Die organisierte Versammlung: Kontinuität zwischen Repression und Schutz [1 ed.] 9783428549375, 9783428149377

Versammlungsgeschehen und Versammlungsrecht haben sich zu jeder Zeit wechselseitig beeinflusst und gemeinsam verschieden

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German Pages 313 Year 2017

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Die organisierte Versammlung: Kontinuität zwischen Repression und Schutz [1 ed.]
 9783428549375, 9783428149377

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1355

Die organisierte Versammlung Kontinuität zwischen Repression und Schutz

Von

Christoph Ebeling

Duncker & Humblot · Berlin

CHRISTOPH EBELING

Die organisierte Versammlung

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1355

Die organisierte Versammlung Kontinuität zwischen Repression und Schutz

Von

Christoph Ebeling

Duncker & Humblot · Berlin

Die Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld hat diese Arbeit im Jahr 2015 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Textforma(r)t Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-14937-7 (Print) ISBN 978-3-428-54937-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-84937-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Papa Lk 2,29

Vorwort So wie sich das Versammlungsgeschehen stets – und teils im Wortsinn – in Be­ wegung befand, so entwickelt es sich bis heute durch das Handeln der Beteiligten fort. Neue Handlungsformen werden erprobt, neue Techniken nutzbar gemacht, die Frage, was „Versammlung“ sei, unter gewandelten Umständen neu gestellt. Versammlungsgeschehen und Versammlungsrecht haben sich dabei zu jeder Zeit wechselseitig beeinflusst und gemeinsam verschiedene Phasen und Erschei­ nungsformen durchlaufen, dabei jedoch eine beeindruckende Kontinuität bewahrt, die sich wesentlich in der Idee der organisierten Versammlung zeigt. Ich hoffe, die Freude an dieser Entdeckungsreise durch die Geschichte des Versammlungsrechts ist an manchen Stellen lesbar geworden. Diese Arbeit entstand begleitend zu meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Staatslehre und Verfassungs­ geschichte an der Universität Bielefeld. Dort lag sie im Frühling 2015 als Disser­ tation vor. Spätere Entwicklungen, namentlich das zwischenzeitlich erlassene Landesversammlungsgesetz Schleswig-Holsteins, konnten teilweise noch berück­ sichtigt werden. Mein Dank gilt Prof. Dr. Christoph Gusy, der mich seit meiner Zeit als studen­ tische Hilfskraft an seinem Lehrstuhl stets gefördert hat und mir den Freiraum ließ, das geschichtliche Interesse mit dem Versammlungsrecht in dieser Arbeit zu ver­ binden. Ich danke zudem Prof. Dr. Kathrin Groh, die mir den Weg zum Lehrstuhl eröffnet hat. Herrn Prof. Dr. Johannes Hellermann danke ich für die wichtigen Hinweise im Zweitgutachten. Aufgrund der Vorschläge der Gutachter habe ich die Arbeit für diese Veröffentlichung in Teilen neu gegliedert und erweitert. Die Kontinuität meiner Arbeit am Lehrstuhl Christoph Gusys war Anett Röder, ihr sei an Stelle der vielen dort gewonnenen Freunde herzlich gedankt. Ein besonde­ rer Dank gilt zudem Kriemhild Ottensmeier, für die große Hilfe bei allen Aufgaben. Dass diese Arbeit trotz der Beschädigung der Manuskriptdatei gedruckt werden konnte, verdanke ich meinem Bruder Matthias sowie den Mitarbeitern des Verlages. Meinen Eltern, Brigitte und Bernd Ebeling, danke ich dafür, für alles Gute den Weg bereitet zu haben. Dem Andenken meines Vaters ist diese Arbeit gewidmet. Der größte Dank gebührt Franziska, deren Rückhalt diese Arbeit erst möglich gemacht hat. Bielefeld, im Juli 2016

Christoph Ebeling

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1

Die Organisationsidee

15

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 B. Ausgangspunkt: Die Idee der organisierten Versammlung im VersG . . . . . . . . . . . . . 16 I. II.

Die Regelungssystematik des VersG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 An die Organisationsidee anknüpfende Normen im VersG . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1. Versammlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2. Einladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 3. Störungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 4. Verbots- und Auflösungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 5. Pflicht des Veranstalters zur Bestellung eines Leiters . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 6. Rechte und Pflichten des Leiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 7. Straf- und Ordnungswidrigkeitsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

C. Forschungsfragen: Die Idee der organisierten Versammlung im Versammlungsrecht 25 I.

Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

II.

Bedeutung der Organisationsidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

III. Zukunft der Organisationsidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

Kapitel 2

Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

27

A. Vom Mittelalter zur Französischen Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 I.

Der Augsburger Reichsabschied von 1555 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

II.

Das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

III. Die preußische Tumultverordnung von 1798 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 IV. Versammlungsorganisation in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 V.

Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

8

Inhaltsverzeichnis

B. Restauration und Vormärz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 I.

Ausgangsbedingungen der Normsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

II.

Die „Zehn Artikel“ von 1832 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

III. Die preußische Tumultverordnung von 1835 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 IV. Versammlungsorganisation in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 V.

Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

C. Märzrevolution und Reaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 I.

Die Entwicklung in Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1. Ausgangsbedingungen der Normsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. Die Beratungen der preußischen II. Kammer zur VO 1849 . . . . . . . . . . . . . 63 3. Die preußische Verordnung von 1849 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4. Die Beratungen der preußischen Kammern zur Verfassungsrevision . . . . . . 74 5. Die Beratungen der preußischen Kammern zur VO 1850 . . . . . . . . . . . . . . 78 6. Die preußische Verordnung von 1850 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 7. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

II.

Der Entwurf eines Vereinsgesetzes der Erfurter Union von 1850 . . . . . . . . . . . 88

III. Das Bundesvereinsgesetz von 1854 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 IV. Folgen für die weitere Entwicklung des Versammlungsrechts . . . . . . . . . . . . . . 92 1. Verein und Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2. Politisierung der Versammlungsfreiheit und der Versammlungsgesetze . . . . 93 3. Entmilitarisierung und Entkriminalisierung des Versammlungsrechts . . . . . 97 V.

Versammlungsorganisation in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . 100

VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 D. Über die Reichsgründung zum RVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I.

Ausgangsbedingungen der Normsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

II.

Die Landesversammlungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

III. Das RVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 IV. Die Entstehung des RVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Das Sozialistengesetz 1878 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 2. Vom Rickert’schen Entwurf von 1896 zum Entwurf der XIII. Kommission 118 3. Vom Regierungsentwurf 1907 zum Entwurf der XIV. Kommission . . . . . . 120 4. Die Beratungen des Reichstags zum RVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 5. Entstehung und Inhalt des RVG in Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . 126 V.

Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

Inhaltsverzeichnis

9

E. Zwischen Revolution und Notverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 I.

Versammlungsrecht zwischen Krieg und Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

II.

Der Aufruf des Rates der Volksbeauftragten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

III. Die Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 IV. Versammlungen als Kampfmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Das Republikschutzgesetz von 1922 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Polizeilicher Versammlungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3. Strafrechtlicher Versammlungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 V.

Die Praxis der Notverordnungen und die Auflösung der Republik . . . . . . . . . . 148 1. Die Notverordnungen der Präsidialkabinette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2. Das Ende der Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 F. „Verwaltungsrecht besteht“? – Das Versammlungsgesetz 1953 . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I.

Versammlungsrechtliche Regelungen der Befreier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

II.

Erste versammlungsrechtliche Regelungen der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

III. Das VersG von 1953 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 IV. Die Entstehung des VersG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. Beratungen zum GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 2. Beratungen zum VersG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Vom ersten Entwurf des BMI zum Regierungsentwurf . . . . . . . . . . . . . . 165 b) Der Regierungsentwurf und seine Behandlung im Bundestag . . . . . . . . 168 aa) Der Regierungsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 bb) Die Beratungen im Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 V.

Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

G. Spontan, kooperativ, groß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 I.

Ohne Anmeldung oder Erlaubnis, aber mit Anzeige?! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

II.

Kooperation zwischen Pflicht und Obliegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

III. Keine, viele, einer? Großversammlungen und die Veranstalterfrage . . . . . . . . . 198 IV. Störungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 V.

Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

H. Musterentwürfe und Landesgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 I.

Die Musterentwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1. Entwurf der Bund-Länder-Arbeitsgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

10

Inhaltsverzeichnis 2. Entwurf der GdP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. Entwurf des Arbeitskreises Versammlungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 II.

Die Landesversammlungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 1. Bayerisches Versammlungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Landesversammlungsgesetz Sachsen-Anhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 3. Sächsisches Versammlungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 4. Niedersächsisches Versammlungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 5. Versammlungsfreiheitsgesetz für das Land Schleswig-Holstein . . . . . . . . . 229

III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230

Kapitel 3

Bedeutung der Organisationsidee

231

A. Grundgesetzlicher Versammlungsbegriff und Organisationsidee . . . . . . . . . . . . . . . . 231 I.

Versammlungskonzepte und Versammlungsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1. Der verfassungsrechtliche Versammlungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 a) Liberale Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 b) Demokratisch-funktionalisierende Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2. Der Versammlungsbegriff des VersG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 3. Die Versammlungsbegriffe der Landesgesetze und Musterentwürfe . . . . . . 244

II.

Organisation als Begriffsnotwendigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 1. Rechtshistorische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 2. Rechtsvergleichende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 3. Auslegung der Versammlungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 4. Auslegung des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 5. Organisation als Abgrenzung zur Ansammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

III. Organisationsgrundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 B. Organisationsidee und Ordnungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 I.

Wandel und Bedeutung der Ordnungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 1. Wandel der Zentralgestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 2. Von Verhinderung zu Ermöglichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 3. Aspekte der Bedeutung des Vorhandenseins einer Zentralgestalt . . . . . . . . . 257 a) Schutz der Vorbereitungsphase einer Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . 257 b) Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 c) Versammlungsleiter als Ansprechpartner für die Teilnehmer . . . . . . . . . 259 d) Grundrechtsausgleich innerhalb der Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

Inhaltsverzeichnis

11

e) Minderheitenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 f) Ausgleich mit Interessen Dritter und der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . 263 g) Gefahrenprognose und Unfriedlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 II.

Rechtfertigung der Ordnungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

Kapitel 4

Zukunft der Organisationsidee

270

A. Neuere Handlungs- und Versammlungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 I. II.

Flash- und Smartmob . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Critical Mass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 1. Critical Mass und StVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Critical Mass als Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276

III. Schwärme und kollektives Individualverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 B. Mobile Massenkommunikation und Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 I.

Organisation in der Vorbereitungsphase von Versammlungen . . . . . . . . . . . . . . 284

II.

Organisation in der Durchführungsphase von Versammlungen . . . . . . . . . . . . . 285 1. Behörde und Teilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 2. Teilnehmerkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 3. Zentralgestalt und Teilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290

Kapitel 5 Ergebnis

292

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Personen- und Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307

Abkürzungsverzeichnis BLE

Musterentwurf eines Versammlungsgesetzes der Bund-Länder-Arbeits­ gruppe BT-Drs. Drucksachen des Bundestages Drs. Drucksache ErfE Entwurf eines Versammlungsgesetzes der Erfurter Union FRV Frankfurter Reichsverfassung (Paulskirchenverfassung) GdPE Musterentwurf der Gewerkschaft der Polizei IPbpR Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Kap. Kapitel Berliner Kammergericht KG KommE Kommissionsentwurf LP Legislaturperiode LSAVersG Landesversammlungsgesetz Sachsen-Anhalt LT-Drs. Drucksachen des Landtages MRegVO Verordnung der Militärregierung Niedersächsisches Versammlungsgesetz NdsVersG NVO Notverordnung OktrVerf Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 05.12.1848 (Oktro­yierte Verfassung ) POA Public Order Act 1986 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten PrALR PrGS Gesetzsammlung für die Königlich-Preußischen Staaten PrMBl. Ministerialblatt für die preußische innere Verwaltung PrOVG Preußisches Oberverwaltungsgericht PrOVGE Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts Preußisches Verwaltungsblatt PrVBl. RegE Regierungsentwurf RepSchutzG Gesetz zum Schutz der Republik Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31.  Januar 1850 RevVerf (Revidierte Verfassung) RG Reichsgericht RGBl. Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen RGSt RStGB Reichstrafgesetzbuch RT-Drs. Drucksachen des Reichstages RVG Reichsvereinsgesetz SächsVersG Sächsisches Versammlungsgesetz SHVersFG Schleswig-Holsteinisches Versammlungsgesetz SozialistenG Sozialistengesetz StGB Strafgesetzbuch VersG Versammlungsgesetz des Bundes

Abkürzungsverzeichnis

13

Entwurf eines VersG in der Fassung des Ausschusses zum Schutze der Verfassung Regierungsentwurf eines Gesetzes über öffentliche Versammlungen und VersGE Aufzüge von 1950 VO Verordnung VO 1849 Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ord­ nung gefährdenden Missbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungs­ rechts von 1849 Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ord­ VO 1850 nung gefährdenden Missbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungs­ rechts von 1850 Weimarer Reichsverfassung WRV Zweiter Bundesbeschluß über Maßregeln zur Aufrechterhaltung der ge­ Zehn Artikel setzlichen Ordnung und Ruhe im Deutschen Bunde von 1832 VersGAE

Hinsichtlich der übrigen Abkürzungen wird verwiesen auf Kirchner, Hildebert, Abkürzungs­ verzeichnis der Rechtssprache, 8. Aufl., 2015.

Kapitel 1

Die Organisationsidee A. Einleitung Dem Versammlungsgesetz liegt die Idee der organisierten Versammlung zu­ grunde. Dieser Satz findet sich in gleicher oder zumindest ähnlicher Formulierung in einer Vielzahl versammlungsrechtlicher Veröffentlichungen.1 Ob freilich auch der Satz „Dem Versammlungsrecht liegt die Idee der organisierten Versammlung zugrunde.“ – sei es auch nur bezogen auf Deutschland – derart breite Zustimmung finden würde, scheint dagegen fraglich. Die unterschiedliche Beurteilung bedarf zunächst einer begrifflichen Einordnung. Die Idee der organisierten Versammlung (kurz: Organisationsidee)  meint die Vorstellung, dass eine Versammlung sich aus einer Zentralinstanz2, dem Ver­ anstalter bzw. Leiter, und Teilnehmern zusammensetzt, wobei dem Veranstalter im Wesentlichen die Aufgabe der Initiation und Vorbereitung, dem Leiter die der Durchführung der Versammlung zukommt und beide Rollen in einer Person zu­ sammenfallen können. Die Teilnehmer sind nach dieser Vorstellung eine notwen­ dige Begleiterscheinung der Durchführungsphase der Versammlung.

1 Vgl. bei teils unterschiedlicher Wertung nur Füßlein, Versammlungsgesetz, 1954, S. 11: der „den Entwurf beherrschende Gedanke“; Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 65: „Regelfall“; Hoffmann-Riem, in: Denninger u. a., AK-GG, 2001, Art. 8 Rn. 7: traditionelle „Vorstellung ‚formierter‘ Versammlungen“ unter Verweis auf F ­ rankenberg, KJ 1981, 269 (281 f.); Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 2011, Art. 8 Rn.  15; Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2009, § 164 Rn.  34: „Grundmodell“; Kniesel/Poscher, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 2012, Kap.  K Rn.  209; Schwäble, Das Grundrecht der Ver­ sammlungsfreiheit, 1975, S.  105: dieser „Versammlungstypus“ liege der „Gestaltung des Versammlungsgesetzes“ zugrunde; Zeitler, Versammlungsrecht, 1994, Rn. 324: „Modell der geordneten Versammlung“. Vgl. a. Ehrentraut, Versammlungsfreiheit, 1990, S.  202: „ver­ meintlich obrigkeitsstaatlich-hierarchische Struktur des Versammlungsbildes des Versamm­ lungsgesetzes“. 2 Den Begriff „Zentralinstanz“ verwendet bereits Schwäble, Das Grundrecht der Versamm­ lungsfreiheit, 1975, S. 105.

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Kap. 1: Die Organisationsidee

Mit dem Begriff Versammlungsgesetz wird hier das auch nach der Föderalis­ musreform 20063 gem. Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG als Bundesrecht fortgeltende Ver­ sammlungsgesetz des Bundes (VersG)4 bezeichnet.5 Versammlungsrecht hingegen wird hier als Begriff verwandt, wenn auf alle Nor­ men abgestellt wird, die sich mit Versammlungen befassen, besonders aber nicht nur solche des deutschen Versammlungsrechts.6 Zunächst soll nun untersucht werden, welche Normen des VersG geeignet sind, den Eingangssatz zu belegen.

B. Ausgangspunkt: Die Idee der organisierten Versammlung im VersG I. Die Regelungssystematik des VersG Das VersG folgt trotz einer Neufassung7 weiterhin einer etwas unglücklichen Einteilung. Wie auch Art. 8 GG trennt das VersG nach Versammlungen in ge­ schlossenen Räumen und unter freiem Himmel. Diese Begrifflichkeiten sind zahl­ reich beschrieben, definiert und kritisiert worden. Ohne die Diskussion daher­ erneut aufgreifen zu müssen, sei hier nur die Erläuterung Froweins8 angeführt: „Die Versammlung unter freiem Himmel wird ja nicht deswegen von der im geschlossenen Raum unterschieden, weil die Gefahr des Naßwerdens durch Regen für die Teilnehmer be­ steht, sondern weil die Kommunikation mit der Außenwelt die Versammlung unter freiem Himmel besonders störungsanfällig und gefährlich macht.“

Entscheidend für die Abgrenzung ist folglich die Abgeschlossenheit der Kom­ munikation – auch im Sinne von Einwirkungsmöglichkeiten – zur Seite, nicht aber nach oben.9 3 Föderalismusreformgesetz I vom 28.08.2006, BGBl. I, S. 2034, durch welches die Ge­ setzgebungskompetenz des Bundes für das Versammlungsrecht, Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG a. F., entfallen ist, wodurch diese, entsprechend dem Regelfall des Art. 70 Abs. 1 GG, nunmehr den Ländern zukommt. 4 Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) in der Fassung der Be­ kanntmachung vom 15.11.1978 (BGBl. I, S. 1789), zuletzt geändert durch Art. 2 Gesetz zur Zusammenführung der Regelungen über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes vom 08.12.2008 (BGBl. I, S. 2366). 5 Zu den bereits erlassenen bzw. in Vorbereitung befindlichen Versammlungsgesetzen der Länder sowie den Musterentwürfen für ein (einheitliches) Versammlungsgesetz s. Kap. 2 H. 6 Zur EMRK sowie zu den Regelungen verschiedener europäischer Länder s. Kap. 3 A. II. 2. 7 BGBl. I, S. 1789 aus 1978. 8 Frowein, NJW 1969, 1081 (1083). Mit gleicher Wertung aber anderer Definition BVerfGE 128, 226 (255 f.), s. dazu Kap. 3 B. I. 3. f). 9 Entsprechend noch BVerfGE 69, 315 (348) sowie Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art.  8 Rn.  54 f. m. w. N. Pointiert auch Ball, Vereins- und Versammlungs-Recht, 1894, S. 29 (Anm. 7) zu Art. 29 der Preußischen Verfassung von 1850: „der Ausdruck für den

B. Ausgangspunkt

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In dieser Aufteilung des Gesetzes allein läge demnach kein Problem, wenn nicht das VersG die heutige10 Bedeutung der unterschiedlichen Formen der Versamm­ lung gleichsam auf den Kopf stellte, indem es die konfliktträchtigere und an sich eher regelungsbedürftige öffentliche11 Versammlung unter freiem Himmel zurück­ stellte und nach den allgemeinen Regelungen der §§ 1–3 VersG zunächst die öffent­ lichen Versammlungen in geschlossenen Räumen regeln würde (§§ 5–13 VersG), um sodann für die öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel im dritten Abschnitt (§§ 14–20 VersG) in §§ 18 f. VersG auf jene Regelungen zu verweisen.12 Dieses System mag zu manch unnötiger Konfliktverschärfung geführt haben, in­ dem es mehr zur Verwirrung als denn zur Klärung taugt. Weitere Brisanz erfährt diese Regelungssystematik dadurch, dass Art.  8 Abs.  2 GG einen Gesetzesvor­ behalt nach seinem Wortlaut nur für Versammlungen unter freiem Himmel vor­ sieht, Regelungen über Versammlungen in geschlossenen Räumen also nur als Ausgestaltung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG bzw. als Konkretisierung der dem Art. 8 Abs. 1 VersG immanenten Grenzen möglich sind,13 was der Gesetzgeber des VersG mit der Einordnung des § 20 VersG, der das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S.  2 GG erfüllt, in den dritten Abschnitt des Gesetzes auch deutlich macht. Die Regelungen werden im Folgenden zur besseren Übersichtlichkeit gemeinsam be­ handelt und Unterschiede jeweils hervorgehoben.14

Gegensatz: [zu geschlossenen Räumen] „unter freiem Himmel“ ist schlecht gewählt, die Ge­ fährlichkeit der Vers.[ammlung] u.[nter] fr.[eiem] H.[immel] beruht nicht auf dem Herbei­ fliegen des Publikums.“ Dennoch verlangt Ball, insoweit anders als die vorstehend Genann­ ten, eine „nach allen drei Dimensionen abgeschlossene“ Versammlungsstätte, also einen „nach Länge, Breite und Höhe geschlossenen Raume“, ebd. Ebenso noch Arndt, Verfassungsurkunde, 1886, S. 57: „Räume, welche in Länge, Breite und Höhe geschlossen sind.“ 10 Zum Grund der Regelung auf diese Weise Kap. 2 F. IV. 2. a). 11 Eine Versammlung ist öffentlich, wenn sie nicht nur einen abgeschlossenen oder individu­ ell abgegrenzten Personenkreis umfasst, BVerwG, NVwZ 1999, 992; Gusy, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, GG, 2010, Art.  8 Rn.  60 m. w. N. So bereits Anschütz, Verfassungsurkunde, 1912, S. 528, der auf die tatsächliche Zutrittsmöglichkeit abstellt. Das GG kennt diese Unter­ scheidung nicht. Wird im Folgenden von Versammlungen gesprochen, sind, soweit nicht aus­ drücklich anders hervorgehoben, nur öffentliche Versammlungen gemeint. Nichtöffentliche Versammlungen will das VersG ausweislich § 1 Abs.  1 VersG nämlich nicht regeln. Zu de­ ren Besonderheiten Ketteler, DÖV 1990, 954. Anders Trubel/Hainka, Versammlungsrecht, 1953, § 1 Rn.  4, die aufgrund der Satzstellung des § 1 Abs.  1 VersG für Aufzüge auch sol­ che nichtöffentlicher Art durch das VersG als erfasst ansehen wollen. Wie hier aber Dietel/ Gintzel/­Kniesel, Versammlungsgesetz, 2011, § 1 Rn.  215; Ott/Wächtler/Heinhold, Versamm­ lungsgesetz, 2010, § 2 Rn. 2; zum Versammlungsbegriff des GG, der auch nichtöffentliche Ver­ sammlungen umfasst, Kap. 3 A. 12 Die daraus resultierende schwierige Lesbarkeit kritisiert etwa Samper, Leitfaden, 1969, S.  7; ganz anders aber Trubel/Hainka, Versammlungsrecht, 1953, S.  8: „durchaus klar und übersichtlich“. Diese Art der Regelung, insb. der Einsatz von Verweisungen geht zurück auf die­ ältere preußische Verordnungsgebung, s. Kap. 2 C. I. 13 Dazu m. w. N. Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 63. 14 Das erlangt Bedeutung bei der Rechtfertigung der an die Ordnungsidee anknüpfenden Ordnungsvorschriften, s. Kap. 3 B. II.

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Kap. 1: Die Organisationsidee

II. An die Organisationsidee anknüpfende Normen im VersG 1. Versammlungsfreiheit Bereits § 1 Abs. 1 VersG hat die Idee der organisierten Versammlung vor Augen, wenn er Jedermann das Recht einräumt, öffentliche Versammlungen zu „veranstal­ ten“ und an solchen „teilzunehmen“. Insofern steht er nicht nur bzgl. der Gewährung der Versammlungsfreiheit für „Jedermann“ im Unterschied zu Art. 8 GG, der die Versammlungsfreiheit bloß als Deutschengrundrecht gewährleistet. Auch die For­ mulierungen decken sich nicht, spricht doch Art. 8 Abs. 1 GG nicht von „veranstal­ ten“ und „teilnehmen“ sondern schlicht vom Recht, „sich […] zu versammeln“. Auch die Regelung des VersG dazu, wer das Versammlungsrecht nicht hat, greift die Vorstellung einer Zentralinstanz auf, indem sie begrifflich zwischen „Durch­ führung“ und „Teilnahme“ an einer Versammlung trennt, § 1 Abs. 2 Nr. 2 VersG. Diese Trennung von Veranstaltung bzw. Leitung und Teilnahme wird in mehreren der folgenden Normen aufgegriffen. 2. Einladung Lädt jemand als „Veranstalter“ öffentlich ein, muss er in der Einladung seinen Namen nennen, § 2 Abs. 1 VersG, wobei Einladung als Aufruf des Veranstalters, sich an der Versammlung zu beteiligen, zu verstehen ist.15 Hiermit fügt das VersG der Bezugnahme auf einen „Veranstalter“ ein Element der Vorbereitung des Ver­ sammlungsgeschehens hinzu. Durch die „Einladung“ als vorausgehenden Vor­ gang wird der durch das Gesetz in den Blick genommene Vorgang der Versamm­ lung entsprechend breiter.16 Ob eine Einladung in diesem Sinne öffentlich erfolgt, richtet sich danach, ob der Personenkreis, an den sie sich richtet, unbestimmt oder individuell festgelegt ist.17 Letzteres ist jedenfalls nicht der Fall, wenn die Ein­ ladung über eine jedermann zugängliche Informationsquelle erfolgt.18 Während sich die Diskussion in diesem Bereich über Jahrzehnte an den klassischen Me­ dien orientierte, also etwa an einer Einladung über Zeitungsanzeigen, Plakate oder 15

Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 2011, § 2 Rn. 1. Für das GG sprechen Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bun­ desrepublik Deutschland, 2009, § 164 Rn. 45 bzw. Geis, in: Friauf/Höfling, GG, 2014, Art. 8 Rn. 34 f. für diesen vorgelagerten Zeitraum von einer „Vorwirkung des Schutzbereichs“. 17 Für das VersG wohl zuerst Füßlein, Versammlungsgesetz, 1954, § 2 Rn. 3, dem sich die Literatur weitgehend angeschlossen hat, etwa Breitbach, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, § 2 Rn. 25; Ott/Wächtler/Heinhold, Versammlungsgesetz, 2010, § 2 Rn. 2; kritisch zum Begriff Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 2011, § 2 Rn. 2, 4 f., dort auch zum Pro­ blem der sog. „verdeckten Einladung“, Rn.  6. Eine der hier verwandten Definition entspre­ chende Klarstellung enthält auch § 2 Abs.  2 Bayerischen Versammlungsgesetzes, vgl. dazu noch Kap. 2 H. II. 1. 18 Ott/Wächtler/Heinhold, Versammlungsgesetz, 2010, § 2 Rn. 2. 16

B. Ausgangspunkt

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Handzettel, rücken heute vermehrt Einladungsmöglichkeiten über mobile Mas­ senkommunikationsmittel in den Blickpunkt, die eine erhebliche Mobilisierung in vergleichsweise kurzen Zeiträumen gestatten.19 Laden mehrere natürliche oder juristische Personen zu einer Versammlung ein, gilt die Pflicht zur Namensnen­ nung grds. für alle.20 An die Möglichkeit einer Einladung anschließend gestattet § 6 Abs. 1 VersG dem Veranstalter21 den grds. in seinem Ermessen22 stehenden Aus­ schluss bestimmter Personen oder ganzer Personenkreise von der Versammlung, allerdings bereits nach dem Wortlaut nur in der Einladung selbst. Auch dieses Aus­ schlussrecht hebt die Besonderheit der Zentralinstanz gegenüber den Teilnehmern hervor. Dieses „Ausladungsrecht“ des Veranstalters darf dabei nicht mit dem Aus­ schlussrecht des Leiters gegen die Ordnung der Versammlung gröblich störende Teilnehmer nach § 11 Abs.  1 VersG verwechselt werden. Mit § 6 Abs.  2 Hs.  1 VersG besteht eine Ausnahme gegenüber Pressevertretern. Die ihnen gegenüber dem Versammlungsleiter auferlegte Ausweispflicht knüpft ebenfalls an die Orga­ nisationsidee an. Für Versammlungen unter freiem Himmel findet § 6 Abs. 1 VersG mangels entsprechender Verweisung keine Anwendung. 3. Störungsverbot § 2 Abs.  2 VersG enthält ein Störungsverbot für solche Tätigkeiten, die be­ zwecken, die „ordnungsgemäße Durchführung“ einer aktuell stattfindenden Ver­ sammlung zu verhindern. Ob eine solche Störung vorliegt, ist eine Frage des Ein­ zelfalls der konkreten Versammlung.23 Durch den Wortlaut des „Bezweckens“ des Verhinderns wird die subjektive Komponente deutlich, die in ihrer Zielrichtung be­ reits ausschließt, die bloße Kundgabe von Missfallen, sei es durch Zwischenrufe oder Pfiffe ohne Verhinderungsabsicht, als Störung zu werten.24 Dieses Störungs­ verbot gilt sowohl nach innen für die Teilnehmer, selbst für Veranstalter und Lei­ ter,25 auch wenn dieses ein eher theoretisches Problem sein dürfte, als auch nach 19

Vgl. Kap. 4 B. I. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 2011, § 2 Rn. 2. 21 Nicht aber dem Leiter, vgl. Pawlita/Steinmeier, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, § 6 Rn. 10, die allerdings eine geringe praktische Relevanz der Regelung annehmen, ebd. Rn. 46. 22 Freilich nur unter Beachtung des in Art. 3 Abs. 3 GG verankerten Diskriminierungsgebots, vgl. Ott/Wächtler/Heinhold, Versammlungsgesetz, 2010, § 6 Rn.  5 f.; Pawlita/Steinmeier, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, § 6 Rn. 17 ff. 23 Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 2011, § 2 Rn. 11, 12; Breitbach, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, § 2 Rn. 38 ff. jeweils mit Beispielen. 24 So auch Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2009, § 164 Rn. 46; dahingehend bereits der Bericht aus dem „Ausschuss zum Schutze der Verfassung“ des Abgeordneten Mehs im Gesetzgebungsverfahren, Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 264. Sitzung am 06.05.1953, S. 12851 (B), der weiter darauf hinweist, dass § 2 Abs. 2 VersG die ordnungsgemäße Durchführung von Veranstaltungen vor „rechts- oder linksradikalen Elemente[n]“ schützen sollte. 25 Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 99. 20

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Kap. 1: Die Organisationsidee

außen für Dritte, insb. Teilnehmer von Gegenveranstaltungen. Indem das Störungs­ verbot sich auf die „Durchführung“ einer Versammlung bezieht, wird wieder die Trennung zwischen „durchführen“ und „teilnehmen“ i. S. d. § 1 Abs. 2 Nr. 2 VersG aufgegriffen, also wieder an die Zentralinstanz angeknüpft und deren „Organisa­ tionsrecht“ gegenüber dem Teilnahmerecht stärker geschützt, fehlt doch eine Be­ stimmung, die explizit verbietet, die Teilnahme des Einzelnen zu verhindern. 4. Verbots- und Auflösungsgründe Auch die Verbots- und Auflösungsgründe nehmen sich die Idee der organisier­ ten Versammlung als Leitbild. So ermöglicht § 5 Nr. 1 VersG in der Vorbereitungs­ phase die „Abhaltung“ i. S. d. Durchführung einer Versammlung zu verbieten, wenn der Veranstalter unter die Verbotsvorschriften des § 1 Abs. 2 VersG fällt. Eine entsprechende Regelung für die Durchführungsphase enthält § 13 Abs.  1 Nr.  1 VersG. Auch § 5 Nr.  2 VersG trennt zwischen der Zentralinstanz aus Veranstal­ ter bzw. Leiter und Teilnehmern und gibt ersteren die Pflicht auf, die Einhaltung der Verbote des § 2 Abs. 3 VersG durch die Teilnehmer zu kontrollieren, was in § 13 Abs. 1 Nr. 3 durch eine Ausschluss(durchsetzungs)pflicht des Leiters beglei­ tet wird. § 5 Nr. 3, 4 VersG verschärft die Verbotsmöglichkeiten dahingehend, dass der Veranstalter nicht nur für sein Verhalten einstehen muss, sondern auch ein ihm zuordnungsfähiger Kreis, „sein Anhang“26, bestimmte Verhaltensweisen nicht zei­ gen darf. Hiermit wird der Personenkreis um die Zentralgestalt auf Versamm­ lungsteilnehmer erweitert, ohne deren Rolle in der Durchführung aufzuwerten. Zwar fehlt für diese Regelungen über Versammlungen in geschlossenen Räumen eine Verweisung in §§ 18 f. VersG für Versammlungen unter freiem Himmel, je­ doch werden die hier genannten Konstellationen dort bereits über die General­ klausel des § 15 Abs. 1 und 3 VersG abgedeckt. Die gem. § 15 Abs. 1 und 3 VersG ausdrücklich und für Verbot wie Auflösung gem. § 5 und § 13 VersG jeweils als milderes Mittel zulässigen versammlungsrechtlichen „Auflagen“27 können sich hingegen an Zentralinstanz wie (potenzielle)  Teilnehmer gleichermaßen richten und ergehen entsprechend teils auch als Allgemeinverfügungen. 5. Pflicht des Veranstalters zur Bestellung eines Leiters Jede öffentliche Versammlung muss gem. § 7 Abs.  1 VersG, der i. V. m. § 18 Abs. 1 VersG auch für Versammlungen unter freiem Himmel gilt, einen Leiter ha­ ben. In dieser Vorschrift zeigt sich die Ausrichtung der Bestimmungen des VersG an der Idee der organisierten Versammlung am deutlichsten: Das VersG kennt keine Versammlung ohne einen Leiter und demnach auch keine nach diesem Verständnis 26

Zum Begriff des Anhangs Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 2011, § 5 Rn. 31. Es handelt sich hierbei mangels Genehmigung nicht um Auflagen i. S. d. § 36 VwVfG.

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B. Ausgangspunkt

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in der Durchführungsphase „unorganisierte“ Versammlung.28 Für die Versamm­ lung in geschlossenen Räumen ist Leiter der Versammlung der Veranstalter, ist die­ ser eine Vereinigung deren Vorsitzender, wobei die Leitung durch den Veranstalter übertragbar ist, § 7 Abs. 2, 3 VersG. Für Versammlungen unter freiem Himmel, für die mangels Verweis § 7 Abs. 2, 3 VersG nicht gilt, hat die Anmeldung nach § 14 Abs. 1 VersG eine zentrale Bedeutung, da in ihr bestimmt wird, wer der Leiter der Versammlung sein soll, § 14 Abs. 2 VersG. Die, das Vorhandensein eines Veranstalters voraussetzende, Anmeldepflicht für öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel (§ 14 Abs.  1 VersG) ist dabei selbst Anknüpfung an die vorbereitend planende Komponente des Handelns einer Zentralinstanz. Dass eine von diesen Regelungen abweichende Bestellung des Leiters, etwa im Wege einer Wahl im Laufe der Versammlung, möglich ist, schließt § 7 VersG zu­ mindest seinem Wortlaut nach nicht aus; ob die Leitung einer Versammlung, etwa durch das „Aufschwingen“ einer Person mit Zustimmung der Mehrheit der Ver­ sammlung, übergehen kann und somit die Position der Zentralinstanz durch die Versammlung ausgewechselt werden kann, erscheint angesichts dieser Normen­ allerdings zweifelhaft.29 Während das VersG damit eine Pflicht zur Bestellung eines Leiters statuiert, wird gleichzeitig deutlich, dass das VersG eine Versammlung ohne Veranstalter nicht vorsieht. Anders gewendet: Die Pflicht zur Bestellung eines Leiters betont besonders die Rolle des Veranstalters als vorbereitende Zentralinstanz. 6. Rechte und Pflichten des Leiters Ausgehend von der Entscheidung für die Pflicht zur Bestellung eines Leiters stattet das VersG diesen mit einer Reihe von Rechten und Pflichten aus, die teils nach innen und teils nach außen wirken. Hierin knüpft das VersG nicht mehr nur an die Idee der organisierten Versammlung an, sondern gestaltet diese bereits kon­ kret aus:30

28 Entsprechend formuliert Samper, Leitfaden, 1969, S. 18: „Wohl aber muß ein Leiter vor­ handen sein, soll von einer Versammlung gesprochen werden können. Diese Voraussetzung ist unabdingbar, da zu einer Versammlung ein Mindestmaß von äußerer Ordnung, örtlicher Kon­ zentration und Lenkung gehört.“; noch weiter Trubel/Hainka, Versammlungsrecht, 1953, § 7 Rn. 1: „Eine Versammlung im Sinne des Versammlungsrechts ist nur denkbar, wenn eine für den gesetzmäßigen Ablauf verantwortliche Person vorhanden ist.“ [Hervorhebung des Verfas­ sers]. Diese Ansicht macht bestimmte an die Idee der organisierten Versammlung anknüpfende Normen zu Begriffsvoraussetzungen der Versammlung, dazu Kap. 3 A. II. 29 Zum „Aufschwingen“ zum Leiter sowie dem sog. faktischen Leiter Kap. 3 B. I. 3. e). 30 Zu Rechtfertigung dieser Verbindung der Organisationsidee mit intern wie extern wirken­ den Ordnungsvorschriften vgl. Kap. 3 B.

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Kap. 1: Die Organisationsidee

Dem Leiter steht bei Versammlungen in geschlossenen Räumen zunächst das Hausrecht31 zu, § 7 Abs. 4 VersG, was ihn als Zentralgestalt wiederum gegenüber den Teilnehmern hervorhebt. Sodann gewährt § 8 VersG dem Leiter das Recht über den Ablauf der Versammlung zu bestimmen (S.  1), hierzu gehören Unter­ brechung, Fortsetzung und Schließung der Versammlung (S. 3 und S. 4). Dieses Recht ist allerdings verbunden mit der Verpflichtung, während der Versammlung „für Ordnung zu sorgen“ (S. 2). Zur Durchführung seiner Rechte aus § 8 VersG kann sich der Leiter einer angemessenen Zahl ehrenamtlicher Ordner bedienen, § 9 Abs. 1 VersG. Im Anschluss daran bestimmt § 10 VersG, dass alle Versammlungsteilnehmer verpflichtet sind, die Anweisungen des Leiters sowie der bestellten und durch den Leiter hierzu ermächtigten Ordner, soweit die Anweisungen zur Erhaltung der Ordnung getroffen sind, zu befolgen. Diese öffentlich-rechtliche Pflicht sichert die Rechte des Leiters ab und gilt sowohl für Versammlungen in geschlossenen Räumen wie auch unter freiem Himmel, § 18 Abs.  1 VersG. Sie wird ihrerseits gestützt durch das Ausschlussrecht des Leiters aus § 11 Abs. 1 VersG gegenüber solchen Teilnehmern, die die Ordnung der Versammlung gröblich32 stören. Eine Ermächtigung zur zwangsweisen Durchsetzung der Anweisungen oder des Aus­ schlussrechts, welches auch bereits gem. § 11 Abs. 2 VersG, § 18 Abs. 1 VersG als öffentlich-rechtliche Pflicht sofort zu befolgen ist, enthalten freilich weder § 11 Abs. 1 noch § 9 Abs. 1 VersG.33 Für Aufzüge, also Versammlungen unter freiem Himmel, die sich fortbewegen,34 stellt § 19 Abs. 1 VersG klar, dass der Leiter auch hier für Ordnung zu sorgen hat. Allerdings ist die Norm entsprechend dem ziehenden Charakter des Aufzugs, auf die Verpflichtung für einen „ordnungsgemäßen Ablauf“ zu sorgen, angepasst.

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Zu diesem Breitbach, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, § 7 Rn. 24 f. Dieses Kriterium ist eingrenzend zu verstehen, vgl. Breitbach, in: Ridder u. a., Versamm­ lungsrecht, 1992, § 11 Rn. 7 ff. sowie Füßlein, Versammlungsgesetz, 1954, § 11 Rn. 3, der eine in „doppelter Weise qualifizierte Störung“ verlangt, indem erstens der geordnete Ablauf be­ einträchtigt wird und zweitens „Form oder Inhalt des Verhaltens“ als „besonders schwer emp­ funden werden“. 33 Ott/Wächtler/Heinhold, Versammlungsgesetz, 2010, § 10 Rn.  4, § 11 Rn.  5 ebd. zur ab­ weichenden Formulierung in § 29 Abs. 1 Nr. 5 VersG. 34 Etwa Füßlein, Versammlungsgesetz, 1954, § 2 Rn. 3 unter Bezugnahme auf von Jan, Ver­ einsgesetz, 1931, S.  104, der bereits zur WRV ausführte: „Unter die Vers.[ammlung] unter freiem Himmel fallen neben den eigentlichen Vers.[ammlungen], in denen öffentlichen An­ gelegenheiten erörtert werden sollen, vor allem auch die Aufzüge oder Umzüge.“ Die WRV habe die Aufzüge, anders aber noch § 7 RVG, bereits nicht mehr erwähnt, da diese davon aus­ gegangen sei, dass Aufzüge „ohne weiteres in dem Begriff der Vers.[ammlung] eingeschlossen sind“. So auch heute die allgemeine Auffassung, vgl. nur Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art.  8 Rn.  62 m. w. N.; Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, 2012, Art.  8 Rn.  29; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, 1975, S. 108, der zutreffend darauf hin­ weist, dass die begriffliche Trennung in Versammlung und Aufzug eine bloße Übernahme aus den Vorgängerregelungen (insb. § 7 Abs. 1 RVG) darstellt. 32

B. Ausgangspunkt

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Kann er sich nicht durchsetzen, hat er den Aufzug zu beenden, § 19 Abs. 3 VersG.35 § 19 Abs. 2 VersG regelt spiegelbildlich zu § 10 VersG, dass die Teilnehmer ver­ pflichtet sind, den zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anordnungen36 des Leiters oder der von ihm bestellten Ordner auch hier Folge zu leisten. Die Norm hat insoweit nur klarstellende Funktion, da § 18 Abs. 1 VersG die Verpflich­ tung der Teilnehmer aus § 10 VersG auch für Versammlungen unter freiem Him­ mel für anwendbar erklärt. Das Ausschlussrecht steht allerdings bei Aufzügen, wie auch bei sonstigen öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, nicht dem Leiter, sondern nur der Polizei zu, §§ 18 Abs. 3; 19 Abs. 3 VersG, womit sich das VersG etwas von der Idee der Zentralinstanz entfernt und den Weg zu einer „Orga­ nisation“ durch die Polizei öffnet. Auch die Bestimmung des § 12 VersG, dass in eine Versammlung entsandte Poli­ zeibeamte sich dem Leiter erkennen zu geben haben – und nicht etwa allen Versam­ melten –, greift die Idee der organisierten Versammlung auf. 7. Straf- und Ordnungswidrigkeitsvorschriften Schließlich orientierten sich auch die Straf- und Ordnungswidrigkeitsvorschrif­ ten, namentlich in § 21 VersG („Durchführung zu vereiteln“), § 22 VersG (Wider­ stand gegen die rechtmäßige Ausübung der Ordnungsbefugnisse von Leitern und Ordnern), § 24 VersG (Verwendung bewaffneter Ordner als Leiter), § 25 VersG (wesentliche andere Durchführung als in der Anmeldung angegeben), § 26 Nr. 1 VersG (Durchführung bzw. Fortsetzung trotz Verbot bzw. Auflösung oder Unter­ brechung durch die Polizei als Veranstalter oder Leiter), § 26 Nr. 2 VersG (Durch­ führung ohne Anmeldung als Veranstalter oder Leiter), an der Idee der organisier­ ten Versammlung. In einer anderen Rolle befindet sich eine Person hingegen, wenn sie nur zu einem Aufzug innerhalb eines befriedeten Bannkreises „auffordert“, § 29a VersG, was keine organisatorische Vorbereitungshandlung für die Versammlung erfordert. Doch bleibt auch hier die Orientierung auf einen „Auslöser“ für das Versammlungs­ geschehen. Ähnlich verhält es sich mit der Strafbarkeit des „Zusammenrottens“ gem. § 27 Abs. 2 Nr. 3 VersG.37 Auffällig ist innerhalb der Straf- und Ordnungs­ widrigkeitsbestimmungen, dass einerseits Vorschriften bestehen, die die Zentral­ instanz schützen (§§ 21, 22, 29 Abs. 1 Nr. 4, 5 VersG), und andererseits die Nicht­ einhaltung bestimmter Pflichten der Zentralinstanz straf- bzw. bußgeld­bewehrt ist (§ 9 Abs. 1 S. 2 VersG i. V. m. § 24 VersG; § 15 Abs. 1, 2 i. V. m. § 25 Nr. 2 VersG; § 14 35 „Durchsetzen“ bezieht sich auf den ordnungsgemäßen Ablauf nach innen. Folgen die Teil­ nehmer den diesbezüglichen Weisungen des Leiters nicht, ist seine Durchsetzungsfähigkeit i. S. d. VersG nicht mehr gegeben, vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 2011, § 19 Rn. 13, 15. 36 Entspricht „Anweisungen“ in § 10 VersG. 37 Zum Begriff des „Zusammenrottens“ in früheren Regelungen vgl. Kap. 2 A. I. und III.

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Kap. 1: Die Organisationsidee

Abs. 1 i. V. m. § 26 Nr. 2 VersG; § 9 Abs. 1, 2 VersG i. V. m. § 29 Abs. 1 Nr. 6, 7 VersG sowie §§ 12, 18 Abs. 1 VersG i. V. m. § 29 Abs. 1 Nr. 8 VersG). Weiterhin kann ein Handeln als Zentralinstanz stärker bestraft werden als ein Handeln als bloßer Teilnehmer, so etwa die Durchführung einer verbotenen Ver­ sammlung trotz vollziehbarem Verbot als Zentralinstanz, § 26 Nr. 1 VersG (Frei­ heitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe), statt der bloßen Teilnahme an einer verbotenen Versammlung trotz vollziehbarem Verbot, § 29 Abs.  1 Nr.  1 VersG (Geldbuße bis tausend Deutsche Mark). Teils ist ein Handeln als Teilnehmer we­ der straf- noch ordnungswidrigkeitsrechtlich relevant, so etwa die Teilnahme an einer nicht angemeldeten Versammlung unter freiem Himmel, während die Durch­ führung einer nicht angemeldeten Versammlung unter freiem Himmel (Freiheits­ strafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe) sogar eine Straftat ist (§ 26 Nr. 2 VersG). Eine weitere Besonderheit betrifft den, wenn auch wohl nicht im Vordergrund des Zwecks der Regelung stehenden, Schutz des Veranstalters davor, dass der Lei­ ter die Veranstaltung anders durchführt, als der Veranstalter es geplant und – und darauf zielt die Norm ab – dieser es in der Anmeldung angegeben hatte, § 25 Nr. 1 VersG. Diese Norm spricht darüber hinaus als einzige Norm des VersG von der Möglichkeit, dass eine Versammlung mehrere Veranstalter hat („als die Veranstal­ ter … angegeben haben“). Die Straf- und Ordnungswidrigkeitsregelungen haben also ebenfalls die Idee der organisierten Versammlung als Ausrichtung. 8. Zusammenfassung In der Mehrzahl aller Normen des Versammlungsgesetzes wird folglich direkt an die Idee der organisierten Versammlung angeknüpft. Den augenfälligsten Aus­ druck findet dieses bereits im Wortlaut des § 1 Abs. 1 VersG, der das Veranstalten wie das Teilnehmen an einer Versammlung aufführt. Weiter zeigt sich dieses in den Rechten des Veranstalters bzgl. der Leiterbestimmung (§ 7 Abs. 3 VersG) sowie der Ausladung (§ 6 Abs. 1 VersG) sowie seiner Pflicht zur Anmeldung einer öffent­ lichen Versammlung unter freiem Himmel (§ 14 Abs. 1 VersG). Auch die Pflicht zur Bestellung eines Leiters (§ 7 Abs. 1 VersG) sowie die mit seiner Person ver­ bundenen Rechte, namentlich die Zuweisung des Hausrechts, des Rechts über den Ablauf zu bestimmen und Ordner zu verwenden, die Folgepflicht der Teilneh­ mer sowie das Ausschlussrecht, zeigen deutlich die Orientierung des VersG an der Idee der organisierten Versammlung mit in Planung und Durchführung lenkender­ Zentralinstanz. Die der Idee der organisierten Versammlung folgenden Normen regeln dabei so­ wohl das Verhältnis der Versammelten zueinander, genauer das der Teilnehmer zur Zentralinstanz, als auch das Verhältnis der Versammelten, hier sowohl der Teilneh­ mer als auch der Zentralinstanz, zu Dritten wie zum Staat, wozu auch die Rege­ lungen zu den Voraussetzungen behördlichen Einschreitens zählen. Das Bild wird durch die Straf- und Ordnungswidrigkeitsvorschriften abgerundet.

