14; 3,3-7 heran und greift darüber hinaus noch auf 2. Tim 1,9-11 zurück 2 0 . Keine Berücksichtigung finden bei der Diskussion dieser Problematik hier wie dort - mit Ausnahme von 2.Tim 1,9-11 bei Luz - die in den vorstehenden Abschnitten erörterten Texte l . T i m 1,15f.; 2,4-7; Tit 1,1-3. D a ß auch diese Passagen in die Betrachtung einzubeziehen sind, erhellt vor allem aus ihrer programmatischen Position jeweils zu Beginn der drei Briefe in Verbindung damit, daß diese - cum grano salis - paränetische Intentionen verfolgen. Diese enge Verknüpfung der genannten Texte mit den jeweiligen paränetischen Anweisungen der Briefe läßt sich im einzelnen aber noch genauer zeigen: In l . T i m 2,1 wird die durch πρώτον πάντων ausdrücklich hervorgehobene M a h n u n g zum Gebet f ü r alle Menschen etc. mit Hilfe eines ουν-paräneticum 2 1 über die erweiterte (1,19 f.) brieftypologische Uberleitung zum Corpus des l . T i m in 1, 1822 direkt an die Darstellung der Einsetzung des pastoralen Paulus in sein apostolisches Amt aufgrund seines prototypischen Heilsgeschicks (1,12-17) angeschlossen. - D e r gleiche Zusammenhang findet sich dann auch in 2,4-7.8, wo in V. 8 eine mit dem paränetischen οδν eingeleitete Weisung unmittelbar auf die Darstellung des Heilsgeschehens und die Einsetzung des Apostels zu dessen authentischem Interpreten (V. 4-7) folgt. Und wenn in Tit 1,1-3 die entsprechenden soteriologischen Aussagen innerhalb der superscriptio des Präskripts stehen, wird dadurch signalisiert, daß der gesamte Brief mit seinen apostolischen Weisungen in diesem H o r i z o n t gelesen werden will. - In 2.Tim 1,9-11 schließlich 23 ist die Darstellung des Heilsgeschehens (V. 10 f.) einschließlich dessen Bindung an den pastoralen Paulus (V. 11) über das nachklappende und τ φ εύαγγελίφ (V. 8) wieder aufnehmende δια t o ß ευαγγελίου 2 4 (V. 10) eingebettet in die in V . 6 beginnende Mahnrede an den Nachfolger 2 5 . 18
Luz, Rechtfertigung 377. 379; vgl. auch Heiligenthal, Werke 71. 20 " Luz, Rechtfertigung 377. Luz, ebd. 376 f. 378 f. 21 22 Vgl. Nauck, ούν-paräneticum; Schräge, Ethik 160. S. dazu u. S. 118. 179. 23 Dieser Text gehört (gegen Trümmer, Paulustradition 189; Luz, Rechtfertigung 378) nicht zum Proömium des 2.Tim (s.dazu u. S. 203 ff.). 24 Ein vergleichbarer Übergang findet sich in Eph 3,6 f.: „die Heiden sind .. Teilhaber der Verheißung έν Χριστώ ΊησοΟ δια τοϋ ευαγγελίου, dessen Diener ich geworden bin . . . " - Zum Aufbau von 2.Tim l , 6 f f . s.u. S.215f. 25 Vgl. dazu u. S. 214 ff.
Priorität und Tradition
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Insgesamt wird dadurch deutlich: Soteriologie und Paränese finden in den Pastoralbriefen ihre Einheit in der Person des Paulus als des aufgrund seines prototypischen Heilsgeschicks authentischen Interpreten des Evangeliums und Garanten des Heils. In diesen Texten ist - um es etwas zugespitzt zu sagen - Paränese also in der Tat nicht wie bei Paulus als direkte „Konsequenz des Kerygmas"26 verstanden und unmittelbar aus dem Christusgeschehen abgeleitet; vielmehr tritt Paulus dazwischen, der das Heil aufgrund seines eigenen Geschicks den Gläubigen garantiert und authentisch vermittelt. Dadurch wird aber auch verhindert, daß Soteriologie und Ethik in ein weitgehend beziehungsloses zeitliches Nacheinander auseinanderfallen. Indikativ und Imperativ bleiben vielmehr insofern aufeinander bezogen, als der Indikativ in der urbildlichen Heilserfahrung des pastoralen Paulus beschlossen liegt und dieser gerade dadurch autorisiert ist, den Imperativ verbindlich zu formulieren. Dieser in der Person des Paulus hergestellte sachliche Zusammenhang von Soteriologie und Paränese ist für das Gesamtanliegen der Pastoralbriefe als pseudepigrapher Schriften von erheblicher Bedeutung, die sich fast syllogistisch beschreiben läßt: Eschatologisches Heil gibt es für die nachpaulinische Gemeinde nur, wenn sie mit Paulus als dem prototypisch Geretteten in Verbindung, also paulinische Gemeinde im eigentlichen Sinne des Wortes bleibt. Dies ist sie aber nur in der unbedingten Ausrichtung an den paränetischen Inhalten der Paulus als Autor fingierenden Pastoralbriefe. Und nur in dieser Ausrichtung ist den Gläubigen das eschatologische Heil der Zukunft sicher verbürgt.
III. Priorität und Tradition Im folgenden soll es nicht um die Erarbeitung und Ausgrenzung von mündlich oder literarisch vermittelten Traditionen in den Pastoralbriefen gehen. Gegenstand unserer Erörterungen soll vielmehr das sich aus ihrem pseudepigraphischen Charakter ergebende Selbstverständnis der Pastoralbriefe als Paulustradition sein1. In der Differenz zwischen die26
Schräge, Ethik 160.
1 Vgl. dazu o. S. 11 mit Anm. 3 sowie zur Sache Wegenast, Verständnis 132 ff.; Blum, Tradition 55 ff.; Wanke, Paulus 170 ff.; v.Lips, Glaube 265 ff.; Schmitt, Autorite 217 ff.; ders., Didascalie; Lohfink, Normativität; ders., Theologie 96 ff.; Müller, Traditionsprozeß 246 ff. (jeweils mit älterer Literatur).
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Priorität und Tradition
sen beiden Ansätzen wird zugleich auch das Proprium des Traditionsverständnisses der Pastoralbriefe vor allem gegenüber Paulus sichtbar: Hier werden nicht mehr wie dort Einzeltexte als Tradition ausgewiesen (wie etwa l . K o r 11,23; 15,3) oder einzelne Traditionsstücke übernommen und weitergegeben (vgl. den charakteristischen Plural παραδόσεις in l . K o r 11,2)2; in den Pastoralbriefen wird Tradition vielmehr als eine und summarische begriffen, und zwar als alle Einzeltraditionen umund übergreifende einheitliche Paulustradition 3 . Ihrem eigenen Selbstverständnis nach enthalten die Pastoralbriefe nicht Paulustradition, sie sind dies vielmehr, insofern sie mit dem Anspruch auftreten, von Paulus für ihre eigene Gegenwart formulierte und deswegen verbindliche Inhalte zu vermitteln. Literarisches Ausdrucksmittel dieses Traditionsverständnisses ist die pseudepigraphische Gestaltung der Pastoralbriefe: Alles, was in dieser Weise auf Paulus zurückgeführt wird, d. h. die Gesamtheit der in den Briefen niedergelegten gemeindlichen Lehr- und Lebensordnungen ist eo ipso normative Tradition. Und nur als solche auf den Apostel selbst zurückgeführte Tradition kommt ihrem Inhalt Verbindlichkeit zu, und das literarische Mittel der Pseudepigraphie dient dazu, die „autoritative Norm der Vergangenheit für die Gegenwart wirksam zur Sprache zu bringen" 4 . Insofern korreliert also die literarische Form der Pseudepigraphie - nicht nur in den Pastoralbriefen - aufs engste mit dem so verstandenen Traditionsgedanken: Innerhalb der Geschichte des frühen Christentums war sie für die zweite und dritte Generation das hervorragend geeignete Ausdrucksmittel, für die nachapostolische Zeit die Verbindlichkeit des Apostolischen - als Tradition - zu formulieren 5 .
2
Zum paulinischen Traditionsverständnis s.u. S. 126f. Auf diese wichtige Differenz hat Goppelt (Tradition 229) aufmerksam gemacht: Die Pastoralbriefe „reden nicht mehr von Traditionen . . . , sondern nur von einem Traditionsgut" (Hervorhebung von mir). Vgl. auch Dautzenberg, Theologie 98 und Trilling, 2.Thess 129 zu 2.Thess 2,15: „Es handelt sich nicht um einzelne Traditionen, Gemeindebräuche, Glaubensstücke, gottesdienstliche .Formulare', Einzelanweisungen (wie 3,6). . . . Der Gesamtbestand des Glaubens (wird) als Uberlieferung qualifiziert"; Weiß, Frühkatholizismus 17 f. 4 Hengel, Anonymität 285. Hengel benutzt in diesem Zusammenhang den Begriff der „transsubjektive(n) Tradition" (ebd. 284): Die autoritative Gestalt der Vergangenheit wird ihrer Individualität beraubt und muß dazu herhalten, eine bestimmte andere Lehre mit ihrem Namen nachträglich zu autorisieren. - Brox führt diesen „Wille(n) zur rückwärts orientierten Kontinuität" (Problemstand 328) auf „ein spezifisches Wahrheitsverständnis" (ebd. 330) zurück: „Die verläßliche Wahrheit liegt je früher. ... Die Autoritäten der Vergangenheit, des Ursprungs, sind in jedem Fall näher bei der Wahrheit als die je Heutigen" (ebd.330f.); vgl. dazu auch u. S. 100 mit Anm.6. 5 Vgl. Dibelius/Conzelmann, Past 1; Blum, Tradition 55; Schneemelcher: NTApo 4 11,8; Brox, Problemstand 328 ff.; Müller, Traditionsprozeß 251. 3
Priorität und Tradition
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Der in der protestantischen Forschung eine ganze Zeit lang umstrittene und für obsolet erklärte Begriff der .nachapostolischen Zeit' 6 wird m. E. mit Recht von Hahn wieder für die Aufnahme in die Diskussion vorgeschlagen 7 und mit einer sachlich angemessenen Präzisierung versehen: Apostolisch' und ,nachapostolisch' seien „nicht als Werturteil" 8 , sondern als primär chronologische Begriffe zu verstehen, die exakt dem Selbstverständnis wie der kirchen- und theologiegeschichtlichen Selbsteinordnung der zweiten und dritten Generation des frühen Christentums entsprechen: Mit Hahns Bestimmung der nachapostolischen Zeit als „Periode", die „zeitlich zwar ,nach* der apostolischen' liegt, umgekehrt aber geprägt ist von dem Bemühen, das wahrhaft Apostolische zu bewahren und für die Folgezeit festzuhalten" 9 , läßt sich gerade im Hinblick auf unsere Fragestellung sinnvoll arbeiten, wird damit doch zum Ausdruck gebracht, daß in der damit beschriebenen Zeit die Distanz zur apostolischen Zeit ins Bewußtsein trat und als Problem empfunden wurde. Die eigene Gegenwart wurde ganz bewußt als eben nach-apostolische Zeit begriffen 10 . Diese Distanz versuchte man durch die Ausbildung eines summarischen Traditionsbegriffes (s.o.), d.h. durch die Rückführung von Lehre und Praxis der Gegenwart auf die apostolische Norm am Anfang zu überbrücken. Als literarischen Hilfsmittels bediente man sich der Pseudepigraphie. - In einen historisch analog strukturierten Kontext läßt sich vielleicht auch die Entstehung der Pseudepigraphie der frühjüdischen Apokalyptik einordnen 11 : Wie die frühchristliche Pseudepigraphie sich aus dem Bewußtsein, in nachapostolischer Zeit zu leben, herleiten läßt, so bildete in frühjüdischer Zeit die Erfahrung des Auseinanderbrechens der Größe .Israel' im Zusammenhang des hellenistischen Reformversuchs, mithin also das Bewußtsein, in nachisraelitischer Zeit zu leben, die entscheidende Voraussetzung für die Ausbildung der apokalyptischen Pseudepigraphie. Hier wie dort war es also die zerbrochene bzw. fraglich gewordene Kontinuität mit der idealisierten und als normativ empfundenen Vergangenheit, die für das Aufkommen eines pseudepigraphischen Schrifttums verantwortlich war, welches die maßgeblichen Repräsentanten dieser Vergangenheit für die Gegenwart verbindlich zu Gehör bringen wollte.
In den Pastoralbriefen tritt uns die Korrelation von Pseudepigraphie und Traditionsverständnis in der noch zugespitzteren Form entgegen, daß die Adressaten ebenfalls fiktiv12 und daß sie Einzelpersonen sind. Vor allen Dingen letzteres unterscheidet die Pastoralbriefe von dem 4
Vgl. z.B. Conzelmann, Grundriß 318. Hahn, Probleme 348. • Hahn, ebd. ' Hahn, ebd. 349. 10 Vgl. auch Brox, Berufung 47; Mußner, Ablösung 167 ff., der in diesem Zusammenhang völlig zutreffend von einem „Bruch" spricht, als welcher das Ende der Zeit der Apostel empfunden wurde. In diesem Sinne hat Conzelmann ganz recht, wenn er schreibt, daß die Vorstellung einer .apostolischen' Zeit erst in .nachapostolischer' Zeit entworfen wurde (Grundriß 318). 11 Vgl. zum Folgenden vor allem Müller, Propheten 187 ff. 12 Vgl. dazu Stenger, Timotheus 253 f. 7
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Priorität und Tradition
größten Teil der pseudepigraphischen Briefliteratur des Neuen Testaments und des frühen Christentums, die sich entweder an konkrete Gemeinden wendet (Eph; Kol; 2.Thess) oder den Adressatenkreis gesamtkirchlich ausweitet (Jak; 2.Petr; Jud; Barn; EpApost). Dies gilt um so mehr, als l.Tim und Tit über weite Strecken apostolische Weisungen enthalten, die nicht den fiktiven Adressaten gelten, sondern den ihrer Verantwortung übertragenen Gemeinden, denen sie von Timotheus und Titus übermittelt werden sollen13. Vor allem die an Timotheus gerichtete Aufforderung, das von Paulus Empfangene an πιστοί άνθρωποι weiterzugeben, die ihrerseits wiederum in der Lage sind, andere zu belehren (2. Tim 2,2) 14 , hat die exegetische Literatur dazu veranlaßt - und in dieser Beziehung gibt es inzwischen einen gewissen Konsens - , in Timotheus und Titus „literarische Gestalten" zu sehen, mit deren Hilfe der Verfasser der Pastoralbriefe „den Zeilenabstand zwischen der paulinischen Zeit und der nachpaulinischen Kirche literarisch ... überbrücken" will15. Sie repräsentieren das Prinzip der Traditionskontinuität zwischen Paulus und der Gemeinde der Pastoralbriefe und garantieren so die Authentizität der Tradition. Diese Zwischenordnung der Adressaten mit dem ausdrücklichen Auftrag zur Weitergabe des Gehörten will kenntlich machen, daß der Apostel selbst es war, der den Inhalt seiner Briefe nicht nur als verbindlich formulierte, sondern auch als weiterzureichende Tradition verstanden wissen wollte und damit den Traditionsprozeß von sich aus inaugurierte. Die in den Briefen mitgeteilten Inhalte werden insofern nicht nur in der Weise einfacher Pseudonymität durch ihre Zuschreibung an den Apostel als der normativen Instanz der Vergangenheit autorisiert, wodurch die Gemeinde der Gegenwart nur mittelbar an der Verbindlichkeit dieser Inhalte partizipieren würde. Denn auch für sie bleibt der Inhalt der Briefe ja in der Vergangenheit gesagt, und die Verbindlichkeit für sie ergibt sich nur aus der quasi zeitlosen Gültigkeit der Worte des Apostels, die sich wiederum allein aus dessen Autorität herleitet. Durch die Einschaltung der Apostelschüler als mit der Weitergabe beauftragter Zwischenglieder, und zwar von seiten des pastoralen Paulus selbst und nicht durch sekundär von der Vergangenheit in die Gegenwart hineingeführte Lehrer- und Bischofsreihen 16 , wird die genannte zeitliche Indifferenz relati" S.u. S. 145f. 14 Zu 2.Tim 2,2 s.u. S.233ff. 15 Stenger, Timotheus 266 f. 267; vgl. auch Dibelius/Conzelmann, Past 1; Zmijewski, Pastoralbriefe 111; Prast, Presbyter 391 f. u.a. - Umstritten ist, ob damit auch schon der Gedanke der Sukzession von Paulus über seine Schüler bis zu den Amtsträgern in der Gemeinde impliziert ist (so außer den bei Kümmel, Einleitung 336 Anm. 43 Genannten: Blum, Tradition 58; v. Lips, Glaube 275 ff.; Zmijewski, a.a.O. 107; anders: Kümmel, a.a.O. 336; Dibelius/Conzelmann, Past 1 f.; Roloff: TRE 2,526,10ff.;vgl.dazu u.S.239f.). " S. v. Campenhausen, Lehrerreihen 246 ff.
.Norm am Anfang'
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viert, wenn nicht aufgehoben, und die historische Distanz zwischen apostolischer Vergangenheit und nachapostolischer Gegenwart weicht der vom Apostel selbst intendierten Kontinuität. Vorstehendes mag als skizzenhafte Bestimmung des vorauszusetzenden Rahmens einstweilen genügen und wird noch zu präzisieren sein. Auf jeden Fall ergibt sich daraus aber der Inhalt der folgenden Erörterungen: Es soll in Aufnahme des oben formulierten Ansatzes der Schlüsselfunktion von l.Tim 1,15f. für das Verständnis der Pastoralbriefe 17 nach der Korrelation von Priorität und Tradition gefragt werden, in welchen Zusammenhang auch der für das Traditionsverständnis der Pastoralbriefe charakteristische Begriff παραΰήκη einzuordnen sein wird. 1. Die
,Norm
am
Anfang'
Bei der Untersuchung von l.Tim 1,15f. konnte gezeigt werden, daß die Begründung von personaler Autorität in der Literatur vor allem der hellenistischen Zeit mit Hilfe des sog. ,Prioritätstopos' erfolgt: Einer Person kommt Autorität und besondere Verehrung zu, weil sie etwas zuerst oder allein (πρώτος ή μόνος, vgl. Aristoteles, rhet. 1 3 6 8 a l l ; Isocrates, Ε vag. 78; Quintilian, inst. 3,7,16) getan hat oder ihr dieses widerfahren ist1. Da sich die auf Priorität zurückgeführte Autorität einer Person gleichzeitig auch auf die von ihr vertretenen bzw. auf sie zurückgeführte Lehrinhalte erstreckte, ist mit dem Prioritätstopos sofort auch der Traditionsjgedanke im Spiel, insofern die nicht mehr überschreitbare zeitliche Priorität des Ursprungs als normativ empfunden wird und Tradition verstanden ist als der „entschiedene Wille zur rückwärts orientierten Kontinuität" mit eben dieser ,„Norm am Anfang'" 2 . Dieser Traditionsgedanke richtet sich seiner Intention nach auf den Aufweis des Vorhandenseins von Kontinuität und Übereinstimmung von gegenwärtiger Lehre und Praxis mit der ,Norm am Anfang'. Autorität leitet sich in diesem Zusammenhang darum zunächst ganz allgemein von Antiquität 3 , d.h. „Nähe zum Ursprung" her 4 . Hier hat Konti17 1
S.o. S.21 f. 49 ff.
2 Vgl. o.S.51 ff., bes. 53 ff. Brox, Problemstand 328. 330. Zu der Hochschätzung des Alten und dem damit verbundenen Traditionsverständnis vgl. bereits Plato, Phileb. 16 c: „Die Alten, besser als wir (κρείττονες ήμών; vgl. dazu Irenäus, haer. 1 praef. 2; 13,3) und den Göttern näher wohnend, haben uns diese Sage übergeben". In Rom bildete der mos maiorum die für alle verbindliche Tradition, die nicht zur Disposition stehen durfte (vgl. etwa Cicero, Gn.Pomp.60: „ne quid novifiat contra exempla atque instituta maiorum"; vgl. dazu Rech, Mos; Ranft: RAC 3,382 ff.; Schäfke, Widerstand 631 f.). 4 Brox, Berufung 47; vgl. auch ebd. 48 ff. und 47: Die Nähe zum Ursprung „(deckt 3
100
Priorität und Tradition
nuität als solche Legitimationsfunktion, und die ,Norm am Anfang' verliert ihre Individualität 5 , was dann konsequent dahin führt, daß in der Entwicklung des Traditionsgedankens in der Alten Kirche zunehmend allgemein die Apostel in ihrer Gesamtheit (vgl. bereits Eph 2,20; l.Clem 42,1-3; Ignatius, Magn 13,1) oder dann noch allgemeiner ,die Väter* oder die πρεσβύτεροι 6 als normative Erstinstanz die Verbindlichkeit von gegenwärtiger Lehre und Praxis garantieren 7 . Wie die altkirchliche Pseudepigraphie ist auch das artkirchliche Bemühen um die Tradition - und hierin werden wieder die Berührungspunkte zwischen beiden Größen sichtbar - in allererster Linie an den infrage stehenden Inhalten und deren Herleitung aus der ,Norm am Anfang' interessiert, „denen die Individualität der reklamierten Ursprungsgröße geopfert wird"8. Innerhalb dieses Traditionsverständnisses mußte der personale Prioritätstopos darum einen neuen Stellenwert erhalten: Im Rahmen der historischen Fiktion einer vergangenen normativen .apostolischen' Zeit konnte chronologisch aufgewiesener individueller Priorität nur eine transsubjektive Funktion zukommen, standen doch alle Apostel zeitlich sozusagen auf einer Stufe und bildeten in ihrer Gesamtheit eben diese apostolische Zeit. Priorität und damit normative Autorität kam dieser Zeit und den Aposteln insgesamt zu, und die so verstandene normierende Priorität definierte sich allein durch ihr zeitliches Voraussein gesich) als zunächst rein chronologische ... mit der sachlich-inhaltlichen"; Bauer, Verständnis 202ff.; Laub, Verfasserangaben 231 f. Dies findet seinen Ausdruck z.B. auch in dem Bezug auf den normativen Anfang in 1. Joh 2,7. 24; 3,11; 2. Joh 5. 6 (vgl. dazu auch Polykarp, Phil 7,2 sowie Conzelmann, Anfang; Haacker, Stiftung 70 f.; de la Potterie, Notion 396 ff.). 5 S. dazu o.S. 96 Anm.4. Vgl. auch die Bestimmung der Intention der Pseudepigraphie des l.Petr durch Pesch: „Der Verfasser greift nicht auf Petrus-Traditionen zurück, sondern als römischer Presbyter auf die apostolische Autorität der römischen Kirche" (Simon-Petrus 151; Hervorhebung im Original) und Brox: „Der Name signalisiert ... Apostolizität, nicht Individualität" (Tendenz 119). ' Vgl. z.B. Papias bei Eusebius v.Caesarea, hist.eccl.3,39,3f.; Irenäus, haer 1,15,6; 4,27,1; s. dazu van den Eynde, Normes 163 ff.; Blum, Tradition 188 ff.; Brox, Berufung 46 f. 7 Vgl.u. S. 101 Anm. 10. - Für die Verallgemeinerung des Traditionsgedankens am Ende des 1. Jh. vgl. exemplarisch l.Clem 7,2: „Darum ... wollen wir uns dem herrlichen und erhabenen κανών der Paradosis zuwenden". • Brox, Problemstand 332; ders., Berufung 57ff.; zur Sache vgl. auch das von Brox, Problemstand 332 Anm. 50 zitierte Votum K. v.Fritz': „Das Individuum als Individuum spielt ... keine Rolle. ... Es kommt nur auf die Autorität als solche an." - Dieses Traditionsverständnis wird von Brox im letzten Abschnitt seines genannten Aufsatzes dargestellt: Demnach komme man „von der Uberzeugung her, daß die vorhandene, vertretene Lehre ,wahr', ursprünglich ist. Darum legt man sie vorbehaltlos so, wie sie ist, nämlich als ,transsubjektive', durchaus nicht individualisierte oder personalisierte, den individuellen Gestalten in den Mund" (Problemstand 331 f.).
. N o r m am Anfang'
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genüber der eigenen Gegenwart (und damit auch gegenüber den .späteren' und darum falschen Häresien)'. Dem entspricht literarisch die pseudepigraphische Zuschreibung altkirchlicher Schriften an die Gesamtheit des Apostelkreises, wie sie erstmals in der Didache und dann auch in den Epistula Apostolomm, der syrischen Didascalta Apostolorum, der Apostolischen Kirchenordnung, den Constitutiones Apostolorum u.a.m. begegnet 10 . Mit Vorstehendem ist nun aber das Traditionsverständnis des frühen Christentums und die Korrelation von Priorität, Pseudepigraphie und Tradition noch nicht zureichend beschrieben. Es lassen sich im frühen Christentum vielmehr eine ganze Reihe von Pseudepigrapha benennen, für die gerade die Individualität ihrer ,Norm am Anfang' konstitutiv ist, insofern sie nämlich Traditionslinien repräsentieren, die sich inhaltlich und historisch von einer ganz konkreten Person herleiten und sich zum Teil auch gegen andere Traditionslinien und die von diesen reklamierten Traditionsgaranten abgrenzen. Hier steht der individuelle Name nicht für „das Apostolische" 11 , sondern für sich selbst und die auf ihn zurückgeführte Tradition. Apostolisch' und ,nachapostolisch' sind dabei keine summarischen, sondern individuelle Kategorien: Die ,Norm am Anfang' ist, auch wenn sie inhaltlich einen mehr oder weniger großen Teil ihrer Individualität verliert, gegenüber dem Tradentenkreis nicht variabel, sondern a priori mit der Traditionslinie, um deren Verbindlichkeit es geht, verbunden. Ansätze derartiger an individuellen Personen orientierter Traditionslinien werden bereits in l . K o r 1,12 sichtbar. Der Geltungsanspruch der jeweiligen Traditionslinie steht und fällt dabei mit der Autorität ihres Archegeten, und diese ist es wiederum, die mit Hilfe des Topos der zeitlichen Priorität begründet wird. Die Frage nach dem Verhältnis von Priorität und Tradition im frühen Christentum ergibt sich in diesem Zusammenhang aus dem Nebeneinander und dem jeweiligen Legitimationsbedürfnis von konkurrierenden personalen Traditionslinien. In diesem sachlichen Zusammenhang erhält der personale Prioritätstopos darum eine qualitativ neue Funktion, geht es doch hier nicht ' .Klassisch' hat dies Irenäus gegen die Gnostiker formuliert: „Omnes enirn hi valde posteriores sunt quam episcopi, quibus apostoli tradiderunt ecclesias" (haer. 5,20,1); vgl. auch ebd.3,24,1; l.Clem 42,5; Tertullian, praescr.haer.31,1: „principalitas veritatis etposteritas mendacitatis"·, 38,5. In umgekehrter Zielrichtung, aber mit identischer Intention beschreibt die gnostische ApkPetr ( N H C VII/3) das großkirchliche Christentum als Abfall von der ursprünglichen gnostischen Wahrheit (73,23 ff.); vgl. dazu Koschorke, Polemik 37 mit weiterenTexten (ebd.Anm. 3). Weitere Literatur: Bauer, Rechtgläubigkeit 3 f.; Turner, Pattern 3-8; Thraede: RAC 5,1273 ff.; Brox, Berufung 51 f. 10 Vgl. vor allem noch die in Ν Τ Α ρ ο 4 1 , 1 8 6 ff. von H.-Ch. Puech zusammengestellten, der Gesamtheit der Apostel zugeschriebenen gnostischen Evangelien. 11 Vgl. o.S.100 Anm.8.
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Priorität und Tradition
mehr um die rein traditionsinterne Begründung der Verbindlichkeit einer Tradition durch deren Rückführung auf eine der Gegenwart zeitlich vorausliegende .Norm am Anfang', sondern darum, die Autorität dieses Traditionsgaranten und damit die Verbindlichkeit der Tradition selbst allererst zu begründen. Es ist in diesem Kontext also zu unterscheiden zwischen der traditionsintemen Priorität des Traditionsarchegeten als der ,Norm am Anfang' innerhalb der jeweiligen Traditionslinie und dessen .absoluter', d. h. traditionsübergreifender Priorität, deren Behauptung die Intention verfolgt, die Verbindlichkeit eben dieser persongebundenen Traditionslinie einschließlich ihres Archegeten zu begründen. Die Leitfrage würde in diesem Sinne also etwa lauten: ,Warum ist die auf diesen und keinen anderen Traditionsarchegeten zurückgeführte Tradition verbindlich?' Oder: .Warum berufen wir uns zu Recht auf diesen und keinen anderen Traditionsgaranten?' - Im frühen Christentum lassen sich nun auch außerhalb der Pastoralbriefe persongebundene Traditionslinien herausarbeiten, die ihren Verbindlichkeitsanspruch unter Rückgriff auf den traditionsübergreifenden Prioritätstopos legitimieren und im folgenden kurz skizziert werden sollen.
2. Im frühen Christentum (außerhalb der Pastoralbriefe) a) Ausgegangen sei noch einmal von 1. Kor 15,5, wo Petrus als erster einer Reihe von Auferstehungszeugen genannt wird 1 . Dieser Sachverhalt korreliert mit der historischen Funktion des Petrus als des Leiters des nachösterlichen Zwölferkreises und der Jerusalemer Urgemeinde 2 . Der Prioritätstopos begegnet zur Begründung eines Autoritätsanspruchs nun in impliziter Analogie dazu auch dort, wo es um Unmittelbarkeit von Offenbarung geht 3 , und erstreckt sich damit ebenfalls auf die von dem Offenbarungsempfänger vertretene Lehre: Dies gilt etwa für Gal 1,12 und die Begründung der Verbindlichkeit des paulinischen Evangeliums: Paulus hat dieses nicht von Menschen erhalten, sondern „durch eine Offenbarung Jesu Christi", was gleichzeitig heißt, daß dieses Evangelium anderen Menschen noch nicht offenbart wurde. Wenngleich Paulus hier die Autorität seines Evangeliums als unabhängig von menschlichen Instanzen und als direkt von Gott empfangener Offenbarung ausweisen will (vgl. Gal 1,11), spielt auch in dieser Zuordnung 1
Vgl.o.S. 51f. Vgl. dazu zuletzt Pesch, Simon-Petrus 59 ff. Die Überlagerung von Priorität und Unmittelbarkeit zu Gott beim Offenbarungsempfang zeigt sich darin, daß die in Mt 16,17 ausgedrückte Unmittelbarkeit (Offenbarung nicht durch Fleisch und Blut, sondern durch den Vater im Himmel) in späteren Petrustexten (s.u. S. 104f.) als Priorität dargestellt wird. 2
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Im frühen Christentum
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von Person und Sache der Topos der Priorität hinein: Daß das Evangelium gerade in seiner von Paulus verkündeten Gestalt von Gott sanktionierte Autorität besitzt, hat seinen Grund darin, daß dem Apostel selbst die Priorität der Offenbarung dieses Evangeliums zukommt und er dadurch von anderen Menschen unabhängig ist (vgl. Gal 1,1). Die Herkunft des Evangeliums von Gott und seine Erstoffenbarung als εύαγγέλιον τοϋ Χρίστου (Gal 1,7) an Paulus koinzidieren: Nur das von Paulus verkündigte Evangelium kann Verbindlichkeit beanspruchen - ούκ εστίν άλλο (1,7) 4 . - Explizit zum Ausdruck gebracht wird das Zusammenfallen von Priorität und Unmittelbarkeit zu Gott und der Offenbarung in Joh (1,18;) 8,52 ff.: Jesus ist dem Stammvater der Juden, Abraham, überlegen, weil er vor ihm war 5 (V. 58). Diese zeitliche Priorität vor dem von den Juden reklamierten .Ersten' Abraham 6 begründet die Unmittelbarkeit Jesu zu Gott (V. 54 f.), was impliziert, daß Gottes Offenbarung unmittelbar an ihn ergangen ist (vgl. 1,18)7 und er dadurch als von Gott selbst gesandt autorisiert wird (8,42.47.52 f.). Hier benutzt die vom Synagogenausschluß betroffene Gemeinde (vgl. 9,22; 12,42; 16,2) den Topos der zeitlichen Priorität, um durch die chronologische Vorordnung Jesu vor Abraham sich selbst als gegenüber dem Judentum autorisiert und von Gott erwählt zu erweisen. b) Damit sind wir aber schon bei der für unsere Fragestellung spezifischen Zuordnung von Priorität und Tradition: Es geht nun - wie oben bereits angedeutet - nicht mehr um die traditionsinterne Priorität des Traditionsarchegeten gegenüber den späteren Traditionsträgern, sondern um dessen traditionsübergreifende Priorität, die als Unmittelbarkeit zu Gott bzw. Christus verstanden ist. Mit ihrem Archegeten ist die Tradition selbst (gegenüber anderen Traditionslinien und deren Archegeten) zeitlich prioritär und unmittelbar zu Gott oder Christus, und ihre Verbindlichkeit ist durch diese selbst sanktioniert. - In diesem Sinne könnte etwa in dem oben erwähnten 8 Fragment aus dem Hebräerevangelium (Hieronymus, vir. ill. 2), in dem von der Protophanie des Auferstandenen vor Jakobus die Rede ist9, eine judenchristliche ja4 Dahinter steht wie auch hinter Mt 16,17 ein allgemeiner frühjüdischer Offenbarungsbegriff: Offenbarung ist hier immer verstanden als singulär und prioritär - niemandem sonst und niemandem vorher wird bzw. wurde sie zuteil. Dies macht etwa die Selbstaussage in der Einleitung zu den Bilderreden des äthHen deutlich (37,4): „Bis jetzt ist niemals von dem Herrn der Geister solche Weisheit verliehen worden wie ich sie . . . empfangen habe." Die Offenbarung ist Ausdruck der Erwähltheit des Empfängers. s Zur präsentischen Form ειμί statt des eigentlich zu erwartenden ήμην vgl. Bultmann, Joh 248 Anm.4 mit Verweis auf Ψ 89,2. 6 Vgl. dazu o.S. 54f.. 7 Vgl. dazu noch u.S.110 mit Anm.48. » S.o. S.52 Anm.22. ' EvHebr, frgm.7 (NTApo 4 1,108): „Als aber der Herr das Leintuch dem Knecht des Priesters gegeben hatte, ging er zu Jakobus und erschien ihm." Die Wendung „cum dedis-
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Priorität und Tradition
kobinische Traditionslinie greifbar sein, die ihren Geltungsanspruch dadurch legitimieren will, daß sie für Jakobus die zeitliche Priorität unter den Auferstehungszeugen reklamiert und dadurch mit der Person des Jakobus auch die von diesem ausgehende und sich auf ihn berufende Tradition autorisiert. α) Deutlicher sichtbar wird diese Funktion des Prioritätstopos innerhalb der wohl im westsyrischen Raum zu lokalisierenden 10 petrinischen Traditionslinien, wie sie im Markus- und vor allem im Matthäusevangelium greifbar wird. Nach Mt 16,17, dem nachpetrinischen Pendant zu l . K o r 15,5, haben nicht Fleisch und Blut Petrus die Messianität und Gottessohnschaft Jesu offenbart (wenn man das fehlende Objekt von άπεκάλυψεν darauf beziehen darf) 12 , sondern Gott selbst 13 ; Petrus wird hier also als erster Mensch dargestellt, dem diese Offenbarung zuteil wurde. Diese Begründung der Autorität des Petrus in seiner Offenbarungspriorität nach Mt 16,17 ist in einigen nachneutestamentlichen pseudepigraphischen Texten ganz unterschiedlicher Herkunft eindeutig belegt. Ihnen allen gemeinsam ist der Bezug auf Mt 16,17 und nicht auf l.Kor 15,5 sowie die Auslegung dieses Textes auf zeitliche Priorität hin: In äthActPetr 11,474 (Budge) wird Petrus mit den Worten angeredet: „Du bist der erste, der Zeuge wird, daß ich der Sohn des lebendigen Gottes bin" (die Formulierung „Sohn des lebendigen Gottes" weist unzweifelhaft auf Mt 16,16). - Die judenchristliche Epistula Clementis bezeichnet Petrus - wiederum in deutlicher Anknüpfung an Mt 16,17 f. - als „Fundament der Kirche ..., dem der Vater den Sohn als erstem (πρώτω) offenbart h a t . . . " (1,2f.). - Ebenfalls in Rezeption von Mt 16,17 korrelieren Priorität und Autorität in der gnostischen Petrusapokalypse (NHC VII/3): „Du aber, Petrus, erstarke deinem Namen entsprechend ..., denn ich habe durch dich einen Anfang (άρχή) gemacht für die übrigen, die ich zur Erkenntnis berufen habe"; Petrus ist „als erster berufen" (71,15 ff.), weil er als einziger der Jünger die Gottessohnschaft Christi erkannt hat und hierdurch zum autoritativen Inset sindonem servo sacerdotis" hat m. E. die Funktion (in Abwehr anderer Protophanieansprüche?), die Existenz eines Zeitabstandes zwischen Auferstehung und Erscheinung vor Jakobus, in der der Herr noch anderen hätte erscheinen können, auszuschließen. 10 Vgl. Köster, Gnomai 115 ff.; ders., Einführung 596 ff. 11 Vgl. dazu auch Bruce, Men 39 ff.; Körtner, Papias 215 ff. 12 Anders Schenk, ,Matthäusevangelium' 76: „die Gesamtoffenbarung im mt Jesus von 4,17 an"; „der bisherige Buchinhalt". Vgl. auch Kahler, Form- und Traditionsgeschichte 45 f. 13 Die Herkunft von Mt 16,17 wie der gesamten Perikope und deren Einheitlichkeit sind umstritten. Für Einheitlichkeit, d.h. ursprüngliche Zusammenhörigkeit von V. 17 und V. 18 f., votieren (Zusammenstellung älterer Literatur bei Obrist, Echtheitsfragen): Kähler, Form- und Traditionsgeschichte 43 ff. 57 (nur in bezug auf den Makarismus, also ohne die Negation); Pesch, Simon-Petrus 97; Schenk, .Matthäusevangelium' 73 ff. Der redaktionelle Charakter nur von V. 17 wird vertreten von Vögtle, Messiasbekenntnis 165ff.; ders., Problem 374ff.; Thyen, Studien 225f.; Hoffmann, Petrus-Primat 96f.
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terpreten der gnostischen Christologie geworden ist 14 . Petrus wird dadurch zum „erste(n) Gnostiker" 15 , und durch ihre Rückführung auf die auch großkirchlich anerkannte Autorität des Petrus als ihrer .Norm am Anfang' - die Erkenntnis Petri wird als Typos des gnostischen Erkennens dargestellt - wird die gnostische Tradition legitimiert: In Petrus ist die Gesamtheit aller Gnostiker erwählt.