C. Forschungsfragen

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C. Forschungsfragen: Die Idee der organisierten Versammlung im Versammlungsrecht Das Vorstehende hat gezeigt, dass der eingangs als These eingeführte Satz, dem Versammlungsgesetz liegt die Idee der organisierten Versammlung zugrunde, zutrifft. Doch wie verhält es sich mit der zweiten These, dem Versammlungsrecht liege die Idee der organisierten Versammlung zugrunde? Und welche Bedeutung kommt der Organisationsidee heute zu und kann ihr zukünftig zukommen? Diese Fragen bilden das Erkenntnisinteresse der Arbeit, dem sie sich von drei Punkten aus nä­ hert. Zunächst werden im Rahmen einer rechtshistorischen Betrachtung Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee dargestellt (I.). Hierin liegt der Schwer­ punkt der Untersuchung. Sodann wird nach der aktuellen Bedeutung der Organi­ sationsidee gefragt (II.) und schließlich ein Ausblick auf neuere Entwicklungen des Versammlungsgeschehens gegeben, welche für die Organisationsidee von Be­ deutung sind (III.)

I. Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee Die Ideengeschichte der Versammlungsfreiheit ist geschrieben.38 Gegenüber de­ ren wechselvoller Geschichte scheint die Entwicklung der Versammlungsgesetz­ gebung ebenso konstant wie wenig beschrieben. Diese Gesetzgebungsgeschichte und mit ihr die konkrete Ausgestaltung der Versammlungsfreiheit unter dem Ein­ druck des zeitgenössischen Versammlungsgeschehens ist bisher vielmehr Rand­ bemer­kung theoretischer Überlegungen zur Begründung der Versammlungsfreiheit geblieben. Hier setzt die vorliegende Arbeit an. Dabei kann eine umfassende Dar­ stellung der Gesetzgebungsgeschichte des Versammlungsrechts in diesem Rahmen nicht geleistet werden. Daher fokussiert die Arbeit, ihrer Forschungsfrage folgend, auf einen Aspekt, der für Versammlungsrecht wie Versammlungsgeschehen seit je­ her von zentraler Bedeutung war, nämlich die Idee der organisierten Versammlung. Dazu wird in Kapitel 1 untersucht, wo die Organisationsidee ihren Ursprung hat, wie sie sich selbst entwickelt hat und wie sie konkret im Recht Niederschlag ge­ funden hat. Dieses geschieht vor einer geschichtlichen Einordnung, die politische Entwicklungen, Rechtsetzung und Rechtsprechung sowie Literatur in den Blick nimmt. Dabei soll gefragt werden, ob die Organisationsidee eine Entwicklungs­ linie für das Versammlungsrecht insgesamt darstellt und so als Ordnungsidee39 zur Systembildung im Versammlungsrecht beigetragen hat. 38

S. insb. Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970. Den Begriff der Ordnungsidee prägte Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 1998, wobei er Ansätze seines, ebenfalls veröffentlichten, Vortrages, Das all­ gemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee und System, 1982 fortführte. Die Auffassung als 39

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Kap. 1: Die Organisationsidee

II. Bedeutung der Organisationsidee In einem zweiten Schritt wird gezeigt, welche Bedeutung die Organisationsidee vor dem GG heute hat (Kapitel 2). Hierzu werden die verschiedenen vor dem GG vertretenen Versammlungskonzepte und Begriffe vorgestellt und auf ihren Bezug zur Organisationsidee befragt. Dieses führt zu der Frage, ob die „Organisation“ be­ griffsnotwendig für die Versammlung i. S. d. GG ist. Hieran anschließend wird auf die Verbindung der Organisationsidee mit den sog. Ordnungsvorschriften eingegangen, werden die Wandlung dieser Ordnungs­ vorschriften rekapituliert und Aspekte ihrer aktuellen Bedeutung aufgezeigt. Vor diesem Hintergrund wird schließlich die Frage nach der Rechtfertigung der Ord­ nungsvorschriften, namentlich der Leitungspflicht, vor dem GG gestellt.

III. Zukunft der Organisationsidee Abschließend (Kapitel 3) wird der Frage nachgegangen, welche Bedeutung die Organisationsidee vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen im Versamm­ lungsrecht haben kann. Hierbei stehen neue Handlungs- und Versammlungsfor­ men sowie die Möglichkeiten mobiler Massenkommunikationsmittel für die Or­ ganisation von Versammlungen im Mittelpunkt.

Ordnungsidee soll nach Schmidt-Aßmann dazu beitragen, sich „der größeren Zusammenhänge, der durchlaufenden Entwicklungslinien […] zu vergewissern“, S. 1. Diesem Verständnis folgt hier die Untersuchung der organisierten Versammlung als Ordnungsidee im Sinne einer Ent­ wicklungslinie des Versammlungsrechts.

Kapitel 2

Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee „Schon zu erkennen, was war, um zu verstehen, was ist, und zu erfassen, was sein wird, das scheint doch die Aufgabe zu sein, die der Geschichtserkenntnis zugeschrieben wird. Was war? – das ist darum die Frage, von der hier alles ausgeht. Oder um diese Frage noch all­ gemeiner und zugleich noch bestimmter zu fassen: Was ist von allem, was bisher war, ge­ blieben […].“1

Um zu ergründen, ob die Organisationsidee eine Entwicklungslinie im Ver­ sammlungsrecht darstellt, ist mit Leo Baeck zunächst zu fragen, „was war“. Die­ ses ist auch hier gleichzeitig Voraussetzung dafür, zu klären, „was […] geblieben“ ist, also welche Bedeutung die Organisationsidee heute hat, und daran anschlie­ ßend auch „was sein wird“. Es geht also zunächst darum zu untersuchen, ab wann die Organisationsidee im Versammlungsrecht verortet werden kann, wie an sie in verschiedenen Zeiten und Situationen angeknüpft wurde und auch wie sie sich selbst dabei entwickelt hat. Dabei geht es jedoch nicht darum, die Entstehung der Versammlungsfreiheit als das, was später Grundrecht genannt wird, in ihren verschiedenen Herleitungen zwischen Naturrecht und staatlicher Einräumung nochmals nachzuzeichnen.2 Im Unterschied zu dieser Ideengeschichte des Versammlungs(grund)rechts i. S. einer Versammlungsfreiheit, ist die Entwicklung der Versammlungsgesetzgebung ver­ gleichsweise wenig untersucht und dargestellt worden. Hier finden sich meist nur vereinzelte Hinweise zu unmittelbaren Vorgängerregelungen, ohne dass die grö­ ßeren Entwicklungslinien nachgezogen werden. Dieses ist insoweit überraschend, als die ebenso breite wie fundierte Auseinandersetzung um die Begründung der Versammlungsfreiheit zu einem Zeitpunkt stattfand, zu dem sich die Versamm­ lungsaktivität rechtstatsächlich bereits mit einer rechtlichen Einhegung bzw. staat­ lichen Reaktion konfrontiert sah, die das seiner Begründung harrende Versamm­ lungsrecht als tatsächliches Verhalten in Form seiner Ausübung bereits kannte. Die Ideengeschichte der Versammlungsfreiheit entsteht also gerade im Spannungsfeld von Wahrnehmung – ob staatlich anerkannt oder nicht – und staatlicher Rechtset­ zung. Anders gewendet: Die Begründung der Versammlungsfreiheit erfolgt erst, als deren rechtliche Behandlung bereits alltägliche Rechtsanwendung darstellt. Folglich wird als sozialer Sachverhalt „Versammlung“ zunächst entsprechend 1

Baeck, Der Sinn der Geschichte, 1946, S. 7. Dazu Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 30 ff.; Schwäble, Das Grund­ recht der Versammlungsfreiheit, 1975, S. 17 ff.; Müller, Wirkungsbereich und Schranken der Versammlungsfreiheit, 1974, S. 15 ff., 50 ff.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

breiter das betrachtet, was ihr als einfachste Beschreibung von je her kennzeich­ nend ist, nämlich das Zusammenkommen von Menschen. Innerhalb dieses allgemeineren Vorverständnisses wird hier die Geschichte des Versammlungsrechts vor dem Hintergrund der konkret interessierenden Entwick­ lung der Idee der organisierten Versammlung dargestellt. Entsprechend setzt die Untersuchung auch bewusst früher an, als es teils für grundrechtliche Fragen für geboten gehalten wird,3 nämlich bereits vor 1848. Dieses ist insb. aufgrund der Untersuchung der Organisationsidee als Entwicklungslinie, an die mit Normen an­ geknüpft wurde, interessant, hat doch auf die Versammlung – sofern man sie auch als „Straßenpolitik“ „von unten“ versteht – stets auch eine Antwort in Form einer „Straßenpolitik“ „von oben“ stattgefunden.4 Somit soll hier „das Ganze einer ge­ wordenen Rechtsordnung“5 befragt werden – auch um somit eine „Vergrößerung des Gesichtsfeldes“ zu erreichen.6 Dabei ist jedoch vorausgesetzt, dass es vorlie­ gend um die Darstellung der Entstehung von Rechtsnormen geht und eine Ähn­ lichkeit der historischen Ordnungsprobleme, auf die Rechtsnormen stets eine Ant­ wort sind, nicht unterstellt werden soll.7 Die Konzentration liegt hier wesentlich auf der Entwicklung in Preußen. Die­ ses ergibt sich nicht nur aus der Notwendigkeit der Eingrenzung des Forschungs­ gegenstandes, sondern auch aus der übergeordneten Stellung Preußens, seiner Rechtsetzung, Rechtsprechung und Verwaltung, von der Endphase des Heiligen Römischen Reiches bis in die Weimarer Republik hinein8, die ihr Ende erst mit dem finalen Schlag gegen die Demokratie durch die Absetzung Otto Brauns als Preußischem Ministerpräsident fand (sog. Preußenschlag). Diese zentrale Bedeu­ tung Preußens zeigt sich überdies auch in der Literatur, die sich bzgl. des Vereinsund Versammlungsrechts meist auf eine Kommentierung für Preußen beschränkt und diese dann als übertragbar erklärt. So führt etwa Ball9 aus: 3 Kritisch gegenüber „geschichtlich-politischen Betrachtungen“ die vor Mitte des 19. Jahr­ hunderts ansetzen, bereits Bornhak, Preußisches Staatsrecht, 1914, S. 182, denn es habe „sich das heutige Versammlungs- und Vereinsrecht […] seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ganz neu entwickelt, so daß keinerlei innerer Rechtszusammenhang zwischen dem jetzigen und dem frü­ heren Rechte besteht.“ 4 Gailus, in: Dowe/Haupt/Langewiesche, Europa 1848, 1998, S. 1021. 5 Bader, Aufgaben und Methoden des Rechtshistorikers, 1951, S. 9. 6 Stolleis, JuS 1989, 871 (875). 7 Dazu auch Stolleis, JuS 1989, 871 (874). 8 Boldt/Stolleis, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 2012, Kap. A Rn. 57 so­ wie zur Bedeutung Preußens in der Weimarer Republik, Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd.  III, 1999, S.  129: „Angesichts der überragenden Bedeutung der preußischen Verwaltung, der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts […] und der entsprechenden verwaltungsrechtlichen Literatur muß man sich vergegenwärtigen, daß die Verwaltungsstruktur des republikanischen Preußen in einem noch stärkeren Maß als im Reich ihre Kontinuität mit dem königlichen Preußen wahrte.“ 9 Ball, Vereins- und Versammlungs-Recht, 1894, Vorrede, S. 3 f.; nach Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. I, 1886, S. 874 seien die deutschen Länder dem Beispiel Preußens in der Vereins- und Versammlungsgesetzgebung gefolgt, so dass in Deutschland wesentlich über­

A. Vom Mittelalter zur Französischen Revolution

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„Indes lassen sich die im zweiten Theile [zu den Bestimmungen des preußischen Rechts] ge­ botenen Erläuterungen theilweise auch für den dritten Theil [Darstellung des Rechts der übri­ gen Deutschen Bundesstaaten] verwenden, da viele im Preußischen Recht vorkommende Be­ griffe und Vorschriften sich in dem Recht der außerpreußischen Bundesstaaten wiederholen.“

Weiter ermöglicht die Konzentration auf Preußen dennoch ein ausgewogenes Bild zu zeichnen, da sowohl ländliche als auch städtische und später industriell ge­ prägte Gebiete zum Landesgebiet gehörten und somit durch den Staat zu erfassen waren. Schließlich können so auch die jeweiligen Auswirkungen des Geschehens in Berlin, etwa im Rahmen der Märzrevolution, in ihrer konkreten teils unmittel­ baren Auswirkung auf die Gesetz- und Verfassungsgebung gezeigt werden.

A. Vom Mittelalter zur Französischen Revolution „Die Darstellung dieses Verwaltungsgebietes pflegt man gewöhnlich einzuleiten mit einer geschichtlichen Betrachtung. Beim Vereins- und Versammlungsrechte beginnt sie her­ kömmlicherweise mit einigen Bemerkungen über die Macht des germanischen Genossen­ schaftstriebes im Mittelalter, es wird dann bedauert, wie unter dem Einflusse des freiheits­ feindlichen römischen Rechts und des Absolutismus das alles anders wurde, bis man es denn in unserem Jahrhundert so weit brachte, in der Vereins- und Versammlungsfreiheit einen Grundpfeiler verfassungsmäßiger Freiheit zu sehen.“10

Tatsächlich beginnt manche „geschichtliche“ Betrachtung zur Geschichte des Versammlungsrechts sogar früher. So finden sich etwa bei Welcker Ausführungen zur Versammlungsfreiheit in Rom und Athen,11 bevor zum Mittelalter übergeleitet wird. In diesem habe dann, so Welcker, ein völlig freies Assoziationsrecht bestan­ den.12 Wobei die gesellschaftlichen Vereinigungen des „altgermanischen Lebens“ nach und nach „meist von feudalen und zunftmäßigen und katholisch-kirchlichen Vereinen überwuchert und ersetzt worden“ wären.13 Kennzeichnend für diese Be­ schreibungen ist zum einem die oft gemeinsame Betrachtung von Versammlung und Verein als „Association“14 und zum anderen eine eher geringe Zahl von Quellen­ nachweisen. So formuliert etwa Casper dann auch nur vorsichtig: „Dieses Streben nach Association scheint in älteren Zeiten ohne Aufsicht des Staates nach Belieben ausgeübt zu sein.“15 Das Problem einer Betrachtung, die nach Entwicklungslinien einstimmende Regelungen bestanden, ebd., S. 890 f. Zu den Abweichungen in der Versamm­ lungsgesetzgebung der Bundesstaaten s. u. Kap. 2 D. II. 10 Bornhak, Preußisches Staatsrecht, 1914, S. 182. 11 Welcker, in: Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Bd. I, 1847, S. 726 f. 12 Welcker, in: Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Bd. I, 1847, S. 726 f. 13 Welcker, in: Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Bd. I, 1856, S. 759. 14 Z. B. Welcker, in: Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Bd. I, 1856, S. 759. 15 Caspar, Das Preußische Versammlungs- und Vereinsrecht, 1894, S.  1. Ebd. auch dazu, „daß in solcher Vereinigung Vieler eine Gefahr für den Friedenszustand liegen“ könne, indem man durch „die Erregung der Leidenschaften“ dazu käme, „neu gewonnene Ueberzeugungen alsbald zu verwirklichen“.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

im Versammlungsrecht sucht, ist hierbei, dass das Assoziationsrecht im Mittelalter untrennbar mit den Verbänden, im Sinne eines „Lebensverbands“, verbunden ist, in den der Einzelne mit seiner Rolle fest eingebunden war.16 So ist „vor allem die freie, ad hoc gebildete Versammlung grundsätzlich gleichberechtigter Einzelner, die im Zentrum des modernen Versammlungsrechts steht, […] nicht nur in ihrer rechtlichen, sondern auch in ihrer sozialen Gestalt eine Erscheinung der Neuzeit.“17 Hinzutritt, dass namentlich bei den gern herangezogenen „Germanen“ Ver­ sammlungen (thing, ing) gänzlich andere Funktionen als heute hatten, sodass be­ reits im Frankenreich eine Volksteilnahme „fiktiv“ gewesen18 ist und man daher bereits ab dem 9. Jahrhundert die in Quellen beschriebenen Volksversammlungen eher als „Tagung der obersten Schichten“19, mithin eher als Vorläufer ständischer Landtage, betrachten muss. Eine für das hier verfolgte Anliegen des Aufzeigens der Entwicklungslinie vielversprechendere Spur findet sich daher eher in den spä­ teren textlich belegten Regelungen zum Versammlungsrecht aus der Zeit des Hei­ ligen Römischen Reiches. Diese werden im Folgenden darauf untersucht, ob sich in ihnen eine Orientierung an der Idee der organisierten Versammlung feststellen lässt, wie Versammlungen als rechtliche wie soziale Handlungsform insgesamt bewertet wurden und welche Stellung dabei insb. die Idee der organisierten Ver­ sammlung einnimmt.

I. Der Augsburger Reichsabschied von 1555 Bereits im Augsburger Reichsabschied20 (Reichsabschied)  vom 25.09.1555, namentlich in der von diesem umfassten Reichsexekutionsordnung, fanden sich zahlreiche Regelungen, welche sich mit Versammlungen im Sinne des sozialen Sachverhalts des Zusammenkommens von Menschen befassten. Während sich der erste Teil des Reichsabschieds wesentlich mit dem Allgemeinen Landfrieden und insb. seiner Ausdehnung auf Religionsstreitigkeiten (§§ 12–14 Reichsabschied) sowie weiteren Regelungen in Religionsfragen befasste und damit wesentlich auf den Ausgleich zwischen den Landesherren zielte, regelte die Reichsexekuti­ onsordnung (§§ 31–55 Reichsabschied)  auch konkret, wie bei bestimmten Er­ eignissen durch die „Obrigkeiten in ihren Churfürstenthumen, Fürstenthumen, Landen, Städten, Flecken und Gebieten“ (§ 44 Reichsabschied) auf deren Bevölke­ 16

Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 32 f. Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 30 ff. 18 von Schwerin, in: Hoops, Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, 1918–19, S. 406 f. 19 von Schwerin, in: Hoops, Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, 1918–19, S. 408. 20 Die Textgrundlage für die hiesige Darstellung findet sich bei Buschmann, Kaiser und Reich, 1994, Teil 1, S. 215 ff., der dieser die Neue und vollständigere Sammlung der Reichsabschiede, 3. Teil, 1747, S. 14 ff. (abgedruckt etwa bei Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deut­ schen Reichsverfassung, 1913, S. 341 ff.) sowie die Bearbeitung von Schmauß, Corpus iuris­ publici, 1774, S. 153 ff., zugrunde gelegt hat. 17

A. Vom Mittelalter zur Französischen Revolution

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rung i. w. S. („Lehnmann, Hindersässen, Unterthanen, Zugehörigen und Verwand­ ten“, § 44 Reichsabschied) zu reagieren war. So verbot § 34 Reichsabschied „die Vergadderungen und Versammlungen des Kriegsvolcks“, ohne dass zuvor die jeweilige Obrigkeit davon unterrichtet worden­ war und ein solches Treffen erlaubt hatte. Weiterhin wurden Handlungen verboten, in deren Folge im konkreten Fall („nach Gestalt und Gelegenheit der Sachen und dieser obliegenden Zeit und Läufft“) eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, i. S. v. Rechtsgütern, Ruhe und Frieden („Unruhe, Empörungen, Aufruhr, Verderben und Verheerungen der Land und Leut“), zu erwarten war. Verstöße hiergegen sollten mit den in §§ 36 f. Reichsabschied nachfolgenden Strafen („nachbestimmte Pön und Straf“, § 34 Reichsabschied) belegt werden. Eine Unterstützung solcher Gruppen, etwa durch das zur Verfügung Stellen von Unterkunft („gehauset, geherberget oder in einige Wege aufgehalten werden“, § 39 Reichsabschied) oder Nahrung („nichts geben […] sonder jederzeit ohne einige Gab abweisen“, § 38 Reichsabschied), wurde verboten und ebenfalls mit Strafe bedroht. Verdächtige Personen waren entsprechend zu überprüfen („gerechtfertiget“), § 40 Reichsabschied. Ebenso enthielt die Reichs­ exekutionsordnung hier bereits Regelungen für die landesübergreifende Verfolgung derartiger Gruppen und Personen. Während hier noch das Vorfeld des Zusammen­ kommens von Gruppen geregelt wurde, befassten sich §§ 43 f. Reichsabschied ex­ plizit mit der Bestrafung der Beteiligung an bestimmten Ansammlungen. So verbot § 43 Reichsabschied, dass irgendjemand sich an einer solchen Ver­ sammlung beteiligte („daß niemand, wes Standes oder Wesen der sey, […] ohn […] seiner Obrigkeit Vorwissen und Bewilligung […] in einige Vergadderung oder un­ gebührliche Versammlung einiges Kriegsvolcks zu Roß und Fuß begebe, sondern ein jeder sich des alles gäntzlich enthalte“), wobei die Strafandrohung erheblich gestaltet war („schweren Ungnad und Straf, Privierung und Entsetzung aller Re­ galien, Lehen, Freyheiten, Privilegien, Gnaden, Schutz und Schirm, so viel ein je­ der deß […] hat“). Diese Regelung zielte zwar wesentlich auf Personen mit her­ vorgehobener Stellung [„besonders und fürnemlich keine Oberste, Rittmeister, Hauptleute“]. Doch tauchte hier für die Reichsexekutionsordnung zuerst der Be­ zug zu einer Zentralgestalt bzw. einem Initiator auf („so solcher Vergadderung, Zusammenlauffen oder Häuffen, auch anderer Werbungen und Bestallungen der Knecht Anfänger, Ursacher, Aufwickler sind“). Für die „einfachen Unterthanen“ verbot § 44 Reichsabschied sodann, dass diese sich Versammlungen gegen den Kaiser oder einen Stand des Reichs anschlossen („daß sie sich in keinem Wege rottieren, vergaddern oder zu einigen Versammlun­ gen wider die Röm. Kayserliche Mayestät, […] noch einigen Stand des Reichs we­ der heimlich noch öffentlich begeben, bestellen oder annehmen lassen“),21 wobei 21

Eine ähnliche Regelung fand sich bereits im Landfrieden von 1548, nach dem sich das Volk „der öffentlichen Ruhe nachtheiligen Verbindungen, Versammlungen und Zusammenrottun­ gen […] enthalten“ sollte, von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S. 216; Text bei Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung, 1913, S. 330.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

die Strafen auch hier ganz erheblich waren („nemlich Verwirckung und Confiscie­ rung eines jeden Haab und Güter, Lehn und Eigen, beweglichen“). Wer dieses be­ reits getan hatte oder nochmals tun würde, sei abzumahnen. Eine besondere Ursache für „allerlei Empörungen, Vergadderungen und Aufwig­ lungen“ schließlich seien „Ausgetretene“ oder „Absager und Landzwinger“ also „Unterthanen, so zu Zanck und Unruhe geneigt“, dass sie „Lust haben mutwilliger Weiß auszutreten“ gewesen, welche Personen ebenso wie „etwa gantzen Commu­ nen und Gemeinden“ bedrohten, § 45 Reichsabschied. Für die so angesprochenen Fehdeführer wurden sodann verschiedene Regelungen getroffen, etwa dass solche durch Obrigkeiten nicht geschützt werden dürften, § 46 Reichsabschied, und „Un­ terschleiffer, Enthalter und Fürschieber“ also Unterstützer diesen gleich bestraft werden sollten. Diese Ausgetretenen waren namentlich zu erfassen und nebst ih­ ren Unterstützern öffentlich bekannt zu machen, § 47 Reichsabschied. Strafe für diese war, „mit dem Schwerdt als Landzwingen von dem Leben zum Tod gericht [zu] werden“, § 48 Reichsabschied. § 49 Reichsabschied22 legte sodann bzgl. umherziehenden Kriegsvolks fest, dass die Obrigkeit, in deren Gebiet es sich befand, klären („sie besprechen las­ sen“) sollte, welchem Herrn dieses unterstand („welchem Herrn sie zu gut gefüh­ ret werden“) und so sie „einen guten Schein und Urkund“ hatten, man sie passieren lassen sollte, ansonsten aber „allen möglichen Fleiß fürwenden [sollte,] die Ver­ sammlung, Vergadderung und Läufft, sie geschehen eintzig oder rottenweiß, als­ bald ohne Verzug, und ehe solch Feuer überhand nimmt, seines bestens Vermögens abzuwenden, zu trennen und zu fürkommen“, § 50 Reichsabschied. War der Obrig­ keit dies nicht möglich, war der Kreisoberste um Hilfe zu ersuchen, „solch ver­ sammlet herrnloß oder zweiffenlich Kriegsvolck, wie vorstehet, mit Güte oder der That zu trennen und ohne männigliches Nachtheil und Schaden ausser Lands, so viel möglich, zu bringen“, § 51 Reichsabschied. Weiterhin waren „die Haupt- und andere Befehlsleute und Führer, so fern sie vorhanden […] anzuhalten“, den durch das Kriegsvolk bei den Untertanen entstandenen Schaden zu ersetzen („zu kehren, treulich behülfflich und beyständig zu seyn“) und die Anführer („Haupt- und Be­ fehlsleut, auch Redlingsführer und Aufwickler“) darüber hinaus entsprechend zu bestrafen („zu gebührlicher Straf anzunehmen“), § 51 Reichsabschied. Zur Durchsetzung dieser Bestimmungen wurden sodann in der Kreisordnung (§§ 56–79 Reichsabschied)  die Reichskreise errichtet, deren Kreisobersten (§ 56 Reichsabschied) etwa aufrührerische Bewegungen („Empörungen, Musterplätzen, anderen Rottirungen und thätlichen Handlungen“) zu beobachten („ihr fleissigs Aufmerckens haben“ § 60 Reichsabschied) und gegebenenfalls einzuschreiten hat­ ten (§§ 61 ff. Reichsabschied), wobei zwischen dem Handeln bei Gefahr eines Auf­

22 Eine vergleichbare Regelung fand sich schon früher in § 7 des sog. Ewigen Landfriedens Kaiser Maximilians vom Wormser Reichstag (26.03.1495–07.08.1495) „Raysig und Fußknecht“ die „kain Herrschaft haben“; Text bei Buschmann, Kaiser und Reich, Teil 1, 1994, S. 157 ff.

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ruhrs (§§ 61–64 Reichsabschied) und Handeln bei Ausbruch eines Aufruhrs unter­ schieden wurde (§§ 65 ff. Reichsabschied). Zusammenfassend lag mit den Regelungen des Reichsabschieds damit zunächst eine Bezugnahme auf Konstellationen des Zusammenkommens von Menschen vor, die heute unter den Begriff „unfriedlich“ i. S. d. Art.  8 GG fallen würden. Fried­ liche Versammlungen hingegen tauchten gar nicht auf. Obwohl hier noch keine versammlungsrechtliche Regelung im späteren Sinn getroffen wurde, ist aber be­ reits festzuhalten, dass die erste Bezugnahme auf den sozialen Sachverhalt des Zu­ sammenkommens von Menschen negativ im Sinne der Verhinderung von Fehden und Gefahren durch Ansammlungen Bewaffneter getroffen wurde. Dadurch wurden bestimmte Begriffe eingeführt („Unruhe“; „Empörungen“; „Aufruhr“; „Ver­gad­de­ rung“, „Zusammenlauffen“ oder „Häuffen“, „Aufwicklungen“, „Musterplätzen“, „Rot­ti­run­gen“, „thätliche Handlungen“), die so eine durchweg negative Vorprä­ gung enthielten. Vorhanden war aber bereits die, hier vornehmlich strafend ausgerichtete, Tren­ nung zwischen „Unterthanen“, die an, wenn auch „unruhigen“, Versammlungen bloß teilnahmen („begeben, bestellen oder annehmen lassen“), und solchen, die eine Verantwortung für deren Entstehen trugen. Für letztere wurden als Begriffe etwa „Redlingsführer“, „Aufwickler“ oder „Ursacher“ geprägt. Diese Regelun­ gen blieben bis zur Einführung des PrALR die maßgeblichen Bestimmungen zum Versammlungsrecht.23

II. Das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 Das Preußische Allgemeine Landrecht (PrALR)24 war als Versuch einer Voll­ regelung aller Rechtsbereiche25 auch in den die Versammlungen26 betreffenden Re­ gelungen deutlich ausführlicher als der Reichsabschied. Hier fanden sich nament­ lich im Theil II im zwanzigsten Titel (II 20 PrALR) im vierten Abschnitt („Von 23

Vgl. Kap. 2 A. IV. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794. 25 Für die Formulierung der „Allgemeinen Rechte der Menschen“ in § 83 der Einleitung als „eine Art von Verfassung“, Würtenberger, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte in Deutschland, 2004, § 2 Rn.  11, wenn diese auch praktisch ohne Folge gewesen sei, so­ Küchenhoff, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, 1966, S. 18. 26 Auch politische Vereine waren durch das PrALR nicht verboten, Meyer/Anschütz, Georg Meyers Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 919, dort auch zur Vorgeschichte. Zu beachten war für solche allerdings das sog. Vereinsedikt vom 27.10.1798, PrGS 1816, S.  7; s. a. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. I, 1886, S. 874. Frühere Regelungen zu Vereinen bzw. Vereinigungen fanden sich bereits in der Goldenen Bulle vom 10.01.1356, Erster Teil, Kap. XV „de conspirationibus“, dazu Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. I, 1886, S. 873; Text bei Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfas­ sung, 1913, S. 192 ff. Hierbei ging es aber eher um Verbindungen etwa von Städten mit anderen Städten oder mächtigen Personen gegen einen Landesherrn, Zeumer, ebd., S. 72 ff. 24

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

Verbrechen gegen die innere Ruhe und Sicherheit des Staates“) viele Anknüp­ fungspunkte zur Idee der organisierten Versammlung. Bereits in § 151 II 20 PrALR wurde derjenige mit Strafe bedroht, der „durch fre­ chen unehrerbietigen Tadel, oder Verspottung der Landesgesetz und Anordnungen im Staate, Mißvergnügen oder Unzufriedenheit der Bürger gegen die Regierung veranlaßt“, worin sich eine Wiederaufnahme der Idee der Zentralgestalt i. S. d. Ver­ anlassers zeigte. Auch die Regelungen zum Fehdeverbot, hier nunmehr als eigen­ mächtige Durchsetzung (vermeintlich bestehender) Rechte („Unerlaubte Selbst­ hülfe“), wurden wieder aufgegriffen, §§ 157–159 II 20 PrALR. Die Vorschriften zum „Aufruhr“ begannen mit einer Definition. So machte sich derjenige des Aufruhrs schuldig, der „eine Classe des Volks, oder die Mitglie­ der einer Stadt- oder Dorfgemeinde, ganz oder zum Theil zusammenbringt, um sich der Ausführung obrigkeitlicher Verfügungen mit vereinigter Gewalt zu wi­ dersetzen, oder etwas von der Obrigkeit zu erzwingen“, § 167 II 20 PrALR. Die­ ses „Zusammenbringen“ machte den Unterschied zum bloßen „Widerstand ge­ gen die Obrigkeit“ (§ 166 II 20 PrALR) des Einzelnen aus, worauf eine gesteigerte Strafe folgte  – und zwar selbst dann, „wenn auch noch keine wirkliche Gewalt verübt worden, und noch kein Schade geschehen ist“, § 168 II 20 PrALR. Auch für das Handeln des Einzelnen „bey einem solchen Tumulte“ wurde nicht nur die­ ser, sondern auch „der Rädelsführer“ (im Reichsabschied noch „Redlingsfüh­ rer“)27 gestraft, wobei für letzteren ergänzend eine „von dem Richter zu bestim­ mende Anzahl von Peitschenschlägen“ zu Beginn und Ende der Festungs- oder Zuchthausstrafe („Willkommen und Abschied“) hinzutrat, § 169 II 20 PrALR. Kam es zudem sogar zu einem Totschlag war der Rädelsführer entsprechend här­ ter zu bestrafen, § 170 II 20 PrALR („zehnjährige Festungs- oder Zuchthaus­ strafe“), wobei die Strafe noch härter ausfiel, wenn der Täter selbst nicht ermittelt werden konnte („zehnjährige bis lebenswierige Festungs- oder Zuchthausstrafe“), § 171  II  20  PrALR. Kamen „obrigkeitliche Personen oder Wachens welche zur Stillung“ des Tumults tätig wurden, zu Schaden („thätlich behandelt“), war der Rädelsführer wie der Täter zu bestrafen, § 173 II 20 PrALR. Erst nachdem so die Strafen für die Rädelsführer bestimmt worden waren, folgten Regelungen für die Teilnehmer. Dabei wurden solche Teilnehmer, die sich „ohne Beruf“, also ohne Er­ laubnis hierzu, „mit tödlichem Gewehre oder gleich schädlichen Instrumenten in solchen Tumult mischen“ auch dann strafbar gestellt, wenn sie keine Gewalt aus­ geübt hatten, § 174 II 20 PrALR. Es wurde also im Wege der Strafvorschrift und vor dem Hintergrund der vorherigen Regelungen gegen das „Kriegsvolk“ ein ers­ tes Waf­fenverbot für das Zusammenkommen von Menschen erlassen, auch wenn dieses ob der Systematik zunächst nur für den Fall des „Aufruhrs“ galt. Ebenfalls wurde die Versorgung der „Aufrührer mit Gewehr oder anderen Werkzeugen ih­ res Unfugs“ mit Strafe bedroht, § 175 II 20 PrALR. Um derlei Aufruhr schließlich bereits prophylaktisch entgegenzuwirken, wurde zweigleisig gefahren. Zunächst 27

S. o. Kap. 2 A. I.

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wurde versucht, der Entstehung von „Unzufriedenheit“ überhaupt entgegenzuwir­ ken, indem allen „obrigkeitliche[n] Personen“ etwa Magistraten und Gerichten aufgegeben wurde, einen „jeden welcher sich in Angelegenheiten ihres Amts bey ihnen meldet, persönlich zu hören, und auf schleunige Untersuchung und Abhel­ fung gegründeter Beschwerden bedacht zu seyn“, § 180 II 20 PrALR. Gleichzeitig bestimmte § 181 II 20 PrALR: „Allem Zusammenlaufe des Volks an ungewöhnlichen Zeiten und Orten, besonders aber nächtlichen Schwärmereyen, und Beunruhigungen der Einwohner eines Ortes, soll von der Obrigkeit durch ernstliche Mittel gesteuert werden.“

Es sollte also gar nicht erst auch nur zu Vorstufen der oben geschilderten Ver­ haltensweisen kommen. Doch auch für diese Vorstufen trennte das PrALR, wenn auch nicht in der Rechtsfolge i. S. d. Höhe der Strafandrohung nach, zwischen „Anstifter“ und „Theilnehmer“ und ordnete eine Strafe für erstere an sowie für letztere, so sich diese „nicht weisen lassen“, also den Anordnungen der Obrigkei­ ten (vgl. „durch ernstliche Mittel gesteuert“, § 181 II 20 PrALR) nicht Folge leis­ teten. Der Begriff „Anstifter“ tauchte hier zum ersten Mal auf, er entsprach am ehesten dem Begriff des „Urhebers“ des Reichsabschieds. Sonstiges Zusammenkommen („Redute, öffentliche Maskerade, oder andre der­ gleichen öffentliche Lustbarkeit“) war nur auf „ausdrückliche Erlaubniß der Poli­ zeyobrigkeit“ zulässig, § 186 II 20 PrALR. § 189 II 20 PrALR sprach insoweit von einer Anzeige. Diese Regelung setzte zumindest eine vorbereitende Instanz vo­ raus, die die Erlaubnis einholen konnte. Das PrALR verzichtete aber darauf, die­ ser auch die Verantwortlichkeit für die „nöthige Aufsicht zu Verhütung aller Un­ ordnung“ aufzuerlegen, § 187 II 20 PrALR.28 Verzichtete der „Unternehmer“ (§ 188 II 20 PrALR) jedoch darauf, sich die erforderliche Erlaubnis einzuholen, und erbat er nicht den Schutz durch die Obrigkeit, war er „wegen aller dabey vor­ gefallener Unordnung oder Verbrechen, gleich demjenigen, welcher dazu thäthi­ gen Beystand geleistet hat“ zu bestrafen, § 188 II 20 PrALR. Zusammenfassend war damit nicht das Sich-Versammeln an sich verboten, son­ dern nur bestimmte Verhaltensweisen bei dessen Gelegenheit.29 Dabei ist die deut­ lich strafrechtliche Fixierung festzuhalten, die wie bereits der Reichsabschied die Trennung von Zentralinstanz, die hier als „Rädelsführer“30 oder „Unterneh­ mer“ bezeichnet wurde, und Teilnehmer kannte. Für nicht gewalttätiges Zusam­ menkommen wurde eine Erlaubnispflicht statuiert, der der Urheber nachzukom­ men hatte. Deutlich wird allerdings, dass jede Versammlung von Menschen, war auch die berechtigte Unzufriedenheit der Grund, als potenziell gefährlich angese­ hen wurde, sie quasi den „Keim des Aufruhrs“ bereits in sich trug, was sich bereits 28

Vgl. § 8 S. 2 VersG. So auch Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn. 17. 30 S. dazu §§ 125, 125a StGB sowie BGH, NStZ 2011, 576. 29

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an der gesetzessystematischen Zuordnung des „Zusammenlaufens“ wie auch der „Lustbarkeiten“ beim „Aufruhr“ zeigte. Entsprechend negativ zum Bild der Ver­ sammlung war die Einordnung der initiierenden Zentralgestalt. Mit dem Waffen­ verbot sowie dem Verbot unangemeldet zusammenzukommen (§ 181 II 20 PrALR) zeigten sich darüber hinaus bereits Punkte, die im zeitlich nachfolgenden (Ver­ sammlungs)Recht wieder aufgegriffen werden.31

III. Die preußische Tumultverordnung von 1798 Zeitlich wie thematisch anschließend erging 1798 die erste preußische Tumult­ verordnung (Tumultverordnung 1798).32 Bereits vier Jahre nach Erlass des PrALR schienen dessen Regelungen nicht mehr ausreichend, „um einen entstehenden Tu­ mult gleich im Anfang zu unterdrücken“ (Vorrede, Tumultverordnung 1798). Der Titel griff dabei gleich drei aus Reichsabschied und PrALR bekannte Regelungs­ ebenen auf: So wurden sowohl präventive („Verhütung“) als auch repressive Nor­ men („Bestrafung“) eingebracht und zwischen „Urheber und Theilnehmer“ ge­ trennt. Schon in der Vorrede überrascht allerdings die vorgebrachte Auffassung, dass „nach der Erfahrung, dergleichen Volksaufläufe oft wider den Willen der­ jenigen, welche sie veranlasset, das größte Unheil stiften können“. Damit ge­ schah zweierlei: Zunächst wurden für das soziale Geschehen des Zusammenkom­ mens von Menschen der Begriff „Volksauflauf“ („Volksaufläufe“) und für die initiierende Instanz der Begriff „Veranlasser“ („veranlasset“) eingeführt, welche Reichsabschied und PrALR noch nicht kannten und die beide eine deutlich posi­ tivere Wirkung als das noch im Titel selbst gebrauchte Wort „Tumult“ bzw. „An­ stifter“ (§ 181 II 20PrALR) hatten. Zum anderen schien (entgegen des Titels „Be­ strafung der Urheber“) die erste „entlastende“ Regelung zu Gunsten des Initiators ­stattzufinden. Zu Beginn legte die Tumultverordnung konkrete Pflichten der Untertanen für das Verhalten im Fall eines entstehenden Tumults fest. So hatte der „Hauswirth“ etwa die Pflicht (§ 1 Tumultverordnung 1798) „sobald er vom Auflaufe Nachricht erhält (…) sein Haus zu verschließen, und so lange der Auflauf nicht gestillt ist, solchen im Hause befindlichen Personen den Ausgang zu verweh­ ren, von welchen zu besorgen ist, daß sie aus Neugier oder böser Absicht den versammelten Volkshaufen vermehren könnte“.

Gleiches ordnete § 2 Tumultverordnung 1798 für „Eltern, Schullehrer und Herr­ schaften“ für „Kinder, Zöglinge und Gesinde“ an. Für die Versammlung wurde hier 31

Vgl. etwa § 113 Abs. 1 OWiG sowie § 14 VersG. Von Verhütung der Tumulte und Bestrafung der Urheber und Teilnehmer, PrGS 1835, S. 170–176 (zuvor nicht abgedruckt). Ähnliche Regelungen enthielt die Fürstlich Osnabrücki­ sche Verordnung gegen diejenigen, welche Unruhe stiften, vom 22.09.1794, abgedruckt bei von Berg, Handbuch des Teutschen Polizeyrechts, Bd. V, 1806, S. 9. 32

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als nächster Begriff die „Volksmenge“ eingeführt. Damit nutzte die Tumultverord­ nung innerhalb der ersten zwei Paragrafen gleich vier Begriffe zur Umschreibung des Zusammenkommens von Menschen („Tumult“, „Volksauflauf“, „versammel­ ter Volkshaufen“, „Volksmenge“), wobei eine wertunterscheidende Bestimmung in der Verordnung selbst nicht zu erkennen war. Die Pflicht, i. w. S. zugeordnete Per­ sonen von der Teilnahme abzuhalten, traf gem. § 3 Tumultverordnung 1798 dann auch „Entreprenneurs von Fabriken“ sowie „Gewerksmeister“. Dabei wurde nicht versäumt, auch den Getränkeausschank („Wein, Branntwein, Liquers, Bier und andere Getränke“) bei „entstehenden Tumulten“ zu untersagen und entsprechen­ den Lokalitäten die Schließung vorzuschreiben, wobei die Beschränkungen sogar auf „entferntere Gegenden“ ausgedehnt wurden, § 5 Tumultverordnung 1798. So­ dann erfolgten konkrete Anweisungen für diejenigen Polizeibeamten, welche sich in der Nähe befanden. Diese hatten „Ruhestörer“ festzuhalten, „dem versammel­ ten Haufen ernstlich an[zu]deuten, sogleich ruhig auseinander zu gehen“ und zu verhindern, dass Dritte hinzutraten, die „aus Neugier oder aus anderen Absichten den unruhige Haufen vergrößern wollen“, § 6 Tumultverordnung 1798. Wer sich „bei entstehendem Tumulte in der Gegend desselben auf den Straßen“ aufhielt, sollte dazu angewiesen werden, sich „sogleich ruhig hinweg[zu]begeben“ und bei Zuwiderhandeln „zum Arrest gebracht werden“. Mit dieser Regelung schloss sich die inhaltliche Ausrichtung auf die „Verhütung“ und es erfolgte der Übergang zum Umgang („Dämpfung“, § 8 Tumultverordnung 1798) mit bereits entstande­ nen Tumulten. Hier folgten etwa konkrete Regelungen zu dem Bereich, der heute als „Auflösung“ bezeichnet werden würde, so sollte der Vertreter der Obrigkeit „den versammelten Haufen mit lauter Stimme auffordern, ruhig zu sein und so­ gleich auseinander zu gehen“, § 8 S. 1 Tumultverordnung 1798.33 Dieser „Zuruf“ war zweimal zu wiederholen, wobei bereits die Situation bedacht war, dass „der versammelte Volkshaufen so zahlreich“ sein würde, dass ein Zuruf nicht in Frage kommen würde, sodass dieser durch „Trommelschlag oder Trompetenschall“ er­ setzt werden konnte, § 8 S. 3 Tumultverordnung 1798. Wer dieser Aufforderung nicht Folge leistete, wurde als „Aufrührer“ bestraft.34 Eine neue Sichtweise auf das Zusammenkommen von Menschen zeigte § 9 Tu­ multverordnung 1798 dahingehend, dass zumindest nach dem Wortlaut der Norm, nicht mehr jeder Tumult gleichzeitig gewalttätig sein musste. Hier fand insoweit bereits ein Wandel von einer Verhinderung bewaffneter Aufstände hin zur „Erhal­ tung der allgemeinen Ruhe und Sicherheit“ (Vorrede, Tumultverordnung 1798) statt, was eine Verschiebung von der (wenn auch hier noch fest verankerten, vgl. §§ 6 S. 2; 7 S. 1 Tumultverordnung 1798) militärischen „Behandlung“ von Ver­ sammlungen hin zu einer polizeilichen anzeigte.35

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Vgl. §§ 11 Abs. 2; 18 Abs. 1; 18 Abs. 3 VersG. Zum verwandten Begriff des „Aufwicklers“ bzw. der „Aufwiglungen“ bereits Kap.  2 A. I. 35 Vgl. dazu Kap. 2 C. VI. 3. 34

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§ 9 Tumultverordnung 1798 griff sodann das Modell der gleichen Bestrafung für Täter und „Veranlasser“ bei Ausübung von Gewalt wieder auf, wobei die „körper­ lichen Züchtigungen“ hier abweichend vom PrALR nicht mehr dem Veranlasser der Versammlung, sondern dem Täter selbst zukommen sollten. Hier endete aber bereits die scheinbare Verbesserung für die Initiatoren einer Zusammenkunft. So ordnete § 11 Tumultverordnung 1798 nunmehr eine „verhältnismäßige Gefängniß, Zuchthaus- oder Vestungs-Strafe“ für den „Anstifter eines Auflaufs“ an, und zwar auch dann, wenn der „Auflauf […] auch nur aus bloßem Leichtsinn erregt wor­ den ist“, was die Verordnung mit der „Gefahr, worin ihre Mitbürger gesetzt sind“, begründete. Ganz ähnlich änderte § 12 Tumultverordnung 1798 den § 183 PrALR dahingehend ab, dass „Mutwillige Buben, welche auf den Straßen, oder sonst Un­ ruhe erregen, oder grobe Unsittlichkeiten verüben, die einen Zusammenlauf des Volkes veranlassen könnten“, bestraft werden sollten. Anders als noch das PrALR reichte der Tumultverordnung 1798 hier die Möglichkeit einer Veranlassung eines Zusammenlaufens des Volks. Die Bestrafung des „Anstifters eines Tumults“ wurde sodann, bis zu einer Grenze von „14tägigem oder geringem Gefängnis“ der Polizei direkt übertragen, § 13 Tumultverordnung 1798.36 Erst höhere Strafen waren dem „Landes-JustizCollegio der Provinz“ vorbehalten, § 14 S. 1 Tumultverordnung 1798, wobei für das Strafmaß „hauptsächlich auf die größere oder geringere Gefahr gesehen wer­ den [sollte], welche durch den Tumult entstanden ist, oder leicht hätte entstehen können“. Zusammenfassend führte die Tumultverordnung damit gegenüber dem Reichs­ abschied und dem PrALR neue Begriffe ein („Tumult“, „Volksauflauf“, „versam­ melter Volkshaufen“, „Volksmenge“)37, behielt aber die unterschiedlichen Stra­ fen für „Veranlasser“ und bloße Teilnehmer bei. Weiter verschärfte es das PrALR dahingehend, dass bereits das Hervorrufen eines nur möglichen Entstehens eines „Tumults“ bzw. eines „Zusammenlaufens des Volkes“ (§ 12 Tumultverordnung 1798) bestraft wurde. Neu waren insb. die Vorschriften, die Dritte dazu anhalten sollten, das Vergrößern eines „Volkshaufens“ zu verhindern. Die Tumultverord­ nung hielt mithin an der Idee einer Zentralgestalt fest, sah diese aber nicht mehr nur in einer vorbereitenden und planenden Rolle, sondern auch in einer bloß aus­ lösenden Funktion eines sich bildenden „Haufens“. Dabei war in der Tumultver­ ordnung bereits eine Abwendung von der früheren Fokussierung auf fehdeartige Zustände und bewaffnete Konflikte zu erkennen. Der Tumult war damit schon nicht mehr so sehr „Aufruhr“ wie „Versammlung“. 36

Eine derartige „Aufrüstung“ der Polizeibehörden mit einem „Strafamt“ war in vielen deut­ schen Ländern üblich. Aus dieser folgte auch die Bezeichnung „Polizeistrafen“ bzw. „Polizeiver­ gehen“, Maurenbrecher, Grundsaetze des heutigen deutschen Staatsrechts, 1847, S. 354 m. w. N. 37 Zu den verschiedenen Begriffen im zeitgenössischen Verständnis, etwa „vergaddern“, „Ver­ sammlung“, „Zusammenkunft“, „Zusammenrottierung“, „Zusammen-Verschwörung“, „Verstrickung“, s. jeweils die Stichwörter bei Zedler, Universallexikon, 1732–1754. Zu den Begriffen auch Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 30 ff.

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IV. Versammlungsorganisation in der Literatur Kann schon den Gesetzen selbst ein Wandel der Anwendungsbereiche vom Feh­ derecht hin zur Verhinderung von „Unruhen“ i. S. v. „Volksaufständen“ entnom­ men werden, so zeigt sich dies ebenso in der begleitenden zeitgenössischen Lite­ ratur. Die Kontinuität der Regelung in ihrer Anwendung auf neue Probleme bildet dabei die Klammer vom Reichsabschied bis zur Tumultverordnung und damit über die gesamte Schlussepoche des Heiligen Römischen Reiches. Wo zur Mitte des 16. Jahrhunderts noch die Verhinderung des Fehdewesens im Mittelpunkt stand, waren es am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert, also im Bereich des unmit­ telbaren Eindrucks der Französischen Revolution, „unruhige Bewegungen unter den Unterthanen“38 sowie die „gefährliche Classe der jetzigen Volksverführer“39.40 So führte von Berg 1802 aus, „Oeffentliche Versammlungen und Zusammenkünfte können wenigstens an einem oder dem anderen Orte im Lande die öffentliche Ruhe stören wobey nicht selten eine weitere Verbrei­ tung der Unruhen zu befürchten ist“41

und weiter „Selbst die Anfangs ruhige Versammlung erhitzt allmälich die Köpfe und endigt mit auf­ rühre­rischen Beschlüssen und Unternehmungen. Auf diese passt vollkommen, was die Reichsgesetze42 gegen Vergadderung, Rottierungen und Aufwieglungen verordnen.“43

So seien nach von Berg dann auch „Reichs-Policeygesetze und Anstalten, welche innere Ruhe und Sicherheit zum Gegen­ stand haben, […] größtentheils schon Jahrhunderte alt, häufig für die jetzige Zeit nicht mehr brauchbar, aber noch häufiger aus Irrthum und Vorurtheil, weil man sie bloß nach dem Buch­ staben, nicht nach ihrem Geist und Zwecke verstehen will, für unbrauchbar gehalten. Wer mit Aufmerksamkeit und Nachdenken ihre wahre Absicht erwägt, dem kann es nicht schwer werden, auch jetzt noch in den meisten Fällen ihren practischen Werth einzusehen und ihre Anwendbarkeit anzuerkennen.“44 38

von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S. 239. von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S. 220. 40 Das sieht auch von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S.  228: „Zwar sind die Fälle, auf welche die Gesetzgeber bey der Abfassung dieser Verordnung [etwa Reichs­ abschied] gesehen haben, jetzt nicht mehr dieselben, wie im 15. und 16. Jahrhundert. Die Zei­ ten der Götze von Berlichingen sind vorbey.“ 41 von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S. 239. 42 Gemeint ist der Augsburger Reichsabschied, vgl. Kap. 2 A. I. 43 von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S. 247; in die gleiche Richtung S. 248: „In jedem Staate finden sich Leute (…) den Vergadderungen herrenloser Kriegsleute am meisten ähnlich, und daher auch nach einerley Grundsätzen zu behandeln“. 44 von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S. 215. Für letzteres verweist er etwa auf die Darstellung bei Schlettwein, Die in den deutschen Reichsgesetzten bestimmte Weise Ordnung der Gerechtigkeit wider Aufruhr und Empörung der Unterthanen gegen ihre Obrigkeit, 1791, der auch die – hier ausgelassenen – Regelungen des Landfriedens Karl V. vom 30.06.1548 einbezieht. Dort auch zur Rolle des Reichsgerichts bei „Empörungen“, S. 7. Zu den Übergän­ gen der Begriffe ebd., S. 8 etwa „Empörung, oder einer anderen friedensbrüchigen That“. 39

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Denn „wenn man die teutschen Reichsgesetze, deren Gegenstand öffentliche Ruhe und Sicherheit ist, mit besonderer Rücksicht auf die Verfassung des Reichs, genau durchgehet: so wird man nur wenig vermissen, was man vielleicht als ein Bedürfnis für die gegenwärtige Zeit anse­ hen könnte, obgleich die Urheber jener Gesetze an die Hauptquelle aller jetzigen Unruhen gewiß nicht gedacht haben.“45

Die angesprochene Hauptquelle der Unruhen machte von Berg in der „gefähr­ lichen Classe der jetzigen Volksverführer“ aus, „die meist nichts zu verliehren haben, und nur auf das Unglück ihrer Mitbürger eine ehr- und habsüchtige Existenz für sich zu gründen trachten“.46

Wobei das bereits auf diejenigen zutraf, die sich schriftlicher oder mündlicher Verbreitung der „thörigten Freyheits- und Gleichheits-Grundsätze“47 beflissen. Wohl gemerkt: Wie oben gezeigt, befassten sich die Regelungen der Reichsgesetze, die von Berg hier zur Anwendung gebracht wissen wollte, im Wesentlichen mit der Störung des Friedens durch die „Vergadderung“ oder „Zusammenrottierung“48 umherziehenden Kriegsvolks.49 Zu diesem Zeitpunkt tauchte auch bereits wiederholt der Gedanke des Miss­ brauchs gewährter Freiheiten auf. So wäre den Gesetzen des Staates „der schuldige Gehorsam“ versagt worden, etwa wenn „selbst eine erlaubte Verbindung […] zu gesetzwidrigen Anmaßungen, tumultarischen Forderungen und ruhestörenden Un­ ternehmungen mißbraucht wird.“50 Der Gedanke des Missbrauchs eines Rechts, der jeweils voraussetzt, festlegen zu können, was der rechtmäßige Gebrauch ist, begleitete das Versammlungsrecht (wie das häufig unter dem Begriff „Association“ gemeinsam behandelte Vereinsrecht) fortan mit allen Unsicherheiten. Vor diesen Hintergrund der Behandlung von Versammlungen vor den Reichs­ gesetzen sowie dem PrALR und der Tumultverordnung traten sodann die Erfah­ rungen bzw. Berichte über Ereignisse, namentlich aber Exzesse auch aus Ver­ sammlungen heraus, während der Französischen Revolution, wie sie sich etwa bei Schiller51 dichterisch verarbeitet finden lassen. 45

von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S. 220. von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S.  220 f. von Berg zitiert hier selbst aus einem Reichsgutachten vom 18.02.1793. 47 von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S.  220 f. von Berg zitiert hier selbst aus einem Reichsgutachten vom 18.02.1793. 48 Vgl. a. § 27 Abs. 2 Nr. 3 VersG: „zusammenrottet“. 49 Zur Gleichbehandlung bzgl. der „Zusammenrottierung“ Schlettwein, Die in den deutschen Reichsgesetzten bestimmte Weise Ordnung der Gerechtigkeit wider Aufruhr und Empörung der Unterthanen gegen ihre Obrigkeit, 1791, S. 17: „Zusammenrottierungen des Volkes zu vielen tausenden, Ergreifung der Waffen, Herumziehen des Volkshaufens auf den Straßen unter tumul­ tarischen Geschrey für die Freyheit, lärmender Jubel-Ausruf zu Ehren derer, die dem Fürsten abgeneigt waren […]“. 50 von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S. 213. 51 Schiller, Die Glocke, 1799. 46

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„Freyheit und Gleichheit! hört man schallen, Der ruh’Bürger greift zur Wehr Die Straßen füllen sich, die Hallen, Und Würgerbanden ziehn umher, Da werden Weiber zu Hyänen Und treiben mit Entsetzen Scherz, Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen, Zerreissen sie des Feindes Herz.“

Derartige Darstellung mochte sogar noch im Rahmen der Märzrevolution das Verhalten der Bürgerlichen gegenüber der Revolution mitbestimmt haben.52 Sie ta­ ten es augenscheinlich bei von Berg. Neben dem „revolutionären Beigeschmack“, der jeglichem Zusammenlaufen des Volkes beigeschrieben wurde, trat dann in der Literatur noch der teils als fließend erachtete Übergang zu Räuberbanden.53 Eine wirkliche Trennung der Versammlungen von Vergadderung oder Aufruhr erfolgte dann auch erst viel später. Kritik hieran fand sich in der späteren Litera­ tur etwa bei Gierke. So seien Polizei- und Strafgesetze „eigenmächtige Versamm­ lungen als „Zusammenrottungen“, unbewilligte Vereine als „Vergadderung“, „Ver­ schwörung“, „Bündnisse“, „Koventikel“ usw. mit Empörungen und Aufruhr im Wesentlichen gleich“ behandelt worden.54 Freie Versammlungen seien „allgemein als unerlaubt bestraft [worden], sofern sie nicht vorher von der Obrigkeit autori­ siert waren“55. Dazu seien die Vorschriften entsprechend weit ausgelegt worden. 52

Die Folgen zeigten sich in Frankreich selbst etwa konkret darin, dass die Versammlungs­ freiheit nicht mehr in die Verfassung aufgenommen wurde, Küchenhoff, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, 1966, S. 17. Zur Furcht der Bürger vor der Straße vgl. die historische Skizze des Angriffs auf die Kutsche des Konsuls Lebrecht Kröger bei Mann, Buddenbrooks, Zweiter Teil. Auch Brater, in: Bluntschi/Brater, Deutsches Staats-Wörterbuch, 1867, S. 763: „Gleichzeitig hatten die Klubs in Paris und den Provinzen das abschreckende Beispiel von der Anwendung dieses [des Versammlungsrechts] gegeben“; Welcker, in: Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Bd. I, 1847, S. 741, mit differenzierterer Betrachtung in der 3. Aufl., S. 780, wies ­allerdings zutreffend darauf hin, dass „deren [der Jakobiner] Thaten […] auch gar kein Bestandtheil rechtlicher Associationsfreiheit sind.“ Nach Quilisch, Die demokratische Ver­ sammlung, 1970, S. 47, habe das „Schreckensbild des Terrors des Jakobinerclubs“ dem Obrig­ keitsstaat als Argument gegen die Vereinigungsfreiheit überhaupt gedient. Eindrücklich auch bei Schlettwein, Die in den deutschen Reichsgesetzten bestimmte Weise Ordnung der Ge­ rechtigkeit wider Aufruhr und Empörung der Unterthanen gegen ihre Obrigkeit, 1791, des­ sen einleitender Satz lautet: „Fürchterlich sind die Zeichen der Zeit.“ und weiter in Europa hätten sich „die traurigsten Scenen innerlicher Empörungen und Tumulte der Unterthanen wi­ der ihre Regenten“ gezeigt, S.  III. Für die Unruhen machte Schlettwein allerdings nicht nur die „Ausgelassenheit und Frechheit so vieler Schriftsteller die, (…) die Köpfe der Bürgerklas­ sen verrücken, und zu Rebellionen, anfeuern“, sondern auch „willkührlichen AdministrationsAnstalten der Regierungen“ verantwortlich, S.  IV. Kaschuba, in: Warneken, Massenmedium Straße, 1991, S. 94 nennt diese, durch das Bürgertum nicht selbst gemachten Erfahrungen ein „bürgerliches Trauma“. 53 Etwa bei von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S. 257, die im direkten Anschluss an die „geheimen Gesellschaften“ behandelt werden. 54 Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. I, 1886, S. 873. 55 Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. I, 1886, S. 872.

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Eine gänzlich andere Einschätzung fand sich wiederum später bei von Jan, nach dem „völlige Freiheit“ im Versammlungswesen geherrscht, das Versammlungs­ wesen aber keine besondere Bedeutung gehabt habe.56 Diese Einschätzung der „völligen Freiheit“ erscheint dabei allein aufgrund der dargestellten Normen als zu positiv. Die geringe Bedeutung des Versammlungs- wie des Vereinswesens unter­ strich aber auch Gierke, der festhielt, dass sich „der deutsche Associationsgeist“ vom 30jährigen Krieg bis zum Ende des 18.  Jahrhunderts in einem „todesähn­ lichen Schlummer“ befunden habe.57 Doch bereits von Berg war sich der Bedeutung bürgerlicher Freiheit, etwa der Möglichkeit „der freyen und ungestörten Berathschlagung“58, durchaus bewusst und wollte diese keinesfalls beschränkt wissen: Dieser dürfte die Obrigkeit „kein Hinderniß in den Weg legen“59. Auch seien „Versammlungen und Zusammen­ künfte, die wegen gemeinschaftlicher Angelegenheiten, besonders wegen Be­ schwerden, bisweilen veranstaltet werden […] an sich nicht unerlaubt“60 gewesen. Dieses ergäbe sich bereits daraus, dass „nach der teutschen Verfassung“ – gemeint ist der Reichsabschied – den Untertanen erlaubt gewesen sei, Beschwerden gegen die Landesherrschaft vor das Reichsgericht zu bringen, und folglich auch „die zu diesem Zwecke nöthigen Zusammenkünfte der Unterthanen nicht verhindert wer­ den“ dürften.61 Vielmehr bedürfte es dazu nur einer vorherigen Anzeige. Würden also „erlaubte Mittel zur Erreichung eines gesetzmäßigen Zwecks gewählt“ wer­ den, könnte die Polizei dagegen nichts „einwenden“.62 Allein die Sorge vor Verlust der (eigenen) Sicherheit hatte hier deutlich prä­ gende Wirkung, was sich etwa in der Darstellung einer Gefahr des „Ausartens“ erlaubter Mittel zu „tumultarischen Rotten“ und „aufrührerischen Bewegungen“ zeigte.63 So bezeichnet von Berg, mit Hans Maier64 gesprochen, den Punkt in der Polizei(rechts)wissenschaft, „an dem die durch die Polizei des absoluten Staates erstarkte bürgerliche Bewegung, ihrer wachsenden Selbstständigkeit bewußt, sich von den Fesseln und Beengungen der überliefer­ ten polizeirechtlichen Vorschriften langsam aber nachdrücklich zu lösen beginnt, ohne doch auf deren gesellschaftsstabilisierende Wirkungen zu verzichten oder auch nur geringere An­ sprüche auf sie zu machen“. 56

von Jan, Vereinsgesetz, 1931, S. 2 f. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. I, 1886, S. 873. Entsprechend Brater, in: Bluntschi/Brater, Deutsches Staats-Wörterbuch, 1867, S. 762, der die „liberalen Bestimmun­ gen dieses Gesetzbuches [des PrALR] daraus erklärt“ sah, „dass die ganze Materie unter den damaligen Verhältnissen ohne praktische Bedeutung gewesen sei“, da ein „Trieb“ nach Selbst­ ständigkeit im Volke, anders als nach der Französischen Revolution, nicht bestanden habe. 58 von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S. 245. 59 von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S. 245. 60 von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S. 244. 61 von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S. 244. 62 von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S. 246 f. 63 von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S. 244, 246 f. 64 Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 1980, S. 218. 57

A. Vom Mittelalter zur Französischen Revolution

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Pointiert beleuchtet dies auch Stolleis, wenn er anführt, von Berg habe die Nor­ men des Ancien Régime dargestellt, „vielleicht im Bewußtsein, eine zerfallende Welt abzubilden“.65 Daher legte dieser auch einen deutlichen Schwerpunkt auf die präventiven Elemente der von ihm besprochenen Normen, weil für ihn „Verwah­ rungsmittel weit wichtiger […], als Vertheidigungsmittel“ waren.66 Erfuhr die Versammlung als solche damit nach dem Gesetz auch in der zeit­ genössischen Literatur eine deutlich kritische – weil die Gefahr des „Ausartens“ zu Unruhen fürchtende  – Behandlung, verhielt es sich mit der Zentralgestalt nicht ­anders. An zwei Stellen ging von Berg auf die oben beschriebene Gefahr der „Volksverführer“ als Initiatoren von Unruhe ein.67 Ein weiterer Grund für das Ent­ stehen von Unruhen sei aber auch gewesen, dass Unzufriedene Anhang finden.68 Es sei daher Aufgabe der Polizei, „Sprecher und Wortführer“ beständig zu be­ obachten69 und bei einem Zusammenlaufen die „Hauptpersonen in Verwahrung [zu] bringen“70. Ganz ähnlich findet sich dieses bei Schlettwein, der von „Stifter“ und „Häuptern des Aufruhrs“ sowie davon sprach, dass „stolze, herrschsüchtige, Ehr- und Geldgeizige unternehmende Köpfe das Volk verführen“.71

V. Zwischenergebnis Der Augsburger Reichsabschied, das PrALR und Tumultverordnung 1798 knüpften demnach jeweils für die Behandlung des sozialen Geschehens des Zu­ sammenkommens von Menschen an die Idee der organisierten Versammlung in Form einer Kombination von Zentralgestalt und Teilnehmern an und legten für deren Handeln jeweils unterschiedliche Folgen fest. Die Ausrichtung war dabei durchweg repressiv. Zusammenfassend tauchte die Idee der organisierten Versammlung mit Zentral­ instanz und Teilnehmern damit im Gesetz sowie den auf dieses bezugnehmenden Schriften zuerst in Begriffen wie „Urheber“, „Anstifter“, „Sprecher“, „Rädelsführer“ und „Wortführer“ auf – zumeist verbunden mit gesteigerten Strafandrohungen im Unterschied zu bloßen Teilnehmern. Die Idee der organisierten Versammlung ging also primär von Strafnormen aus.

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Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I, 1988, S. 389. von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S. 219 sowie S. 216 f., 221. 67 von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S. 220, 228. 68 von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S. 239. 69 von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S. 242. 70 von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1802, S. 249 zu § 181 II 20 PrALR. 71 Schlettwein, Die in den deutschen Reichsgesetzten bestimmte Weise Ordnung der Gerech­ tigkeit wider Aufruhr und Empörung der Unterthanen gegen ihre Obrigkeit, 1791, S. 52, 73; oder auch „tollkühne Verführer“. 66

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

B. Restauration und Vormärz I. Ausgangsbedingungen der Normsetzung Durch die Niederlegung der Kaiserkrone durch Franz II. am 06.08.1806 löste sich das Heilige Römische Reich de facto auf. Mit der Niederlage in der Doppel­ schlacht bei Jena und Auerstedt brach Preußen zusammen und es öffneten sich Möglichkeiten für breite Reformen (Stein/Hardenberg/Scharnhorst). Diese und Napoleons Niederlage im Russlandfeldzug ermöglichten schließlich über den Wie­ ner Kongress 1814 die Gründung des Deutschen Bundes. Mit der anschließen­ den Restauration ergaben sich bis in den Vormärz auch neue Entwicklungen im­ Versammlungsrecht. Die diesbezüglichen Regelungen, etwa der Zehn Artikel sowie der Tumult­ verordnung 1835,72 waren deutlich geprägt durch die Sorge vor Unruhe oder gar Aufruhr und schließlich vor Revolution.73 Insoweit gliederten sie sich ein in das System der Repression, wie es sich insb. in den weit bekannteren Karlsbader Be­ schlüssen74 von 1819 zeigte, die symbolisch für die sog. „Demagogenverfolgung“ im Rahmen der Restauration stehen. Dieses repressive System traf neben Ver­ sammlungen besonders auch die Vereine, die bereits seit dem Preußischen Ver­ einsedikt75 unter erheblichem Druck standen, soweit sie nicht ohnehin verboten waren.76 Die Ausrichtung des Deutschen Bundes auf Schutz vor Revolution zeigte sich dabei bereits in Art. 2 der Deutschen Bundesakte77 von 1815, der Regelun­ gen zur „Erhaltung innerer Sicherheit“ beinhaltete. Dieses konkretisierte die Wie­ ner Schlussakte78 1820 in Art. 26 bis 28 für das Vorgehen gegen Aufruhrbewegun­ gen sowie in der Exekutionsordnung79 für die Möglichkeit zur Bundesexekution, die etwa nach dem Frankfurter Wachensturm auch genutzt wurde. Das hiermit 72

Dazu sogleich Kap. 2 B. 2. Vgl. insb. den Beschluß betreffend die Bestellung einer Centralbehörde zur näheren Untersuchung der in mehreren Bundesstaaten entdeckten revolutionären Umtriebe vom 20.09.1819, abgedruckt bei Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I, 1978, S. 104. 74 Abgedruckt bei Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd.  I, 1978, S. 100 ff. 75 Edikt wegen Verhütung und Bestrafung vom 20.10.1798 (Vereinsedikt), mit Verlängerung vom 16.12.1808 und 06.01.1816, PrGS 1816, S. 7. 76 Zur unterschiedlichen Behandlung in den Befreiungskriegen sowie danach Thilo, Das preußische Vereins-und Versammlungsrecht, 1865, S.  4 sowie Brater, in: Bluntschi/Brater, Deutsches Staats-Wörterbuch, 1867, S. 765. 77 Zugleich Gründung des deutschen Bundes am 08.06.1815, abgedruckt bei Huber, Doku­ mente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I, 1978, S. 84 ff. (Nr. 30). 78 Schluß-Acte der über Ausbildung und Befestigung des deutschen Bundes zu Wien gehal­ tenen Ministerial-Conferenzen vom 15.05.1820, abgedruckt bei Huber, Dokumente zur Deut­ schen Verfassungsgeschichte, Bd. I, 1978, S. 91 ff. (Nr. 31). 79 Exekutionsordnung vom 03.08.1820, abgedruckt bei Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I, 1978, S. 116 ff. (Nr. 38). 73

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auch eine Drohung gegen die Staaten im Raum stand, die bzgl. der Gewährung von Freiheiten offen waren,80 kann kaum bezweifelt werden. Versammlungen gerieten bereits 1817 in das Blickfeld, als sich Professoren und Studenten auf der Wartburg trafen.81 Doch erst nach der Julirevolution in Frankreich 1830, auf die der Deutsche Bund mit dem Maßregeln Gesetz82 von 1830 ­reagierte, häuften sich Versammlungen bis hin zum Hambacher Fest Ende Mai 1832 im bayerischen Rheinkreis, wo sie tatsächlich ein „epochemachender Vorgang“83 waren – wenn auch nicht im für die Versammlungsfreiheit positiven Sinne. Denn im Kontext der hieran anschließenden Kette von Maßnahmen gegen als Keimzelle des Aufruhrs verstandene Versammlungen müssen die Zehn Arti­ kel sowie die Tumultverordnung 1835 gesehen werden. Sie standen damit in einer Reihe insb. mit der Einsetzung der „Maßregelnkommission“ durch die Bundesver­ sammlung,84 die bereits am 05.06.1832, also nur wenige Tage nach dem Hamba­ cher Fest, erfolgte und sich wesentlich gegen Initiatoren von Volksversammlun­ gen richtete. Spätestens ab diesem Zeitpunkt konnte in Bezug auf die organisierte Versammlung mit Ridder von einer „Rädelsführertheorie“ gesprochen werden, die die Gesetzgebung mitbestimmte, deren Ausgangspunkte wie gezeigt jedoch viel früher lagen. Die Mitglieder der genannten Kommission waren auch wesentlich an der früher beratenen, aber erst am 15.06.1832 beschlossenen Punk­tuation85 zur Anbahnung der Gründung des ersten südwestdeutschen Polizeivereins („Verein zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung“) beteiligt.86 Zum Hintergrund für die Bestrafung der Zentralinstanz wurde hier auf die Umsetzungsmöglich­ keiten der Strafen gegen die Teilnehmer Bezug genommen und quasi ein Ersatz postuliert: „Wer straft 3–4000 Menschen?“87

Diese Maßnahmen waren insgesamt derart einschneidend, dass Welcker88 noch 1847 in einem Vergleich mit der Situation nach den Befreiungskriegen konstatierte: 80 Etwa Sachsen-Meiningen, Grundgesetz vom 23.08.1829, Sammlung der landesherrlichen Verordnungen, S. 139. 81 Zu diesem Fest am 18.10.1817 m. w. N. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd.  I, 1990, S. 717; a. Ridder, in: Ridder u. a. Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn. 20. 82 Bundesbeschluß über Maßregeln zur Herstellung und Erhaltung der Ruhe in Deutschland vom 21.10.1830, abgedruckt bei Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I, 1978, S. 130 ff. (Nr.  43). 83 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. I, 1990, S. 718. 84 „Maßregeln zur Herstellung und Erhaltung der Ruhe in Deutschland“ vom 07.06.1832, Protokolle der Bundesversammlung, 20.  Sitzung, Separat-Protokoll III. Huber, Verfassungs­ geschichte, Bd. II, 1988, S. 162 mit Fn. 44. Zu deren Arbeit, auch in Bezug auf „Volksverfüh­ rer“ vgl. den Bericht des Gesandten von Gruben bei Zerback, Reformpläne und Repressions­ politik, 2003, S. 277 f. 85 Abgedruckt bei Siemann, Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung, 1985, S. 92. 86 Siemann, Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung, 1985, S. 89 ff. 87 Vgl. den Abdruck bei Siemann, Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung, 1985, S. 92. 88 Welcker, in: Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Bd. I, 1847, S. 728.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee „Dagegen kann man freilich sagen, daß in Deutschland die freien Vereine und Volksver­ sammlungen seit längerer Zeit außer Übung gekommen sind.“

Die Zahl der Zusammenkünfte, bei denen es dann tatsächlich zu Unruhen kam, war noch geringer. So konnte von Mohl 1834 feststellen, dass „zahlreiche Volks­ zusammenkünfte […] allerdings aus dem gewöhnlichen ruhigen Gange des Le­ bens heraus [traten], nicht aber deshalb auch immer aus dessen gesetzlichen Gränzen.“89 Zu nennen sind aber der Frankfurter Wachensturm in der Nacht vom 03. auf den 04. April 1833, der sogleich einen Bundesbeschluss90 zur Einrichtung einer „Zentralstelle der politischen Bundespolizei“ nach sich zog, die Kölner Wir­ ren 1837, die sog. Weberunruhen in Schlesien 1844 mit elf Toten91 sowie die Hun­ gerrevolten in Berlin 1847, bei denen es aufgrund der sozialen Armut zu Tumulten kam.92 Die in der versammlungsrechtlichen Literatur ebenfalls genannten Offen­ burger und Heppenheimer Versammlungen von 1847 waren dagegen bloß „Zu­ sammenkunft von Parteiführern“93 bzw. „der Programmbildung dienende Kund­ gebung“94 und damit eher Vereinssitzung95 als Volksversammlung.

II. Die „Zehn Artikel“ von 1832 Die 1832 als Bundesbeschluss erlassenen, ihrer Normenzahl nach regel­ mäßig als „Zehn Artikel“ bezeichneten, Regelungen dienten ihrer Einleitung wie ihrem vollständigen Titel96 nach der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ord­ nung und Ruhe im Deutschen Bunde. Dazu trafen sie, neben der Festschreibung der Pressezensur (Art. 1 Zehn Artikel) sowie einem Gebot an die Bundesstaa­ ten, sämtliche „Vereine, welche politische Zwecke haben, oder unter anderem Namen zu politischen Zwecken benutzt werden“ zu verbieten, Art. 2 Zehn Arti­ 89 von Mohl, System der Präventiv-Justiz, 1834, S. 142 f. von Mohl sah unter dem Begriff „Volkszusammenkunft“ sowohl Märkte, Feste, „die gemeinschaftliche Beratung von politi­ scher und anderer Natur“ sowie „Andachtsübungen großer Schaaren von Gläubigen“ umfasst, so dass jedes Zusammenkommen von Menschen an einem Ort umfasst war. 90 Bundesbeschluß wegen eines gegen den Bestand des Deutschen Bundes und die öffent­ liche Ordnung in Deutschland gerichteten Komplotts vom 30.06.1833, abgedruckt bei ­Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I, 1978, S. 135 ff. (Nr. 46). Art. 1 nimmt auf den Frankfurter Wachensturm direkt Bezug „stattgehabten Attentats“, vgl. Ridder, in:­ Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn. 20. 91 Clark, Preußen, 2007, S. 519. 92 Zu letzteren Clark, Preußen, 2007, S. 522; Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S. 972. 93 Linnemeyer, Neue Handlungsformen im Schutzbereich der Versammlungsfreiheit, 2003, S. 31. 94 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. IV, 1994, S 17. 95 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. II, 1988, S. 450: „Die Gesamtzahl der Teilnehmer be­ trug achtzehn.“ 96 Zweiter Bundesbeschluß über Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ord­ nung und Ruhe im Deutschen Bunde, abgedruckt bei Huber, Dokumente zur Deutschen Ver­ fassungsgeschichte, Bd. I, 1978, S. 134 f. (Nr. 45).

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kel,97 auch Regelungen für das soziale Geschehen des Zusammenkommens von Menschen. So bestimmte Art. 3 S. 1 Zehn Artikel, dass „außerordentliche Volks­ versammlungen und Volksfeste, nämlich solche, welche bisher hinsichtlich der Zeit und des Ortes weder üblich98 noch gestattet waren […] unter welchem Na­ men und Zwecke es auch immer sey“ in keinem Bundestaat mehr ohne vorherige Genehmigung der Behörde stattfinden durften.99 Daran anschließend bestimmte Art. 3 S. 2 Zehn Artikel, dass „diejenigen, welche zu solchen [also nicht zuvor genehmigten] Versammlungen oder Festen durch Verabredung oder Ausschrei­ ben Anlaß geben“, einer „angemessenen Strafe zu unterwerfen“ waren. Hierbei wurde gleich in zweifacher Richtung auf die Idee der organisierten Versamm­ lung eingegangen. Zum einen bedurfte es, wenn eine „außerordentliche Volks­ versammlung“ oder ein „Volksfest“ nicht ohne vorherige Anmeldung stattfin­ den durfte, einer vorbereitenden Instanz, die sich um ebendiese Genehmigung bemühte. Zum anderen griffen die Zehn Artikel die bereits bekannten strafrecht­ lichen Sanktionen für diejenigen auf, die eine solche Zusammenkunft verursachten (hier: „Anlaß geben“). Dabei nannte das Gesetz zwei Varianten der Vorbereitung, nämlich die „Verabredung“ i. S. einer persönlichen Absprache zwischen mehre­ ren Personen sowie das „Ausschreiben“, also eine Spielart der öffentlichen Ein­ ladung zu einer Versammlung. Betraf dieses noch den Bereich des Vorfeldes bzw. Entstehens einer Versammlung, ging Art. 3 S. 3 Zehn Artikel auch auf konkrete Fragen des Ge­schehens bei der Versammlung ein: So war es „auch bei erlaubten Volksversammlungen und Volksfesten […] nicht zu dulden, daß öffentliche Re­ den politischen Inhalts gehalten werden“. Wer „sich dieß zu Schulden kommen“ ließ, sollte „nachdrücklich“ bestraft werden. Mit „geschärfter Ahndung“ war wei­ ter jeder zu belegen, der „irgendeine Volksversammlung dazu mißbraucht, Adres­ sen oder Beschlüsse in Vorschlag zu bringen und durch Unterschrift oder münd­ liche Bestimmung genehmigen zu lassen“. Während die Bestrafung des Redners wiederum eine Zentralgestalt100 heraus­ griff – es wurde nicht etwa die „Aussprache“, „Debatte“ oder „Besprechung“ ver­ boten, sondern konkret die Rede mit Strafe bedroht – schien das Gesetz hier aber zwingend die Vorbereitung oder Durchführung einer Versammlung im Auge zu haben. So konnte bei den „üblichen und gestatteten“ Volksversammlungen i. S. d. Art. 3 S. 1 Zehn Artikel auch eine Situation in Frage kommen, in der der Einzelne 97 Für Preußen bereits „Edikt wegen Verhütung und Bestrafung geheimer Verbindungen wel­ che der allgemeinen Sicherheit nachtheilig werden könnten“ vom 20.10.1789 (Vereinsedikt), PrGS 1816, S. 7. 98 Vgl. § 17 VersG „hergebracht“. 99 Volksversammlung und Volksfest ist hier nicht als Trennung in „politische“ und „unpoliti­ sche“ Versammlung zu verstehen, Müller, Wirkungsbereich und Schranken der Versammlungs­ freiheit, 1974, S. 22; zum Karneval Clark, Preußen, 2007, S. 512 f. 100 Vgl. auch Art. 6 Zehn Artikel für Personen „welche durch öffentliche Reden, Schriften oder Handlungen ihre Theilnahme an aufwieglerischen Planen kund, oder zu deßfallsigem Ver­ dacht gegründeten Anlaß gegeben haben“. Auch Regeln zur Passkontrolle und ggf. Ausweisung oder Auslieferung, Art. 7 f. Zehn Artikel.

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nur die Situation für sich nutzte, ohne diese eigens einzuleiten. Dieses wollte das Gesetz mit der Erweiterung um den „Missbrauch“ irgendeiner Volksversamm­ lung erfassen. Während für Vereine auch bereits früher strikte Regelungen für sol­ che „politischer Art“ bestanden hatten, erfolgte hier durch ein Gesetz zum ersten Mal die Verbindung einer Versammlung mit „öffentlichen Reden politischen In­ halts“,101 wenn diese auch nur als Beiwerk, quasi bei Gelegenheit einer Volksver­ sammlung oder eines Volksfests, gehalten wurden.102 Weiter wurden bestimmte Verhaltensweisen, die nicht nur, aber eben auch bei Volksversammlungen oder Volksfesten auftreten konnten, mit Strafe bedroht, kon­ kret etwa das „öffentliche tragen von Abzeichen in Bändern, Cocarden oder der­ gleichen […] in anderen Farben, als jenen des Landes, dem der, welcher solche trägt, als Unterthan angehört“103, sowie das „nicht autorisierte Aufstecken von Fah­ nen und Flaggen, das Errichten von Freiheitsbäumen und dergleichen Aufruhr­ zeichen“. Hier gingen die Zehn Artikel auch wieder auf die Deutung der Versamm­ lungen als nicht nur Gefahr für „die Ruhe“, sondern eben auch als Ausgangspunkt für Aufruhr zurück.104 Dieses deckte sich mit Art. 9 Zehn Artikel, der die Bundes­ regierungen verpflichtete, „auf Verlangen die promteste militärische Assistenz“ zuzusichern, wofür auf das Maßregelngesetz von 1830105 verwiesen wurde. Auch für die Zehn Artikel zeigte sich damit die Orientierung an einer Zentral­ gestalt, hier insb. in der Rolle des Verursachers einer nicht üblichen Volksver­ sammlung oder eines Volksfestes, der hier am besten als Initiator („Anlaß geben“) bezeichnet werden kann. Die Ausrichtung auf eine Zentralinstanz zeigte sich aber auch an der Konzentration auf den Redner bei derartigen Versammlungen. Die­ ser konnte hier allerdings auch neben einem Veranlasser auftreten. Insoweit hatte sich die Idee des „Rädelsführers“ gespalten. Auffällig ist weiter, dass zwar die Ein­ schätzung einer Zusammenkunft als potenziellen Ausgangspunkt eines Aufruhrs beibehalten wurde, jedoch explizit Strafen für Teilnehmer, anders als für die Zen­ tralgestalt, nicht mehr erwähnt wurden. Der Grund hierfür lag vermutlich darin, dass hier gezielt einzelne Agitatoren getroffen werden sollten, während für den tat­ sächlichen Fall eines Aufruhrs ohnehin die Vorschriften zur Bestrafung der Teil­ nehmer über die landesrechtlichen Regelungen weiterbestanden. 101

Dazu a. Kap. 2 C. VI. 2. sowie Kap. 3 A. I. Zur Entwicklung bzw. Nutzung von Volksfesten auch für politische Zwecke Clark, Preu­ ßen, 2007, S. 512 f. explizit für die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts. 103 Vgl. Uniformverbot. Auf die „Aufsteckung der Freyheits-Cocarden“ geht bereits­ Schlettwein, Die in den deutschen Reichsgesetzten bestimmte Weise Ordnung der Gerechtig­ keit wider Aufruhr und Empörung der Unterthanen gegen ihre Obrigkeit, 1791, S. 17, ein. 104 Vgl etwa bereits Kap. 2 A. I. 105 Bundesbeschluss über Maßregeln zur Herstellung und Erhaltung der Ruhe in Deutschland vom 21.10.1830, nach dessen Art. 1 bei „aufrüherischen Vorfällen“ i. S. des Art. 2 („Erhaltung der inneren Sicherheit“) der Deutschen Bundesakte vom 08.06.1815, Hilfeleistung zur Wieder­ herstellung von „Ruhe und Ordnung“ zu leisten war, wozu noch eine Anzeigepflicht bei der Bundesversammlung für „aufrührerische Auftritte“ (Art. 3 Maßregelngesetz) sowie zur Zensur bei Berichten über Aufruhre (Art. 5) traten. 102

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III. Die preußische Tumultverordnung von 1835 Die preußische Tumultverordnung von 1835106 (Tumultverordnung 1835) stand bereits ihrer Vorrede nach ganz in Bezug zum PrALR sowie zur Tumultverord­ nung 1798. Deren Regelungen wollte sie „zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der dem Gesetz schuldigen Achtung […] in Erinnerung […] bringen und deren genaue Befolgung den Einwohnern […] und allen Zivil- und Militair­ behörden unnachsichtlich ein[zu]schärfen“.107 Darüber hinaus wurden allerdings auch Ergänzungen und Konkretisierungen aufgenommen. So wurden die bereits in § 183 PrALR sowie § 12 Tumultverordnung 1798 genannten „muthwilligen Buben“ dahingehend konkretisiert, dass bereits die Erzeugung von „Aufregung durch Geschrei und Pfeifen […] bei Gelegenheit eines Auflaufs“ eine „körperliche Züchtigung und jedenfalls Freiheitsstrafe oder Strafarbeit“ zur Folge haben sollte, § 1 Tumultverordnung 1835. Darin lag eine erhebliche Verschärfung, hatten doch PrALR und Tumultverordnung 1798 noch ein „oder“ in der Strafbarkeit vorgese­ hen. Diese Strafvorschriften galten nunmehr auch für alle „anderen Personen“, § 2 Tumultverordnung 1835. Waren „Ausländer unter den Frevlern“, so sollten diese fortan, selbstredend erst „nach ausgestandener Strafe“, entsprechend den Regelungen des PrALR über Landstreicher behandelt werden, § 3 Tumultverord­ nung 1835 i. V. m. § 195 II 20 PrALR, was eine Verbringung über die Grenze sowie ein Wiedereinreiseverbot unter Androhung zweijähriger Festungshaft bedeutete, §§ 191 f. II 20 PrALR. Diese Regelungen reagierten damit auf Konstellationen wandernder Handwerksgesellen oder auch den „Import“ von Rednern und damit deren Ideen aus anderen Ländern des Bundes, namentlich aus Baden. Die Rege­ lungen zur „Auflösung“ des § 8 Tumultverordnung 1798 wurden dahingehend ge­ ändert, dass die Aufforderung auseinanderzugehen nunmehr drei- statt zweimal zu wiederholen war, § 4 Tumultverordnung 1835. Dieses war allerdings innerhalb des Gesetzes widersprüchlich, da in § 8 Tumultverordnung 1835 der kommandie­ rende Offizier angewiesen wurde, das Auseinandergehen bereits nach der zweiten Wiederholung, so dieser nicht sofort nachgekommen wurde, und damit den „schul­ digen Gehorsam“ sogleich „durch Waffengebrauch“ zu erzwingen. Dafür konn­ ten auch Schusswaffen eingesetzt werden, § 9 Tumultverordnung 1835. Neu war hier auch die Einführung einer umfassenden Berichtspflicht für den jeweiligen Befehlshaber über das genaue Verhalten seitens des „Haufens“ sowie sein eigenes Tun, § 10 Tumultverordnung 1835. Insg. wurde die Strafbarkeit ausgeweitet, so war jetzt bereits die Drohung mit Gewalt gegen „obrigkeitliche Personen“ strafbar, § 4 Tumultverordnung 1835. Das Strafmaß wurde zeitlich konkret bestimmt, § 5 Tumultverordnung 1835, wobei die Verdopplung der Strafe nun auch bei einer bloßen Vermögensschädigung angeord­ 106 Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der dem Gesetze schul­ digen Achtung vom 17.08.1835, PrGS 1835, S. 170–176. 107 Tumultverordnung 1798, Vorrede.

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net wurde (anders noch §§ 9 f. Tumultverordnung 1798). § 6 Tumultverordnung 1835 enthielt darüber im Wege der Regelung der Strafbarkeit ein Verbot, potenziell gefährliche Mittel mitzuführen („vorgefunden“), darunter fielen „Waffen, gefähr­ liche Werkzeuge, Steine oder andere zum Werfen bestimmte Gegenstände“. Diese Regelung griff § 174 II 20 PrALR auf, schärfte jedoch dessen Strafmaß von bis zu einem Jahr Festungs- oder Zuchthausstrafe auf das „geringste Strafmaaß“ (Min­ deststrafmaß) einer dreijährigen Zuchthaus- oder Festungsstrafe. § 11 Tumultverordnung 1835 bestimmte, dass für Sachschäden, die bei „solchen Gelegenheiten“ (also einem Auflauf) beschädigt wurden, nicht nur der „Urheber derselben“ (also der „Gelegenheiten“) sondern „auch alle diejenigen solidarisch“ haften sollten, die sich „bei einem Auflauf irgend eine gesetzwidrige Handlung haben zuschulden kommen lassen“, § 11 a) Tumultverordnung 1835, womit eine potenziell unbeschränkte Haftung für jeden Anwesenden eingeführt wurde, waren doch „gesetzwidrige Handlungen“ bereits „Geschrei und Pfeifen“ (§ 1 Tumultver­ ordnung 1835). Noch deutlicher wurde dieses in § 11 b) Tumultverordnung 1835, der die Haftung bereits dem Wortlaut nach auf „alle Zuschauer, welche sich an dem Orte des Auflaufs befunden und [sich] nach dem Einschreiten der Orts- oder Polizeibehörden nicht sogleich entfernt haben“, erstreckte, wobei eine Entschuldi­ gung ab dem Zeitpunkt ausgeschlossen war, in dem das Militär einschritt. Den so Betroffenen öffnete § 11 Tumultverordnung 1835 allerdings sogleich den „Regreß an […] die Urheber und die Theilnehmer des Verbrechens aber für den ganzen von ihnen gezahlten Betrag“. Aus der Systematik des § 11 Tumultverordnung 1835 er­ gab sich dabei, dass „Urheber“ sich auf die „Gelegenheit“, also den Verursacher des Auflaufs bezog, während „Teilnehmer des Verbrechens“ denjenigen meinte, der gesetzeswidrig gehandelt hatte. Während die ersten zehn Paragraphen der Tumultverordnung 1835 somit we­ sentlich auf Strafverschärfung ausgerichtet waren und dafür neben der Anord­ nung der Regelungen zur Ausweisung nicht über das in PrALR und Tumultver­ ordnung 1798 vorgegebene Maß hinaus108 zwischen Teilnehmern und Urhebern differenziert wurde, stellte § 11 Tumultverordnung 1835 die Zentralgestalt wieder in den Fokus. Zwar traf die Haftung zunächst gleich („solidarisch“) und bezog so­ gar bloße Anwesende („Zuschauer“) mit ein, sofern sie sich nicht entfernt hatten, doch traf die Möglichkeit des vollständigen Regresses allein den „Verursacher“. So schärfte die Tumultverordnung 1835 zwar das Strafmaß für alle Beteiligten un­ abhängig davon, in welcher Eigenschaft sie tätig wurden, doch die neben PrALR und Tumultverordnung 1798 einzig neue Regelung des Regresses bei einer organi­ sierten, oder hier besser: veranlassten, Versammlung, zielte wieder direkt auf den „Urheber“. Auffallend ist weiter die stärker hervortretende Regelung zum Einsatz des Mili­ tärs gegen Menschenansammlungen. Die Tumultverordnung 1835 ging damit etwas 108

S. o. Kap. 2 A. II. und III.

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hinter die Entwicklung der Tumultverordnung 1798 zurück, indem sie das Zusam­ menkommen von Menschen eher wieder dem Aufruhr zuordnete.

IV. Versammlungsorganisation in der Literatur Den beschriebenen Grundtenor der Gesetzgebung zum Versammlungsrecht je­ ner Zeit hatte Heine1091834/35 satirisch erfasst: Ausländer, Fremde, sind es meist, Die unter uns gesäht den Geist. Der Rebellion. Dergleichen Sünder Gottlob sind selten Landeskinder.

Hier tauchte die Zentralgestalt als Verursacher („gesäht den Geist“) auf und auch die Befürchtung der Regierungen, dass diese aus anderen Ländern einsickerten („Ausländer, Fremde sind es meist“), war wie gezeigt in Art. 7 Zehn Artikel und § 3 Tumultverordnung 1835 enthalten. Auch im Wo ihrer drei beisammen stehn, Da soll man auseinander gehn. Des Nachts soll niemand auf den Gassen Sich ohne Leuchte sehen lassen.

ließen sich unschwer die Regelungen des § 181 PrALR II 20 im „Zusammen­ laufe des Volkes an ungewöhnlichen Zeiten und Orten, besonders aber nächtlichen Schwärmereyen“ wiederfinden. Was, wie bereits für §§ 8 f. Tumultverordnung 1835 gezeigt, auch für das Wer auf der Straße räsoniert, Wird unverzüglich füsiliert; Das Räsonieren durch Gebärden Soll gleichfalls hart bestrafet werden.

galt. Schließlich traf auch das Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.

deutlich das Verbot der öffentlichen Reden „politischen Inhalts“ des Art. 3 Zehn Artikel. Vor diesem Hintergrund kann zusammenfassend festgehalten werden, dass die Zentralgestalt innerhalb der Versammlung durch das Gesetz in der Zeit der Restauration sowie des Vormärz nur als potenzieller Auslöser von Unruhe und schlimmstenfalls einer Revolution gesehen wurde. Das deckte sich, wie bereits für das ältere Recht an von Berg gezeigt, durchaus auch mit den Ansichten der Literatur. So stellte von Mohl fest, dass „so nützlich und nothwendig nun solche größere Versammlung in vielfacher Beziehung und im 109

Heine, Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen, 1854.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

Allgemeinen“ sei, so wenig lasse „sich freilich auch auf der anderen Seite läugnen, daß sie mit Gefahren und Nachtheilen verbunden seien.“110 So könnte „die ganze Masse, entweder durch den Zweck ihrer Zusammenkunft oder durch zusätzliche Umstände aufgeregt, sich gegen irgend einen bestehenden Zustand, gegen eine Behörde, selbst gegen die Regierung als solche, in Bewegung setzen, und durch ihr physisches111 Ge­ wicht Recht und Gesetze wenigestens augenblicklich niederbrechen“112.

Daneben böte eine „große auf engem Raume zusammengedrängte Menschen­ menge Gelegenheit genug dar zu Händeln, Gewalttätigkeiten, Diebstählen u.s.w.“.113 Doch könnte von „einem gänzlichen Verbote aller größeren Volksver­ sammlungen […] nun aber natürlich keine Rede seyn. Hierzu würde dem Staate das Recht ganz fehlen“.114 Vielmehr müssten entsprechende Vorkehrungen seitens des Staates zur Verhinderung der negativen Folgen getroffen werden.115 Ein Ver­ bot wäre „selbst wenn es überhaupt zulässig ist, nur im Falle einer großen und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit drohenden Gefahr anzurathen“, sodass sich die Behörde „in der Regel […] damit genügen [müsste], eine zur Unterdrückung der zu fürchtenden Unordnung hinreichende Macht bereitzuhalten.“116 Dabei entfernte sich allerdings von Mohl bereits deutlich von der quasi rein negativen Sichtweise von Menschenansammlungen und bewegte sich bereits deutlich auf die Beschrän­ kung staatlichen Einflusses sowie sogar die Frage der Gewährleistung durch den Staat zu. Für solche Veranstaltungen aber, „deren Zweck die Berathung öffent­ licher Angelegenheiten ist“, folgte sogleich die Einschränkung und Frage, ob der Bürger überhaupt ein Recht „auf solche“117 gehabt habe, was er für Beratungen „über einzelne Puncte des öffentlichen Wohles […] z. B. über die Anlegung von Straßen und Kanälen, […] Unterrichtsanstalten, Armenunterstützung“ bejahte und für „Zusammenkünften, in welchen über das allgemeine politische Systems des Staates berathen werden soll, also über sein Verhalten zum Auslande“ oder „die

110 von Mohl, System der Präventiv-Justiz, 1834, S. 143. In der 3. Aufl., 1866, S. 89, ver­ schärft zu „daß sie sämmtlich gewisse Gefahren in ihrem Gefolge haben, und das außerdem die Versammlungen mit staatlichen Zwecken bedeutende Nachteile erzeugen können.“ 111 In von Mohl, System der Präventiv-Justiz, 3. Aufl., 1866, S. 89: „massenhaftes Gewicht“. 112 von Mohl, System der Präventiv-Justiz, 1834, S. 143 f. 113 von Mohl, System der Präventiv-Justiz, 1834, S. 144. Hier werden auch „unorganisierte“ Volksversammlungen mit erfasst. 114 von Mohl, System der Präventiv-Justiz, 1834, S. 144. 115 von Mohl, System der Präventiv-Justiz, 1834, S. 144 und weiter, S. 145: „Uebrigens ist nicht nur Rohheit in der Form der Einschreitung (der Polizei, Gendarmerie o.ä.), sondern über­ haupt jede übertriebene Strenge zu vermeiden, damit dem Volke seine, jeden Falls nur selte­ nen, Freudentage nicht verbittert werden.“ Das ein solcher Hinweis durchaus nicht über­f lüssig war, da die geforderte Handlung selbstverständlch sei, zeigt eindrucksvoll die Darstellung bei­ Wirsing, in: Lüdtke, „Sicherheit“ und „Wohlfahrt“, 1992, S. 65, 71 ff. (73), der die „Willkür der in Uniform gekleideten rohen Bauernburschen“ gegenüber Studenten 1832 in Tübingen und Heidelberg beschreibt. 116 von Mohl, System der Präventiv-Justiz, 1834, S. 146. 117 von Mohl, System der Präventiv-Justiz, 1834, S. 147.