Doch zurück zu den beiden ersten synoptischen Evangelien: Bei Markus wie bei Matthäus ist Petrus (zusammen mit seinem Bruder Andreas)16 der erstberufene Jünger (Mk 1,16-18 par. Mt 4.18-20) 17 . Die Berufung erfolgt bei beiden Evangelisten jeweils unmittelbar hinter der „einer rhetorischen .propositio' vergleichbar(en) ... programmatischein) Zusammenfassung der Verkündigung Jesu" (Mk 1,14 f. par. Mt 4,17) 18 und vor Beginn der Schilderung der Wirksamkeit Jesu. Petrus war also von Anfang an dabei und garantiert so die Authentizität des von beiden Evangelisten über Jesus Berichteten. Dem entspricht dann auch die von Markus im Verlauf seines Evangeliums vorgezeichnete herausgehobene Rolle des Erstberufenen19, die bei Matthäus noch verstärkt wird (z.B. durch die Einfügung von πρώτος in Mt 10,2 gegenüber Mk 3,16)20, während sie von Lukas zugunsten der Gesamtheit des Kreises der Apostel (diese sind es, die als Augenzeugen άπ' άρχής dabei waren, Lk 1,2; vgl. auch Act 1,21 f.) eher zurückgenommen wird21. Für das Markusevangelium deckt sich diese Einschätzung der Evangelientradition mit dem etwa 50 Jahre späteren Papias-Zeugnis über dieses Evangelium (Eusebius v. Caesarea, hist.eccl. 3,39,15) 22 . Hier ist 14
Vgl. hierzu Perkins, Peter 5 f.; Koschorke, Polemik 27; Berger, Offenbarung 285. Koschorke, Polemik 27. 16 Die paarweise Nennung reflektiert die paarweise Mission; vgl. Jeremias, Sendung; Pesch, Mk 1,114. 17 Vgl. dazu die Prädizierung des Erstberufenen in EpClem 1,3: Petrus ist ή άπαρχή toö κυρίου ήμών, ό των άποστόλων πρώτος. 18 Hengel, Probleme 227. " Vgl. dazu vor allem Brown/Donfried/Reuman, Petrus 54 ff.; Best, Peter; Pesch, Simon-Petrus 138 ff.; Hengel, Probleme 252 ff. 20 Vgl. mit älterer Literatur Brown u. a., Petrus 68 ff.; Hoffmann, Petrus-Primat; ders., Bedeutung; Pesch, Simon-Petrus 140 ff.; Schenk, .Matthäusevangelium' 69 ff. - Besonders hinzuweisen ist auf Hoffmann, Petrus-Primat 109: „Durch die redaktionelle Verklammerung von (Mt) 4,18, 10,2 und 16,18 in der besonderen Hervorhebung des Petrus-Namens wird aber auch deutlich, worin für Matthäus das Fundamentsein des Simon ... begründet ist: eben in dieser Tatsache, daß er der Erstbemfene der Jünger ist" (Hervorhebungen im Original); vgl. auch Kähler, Form- und Traditionsgeschichte 56f. 21 Vgl. Dietrich, Petrusbild 329; Gewalt, .Petrusbild', bes. 21: Petrus hat bei Lukas „die Aufgäbe, den Zwölferkreis personal greifbar zu machen, der die Kontinuität der Verkündigung ... garantiert". 22 Sollte Papias dieses Zeugnis tatsächlich vom Presbyter Johannes haben, wie er selbst schreibt (vgl. auch Eusebius, hist.eccl.3,39,4. 7), würde diese Nachricht um etwa 20-30 Jahre näher an das Markusevangelium heranrücken. 15
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die Forschung in den letzten Jahren mit Recht über Conzelmanns pauschales Verdikt, die Papias-Notizen seien „samt und sonders geschichtlich wertlos"23, hinausgekommen 24 . Ohne auf die Differenzen im einzelnen näher einzugehen, kann als Minimalkonsens festgehalten werden, daß die Papias-Notiz nicht die apologetische Intention verfolgt, die aufgrund mangelnder τάξις (gegenüber welchem Vorbild auch immer)25 infrage gestellte Autorität des MkEv durch dessen Anbindung an Petrus zu retten 26 . Die Traditionsbindung Markus - Petrus wurde vielmehr nicht von Papias selbst hergestellt, sondern war ihm vorgegeben 27 . Dementsprechend geht es Papias positiv darum, „Markus als Vermittler der von Petrus herkommenden Uberlieferung" zu kennzeichnen 28 . „Die eigentliche Absicht des Textes . . . ist es, zu begründen, daß Markus allein auf Petrus angewiesen war und als gewissenhafter Hermeneut sich an die Unterweisungen des Petrus hielt"29: Markus ist kein Augenzeuge der „Worte und Taten des Herrn", sondern schrieb nur das ακριβώς nieder, was ihm aus der Erinnerung an die διδασκαλία 25
Conzelmann, Geschichte 17. Vgl. vor allem Kürzinger, Aussage; Schenk, .Matthäusevangelium' 61 ff.; Körtner, Papias 207 ff.; Hengel, Probleme 244 ff. - Der wesentliche Ertrag der Arbeit Kürzingers liegt trotz Hengeis Zustimmungsverweigerung (a.a.O. 245 Anm. 54) darin, daß die Zwischenbemerkung Eusebs in hist. eccl. 3,39,16 a ein ursprünglich zusammengehöriges Zitat unterbricht (Kürzinger, a.a.O. 247; vgl. Schenk, a.a.O. 62 f.) und daß die abschließende Feststellung ήρμήνευσεν δ' αύτά ώς ήν δυνατός έκαστος (3,39,16b) sich nicht auf spätere Übersetzer des ursprünglich hebräisch verfaßten MtEv (das war es sowieso nicht, vgl. Kürzinger, a.a.O. 261 ff.; Schenk, a.a.O. 64) bezieht, sondern auf die beiden vorher genannten Evangelisten (Kürzinger, a.a.O. 247. 264; Schenk, a.a.O. 63): Jeder von beiden gab das Gehörte ώς ήν δυνατός weiter (zu έρμηνευειν s. auch u. Anm. 28). 25 Kürzinger, Aussage 252: „eine den rhetorischen Gesetzen entsprechende literarische Form"; Hengel, Probleme 247 f.: „Chronologie und Ordnung des 4. Evangeliums" (247; ältere Vertreter dieser Sicht ebd. Anm. 59); Körtner, Papias 213: gegenüber „einer absoluten Leben-Jesu Vorstellung". 26 Vgl. Hengel, Probleme 247; gegen Pesch, Mk 1,5; Vielhauer, Geschichte 260; Gnilka, Mk 1,32. 27 Vgl. dazu Körtner, Markus. 28 Kürzinger, Aussage 250. Kürzinger sieht in der Bezeichnung des Markus als έρμηνευτής Πέτρου m. Ε. mit Recht (dafür spricht entscheidend das auf Mk und Mt bezogene ήρμήνευσεν in hist. eccl. 3,39,16; s. o. Anm. 24) nicht eine eigentliche sprachlich-kontrastive Dolmetscher-Funktion angesprochen (so Hengel, Probleme 252; dazu Körtner, Papias 209: „fromme Legende"), sondern eine „dem literartechnischen Bereich zugehörige" Bestimmung (a.a.O. 249): „Als έρμηνευτής Πέτρου ist... Markus als der bezeichnet, der das, was Petrus gesagt hat, darstellend weitergab" (a.a.O. 250); ebenso auch Schenk, .Matthäusevangelium' 64; vgl. noch Behm: T h W N T 2,659; Hengel geht darauf leider nicht ein. - Zu ήρμήνευσεν und vor allem zu der Markus zugeschriebenen Rolle des έρμηνευτής paßt hervorragend Philo, vit. Mos 2,34: διερμηνεύειν heißt „weder etwas auslassen noch etwas hinzufügen oder ändern .... sondern ihren (sc. der Gesetze) ursprünglichen Gedanken und Charakter ... bewahren". " Kürzinger, Aussage 253 (Hervorhebung im Original). 24
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des Petrus gegenwärtig war 30 . Die ausdrückliche Hervorhebung der Berichtstreue des Markus bezieht sich also nicht auf den Herrn, sondern auf Petrus, welch letzterer eben dadurch auch für das Papias-Zeugnis zum Traditionsgaranten des Markusevangeliums wird. Selbst wenn Hengeis Ansicht, der Verfasser des Markusevangeliums sei „zugleich Schüler der größten apostolischen Autorität der frühesten Kirche", und zwar der in Act 12,12; l.Petr 5,13 erwähnte Missionsbegleiter des Petrus, Johannes Markus, gewesen31, letztlich unbeweisbar und eher unwahrscheinlich ist und selbst wenn man Schenks Anregung, das Markusevangelium als 1. und das Matthäusevangelium als 2. Petrusevangelium zu bezeichnen und dies „auch dem kirchlichen Gebrauch nahezulegen"32, für übertrieben hält, so ist hier wie dort doch für das Selbstverständnis des ältesten Evangeliums Richtiges zum Ausdruck gebracht: .Markus' versteht sein Evangelium als Petrustradition und stellt es unter die Autorität des Petrus, der für ihn als der Erstberufene der authentische Garant der gesamten Jesusüberlieferung ist, weil er von Anfang an dabei war. Den Evangelisten selbst wird man wie den Verfasser des ersten Evangeliums vielleicht am ehesten als Repräsentanten eines petrinisch bestimmten Traditionskreises verstehen können, wenn man den Ausdruck ,Petrusschule' vermeiden will. ß) Noch auffälliger ist die Bedeutung des Prioritätstopos für die johanneische Traditionslinie. Man müßte sie sachlich korrekt eigentlich ,Lieblingsjünger-Traditionslinie' nennen, denn es ist der Lieblingsjünger, dem das Johannesevangelium an mehreren wichtigen Stellen eine zeitliche Priorität zuschreibt, und das jeweils implizit wie explizit in Abgrenzung gegen und auf Kosten von Petrus: So schildert Joh 20,3-10 einen Wettlauf zwischen dem Lieblingsjünger und Petrus zum Grabe Jesu, den der Erstgenannte gewinnt (V.4: „er kam als erster (πρώτος) zum Grab", noch einmal hervorgehoben in V. 8). Er sieht in das Grab hinein und dort die Leintücher liegen (V. 5), wird dadurch also noch vor Petrus zum ersten Augenzeugen der Auferstehung des Herrn, obwohl er selbst erst nach Petrus in das Grab hineingeht (V. 6-8). Es besteht in der Literatur inzwischen ein Konsens darin, daß mindestens die Gestalt des Lieblingsjüngers - wenn nicht die gesamte Episode überhaupt - von der sog. .kirchlichen Redaktion' 33 des JohEv sekundär in 30
Zum allgemeinen Gebrauch der zweimaligen Betonung der Erinnerung sowie der Wendung τοΟ μηδέν ών ήκουσεν παραλιπεΐν ή ψεόσασθαί τι έν αύτοΐς (gerade dies ist die Pflicht des έρμηνευτής; Philo, vit.Mos.2,34: s.Anm.28) vgl., van Unnik, Regle; Schäublin: M H 31,144 ff.; Hengel, Probleme 250 ff. mit Belegen. 31 Hengel, Probleme 257. 32 Schenk, .Matthäusevangelium' 78. 33 Der für diese Überarbeitung seit Bultmann geläufige Begriff der „kirchlichen Redaktion" wird im folgenden vermieden, weil sie wahrscheinlich doch wohl nicht als Werk
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eine vorgegebene Ostergeschichte eingearbeitet wurde 34 . - Analog ist die Konstellation in der Erzählung von der Erscheinung Jesu am See Tiberias (Joh 21,1-14). In diesem „sekundären Nachtrag zum Evangelium von anderer Hand" 35 erkennt nach V. 7 der unvermittelt auftretende Lieblingsjünger als erster aller Jünger die Identität des Auferstandenen, und zwar wiederum ausdrücklich vor Petrus, der sich erst auf dessen Zeugnis hin in den See wirft und zu Jesus ans Ufer schwimmt. Wie in Joh 20,8 wird die Priorität des Lieblingsjüngers auch in 21,7 gegenüber Petrus profiliert, und wie dort fügt auch hier die Redaktion den Lieblingsjünger in eine vorgegebene Erzählung (das Fischfangwunder) sekundär ein 36 . - Ein anderer Text, der für unsere Fragestellung möglicherweise noch in Betracht kommt, ist die Erzählung von der Berufung der beiden ersten Jünger in Joh 1,35-40. Die Position dieser Erzählung im Aufriß des JohEv entspricht derjenigen bei Markus und Matthäus: Sie wird unmittelbar hinter die μαρτυρία/Taufe des Johannes und vor den Beginn des Auftretens Jesu piaziert. Von den beiden erstberufenen Jüngern wird nur Andreas, der Bruder Simon Petrus', namentlich genannt (V.40); der andere bleibt anonym. Nun ist seit einiger Zeit mehrfach die Vermutung geäußert worden, bei diesem Anonymus handele es sich um den Lieblingsjünger, der als Erstberufener herausgestellt werden solle 37 . Trotz der Einwände, die dieser Annahme entgegengebracht wurden 38 , halte ich sie für plausibel 39 , vor allem deshalb, einer „kirchliche(n) Orthodoxie" (Bultmann: RGG J 3,841) anzusehen ist, sondern als Produkt des johanneischen Kreises selbst (vgl. Thyen: T h R N F 42,222). 34 Vgl. die Darstellung der verschiedenen Positionen einschließlich seiner eigenen bei Becker, Joh II, 606 ff. Die Differenzen bestehen darin, ob die vorliegende Quelle eine Erscheinung nur vor Maria Magdalena enthielt, also im wesentlichen aus Joh 20,1. 11-18 bestand (Richter, Vater 274; Thyen: T h R N F 39,289ff.; ders., Entwicklungen 288ff.; Hoffmann: TRE 4,505 f.), oder ob die Quelle mit dieser Erzählung bereits auch den Grabbesuch des Petrus verknüpft hatte (Schnackenburg, Joh 111,358; Becker, Joh II, 608 ff.). Übereinstimmung besteht jedoch hier wie dort darin, daß die Gestalt des Lieblingsjüngers im allerletzten Überlieferungsstadium eingefügt wurde. " Thyen: T h R N F 42,213; vgl. auch Schnackenburg, Joh 111,415ff. 36 Mit Schnackenburg, Joh 111,423; Becker, Joh 11,638 u.a. 37 Vgl. die bei Lorenzen, Lieblingsjünger 40 Anm. 6 und Thyen: T h R NF 42,248 Genannten. 3 ' Vgl. Becker, Joh 1,102 f., der die Ergänzung von V. 43 auf den Evangelisten zurückführt (ebd. 100). 39 Während von Andreas in V.41 berichtet wird, daß er als erstes (zu πρώτον und den Textvarianten s. Lorenzen, Lieblingsjünger 37 f. Anm. 1; Schnackenburg, Joh 1,310) seinen Bruder Simon findet und ihn zu Jesus führt, bleibt der andere erstberufene Jünger dann unerwähnt. Vielmehr wird in V. 43 in der Weise synoptischer Berufungserzählungen (vgl. Mk 2,14 parr.; 1,17 par.) die Berufung des Philippus am nächsten Tag berichtet, der wiederum sogleich Nathanael findet (V. 45) und diesen ebenfalls zu Jesus führt (V.46b). Diese bis in die Begrifflichkeit hineinreichende Parallelität zwischen Andreas und Philippus, die auch in Joh 6,6ff.; 12,20ff. als Paar auftreten (vgl. Thyen: ThR N F 42,248;
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weil auch hier wie in den beiden anderen Texten die Profilierung des Anonymus/Lieblingsjüngers als des Erstberufenen auf Kosten des Petrus erfolgt 40 . Dieser ist gegenüber den beiden Erstberufenen und anders als in Mk 1,16-18 par. eindeutig der sekundär Berufene 41 . Ihren Sinn erhielte die Einführung des Lieblingsjüngers als des Erstberufenen von Joh 21,24 f. her, dem sekundären Abschluß des gesamten Evangeliums, w o dieses unter die pseudonyme Verfasserschaft des Lieblingsjüngers gestellt wird: Wenn es in V. 24 heißt, daß es der Lieblingsjünger ist, „der diese Dinge bezeugt und sie aufgeschrieben hat"42 und „dessen Zeugnis wahr ist", der Lieblingsjünger also zum Garanten des gesamten vorstehenden Evangeliums wird, so entspricht dem dessen Einfügung als eines der Erstberufenen vor Beginn der Wirksamkeit Jesu, wenn diese Einfügung nicht dadurch überhaupt erst erforderlich wird. Denn nur, wenn der Lieblingsjünger von Anfang an dabei war, kann er auch als wahrhaftiger Zeuge des vorstehend von Jesus Berichteten in Anspruch genommen werden. ders., Entwicklungen 275), wird von V. 43 unterbrochen, der aus diesem und auch anderen Gründen wohl sekundäre Interpolation sein dürfte (vgl. Richter, Ist έν 147; Thyen, Entwicklungen 274f. mit Literatur). Zum Anonymus wird der andere Erstberufene also im Grunde genommen erst durch die Einfügung von V. 43, durch dessen Herausnahme die ganze Erzählung auch eine sinnvolle und einleuchtende Struktur erhält: Die beiden Erstberufenen sind Andreas und Philippus, von denen jeder sogleich einen weiteren Jünger Jesus zuführt. 40 Dies trifft auch für die anderen Lieblingsjüngertexte zu, für die überhaupt gilt, daß sie in Petrusstoff eingearbeitet sind: In Joh 13,23-25 tritt der Lieblingsjünger zwischen Petrus und Jesus und vermittelt die Frage des ersteren nach dem Verräter; ähnlich auch 18,15 f.: Erst durch Vermittlung des Lieblingsjüngers erhält Petrus Zugang zum Hof des Hohenpriesters. Mit der Schilderung der Zeugenschaft des Lieblingsjüngers unter dem Kreuz (19,26 f. 35) könnte möglicherweise eine Kontrastierung zur Verleugnung durch Petrus (18,25-27) intendiert sein (vgl. Becker, Joh 11,438). Für Joh 20,3. 10; 21,7 wurde die Zuordnung des Lieblingsjüngers zu Petrus bereits aufgezeigt. - Diese Konkurrenz zwischen beiden Jüngern ist nicht so zu interpretieren, daß damit die Autorität des ,großkirchlichen' Petrus zugunsten der des johanneischen Lieblingsjüngers bestritten werden sollte (so zuletzt Moreton, Disciple 218). Die „gesamtkirchlich anerkannte Autorität des Petrus" wird vielmehr dazu „benutzt, um die speziell joh orientierte Autorität (des Lieblingsjüngers) zu begründen" (Becker, Joh 11,438; vgl. auch Thyen, Entwicklungen 290. 292). 41
Eine gewisse Schwierigkeit, die hier nicht verschwiegen werden soll, besteht darin, daß vom Gefälle der anderen Lieblingsjünger-Petrus-Texte her eigentlich zu erwarten wäre, daß Petrus nicht von seinem Bruder, sondern - sollte sich hinter dem Anonymus wirklich der Lieblingsjünger verbergen - von diesem berufen wurde. Aber vielleicht unterstellt diese Überlegung der Redaktion des JohEv auch eine zu schematische Arbeitsweise, die keine Rücksicht auf die Erzählstruktur der ihr vorliegenden Texte nimmt. 43 Damit ist selbstverständlich nicht gesagt, daß der Lieblingsjünger das Evangelium selbst geschrieben und sich dieses „einzigartige Pseudonym" selbst zugelegt hat. Joh 21,24 ist vielmehr „ein schönes posthumes Denkmal, aber nicht die Selbstbeschreibung eines Lebenden" (Thyen, Entwicklungen 293). Auf den voraufgegangenen Tod des Lieblingsjüngers deutet 21,23; s. dazu gleich im folgenden.
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Wer ist der Lieblingsjünger? Diese viel diskutierte Frage 43 ist seit einigen Jahren auf dem Weg zu einem gewissen Konsens, der mit zwei dürren Sätzen skizziert werden kann: Demnach ist zum einen der Lieblingsjünger eine konkrete historische Gestalt, und zwar nicht als Jünger des historischen Jesus, sondern innerhalb der johanneischen Gemeinde, in der er eine bekannte und angesehene Person war 44 . Joh 21,22 f. läßt erkennen, daß er vor der Schlußredaktion des Evangeliums gestorben ist. Von dem Nachtragskapitel Joh 21 her, das ein besonderes Interesse am Lieblingsjünger erkennen läßt, lassen sich zum anderen alle Lieblingsjüngertexte des JohEv als literarisch sekundär erweisen und auf die sekundäre Redaktion zurückführen 45 . Der literarischen Figur des Jüngers, „den Jesus liebte", entspricht also eine reale historische Person innerhalb jener johanneischen Gemeinde oder Gemeindegruppe, der wir die Überarbeitung des Evangeliums verdanken. - Welche Funktion hat dann aber diese nachträgliche Literarisierung einer konkreten historischen Gestalt, die ihre Analogie im Bild des Lehrers der Gerechtigkeit hat 46 , durch den johanneischen Kreis, der die Redaktion des Evangeliums besorgte? Wenn man von den in der Literatur vorhandenen Differenzen in der Sicht der Geschichte des johanneischen Christentums 47 so weit wie möglich absieht, bleibt als Minimalkonsens, daß die hinter ihm stehende Gruppe - sei es nun die johanneische Gesamtgemeinde oder nur ein innerjohanneischer Kreis - ihn als von Jesus selbst autorisierten Offenbarungsmittler 48 aufbietet, um die von ihr vertretene Theologie personal zu legitimieren. War der ,Lieblingsjünger' historisch mit großer Wahrscheinlichkeit der Gründer und/oder maßgebli-
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Vgl. Thyen: ThR NF 42,213ff.; Becker: ebd. 47,341 ff. Vgl. Thyen: ThR NF 42,223; Becker, Joh II, 436 ff. 45 Vgl. wiederum Thyen: ThR N F 42,235 und den Überblick über die Texte ebd. 248 ff.; Becker, Joh 11,436. 44 Vgl. Roloff, .Lieblingsjünger' 143ff.; Lorenzen, Lieblingsjünger 102ff. " Vgl. dazu exemplarisch Thyen (Entwicklungen u. ö.), der in Anlehnung vor allem an G.Richter ein innerjohanneisches christologisches Schisma annimmt, in dem der Lieblingsjünger von der antidoketischen Fraktion „zur Bekämpfung (der doketischen) Häresie . . . aufgeboten (wird)" (ThR NF 42,245), und Becker, der das christologische Schisma, das in 1. Joh sichtbar wird, chronologisch der kirchlichen Redaktion* nachordnet und es „als interpretierende Weiterentwicklung der vom Evangelisten vertretenen Christologie" versteht (ThR N F 47,309). Für ihn gehört der Lieblingsjünger also in die vorschismatische Zeit der johanneischen Gemeinde und gilt dort als „Garant gesamtjoh(anneischer) Theologie" (Joh 11,438). 4 " Vgl. dazu Berger, Auferstehung 585 f. mit Belegen: An der Brust zu liegen oder vom Lehrer/Vater geliebt zu sein ist Ausdruck der „Garantie für die Authentizität der empfangenen Lehre (Offenbarung oder Tradition) [und] bezeichnet die Sicherheit der Integrität der Weitergabe" (585); vgl. auch ders., Geschichte 55 f. In Joh 1,18 wird dieses Bild auf das Verhältnis Jesus - Gott übertragen. Es ergibt sich von daher also eine Offenbarungskette Gott - Jesus - Lieblingsjünger. 44
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che Lehrer der johanneischen Gemeinde bzw. Schule49, so begründet die .zweite Auflage' des Evangeliums nach seinem Tod seine verbindliche Autorität, indem sie „seine besondere Unmittelbarkeit zu Jesus" 50 in das Evangelium einarbeitet. Sie begründet damit aber auch die Verbindlichkeit der von ihr im Namen der sich hinter dem Lieblingsjünger verbergenden historischen Person vertretenen Theologie. „Darum verläßt die K(irchliche) R(edaktion) bei den L(ieblingsjünger)-Stellen gern die fiktive historische Situation und blickt auf die kirchliche Gegenwart", schreibt Becker unter Verweis auf Joh 19,35; 21,24 völlig zutreffend 51 . Mit der Eintragung der Gestalt des Lieblingsjüngers als des „geistbegabt(en) Überlieferungsgarant(en)" 52 in das Evangelium wird die Traditionskette Jesus-Lieblingsjünger-Gemeinde hergestellt, die die so von Jesus selbst sanktionierte Authentizität der johanneischen Theologie begründet und damit für diese Theologie Verbindlichkeit reklamiert. Die theologische Identität des sich auf den ,Lieblingsjünger' berufenden Kreises, die ihr Fundament zunächst in der Person und Lehre des historischen Schulhaupts hat 53 , wird nach dessen (unerwartetem, vgl. Joh 21,22 f.) Tod dadurch gesichert, daß man ihn als unmittelbaren Empfänger von Jesu Offenbarung und als glaubwürdigen Augenzeugen in das Evangelium einführt. Der Lieblingsjünger ist der personale Repräsentant bzw. das „personalisierte Selbstverständnis" 54 der johanneischen Gemeinde: In ihm weiß sie sich selbst an der Brust Jesu liegend und von diesem geliebt und auf diese Weise ihre theologische Identität von Jesus selbst legitimiert. In diesem Deutehorizont spielt der Topos der Priorität, der seinen Ausdruck nicht nur in Joh (1,35 ff.;) 20,3-10; 21,7, sondern auch in der für den Lieblingsjünger reklamierten Unmittelbarkeit zu Jesus findet, eine wesentliche Rolle: Zum einen autorisiert er den Lieblingsjünger in seiner Funktion als Gewährsmann johanneischer Theologie, die er zu seinen Lebzeiten möglicherweise begründet, auf jeden Fall aber normativ vertreten hat. Der Prioritätstopos autorisiert dadurch aber auch 49 Als solche möchte in Analogie zu antiken Schulbildungen Culpepper den johanneischen Gemeindeverband und die Funktion des Lieblingsjüngers in ihm sehen (School 264 ff.). 50 Becker, Joh 11,437; vgl. auch ebd.439. 51 Becker, ebd.439; vgl. auch Roloff .Lieblingsjünger' 135ff. Diese bleibende (vgl. μένειν in Joh 21,22 f.) Funktion des Lieblingsjüngers in der johanneischen Gemeinde der Gegenwart findet auch darin ihren Ausdruck, daß er erst von Joh 13 an, von w o ab es um die Offenbarung vor den Seinen (der Gemeinde) geht, auftritt. 52 Thyen, Entwicklungen 293; zum Verhältnis Lieblingsjünger - Paraklet vgl. ebd. 243; Becker, Joh 11,439: „Die Funktionen (des Lieblingsjüngers) sind nach 14,26; 15,26 teilweise parallel zum Parakleten"; Culpepper, School 266ff.; Wilckens, Paraklet 199ff. " Vgl. Culpepper, School 269. 54 Becker, Joh 11,439.
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Priorität und Tradition
diese T h e o l o g i e selbst, insofern sie sich als unversehrte traditio direkt auf Jesus selbst z u r ü c k f ü h r e n läßt, u n d zwar unter Ausschaltung jeglicher Zwischeninstanz - ausdrücklich auch der des Petrus, denn dieser ist gegenüber dem Lieblingsjünger ja n u r s e k u n d ä r u n d mittelbar zu Jesus. - M a n k ö n n t e erwägen, o b sich hinter der skizzierten Einarbeitung des Lieblingsjüngers in das vorliegende Evangelium nicht möglicherweise eine Identitätskrise d e r hinter ihm stehenden G r u p p e verbirgt, die d u r c h seinen T o d ausgelöst wurde. Innerhalb der johanneischen G e meinde k ö n n t e dieser Verlust des autoritativen Lehrers u n d Schulhaupts zu einem theologischen Legitimationsdefizit g e f ü h r t haben, weil man erwartete, er w ü r d e seiner herausragenden Stellung entsprechend nicht sterben (vgl. J o h 21,23) 5 5 . Damit w ä r e d a n n sogleich nicht n u r seine eigene Autorität als des normativen Lehrers u n d Schulhaupts, sondern auch das innere Recht der Theologie der sich auf ihn b e r u f e n den G r u p p e in Frage gestellt. Dieser Krise begegnete die R e d a k t i o n des J o h E v dadurch, d a ß sie ihren G e w ä h r s m a n n als Augenzeugen sowie von Jesus geliebten und als O f f e n b a r u n g s m i t t l e r erwählten J ü n g e r p o s t u m in das vorliegende Evangelium eintrug u n d so ihr Legitimationsdefizit auffüllte. Ein wesentliches Element dieser nachträglichen literarischen Autorisierung des Repräsentanten johanneischer T h e o l o g i e ist die V e r w e n d u n g des T o p o s der zeitlichen Priorität (Joh 1, 35 ff.; 20,3-10; 21,7), der seinen impliziten Ausdruck auch in der Darstellung d e r Unmittelbarkeit des Lieblingsjüngers zu Jesus (Joh 13,23-25; 18,15 f.; 19,26) findet, u n d das fast durchweg auf Kosten der petrinischen Priorität. γ) Abgesehen von den skizzierten frühchristlichen Traditionslinien findet der traditionsübergreifende Prioritätstopos auch außerhalb des Neuen Testaments zur Legitimation von persongebundener Tradition Verwendung: V o r dem Hintergrund der von Sotion v. Alexandrien (2. Jh. v.Chr.) stammenden und damals allgemein akzeptierten Sicht, wonach alle im 4. Jh. v. Chr. gegründeten philosophischen Schulen mit Ausnahme derjenigen des Epikur auf Sokrates zurückgingen 56 , verteidigt der römische Dichter und Epikureer Lukrez im 1. Jh. v. Chr. die epikureische Tradition und Lehre, indem er in impliziter Auseinandersetzung mit den anderen Schulen Epikur als Erfinder von Vernunft und Weisheit („princeps vitae rationem invenit earn quae nunc appellator sapientia", rer. nat. 5 , 9 f . ) preist 57 , die sich demgemäß weder bei Sokrates noch in den anderen Schulen gefunden haben und finden.
55 Zum Kontrast von Sterben und Erwähltsein vgl. Berger, Gattungen 1185 ff. Anm. 159(b). 56 Vgl. Diogenes Laertius 1, 13-15 sowie das Stemma bei Diels, Doxographi 244. Zum entsprechenden Sokratesbild s.o. S.53f. " Vgl. auch ebd. 3,9: „ tu pater es, rerum inventor, tu patria nobis suppeditas praecepta"; s. dazu DeWitt, Organization; deLacy, Lucretius; Culpepper, School 115 ff.
Im frühen Christentum
113
In denselben Zusammenhang einzuordnen ist auch Justins Gleichsetzung Christi mit dem nach mittelplatonischer Auffassung mit Piatos Weltseele identischen Logos als dem vor allen Geschöpfen Erstgeborenen Gottes: „Der Logos ist Gottes πρώτον γέννημα. ... nämlich Jesus Christus" (l.apol. 21,1). Dieser fungierte als Schöpfungsmittler (2.apol. 6,3: „Sein Sohn aber, ..., der Logos, der vor aller Schöpfung in ihm war und der gezeugt wurde, als er την άρχήν alles durch ihn schuf und ordnete, wird Christus genannt"). Wenn Justin Christus mehrfach als Gottes erstgeborenen Logos bezeichnet (l.apol. 46,1; vgl. auch 23,1; 32,10: der Logos ist die πρώτη δύναμις nach Gott, dem Vater des Alls, und sein Sohn; dial. 62,4: er ist es, welcher die άρχή vor allen Geschöpfen war) 58 , so geschieht dies mit der Intention der persongebundenen Legitimation des Christentums aufgrund der zeitlichen Priorität Christi vor jeder anderen Schöpfung. Der Prioritätstopos wird hier deutlich in einer den oben dargestellten Traditionslinien strukturell analogen Weise benutzt. Diese apologetische Ausrichtung ist auch der Ansatzpunkt des Prioritätsbeweises in der frühjüdischen Apologetik. Der jüdische Uberlegenheitsanspruch wurde durch die Behauptung des höheren Alters, d. h. der zeitlichen Priorität des Judentums begründet: Zufolge Aristobul (Eusebius, praep.ev. 13,12,1) etwa hat Plato sich an das bei den Juden geltende Gesetz angeschlossen, denn schon vor Demetrius von Phaleron gab es eine griechische Übersetzung des Alten Testaments. Nach Josephus, Ap. 1,69-218; 2,154-165 ist Mose viel älter als die Griechen und ältester Erfinder von Gesetzen (vgl. auch ebd. 2,168). Daß die Gegensätze aus ein und demselben Gegenstand entstehen, hat Mose vor Heraklit entdeckt, welch letzterer diese Theorie in Abhängigkeit von Mose noch weiter ausbaut (Philo, Qu. in Gen. 3,5) und sogar Mose plagiiert hat (ebd. 4,152; zu Philos Plagiatsvorwurf gegen die griechischen Philosophen vgl. Wolfson, Philo 1,141 f.). In diesen Kontext gehört auch die Abraham zugeschriebene Rolle des Kulturbringers (s. o. S. 54 mit Anm. 34)S9. - Die christlichen Apologeten rezipierten diese Argumentationsweise, indem sie zunächst wie die frühjüdische Apologetik gegenüber der griechischen Philosophie das höhere Alter des Alten Testaments behaupteten (vgl. die ausführliche chronologische Beweisführung bei Theophilus, Autol. 3,16 ff.; im einzelnen Justin, 1. apol. 60: Piatos Erklärung der Bildung des Alls aus der chiförmigen Weltseele ist Num 21,8 f. entlehnt, wo wiederum die Form des Kreuzes Christi gemeint ist, was Plato aber nicht verstanden hat; Tatian, or. 39,3; 40,1; Theophilus, Autol. 3,29; Justin, l.apol. 44,8: Mose ist älter als alle griechischen Schriftsteller; 23,1: Alle Lehren Christi und der ihm voraufgegangenen Propheten sind allein wahr und älter als alle Schriftsteller; vgl. insgesamt vor allem Thraede: RAC 5,1247 ff.). - Die antijüdische Apologetik bediente sich des Prioritätsbeweises vor allem in Gestalt des Gedankens der Präexistenz Christi; vgl. z.B. Justin, dial. 48,2 f.; 75: Christus hat sich bereits Abraham, Jakob und Mose offenbart " Vgl. noch Justin, l.apol.22,2; dial.84,2; 105,1; 129,4; eine große Rolle spielt für Justin Kol 1,15 (πρωτότοκος πάσης κτίσεως): dial. 84,2; 85,2; 100,2; 138,2; vgl. auch Athenagoras, leg. 10,1 f.: Der Sohn Gottes ist der Logos des Vaters έν ίδέζΐ και ένεργείςι ... er ist dem Vater das πρώτον γέννημα; zum Ganzen vor allem Osborn, Justin 28 ff. 49 Vgl. dazu mit weiteren Belegen Bousset/Greßmann, Religion 72 ff.; Thraede: RAC 5,1243ff.; Baumbach: TRE 3,120,19ff.; 121,4ff.; Küchler, Weisheitstraditionen 119ff.
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Priorität und Tradition
(V.4) und Israel ins gelobte Land geführt (V.2). In anderer Weise, aber ebenfalls unter Rückgriff auf den Topos der zeitlichen Priorität argumentiert Eusebius v. Caesarea, praep. ev. 7,3 ff.: Demnach sind die Christen Erben (vgl. G. Schroeder: SC 215,17 ff.) der „Hebräer, die zeitlich gesehen älter als Mose waren" (7,6,4; vgl. auch 7,6,1). Demgegenüber sind die „Juden" in Ägypten vom Glauben der Hebräer abgefallen (7,8,37).
c) Fassen wir im Blick auf die leitende Fragestellung kurz zusammen: Innerhalb der skizzierten frühchristlichen Traditionslinien, aber auch außerhalb des Neuen Testaments, spielt der traditionsübergreifende Prioritätstopos überall dort eine Rolle, wo es um die Legitimation von persongebundener Tradition geht. Voraussetzung ist die Vorstellung, daß zeitliche Priorität Autorität begründet 60 . Sobald sich eine Traditionslinie von einer konkreten historischen Person abhängig wußte und ihre theologische und kirchliche Identität von dieser Person her und in Abgrenzung gegen andere Traditionslinien definierte, übertrug sich die autorisierende Funktion der Priorität von dem Gewährsmann auf die Tradition selber. Die autorisierende Funktion des Prioritätstopos kommt hier also in zweifacher Hinsicht zum Tragen: einmal traditionsintern, insofern der Traditionsgarant aufgrund seiner Stellung als Archeget normierende Funktion hat; zum anderen traditionsübergreifend, insofern dem Traditionsarchegeten gegenüber anderen Traditionsgaranten eine inhaltlich unterschiedlich bestimmte chronologische Priorität zukommt, sei es als Erstgeborener, Erstberufener, Erstvisionär, Primordialzeuge etc. Damit wird Tradition unter Einschluß ihres Archegeten als verbindlich autorisiert. Dieser letztgenannten Konzeption geht es nicht um die Autorisierung von kirchlicher Lehre und Praxis als personal indifferenter Tradition, wobei deren Traditionscharakter als solcher bereits normierende Funktion hat. Vielmehr richtet sich die Intention des Prioritätstopos in diesem Zusammenhang darauf, allererst die traditionsinterne Autorität und Normativität des Traditionsarchegeten zu begründen und damit die Verbindlichkeit der auf diesen zurückgeführten Tradition selbst zu legitimieren.
3. Pastoralbriefe Neben den oben skizzierten persongebundenen Traditionslinien innerhalb des frühen Christentums repräsentieren die Pastoralbriefe die paulinische Traditionslinie. Und auch sie bedienen sich des Prioritätstopos zur Legitimation der nach ihrem eigenen Selbstverständnis exklusiv an Paulus gebundenen Tradition. In l.Tim 1,15f. führt sich der pasto60
Vgl. o. S. 51 ff.
In den Pastoralbriefen
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rale Paulus programmatisch als ersten der geretteten Sünder ein, dessen Heilsgeschick dasjenige aller Glaubenden urbildlich vorwegnimmt und diesen nur in der ausschließlichen Bindung an Paulus erhalten bleibt1. Inwieweit die hier hervorgehobene und in ihrer Konsequenz in l . T i m 2,4-7; 2.Tim 1,10 f.; Tit 1,1-3 entfaltete 2 soteriologische Priorität des Apostels nicht nur dessen eigene Autorität, sondern auch die Verbindlichkeit der auf ihn zurückgeführten Tradition begründen soll, wird im folgenden zu zeigen sein. a) Das Proprium des Traditionsverständnisses der Pastoralbriefe wird durch den aus dem antiken Depositalrecht stammenden Begriff παραθηκη markiert3. Dieser Begriff findet sich mit Ausnahme von Hermas, mand. 3,2 4 in der gesamten frühchristlichen Literatur nur in l . T i m 6,20; 2.Tim 1,12.14. Wie hier auf sprachliche Inhalte übertragen, wird der Terminus auch in der außerneutestamentlichen paganen und jüdisch-hellenistischen Literatur gebraucht 5 . Der Begriff παραθηκη verleiht der in den Pastoralbriefen auf Paulus zurückgeführten Tradition zunächst ganz allgemein die Konnotation der Normativität, insofern die Unversehrtheit des zu bewahrenden Depositums das konstitutive Element schlechthin des antiken Depositalrechts ist. Auch dort, wo παρα(κατα)Οήκη übertragen gebraucht wird, ist dieses Element bestimmend 6 . Der entsprechende terminus technicus 1
Vgl. o. S.56ff. Vgl. dazu o.S.69ff. 3 Vgl. dazu vor allem Mitteis, Grundzüge 257 ff.; Hellebrand: PRE 18/2,1186 ff.; Ehrhardt, Parakatatheke; Cipriani, Dottrina; Roloff, Apostolat 244 ff.; Wegenast, Verständnis 143 ff.; v. Lips, Glaube 266 ff.; Lohfink, Theologie 96 ff. Zusammenstellung von älterer Literatur bei v. Lips, a.a.O.; Müller, Traditionsprozeß 255 Anm. 25; zum Depositalrecht s. noch Maurer: T h W N T 8,163 ff.; Raber: KP 1,1492 f.; Berneker: KP 4,502 f.; Magaß, Tradition. 4 Hermas verwendet hier den Attizismus παρακαταθήκη in bezug auf das den Menschen von Gott übergebene πνεΟμα αψευστον. - Diese Form wird von zahlreichen Minuskeln und Kirchenväterzitaten (Notierung der Handschriften bei Tischendorf und v. Soden jeweils z.St.) in l.Tim 6,20; 2.Tim 1,12. 14 bezeugt; ebenso schwankt die handschriftliche Überlieferung in Tob 10,13; 2.Makk 3,10. 15. - Die LXX verwendet παραθηκη zur Wiedergabe von j n p ö (Lev 5,21.23; vgl. auch Gen 41,36 Aqu.), während sie mit παρακαταθήκη in zwei Fällen das hebräische ninVn wiedergibt (Ex 22,7.10), wofür sie ansonsten έργασία oder ϊργον vorzieht. Philo und Josephus verwenden durchweg παρακαταθήκη. - In der altkirchlichen Literatur überwiegt παρακαταθήκη (vgl. Lampe, Lexicon 1017), während sich ebd. s.v. παραθήκη nur PsClem, hom. 11,13 und Clemens V.Alexandrien, q.d.s.42 angegeben finden. 5 Vgl. z.B. Herodot 9,45,1 (λόγοι); Ps.Isocrates, Demon.22 (λόγοι); Philo, sacr.A. C.60 (die Mysterien); ebr. 213 (βιωφελεστατα δόγματα). 6 Vgl. z.B. Philo, heres 105f. (Seele, Sprache und Sinne „unversehrt und unverfälscht bewahren"); 129 („rein und untrüglich ... bewahren"); Jos. 195.227; spec.leg.4,71; ARN 14 (weil der Sohn Jochanans ben Zakkai sündenfrei gestorben ist, hat dieser das ihm zur Aufbewahrung anvertraute Gut [jnp£>] unversehrt zurückerstattet). 2
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Priorität und Tradition
φυλάσσειν findet sich demgemäß auch in den Pastoralbriefen bei allen drei Belegen. - Damit ist aber auch schon die paulinische Priorität im Spiel7, und παραθήκη wird zum begrifflichen Ausdruck der Priorität des Paulus als des normativen Traditionsarchegeten. Für die inhaltliche Näherbestimmung dieser Korrelation im Blick auf die Pastoralbriefe sind zwei miteinander zusammenhängende und in der Literatur strittige Fragen zu beantworten: a.) Ist Paulus der mit der treuen Bewahrung betraute Empfänger/Depositarius oder der Ursprung/Deponent der Paratheke 8 ? - b.) Was ist der Inhalt der Paratheke: Nur das Evangelium oder die Gesamtheit des in den Pastoralbriefen begegnenden lehrhaften und paränetischen Materials 9 ? - Wird im Inhalt der Paratheke das Evangelium gesehen, muß Paulus als ihr Empfänger gelten, weil das in l.Tim 1,11; Tit 1,3 auf εύαγγέλιον bzw. κήρυγμα bezogene έπιστεύθην έγώ dann auf die Paratheke zu übertragen ist. Ist die Paratheke der paränetische Inhalt der Pastoralbriefe, ist Paulus als derjenige, der diesen autoritativ formuliert, ihr alleiniger Deponent. Die Beantwortung der zweiten Frage präformiert also die der ersten, wobei in der Literatur jeweils von unterschiedlichen Texten ausgegangen wird: Diejenigen, die Paulus für den Depositarius des Evangeliums halten, nehmen 2.Tim 1,10-14 als Ausgangspunkt, wo sie das in V. 10 fallende „Stichwort Evangelium ... dann sofort in Vers 12 aufgegriffen und als παραθήκη des Paulus, das heißt: als dem Paulus anvertrautes Gut bezeichnet" sehen 10 . Die Vertreter der anderen Position gehen demgegenüber von l.Tim 6,20 als dem Schluß von l.Tim aus und finden hier in παραθήκη den gesamten Inhalt dieses Briefes zusammengefaßt. - Im folgenden soll versucht werden, beide Fragen nach Möglichkeit unabhängig voneinander zu beantworten. Zu a): Die Beantwortung dieser Frage entscheidet sich in erster Linie in 2.Tim 1,12: Diejenigen Exegeten, die Paulus für den Depositarius der Paratheke halten, sehen in (παραθήκη) μου einen Genitivus possessivus11, die anderen einen Genitivus auctoris, wobei die Beurteilung hier 7 Vgl. o. S. 54: Der erste setzt die Norm. - Zum thematisch damit verbundenen Traditionsverständnis s.o. S.99ff. 8 Für Paulus als Empfänger votieren Spicq, Past 1,332; Holtz, Past 160; Roloff, Apostolat 248; Maurer: T h W N T 8, 165; Brox, Past 234; Merk, Glaube 96; v.Lips, Glaube 269 und Zmijewski, Pastoralbriefe 105 harmonisierend; Lohfink, Theologie 97; Hanson, Past 1982, 124; Schmitt, Didascalie 54. - Demgegenüber sehen in Paulus den Deponenten: Schlier, Ordnung 477 f.; Wegenast, Verständnis 140; Wanke, Paulus 171. 9 Ersteres vertreten Roloff, Apostolat 245; Holtz, Past 160; Maurer: T h W N T 8, 165; v.Lips, Glaube 49f. 269; Lohfink, Theologie 97. - Letzteres wird angenommen von Jeremias, Past 41 f.; Blum, Tradition 56; Wegenast, Verständnis 150 ff.; Brox, Past 234. 235 f.; Wanke, Paulus 170 f.; Müller, Traditionsprozeß 256. 10 Lohfink, Theologie 97 exemplarisch für alle anderen. 11 Lohfink, Theologie 97 Anm. 74: Genitivus objectivus. - Diese Bestimmung ist je-
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wie dort kein eigenständiges argumentatives Gewicht hat, sondern sich aus der vorgängigen inhaltlichen Festlegung sekundär ergibt. N u n kann diese Frage relativ schnell und unproblematisch aus 2.Tim 1,12 selbst heraus beantwortet werden: Der Genitiv in der Wendung παραθήκη μου ist ohne jeden Zweifel ein Genitivus auctoris oder besser subjectivus 12 und kennzeichnet Paulus eindeutig als den Eigentümer und Deponenten der Paratheke, die er Gott zur Bewahrung anvertraut hat. Dies wird sofort klar, wenn man die außerneutestamentlichen Texte daraufhin durchsieht, wo παρα(κατα)ΰήκη wie hier mit einem Genitiv-Attribut versehen ist. Außer in den Fällen, wo der Genitiv den Gegenstand des anvertrauten Gutes bezeichnet (Gen. object.) 13 , weist er immer und ohne jede Ausnahme stets auf den Deponenten der Para(kata)theke, dem das Eigentumsrecht an dem Depositum zukommt 1 4 : Vgl. z.B.: Ex 22,7.10 (toö πλησίον); 2.Makk 3,10 (χηρών τε και όρφανών); Philo, spec. leg. 4,32 (τοϋ τά οικεία έπιτρέψαντος und τοϋ άψευδεστάτου μάρτυρος); Josephus, bell. 1,276 (Αντιπάτρου); 3,372 (άνθρωπου); ebd. (τοϋ θεοϋ); Demosthenes, or. 36,5 (τής τραπέζης); Plutarch, Anton. 21,3 (και ξένων και πολιτών); Lysand. 18,2 (Λυσάνδρου); Clemens V.Alexandrien, ecl.proph. 27,4 (τών πρεσβυτέρων); Synesius ν. Kyrene, ep.4 (642 b Hercher: τοϋ ξένου). An keiner einzigen Stelle ist mit dem Genitiv der mit der Verwahrung des Depositums betraute Depositarius bezeichnet.
Angesichts dieses sprachlichen Befundes spricht alles dafür, daß παραθήκη μου in 2.Tim 1,12 Paulus als den Eigentümer und Deponenten der Paratheke kennzeichnet, der sich darauf verläßt, daß Gott die von ihm dem Timotheus übergebene Tradition bis ans Ende der Tage zu bewahren imstande ist, und zwar durch die Gabe des Geistes (2.Tim 1,7.14) 15 . Daß Gott als Bewahrer der an irdische Treuhänder übergebenen Deposita angesehen werden konnte, erhellt z.B. aus 2.Makk 3,22, wo er angefleht wird, er möge die der Tempelschatzkammer anvertrauten Einlagen der Witwen und Waisen (3,10) „denen, die sie hinterlegt hatten, unversehrt bewahren" (τοις πεπιστευκόσιν σώα διαφυλάσσειν); doch kaum möglich: παραθήκη ist ein Verbalsubstantiv, und der adnominale Gen. object, bildet die Substantivableitung für den Objektinhalt des Verbs (vgl. Schwyzer, Grammatik II, 121). Der objektive Genitiv bei παραθήκη kennzeichnet also ganz eindeutig das anvertraute Gut als solches (vgl. z.B. Ps.Isocrates, Demon.22; Philo, sacr.A.C.60; ebr.213; Plato, resp. 442 e), und es ist schwer vorstellbar, daß der pastorale Paulus hier als Depositum dargestellt werden soll. 12 S.Anm.14. 13 Vgl. A n m . l l . 14 Wenn man wiederum davon ausgeht, daß παρα(κατα)θήκη ein Verbalsubstantiv ist, vertritt der personbezogene adnominale Gen. subject, das Subjekt von παρα(κατα)τίθημι, mithin also den Deponenten der Paratheke. 15 Vgl. dazu o. S. 42 f.; zum näheren Verständnis des gesamten Textzusammenhangs s.u. S.214ff.