B. Restauration und Vormärz

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Richtung der Regierung in Handhabung der Gesetze“ getrennt nach „Staatsgattun­ gen“118 beantwortete.119 Sollten Versammlungen jedoch verboten werden, ging auch von Mohl davon aus, dass die „Urheber“ für die Übertretung „mit bedeutenden Strafen“ zu belegen seien, hingegen „mit gelinderten, aber immernoch fühlbaren“ die „bloßen Theilneh­ mer“.120 Ebenso kritisch gegenüber dem Urheber politischer Versammlungen war etwa Zirkler, wenn er ausführte, dass „jene sich selbst proklamierenden Männer des Volkes […]“, statt ihre Meinungen begründet darzulegen, „bei jedem erfahrenen Widerspruche sogleich mit der Prophezeiung von Volksbewegungen bei der Hand“ gewesen seien und damit „ausdrücklich oder in verblümten Redensarten“ drohten.121 Auch Anzeigepflichten122 („Zweck, Zeit und Ort“)123 sowie die Möglichkeit von Auflagen („nur die Wahl von Zeit und Ort beanstandet“) sowie die unterschied­ lichen staatlichen Vorkehrungen für Veranstaltungen „in einem geschlossenen Raume“ („weil das Zuströmen einen müßigen und lärmenden Pöbels unterbleibt“) und „unter freiem Himmel […] bei welcher schon von den Unternehmern ein gro­ ßer Zulauf beabsichtigt wird, wo im Zweifel zu den Leidenschaften und Gefüh­ len der Menge gesprochen“ werden würde, spielte von Mohl bereits 1834 durch.124 Mit der Aufnahme der Empfehlung für härtere Strafen für die „Unternehmer“ so­ wie für Anzeigepflichten griff damit auch von Mohl die Idee der organisierten Ver­ sammlung auf. Ein ganz wesentlicher Punkt ist hier noch zu ergänzen: Von  Mohl trennte  –­ anders als von  Berg  – auch nach Kapiteln deutlich zwischen dem Zusammen­ kommen von Menschen und der „Verhinderung von Aufläufen, Aufständen und Aufruhr“.125 Die Ursache wurde dabei auch nicht zwingend nur in einer initiieren­ den Person gesehen („von einzelnen Böswilligen oder Ueberspannten“)126, son­ dern etwa auch in einem „Verfahren von Seiten des Staates“ oder einem „Zustand, welcher dem Staate als Folge seiner Handlungsweise Schuld geben wird“.127 Hier 118 Nämlich: Staaten mit unbeschränkter Regierungsgewalt, Staaten mit (Feudal-)Landstän­ den, Volksherrschaften (wobei in „reine“ und repräsentative Demokratien geteilt wird)  und repräsentative Monarchien. 119 von Mohl, System der Präventiv-Justiz, 1834, S. 147–154, in der 3. Aufl. 1866, S. 97–102. 120 von Mohl, System der Präventiv-Justiz, 1834, S. 156. 121 Zirkler, Associationsrecht, 1834, S. 4. 122 Für Zirkler, Associationsrecht, 1834, S.  25 f.: waren diese allerdings keinesfalls aus­ reichend. Es bedürfe zur Vorbeugung von Unruhen stets einer Genehmigung der verantwort­ lichen Magistratur. 123 Vgl. zu diesen Kerndaten a. die jeweiligen Regelungen der aktuellen Landesgesetze und Entwürfe Kap. 2 H. 124 von Mohl, System der Präventiv-Justiz, 1834, S. 156 f. Diese Ausführungen fehlen in der 3. Aufl. von 1866. 125 von Mohl, System der Präventiv-Justiz, 1834, S. 207 ff. 126 von Mohl, System der Präventiv-Justiz, 1834, S. 208. 127 von Mohl, System der Präventiv-Justiz, 1834, S. 207. Zu dieser Möglichkeit für „Mißver­ gnügen“ auch Zirkler, Associationsrecht, 1834, S. 26.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

wies er allerdings zu Recht darauf hin, dass es „viele Umsicht“ erfordere, unter den Umständen eines Auflaufs oder schlimmerem, „die Verhaftung der Rädelsfüh­ rer“ durchzuführen, doch könnte dieses „theils um den Unruhigen die Anführer zu entziehen“ erforderlich sein und weiter „einen sehr heilsamen Schrecken unter der Menge verbreiten“. Eine verunglückte Situation könne aber auch „die Glut augen­ blicklich zur hellen Flamme anblasen“.128 Insgesamt blieb demnach ein positiveres Bild des Zusammenkommens von Menschen, was sich namentlich in der Trennung der Volksaufläufe von „Aufläu­ fen, Aufständen und Empörungen“ zeigte, während die Idee der organisierten Ver­ sammlung, namentlich der Zentralgestalt („Urheber“; „Rädelsführer“), eher nega­ tiv besetzt blieb.129 Unter dem Zusammenkommen von Menschen wurde dabei, etwa mit dem Begriff „Menschenmenge“, auch das Zusammenkommen bezeich­ net, das keine Zentralinstanz hatte.

V. Zwischenergebnis Die Zehn Artikel sowie die Tumultverordnung 1835 bauten demnach unmit­ telbar auf der Idee der organisierten Versammlung auf. Die Regelungen der Zehn­ Artikel zur vorherigen Genehmigung, zum „Ausschreiben“ als Einladung sowie zum „Anlaß Geben“ machten diese besonders deutlich. Stärker als in den voraus­ gehenden Regelungen wurde auf Einzelne eingegangen, die im Durchführungs­ stadium tätig wurden, namentlich Redner, aber auch solche, die die Veranstaltung nutzten, um dort etwa Beschlüsse zur Abstimmung zu stellen. Hier erlangte auch der Verweis auf die Anwendung der Landstreicherparagraphen Bedeutung. Wäh­ rend die Zehn Artikel keine speziellen Regelungen für bloße Teilnehmer trafen, traten in der Tumultverordnung 1835, neben der allgemeinen Strafschärfung, die Bestimmungen zur Haftung de facto aller Anwesenden für Sachschäden hinzu. Die Zentralgestalt traf die Möglichkeit des Regresses. Damit wurde auch hier an die Idee der organisierten Versammlung rein repressiv angeknüpft. Dieses negative Bild zeigte sich in der Literatur für die Zentralgestalt ebenso, während das Zusam­ menkommen von Menschen an sich eher positiv konnotiert war.

128 von Mohl, System der Präventiv-Justiz, 1834, S. 219; den Hinweis, dass eine Verhaftung auch „in dem ersten Augenblicke nach erlangtem Siege (über die Aufständischen o.ä.) und zur Vervollständigung desselben räthlicher“ sei, als eine zwischenzeitliche Maßnahme, gestrichen in der 3. Aufl. von 1866. 129 Viel negativer etwa noch Zirkler, Associationsrecht, 1834, S.  31, der das Zitat David­ Humes übernahm: „Das einzige Mittel, die Leute klug zu machen, ist, daß man sie verhindert, sich nicht allzustark zu versammeln“ oder „unverständige Anpreisung von Volksversammlun­ gen jeder Art“, ebd.

C. Märzrevolution und Reaktion

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C. Märzrevolution und Reaktion Mit der Märzrevolution,130 deren Beginn man in der Volksversammlung in der städtischen Reitbahn in Frankfurt am 03.03.1848, den dort erhobenen „Märzforde­ rungen“ – etwa auch nach Versammlungsfreiheit – sowie dem Sturm auf das Rat­ haus am Folgetage erblicken kann,131 begann die bis dato versammlungsreichste Zeit der deutschen Geschichte. Mit dem Übergreifen der Unruhen auf Berlin am 06.03.1848132 erreichten die – auch nach heutigem Begriffsverständnis nicht stets „friedlichen“ Versammlungen – Preußen unmittelbar. Von nun an waren „erregte Protestversammlungen, Massendemonstrationen und Straßenunruhen mit Barrika­ denbau […] in Berlin an der Tagesordnung“.133 Das rechtsetzende Handeln muss auch vor diesem Hintergrund verstanden wer­ den. Während die VO 1849 noch vor der Niederschlagung der letzten Revolu­ tionsunruhen, mit der Übergabe der Festung Rastatt am 23.07.1849,134 und so un­ mittelbar unter dem Eindruck dieser Situation erging, stellten die nachfolgenden Regelungen bereits die ersten Schritte der Reaktion dar. Gleichzeitig sah sich die Obrigkeit in Preußen in diesem Zeitraum das erste Mal mit rechtlichen Verbür­ gungen der Versammlungsfreiheit konfrontiert. Der Untersuchungsrahmen er­ weitert sich überdies um die Verhandlungen der jeweils beteiligten preußischen­ Kammern135 zu den einzelnen Gesetzen.

I. Die Entwicklung in Preußen 1. Ausgangsbedingungen der Normsetzung Rechtsetzung findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern stellt stets eine Re­ aktion auf tatsächliche oder vermutete Rechtsprobleme dar. Wie einleitend er­ wähnt, fallen die genannten Normen in eine durchaus bewegte Phase.136 Was in Preußen, namentlich in Berlin, geschah, spiegelte sich unmittelbar im Handeln der 130 Deren unmittelbare Vorläufer waren die Februarrevolution vom 22.–24.02.1848 in Frank­ reich, Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S. 972 sowie die zeitlich wenige Tage zuvor einsetzende Badische Revolution, die mit der Mannheimer Versammlung vom 27.02.1848 als Beginn da­ tiert werden kann. 131 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. II, 1988, S. 524. 132 Siemann, Die deutsche Revolution von 1848/1849, 1985, S. 68 f. 133 Schlenke, Preußen, 2003, S. 251. 134 Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S.  979; Mommsen, 1848  – Die ungewollte Revolution, 1998, S. 299; zur Niederschlagung der Revolution in Baden auch Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. II, 1988, S. 875 ff. sowie Clark, Preußen, 2007, S. 556. 135 Die Debatten der deutschen Nationalversammlung zur Versammlungsfreiheit sind da­ gegen unerbringlich. 136 Die folgende Einordnung will und kann eine vollständige Darstellung der Märzrevolu­ tion, selbst nur bezogen auf Berlin, nicht leisten. Es wäre auch für den hier behandelten Un­ tersuchungsgegenstand nicht weiterführend. Daher werden hier nur die für die Versammlungs­

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

Behörden und floss schließlich in die Rechtsetzung ein. Die Ausgangslage der nachfolgend beschriebenen Normen war die Folgende. Nach dem Übergreifen der von Frankfurt ausgehenden Unruhen auf Berlin kam es am 06.03.1848, wie später noch mehrfach, zur ersten Volksversammlung „un­ ter den Zelten“ im Tiergarten.137 Der Nachricht über die Revolution in Wien und der Flucht Metternichs folgten vom 13.–16.03.1848 Zusammenstöße zwischen Militär und Zivilbevölkerung.138 Daraufhin wurde das „Durchziehen der Straßen in Trupps und das Versammeln der Menschen auf den Plätzen und in den Stra­ ßen“ durch Bekanntmachung in Berlin verboten und für den Fall der Nichtbefol­ gung angekündigt, dass „die Widerspenstigen gewaltsam auseinander getrieben oder verhaftet“ werden.139 Dennoch kam es am 18.03.1848 zu einer Versammlung am Berliner Stadtschloss. Obwohl zum Zwecke der Sicherung des friedlichen Ab­ laufs „Schutzbeamte“ eingesetzt wurden, also unbewaffnete Offizielle, deren Auf­ gabe es war, zwischen den Truppen und der Menge zu vermitteln und die eigens zu diesem Zweck aus der Mittelschicht rekrutiert wurden,140 kam es zur Katastro­ phe. Als der Platz vor dem Schlossportal „durch Kavallerie im Schritt und mit ein­ gesteckter Waffe gesäubert werden“141 sollte,142 lösten sich zwei Schüsse.143 Zwar wurde niemand verletzt, doch entstand in Folge zunächst eine Panik und schließ­ lich kam es zu schweren Kämpfen zwischen Militär und Zivilpersonen, bei de­ nen etwa 100 Soldaten und 300 Bürger getötet wurden.144 Die Obrigkeit reagierte hierauf zweigleisig. Intern verlor von Pfuel, der bereits zuvor in Ungnade gefal­ len war, seinen erst wenige Tage innegehabten Posten als Gouverneur von Berlin freiheit wichtigsten Ereignisse aufgegriffen. Wer eine umfassendere Darstellung sucht, findet diese etwa bei Hachtmann, Berlin 1848, 1997, sowie Mommsen, 1848 – Die ungewollte Revo­ lution, 1998. Über Deutschland hinaus blickt Dowe/Haupt/Langewiesche, Europa 1848, 1998. 137 Der Name leitet sich vom Gartenlokal „Unter den Zelten“ im Tiergarten ab, Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S. 127. Zu den „Zelten“ auch Clark, Preußen, 2007, S. 537. 138 Zur „Versammlungstaktik“ der Teilnehmer gegen das Militär Clark, Preußen, 2007, S. 538. 139 Bekanntmachung vom 16.03.1848. 140 Clark, Preußen, 2007, S.  540. Der Einsatz von speziellen Kräften zur Information der Teilnehmer während einer Versammlung empfehlen auch aktuelle Einsatzkonzepte, z. B. LSSE, Planing-primer, S.  69 [www.bja.gov/Publications/LSSE-planning-Primer.pdf, Stand: 31.07.2016], dort als „Public Information Officers“ bezeichnet. Zu Funktion des Versamm­ lungsleiters als Ansprechpartner für die Teilnehmer vgl. Kap. 3 B. 3. c). 141 Aufruf Friedrich Wilhelm IV. „An meine lieben Berliner!“ vom 18./19.03.1848. Dazu auch Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn. 23: Der Aufruf sei ein „Rührstück“ gewesen. 142 Nach Obrigkeitlicher Darstellung waren „ungestühmes Vordringen bis in’s Portal [des Schlosses]“, welches „arge Absichten befürchten ließ“, und „Beleidigungen“ der Grund für die Räumung, so der Aufruf Friedrich Wilhelm IV. „An meine lieben Berliner!“ vom 18./19.03.1848. 143 Clark, Preußen, 2007, S. 541, der auch die Namen der zwei Infanteriesoldaten nennt. 144 Die obrigkeitliche Erklärung, dass die Kämpfe „durch augenscheinliche Lüge“ einer „Rotte von Bösewichtern, meist aus Fremden bestehend“ über das Geschehen, also durch ge­ zielte Falschinformation oder Gerüchte, in der ohnehin angespannten Atmosphäre, ausgelöst wurden, ist zumindest nicht völlig fernliegend.

C. Märzrevolution und Reaktion

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und damit als oberster Befehlshaber in der Hauptstadt.145 Den Bürgern gegenüber setzte man auf Beruhigung der Lage. Mit dem Aufruf „An meine lieben Berliner“ erklärte Friedrich Wilhelm IV. seine Sicht der Ereignisse, mahnte an, zum Frie­ den zurückzukehren, die, nach dem Einsatz des Militärs noch verbliebenen, Bar­ rikaden zu räumen und versprach, „daß alle Straßen und Plätze sogleich von den Truppen geräumt werden sollen und die militärische Besetzung nur auf die noth­ wendigen Gebäude […] und auch da nur auf kurze Zeit beschränkt werden wird“, das Militär also weitestgehend die Stadt verlassen sollte, was den Wünschen vieler Bürger entgegenkam. Zu dieser Beruhigungsstrategie gehörte auch die Bekannt­ machung der Gründung der Berliner Bürgerwehr, die am 19.03.1848 durch Mauer­ anschlag erfolgte,146 sowie der „Nationale Umritt“ des Königs nebst der Proklama­ tion „An mein Volk und die deutsche Nation“, in der der König ein „Aufgehen“ Preußens in Deutschland für möglich erklärte und damit nationalen Einheitswün­ schen begegnete.147 Den vorläufigen Höhepunkt der Geschehnisse stellte die Auf­ bahrung der „Märzgefallenen“, also der während der Straßenschlachten getöteten Bürger, am 22.03.1848 am Deutschen Dom dar, die mit einem Umzug mit den Sär­ gen am Stadtschloss vorbei zum Friedrichshain abgeschlossen wurde.148 In Folge der Ereignisse gründeten sich in Berlin zahlreiche „Clubs“, „Komitees“ und „Ver­ eine“,149 welche als teils lose Verbindungen ihre Versammlungen auch auf Straßen und Plätzen an gleichbleibenden Stellen im Stehen abhielten.150 Unter dem neuen Ministerpräsidenten Camphausen, durch dessen Ernennung die liberalen Kräfte in Verhandlungen gezwungen wurden,151 erging sodann die „Verordnung über einige Grundlagen der künftigen Preußischen Verfassung“152, deren Text der belgischen Verfassung ähnelte153 und in § 4 die Versammlungsfreiheit gewährte: 145 Er wurde allerdings bereits am 21.09.1848, wenn auch wiederum nur für wenige Tage, Ministerpräsident in Preußen, Clark, Preußen, 2007, S. 551; Schlenke, Preußen, 2003, S. 551. 146 Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S. 973. 147 Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn.  23; Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S. 973; Clark, Preußen, 2007, S. 559 f. (dort findet sich auch der Text der Proklamation). 148 Dazu mit zeitgenössischen Nachweisen Kaschuba, in: Warneken, Massenmedium Straße, 1991, S. 86 f. 149 Zahlreiche Beispiele bei Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S. 973 ff. 150 Daher wurden sie auch „stehende Clubs“ oder „stehende Versammlungen“ genannt,­ Siemann, in: Dowe/Haupt/Langewiesche, Europa 1848, 1998, S. 1016. 151 Clark, Preußen, 2007, S. 533. 152 Vom 06.04.1848. PrGS 1848, S. 87 f. Dazu Thilo, Das preußische Vereins- und Versamm­ lungsrecht, 1865, S. 9; Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Ein­ leitung Rn. 23; Waldecker, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1932, § 104 S. 640; Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. I, 1886, S. 888; ­Wichardt, Die Rechtsprechung des Königlich-Preußischen Oberverwaltungsgerichts, 1976, S. 39; H ­ achtmann, Berlin 1848, 1997, S. 310; Zander, Handbuch, 1880, § 1 Rn. 9; Rüdiger, Bürgerliche Emanzi­ pation und staatliche Reaktion, 2007, S. 270. 153 Justizminister Simons, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 12.10.1849, S. 647, auch Anschütz, Verfassungsurkunde, 1912, S. 514. Der Text der belgischen Verfassung findet sich im französischen Original bei Arndt, Verfassungsurkunde, 1907, S. 144 f.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee „Alle Preußen sind berechtigt, sich friedlich und ohne Waffen in geschlossenen Räumen zu versammeln, ohne daß die Ausübung dieses Rechtes einer vorgängigen polizeilichen Erlaub­ niß unterworfen wäre. Auch Versammlungen unter freiem Himmel können, in sofern sie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gefahrbringend sind, von der Obrigkeit gestat­ tet werden.“

Wie diese Möglichkeit einer obrigkeitlichen Gestattung zukünftig ausgeübt wer­ den würde, zeigte sich bereits am 20.04.1848, als das Überbringen einer Petition zur Abänderung des Wahlgesetzes mittels eines Aufzugs zum Stadtschloss, „auf die Anzeige“ der Organisatoren hin, durch das Staatsministerium als „die öffentliche Ruhe und Ordnung bedrohend“ und damit „nicht für gesetzlich zulässig erachtet“ wurde.154 Das die Versammlung planende „Volks-Wahl-Comité“ entschloss sich daraufhin, „um eine zweite blutige Gewalttat gegen das Volk zu vermeiden“, den „Aufzug nicht vorzunehmen“ und verkündigte dieses durch eine „Proclamation“.155 Festzuhalten ist an dieser beispielhaften Episode, dass die Organisation von Ver­ sammlungen in der Praxis durch Gruppen wahrgenommen wurde, die der Obrig­ keit als Ansprechpartner auch für die Gewährleistung der Sicherheit bei der Durch­ führung von Versammlungen dienten,156 den staatlichen Aufforderungen durchaus nachkamen und ergänzend auf potenzielle Teilnehmer einwirkten, hier durch die neben die Ankündigung des Polizeipräsidenten tretende Proklamation. Dass erst gegen eine, die VO über die Grundlagen der zukünftigen Verfassung mit den Worten „Alle Volksversammlungen, die unter freiem Himmel abgehalten werden, sind […] nur mit ausdrücklicher Obrigkeitlicher Erlaubniß statthaft“

bloß wiederholende, Polizeiverordnung Proteste der „Clubs“ überliefert sind, lässt darauf schließen, dass die beschränkende Bedeutung der VO diesen „nicht be­ wusst“157 war.158 Doch auch in Folge kam es immer wieder zu, auch erheblich großen, Volks­ versammlungen, etwa aus Anlass der bevorstehenden Rückkehr des während der Märzereignisse aus Berlin nach London geflohenen Prinzen von Preußen, des spä­ teren Wilhelm I.,159 oder dem Umzug zu Ehren der Märzgefallenen am 04.06.1848, 154

„Dringende Ansprache“ des Berliner Polizeipräsidenten von Minutoli vom 20.04.1848. Proklamation vom 20.04.1848. Die „zweite blutige Gewalttat“ nimmt Bezug auf die Er­ eignisse vom 18./19.03.1848. 156 Vgl. etwa die Anrede in der „Dringenden Ansprache“ des Polizeipräsidenten vom 20.04.1848 als „die hiesigen löblichen Gewerksgenossen, die mir in der letzten ereignißreichen Zeit so manchen Beweis ehrenden Vertrauens gegeben haben, und deren Sinn für Gesetz und Ordnung meine volle Achtung verdient“. 157 Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S. 310. 158 Wolff, Berliner Revolutions-Chronik, 1851, S. 312 ff. 159 Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S. 974. Der Unmut vieler Berliner richtete sich auf den Prinzen von Preußen, da man glaubte, dieser habe während der Ereignisse vom 18./19.03.1848 die Truppen in Berlin kommandiert. Die den daraus herrührenden Unmut von Teilen der Bevöl­ kerung umschreibende Bezeichnung „Kartätschenprinz“, nach der Schrotladung der Artillerie 155

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an dem zwischen 40.000 und 80.000 Personen teilnahmen.160 Wie angespannt die Situation blieb, zeigte sich etwa an der Nationalversammlungsdebatte um die „An­ erkennung der Revolution“ vom 08./09.06.1848, in deren Folge es in der Nacht vom 14.  auf den 15.06.1848 zum letztlich gescheiterten Sturm auf das Berliner Zeughaus kam, mit dem die Beteiligten die Volksbewaffnung erreichen wollten.161 Das verlorene Vertrauen der Obrigkeit in die Bürgerwehr zeigte sich darin, dass nicht etwa diese „zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Wiederherstellung der Ruhe“ eingesetzt wurde, sondern der Kriegsminister zu diesem Zweck drei Landwehr-Bataillone in die Stadt beorderte.162 Die Abwesenheit des Militärs hatte keine drei Monate gedauert. Ergänzend wurde der durchaus liberale Berliner Poli­ zeipräsident von Minutoli nach dessen Rücktritt am 27.06.1848 durch Bardeleben ersetzt.163 Dieser wiederholte am 08.07.1848 eine Verordnung von Minutolis vom April, welche bis dahin wenig Beachtung gefunden hatte:164 „Jeder, welcher Volksversammlungen unter freiem Himmel ohne vorher eingeholte polizei­ liche Erlaubnis zusammenberuft oder sich als Redner und Ordner derselben betheiligt, wird der Gerichtsbehörde zur Bestrafung angezeigt“.165

Das mögliche Strafmaß war dabei bis zur Gefängnisstrafe geöffnet. In Folge des­ sen kam es zu Versammlungsverboten,166 ersten Strafprozessen, doch ebenso zu weiteren – auch unangemeldeten – Versammlungen mit Protesten, etwa des „De­ mokratischen Clubs“ am 24.07.1848.167 Dabei spaltete sich die Bevölkerung aller­ dings zusehends, sodass nicht nur gegenrevolutionäre Stimmen bei Veranstaltungen der „bürgerlichen Mitte“ laut wurden168, sondern auch Großversammlungen, etwa der Zug zum Kreuzberg zur Erinnerung an die Befreiungskriege am 06.08.1848, nicht mehr alle Schichten umfassten, sondern deutlich proletarisch geprägt waren.169 zum Einsatz gegen Personen („Kartätsche“), prägte der Revolutionär Dortu bei einer Rede am 12.05.1848, Haeckel, Potsdamer Jahresschau, 1932, S. 41 (44 f., 51). 160 Gailus, in: Dowe/Haupt/Langewiesche, Europa 1848, 1998, S. 1036 f.; Hachtmann, Ber­ lin 1848, 1997, S. 556 ff. 161 Schlenke, Preußen, 2003, S. 252; Gailus, in: Dowe/Haupt/Langewiesche, Europa 1848, 1998, S. 1035; Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S. 580. 162 Bekanntmachung des Kriegsministers vom 15.05.1848. 163 Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S. 975. 164 Gailus, in: Dowe/Haupt/Langewiesche, Europa 1848, 1998, S. 1038; Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S. 310 mit Fn. 1 sowie S. 600 mit Fn. 42. Berichte darüber, wie sich das Volk aus dem Vorgehen der neu errichteten Berliner Konstabler „einen Jux gemacht“ habe, bei Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S. 633. 165 Abgedruckt bei Gailus, in: Dowe/Haupt/Langewiesche, Europa 1848, 1998, S. 1038 sowie Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S. 310 mit Fn. 1. 166 Etwa zur Versammlungen des „Lindenclubs“ an der Ecke Friedrichsstraße, Bekannt­ machung vom 31.07.1848. 167 Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S. 600 mit Fn. 32 mit Presseberichten und Archivgut. 168 Etwa beim „Allgemeinen Handwerker und Gewerbekongress“ in Frankfurt am 15.07.1848; Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. II, 1988, S. 684 f. 169 Gailus, in: Dowe/Haupt/Langewiesche, Europa 1848, 1998, S. 1038; Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S. 678 ff. und 975.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

Auch eigene Versammlungen170 der Konservativen und sogar Gegenversammlun­ gen171 fanden nun statt. Nach der Septemberrevolution in Frankfurt, mit erneuten Barrikadenkämpfen gegen die von der Deutschen Nationalversammlung gerufenen preußischen und österreichischen Truppen,172 sowie dem zweiten Badischen Auf­ stand173 im gleichen Monat entschied sich die preußische Obrigkeit für den Bruch mit der preußischen Nationalversammlung. Auf den Protest der preußischen Na­ tionalversammlung gegen die Ernennung Graf von Brandenburgs zum preußischen Ministerpräsidenten folgte die Ausweisung dieser aus Berlin nach Brandenburg an der Havel am 09.11.1848.174 Am 10.11.1848 rückte General von Wrangel, der be­ reits die „Kölner Wirren“ militärisch niedergeschlagen hatte, mit 13.000 Soldaten in Berlin ein.175 Am 11.11.1848 wurde die Berliner Bürgerwehr, die sich nicht nur geweigert hatte, die Beratungen der verbliebenen Abgeordneten der preußischen Nationalversammlung aufzulösen, sondern diese explizit unter ihren Schutz nahm, durch Verordnung aufgelöst176 und entwaffnet.177 Am 12.11.1848 wurde durch das Staatsministerium über Berlin der Belagerungszustand verhängt.178 Konkret ver­ ordnete von Wrangel dazu u. a. die „Schließung“ aller „Clubs und Vereine zu poli­ tischen Zwecken“, dass „bei Tage […] keine Versammlung von mehr als 20 Per­ sonen, bei Nacht keine von mehr als zehn Personen auf Straßen und öffentlichen Plätzen Statt finden“ dürfe, strikte Kontrolle und ggf. Ausweisung von Fremden, ein allgemeines Verbot für Zivilpersonen Waffen zu tragen sowie die Haftung der Stadt Berlin „für allen Schaden, welcher bei Unterdrückung eines offenen oder bewaffneten Widerstandes gegen die bewaffnete Macht an öffentlichem oder Pri­ vat-Eigenthum verübt wird“.179 Nachdem die preußische Nationalversammlung in einem letzten Beschluss zu passivem Widerstand und Steuerverweigerung auf­ gerufen hatte, räumte das Militär die verbliebenen Abgeordneten um Waldeck und andere am 15.11.1848 aus dem Saal.180 Damit war die Revolution in Berlin be­endet,

170 Zum sog. „Junkerparlament“ Mommsen, 1848 – Die ungewollte Revolution, 1998, S. 164 f.; Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. II, 1988, 683 f. 171 Etwa zum Kreuzbergzug Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S. 975. 172 Siemann, in: Dowe/Haupt/Langewiesche, Europa 1848, 1998, S. 1018. 173 Sog. Struve-Putsch, dazu Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S. 976. 174 Schlenke, Preußen, 2003, S. 252, 257; Siemann, Die deutsche Revolution von 1848/1849, 1985, S. 170–175; Clark, Preußen, 2007, S. 551. 175 Clark, Preußen, 2007, S. 551. 176 Verordnung vom 11.11.1848. Grundlage war § 3 des erst am 17.10.1848 von der Preußi­ schen Nationalversammlung beschlossenen Gesetzes zur Errichtung der Bürgerwehr, Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S. 976. 177 Clark, Preußen, 2007, S. 551. 178 Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S.  754; Huber, Verfassungsgeschichte, Bd.  II, 1988, S. 754 f. Die Bekanntmachung über die Verhängung des Belagerungszustands ist abgedruckt bei Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I, 1978, S. 477 f. (Nr. 181). 179 Verordnung vom 12.11.1848. 180 Schlenke, Preußen, 2003, S. 252, 257; Siemann, Die deutsche Revolution von 1848/1849, 1985, S.  170 ff.; Clark, Preußen, 2007, S.  551. Waldeck wird diese Ereignisse 1849 vor der Zweiten Kammer so darlegen, dass das „Berliner Volk damals groß und würdig gestanden, daß

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auch wenn der Belagerungszustand erst am 28.07.1849 förmlich wieder aufgeho­ ben wurde.181 Unter dem Ministerium Brandenburg-Manteufel begann in Preußen bereits die Reaktionszeit.182 Am 05.12.1848 wurde die Preußische Verfassung oktroyiert und durch Ver­ ordnung vom gleichen Tag die, eigentlich zur „Vereinbarung“ dieser Verfassung mit der Krone durch Patent vom 18.05.1848 einberufene und mittlerweile nach­ Brandenburg an der Havel ausgewiesene, Nationalversammlung aufgelöst.183 Zu­ gleich wurden die aufgrund der Oktroyierten Verfassung „ins Leben zu rufenden Kammern“ einberufen.184 Noch im März wurden den zwei Kammern der preußi­ schen Nationalversammlungen zwei Entwürfe für das bereits in Art. 27 OktrVerf angekündigte Gesetz über Versammlungen vorgelegt.185 Bis zum April entstand ein Kommissionsbericht. Nachdem allerdings nach Verkündigung der Reichsverfassung am 28.03.1849186 Friedrich Wilhelm IV. die Krone abgelehnt hatte, was dem Scheitern von Reichs­ einheit wie Reichsverfassung gleich kam,187 die zweite preußische Kammer den­ noch am 21.04.1849 die Reichsverfassung anerkannt hatte,188 wurde die zweite preußische Kammer aufgelöst189 und die Reichsverfassung am 28.04.1849 durch

keine Spur von Aufruhr vorhanden“ gewesen sei, „die Soldaten wie Brüder empfangen“ wor­ den seien und somit niemals Anlass zur Verhängung des Belagerungszustands bestanden habe, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 9.  Sitzung am 12.03.1849, S.  114. So habe, entgegen des Willens der Nationalversammlung, „selbst die Bürgerwehr sich ruhig entwaffnen lassen“. Grund für die Verhängung sei vielmehr der Konflikt der Regierung mit der Nationalversamm­ lung gewesen, ebd. So subjektiv diese Einschätzung Waldecks war, so sehr wurde sie etwa durch die Anekdote gestützt, der Kommandant der Bürgerwehr Otto Rimpler habe gegenüber General Wrangel erklärt, er habe die Nationalversammlung zu schützen und werde nur der Ge­ walt weichen, worauf Wrangel erklärt haben soll, „Dann sollten Se jetzt weichen, Herr Major, de Jewalt is nämlich da“. Von Auseinandersetzungen zwischen Bürgerwehr, Bevölkerung und Militär hingegen fehlen für dieses Ereignis jegliche Berichte. 181 Hachtmann, Berlin 1848, 1997, S. 807. Zur Bedeutung des Belagerungszustandes s.a. den (vergeblichen) Antrag Waldecks zu dessen sofortiger Aufhebung, Verhandlungen der Zwei­ ten Kammer, 9. Sitzung am 12.03.1849, S. 114 ff. sowie Verhandlungen der Zweiten Kammer, 27. Sitzung am 14.04.1849, S. 492 f. 182 Otto Theodor Freiherr von Manteufel war bereits seit dem 08.11.1848 Preußischer Minis­ ter des Inneren. Am 19.12.1850 folgte er Graf von Brandenburg nach dessen Tod als Minister­ präsident nach, Schlenke, Preußen, 2003, S. 258. 183 Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 2015, Rn. 304. 184 Thilo, Das preußische Vereins-und Versammlungsrecht, 1865, S. 11; Schlenke, Preußen, 2003, S. 253. 185 Regierungsvorlage vom 12.03.1849, abgedruckt in Verhandlungen der Zweiten Kam­ mer, 9. Sitzung am 12.03.1849, S. 120 ff. sowie der Entwurf des Central-Ausschußes, dazu sogleich. 186 RGBl. 1849, S. 101; auch abgedruckt bei Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungs­ geschichte, Bd. II, 1986, S. 2 (Nr. 2). 187 Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 2015, Rn. 291; Clark, Preußen, 2007, S. 565 f. 188 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 32. Sitzung am 21.04.1849, S. 581 ff. 189 Und als zwangsläufige Folge gem. Art. 78 OktrVerf die Erste Kammer vertagt.

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Preußen verworfen.190 Die anschließende „Reichsverfassungskampagne“ als Folge des Aufrufs der Deutschen Nationalversammlung, die Reichverfassung „zur An­ erkennung“ zu bringen,191 erreichte Preußen nur noch an seinem westlichen Rand, nämlich in den Provinzen Westfalen (Iserlohner Aufstand) und Rheinland (­ Prümer Zeughaussturm und Elberfelder Aufstand).192 Durch die Auflösung der Zwei­ ten Kammer kam es nicht mehr zu einer Abstimmung über den Gesetzentwurf der Kommission.193 Stattdessen erging die VO 1849194 als Notverordnung gem. Art.  105 der OktrVerf.195 Die Beratungen wurden nach Revidierung der Verfas­ sungsurkunde wiederaufgenommen (Revision)196. Hieraus ging die VO 1850197 hervor, der schließlich beide Kammern zustimmten. Das den Bestimmungen dieser Verordnungen zugrundeliegende Bild der orga­ nisierten Versammlung entsprach dabei keineswegs nur den hergebrachten Vor­ stellungen, sondern auch der Versammlungsrealität der Märzrevolution, wie sie die an der Normsetzung Beteiligten in Regierung und Nationalversammlung, nicht nur, aber besonders in Berlin, miterleben konnten. Siemann hat die Ablaufformen und Charakteristika der Groß- oder Volksversammlungen jener Zeit als „Grund­ elemente der praktizierten Versammlungsdemokratie“198 bezeichnet. Zu diesen Grundelementen zählten: „Ankündigung in der Presse oder durch Maueranschläge, ein herausragender, dramatischer Anlaß, Bevorzugung des Sonntags als Versammlungstermin, als Handlungsort ein großer Saal oder besser noch unter freiem Himmel, Teilnahme aller Schichten, Absingen eines ­patriotischen Liedes, ein festes Programm, eine politische Rede, abschließende Demonstra­ tion, Petition, Umzug. Die Nähe zum Volksfest konnte gegeben sein.“

Es hatte sich also, ohne dass es bereits rechtlich vorgegeben war, ein Modus der Versammlungstätigkeit entwickelt, der sich an einer organisierten Versammlung (Ankündigung, Wahl des Termins, festes Programm) orientierte. Neben diesen Großversammlungen, die, wie die Ausführungen Siemanns zeigen, einen gewissen Ereignischarakter hatten, dürfen allerdings die zwar regelmäßig 190

Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 2015, Rn.  320; Schlenke, Preußen, 2003, S. 253. 191 Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 2015, Rn. 320. Der Aufruf ist abgedruckt bei Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I, 1978, S. 418 f. (Nr. 122). 192 Schlenke, Preußen, 2003, S. 253. 193 Dazu sogleich Kap. 2 C. I. 2. 194 Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährden­ den Missbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechts vom 29.06.1849, PrGS 1849, S. 221–225. 195 Waldecker, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1932, § 104 S.  640; Thilo, Das preußische Vereins-und Versammlungsrecht, 1865, S.  13; Anschütz, Ver­ fassungsurkunde, 1912, S. 515; Rüdiger, Bürgerliche Emanzipation und staatliche Reaktion, 2007, S. 270 f. 196 Vgl. dazu Kap. 2 C. I. 4. 197 Dazu sogleich Kap. 2 C. I. 5. und 6. 198 Siemann, in: Dowe/Haupt/Langewiesche, Europa 1848, 1998, S. 1016.

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durch einen „Club“ oder „Verein“ organisierten, aber dennoch eher spontanen, wenn auch rituell wiederkehrenden199 Versammlungen nicht vergessen werden, wel­ che sich in den debattierenden Straßenklubs, etwa dem „Lindenclub“, ausdrückten. In beiden Fällen zeigte sich allerdings die Bedeutung einer zumindest lose verbun­ denen Gruppe als „Auslöser“ eines Versammlungsgeschehens. 2. Die Beratungen der preußischen II. Kammer zur VO 1849 Am 16. April 1849 trat die II. Kammer in die Beratungen zu einem Gesetz „wegen Verhütung des Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechts“ ein.200 Grundlage waren der Entwurf der Regierung vom 02.03.1849201 (RegE) sowie der Entwurf in der Form, wie er sich aus den Empfehlungen zur Ände­ rung seitens des Zentralausschusses202 ergab. In den Protokollen der Kammer zeigt sich die besondere Bedeutung des aktuellen Geschehens bzw. der nahen Vergangenheit. Konkrete Vorkommnisse wurden immer wieder als Argument an­ geführt. Dieses begann bereits vor der Beratung der Entwürfe zum Vereins- und Versammlungsrecht mit der sachlich nahestehenden Beratung zum fortdauernden Belagerungszustand in Berlin, wo zum Zeitpunkt der Beratung zum Versamm­ lungsrecht weiterhin die durch von Wrangel bestimmten Restriktionen des Ver­ sammlungsgeschehens fortgalten. Waldeck nutzte die Beratung seines Antrags zur Aufhebung des Belagerungszustandes in Berlin dazu, die Stoßrichtung für die folgenden Beratungen vorzugeben. So kritisierte er, dass „unter einem militäri­ schen Befehlshaber die edelsten Rechte des preußischen Volkes“ stünden, sodass die Residenzstadt für die Vertretung des preußischen Volkes derzeit keine „wür­ dige Stätte“ sei,203 wenn es „von der Willkür eines militärischen Befehlshabers“ abhinge, „ob das „Vereinigungsrecht ausgeübt werden solle“.204 Das Versamm­ lungsrecht sei ein „unveräußerliches Recht des preußischen Volkes“, das es schon vor dem März [1848] gehabt hätte, es sei diesem lediglich „durch den Absolu­ tismus, durch die Summe jenes reactionairen Systems“ vorenthalten worden.205­ Waldeck schien hiermit einer naturrechtlichen Auffassung zu folgen, die er jedoch sogleich mit den Garantien des Gesetzes über einige Grundlagen der Preußischen Verfassung wie auch der oktroyierten Verfassung verband und die Versammlungs 199

Siemann, in: Dowe/Haupt/Langewiesche, Europa 1848, 1998, S. 1016. Verhandlungen der Zweiten Kammer, 28. Sitzung am 16.04.1849, S. 495, 498 ff. 201 Abgedruckt in Verhandlungen der Zweiten Kammer, 9. Sitzung am 12.03.1849, S. 120 f. nebst Motiven dazu. 202 Der Entwurf des Central-Ausschußes ist in den Materialen nicht erhalten geblieben. Die Änderungsvorschläge lassen sich aber aus den jeweils zu Beginn der Beratung über einen Para­ graphen erteilten Berichts des Berichterstatters Scherer sowie den zur Abstimmung gestellten Formulierungen rekonstruieren. 203 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 9. Sitzung am 12.03.1849, S. 114. 204 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 9. Sitzung am 12.03.1849, S. 114. 205 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 9. Sitzung am 12.03.1849, S. 114. 200

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und Ver­einigungsfreiheit nunmehr auch in diesen gewährleistet sah.206 Den Zu­ stand zum Zeitpunkt der Beratung beschrieb er jedoch als „eine organisierte Anar­ chie“ in „einer Stadt, die man durch Soldaten erdrücken zu müssen glaubt“. Dass das „Kapitel von dem Belagerungszustande“ – zumal ein Art. 110 der OktrVerf entsprechendes Gesetz über den Belagerungszustand weiter fehlte – ein „in al­ len Punkten gesetzlich geordnetes“ sei, wollte selbst der Minister des Inneren von Manteuffel nicht behaupten, ohne allerdings daraus den Schluss zu ziehen, diesen aufzuheben.207 Ein ähnliches Bild zeigte sich auch bei der für die Organisation von Versamm­ lungen zu jener Zeit bedeutsamen Diskussion um das Gesetz betreffend das An­ heften von Anschlagzetteln und Plakaten.208 So griff etwa von Kirchmann konkrete Ereignisse der letzten Monate heraus, um die seiner Ansicht nach unbegründete Einschränkung der Freiheit durch das Verbot des Plakatierens zu kritisieren.209 Als Negativbeispiel für den Umgang mit Freiheitsrechten wurde dabei jeweils auf die Entwicklung in Frankreich verwiesen,210 für Positives auf England ab­ gestellt.211 Stets aber orientierte sich die Diskussion für den gesamten Bereich Preußens an den Ereignissen in Berlin.212

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Verhandlungen der Zweiten Kammer, 9. Sitzung am 12.03.1849, S. 114. Verhandlungen der Zweiten Kammer, 9. Sitzung am 12.03.1849, S. 115. Diese Auffas­ sung vertrat auch der Abgeordnete von Bismarck-Schönhausen, der sich dem Antrag mit der denkwürdigen Begründung entgegenstellte, „etwa noch eintretende Ereignisse“ könnten die­ sem ­entgegenstehen. 208 Gesetzentwurf betreffend das Anheften von Anschlagzetteln und Plakaten in Städten und Ortschaften sowie den Verkauf und das Verteilen von Druckschriften oder bildlichen Dar­ stellungen in öffentlichen Straßen, nebst Motiven, abgedruckt in Verhandlungen der Zwei­ ten Kammer, 9. Sitzung am 12.03.1849, S. 122. Dessen § 1 bestimmte, dass „Anschlagzettel und Plakate nur (…) Einladungen zu erlaubten, gesetzlich angezeigten oder genehmigten Ver­ sammlungen enthalten, und in Städten und Ortschaften nur an denjenigen Stellen, welche die Orts-Polizeibehörde zu diesen Zwecken gestattet, angeheftet, angeschlagen oder in sonstiger Weise öffentlich ausgestellt werden“ dürfen. Hiermit wurde wiederum auf die Planungsphase von Versammlungen abgestellt und selbst für erlaubte Versammlungen noch die Möglichkeit der Bewerbung der Gestattung unterworfen. 209 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 27. Sitzung am 14.04.1849, S. 481 f. 210 Etwa von Kirchmann, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 27. Sitzung am 14.04.1849, S.  482; Urlichs, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 28.  Sitzung am 16.04.1849, S.  501; Schulze (Delitzsch), Verhandlungen der Zweiten Kammer, 28. Sitzung am 16.04.1849, S. 508; Scherer, Schulze (Delitzsch), Verhandlungen der Zweiten Kammer, 28. Sitzung am 16.04.1849, S. 511. 211 Statt vieler nur von Kirchmann, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 27.  Sitzung am 14.04.1849, S.  482; von Rohscheidt, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 27.  Sitzung am 14.04.1849, S. 483; Ziegler, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 28. Sitzung am 16.04.1849, S. 502; Schulze (Delitzsch), Verhandlungen der Zweiten Kammer, 28. Sitzung am 16.04.1849, S. 508. 212 Statt vieler nur von Kirchmann, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 27.  Sitzung am 14.04.1849, S. 482; Keller, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 27. Sitzung am 14.04.1849, S. 483. 207

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Der RegE orientierte sich wie die spätere VO 1849 deutlich an der Idee der orga­ nisierten Versammlung, unterschied sich in Teilen aber deutlich von dieser. So ver­ pflichtete § 2 RegE, anders als der ähnliche § 1 VO 1849, neben dem Unternehmer noch „Vorsteher […], Leiter“ und sogar den „Inhaber des Versammlungs-Lokals“ dazu, die Anzeige bei der Ortspolizeibehörde zu erstatten. Er fasste den Kreis der Verpflichteten damit weiter, stellte so aber auch die Rolle des Unternehmers viel stärker zurück, sah ihn quasi als einen von vielen Verantwortlichen. Die VO 1849 sah diese Verteilung erst für die Einholung der Genehmigung nach § 10 vor. ­Weiter sah § 2 S. 2 RegE ein Verbot vor, Versammlungen „unter einem falschen“ oder „un­ ter einem Gesamtnamen“ zu „berufen“. Dieses Verbot, welches den Einzelnen als Verantwortlichen herausstellte, fehlte in der VO 1849. Der wesentlichste Unterschied der beiden Regelungsansätze lag in der Aufgabe des Öffentlichkeitsprinzips des § 3 RegE. Dieses besagte, dass zu Versammlungen, in welchen öffentliche Angelegenheiten erörtert oder beraten werden sollten,213 „Jedermann der Zutritt gestattet werden“ müsse. Ein Ausschluss oder nur eine Be­ schränkung der Öffentlichkeit in dergleichen Versammlungen waren nur auf An­ trag der „Vorsteher, Unternehmer, Ordner oder Leiter“ bei der Ortspolizeibehörde möglich, § 3 S. 1 Hs. 2. RegE. Auch das später in § 4 II VO 1849 enthaltene Gebot, Polizeibeamte oder „Abge­ ordnete“ in einer Versammlung zuzulassen, war bereits in § 5 RegE enthalten. Die­ ser war jedoch insoweit weiter, als er nicht nur die Einräumung eines „angemes­ senen Platzes“ (§ 4 III VO 1849) verlangte, sondern diesen Platz den Entsendeten „nach ihrer Wahl“ zugestand. Auch die Informationsrechte der Behörden den an der Organisation Beteiligten gegenüber waren breiter angelegt. So bestimmte § 6 RegE, dass „Vorsteher, Unternehmer, Ordner, Leiter der Versammlung und die Inhaber des Versammlungslokals“ verpflichtet sein sollten, den „Abgeordneten der Obrigkeit auf Verlangen“ nicht nur den eigenen Namen, sondern auch den­jeni­gen der in der Versammlung auftretenden Redner nebst deren „Stand und Wohnung“ anzugeben. Damit wären die Genannten bereits per Gesetz zu Informanten der Be­ hörden gemacht worden. Eine vergleichbare, wenn auch nur auf den Vorsitzenden beschränkte, Regelung fand sich erst wieder in § 4 III VO 1850. Neben diesen Informationspflichten wurden „Vorsteher, Unternehmer, Ordner oder Leiter der Versammlung“ jedoch auch für den Erhalt der öffentlichen Sicher­ heit in die Pflicht genommen. Sie durften „nicht gestatten, daß in derselben An­ träge oder Vorschläge erörtert werden, welche eine Aufreizung oder Aufforderung zu einer strafbaren Handlung enthalten“, § 7 RegE. § 5 VO 1849 sah dieses nicht mehr vor. Der RegE ging allerdings noch weiter, indem er über die Genannten hin­ aus in § 8 den Abgeordneten der Polizeibehörden nicht nur die Auflösung der Ver­ sammlung bei entsprechenden Vorkommnissen, sondern auch die Verhaftung der jeweiligen „Uebertreter“ erlaubte und zu diesem Zwecke bestimmte, dass „Jeder 213

Verweis innerhalb des Gesetzes auf § 2 „dergleichen Versammlungen“, § 3 RegE.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

in der Versammlung […] verpflichtet [ist] ihnen bei Ausübung ihres Amtes auf Er­ fordern Beistand zu leisten“.214 Im Übrigen entsprach der Entwurf seinem Inhalt, wenn auch nicht seinem Wortlaut nach, wesentlich215 der späteren VO 1849. Die Beratungen der Kammer gestalteten sich höchst kontrovers, was nicht nur den unterschiedlichen politischen Einstellungen geschuldet war, sondern insb. auch den äußerst knappen Mehrheitsverhältnissen. So wurden im Laufe der Beratung das Nachzählen der Stimmen sowie Anträge auf namentliche Abstimmungen eher Regel als Ausnahme. Bereits die „allgemeine Diskussion über den Geist und den Grund­ satz des Gesetz-Entwurfs“216 zeichnete den weiteren Verlauf der Diskussionen vor: Die Befürworter des Entwurfs legten im Wesentlichen dar, dass es gelte, im Staate einen „Zustand der Gewalt zu vermeiden“ und dazu nötigenfalls eben auch „die­ jenigen Freiheiten, die dem Volke gegeben sind, in heilsame Schranken zu füh­ ren“.217 Damit sei, so Graf Arnim, der Entwurf eher als Übergang zu verstehen, so­ dass manches in dem Gesetze, „nachdem die Herrschaft einer parlamentarischen Regierung befestigt sein wird, – für den Zustand der öffentlichen Sicherheit wird entbehrt werden können“218. In diesem Augenblick ginge es jedoch darum, „Gesetz und Ordnung statt des Ausnahmezustandes walten zu lassen.“219 Es sei die durch die Menge mögliche „unendliche Krafterhöhung, welche im Momente der Auf­ regung bis zur unwiderstehlichen Gewalt gesteigert werden kann“, welche es zu verhindern gelte, wobei diese Gefahren dann drohten, wenn „improvisierte Volks­ versammlungen“ entstünden, also solche, bei denen eine starke Organisation fehle. Wo die Selbstorganisation fehle, sollte also dazu gezwungen bzw. eingeschritten werden können. Der Abgeordnete Bauer kritisierte, der RegE dekretiere „eine Menge schar­ fer und despotischer Maßregeln“, das vorlegende Ministerium beabsichtigte, „das Vereinsrecht in der That zu erdrosseln“.220 Den Bedarf eines die Ausübung des 214 Eine derartige Inpflichtnahme fand sich ähnlich in § 5 VO 1850 (Entfernung von Bewaff­ neten) und § 8 Abs. 3 VO 1850 (Entfernung von „Frauenpersonen, Schülern und Lehrlingen“). 215 Abweichend waren etwa die Verbotsmöglichkeiten weiter gefasst: „Die Ortspolizei­ behörde ist befugt, dergleichen Versammlungen zu verbieten, wenn sie dieselben für die öffent­ liche Sicherheit oder Ordnung gefährlich erachtet.“ (§ 13 RegE) statt „Die Ortspolizeibehörde ist befugt, jede Versammlung unter freiem Himmel bei dringender Gefahr für die öffentliche Si­ cherheit oder Ordnung zu verbieten.“ (§ 9 VO 1849). Die Änderung war bereits in der Kammer auf Antrag des Zentralausschusses erfolgt, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 33. Sitzung am 23.04.1849, S. 623 f. Ebenso übernahm die Kammer, wie später die VO 1849 die Regelung zur schriftlichen Abfassung eines Verbotes, § 9 Entwurf des Central-Ausschußes, § 9 VO 1849, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 33. Sitzung am 23.04.1849, S. 625 (bei nur drei Gegen­ stimmen), S. 628. 216 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 28. Sitzung am 16.04.1849, S. 498 ff. 217 Graf Arnim, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 28. Sitzung am 16.04.1849, S. 499. 218 Graf Arnim, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 28.  Sitzung am 16.04.1849, S.  499; ebenso Stiehl, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 28. Sitzung am 16.04.1849, S. 505. 219 Graf Arnim, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 28. Sitzung am 16.04.1849, S. 499. 220 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 28. Sitzung am 16.04.1849, S. 498.

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Versammlungsrechts regelnden Gesetzes erkenne er durchaus an, allerdings wün­ sche er ein Gesetz, „welches die Freiheit des Staatsbürgers anerkennt, und wel­ ches nicht darauf berechnet ist, die Freiheit in ihren Grundvesten zu erwürgen“.221 Temme erklärte, in dem Entwurf den „Geist des klaren, nackten Absolutismus zu erkennen“, hier lebe der Geist u. a. „der Tumultgesetze vom Jahre 1798 und 1835“, zudem fehle für die „Beschränkungen“ die Grundlage in der Verfassung, da diese nur einen Gesetzesvorbehalt für Versammlungen unter freiem Himmel be­ inhalte.222 Nur für diese sei auch eine Regelung der Ausübung des Versammlungs­ rechts möglich. Der Entwurf lasse mithin nur einen Schluss zu: Der „constitutio­ nelle Traum“ sei „vorüber, der krasseste Absolutismus […] wieder da“.223 Doch so deutlich die Kritik am Entwurf auch war,224 kritisiert wurden jeweils nur die Anknüpfungen an die Idee der organisierten Versammlung, namentlich in den Vorschriften zur Ordnung, nicht aber wurde das Konzept als solches in Frage gestellt.225 Die Ordnungsvorschriften wurden dabei nicht nur als freiheitsbeschrän­ kend, sondern vielmehr als freiheitsbeendend gesehen. Dass es der Einhegung der Versammlungen durch Ordnungsvorschriften nicht bedürfe, legte D’Ester, wie­ derum an einem Beispiel aus der aktuellen Zeitgeschichte Berlins, dar. So hätten nach der Märzrevolution ohne derartige wie im Entwurf vorgesehene Beschrän­ kungen Versammlungen „beständig“ stattgefunden.226 Darunter „eine wandernde Volksversammlung und zwar die größte der Art, die je in Deutschland vor­ kam, der Zug nach dem Friedrichshain. Der damalige Minister […] habe nicht einmal seine Polizei nothwendig gehabt, um diese wandernde Volksversammlung in Ordnung zu halten. Sie that dies von selbst.“227

Die den Gesetzentwurf tadelnden Abgeordneten verlangten damit nicht mehr und nicht weniger, als die Versammlungen ihrer eigenen Organisation zu über­ lassen, statt diese durch ein aufgezwungenes Gerüst von Ordnungsvorschriften zu begrenzen. Es war die Vorstellung, über Selbstorganisation zu Freiheit und Si­ cherheit zu gelangen. Dieser Standpunkt vieler Abgeordneter, die keinesfalls Un­ sicherheit oder erneute Revolution wünschten, fand sich etwa ausgedrückt bei Eydam:228 221

Verhandlungen der Zweiten Kammer, 28. Sitzung am 16.04.1849, S. 498. Verhandlungen der Zweiten Kammer, 28. Sitzung am 16.04.1849, S. 500; zu den Tumult­ verordnungen Kap. 2 A. III. und B. III. 223 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 28. Sitzung am 16.04.1849, S. 500. 224 Der Antrag, das Gesetz ohne weitere Beratung sogleich in Bausch und Bogen zu verwer­ fen, wurde schließlich mit 187 gegen 141 Stimmen abgelehnt, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 28. Sitzung am 16.04.1849, S. 513. 225 Etwa Ziegler, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 28. Sitzung am 16.04.1849, S. 502: „(…) wir haben einen solchen Fanatismus für die Ordnung, und weil wir immer Ordnung, Ord­ nung rufen, kommen wir nicht zur Ordnung.“ 226 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 28. Sitzung am 16.04.1849, S. 505. 227 D’Estre, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 28. Sitzung am 16.04.1849, S. 505; zum Friedrichshainzug Kap. 2 C. I. 1. 228 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 30. Sitzung am 18.04.1849, S. 538. 222

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee „Ordnung muß sein, ohne Ordnung keine Freiheit! Ordnung haben wir gehabt vor dem März vorigen Jahres; überall war Ordnung, die strengste Ordnung […] Aber in dieser Ordnung war keine Freiheit, und darum mochte sie Niemand mehr haben.“

Diese gegenläufigen Vorstellungen bestimmten auch die Beratung der einzel­ nen Paragraphen. Doch blieb es auch hier bei der Orientierung am Modell der organisierten Versammlung, wenn etwa in den Beratungen zur Anzeigepflicht zwar deren Vorlaufzeit diskutiert wurde229 und die Anzeigepflicht – abweichend vom Entwurf und übernommen von der späteren Verordnung – auf den Unterneh­ mer eingeschränkt wurde, aber das Vorhandensein eines Unternehmers einer Ver­ sammlung nie in Zweifel gezogen wurde. Teils wurde der Anzeigepflicht über­ haupt eine beschränkende Wirkung abgesprochen.230 Noch deutlicher wurde dieses in dem im Rahmen der Beratung durch den Berichterstatter Scherer vorgetrage­ nen Standpunkt des Zentralausschusses, dass „zu den Versammlungen, um die es sich hier handelt […] nur die gerechnet werden […] welche einen Leiter, Unter­ nehmer, etc. haben“.231 Die §§ 3–7 des RegE verwarf die Kammer vollständig,232 und damit auch das Öffentlichkeitsprinzip, welches fast einstimmig verworfen wurde.233 Ebenso deut­ lich sprach sich die Kammer gegen die Beistandspflicht bei Verhaftungen des § 8 RegE aus, dieses sei „zur Zeit dem Volksgeiste völlig widerstrebend und darum unausführbar“.234 Damit entfiel die Inpflichtnahme der an der Organisation beteiligten Personen, wobei deren „mäßigender“ Einfluss lobend hervorgehoben wurde.235 Dabei wurde bei allen von Seiten der Regierung wie mancher Abgeordneter geäußerten Beden­ ken über möglichen Missbrauch des Versammlungsrechts stets deutlich, dass das organisatorische Element durchaus positiv gesehen wurde, wohingegen „impro­ visierte Versammlungen“236, also solche, in denen sich die „Ordnung nicht immer streng handhaben lasse“, eher negativ betrachtet wurden. Bei diesen gäbe es „sehr häufig einen einzelnen Unternehmer“ nicht einmal, vielmehr entstünden diesel­ 229

Camphausen, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 29. Sitzung am 17.04.1849, S. 520; Amendements ebd., S. 527. 230 Riedel, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 29. Sitzung am 17.04.1849, S. 521. Ganz anders freilich Waldeck: Anzeige als „Keim, das ganze Polizeileben einzuführen“, Verhandlun­ gen der Zweiten Kammer, 29. Sitzung am 17.04.1849, S. 524. 231 Scherer, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 30. Sitzung am 18.04.1849, S. 546. 232 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 30. Sitzung am 18.04.1849, S. 531–556. 233 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 30.  Sitzung am 18.04.1849, S.  538. Hintergrund hierfür waren wesentlich Sicherheitsbedenken, gegen die die Einwände des Selbstschutzes (Wollheim, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 30.  Sitzung am 18.04.1849, S.  539) sowie des polizeilichen Schutzes der Versammlung (Scherer, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 30. Sitzung am 18.04.1849, S. 536) nicht verfingen. 234 Scherer, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 30. Sitzung am 18.04.1849, S. 546. 235 Wesendonck, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 30. Sitzung am 18.04.1849, S. 547. 236 Löher, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 19.04.1849, S. 567. Zu den „improvisierten Versammlungen“ auch unten Kap. 2 C. I. 5.

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ben, „ohne von einem Einzelnen ihren Ursprung abzuleiten“.237 Auf eine Regelung entsprechender Fälle kam die Kammer nicht zu sprechen, auch die VO 1849 nahm den angesprochenen Punkt nicht auf. Der so durch die II. Kammer neu gestaltete Entwurf wurde am 24. April der Redactions-Kommission zur Redigierung übertragen,238 allein zu einer Abstim­ mung kam es nicht mehr. Genau in dem Moment, in dem der revidierte Gesetz­ entwurf am 27.04.1849 zur Abstimmung kommen sollte, erhielt Ministerpräsident Graf von Brandenburg das Wort und teilte der Zweiten Kammer mit, dass sie durch Verordnung vom gleichen Tage aufgelöst sei, woraufhin Präsident Grabow die­ Sitzung ohne die anstehende Abstimmung schloss.239 Ob das Parlament, nach meh­ reren knappen Abstimmungen, den Entwurf überhaupt verabschiedet hätte, kann daher nur Spekulation bleiben. Aus dem Geschehen kann aber festgehalten wer­ den, dass die Beratung in ihrer Gesamtheit wie auch die eingebrachten Amende­ ments eines verband: Die Orientierung des Gesetzes und aller an der Normset­ zung Beteiligten an der Idee der organisierten Versammlung. Dabei wurden anders strukturierte (improvisierte) Versammlungen durchaus als möglich und tatsäch­ lich stattfindend gesehen. Eine Bedeutung für das Gesetzgebungsverfahren hat­ ten sie allerdings nicht. Die Kammer ging folglich wie der RegE vom Modell der organisierten Versammlung aus. Dabei hielten zumindest Teile der Kammer auch von diesem Modell abweichende Versammlungen für möglich, aber nicht für rege­ lungsbedürftig.240 Scheerer: „Zu den Versammlungen, um die es sich hier handelt, sollen nur die gerechnet werden, welche sich mit öffentlichen Angelegenheiten beschäftigen, und welche gleichzeitig einen ­Leiter, Unternehmer etc. haben, und daß darunter keine Privatgesellschaft gemeint sein kön­ nen, versteht sich schon von selbst.“241

Die Kammer verzichtete, wie bereits der Entwurf, allerdings darauf, das tatsäch­ lich vorgegebene Modell festzuschreiben, etwa durch eine Leiterpflicht, sondern 237

von Seckendorf, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 34. Sitzung am 24.04.1849, S. 639. Verhandlungen der Zweiten Kammer, 34. Sitzung am 24.04.1849, S. 657. 239 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 37. Sitzung am 27.04.1849, S. 707. Dass es sich tatsächlich um einen Abbruch der konkreten Abstimmung handelte, zeigt sich daran, dass von Brandenburg ausweislich des Protokolls bereits zu Beginn der Sitzung auf der Minister­ bank anwesend war, jedoch erst unmittelbar vor der Abstimmung die Verordnung übermittelte. Durch die Auflösung der Zweiten Kammer ist der Gesetzentwurf in seiner Revidierten Fassung (Drs. der Zweiten Kammer, Nr. 190; nicht veröffentlicht) nicht mehr in die amtliche Sammlung aufgenommen worden, obgleich er der Versammlung zur Abstimmung vorlag. 240 Das galt insb. auch für „jede kleine, selbst in einem Privathause zur Besprechung irgend eines Gegenstandes von öffentlichem Interesse sich zusammenfindende Gesellschaft“ für die der Zentralausschuss fand, dass der Ausdruck Versammlung, wie in der Entwurf verwendete „schon sprachgebräuchlich auf derartige kleinere Gesellschaften keine Anwendung leide“ und dass durch den Zusatz der einzelnen Funktionen (Vorsteher etc.). „die Art und der Umfang der hier gemeinten Versammlungen völlig außer Zweifel gestellt sei“, Scheerer, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 29. Sitzung am 17.04.1849, S. 516. 241 Scheerer, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 29. Sitzung am 17.04.1849, S. 525. 238

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knüpfte nur an die angetroffene Konstellation an. Am 29.06.1849 erging das als Gesetz geplante Regelungswerk zum Vereins- und Versammlungsrecht schließlich als Notverordnung gem. Art. 105 II der oktroyierten Verfassung.242 3. Die preußische Verordnung von 1849 Die VO 1849243 war die erste Regelung, welche zur näheren Ausgestaltung der Versammlungsfreiheit aus Art. 27 der Oktroyierten Verfassung244 erlassen wurde. Dieser bestimmte: „Alle Preußen sind berechtigt, sich ohne vorgängige obrigkeitliche Erlaubnis friedlich und ohne Waffen in geschlossenen Räumen zu versammeln. Diese Bestimmung bezieht sich nicht auf Versammlungen unter freiem Himmel, welche in allen Beziehungen der Verfügung des Gesetzes unterworfen sind. Bis zum Erlaß eines sol­ chen Gesetzes ist von Versammlungen unter freiem Himmel 24 Stunden vorher der Orts-­ Polizeibehörde Anzeige zu machen, welche die Versammlung zu verbieten hat, wenn sie ­dieselbe für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährlich erachtet.“245

Dieses in der Verfassung angekündigte Gesetz war die VO 1849. Bereits der Titel kennzeichnete die VO 1849 deutlich als gefahrenabwehrrechtlich orien­ tiert („Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Miss­ brauches“).246 Der Gedanke des Missbrauchs eines staatlich gewährten oder anders

242 Dass die Motive zur VO 1849 ihre Enttäuschung darüber, dass ein Gesetz nicht zustande gekommen sei („Diese Hoffnung ist nicht in Erfüllung gegangen.“, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 1849, Bd. I, Aktenstücke, S. 202 f.) zum Ausdruck bringen, kann vor diesem Hinter­ grund zynischer kaum sein. Besonders abwertend auch Hartmann, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2781. 243 Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährden­ den Missbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechts vom 29.06.1849, PrGS 1849, S. 221–225. 244 Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 05.12.1848, PrGS 1849, S. 375–391 (die mit dieser Einordnung in die Gesetzessammlung trotz früheren Datums der VO 1849 nach­ folgte). 245 Die Regelung der Verfassung lag durchaus nah beim Entwurf der Verfassungsurkunde für den preußischen Staat (Charte Waldeck, abgedruckt in: Stenographische Berichte über die Ver­ handlungen der zur Vereinbarung der preußischen Staatsverfassung berufenen Versammlung. Erster Band. Erste bis achtunddreißigste Sitzung, vom 22.  Mai bis 11. August 1848, 1848, S. 631–634) deren Textvorschlag in Art. 13 lautete: „Alle Preußen sind berechtigt, sich fried­ lich und ohne Waffen in geschlossenen Räumen zu versammeln. Wer eine Versammlung u­ nter freiem Himmel zusammenberuft, muß davon sofort der Ortspolizei-Behörde Anzeige machen, welche dieselbe wegen dringender Gefahr für die öffentliche Sicherheit verbieten kann.“ Auch die Charte Waldeck nahm damit direkten Bezug auf die Idee der organisierten Versammlung, indem sie einer vorbereitenden bzw. initiierenden Instanz („zusammenberuft“) eine Anmelde­ pflicht auferlegte. 246 Anschütz, Verfassungsurkunde, 1912, S. 517: „Kodifikation des Vereins- und Versamm­ lungspolizeirechts“.

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begründeten Rechts nannte zuvor bereits der Siebzehner Entwurf zur Reichsver­ fassung,247 der zu den Grundrechten des deutschen Volkes in § 25 bestimmte: „Das Reich gewährleistet dem deutschen Volke folgende Grundrechte, welche zugleich der Verfassung jedes einzelnen deutschen Staats zur Norm dienen sollen: […] g) freies Versammlungs- und Vereinsrecht, mit Vorbehalt eines Gesetzes gegen den Mißbrauch“

Diese Vorstellung des Missbrauchs eines Rechts, die voraussetzt, bestimmen zu können, was der rechtmäßige Gebrauch ist, sollte die Versammlungsfreiheit fortan, mit allen Unsicherheiten,248 stets begleiten.249 Sie war auch bedeutsam für die Ein­ stellung des Staates gegenüber Versammlungen in der jeweiligen Zeit. Die Anknüpfung an die Idee der organisierten Versammlung zeigte sich in der VO 1849 an mehreren Stellen. Bereits § 1 S. 1 VO 1849 bestimmte: „Von allen Versammlungen, in welchen öffentliche Angelegenheiten erörtert oder berathen werden sollen, hat der Unternehmer mindestens vier und zwanzig Stunden vor dem Beginne der Versammlung, unter Angabe des Ortes und der Zeit derselben, Anzeige bei der Orts­ polizei-Behörde zu machen.“,

worüber die Behörde sofort eine Bescheinigung250 zu erteilen hatte (S. 2). Damit wurde gleich in mehrfacher Hinsicht an die Idee der organisierten Versammlung angeknüpft. Zunächst wurde der „Unternehmer“ als Zentralgestalt angeführt, der eine Anzeige zu machen hatte. Durch das Element der zeitlichen Vorlaufzeit bis zum Beginn der Versammlung wurde auch bereits die Planungsphase, als Teil der Tätigkeit des Unternehmers, aufgegriffen. Dabei setzte die VO 1849 allerdings an keiner Stelle voraus, dass der Unternehmer auch selbst eine Pflicht zur Anwesen­ heit bei Durchführung der Versammlung oder gar zu weiterem Handeln, etwa einer Eröffnung derselben, hatte.251 Weiter ist für die Rolle, in welcher die VO 1849 den Unternehmer als Zentralgestalt sah, die Formulierung ­„Versammlungen, in­ 247

Vom 26.04.1848, Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I, 1978, S. 352 ff. (Nr. 97). 248 Das Argument des Missbrauchs kritisierte etwa Scheller, Verhandlungen der Ersten Kam­ mer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2877: „Wenn Sie dieses Argument gebrauchen, dies Ar­ gument von dem Mißbrauch, so können Sie damit Alles rechtfertigen. (…) Das Argument des Mißbrauchs ist (…) zu weit gehend, es beweist zu viel, nach logisch richtigem Denken also nichts.“ 249 Etwa BT-Drs. 8/2677, S. 1: „Der Mißbrauch des Demonstrationsrechts zu gewalttätigen Ausschreitungen wird immer unerträglicher.“ 250 Es handelte sich hierbei um eine bloße Bescheinigung darüber, dass und wie die Ver­ sammlung angezeigt wurde, nicht um eine Erlaubnis. S. Ball, Vereins- und Versammlungsrecht, 1894, S. 40. 251 Ebenso Ball, Vereins- und Versammlungs-Recht, 1894, S. 38 m. w. N., der insoweit mit Fug und Recht vom „Unternehmer“ als „Einberufer“ spricht. So auch der Vorwärtsverlag, Das Vereins- und Versammlungs-Recht in Deutschland, 1892, S.  6 unter Berufung auf das KG, GA 38, 464.

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welchen öffentliche Angelegenheiten erörtert252 oder berathen werden sollen“ von Bedeutung. Dieses „sollen“ stellte, was sich aus der Systematik zur Anzeigepflicht ergibt, auf die Absicht des Unternehmers ab253 und stellte ihn und sein ­Wollen so­ mit in den Mittelpunkt der Vorbereitung. Weiter bestimmte § 4 VO 1849, dass die Ortspolizeibehörde in „jede Versammlung, in welcher öffentliche Angelegen­ heiten erörtert oder berathen werden sollen, einen oder zwei Polizeibeamte oder eine oder zwei andere Personen als Abgeordnete“ entsenden durfte. Diese wa­ ren, so sie nicht durch Dienstkleidung oder „besondere Abzeichen“ erkennbar wa­ ren, zur ausdrücklichen „Kundgebung ihrer dienstlichen Eigenschaft“ verpflich­ tet und ihnen war ein entsprechender Platz einzuräumen. Dieses warf die Frage auf, wem gegenüber die Kundgabe zu erfolgen hatte. Hierzu schwieg der Wortlaut der Norm. Ball verwies auf den „zum Hausrecht befugten“254. Dieses war etwa der „Einberufer und Leiter einer Versamml.[ung], welchem ein Gastwirth in seinem Gasthause eine Räumlichkeit für die Abhaltung der Versamml.[ung] zur Ver­ fügung gestellt hat“255. Auch diese Regelung nahm also die Idee der organisierten Versammlung auf. Dieses ergibt sich auch aus der Zusammenschau mit der Ein­ räumung eines „angemessenen Platzes“. Der Wortlaut war hier – wohl bewusst – offen gehalten und umfasste so auch Konstellationen, in denen den Abgeordneten durch Teilnehmer der Versammlung der Platz verweigert wurde. Doch traf die zu­ gehörige Strafbestimmung des § 15 VO 1849 „den Unternehmer und jeden, wel­ cher in der Versammlung als Vorsteher, Ordner oder Leiter aufgetreten ist“, schloss also wieder an das Vorhandensein einer Zentralinstanz an. Diese war demnach – jedenfalls im eigenen Interesse – für die Einräumung eines Platzes verantwortlich. Den Abgeordneten kam nach § 5 VO 1849 weiter ein Auflösungsrecht zu. Die Re­ gelung, dass „diese Erklärung […] nöthigenfalls durch die bewaffnete Macht zur Ausführung gebracht werden“ könnte (§ 6 VO 1849), wie auch das Waffenverbot (§ 7 VO 1849), schlossen noch einmal an die Tradition der Aufruhrbekämpfung vorheriger Normen zur Regelung des Zusammenkommens von Menschen an. Das zeigten auch die bezugnehmenden Strafbestimmungen, die ergänzend die Auffor­ derung, „in einer Versammlung mit Waffen zu erscheinen“ oder in einer Versamm­ lung Waffen auszuteilen, umfassten, §§  18 f. VO 1849. 252

Das „erörtern“ in Ergänzung zum „berathen“ führte dazu, dass auch bloß „einseitige Vor­ träge“, s.  Ball, Vereins- und Versammlungs-Recht, 1894, S.  37, erfasst sein sollten, ebenso­ Delius, Das preußische Vereins- und Versammlungsrecht, 1905, S. 87. 253 Ohne Begründung a. Ball, Vereins- und Versammlungs-Recht, 1894, S. 37. Entsprechend unerheblich war es für eine mögliche Ahndung wegen unterbliebener Anzeige (§ 13), wenn ent­ gegen der Absicht des Unternehmers Einzelne in der Versammlung selbst „politisierten“, Ball, ebd. Er wollte dieses allerdings in den Fällen nicht gelten lassen, in denen der Unternehmer die­ ses „politisieren“ duldete, ebd., S. 38. Dieses „dulden“ des Handelns von Teilnehmern durch Veranstalter und Leiter hatte sich als Merkmal zur Bestimmung der „Friedlichkeit“ einer Ver­ sammlung bis dato gehalten. Zum „sollen“ der Beratung Delius, Das preußische Vereins- und Versammlungsrecht, 1905, S. 88 f. m. w. N. 254 Ball, Vereins- und Versammlungs-Recht, 1894, S. 48. 255 Ball, Vereins- und Versammlungs-Recht, 1894, S. 39 Anm. 4) c. zu § 1) unter Verweis auf RGSt 24, 194.

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§ 8 VO 1849 erklärte die genannten Regelungen sodann für „alle öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel“ für anwendbar. Weiter einschränkend be­ stimmte § 10 VO 1849, dass „Versammlungen, welche auf öffentlichen Plätzen oder Straßen in Städten und Ortschaften statt finden sollen […] der vorgängigen Genehmigung der Ortspolizei-Behörde“ bedürften. Bedurfte es so bereits durch das Gesetz einer planend tätigen Person, die sich um die Einholung der Geneh­ migung bemühte, so wurde sogar explizit geregelt, wer diese sein sollte. So war „die Genehmigung […] von dem Unternehmer, Vorsteher, Ordner oder Leiter der Versammlung nachzusuchen“ (§ 10 S. 2 VO 1849). Neben die planende Figur des Unternehmers trat hier zum ersten Mal eine Benennung weiterer, im Durchfüh­ rungsstadium tätiger Personen. Neben die Planungs- trat die Durchführungsebene, wobei Vorsteher, Ordner und Leiter, wie § 10 S. 2 VO 1849 zeigte, auch schon im Vorfeld tätig werden konnten. Die Benennung der Personen war dabei, beach­ tet man die Bezeichnungen in vorherigen Regelungen, wie etwa „Rädelsführer“, „Wortführer“ oder „Anstifter“, deutlich weniger negativ bzw. wertungsfrei. Diese „Entschärfung“ zeigte sich auch in der Regelung zu den Folgen des Aus­ bleibens einer Anzeige, die für „den Unternehmer, denjenigen, der den Platz dazu eingeräumt hat, und jeden, welcher in Versammlungen als Vorsteher, Ordner, Lei­ ter oder Redner aufgetreten ist“ auf eine „Geldbuße von fünf bis funfzig Thalern“ taxiert wurde (§ 13 VO 1849), was trotz der für den Einzelnen zu jener Zeit durch­ aus erheblichen Summe nicht mehr mit den vorausgegangenen Regelung mit Haftund „körperlichen Strafen“ vergleichbar war. Eine Abgrenzung innerhalb der an der Versammlung Beteiligten erfolgte dadurch, dass bloße Teilnehmer überhaupt nicht bestraft wurden. Eine Folge für bloße Teilnehmer hatte nur noch die Teil­ nahme an verbotenen oder nicht genehmigten Versammlungen (§ 17 VO 1849), was aufgrund der Regelung des § 10 VO 1849 („Versammlungen, welche auf­ öffentlichen Plätzen und Straßen in Städten und Ortschaften stattfinden sollen“) allerdings quasi nur noch für Versammlungen außerhalb bewohnter Gebiete in Be­ tracht kam. Doch war auch hier nur noch eine „Geldbuße von einem bis zu fünf Thalern“ vorgesehen. Diese Strafe wurde noch dahingehend eingeschränkt, dass für den „bloßen Theilnehmer […] und selbst denjenigen, welcher […] als Redner thätig war“ die Strafe nur dann in Frage kam, wenn „das Verbot vorher öffentlich oder ihm besonders bekannt war“. Für initiierend tätig werdende Personen („wer zu einer solchen [nicht genehmigten oder verbotenen] Versammlung auffordert oder auffordern lässt“), Ordner, Leiter und Redner blieb es allerdings bei der Straf­ androhung von bis zu drei Monaten Gefängnis.256 Zusammenfassend schloss auch die VO 1849 an die Idee der organisierten Ver­ sammlung an, was sich insb. in den Regelungen zur Anzeigepflicht des „Unter­ nehmers“, der Einräumung eines Platzes für Abgeordnete der Polizei sowie der Ein­führung der neuen Begriffe „Vorsteher“, „Ordner“ und „Leiter“ zeigt, die der 256 Schärfend allerdings § 18 VO 1849 bzw. § 19 VO 1849, welche die Strafandrohung für die Aufforderung zum bewaffneten Erscheinen verdrei- bis versechsundzwanzigfachte.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

Rolle des Unternehmers in der Vorbereitungsphase eine Ergänzung für die Durch­ führungsphase zur Seite stellten. 4. Die Beratungen der preußischen Kammern zur Verfassungsrevision Die nach der Auflösung der Zweiten Kammer und Vertagung der Ersten Kam­ mer vom 27.04.1849 durch Verordnung vom 30.05.1849 neu einberufenen Kam­ mern nahmen am 19.09.1849 die Beratungen zur Revision der preußischen Ver­ fassung in Bezug auf die Versammlungsfreiheit auf.257 Dabei kam es, neben der geänderten Zählung der Artikel, in der Ersten Kammer zu lediglich einer minima­ len Änderung: Art. 27 Abs. 2 S. 2, der den Erlass eines Gesetzes über Versammlun­ gen in Aussicht stellte, wurde gestrichen, da er aufgrund des Erlasses der VO 1849 als überflüssig angesehen wurde.258 Entsprechend knapp waren die Beratungen der Ersten Kammer, die hier Ge­ legenheit hatte, sich nach der Vertagung vom April das erste Mal zum Versamm­ lungsrecht zu äußern.259 Wo Änderungen vorgeschlagen wurden, zielten diese darauf, bereits in der Verfassung festzuschreiben bzw. klarzustellen, dass einfach­ gesetzliche Beschränkungen der Garantien möglich seien260, wobei diese Vor­ schläge zur Beratung bei Art.  28 angesetzt wurden.261 Von  Gerlach262 nutzte die Beratungen dazu, um die Aufnahme dieser Garantien überhaupt zurückzuweisen. Dieses Recht habe „keine fundamentale Natur, welches seine Sanctionirung mit besonderem Accente durch Aufnahme in die Verfassung rechtfertigte“, vielmehr seien „diese so accentuirten sogenannten Freiheits- und Grundrechte“ durch „die damals siegende Partei“ im März 1848 so formuliert worden, „daß sie klangen, als ob sie von der siegenden Revolution dem besiegten preußischen Staate diktiert wären. Dieses war damals natürlich, Preußen war wirklich gefallen, es war von der Revolution besiegt. Jetzt aber verhält es sich umgekehrt; die Revolution ist gefallen und Preußen hat gesiegt.“

Es sei daher nun an der Zeit, „der Verfassungs-Urkunde diese bedenklichen Spuren ihres Ursprungs zu nehmen, dieses Artikel wegzulassen und sie der Spezial-Gesetzgebung anheimzustellen.“ 257

Verhandlungen der Ersten Kammer, 40. Sitzung am 19.09.1849, S. 743, 757 ff. Verhandlungen der Ersten Kammer, 40. Sitzung am 19.09.1849, S. 757. 259 Breiter wurde hingegen in gleicher Sitzung über die Frage diskutiert, ob die bewaffnete Macht sich versammeln dürfe, Verhandlungen der Ersten Kammer, 40. Sitzung am 19.09.1849, S. 746–752. 260 Antrag von Schleinitz, Verhandlungen der Ersten Kammer, 40. Sitzung am 19.09.1849, S. 757: „Das unbeschränkte Vereins- und Versammlungsrecht ist für den Staat und seine Mit­ glieder verderblich …“. 261 Verhandlungen der Ersten Kammer, 40. Sitzung am 19.09.1849, S. 758. 262 Zu ihm Rüdiger, Bürgerliche Emanzipation und staatliche Reaktion, 2007, S. 216 f. 258

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Während sich dieser fundamentale Ansatz nicht durchsetzte, empfahl die Erste Kammer jedoch die Aufnahme des Zusatzes „Das Gesetz regelt insbesondere zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit die Aus­ übung des in den Artikeln 27 und 28 gewährleisteten Rechts.“263,

der schließlich auch Eingang in die revidierte Verfassung fand. Die Formulierung „Ausübung des […] Rechts“ war etwa gegenüber der Formulierung „kann be­ schränkt werden“ durchaus bewusst gewählt, fasste eine Mehrheit der Ersten Kam­ mer die Regelungen der VO 1849 doch gerade nicht als Beschränkungen sondern eben nur als Ausübungsregelungen auf.264 Das Bedürfnis nach solchen Regelun­ gen wurde selbst von denjenigen nicht in Frage gestellt, die sich für die Freiheits­ rechte aussprachen.265 Die Zweite Kammer schloss sich auf Empfehlung ihrer Verfassungskommission zunächst der Streichung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 OktrVerf an.266 Bzgl. des Art. 27 Abs. 1 S. 1 OktrVerf gab es nur eine klarstellende Änderung. Da die Formulierung „Diese Bestimmung bezieht sich nicht auf Versammlungen unter freiem Himmel, welche in allen Beziehungen der Verfügung des Gesetzes unterworfen sind.“

unklar267 erschien, wurde klarstellend abgeändert: „Diese Bestimmung bezieht sich nicht auf Versammlungen unter freiem Himmel, welche auch in Bezug auf vorgängige obrigkeitliche Erlaubniß der Verfügung des Gesetzes unter­ worfen sind.“

Dieses war so zu verstehen, dass Versammlungen in geschlossenen Räumen zwar durch Gesetz beschränkt werden durften, allerdings – anders als Versammlungen unter freiem Himmel – nicht mehr einer Genehmigungspflicht unterworfen wer­ den können sollten.268 Wer allerdings in der Zweiten Kammer lebhaften Wider­ spruch zur Aufnahme des umfassenden Vorbehalts zur „Regelung der Ausübung“ des Versammlungsrechts erwartete, wie es in den Sitzungen der Zweiten Kammer 263

Verhandlungen der Ersten Kammer, 41. Sitzung am 20.09.1849, S. 773. von Schleinitz, Verhandlungen der Ersten Kammer, 41. Sitzung am 20.09.1849, S. 763; Kisker, Verhandlungen der Ersten Kammer, 41. Sitzung am 20.09.1849, S. 767; Baumstark, Verhandlungen der Ersten Kammer, 41. Sitzung am 20.09.1849, S. 769. 265 Etwa Tamnau, Verhandlungen der Ersten Kammer, 41. Sitzung am 20.09.1849, S. 764: „die traurigen Zeiten der Gesetzgebung, in denen es gewöhnlich war, einen freisinnigen Satz in das Gesetz hineinzulegen und einen anderen nachfolgen zu lassen, der die Einwirkung des ers­ ten Satzes aufhob“ einerseits und „Wir können uns allerdings nicht verhehlen, daß Gefahren damit [der Aufnahme von Freiheitsrechten] verbunden sind, aber wir müssen den Muth haben, ihnen entgegenzutreten.“ Anderseits auch Wachler, ebd., S. 765. 266 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 12.10.1849, S. 632 (Empfehlung), 650 (Beschluss). 267 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 12.10.1849, S. 631. 268 Erklärung folgt Simson, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 12.10.1849, S. 631 f., auch Scherer, ebd., S. 648: „nur insoweit den Verfügungen des Gesetzes entzogen (…), als dieselben niemals von einer vorherigen obrigkeitlichen Erlaubniß abhängig gemacht werden dürften“. 264

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

im Frühjahr des gleichen Jahres zu erwarten gewesen wäre und wie es sich noch in den Kommissionsberatungen zeigte,269 wurde enttäuscht. Zwar hatte die Ver­ fassungskommission sich mit acht gegen acht Stimmen dem Vorschlag der Ersten Kammer knappstmöglich nicht angeschlossen,270 doch fanden sich unter den Red­ nern nur noch Befürworter des weiten Vorbehalts.271 Die Begründungen waren dabei durchaus vielsagend. So referierte Simson die Ansicht der Verfassungskommission dahingehend, dass man das Versammlungs­ recht, je höher man dessen Wert ansehe, umso weniger der Gefahr aussetzen dürfe, „durch seinen Mißbrauch in der vernünftigen öffentlichen Meinung zu grunde gerichtet und dadurch am Ende gänzlicher Aufhebung preisgegeben zu werden.“272

Das Recht sollte also vor seinem (Miss)Gebrauch, insb. durch „politische Klubs“, die „große Menschenmassen zur Disposition weniger Führer stellen“, geschützt werden.273 Die Angst der bürgerlich-liberalen am Ende ihre Rechte ganz zu verlie­ ren, siegte damit über die Angst vor dem Gebrauch durch andere, namentlich re­ volutionäre Kräfte. Die Orientierung, an dem, was bereits (einfaches) Gesetz war, prägte dabei auch die Beratungen zu dem, was Verfassung werden könnte. Deutlich wird dies etwa bei Scherer: „… daß es unmöglich angeht, in Beziehung auf die Versammlungen in geschlossenen ­Räumen die Gesetzgebung ganz und gar auszuschließen. Wir würden damit in einen voll­ kommenen Widerspruch gerathen mit dem, was durch die vorläufige Gesetzgebung bereits angeordnet ist, und zwar, wie ich behaupte, im höchsten Interesse der Ordnung und Sicher­ heit angeordnet ist.“274

Als Gefahr wurde bei der Beratung auch aufgefasst, dass eine Hinzufügung des Regelungsvorbehalts bei Art. 28 (Verein) ohne gleichzeitige Aufnahme bei Art. 27 (Versammlung) zu einem Verständnis führen könnte, dass in einer vergleichenden Auslegung das Fehlen als Verbot jeglichen Gesetzes verstanden werden könnte,275 269

Hier wurde etwa die Ansicht geäußert, dass das Versammlungsrecht kein solches sei, „des­ sen Ausübung irgendwie durch das Gesetz geregelt werden solle“, hierin liege der Unterschied von Vereins- und Versammlungsrecht; referiert durch Graf Arnim, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 12.10.1849, S. 648 ohne Nennung des Vertreters der Ansicht. 270 Die Empfehlung der Kammer erklärte sich daraus, dass man annahm, dass das Versamm­ lungsrecht durch die Möglichkeit eine Erlaubnispflicht einzuführen bereits „hinreichend der Verfügung des Gesetzes unterworfen“ sei, Simson, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 12.10.1849, S. 632 und insb. keine Verbindung von „Versammlungs- und Ver­ einswesen“ stattfinden solle, „die die Verfassung getrennt hat“, ebd., dagegen aber Scherer, ebenfalls Kommissionsmitglied, ebd., S. 647. 271 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 12.10.1849, S. 646–650. 272 Simson, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 12.10.1849, S. 632. 273 Simson, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 12.10.1849, S. 632. 274 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 12.10.1849, S. 647. 275 Etwa Graf Arnim, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31.  Sitzung am 12.10.1849, S. 649.

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was aber nicht Auffassung der Zweiten Kammer – und nach Simson auch nicht die der Kommission – war.276 Die von der Zweiten Kammer schließlich angenommene Fassung konnte sich zudem, wie etwa Justizminister Simons ausführte,277 auch auf die Ähnlichkeit zu bzw. seine Orientierung an der belgischen Verfassung278 stützen, was als Argu­ ment gegen eine Deutung der Bestimmung als reaktionär genutzt wurde. Vielmehr setzte sich die Auffassung der Regelung der Ausübung „dieses ebenso wichtigen, als gefährlichen“279 Versammlungsrechts als „heilsame Schranke“280 beinahe un­ widersprochen durch. Allein Berichterstatter Simson hielt seine Auffassung aus der Kommissionsberatung in der parlamentarischen Rede aufrecht und kritisierte die avisierte Gesetzgebung, die auch Versammlungen in geschlossenen Räumen, auch Privatwohnungen, umfassen würde: Es sei „kein Grund vorhanden […], ein Gebiet zu betreten oder dessen Betretung zu versprechen, in welches hineinzugrei­ fen man sich mehr hüten müsse, als in irgendein anderes.“ So fanden sowohl die Möglichkeit, Versammlungen unter freiem Himmel einem generellen Erlaubnisvorbehalt zu unterwerfen (Art. 29 Abs. 2 RevVerf), als auch der umfassende Ausgestaltungsvorbehalt (Art. 30 Abs. 2 RevVerf), der auch Ver­ sammlungen in geschlossenen Räumen umfasste, Eingang in die revidierte Ver­ fassung.281 Die „traurigen Zeiten der Gesetzgebung, in denen es gewöhnlich war, einen freisinnigen Satz in das Gesetz hineinzulegen und einen anderen nachfolgen zu lassen, der die Einwirkung des ersten Satzes aufhob“,

von denen Tamnau282 wenige Tage zuvor in der Ersten Kammer gesprochen hatte, waren wieder da. Damit hatten die Kammern gleichzeitig den Weg eröffnet, die Anknüpfung der Versammlungsgesetzgebung an die Vorstellung der organisier­ ten Versammlung auch nach der Revision der preußischen Verfassung fortzufüh­ ren. Die Beratung des „die Ausübung regelnden Gesetzes“ gem. Art. 29 f. RevVerf begann bereits vier Monate nach dem Beschluss der Kammern  – im Genehmi­ gungsverfahren zur VO 1849. 276

Simson, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31.  Sitzung am 12.10.1849, S.  649 und 650: „Wie alles in der Welt, so unterliegen auch die Versammlungen in geschlossenen Räu­ men den Verfügungen des Gesetzes. Die Gesetzgebung (…) darf nur ihre Zulassung nimmer­ mehr abhängen lassen von vorgängiger obrigkeitlicher Erlaubniß. Die Versammlungen unter freiem Himmel dagegen sind auch in diesem Betracht der Gesetzgebung unterworfen.“ Dieses sei „Majorität“ in der Kommission gewesen, S. 649. 277 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 12.10.1849, S. 647. 278 Dessen Art. 19 lautete: „Die Belgier haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, indem sie sich nach den Gesetzen richten, welche die Ausübung dieses Rechts re­ geln mögen, ohne es jedoch einer vorläufigen Genehmigung zu unterwerfen.“ 279 So Graf Arnim, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 12.10.1849, S. 649. 280 Graf Arnim, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 12.10.1849, S. 649. 281 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 12.10.1849, S. 650. 282 Tamnau, Verhandlungen der Ersten Kammer, 41. Sitzung am 20.09.1849, S. 764.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

5. Die Beratungen der preußischen Kammern zur VO 1850 Die Frage, ob die „Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Frei­ heit und Ordnung gefährdenden Missbrauchs des Versammlungs- und Vereins­ rechtes“, die zunächst aufgrund Art. 105 OktrVerf als Notverordnung erging, tat­ sächlich eine solche oder nicht vielmehr ein Gesetz – der Titel „Verordnung“ also eine „Falschbezeichnung“  – war, beschäftigte die Literatur zwar bis weit nach der Reichsgründung,283 war aber praktisch ohne Relevanz. Ausgangspunkt und Auflösung dieser Begriffsverwirrung lassen sich dabei aus der Entstehung der VO 1850 erklären. Nachdem die VO 1849 am 29.06.1849 nach Auflösung bzw. Vertagung der Kammern als Notverordnung ergangen war, wurde diese den Kam­ mern nach ihrem erneuten Zusammentritt zur Genehmigung vorgelegt, so wie es Art. 105 II OktrVerf284 vorsah.285 Zur Vorbereitung der Entscheidung der Kammern wurde in diesen jeweils eine „Kommission zur Prüfung der Verordnung vom 29. Juni 1849 über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauches des Versammlungs- und Ver­ einigungsrechts“

eingesetzt, deren Berichterstatter Hartmann (2. Kammer) und Goltdammer (1. Kam­ mer) die Ergebnisse der Beratungen der Kommissionen am 16.02.1850 bzw. 21.02.1850 in den Kammern vorstellten.286 Die Kommission der Zweiten Kam­ mer ging dabei über den reinen Prüfungsauftrag hinaus und erarbeitete ergän­ zend einen, die VO 1849 nicht unwesentlich abändernden, Gesetzentwurf (Kom­ missionsentwurf).287 Für diesen Gesetzentwurf behielt sie allerdings den Titel der vorgelegten Verordnung bei.288 Dieser Gesetzentwurf wurde mit einem „SchlußAntrag“289 versehen und der Zweiten Kammer vorgelegt. Dieser lautete:

283 Dazu Anschütz, Verfassungsurkunde, 1912, S.  516; Thilo, Das preußische Vereins- und Versammlungsrecht, 1865, S. 19. 284 Art. 105 Abs. 2 OktrVerf lautete: „Wenn die Kammern nicht versammelt sind, können in dringenden Fällen, unter Verantwortlichkeit des gesammten Staatsministeriums, Verordnungen mit Gesetzeskraft erlassen werden, dieselben sind aber den Kammern bei ihrem nächsten Zu­ sammentritt zur Genehmigung sofort vorzulegen.“ 285 Zum Verfahren gem. Art. 105 OktrVerf auch Anschütz, Verfassungsurkunde, 1912, S. 516; Arndt, Verfassungsurkunde, 1907, S. 149. 286 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2770 bzw. Verhand­ lungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2865. Ein Verzeichnis der Mitglie­ der der Kommission der Zweiten Kammer findet sich in Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2778. Die Zusammensetzung der Kammern, ihre Bedeutung und Rückschlüsse auf ihre – nicht überlieferten – Beratungsinhalte finden sich hervorragend ausgearbeitet bei Rüdiger, Bürgerliche Emanzipation und staatliche Reaktion, 2007, S. 277–297 und S. 520–523. 287 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S.  2770 ff.; Gegen­ überstellung des Kommissionentwurfs zur VO 1849 ebd., S. 2778–2781. 288 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2778. 289 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2800.

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„Die Kammer wolle beschließen, der auf Grund des Artikels 105 erlassenen Verordnung vom 29.  Juni 1849 die verfassungsmäßige Gegenmeinung zu ertheilen; gleichzeitig aber auch das von der Kommission vorgeschlagene […] Gesetz anzunehmen und dasselbe dem­ nächst der ersten Kammer und der Krone zur Erklärung vorzulegen.“290

Der Gesetzentwurf enthielt dabei in § 23 die Aufhebung der, nur formhalber zu be­ stätigenden, VO 1849: „Gegenwärtiges Gesetz tritt an die Stelle der Verordnung vom 29. Juni 1849.“

Dieses Verfahren, die Beibehaltung des Titels der Verordnung für das Gesetz sowie die, für Gesetze in Preußen üblichen, Einleitungsworte „Wir ­Friedrich­ Wilhelm […] verordnen […]“ trugen schließlich dazu bei, zu verwischen, dass die VO 1849 tatsächlich eine (Not)Verordnung, die VO 1850 hingegen ein Ge­ setz war.291 Diesem Vorgehen ganz folgerichtig begann der der Zweiten Kammer vorgelegte „Prüfungsbericht“292 mit der Rechtfertigung der VO 1849 vor den Voraussetzun­ gen des Art. 105 OktrVerf. Dessen Inhalt beschränkte sich allerdings auf die bloße Feststellung, die Verordnung sei „nothwendig und die Veranlassung zum Erlaß derselben […] dringend gewesen“.293 Die Begründung dieser, in der Kommis­ sion einstimmig ergangenen, Entscheidung,294 wurde allein darin gesehen, das durch die Verordnung vom 06. April 1848295 Versammlungen und Vereinstätig­ keit möglich geworden waren, während „bis dahin die Gesetze von Grundsätzen ausgingen, nach welchen die jenen Rechten entsprechenden Handlungen schon an und für sich unerlaubt waren“.296 Daher habe es Gesetze bedurft, „einerseits der polizeilichen Willkür Schranken zu setzen, andererseits der Regierung die Mittel zu gewähren […] die öffentliche Ordnung und Sicherheit kräftig zu schüt­ 290 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S.  2778 sowie S. 2800. 291 So auch Thilo, Das preußische Vereins- und Versammlungsrecht, 1865, S. 19 Anm. 1, der zudem Art. 63 der RevVerf. ins Feld führte: „Die Bezeichnung „Verordnung“ ist unrichtig, da nach Art.  63 der Verf.-Urkunde darunter diejenigen mit Gesetzeskraft erlassenen Vorschrif­ ten verstanden werden, welche zur Beseitigung eines ungewöhnlichen Nothstandes oder zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit dringend erforderlich sind und von der Krone un­ ter Verantwortlichkeit des gesamten Staatsministeriums ohne Mitwirkung der Kammern […] ausgehen; eine in Folge Uebereinstimmung der gesetzgebenden Factoren publizierte gesetz­ liche Anordnung, wie im vorliegenden Falle, konnte nur Gesetz genannt werden.“ 292 Der Kommissionsbericht ist nebst einer Synopse von Kommissionsentwurf und VO 1849 abgedruckt in Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S.  2770– 2778. 293 Kommissionsbericht, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2770. 294 Hachtmann, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2781. 295 Verordnungen über einige Grundlagen der künftigen Preußischen Verfassung, vgl. Kap. 2 C. 1. 296 Kommissionsbericht, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2770.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

zen“.297 Da der Kommission „Erfahrungen“298 darüber vorgelegen hätten, dass die Regelungen der VO 1849 nicht ausreichten, habe man sich entschlossen „abwei­ chende Vorschläge zur Annahme zu empfehlen“.299 Aus diesen Vorschlägen lässt sich die Bezugnahme auf die Idee der organisier­ ten Versammlung über den späteren Gesetzestext hinaus vertiefen. So wurde etwa eine Ausdehnung der Anzeigepflicht über den Urheber hinaus auch auf die in § 12 VO 1850 genannten (und mit Strafe bedrohten) Personen ausgedehnt. Da diese aber durch § 12 VO 1850/§ 13 VO 1849 ausreichend „angeregt“ seien, sich unangemeldeten Versammlungen zu enthalten und die frühe Information der Orts­ polizei auch so gewährleistet sei, wurde auf die Aufnahme verzichtet.300 Durch die gleichzeitige Aufnahme des Zusatzes, dass ein späterer Beginn als nicht vor­ schriftsmäßig angezeigt galt, stärkte die Kommission somit jedoch gleichzeitig die Rolle des Unternehmers. Insgesamt Maß die Kommission der Anzeigepflicht kaum beschränkende Bedeutung bei, sei es doch so, dass durch diese „das Recht selbst nicht zerstört, sondern nur die Ausübung des Rechts in einer Weise“ geregelt würde, die „durch die Rücksichten für die öffentliche Ordnung und Sicherheit […] absolut“ geboten sei.301 Die Orientierung der Kommission zeigte sich weiter darin, dass sie die statu­ tenmäßige und unter der Leitung des Vereinsvorstandes stattfindende Vereins­ versammlung als den Regelfall der Versammlung überhaupt ansah und andere Versammlungen als „improvisierte Versammlungen“ bezeichnete, für diese aber dennoch am grundsätzlichen Organisationsmodell festhielt.302 Dieses zeigt sich auch an der Verwendung des Wortes „Vorsitzender“ in der Einfügung zu § 4 VO 1850, die ebenso an der Vereinsversammlung orientiert ist, aber eben auch für

297 Kommissionsbericht, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2770 sowie 2777 f. 298 Zur Herkunft dieser „Erfahrungen“ aus dem Kreis der Regierung, vgl. den Bericht der Kommission, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2771 und 2772. Vgl. a. Hartmann, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2781, der von Informationen über „praktische Mängel“ der VO 1849 berichtet. Der Minis­ ter des Inneren von Manteuffel bestätigte dieses durch seinen Vortrag in der Kammer, Ver­ handlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2782. So man den Berich­ ten der Regierung hier Glauben schenkt, waren die Umgehungsstrategien der Versammlungen jedoch äußerst kreativ. Ein Beispiel zur Unterbrechung einer Versammlung zur Erschwerung der Überwachung bei von Manteuffel, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2785. 299 Kommissionsbericht, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2771. 300 Kommissionsbericht, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2771. 301 Kommissionsbericht, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2771. 302 Kommissionsbericht, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2772.