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dafür, daß Paulus in 2.Tim 1,12 ausschließlich als Deponent der Paratheke in den Blick genommen ist, spricht auch das Perfekt πεπίστευκα, das sich hier nicht auf die paulinische Annahme der Heilsbotschaft bezieht 16 . Vielmehr wird gerade die perfektische Form von πιστεόειν auch an anderen Stellen nahezu technisch benutzt, um den zurückliegenden Vorgang der Hinterlegung eines Depositums zu beschreiben (vgl. ζ. B. 2.Makk 3,12.22; Philo, heres 129; Josephus, ant. 4,285), und wird sich darum auch in 2.Tim 1,12 auf diese Hinterlegung beziehen. Damit sind wir der Beantwortung der oben formulierten Fragen bereits ganz erheblich näher gekommen, insofern Paulus in 2. Tim 1,12 ganz ohne jeden Zweifel nicht als Empfänger, sondern ausschließlich als Deponent der Paratheke bezeichnet ist. Da dieser Text einem Teil der exegetischen Literatur als Dictum probans für die Gleichsetzung von Paratheke und Evangelium in den Pastoralbriefen dient - in 1. Tim 6,20 und 2. Tim 1,14 ist die Bewahrung der Paratheke Aufgabe allein des Timotheus scheint dadurch auch die zweite Frage entschieden zu sein: Ist Paulus in 2.Tim 1,12 erwiesenermaßen nicht der Empfänger der Paratheke, kann diese nicht mit dem Evangelium identisch sein, denn von letzterem heißt es ja, daß es Paulus anvertraut wurde (l.Tim 1,11; Tit 1,3). Zu b): Daß die Paratheke in den Pastoralbriefen in der Tat nicht mit dem Evangelium identisch ist, sondern „die Gesamtheit des in den Pastoralen vorgelegten ,Paulus'-Gutes" umfaßt 17 , erhellt zunächst vor allem aus l.Tim 1,18 (ταύτην την παραγγελίαν παρατίθεμαί σοι) und 6,20 (την παραθηκην φυλαξον). Beide Verse umrahmen das Corpus des gesamten Briefes und binden beide Teile (2,1-3,16 und 4,1-6,19) 18 zusammen. l.Tim 1,18 fungiert als Einleitung der folgenden παραγγελία und ist als Überleitung von der brieflichen Selbstvorstellung des Apostels zum Briefcorpus ein formspezifisches Element der antiken Briefliteratur 19 . Die namentliche Anrede des Adressaten in diesem Vers entspricht - und hierin darf man durchaus textlinguistische Gliederungssignale sehen - der erneuten Namensnennung in 6,20 (zwischendrin wird Timotheus nicht namentlich angeredet). Auf diese Weise wird der Inhalt des gesamten Briefes sichtbar eingerahmt und als dem Timo16
Gegen Wohlenberg, Past 281; Kelly, Past 165; Holtz, Past 160. Wegenast, Verständnis 150. " Vgl. dazu u.S. 179. " Vgl. Sanders, Transition, bes. 355; Mullins, Disclosure; White, Form 2 ff.; ders., Formulae, bes. 93; Mullins, Formulas. - Die Beziehung von παραγγελία auf das Vorstehende durch v. Lips (Glaube 49 Anm. 80: „womit offensichtlich die in I 1 gemachten Aussagen zusammengefaßt werden") berücksichtigt nicht den formgeschichtlichen Befund und stellt den etwas gewaltsamen Versuch dar, seine Identifikation von Paratheke und Evangelium (ebd. 49) zu retten. 17
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theus von Paulus übergebene und von ihm zu bewahrende Paratheke bestimmt. - In 2. Tim 1,14 bezieht sich παραϋήκη inhaltlich auf die ύποτύπωσις των ... λόγων (V. 13), die Timotheus von Paulus gehört hat. Er soll das Gehörte unverändert bewahren und weitergeben (2. Tim 2,2).a Diese Aufforderung hat ihren Sitz ansonsten in der frühjüdischen Offenbarungs- und Testamentenliteratur 20 , wobei sie sich inhaltlich immer auf das Gesamt der empfangenen Offenbarungslehre bezieht (vgl. einstweilen TestLev 10,1; Testjud 13,1; TestDan 6,9). b) Aus Vorstehendem ist deutlich geworden, daß für die Pastoralbriefe die Paratheke nicht das dem Paulus anvertraute Evangelium ist, sondern das vom Apostel als dem Deponenten dem Timotheus zur unversehrten Bewahrung übergebene Gut der παραγγελία als des Inhalts von l.Tim (1,18; 6,20) bzw. dessen, was letzterer von Paulus gehört hat (2.Tim 1,13 f.). Diese inhaltliche Bestimmung ist bewußt unpräzise gehalten, weil die Paratheke an sich ein inhaltlich neutraler Interaktionsbegriff ist21. Sie erhält ihre Normativität nicht durch die ihr beigelegten Inhalte, sondern allein dadurch, daß sie unabhängig von jeglichen Inhalten eben Paratheke ist. Anders gesagt: Nicht die Inhalte und dies gilt für das antike Depositalrecht generell - begründen die Unantastbarkeit der Paratheke, sondern allein die auf Seiten des Deponenten (hier: Paulus) wie des Depositarius (hier: Timotheus) vorausgesetzte πίστις22. Im Zusammenhang der Frage nach der Funktion der Paratheke in den Pastoralbriefen darf also nicht auf ihre inhaltliche Näherbestimmung reflektiert werden. Dieser Begriff ist vielmehr allein 20
Zum Testamentcharakter von 2.Tim s.u. S.222ff. Aus diesem Grunde geht auch jeder Versuch einer inhaltlichen Annäherung an den Begriff Paratheke schon im Ansatz an der Sache vorbei, vor allen Dingen wenn diese gegenüber der διδασκαλία abgegrenzt werden soll (vgl. ζ. B. v. Lips, Glaube 49f.; Lohfink, Theologie 98 f.). Wenn die Pastoralbriefe von der διδασκαλία reden, verfolgen sie eine ganz andere Intention, denn hier geht es wirklich um die normative inhaltliche Festlegung der „Gesamtheit dessen , was der Kirche der Past an Verkündigung und sittlicher Belehrung vorgelegt wird" (Lohfink, a.a.O. 99), so daß dieser Begriff auch zur Basis der Auseinandersetzung mit den Gegnern (έτεροδιδασκαλοΟντες, l.Tim 1,3; 6,3) werden kann (vgl. l.Tim 1,10; 4,1; 6,3; 2.Tim 4,3; s. auch Zimmermann, Lehrer 207). Zum Verständnis der .gesunden Lehre' als Kontroversbegriff vgl. Dibelius/Conzelmann, Past 20 f.; Brox, Past 170 f. Malherbe zeigt den Zusammenhang dieser Wendung mit der außerneutestamentlichen Polemik gegen radikale Kyniker auf (Imagery). Unzutreffend dürfte die These von Burini sein, derzufolge der Ausdruck die Norm des christlichen Lebens und weniger der Lehre bezeichne (VetChr 18); beides gehört für die Pastoralbriefe selbstverständlich und gerade in Tit 2,1 zusammen. - Natürlich gehört zur Paratheke die διδασκαλία ebenso wie das von Paulus verkündete εύαγγέλιον und κήρυγμα; diese inhaltlichen Näherbestimmungen sind jedoch letztlich nicht entscheidend: Jede Paratheke ist unabhängig von ihrem Inhalt unversehrt zu bewahren; und allein dies haben die Pastoralbriefe im Blick. 21
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Vgl. Ps. Plato, def.415d: Die Parakatatheke ist ein δόμα μετά πίστεως.
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daraufhin zu befragen, welches Rollen- und · Interaktionsverständnis zwischen Paulus und Timotheus, der selbst wieder zum Deponenten werden soll (2.Tim 2,2), d.h. also welches Verständnis des Traditionsprozesses sich in ihm ausspricht. Für das Selbstverständnis der Pastoralbriefe als Paulustradition und ihr Paulusbild bedeutet dies, daß mit der Hervorhebung des Apostels als des Deponenten der Paratheke dieser als normativer Traditionsarcheget dargestellt werden soll. Im Begriff der Paratheke wird sichtbar, daß die Pastoralbriefe das dezidierte Interesse daran haben, Paulus als den normativen Ursprung der Tradition darzustellen 23 , und der Begriff ist darum pointierter Ausdruck der Paulus zuerkannten Traditionspriorität. Sichtbar wird darin aber auch - und das ist in diesem Zusammenhang von entscheidender Bedeutung - , daß in den Pastoralbriefen die Rückführung der Tradition gerade auf Paulus als deren Ausgangspunkt nicht beliebig oder zufällig ist und dieser nur personale Chiffre für ,das Apostolische' wäre, den Pastoralbriefen es also lediglich darum ginge, ihrem Glaubens- und Lehrgut einen apostolischen Ursprung zu verschaffen. Die begriffliche Fixierung der Tradition als von Paulus deponierter Paratheke läßt vielmehr erkennen, daß der Verfasser der Pastoralbriefe die Identität seiner Gemeinde personal von Paulus her definiert, dessen traditionsinterne Autorität und Normativität die maßgebliche Grundlage dieser Identität sind. Denn nur unter dieser Voraussetzung läßt sich die mit dem Begriff Paratheke verbundene Konnotation der Unversehrtheit und Unveränderlichkeit des von Paulus formulierten Traditionsgutes recht verstehen. Uber die Festschreibung der Traditionspriorität des Paulus hinaus verbindet sich mit der Einführung des Begriffs Paratheke darum die Intention, ausdrücklich die Integrität der Tradition und damit die ungebrochene Kontinuität zwischen dem Apostel und der Gemeinde der Gegenwart herzustellen und festzuhalten. Die Aufforderung, das von Paulus hinterlegte Depositum zu bewahren und weiterzureichen (2. Tim 2,2) 24 , soll dem möglichen Bruch der Tradition und dem Verlust der Kontinuität zwischen Paulus und der Gemeinde entgegenwirken bzw. ihn überwinden helfen. Mit dem auf den Inhalt der Briefe bezogenen Begriff Paratheke bringt der Verfasser der Pastoralbriefe zum Ausdruck, daß dieser Inhalt und die von ihm als einem der in 2.Tim 2,2 erwähnten πιστοί άνθρωποι vertretenen Positionen in ungebrochener Kontinuität zu Paulus als dem die Identität seiner Gemeinde begründenden Traditionsarchegeten stehen 25 und 23 Roloffs Feststellung: „Das Problem des Ursprungs wird in den Pastoralbriefen überhaupt nicht berührt" (Apostolat 249) ist darum nicht zutreffend. Dieses Problem ist vielmehr von entscheidender Bedeutung für das Traditionsverständnis der drei Briefe. " S. dazu u.S. 233 ff. " Diese Intention findet ihren Ausdruck auch in der Aufforderung, die ύποτύπωσις
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d a ß d i e s e K o n t i n u i t ä t n u r in d e r u n v e r s e h r t e n B e w a h r u n g d e r P a r a t h e k e erhalten bleibt. c) D a r ü b e r h i n a u s l ä ß t s i c h - u n t e r B e r ü c k s i c h t i g u n g d e r d e n 2 . T i m auch ansonsten prägenden testamentarischen Elemente76 - mit guten Gründen wahrscheinlich machen, daß vor allem 2 . T i m 1,12.14 v o m G e b r a u c h v o n π α ρ α κ α τ α θ ή κ η u n d d e m d a m i t v e r b u n d e n e n W o r t f e l d in g r i e c h i s c h e n T e s t a m e n t e n h e r z u v e r s t e h e n ist 2 7 . D i e B e g r i f f l i c h k e i t , d e r e n B e z u g a u f d i e s e n S a c h z u s a m m e n h a n g in d e r D i s k u s s i o n u m d a s V e r s t ä n d n i s v o n π α ρ α θ ή κ η in d e n P a s t o r a l b r i e f e n b i s h e r k a u m B e r ü c k s i c h t i g u n g g e f u n d e n hat, b e s c h r e i b t h i e r d a s t r e u h ä n d e r i s c h e A n v e r trauen der Hinterlassenschaft durch den Erblasser oder einen seiner A n g e h ö r i g e n an den neben den Erben stehenden Treuhänder o d e r T e stamentsvollstrecker28. Letztgenannter spielt v o r allem dort eine Rolle, w o der Erblasser u n m ü n d i g e Kinder (hier g e h t die Funktion des T e s t a m e n t s v o l l s t r e c k e r s in d i e d e s V o r m u n d s , έ π ί τ ρ ο π ο ς , ü b e r 2 9 ) o d e r k e i n e l e i b l i c h e n N a c h k o m m e n als E r b e n e i n s e t z e n k o n n t e , w i e d i e s h ä u f i g in d e n T e s t a m e n t e n d e r P h i l o s o p h e n d e r Fall w a r 3 0 . N a c h D i o g e n e s Laertius 4 , 4 4 übersendet das erste Schulhaupt der mittleren Akademie Arkesilaos sein Testament einem Verwandten, weil er diesen für άξιοπιστότατος hält, und fordert ihn auf, für die Durchführung der Testamentsbestimmungen zu sorgen, und zwar διότι σοι πίστιν την άναγκαιοτάτην παρακατίζεμαι 3 1 . Dasselbe Begriffsfeld findet sich ca. 170 Jahre früher bei dem attischen Redner Lysias (or. 32,5): D e r Testator D i o d o t u s setzt seinen Bruder, der zugleich sein Schwiegervater und Großvater seiner Kinder war, als Testa-
ύγιαινόντων λόγων, welche Timotheus von Paulus gehört hat, festzuhalten (2.Tim 1,13). Ein vergleichbares Traditionsverständnis haben nach Philo, vit. contempl. 29 auch die Therapeuten: Diese verwenden Schriften παλαιών άνδρών, die die Archegeten dieser Gruppe als μνημεία τής έν τοις άλληγορουμένοις ιδέας hinterlassen haben, als άρχετυποι und ahmen die auf deren Prinzipien beruhende Methode nach. Dasselbe Wortfeld und das damit verbundene Traditionsverständnis begegnet auch in vit. Mos. 2,34 in bezug auf die durch göttliche Verkündigung offenbarten Gesetze (s.o. S. 106 Anm.28). 26 S. dazu u.S. 222 ff. 27 Vgl. zum Folgenden Mitteis, Grundzüge 11/1,236 ff.; Hellebrand: PRE 18/2,1199 f.; Kübler: PRE 2/9/2, 967; Ehrhardt, Parakatatheke 59 f.; s. auch v.Lips, Glaube 268. 28 Vgl. Ehrhardt, Parakatatheke 59; aufgegriffen von Berneker: KP 5,618: „Hier wurde in den letztwilligen Verfügungen seit dem 3. Jh.v.Chr. ein T[estamentsvollstrekker] ... im Weg der Parakatatheke eingesetzt." 29 Vgl. Mitteis, Grundzüge II/l,248ff.; Kübler: PRE 2/9/2,lOlOf.; Berneker: KP 2,330. 30 Vgl. dazu Bruns, Testamente; Hug, Testamente 11 ff.; Kraus, Formeln 11 f. 24 ff.; Bruck, Totenteil 256 ff. 31 Vgl. auch Isaeus, or. 6,7: Philoctemon schrieb im Testament, für den Fall eigener Kinderlosigkeit solle Chaerestratus sein Erbe sein. „Und er deponierte (κατέθετο παρά) das Testament bei seinem Schwager Chaereas".
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mentsvollstrecker ein und übergibt ihm das Testament und fünf Talente als Parakatatheke 32 . - Analog vertraut Krates einem Bankier sein Geld an (παρακαταθέσθαι τάργύριον) mit der Anweisung (συνθέμενον), es unter bestimmten Bedingungen seinen Kindern auszuhändigen oder unter das Volk zu verteilen (Diogenes Laertius 6,88). - Nach Demosthenes, or. 28,15 übergibt der Vater des damals sieben Jahre alten nachmaligen Redners in seiner Todesstunde seine Kinder den Vormündern und Verwaltern (έπίτροποι; 28,4.10) seiner Hinterlassenschaft, παρακαταθήκην έπονομάζων; im einzelnen wurde Demosthenes selbst mit seinem Eigentum der gemeinsamen Obhut aller drei Testamentsvollstrecker anvertraut (παρακατατιθέμενος). Besonders aufschlußreich ist in dieser Hinsicht in dem bei Diogenes Laertius überlieferten Testament Epikurs (10,16-21)" die Verfügung über den Garten, durch den die epikureische Schule später ihren Namen erhielt (10,17): Epikur weist Amynomachus und Philocrates, denen er sein gesamtes Eigentum vermacht 34 , an, den Garten samt Zubehör dem epikureischen Schulbetrieb zur Verfügung zu stellen und den Epikureern das ένδιατρίβειν κατά φιλοσοφίαν zu ermöglichen. Seinen Schülern übergibt Epikur auf immer (άεί) την έν τφ κήπψ διατριβήν zur Bewahrung (παρακατατίθεμαι), damit sie diese zusammen mit den beiden oben Genannten und deren Erben auf zuverlässigste (άσφαλεστατος) Weise erhalten (συνδιασφζειν); dies geschieht mit dem Ziel, daß die Erben von Amynomachus und Philocrates den Garten behüten (διατηρωσιν) wie auch diejenigen, denen Epikurs Schüler den Garten übergeben (παραδώσιν). Der epikureische Lehrbetrieb im Garten erscheint hier als vom Schulgründer hinterlegte Paratheke, mit deren unversehrter Bewahrung die im Testament Genannten betraut sind. Dabei haben Amynomachus und Philocrates und deren Erben für die äußeren Voraussetzungen (Instandhaltung der Anlage, wofür Epikur ihnen die Mittel an die Hand gibt) zu sorgen, während seine Nachfolger in der Leitung der Schule und deren Schüler für die kontinuierliche Aufrechterhaltung des Lehr- und Schulbetriebs verantwortlich sind, um so auf doppelte Weise die Identität der epikureischen Philosophie und Schule zu erhalten. - Die Parallelen zu 2.Tim 1,12.14 lassen sich gerade von diesem Text aus leicht ziehen: Wie der von Epikur im Garten gegründete Lehrbetrieb seinen Schülern als das die Identität der epikureischen Schule konstituierende und darum unter allen Umständen zu erhaltene Depositum darstellt, so bildet in 2.Tim 1,12.14 die Paratheke das vom scheidenden pastoralen Paulus über Timotheus der Gemeinde anvertraute Gut, das die paulinische Identität der Gemeinde konstituiert. Noch deutlicher in die Nähe der Pastoralbriefe führt das in der Contestatio der Kerygmata Petrou enthaltene testamentarische Versprechen der Lehrer in bezug auf die Bücher der Predigten des Petrus (PsClem, hom.cont. 3,4), das ganz im juristischen Rahmen des hellenistischen Erbrechts steht: " Vgl. auch BGU 326,13 ff.: „Wer auch mein Erbe wird, soll verpflichtet sein, δώναι, πονήσαι, παρασχέσθαι all das, was in diesem meinem Testament geschrieben ist, xfj τε πίστι [α]ύτής παρακατατίθεμαι." 33 Vgl. dazu Bruns, Testamente 49; Bruck, Totenteil 261 ff.; Hug, Testamente 16 f. 34 Gleichwohl handelt es sich bei diesen beiden nicht um Erben, sondern um Treuhänder (vgl. Bruck, Totenteil 261 f.).
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„Wenn ich krank bin und den Tod vor mir sehe, werde ich, falls ich kinderlos bin, ebenso verfahren (d. h. die Bücher dem Bischof, der denselben Glauben und die gleiche Herkunft hat, παρακαταθήσομαι; 3,3). Gleiches werde ich tun, wenn bei meinem Tod mein Kind nicht würdig oder noch nicht mündig ist: Bei meinem Bischof werde ich die Bücher hinterlegen (παρακαταθήσομαι), damit jener sie meinem Sohn, wenn dieser mündig geworden und des Vertrauens würdig, als eine väterliche Parakatatheke übergebe." Der Bischof fungiert hier als Verwahrer und Depositarius des Vermächtnisses und hat die Aufgabe, die ungebrochene Kontinuität und Identität der Lehre zu sichern. Abschließend sei noch ein Blick auf den von Plutarch (Anton. 15,1 f.) beschriebenen Umgang mit Caesars Nachlaß geworfen. Auch dieser Text berührt sich mit der diesbezüglichen Konzeption der Pastoralbriefe: Plutarch zeichnet Antonius hier als denjenigen, der den Anspruch erhebt, als politischer Testamentsvollstrecker Caesars aufzutreten; ihm vertraut Caesars Witwe Calpurnia den größten Teil der vorhandenen Barschaft an (πιστευσασα), und zwar als παρακαταθήκη (16,2)35. Darüber hinaus übergibt sie ihm die Privatpapiere Caesars, in denen sich „Aufzeichnungen von (Caesars) Plänen und Beschlüssen befanden". Hiermit geht Antonius nun sehr frei um, indem er nach Belieben Zusätze vornimmt (τούτοις παρεγγράφων ους έβούλετο) und so vielerlei Anordnungen trifft, als seien diese von Caesar selbst so bestimmt (ώς δή ταΟτα τφ Καίσαρι δόξαντα), wobei sich Antonius und seine Parteigänger stets auf die schriftliche Hinterlassenschaft des Verstorbenen beriefen. Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zur vollständigen Fälschung derartiger Schriftstücke. In den vorstehend genannten Texten 3 6 bezieht sich der Begriff παρακαταθήκη/παρακατατίθημι zwar auf ganz unterschiedliche Inhalte, ihnen allen gemeinsam - und hierunter ist auch 2.Tim 1,12.14 zu subsumieren - ist die jeweils zum Ausdruck kommende Interaktionsstruktur: Vorausgesetzt ist stets die Situation, daß ein Erblasser unmündige Kinder zurückläßt oder gänzlich ohne leibliche Nachkommenschaft geblieben ist und auch kein Adoptionstestament errichtet hat 37 , d . h . d a ß die Kontinuität der direkten Erbfolge in Frage gestellt war 38 . Angesichts dieser Konstellation übergibt der Erblasser (bei Plutarch, Anton. 15,1 35
Als solche fordert dieses Geld der von Caesar in seinem Testament adoptierte und zum Erben eingesetzte (vgl. dazu Kienast, Augustus 5 ff.) Octavius/Octavian, der nachmalige Kaiser Augustus, von Antonius zurück, welcher sich allerdings der Herausgabepflicht entziehen will (Anton. 16,1 f.); vgl. dazu Ehrhardt, Parakatatheke 59. 36 παρατίθημι in Testamenten auch Josephus, ant.4,184; 7,387; 12,279. 37 Zum Adoptionstestament, in dem ein sohnloser Erblasser sich einen gesetzmäßigen Erben schuf, vgl. Kübler: PRE 2/9/2,972 f.; Berneker: K P 5,620. 38 Vgl. Bruck, Totenteil 260.263 (zum Testament Epikurs): „Zur Aufrechterhaltung der Kontinuität sollen die ursprünglich ernannten Treuhänder ... den Garten an andere Treuhänder weiter übertragen." - Zum Verhältnis Paratheke - Kontinuität in den Pastoralbriefen s.u. S. 128f.
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dessen Witwe) in der Todesstunde oder auf den Todesfall einer oder mehreren Personen seines Vertrauens das Erbe als Parakatatheke mit der Anweisung, es sorgfältig zu verwahren und es den Erben den testamentarischen Bestimmungen gemäß auszuhändigen. Es fällt nicht schwer, die Aufforderung an Timotheus, die Paratheke zu bewahren, in diesen Rahmen einzuordnen: Der scheidende Paulus der Pastoralbriefe übergibt seinem Schüler als der Person seines Vertrauens und als Testamentsvollstrecker sein Vermächtnis mit der Auflage, dieses, d.h. das dem Apostel zugeschriebene Lehrgut, unversehrt zu bewahren und denen, für die es bestimmt ist, weiterzureichen. Darüber hinaus kann auch die Inanspruchnahme der Fürsorge Gottes für die Bewahrung der Paratheke in 2.Tim 1,12 in diesen Zusammenhang eingeordnet werden: Innerhalb der Formeln der Einsetzung der Testamentsvollstrecker in den griechischen Testamenten hat sie ihre Entsprechung in der sog. ,Kurialphrase', deren Funktion darin besteht, „den letzten Willen dem besonderen Schutz der höchsten Gewalt anzuempfehlen" 39 : Es sind hier vor allem der König und seine Familie, denen die Schirmherrschaft über die getreue Vollstreckung des letzten Willens anvertraut wird, indem sie als Testamentsvollstrecker eingesetzt werden*0, ohne de facto mit dieser Aufgabe tatsächlich und konkret befaßt gewesen zu sein41. Von hierher könnte vielleicht auch Act 20,32 erklärt werden: Im Zusammenhang seiner Abschiedsrede vor den ephesinischen Presbytern in Milet 42 „übergibt" (παρατίθεμαι) der lukanische Paulus seine Adressaten dem Herrn und dem Wort seiner Gnade. G. Kleins Interpretation von παρατίθεμαι als Amtsübergabe und „Ratifikation des Prinzips apostolischer Sukzession für das Verhältnis zwischen Paulus und den von ihm gegründeten jungen Kirchen" 43 ist mit Recht auf Kritik gestoßen 4 4 . V o n Klein zutreffend gesehen ist jedoch der gemeinsame Bezug von παρατίθημι/παραθηκη in Act 20,32; 2.Tim 1,12.14 auf die Abschiedssituation (vgl. auch Act 14,23). Die Differenz zwischen persona" Mitteis, Grundzüge 11/1,239. 40 Vgl. Kraus, Formeln 47: „Eine solche Ernennung ist natürlich rein formal und sollte nur das Ansehen und die Gültigkeit des Testaments sichern." 41 Sichtbar wird dies erstmals im Testament des Aristoteles (Diog. Laert. 5,11), der der Einsetzung der Testamentsvollstrecker vorausschickt: έπίτροπον μέν είναι πάντων και δια παντός Άντίπατρον (Antipatros war von Alexander als Reichsverweser in Mazedonien zurückgelassen worden); vgl. weiter CPJ 1,126,17 ff.: „Als έπίτροποι nehme ich den König Ptolemaios ... und die Königin [Berenike] ... [und deren] Kinder." Die Ergänzungen sind möglich aufgrund identischer Kurialphrasen in den ptolemäischen Soldatentestamenten (P.Petr III/l; vgl. Kraus, Formeln 51); s. auch P.Hai 11; Mitteis, Grundzüge II/2, Nr.301, 27 ff.). - Im römischen Erbrecht gibt es entsprechend den tutor honoris causa im Unterschied zum tutor gerens (vgl. Bruns, Testamente 23). 42 Vgl. dazu u.S. 223 ff. 4J Klein, Apostel 182. 44 Vgl. etwa Roloff, Apostolat 229 Anm.213; Prast, Presbyter 139 f.
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lern und sachlichem Objekt ist dabei für das Verständnis der Begrifflichkeit innerhalb dieses Kontextes nur von sekundärer Bedeutung; παρατίθημι mit personalem Objekt findet sich im Zusammenhang von Testamenten und Abschiedsreden auch bei Demosthenes, or. 28,15 (s.o.); Josephus, ant.7,387; Tob 10,13 45 ; s. auch Clemens v. Alexandrien, q.d.s. 42,3.8. In diesem Sinne läßt sich Act 20,32 verständlich machen von dem Gebrauch von παρατίθημι/παραθήκη (gerade im Bezug dieser Begriffe auf Personen) in Testamenten her und von der in diesen belegten Kurialphrase, die die Fürsorge der jeweils höchsten Gewalt für die Durchführung der Testamentsbestimmungen herbeiruft.
d) Das dezidierte Interesse der Pastoralbriefe an Paulus als dem normativen Ursprung der Tradition erklärt aber auch, warum sie ihr Traditionsverständnis am Begriff παραθήκη und nicht an dem der παράδοσις festmachen46: Nur mit dem Terminus παραθήκη und der damit verbundenen Vorstellung kann der Gedanke der Priorität des Paulus als des Traditionsarchegeten und dessen dezidierter Individualität seinen angemessenen begrifflichen Ausdruck finden, während παράδοσις und παραδίδωμι als Traditionsbegriffe diese ausdrückliche Kennzeichnung des Ursprungs der Tradition nicht in den Blick nehmen. Diese Differenz wird im Testament Epikurs (Diogenes Laertius 10,17) deutlich sichtbar: Der Schulgründer gibt den Lehrbetrieb im Garten als Paratheke an seine Schüler weiter, während diese ihn dann später den jeweils folgenden Schülern als Paradosis übergeben (oi άπό ημών φιλοσοφοϋντες παραδώσιν). Nur der .Erste' hinterlegt die Tradition als Paratheke. Demgegenüber haben παράδοσις/παραδίδωμι ihren Ort im personal indifferenten Altersbeweis, wonach einer Praxis und Lehre dadurch Verbindlichkeit zukommt, daß sie ,alt' und .traditionell' sind und darüber hinaus einem allgemein akzeptierten Konsens entsprechen. Dies erhellt vor allem aus den Wortfeldverbindungen, die παράδοσις und παραδίδωμι eingehen, wo Begriffe aus dem Sinnbezirk Alter' im Vordergrund stehen (vgl. im Neuen Testament Mt 15,2; Mk 7,3.5: παράδοσις των πρεσβυτέρων; Gal 1,14: παραδόσεις πατρικαί; außerneutestamentlich: syrBar 84,9: „wie es euch von euren Vätern überliefert ward"; Josephus, ant. 10,51: των πρεσβυτέρων παράδοσις; 13,297: παραδιδόναι έκ πατέρων διαδοχής - παράδοσις των πατέρων; 408: κατά 45 Es handelt sich hier also durchaus nicht um „eine eigentümliche Metapher" (Maurer: T h W N T 8,164,5 f.), sondern die Aussage findet ihre sinnvolle Erklärung von den anderen Texten her. Formgeschichtlich handelt es sich bei T o b 10,11-13 um zwei Abschiedsreden von Zurückbleibenden (Propemptika; vgl. Berger, Gattungen 1196). 44 Die Erklärungen v. Campenhausens (Lehrerreihen 244 f.) und Wegenasts (Verständnis 152; vgl. auch Dibelius/Conzelmann, Past 69 f.; Blum, Tradition 56; Roloff, Apostolat 249 Anm. 59), wonach die Wahl des Begriffs Paratheke der Abgrenzung gegen den von der gnostischen Offenbarungsliteratur verwendeten παράδοσις-Begriff (s.v. Campenhausen, ebd. 242 f.) dienen soll, hat mit Recht keine Aufnahme in der Literatur gefunden (vgl. v. Lips, Glaube 271).
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την πατρφαν παράδοσιν; Ap. 1,8: άρχαιοτάτη και μονιμωτάτη παράδοσις; Philo, spec.leg. 4,150: £θη πάτρια; altkirchlich z.B. PsClem, hom. 11,13,1: τά παραδοθέντα ... έκ πατέρων; Eusebius ν. Caesarea, hist, eccl. 5,24,1: τό πάλαι πρότερον ... παραδοθέν). Das Konsenselement findet im Neuen Testament seinen deutlichen Ausdruck vor allem in von παράδοσις abhängigen verallgemeinernden pluralischen Genitivattributen wie ύμών (Mk 7,9.13/Mt 15,3.6) oder ανθρώπων (Mk 7,8; Kol 2,8). - Gerade bei Paulus weisen παράδοσις/παραδίδωμι immer über ihn selbst hinaus zurück auf vom Herrn (l.Kor 11,23) oder aus der urchristlichen Uberlieferung (Rom 6,17; l.Kor 11,2; 15,3) stammende Glaubensinhalte, die von ihm nicht inauguriert47, sondern empfangen wurden und weitergegeben werden. Autorität und Verbindlichkeit erhalten sie dementsprechend nicht durch die Person des Apostels, sondern dadurch, daß sie als allgemein akzeptiertes Glaubensgut der urchristlichen Tradition ausgewiesen werden. Dies zeigt sich gerade in l . K o r 15,1-3: Das in V . 3 b - 5 zitierte Traditionsstück wird von Paulus ausdrücklich als δ και παρέλαβον (V. 3 a) eingeführt, wodurch er zum Ausdruck bringt, daß nicht er selbst der Urheber der folgenden Bekenntnistradition ist, sondern daß diese von jeher den konstitutiven Konsens der Gesamtheit derer, die sich zu Christus bekennen, bildet. Und nur unter dieser Voraussetzung ist das Bekenntnis dann auch eine tragfähige Grundlage für die in l . K o r 15,12ff. folgende Argumentation: Die Auferstehungsleugner haben den Grundkonsens der gesamten christlichen Uberlieferung verlassen. Aus diesem Grunde geht auch G.Lohfinks Interpretation von l.Kor 15,1-3 fehl 4 ': Wenn er schreibt: „Paulus ... übergibt und überliefert schon immer das Evangelium und macht es auf diese Weise selbst zur Tradition" 4 ', so widerspricht dem gerade l.Kor 15,1-3, worauf sich Lohfink als Dictum probans für das paulinische Traditionsverständnis beruft. Paulus leitet die folgende Bekenntnistradition eben nicht nur durch εύηγγελισάμην (V. 1.2) und παρέδωκα (V. 3) ein, welche Formulierungen Lohfink heraushebt, sondern auch durch den bereits erwähnten Relativsatz δ και παρέλαβον, den Lohfink in seiner Argumentation unterdrückt 50 , obwohl er für l.Kor 15,12ff. von entscheidender Bedeu47 Aus dem Fehlen von παραλαμβάνειν in l . K o r 11,2 darf man nicht wie Wegenast folgern, „daß Paulus hier keine Uberlieferung weitergibt, sondern daß hier ,παράδοσις' entsteht" (Verständnis 111). Die Funktion dieses Verses als captatio benevolentiae (Conzelmann, l . K o r 214), der Plural παραδόσεις sowie die hervorgehobene Einleitungswendung θέλω δέ ύμας είδέναι in V. 3 verbieten es, die folgenden konkreten Anweisungen als Inhalt der παραδόσεις zu verstehen (auch gegen Merklein, Amt 319). 48 Lohfinks Kritik an Wegenasts Trennung von Evangelium und Tradition bei Paulus, die auf einem unzulässig verengten Verständnis beider Größen beruht (vgl. Verständnis 91), ist völlig berechtigt (vgl. Theologie 101 f.; s. auch Wengst, Apostel 147 Anm.7). 49 Lohfink, Theologie 102 (Hervorhebung von mir). 50 Damit befindet sich Lohfink im übrigen in der Gesellschaft von Marcion: Weil dieser für Paulus die Rolle des exklusiven Urhebers und Gestalters des christlichen Bekenntnisses reservieren wollte, hat er den Relativsatz δ και παρέλαβον in der von ihm hergestellten Textfassung getilgt (vgl. Harnack, Marcion 91*; Cullmann, Paradosis 19f.).
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tung ist (s.o.). Paulus „macht" die Bekenntnisformulierung nicht erst zur Tradition, sie ist dies vielmehr schon längst. Die Differenz zwischen παράδοσις und παραθηκη als Traditionsbegriffen sowie den mit beiden Termini jeweils verbundenen Intentionen macht aber auch 2.Thesi 2,15; 3,6 sichtbar. Der nachapostolische Verfasser bezeichnet hier die für ihn maßgeblichen „Glaubenswahrheiten und Lebensweisungen" 51 als παραδόσεις (2,15), die der Gemeinde von Paulus mündlich und/oder schriftlich gelehrt wurden bzw. die diese von ihm übernommen hat (παρελάβοσαν 52 ; 3,6). Hier kommt deutlich das eingangs skizzierte, für die nachapostolische Zeit allgemein charakteristische Traditionsverständnis 53 zum Ausdruck: Die als ,wahr' empfundene Lehre und Praxis wird (hier in Auseinandersetzung mit Vertretern einer unmittelbaren Naherwartung und .Arbeitsscheuen' 54 ) als Tradition deklariert, indem sie mit Hilfe des literarischen Mittels der Pseudepigraphie auf Paulus zurückgeführt wird, und erhält so normative Verbindlichkeit55. Die Intention des sich hinter dem Pseudonym des Paulus verbergenden Verfassers richtet sich einzig und allein auf die Inhalte und deren Autorisierung 56 ; an der Individualität des Apostels als solcher ist er nicht interessiert. Nur die Autorität des Apostels ist dem Verfasser des 2.Thess wichtig, nicht dessen Person, welche darum in der Tat nur als Chiffre für ,das Apostolische' fungiert 57 . Dem widerspricht auch nicht die Aufforderung, dem Vorbild der apostolischen Existenz des Paulus zu folgen (3,7-9), im Gegenteil: Texte wie l.Clem 5,3-7; Ignatius, Magn 13,2 (vgl. auch das Exemplum des Sokrates 58 ; Philostratus, v. Apoll. 8,28; oder die TestXII, wo die Patriarchen als Vorbilder der Überwindung des Versagens dargestellt werden 59 ) zeigen, daß derartige biographische Passagen die literarische Funktion haben, mit Hilfe des Verweises auf die Exempla autoritativer Gestalten der Vergangenheit gegenwärtige Paränese zu begründen. Daß 2.Thess als pseudonymer Paulusbrief an die 51
Trilling, 2.Thess 129. Die 3.Ps.Pl. muß wohl als lectio difficilior - der Kontext ließe eher die von der westlichen Uberlieferung bevorzugte Lesart παρελάβετε erwarten (vgl. Metzger, Commentary 637) - für ursprünglich gehalten werden. 52
53 54
Vgl. o. S.99ff.
Der zumeist angenommene ursächliche Zusammenhang zwischen diesen beiden Phänomenen wird von Trilling problematisiert (2.Thess 27 und z.St.). 55 Vgl. Bailey, W h o wrote 145. 56 Vgl. Trilling, Untersuchungen 115 f. (lies: 113 f.): „So spricht ein Späterer, der die Paradosis als Gegenstand der kirchlichen Lehre kennt, oder umgekehrt, der die kirchliche Lehre (nur) in der Gestalt der Paradosis kennt"; ders., Paulusimitation 154 f.; Dautzenberg, Theologie 98. 57 Dies gilt erst recht, wenn Trillings Vermutung, der Verfasser des 2.Thess stamme „wohl nicht aus einer ,paulinischen Schule'" (2.Thess 27; vgl. auch ders., Paulusimitation 154) zutreffen sollte. - Die von Lindemann (Paulus 44) formulierten Fragen führen darum auch an der Sache vorbei: Der Verfasser des 2.Thess setzte sich gar nicht in der von Lindemann angenommenen Weise in Beziehung (positiv oder negativ) zur Person des Paulus. 58 Vgl. dazu vor allem Fiore, Function; Döring, Exemplum; außerdem: Heiligenthal, Werke 78 ff.; Berger, Gattungen 1145 ff. 1342 ff. mit weiteren Belegen. " Vgl. v. Nordheim, Lehre 234 ff.; Hollander, Joseph.
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Thessalonicher konzipiert ist, hat seinen Grund wahrscheinlich darin, daß er sich gegen eine Eschatologie wendet, deren Vertreter sich auf 1. Thess beriefen - mag er diesen Brief nun verdrängen 60 oder ergänzen 61 wollen.
e) Demgegenüber - dies sei noch einmal resümierend festgehalten betont der Begriff παραθήκη in den Pastoralbriefen die Individualität der Tradition als Pa«/«i-Tradition. Es geht also nicht um personal indifferente allgemein .apostolische' Autorisierung von kirchlicher Lehre und Praxis, sonden um deren persongebundene Legitimation. Im Hintergrund steht das Selbstverständnis der Pastoralbriefe als dezidiert paulinischer Traditionslinie, innerhalb der Paulus die exklusive apostolische Autorität zuerkannt wurde. Der Begriff παραθήκη ist gleichzeitig Ausdruck der Traditionspriorität des pastoralen Paulus: Er und niemand sonst ist der normative Archeget der verbindlichen Tradition. Die Intention der Einführung dieses Begriffs mit seinen aus dem antiken Depositalrecht stammenden Konnotationen richtet sich darauf, die Integrität des vom pastoralen Paulus inaugurierten und dem Timotheus mit der Maßgabe der treuen Bewahrung und Weitergabe übergebenen Traditionsgutes und damit die ungebrochene Kontinuität der vom Verfasser der Pastoralbriefe vertretenen Positionen zu Paulus ausdrücklich festzuhalten. Wesentlich ist aber noch eine andere Komponente, die die Verwendung des Begriffs der παραθήκη in den Pastoralbriefen verständlich machen kann: Zu den semantischen Konnotationen dieses Begriffs gehört neben dem Gedanken der Normativität und Unantastbarkeit auch die Vorstellung der Abwesenheit des Deponenten. Wenn im antiken Depositalrecht die Paratheke mit der Sorge um ihre Bewahrung in die Hände eines anderen gelegt wird, so impliziert dies notwendig die Trennung des Deponenten vom Depositum und räumliche Distanz zum Depositarius. Hieraus resultiert auch die Forderung der πίστις in bezug auf den Depositarius, der das ihm übergebene Gut in der Zeit der Abwesenheit des Deponenten, in der diesem die Möglichkeit der eigenen Verwahrung entzogen ist, unversehrt zu bewahren hat. Das Prinzip der unversehrten Bewahrung des Depositums und die Abwesenheit des Deponenten korrelieren also insofern, als letztere immer eine potentielle Gefährdung der ersteren darstellt. - Diese Komponente der Abwesenheit des Deponenten läßt sich auch für das Verständnis der mit der Aufnahme des Begriffs παραθήκη zur Bezeichnung der Tradition durch den Verfasser der Pastoralbriefe verbundenen Intention fruchtbar machen. Zurückzugreifen ist dabei auf das eingangs zum 60
So zuletzt Lindemann, Abfassungszweck; vgl. dazu Trilling, 2. Thess 24 f. So zuletzt vor allem Bailey, W h o wrote 145; Trilling, 2. Thess 25 f.; ders., Paulusimitation 149 ff. 61
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Selbstverständnis der nachapostolischen Zeit Gesagte 62 , das hier in bezug auf die Pastoralbriefe und auf Paulus als ihren Traditionsarchegeten zu präzisieren ist: Der Verfasser der Pastoralbriefe lebte in nachpaulinischer Zeit, d. h. in einer Zeit der fortdauernden Abwesenheit des Paulus als des die Identität seiner Gemeinde konstituierenden und maßgeblich bestimmenden Apostels. Diese faktisch bestehende zeitliche Distanz wurde - verschärft noch durch das Auftreten der Gegner, die andere theologische Identitätsangebote bereitstellten 63 - als theologische Grundlagenkrise empfunden, d. h. als Gefährdung der Traditionskontinuität mit Paulus und damit als Bedrohung der Identität der Gemeinde. Und genau an diesem Punkt wird die Einführung von παραθήκη als Traditionsbegriff samt den mit diesem verbundenen Konnotationen (Unverletzlichkeit des Depositums und Abwesenheit des Deponenten) sinnvoll: Der Verfasser der Pastoralbriefe läßt Paulus selbst die Zeit seiner dauernden Abwesenheit in den Blick nehmen und dem damit drohenden Traditions- und Identitätsverlust entgegentreten, indem er das in den Pastoralbriefen niedergelegte Lehr- und Glaubensgut als vom Apostel für die Zeit nach dessen T o d deponierte Paratheke ausweist. Nur in der treuen und unversehrten Bewahrung dieses Traditionsdepositums bleibt die Integrität der paulinischen διδασκαλία bewahrt und geht die Kontinuität mit dem Apostel nicht verloren. f) Bei den vorstehenden Erörterungen ging es allein um die Herausarbeitung der traditionsinternen Priorität des Paulus als des normativen Archegeten der paulinischen Traditionslinie, die die Pastoralbriefe ihrem Selbstverständnis entsprechend repräsentieren. Sind damit die Pastoralbriefe als Zeugnisse einer persongebundenen Traditionslinie verstanden, die neben den zuvor herausgearbeiteten anderen persongebundenen Traditionslinien des frühen Christentums verläuft, so ist nun in Aufnahme unseres oben formulierten Ansatzes 64 danach zu fragen, ob die Pastoralbriefe die Autorität ihres Archegeten und damit die Verbindlichkeit der Tradition als Paulus tradition in vergleichbarer Weise auch traditionsübergreifend legitimieren. Die Antwort auf diese Frage liegt auf der Hand: Wie die skizzierten Traditionslinien verwenden auch die Pastoralbriefe den Prioritätstopos zur Legitimation der auf ihren Archegeten zurückgeführten Tradition, und zwar in Gestalt der in l.Tim 1,15f. programmatisch formulierten soteriologischen Priorität des Paulus als des ersten der geretteten Sünder, in dessen Heilsgeschick dasjenige aller Glaubenden prototypisch beschlossen ist. Die Pastoralbriefe binden damit die traditionsinterne Priorität des Paulus an dessen " S.o. S.97. " Vgl. dazu ausführlich u.S.256ff. M S.o. S.lOlf.
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Priorität und Tradition
soteriologische Priorität und Urbildfunktion. Weil Paulus als urbildlich erster der geretteten Sünder der authentische Interpret und Garant des eschatologischen Heils ist, das den Glaubenden nur im Anschluß an ihn erhalten bleibt, ist die auf ihn als den Traditionsarchegeten zurückgeführte Lehre und Praxis als verbindlich legitimiert - mehr noch: Diese Verbindlichkeit hat insofern einen maßgeblichen soteriologischen Stellenwert, als die soteriologische Priorität und Urbildfunktion des Paulus der Bewahrung der von ihm hinterlegten Paratheke soteriologische Relevanz verleiht. Denn nur in der unversehrten Bewahrung dieser Paratheke bleibt der Anschluß an Paulus erhalten und damit das in dessen urbildlichem Heilsgeschick erschlossene eschatologische Heil sicher verbürgt. Die in seiner Priorität gründende soteriologische Normativität des Paulus hebt ihn über alle anderen möglichen Traditionsarchegeten hinaus und begründet die soteriologische Verbindlichkeit allein der paulinischen Paratheke gegenüber allen anderen nichtpaulinischen Traditionen und theologischen Lehren.
C. Die literarische Gestalt der Tradition
I. Überblick 1. Der briefliche und paränetische Charakter der Pastoralbriefe a) Auf der Grundlage, daß die Pastoralbriefe sich als Paulustradition verstehen, die mit Hilfe des literarischen Mittels der Pseudepigraphie auf Paulus als die verbindliche ,Norm am Anfang' zurückgeführt wird, ist nach der besonderen literarischen Gestalt dieser Tradition zu fragen. Auszugehen ist dabei von dem ganz äußerlichen Sachverhalt, daß das als literarische Einheit konzipierte Corpus Pastorale aus drei Briefen an zwei Personen besteht, und die Erklärung dieses Tatbestandes muß dementsprechend zu den Ergebnissen der folgenden Untersuchungen gehören 1 . Wenn im folgenden Abschnitt versucht wird, die apostolische Weisung der Pastoralbriefe inhaltlich und sprachlich zu differenzieren, so soll es dabei ausdrücklich nicht um eine Ausgrenzung von traditionellem Material gehen, das den drei Briefen bereits vorgelegen hat und möglicherweise sogar Bestandteil einer bereits existierenden Kirchenordnung war 2 . Die Pastoralbriefe sollen vielmehr als literarische Einheit untersucht werden, die Bartsch aufsprengt, wenn er etwa l.Tim 3,14f. als „mögliche Überschrift" einer Gemeindeordnung verstehen will, die den Pastoralbriefen schon vorgelegen hat 3 . Vor allem aus diesem Grunde erscheint es auch als sachlich unangemessen, die apostolischen Weisungen der Briefe insgesamt oder auch nur partiell literarisch als .Gemeindeordnung' oder ,Kirchenordnung' zu klassifizieren, wie dies von einem großen Teil der Literatur getan wird 4 . Formge1 Trotz Brox, Past 58: Für die Dreizahl der Briefe „(gibt) es bei literarischer Fiktion offenbar keinerlei Erklärung"; ebd. 60: Diese „Frage darf für die Interpretation auf sich beruhen bleiben." 2 Vgl. die Bemühungen vor allem von Bartsch (Anfänge), die von Brox (Formen 117 Anm.9: „geprägtes, in Uberlieferung und Anwendung gesammeltes und geformtes Kirchenrecht") und Schenke/Fischer (Einleitung 222 ff.) positiv aufgenommen werden; s. auch Dibelius/Conzelmann, Past 4 ff.; v. Campenhausen, Amt 116. 3 Bartsch, Anfänge 160. 4 Vgl. exemplarisch: Wendland, Literaturformen 365; Vetschera, Paränese; Wikenhauser/Schmid, Einleitung 536 f.; Bartsch, Anfänge 10; Dibelius, Geschichte 148 ff. („Kir-
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Literarische Gestalt - Überblick
schichtlich sind die Pastoralbriefe ebenso wie innerhalb der frühchristlichen Literatur etwa des Ignatius Brief an Polykarp, in dem sich direkte Anweisungen an den Adressaten mit denen an die Gemeinde mischen 5 , eben keine Gemeinde- oder Kirchenordnungen, sondern Briefe, deren „Zweckbestimmung" zunächst einfach darin liegt, „Gesprächsform mit Abwesenden zu sein" 6 . Hierbei ist es genau diese Voraussetzung, die Abwesenheit des fiktiven Autors, die in den Pastoralbriefen mehrfach ausdrücklich hervorgehoben wird (vgl. l . T i m 1,3; 3,14f.; 4,13; 2.Tim 1,4; Tit 1,5) 7 und diese über Präskript und Postskript hinaus als Briefe identifiziert 8 . Die Pastoralbriefe sind darum auch nicht wie etwa die Constitutiones Apostolorum eine nur notdürftig in die Briefform gekleidete Kirchenordnung, und die Briefform soll auch nicht „nur die Legitimation für die Gemeindeordnung abgeben" 9 und stellt dabei letztere in einen „neuen und sachfremden ... Rahmen" 1 0 , chenordnungen in Form der persönlichen Mahnung", 150); Schenke/Fischer, Einleitung 222 ff. (vgl. o.Anm.2); Marxsen, Einleitung 203; Kümmel, Einleitung 339; Schille, Paulus-Bild 69 (in bezug auf l.Tim); Trümmer, Paulustradition 74; Köster, Einführung 735 ff., bes. 740; Berger, Gattungen 1088. - Zur Kritik vgl. Vielhauer, Geschichte 235 f.; Fiore, Function 3 ff. 5 Vgl. Schierse, Past 14; zu IgnPolyk s.u. S. 157ff. 6 Rahn, Morphologie 109. 7 Von diesen Texten sind vor allem l . T i m 3,14f. und 2.Tim 1,4 eindeutig identifizierbare briefphraseologische Elemente: Die Formulierung des Motivs für die Abfassung des Briefes, wie sie sich in 1. Tim 3,14f. findet (ταΟτά σοι γράφω ... 'ίνα είδ^ς), gehört zu den typischen Bestandteilen antiker Briefe (vgl. Koskenniemi, Studien 77 ff.; Stenger, Timotheus 255f.) und erscheint vor allem zu Beginn (P.Mich 10,2f.; P.Tebt 7 4 6 , i f f . ; P. Oxy 1482,3), aber auch am Ende (P.Mich 10,13f.; 18,3f.; 512,6; P.Tebt 747,16f.; P.Par 43,4; P.Fay 129,8 f.) des Briefcorpus (Belege nach White, Form 3.27; weitere Texte bei Koskenniemi, a.a.O. Im Neuen Testament: 2. Kor 13,10; 1. Joh 1,4; 2,1; 5,13). Mit 1. Tim 3,14 f. vielleicht am ehesten vergleichbar ist syrBar 82,1 („Deswegen, meine Brüder, habe ich euch geschrieben, daß ihr Trost findet in den vielen Trübsalen"): Hier wie dort (und auch wie in 2.Petr 3,1 f.) steht die Motivation für die Abfassung des Briefes in der Briefmitte und grenzt thematisch unterschiedliche Briefteile voneinander ab, erfüllt also auch die Funktion einer Gliederung der brieflichen Makrostruktur. Von daher würde ich in der in l.Tim 3,14f. vorliegenden Abweichung der Motivangabe von der Schlußposition nicht gleich wie Stenger (a.a.O. 257) eine Übernahme des paulinischen Parusietopos sehen wollen. - 2. 77m 1,4 (έπιποθών σε ίδεΐν, μεμνημενος σου τών δακρύων ...) gehört zur Topik des Freundschaftsbriefes und ist unten ausführlicher zu erörtern (s.S.209f.). • Gegen Karris, Function 134. ' Marxsen, Einleitung 201. Marxsen erklärt die Verteilung der Gemeinderegulative auf zwei Briefe im Anschluß an Dibelius/Conzelmann, Past 3 115 (vgl. auch ebd. 116: in Tit werde gegenüber l . T i m „weniger von Amtspflichten als von Familienpflichten gehandelt"; l.Tim sei „mehr für den Gemeindeleiter, Tit mehr für den Missionar bestimmt") damit, daß l . T i m „eine relativ organisierte Gemeinde voraus(setzt); Tit aber eine noch zu organisierende" (201). 10 Schenke/Fischer, Einleitung 1,222. Bei dieser „Übernahme und Einstellung" sei „manche Kirchenordnungsbestimmung ungewollt verunklart" worden (ebd.); vgl. auch
Brieflicher und paränetischer Charakter
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sondern sie ist für die Interpretation der drei Briefe ernstzunehmen. Dies gilt auch dann, wenn man zugesteht, daß die Pastoralbriefe auch Teilgattungen mit Regulativen für die Gemeindeorganisation und das Gemeindeleben enthalten, die aber von der Briefform umgriffen sind: Briefe sind - wie etwa auch Evangelien, Testamente und Apokalypsen literarische Rahmengattungen, in die eine Fülle von Kleingattungen oder auch Einzelelementen anderer Rahmengattungen aufgenommen werden können, ohne daß die jeweilige Großform nur die Summe der in sie aufgenommenen Klein- und Teilgattungen wäre 11 . b) Daß die Pastoralbriefe in den Zusammenhang der antiken paränetischen Literatur gehören 12 , erhellt vor allem daraus, daß sich die für diese Texte spezifischen Charakteristika auch in ihnen deutlich nachweisen lassen: Die einzelnen Vorschriften und Anweisungen stehen in der für die paränetische Literatur der Antike spezifischen Weise relativ unverbunden und ohne erkennbare übergreifende inhaltliche Disposition nebeneinander, wie dies Isocrates, dem wir mit seinen Reden Ad Nicoclem und Nicocles die ältesten erhaltenen Prosaparänesen verdanken, über den Stil seiner Mahnrede an Nicocles formuliert: „Im Gegensatz" zu seiner Rede über den Frieden (or. 8), wo „das Gesagte mit dem (jeweils) Voraufgehenden stets stimmig zusammengeschlossen ist", habe er hier „den Zusammenhang aufgebrochen und sogenannte Hauptpunkte gebildet" (άπολύσας γαρ άπό τοΰ προτέρου και χωρίς ωσπερ τά καλούμενα κεφάλαια ποιήσας) und dabei versucht, „in aller Kürze Εκαστον &v συμβουλεύω zu sagen" (or. 15,68).
Die einzelnen Weisungen werden hier wie dort durch indikativische gnomische Sentenzen, durch Begründungen und Hinweise auf Implikationen und Folgen des jeweils angeratenen oder abgeratenen Handelns (Nutzen, Schaden, Lohn, Strafe) sowie durch den Verweis auf positive und negative Exempla begründet 13 . Hinzu kommt, daß der Inhalt der Schwartz, Kirchenordnungen 193: „Der Brief eines einzelnen an einen einzelnen (war) überhaupt eine ungeeignete Form, um Ordnungen darzustellen." 11 Vgl. Berger, Gattungen 1338; Brandenburger, Markus 13, S. 13 f. 12 Vgl. Spicq, Past 1,38 ff.; Kamiah, Form 197 ff.; Karris, Function 134; Johnson, II Timothy; Fiore, Function 6 ff. 10 ff.; Quinn, Parenesis 496 ff.; Donelson, Pseudepigraphy 69 ff. 13 Vgl. insgesamt Vetschera, Paränese, Dibelius, Formgeschichte 216; Dibelius/Greeven, Jak 16 ff.; Thyen, Stil 85 ff.; Bradley, Topos; Dalfen, Untersuchungen 34 f.; van der Horst, Sentences 79f.; Verner, Household 163ff.; Berger, Gattungen 1075ff. - Zu einzelnen Autoren: Wefelmeier, Sentenzensammlung 65 ff.; Wendland, Rede (zu Ps. Isocrates, Demon.); Cancik, Untersuchungen 22 ff. (zu Senecas Epistulae morales); Dalfen, a.a.O. 45 ff. (zu Mark Aurel); Fiore, Function 47ff. 57ff. (zu [Ps.] Isocrates, or. 1-3). 132ff. (zu den Sokratikerbriefen); N.Walter: JSHRZ IV/3,189f. (zu Ps.Phocylides); Aschermann, Formen 29 ff.; Hollander, Joseph 6 ff. (zu Test XII).
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Einzelanweisungen in den Pastoralbriefen 14 wie in der außerchristlichen paränetischen Literatur durchweg unspezifisch und traditionell ist, was wiederum Isocrates als Grundsatz seiner Paränese formuliert: „In Reden wie dieser soll man nicht κοινότητας erstreben, denn in ihnen darf man nichts Außergewöhnliches, nichts Zweifelhaftes und nichts, was außerhalb des Konsenses (8ξω τών νομιζομένων) steht, sagen; vielmehr ist derjenige am geschicktesten, der von den έν ταις τών άλλων διανοίαις verstreuten (Vorschriften) das meiste sammeln . . . kann" (Ad N i c o c l . 4 1 ) , s .
c) Abgesehen von diesen äußerlichen Merkmalen besteht ein weiteres Indiz für den grundsätzlich paränetischen Charakter der Pastoralbriefe vor allem in der antithetischen Struktur der apostolischen Weisungen, von der die präzeptiven Passagen der drei Briefe durchgehend geprägt sind. Formuliert wird nicht nur positiv das geforderte, sondern auch prohibitiv das zu meidende Verhalten. Diese Struktur ist in der antiken Brief- und Redetypologie - die folgenden Texte seien stellvertretend für die große Zahl von Einzelbeispielen genannt - spezifisch für die paränetischen Genera: Das älteste Zeugnis bildet Aristoteles, rhet. 1,3, 1358 b 7 ff., wo das rhetorische Genos symbouleutikon als aus προτροπή und αποτροπή bestehend beschrieben wird (vgl. auch ebd. Z. 14 f.: συμβουλευειν ή προτρέπων ή άποτρέπων; Ζ. 22 ff.: ό μεν γαρ προτρέπων ώς βέλτιον συμβουλεύει, ό δε άποτρέπων ώς χείρον αποτρέπει) 16 . - In der in ihrem ältesten Bestand wohl aus Ägypten stammenden und bis in die vorschristliche Zeit hinaufreichenden Zusammenstellung der Brieftypen des Demetrius 17 wird der Typos symbouleutikos wahrscheinlich unter aristotelischem Einfluß in gleicher Weise definiert: „Wenn wir, die eigene Meinung vortragend, zu etwas ermahnen (προτρέπωμεν) oder von etwas abraten (άποτρέπωμεν)" (Typi Epistolares 11; 7,3 f. Weichert) 18 .
In den Pastoralbriefen findet sich diese antithetische Struktur in ihrer einfachsten Gestalt, d.h. in der unmittelbaren Gegenüberstellung u
Vgl. Schräge, Ethik 244. 249 f.; ders.: TRE 10,452. S. auch Vetschera, Paränese 9; Phil 4,8. 16 Diese Bestimmung wird von späteren Rhetorikern Übernommen; vgl. Rufus, rhet. 2 (1,463,9 f. Spengel): συμβουλευτικόν δέ έν φ προτρέπομεν τινα ή άποτρέπομεν; Nikolaos, progymn. (III, 450,6 f. ebd.): τοΟ δέ συμβουλευτικού προτροπή τε και άποτροπή (s. dazu auch Lausberg, Handbuch §61,2); noch Ps. Isocrates, Demon. 5: συμβουλευειν in bezug auf die Dinge, die junge Männer erstreben (όρέγεσθαι) sollen, und von welchen Taten sie sich fernhalten (άπεχεσθαι) sollen. 17 Vgl. Koskenniemi, Studien 54 ff.; Thraede, Grundzüge 26; Malherbe, Theorists 8 ff. 18 Vgl. auch die Bestimmung des Ps.Libanius (form.epist. 1; 15,5-8 Weichert): ή παραίνεσις δέ εις δύο διαιρείται, εις τε προτροπήν και άποτροπήν. 15
Brieflicher und paränetischer Charakter
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dessen, was man tun und was man lassen soll: zunächst vor allem in den für die innergemeindlichen Ämter und Stände bestimmten apostolischen Weisungen ( l . T i m 2,9f. 11 f.; 3,2f.8.11; 6,2.17f.; Tit l , 7 f . ; 2,3.9 f.; 3,1 f.), die in dieser Form auch unter den an die beiden Adressaten gerichteten Weisungen begegnen ( l . T i m 4,14f.; 5,lf.21.23; 2. Tim 1,8). d) Ansonsten weist jedoch die antithetisch formulierte Adressatenparänese einen in zweifacher Hinsicht von der Gemeindeparänese charakteristisch unterschiedlichen Bezug auf: Die antithetische Struktur wird nicht mit Hilfe von Prohibitiven formuliert, und es sind nicht bestimmte negativ bewertete Verhaltensweisen, die verboten werden; vielmehr bezieht sich die άποτροπή auf die Häretiker, und die Adressaten werden zur Abgrenzung von deren Verhalten und Lehre aufgefordert (vgl. l . T i m 4,7; 6,20; 2.Tim 2,15f.; 2,22f.). Daß die Adressatenparänese auf Abgrenzung von den Irrlehrern und deren Gefolgschaft abzielt, wird in einer Reihe von Texten noch deutlicher sichtbar, deren Aufbau jeweils identisch ist: Auf die Schilderung des Irrwegs der Häretiker folgt eine regelmäßig durch σύ δέ angeschlossene Imperativische Mahnung, die zur Abgrenzung und einem signifikant unterschiedlichen Verhalten auffordert ( l . T i m 6,10f.; 2.Tim 3,13f.; 4,3-5; Tit 1,162,1"). Diese Form der paränetischen Weisung ist gleichfalls nicht für die Pastoralbriefe spezifisch, sondern findet sich verbreitet auch in anderen paränetischen Texten inner- und außerhalb des Neuen Testaments: M t 6 , 2 f . 5 f . 6 f . : Die Heuchler - du aber (σύ/σοϋ δέ). Lk 9,60: „Laß die Toten ihre T o t e n begraben - du aber (σύ δέ) geh hin und verkündige das Reich Gottes." Philo, h e r e s l 0 5 : „Zehntausende leugnen die ihnen anvertrauten heiligen Güter ab - du aber (σύ δέ)... versuche . . . zu bewahren, was du empfangen h a s t . . . " Ps. Diogenes, ep. 12 (106,11 Malherbe): „Viele sind jeglichem äußeren Umstand unterworfen - du aber (σύ δέ) bleibe bei der Übung, wie du begonnen hast." Ps. Sokrates, ep. 7,5: „Die Regierenden scheinen verblendet zu sein . . . - du aber (σύ δέ) handelst recht, wenn du dich um deine eigenen Angelegenheiten kümmerst." E p . P y t h a g . 7 , 2 (176,18 Städele): „Einige Frauen . . . halten ihre M ä g d e mit dem Lebensnotwendigen knapp - du aber sollst (σοι δέ . . . εστω) die angemessene Verpflegungsration bereithalten." 2 0
"
Vgl. dazu u . S . 145 f. Anm.27. Hierzu gehören auch die pluralisch (ύμεΐς δέ) formulierten Paränesen: Vgl. innerhalb des Neuen Testaments M t 23,6 ff.; L k 22,25 f.; J u d 18 ff. (hier liegen Imperativische Partizipien vor; vgl. Blaß/Debrunner/Rehkopf, Grammatik §468,26). 20
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Die gleiche Struktur weist auch 2. Tim 3,(6)8-11 auf 21 : „Wie Jannes und Jambres Mose widerstanden, so widerstehen auch die Irrlehrer der Wahrheit ... - du aber (σύ δέ) bist mir gefolgt in der Lehre .. Dieser Text unterscheidet sich von den zuvor genannten dadurch, daß hier auf σύ δέ kein paränetischer Imperativ folgt, sondern eine indikativische Beschreibung des bisherigen positiven Verhaltens des Angeredeten, der kein Aufforderungscharakter eignet". Aus diesem Grunde wird 2.Tim 3,10 f. auch mißverstanden, wenn man den Autor der Pastoralbriefe hier auf Paulus als das der Paränese dienstbar gemachte Vorbild verweisen sieht23. - Die an dieser Stelle vorliegende synkritische Darstellung gehört als rhetorische Figur zunächst gar nicht zum symbouleutischen Genus, sondern hat ihren Ort in epideiktischen Texten 24 , in denen das Verhalten individueller Personen miteinander konfrontiert wird. Diese Gegenüberstellung findet sich vor allem in Lob- bzw. - wenn das Verhalten des Angeredeten negativ bewertet wird - in Scheltreden, und ihre Intention richtet sich auf Lob oder Tadel der jeweils gepriesenen/gescholtenen Person oder Gruppe: Joh 14,19: „Die Welt sieht mich nicht - ihr aber (ύμεΐς δέ) seht mich." Act 3,13 f.: Gott hat Jesus verherrlicht - „ihr aber (ύμεΐς δέ) habt den Heiligen und Gerechten verleugnet". l.Petr 2,8f.: Die Ungläubigen stoßen sich am Stein, weil sie dem Wort nicht gehorchen - „ihr aber (ύμεΐς δέ) seid ein auserwähltes Geschlecht.. Λ Hermas, vis. 3,9,1: „Ich habe euch aufgezogen in großer Aufrichtigkeit und Unschuld und Heiligkeit - ihr aber (ύμεΐς δέ) wollt nicht ablassen von eurer Schlechtigkeit." ActThom 25: „Ich preise dich, Herr Jesus ...; die Menschen haben über dich hinweggesehen - du aber (σύ δέ) hast nicht über sie hinweggesehen." Plinius, paneg.33,4-34,1 (Gegenüberstellung der „spectacula" unter Domitian und Trajan): „Wahnsinnig war jener (Domitian) und ohne einen Begriff von 21 Dies gilt nicht für 2.Tim 2,1 (gegen Lohfink, Theologie 90 f.): Mit σύ ούν (ούν-paräneticum; vgl. Nauck) wird nicht die Antithese zu dem in 1,15 geschilderten Abfall von Paulus in der Asia beschrieben (in V. 16 f. folgt noch das positive Beispiel des Onesiphorus, so daß die Antithese auch von daher schief wäre), sondern die Folgerung aus dem gesamten vorstehenden Abschnitt gezogen und zu 2.Tim 1,6-8 zurückgeleitet, mit welchem Text es auf der gleichen Argumentationsebene steht (s. dazu ausführlich u. S. 215 f.). 22 Dieser Text gehört darum (gegen Berger, Gattungen 1340) nicht zu den paränetischen „Kontrastmahnung(en)", denn von den ebd. 1340 f. zusammengestellten Parallelen unterscheidet sich 2. Tim 3,10 eben gerade dadurch, daß hier nicht Imperativisch, sondern indikativisch formuliert wird. Dies wird auch von Lohfink nicht beachtet, wenn er die Aussage von 2.Tim 3, lOf. Imperativisch paraphrasiert („folge mir nach in Verfolgungen und Leiden"; Theologie 89). Der auf παρηκολούθησας bezogene Imperativ findet sich erst in V. 14 (μένε); vgl. u.S.230. 25 Gegen de Boer, Imitation 200 f.; Collins, Image 169 ff. („as an example to be observed by Timothy", 169); Lohfink, Theologie 80; Fiore, Function 24 („all aspects of Paul's life . . . , which Paul commends Timothy for following"). 205. - Zur Vorbildfunktion des pastoralen Paulus s.u. S.230ff. 24 Vgl. dazu Lausberg, Handbuch §799.1130; Kennedy, Rhetoric 25.
Brieflicher und paränetischer Charakter
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wahrer Ehre ... - Du aber {At tu), Caesar (Trajan), welch herrliches Schauspiel hast du uns statt jenes verabscheuungswtirdigen geboten" (vgl. auch ebd. 47,1 f.). Philostratus, v. Apoll. 5,41 (Apollonius an Vespasian): „Nero hat die Hellenen spielend befreit - du aber (σύ δέ) hast sie im Ernst zu Sklaven gemacht." 25 Daß 2. Tim 3,10 f. dann aber trotzdem auch eine paränetische Funktion hat, zeigt der Kontext der gesamten Argumentation: Der Abschnitt 2.Tim 3,8-14 ist von seinem Gefälle her kohärent 26 , und der Zusammenhang wird hergestellt durch die Parallelität des zweimaligen Ausblicks auf die Zukunft der Irrlehrer in V.9 (οΰ προκόψουσιν έπί πλεΐον) und V. 13 (προκόψουσιν έπί τό χείρον). Dabei greift die zweite Aussage die erste verallgemeinernd (V. 8: οδτοι; V. 13: πονηροί δνθρωποι) und steigernd (V.9: ουκ έπί πλεΐον; V. 13: έπί τό χείρον) wieder auf. Ihnen sind jeweils die Aussage über das παρακολουθήσαι des Timotheus (V. 10 f.) und die Paränese an ihn (V. 14) antithetisch zugeordnet und beziehen sich dadurch auch argumentativ aufeinander: Der ingressive Aorist παρηκολούθησας behaftet Timotheus bei seinem Eintritt in die Nachfolge des Apostels, und dies hat innerhalb der paränetischen Argumentation dieses Kapitels rhetorische Funktion: Timotheus selbst - und nicht der pastorale Paulus wird hier gegenüber den negativen Exempla der Jannes und Jambres sowie der Irrlehrer (V. 8 f.) zum positiven Beispiel27 für das in 3,14 von ihm geforderte μενειν. Diese der captatio benevolentiae verwandte Verbindung von Indikativ und Imperativ2* verfolgt die Intention, die Anweisung als Aufforderung zum Handeln in Ubereinstimmung mit der bisherigen Identität des Angeredeten erscheinen zu lassen. D i e oben zusammengestellten Texte zeigen vor allem, daß die antithetisch formulierten apostolischen Weisungen an die Adressaten weniger der Kritik an den Häretikern dienen als vielmehr der Ermahnung der Briefempfänger. Dieser Intention entspricht auch, daß inhaltliche Aspekte der Irrlehre - soweit sie überhaupt durch die polemisch verzerrende Darstellung der Pastoralbriefe hindurch identifiziert werden können 2 9 - mit Ausnahme von l . T i m 1,4.7; 4,3 nur im Zusammenhang der apotreptischen Adressatenparänese Erwähnung finden (vgl. l . T i m 4,7; 6,20; 2 . T i m 2,16.23; Tit 1,13f.; 3,9). Aus diesem Grunde dürfen die drei Briefe auch nicht als „.Handbuch' ..., das die Kirche befähigen 25 Vgl. noch die Scheltworte in Mk 7,10f. par. Mt 15,4f.; Mt 21,32; Joh 8,14; l.Kor 4,10 (s. auch 2. Kor 13,9). 26 Leider tragen die Kommentare diesem Sachverhalt in aller Regel keine Rechnung, insofern sie zwischen V.9 und V. 10 den Gedankengang bei der Kommentierung unterbrechen. 17 Vgl. auch Brox, Notizen 287. 28 Vgl. dazu die. Zweiteilung des pseudodemosthenischen Erotikos in Lob- und protreptische Mahnrede (s. Wendland, Erotikos 73.75) sowie Ignatius, Polyk 1,1 f.; Ptolemäus II., ep. (14,7ff. Welles); l.Makk 10,26f.; 2.Tim 1,5f; Phlm 7f.; 2. Joh 4f. 29 S. dazu u.S. 263.
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Literarische Gestalt - Überblick
soll, Irrlehren gleich welcher Art erfolgreich zu bekämpfen" 30 , verstanden werden, was wegen ihres weitgehenden Verzichts auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Positionen der Häretiker 31 bisweilen angenommen wird. Es geht ihnen in den entsprechenden Texten vielmehr zunächst darum, die Irrlehrer als Kontrastmodell für das von den Adressaten geforderte Verhalten darzustellen, wobei letztere dazu aufgefordert werden, sich von ersteren abzugrenzen und signifikant zu unterscheiden. Da die Irrlehrer in den Pastoralbriefen aber nicht nur eine fiktive rhetorisch-literarische Existenz als negative Exempla 32 führen, sondern eine für ihren Verfasser konkret präsente Gefahr darstellen, haben die genannten Aufforderungen eine weitergehende Intention: Es geht von der nachpaulinischen Perspektive der Pastoralbriefe her um die Bewahrung der Zugehörigkeit zur paulinischen Tradition bzw. um die Zugehörigkeit zu der in der Gemeinde der Pastoralbriefe diese Tradition repräsentierenden und mit derjenigen der Irrlehrer konkurrierenden Gruppe, als deren Protagonist der Verfasser der drei Briefe auftritt. Die Aufforderungen zur Abgrenzung von den Irrlehrern haben dann den Sinn, die in dieser Weise Angesprochenen dabei zu behaften, daß sich ihre Identität als Bewahrer und Tradenten der gesunden, sprich: paulinischen Lehre entscheidend in der Abgrenzung von den Irrlehrern konstituiert. e) Insgesamt ließen sich die Pastoralbriefe unter den vorgenannten Voraussetzungen zunächst allgemein als ,paränetische Briefe' klassifizieren. Dies ist jedoch als Gattungsbestimmung noch zu unscharf. Eine präzisere Erfassung des literarischen Charakters der Pastoralbriefe 50 Köster, Einführung 743; vgl. auch Dibelius/Conzelmann, Past 54 („apologetisches Vademecum für alle möglichen antignostischen Kämpfe"); Vielhauer, Geschichte 225 u.a. 31 Unter Verweis vor allem auf 2.Tim 2,14. 23f., aber auch auf l.Tim 6,20; 2.Tim 3,5; Tit 3,9 wird bisweilen die These vertreten, die Pastoralbriefe würden eine inhaltliche Diskussion mit den Irrlehrern auch ausdrücklich untersagen (vgl. z.B. Brox, Past 39; Schulz, Mitte 102; Schenke/Fischer, Einleitung 1,220; Schmithals, Neues Testament 91). 2.Tim 2,14 erkläre die „Nutzlosigkeit" „der sicherlich schwierigen und konfusen Streitgespräche zwischen Ketzern und kirchlichen Lehrern" (Brox, Past 246), und 2. Tim 2,23 betone erneut, daß die „disputierende Auseinandersetzung" mit den Irrlehrern „der falsche Weg" sei (Brox, ebd. 251). Damit dürfte jedoch die Intention der genannten Texte kaum zutreffend zum Ausdruck gebracht sein: Es wird in ihnen nicht zur Unterlassung der Diskussion mit den Irrlehrern und über die Irrlehre aufgefordert, sondern zu Abgrenzung von dieser wie jenen. Dies gilt gerade für 2.Tim 2,14. 23 f.: λογομαχεΐν (V. 14) bezeichnet nicht die Auseinandersetzung mit den Irrlehrern, sondern - wie l.Tim 6,4 deutlich zeigt - das wie sonst auch abwertend dargestellte Auftreten der Irrlehrer selbst. Das gleiche hat für die Untersagung des μάχεσθαι in 2. Tim 2,24 Gültigkeit: μάχαι kennzeichnen das Auftreten der Gegner (vgl. Tit 3,9). 32 Vgl. Karris, Function 52; Fiore, Function 195 f. 234 („the problem of heresy as a perduring phenomenon for the Church, not as an immediate threat").
Brieflicher und paränetischer Charakter
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hängt wesentlich von einer formgeschichtlichen Einordnung dessen ab, was wir unter .Paränese' verstehen. Entgegen der von Dibelius u. a. vorgetragenen Bestimmung 33 ist Paränese aber als solche noch keine mündliche oder schriftliche Gattung, sondern eine Zweckbestimmung und zielt darauf ab, den Hörer oder Leser dauerhaft zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen 34 . Die Gattungsfrage stellt sich vielmehr allein im Hinblick auf die konkrete sprachliche und literarische Gestalt von Paränese, so daß lediglich von bestimmten paränetischen Gattungen gesprochen werden kann. Hier wäre grob zu unterscheiden zwischen paränetischen Kleingattungen (z.B. Mahnspruch, Tugend- und Lasterkatalog u.ä.) und Großgattungen, d.h. jenen Gattungen, die den äußeren literarischen Rahmen der paränetischen Weisungen bilden. Nun zeigt sich gerade im Hinblick auf letztere, daß sie eine relativ große Variationsbreite aufweisen: Obwohl sie zumeist (als Ausnahme ließen sich die Sentenzensammlungen ansehen) allgemein als Rede oder Brief bestimmt werden können, ist ihre konkrete literarische Gestalt unterhalb dieser Ebene überaus variabel, so daß die Pastoralbriefe mit der Kategorie .paränetischer Brief' formgeschichtlich noch nicht zureichend bestimmt sind: Paränetische Weisungen bedienen sich so unterschiedlicher literarischer Einkleidungsformen wie des Lehrgesprächs, der Offenbarungsrede, des Lehrbriefes, des Freundschaftsbriefes (ζ. B. Cicero, ep. ad Qu. fr. 1; Plinius, ep. 8,24), des Testaments (als Rede oder als Brief 35 ), der Abschiedsrede (ζ. B. Tob 4), des Lehrvortrags, der Predigt, des Traktats und anderer mehr. Für alle genannten Großgattungen gilt, daß sie nicht ausschließlich auf die Vermittlung paränetischer Inhalte festgelegt sind; sie haben vielmehr alle auch eine außerparänetische Vor- und Parallelgeschichte. - In diesem Zusammenhang bemerkenswert ist die deutliche Tendenz von Texten mit paränetischen Intentionen und Inhalten zur Pseudepigraphie, und zwar sowohl im Judentum wie auch in der paganen hellenistischen Umwelt des Neuen Testaments (ζ. B. die Pseudonymen Sokrates- und Sokratikerbriefe). Der Grund dafür liegt in dem Streben, den paränetischen 33 Dibelius/Greeven, Jak 16 f.: „Unter Paränese verstehen wir . . . einen Text, der Mahnungen allgemein sittlichen Inhalts aneinanderreiht"; Dibelius, Geschichte 140; Thyen, Stil 85; Furnish, Exhortations 40f.; Berger, Exegese 15 („Groß-Gattung"); ders., Formgeschichte 121. 34 Isocrates grenzt diese Intention der Paränese, deren Kennzeichen Allgemeinheit und Dauerhaftigkeit sind, deutlich von Handlungsanweisungen für Einzelfälle ab: In seiner Rede an Nicocles gehe es ihm nicht um das Handeln καθ' έκάστην ... πρδξιν (hierfür sind die königlichen Berater zuständig), sondern um seine Lebensweise καθ' δλων (Ad Nicocl. 6). 35 Als von testamentarischen Elementen wesentlich bestimmte Briefe können außer dem 2. Tim (s. dazu u.S. 222 ff.) etwa der 2.Petr und der 27.Sokratikerbrief angesehen werden (vgl. Schering, Symbola 53ff.; Fiore, Function 161 ff.).
Literarische Gestalt - Überblick
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Weisungen durch die Anbindung an die jeweilige Autorität der Vergangenheit normative Geltung in der Gegenwart zu verleihen. Daß vor diesem Hintergund der literarischen Variabilität der paränetischen Gattungen und der Tendenz zur pseudepigraphischen Autorisierung der paränetischen Weisungen die Übernahme von spezifisch autoritären und nicht in den paränetischen Gattungen beheimateten literarischen Kommunikationsformen konsequent folgen kann, liegt auf der Hand und wird unter anderem auch in der Übernahme von paränetischen Kleingattungen in die späteren Kirchenordnungen sichtbar 36 . In diese Richtung ist unsere Fragestellung dann auch zu spezifizieren.
2. Literarische
Differenzierungen
-
Bestandsaufnahme
a) Trotz ihrer zweifellos vorhandenen äußeren und inneren Geschlossenheit sind die Pastoralbriefe literarisch nicht homogen. Es gehört seit dem Beginn der wissenschaftlichen Arbeit an den drei Briefen zu den konstanten und exegetisch nie ernsthaft bestrittenen Beobachtungen, daß bei allen nicht zu übersehenden sprachlichen und theologischen Übereinstimmungen zwischen den drei Briefen insgesamt der 1. Timotheus- und der Titusbrief gegenüber dem 2. Timotheusbrief hinsichtlich ihres Inhalts und ihres Stils enger zusammengehören, wobei es zwischen den Vertretern der Pseudonymität der Pastoralbriefe und denen der Authentizität keine Differenzen in der Konstatierung dieses Sachverhalts gibt, wohl aber in seiner Erklärung: Für die Vertreter der Sekretärshypothese wie der Authentizität erklärt sich die spezifische Eigenart des 2. Tim gegenüber den beiden anderen Briefen dadurch, daß dieser als Brief aus der Situation der in Act 28,30 f. beschriebenen oder einer postulierten zweiten römischen Gefangenschaft des Paulus als „Märtyrerbrief" 1 oder gar als „Schwanengesang des seinem Märtyrertod freudig und der himmlischen Herrlichkeit gewiß entgegengehenden Apostels" 2 verfaßt wurde. Diese Einschätzung findet ihren Ausdruck bereits in Luthers Vorrede zum 2 . T i m im Septembertestament von 1522: „Diße Epistel ist eyn letze brieff" (WA. D B 7/2,272,3) } . - Bei den älteren Vertretern der Pseudonymität 36 Zur Transformation gnomischer Paränese in sanktioniertes Recht vgl. Berger, Formgeschichte 121 ff. 1 Holtz, Past 6; demgegenüber ebd. zu l.Tim und Tit: „Die Bezeichnung .Pastoralbriefe' ... trifft das Hauptanliegen von I [Tim] und Tit. recht gut." 2 Wohlenberg, Past 73. 5 Vgl. auch Munck, Discours 162; Spicq, Past 1,45, wobei er zumindest der Struktur nach auch die beiden anderen Briefe „exactement a celle des traditionnels Discours d'adieu" entsprechen sieht (ebd. 44; Hervorhebung im Original). - Zahn begründet wie andere ältere Vertreter der Authentizität diese mit dem Hinweis auf den Altersstil' des Paulus und muß die Abfassung der drei Briefe darum chronologisch eng aneinander rük-
Differenzen zwischen 1.Tim/Tit und 2.Tim
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der Pastoralbriefe mußte sich unter der aus der exegetischen Tradition übernommenen Voraussetzung, daß die drei Briefe nicht als Corpus, sondern je für sich abgefaßt wurden, die chronologische Einordnung des 2.Tim umkehren: Weil in ihm amtliche Anweisungen für die Gemeinde fehlen, keine innergemeindlichen Ämter erwähnt werden und er insgesamt ein geringeres Interesse an Amt und Recht erkennen lasse, repräsentiere er ein weniger entwickeltes Stadium der Gemeindeorganisation und sei darum der älteste der drei Briefe 4 . Dies ändert sich in neuerer Zeit dadurch, daß die Pastoralbriefe als Pseudonyme Briefe weniger unter historisch-chronologischem als unter literarischem Aspekt untersucht werden, wobei durchaus o f f e n bleiben kann, ob sie als Corpus oder als Einzelschriften abgefaßt worden sind. Hier spielt dann für den 2. Tim wieder die literarische Kategorie des .Testaments' gegenüber dem amtlichen Charakter von l . T i m und Tit eine Rolle 5 . - Etwas anders als die bisher Genannten bestimmt Dibelius die Differenz: l . T i m und Tit seien „Kirchenordnungen", während 2. Tim demgegenüber, „scheinbar ein ganz persönliches T e stament des todgeweihten Paulus", „in Wirklichkeit eine Paränese an alle (sei), die in gleicher Lage sind wie Timotheus" 6 . Diese Beschreibung des literarischen Charakters von 2.Tim findet sich mit einer etwas anderen Nuancierung auch in
ken (unmittelbar vor und innerhalb einer zweiten Gefangenschaft des Paulus), wobei 2. Tim „wie in sachlicher, so auch in sprachlicher Beziehung ... gegenüber den beiden anderen seine Eigenart behauptet" (Einleitung 1,485; ebd. 405: „wie ein Testament"). 4 Vgl. Pfleiderer, Urchristentum 11,262; Scott, Past xxiv; in neuerer Zeit wird diese Sicht auch von Schwarz, Christentum 24 ff. vertreten (vgl. dazu o. S. 17 f. Anm.32). 5 Vgl. Schwartz, Kirchenordnungen 192£. Anm. 1; Dibelius, Geschichte 149 (l.Tim/ Tit: „ausgesprochenermaßen innerkirchliche Regulative"; 2. Tim ist „weniger ein Brief als ein Testament"); Brox, Past 12; Lohse, Entstehung 61 (l.Tim/Tit: „Anordnungen, Dekreten, Edikten und genauen Anweisungen vergleichbar, die die Verwaltung hellenistischer Regierungen in Form brieflicher Korrespondenz ergehen ließ", mit Verweis auf Spicq, der diese Zuordnung allerdings etwas modifizierter vertritt: „Les Pastorales, surtout les lettres a Timothee [sie!], sont des Mandements et des Instructions", Past 1,33; 2. Tim: „nach Art eines Testaments gestaltet"); Wikenhauser/Schmid, Einleitung 537 (l.Tim/Tit: „Kirchenordnung"; 2.Tim: „Abschiedsrede oder Testament"); Jeremias, Past 3 (l.Tim/Tit: „amtliche Schreiben"; 2.Tim: „Privatbrief"); Kümmel, Einleitung 339 (l.Tim/Tit: „Anweisungen für die Organisation der Gemeinde, die Belehrung der Stände und die Bekämpfung der Irrlehrer", „also im wesentlichen ... Gemeindeordnungen"; 2.Tim: „Ermahnung des in den Tod gehenden Paulus an seinen Schüler ..., dh der Brief hat die Form eines literarischen Testaments"); Vielhauer, Geschichte 236 (l.Tim/Tit enthalten „Ketzerpolemik, Haustafeln, die zu Kirchenordnungen ausgeweitet sind, und allgemeine Paränese"; 2. Tim: „Vermächtnis des Apostels", „Testament"); Trümmer, Paulustradition 74 (l.Tim/Tit: „Kirchenordnungen"; 2.Tim: „literarisches Testament"); Köster, Einführung 740 isl am konsequentesten (l.Tim/Tit: „zur Frage der Kirchenordnung, der christlichen Lebensordnung und zur Bekämpfung der Irrlehrersituation"; 2. Tim spreche „von den Irrlehrern und vom christlichen Leben nur insofern, als das als Teil der zur Gattung des Testaments gehörenden Mahnung und Paränese erforderlich ist"); Lohfink, Theologie 107; Quinn, Parenesis 496 (l.Tim/Tit: „church orders"; 2.Tim: „parenetic testament"). - Knoch sieht alle drei Pastoralbriefe „zusammen das Testament des Paulus an die Verantwortlichen seiner Gemeinden darstellen" (.Testamente' 46; vgl. auch ebd. 29f.); s. auch Roloff, Apostolat 239. 4
Dibelius, Geschichte 150; zum Problem Kirchenordnung - Paränese s.o. S. 131 ff.
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Conzelmanns Neubearbeitung des Kommentars von Dibelius: „In II Tim tritt das Persönliche in auffallendem Maße in den Vordergrund", was „dieses Schriftstück als zur Gattung der Paränesen gehörig erscheinen (läßt)" 7 . Damit ist das Stichwort genannt, das bei einer ganzen Reihe von Vertretern wie Bestreitern der Authentizität der Pastoralbriefe gleichermaßen dazu dient, den Unterschied zwischen l.Tim/Tit und 2.Tim pauschal zu umschreiben, ohne daß bei einem erheblichen Teil der Literatur diese allein dem äußeren Eindruck sich verdankende Kategorie literarisch verifiziert wird, wenn sie denn überhaupt als moderne Kategorie exegetisch brauchbar sein kann: „Der wichtigste Unterschied ist der stark persönliche Charakter von II [Tim] neben dem unpersönlichen von I [Tim]; T[it] steht in der Mitte." 8 Vorstehende Differenzierungen wirken in einem Teil der exegetischen Literatur auch auf die Bestimmung des von den Pastoralbriefen vermittelten Paulusbildes ein, wobei man die genannten Unterschiede zwischen l.Tim/Tit und 2. Tim in einer unterschiedlichen Darstellung von Funktion und Bedeutung des Apostels sich spiegeln sieht. In diesem Sinne sei Paulus in l.Tim/Tit als autoritativer, „die Szene vollkommen beherrschende(r) Kirchenführer" dargestellt 9 , während er in 2. Tim als „der in Gefangenschaft Leidende" 10 und als Vorbild für alle Amtsträger und übrigen Christen erscheine 11 . Insgesamt ist den hier skizzierten Bestimmungen des unterschiedlichen literarischen Charakters von l.Tim/Tit auf der einen und 2.Tim auf der anderen Seite gemeinsam, daß die zweifellos bestehenden Differenzen nur allgemein und auf der Grundlage des äußeren Eindrucks notiert, nicht aber wirklich im einzelnen sprachlich und inhaltlich im Hinblick auf das den Briefen jeweils zu7
Dibelius/Conzelmann, Past 6. 6 f. (Hervorhebung von mir). Schmithals: RGG 3 5,145 (Hervorhebung von mir); vgl. auch Huther, Past 8 ( l . T i m / Tit: „Geschäftsbriefe"; 2.Tim: „ein Brief ,rein persönlicher Art'"); Weiß, Lehrbuch 307 (l.Tim/Tit: „einfache Vorschriften und Anweisungen"; 2.Tim: „ein Wort herzandringender Mahnung"); Lock, Past xiii („I Ti is entirely pastoral ...; Titus is mainly pastoral ...; 2 Ti is mainly personal"); Schierse, Past 15 („Paulus spricht wie ein Lehrer, der allgemein gültige Regeln erklärt. . . . Nur in 2 Tim klingt gelegentlich eine wärmere, persönlichere N o t e an"); Brox, Past 12. 224 (2. Tim „ist durchgängig weniger sachbetont als persönlichverbindlich"); Wikenhauser/Schmid, Einleitung 513 („im 2 Tim ist der Anteil des persönlichen Elements neben dem amtlichen viel größer als in den zwei anderen Briefen"); Lohse, Entstehung 61 („im Unterschied zum l.Tim. und Tit. ist dagegen der 2.Tim. persönlicher gehalten"); Johnson, II Timothy 22; Karris, Past 9. 50. 8
' Lindemann, Paulus 47. 10 Lindemann, ebd. 11 Vgl. noch Scott, Past xxv (l.Tim/Tit: „It is Paul the teacher to whom the Church is directed for guidance"; 2. Tim: „Paul the man is held up as the pattern for all true Christians"; Hervorhebungen von mir); Marxsen, Einleitung 203 („im l . T i m und Tit legt .Paulus' die Ordnung aus; im 2. Tim legt er ,sich selbst' aus"; hier „(spielt) nicht mehr das M o ment der Kodifizierung eine Rolle ..., sondern Timotheus soll sich . . . an das Vorbild des Paulus halten"; Hervorhebungen im Original); Brox, Past 224 (in l.Tim/Tit ist „das Wort des Paulus", in 2. Tim „dagegen seine Gestalt, sein Schicksal die Orientierung für die Kirche der nachpaulinischen Zeit"); Karris, Past 47 (in l . T i m / T i t ist Paulus „the apostle who gives guidance for the church"; Hervorhebung im Original). 46 (in 2.Tim ist Paulus der „martyr apostle who practiced his teaching").
Differenzen zwischen 1. Tim/Tit und 2. Tim
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grundeliegende Kommunikationsgeschehen kontrastiv aufgewiesen werden 1 2 . Aus diesem Grunde bleiben auch die literarischen Differenzierungsversuche letztlich ohne zureichendes Fundament und weitgehend dem Formulierungsgeschick des jeweiligen Autors überlassen, so daß sich mit den beigezogenen Kategorien - wie etwa der, daß 2.Tim gegenüber l . T i m und Tit .herzlicher' und .persönlicher' gehalten sei - nicht exegetisch arbeiten läßt. D a ß dies dann zu gänzlich beliebigen und sachlich nichtssagenden Gesamtbestimmungen führt, zeigen die entsprechenden Formulierungen von Scott und Spicq: Während sie in der Charakterisierung von l . T i m noch völlig übereinstimmen 13 , ordnen sie in bezug auf 2 . T i m und Tit inhaltlich identische Bewertungen den beiden Briefen unterschiedlich zu 14 , ohne daß einem der Autoren ein Fehlurteil nachgewiesen werden könnte, was ihre Feststellungen aber auch nicht übermäßig erhellend macht. Im folgenden soll darum zunächst versucht werden, das literarische Profil der drei Briefe inhaltlich und sprachlich möglichst präzise zu bestimmen und dabei auf Gemeinsamkeiten und Differenzen zu achten. Intendiert ist die Erarbeitung von Kriterien für eine Beurteilung des literarischen Charakters der Pastoralbriefe und des in ihnen seinen Ausdruck findenden Kommunikationsgeschehens.
b) l.Tim und Tit unterscheiden sich von 2.Tim inhaltlich zunächst dadurch, daß nur diese beiden Briefe über ihre Empfänger hinausweisende und auf Amtsträger oder Gruppen in der Gemeinde bezogene Anweisungen enthalten: Es sind dies apostolische Weisungen für das Verhalten von Männern und Frauen im Gottesdienst und im allgemeinen (l.Tim 2,8-15; Tit 2,2-6); für das Verhalten und die Eigenschaften („Pflichtenlehren') 15 von Bischöfen ( l . T i m 3,1-7; Tit 1,7-9), Diakonen ( l . T i m 3,8-13), Witwen (l.Tim 5,4 16 .9f. 17 .14) und Presbytern 12 In dieser Hinsicht hat auch die ansonsten ganz außerordentlich lehrreiche Untersuchung von Fiore ihren schwachen Punkt: Seine Zusammenstellung der „hortatory characteristics" der Pastoralbriefe (Function 10 ff.) kommt nicht über eine rein statistische Auflistung hinaus und ebnet die tatsächlich bestehenden Differenzen zwischen den Briefen unzulässig ein. 13 Scott, Past xxiv: „In I Timothy the writer is chiefly concerned with Church administration"; Spicq, Past 1,32: l.Tim „insistant davantage sur l'organisation de l'feglise". 14 Nach Spicq (Past 1,32) gehe es in Tit um „la vie chretienne", während 2. Tim „la saine doctrine" betone. Bei Scott werden dieselben Bestimmungen umgedreht: Tit befasse sich „with the need for right doctrine", und 2. Tim sei am „Christian life and character" interessiert (Past xxiv). 15 Vögtle, Tugend- und Lasterkataloge 51 ff. 237 ff. " Für die Deutung von l.Tim 5,4 auf die Aufgaben von Witwen und nicht von deren Kindern und Enkeln hat zuletzt v. Lips, Glaube 119 f. Anm. 134 überzeugende Gründe beigebracht (ebd. auch ältere Literatur). 17 Es geht hier um die Formulierung von Kriterien für die Aufnahme von verwitweten Frauen in die Gruppe der .wahren' Witwen, und zwar im Hinblick auf ihre Versorgung (mit Brox, Probleme 87; ders., Past 185; Sand, Witwenstand; Verner, Household 241 ff. u.a.) und nicht um die Besoldung von Amtswitwen (so Bartsch, Anfänge 112ff., bes. 117ff. u.a.; zuletzt v. Lips, Glaube 118f.; Kraft: EWNT 3,1118; Bangerter, Veuves).