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„improvisierte Versammlungen“ gilt. Diese Orientierung, welche den Bericht der Kommission durchzieht, setzte sich in den Debattenbeiträgen fort. Aller­ dings wurde die Auseinandersetzung über die Normen an sich bereits in der all­ gemeinen Diskussion in eine Bahn gelenkt, die außer einer Annahme jeglicher Re­ pressionsmaßnahme keinen anderen Ausgang offen ließ und die Stoßrichtung der VO 1850 überdeutlich machte.303 Allein ein Abgeordneter fand sich in der all­ gemeinen Diskussion, den Entwurf zu kritisieren, mit dem Kernargument, dass die Beschränkung der Freiheit schließlich zur Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit würde.304 Die Gegenseite bestritt jegliche Beschränkung des Vereinsund Versammlungsrechts durch die VO 1850.305 Bei den einzelnen Paragraphen lassen sich weitere Anhaltspunkte für die Ori­ entierung an der Idee der organisierten Versammlung finden. So kritisierte bei­ spielsweise Tellkampf nicht etwa die Ergänzung des § 1 („spätestens“), sondern lediglich die Festsetzung auf eine Stunde. Es könnte nämlich „eine Versamm­ lung erst dann die Verhandlungen ordnungsmäßig beginnen, wenn die Vorsit­ zenden, Leiter u.s.w. erwählt sind, mit anderen Worten, wenn die Versammlung konstituiert ist.“306 Hierfür reiche aber eine Stunde häufig nicht aus. In dieser Stel­ lungnahme zeigt sich ein Einblick in das tatsächliche Geschehen „improvisier­ ter Versammlungen“, die anders als Vereinsversammlungen zunächst eine innere Organisation herstellen mussten. Zu beachten ist aber, dass diese zu jenem Zeit­ punkt gerade noch nicht vorgeschrieben war, sondern allein der praktischen Übung entsprach. Die Praxis ging also auch hier der rechtlichen Regelung voraus. Die „Nutzbarmachung“ dieser tatsächlichen Abläufe für den Erhalt der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zeigen sich etwa in der Argumentation Hartmanns zu

303

Etwa Hartmann, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2781: „[…] daß eine geordnete Organisation der politischen Klubs jede bestehende Regie­ rung zu untergraben und zu zerstören bedroht“ und „Ihre Kommission rechnet freilich nicht auf den Beifall derer, die in den Straßenmeuten des Jahres 1848 nur den Ausdruck einer zum Be­ wußtsein gelangten sittlichen Berechtigung finden.“ 304 Graf Dyhrn, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2783 f. Dessen pointierte Kritik an der Argumentation, dass Gesetz sei nur provisorisch, bewies sich nicht nur historisch als richtig, sondern ist weiterhin lesenswert. Der Abgeordnete Broicher kam wegen des Schlusses der Debatte nicht mehr zur Rede gegen den Entwurf, Verhandlun­ gen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2785. In der Einzelberatung deut­ lich aber auch von Beltheim, der ermahnte, neben der Schatten- auch die „Lichtseite“ der Ver­ eine und Versammlungen zu sehen, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2788 und überdies verlangte doch wenigstens sicherzustellen, dass „diejenigen Beamten, welche in Vereine geschickt werden, ein genügendes Maß öffentlicher Bildung ha­ ben“ (ebd.), somit dieses keinesfalls den Konstablern zu überlassen, was von Manteuffel aus Personal­mangel am Beispiel Berlins für „unmöglich“ erklärte – es ging hier um 103 (!) gleich­ zeitig stattfindende Versammlungen (S. 2789). 305 Etwa von Manteuffel, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2783; Scherer, ebd., S. 2784: „in dieser Beziehung keine eigentlichen Beschränkungen (…), sondern nur die Ausübung zu regeln.“ 306 Tellkampf, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2785.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

§ 4 VO 1850, der festhält, der Vorsitzende einer Versammlung habe eben „nicht bloß den ordnungsgemäßen Gang der Verhandlungen zu überwachen, sondern auch dafür zu sorgen, daß die Mitglieder sich innerhalb der gesetzlich gezogenen Schranken halten“.307 Ohnehin würde „in jeder größeren Versammlung […] eine Redeordnung“ eingehalten, sodass der Vorsitzende, im Wissen um die Rednerliste, den Behörden „in allen Fällen wenigstens den Namen dessen, der das Wort hat“, nennen könne.308 Ausgehend von dieser Versammlungsrealität wurde, etwa auch in den Beratun­ gen zu den Strafvorschriften, die Frage danach, was geschehe, wenn sich ein Ur­ heber nicht bestimmen lasse, nicht gestellt. Die Kammer schloss sich somit wei­ testgehend der Kommission an,309 sodass auch die VO 1850 die Orientierung an der organisierten Versammlung beibehielt. Mit Beginn der Beratungen der Ersten Kammer am 21.02.1850 zeigte sich ein kleiner Rollenwechsel im Vergleich zu den Beratungen im Vorjahr. Zunächst brachten mehrere Abgeordnete ihre Unzufriedenheit mit der Beratungssituation deutlich zum Ausdruck. Die Abgeordneten hatten den Beratungsgegenstand, näm­ lich die Beschlüsse der Ersten Kammer, erst wenige Stunden vor Beginn der Be­ ratung überhaupt in gedruckter Form zur Kenntnis erhalten,310 dennoch war er zur Beratung auf die Tagesordnung gesetzt worden. Hinzukam, dass das nahende Sessions­ende am 26.02.1850 eine „Berathung mit Besonnenheit und gehörigem Umfang“ kaum zuließ311 und überdies das Gesetz, „wenn nur die geringste Ver­ änderung einträte“, unmöglich noch an die Zweite Kammer zurückgegeben wer­ den konnte, somit eigene Vorschläge der Ersten Kammer oder bloße Änderungs­ wünsche der Kammer, so man das Gesetz noch beschließen wollte, bereits vor Eintritt in die Beratung ausgeschlossen waren.312 Selbst eine Aussetzung der Bera­ tung auf 48 Stunden, um die Beschlüsse der Zweiten Kammer vor ihrer Beratung zu prüfen, hätte den Beschluss gefährdet.313 So empfahl dann auch der Abgeord­ nete Kuh, die Beratung des Gesetzes gleich ganz von der Hand zu weisen.314 Den­ noch entschloss sich die Mehrheit der Ersten Kammer, ohne weitere Vorbereitung in die Beratung einzutreten, was Kisker zu der Bemerkung bewegte:

307

Hartmann, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2788. Hartmann, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2788. 309 Abschließende Abstimmung, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 112. Sitzung am 18.02.1850, S. 2847. 310 Verhandlungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2865. 311 So der Abgeordnete Kuh, Verhandlungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2865. Ebenso von Bianco, ebd., S. 2868. 312 Kühne, Verhandlungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2865. 313 Zum Vorschlag der Aussetzung einerseits Wachler, andererseits Justizminister Simons so­ wie Kühne, Verhandlungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2865. Diese „üble Lage“ der Kammer erkannte auch Goltdammer an, ebd., S. 2868. 314 Verhandlungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2865. 308

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„In der bayrischen Kammer hat ein ähnlicher Entwurf vorgelegen. Dort hat man sich sieben Tage damit beschäftigt; Sie wollen den Gegenstand ohne Vorbereitung in einigen Stunden erledigen. Bedenken Sie, wohin das führen kann.“315

Die Beratung eröffnete der Berichterstatter Goltdammer mit einer kurzen Ver­ lesung des (noch nicht gedruckten) Berichts der Kommission der Ersten Kam­ mer, der sich auf die Wiederholung der Argumente der Regierung wie der Zwei­ ten Kammer zur Dringlichkeit der VO 1849 beschränkte.316 Was sich bereits in der Aussprache zur Tagesordnung angedeutet hatte, setze sich in der Beratung fort. Die Kritik ging dahin, der Entwurf der Zweiten Kammer ginge selbst hinter die „engen Beschränkungen“ des Regierungsentwurfs „noch weit zurück, indem er eine wichtige Bestimmung, ein wichtiges Recht, welches durch die Verfassung verbrieft ist, in Gränzen einschließt, die enger sind, als es dessen bedarf“.317 Die umfassende Kehrtwende der Zweiten Kammer stellte Fischer heraus: „Was wird uns in dem Augenblicke zugemuthet. Ein Gesetz, welches von der früheren ­zweiten Kammer zum größeren Theile nicht angenommen und demnächst doch oktroyiert worden ist, soll jetzt von uns noch verschärft und somit das Vereinsrecht faktisch vernich­ tet werden.“318

Aufgrund der gegebenen Ausgangslage sowie der Mehrheitsverhältnisse ver­ zichteten mehrere Abgeordnete sodann in der Beratung der einzelnen Paragra­ phen auch auf die Stellung von Amendements oder sogar Wortmeldungen, sodass eine eigentliche Beratung abseits der, teils zusammengefassten, Annahme der ein­ zelnen Paragraphen kaum mehr stattfand.319 Nachdem bereits die Dringlichkeit der VO 1849 gem. Art. 105 OktrVerf durch die Erste Kammer anerkannt worden war,320 stimmte auch die Erste Kammer schließlich für den Entwurf der Zweiten Kammer.321

315

Verhandlungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2868. Verhandlungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2865. 317 von Bockum-Dolffs, Verhandlungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2866; in die gleiche Richtung Kisker, ebd. 318 Verhandlungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2867. Auch Kuh, Ver­ handlungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2876: „(…) und weil die Zeit zu kurz ist, wollen wir Bestimmungen annehmen, welche die Kommission selbst für bedenk­ lich hält“, ebd., S. 2876. 319 Verhandlungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2869–2879. Auffällig ist, dass dort, wo Kritik geäußert wurde, diese häufig nicht durch den Berichterstatter Goldtammer, sondern durch den „Regierungs-Kommissarius“ von Schleinitz Entgegnung findet, was die an­ gesprochene Rolle der Exekutive im Verfahren wiederum hervorhebt. 320 Verhandlungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2869, sowie „Vor­ behalt“ der Genehmigung, ebd., S. 2879, für den Fall, dass das Gesetz durch die Regierung nicht angenommen worden wäre. 321 Verhandlungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2879. 316

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6. Die preußische Verordnung von 1850 Die VO 1849 war damit nicht einmal ein Jahr in Kraft, als sie durch die titel­ gleiche VO 1850322 abgelöst wurde.323 Nur unwesentlich länger hatte die Oktroy­ ierte Verfassung von 1848 Bestand gehabt, die zwischenzeitlich durch die Re­ vidierte Verfassung324 von 1850 ersetzt worden war. Deren Art.  29 bestimmte nunmehr: „Alle Preußen sind berechtigt, sich ohne vorgängige obrigkeitliche Erlaubniß friedlich und ohne Waffen in geschlossenen Räumen zu versammeln. Diese Bestimmung bezieht sich nicht auf Versammlungen unter freiem Himmel, welche auch in Bezug auf vorgängige obrigkeitliche Erlaubniß der Verfügung des Gesetzes unter­ worfen sind.“

Es hatte also nur eine unwesentliche Änderung der Formulierung („in allen Be­ ziehungen“ zu „auch in Bezug auf vorgängige obrigkeitliche Erlaubniß“) so­ wie eine Streichung des durch die VO 1849 obsolet gewordenen dritten Satzes ­stattgefunden. Die Formulierung des Grundrechtskatalogs der Frankfurter Natio­ nalversammlung325 in Art. 29 „Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln; einer be­ sonderen Erlaubniß dazu bedarf es nicht. Volksversammlungen unter freiem Himmel können bei dringender Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit verboten werden.“ 322 Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährden­ den Missbrauches des Versammlungs- und Vereinigungsrechts vom 11.03.1850, PrGS 1850, S. 277–283. 323 § 23 VO 1850, der die VO 1850 als „Gesetz“ bezeichnet, von der VO 1849 aber als Verord­ nung spricht. 324 Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat (Revidierte Verfassung) vom 31.01.1850, PrGS 1850, S. 17–35. 325 Reichsgesetz betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes vom 27.12.1848, RGBl. 1848, S. 49. Dessen „papierne Ewigkeit“ (Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn.  24) entgegen § 130 der Frankfurter Reichsverfassung aller­ dings nur bis zu seiner Aufhebung durch den Bundesbeschluss vom 23.08.1851, abgedruckt bei ­Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. II, 1986, S. 2 (Nr. 2), galt. Die Formulierung fand sich bereits in § 23 des Entwurfs, der der deutschen Nationalversamm­ lung am 03.07.1848 unter dem Titel „Die Grundrechte des deutschen Volkes“ zur Beratung vor­ gelegt wurde, Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der Deutschen Constituiren­ den Nationalversammlung zu Frankfurt am Main, Bd. I, 1848, S. 681 (683). Zwar bestanden verschiedene „Minoritätsgutachten“ und Änderungsanträge, ebd., S. 687 f., doch wurde die ur­ sprüngliche Fassung in erster (26.09.1848) und zweiter (15.12.1848) „Beratung“ jeweils ohne Diskussion (ebd., Bd. III, 1848, S. 2305 f.; Bd. VI, 1849, S. 4172) angenommen (ebd., Bd. III, 1848, S. 2307, 2311, zusammenfassend S. 2313 sowie Bd. VI, 1849, S. 4172 f.). Die einzige Änderung bildete damit die redaktionelle Anpassung von § 23 zu § 28 und schließlich zu Art. 29. Inhaltliche Schlüsse lassen sich aus den Beratungen, obwohl die durchaus mit dem Ver­ sammlungsrecht befassten Welcker und von Mohl noch im Verfassungsausschuss, der den Ent­ wurf erstellte, mitgewirkt hatten, damit nicht ziehen.

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sah hingegen eine Erlaubnis nicht mehr vor. Doch verkündete dessen Wortlaut auch „sofortige Anwendung im ganzen Reich“, so blieb er dennoch „ohne prakti­ sche Wirkung“326. Dieses Schicksal teilte er mit der ihm nachfolgenden und auf ihn ausgerichteten Frankfurter Reichsverfassung (Paulskirchenverfassung)327, deren § 161 wortgleich zum Grundrechtekatalog war und von dem § 130 erklärte, dass er mit den übrigen Grundrechten, „den Verfassungen der deutschen Einzelstaaten zur Norm dienen, und keine Verfassung oder Gesetzgebung eines deutschen Ein­ zelstaates […] diesselben je aufheben oder beschränken können“ sollte – und die­ bereits einen Monat nach ihrer Verkündigung durch Preußen verworfen wurde.328 Damit blieb es für die zur VO 1850 überarbeitete VO 1849 bei der Grundlage in Form der nunmehr revidierten, wenngleich für den hier relevanten Aspekt gleich gebliebenen, Preußischen Verfassung. Die VO 1850 übernahm von der VO 1849 nicht nur den Titel, sondern auch ihren grundsätzlichen Aufbau und wesentliche Teile ihres Wortlauts. Dort wo Änderun­ gen gemacht wurden, wirkten sie schärfend i. S. einer Eingrenzung der Versamm­ lungsfreiheit.329 Das zeigte bereits der neu angefügte Absatz des § 1 VO 1850, der festlegte, dass eine Versammlung, die „nicht spätestens eine Stunde nach der in der Anzeige angegebenen Zeit“ begann, „als vorschriftsmäßig angezeigt nicht anzuse­ hen“ war und selbes galt, wenn „eine Versammlung die länger als eine Stunde aus­ gesetzten Verhandlungen wieder aufnimmt“. Die Regelung war nicht nur erheblich stärker einschränkend als die ursprüngliche Regelung der VO 1849, sondern auch noch stärker an der Rolle des „Unternehmers“ orientiert, indem eine Abweichung von der Entscheidung in der Vorbereitungsphase in der Durchführungsphase  – etwa durch Entscheidung des Leiters, der Versammlung durch Abstimmung und sogar des Urhebers selbst – nicht mehr möglich war. Weiter wurde die Durchfüh­ rungsphase durch die Beschränkung der Verhandlungsaussetzung geschwächt. Eine stärkere Orientierung an der Zentralgestalt, hier in der Durchführungs­ phase, zeigte die Änderung des § 4 VO 1850 zu den Möglichkeiten der Abgeord­ neten der Polizei. Ergab sich deren Beziehung zur Zentralgestalt ehemals noch durch die Systematik, wurde ihnen nunmehr die Möglichkeit eingeräumt zu erfor­ dern, dass ihnen „Auskunft über die Person der Redner gegeben werde“. Dieses Erfordern wurde so statuiert, dass es „durch den Vorsitzenden“ zu erfüllen war. Die Verweigerung der Auskunft oder eine „wissentlich unrichtige Auskunft“ war ent­ sprechend strafbar, § 14 VO 1850. Dieses stellte die erste Regelung im Versamm­ lungsrecht dar, die der Polizei  – neben dem Urheber als Anmelder in der Pla­ ­ essen nungsphase  – einen Ansprechpartner in der Durchführungsphase stellte. D Existenz setzte die VO 1850 damit voraus. Ähnlich gestaltete sich die ­Änderung 326

Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 2015, Rn. 306, 317. Verfassung des deutschen Reiches vom 28.03.1849, RGBl. 1849, S. 101–147. 328 Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 2015, Rn. 320; Schlenke, Preußen, 2003, S. 253. 329 Vgl. etwa auch die Strafschärfung von Geldbuße „bis funfzig Thalern“ auf Gefängnis­ strafe „bis zu sechs Wochen“ in § 12 VO 1850 im Vergleich zu § 13 VO 1849. 327

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des § 5 VO 1850, der eine Auflösung nunmehr bereits dann erlaubte, wenn die Be­ scheinigung der erfolgten Anzeige nicht vorgelegt werden konnte. Damit musste der Unternehmer zwar immer noch nicht während der Versammlung anwesend sein, jedoch zumindest mit den mit der Durchführung betrauten Personen in Kontakt stehen. Ebenfalls in § 5 VO 1850 fand sich eine Regelung, die die Zen­ tralgestalt einer Versammlung für die Durchsetzung des Gesetzes in die Pflicht nahm – hier für die Entfernung von Bewaffneten, die in der Versammlung erschie­ nen. Allerdings nannte die VO 1850 in § 5, anders als noch in § 4, keinen Verpflich­ teten und traf für ein Zuwiderhandeln auch keine zusätzliche Strafbestimmung, so­ dass man auch alle Versammelten als Adressat der Norm hätte verstehen können. Allerdings kann hier ein Gleichlauf mit dem neuen § 8 VO 1850 vermutet werden. Dieser bestimmte, dass „Frauenpersonen, Schüler und Lehrlinge“ Versammlun­ gen und Sitzungen „politischer Vereine“ also solcher, „welche bezwecken, politi­ sche Gegenstände in Versammlungen zu erörtern“, nicht „beiwohnen“ durften und „dieselben auf die Aufforderung der anwesenden Abgeordneten der Obrigkeit […] entfernt“ werden mussten. Dieses hatte in Anbetracht der ebenfalls neu eingeführ­ ten Strafregelung des § 16 VO 1850 durch „Vorsteher, Ordner und Leiter“ oder auf deren Anweisung zu erfolgen, da diesen, so sie „diesen Bestimmungen entgegen gehandelt haben“, neben einer Auflösung der Versammlung (§ 8 VO 1850) auch eine Geldbuße oder Gefängnisstrafe bis zu drei Monaten drohte. Die Änderungen der VO 1850 führten damit dazu, dass „Vorsteher, Ordner und Leiter“, also die in der Durchführungsphase beteiligten Vertreter der Zentralinstanz, mit Pflichten zur Einhaltung der Gesetze belegt wurden – ohne dass ihnen dafür aber Mittel oder Schutz, etwa durch Strafe bei Widerstand, zuteilwurde. Die Genehmigungserfordernisse dehnte § 9 VO 1850 auf alle öffentlichen Ver­ sammlungen unter freiem Himmel aus, zudem war die Genehmigung schriftlich zu erteilen und insoweit mit der Anzeige („Bescheinigung der Anzeige“ § 5 VO 1850) gleichgezogen. Bisher hatte zumindest für öffentliche Versammlungen un­ ter freiem Himmel aber auf privatem Grund noch nur eine Anzeigepflicht bestan­ den, §§ 1, 8 VO 1849. Die Erteilung der Erlaubnis wurde zudem davon abhängig gemacht, dass alle „dem Verkehr schuldige Rücksichten“ durch die Ortspolizei­ behörde bei der „Ertheilung der Erlaubniß“ einzubeziehen waren, § 9 S.  3 VO 1850.330 Damit wurden zum ersten Mal Interessen Dritter, abseits des Schutzes vor

330 Die Regelungen des § 9 S. 3 VO 1850 „auf öffentlichen Plätzen, in Städten und Ortschaf­ ten, oder auf öffentlichen Straßen“ bzw. des ähnlichen § 10 S.  1 VO 1849 „auf öffentlichen­ Plätzen und Straßen in Städten und Ortschaften“ waren nicht zuletzt aufgrund eines in den Ent­ würfen fehlenden, im Gesetzestext aber auftauchenden Kommas erschwert, Ball, Vereins- und Versammlungs-Recht, 1894, S. 57 Anm. 4) a. zu § 9 VO 1850 „sinnstörendes […] Komma“. Der Text war so zu verstehen, dass Beschränkungen im Verkehrsinteresse dann berücksichtigt werden sollten, wenn die Versammlungen innerhalb der Städte auf öffentlichen Plätzen oder öf­ fentlichen Straßen oder außerhalb der Städte auf öffentlichen Straßen stattfanden, ebenso Ball, Vereins- und Versammlungs-Recht, 1894, S. 57 Anm. 4) a. zu § 9 unter Verweis auf die Ver­ handlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2774.

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Gefahren für Leib, Leben und Sachen, zum mitentscheidenden Maßstab behörd­ licher Entscheidungen in Bezug auf Versammlungen gemacht – gleichzeitig aber auch eine Verhinderungsmöglichkeit, durch Versagung der Genehmigung, unter­ halb der Schwelle einer Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geschaffen.331 Schließlich verlängerte die Änderung des § 17 VO 1849 die Planungsphase er­ heblich, indem das Auffordern (i. S. einer Einladung) oder Auffordern lassen zu einer Versammlung nicht nur für die Fälle strafbar gestellt wurde, in denen die Ver­ sammlung nicht genehmigt war, sondern auch für die Fälle, in denen die Aufforde­ rung „vor Eingang der obrigkeitlichen Erlaubniß“ erfolgte. Somit lag die Strafbar­ keit selbst dann vor, wenn die Versammlung nach dem Auffordern noch genehmigt wurde. Dieses bedeutete für die Planungsphase einer Versammlung, dass diese deutlich früher als die mögliche Mindestanzeigefrist von 24 Stunden beginnen musste, um überhaupt ohne Drohen einer Strafbarkeit potentielle Teilnehmer über die Versammlung informieren zu können. Die VO 1850 behielt damit die Orientierung ihres unmittelbaren Vorgängers an der Idee der organisierten Versammlung bei. Insb. durch die Unmöglichkeit ohne negative Folgen von den Plänen des „Urhebers“ abzuweichen, die Installierung des „Vorsitzenden“ als Ansprechpartner der Abgeordneten der Polizei sowie die Ver­ pflichtung von Vorstehern, Ordnern und Leitern, auf die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften zu achten und diese ggf. durchzusetzen, verstärkte es diese allerdings noch erheblich, wenn auch in rein repressiver Hinsicht. 7. Zwischenergebnis Die Kammern orientierten sich wie ihre Ausschüsse auch in den Beratungen am Bild der organisierten Versammlung, dabei wird dieses aber eher ständig voraus­ gesetzt als eigens hervorgehoben. Insoweit decken sich die Beratungen, wie ihr Ergebnis in Form der VO 1850, mit dem Regierungsentwurf von 1848 sowie der oktroyierten VO 1849. Die Beratungen zeigen aber auch, dass auch Versamm­ lungen abseits des vom Regelungskonzept erfassten – und in der Versammlungs­ realität vorherrschenden – Modells gesehen wurden und dadurch dem Versamm­ lungsbegriff der Verfassung zugeordnet wurden. Diese wurden aber nicht als regelungsbedürftig angesehen und entsprechend nicht gesetzlich erfasst. Möglich­ keiten, von dem gesellschaftlich vorherrschenden Regelungsmodell abzuweichen, bestanden freilich kaum.

331 Zur Versagung aus Gründen der „Verkehrsrücksichten“ Ball, Vereins- und VersammlungsRecht, 1894, S. 58 Anm. 4) b. zu § 9 VO 1850 m. w. N.

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II. Der Entwurf eines Vereinsgesetzes der Erfurter Union von 1850 Am 26.05.1849 schlossen sich die Königreiche Preußen, Sachsen und Hannover im „Dreikönigbündnis“ zur „Deutschen“ bzw. „Erfurter Union“ zusammen. Hin­ tergrund war der Konflikt zwischen Preußen und Österreich, den die Beteiligten im Sinne einer Zurückdrängung des österreichischen Einflusses im Deutschen Bund und schließlich einer kleindeutschen Lösung, also eines Bundes ohne Be­ teiligung Österreichs, lösen wollten. Zwar löste sich die Union, auf Druck Öster­ reichs und Russlands, in Folge der „Olmützer Punktuation“ vom 29.11.1850332 be­ reits wieder auf,333 doch war bis dahin bereits nicht nur ein Verfassungsentwurf, sondern auch ein Entwurf334 (ErfE) für ein neues Vereinsgesetz „für den Umfang der zur Union gehörigen Staaten“ entstanden. Mit seinem Entstehungszeitpunkt fällt der ErfE damit unmittelbar in den Politi­ sierungsschub der Jahre 1848/49, dessen Kennzeichen gerade auch die Herausbil­ dung von Vereinen und Parteien war und dessen Katalysator häufig von diesen ge­ prägte Versammlungen waren.335 Aus Sicht der Exekutive ergab sich damit aber auch eine direkte Verknüpfung von Politik, Verein, Versammlung und Revolution. Dieses prägte namentlich die zum ErfE, vermutlich durch von  Manteuffel, ver­ fasste Denkschrift.336 Aufgrund der Auflösung der Erfurter Union kam es zwar noch zur Konstituie­ rung eines Ausschusses „über das Versammlungs- und Vereinigungsrecht“ und der Zuweisung des Entwurfes zu diesem.337 Abseits zweier „übergebener“ bzw. „über­ reichter“ „Bemerkungen“ ist eine weitere Verfolgung, insb. eine Beratung, für die verbleibenden drei Monate der Erfurter Union in den Protokollen aber nicht mehr verzeichnet.338 332 Auch: Vertrag von Olmütz, abgedruckt in Schubert, Protokolle des Verwaltungsrats und des provisorischen Fürstenrats der Deutschen (Erfurter) Union, 1988, S.  602–604 als Bera­ tungspunkt § 289 der 47. Sitzung am 05.12.1850. 333 Schlenke, Preußen, 2003, S. 255. 334 Entwurf eines Gesetzes über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechts für den Umfang der zur Union gehörigen Staaten, vorgelegt durch von Manteuffel in der Sitzung des provisorischen Fürsten-Kollegiums am 13.08.1850, abgedruckt in Schubert, Protokolle des Verwaltungsrats und des provisorischen Fürstenrats der Deutschen (Erfurter) Union, 1988, S. 225–232. 335 Vgl. Kap. 2 C. I. 1. 336 N. N., Entwurf einer Denkschrift zu dem Entwurfe eines Unions-Versammlungs- und Ver­ einsgesetzes, 1850. 337 Beratungspunkt § 135 des provisorischen Fürstenrats, abgedruckt in Schubert, Protokolle des Verwaltungsrats und des provisorischen Fürstenrats der Deutschen (Erfurter) Union, 1988, S. 210. 338 § 179 vom 03.09.1850 sowie § 265 vom 29.10.1850, abgedruckt in Schubert, Protokolle des Verwaltungsrats und des provisorischen Fürstenrats der Deutschen (Erfurter) Union, 1988, S. 341 bzw. S. 565.

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Der ErfE orientierte sich an den bestehenden Gesetzen der Bundesstaaten,339 na­ mentlich aber dem Preußischen, dessen Wortlaut und Struktur er im Wesentlichen übernahm. Die Übereinstimmung begann bereits mit der, wenn man vom umfass­ ten Geltungsraum absieht, Titelgleichheit des ErfE zur VO 1850. Anders als diese sah der ErfE aber Abschnittsüberschriften vor, welche bereits für sich die Moti­ vation der den Entwurf vorlegenden Unionsregierung offenlegten. So sollte der ErfE zunächst unter A. „Von Versammlungen und Vereinen, welche eine Einwir­ kung auf öffentliche Angelegenheiten bezwecken“ handeln (§§ 1–10 ErfE), woran sich Regelungen „B. Von politischen Vereinen insb.“ (§ 11 ErfE), „C. Von öffent­ lichen Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen“ (§§ 12–14) sowie un­ ter „D.“ weitere (§§ 15–25) insb. Strafbestimmungen (§§ 15–22 ErfE) anschlossen. Die Nummerierung folgte dabei, wie der Wortlaut, wesentlich der VO 1850. Deut­ licher als in der VO 1850 kam durch die Abschnittsüberschriften allerdings die Ori­ entierung der Gesetzgebung an solchen Versammlungen zur Geltung, die sich mit „öffentlichen Angelegenheiten“, insb. aber nicht nur „politischen“ befassten. Da­ für wurde in § 1 ErfE eingefügt, dass der Unternehmer einer Versammlung nicht nur über Ort und Zeit, sondern auch über den Zweck der Versammlung in seiner Anzeige Auskunft geben musste. Damit wurde die Rolle des Unternehmers wie­ derum gestärkt, wenn auch unter Auferlegung einer zusätzlichen Pflicht und eher als deren Nebeneffekt. Diese Verpflichtung zur Mitteilung des Zwecks verfolgte das Ziel, über mögliche „politische“ Versammlungen möglichst frühzeitig Kennt­ nis zu erlangen. Von der „Berechtigung zur Theilnahme an politischen Vereinen oder Versammlungen“ wurden dann durch § 11 ErfE, den § 8 VO 1850 schärfend, nicht mehr nur Frauen, Schüler und Lehrlinge ausgeschlossen, sondern alle Per­ sonen bis zur Vollendung des 25sten Lebensjahrs (§ 11 a) 2. ErfE) sowie alldiejeni­ gen, die nicht in „Vollbesitz der bürgerlichen […] Rechte“ waren (§ 11 a) 3. ErfE). Die Teilnahme an Versammlungen eines politischen Vereins war weiter dann aus­ geschlossen, wenn man „wegen eines Vergehens gegen das gegenwärtige [d. h. dieses] Gesetz verurtheilt ist“ und zwar „so lange […] nicht die Strafe verbüßt, be­ ziehungsweise deren Betrag erlegt“ war. Weiter durften nur noch Mitglieder des Vereins in dessen Versammlungen als Redner auftreten, § 11 d) ErfE. Zusätzlich wurde die Möglichkeit vorgesehen, von Vereinen eine „Kaution“ zu verlangen, bis zu deren „Erlegung“ diese keine Versammlungen veranstalten durften, § 11 f) ErfE. Im Falle einer Verurteilung eines Vereinsmitglieds wegen Verstoßes gegen dieses Gesetz, war zudem dem Richter die Möglichkeit gegeben, einen Teil der Kaution „für verfallen zu erklären“. Wobei man mit dieser „Gesamt-Haftbarkeit“340 nicht mehr so weit gehen wollte, wie die Haftbarmachung des Urhebers es für Tumulte in § 11 Tumultverordnung 1835 gewesen war.341 339 N. N., Entwurf einer Denkschrift zu dem Entwurfe eines Unions-Versammlungs- und Ver­ einsgesetzes, 1850, S. 233. 340 N. N., Entwurf einer Denkschrift zu dem Entwurfe eines Unions-Versammlungs- und Ver­ einsgesetzes, 1850, S. 237. 341 N. N., Entwurf einer Denkschrift zu dem Entwurfe eines Unions-Versammlungs- und Ver­ einsgesetzes, 1850, S. 237.

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So übernahm der ErfE zwar die Orientierung an der Idee der organisierten Ver­ sammlung aus der VO 1850, seine Neuerungen lagen aber mehr in der Stärkung des politischen Verständnisses der Vereins- und Versammlungsfreiheit, die in der VO noch eher am Rand aufgetaucht waren (etwa §§ 8, 16 VO 1850). Hintergrund war die Einschätzung der „Unions-Regierung“, „daß das politische Vereinswesen an und für sich eine Erscheinung von sehr zweifelhaftem Werthe, mit einem Wort ein Institut sei, welches unter allen Umständen weit mehr die Sorge als die Hoffnungen des Staates und der bürgerlichen Gesellschaft anzuregen und zu bele­ ben geeignet sei“,342

welches zudem denjenigen Raum gäbe, die „ihre ganze Kraft und Thätigkeit darauf verwenden, jene Institutionen [der Staatsverfas­ sung] zu untergraben und niederzureißen“343.

So wurde überhaupt der Grund dafür, politische Vereine und ihre Versammlungen nicht vollständig zu verbieten, nur darin gesehen, dass befürchtet wurde, „es möchte durch ein unbedingtes Verbot derselben das Uebel nach einer anderen Richtung hin nur noch schlimmer sich gestalten.“344

Insoweit blieb die Regierung auch bei ihrer Einschätzung der Bedrohung durch einen „thatsächlichen Umsturz“ durch „physischen Kampf“.345 Die Ausrichtung auf die Verhinderung kann hier auch als präventive Maßnahme gegen Versamm­ lungen verstanden werden, sei doch die „häufig von Gewaltthätigkeiten begleitete Auflösungsbefugniß der einzelnen Versammlung und daneben die nur zu schwierige und darum sehr häufig resultatlose gerichtliche Verfol­ gung der einzelnen Kontravenienten“346

für die Obrigkeit die durchweg schlechtere Lösung als die Verhinderung des Ent­ stehens gewesen, ließe doch weiterhin die „bloße Auflösung der Versammlung […] keine Spur zurück, als vielleicht einen erhöhten Grad feindseliger Gesin­ nung“, mit der man sich „des Tages darauf von neuem“ versammle.347 Zusammenfassend übernahm damit auch der ErfE die Orientierung an der Idee der organisierten Versammlung, brachte aber deutlicher als die vorangegangenen Regelungen auch das „Politische“ einer Versammlung mit ein. Weiter entstand der 342 N. N., Entwurf einer Vereinsgesetzes, S. 234. 343 N. N., Entwurf einer Vereinsgesetzes, S. 234. 344 N. N., Entwurf einer Vereinsgesetzes, S. 235. 345 N. N., Entwurf einer Vereinsgesetzes, S. 236. 346 N. N., Entwurf einer Vereinsgesetzes, S. 236. 347 N. N., Entwurf einer Vereinsgesetzes, S. 238.

Denkschrift zu dem Entwurfe eines Unions-Versammlungs- und­ Denkschrift zu dem Entwurfe eines Unions-Versammlungs- und­ Denkschrift zu dem Entwurfe eines Unions-Versammlungs- und­ Denkschrift zu dem Entwurfe eines Unions-Versammlungs- und­ Denkschrift zu dem Entwurfe eines Unions-Versammlungs- und­ Denkschrift zu dem Entwurfe eines Unions-Versammlungs- und­

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neue Aspekt, dass ein Verein, also eine Mehrheit von Personen, „Urheber“ einer Versammlung sein könne, der dann wieder durch seine Organe, namentlich den Vorsitzenden, aber auch Leiter und Ordner, handelte.

III. Das Bundesvereinsgesetz von 1854 Das, erst nach Aufhebung des Grundrechtskatalogs der Frankfurter National­ versammlung, ergangene Bundesvereinsgesetz von 1854348 stellte bereits einen Schritt in der gefestigten Reaktionszeit dar. Es umfasste aber, anders als das spä­ tere Reichsvereinsgesetz (RVG), keine expliziten Regelungen für einzelne Ver­ sammlungen, die neben den – insb. politischen (§ 3 Bundesvereinsgesetz) – Ver­ einen hier ohnehin nur als Beiwerk auftauchten, sondern richtete sich vielmehr an die Bundestaaten, denen es ein Mindestmaß an Überwachungsmaßnahmen um­ zusetzen vorgab. § 5 Bundesvereinsgesetz bestimmte: „In allen Bundesstaaten muß der Landesregierung nicht nur das Recht zustehen, die Ver­ sammlungen solcher Vereine, welche, ohne im Besitze einer besonderen staatlichen An­ erkennung, beziehungsweise Genehmigung zu seyn, sich mit öffentlichen Angelegenheiten beschäftigen, obrigkeitlich überwachen zu lassen, sondern es muß den betreffenden obrig­ keitlichen Abgeordneten auch überall die Befugniß einräumet werden, jede Versammlung eines solchen Vereins aufzulösen, sofern entweder die ihren Zusammentritt bedingenden Förmlichkeiten349 nicht beobachtet worden sind, oder aber der Inhalt der Verhandlungen eine in der Nothwendigkeit der Aufrechterhaltung der Gesetze, sowie der öffentlichen Si­ cherheit und Ordnung350 begründete Veranlassung darbietet.“

Was zunächst wie eine Rahmenbestimmung zur Gesetzgebung daherkommt, ist bei näherer Betrachtung nichts anderes als die Übertragung der Überwachungs­ instrumente der VO 1850 auf die Bundesstaaten.351 War auch die Frage der Um­ setzung des Bundesvereinsgesetzes zwischen den Bundestaaten nicht unumstrit­ ten und entsprechend seine Umsetzung nicht überall erfolgt,352 so bildete es doch 348

Bundesbeschluß über Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im deutschen Bunde, insb. das Vereinswesen betreffend, abgedruckt bei Huber, Doku­ mente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. II, 1986, S. 7 f. (Nr. 4). 349 Vgl. §§ 1, 9 VO 1850. 350 Vgl. §§ 5, 8 VO 1850. 351 Ebenso Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn. 40. 352 Küchenhoff, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, 1966, S. 31; Waldecker, in: Anschütz/ Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1932, § 104 S. 650; Loening/Loening, in: Elster/ Weber/Wieser, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 1928, S. 550; Kulemann, Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik 10 (1897), 815 (818, 830) für Hessen, wo das „Gesetz nach Zeugnissen aus der Praxis nicht angewandt“ werde; eine Umsetzung verweigerte etwa Bay­ ern, wo man nach Welcker, in: Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Bd. I, 1856, S. 786 daran fest­ gehalten habe, dass „kein Bundesgesetz gültigerweise die Landesverfassungsrechte aufheben kann“. Zu den einzelnen, teils fehlenden, Ausführungsgesetzen Vorwärtsverlag, Das Vereinsund Versammlungs-Recht in Deutschland, 1892, S. 177 ff.; Ball, Vereins- und VersammlungsRecht, 1894, S. 130 ff.; Lisco, Vereins-Gesetze, 1881, S. 57 ff.

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einen weiteren deutlichen Punkt zur Bedeutung der Vorbildrolle Preußens für die Gesetzgebung der anderen Bundestaaten.353

IV. Folgen für die weitere Entwicklung des Versammlungsrechts Auf drei Elemente ist vor dem beschriebenen Hintergrund der, am Ende zweifel­ los restriktiv motivierten und strikt durchgesetzten, Entwicklung des Versamm­ lungsrechts von der Märzrevolution bis zur Reaktion noch hinzuweisen, da sie für das weitere Werden des Vereins- und Versammlungsrechts von Bedeutung sind. 1. Verein und Versammlung Bereits in der Diskussion um die Aufnahme eines Gesetzesvorbehalts, der so­ wohl Vereins- als auch Versammlungsrecht umfassen sollte (Art.  29 RevVerf), in die revidierte Verfassung war die Einschätzung einer engen Verbindung zwi­ schen beiden Rechten sichtbar geworden. So erklärte Justizminister Simons: „Es wird […] sehr schwer sein, den Scheidepunkt zu finden, wo die Versammlungen aufhören und die Vereine anfangen“354 und befürwortete damit die Aufnahme eines beide Rechte abdeckenden Gesetzesvorbehalts. „Faktisch“, so die Ansicht der Ver­ fassungskommission der Ersten Kammer Preußens, könne „das Eine im einzel­ nen Falle in das Andere übergehen“.355 Die Trennung der beiden sah die Kommis­ sion im Wesentlichen in der „vorübergehenden Natur“ der Versammlung.356 Diese Einschätzung trug sich über die Beratung der Verfassung hinaus auch in die Be­ ratung zur VO 1850, in der Graf Arnim357 ausführte, „daß es unendlich schwer ist, zu ­sagen, ob diese oder jene Vereinigung von so und soviel hundert Personen ein Verein oder eine Versammlung sei.“ So schlossen sich die Kammern auch dem Einwand, dass es bedenklich sei, „das Versammlungs- und Vereinswesen – die die Verfassung getrennt hat“358 gleich und in einem Gesetz zu behandeln, nicht an. Stattdessen folgte man der Auffassung Graf Arnims, dass nicht erst die Verfas­ sung das Versammlungs- und Vereinswesen getrennt habe, sondern diese vielmehr „zwei an sich verschiedene Dinge“ seien, die ebenso gut in einem, wie in zwei Artikeln behandelt werden könnten. Durch die gemeinsame Regelung kommt auch

353

Dazu unter Kap. 2 D. II. Justizminister Simons, Verhandlungen der Ersten Kammer, 41. Sitzung am 20.09.1849, S. 770. 355 Nach Simson, Bericht in der Zweiten Kammer zur Beratung der Verfassung; Verhandlun­ gen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 12.10.1849, S. 632. 356 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 12.10.1849, S. 632. 357 Graf Arnim, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 12.10.1849, S. 648. 358 Simson, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 12.10.1849, S. 632. 354

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der, für die Vereine nie bestrittene, Organisationsgedanke für die Versammlungen stärker zum Ausdruck. So regelte § 3 VO 1850 „Versammlungen eines Vereins“ – im Unterschied zu den sog. „improvisierten Versammlungen“, die das Gesetz nicht explizit nennt, aber voraussetzt. Bereits § 4 VO 1850, der nicht allein Vereinsversammlungen erfasst, bezog sich wie selbstverständlich auf „den Vorsitzenden“. Konkretisiert wurde die Verbindung von Verein und Versammlung weiter in § 8 VO 1850, der Vereine er­ fasste, die „politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern“ bezweckten, und untersagte, dass an Versammlungen solcher Vereine „Frauenpersonen, Schüler und Lehrlinge“ teilnehmen dürfen. Hierbei wurde der Verein gleichsam zum Ur­ heber der Versammlung, wobei § 9 VO 1850 anschließend nicht etwa auf den Ver­ einsvorstand als Verantwortlichen für die Einholung der Genehmigung einging, sondern hierfür die natürlichen Personen „Unternehmer, Vorsteher, Ordner und Leiter“ nannte.359 Das insoweit nur natürliche Personen in Betracht kamen, folgte systematisch bereits aus der Möglichkeit einer Gefängnisstrafe etwa bei Unterlas­ sen der gem. § 1 VO 1850 erforderlichen Anzeige, § 12 VO 1850. Die gemeinsame Regelung und enge Verbindung zu den Vereinen stärkte aller­ dings nicht nur das Bild der organisierten Versammlung als Orientierungspunkt der Gesetzgebung, sondern führte auch dazu, dass die Kritik, welche insb. die poli­ tischen Klubs betraf, mittelbar auch die Versammlungen berührte.360 Die gemeinsame Regelung in der VO 1850 hatte zudem auch Auswirkungen auf den Gesetzgebungsprozess zum Reichsvereinsgesetz. Bis zur Trennung von Verein und Versammlung in der einfachen Gesetzgebung sollten über 100 Jahre vergehen. 2. Politisierung der Versammlungsfreiheit und der Versammlungsgesetze Mit der Gesetzgebung zum Vereins- und Versammlungsrecht sowie der Revision der Verfassung kamen zwei Begriffe in das Versammlungsrecht, die es bis dato361 nicht mehr ablegen konnte: die der „öffentlichen“ und „politischen“ Angelegenhei­ ten oder Beratungsgegenständen.362 Diese ergänzten die überlieferten Abgrenzun­

359

Ähnlich § 7 Abs. 2 S. 2 VersG. Besonders kritisch etwa Hartmann, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2781, der erklärte „daß eine geordnete Organisation der politischen Klubs jede bestehende Regierung zu untergraben und zu zerstören droht“. Mit dieser Einschätzung der „politischen Klubs“ konnte er sich in beiden Kammern und über das gesamte politische Spektrum in großer Gesellschaft wissen. 361 Zu den Versammlungsbegriffen Kap. 3 A. I. 362 Art. 30 Abs. 3 RevVerf; § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 20 VO 1849; § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 16 Abs. 1, 2, 4, § 20 VO 1850. Der Begriff „politisch“ hatte einen Vorläufer bereits im Vereinsedikt. 360

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gen nach „unter freiem Himmel“ und „in geschlossenen Räumen“ stattfinden­den bzw. „öffentlichen“363 und „privaten“ Versammlungen. Verbunden mit der Einord­ nung eines Vereins oder einer Versammlung als solche, in denen „öffentliche“ oder „politische“ Angelegenheiten erörtert oder beraten werden sollten, war nunmehr jeweils die Eröffnung zusätzlicher Anwendungsbereiche von Teilen der Gesetze, die neben weitere für alle Versammlungen geltende Regelungen traten. Auffällig ist dabei, dass die Bereiche der Gesetze, welche sich mit öffentlichen oder politi­ schen Angelegenheiten befassen, jeweils eine besonders enge Verbindung mit der Orientierung an der Idee der organisierten Versammlung aufweisen, so etwa die Anzeigepflicht für Versammlungen (§ 1 VO 1849 sowie § 1 VO 1850) oder die Statuteneinreichung für Vereine (§ 2 VO 1849 sowie § 2 VO 1850). Andere Ver­ sammlungen wurden zwar auch geregelt (z. B. allgemeines Verbot des Waffen­ tragens bei allen Versammlungen, § 7 VO 1849, § 7 VO 1850), standen aber ab­ seits des I­ nteresses des Gesetzgebers, wie es auch bereits aus den Beratungen der Kammern zu entnehmen war. Die Einordnung als Versammlung zur Beratung oder Erörterung „öffentlicher Angelegenheiten“ war dabei jeweils mit höheren Anfor­ derungen und einem ausgeweiteten Strafkatalog versehen. Im Erfurter Entwurf trat dieses noch deutlicher hervor.364 Einige Vertreter in der Kammer gingen sogar davon aus, dass das gesamte Gesetz überhaupt nur gelte, wenn öffentliche Angele­ genheiten in Rede standen: „Denn das Gesetz handelt ja nur von solchen Vereinen, in denen öffentliche Angelegenhei­ ten berathen werden, es wahrt sogar allen Vereinen, die andere Angelegenheiten berathen, das Recht, ganz selbstständig, ohne eine Beschränkung, ohne Einschreiten oder Anwesen­ heit eines Beamten berathen zu können“365

Dieses war nach dem Gezeigten tatsächlich wie rechtlich nur für Vereine, nicht aber für Versammlungen der Fall. Ganz entsprechend führte auch Kuh aus, dass das Gesetz in „alle Versammlungen“, also auch rein private eingreife.366 Anders aber Goltdammer: „daß einmal die Besorgnis durchaus nicht vorhanden sein kann, als werde die Polizei-­Behörde sich in Privatgesellschaften mischen […]. Der ganze Charakter dieses Gesetzes trägt den Sinn, daß hiernur öffentliche Versammlungen gemeint sind.“367

Trotz der damit verbundenen erheblichen Bedeutung des Begriffs entschieden sich die Kammern jeweils auf eine Definition zu verzichten. Auch aus den Bera­ tungen lässt sich kein konsistentes Begriffsverständnis herleiten. Dabei war zum einen der Begriff der „öffentlichen Angelegenheiten“ selbst unklar, zum anderen dessen Verhältnis zum Begriff „politische Angelegenheiten“. 363 „Öffentliche Angelegenheiten“, Ball, Vereins- und Versammlungs-Recht, 1894, S. 36, spä­ ter PrOVGE 55, 277 und RGSt 21, 418 „zu welcher der Zutritt (…) jedem gestattet ist“. 364 Vgl. Kap. 2 C. II. 365 von Schleinitz, Verhandlungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2877. 366 Kuh, Verhandlungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2877. 367 Goltdammer, Verhandlungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2878.