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(Tit 1,6) bzw. solchen, die es werden wollen; für das Verhalten von Sklaven (l.Tim 6,1 f.; Tit 2,9f.), von Reichen (l.Tim 6,17-19), der Gemeinde allgemein bzw. gegenüber Obrigkeit und Umwelt (Tit 3,1 f. 14) sowie für das Beten (l.Tim 2,1 f.), die Auswahl von Diakonen (l.Tim 3,10), die Versorgung von Witwen (l.Tim 5,16)18 und die Würdigung der Tätigkeit der Presbyter (l.Tim 5,17). Die sprachliche Gestaltung dieser Anweisungen an die Gemeinde bzw. an bestimmte Gruppen in ihr ist überaus aufschlußreich und für den Fortgang unserer Untersuchung von entscheidender Bedeutung1': Es finden sich hier zunächst direkte Anweisungen des Apostels, die als autoritative Setzungen formuliert sind: 1. Person Singular eines auffordernden oder befehlenden Verbs (l.Tim 2,1: παρακαλώ. - 2,8; 5,14: βούλομαι. - 2,12: ούκ έπιτρέπω) mit jeweils folgender Infinitivkonstruktion, die das inhaltlich Geforderte angibt20. - Weiterhin ist für die Trummers Einwand gegen Sand, es sei „unerklärlich, wie innerhalb einer Kirchenordnung ein rein soziales Problem so ausführlich behandelt werden sollte" (Paulustradition 217 f.), geht von der falschen petitio principii aus, daß die Pastoralbriefe sich als Kirchenordnungen verstehen wollten (s. dazu o. S. 131 ff.); darüber hinaus wird die Witwenfrage nicht als soziales, sondern als gemeindeorganisatorisches Problem behandelt. Dies wird von l.Tim 5,16 her deutlich: βαρεΐν und έπαρκεϊν weisen in den Zusammenhang der Sozialfürsorge, wie dies in bezug auf Witwen in TestHiob 10,2; Act 6,1; ActThom 59 (II/2, 176,1 f. Lipsius/Bonnet) sichtbar wird; έπαρκεϊν wird in diesem Sinne gebraucht bei Josephus, ant. 1,247 („den Bedürftigen unter eigener Belastung έπαρκεϊν") die Korrespondenz von έπαρκεω und δέω/δέομαι findet sich auch bei Dio Chrysostomus, or. 7,68. 82 (in bezug auf die Hilfsbereitschaft der Armen); 38,33; vgl. auch 3,100 (έπαρκεί δέ πενίρ); 7,61; Epiktet, diss. 3,26,8 (von der Unterstützung des Sohnes durch reiche Eltern); zu βαρεΐν als Ausdruck für finanzielle Belastung vgl. OGIS 595,16; 669,5; P.Giss 1/4,11; Polybius 5,94,9 u.ö.; vgl. Schrenk: T h W N T 1,559. - In diesem Sinne versteht auch Basilius v. Caesarea (ep. 199,24) l.Tim 5: „Der Apostel hat entschieden, daß eine Witwe, die unter die Zahl der Witwen aufgenommen wurde, d.h. von der Kirche ihren Unterhalt empfängt, im Falle ihrer Wiederheirat übergangen werden soll." Man könnte eventuell von Ignatius, Smyrn 13,1 her (παρθένοι αί λεγόμεναι χήρας) daran denken, daß in der Gemeinde der Pastoralbriefe auch unverheiratete und aufgrund ihres Übertritts zum Christentum in ihrem Familienverband isolierte und darum unversorgte Frauen als Witwen angesehen und versorgt wurden (vgl. Bassler, Tale 35). Wenn Tertullian die „alicubi" als Witwe angesehene Jungfrau für ein „monstrum" hält (virg. 9,5), so bestätigt er damit nur eine entsprechende Praxis. - Daß den Witwen dann auch konkrete Aufgaben vor allem im diakonischen Bereich zufielen (vgl. Stählin: T h W N T 9,453,28 ff.), läßt sich vielleicht l.Tim 5,10 oder auch V. 13 entnehmen (s. dazu u. S. 147 Anm. 32). Die Herausbildung eines spezifischen Witwenami« dürfte aber eine spätere Entwicklung darstellen, wobei sich diese Tendenz zum Amt dann darin spiegelt, daß die Zahl der Amtswitwen in späteren Kirchenordnungen stark eingeschränkt wird (in Apost. KO 21; TestDomini 1,34 ist ihre Zahl auf drei begrenzt). 18
Vgl. die vorstehende Anm. " Vgl. auch die Zusammenstellung bei Karris, Past 49 f. 20 Diese Form der Einleitung der apostolischen Weisung findet sich auch in den an die Adressaten gerichteten Mahnungen: l.Tim 5,21 (διαμαρτύρομαι) mit folgendem ϊνα; s. dazu u. S.145 Anm.25); 6,13 (παραγγέλλω mit A.c.I.); 2.Tim 1,6 (άναμιμνησκω mit
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Anweisungen mit der genannten Adressierung in l.Tim und Tit die Verwendung der 3.Person des Imperativs spezifisch (l.Tim 2,11; 5,4; Tit 3,14: μανθανέτω/-σαν. - l.Tim 3,10: δοκιμαζέσθωσαν; διακονείτωσαν. - 3,12: £στωσαν. - 5,9: καταλεγέσθω. - 5,16: έπαρκείτω ... και μή βαρείσθω. - 5,17: άξιουσθωσαν. - 6,1: ήγείσθωσαν). Die Bischofs- und Diakonenspiegel in l.Tim 3,2ff.; Tit 1,7ff. sind mit Hilfe des für hellenistische Regenten- und Berufspflichtenspiegel charakteristischen δει21 formuliert22. Von Anweisungen dieser Art deutlich bestimmt und zusammengehalten ist l.Tim 2-3, welcher Abschnitt auch deutlich nach vorne (Einleitung in l.Tim 1,18) und hinten (Angabe der Motivation des Schreibens23 in l.Tim 3,14f. und Christus-Enkomion in V. 1624) abgegrenzt ist. - Zum dritten ist schließlich die paränetische Kommunikationsstruktur von l.Tim und Tit durch Anweisungen bestimmt, in denen die Adressaten aufgefordert werden, bestimmte Verhaltensnormen an die betreffenden Gruppen weiterzugeben (Imperativ der 2. Ps. Sing, eines Verbum iubendi o. ä [παράγγελλε, παρακαλεί, ύπομίμνησκε] mit folgender Infinitivkonstruktion oder ίνα25: l.Tim 6,17-19; Tit 2,6.9f. 26 ; 3,1 f.; vgl. auch l.Tim 1,3: die Erinnerung an die früher erteilte Aufgabe geht über in die aktuelle Auseinandersetzung mit den Irrlehrern)27. Wie die oben genannten Anweisungen in Inf.); 4,1 (διαμαρτύρομαι mit Imperativ); Tit 3,8 (mit A.c.I.). - Berger bezeichnet diese „Hervorhebung des eigenen Redens durch den Sprecher selbst... als Markierung der Koinzidenz" (Geschichte 53; Hervorhebung von mir), wobei „es sich fast durchgehend um die Hervorhebung der besonderen Autorität des Sprechers" handle (ebd. 61). 21 In dieser Weise formuliert Epiktet in seiner Diatribe über den Kynismus (diss. 3,22; s. dazu Billerbeck, Epiktet) die Eigenschaften des wahren Kynikers (z.B. 13. 16. 19. 23. 25. 26); vgl. weiter: Lukian v. Samosata, salt. 81 (vom Idealbild des Tänzers); Plutarch, mor. 800 a (von den Pflichten des Staatsmannes) u. ö. 22 In l.Tim 3,7 hat das δει (μαρτυρίαν καλήν ϊχειν άπό των έξωθεν) begründende Funktion für den vorstehenden Bischofsspiegel. 23 S.o. S. 132 Anm.7. 24 Vgl. dazu Stenger, Christushymnus; Berger, Gattungen 1190 f. " Zur Verwendung von ίνα statt Infinitiv im Neuen Testament vgl. Blaß/Debrunner/ Rehkopf, Grammatik § 392,1. 24 Der A.c.I. in Tit 2,9f. ist möglicherweise bis wahrscheinlich syntaktisch abhängig von παρακαλεί in 2,6. 27 Die als A. c. I. formulierten Anweisungen für alte Männer und Frauen in Tit 2,2-6 sind (gegen Spicq, Past II,616f.; Holtz, Past 218; v. Lips, Glaube 46) nicht direkt von λαλεΐν (2,1) abhängig, das im Griechischen nicht in dieser Weise konstruiert wird (dies ginge auch syntaktisch nicht, da die akkusativische Objektsvalenz von λαλεΐν bereits durch & πρέπει besetzt ist), sondern sind wie in Rom 12,15 als unabhängige Imperativische Infinitivkonstruktionen zu verstehen, wie sie auch außerhalb des Neuen Testaments in präzeptiven Texten häufig begegnen (vgl. Blaß/Debrunner/Rehkopf, Grammatik § 389: alle A.c.I. in Tit 2,2-10 sind von παρακαλεί [V.6] abhängig; Schwyzer, Grammatik II,380ff.; zum unabhängigen A.c.I. ebd. 382f.; Mayser, Grammatik 11/1,150f. 303305; sehr verbreitet ist der Imperativische Infinitiv in den Paränesen Mark Aurels, vgl.
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der 3. Person des Imperativs weisen auch diese Anordnungen über Timotheus und Titus hinaus und richten sich an die jeweils genannten Gruppen in der Gemeinde. Daneben finden sich nun noch - mit zwei charakteristischen Ausnahmen in 2.Tim 2,2.14 28 wiederum nur in l . T i m und Tit - mit ταΟτα eingeleitete „zusammenfassende Appelle"29 an die Adressaten (παράγγελλε, δίδασκε, παρακαλεί, λάλει), die jeweils zu Beginn oder am Ende eines thematischen Abschnitts stehen, dessen Inhalt durch ταϋτα resümiert wird, ohne wie bei den mittelbaren Anweisungen mit den paränetischen Inhalten syntaktisch verbunden zu sein ( l . T i m 4,11; 5,7; 6,2; Tit 2,15). In diesen Zusammenhang gehört auch l.Tim 4,6: Timotheus wird aufgefordert, die Widerlegung der Irrlehre durch den pastoralen Paulus (V. 3b-5) - die einzige inhaltliche Auseinandersetzung mit den Häretikern in den Pastoralbriefen - „den Brüdern mitzuteilen". Diese Imperative erfüllen damit deutlich eine textgliedernde Funktion. Notierenswert ist dabei noch, daß in l.Tim 4,12 und Tit 2,15 zu dem zusammenfassenden Appell einander sehr ähnliche Aufforderungen hinzutreten, die Timotheus bzw. Titus ihrer Autorität in der Gemeinde versichern sollen: μηδείς σου της νεότητος καταφρονείται ( l . T i m 4,12) und μηδείς σου περιφρονείτω (Tit 2,15) 30 . In 2.Tim fehlt bezeichnenderweise eine entsprechende Aufforderung 31 . Inhaltlich ist noch zu ergänzen, daß es sich bei den Anweisungen für die kirchlichen Amter und Stände, d.h. für den Bischof, die Diakone, Presbyter und Witwen, nicht um die Festlegung von Kompetenzen und Aufgaben handelt 32 , sondern daß hier Eignungskriterien und Berufs- wie StandeseigenschafDalfen, Untersuchungen 65 ff.), und beschreiben ein Verhalten, & πρέπει t f j ύγιαινούση διδασκαλία (vgl. ν. Soden, Past 212). 2 * Hier bezieht sich ταΟτα auf das vorstehende hymnische Traditionsstück, den πιστός λόγος von V. 11-13 (s. dazu u. S. 147 mit Anm. 34). In 2 . T i m 2,2 weist ταϋτα auf den voraufgehenden Relativsatz (& ήχουαας παρ' έμοΟ) zurück. 29 Brox, Past 117. 30 Sprachlich gehören diese Imperative (3.Pers. Sing.) zu den oben zusammengestellten direkten Anweisungen an die Gemeinde. Sie hätten dann die Intention, diese a u f z u fordern, die Autorität von Timotheus und Titus zu akzeptieren. D a ß sie dort nicht aufgef ü h r t wurden, hat seinen G r u n d zum einen in der Allgemeinheit der A u f f o r d e r u n g (μηδείς) und zum anderen darin, d a ß ihnen eine ganz spezifische Bedeutung in dem Interaktionsbereich Apostel - T i m o t h e u s / T i t u s - G e m e i n d e zugeschrieben werden kann (s. dazu u. S. 189 ff.). 31 S. dazu u. S. 214 f. 32 Auch Tit 1,9 a enthält keine A u f f o r d e r u n g zur Ausübung einer konkreten Funktion des Bischofs (gegen Brox, Past 285): Dieser Vers ist kein „Appell zum Einsatz f ü r die Predigt" (ebd.), sondern beschreibt wie die anderen T u g e n d e n des Bischofsspiegels die Prädisposition und damit die Voraussetzung ("ίνα δυνατός ή) f ü r des Bischofs παρακαλεΐν u n d έλέγχειν (V. 9 b), was zugleich auch die einzige konkrete Beschreibung der bischöflichen Aufgabe in den Pastoralbriefen ist. Ansonsten heißt es positiv vom Amt des Bischofs nur allgemein, d a ß dieser f ü r die Kirche Gottes zu sorgen habe (l.Tim 3,5). - Von den
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ten und -pflichten formuliert werden, die für die Lebensführung bereits (aus)gewählter Amtsträger und Witwen gelten (auch hierin wird wieder der grundsätzlich paränetische Charakter der Pastoralbriefe deutlich) bzw. für die Auswahl geeigneter Personen maßgeblich sein sollen, also der Gemeinde verbindliche Maßstäbe für die Prüfung (vgl. δοκιμάζειν; l . T i m 3,10) der Eignung der Kandidaten an die Hand geben 33 .
In bezug auf den literarischen Unterschied zwischen 1. Tim/Tit und 2. Tim ist also zunächst festzuhalten, daß die apostolische Weisung sich nur in den beiden erstgenannten Briefen über die Adressaten hinweg an die Gemeinde richtet, wobei der Aufweis der Sprachgestalt dieser Weisungen ein wichtiges Differenzkriterium darstellt. 2.Tim enthält nun nicht nur keine - mittelbare oder unmittelbare - Gemeindeparänese, die Gemeinde mit ihren Gruppen, Ständen und Amtern kommt in ihm mit Ausnahme von 2.Tim 2,2.14 überhaupt nicht in den Blick. In diesen beiden Texten geht es nun aber nicht um die Vermittlung paränetischer Inhalte, sondern zum einen allgemein und komprehensiv um die Weitergabe dessen, was Timotheus von Paulus „gehört" hat, der auf den Apostel zurückgeführten Tradition also (2,2), bzw. zum anderen um die .Erinnerung' (ύπομίμνησκε) an das in V. 11-13 zitierte Stück hymnischer Überlieferung, das Timotheus als tragfähige Basis christlicher Existenz den Wortgefechten der Gegner entgegenhalten soll (2,14) 34 . Aufgaben der Presbyter wird allgemein gesagt, daß diese .Vorsteher' sind (l.Tim 5,17), und konkret wird bekannt, daß sie sich ,um Predigt und Lehre bemühen' (ebd.). - Über die Aufgaben der Diakone lassen die Pastoralbriefe außer dem nichtssagenden διακονεΐν (l.Tim 3,13) nichts verlauten; daß sie „Gehilfen des Bischofs" waren (Brox, Past 151) oder karitative Aufgaben hatten, ist möglich, steht aber nicht im Text. Zu weitergehenden Aussagen müßte man in methodisch anfechtbarer Weise die Angaben von Act 6,1 ff. zu Hilfe nehmen (vgl. Beyer: T h W N T 2,90). - Zu den Witwen s.o. S. 143f. Anm. 17. Die in l.Tim 5,10 beschriebenen Tätigkeiten dieser Gruppe sind aoristisch formuliert, beziehen sich also zunächst nur auf das ihrer Aufnahme (V. 9) zeitlich vorausliegende Verhalten (gegen Dibelius/Conzelmann, Past 59, mit Stählin: T h W N T 9,446 Anm. 161). Auf der anderen Seite ist aber wohl kaum damit zu rechnen, daß die Witwen nach ihrer Übernahme in die Versorgung von der Verrichtung zumindest eines Teils der in V. 10 genannten „guten Werke" dispensiert waren. Über weitere innergemeindliche Aufgaben äußern sich die Pastoralbriefe nicht (l.Tim 5,5 bezieht sich auf die private Frömmigkeit); konkrete Funktionen wie Gebets- oder Krankenbesuchsdienst (v. Lips, Glaube 121; Stählin: T h W N T 9,446) müßten indirekt aus V. 13 erschlossen oder aus entsprechenden Anweisungen in späteren Kirchenordnungen (vgl. Stählin: ebd. 453 f.) zurückprojiziert werden. - Insgesamt gilt aber, daß sich die Intention der auf die Amtsträger bezogenen Paränese der Pastoralbriefe nicht funktional auf deren Amtsausübung richtet.. 33
Dies wird am deutlichsten in der Anweisung, der Bischof habe μή νεόφυτος (l.Tim 3,6) zu sein, aber auch in den Angaben über die Versorgung seines eigenen Hauses (l.Tim 3,4; vgl. 3,12; Tit 1,6). 34 t a ö t a in V. 14 bezieht sich also direkt auf das vorstehende Traditionsstück (gegen Dibelius/Conzelmann, Past 82; Brox, Past 246; Holtz, Past 170 u.a.; mit Kelly, Past 182; Knight, Sayings 150, der darauf hinweist, daß sich eine entsprechende Aufforderung auch
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Hinzu kommt, daß sich eindeutige Aussagen über die Gemeinde als Hausgemeinschaft nur in l . T i m und Tit finden (vgl. l . T i m 1,4 35 ; 3,15; Tit 1,5; auch l . T i m 3,4) und in 2.Tim bis auf die mögliche indirekte Andeutung in dem Bildwort 2,20 fehlen. c) Während sich die protreptische und apotreptische Adressatenparänese in allen drei Briefen findet, fällt noch eine Gruppe von direkten Anweisungen an Timotheus und Titus heraus, die kasuistische Instruktionen für deren Handeln in genau umrissenen Situationen enthalten 36 . Sie finden sich wiederum nur in l . T i m (hier auffällig gehäuft in und vor allem am Ende von Kap. 5) und Tit: l.Tim 5,3: „Als Witwen ehre die wirklichen Witwen!" 5,11: Jüngere Witwen weise ab!" 5,19: „Nimm keine Anklage gegen einen Presbyter an ohne zwei oder drei Zeugen! 5,20: „Wenn sich einer verfehlt37, weise ihn coram publico zurecht!" 5,22: „Lege keinem vorschnell die Hände auf, und habe keinen Anteil an fremden Sünden!"3» Tit 3,10: „Meide einen Häretiker nach einer und einer weiteren Mahnung!" Der gemeinsame Nenner dieser Anweisungen liegt darin, daß es hier durchweg um Personalangelegenheiten geht, in denen Timotheus und Titus z.T. disziplinarrechtliche Entscheidungskompetenzen zuerkannt bekommen. Darauf weist auch die in l.Tim 5,21 eingeschobene Mahnung hin, ταϋτα (d.h. die vorstehenden Anweisungen) ohne Vorurteil (πρόκριμα) und Parteilichkeit (πρόσκλισις) auszuführen; vor allem πρόκριμα hat einen festen Haftpunkt in juristischen Sachzusammenhängen3'. Es sind vor allem diese Anweisungen, in denen im Anschluß an die πιστός-ό-λόγος-Formulierungen in l.Tim 4,11; Tit 3,8 findet). Dem entspricht auch die mit Hilfe des Stilmittels der Paronomasie hergestellte terminologische Korrespondenz von πιστός ό λόγος (V. 11 a) und μή λογομαχεΐν (V. 14 a): Der in V. 11-13 zitierte λόγος ist πιστός, so daß jedes λογομαχεΐν dieser Orientierung verlustig gehen und in die καταστροφή führen muß. " Zur οικονομία θεοΟ in l.Tim 1,4 s. v.Lips, Glaube 145ff. 34 Diese Differenzierung entspricht derjenigen des Isocrates, Ad Nicocl.6 (s.o. S. 139 Anm.34). 37 Gegen v. Campenhausen, Amt 160; Bartsch, Anfänge 99 sind mit den άμαρτάνοντες hier nicht sündige Gemeindeglieder, sondern fehlende Presbyter gemeint (vgl. H. J. Holtzmann, Past 351 f.; Dibelius/Conzelmann, Past 62; Brox, Past 200, v. Lips, Glaube 110. 175 u.a.; s. auch u. S.201). " Diese Anweisung bezieht sich wohl auf die Ordination von Presbytern (vgl. zuletzt v. Lips, Glaube 174 ff. mit ausführlicher Begründung und Darstellung der Diskussion; s. auch noch Behm, Handauflegung 54ff.). " Vgl. die bei Bauer, Wörterbuch 1404 („juristischer terminus technicus") sowie Büchsei: T h W N T 3,954 Anm.3 für πρόκριμα genannten Belege; für πρόσκλισις s. l.Clem 21,7: Die Frauen sollen ihre Liebe nicht κατά προσκλίσεις, sondern allen Gottesfürchtigen gleichmäßig (ίσος) zuwenden; in 47,3f. werden die nach l . K o r 1,1 Off. gebildeten Parteien in Korinth als προσκλίσεις bezeichnet.
D i f f e r e n z e n zwischen 1. T i m / T i t und 2. T i m
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die Literatur d e n A d r e s s a t e n amtliche, d . h . n ä h e r h i n b i s c h ö f l i c h e F u n k t i o n e n z u g e s c h r i e b e n sieht 4 0 , in d e n e n m a n sich die Praxis der G e m e i n d e d e s V e r f a s sers der P a s t o r a l b r i e f e s p i e g e l n sieht 4 1 . D i e s berührt die ü b e r g r e i f e n d e Frage n a c h der literarischen F u n k t i o n der A d r e s s a t e n d e r Pastoralbriefe, die an a n d e rer Stelle a u f g e g r i f f e n w e r d e n soll 4 2 .
d) Diesen inhaltlichen und sprachlichen Differenzen der apostolischen Weisung der Pastoralbriefe entsprechen nun in auffallendem Maße auch terminologische und sachliche Unterschiede zwischen l.Tim/Tit und 2.Tim. Dies wird zunächst schon in den Präskripten der drei Briefe sichtbar. Die Differenz ist eine doppelte: Während der pastorale Paulus seinen Apostolat in 2.Tim 1,1 wie in l.Kor 1,1; 2.Kor 1,1; Eph 1,1; Kol 1,1 auf den Willen Gottes zurückführt (ΠαΟλος άπόστολος ... δια θελήματος θεοϋ), ist es in den superscriptiones von l.Tim und Tit die Anordnung (έπιταγή) Gottes (und Christi in l.Tim 1,1), durch die er zum Apostel bestimmt worden sei (l.Tim 1,1) bzw. die Verkündigung des Heilsgeschehens anvertraut bekommen hätte (Tit 1,3). Parallel dazu werden Timotheus und Titus in der adscriptio von l.Tim und Tit jeweils als γνήσιον τέκνον angeredet (l.Tim 1,2; Tit 1,4), während Timotheus in 2. Tim 1,2 als άγαπητόν τέκνον bezeichnet wird. - Angesichts der bisher herausgearbeiteten Differenzen zwischen l.Tim/Tit und 2. Tim legt es sich nahe, hierin nicht eine nur beliebige terminologische Variation zu sehen43, sondern den jeweiligen Formulierungen eine sachliche Grundlage zuzuweisen und sie auf den unterschiedlichen literarischen Charakter der Briefe und ihre Intention zu beziehen 44 . D a b e i läßt sich g e r a d e die D i f f e r e n z v o n κατ' έ π ι τ α γ η ν θ ε ο ϋ ( l . T i m 1,1; T i t 1 , 3 ) u n d δια θ ε λ ή μ α τ ο ς θ ε ο ϋ ( 2 . T i m 1,1) relativ leicht b e s t i m m e n . Will m a n d i e F o r m u l i e r u n g in 2. T i m 1,1 n i c h t e i n f a c h als s c h e m a t i s c h e Ü b e r n a h m e der F o r 40 Vgl. v. Campenhausen, Amt 118. 160; Schlier zufolge macht u.a. gerade l . T i m 5,17 ff. sichtbar, daß Timotheus nicht nur über den Presbytern, sondern sogar „über den lokalen Bischöfen . . . an verschiedenen Orten" steht (Ordnung 487); vgl. auch ebd. 493 f.: Die „Regierungsgewalt" des Apostelschülers differenziere sich in die „Disziplinargewalt" und in die „Weihegewalt"; vgl. dazu u. S.201. 41 So will etwa v. Lips (Glaube 115) die in l . T i m 5,19f. beschriebenen Funktionen von Tit 1,9 her als spezifische Aufgabe des „nur einen έπίσκοπος" sehen. In Tit 1,9 ist jedoch von τούς άντιλεγοντας έλεγχειν die Rede, womit nicht die Zurechtweisung von Presbytern, sondern von Irrlehrern gemeint ist, die der gesunden Lehre widersprechen (vgl. l.Tim 1,10). 42 S. dazu u. S. 197 ff. 43 Vgl. z.B. Holtz, Past 31 Anm. 1; Brox, Past 223 (der Unterschied ist „nicht wesentlich"). Ansonsten gehen die Ausleger zumeist über diese Differenz hinweg. Anders Weiß, Past 73 (διά θελήματος „begründet sein Apostel recht", κατ' έπιταγην „weist auf . . . seine Apostel/>^icAi"; Hervorhebung im Original). 44 Vgl. Knoke, Past 11,30: κατ' έπιταγην könnte „mit Rücksicht auf den Auftrag gewählt sein, welcher in dem nachfolgenden Briefe gegeben wird".
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Literarische Gestalt - Überblick
mulierungen von l . K o r 1,1; 2 . K o r 1,1; Eph 1,1; Kol 1,1 erklären und sie f ü r eine nur floskelhafte Formel halten, sondern nach der semantischen Konnotation der W e n d u n g θέλημα θεοϋ fragen, liegt die Bedeutungsdifferenz gegenüber der Formulierung έπιταγή θεοϋ auf der H a n d : Der Rekurs auf den Willen Gottes bringt in den frühchristlichen Texten stets die aller menschlichen Planung und Aktivität vorgängige u n d überlegene Bestimmung allen Geschehens zum Ausdruck (vgl. Rom 1,10; 15,32; s. auch 1 Q H 10,5 f.) 45 . Aufschlußreich ist in dieser Hinsicht auch die Verbindung mit dem Gedanken der Vorzeitlichkeit (vgl. die προ-Komposita in Eph 1,5.9.11; Ignatius, Eph inscr.; Justin, dial. 102,5 sowie die A u f n a h m e von Kol 1,27 in Eph 3,10 f.). Besonders häufig beziehen sich in der frühchristlichen Literatur präpositionale Wendungen wie δια θελήματος (κατά θέλημα/έν θελήματι) θεοϋ auf Christus und sein Heilswerk (vgl. l . C l e m 49,6; Ignatius, Smyrn 1,1: υιός θεοΰ κατά θέλημα και δύναμιν θεοΟ 46 ; Justin, l . a p o l . 1,63,10; dial. 63,2; 85, l) 4 7 . Zusammengenommen heißt dies dann f ü r das Verständnis von 2.Tim 1,1 wie der anderen gleichlautenden Formulierungen, daß Paulus nicht aus eigener oder anderer Menschen Vollmacht Apostel ist, sondern daß sein Apostolat als Bestandteil der göttlichen Weltordnung anzusehen ist, wie sie dem Willen G o t tes entspricht (vgl. die Abgrenzungen in vergleichbarem Kontext in J o h 5,30; 6,38; l . C l e m 32,3: „alle", d . h . Priester und Leviten, Könige, Herrscher u n d Fürsten sowie die übrigen Stämme [32,2], „gelangten zu Ehre und Größe nicht durch sich selbst oder durch ihre Werke ..., sondern durch seinen Willen"; Ignatius, Smyrn 11,1; Polykarp 2,1,3; Justin, dial. 63,2; s. auch Ps. Philo, Jon. 30). Die R ü c k f ü h r u n g des paulinischen Apostolats auf den Willen Gottes richtet sich darum ausschließlich ad personam Pauli, so daß es seine Person als solche ist, die und deren Berufung zum Apostel Objekt des immer schon festliegenden Willens Gottes sind. Mit der Formulierung άπόστολος ... κατ' έπιταγήν θεοΟ (1. Tim 1,1; Tit 1,3) verbinden sich demgegenüber ganz andere Konnotationen 4 8 : Zum einen beschreibt έπιταγή anders als θέλημα stets einen sprachlichen Kommunikations-
45 Vgl. auch Dan 4,35 Theod.: Gott handelt κατά τό θέλημα αύτοΟ und niemand kann „seiner Hand wehren und zu ihm sagen: ,Was hast du getan?'"; 1 QS 11,17 f.: „Ohne deinen Willen geschieht nichts ( = 1 Q H 1 0 , 2 ) . . . und alles, was geschehen ist, geschah durch deinen Willen"; zum Willen Gottes in den Qumrantexten vgl. Segalla, Volonta 379 ff. 46 Diese doppelte Begründung ist für unsere Fragestellung aufschlußreich: Die Gottessohnschaftjesu entspricht zum einen der vorgängigen Planung Gottes und wurde zum anderen hergestellt durch die Übertragung der δύναμις Gottes auf Jesus (s. dazu o. S.31 ff.). 47 Vgl. auch Justin, dial. 85,4; 116,1; 140,4; in bezug auf andere Personen: l . C l e m
inscr.·, 32,4; 1 QS 8,6. 48 Dibelius/Conzelmann ordnen die Ableitung des paulinischen Apostolats aus der έπιταγή Gottes dem sog. Revelationsschema zu (Past 12 zu l . T i m 1,1): „An dieser Stelle steht der Ausdruck im Zusammenhang des soteriologischen Schemas: einst verborgen nun offenbar und verkündigt." Dies stimmt zwar für Rom 16,26 (vgl. Kamiah, Untersuchungen 29. 88 ff.), aber schon nicht mehr für Tit 1,1-3, und in l . T i m 1,1 ist davon vollends nichts zu erkennen.
Differenzen zwischen 1. Tim/Tit und 2. Tim
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Vorgang49, nämlich das έπιτάσσειν 50 . Zum anderen schließt επιταγή dort, wo sich der Begriff auf die Einsetzung in ein Amt oder ähnliches bezieht, immer einen konkreten Auftrag ein, ist also nicht nur personal-, sondern vor allem aufgabenorientiert. Es geht demnach - um es etwas vergröbernd zu sagen - nicht um eine amtliche Installation als solche, d.h. um die Verleihung eines Titels, sondern um die Übertragung einer konkreten Aufgabe (vgl. z.B. Philo, spec, leg. 2,93; 3,163; Josephus, bell. 6,131; ant. 1,172). Entsprechend dient die Berufung einer Person durch die έπιταγή einer übergeordneten Autorität nicht der Legitimation dieser Person und ihrer Stellung als solcher, sondern des ihr übertragenen Auftrags (vgl. Polybius 13,4,3; EpArist 103; Josephus, bell. 2,195; ant. 6,243). Daß die Berufung auf die έπιταγή Gottes darauf abzielt, eine konkrete Handlung zu legitimieren, zeigt vor allem auch die formelhafte Verwendung von κατ' έπιταγήν (τοϋ θεοϋ) in zahlreichen Weiheinschriften (vgl. z.B. SGUÄ 10686,6; Hasluck: JHS 26,28; SIG 1153,4 mit Anm.l; 1171,3; IG 163,3; 209,2; s. auch SIG 1172,6f.). Mit l.Tim 1,1 und Tit 1,3 am ehesten zu vergleichen sind jene Texte, in denen sich der Bezug auf die έπιταγή Gottes oder des Herrschers wie hier am Anfang bzw. im Zusammenhang der Abfassung von Briefen findet. Die έπιταγή der übergeordneten Autorität ergeht an den Briefschreiber, und ihr Gegenstand ist die Abfassung des Briefes mit seinem konkreten Inhalt. Dementsprechend hat die Berufung des Briefschreibers auf die an ihn ergangene έπιταγή die Funktion, den Inhalt seines Briefes als jeweils durch die Autorität Gottes oder des Herrschers sanktioniert zu legitimieren und ihm dadurch höchste Verbindlichkeit zu verleihen. - Textbeispiele: Esth 8,8 (Ahasver/Xerxes zu Esther): „Schreibt nun ihr in meinem Namen, wie es euch gefällt, denn dem, was auf königliche Anordnung (τοϋ βασιλέως έπιτάξαντος) geschrieben ist, darf nicht widersprochen werden." Epjer tit.: „Abschrift eines Briefes, den Jeremia an die Gefangenen ... sandte, um ihnen zu verkündigen, wie ihm von Gott aufgetragen war (έπετάγη)." SIG 821 D,2 (der Prokonsul von Achaja an die Delphier): „Den Brief, den ich gemäß seiner (des Kaisers) heiligster έπιταγή dem Rat der Amphiktyonen schrieb, sandte ich ihrem Epimeleten Megalinus." - In diesem Brief heißt es dann: „Ich habe euch eine Abschrift des Briefes, den der Kaiser mir gesandt hat, übergeben, damit ihr aus ihm die heiligste έπιταγή seht" (ebd. 821 E,2f.). OGIS 674,1 ff.: „έξ έπιταγής .. .51 wurde auf dieser Stele eingemeißelt, was die Tagelöhner des Apostolions ... tun müssen, durch L.Antistius Asiaticus, den
4 ' Vgl. Welles, Correspondence 336: έπιταγή „means an oral command of a sovereign power, in contrast with the many types of written orders"; Spicq, Past 1,315: „des affinites . . . avec le vocabulaire aulique"; Horsley, Documents II, Nr.49. 50 Entsprechend tritt zu θέλειν, das ohnehin ursprünglich intransitiv ist (aber auch transitiv gebraucht werden kann; vgl. Blaß/Debrunner/Rehkopf, Grammatik § 148 3 ), anders als zu έπιτάσσειν nie ein personales Objekt hinzu. 51 Lakune; vgl. dazu Dittenberger z.St.: „Prae/ecti Aegypti nomen hic fuisse, sed postea erasum esse extra controversiam est..." (OGIS II, S.413 A n m . l ) .
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Literarische Gestalt - Überblick
Präfekten Berenikes." (Es folgt ein „Auszug aus dem Tarif ..., der die Erhebung des άποστόλιον regelte".)52 Ps.Clem., hom.5,10,1: „Der Liebende der Geliebten (...) auf Geheiß (έπιταγαΐς) des Liebesgottes. Zum Gruß!" Äquivalent ist der Beginn von Henochs Abschiedsrede (slavHen 39,1 f.): „Ich bin heute zu euch auf des Herrn Befehl gesandt, euch alles zu sagen. ... Ich belehre euch nicht mit meinem Mund, sondern mit dem des Herrn." Die Berufung des pastoralen Paulus auf die επιταγή Gottes in l.Tim 1,1; Tit 1,3 unterscheidet sich darum von dem Rekurs auf den Willen Gottes in 2. Tim 1,1 vor allem hinsichtlich der unterschiedlichen Konnotationen, die mit den Formulierungen jeweils verknüpft sind: In 2.Tim 1,1 geht es um die Person des Paulus, indem seine Berufung zum Apostel als Bestandteil der übergreifenden göttlichen Weltlenkung dargestellt und legitimiert wird. Demgegenüber heben l.Tim 1,1; Tit 1,3 den mit der Berufung des Paulus verbundenen und ad hoc ergehenden Auftrag hervor, in den - das signalisiert die Position im Präskript der beiden Briefe - auch und gerade der jeweilige Inhalt von l.Tim und Tit eingeschlossen ist". Man darf beides sicher nicht dualistisch auseinandertreten lassen, aber die unterschiedliche Nuancierung ist vor allem in bezug auf den nachpaulinischen Charakter der Pastoralbriefe und deren Selbstverständnis als Paulustradition nicht ohne Bedeutung. Eben gerade weil die unterschiedliche Gewichtung nicht singulär auftritt, sondern in die bereits genannten und noch zu nennenden weitergehenden Differenzen zwischen l . T i m / T i t und 2.Tim eingebettet ist, wird man sie nicht nivellieren dürfen, sondern muß sie in die Frage nach dem literarischen Charakter und der Intention der Briefe einbeziehen. Die Zusammenstellung der Differenzen zwischen 1. Tim und Tit auf der einen und 2.Tim auf der anderen Seite kann noch fortgesetzt werden 54 : So fährt 2. Tim wie die meisten der authentischen und anderen pseudepigraphischen Paulusbriefe 55 nach dem Präskript mit einer Danksagung fort (1,3); demgegenüber folgt in l . T i m 1,3 und Tit 1,5 auf das Präskript jeweils eine Erinnerung an den mit dem seinerzeitigen Zurücklassen des Adressaten verbundenen Auftrag 56 . Je mehr sich hier " Zum Begriff άποστόλιον sowie zur Inschrift insgesamt vgl. Wilcken, Ostraka I, 347 ff. 572 Anm. 1 (Zitat S.347). " Unter bestimmten Voraussetzungen, die ich für gegeben halte, kann auch Röm 16,26 als Beleg für diesen Sprachgebrauch angeführt werden (Folgendes nach Wilckens, Röm III, 150): Wenn δια ... γραφών προφητικών zu γνωρισθέντος zu ziehen ist und mit den „prophetischen Schriften" „vor allem der Römerbrief ... sowie wohl überhaupt die Paulusbriefe" gemeint sind (Wilckens, ebd.), kommt der Berufung auf die έπιταγη Gottes an dieser Stelle dieselbe Funktion zu wie in den vorgenannten Texten. 54 Zu Folgendem vgl. insgesamt u. S. 180ff. " Texte und Literatur o. S. 27 Anm. 1. 56 Zur ,Danksagung' von l.Tim 1,12, die nicht mit den Proömien der anderen Briefe zu vergleichen ist, s.o. S.27. 29f.
Differenzen zwischen 1. Tim/Tit und 2. Tim
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eins zum anderen fügt, desto eher wird zu überlegen sein, ob sich nicht auch singulare und scheinbar nicht weiter signifikante Differenzen in das Gesamtbild einordnen lassen. Dies gilt etwa für die Tatsache, daß 1.Tim und Tit in unmittelbarem Anschluß an das Präskript den Aufenthaltsort des Adressaten angeben (l.Tim 1,3: Ephesus; Tit 1,5: Kreta), während in 2.Tim eine entsprechende geographische Konkretion fehlt 57 . Dies gilt um so mehr aber auch für die in der Forschung lange Jahre kontroverse Handauflegung bei der .Ordination' des Timotheus in l.Tim 4,14 (durch das Presbyterium) und 2.Tim 1,6 (durch Paulus)58. In letzter Zeit ist hier ein gewisser Konsens erzielt worden, demzufolge l.Tim 4,14 die Praxis in der Gemeinde der Pastoralbriefe reflektiere, während 2.Tim 1,6 dem „viel persönlicher gehaltene(n)" Charakter von 2.Tim 59 entspreche und „die enge Verbindung des Timotheus zu Paulus herausstellen" 60 wolle. Auch hier ist zu fragen, ob die Begründung dieser Differenz durch den Verweis auf die unterschiedliche Atmosphäre der Briefe nicht zu sehr an der Oberfläche bleibt 61 . Mit dieser sachlichen ist in l.Tim 4,14 und 2.Tim 1,6 eine terminologische Differenz verbunden: In l.Tim 4,14 wird Timotheus aufgefordert, das in ihm durch die Handauflegung des Presbyteriums befindliche Charisma nicht zu „vernachlässigen" (άμελεΐν). 2.Tim 1,6 zufolge soll er das durch die Handauflegung des Paulus erhaltene Charisma „anfachen" (άναζωπυρεΐν) 62 . Weiter: Eine große Rolle spielt bei der Untersuchung der Pastoralbriefe im allgemeinen und ihres Paulusbildes im besonderen die Vor" Daß sich Timotheus nach 2. Tim 1,18 oder 4,19 immer noch in Ephesus aufhalten soll (vgl. Dibelius/Conzelmann, Past 94; Holtz, Past 3; Vielhauer, Geschichte 221), ist vor allem wegen der Grüße an Priska und Aquila in 4,19 möglich. - Wichtig ist aber allein, daß eine derart hervorgehobene geographische Festlegung wie in l.Tim und Tit in 2. Tim fehlt. 58 Vgl. den Uberblick bei v. Lips, Glaube 241 f.; s. auch Schwartz, Kirchenordnungen 193 Anm.l. M Lohse: T h W N T 9,423,16. Lohse vertritt hier die vom genannten Konsens abweichende harmonisierende Sicht, daß beide Texte ihre Einheit darin fänden, daß „auch bei der christlichen Amtsübertragung der Ordinator zusammen mit Assistenten die Hände auflegte" (14 ff.; vgl. zu dieser in älteren Auslegungen häufig anzutreffenden Position v. Lips, Glaube 241 f. 250ff.). 40 v. Lips, Glaube 242; ebd. Anm. 306 weitere Vertreter dieser Position. 61 Wesentlich präziser begründen Dibelius/Conzelmann die Differenz zwischen den beiden Texten: Sie „erklärt sich wohl am einfachsten aus dem Charakter der Briefe: Gemeinderegel in I Tim Tit; Testament in II Tim" (Past 57; vgl. auch Bornkamm: T h W N T 6,666 Anm.92). 62 In der Literatur wird diese Differenz zumeist nicht vertieft; beide Texte werden in irgendeiner Form als „nahe verwandt" (v. Soden, Past 241) angesehen. Holtz charakterisiert μή άμελει als „schwächlich" und άναζωπυρεΐν als „stark" (Past 155); v. Lips sieht bei ersterem den „Aspekt der Verantwortung" hervorgehoben (Glaube 208), während letzteres ein „dynamische(s) Moment" enthalte (ebd. 209).
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Literarische Gestalt - Überblick
bildfunktion, die dem pastoralen Paulus und den Adressaten zuerkannt wird 63 . Nun ist die Textbasis, die für die Vorbildlichkeit des Paulus herangezogen werden kann, wesentlich schmaler als weithin angenommen 64 , so daß streng genommen nur 2.Tim 1,12, wo Paulus auf sein eigenes Leiden verweist und mit ούκ έπαισχύνομαι sich als nachzuahmendes Vorbild im Blick auf die an Timotheus gerichtete Aufforderung μή οδν έπαισχυνθπς (1,8) hinstellt, sowie 1,3; 4,6-8 bleiben 65 . Auf der anderen Seite erscheint die von Timotheus und Titus verlangte Vorbildlichkeit - wenn man denn das mit Genitiv konstruierte τύπος in 1.Tim 4,12; Tit 2,7 in diesem Sinne interpretieren darf 66 - ganz abgelöst von derjenigen des Apostels (und wiederum auch nur in l . T i m / Tit), so daß man von daher nur dann wie Lohfink von einer „gewisse(n) .Sukzession' der Vorbildlichkeit" sprechen kann 67 , wenn man die Aussagen von l.Tim und Tit auf der einen und 2.Tim auf der anderen Seite miteinander harmonisiert. Jedoch spielt dort, wo von der Vorbildlichkeit der Adressaten die Rede ist, diejenige des Apostels keine Rolle und umgekehrt. Und außerdem ist es doch wohl ein Unterschied, ob eine individuelle Person als Vorbild dargestellt wird (wie Paulus in 2.Tim), oder ob sie allererst aufgerufen wird, sich in ihrer Lebensführung als Vorbild zu verhalten (wie Timotheus und Titus in l.Tim 4,12; Tit 2,7). Von einer paränetischen Weisung an die Gemeinde, sich an dem Vorbild der Apostelschüler zu orientieren, findet sich in l.Tim und Tit kein Wort. - Hinzu kommt, daß sich autobiographische Passagen im eigentlichen Sinne, d. h. abgesehen von den Aussagen über die Autorisierung des Apostels (l.Tim 1,12ff.; 2,7; 2.Tim 1,11; Tit 1,3), nur in 2. Tim finden, auf welchen Brief auch die Leidensthematik beschränkt ist68. e) So vorläufig und unscharf die vorstehenden Differenzierungen zwischen l.Tim und Tit auf der einen und 2.Tim auf der anderen Seite notgedrungen sein müssen, so sind sie doch zumindest von heuristischem Wert. Es hat sich gezeigt, daß die von der exegetischen Literatur herausgestellten Differenzen zwischen l.Tim/Tit und 2.Tim nicht nur " Vgl. de Boer, Imitation 196ff.; Schulz, Nachfolgen 324ff.; Collins, Image 169ff.; Lohfink, Theologie 79 ff.; und vor allem zuletzt Fiore, Function 22 ff. 198 ff. 64 Daß l . T i m 1,16 und 2.Tim 3,10f. nicht auf das Vorbild des Apostels verweisen und damit Paränese begründen wollen, wurde oben gezeigt (s. S.56f. 136f.); zu 2.Tim 1,13, wo es ebensowenig um eine der Paränese dienstbar gemachte Vorbildlichkeit des Apostels geht, s.o. S. 120f. Anm.25 und u. S.216f. " S. dazu u. S. 230 ff. " S. dazu o. S.56f. " Lohfink, Theologie 81; vgl. auch Johnson, II Timothy 25. " Jervells Feststellung, „in den Pastoralbriefen dominiert das Leidensmoment" (Paulus 34), ist demnach zu undifferenziert.
Differenzen zwischen 1.Tim/Tit und 2.Tim
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im allgemeinen äußeren Eindruck der Briefe bestehen, sondern auch eine inhaltliche und vor allem sprachliche Grundlage haben, auf deren Basis sich sinnvoll weiterarbeiten läßt. Wenn zu Beginn dieses Abschnittes von dem allgemeinen literarischen Sachverhalt ausgegangen wurde, daß'das als Einheit konzipierte Corpus Pastorale aus drei Briefen an zwei Personen besteht, so ist diese Feststellung nunmehr zu modifizieren: Die oben zusammengestellten inhaltlichen und sprachlichen Differenzen haben sichtbar gemacht, daß die literarische Gestalt der Paulustradition, was die Pastoralbriefe ihrem Selbstverständnis nach sein wollen, in l.Tim und Tit einen von 2.Tim unterschiedlichen Ausdruck gefunden hat. Diesem Sachverhalt soll in den folgenden Untersuchungen in der Weise Rechnung getragen werden, daß l.Tim und Tit auf der einen und 2. Tim auf der anderen Seite jeweils für sich betrachtet werden. Es soll dabei versucht werden, mit Hilfe von literarischen Analogien 69 zu einer möglichst präzisen Bestimmung der literarischen Gestalt der Briefe zu gelangen, was die Darstellung des in ihnen vorausgesetzten und zum Ausdruck gebrachten Paulusbildes sowie der Kommunikationsstruktur zwischen dem Apostel, den Adressaten und der Gemeinde einschließt. Hierbei ist vor allem und grundsätzlich dem Sachverhalt Rechnung zu tragen, daß es sich bei unseren Briefen um Briefe an Einzelpersonen handelt. - Diese Aufgabe wird durch die genannte Differenzierung erheblich erleichtert, weil sie auf diese Weise von der Notwendigkeit der nivellierenden Harmonisierung 70 oder reinen Addition unterschiedlicher literarischer Kategorien 71 befreit. Aufgenommen werden dabei Ansätze, die vor mehr als 50 Jahren O. Roller herausgearbeitet hat, ohne daß sie in der seitherigen exegeti" Die Möglichkeit, die Gattung der Pastoralbriefe mit Hilfe literarischer Analogien zu bestimmen, wird von Hanson, Past 1982, 27 bestritten: Die Pastoralbriefe seien „sui generis", weil sie - anders als etwa der Epheserbrief - nicht durch „one central or developing theme" zusammengehalten würden. - Abgesehen davon, daß das letztgenannte Urteil im Blick auf die Pastoralbriefe unzutreffend ist, kann das Vorhandensein oder Fehlen eines Leitthemas doch nicht maßgeblich für die Diskussion der Gattungsfrage sein. 70 Vgl. ζ. B. Trümmer, Paulustradition 77, der einige Bemerkungen von Brox zum Timotheusbild des 2. Tim (Notizen 287 f.) aufnimmt und undifferenziert auf die Gesamtheit der Pastoralbriefe überträgt. So kommt er dann zu dem alle Konturen einebnenden Urteil, Timotheus sei „der Adressat verschiedenster ,pln' Paränesen, die im Grunde genommen dem nachpln Amtsträger gelten". Für die Paränesen des l.Tim (und des Tit) ist jedoch gerade spezifisch, daß Timotheus und Titus die brieflichen Adressaten auch derjenigen Paränesen sind, die über sie hinausweisen und sich inhaltlich an die Gemeinde wenden (s.o. S. 143ff.). 71 Vgl. etwa Spicq, Past 1,33ff. (s. dazu u. S. 161 f.); Fiore, Function 77f. 232ff. Fiore sieht zwar in den Pastoralbriefen „two particular paraenetic traditions: (1) hortatory instructions addressed to young officials ...; (2) epistolary exhortations to a way of life consistent with the traditions of a philosophical school" (232) aufgenommen, diese Differenz aber allen drei Briefen gleichermaßen zugrunde liegen (vgl. z.B. 81. 84. 232), was aber sicher zu undifferenziert ist.
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1. Timotheus- und Titusbrief
sehen Literatur die gebührende Aufmerksamkeit gefunden hätten. Roller hält zwar die Pastoralbriefe insgesamt und in der Reihenfolge Tit 1.Tim-2.Tim für „nach Angaben des Apostels" von Amanuenses abgefaßte Briefe72, ordnet sie aber auf der Linie der oben herausgearbeiteten Differenzen unterschiedlichen Briefgattungen zu: D i e Pastoralbriefe „enthalten im Gegensatz zu den übrigen (sc. Paulusbriefen) in ihren beiden ersten Stücken reine Mandate. Anders können die Briefe an Titus und der erste an Timotheus nicht bezeichnet werden und sind auch fraglos von den Empfängern nicht anders beurteilt worden. . . . Der Stil derselben ist in allen Formeln . . . rein mandatsmäßig". „Auch der Inhalt ist mandatsmäßig gehalten. . . . Die beiden Briefe sind eben nicht in erster Linie für die Empfänger bestimmt, sondern in noch höherem Maße auf die Gemeinden berechnet, an denen die beiden Empfänger als Vertreter des Apostels in höchst o f fiziellem Auftrage wirken sollten." - „Der letzte Brief des Apostels, der zweite an Timotheus, ist dagegen wieder mehr in den Formeln eines Privatbriefes geschrieben." 73
II. 1. Timotheus- und Titusbrief Der charakteristische Unterschied von l.Tim/Tit besteht gegenüber 2.Tim - um dies noch einmal zu resümieren - darin, daß diese Briefe anders als jener über weite Strecken von über den jeweiligen Adressaten hinausweisenden apostolischen Weisungen für Gruppen in der Gemeinde geprägt sind und kasuistische Handlungsinstruktionen für die Adressaten enthalten 1 . - Auszugehen ist im folgenden nun von der spezifischen Kommunikationsstruktur von l.Tim und Tit als an Einzelpersonen gerichteten Briefen, deren kommunikatives Gefalle durch die Dreierkonstellation Autor - Adressat - Gemeinde bestimmt ist. Es soll dabei - ausgehend von den im vorstehenden Abschnitt zusammengestellten sprachlichen Kriterien - nach vergleichbaren Konstellationen in der außerneutestamentlichen Briefliteratur gefragt werden, an denen sich der Verfasser der Pastoralbriefe durch die Übernahme charakteri-
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Roller, Formular 16ff. (Zitat S.21). " Roller, Formular 147f. 148. 149. - Unter „Mandaten" versteht Roller „Stücke des amtlichen Verkehres, die stets an nachgeordnete Stellen gerichtet sind" (ebd. 82). - Auch Karris will die unterschiedliche literarische Gestalt von l.Tim/Tit und 2.Tim antiken paränetischen Gattungen zuordnen: 2. Tim sei ein Ps. Isocrates, Demon, vergleichbarer „personal paraenetic letter" (Past 9), während l.Tim und Tit als „exhortatory letters to churches" anzusehen seien (ebd. 50), für die er als Beispiel des Ignatius Brief an Polykarp (s. dazu u. S. 157 ff.) nennt. 1
S.o. S. 143ff.
Ign Polyk
157
stischer Merkmale orientiert haben könnte und die möglicherweise zu einem Verständnis des literarischen Charakters der beiden Briefe beitragen können.
1. Der ignatianische,Pastoralbrief
an Polykarp als
Gattungsparallele
Der .Pastoralbrief' des Ignatius v. Antiochien an Polykarp weist auffallende Berührungspunkte mit wesentlichen Zügen der brieflichen Kommunikationsstruktur von 1. Tim und Tit auf 2 : Die Vergleichbarkeit dieses Briefes an den Bischof von Smyrna mit l.Tim und Tit beruht nun nicht einfach auf dem äußerlichen Sachverhalt, daß es sich hier wie dort um Briefe an Einzelpersonen handelt (dies träfe ja auch für 2.Tim zu); IgnPolyk gewinnt sein besonderes Profil vielmehr dadurch, daß der umfangreiche paränetische Teil (Kap. 1-6) wie l.Tim und Tit und anders als 2. Tim dadurch gekennzeichnet ist, daß die Mahnungen nicht allein an den Adressaten gerichtet werden, sondern, über diesen hinausweisend, auch an die von ihm geleitete Gemeinde. Diese doppelte Ausrichtung der Paränese wird programmatisch formuliert in der Eröffnungswendung (IgnPolyk 1,2): παρακαλώ σε έν χάριτι, fj ένδέδυσαι, προσθεΐναι τφ δρόμφ σου και πάντας παρακαλεΐν, ίνα σώζωνται („Ich ermahne dich bei der Gnade, mit der du bekleidet bist, deinen Lauf zu beschleunigen und alle zu ermahnen, damit sie gerettet werden"). H . J. Sieben hat unlängst in Aufnahme der Arbeiten von Sanders und Bjerkelund 3 und in Übertragung von deren für die παρακαλω-Sätze des Corpus Paulinum gewonnenen Ergebnissen 4 auf die Ignatianen gezeigt, 2 Ein Zeugnis für die bereits in der Alten Kirche empfundene Verwandtschaft der Pastoralbriefe mit IgnPolyk ist der aus dem späten 4. Jh. stammende pseudoignatianische Brief an Hero (Lightfoot, Fathers 11/3,243 ff.): Dieser Brief ist „vollkommen nach dem Muster desjenigen an Polykarp gearbeitet" (Amelungk, Untersuchung 539; vgl. auch die vergleichende Gegenüberstellung ebd. 539 ff.) und übernimmt eine Fülle von Wendungen und ganzen Sätzen aus den Pastoralbriefen. Von den 14 neutestamentlichen Zitaten stammen 8 aus den Pastoralbriefen (6 aus l.Tim/Tit; 2 aus 2.Tim; hinzu kommen noch zahlreiche Anspielungen, vgl. Brox, Pseudo-Paulus 185 ff.) und 6 aus den übrigen Schriften. - In neuerer Zeit vergleicht mit den kanonischen Pastoralbriefen den Brief an Polykarp bereits Lightfoot (a.a.O. 11/2,329); vgl. auch v. Dobschütz, Gemeinden 168: Der „Brief an Polykarp ist ein Bischofsspiegel, ein Pastoralbrief im edelsten Sinne des Wortes"; Bardenhewer, Geschichte 1,133; Karris, Past 50. 3 Sanders, Transition; Bjerkelund, Parakalo; zu den Einzelheiten vgl. die folgende Anm. 4 Sanders zeigt in Weiterführung der Arbeit von Schubert (Form), daß der von ihm als „request formula" bezeichnete παρακαλώ-Satz im Corpus Paulinum als „opening formula" (Transition 353) zu verstehen ist und die Funktion einer überschriftartigen Zusam-
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1. Timotheus- und Titusbrief
daß dem ignatianischen Gebrauch von παρακαλώ und παραινώ 5 nicht nur in Polyk 1,2, sondern auch in Eph 3,2; Magn 6,1; 14,1; Trail 6,1; 12,2; Rom 4,1; Smyrn 4,1; Polyk 7,3 eine „epistolographische Funktion" 6 zukommt: Beide Begriffe finden sich in neun von den elf Fällen, in denen Ignatius damit seine eigene Tätigkeit beschreibt, an entscheidenden Stellen, nämlich entweder „am Beginn des Briefcorpus bzw. des Hauptteils des Briefes" (6mal) und „am Schluss des Briefcorpus" (3mal)7, wobei es in Magn 6,1; 14,1; Trail 6,1; 12,2 und Polyk 1,2; 7,3 als „Inklusion" fungiert 8 . - In dieser Stellung zu Beginn des Briefcorpus ist Polyk 1,2a der Funktion nach parallel zu l.Tim 1,18 (ταύτην την παραγγελίαν παρατίθεμαί σοι) 9 : Beide Verse fungieren als zusammenfassende Überschrift für die jeweils folgenden paränetischen Anweisungen. Daß Sieben darüber hinaus mit seinem Urteil, der παρακαλω-Satz in Polyk 1,2 enthalte „nicht nur das Thema des Briefes, sondern auch seine Disposition" 10 , dem Anliegen des Polykarpbriefes recht nahe kommt, läßt sich sofort zeigen (freilich etwas anders, als Sieben dies annimmt): Der erste von παρακαλώ abhängige Infinitiv (προσθεΐναι τφ δρόμφ σου) wird in den direkt an Polykarp gerichteten Anweisungen (l,2b-3,2) entfaltet. Demgegenüber wird der zweite Infinitiv (πάντας παρακαλεΐν) in 5,1 aufgenommen: Wie Timotheus in l.Tim 6,17 und Titus in Tit 2,6; 3,1 wird Polykarp hier Imperativisch aufgefordert (προσλάλει; παράγγελλε), konkrete Verhaltensnormen an die Frauen und Männer weiterzugeben. - Weiterhin stimmen der Polykarpbrief und l.Tim/Tit im Gebrauch der mittelbaren Paränese (Imperativ 3.Pers.) überein: Wie in l.Tim 2,11; 3,10.12; 5,4.16; 6,1; Tit 3,14 Personen oder Gruppen in der Gemeinde der Pastoralbriefe in dieser Weise angewiesen werden, bezieht Ignatius diese grammatische Form auf das von den in der Gemeinde lebenden Sklaven (Polyk 4,3) und Asketen (5,2) geforderte Verhalten. Die passivische Form der 3. Person menfassung hat (vgl. ebd. 354). Noch deutlicher formuliert dies Bjerkelund in der Zusammenfassung seiner auch die außerneutestamentlichen Texte aus hellenistischer Zeit auf breitester Basis einbeziehenden Arbeit (Parakalo 189). Die Analogie im Gebrauch der παρακαλώ-Sätze zwischen Paulus und Ignatius beurteilt Bjerkelund zurückhaltend (ebd. 106; s. dazu Sieben, Ignatianen 11). 5 Sieben bezieht mit einleuchtenden Gründen παραινώ in IgnMagn 6,1 und Smyrn 4,1 in seine Untersuchung ein (Ignatianen 12). 6 Sieben, Ignatianen 15 u.ö. 7 Sieben, ebd. 8 Sieben, ebd. 13. ' Zur Vergleichbarkeit von l . T i m 1,18 mit den übrigen παρακαλώ-Sätzen des Corpus Paulinum, auf die Sanders, Transition 355 ausdrücklich hinweist, s.o. S. 118 Anm. 19. 10 Sieben, Ignatianen 18. - Die Disposition ist m.E. jedoch anders zu bestimmen, als Sieben annimmt (1,2-5,2 und 6,1-7,3); s. dazu im folgenden.
Ign Polyk
159
des Imperativs wird hier (vgl. P o l y k 4 , 1 a: „ W i t w e n sollen nicht vernachlässigt w e r d e n [μή ά μ ε λ ε ί σ θ ω σ α ν ] " . l b : „ N i c h t s g e s c h e h e [γιν έ σ θ ω ] o h n e dein Einverständnis". 2: „ M ö g l i c h s t h ä u f i g sollen V e r s a m m l u n g e n ' s t a t t f i n d e n [ γ ι ν έ σ θ ω σ α ν ] " ) w i e d o r t (vgl. l . T i m 3 , 1 0 ; 5 , 9 . 1 6 . 1 7 ) d a z u benutzt, unpersönliche o d e r der G e m e i n d e i n s g e s a m t g e l t e n d e A n o r d n u n g e n z u formulieren. - Sachlich parallel sind die an d e n Adressaten gerichteten grundsätzlichen A u f f o r d e r u n g e n , die i h m jeweils e i g n e n d e amtliche Stellung auch k o n k r e t a u s z u f ü l l e n ( l . T i m 4 , 1 4 ; I g n P o l y k 1 , 2 b ) , w o b e i der t e r m i n o l o g i s c h e G l e i c h k l a n g ( l . T i m 4 , 1 4 : ά μ ε λ ε ΐ ν ; I g n P o l y k 1 , 2 b : έπιμελεια) durchaus nicht auf reinem Zufall beruht, s o n d e r n seine E n t s p r e c h u n g in zahlreichen anderen vergleichbaren außerneutestamentlichen T e x t e n findet 1 1 . Anders als in den Pastoralbriefen fehlt im Polykarpbrief mit Ausnahme des einleitenden παρακαλω-Satzes in 1,2 a die in jenen Briefen häufig begegnende Verwendung der l.Pers.Sing. zur Einleitung der konkreten inhaltlichen Weisung 12 . D a sich l . T i m / T i t und 2.Tim hierin mit der Ausnahme, daß der Bezug auf die Gemeinde in 2.Tim fehlt, nicht unterscheiden und unter der Voraussetzung, daß die l.Pers.Sing. in präzeptiven Texten pointiert die Autorität des Autors unterstreichen will 13 , spricht einiges dafür, diesen Sachverhalt auf die Differenz zwischen dem Paulusbild der Pastoralbriefe insgesamt u n d dem Selbstverständnis des Ignatius zurückzuführen: D a ß Paulus f ü r die Pastoralbriefe als Apostel κατ' εξοχήν alleinige und nicht überbietbare Autorität zukommt, ist exegetisches Allgemeingut 14 und bedarf keines weiteren Nachweises. In der hier zur Diskussion stehenden besonderen Fragehinsicht zeigt sich dies vor allem in den spezifisch autoritären Formulierungen wie βούλομαι ( l . T i m 2,8; 5,14; Tit 3,8); ούκ επιτρέπω ( l . T i m 2,12) und παραγγέλλω (6,13) (vgl. auch noch διατάσσω, Tit 1,5). Demgegenüber nimmt Ignatius seine eigene Autorität durchweg zurück, und zwar nicht nur im Brief an seinen Bischofskollegen Polykarp (der pastorale Paulus schreibt an seine Schüler), von dem er selbst sagt, daß er allein der Aufsicht Gottes und Christi unterliegt (έπισκοπημένος; Polyk inscr.)·. Ignatius verwendet f ü r die „Markierung der Koinzidenz" 1 5 seiner brieflichen Mahnungen nahezu ausschließlich das moderate 1 4 παρακαλώ 1 7 und 11
Vgl. dazu u. S. 185ff. " S.o. S.144 mit Anm.20. Vgl. Berger, Geschichte 61; außerneutestamentliche Beispiele u. S. 174.177. 14 Vgl. o. S. 13. 15 Vgl. zu diesem Begriff o. S.144 f. Anm.20. 16 Bjerkelund ordnet den Gebrauch von παρακαλώ in außerchristlichen Texten „einem gepflegten diplomatischen Stil" zu, wie er sich vor allem in den hellenistischen Königsbriefen finde (Parakalo 110): Es handele sich hierbei „um einen würdigen und Urbanen Ausdruck der Aufforderung, dem alles Befehlende oder Untertänige fernliegt" (ebd.). Dies ist jedoch - obwohl Bjerkelund damit Richtiges zum Ausdruck bringt - eher ein Geschmacksurteil (die zitierte Charakterisierung geht auf Steen zurück, der diesen Begriff zu den „expressions d'urbanite" zählt, Cliches 131 ff., bes. 133 ff.) als ein philologisches Ergebnis. Die Verwendung von παρακαλώ bei Ignatius ordnet Bjerkelund diesem Sprachgebrauch zu (a.a.O. 108; desgleichen Sieben, Ignatianen 15 f.). 13
17
S.o. S. 157f.; außerdem: IgnRöm 7,2; Phld 8,2; in Magn 6,1; Smyrn 4,1 benutzt er
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1. Timotheus- und Titusbrief
grenzt dies unter Verweis auf seine Selbsteinschätzung explizit von der autoritären Form der paränetischen Weisung, wie sie allein den Aposteln zukomme (vgl. gegenüber den folgenden Texten vor allem Tit 1,5: ώς έγώ σοι διεταξάμην), ab18: Rom 4,1.3: παρακαλώ ύμάς . . . „Nicht wie Petrus und Paulus befehle ich (διατάσσομαι) euch." Trail 3,3: „[Nicht] 19 habe ich mich so hoch eingeschätzt, daß . . . ich euch wie ein Apostel befehle (διατάσσομαι)." Eph 3,1 f.: „Nicht befehle ich (διατάσσομαι) euch als wäre ich jemand 20 . . . Doch da die Liebe mich in bezug auf euch nicht schweigen läßt, habe ich es mir vorgenommen, euch zu ermahnen (παρακαλεϊν)." Daß Ignatius sich trotzdem das Recht zur paränetischen Weisung herausnimmt, liegt in seinem Selbstbewußtsein als Märtyrer begründet. Seine Fesseln zeichnen ihn in besonderer Weise aus (vgl. Eph 11,2), und der Verweis auf sie verleiht seiner Mahnung Autorität (vgl. Trail 12,2) 21 .
Der Vergleich des ignatianischen .Pastoralbriefes' an Polykarp mit den pseudopaulinischen Pastoralbriefen dürfte sichtbar gemacht haben, daß die paränetischen Mahnungen des ersteren im wesentlichen dieselbe kommunikative Struktur aufweisen, wie sie für die apostolischen Weisungen gerade von l.Tim und Tit spezifisch ist und für die oben vorgenommene Differenzierung zwischen diesen beiden Briefen und 2. Tim maßgeblich war. Dieser Sachverhalt dürfte zudem ein weiteres Indiz dafür sein, daß es sich bei dieser Differenz nicht nur um eine atmosphärische handelt, sondern ihren Grund in dem unterschiedlichen literarischen Charakter von l.Tim/Tit und 2.Tim hat. Die kommunikative Struktur der Paränesen von IgnPolyk und 1. Tim/Tit ist entscheidend dadurch bestimmt, daß es sich hier wie dort um Weisungen an - um es erst einmal so allgemein zu umschreiben ihrerseits wiederum weisungsbefugte Einzelpersonen handelt: an Polykarp als den Bischof der Gemeinde von Smyrna und an Timotheus sowie Titus als den in den Gemeinden von Ephesus bzw. Kreta zurückgelassenen Beauftragten des pastoralen Paulus. Es wäre aber zu kurz geschlossen, wollte man aufgrund der analogen Kommunikationsstruktur der drei Briefe die in l.Tim und Tit vorausgesetzte .amtliche' Stellung der Adressaten von IgnPolyk her als diejenige von Bischöfen erklären. Für ein derart weitreichendes Urteil reicht der Brief an Polykarp als einziges literarisches Zeugnis einer an einen Bischof gerichtedas etwas stärkere παραινώ. - έντέλλομαι in Röm 4,1 bezieht sich nicht auf paränetische Inhalte. " Vgl. auch Sieben, Ignatianen 9. " Vgl. dazu Bauer/Paulsen, Die Apostolischen Väter 11,59. 20 Vgl. Bauer/Paulsen, ebd. 28 mit Verweis auf die beiden vorgenannten Texte. 21 Vgl. dazu Baumeister, Anfänge 272.
Hellenistisch-römische Gattungsparallelen
161
ten brieflichen Paränese im frühen Christentum nicht aus; außerdem würde dadurch der Blick auf weitere und vor allem außerchristliche Parallelen unzulässig verstellt. Die herausgearbeiteten Berührungspunkte sind vielmehr zunächst auf einer allgemeineren Ebene zu formulieren: Allen drei Adressaten kommt in je ihrem Verantwortungsbereich Leitungsautorität zu - Polykarp aufgrund seiner Stellung als Bischof, Timotheus und Titus aufgrund ihrer Beauftragung durch den pastoralen Paulus - , und alle drei werden auf der Basis dieser ihrer lokalen Leitungsfunktion angeschrieben. Und es ist diese Konstellation, unter deren Voraussetzung die für die drei Briefe spezifischen Formen der paränetischen Weisung erklärt sein wollen und in der sie ihren gemeinsamen Verstehenshorizont finden: Die briefliche Paränese richtet sich nicht allein an den Adressaten und dessen Lebens- und Amtsführung, sondern bezieht auch die von diesem geleitete Gemeinde mit ihren einzelnen Gruppen ein, und zwar vor allem in Gestalt der Aufforderung an den weisungsbefugten Adressaten, konkrete paränetische Inhalte weiterzugeben (l.Tim 6,17; Tit 2,6; 3,1; IgnPolyk 5,1), dann aber auch in Gestalt des für mittelbare Paränese charakteristischen Imperativs der 3.Person (l.Tim 2,11; 3,10.12; 5,4.9.16f.; 6,1; Tit 3,14; IgnPolyk 4,1-3). Daß die letztgenannte Form gerade in Briefen an Inhaber von Leitungsfunktionen ihren sinnvollen Ort hat, läßt sich von daher verstehen, daß diese aufgrund ihrer übergeordneten Stellung gegenüber den mittelbar angeredeten Einzelpersonen und Gruppen auch die Kompetenz haben, das geforderte Verhalten und die verlangten Regelungen autoritativ zu vermitteln und durchzusetzen.
2. Verwandte außerchristliche Texte aus hellenistisch-römischer Zeit Die oben für 1. Tim und Tit erarbeitete und dann auch für des Ignatius Brief an Polykarp nachgewiesene Konstellation, wonach es sich hier um Briefe an Einzelpersonen handelt, denen in einem bestimmten Bereich Autorität und Weisungsbefugnis zukommt, kann nun auch in Texten aus der Umwelt des frühen Christentums aufgezeigt werden. Es handelt sich näherhin um briefliche oder briefähnliche Instruktionen und Dienstanweisungen von Herrschern oder hohen Beamten, die untergeordneten, ihrerseits aber wiederum weisungsbefugten Amtsträgern für die Ausübung ihrer Tätigkeit in dem ihnen zugewiesenen Verantwortungsbereich übermittelt wurden. Auf diese Gruppe von Texten hat erstmals Spicq hingewiesen 1 , der den Kreis der in Frage kommenden Mitteilungsformen zunächst allgemeiner bestimmt: 1
Spicq, Past 1,33 ff.
162
1. Timotheus- und Titusbrief
„Le ,genre litteraire' de nos trois ecrits est assimilable ä ces ordonnances, decrets, edits, et prescriptions verbales que l'administration des gouvernements hellenistiques redigeait sous forme de correspondance." 2 Spicqs Urteil gilt mit der Einschränkung, daß die zitierte Feststellung nicht für alle drei Pastoralbriefe zutrifft, sondern aus den oben genannten Gründen nur für l.Tim und Tit. - In diesem Zusammenhang sind es darum in erster Linie die an einen individuellen Mandatsträger adressierten Anweisungen, die für die Interpretation dieser beiden Briefe heranzuziehen sind. Spicq bestimmt die Funktion dieses Adressaten als lediglich die eines Vermittlers, der die Bekanntmachung und Durchführung der Anweisungen in seinem Verantwortungsbereich zu gewährleisten hatte 3 . Als Hauptbeispiel für diese Form behördlicher Kommunikation verweist er auf das in das späte 3.Jh. v.Chr. zu datierende Memorandum (ύπόμνημα) eines Dioiketen 4 aus dem ptolemäischen Ägypten an einen οικονόμος (P.Tebt 703), das detaillierte Einzelvorschriften für die Verwaltung des Gaues (νομός) enthält 5 und mit allgemeineren Vorgaben an den Adressaten für seine Lebensführung und die Versehung seines Dienstes endet. Auf die Bedeutung der gleichen Gruppe von Texten für die Interpretation der Pastoralbriefe macht auch Fiore aufmerksam': Jeder der drei Briefe habe mit ihnen „those elements by which a superior official designates to his subordinate officers some of the instructions pertinent to the execution of their new tasks" gemeinsam 7 . Fiore verweist allgemein auf die von C.B.Welles herausgegebenen Königsbriefe aus hellenistischer Zeit 8 und diskutiert als Einzeltexte vor allem ebenfalls P.Tebt 703 sowie die έντολή des römischen Präfekten von Ägypten (88/89-90/91 n.Chr.) Mettius Rufus an die Strategen' über die für die liturgischen Beamten geltenden Anforderungen (P.Vind 25824 b II und III) 10 . 2
Spicq, ebd. 34. Spicq, ebd. 35. 4 Vermutlich handelt es sich hier um den in Alexandrien ansässigen Chef der gesamten ptolemäischen Finanzverwaltung (M.Rostovtzeff: P.Tebt 111/1,66. 67); zum Amt des Dioiketen allgemein vgl. Wilcken, Ostraka 1,492: die „rechte Hand" des Königs; Brandis: PRE 5/1; Handrock, "Weisungen 10 f. 5 Uber die Funktion des Oikonomos im ptolemäischen Ägypten orientiert außer Wilcken, Grundzüge 1/1,150 f., Ziebarth: „Sein Gebiet war hier die Geld- und Naturalverwaltung im großen Amtsbezirk eines ganzen Gaues. . . . Zu seinen Pflichten gehörte, Steuern zu verpachten und die Pächter zu kontrollieren, Überwachung der Korntransporte nach Alexandreia, der Industrie. Er war der ständige Hauptvertreter der Finanzverwaltung des Gaues" (PRE 17/2,2118). 6 Fiore, Function 79 ff. 7 Fiore, ebd. 81. 8 Welles, Correspondence (s.u. S. 170ff). ' Unter römischer Herrschaft war in Ägypten der Präfekt in die Funktion des ptolemäischen Reichsdioiketen eingetreten. - Zur Funktion des Strategen in Ägypten vgl. vor allem die ausführliche Darstellung bei Bengtson, Strategie III. Im 2. Jh. hatte der Gaustratege die Aufgaben des Ökonomen im wesentlichen übernommen und war „reiner Zivilgouverneur geworden" (Volkmann: KP 5,390; s. auch Bengtson, a.a.O. 43 f.); zur Stellung und den Aufgaben des Strategen im römischen Ägypten s. Bilabel: PRE 2/4/1,217 ff. 233 ff. 10 Editio princeps bei Metzger, Stellung 57 f. 3
Hellenistisch-römische Gattungsparallelen
163
Aufgrund seiner übergreifenden Fragestellung relativiert Fiore dann jedoch den Stellenwert dieser Texte für die Interpretation der Pastoralbriefe: In jenen spiele nicht nur anders als in diesen „the exhortation to an upright life"11 keine bzw. nur eine marginale Rolle, sondern vor allem fehlten dort die für die Pastoralbriefe charakteristischen Elemente paränetischer Rhetorik 12 . Diese Einschätzung ist sicherlich nicht falsch; es fragt sich nur, ob Fiores Blickwinkel insgesamt nicht zu eng ist und ob die beiden einzigen von ihm diskutierten Texte eine zureichend breite Basis darstellen. Außerdem gründet sie zu einem nicht geringen Teil auf der bei Fiore fehlenden Differenzierung zwischen l.Tim/Tit und 2.Tim und wäre bei deren Berücksichtigung entsprechend zu modifizieren. a) P. Tebt 703 Dieser Text wird von Spicq und Fiore in erster Linie aufgrund der abschließenden allgemeinen Anweisungen des Dioiketen an den Oikonomos für des letzteren Amts- und Lebensführung zur Erörterung des literarischen Charakters der Pastoralbriefe herangezogen (P.Tebt 703,261-263.270-275) 1 3 : „Denn ich halte es für das Wichtigste, daß du mit persönlichem Einsatz und ehrlich und in der bestmöglichen Weise [agierst?] ... eines wohlbeleumdeten, sich an uns orientierenden Wandels und Kampfes; daß du dich darüber hinaus in dem Bezirk ordentlich und standhaft verhältst, keinen schlechten Umgang pflegst, jeder aufs Üble ausgerichteten Verbindung fliehst, ..." Es ist jedoch weniger dieser allgemein-paränetische Abschluß von P. Tebt 703, der diesen Text mit l . T i m und Tit vergleichbar macht, als vielmehr die Intention und Gestaltung des gesamten Memorandums, insofern sich gerade hier jene sprachlichen und inhaltlichen Elemente finden, die die Kommunikationsstruktur dieser beiden Briefe charakteristisch von derjenigen des 2.Tim unterscheiden: Das Memorandum enthält nicht nur konkrete Instruktionen für den Oikonomos über die ihm obliegenden Aufgaben der Verwaltung des νομός (Imperativ, 2.Pers. Sing.) 14 , sondern die Anweisungen weisen über ihn hinaus und formulieren präzise Vorschriften für die ihm unterstehende Wirtschaftsorganisation und die darin tätigen Personen 15 . Die sprachliche 11
Fiore, Function 84. Fiore, ebd. 13 Das Zwischenstück (Z. 264-269) ist lückenhaft und nicht rekonstruierbar. 14 P.Tebt 703,41. 77f. 87f. 90, 99. 99f. 103f. 117. 129. 208. 15 Wilcken hat anhand von BGU 1768 erstmals gezeigt, daß derartige Memoranda oder έντολαί zur öffentlichen Bekanntmachung bestimmt waren (Urkunden-Referat 148 f.), so daß sich die über den Adressaten hinausweisende Intention von daher erklären ließe (vgl. auch U P Z 110,65 f.: Erinnerung an das Gebot, das Prostagma in den Metropolen und den anderen Orten auszuhängen; CPJ 137,17 ff.). Zu der Frage der Publikation s. auch Schwind, Frage 98 ff. 212 (Lit.); Fiore, Function 83. 12
164
1. Timotheus- und Titusbrief
Gestalt dieser Instruktionen ist die 3. Person des Imperativs 16 , in welche grammatische Form auch die an die Gemeinde gerichteten Anweisungen von l . T i m und Tit gekleidet sind. Entsprechend seiner Stellung als weisungsbefugter Verwalter des νομός wird der Oikonomos auch in P. Tebt 703,129 ff. angewiesen, die Toparchen und Steuerpächter 17 zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen. N u n wird man die Bedeutung dieses Memorandums für die Erklärung des literarischen Charakters von 1. Tim und Tit sicher nicht überschätzen dürfen, was der große zeitliche wie geographische Abstand von P.Tebt 703 zu den Pastoralbriefen nahelegt. - Trotzdem ist dieser Text für unsere Fragestellung nicht ohne Bedeutung. Es läßt sich nämlich zeigen, daß diese Anweisung an einen neuen Amtsträger, bei der es sich offenbar um einen standardisierten Text handelt, der aus der Kanzlei des Dioiketen stammt und je nach Bedarf nur aktualisiert wurde 18 , durchaus kein spezifisch ägyptisches Phänomen war, sondern sich gerade mit der für P.Tebt 703 und l . T i m / T i t charakteristischen Kommunikationsstruktur auch außerhalb Ägyptens nachweisen läßt. b) Mandata
principis
Dem Memorandum von P.Tebt 703 eng verwandt sind die sog. Mandata principis 19 , d.h. Instruktionen, die neuernannten Amtsträgern in den römischen Provinzen der Kaiserzeit für die Versehung ihrer Aufgabe mitgegeben wurden. Sie sind erstmals für Augustus nachgewiesen 20 , und ihre älteste literarische Spur findet sich m. W. bei Philo, " Vgl. P.Tebt 703,95. 111. 114. 116f. 157. 199. 202. 204. Vgl. dazu M.Rostovtzeff: P.Tebt III/l,92f. 18 Vgl. M. Rostovtzeff: ebd. 69 f. - Er hält die Memoranda zudem für eine auf das Verwaltungssystem Ägyptens zugeschnittene Gattung, die sich auch schon in vorptolemäischer Zeit finde (vgl. ebd. 72). Etwas vorsichtiger urteilt in dieser Frage Wilcken, der auch eine „Parallelbildung" für möglich hält, wobei „die gleichen staatlichen Verhältnisse (der Absolutismus) in beiden Fällen zu den gleichen Verwaltungsformen geführt haben" könnten (Urkunden-Referat 149). Auf Memoranda eines Dioiketen verweisen UPZ 110,18. 51, und auch bei den in BGU 1768,10 erwähnten έντολαί (vgl. Wilcken, ebd 148 f.; Handrock, Weisungen 30 f.) dürfte es sich um etwas Vergleichbares handeln; s. auch Wilcken: UPZ 1,457. " Festgehalten wurde die Entsprechung zwischen den ptolemäischen Memoranda und den römischen Mandata principis bereits von Wilcken, Urkunden-Referat 149 und Rostovtzeff: P.Tebt II/l,72f., welcher sogar eine direkte Abhängigkeit letzterer von ersteren postuliert. Dies erscheint allerdings unwahrscheinlich: 2.Makk 4,25 zeigt, daß derartige Instruktionen anläßlich einer Amtseinsetzung auch im seleukidischen Herrschaftsbereich gebräuchlich waren (s. dazu u. S. 168). Darüber hinaus gab es vergleichbare Instruktionen bereits in republikanischer Zeit (vgl. Livius 45,17 f.; s. dazu Schneidewin, Instruktion 6f. 15; Weiß, Studien 69f.; Abbott/Johnson, Administration 239). 20 Vgl. Cassius Dio 53,15,4 für das Jahr 27 v. Chr.: „(Der Kaiser) gab Mandate (έντολάς) sowohl den Statthaltern wie den Proconsuln und Proprätoren, so daß sie mit kon17
Hellenistisch-römische Gattungsparallelen
165
Flacc. 74: Philo erwähnt hier έντολαί, die Augustus dem Präfekten von Ägypten, Magius Maximus, anläßlich dessen zweiter Übernahme der Statthalterschaft (12/13 n.Chr.) hatte zukommen lassen. Wichtig ist, daß selbst aus dem kurzen Hinweis Philos deutlich wird, daß das Mandat des Kaisers nicht nur aus allein für das Verhalten des Adressaten bestimmten dienstlichen Instruktionen bestand, sondern auch weitergehende Regulativa enthielt, von denen eines von Philo erwähnt wird: Augustus hatte „durch die an Magius Maximus gerichteten Mandate (δια των εντολών προς Μ. Μ.)" dem Ältestenrat der jüdischen Gemeinde Alexandriens nach dem Tod ihres Ethnarchen die Verantwortung für die Belange der jüdischen Bevölkerung zugewiesen. Gerichtet waren die Mandata principis in der Form der direkten Anrede an die jeweils für einen bestimmten Bereich verantwortlichen einzelnen Amtsträger, vor allem an die Statthalter der kaiserlichen Provinzen 21 . Die Empfänger der Mandata hatten deren Vorschriften durch eigene Edikte bekanntzumachen 22 oder - wie das Beispiel von IGLS 1998 zeigt 23 - in Übersetzung zu publizieren. Charakteristisch für die kreten Anweisungen (έπί ρητοΐς) (in die Provinzen) gingen." Cassius Dio überträgt hier allerdings die Praxis seiner Zeit auf die der Anfänge des Prinzipats (vgl. Finkelstein, Mandata 153 Anm. 1; Sherwin-White, Letters 590). - Uber die Mandata principis orientieren allgemein: Cuq: DAGR 3/2,1570; Krüger, Geschichte 109 f.; Abbott/Johnson, Administration 239 f.; Kreller: PRE 14/1,1023 ff.; Finkelstein, Mandata; Wenger, Quellen 425 ff. 462f.; Vidmann, fitude 45 ff.; Sherwin-White, Letters 589ff.; Freudenberger, Verhalten 237 ff.; Millar, Emperor 157 f.; Mitchell, Transport 116. 21 Gattungsbestimmung in Anlehnung an Cuq: „Les mandata sont des instructions, en forme de lettre individuelle, adressees par les empereurs aux fonctionnaires places sous leur autorite, particulierement aux gouverneurs des provinces imperiales" (DAGR 3/2,1570); vgl. auch Roller, Formular 409: „Die Mandate ... der römischen Kaiser z.B. wurden in den Formen eines echten Briefes erlassen ...". 22 Vgl. das Edikt des Legatus pro praetore Kaiser Tiberius' in Galatien: Das zweisprachig publizierte Edikt beruft sich mit aufschlußreicher Formulierung auf die Mandate des Kaisers: „non mea tantum potestate sed principis optimi a quo . D— VMEN mandatis accepi maiestate"
ού μόνον δι' έμαυτοΟ άλλα έάν δεη και την τοΟ σωτήρος ΣεβαστοΟ δεδωκότος μοι περί τούτων έντολ(άς] προσπαραλαβών θειότητα
(Mitchell, Transport 107 = SEG 26,1392,6 f. 30 f.; Ergänzungsvorschläge für die Lakune im lateinischen Text in SEG 28,1212); s. auch Plinius, ep. 10,96,7: Abgefallene Christen in Bithynien hätten den Besuch der morgendlichen Versammlungen aufgegeben „post edictum meum, quo secundum mandata tua hetaerias esse vetueram"; Dig. 48,3,6,1: „Sed et caput mandatorum exstat, quod divus Pius, cum provinciae Asiae praeerat, sub edicto proposuit, ut ..."; zum gesamten Sachverhalt vgl. Kreller: PRE 14/1,1023; Finkelstein, Mandata 156; Schwind, Frage 166 f.; Vidmann, fetude 46 f. 23 Daß es sich bei dieser Inschrift aus dem syrischen Hama (Epiphaneia) tatsächlich um die Publikation von Mandatsvorschriften handelt, ist kaum zweifelhaft (vgl. auch die Herausgeber: IGLS V, 11). Darauf weist vor allem die Überschrift hin (έξ έντολων αύτοκράτορος [Δομ]ιτιανοΟ ... προς Κλαύδιον Άθηνόδωρον έπίτροπον): Es findet sich hier
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1. Timotheus- und Titusbrief
kommunikative Gestalt der Mandata ist wie für die von 1. Tim/Tit und P.Tebt 703 das Nebeneinander von direkter Anrede und Ediktstil 24 . Von P.Tebt 703 und der durch diesen Text repräsentierten Gattung des Memorandums unterscheiden sie sich jedoch dadurch, daß ihnen zumindest in der frühen Kaiserzeit kein standardisierter und nur hin und wieder modifizierter Text zugrundelag. Die Mandata principis wurden vielmehr jeweils ad hoc, d. h. zumeist bei Ernennung eines neuen Statthalters, verfaßt. Erst im Laufe der Zeit erhalten sie tralatizischen Charakter (d. h. sie galten nicht mehr nur für den jeweils unmittelbar Angeredeten, sondern auch für dessen Nachfolger) und wachsen zu einem Liber Mandatorum an25, aus dem einem neuernannten Amtsträger Auszüge mitgegeben werden konnten 26 . Leider ist bisher bis auf die Auszüge aus dem Gnomon Idiou Logou, der aus den genannten Gründen jedoch nicht eigentlich zu den Mandata principis gezählt werden kann, und IGLS 1998 keine einzige für einen konkreten Statthalter bestimmte Zusammenstellung von kaiserlichen Mandaten als Texteinheit bekannt geworden, die mit P. Tebt 703 vergleichbar wäre. Sie begegnen uns vielmehr lediglich in der Weise, daß Einzelanweisungen herausgegriffen und auf sie Bezug genommen wird 27 , oder als Zitate und Referate solcher Verfügungen in den Digesten des Corpus Iuris Civilis. Trotzdem wird aus den erhaltenen Quellen deutlich, daß der betreffende Kaiser in den Mandaten - wie der pastorale Paulus in 1.Tim/Tit und wie der Dioiketes in P.Tebt 703 einerseits selbst über den Adressaten hinausweisende Anordnungen traf (wie bereits aus Philo, Flacc. 74 in bezug auf die Leitung der jüdischen Gemeinde Alexandriens deutlich wurde) und daß er andererseits den Statthalter anwies, seinerseits als weisungsbefugter Amtsträger Verfügungen zu erlassen, bzw. diesem konkrete Amtshandlungen auferlegte28. nicht nur das griechische Äquivalent für mandata (έντολαί), sondern auch wird der römische Kaiser als Mandant und der Adressat (seine genaue Stellung ist ungewiß, vgl. IGLS V, 11; zufolge Miliar, Rez. Pflaum 199 handelt es sich um den römischen Prokurator in Syrien) Claudius Athenodorus als Mandatar genannt. 24 Vgl. u. S. 170 f. " Vgl. Cuq: D A G R 3/2,1571; Wenger, Quellen 425 f. - Aus der Zeit des Alexander Severus ist uns das Amt des Procurator a mandatis bekannt (CIL 536,10). 26 Ein Beispiel dafür könnte der aus der Regierungszeit Mark Aurels stammende Auszug aus dem Gnomon des Idios Logos (BGU 1210) sein (vgl. dazu Lenel/Partsch, Gnomon; Rostovtzeff: P.Tebt 111/1,70; Wenger, Quellen 426.462f. mit älterer Lit.). 27 Vgl. Corpus legum, ed. Hänel Reg. s.v. „Mandatum". 28 Diese Differenz, die innerhalb der Gesamtinstruktion eher ein Nebeneinander gewesen sein dürfte, formuliert auch Finkelstein. Er unterscheidet zwischen „technical mandata by means of which the princeps laid down a ruling of law or administration (not necessarily a new ruling)" und „non-technical mandata which contained instructions regarding an official's c o n d u c t . . . (in other words, somewhat in the nature of a message)"
Hellenistisch-römische Gattungsparallelen
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Die reichhaltigste Quelle für unmittelbare Bezugnahmen auf einzelne Mandatsbestimmungen ist der Briefwechsel Plinius d. J. mit Trajan (ep.X). Trajan hatte Plinius als kaiserlichen Legaten in die Provinz Bithynien und Pontus gesandt, um dgrt als sein Repräsentant (vgl. ep. 18,2: „mei loco mittereris") eingerissene Mißstände zu beseitigen: In ep. 32,1 erinnert Trajan Plinius daran, daß dieser nach Bithynien gesandt wurde, „quoniam multa in ea emendanda apparuerint" (vgl. auch 34,1)", und ep. 117,2 zufolge bestand der Sinn dieses Auftrags darin, „ut formandis istiusprovinciae moribus ipse moderareris et ea constituas, quae ad perpetuam eius provinciae quietem essent projutura". Dieser Bestimmungsrahmen des Mandats 30 , mit dem sich die Formulierungen von l.Tim 1,3 und Tit 1,531 vergleichen ließen, wurde ausgefüllt und ergänzt durch zahlreiche Einzelbestimmungen, auf die in dem Briefwechsel vielfach Bezug genommen wird 32 und die vielleicht eine nähere Bestimmung ihrer Gestalt ermöglichen: Wenn Plinius in ep. 110,1 berichtet, daß der Finanzanwalt von Amisus im Pontus sich auf die Mandate Trajans beruft, „quibus eius modi donationes vetantur", und wenn Trajan in seiner Antwort an Plinius (ep. 111,1) schreibt, „largitiones ex publico fieri mandata prohibent", so wird man hinter beiden Formulierungen eine über den Empfänger der Mandate hinausweisende generelle Verfügung im Ediktstil annehmen müssen. Weiterhin macht ep. 30,1 („secundum mandata mea fecit Sempronius Caelianus") sichtbar, daß die für Plinius bestimmten Mandate Trajans auch Anweisungen für untergeordnete Amtsträger enthielten 33 . Eine direkt an Plinius gerichtete konkrete Instruktion wird hinter der Anspielung auf eine Mandatsvorschrift in ep. 56,3 sichtbar: „Sicut mandatis tuis cautum est, ne restituam ab alio aut a me relegates. "34 Ein erhebliches Stück weiter führt der bereits erwähnte Auszug aus den Mandata Domitians an Claudius Athenodorus (IGLS 199 8)35. Anders als Plinius tritt der Mandatar hier nicht mit einem eigenen Edikt in Erscheinung, sondern publiziert die kaiserlichen Anweisungen in griechischer Übersetzung, was den Text für unsere Fragestellung recht wertvoll macht. Denn während wir in bezug auf die Mandate Trajans an Plinius auf indirekte Rückschlüsse aus deren Korrespondenz angewiesen waren, ermöglicht uns dieser Auszug einen direkten Zugang zu der sprachlichen Gestalt der Mandata principis und liefert eine Bestätigung dessen, was für die Mandate Trajans nur postuliert werden konnte: (Mandata 151 f.). Vgl. auch Sherwin-White, Letters 590: „The mandata seem to have contained not a comprehensive code but a mixture of guiding principles, innovations, and occasional instructions." 2 ' Vidmann sieht in dieser Erinnerung „un principe connu, compris dans les mandats" ( i t u d e 49); vgl. auch Freudenberger, Verhalten 23: „Dieser Auftrag war sicher das Leitmotiv der Mandate." 30 Vgl. auch Dig. 1,18,3: „Nam et in mandatis principum est, ut curet is, qui provinciae praeest, malis hominibus provinciam purgare ..." 31 Vgl. dazu u. S. 180 f. 32 Vgl. dazu den Überblick bei Freudenberger, Verhalten 21 ff. 33 Vgl. Sherwin-White, Letters 601; Finkelstein, Mandata 155 Anm. 1 mit Verweis auf ep. 21 u. 22. 34 Das gleiche gilt für Dig. 1,18,19 praescr.: „Mandatis adicitur, ne praesides provinciarum in ulteriorem familiaritatem provinciates admittant." 35 S.o. S. 165f. Anm.23.