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Bereits in der Beratung zur Verfassung hatte Tamnau erklärt „daß in diese Kategorie [der öffentlichen Angelegenheiten] fast ohne Ausnahme alle Vereine gehören. Gemeinde-Angelegenheiten, religiöse Fragen, Steuerfragen, Fragen über Gesetz­ gebung, alles das sind öffentliche.“368

Und damit sei, so Tamnau weiter: „Der Zweck von Versammlungen und Vereinen […] aber fast ohne Ausnahme die Berathung öffentlicher Anordnungen und Einrichtungen.“369

Eine umfassende Definition versuchte Brüggemann, der ausführte, dass „öffentliche Angelegenheiten eben solche sind, die das Gebiet des staatlichen Lebens betref­ fen, die Ordnung des Staates, seine Sicherheit, die allgemeine Sittlichkeit, die politischen Rechte, die Verfassung und was weiter in diesem Sinne dazu gezählt werden kann“370

Derart weite Begriffsverständnisse waren jedoch bereits in den Beratungen zum Entwurf der VO 1849 als zu weit angegriffen und damit die Ablehnung ihrer Auf­ nahme in die Verfassung begründet worden: „Es ist […] das Wort „öffentlich“ ein so elastischer Begriff, daß Sie unter dasselbe bringen können, was Sie wollen“371.

Dennoch wurde der Begriff derart aufgenommen und damit der Rechtsprechung überlassen.372 In einer frühen Entscheidung hielt sich jedoch auch das Obertribunal ähnlich weit und erklärte, öffentliche Angelegenheiten seien solche „Gegenstände, welche über den Rechtskreis bestimmter, sei es physischer, sei es morali­ scher Personen hinausgehen, nicht nur solche, welche die Allgemeinheit der Staatsbürger betreffen“373.

War so bereits die Bedeutung der öffentlichen Angelegenheiten nicht geklärt, ver­ hielt es sich mit den politischen nicht anders, die als Unterform der „öffentlichen Angelegenheiten“ verstanden wurden.374 Das hatte Waldeck bereits in den Ver­ 368

Tamnau, Verhandlungen der Ersten Kammer, 41. Sitzung am 20.09.1849, S. 764 zur RevVerf. Tamnau, Verhandlungen der Ersten Kammer, 40. Sitzung am 19.09.1849, S. 750. 370 Brüggemann, Verhandlungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2870. 371 Elkemann, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 29. Sitzung am 17.04.1849, S. 517; so auch Wentzel: „Wir wollen nicht, daß, wenn einzelne Personen, Freunde, zusammenkommen, um sich über öffentliche Angelegenheiten zu besprechen, daß da die Polizei davon Kenntnis nehme.“ Verhandlungen der Zweiten Kammer, 29. Sitzung am 17.04.1849, S. 518. 372 Ein wesentlicher Diskussionspunkt war etwa auch die Abgrenzung der „kirchlichen“ von den „öffentlichen“ Angelegenheiten, dazu etwa Kisker, Verhandlungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S.  2867 sowie anders Goltdammer, Verhandlungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2872. 373 Zitiert nach Arndt, Verfassungsurkunde, 1886, S. 155. 374 Anders noch zum ErfE: „unter Ausschluss der Politik – nach irgend einer anderen Rich­ tung hin auf öffentliche Angelegenheiten einzuwirken“, N. N., Entwurf einer Denkschrift zu dem Entwurfe eines Unions-Versammlungs- und Vereinsgesetzes, S. 240; ebd. „auf diesem un­ ermeßlich weiten Felde der „öffentlichen Angelegenheiten“. 369

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

handlungen zur VO 1849 mit den Worten „ich bin aber damit einverstanden, daß das Wort ‚politische‘ namentlich in unserer Zeit, eben so vieldeutig ist, als das Wort ‚öffentliche‘“ erklärt.375 Simson erklärte, der Begriff „politisch“ sei in der Verfassungskommission der Zweiten Kammer bezogen auf „Klubs“ so verstanden worden, dass man unter diesen „ohne in dieser Begriffsbestimmung eine Definition im eigentlichen Sinne geben zu wol­ len – […] solche Verbindungen, die zum Gegenstand ihrer Erörterungen und meistentheils sogar ihrer Beschlüsse die Kritik der Regierungs-Maßregeln im Allgemeinen machen“,

verstand.376 Doch auch hier überließ man die Begriffsfassung schließlich der Rechtsprechung, was sich allerdings, aufgrund der Fülle der beteiligten Gerichte über die Zeit ebenfalls als schwierig herausstellte. Verbreitung fand insb. die Auf­ fassung des PrOVG, politische Vereine seien solche, „welche bezwecken, politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern, gleichviel ob sie sich zugleich auch die Aufgabe einer Einwirkung auf öffentliche Angelegenheiten stel­ len oder nicht“377,

womit die Verbindung von „öffentlicher“ und „politscher Angelegenheit“ et­ was gelockert wurde. Diese politischen Gegenstände, so das PrOVG später, seien solche, „bei denen die Erörterung politischer Angelegenheiten den Zweck und Gegenstand des Ver­ eins oder der Versammlung bildet, bei denen also die Absicht obwaltet, unmittelbare politi­ sche Einwirkungen auszuüben.“378

„Politisch“ wurde also insb. als die Einwirkung auf die Regierung verstanden,379 bzw. als alles, was als Einflussnahme auf „den Staat und seine Einrichtungen“380 verstanden werden konnte. Zusammenfassend traten zu den als regelungsbedürftig verstandenen „öffent­ lichen Versammlungen“ mit den Gesetzgebungsverfahren nach der Märzrevolution diejenigen Versammlungen, welche „öffentliche“ oder „politische Angelegenhei­ ten“ zu erörtern etc. gedachten. Festzuhalten ist aber, dass andere Zusammen­ künfte damit keinesfalls nicht als „Versammlungen“ verstanden wurden, was etwa 375

Waldeck, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 29. Sitzung am 17.04.1849, S. 523. Simson, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 12.10.1849, S. 632. 377 PrOVGE 20, 435. 378 PrOVGE 56, 299. 379 Etwa KG, Johow, Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts, Bd. 10, 246; 11, 307 (309); RGSt 16, 383; 22, 237; weitere Nachweise bei Arndt, Verfassungsurkunde, 1911, S. 148. Das Obertribunal ließ die Frage offen, Obertribunal, Entscheidungen, Bd. 76, S. 394 (395 ff.). Nachweise zur Literatur bei Wichardt, Die Rechtsprechung des Königlich-Preußischen Ober­ verwaltungsgerichts, 1976, S. 32 ff. 380 PrMinisterialblatt 1864, S. 209, angelehnt an GA 1, 380; GA 24, 66; Obertribunal, Ent­ scheidungen, Bd. 16, S. 800; 76, 394, nach Arndt, Verfassungsurkunde, 1886, S. 160. 376

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auch die Ausnahme der „gewöhnlichen Leichenbegängnisse, so wie der Züge der Hochzeitsversammlungen, wo diese hergebracht sind, kirchliche Prozessionen, Wallfahrten und Bittgänge, wenn sie in hergebrachter Art statt finden“ (§ 10 VO 1850), sowie der „durch das Gesetz oder die gesetzlichen Autoritäten angeordneten Versammlungen und die Versammlungen der Mitglieder beider Kammern wäh­ rend der Dauer der Sitzungsperioden“ (§ 21 VO 1850) zeigten. Dahin ging auch das Amendement Gierses zur VO 1849, „von dem Gesetze auch die Versamm­ lungen der Liedertafeln, Schützen-Vereine und anderer nicht politischer Vereine auszunehmen.“381 Dieses weite Verständnis der Versammlungen traf auch die Einschätzung der Kommission zur Revision der VO 1849 der Zweiten Kammer, die als möglichen Zweck auch bloßes Beisammensein ansah. Das „politische“, wie auch immer be­ stimmt, wurde zwar als besonders bedeutend, d. h. regelungsbedürftig gesehen, aber eben nicht als Ausschließlichkeitskriterium postuliert.382 Ergänzt wurde dieser Bereich dann noch um die Frage, ob Versammlungen einer bestimmten Größe bedürften um überhaupt unter das Gesetz zu fallen – eine Frage, die auch heute in keiner Bearbeitung zum Versammlungsrecht fehlt.383 3. Entmilitarisierung und Entkriminalisierung des Versammlungsrechts Auf eine für die weitere Entwicklung des Versammlungsrechts und insb. die Idee der organisierten Versammlung wichtige Entwicklung ist noch hinzuweisen. Obwohl die Obrigkeit sich nur durch das Militär halten und schließlich restaurie­ ren konnte, wird das Versammlungsrecht in Folge der Märzereignisse vom Aufruhr ­ ocus von und seiner „Behandlung“ durch die „bewaffnete Macht“ entfernt und der F der Niederschlagung auf die Bestrafung verlegt. Hierzu findet sich bereits in den Motiven zur VO 1849 das Ziel, dass „den Maßregeln […] durch eine gesetzliche Straf-Sanction diejenige Wirksamkeit werde ge­ sichert werden, welche die Fälle eines notwendigen Einschreitens der bewaffneten Macht möglichst vermindern, daß an die Stelle früherer Vorbeugungsmittel in kurzer Zeit Straf­ gesetze […] treten würden“.384

Dieses Ziel wurde durch zwei Maßnahmen verfolgt. Zum einen durch die Aus­ lagerung der Regelungen zum Aufruhr, die zuvor stets neben den Regelungen zum 381

Verhandlungen der Zweiten Kammer, 34. Sitzung am 24.04.1849, S. 654. Zur heutigen Auffassung vgl. Kap. 3 A. I. 383 Etwa Camphausen „weil auch ich der Meinung bin, daß Versammlungen von einzelnen Personen und kleineren Gesellschaften unter die Bestimmung dieses Gesetzes nicht fallen dür­ fen.“ Verhandlungen der Zweiten Kammer, 29. Sitzung am 17.04.1849, S. 520. 384 Motive zur VO 1849, Verhandlungen der Zweiten Kammer, Bd.  I, 1849, Aktenstücke, S. 202–204 (203). 382

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

Versammlungsrecht gestanden hatten, in das Belagerungsgesetz385. Zum anderen durch die Auslagerung bestimmter Straftatbestände in das allgemeine Strafrecht.386 Grundlage für erstere Maßnahme war Art. 111 der RevVerf, der bestimmte, dass „für den Fall eines Krieges oder Aufruhrs […] bei dringender Gefahr für die öf­ fentliche Sicherheit“ unter anderem das Versammlungsrecht „zeit- und distrikts­ weise außer Kraft gesetzt“ werden konnte und für „das Nähere“ die Bestimmung in einem Gesetz anordnete. Hierzu gehörte etwa die Erklärung darüber, wie der Belagerungszustand zu verkünden war (§ 3 Belagerungsgesetz). Neben dem Über­ gang der vollziehenden Gewalt auf den jeweiligen Militärbefehlshaber (§ 4 Belage­ rungsgesetz) beinhaltete das Gesetz über den Belagerungszustand insb. verschärfte Strafbestimmungen (§§ 8, 9 Belagerungsgesetz), etwa bei Widerstand gegen die bewaffnete Macht oder Übertretungen der durch den Militärbefehlshaber erlas­ senen Verbote, wie etwa Versammlungsverboten zur Nachtzeit o.ä., sowie über­ gangsweise geltende Strafbestimmungen, etwa für das Verbreiten „wissentlich falscher Gerüchte“, z. B. über die „Zahl […] der Aufrührer“ (§ 9 lit. a) Belagerungs­ gesetz). Hierbei war auch die Einsetzung von Kriegsgerichten möglich (§ 10 Be­ lagerungsgesetz), mit entsprechend verkürzten Verfahren.387 Damit blieb zwar ein erhebliches Repressionselement bestehen, jedoch wurde damit eine Prägung des Versammlungsrechts aufgegeben, welche ihren Ursprung („Auf­rührer“) letztlich im Fehderecht hatte.388 Das Versammlungsrecht wurde damit quasi „zivilisiert“.389 Die Entkriminalisierung des Versammlungsrechts als zweite Maßnahme ge­ schah mit dem Erlass des PrStGB 1851.390 Hier, und eben nicht mehr in unmit­ telbarer Umgebung des Versammlungsrechts, befanden sich nun Bestimmungen, etwa zur „Aufforderung“ zum Ungehorsam (§ 87 PrStGB), Widerstand gegen Voll­ streckungsbeamte (§ 89 PrStGB), Zwang gegen Beamte (§ 90 PrStGB) sowie insb. die Straftatbestände des Aufruhrs (§ 91 PrStGB), der als „zusammenrotten“ und die 385 Gesetz über den Belagerungszustand vom 04.06.1851, PrGS 1851, S.  451. Das Gesetz trat an die Stelle der VO über den Belagerungszustand vom 10.05.1849, PrGS 1849, S. 165 in der Form, die diese durch die VO vom 04.07.1849, PrGS 1849, S. 250. Dazu Ball, Vereinsund Versammlungs-Recht, 1894, S. 12 f. Durch Art. 68 der Reichverfassung vom 1871 konnte entsprechend den Regelungen des preußischen Gesetzes im gesamten Reich, unter Ausnahme Bayerns (Bündnisvertrag vom 23.11.1870, III § 5, Reichsverfassung, Schlußbestimmung zum XI. Abschnitt) der Kriegszustand verhängt werden. Das Recht der Länder den Belagerungs­ zustand zu verhängen, ließ der spätere § 24 RVG ausdrücklich unberührt. 386 Dazu Ball, Vereins- und Versammlungs-Recht, 1894, S.  13 ff. Die übrigen Strafbestim­ mungen der VO blieben daneben bestehen, Art. II Abs. 2 Gesetz über die Einführung des Straf­ gesetzbuches für die Preußischen Staaten vom 14.04.1851, PrGS 1851, S. 93. 387 Etwa: Ausschluss der Rechtsmittel (§ 13 Nr. 6), Vollzug binnen 24 Stunden (§ 13 Nr. 7). 388 Dazu oben Kap. 2 A. I. 389 Die Entmilitarisierung der tatsächlichen Polizeiarbeit im Sinne einer Trennung vom Mi­ litär lag hierin freilich noch nicht, so wurden die örtlichen Polizeikräfte weiterhin bei Bedarf durch die nahegelegenen Garnisonen unterstützt. Zur Entwicklung der Trennung Wirsing, in: Lüdtke, „Sicherheit“ und „Wohlfahrt“, 1992, S.  65 ff. sowie Boldt/Stolleis, in: Lisken/­ Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 2012, Kap. A Rn. 30–34 m. w. N. 390 Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten vom 14.04.1851, PrGS 1851, S. 101.

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gemeinschaftliche Begehung von Widerstand und Zwang verstanden wurde. Ebenso fand sich hier nur die Regelung zur Bildung eines „Auflaufs“ (§ 92 PrStGB), ver­ standen als Nichtentfernen von auf öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen ver­ sammelten Personen auch nach der dritten Aufforderung. Während diese nun zum „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ gezählt wurden,391 wurde hiervon weiterhin die ehemals verbundene Bildung „bewaffneter Haufen“ sowie deren „Befehligung“ getrennt.392 Dieses „Demonstrationsstrafrecht“393 hielt sich über die Regelung im Reichsstrafgesetzbuch394, hier mit der Wiederaufnahme der Begriffe „Rädelsfüh­ rer“ bzw. „Aufrührer“ in § 115 RStGB in weiten Teilen bis 1969 im Strafgesetz­ buch,395 bis das dritte Strafrechtsreformgesetz396 insb. die Regelungen zu Aufruhr und Auflauf beseitigte.397 Zur „Zivilisierung“ des Versammlungsrechts trat also zu Beginn der Reaktion noch eine zumindest teilweise, insb. die Gewaltdelikte umfassende, „Entkrimina­ lisierung“ des Versammlungsrechts. Dieser, eine Jahrhunderte alte Gesetzgebung ändernde, Wertungswandel ermöglichte erst den Blickwechsel vom „Rädelsfüh­ rer“ zum „Leiter“ und damit auch eine neue Bedeutung der Idee der organisier­ ten Versammlung. In der Versammlungsgesetzgebung selbst blieb jedoch der Verweis auf das Ver­ sammlungsverbot der Verfassung (Art.  37 OktrVerf. bzw. Art.  38 RevVerf)  für die „bewaffnete Macht“ (§ 22 VO 1849 bzw. § 22 VO 1850) sowie eine umfang­ reiche398 Bannmeilenregelung für Volksversammlungen.399

391

Amtliche Überschrift, Fünfter Titel: „Widerstand gegen die Staatsgewalt“. Amtliche Überschrift, Sechster Titel: „Vergehen wider die öffentliche Ordnung“. 393 Begriff bei Dreher, StGB, 1970, Vorwort. 394 RGBl. 1871, S. 127; § 110 Aufforderung zum Ungehorsam; § 111 Aufforderung zu straf­ barem Handeln; § 113 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte; § 114 Zwang gegen Beamte; § 115 Aufruhr, § 116 Auflauf; § 124 Schwerer Haus­friedensbruch; § 125 Landfriedensbruch; § 126 Landzwang; § 127 Bildung bewaffneter Haufen. Auch der Landzwang findet sich be­ reits wesentlich früher, etwa in Art.  128 Constitutio Criminalis Carolina als „Fehde der Fehde­unfähigen“ (Holzhauer), Roth, Kollektive Gewalt und Strafrecht, 1989, S. 140. 395 StGB in der Fassung von 1969, § 110 Aufforderung zum Ungehorsam; § 111 Aufforde­ rung zu Straftaten; § 113 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte; § 114 Beamtennötigung; § 115 Aufruhr; § 116 Auflauf; § 124 Schwerer Hausfriedensbruch; § 125 Landfriedensbruch; § 126 Störung des öffentlichen Friedens durch Aufforderung zu Straftaten; § 127 Bildung be­ waffneter Banden. 396 Drittes Gesetz zur Reform des Strafrechts, BGBl. 1970 I, S. 505. 397 Zur Entwicklung der „kollektiven Gewalt“ im Strafrecht s. Roth, Kollektive Gewalt und Strafecht, 1989. 398 Zwar klingen „zwei Meilen“ bereits weit, doch ist zu beachten, dass zwei preußische Mei­ len etwa 14 km umfassten und die „jedesmalige Residenz“ des Königs als dessen konkreter Aufenthalt verstanden wurde. Damit bestanden für weite Teile der Berliner Mitte umfassende Verbote. 399 Die Regelungen bzgl. der strafbewährten Versammlungsverbote für das Militär wurden nach der Reichsgründung in § 49 Reichsmilitärgesetz vom 02.05.1874, RGBl. 1874, S. 45 so­ wie §§ 101, 113 Reichmilitärstrafgesetzbuch vom 20.06.1872, RGBl. 1872, S. 174, fortgeführt. 392

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V. Versammlungsorganisation in Rechtsprechung und Literatur Im Zuge der Konsolidierung der Monarchie in Preußen sowie als Folge der Rechtsstabilität kam es, insb. zum Ende des 19. Jahrhunderts, auch zu einer stei­ genden Anzahl von Schriften zum Vereins- und Versammlungsrecht, welche die VO 1850 kommentierend darstellen und nach und nach auch die Rechtsprechung, namentlich die des 1875400 gegründeten Preußischen Oberverwaltungsgerichts, des Reichsgerichts sowie des Kammergerichts, einbezogen.401 Diese sind bzgl. des Bildes der organisierten Versammlung, dem kommentierenden Charakter ihrer Darstellung folgend, ganz an der VO 1850 orientiert, enthalten jedoch an einigen­ Stellen auch darüber hinausgehende Überlegungen. Hatten noch die Kammern lediglich das Bild der, meistens durch Vereine orga­ nisierten, jedenfalls aber über einen „Unternehmer“ verfügenden Versammlung für die Gesetzgebung vor Augen, und andere Versammlungen als nicht regelungs­ bedürftig unbehandelt gelassen,402 stellte die Literatur nun teils bereits die Frage, was es bedeute, wenn eine Konstituierung der Versammlung fehle oder sogar jeg­ liche Art von Organisation. So benannte etwa Welcker bereits 1847 die Probleme des Fehlens einer Zentral­ gestalt und zeigte damit Entwicklungsmöglichkeiten auf, auch wenn diese erst viel später erkannt werden sollten: „Dagegen wird die Einführung solcher Formen und Einrichtungen, welche die rechtliche Freiheit selbst nicht wesentlich beschränken, wohl aber Misbräuche und Volksverkehrtheiten zu beseitigen geeignet sind, eine Aufgabe des Strebens der Bürger selbst und der Regierung sein. So z. B. läßt es sich wohl nur durch die Neuheit größerer politischer Versammlungen in Deutschland erklären, daß man hier zum Theil die englischen politischen Versammlungen nachahmen wollte, aber die englischen wohlthätigen Schutzmittel für Erhaltung des öffent­ lichen Anstandes, z. B. die Wahl eines Präsidenten und einer Committee aus den geachte­ ten Bürgern der Gegend zur Erhaltung der Ordnung und des Anstandes gerade für die poli­ tische Discussion gänzlich außer Acht ließ und dadurch öffentliche Skandale veranlaßte.“403 400

Die Gründung erfolgte durch das Verwaltungsgerichtsgesetz vom 03.07.1875, PrGS 1875, S. 375. 401 Auszugsweise von denjenigen Schriften, welche sich allein oder weit überwiegend mit dem preußischen Vereins- und Versammlungsrecht befassen: Caspar, Das Preußische Ver­ sammlungs- und Vereinsrecht, 1894; Delius, Das Preußische Vereins- und Versammlungsrecht, 1891; Lisco, Vereins-Gesetze, 1881; Mascher, Das Versammlungs- und Vereinsrecht Deutsch­ lands, 1888; Thilo, Das Preußische Vereins- und Versammlungsrecht, 1865; Ball, Das Vereinsund Versammlungs-Recht, 1894; Vorwärtsverlag, Das Vereins- und Versammlungs-Recht in Deutschland, 1892. 402 Dazu Verhandlungen der Ersten Kammer, 123. Sitzung am 21.02.1850, S. 2877 ff.; diese hatte für „unorganisierte“ Versammlungen wesentlich solche in Wohnungen oder mit kleiner Teilnehmerzahl vor Augen; dazu auch Ball, Vereins- und Versammlungs-Recht, 1894, S. 36. 403 Welcker, in: Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Bd. I, 1847, S. 738 f. und weiter zur Vorgabe möglicher Organisationsformen: „[…] mögen bei manchen Associationen, z. B. großen Versamm­

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Auch Thilo, der bereits 1865 die erste umfassende Darstellung der VO 1850 be­ sorgte, befasste sich mit der Bedeutung der Organisation einer Versammlung und stellte sich auf den Standpunkt, dass die Absicht des preußischen Gesetzgebers darin gelegen habe, die Ausübung des Versammlungsrechts nur dort zu regeln, „wo es mit der öffentlichen Ordnung und Sicherheit collidiren könnte“.404 Privat­ besprechungen, insb. in Wohnungen, auch zu öffentlichen Angelegenheiten, habe man nicht regeln, namentlich nicht anzeigepflichtig nach § 1 VO 1850 machen, wollen. Um nun aber eine Abgrenzung zwischen der „vollständig vom Vereins-­ Gesetze unberührten Privatbesprechung über öffentliche Angelegenheiten zwi­ schen mehreren Personen und dem der Anzeige unterworfenen Zusammentritt“ festlegen zu können, suchte er den „Schlüssel zur Lösung dieser Zweifelsfrage“ in der Organisation der Versammlung. Unter einer Versammlung i. S. d. VO 1850 („hier“) sei also „nicht jede formlose Zusammenkunft, vielmehr nur diejenige Vereinigung mehrerer Perso­ nen [… zu verstehen …] welche in geordneter Weise unter dem Vorsitze eines Vorstehers, Ordners und Leiters ihre Besprechungen hält, wie dies aus § 12 hervorgeht, welcher derglei­ chen Personen als in einer Versammlung vorhanden voraussetzt.“405

Andere Versammlungen bräuchten demnach nicht angezeigt zu werden. Mit dieser Auslegung konnte sich Thilo wie gezeigt mit der in den Beratungen der Kammer vorausgesetzten bzw. teils explizit vertretenen Positionen in Einklang wissen. Doch stand er damit bald in Kritik. 1892 erklärte Mascher: „Unter Versammlungen werden nicht nur Vereinigungen mehrerer Personen verstanden, wel­ che in geordneter Weise, unter Vorsitze von Vorstehern, Ordnern und Leitern Besprechun­ gen halten, wie Thilo […] meint, sondern es können als solche auch bloße Zusammenkünfte angesehen werden, in welchen ohne irgend eine Organisation oder einheitliche Konstituie­ rung in völlig zwangloser Weise öffentliche Angelegenheiten erörtert werden […]. Nicht die Organisation, sondern lediglich der gemeinsame praktische Zweck unterschiedet die ein­ heitlich verbundene Versammlung von der formlosen unverbundenen Menschenmenge.“406

Diese Auffassung konnte sich – unter Ausblendung der Entstehungsgeschichte – auf den Wortlaut des § 1 VO 1850 stützen, der schlicht von „allen Versammlungen“ sprach. Allerdings ging Mascher in seinen Ausführungen über Thilo hinaus, indem

lungen unter freiem Himmel, gewisse die Freiheit selbst nicht wesentlich beschränkende For­ men gefordert und für solche allgemein gesetzliche Bestimmungen alsdann der gewöhnliche re­ gelmäßige Schutz des Vollzugs durch die Behörden eintreten.“, S. 746. 404 Thilo, Das preußische Vereins-und Versammlungsrecht, 1865, S. 21. 405 Thilo, Das preußische Vereins- und Versammlungsrecht, 1865, S. 21; dahingehend auch Lisco, Vereins-Gesetze, 1881, § 1 Anm.  1; Bornhak, Preußisches Staatsrecht, 1914, S.  183: „Nach dem allgemeinen Sprachgebrauche, der zweifellos auch für den Gesetzgeber maß­ gebend gewesen ist, bezeichnet ‚Versammlung‘ jedes geordnete Beisammensein […]“; vor­ sichtig („nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes ist anzunehmen …“) auch noch der­ Vorwärtsverlag, Das Vereins- und Versammlungs-Recht in Deutschland, 1892, S. 4 Anm. 10. 406 Mascher, Das Versammlungs- und Vereinsrecht Deutschlands, 1892, S. 14. Der letzte Satz ist eine wortgleiche Übernahme aus RGSt 21, 71 (73).

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

er das Nichtbedürfnis einer Organisation auch für Art.  29 RevVerf annahm und von hier auf die VO 1850 übertrug.407 Ganz ähnlich formulierte auch Ball: „Desgl.[eichen] ist eine besondere Organisation (Büreauwahl etc.) nicht vorausgesetzt.408

Auch der Vorwärtsverlag409 formulierte: „Nicht in irgend einer Form der Organisation beruht das Charakteristische der Versamm­ lung; eine solche kann vielmehr auch ohne Vorsitzenden und ohne parlamentarische Ver­ handlungsform stattfinden.“

Und Delius410 stellte schlicht fest: „Eine ‚Organisation‘ ist für den Begriff der Versammlung nicht erforderlich.“

All diesen Stimmen ist dabei, neben der Ablehnung der Begriffsnotwendigkeit einer Organisation, auch nur bezogen auf den Begriff der VO 1850, noch eines ge­ meinsam, nämlich die unhinterfragte Übernahme der Entscheidungen des Reichs­ gerichts,411 das durch sein Verständnis des Begriffs der Versammlung als auch „un­ organisierte Versammlungen“ umfassend zu einem entscheidenden Ergebnis kam: der Anwendbarkeit der Strafvorschriften der VO 1850 sowie des Sozialistenge­ setzes.412 Dabei meinte das Reichsgericht „einer unhaltbaren offenbar zu engen­ Begriffsbestimmung“413 bzgl. der Versammlung entgegentreten zu müssen, um nicht „alle das Versammlungsrecht regelnden Normen des Straf- und öffentlichen Rechtes den willkürlichen Umgehungen auszusetzen.“ Auf die Frage, ob das Bild der organisierten Versammlung den Begriff der Ver­ sammlung nicht doch determiniert, wird noch zurückzukommen sein.414

407 Mascher kommentiert zunächst die Preußische Verfassung und greift den Begriff der Ver­ sammlung bei der Kommentierung des § 1 VO 1850 nicht erneut auf. 408 Ball, Das Vereins- und Versammlungs-Recht, 1894, S. 36 Anm. 1) a. zu § 1 VO 1850. 409 Vorwärtsverlag, Das Vereins- und Versammlungs-Recht in Deutschland, 1892, S.  4 Anm. 10 sowie S. 5 Anm. 13. 410 Delius, Das preußische Vereins- und Versammlungsrecht, 1905, S. 82. 411 Namentlich die Entscheidungen RGSt 6, 215 (217 f.) vom 01.05.1882 und RGSt 21, 71 vom 22.09.1890, welche bereits unter Geltung des Sozialistengesetzes ergingen, waren hier entscheidend. Dabei hatten sowohl das Reichsgericht, als auch die Literatur deutlich vor Augen, und gaben dieses auch so wieder, dass der Gesetzgeber eine andere Linie verfolgt hatte, beispielhaft Delius, Das preußische Vereins- und Versammlungsrecht, 1905, S. 81, m. w. N. zu Urteilen des Preußischen Obertribunals sowie des Kammergerichts. 412 Das PrOVG rechtfertige darüber etwa die Auflösung von „Versammlungen“, vgl. PrOVGE 20, 440 ff. vom 01.10.1890. 413 Wie sie neben Thilo, Das preußische Vereins-und Versammlungsrecht, 1865, S. 21, etwa in der Vorinstanz vom LG Halle an der Saale vertreten wurde, RGSt 21, 71 (72), das im konkre­ ten Fall statt einer Versammlung lediglich ein „Zusammensein“ zum „ Zwecke der Geselligkeit und der geselligen freien Unterhaltung“ zu sehen vermochte – oder wollte. 414 Vgl. Kap. 3 A. II.

D. Über die Reichsgründung zum RVG

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VI. Zwischenergebnis Die Versammlungsgesetzgebung aus der Zeit der Märzrevolution wie auch die der Reaktionsära orientierte sich vollumfänglich an der Idee der organisierten Ver­ sammlung. In den Regelungen der VO 1849 und VO 1850 zeigte sich dieses un­ ter anderem an den Regelungen zur Anzeigepflicht des „Unternehmers“ sowie der kaum mehr bestehenden Möglichkeit von dessen Vorstellung abzuweichen, den durch die VO 1850 noch mehr auf die Zentralgestalt zugespitzten Regelun­ gen zur Einräumung eines Platzes für Abgeordnete der Polizei („Vorsteher“ als Ansprechpartner der Abgeordneten der Polizei) sowie der Einführung der neuen Begriffe „Vorsteher“, „Ordner“ und „Leiter“ nebst Übertragung von strafbewähr­ ten Pflichten zur Überwachung der Einhaltung der Gesetze an diese. Der ErfE, der selbst nie Gesetzeskraft erlangte, schloss sich diesem Verständnis zwar an, brachte aber durch die verstärkte Fokussierung auf „politische Vereine und Versammlung“ einen neuen Aspekt in die Sichtweise auf die Versammlungsfreiheit. Insb. wurde der Verein damit zum möglichen „Urheber“ einer Versammlung, was die Idee der organisierten Versammlung um die Möglichkeit einer juristischen Person als Zen­ tralgestalt erweiterte, wenn auch weiter der Einzelne, insb. der Vorsitzende, im Fokus blieb. Die Bestimmungen des Bundesvereinsgesetzes schlossen an die ge­ nannten Regelungen an. Sie waren jedoch darüber hinaus Ausgangspunkt für die Übertragung dieser Bestimmungen und damit der Idee der organisierten Versamm­ lung auf die Gesetzgebung der Bundesstaaten.

D. Über die Reichsgründung zum RVG Mit der Reichsgründung 1871 und der neuen Reichsverfassung415 ergab sich auch für das Versammlungsrecht eine neue Ausgangslage. Zwar hatte die Ver­ fassung dem Reich die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht in Art. 4 Nr. 16 zugestanden, doch fanden sich in der Reichsverfassung selbst keine Grundrechte mehr. Zu diesem Zeitpunkt verfügten neben Preußen auch alle an­ deren Länder bereits über Vereins- und Versammlungsgesetze, was aus Sicht der neuen Reichsregierung nicht eben einen Beschleunigungsgrund für Überlegun­ gen zu einem einheitlichen Reichsgesetz dargestellt haben wird, die sich zu­ dem nicht erst seit dem Leipziger Hochverratsprozess 1872 mit der wachsenden Bewegung um Lassalle, W. Liebknecht und Bebel konfrontiert sah.416 So standen die ersten Schritte der reichseinheitlichen Überlegungen für ein Vereins- und Ver­ sammlungsgesetz dann auch eher unter dem Eindruck der Auseinandersetzung mit 415

RGBl. 1871, S. 63. Dass die Reichsgesetzgebung tatsächlich, insb. da, wo schlicht preußisches Recht bzw. solches des Norddeutschen Bundes übernommen wurde, äußerst schnell arbeiten konnte, zeigt der Erlass des RStGB 1871, der Reichsjustizgesetze 1877 sowie auch des BGB, das als unver­ gleichbar größeres Kodifikationswerk bereits acht Jahre vor dem RVG in Kraft trat. 416

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

der Sozialdemokratie, namentlich im späteren Sozialistengesetz, als unter dem der­ Liberalisierung. Entsprechend dauerte der Gesetzgebungsprozess, fasst man ihn von ersten Be­ ratungen im Reichstag bis zum Inkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes (RVG), 36 Jahre. Wobei auf das eigentliche Verfahren nur wenige Monate um den Jahres­ wechsel 1907/1908 entfielen.

I. Ausgangsbedingungen der Normsetzung Trotz mancher restriktiver Bestimmungen hatte die Versammlungsgesetzgebung wie die praktische Anwendung in der Reaktionsära nicht zu einem Verschwin­ den der Versammlungen geführt. Weiteren Auftrieb erhielten die Versammlun­ gen durch die Abmilderung der Reaktion zum Ende der 1850er Jahre. Bereits im Juni 1860 fand etwa in Coburg das „Erste Deutsche Turnfest“ als Versammlung der Turner statt.417 Dieses bildete einen Teil der ansteigenden Vereinsaktivität, die sich insb. in Versammlungen zeigte, hierher gehören auch Flotten- und National­ vereine.418 So tagte nur wenig später und ebenfalls in Coburg die erste General­ versammlung des Nationalvereins, dessen Zweck als „Kundgebung für die Idee der Staatseinheit“419 in Form einer „kleindeutschen Lösung“ der deutschen Frage durchaus in der Tradition von Hambacher und Wartburgfest gesehen wurde.420 Doch während derartige Versammlungen, die im Interesse insb. der preußischen Regierung lagen, ohne jegliche staatlichen Beschränkungen stattfinden konnten, verhielt es sich bei anderen Gelegenheiten anders. Nachdem Wilhelm I., der zu­ vor bereits die Amtsgeschäfte für seinen durch Schlaganfälle hieran gehinder­ ten Bruder geführt hatte, 1861 König von Preußen geworden war und Bismarck am 23.09.1862 zum preußischen Ministerpräsidenten ernannt hatte, um den preu­ ßischen Verfassungskonflikt zu lösen, wurden die restriktiven Möglichkeiten der VO 1850 in Preußen sichtbar. So verbot bspw. der Kölner Polizeipräsident, gestützt auf die VO 1850, auf Wei­ sung des Regierungspräsidenten am 11.07.1865 das rheinische Abgeordnetenfest. Der Konflikt zwischen preußischem Abgeordnetenhaus und Ministerpräsident endete erst mit der Zustimmung zur sog. Indemnitätsvorlage421, nach Spaltung 417 Zu diesem befleißigte man sich noch zu versichern, es sei „keine Demonstration gegen ir­ gend wen im Lande, nichts heimliches, nichts verbotenes“ gewesen, Goltermann, Körper der Nation, 1998, S. 85. 418 Küchenhoff, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, 1966, S.  23; Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn. 48. 419 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. III, 1988, S. 389, dort auch zum Inhalt des Programms. 420 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. III, 1988, S. 389. 421 Gesetz betreffend die Erteilung der Indemnität (Schadloshaltung) in Bezug auf die Füh­ rung des Staatshaushaltes vom Jahre 1862 ab und die Ermächtigung zu den Staatsausgaben für das Jahr 1866 vom 14.07.1866, PrGS 1866, S. 563.

D. Über die Reichsgründung zum RVG

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der liberalen Fortschrittspartei, am 03.09.1866. Während Preußen die Gründung des Norddeutschen Bundes, zunächst als Militärbündnis und später als Bundes­ staat, und sodann die Vorbereitung der Reichsgründung vorantrieb, dehnte es die VO 1850 auf noch die kleinsten zugewonnenen Landesteile aus (zuletzt Helgo­ land).422 Gleichzeitig zeigte sich namentlich im noch bis 1851 als Folge der März­ revolution preußisch besetzten Großherzogtum Baden, dass auch eine liberale Ver­ sammlungsgesetzgebung möglich war, während andere Länder dem preußischen Modell folgten. Diese teils als „Verpreußung“ bezeichnete Entwicklung423 setzte sich mit der Reichsgründung am 01.01.1871424 sowie der Reichsverfassung vom 16.04.1871425 verstärkt fort.426 Dieses galt insb. auch für die Übernahme des Ver­ sammlungsstrafrechts aus dem Preußischen StGB in das StGB des deutschen Bun­ des427, das schließlich zum RStGB übernommen wurde.428 Bald nach der Reichsgründung zeigte sich jedoch neben dem beginnenden Kul­ turkampf429 gegen die katholische Kirche und den politischen Einfluss der ka­ tholischen Minderheit ein weiteres Konfliktfeld: die sozialistischen bzw. sozial­ demokratischen Vereine- und Versammlungen. Hierher gehören etwa das Verbot zunächst des Berliner Ortsvereins des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins 1874,430 sowie schließlich überhaupt dessen Verbot in Preußen am 18.03.1875,431 oder die Schließung der Berliner „Mitgliedschaft“ der Sozialistischen Partei am 422

PrGS 1867, S. 700, 729, 921; PrGS 1873, S. 107; PrGS 1876, S. 172; PrGS 1891, S. 11 (Helgoland). 423 Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 2015, Rn. 452. 424 Das Datum ist symbolisch, die Verfassung wurde dafür rückwirkend in Kraft gesetzt, Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 3; Küchenhoff, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, 1966, S. 31; Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 2015, Rn. 369. 425 Verfassung des Deutschen Reichs, RGBl. 1871, S. 63. Diese war eine „Umarbeitung“ der Verfassung des Deutschen Bundes, BGBl. 1870, S. 627, die auf einen preußisch, hessisch, ba­ dischen Vorschlag zurückging, Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschicht­ liche Einleitung Rn. 42. 426 Deren „Grundrechtsabstinenz“ erklärte sich daraus, dass man diese als „Gemeingut“ schon in den Landesverfassungen geregelt sah, Küchenhoff, Vereinigungs- und Versammlungs­ freiheit, 1966, S. 31, und die Abgeordneten sich den Schutz bereits aus der Übertragung der­ Gesetzgebungskompetenz auf das Reich in Art. 4 Nr. 16 vorstellten, Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn. 41. Eine Debatte über die Aufnahme der Versammlungsfreiheit, wie es das Zentrum beantragt hatte, wurde so verworfen, Verhand­ lungen des Reichstags, 1. LP, Sitzung am 01.04.1871, S. 107; Ridder, in: Ridder u. a., Versamm­ lungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn. 42. 427 BGBl. 1870, S. 195. 428 RGBl. 1871, S. 127. 429 Vgl. dazu nur Auflösung der katholischen Abteilung im preußischen Kultusministe­ rium im Juli 1871, den sog. „Kanzelparagraphen“ § 130d StGB vom 10.12.1871, RGBl. 1971, S. 442; sowie das sog. Jesuitengesetz vom 04.07.1872, RGBl. 1872, S. 253; dazu Frotscher/ Pieroth, Verfassungsgeschichte, 2015, Rn. 423 ff.; Loening/Loening, in: Elster/Weber/Wieser, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 1928, S. 550. 430 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. IV, 1994, S. 1150. 431 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. IV, 1994, S. 1150 ff., welche in ihrer Wirkung nach Huber allerdings als „Fehlschläge“ für die Regierung zu sehen waren.

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08.03.1878432 jeweils wegen Verstoßes gegen § 8 VO 1850 und letztlich das sog. Sozialistengesetz433 von 1878. Zwar konnten nach der Entlassung Bismarcks und dem Auslaufen des Sozialistengesetzes grundsätzlich wieder, auch größere, Ver­ sammlungen der Betroffenen stattfinden, etwa anlässlich des am 01.05.1890 zum ersten Mal begangenen Maifeiertages, doch schlossen sich in Folge wiederum er­ hebliche Repressionen an.434 Die grundverschiedenen Auffassungen zeigen sich hier noch 1891 in der Forderung nach Vereins- und Versammlungsfreiheit auf dem Erfurter Parteitag der SPD435 einerseits und der sog. Umsturzvorlage436 1894­ andererseits, die im StGB unter anderem eine Auflösungspflicht für Versamm­ lungen einführen wollte, bei denen man „Staatseinrichtungen oder Anordnungen der Obrigkeit“ dadurch herabwürdigte, dass man „erdichtete oder entstellte That­ sachen öffentlich behauptet“. Dieses hätte etwa die Berichte über den Umgang mit Versammlungen in der polizeilichen Praxis, wie sie namentlich von Seiten der Sozialdemokratie im Reichstag üblich waren,437 bei Versammlungen erheb­ lich eingeschränkt und gegenüber der VO 1850 die Auflösungsmöglichkeiten erweitert. Die Regelungsansätze zum Versammlungsrecht standen demnach in einer un­ unterbrochenen Konfliktserie zwischen Liberalen, erst in Preußen dann im Reich, 432

Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. IV, 1994, S. 1152. Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie, RGBl. 1878, S. 351. 434 Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn.  46 nennt hier leider keine weiteren Belege. 435 Erfurter Programm Nr. 4, Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. IV, 1994, S. 108 f. 436 „Entwurf eines Gesetzes betreffend die Aenderung und Ergänzung des Strafgesetzbuches, des Militärstrafgesetzbuches und des Gesetzes über die Presse“, dazu Steinhagen, Die Gesetz­ gebung des Deutschen Reiches, 1935, S. 52. 437 Ein Beispiel über den behördlichen Umgang mit Verhandlungen wird in der 217. Sitzung des Reichstags am 15.11.1902, S.  6425–6452, aus Anlass des Berichts der Kommission für Petitionen geschildert. Diese hatte sich zum wiederholten Male mit einer Petition „betreffend die Schaffung eines einheitlichen deutschen Vereins- und Versammlungsrechts“ zu befassen (ebd., S. 6425; RT-Drs. 10/356). Hierin wird etwa von Auflagen für Versammlungslokale be­ richtet, die derart gestaltet waren, dass die meisten Lokale am Orte ausschieden oder von der Einflussnahme auf Gastwirte seitens der Polizei, die diesen im Falle der Zurverfügungstellung von Räumen mit Polizeistrafen auf anderen Rechtsbereichen bedacht wurden, Abgeordneter Sachse, ebd., S. 6425 (D). Es finden sich hier auch im Original wiedergegebene Versammlungs­ verbote, etwa zum Verbot eines Vortrages über Goethe in Weimar 09.09.1899, der mit der Be­ gründung untersagt wurde, es unterläge keinem Zweifel, dass ein Sozialdemokrat auch unter dem Thema „Goethe“ eine sozialdemokratische Rede halten würde, ebd., S. 6450 (A) und (B). Innerhalb der Debatte wird allerdings auch deutlich, wie sehr sich die einzelnen Fraktionen im Reichstag misstrauten, vgl. nur Abgeordneter Gröber, ebd., S. 6442 f. Diese „Blütenlese von Fällen aus der Praxis“, wie sie der Abgeordnete Barth nannte, ebd., S. 6449, und wie sie in den Landeskammern weiterzuverfolgen wäre, zeichnet in ihrer Gesamtheit ein eindrucksvolles Bild der rechtstatsächlichen Seite des Versammlungsrechts um die Jahrhundertwende. Einblicke fin­ den sich auch bei Bebel, Die Handhabung des Vereins- und Versammlungsrechts im Königreich Sachsen aufgrund des Tatsachenmaterials dargelegt von August Bebel, 1897. Eine systemati­ sche Auswertung hierzu ist Desiderat. 433

D. Über die Reichsgründung zum RVG

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Katholiken sowie ihrer politischen Vertretung sowie der Sozialdemokratie jeweils mit der preußischen wie der Reichsregierung, konzentriert in der Person Bismarcks. Den ersten Schritt zur Erreichung eines einheitlichen RVG stellt die Petition Nr. 35 vom 24.10.1871438 dar, die sich unter Kritik an den Verhältnissen in Meck­ lenburg an den Reichstag zur Schaffung eines Reichsvereinsgesetzes wandte und am 08.05.1872 dem Bundesrat mit dem Ersuchen „tunlichst beschleunigt dem Reichstag in Ausführung der Bestimmungen des Artikel 4 sub 16 der Reichsverfassung einen das Vereinswesen regelenden Gesetzentwurf zur Beschlussfas­ sung vorzulegen.“

überwiesen wurde.439 Der Bundesrat überwies diese am 09.06.1872 weiter an den Reichskanzler „als Material für eine etwaige das Vereinswesen regelnde Ge­ setzgebung“.440 Damit verlief bereits der erste Anlauf des Reichstages im Sande – ein Schicksal, das die Petition 35 mit einer Vielzahl weiterer Anträge teilen sollte, die jeweils „zur Berücksichtigung“ überwiesen wurden, diese jedoch nicht fanden.441 Am 04.04.1873 legten die Abgeordneten Wigger und Genossen (Nationallibe­ rale) einen Gesetzentwurf für ein „Gesetz über Vereine und Versammlungen“ vor.442 Dieser wurde am 30.04.1873 der IX. Kommission überwiesen.443 Die Kom­ mission erarbeitete hieraus einen Gesetzentwurf, der in wesentlichen Teilen be­ reits dem RVG gleicht (Anzeigepflicht für öffentliche Versammlungen zu po­ litischen Zwecken, Genehmigungspflicht für öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel, Auflösungsgründe). Völlig neu war dabei eine die Versammlungs­ freiheit schützende Norm, die sich gegen jeden Polizeibeamten richtete, der „den Be­stimmungen dieses Gesetzes entgegen eine Versammlung auflößt“, und die so­ gar eine Kostenerstattung für den Unternehmer bzgl. der durch die Auflösung ver­ geblich gewordenen Aufwendungen „behufs Veranstaltung der Versammlung“ vorsah. Der Entwurf wurde aber in der zweiten Lesung in der Kommission verwor­ fen.444 Der Reichstag war allerdings, zumindest in Teilen, weiter entschlossen, ein Gesetz zu erarbeiten, so stellte Rickert klar: „Bei uns steht der Entschluß fest, in jedem Jahre und unter jeder Bedingung diese Sache solange voranzubringen, bis wir endlich diesen unhaltbaren Zuständen ein Ende gemacht haben.“445

438

RT-Drs. 1/40. Verhandlungen des Reichstags, 1. LP, Sitzung am 08.05.1872, S. 289. 440 Protokoll der 19. Sitzung des Bundesrates vom 09.04.1908, § 313. 441 Eine Zusammenstellung von Anträgen und Petitionen aus der 10. LP findet sich bei Schubert, Die Entwicklung des Vereinsrechts, 1938, S. 20, teilweise waren die genannten Anträge allerdings „wörtliche Wiederholungen früherer Anträge“, Adolph, Vereinsgesetz, 1914, S. 4. 442 RT-Drs. 1/36. 443 Verhandlungen des Reichstags, 1. LP, Sitzung am 30.04.1873, S. 395. 444 Kommissionsbericht, RT-Drs. 1/239, S. 1067. 445 Verhandlungen des Reichstags, 9. LP, Sitzung am 03.06.1896, S. 2407. 439

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Ebenso deutlich fiel allerdings die Auffassung der Gegenseite aus (Schall): „Wir diskutieren überhaupt die Frage der Änderung des Vereinsgesetzes nicht.“446

Den nächsten größeren Schritt taten 1895 die Abgeordneten Ancker und Ge­ nossen (Freisinnige) sowie Auer und Genossen (Sozialdemokratie),447 deren An­ träge durch Beschluss vom 18.02.1896 der XIII. Kommission überwiesen wurden. Diese beschloss in ihren Beratungen jedoch den Entwurf des Kommissionsmit­ glieds Rickert vom 03.03.1896 zugrunde zu legen, der weit ausführlicher als die beiden überwiesenen Entwürfe war.448 Den aus den Beratungen der Kommission hervorgegangenen Entwurf nahm diese zwar mit nur einer Gegenstimme an,449 die Zustimmung im Reichstag hingegen blieb ihm, trotz Zustimmung in der zweiten Lesung, in der dritten Lesung verwehrt.450 Stattdessen konnte man sich nur auf die Annahme des Antrags451 Bassermanns verständigen,452 dessen „Notvereinsgesetz“ lediglich die Aufhebung des Affilia­ tions­verbots beinhaltete und am 11.12.1899453 veröffentlicht wurde. Trotz einer nicht unerheblichen Zahl an weiteren Anträgen und Petitionen454 ge­ wann das Thema erst sechs Jahre später wieder an Bedeutung. Nach der Reichs­ tagswahl vom 25.01.1907 erging erneut eine größere Zahl von Anträgen455 und Reichskanzler Bülow stellte am 25.02.1907 im Reichstag eine Reform des Ver­ eins- und Versammlungsrechts in Aussicht.456 Eine Resolution hierzu beschloss der 446

Zitiert nach Rickert, Verhandlungen des Reichstags, 9.  LP, Sitzung am 03.06.1896, S. 2407. 447 RT-Drs. 9/26 bzw. 9/48. Während der Antrag Ancker und Genossen (RT-Drs. 9/26) nur einen Artikel (Versammlungsrecht für alle Deutschen) enthielt und auch im Übrigen die „Be­ stimmungen der Landesgesetze über die Ueberwachung von Zusammenkünften (…) unbe­ rührt“ lassen wollte, enthält der Antrag Auer (RT-Drs. 9/48) einen umfassenderen Ansatz gegen jegliche Einschränkung und zudem eine Strafvorschrift für Versammlungsstörungen, § 4: „Wer die Ausübung der in den vorstehenden Paragraphen gewährleisteten Rechte hindert oder zu hin­ dern versucht, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft, sofern nach dem allgemeinen Strafgesetz nicht eine härtere Strafe eintritt.“ 448 Kommissionsbericht der XIII. Kommission, RT-Drs. 9/321 vom 29.04.1896, S. 1695. Der Text des Rickert’schen Entwurfs ist abgedruckt ebd., als Anlage VI, S. 1723. 449 Kommissionsbericht der XIII. Kommission, RT-Drs. 9/321 vom 29.04.1896, S. 1701. 450 Verhandlungen des Reichstags, 9. LP, Sitzung am 17.06.1896, S. 2675. 451 RT-Drs. 9/448. 452 Verhandlungen des Reichstags, 9. LP, Sitzung am 17.06.1896, S. 2675 f. 453 Gesetz, betreffend das Vereinswesen, RGBl. 1899, S.  699. Statt auf den Antragsteller­ Bassermann abzustellen, wird das Gesetz meist bezugnehmend auf den damaligen Reichskanz­ ler Fürst Hohenlohe als „Lex Hohenlohe“ bezeichnet, etwa Frotscher/Pieroth, Verfassungs­ geschichte, 2015, Rn. 421. 454 Aufzählung bei Schubert, Die Entwicklung des Vereinsrechts, 1938, S. 20. 455 Stöcker und Genossen, RT-Drs. 12/29 vom 19.02.1907; Beck und Genossen, RT-Drs. 12/78 vom 22.02.1907; Graf von Hompesch und Genossen, RT-Drs. 12/110 vom 25.02.1907; Ablaß und Genossen, RT-Drs. 12/131 vom 26.02.1907; Brandys und Genossen, RT-Drs. 12/153 vom 27.02.1907. 456 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 25.02.1907, S. 38.