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1. Timotheus- und Titusbrief
Es finden sich hier sowohl direkte Anweisungen für die amtliche Tätigkeit des Mandatars (Aufforderung, von seiner Weisungsbefugnis in bestimmtem Sinne Gebrauch zu machen: „Ich gebiete dir aber auch, darauf zu achten, daß niemand ...", 17f.; auch der mit σύ τε eingeleitete, jedoch weitgehend zerstörte Schluß in Z. 30 ff. dürfte eine solche enthalten haben) wie auch über diesen hinausweisende Anordnungen, die der Ubersetzer mit Hilfe der 3.Pers. des Imperativs formuliert (21 f.25f.27f.). Die Parallelität zu P.Tebt 703 ist in dieser Hinsicht also nicht zu übersehen, auch wenn wir hier nur einen Auszug aus den Mandaten Domitians für Claudius Athenodorus vor uns haben. Unter den vier expliziten Zitaten in den Digesten des Corpus Iuris Civilis36 sind drei als direkte Anweisungen für die amtliche Tätigkeit des Mandatars formuliert (Dig. 47,11,6 praescr.: „praeterea debebis custodire"·, 48,3,10: „vinciri iubebis et... multam dices'\ 48,19,27,2: „vinctos eos custodies et mihi scribes et adicies, quid quisque commiserit"). In einem Fall tritt der Mandant (Trajan) selbst als Anordnender auf, ohne daß die Verfügung an eine konkrete Person gerichtet wäre (es geht um die Freigabe von Soldatentestamenten; Dig 29,1,1 praescr.: „existimavi, ut quoquomodo testati jmssent, rata esset eorum voluntas"). - Die den Mandaten zugrundeliegende Kommunikationsstruktur wird aber auch in den Texten sichtbar, in denen die Einzelanweisungen nur paraphrasiert werden. Außer aus den bereits oben genannten Anordnungen wird auch aus Dig. 1,16,6,3 („ mandatis continetur, ne donum vel munus ipse proconsul vel qui in alio officio erit accipiat"), 24,2,3,1 (die Heirat zwischen einer „provincialis mulier" und einem Statthalter oder einem anderen Amtsträger ist „contra mandata") und dem bereits erwähnten 37 Text 48,3,6,1 {„caput mandatorum exstat..., ut irenarchae, cum adprehenderint latrones, interrogent eos de sociis et receptatoribus et interrogationes litteris inclusas atque obsignatas ad cognitionem magistratus mittant"), welche Verfügung der betreffende Statthalter und nachmalige Kaiser Antoninus Pius „sub edicto" bekanntgeben sollte, deutlich, daß die an den einzelnen Statthalter adressierten Mandata principis nicht nur dessen eigenes Verhalten betrafen, sondern auch dasjenige anderer Personen 3 '. D a ß neu installierte Amtsträger nicht nur im ptolemäischen Ägypten und im kaiserzeitlichen Imperium Dienstinstruktionen erhielten, zeigt 2.Makk 4,25: Der nicht der Zadokidendynastie angehörende Menelaos erlangte von Antiochus IV. 172/171 v.Chr. aufgrund eines höheren Tributangebots die Hohepriesterwürde und empfing vor seiner Rückkehr nach Jerusalem die „königlichen Mandate" (λαβών δέ τάς βασιλικάς έντολάς). Es dürfte kein Zweifel daran bestehen, daß es sich hier um den ptolemäischen Memoranda und den römischen Mandata prin-
36
Vgl. Finkelstein, Mandata 156. S.o. S. 165 Anm.22. " Vgl. Finkelstein, Mandata 153 f. - S. auch Dig. 22,5,25: „Mandatis cavetur, utpraesides attendant, ne patroni in causa cui patrocinium praestiterunt testimonium dicant"; Corpus legum, ed. Hänel, Nr.950/S. 140: „Mandatis principalibus praecipitur praesidibus provinciarum, ne patiantur esse collegia sodalicia, neve milites collegia in castris habeant." 37
Hellenistisch-römische Gattungsparallelen
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cipis vergleichbare Instruktionen für die Versehung des neuen Amtes handelt 39 . Daß nun l.Tim und Tit die Mandata principis aufgenommen bzw. sich an diesen unmittelbar orientiert hätten, ist nicht sicher zu erweisen. Immerhin ist jedoch aufgrund der Tatsache, daß die kaiserlichen Mandate für die Verwaltung der römischen Provinzen bestimmt waren und daß der Verfasser der Pastoralbriefe in einer von diesen lebte, der Abstand nicht so groß, wie dies auf den ersten Blick scheinen mag. Darüber hinaus hat IGLS 1998 gezeigt, daß die Mandate nicht nur für die Lektüre der Adressaten bestimmt waren, sondern ζ. T. in Ubersetzung publiziert und so in ihrem Wortlaut auch den Provinzialen zur Kenntnis gebracht wurden. Auf diesem Wege dürfte auch Philo seine in Flacc. 74 (s. o.) belegte Kenntnis der Mandatsvorschrift des Augustus an den Präfekten von Ägypten bezüglich der Leitung der alexandrinischen Judenschaft gewonnen haben. Insofern ist es vielleicht auch kein Zufall, daß l.Tim 6,13 die inhaltlichen Anweisungen des l.Tim mit dem entsprechenden griechischen Äquivalent (εντολή) zusammenfaßt 40 . - Wir haben die kaiserlichen Mandate aber aus dem Grunde etwas ausführlicher erörtert, weil sie eine mit l.Tim und Tit vergleichbare Kommunikationsstruktur aufweisen und auf diese Weise zu einem Verständnis des Charakters und der Intention der apostolischen Weisung in diesen beiden Briefen beitragen können. Hier wie dort (und auch in P.Tebt 703) sind die Texte auf analoge Konstellationen bezogen: Dies ist zum einen die äußere Situation der anstehenden bzw. vor kurzem erfolgten Übernahme eines Auftrags durch denjenigen, an den die Weisungen adressiert sind und der eben gerade zu diesem Zweck mit Instruktionen für die Verrichtung seines Auftrags versehen wird. Zum anderen ist dies das den Instruktionen hier wie dort zugrundeliegende Weisungsgefälle: Der Mandatar ist gegenüber seinem Mandanten, den er repräsentiert (vgl. Plinius, ep. 10,18,2 mit γνήσιος in l.Tim 1,2; Tit 1,4), weisungsgebunden, seinerseits aber in dem ihm übertragenen Verantwortungsbereich weisungsbefugt. Beide Konstellationen zusammen erklären dann einmal die inhaltliche Vielfalt der Instruktionen, die den Verantwortungsbereich des Mandatars möglichst weitreichend ausfüllen mußten, und weiter das Nebeneinander von direkt für die Amtsausübung des Adressaten relevanten sowie von über diesen hinausweisenden und für ihm unterstellte Personen bestimmten Anordnungen, die dieser kraft seiner Weisungsbefugnis weiterzuleiten und autoritativ durchzusetzen hatte. - Daß die Mandata principis auch allgemeine par39 Gegen Bevenot, Makk 190 („Ernennungsurkunde"); vgl. Bickermann, Institutions 194; Welles, Correspondence 331. 40 S. dazu u. S. 179 mit Anm.4.
170
1. T i m o t h e u s - und Titusbrief
änetische Weisungen für das persönliche Verhalten des Statthalters enthielten, wie sie sich in P.Tebt 703, 261 ff. 41 und l.Tim 6,11 ff. finden, ist nicht auszuschließen, wenn nicht sogar positiv damit gerechnet werden kann, obwohl sich in den erhaltenen Bezugnahmen und Zitaten fast nichts davon findet 42 . Der Grund für das Fehlen derartiger Weisungen vor allem in den Digesten ist leicht zu erklären und liegt in der Gattung letzterer und der in ihnen kompilierten Texte begründet: Es handelt sich hier um juristische Werke, und die allgemeinen paränetischen Weisungen für das persönliche Verhalten der Statthalter könnten - soweit sie denn tatsächlich in den Mandaten gestanden haben sollten - deswegen unter den Tisch gefallen sein, weil sie nicht in der Weise justitiabel waren wie die konkreten Dienstinstruktionen. c) Hellenistische
Königsbriefe
Haben wir in den beiden vorstehenden Abschnitten mit P.Tebt 703 und den Mandata principis Texte besprochen, die ihren Sitz im Leben in der Installation eines Amtsträgers hatten und darum von einer thematischen Vielfalt der Instruktionen geprägt waren, so läßt sich nun auch noch eine andere Gruppe von Texten in die Untersuchung einbeziehen. Es handelt sich näherhin um die amtlichen Briefe von Herrschern und hohen Beamten an untergeordnete Amtsträger, für die zwar der Bezug auf den Amtsantritt des Adressaten fehlt und die lediglich der Regelung von Einzelfragen dienten, die aber gleichwohl eine 1. Tim und Tit entsprechende Kommunikationsstruktur aufweisen. - Terminologisch ist an dieser Stelle zu bemerken, daß diese Texte nur insofern Briefe sind, als damit die äußere Übermittlungsform beschrieben wird. 41
S.o. S. 163f. Die einzigen Texte, die einen Hinweis darauf abgeben könnten, sind Dig. 1,16,6,3 (den Mandaten zufolge dürfe ein Prokonsul oder ein anderer Amtsträger in der Provinz kein Geschenk annehmen und nichts, was über die Deckung des täglichen Bedarfs hinausgehe, kaufen) und 1,18,19 praescr. („mandatis adiciturdaß die Statthalter mit den Provinzialen keine Vertraulichkeiten eingehen sollten, denn daraus entstehe „contemptio dignitatis")·, im letztgenannten Text findet sich sogar die für paränetische Sentenzen charakteristische Angabe der Konsequenz des Verhaltens. - Ohne direkten Bezug auf eine Mandatsinstruktion findet sich eine paränetische Weisung in Dig. 1,18,19,1 in unmittelbarem Anschluß an den vorgenannten Text: Der Statthalter darf bei der Untersuchung von Kriminalfällen weder gegen mutmaßliche Übeltäter aufbrausen noch sich durch Bitten rühren lassen. Und auch hier folgt sogleich eine Begründung: „Id enim non est constantis et recti iudicis, cuius animi motum vultus detegit." Wie für alle in Dig. 1,18 („De officio praesidis") enthaltenen Instruktionen stellt sich auch für diesen Text die bereits von Finkelstein formulierte Frage (Mandata 159), ob er nicht möglicherweise eine Mandatsvorschrift wiedergibt, ohne sie als solche auszuweisen. Finkelstein weiß diese Frage aber auch sogleich zu beantworten: „The answer is simple - we cannot tell" (ebd.). Aber möglich ist es immerhin, vor allem weil in Dig. 1,18,19 unmittelbar vorher ausdrücklich eine Mandatsvorschrift referiert wird. 42
Hellenistisch-römische Gattungsparallelen
171
Ihrer inhaltlichen Intention nach haben sie die Funktion von προστάγματα 43 und έντολαί 44 (lat.: mandata; vgl. Philo, Flacc.74; Cassius Dio 53,15,4), so daß es dann umgekehrt auch sprachliche Affinitäten zu den nicht-brieflichen Edikten gibt45. Hinzu kommt noch, daß - von wenigen Ausnahmen abgesehen - der weitaus überwiegende Teil der Korrespondenz der Könige und hohen Beamten Kanzleiarbeiten sind, was eine gewisse Stereotypie des Aufbaus und der Formulierungen der Briefe zur Folge hat bzw. sich daraus erschließen läßt46. Auch diese Briefe wurden - sofern es ihr Inhalt erforderlich machte - inschriftlich publiziert47. Charakteristisch für diese Form der Übermittlung herrscherlicher Willenskundgebungen ist vor allem der Weg königlicher oder statthalterlicher Edikte zur Publikation: Das an die Bevölkerung gerichtete Edikt (Einleitung in aller Regel: N N λέγει) wird an den Strategen o. ä. gesandt, zusammen mit einem an diesen adressierten Begleitbrief, der die Anweisung zur Publikation enthält. Der Stratege publiziert das Edikt dann abschriftlich entweder nur zusammen mit diesem Begleitbrief (ζ. B. OGIS 664) oder auch mit einer eigenen einleitenden Erklärung (z.B. OGIS 665: Einleitung: ττ)ς πεμφθείσης μοι ύπό τοΟ κυρίου ήγεμόνος επιστολής σύν τώι ύποτεταγμένωι προστάγματι τά άντίγραφα ύμεΐν ύποτέταχα, ebd. 2 ff.; 669; P.Lond 1912 = Select Papyri 212: Brief Kaiser Claudius' an Alexandria, Publikation mit dem Edikt des Präfekten) 48 . Bengtson hat 43 Zu den brieflichen Prostagmata vgl. ausführlich Holleaux, fitudes III, 206 ff.; Collomp, Recherches 16: έπιστολή est une lettre sans doute, mais aussi un ordre par lettre"; Lenger, Lois 111 f.; Welles, Correspondence xxxvii: „ . . . in all the Hellenistic kingdoms, kings made use of the letter for the orders to subordinates which were known as προστάγματα"; s. auch Dikaiömata S. 43 f. - Unter den von Holleaux genannten Texten kann diese Konvergenz besonders augenfällig am Beispiel des in 3.Makk 3,12 ff. zitierten Briefes des Ptolemaios IV. Philopator an seine Heerführer und Soldaten illustriert werden: Der Brief wird vom Autor des 3. Makk eingeführt und ausgeleitet mit den Formulierungen: ίγραψεν ... έπιστολήν τήνδε (3,11); και ό μεν της έπίστολής τύπος οδτως έγέγραπτο (3,30). In unmittelbarem Anschluß daran wird in 4,1 fortgefahren: „Überall aber, wohin τοΟτο τό πρόσταγμα gelangte, ..."; vgl. auch P.Amh 33,17: πρόσταγμα als Bezeichnung für den ebd. Z. 28-37 erhaltenen und u. S. 173 erwähnten Brief Ptolemaios' II. 44 Vgl. Spicq, Past 1,34; Schwind, Frage 113; s. auch P.Tebt 6,10: έντολή als Bezeichnung für den in Z. 12-49 erhaltenen Königsbrief. 45 Vgl. auch Schubart zum Abschluß seiner Untersuchung des Stils hellenistischer Königsbriefe: „Mit Absicht habe ich die Gattungen, die wir als έπιστολαί, προστάγματα, έντολαί kennen, nicht gesondert, vielmehr ... gerade zeigen wollen, daß nur auf Formeln ihr stilistischer Unterschied beruht, nicht auf Satzbau und Wortwahl" (Bemerkungen 343 f.). 46 Vgl. Schubart, Bemerkungen 319 f. 344 f.; Sykutris: PRE.S 5,196. Schubart stellt in seinem Aufsatz eine ganze Reihe von Briefen vor, die sich sprachlich erheblich vom Kanzleistil unterscheiden, und erklärt diese Abweichungen damit, daß die entsprechenden Briefe vom König selbst abgefaßt bzw. diktiert wurden (a.a.O. 327.344f.). 47 Vgl. Welles, Correspondence XL sowie das Publikationsgebot in den an untergeordnete Amtsträger gerichteten Briefen: ebd. Nr. 24; 44 (jeweils am Schluß). 4 « Vgl. auch OGIS 224 = Welles, Correspondence 36/37: Brief Antiochus' III. an den Satrapen Kariens über die Einsetzung einer Oberpriesterin in dessen Satrapie mit ab-
172
1. Timotheus- und Titusbrief
gezeigt, d a ß auch das Schreiben Antiochus' III. an Tralles-Seleucia (Welles, C o r r e s p o n d e n c e 41) als P r o s t a g m a a n z u s e h e n ist, „das unmittelbar an die Stadt gerichtet war"; gleichzeitig ist an d e n Strategen T h e m i s t o k l e s „in einem b e s o n deren kgl. Schreiben die A n w e i s u n g " ergangen, „für die D u r c h f ü h r u n g des Erlasses z u sorgen" 4 9 . D i e Zahl der erhaltenen Briefe von Herrschern und h o h e n Beamten a n n a c h g e o r d n e t e A m t s t r ä g e r ist ü b e r a u s z a h l r e i c h , s o d a ß e i n e
Dar-
stellung der T e x t e im einzelnen sich im R a h m e n unserer Fragestellung als w e n i g s i n n v o l l e r w e i s t . E s s o l l d a r u m i m f o l g e n d e n v o r a l l e m
um
d e n exemplarischen N a c h w e i s gehen, d a ß die o b e n für l . T i m u n d T i t gegenüber 2 . T i m herausgearbeitete charakteristische K o m m u n i k a t i o n s s t r u k t u r a u c h f ü r d i e s e B r i e f e t y p i s c h ist. A l s O r i e n t i e r u n g s p u n k t e s o l len dabei die genannten sprachlichen Differenzkriterien dienen. Imperativ 3. Pers. bei Anordnungen terstellte Personen™:
für von dem Adressaten
abhängige
und ihm un-
P t o l e m a e u s II. an einen A n t i o c h u s ( P . H a i 1 , 1 6 6 f f . ) 5 1 : N a c h d e m der Adressat direkt a u f g e f o r d e r t wird, bestimmte M i ß s t ä n d e abzustellen ( σ ύ ν τ α ξ ο ν ο ύ ν " , δπω[ς] τ ο ϋ [λ]οιποϋ μή γίνηται τοϋτο), f o l g e n A n w e i s u n g e n für Soldaten u n d O i k o n o m o i in der 3 . P e r s des Imperativs: 171 f.: „Sie
(die
Soldaten)
sollen
sich
selbst
Baracken
bauen
(στεγνο-
ποιείσθωσαν)." 173 f.: „Die Ö k o n o m e n sollen ihnen die n o t w e n d i g e n Quartiere g e b e n (διδότωσαν)." 1 7 4 f f . : „ W e n n die Soldaten . . . abrücken, sollen sie die Quartiere renoviert z u rücklassen (άφιετωσαν) u n d sie nicht mißräuchlich v e r w e n d e n (μή καταχρήσθωσαν)." schließender Anweisung zur inschriftlichen Publikation des Beschlusses (Welles, a.a.O. 36,24 f.); Begleitbrief des Satrapen an den Hyparchen zur Übersendung einer Abschrift des hier πρόσταγμα (Welles, a.a.O. 37,2) genannten Briefes des Königs an ihn mit analoger Anweisung zur Publikation. Die Inschrift stellt den Begleitbrief dem Königsbrief voran (vgl. Holleaux, fetudes 111,170). Den gleichen Mitteilungsprozeß reflektieren die bei Welles, a.a.O. 18/19 abgedruckten Briefe sowie SIG 821 C - E (vgl. o. S. 151). 49 Bengtson, Strategie 11,137; s. auch Holleaux, 6tudes III, 205 ff. 50 Vgl. dazu Schroeter, Quaestiones 37 f. - In Edikten findet sich die 3.Pers. des Imperativs z.B. in P . O x y 237,VIII,34. 39; 888,3; 1101,19. 21 f.; P . H i b e h 29 passim; 198,89. 94. 109. 116; Sherk, Documents 61,6. 7. 10. 11 (vgl. SEG 18,555; 20,15; 29,1217; Charbonnel, Inscription); Mitchell, Transport 107 = SEG 26,1392,35 (s. o. S. 165 Anm. 22); IG V/1,21, II,9f. 14 (vgl. Oliver, Applications 548: „The . . . paragraph may have come from an epistle, an edict or mandata"). 51 Abdruck mit Textdiskussion und Kommentar bei Schubart, Bemerkungen 324 ff. (bei Differenzen gegenüber der Editioprinceps folge ich Schubart). - Schubart hält diesen Brief f ü r kein Kanzleiprodukt, sondern für ein „schnell hingeworfenes Schreiben in der Sprache des Lebens, des Alltags. ... Der König selbst hat es rasch aufgesetzt oder ... hat es diktiert, denn es ist Diktatstil. Es ist der Stil des Ptolemaios Philadelphos selbst" (ebd. 327). 52 Vgl. zu dieser Formulierung u. S. 174.
Hellenistisch-römische Gattungsparallelen
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183: „(Die Soldaten) sollen ... die Häuser wiederherstellen (άναπλασσέτωσαν)." Es ist zweifellos die Funktion dieser Anweisungen, die an den Adressaten gerichtete allgemeine Anordnung zu konkretisieren, d.h. Durchführungsverordnungen zu formulieren, die ihm kraft seiner Weisungsbefugnis zur Vermittlung an die genannten Personen und zur Durchsetzung aufgegeben sind. Das gleiche Gefälle findet sich in einem anderen Brief Ptolemaeus' II. an den mutmaßlichen Dioiketen Apollonius (P.Amh 33,28 ff.), den Schubart für eine Kanzleiarbeit hält 53 (ebd. 17 wird dieses Schreiben als Prostagma bezeichnet): 32f. (Berufsverbot für bestimmte Anwälte): „In keiner Rechtssache ist es diesen mehr erlaubt (μηκετι έξέστω), anwaltlich tätig zu sein." Attalus I. (?) an einen unbekannten Amtsträger (SIG 1018; Welles, Correspondence 24)54: Der Priester „soll einen weißen Umhang tragen (φορειτω) und einen Olivenkranz ..." (1-3); wenn er aus dem Amt scheidet, „soll er das Gepachtete in gutem Zustand übergeben (παραδιδότω) oder die Kosten für die Instandsetzung erstatten (άποτινέτω)" (10-12); die silbernen Geräte und die anderen Weihegeschenke „soll er behüten und dem Nachfolger übergeben (παραδιδότω)" (18-22). Antiochus III. an Ptolemaeus, den mutmaßlichen Statthalter von Koilesyrien und Phönizien 55 (Josephus, ant. 12,138ff.) 56 : „Alle aus dem Volk (d.h. die Juden) sollen aber nach ihren väterlichen Gesetzen leben (πολιτευέσθωσαν), die Gerusia ... aber soll befreit sein (άπολυέσθω)" von mehreren Steuerarten (142). Antiochus III. an Zeuxis, den Strategen von Lydien 57 (Josephus, ant. 12,148 ff.) 58 : Die als Militärkolonisten anzusiedelnden 2000 jüdischen Familien „sollen Getreide ... zugemessen erhalten (μετρείσθωσαν)" (152).59 Auch die ebenfalls für den Sprachstil von Edikten 60 charakteristische Hervorhebung der eigenen Person des Briefschreibers durch die 1. Pen. Sing, mit einer 53 Schubart, Bemerkungen 329; zur amtlichen Stellung des Adressaten vgl. B.P.Grenfell/A.S.Hunt: P.Amh II,40f. 54 Zur Zuschreibung vgl. die genannten Editionen. - Daß es sich hier um einen Brief an eine Einzelperson handelt, erhellt aus dem Schlußgruß (ϊρρωσο) dieser nur mit ihrer unteren Hälfte erhaltenen Inschrift. 55 Vgl. Bickermann, Freibrief 225: „Hohepriester-Stratege von Coele-Syrien und Phönizien." 56 Zur Echtheit des Briefes s. Bickermann, ebd. 224 ff. 57 Zur Person des Adressaten vgl. Bengtson, Strategie II, 109ff., bes. U 2 f . 5 ' Den Nachweis der Authentizität dieses Briefes führt Schallt, Brief 340 ff. (ebd. 339f. Darstellung der Echtheitsdiskussion). - Schallt definiert diesen Text ganz auf der Linie der o. S. 170 f. formulierten Konvergenzen als einen „.Befehl' (πρόσταγμα) in Form eines Briefes (επιστολή)" (ebd. 341); vgl. auch ebd. 344 zur 3.Pers. des Imperativs. 5 ' Weitere Texte: C.P.Herm. 119 v III, 14f.; P.Fay 112,18; P.Oxy 1185,26f. 60 Gerade das in l . T i m 2,8; 5,14 (vgl. auch Tit 3,8) begegnende βούλομαι mit dem Bezug auf ein von anderen gefordertes Verhalten findet sich häufig in Edikten aus der Umwelt des Neuen Testaments: OGIS 665,37f.; Josephus, ant. 11,219 (vgl. Bickerman, Notes 262; in der in den Zusätzen zu Esth 3,13 LXX überlieferten Fassung dieses Edikts fehlt βούλομαι); P.Lond 904 = Wilcken, Grundzüge 1/2,202,30; SPAW 1911,796 = Se-
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1. Timotheus- und Titusbrief
über den Adressaten hinausweisenden Anordnung findet sich in den Briefen an untergeordnete Amtsträger. Mit l.Tim 2,8; 5,14 sind vor allem zu vergleichen: Artaxerxes an die Satrapen des persischen Großreiches (Josephus, ant. 11,273 ff.)61: „Ich will (βούλομαι), daß sie (die Juden) alle Wertschätzung erfahren" (280). Ebd. 12,141": „Ich will (βούλομαι) aber, daß ihnen (den Juden) alles erfüllt wird, wie ich es angeordnet habe ..." Ebd. 150: „Ich will (βούλομαι) deshalb,... daß diese übergesiedelt werden und ... nach ihren eigenen Gesetzen leben." In gleicher Weise ist auch die an den Adressaten gerichtete Aufforderung, seinerseits anzuordnen, in den hier untersuchten Briefen belegt. Da es sich dabei in aller Regel um Kanzleiarbeiten handelt, sind diese Aufforderungen sowohl in bezug auf ihre Formulierung wie hinsichtlich ihrer Stellung im Brief überaus stereotyp, was aber an der Vergleichbarkeit des sich hierin ausdrückenden Kommunikationsgefälles nichts ändert": Nach der Mitteilung des betreffenden Sachverhalts und der königlichen Entscheidung (narratio) wird der Adressat aufgefordert, konkrete Anweisungen für die Durchführung dieser Entscheidung zu geben (σύνταξον mit folgendem Infinitiv)64 (vgl. Welles, Correspondence 10,4; 11,19; 12,15; 18,24; 44,31); σύνταξον δπως ist ebenso in zwei erhaltenen Briefen Ptolemaeus' II. belegt (P.Hai 1,170f.; P.Amh 33,30f. [beide Texte o. S. 172f.]; vgl. auch P.Oxy 1022,6). Dem Adressaten kommt hier lediglich die Funktion eines Vermittlers der königlichen Anweisungen zu65. Mit vorstehendem Überblick sollte in erster Linie gezeigt werden, daß die für l . T i m und Tit gegenüber 2.Tim spezifische Sprachgestalt der apostolischen Weisungen ihre genaue Entsprechung in Briefen vor allem von Königen an untergeordnete und ihrerseits weisungsbefugte Amtsträger hat. Miteinander vergleichbar sind im Zusammenhang unserer Fragestellung zum einen die hierarchische Konstellation, die die sprachliche Gestalt der Anweisungen hier wie dort determiniert, und zum anderen der briefliche Rahmen (der Adressat ist eine Einzelperson), in den diese jeweils hineingestellt sind.
lect Papyri 11,211,12.23f.; Mitchell, Transport 107 = SEG 26,1329,48 (s.o. S. 165 Anm. 22); Josephus, ant. 14,194. 319. 61 Anders als in Josephus, ant. 11,216ff. (s. die voraufgehende Anm.) handelt es sich der äußeren Form nach hier nicht um ein Edikt (vgl. die Einleitung: βασιλεύς μέγας 'Αρταξέρξης τοις ... σατραπειών δρχουσι τάδε γράφει, 216), sondern um einen Brief (Einleitung: Artaxerxes τοις δρχουσι ... καίρειν, 273 par. ZusEsth Ε 1); vgl. dazu Bickerman, Notes 262. " Zu diesem und zum folgenden Text s.o. S. 173 mit Anm.55-58. 43 Vgl. zum Folgenden Welles, Correspondence xliii. 64 Schroeter zufolge ist der Gebrauch der Jormula iussiva" σύνταξον mit folgendem Infinitiv ein Spezifikum des seleukidischen Kanzleistils (Quaestiones 39). 65 Vgl. Welles, Correspondence 65; Bengtson, Strategie II, 138 f.
Hellenistisch-römische Gattungsparallelen
d) Julian, ep. 39/84a;
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47-48/89ab
Daß diese Struktur der brieflichen Kommunikation mit der spezifischen Sprachgestalt ihrer Anweisungen nicht nur in l.Tim und Tit, sondern auch im außerchristlichen Traditionsbereich der Vermittlung von paränetischen Inhalten dienen konnte - d.h. auf ein von den der Weisungsbefugnis des Adressaten unterliegenden Personen dauerhaft gefordertes Verhalten abzielte - , läßt sich am Beispiel einiger Briefe Kaiser Julians illustrieren. Obwohl diese Briefe von den oben besprochenen Texten durch einen großen zeitlichen Abstand getrennt sind, dürfen sie innerhalb unserer Fragestellung herangezogen werden, weil sie zum einen dieselbe äußere Konstellation aufweisen und diese zum anderen in gleicher Weise die sprachliche Gestalt der Anweisungen dieser Briefe determiniert. Man darf in der Ubereinstimmung dieser zeitlich weit auseinanderliegenden Texte vielmehr sogar ein Indiz für die außerordentliche Stabilität dieser gattungsspezifischen Elemente sehen, an der auch l.Tim und Tit partizipieren und die auf der historischen Stabilität der geschilderten äußeren Konstellation beruht. - Es handelt sich näherhin um die von L. Goessler nicht ohne Grund so genannten „,Pastoralbriefe'" 66 Kaiser Julians, die dieser 362/363 n. Chr. wohl von Antiochien aus an den Oberpriester von Galatien (ep. 39 Weis; 84 a Bidez/Cumont) und an denjenigen der Asia (ep. 47 und 48 Weis; 89 ab Bidez/Cumont) 6 7 schrieb, wobei der letztgenannte mit ep. 47/89 a zu diesem Amt ernannt wird (vgl. 452 d). Aus diesem Grunde könnten die beiden Briefe an den Oberpriester der Asia möglicherweise in der Tradition der Mandata principis (s.o.) stehen (als solche werden sie auch von Bidez/Cumont charakterisiert) 68 , wenngleich sie deren Rahmen durch ihre umfangreichen lehrhaften und paränetischen Passagen deutlich sprengen. Der neu ernannte Oberpriester der Asia erhält die Aufgabe, „die Priester in jeder Stadt zu beaufsichtigen (έπισκοπεΐν) und einem jeden das ihm Gebührende zuzuweisen" (άπονέμειν τό πρέπον; 452 d)69, d. h. „die Funktionen und den Pflichtenkreis der untergeordneten Priesterschaft festzulegen" 70 . Alle drei Briefe formulieren Anweisungen vor allem für das Verhalten der dem Oberpriester untergebenen Priesterschaft, die dieser vermitteln bzw. bei jener durchsetzen soll. " L. Goessler: Kaiser Julian 113. 67 Zur Zusammengehörigkeit dieser beiden Briefe vgl. jeweils mit älterer Literatur Weis in den Eingangsbemerkungen zu ep. 48 seiner Ausgabe (306 f.); Raeder, Kaiser Julian 220 Anm. 32; gegen diese Annahme votiert Geffcken, Kaiser Julianus 153. 68 Bidez/Cumont, Vorbemerkung zu ep. 84 a, S. 112. Diese und die folgenden Ubersetzungen nach Weis, Julian. Briefe. 70 Weis: a.a.O. 306.
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1. Timotheus- und Titusbrief
Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang aus dem Fragment ep. 48/89b der Abschnitt 298 b ff.: Hier zeigt sich das In- und Nebeneinander von paränetischen Sprachformen (z.B. χρή; πρέπει; Verbaladjektive; Begründung der paränetischen Weisung mit Hilfe von Beispielerzählungen [etwa 303cf.] u.a.m.) und autoritativen Anordnungen des Kaisers, die der Adressat weitergeben und durchsetzen soll (Belege im folgenden). Insgesamt handelt es sich hier um einen in der antiken paränetischen Tradition weit verbreiteten Spiegel von in diesem Fall priesterlichen Berufspflichten (vgl. die Einleitung in 298 b: „Wie ein Priester sein muß, will ich jetzt zu erklären versuchen" [όποιον δέ αυτόν είναι χρή, πειράσομαι νϋν ειπείν]), dessen Einzelanweisungen und dies unterscheidet den Text von der antiken paränetischen Literatur - durch den Adressaten autoritativ vermittelt und durchgesetzt werden sollen. Entsprechend fährt der Brief fort (298 cd): „Ich unternehme dies nicht deinetwegen ..., sondern damit du den anderen folgerichtiger und legitim (έπ' εξουσίας) erklären kannst, daß du damit nicht privaten Vorstellungen nachgehst und aus eigener Initiative danach handelst, sondern daß du im Einvernehmen mit dir auch mich weißt, der ich wenigstens dem äußeren Ansehen nach δια τους θεούς Pontifex Maximus bin."
Julian tritt hier also seinem eigenen Selbstverständnis nach nicht nur als αξιόπιστος διδάσκαλος (298b), d.h. als paränetischer Lehrer auf, sondern zugleich auch als Pontifex maximus, d. h. als von den Göttern autorisierter (vgl. auch 299 c: dies ist nicht έμός ό λόγος ..., άλλα τοΰ θεοϋ) Inhaber der seit Augustus dem Kaiser institutionell zukommenden höchsten sakralen Würde, dessen paränetische Weisungen dadurch Verordnungscharakter erhalten, mit welchem sich unbedingte Verbindlichkeit und die Verpflichtung zu ihrer Befolgung verknüpfen. Daß Julian entschlossen ist, seine Vorstellungen von den priesterlichen Berufspflichten auch mit Hilfe von Zwangsmaßnahmen durchzusetzen (vgl. ep.39/84a, 430b: τους δέ άπειθοϋντας [sc. ιερέας] έξώθει; 48/89b, 297 b: ein Priester, „der sich vielfach gegen die heiligen, den Göttern geschuldeten Dienstleistungen vergeht [έξαμαρτάνοντα], muß entlarvt werden [χρήναι έξελέγχειν]"), rundet dieses Bild ab. Sichtbar wird darin eine massive Verrechtlichung der Paränese oder anders gesagt: die Transformation von paränetischen Sprachformen in die Gestalt der autoritären Rechtsverordnung, deren Nichtbefolgung Strafsanktionen nach sich zieht. Die entsprechenden Anordnungen Julians seien nun im folgenden, wie oben ihrer Sprachgestalt nach geordnet, ohne weiteren Kommentar zusammengestellt: Imperativ 3. Pers. bei für die untergeordnete Priesterschaft u. a. bestimmten Anweisungen:
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Ep.39/84a, 431 c: Wenn die leitenden Beamten in die Stadt einziehen, „soll ihnen kein Priester entgegengehen (ύπαντάτω)". Ebd.: Im Inneren (des Tempelbezirks) „soll ihnen kein Soldat voranschreiten (ήγείσθω); folgen soll (έπεσθω), wer will". 48/89b, 300cd: „Kein Geweihter soll Archilochos ... lesen (άναγιγνωσκέτω). Auch der alten Komödie soll er aus dem Wege gehen (άποκλινέτω)." Ebd. 304 b: „Den liederlichen Theateraufführungen soll nirgends ein Priester beiwohnen (παραβαλλέτω) noch in sein eigenes Haus Einlaß gewähren (είσαγέτω)." Ebd. 304 c: „Kein Priester soll also zum Theaterbesuch ausgehen (έξίτω), keinen Schauspieler, keinen Wagenlenker zum Freund machen (ποιείσΟω φίλον), kein Tänzer und kein Komödiant soll an seiner T ü r erscheinen (προσίτω)." Vgl. zu l.Tim 5,9 auch noch ep. 42/109 (Brief an den Präfekten von Ägypten), 442 b: „(Die Knaben) sollen zunächst nur nach ihrer stimmlichen Begabung ausgewählt werden (καταλεγέσθωσαν)." Hervorhebung der eigenen Person des Briefschreibers (l.Pers.Sing.) im Ediktstil: Ep. 39/84 a, 430 c: Ein Fünftel der genannten Mengen Getreides und Weins „soll für die ... Armen verwendet werden, ordne ich an (φημί χρήναι)". 48/89b, 304 c: „Ich verlange (άξιώ) jedoch von den Priestern, sich von der Liederlichkeit in den Theatern fernzuhalten und sie dem Volk zu überlassen." Ebd.: „Nur den heiligen Spielen beizuwohnen, gestatte ich (έπιτρέπω) dem, der es wünscht." Ebd. 304d-305a (über die Auswahl der Priester): „Ich erkläre (έγώ φημι), daß man dazu in den Städten die Besten (ernennen soll)." Anweisung an den Adressaten, seinerseits anzuordnen: Ep. 39/84 a, 430 a: „Bewege (die Priester) durch Beschämung oder Überredung dazu (ή δυσώπησον, ή πεϊσον), ihrer Pflicht mit Eifer zu genügen ..." Ebd. 430 b: „Ermahne (παραίνεσον) die Priester, nicht ins Theater zu gehen, nicht in der Kneipe zu trinken und keine beschämende und verrufene Arbeit zu leisten." Ebd. 430 d-431 a: „Lehre (δίδασκε) die hellenisch Gesinnten auch, Beiträge zu diesen Aufgaben zu leisten, ... und gewöhne (προσέθιζε) die hellenisch Glaubenden an derartige Werke der Wohltätigkeit." Das Bild wird ergänzt durch konkrete Handlungsanweisungen an den Adressaten mit z.T. disziplinarrechtlichem Inhalt: „Die gehorsamen Priester zeichne aus (τίμα), die ungehorsamen stoße aus (έξώθει)" (ep. 39/84 a,430b; vgl. auch ebd. 430a; 431c; 47/89a,453a). Und auch paränetische Mahnungen für den Adressaten fehlen nicht (47/89 a, 453 a): „Dem Inhaber dieses Amtes ziemt (πρέπει) in erster Linie (πρώτον) Nachsicht, darüber hinaus Güte und Menschenfreundlichkeit gegen diejenigen, die sie verdienen."
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1. Timotheus- und Titusbrief
3.
Zwischenergebnis
Bei vorstehendem Überblick kam es uns vor allem darauf an, die für l.Tim und Tit gegenüber 2.Tim spezifische Kommunikationsstruktur durch die Heranziehung von vergleichbaren Texten aus der Umwelt des Neuen Testaments verständlich zu machen. Als Kriterien dienten dabei die vorher herausgearbeiteten sprachlichen Formen der apostolischen Weisung in l.Tim und Tit, wobei in erster Linie davon auszugehen war, daß es sich hier um an Einzelpersonen gerichtete Briefe handelt. Es hat sich dabei vor allem zunächst gezeigt, daß es methodisch und sachlich angemessen ist, die Frage nach der literarischen Gestalt der Paulustradition, wie sie uns in den Pastoralbriefen begegnet, für l.Tim und Tit unabhängig von 2.Tim zu stellen. Alle für l.Tim und Tit gegenüber 2.Tim spezifischen sprachlichen Formen der apostolischen Weisung, die sich mit den genannten Einschränkungen auch im Polykarpbrief des Ignatius von Antiochien finden, sind charakteristisch für eine ganz bestimmte Gruppe von Texten aus der Umwelt des Neuen Testaments, die von ausgesprochen autoritären Kommunikationsstrukturen geprägt sind. Auf der Grundlage dieser Vorgaben läßt sich nun ein relativ geschlossenes Bild des literarischen Charakters von l.Tim und Tit gewinnen, das über eine lediglich ästhetische und atmosphärische Bestimmung der Differenz gegenüber 2.Tim hinausgeht. Die 1. Tim und Tit maßgeblich bestimmende Kommunikationsstruktur entspricht exakt derjenigen, die sich in den Briefen und brieflichen Instruktionen von Herrschern und hohen Beamten an untergeordnete, jedoch ihrerseits wiederum weisungsbefugte Amtsträger findet. Diese Struktur der autoritären Weisung mit den dafür charakteristischen sprachlichen Formen findet sich in den ptolemäischen Memoranda ebenso wie in den römischen Mandata principis, in den hellenistischen Königsbriefen und in den Briefen Kaiser Julians, was zeigt, daß es sich hier um eine in der hellenistisch-römischen Antike breit belegte Gattung handelt, die, wie 2.Makk 4,25 erkennen läßt, auch im seleukidischen Herrschaftssystem nicht unbekannt war. Am Beispiel der Briefe Julians wurde zudem deutlich, daß diese Kommunikationsform auch paränetische Inhalte an sich binden konnte. Für alle besprochenen Texte ist entscheidend spezifisch, daß der hochrangige Autor seinem Beauftragten bzw. Repräsentanten für dessen Verantwortungsbereich Anweisungen übermittelte, die über ihn hinweg auf Personen gerichtet sind und Regelungen beinhalten, die der Adressat kraft seiner eigenen Autorität anzuordnen und für deren Durchführung er zu sorgen hatte. Der Empfänger der Instruktion hat dabei also die Funktion ihrer autoritativen Vermittlung und Durchsetzung in dem ihm zugewiesenen Ver-
Zwischenergebnis
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antwortungsbereich und gegenüber den von ihm abhängigen und untergebenen Personen. Die ptolemäischen Memoranda und die römischen Mandata principle unter Eipschluß der Briefe Julians an den Oberpriester der Asia (ep. 47-48/89 ab) weisen einen spezifischen Bezug zur Amtseinsetzung des Adressaten auf, d.h. sie verstehen sich als Instruktionen, die sich nicht wie in den hellenistischen Königsbriefen auf den Einzelfall beziehen, sondern mindestens für seine Amtszeit, meistens jedoch darüber hinausreichende gültige Dauerregelungen beinhalten. Diese sollen sicherstellen, daß der Empfänger der Instruktionen sein Amt und seinen Verantwortungsbereich in toto dem Willen und den Intentionen seines Auftraggebers und Vorgesetzten entsprechend versieht und gestaltet, bzw. ihn dazu erst in die Lage versetzen. Dieser Situationsbezug brachte in den ptolemäischen Memoranda und den römischen Mandata eine thematische und inhaltliche Vielfalt der Einzelanweisungen mit sich, die den Aufgaben- und Verantwortungsbereich des Adressaten möglichst vollständig regulieren sollte. Innerhalb der Pastoralbriefe entspricht dieser Intention die Einleitung des Briefcorpus1 in 1. Tim 1,18: Die eingeschobene präpositionale Wendung κατά τάς προαγούσας έπί σε προφητείας stellt den Bezug zur Amtseinsetzung (Ordination) des Timotheus expressis verbis her2 und motiviert auf diese Weise die Adressierung der παραγγελία gerade an Timotheus mit dessen amtlicher Autorität, die in den genannten προφητεΐαι gründet. Die folgenden Anordnungen verstehen sich so als Beitrag zu dem von den .prophetischen Äußerungen' intendierten „guten Kampf", den Timotheus als Amtsträger kämpfen soll, wobei der Finalsatz syntaktisch von παρατίθημι abhängig ist3. Es ist darum Aufgabe der dann im Verlauf des l.Tim folgenden Anweisungen, Timotheus zum „guten Kampf", d. h. zur Ausübung seines Amtes, in die Lage zu versetzen. Und wenn Timotheus am Ende des l.Tim geradezu beschwörend aufgefordert wird, die έντολή, d. h. die Anweisungen des gesamten Briefes4 unter Einschluß also auch der intentional über ihn hinausweisenden Anordnungen für andere Personen und Gruppen in der Gemeinde unversehrt zu bewahren, so zeigt dies seine Gesamtverantwortung für den ihm zugewiesenen Bereich der ephesinischen Gemeinde. 1
Vgl. o. S. 118 mit Anm.19. Vgl. zuletzt v. Lips, Glaube 173.243 f. mit älterer Literatur. 3 Vgl. v.Soden, Past 227; Weiß, Past 102. 4 Vgl. Dibelius/Conzelmann, Past 68; Brox, Past 217. - Wie bei παραγγελία in l . T i m 1,18 benutzt der Verfasser der Pastoralbriefe hier den kollektiven Singular für den Inhalt des l.Tim. 2
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1. Timotheus- und Titusbrief
Insgesamt läßt sich also festhalten: Die Struktur der apostolischen Weisung von 1. Tim und Tit orientiert sich an dem in der hellenistischrömischen Antike breit belegten Kommunikationsmodell der brieflichen und briefähnlichen Instruktionen, die von Herrschern und hohen Beamten untergeordneten, jedoch selbst weisungsbefugten Amtsträgern übermittelt wurden und für den diesen jeweils zugewiesenen Verantwortungsbereich galten. Eine besondere Anlehnung an die vor allem für die Provinzstatthalter bestimmten kaiserzeitlichen Mandata principis ist möglich, denn der Verfasser der Pastoralbriefe könnte sie aufgrund ihrer Publikation in griechischer Übersetzung 5 kennengelernt haben.
4. Weitere Aspekte Ging es in den vorstehenden Abschnitten in erster Linie um die Erklärung der für l.Tim und Tit gegenüber 2.Tim spezifischen Kommunikationsstruktur, so sollen nun noch die weiteren oben zusammengestellten terminologischen und sachlichen Differenzen 1 einer näheren Betrachtung unterzogen werden. Dabei soll es um die Frage gehen, ob und inwieweit sich die l.Tim und Tit von 2.Tim unterscheidenden Elemente in das bisher gewonnene Bild einfügen lassen. a) In seinem unlängst erschienenen Aufsatz zur neutestamentlichen Briefliteratur hat J.L. White für 1. Tim 1,3 festgestellt, daß die auf das Präskript des Briefes folgende Erinnerung an einen vorher erteilten Auftrag ihre Entsprechung in zahlreichen Briefen der griechischen „documentary letter tradition" habe 2 , was selbstverständlich auch für Tit 1, 5 gelten muß. Nun ist die von White benutzte Kategorie des ,nicht-literarischen Briefes' noch überaus unspezifisch, insofern sie sowohl die privaten Freundschafts- und Familienbriefe wie die diplomatische Korrespondenz hellenistischer Könige umfaßt. Eine weitere Präzisierung hat jedoch bereits O.Roller formuliert: „Die Kontexteingänge (sc. von 1. Tim und Tit) mit ihrer Wiederholung der beiden Empfängern bereits mündlich gegebenen Aufträge ... sind ganz rein amtlich ... (und) waren
5
Vgl. o. S. 167 f.
1 Vgl. o. S. 149 ff. ' White, Literature 1755: l.Tim „is similar to many letters in the documentary tradition in introducing the body with the reminder of a past instruction which is still to be heeded"; vgl. auch ders., Formulae 95 (Belege). 96. - Unter die Bezeichnung „documentary letter" subsumiert White alle nichtliterarischen Briefe (Literature 1733; dort Zitat im Text).
Weitere Aspekte
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im antiken Amtsstile wohl bekannt." 3 Unter den oben herangezogenen Texten, deren Kommunikationsstruktur mit derjenigen von 1. Tim und Tit vergleichbar ist, begegnen derartige Erinnerungen in UPZ 110,35ff.; P.Tebt 703, 258 f. (am Ende des Memorandums) sowie in zwei Reskripten Trajans an Plinius, auf deren sachliche Berührung mit l.Tim 1,3 und Tit 1,5 bereits hingewiesen wurde (Plinius, ep. 10,32,1; 117,2)4. Weitere Beispiele: P . Fay 111,11 ff.: „ B e s o n d e r s h a b e ich dich a n g e w i e s e n , z w e i T a g e in D i o n y s i a s z u bleiben ( μ ΐ ν α ι ) , d a m i t du 20 S c h e f f e l Lotus verkaufst." P . H i b e h 4 4 , 1 ff.: „Ich habe dir f r ü h e r über die w a f f e n f ä h i g e n M ä n n e r in d e m dir unterstellten B e z i r k g e s c h r i e b e n , d a ß (δπως) sie z u s c h i c k e n sind . . P . O x y 1 4 0 8 , 1 2 f.: „Ich 5 habe e u c h ' d u r c h andere Briefe b e f o h l e n ( π ρ ο σ τ ά ξ α ς ) , die U n t e r s u c h u n g . . . s o r g f ä l t i g d u r c h z u f ü h r e n . " P . F r e i b 7,5: π ρ ό τ ε ρ ο ν μ ε ν σ ο ι . . . έ γ ρ α ψ α έ π ι μ ε λ η θ η ν α ι 7 .
In allen Texten hat die Erinnerung an den vorher erteilten Auftrag die Funktion, den Inhalt des jeweiligen Schreibens an den untergebenen Adressaten auf dessen übergreifende Aufgabe zu beziehen. Und wenn in l.Tim 1,3 und Tit 1,5 auf die mit dem Verbleib der Adressaten in Ephesus bzw. auf Kreta verbundenen konkreten Aufträge Bezug genommen wird, so heißt das, daß die in l.Tim und Tit jeweils folgenden apostolischen Weisungen im Rahmen dieser Aufträge und der Timotheus und Titus zugewiesenen Verantwortungsbereiche verstanden werden wollen 8 . l.Tim 1,3 und Tit 1,5 fügen sich darum bruchlos in das oben skizzierte Bild des literarischen Charakters von l.Tim und Tit ein, insofern hier der konkrete Geltungsbereich und Bezugsrahmen der hier wie dort folgenden amtlichen Instruktionen für die an den genannten Orten zurückgelassenen Adressaten formuliert wird. b) Das Zurücklassen von mit einem besonderen Auftrag versehenen Mitarbeitern in von Paulus gegründeten Gemeinden 9 ist eine nach dem 3 Roller, Formular 148; vgl. auch ebd. 302. - Leider teilt Roller mit Ausnahme eines Briefes Justinians an Papst Johannes II. (Nov. 151 praef) und P. Lond 235,3 ff. keine Belege mit. Im letztgenannten Brief erinnert zudem nicht der Auftraggeber, sondern der Empfänger des Auftrags an diesen. 4 S.o. S. 167. 5 Grenfell/Hunt lesen [ε]χω, was aber am Sinn nichts ändert. ' Es handelt sich um ein Zirkularschreiben des Präfekten von Ägypten an die Strategen der Heptanomia und des arsinoitischen Gaues. 7 Vgl. noch Athenaeus 12,547 b; P.Mich 202,3 ff. ' Vgl. dazu u. S. 184 Anm.21. ' Stenger sieht in der Hervorhebung der Zurücklassung der Adressaten in l . T i m 1,3; Tit 1,5 eine Modifikation des paulinischen Parusietopos (Timotheus 262 ff.). Daß aus Aussendung' bei Paulus hier ein .Zurücklassen' geworden ist, sei ein „Reflex der nachapostolischen Situation der Pastoralbriefe" (ebd. 264; Hervorhebung im Original). Dar-
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Zeugnis seiner Briefe und auch der Apostelgeschichte völlig unbekannte Weise des paulinischen Umgangs mit seinen Mitarbeitern und Gemeinden 10 . Für die Praxis des Apostels ist vielmehr charakteristisch, daß die Gemeinden nach ihrer Gründung oder einem Besuch durch Paulus zunächst auf sich allein gestellt blieben und die Mitarbeiter dann erst später, wenn es die konkrete Lage erforderlich machte, in die Gemeinden entsandt wurden ( l . K o r 4,17; 16,10; 2.Kor 2,4/7,15"; 8,6.17f.; 12,18; Phil 2,19ff.; l.Thess 3,Iff.; vgl. auch Act 19,22; Eph 6,21 f.; Kol 4,7f.9 und in den Pastoralbriefen 2.Tim 4,12 sowie mit Einschränkungen Tit 3,12) 12 . Aus dem Kreis der Mitarbeiter des Paulus sind es nach dem Zeugnis der authentischen Briefe allein Timotheus und Titus, die fiktiven Adressaten der Pastoralbriefe, die in die Gemeinden entsandt werden, letztgenannter vor allem im Zusammenhang mit der Kollekte 13 . - Man kann nun mit Stenger 14 in dieser Differenz über hinaus werde dasjenige Element, „in dem Paulus seine Anwesenheit durch den apostolischen Abgesandten bei den Gemeinden ausdrückt, ... verselbständigt und die anderen Elemente des Topos ... ihm ein- und untergeordnet" (ebd.; vgl. auch Trümmer, Paulustradition 124; Lohfink, Theologie 114ff.). Stenger hat zweifellos darin recht, daß es dem Verfasser der Pastoralbriefe um die durch Timotheus und Titus vermittelte Präsenz des Paulus in seiner Gemeinde geht und daß dies auch der Rolle der Mitarbeiter beim historischen Paulus entspricht. Ob die Pastoralbriefe aber auch den literarischen paulinischen Parusietopos - wenn auch modifiziert - übernehmen, würde ich zurückhaltender beurteilen (s. auch o. S. 132 Anm.7 und u. S. 185 Anm.22). Die Tatsache der nachpaulinischen Verfasserschaft der Pastoralbriefe darf nicht zum passe par tout für den Ausgleich von Differenzen bei Annahme einer literarischen Abhängigkeit der Pastoralbriefe von den authentischen Paulinen gemacht werden, vor allem wenn andere Erklärungsmodelle zur Verfügung stehen (s. dazu gleich im folgenden). 10 Der einzige Text, der von einem Zurücklassen von Mitarbeitern berichtet, ist Act 17,14f., wonach im Widerspruch zu l.Thess 3,1 f. Paulus allein nach Athen reist und Silas und Timotheus in Beröa zurückläßt. Sie erhalten dabei jedoch außer dem Befehl, so schnell wie möglich wieder zu Paulus zu stoßen - den sie dann nach Act 18,5 erst wieder in Korinth treffen keine weiteren Anweisungen. Haenchen nimmt an, daß Lukas hier „das komplizierte Hin und Her von Reisen, über die (er) sowieso nicht viel erzählen wollte,... vereinfacht" hat (Apg 494; vgl. auch Conzelmann, Apg 104), während Schille in der lukanischen Darstellung „einen davon ganz unabhängigen Charakter und Sinn" sieht: „Lukas möchte den Erfolg von Athen allein Paulus vorbehalten!" (Apg 352; vgl. auch Schneider, Apg 11,223). 11 Wahrscheinlich war Titus der Überbringer des in 2. Kor 2,4 erwähnten Briefes; vgl. im einzelnen Balz: EWNT 3,871. 12 Vgl. dazu Ollrog, Paulus 127 f. 13 Zufolge l.Kor 16,12 wollte Paulus auch Apollos zur Reise nach Korinth bewegen, jedoch ohne Erfolg. Darüber hinaus gehörte Apollos aber auch nicht zum engeren Kreis der Paulusmitarbeiter, sondern entsprach eher dem Bild des unabhängigen geistbegabten Wandermissionars (vgl. Ollrog, Paulus 40 f.). Epaphroditus, der nach Phil 2,25 ff. nach Philippi zurückgeschickt wird, gehörte nicht zum Kreis der ständigen Mitarbeiter, sondern zu dem der „Gemeindegesandten" (vgl. Phil 2,25; 4,18; Ollrog, Paulus 95ff.) und kehrt jetzt in seine Gemeinde zurück, ohne daß ein spezieller Auftrag genannt wird. Eine Entsendung anderer Mitarbeiter als Timotheus und Titus kennen allein die nach-
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durchaus eine Modifikation des paulinischen Parusietopos von der nachpaulinischen Situation der Pastoralbriefe her sehen: Die räumliche Zurücklassung der Adressaten ist Ausdruck des Bewußtseins der zeitlichen Verlassenheit durch Paulus 15 ; man verstand sich als .hinterblieben'. Es gibt aber noch eine andere Erklärungsmöglichkeit, die die genannte zwar nicht unbedingt ausschließen muß, es aber doch nahelegt, diese in einen etwas größeren Zusammenhang zu stellen: Wenn Timotheus und Titus zufolge l.Tim 1,3 und Tit 1,5 von Paulus bei seiner Abreise zurückgelassen wurden, so entspricht dies einer durch zahlreiche Texte vor allem aus der hellenistischen Umwelt des Neuen Testaments belegten geläufigen Praxis von Königen und anderen hohen Amtsträgern im Umgang mit von ihnen beherrschten und verwalteten Gebieten, άπολείπειν (Tit 1,5) und καταλείπειν sind in diesen Texten sachlich und sprachlich eindeutige Termini technici, die den Vorgang der Einsetzung von Stellvertretern beschreiben 16 . In diesem Sinne geht es vor allem um die Einsetzung von königlichen Gouverneuren über Städte und Verwaltungseinheiten (SIG 386,8 f.; 426,46 ff.; 2.Makk 4,31; 5,22 f.; 13,23.24; Josephus, ant. 14,297.484; Polybius 3,35,4; 76,1; 5,54,12; 87,6; 18,17,1; Plutarch, Demetr.39). In 2.Makk 5,22f.; Polybius 20,5,12 wird der ,Zurückgelassene'/Eingesetzte als έπιστάτης 17 und in 2.Makk 13,24; Polybius 3,76,1; 5,54,12; 87,6 als στρατηγός 18 bezeichnet, während ihn Josephus als έπίτροπος (της αρχής bzw. της Αιγύπτου) beschreibt (ant. 15,65; Αρ. 1,98.100). Josepaulinischen Schriften; vgl. Act 19,22 (Erastus); Kol 4,7 f. 9; Eph 6,21 f.; 2. Tim 4,12 (Tychicus); Tit 3,12 kündigt die Entsendung von Artemas oder Tychicus „zu dir", d.h. zum Adressaten und nicht in die Gemeinde an. 14 S.o. Anm.9. 15 Vgl. auch Brox, Verfasserangaben 113; Vielhauer, Geschichte 231: Die Adressaten „bilden die Mittler - in der Fiktion räumlich, in der Wirklichkeit zeitlich - zwischen ihm [Paulus] und der Kirche". 16 Vgl. Bengtson, Strategie 1,19 f. Anm.2: Verwendung des Partizips „für die Bezeichnung eines vom Könige bzw. von dessen Bevollmächtigten eingesetzten Vertreters"; vgl. auch ebd. 39 Anm.7. - Belege: OGIS 773,2 mit den Bemerkungen von Dittenberger (Anm.4); SIG 386,8 f.; 426,46ff.; l . M a k k 3,32f.; 2.Makk 4,29. 31; 5,22f.; 13,23. 24; Josephus, ant. 13,302; 14,297. 484; 15,65; Ap.1,98. 100; Polybius 3,35,4; 4,80,15; 5,54,12; 87,6; 18,17,1; 20,5,12; Plutarch, Demetr.39; Alex. 9,1 u.ö.; vgl. auch P.Hibeh 110,80ff. mit der Korrektur der Rekonstruktion des Textes durch Wilcken nach Dikaiomata S. 99, wonach zu lesen ist: „Dem Hippoteles, τώι παρ' Άντιόχου καταλελιμμενωι έν 'Απόλλωνος πόλι τηι μεγάληι" („hiernach war damals Hippoteles von seinem Vorgesetzten Antiochos in Apollinopolis als sein Stellvertreter zurückgelassen"); weitere Belege bei Bengtson, Strategie 1,19f. Anm.2. 17
Vgl. zu diesem Titel Chr. Habicht: JSHRZ 1/3,227 Anm. 22 a („terminus technicus für den königlichen Funktionär in einer Stadt, der neben den städtischen Behörden steht"). 18 Zu 2.Makk 13,24 vgl. Bengtson, Strategie II, 176 ff.
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phus erwähnt in ant. 14,297 einen Marion, den Crassus als Τυρίων καταλελοίπει τύραννον. - Das Zurücklassen war also gleichzeitig eine Ernennung 19 . Um die zeitlich ausdrücklich begrenzte Zurücklassung von Stellvertretern bei vorübergehender Abwesenheit geht es in l . M a k k 3,32 f.; 2.Makk 4,29; Josephus, ant. 12,295; 15,65.185; Ap. 1,98.100; Plutarch, Alex.9,1. - Wenn es in l . M a k k 3,32f. heißt, Antiochus IV. habe vor seinem Aufbruch nach Persien Lysias έπι των πραγμάτων τοϋ βασιλέως vom Euphrat bis zu den Grenzen Ägyptens zurückgelassen, um seinen Sohn zu erziehen, εως τοϋ έπιστρέψαι αύτόν (vgl. auch Josephus, ant. 12,296), so haben wir in dieser Paraphrase des Auftrags genau jene Elemente, aus denen Stenger die Modifikation des paulinischen Parusietopos in den Pastoralbriefen konstruiert 20 . Und wenn dann in l . M a k k 3,34 fortgefahren wird, „und er (Antiochus) gab ihm (Lysias) Anweisung (ένετείλατο αύτφ) bezüglich aller seiner Wünsche (περί πάντων, ων ήβούλετο) und bezüglich der Bewohner von Judäa und Jerusalem" 21 , kommt dies der in l.Tim und Tit fingierten äußeren Konstellation sehr nahe, auch wenn der Zeitpunkt der Erteilung des Auftrags (hier nach der Abreise, dort vor der Abreise) und dessen Mitteilungsform (hier brieflich, dort wohl mündlich) sich unterscheiden. Diese Differenz läßt sich jedoch dadurch erklären, daß, wenn der Verfasser der Pastoralbriefe Paulus selbst und bleibend zu Wort kommen lassen wollte, ihm dafür nur das schriftliche Medium eines Briefes zur Verfügung stand, was wiederum die zuvor erfolgte räumliche Trennung (Abreise des Apostels) zur Voraussetzung hatte. Insofern das Zurücklassen eines autorisierten Stellvertreters an einem Ort immer zugleich auch dessen Betrauung mit konkreten amtlichen Funktionen beinhaltete, konvergiert dieser Vorgang mit der Delegation neuernannter Amtsträger, die den realen Hintergrund für die oben skizzierten Dienstinstruktionen bildete. - Daß Paulus in l.Tim 1,3 und Tit 1,5 als Zurücklassender und nicht - wie dies aus den authentischen Briefen bekannt ist - als Delegierender dargestellt wird, mag durchaus im Sinne der oben referierten These Stengers auf die nachpaulinische Situation der Pastoralbriefe zurückgehen: Paulus ist fortgegangen und kommt nicht wieder. Das, was bleibt, sind seine brieflichen Instruktionen an die
" Weitere Titel und Funktionen: βασιλεύς (Josephus, ant. 14,484); ήγέμων καί δεσπότης (Polybius 3,35,4); έπιμελητής (ebd. 4,80,15; Arrian, an. 1,17,7; Plutarch, Demetr.39); κύριος ... των πραγμάτων καί τής σφραγϊδος (Plutarch, Alex. 9,1). 20 Vgl. Stenger, Timotheus 262 ff. 21 Wortfeldverbindungen von άπο-/καταλείπα> mit Verben des Anordnens finden sich außer der Parallele in Josephus, ant. 12,296 noch ebd. 333 (προστάττω); 14,438 (παραινέω); 15,65 (έντέλλομαι; έπιστέλλω, 67); Αρ. 1,98. 100 (έντέλλομαι; παραινέω); Polybius 11,18,1 (παρακαλεω). Regelmäßig geht es um die Versehung der dem Zurückgelassenen zugewiesenen Aufgabe.
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zurückgelassenen Stellvertreter für die diesen als Verantwortungsbereich zugewiesenen Gemeinden 22 . c) Die im folgenden zu untersuchenden Texte haben ihren gemeinsamen Bezugspunkt darin, daß es sich bei ihnen um diejenigen apostolischen Weisungen handelt, die entsprechend der oben vorgenommenen differenzierenden Zusammenstellung das für 1. Tim und Tit gegenüber 2. Tim spezifische Verhalten der Adressaten und deren Stellung in der Gemeinde betreffen. Es wird zu zeigen sein, inwiefern sich das dabei gewonnene Bild mit den bisher erzielten Ergebnissen in Einklang bringen läßt. α) Während Paulus Timotheus in 2. Tim 1,6 auffordert, dieser solle das in ihm befindliche Charisma „anfachen" (άναζωπυρεΐν), heißt es in 1. Tim 4,14a: μή άμέλει τοΰ έν σοι χαρίσματος 23 . Der Imperativ μή άμέλει kann nun ohne Mühe als überaus geläufiger und weit verbreiteter Bestandteil griechischsprachiger Briefe aus der Umwelt des Neuen Testaments erwiesen werden, dem die ebenso häufig belegten einfachen, d.h. nicht negierten Imperative μελέτα (vgl. l.Tim 4,15), επιμελές σοι έστω (häufig in P.Tebt 703) u.ä. entsprechen 24 . Die betreffenden Wendungen finden sich in der übergroßen Mehrzahl der Fälle immer nur in amtlichen Briefen von übergeordneten Amtsträgern an ihre Untergebenen bzw. von Auftraggebern an Auftragnehmer in geschäftlichen Brie22 Für eher unwahrscheinlich halte ich den anderen Teil von Stengers These, wonach hier der Parusietopos der echten Paulusbriefe aufgenommen und modifiziert sei. Die angenommene Modifikation ist derart tiefgreifend und die interpretatorischen Anstrengungen, die Stenger dementsprechend bei der Begründung auf sich nehmen muß, sind so groß, daß es sich fragt, ob seine These noch sinnvoll vertreten werden kann. Hinzu kommt, daß der Topos der Parusie nicht nur in den paulinischen Briefen, sondern auch in der außerneutestamentlichen Briefliteratur breit belegt ist (vgl. Koskenniemi, Studien 169ff. 172ff.; Thraede, Grundzüge 52ff.; Berger, Gattungen 1329 Anm.353), aus welchem Grunde sich die entsprechenden Aussagen der Pastoralbriefe im Zusammenhang mit den vorstehenden Ausführungen viel ungezwungener von diesem allgemeinen Traditionshintergrund her erklären lassen. Hingewiesen sei in diesem Kontext noch auf Josephus, ant. 15,65. 185, wo sich die Instruktionen des Abreisenden an den zurückgelassenen Beauftragten ausdrücklich auf das mögliche Ausbleiben der Rückkehr beziehen. 25 Zu den Erklärungsversuchen dieser Differenz in der Literatur s.o. S. 153 Anm.62. 24 Vgl. Steen, Cliches 162ff. (Belege); White, Literature 1755f., Belege ebd. 1737 Anm. 18; s. auch Spicq, Past 1,516; ders., Notes 1,68 Anm.3. - H.v.Lips will den Bedeutungsgehalt von άμελε'ιν durch einen Uberblick seiner „Verwendung im allgemeinen Sprachgebrauch ... verdeutlichen" (Glaube 207 f.; Zitat 207) und geht gerade dadurch am Kern der Sache vorbei. Seine Darstellung ist dadurch beeinträchtigt, daß sie die Wendung kontextunabhängig zu erklären versucht: So berücksichtigt v. Lips u. a. nicht die konkrete sprachliche Gestalt dieser Wendung als eines negierten Imperativs und geht auch nicht auf ihre charakteristische Verwendung und Bedeutung in der antiken Briefliteratur ein (nicht der allgemeine Sprachgebrauch erhellt die Bedeutung eines Begriffs innerhalb eines bestimmten Kontextes, sondern dessen Verwendung in vergleichbaren Text- und Sachzusammenhängen).
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fen, bringen in diesem Kontext also ein deutliches Weisungsgefälle zum Ausdruck. Diese Ausrichtung vor allem legt es nahe, μή άμέλει in l.Tim 4,14 nicht vorschnell mit άναζωπυρεΐν in 2.Tim 1,6 zu harmonisieren, sondern es für sich zu interpretieren25. - Im folgenden soll gezeigt werden, daß die Wendung μή άμέλει τοΰ ... χαρίσματος in l.Tim 4,14 anders als 2.Tim 1,6 vom Sachzusammenhang der Amtsausübung und Auftragserledigung her zu verstehen ist und daß Timotheus dementsprechend hier aufgefordert wird, das Charisma seines Amtes mit dem ihm dadurch übertragenen Auftrag der (Schrift-)Lesung, der Ermahnung und der Lehre bis zur Rückkehr des Paulus (4,13) nicht nachlässig zu behandeln. Inhaltlich beziehen sich die genannten Aufforderungen in den Papyrusbriefen stets auf den dem Adressaten erteilten Einzelauftrag 26 , wobei allerdings sprachliche Differenzierungen möglich und erforderlich sind 27 : Bei folgender Infinitivergänzung (z.B. έπιμελ(ο0 δ]έ έπισκοπ[εΐ]ν, μή άμελήσης ταϋτα ποιήσει, P.S.I. 95,15) oder mit folgendem Imperativ (z.B. μή άμελήσης γράψον μοι, P. Par 18,22) erhält άμελεϊν fast die Bedeutung eines modifizierenden Verbs ohne eigenes semantisches Gewicht und dient der rhetorischen Hervorhebung der jeweils folgenden Verbform, die das, w o z u der Angeredete inhaltlich aufgefordert wird, formuliert. - Das gleiche gilt für die Fälle, in denen μή άμελήση u. ä. zumeist am Ende eines Briefes auf einen oder mehrere Imperative folgt (z.B. „Sei fleißig und erfolgreich: μή άμελήσης", P. O x y 527,6). - Davon zu unterscheiden sind die Texte, in denen von μή άμελεϊν wie in l . T i m 4,14 ein Genitivobjekt abhängig ist (vgl. die entsprechende positive Formulierung in l . T i m 3,5: εκκλησίας θεοΟ έπιμελήσεται). άμελεϊν hat " Auch v. Lips erarbeitet eine Bedeutungsdifferenz zwischen μή άμελεϊν und άναζωπυρεΐν (vgl. Glaube 207 ff. 221), zieht daraus jedoch aufgrund seines systematisierenden und die literarischen Differenzen von l.Tim/Tit und 2.Tim überspringenden Ansatzes (vgl. vorstehende Anm.) nicht die notwendigen Konsequenzen, sondern deckt sie unter Hinweis auf singuläre und kontextunabhängige Wortfeldkonvergenzen wieder zu (vgl. ebd. 221 mit Anm. 176). Der Nachweis, daß die Pastoralbriefe Charisma „als Vollmacht und pneumatische Befähigung des Amtsträgers" verstehen (ebd. 218; vgl. auch 221), gelingt ihm in bezug auf l.Tim 4,14 gerade nicht (vgl. seine eigene einschränkende Bemerkung ebd. 221). Seine These, die „sinngemäß ... der heute großenteils vertretenen Auffassung (entspricht)" (ebd. 221 Anm. 177), wird vielmehr allein auf der Basis von 2.Tim l,6f. gewonnen („für den Vf der Past ergaben sich die Begriffe δύναμις und πνεύμα als Assoziationen zu χάρισμα"; ebd. 218), und 2.Tim 1,6 (άναζωπυρεΐν) dominiert seine Interpretation von l.Tim 4,14 (ebd. 221). 24 Dies erklärt auch die grammatische Differenz zwischen den Formulierungen von l.Tim 4,14 (Imperativ Präsens) und der Papyrusbriefe (Konjunktiv Aorist: μή άμελήσης). Bei letzteren geht es immer um ein Handeln im Einzelfall, was zunächst den Aorist erklärt; dieser kann aber im Griechischen nur durch den Konjunktiv negiert werden (vgl. Blaß/Debrunner/Rehkopf, Grammatik § 4277; vgl. auch ebd. 335 sowie Steen, Cliches 165); s. daneben P.Tebt 703,183 (έπιμελ{ου δ]έ έπισκοπ[εΐ]ν); BGU 624,7 (μή άμέλει τοΟ γεωργοΟ) als grundsätzliche Aufforderungen. Beide Formulierungen sind also bedeutungsidentisch. 27 Vgl. Steen, Cliches 162.
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hier den Charakter eines Vollverbs, und μή άμελήσης stellt anders als in den vorgenannten Texten selbst den Inhalt der Aufforderung dar, hat also eigenständiges semantisches Gewicht. Als Objekte von άμελεϊν - für diejenigen von έπιμελεΐσθαι und die Attribute von επιμέλεια gilt Entsprechendes - kommen sowohl Konkreta 28 , d. h. Gegenstände oder Menschen, die der Verantwortung und Fürsorge der betreffenden Person anvertraut sind, wie auch - wiederum wie in l.Tim 4,14 - Abstrakta in Frage. Und genau an diesem Punkt beginnt der Sprachgebrauch von (μή) άμελεϊν etc. für das Verständnis von l.Tim 4,14 relevant zu werden: Es ist nämlich zunächst in den Papyrusbriefen der dem Adressaten erteilte Auftrag, seine Aufgabe als solche, die es gilt, nicht zu vernachlässigen; μή άμελήσης τών έργων lautet hier die häufig verwendete entsprechende Formulierung 29 , aber auch - in umgekehrter Richtung - : ούκ ήμέλησά σου τοΟ έντολίου (P.Hamb 192,5f.). In den amtlichen Briefen übergeordneter an untergeordnete Amtsträger ist es entsprechend die mit der Amtseinsetzung verbundene Aufgabe, die zum Gegenstand der έπιμέλεια wird und in bezug auf die es kein άμελεϊν geben darf 30 . Dieser spezifische Bezug unseres Begriffsfeldes auf die Versehung eines anvertrauten Amtes findet seinen Ausdruck auch und noch deutlicher in einigen literarischen Texten, wie ζ. B. Isocrates, Nicocl. 32 (der König über sich selbst: καλώς έπεμελήθην τών πραγμάτων; vgl. Josephus, ant. 1,83; Philo, spec.leg. 4,156; virt.56); Plutarch, mor.811b (Epaminondas άποδειχθείς τελέαρχος ... ούκ ήμέλησεν); Dio Chrysostomus, or. 3,134 (Nero als Musterbeispiel des schlechten Herrschers spielte lieber Theater, άμελήσας δέ τής αύτοΰ βασιλείας); Josephus, ant. 2,61 (Josephs έπιμέλεια und πίστις in den Aufgaben, zu denen der Kerkermeister ihn bestimmte [έν οΐς τάξειεν αύτόν]) zeigen; Plutarch bezeichnet in mor. 811 e den Antritt eines politischen Amtes als άρχή τής έπιμελείας 31 .
Noch einen Schritt weiter führt in diesem Zusammenhang der oben bereits kurz besprochene Text Ignatius, Polyk 1,232. Wie in l.Tim 4,12 ff. folgt hier auf eine den Adressaten selbst (προσθεΐναι τφ δρόμφ 28 Vgl. z.B. BGU 624,7 (τοϋ γεωργοϋ); 12 (toO κοπρίου); SGUÄ 7244,40f. (τών δραχμών); P.Meyer 21,18 (της οικίας); Ep.Pythag. 6,51 (τοϋ οίκου); Josephus, ant. 1,38 (τών φυτών); von Priestern: ebd. 4,67 (τοδ ίερέου) und 2. Makk 4,14 (τών θυσίων); Philo, Jos. 248 (Joseph übernahm als Stellvertreter des Königs die έπιμέλεια ganz Ägyptens; ebenso Josephus, ant. 2,168). " Vgl. P.land 9,16; P.Oxy 1218,3; P.S.I. 236,35; P.Tebt 417,31; s. auch Philo, plant. 26. Besonders deutlich wird die Bedeutungsdifferenz gegenüber den konkreten Objekten (s. vorstehende Anm.) in SIFC 9,335,22: περί τών έργων τοΟ άμπελώνος ώς ένετειλάμην ύμεϊν, μή άμελήσητε; O.Oxy 1480,5 f.: ούκ ήμελησα περί οδ μοι έπιτέταχας; absoluter Gebrauch: P.Köln 162,13; P.Oxy 1158,9; 1490,8. 30 Vgl. weiter: P.Oxy 237,VI,40f.: τφ στρατηγώ περί τούτου ύπέθετο. ό δέ (der Strategos) ούκ ήμέλη[σε]ν ...; 291,10 (absolut). 31 Vgl. auch Josephus, bell. 1,308; Inschr. v. Ephesos 18 a, 6 ff. (Edikt des Prokonsuls an Ephesus und die Asia): „Die an der Spitze der Provinzen stehenden Behörden müssen [mit aller] Festigkeit und Zuverlässigkeit έπιμελέσθα[ι τής έγκεχει]ρισμένης αύτοΐς
άρχής." " S.o. S. 157ff.
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σου - τύπος γίνου ...) und eine dessen Funktion als Gemeindeleiter (πάντας παρακαλεϊν - l.Tim 4,13) betreffende Aufforderung eine mit l.Tim 4,14 nicht nur terminologisch vergleichbare Ermahnung: „Werde deiner Stellung εν πάση έπιμελείςι σαρκική τε και πνευματική gerecht." Beide Texte finden auf dem Hintergrund des oben dargestellten spezifischen Sprachgebrauchs von άμελεΐν etc. ihre gemeinsame Intention darin, daß die Adressaten hier wie dort zur Wahrnehmung und gewissenhaften Versehung der sich aus ihrer amtlichen Stellung ergebenden Aufgabe angehalten werden. Als Ertrag läßt sich festhalten: Die Aufforderung μή αμελεί in l.Tim 4,14 findet ihre Entsprechung innerhalb der Umwelt des Neuen Testaments vor allem in Briefen an untergeordnete Amtsträger oder mit der Versehung bestimmter Aufträge betraute Personen, für die die oben herausgearbeitete Kommunikationsstruktur charakteristisch ist, paßt sich also in dieser Hinsicht fugenlos in den literarischen Charakter des l.Tim ein. Es ließ sich zeigen, daß άμελεΐν und seine Stammverwandten darüber hinaus in zahlreichen Texten einen spezifischen Bezug zur Übernahme und Ausübung eines Amtes aufweisen und sich gerade in diesem Zusammenhang auf den mit der Amtseinsetzung gestellten Amtsauftrag beziehen. In l.Tim 1,14 kommt das Charisma, zu dessen έπιμελεια Timotheus aufgefordert wird, dann nicht als pneumatische Qualifikation in den Blick, sondern ist sein Amt als solches und der damit verbundene Auftrag 33 , die Timotheus durch die Ordination erhalten hat. Von daher ergibt sich für das Verständnis von l.Tim 4,14 im literarischen Rahmen des l.Tim ein relativ geschlossenes Bild: Der pastorale Paulus weist den von ihm in der ephesinischen Gemeinde als Stellvertreter zurückgelassenen und durch die Ordination autorisierten Timotheus an, den dadurch erhaltenen Amtsauftrag mit allem Engagement zu versehen. Sichtbar wird hierin wieder die oben herausgearbeitete Konstellation der brieflichen Kommunikation: Timotheus ist als dem Apostel untergeordneter Amtsträger in dem ihm übertragenen Verantwortungsbereich weisungsbefugt. Und diese Weisungsbefugnis wahrzunehmen, d.h. vor allem die ihm von Paulus für die Gemeinde übermittelten apostolischen Weisungen an diese autoritativ weiterzugeben, wird Timotheus hier nachdrücklich ermahnt. - In Tit fehlt eine vergleichbare Aufforderung, wie in diesem Brief überhaupt anders als
33 Mit Scott, Past 52; Roloff, Apostolat 260 f.; ders.: TRE 2,525,30 ff.; Maehlum, Vollmacht 79.85; Hasler, Past 38 („institutionell vermittelte Aufgabe an den ... Amtsträger"); s. auch v. Lips, Glaube 221 („die Verbindung mit άμελεΐν [ermöglicht] solches Verständnis"), der dies freilich von 2.Tim 1,6 her sofort wieder korrigiert (s. dazu o. S. 186 Anm.25).
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in l.Tim (1,18; 4,14 und vielleicht auch 6,11 ff.34) kein Hinweis auf eine Ordination des Adressaten zu finden ist. Titus soll offenbar als ,Laie' dargestellt werden. Angesichts der ansonsten auffällig parallelen Gestaltung von 1. Tim und Tit kann man diese Differenz als durchaus bewußt vorgenommen ansehen. Uber einen Grund wird sich aber wohl nur spekulieren lassen. ß) Daß das Wirken der Adressaten in der jeweiligen Gemeinde als dem ihnen zugewiesenen Verantwortungsbereich anders als in 2. Tim für die in l.Tim und Tit vorausgesetzte Konstellation entscheidend maßgeblich ist, zeigen weiterhin auch die an die Gemeinde gerichteten Anweisungen (Imperativ, 3. Pers.), die Autorität der von Paulus eingesetzten Stellvertreter nicht zu mißachten ( l . T i m 4,12\ Tit 2,15b). Hierin wird erneut die für die Kommunikationsstruktur von 1. Tim und Tit spezifische Zwischenstellung der Adressaten deutlich. Vergleichbare Anweisungen finden sich dementsprechend in Briefen, die die Entsendung und Ernennung von amtlichen Stellvertretern und Beauftragten zum Gegenstand haben (in amtlichen Empfehlungsbriefen) 35 , in welchem Bezug wieder die Nähe von l.Tim und Tit zu den Instruktionen an neuernannte Amtsträger zum Ausdruck kommt 36 . Beide Stellen folgen auf eine der nur in l.Tim und Tit begegnenden 37 zusammenfassenden Aufforderungen an Timotheus (παράγγελλε ταϋτα και δίδασκε; l.Tim 4,11) und an Titus (ταϋτα λάλει και παρακαλεί και ελεγχε μετά πάσης έπιταγης; Tit 2,15 a), die apostolischen Weisungen an die Gemeinde weiterzugeben. In Tit 2,15 dürfte die Mahnung an die Gemeinde, Titus nicht zu mißachten, durch das unmittelbar voraufgehende μετά πάσης έπιταγης veranlaßt sein: Die gesamte Autorität, die Titus bei der Wahrnehmung seiner ihm von Paulus übertragenen Aufgabe einsetzen soll, korreliert mit der Aufforderung an die Gemeinde, diese zu akzeptieren. - 1. Tim 4,12 trägt eine andere Nuance in die entsprechende Anweisung ein: Es ist hier die Jugend des Timotheus (vgl. noch l.Tim 5,1 f.; 2.Tim 2,22), die bzw. derentwegen dessen Autorität zu mißachten Paulus der Gemeinde verbietet. Während sich biographische Spekulationen über das Alter des Timotheus 38 aufgrund der pseudepigraphischen Abfassung der Pastoralbriefe verbieten, wird diese „spezielle Variante der allge34 Käsemanns Interpretation von l.Tim 6,11 ff. als Ordinationsparänese (Formular) wird durch v. Lips in Frage gestellt (Glaube 177ff.; vgl. auch u. S.234). 35 Vergleichbar ist innerhalb der authentischen Briefe l.Kor 16,10f. 34 Vgl. z.B. Diodorus Siculus 17,23,5f.: Darius vertraute dem Memnon die τών δλων ήγεμονία an und schickte Briefe ... προστάττων &παντας ύπακούειν τφ Μέμνονι; OGIS 244,40 (vgl. dazu Wilhelm, Königsbriefe 25 ff.). 37 S.o. S. 146. 38 Vgl. z.B. Spicq, Past 1,54f.511 f.
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1. Timotheus- und Titusbrief
meinen Warnung vor Geringschätzung des Amts" 39 von l.Tim 4,12 gegenüber Tit 2,15 heute zumeist mit dem Hinweis auf eine zur Zeit der Abfassung der Pastoralbriefe aktuelle „Autoritätskrise junger Amtsträger" erklärt, die möglicherweise auch Ignatius, Magn 3,1 reflektiert 40 . Offen bliebe dabei jedoch, warum nicht auch in Tit 2,15 dieser Krise entgegengesteuert wird 41 . Darüber hinaus zielen l.Tim 5,1 f. und auch 2.Tim 2,22 in eine andere Richtung: In diesen an Timotheus gerichteten paränetischen Weisungen wird anders als in l.Tim 4,12 nicht die Autorität des Adressaten trotz seiner Jugend hervorgehoben, sondern durch den Hinweis auf dessen Jugend gerade relativiert: Nicht (aggressiv) „schelten" (έπιπλήσσειν), sondern (freundlich) „ermahnen" (παρακαλεΐν) soll er die verschiedenen Altersgruppen in der Gemeinde (l.Tim 5,1 f.), und nach 2.Tim 2,22, wenn man diesen Text trotz seines unterschiedlichen Zusammenhangs auch heranziehen will, stellt seine Jugend immer noch eine gewisse Gefahr für seine Lebensführung dar. Von daher erscheint es mehr als fraglich, daß der Verfasser der Pastoralbriefe die Jugend der Adressaten „als literarisches Mittel" einsetzt, „dem typisierende und paradigmatische Bedeutung zukommt", noch dazu im Blick auf „eine typische Autoritätskrise gerade bei jungen Amtsträgern" 42 . Da in Tit ein entsprechender Hinweis fehlt, könnte es zunächst möglich sein, daß hier eine Timotheus-Personaltradition nachwirkt: Timotheus wäre demnach in den paulinischen Gemeinden als auffallend junger Paulusmitarbeiter in Erinnerung geblieben. Auf ein solches Timotheusbild gibt es aber in der Apostelgeschichte und im Corpus Paulinum nicht einen einzigen Hinweis 43 . Vor diesem Hintergrund und weil l.Tim 5,1 f. (und 2.Tim 2,22) aus den genannten Gründen in eine andere Richtung zielen, ließe sich für l.Tim 4,12 eine andere Interpretation erwägen, die auch die Differenz gegenüber Tit 2,15 plausibel machen könnte: Dem pastoralen Paulus kam es darauf an, die Gemeinde zur Respektierung der Autorität seiner von ihm beauftragten Vertreter anzuhalten. Dahinter verbirgt sich in der nachpaulinischen Situation der Pastoralbriefe und auf dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit den mit der paulinischen Tradition konkurrierenden Gegnern die Aufforderung, die Autorität der Repräsentanten der paulini39
Brox, Pseudo-Paulus 184. Vgl. Brox, Notizen 289; ders., Past 178 f. 296; ders., Pseudo-Paulus 183 f. 41 Ein Hinweis auf ein (jugendliches) Alter des Titus findet sich in Tit nicht. Tit 2,6 f. kann für die positive Behauptung der Jugendlichkeit des Adressaten nicht in Anspruch genommen werden (gegen Brox, Notizen 288 f.; ders., Past 295 mit älterer Literatur: wenn Titus die Jugend durch sein Vorbild ermähnen solle, müsse er selbst jung sein); eher das Gegenteil ist der Fall (s. dazu u. S. 192 f.). 42 Brox, Notizen 289. 43 Auch l . K o r 16,10f. liefert für ein solches Timotheusbild keinen Anhaltspunkt (gegen Hanson, Past 1982,12, der gar eine literarische Abhängigkeit für möglich hält). 40
Weitere Aspekte
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sehen Tradition zu respektieren. In diesem Zusammenhang hat die Anweisung von Tit 2,15 b im Anschluß an V. 15 a (Titus soll μετά πάσης επιταγής auftreten) eine sinnvolle Position. Titus bezieht seine eigene Autorität allein von der Beauftragung durch den pastoralen Paulus her. Anders Timotheus: Er wird in 1. Tim deutlich nicht nur als von Paulus autorisiert dargestellt, sondern auch als durch das kollegiale Leitungsorgan der Gemeinde ordinierter Amtsträger ( l . T i m 1,18; 4,14), wodurch ihm auch in der Gemeinde zwangsläufig fraglose Autorität zukommt, vor allem wenn seine Ordination einer vorgängigen Erwählung durch den Geist entsprochen hat. Aus diesem Grunde ist eine Anweisung wie Tit 2,15 b in bezug auf Timotheus nur dann sinnvoll, wenn es einen die durch die Ordination hergestellte Autorität relativierenden Faktor gibt; und als solcher fungiert in l . T i m 4,12 der Hinweis auf die Jugend des Timotheus. Dieser Hinweis läßt sich also am ehesten immanent, d.h. von dem unterschiedlichen Bild her, das l . T i m von Timotheus also ordiniertem und Tit von Titus als nichtordiniertem Adressaten zeichnen, verstehen. γ) Das Bild wird vervollständigt durch die doppelte Aufforderung zur Vorbildlichkeit in 1. Tim 4,12 (τύπος γίνου των πιστών έν λόγφ, έν άναστροφή, έν αγάπη) und Tit 2,6f. (παρακάλει... σεαυτόν παρεχόμενος τύπον κάλων έργων). Da τύπος jeweils mit Genitiv und nicht mit Dativ konstruiert ist44, handelt es sich hier zunächst nicht um Aufforderungen zur .transitiven' Vorbildlichkeit (für Dritte), sondern zur ,intransitiven' .We