D. Über die Reichsgründung zum RVG

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Reichstag am 16.04.1907.457 Nachdem die Grundzüge des zukünftigen RVG bei den „Dinerbesprechungen von Norderney“ im Sommer 1907 zwischen Bülow und dem sog. „Bülowblock“458 festgelegt worden waren,459 überreichte der Stellver­ treter des Reichskanzlers von Bethmann Hollweg schließlich dem Reichstag am 22.11.1907 den „Entwurf eines Vereinsgesetzes“.460 Nach dreitägiger Beratung in erster Lesung461 überwies der Reichstag den Regie­ rungsentwurf am 11.12.1908 an die XIV. Kommission. Diese schlug in ihrem Be­ richt vom 30.03.1908, der der weiteren Beratung zugrunde gelegt wurde, weitrei­ chende Änderungen vor,462 denen sich der Reichstag nach umfassender Beratung in zweiter463 und dritter Lesung am 08.04.1908464 vollumfänglich anschloss.465 Der Bundesrat nahm das Gesetz „mit Stimmeneinhelligkeit“ am nächsten Tage an.466

II. Die Landesversammlungsgesetze Die Gesetzgebung des Reiches sah sich der Aufgabe gegenüber, nicht weniger als 25 Landes- bzw. Stadt-Vereins- und Versammlungsgesetze467 durch einheit­ liches Recht zu ersetzen, einzig in Waldeck bestanden weder in Gesetzes- noch in Verordnungsform Regelungen zu Versammlungen, in Württemberg, Hessen und Sachsen-Coburg-Gotha bestanden nur einzelne Regelungen aber keine umfassen­ den Gesetzeswerke468. Teils wurde nur auf das Bundesvereinsgesetz 1854 Bezug 457 Verhandlungen des Reichstags, 12.  LP, Sitzung am 16.04.1907, S.  815; die Resolution (RT-Drs. 12/273), entspricht Antrag Ablaß und Genossen, RT-Drs. 12/131. 458 Konservative, Nationalliberale und Linksliberale. 459 Vorwärtsverlag, Vereinsrecht und Polizei, 1908, S. 6. 460 RT-Drs. 12/482, S. 1. 461 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, I. Session, 69.–71. Sitzung am 09.–11.12.1907, S. 2091 (D) bis 2187 (C). 462 Kommissionsbericht der XIV. Kommission, RT-Drs. 12/819. 463 Die Beratungen umfassten hier viereinhalb Tage, Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, I. Session, 138.–141. Sitzung am 02.04.1908–05.04.1908, S. 4556 (A) bis 4745. 464 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, I. Session, 143. Sitzung am 08.04.1908, S. 4789 (A) bis 4838 (A). 465 In der zweiten Lesung bis auf die Festsetzung des Datums des Inkrafttretens, dass die Kommission offen gelassen hatte, vgl. RT-Drs. 12/862. Dieses erfolgte trotz einer Vielzahl von Änderungsanträgen, vgl. nur RT-Drs. 12/822; 12/826; 12/827; 12/829; 12/830, 12/869. 466 Protokoll der 19. Sitzung des Bundesrates vom 09.04.1908, § 313. 467 Ein umfassender Gesamtvergleich der Gesetze soll hier nicht geleistet werden und ist für die Fragestellung der Arbeit auch nicht entscheidend. Umfassende Auseinandersetzun­ gen mit den verschiedenen Gesetzen finden sich in den Beratungen der XIV. Kommission (RTDrs. 12/819) sowie beim Entwurf eines Vereinsgesetzes der Reichsregierung (RT-Drs. 12/482), wobei letzterer alle Vorschriften der Landesgesetze abgedruckt enthält, dort finden sich auch die jeweiligen Originalfundstellen. Im Folgenden werden die Gesetze jeweils nur nach den je­ weiligen Ländernamen bezeichnet. 468 Diese umfassten jeweils die Garantie der Versammlungsfreiheit: Württemberg (G. v. 02.04.1848), Hessen (Art. 2, G. v. 16.03.1848), Sachsen-Coburg-Gotha (§ 44, G. v. 03.05.1852).

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

genommen (Oldenburg). Die übrigen Länder verfügten über umfassendere Rege­ lungen zum Versammlungsrecht, wobei die Landesversammlungsgesetze sich da­ bei, bis auf Ausnahmen, ganz wesentlich am preußischen Recht, wie es bereits in der VO 1849 zum Ausdruck kam und nur gering modifiziert in der VO 1850 bei­ behalten wurde, orientierten. Dieses galt insb. für die Orientierung am Bild der­ organisierten Versammlungen. Darüber hinaus finden sich weitere häufige Über­ einstimmungen, etwa überhaupt die Garantie des Rechts, sich in geschlossenen Räumen unbewaffnet zu versammeln. Ganz wesentlich zeigt sich dies an den Regelungen zur Anzeige- bzw. Geneh­ migungseinholungspflicht, wobei die Gesetze zumeist zwischen Versammlungen in geschlossenen Räumen und solchen unter freiem Himmel unterschieden.469 Die Versammlungen in geschlossenen Räumen wurden dabei entweder dann für anzei­ gepflichtig erklärt, wenn in ihnen „öffentliche Angelegenheiten“ behandelt, erör­ tert oder beraten werden „sollen“ (neben Preußen, Königreich Sachsen, SachsenAltenburg, Anhalt, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Reuß ältere Linie, Reuß jüngere Linie, Schaumburg-Lippe und Hamburg) oder wenn solche Versammlungen zusätzlich „öffentlich“ abgehalten werden sollten (Bayern, Braunschweig, Lippe, Württemberg). Bremen und Lübeck grenzten ersteres wei­ ter auf „politische Angelegenheiten“ ein, während hierfür teils wieder auf das Kriterium der Öffentlichkeit der Versammlung abgestellt wurde (MecklenburgSchwerin, Großherzogtum Sachsen, Mecklenburg-Strelitz, Sachsen-Meiningen). Als Verantwortlicher für die Einholung der Anzeige wurden dabei zumeist Un­ ternehmer (§ 1 Anhalt; §§ 1, 2 Schwarzburg-Sondershausen; § 1 Lippe)  oder da­ neben noch Vorsteher, Ordner oder Leiter (z. B. § 2 Abs. 1 Mecklenburg-Schwerin; § 3 Abs. 1 Bremen; § 8 Braunschweig) oder Einberufer bzw. Veranstalter (Reuß äl­ tere Linie) genannt, so etwa im Königreich Sachsen, § 2 S. 2: „Die Anzeige liegt denjenigen Personen ob, von welchen die Zusammenberufung ausgeht.“

Teils wurden darüber hinaus diejenigen verpflichtet, die einen Versammlungsraum bereitstellten. Eine solche Regelung war z. B. in Bayern vorgesehen, § 2 S. 1: „Wer zu einer Versammlung, in welcher öffentliche Angelegenheiten erörtert werden sollen, öffentliche oder allgemeine Einladungen erläßt, und wer den Platz zu deren Abhaltung ein­ räumt, ist verpflichtet, mindestens 24 Stunden vor dem Beginn der Versammlung unter An­ gabe des Ortes, der Zeit und des Zwecks derselben Anzeige […] zu machen.“

Der Umfang der Anzeigepflicht und damit die Eingrenzung der Versammlung auf die Vorstellungen der planenden Zentralinstanz waren dabei unterschiedlich stark ausgeprägt und gingen von der Angabe von Ort und Zeit (wie Preußen) über Nähere Regelungen fanden sich hier nur in bezugnehmenden Einzelnormen (Hessisches Poli­ zeistrafgesetz v. 30.10.1855) oder wurden aus der „allgemeinen Oberaufsicht des Staates“ (Württemberg) hergeleitet, RT-Drs. 12/482, S. 8. 469 In Elsaß-Lothringen herrschte für letzte ein Totalverbot, Titel 1, Art. 3 Gesetz betreffend die öffentlichen Versammlungen.

D. Über die Reichsgründung zum RVG

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Zweck (§ 1 Anhalt) bis zur Angabe der Namen der Redner (Sachsen-Meiningen, Reuß ältere Linie) sowie der Tagesordnung oder des Gegenstandes der Verhandlun­ gen (Schaumburg-Lippe, Elsaß-Lothringen). Bremen sah dabei explizit die Mög­ lichkeit vor, mehrere Veranstalter zu benennen (§ 3). Die Tätigkeit als Zentralgestalt brachte vielfach die Verpflichtung zur „Aufrechterhaltung der Ordnung in der Ver­ sammlung“ bzw. weitergehend zur Verhinderung bestimmter Handlungen, etwa von „Äußerungen […], welche den Strafgesetzen widersprechen oder eine Aufforderung oder Anreizung zu Gesetzesübertretungen oder unsittlichen Handlungen enthalten“470,

mit sich. Solche Inpflichtnahmen der Zentralgestalten bestanden etwa auch in Bayern (Art.  5) und konnten bei Unterlassen hart bestraft werden.471 Weiterhin fand sich in vielen Landesgesetzen die bereits aus der VO 1850 bekannte und zu­ mindest sekundär die Rolle der planenden Zentralinstanz stärkende Regelung des zeitlich genauen Beginns („spätestens“).472 Für Versammlungen unter freiem Himmel wurden teils, sofern sie politischen Zwecken dienten, umfassende Verbote aufgestellt (Mecklenburg-Schwerin, Meck­ lenburg-Strelitz), teils der Zentralgestalt, wie für die Versammlungen in geschlos­ senen Räumen, Anzeige- (Baden) oder Genehmigungseinholungspflichten (übrige Länder) auferlegt. Neben Preußen wurden die Versagungsgründe für eine Geneh­ migung jedoch nur in Schwarzburg-Sondershausen, Lippe und Lübeck genauer bestimmt. Für Aufzüge war wie in Preußen auch in weiteren Ländern bereits im Planungsstadium eine Route festzulegen und diese anzugeben (Anhalt, Reuß äl­ tere Linie, Reuß jüngere Linie und Lippe). Insb. in dieser Inpflichtnahme von Un­ ternehmern, Vorstehern, Leitern oder Ordner, wie auch in der Inpflichtnahme für Ordnung in der Versammlung zu sorgen,473 wird die Ausrichtung auch der übrigen Landesgesetze an der Organisationsidee deutlich. Auch die Regelungen zu den Beauftragten knüpfen, etwa bzgl. der Platzeinräumung oder ihrer Legitimierung (§ 4 Abs. 1 Großherzogtum Sachsen-Altenburg;Art. 2 Oldenburg), an der Existenz einer Zentralgestalt an, vielfach findet sich auch der Ansatz, dass die Zentralgestalt bestimmten Anweisungen der Beauftragten folgen muss (Art. 8 Bayern). Teilweise gingen die Gesetze aber auch über das preußische Modell des Zu­ grundelegens der organisierten Versammlung als zu regelndem Lebenssachverhalt hinaus und schrieben ein bestimmtes Versammlungsmodell bereits explizit fest. So war im Königreich Sachsen (§§ 4, 8, 33), dem Fürstentum Reuß ältere Linie (§§ 4, 8, 22) sowie im Reichsland Elsaß-Lothringen (§§ 4, 18) für Versammlungen die Pflicht festgeschrieben, Leiter und Ordner zu wählen. Die königlich sächsische Regelung bestimmte dazu: 470

§ 8 S. 1 Königreich Sachsen. § 8 S. 2 Königreich Sachsen: „Unterlassen sie, dieß [Verhinderung der Äußerungen etc.], zu thun, so sind sie für alles Vorgefallene ebenso verantwortlich, als wenn […] die Aeußerung von ihnen selbst ausgegangen wäre.“ 472 Vgl. Kap. 2 C. I. 6. 473 Vgl. insb. Art. 5 Bayern sowie § 5 Hamburg. 471

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

„Jede Versammlung muß wenigstens ein, von derselben als solcher anerkannter Ordner oder Leiter vorstehen. Die Versammlung darf daher, wenn ein Ordner oder Leiter oder eine Mehrzahl derselben nicht im Voraus bezeichnet worden ist, die Erörterung derjenigen An­ gelegenheiten, zu deren Berathung sie zusammentrat, nicht eher beginnen, als bis die Wahl erfolgt ist. Die Wahlhandlung haben diejenigen zu leiten, welche die Versammlung veran­ stalteten.474

Das elsässische Pendant475 stellte dagegen die Verpflichtung eines Vorstandes („bureau“) mit mindestens einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern auf, der eben­ falls zur Aufrechterhaltung der Ordnung sowie der Verhinderung von Gesetzes­ übertretungen verpflichtet wurde: „Chaque réunion doit avoir un bureau composé d’un président et de deux assesseuers au moins qui sont chargés de maintenir l’ordre dans l’assemblée et d’empecher toute infrac­ tion aux lois.“

Die königlich sächsische Regelung war dabei mit einer Strafvorschrift („mit einer Geldstrafe von 1 bis 50 Thalern […] oder mit dreitägigem bis dreimonat­ lichem Gefängnisse zu ahnden“, § 33) bewehrt, die jeden Teilnehmer treffen konnte, der an einer solchen, an „formellen Fehlern“ leidenden, Versammlung teil­ nahm. Art. 9 Elsaß sah dahingegen nur eine Strafbarkeit für die Veranstalter sol­ cher Versammlungen vor. Eine Besonderheit enthält § 6 Sachsen-Altenburg von 1888, wonach ordnungs­ gemäß angemeldete Versammlungen subsidiär durch die Polizei, im Interesse der Teilnehmer wie der Zentralgestalt, zu schützen waren: „Störungen der in Gemäßheit des § 1 dieser Verordnung angemeldeten Versammlungen, so­ fern zu ihrer Beseitigung der Einfluß des Vorsitzenden der Versammlung nicht ausreicht, sind von den anwesenden […] Polizeipersonen zu rügen und zu verhindern. Diese Polizeipersonen sind berechtigt, die Störer aus der Versammlung zu weisen und durch geeignete polizeiliche Maßregeln die Freiheit des Versammlungsrechts zu schützen.“

Eine fast wortgleiche Formulierung findet sich auch in § 7 Schwarzburg-Rudol­ stadt, 1894. § 6 Hamburg erlaubte der Polizei stattdessen, „sobald Ausschreitungen […] vorkommen, die Vorsteher, Unternehmer, Ordner oder Leiter der Versammlung aufzufordern, solche zu unterdrücken“

und wo dies, etwa mangels durch das Gesetz bereit gestellter Mittel, scheiterte, dieselben aufzufordern, die Versammlung aufzulösen und erst dann, so dies nicht erfolgte, selbst einzuschreiten. Den Teilnehmern bzw. Störern einer Versammlung stand somit primär der, nicht mit gesetzlich festgelegten Mitteln bestärkte, Ver­ anstalter gegenüber. 474

§ 4 Königreich Sachsen, wortgleich § 4 S. 1–2 Reuß ältere Linie. Art. 4 Elsaß-Lothringen.

475

D. Über die Reichsgründung zum RVG

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Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass alle Versammlungsgesetze den Begriff „Versammlung“ weit verstanden und daher Ausnahmebestimmungen, entspre­ chend der preußischen Ausnahme für gewöhnliche Leichenbegängnisse und Züge der Hochzeitsgesellschaften, enthielten. Teils wird dieses weite Versammlungsver­ ständnis noch deutlicher, etwa wenn § 25 Reuß älterer Linie erklärt: „Rücksichtlich der öffentlichen Schaustellungen, Schauspiel, Konzerte, Tanzbelustigungen und überhaupt der öffentlichen Vergnügungen bewendet es im Uebrigen bei den bestehen­ den Vorschriften“.

Oder wenn Bayern Versammlungen zum „Zwecke geselliger Unterhaltungen“ oder zu Zwecken der „Beförderung der Künste und Wissenschaft“ (§ 17) von den Pflichten der übrigen Versammlungen ausnimmt. Zusammenfassend orientierten sich auch die übrigen Landesgesetze an der Vor­ stellung einer organisierten Versammlung. Die Anknüpfungspunkte entsprachen dabei im Wesentlichen denen des preußischen Rechts. Einen erheblichen Schritt über die Zugrundelegung eines Verständnisses und die Anknüpfung daran in der Normsetzung gingen jedoch die Länder, die das Vorhandensein eines Leiters oder Ordners, respektive eines Vorstandes, als Pflicht festschrieben und mit ent­ sprechenden Strafnormen versahen. Vor diesem Hintergrund sind Entstehung und Inhalt des RVG zu sehen.

III. Das RVG Das RVG knüpfte wie seine mannigfaltigen Vorgängerregelungen in weiten Tei­ len an die Idee der organisierten Versammlung an, ging aber teils über die her­ gebrachte bloße Anknüpfung hinaus. Den Beginn des RVG machte dabei die Fest­ stellung, dass alle Reichsangehörigen das Recht haben, Vereine zu bilden und sich zu versammeln, § 1 Abs.  1 S.  1 RVG. Diese Eröffnung mit einer Rechtsgewäh­ rung ist im Kontext der fehlenden Grundrechtsbestimmungen der Reichsverfas­ sung sowie der Aufhebung476 der Garantiebestimmungen etwa der RevVerf durch § 1 Abs. 1 S. 1 RVG zu sehen. Die Eröffnung des Gesetzes unterscheidet sich von der VO 1850 aber auch dadurch, dass sie nicht direkt mit einer Bezugnahme auf die Zentralgestalt einer Versammlung beginnt, sondern vielmehr mit den Worten „sich zu versammeln“ primär die Teilnehmer in den Blick zu nehmen scheint. Be­ reits § 5 RVG zeigte jedoch wieder die Orientierung an der organisierten Versamm­ lung, indem er verlangt, dass derjenige, der „eine öffentliche Versammlung zur Erörterung politischer Angelegenheiten (politische Versammlungen) veranstalten will“, diese 24 Stunden vor dem Beginn, unter Angabe von Zeit und Ort, anzuzei­ gen habe. Das RVG nahm damit, wie bereits die VO 1850, die besondere Regelung „politischer Angelegenheiten“ wieder auf und ging zumindest für diese Art von 476

Anschütz, Verfassungsurkunde, 1912, S. 518.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

Versammlungen von der Existenz eines Veranstalters aus, der diese Anzeigepflicht erfüllen könne, wobei die Anzeige durch eine öffentliche Bekanntmachung er­ setzt werden konnte, § 6 Abs. 1 S. 1 RVG.477 Für „öffentliche Versammlungen un­ ter freiem Himmel und Aufzüge auf öffentlichen Straßen oder Plätzen“ verlangte auch das RVG die Einholung einer Genehmigung, § 7 Abs. 1 S. 1 RVG, die durch den Veranstalter spätestens 24 Stunden vor Beginn einzuholen war, S. 2. Die Ver­ sagungsmöglichkeiten grenzte das RVG dabei durch die Reduktion auf Gefahren für die öffentliche Sicherheit bei „Abhaltung der Versammlung“ bzw. „Veranstal­ tung des Aufzugs“ und damit den Verzicht auf die öffentliche Ordnung gegenüber den Vorgängerregelungen erheblich ein, § 7 S. 3 RVG. Dieser Schwenk war bereits durch die Verwendung des Begriffs „sicherheitspolizeilich“ in § 1 S. 3 RVG ein­ geleitet worden.478 Weiter ist zu sehen, dass in dieser Versagung der Genehmigung die einzige Möglichkeit einer Verhinderung einer Versammlung geblieben war. Die Möglichkeit präventiver Verbote fehlt dem RVG.479 Die bedeutendste Regelung, bezogen auf die Idee der organisierten Versamm­ lung, stellt jedoch § 10 Abs. 1 S. 1 RVG dar. Dieser besagte, dass „jede öffentliche politische Versammlung“ einen Leiter haben „muß“. Hier wendete sich das RVG von der Tradition des Zugrundelegens ab und schrieb ein bestimmtes Versamm­ lungsmodell vor. Aus der Eingrenzung der betroffenen Versammlungen auf „öf­ fentliche politische“ waren zwar nicht alle denkbaren Versammlungen betrof­ fen. Bedenkt man jedoch das Problem der auch im RVG fehlenden Definition der „politischen Angelegenheiten“, hatte dieser gesetzgeberische Schritt eine erheb­ liche Bedeutung. Dabei gestaltete das RVG auch das Verhältnis zwischen Ver­ anstalter und Leiter als Zentralinstanzen wie auch zu den Versammlungsteilneh­ mern konkret aus, indem es den Veranstalter als berechtigt erklärte, entweder die Leitung selbst zu übernehmen, sie (nach seiner freien Entscheidung) einem an­ deren zu übertragen oder die Wahl des Leiters durch die Versammlung zu ver­ anlassen. Der Veranstalter wurde damit nicht nur über den Leiter gesetzt, sondern auch über die Teilnehmer, die nur mit seiner Zustimmung einen Leiter selbst wäh­ len konnten. Die insoweit gestärkte Rolle des Veranstalters wurde sogleich durch den Gesetzgeber dazu genutzt, diesem, solange noch kein Leiter bestellt war, und danach jenem die Verantwortung für den Erhalt von „Ruhe und Ordnung“ in der Versammlung aufzuerlegen. Auf eine Festschreibung von Handlungsmöglichkei­ ten zugunsten des Leiters bzw. Veranstalters, welche ihm hätten ermöglichen kön­ nen, seiner Pflicht nachzukommen, verzichtete der Gesetzgeber jedoch. Allein die­ Maximallösung der „Auflösung“ wurde ihm zugestanden, § 10 S. 4 RVG. 477 Zu den genauen Voraussetzungen, die durch die Landesregierungen zu regeln waren, vgl. etwa die Bestimmung für Preußen, Verordnung des Ministers des Innern vom 08.05.1908, Mi­ nisterialblatt der inneren Verwaltung 1909, S. 11 ff. 478 Anschütz, Verfassungsurkunde, 1912, S. 523. 479 Dies orientiert sich an § 9 Abs. 2 VO 1850 und ist damit milder als etwa Art. 3 des baye­ rischen Gesetzes, die Versammlungen und Vereine betreffend, vom 26.02.1850, BayGBl. 1850, S. 53.

D. Über die Reichsgründung zum RVG

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Neben der überkommenen Regelung des Verbots des Waffentragens, § 11 RVG, fand auch eine Regelung zur Ausgestaltung der „Verhandlungen“ der Versamm­ lung Eingang in das Gesetz. Ausgehend von der Verwendung des Wortes „Ver­ handlung“ erhellt dabei zugleich, welche Form der Versammlung als Orientie­ rung diente. Die Verhandlungen aller öffentlicher Versammlungen sollten fortan in deutscher Sprache geführt werden, § 12 RVG. Dieser sog. Sprachenparagraph, der sich im Wesentlichen gegen die polnische Bevölkerung in den preußischen Pro­ vinzen richtete, wurde nicht nur der meistdiskutierte Kritikpunkt des Versamm­ lungsgesetzes, sondern war auch von Seiten der Versammlung nur dadurch zu umgehen, dass die Versammlungen nicht öffentlich gehalten wurden oder der Ver­ anstalter eine entsprechende Anzeige über die Verwendung einer anderen Spra­ che erstattete (§ 7 S. 3 RVG), was jedoch nur als Übergangsregelung gedacht war. Die Orientierung an der VO 1850 und damit der Idee der organisierten Versamm­ lung zeigte sich weiter in der Übernahme der Regelung zur Entsendung von Be­ auftragten in öffentliche Versammlungen, § 13 RVG. Für diese wurde festgehalten, dass sie sich „unter Kundgebung ihrer Eigenschaft dem Leiter oder, solange die­ ser nicht bestellt ist, dem Veranstalter der Versammlung zu erkennen zu geben“ ha­ ben, § 13 S. 1 RVG. In Abgrenzung zu den „politischen Versammlungen“, für die ein Leiter bestimmt werden musste, zeigt sich in § 13, der alle öffentlichen Ver­ sammlungen betraf, dass die Existenz eines Veranstalters bzw. Leiters, auch wo sie nicht vorgeschrieben war, jedenfalls vorausgesetzt wurde. Auch die Gründe, welche die Beauftragten der Polizeibehörden ermächtigten die Versammlung „un­ ter Angabe des Grundes“ aufzulösen, gliedern sich in dieses Bild ein. Sie stellten insoweit auf das „Vorlegen“ der Bescheinigung der, durch den Veranstalter gem. § 5 RVG einzuholenden, Anzeige oder sein Versäumnis, eine Genehmigung ein­ zuholen, ab (§ 14 Nr. 1 und 2 RVG). Auch die weiteren Auflösungsgründe, die Zu­ trittsverweigerung gegenüber Beauftragten der Polizei, das Nichtentfernen Be­ waffneter aus der Versammlung sowie die Weigerung, einem Redner, der sich nicht der deutschen Sprache bediente, auf Aufforderung das Wort zu entziehen (§ 14 Nr. 3, 4, 6 RVG), entsprachen der Annahme, bei Versammlungen einen Ver­ anstalter oder Leiter, insb. als Verpflichteten und Ansprechpartner für die Polizei zu haben. Doch wurden der Zentralinstanz nicht nur Pflichten auferlegt sondern auch Rechte zugestanden, etwa auf Antrag des Leiters hin von den Polizeibehörden die „mit Tatsachen zu belegenden Gründe der Auflösung schriftlich“ mitgeteilt zu be­ kommen (§ 15 RVG), was in direkter Verbindung mit der möglichen „Anfechtung der Auflösung einer Versammlung“ im Verwaltungsstreitverfahren steht, die damit systematisch nur durch den Leiter möglich war und damit bei anderen als politi­ schen Versammlungen nur dann, wenn sie sich entsprechend dem hergebrachten Bild einer Versammlung, einen Leiter gegeben hatte. Gleiches wie für die Regelungen bzgl. der Auflösungsgründe gilt auch für die Strafbestimmungen. Auffällig ist hier allerdings die drastische Reduzierung der Strafen, insb. der Entfall der Haftstrafen mit Ausnahme des Unvermögensfalles

116

Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

sowie die völlige Streichung der Teilnehmerstrafbarkeit, abseits der Bewaffneten, sowie der Anwesenheitsstrafbarkeit unter 18-Jähriger in „öffentlichen politischen Versammlungen“ oder den Versammlungen „politischer Vereine, sofern diese nicht rein geselligen Zwecken dienten“, § 18 Nr. 6 i. V. m. § 17 RVG. Zusammenfassend knüpfte das RVG wie seine Vorgänger an die Idee der orga­ nisierten Versammlung an, was sich einerseits in den klassischen Regelungen zur Anzeige- und Genehmigungspflicht zeigt, andererseits aber auch in den neuen Be­ stimmungen, etwa zur Möglichkeit, sich die Gründe für die Auflösung schriftlich mitteilen zu lassen, sofern man Leiter der Versammlung war. Die deutlichste An­ knüpfung und auch die größte Neuerung, zumindest für den Bereich Preußens wie der meisten Länder,480 war jedoch die Festschreibung des Modells der organisier­ ten Versammlung für Versammlungen mit bestimmten Inhalten, hier den politi­ schen Versammlungen. Festzuhalten bleibt, dass die Begrifflichkeiten um die Zentralgestalt nunmehr nur noch zwei Personen kannten, nämlich Veranstalter und Leiter, während Unter­ nehmer und Ordner keine Aufnahme mehr fanden, wobei insb. letzteres mit dem, gegenüber seiner Verpflichtung, geringen Portfolio an gesetzlichen Handlungs­ möglichkeiten gegenüber Störern innerhalb der Versammlung korrespondierte. Dennoch war die Anknüpfung an die Idee der organisierten Versammlung nun­ mehr in Abwandlung der älteren Normen deutlich positiv gestimmt, worüber auch die weiterbestehenden, wenn auch gemilderten Strafvorschriften, nicht hinweg­ täuschen dürfen.

IV. Die Entstehung des RVG Betrachtet man die Inhalte der Landesgesetze sowie des RVG vor dem histori­ schen Hintergrund, ist für die Untersuchung der Wertung der Organisationsidee und die Orientierung hieran vor allem auf vier Aspekte einzugehen: (1.) Die Or­ ganisationsidee vor dem Hintergrund des Sozialistengesetzes. (2.) Die Organi­ sa­tions­idee in den Ansätzen zur Gesetzgebung namentlich im Rickert’schen als auch im Regierungsentwurf. (3.) Die Auffassung des Reichstags, wie sie sich in den ­Arbeiten der Kommission zum Regierungsentwurf und der Debatte zum RVG zeigt. Schließlich (4.) sind noch die sich mit der Entstehung des RVG (fort)ent­ wickelnde Literatur und die Rechtsprechung zu beachten.

480

Vgl. bereits Kap. 2 D. II.

D. Über die Reichsgründung zum RVG

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1. Das Sozialistengesetz 1878 Das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokra­ tie“481 (Sozialistengesetz) fiel mit seinem Erlass sieben Jahre nach der Reichs­ gründung etwa in die Mitte des Zeitraums zwischen Erlass der VO 1850 sowie des RVG. Es stand damit anders als die Gesetzgebung der Reaktion nicht mehr unter dem unmittelbaren Eindruck der Märzereignisse und doch zielte es auf die Eindämmung als revolutionär eingeordneter Bestrebung in einem bereits konsoli­ dierten Reich. Der entscheidende Verbindungspunkt zwischen beiden Gesetzen war dabei Bismarck, der bereits als Mitglied der Gesetzeskommission der Zwei­ ten Kammer am Erlass der VO 1850 mitgewirkt hatte und nun als Reichskanzler das Sozialistengesetz initiierte.482 Das Sozialistengesetz knüpfte in seinen Rege­ lungen bzgl. der Versammlungen und den Vereinen gleichstehenden „Verbindun­ gen jeder Art“ (§ 1 Abs. 3 SozialistenG) kaum mehr an die Schließungsgründe der VO 1850 an, sondern fand sein verbotsorientiertes Vorbild im Vereinsedikt 1789.483 Interessant für die Organisationsidee war besonders die Einführung der Möglich­ keit für die Behörden, nicht nur „allen Sitzungen und Versammlungen“ der, nicht direkt nach § 1 SozialistenG verbotenen, Kassenvereine beizuwohnen (§ 4 Nr.  1 SozialistenG), sondern auch selbst die Leitung der Sitzung zu übernehmen (§ 4 Nr. 1 SozialistenG).484 Versammlungen, „in denen sozialdemokratische, sozialisti­ sche oder kommunistische auf den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesell­ schaftsordnung gerichtete Bestrebungen zu Tage treten“, konnten aufgelöst bzw. vorab verboten werden (§ 9 SozialistenG). Die Orientierung am hergebrachten Ab­ lauf, insb. der anvisierten durch Vereine getragenen Versammlungen, griffen auch die Strafbestimmungen auf, die unterschiedlichen Rollen bei einer Versammlung als Teilnehmer („Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark“) oder „Vorsteher, Leiter, Ordner, Agenten, Redner oder Kassierer“ („Gefängnis von Einem Monat bis zu Einem Jahre“) unterschieden (§ 17 SozialistenG), wobei auch das „Hergeben“ der Räumlichkeiten für eine verbotene Versammlung wieder erfasst wurde, § 18 So­ zialistenG. Auch die Ausweisung von ausländischen „Agitatoren“, ergänzt um die Möglichkeit der Verhängung von Aufenthaltsverboten und Gewerbeuntersagungen für Inländer (§§ 22, 23, 28 Abs. 1 Nr. 4 SozialistenG), fand hier wieder485 Eingang in das Versammlungsrecht.486 Damit waren nicht nur alle Restriktionen der Vor­ märzzeit in Bezug auf die angesprochenen politischen Gruppen wiederhergestellt, 481

Gesetz vom 21.10.1878, RGBl. 1878, S. 351. Zur Entstehung des Sozialistengesetzes Maaß, JuS 1990, 702. 483 Vereinsedikt vom 27.10.1798, PrGS 1816, S. 7, siehe Kap. 2 B. 1. 484 Allerdings beschränkt auf Generalversammlungen, die jedoch auch durch die Behörde einberufen werden konnten. 485 Vgl. Kap. 2 B. II. bis IV. 486 Für Berlin galten derartige Verbote bereits ab dem 28.11.1878, Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn. 44. Zur Praxis der Anwendung mit Beispielen Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. IV, 1994, S. 1160, zu Prozessen S. 1171 ff., zu Versammlungen S.  1180. Einen Vergleich des Sozialistengesetzes mit dem Republikschutz­ gesetz 1922 liefert Steinhagen, Die Gesetzgebung des Deutschen Reiches, 1935, S. 24. 482

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

sondern diese noch verschärft worden. Über die bereits bestehenden Landes­ gesetze hinaus räumte § 28 Abs. 1 Nr. 1 SozialistenG zudem den Zentralbehörden der Bundesstaaten die Möglichkeit ein, jegliche Versammlung von der vorherigen Genehmigung der Polizeibehörde abhängig zu machen. Gegenüber dieser Rege­ lung musste selbst die restriktive VO 1850 als freiheitlich gelten. An die Organi­ sationsidee, namentlich für durch Vereine veranstaltete Versammlungen, knüpfte demnach zwar auch das SozialistenG an, doch hatte die vorsichtig positivere Ein­ stellung der Gesetzgebung gegenüber den Versammlungen, zumindest der Sozial­ demokratie, einen deutlichen Schritt zurück gemacht, was sich beispielhaft in der Aufnahme des Begriffs Agitator in § 22 SozialistenG manifestiert.487 Als das SozialistenG, welches gem. § 30 Abs.  1 SozialistenG befristet war und ab 1881 jährlich verlängert werden musste,488 schließlich 1890 im Reichstag keine Mehrheit mehr fand und damit außer Kraft trat, hatte es zwar nicht wie von­ Bismarck gewünscht die Wählerstimmen der Sozialdemokratie vermindert, dafür aber das Klima für die Beratungen zum Versammlungsgesetz nachhaltig in Rich­ tung einer Liberalisierung verschoben. 2. Vom Rickert’schen Entwurf von 1896 zum Entwurf der XIII. Kommission Der Rickert’sche Entwurf489 war ein solcher Versuch einer vorsichtigen Libera­ lisierung. Neben der Einräumung des Rechts auf Vereins- und Versammlungsfrei­ heit gab dieser insb. die Genehmigungspflicht für öffentliche Versammlungen zu politischen Zwecken auf und ersetzte diese durch eine bloße Anzeige durch den Veranstalter, § 2 und § 3. Explizit statuierte der Entwurf allerdings die Pflicht des Leiters „einer solchen Versammlung“, den „von der Polizei im Interesse der öf­ fentlichen Sicherheit und des Verkehres getroffenen Anordnungen nachzukom­ men“, § 3 Abs. 2. Dafür verzichtete der Entwurf aber auf jegliche Strafbestimmung bei Zuwiderhandlung und sah auch eine Auflösung nur dann vor, wenn der Vorsit­ zende die Aufforderung zu strafbaren Handlungen in der Versammlung nicht ver­ hinderte oder Bewaffnete nicht entfernt wurden. Das Entsendungsrecht der Orts­ polizeibehörde blieb bestehen, wurde aber durch eine Regelung ergänzt, nach der sich die „Abgeordneten […] als solche bei dem Veranstalter der Versammlung­ legitimieren“ mussten, § 7. Der Entwurf nahm damit die Anknüpfung an die Orga­ nisationsidee auf, verzichtete aber darauf, den Vorsitzenden abseits der, freilich bei Unterlassung folgenlosen, Anzeige sowie der Verhinderung der genannten Auf­ forderungen Pflichten aufzuerlegen oder gar diese mit Strafen zu bewähren. Die 487 „[…] Personen, welche sich die Agitation für die im § 1 Abs. 2 bezeichneten Bestrebungen zum Geschäfte machen […]“. 488 Daher der teils genutzte Plural „Sozialistengesetze“; letzte Verlängerung durch Gesetz vom 18.03.1888, RGBl. 1888, S. 109. 489 RT-Drs. 9/321, Anlage VI, S. 1723.

D. Über die Reichsgründung zum RVG

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Zentralgestalt nahm damit im Entwurf eine deutlich weniger bedeutsame Rolle ein. Sie erscheint eher neutral, wobei ihr gegenüber dem Staat, wenn auch geringe, Rechte zugestanden werden (Legitimation). Die XIII. Kommission, welche den Entwurf Rickerts ihren Beratungen der An­ träge Auer und Ancker zugrunde legte, beriet den Entwurf in insg. sechs Sitzun­ gen.490 Sie entschied sich zunächst, eine Beschränkung des Zugangs Minderjäh­ riger zu politischen Versammlungen zu ergänzen, § 1 Abs.  2 KommE,491 wollte der Polizei aber nur noch die Entfernung derselben, nicht mehr hingegen die Auflösung der gesamten Versammlung zugestehen.492 Diese wurde allerdings bzgl. des Unterlassens der Anzeige, § 2 Abs. 2 KommE, ergänzt493 und damit das Vorhandensein eines Veranstalters wieder strikter als im Entwurf vorausgesetzt. Das weite Begriffsverständnis der Kommission von der Versammlung verdeut­ lichte die Ergänzung der Ausnahmen für Prozessionen, Leichenbegängnisse etc., § 3 Abs. 4 KommE. Schließlich wurden auch die bereits aus den Landesgesetzen bekannten Informationsrechte der Zentralgestalt über die Auflösungsgründe wie­ deraufgenommen. § 9 KommE stellte aber klar, dass die Gründe vor der Auf­ lösung zu nennen waren. Im Übrigen erweiterte die Kommission den Entwurf vor allem um weitreichende Strafvorschriften, §§ 11 ff. KommE, etwa für denjeni­ gen, welcher eine Versammlung ohne Genehmigung veranstaltete, § 12 KommE. Interessant war hierbei insb., dass die Kommission eine bereits in § 4 KommE des Antrags von Auer und Genossen enthaltene Strafvorschrift zum Schutz der Ver­ sammlungsfreiheit aufnahm, § 11KommE. Hiernach galt: „§ 11 Abs. 1: Wer als Polizeibeamter oder als Abgeordneter der Polizei, den Bestimmun­ gen dieses Gesetzes entgegen, die Erteilung der Bescheidigung [der Anzeige oder Geneh­ migung] versagt oder eine Versammlung unberechtigter Weise auflöst, wird mit Geldstrafe bis zu 150 Mark belegt.“

Darüber hinaus reagierte die Kommission auch auf die bereits im Reichstag zur Sprache gekommenen Repressionsmaßnahmen der Polizei, welche sich nicht di­ rekt gegen Zentralgestalt oder Teilnehmer der Versammlung richteten: „§ 11 Abs. 2: Gleiche Strafe trifft denjenigen Polizeibeamten, welcher durch Versprechun­ gen oder Drohungen die Hergabe eines Versammlungslokals verhindert.“

Das Fazit des Kommissionentwurfs fällt damit zwiespältig aus. Zwar wurden, insb. durch § 11 Schutzmaßnahmen für die Versammlung aufgenommen, doch ent­ hielt der Kommissionsentwurf, anders als der Entwurf Rickerts wiederum das ge­ samte Arsenal der überkommenen Repressionsmaßnahmen. Entsprechend stand die Zentralgestalt wieder weit stärker im Fokus als im Rickert’schen Entwurf, die Anknüpfung an die Organisationsidee war damit hier, auch aufgrund der höheren Regelungsdichte, wieder stärker, ihre Bewertung blieb aber eher neutral. 490

RT-Drs. 9/321, S. 1695. Die Zusammenstellung ist abgedruckt im Kommissionsbericht, RT-Drs. 9/321, S. 1701–1703. 492 RT-Drs. 9/321, S. 1697. 493 RT-Drs. 9/321, S. 1695. 491

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

Die Offenheit des Entwurfs zur liberalen Seite dürfte ihn für die Konservativen im Reichstag kaum attraktiv gemacht haben, während die Aufnahme namentlich der Strafvorschriften Liberale wie Sozialdemokraten enttäuschte. Entsprechend scheiterte der Entwurf in der dritten Lesung im Reichstag.494 3. Vom Regierungsentwurf 1907 zum Entwurf der XIV. Kommission Die Reichsregierung führte als die sie leitenden Motive zur Vereinheitlichung der Landes-Vereins- und Versammlungsgesetze zwei Punkte an, die im Reichstag wiederholt vorgebracht wurden, nämlich zum einen die „Unhaltbarkeit mancher überlebter Bestimmungen“ und zum anderen die „Dehnbarkeit anderer sowie […] die Möglichkeiten einer verschiedenartigen Handhabung durch die Behörden oder die Verwendung von weniger geeigneten Beamten“

bei Versammlungen.495 Die Entwicklung des Versammlungsrechts habe eben „mit der Fortentwicklung des politischen Lebens nicht völlig standgehalten“, sodass es nun Zeit für eine „zeitgemäße Ausgestaltung im freiheitlichen Sinne“ sei.496 Da­ bei verzichtete die Reichsregierung allerdings nicht auf einen Hinweis, der sich in kaum gewandelter Form auch in der heutigen Literatur497 finden lässt, nämlich dass „die Beschränkungen, die das gemeine Recht allen Staatsbürgern auferlege, nicht einzelnen Personen gegenüber dadurch unwirksam werden könnten, daß diese von dem ihnen gewähr­ ten Vereins- und Versammlungsrechte Gebrauch machten“.498

Ziel war also eine freiheitlichere Ausgestaltung unter Berücksichtigung der Si­ cherheitsinteressen499 sowie der praktischen Erfahrungen aus den Ländern, zusam­ menfassend: Der Entwurf lehnt sich daher an die einzelstaatlichen Gesetze an, soweit diese sich bewährt haben, versucht indessen alle nicht mehr zeitgemäßen Beschränkungen sowie diejenigen Bestimmungen zu beseitigen, welche an und für sich von minderer Wichtigkeit sind, aber in ihrer Handhabung als kleinlich empfunden wurden.

494

Verhandlungen des Reichstags, 9. LP, Sitzung am 17.06.1896, S. 2675. RT-Drs. 12/482, S. 16, 19. 496 RT-Drs. 12/482, S.  17. Zu den Hintergründen, warum die Versammlungsgesetzgebung nicht „völlig Schritt gehalten habe“ vgl. Kap. 2 D. I. 497 Positiv gewendet bei Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 20. 498 RT-Drs. 12/482, S. 17. Aufnehmend Delius, Deutsches Vereinsrecht und Versammlungs­ recht, 1908, S. 262. 499 Vgl. a. RT-Drs. 12/482, S.  31: „Durch die Möglichkeit des Zusammenströmens un­ begrenzter Menschenmengen bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel kann in besonderem Maße eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hervorgerufen werden.“ sowie „Schutze des unbeteiligten Publikums“. 495

D. Über die Reichsgründung zum RVG

121

Der Auffassung, dass eine gänzliche Streichung versammlungsrechtlicher Vor­ schriften zu einem „Mehr“ an Freiheit führe, trat die Regierung entgegen.500 Der Regierungsentwurf stellte dann auch eher eine Zusammenstellung des­ sen dar, was man in den Ländern als Extrakt der für sinnvoll gehaltenen Regelun­ gen finden konnte.501 Dabei strebte die Regierung eine deutliche Reduzierung der vom RVG erfassten Versammlungen an. Insb. sollten „rein private Versammlun­ gen von beschränkter Teilnehmerzahl“ sowie die „Erörterung privater Interessen, rein wissenschaftlicher Streitfragen und dergleichen, selbst wenn sie öffentlich er­ folgt“, nicht mehr unter die Vorschriften zur „Ausübung des Versammlungsrecht“ fallen.502 Während der Versammlungsbegriff des einfachen Versammlungsrechts also breit blieb,503 etwa beim Zugeständnis des Versammlungsrechts in § 1 des Ent­ wurfs, wurden dessen Möglichkeiten zur „Einwirkung auf die öffentlichen Versammlungen, in denen öffentliche Angelegenheiten er­ örtert werden sollen, beschränkt und daneben nur noch öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge auf öffentlichen Straßen und Plätzen der behördlichen Rege­ lung unterstellt.“504

Den wesentlichsten Schritt in Bezug auf die Ordnungsidee traf der Regierungs­ entwurf dabei mit der Festschreibung der Pflicht zur Bestellung eines Leiters, § 5 Regierungsentwurf (RegE). Der Entwurf hielt es dabei für „unbedenklich“ die­ ses rechtlich festzuschreiben, denn es gehöre das „Vorhandensein einer Leitung […] so sehr zu den Voraussetzungen für eine geregelte Füh­ rung der Verhandlungen und die Aufrechterhaltung der Ordnung, daß kaum eine Versamm­ lung ohne Leitung stattfinden wird“,

dabei bestehe „ein staatspolizeiliches Interesse nur darin […] daß die Versammlung überhaupt eine Lei­ tung besitzt, während die Art und Weise ihrer Berufung in dieser Hinsicht belanglos ist“.505

Obwohl damit anerkannt wurde, dass der Funktion des Leiters durchaus „ein­ öffentliches Interesse“506 bezogen auf die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ord­ nung in der Versammlung zugrunde liegt, verzichtete der Entwurf darauf, dem Leiter die zur Aufrechterhaltung der Ordnung erforderlichen Mittel zur Seite zu stellen, ­wobei die Regierungsbegründung, berücksichtigt man deren Ausführun­ gen zum „öffentlichen Interesse“, zu einer überraschenden Begründung kommt: 500

RT-Drs. 12/482, S. 19. Entsprechend zitiert die Regierungsbegründung eher Landesgesetze, als ihren eigenen Entwurf darüber hinaus argumentativ zu begründen. 502 RT-Drs. 12/482, S. 29. 503 Vgl. auch Ausnahme für „gewöhnliche Leichenbegängnisse“ und „Züge der Hochzeits­ versammlungen“, § 4 RegE. 504 RT-Drs. 12/482, S. 29. 505 RT-Drs. 12/482, S. 32. 506 RT-Drs. 12/482, S. 32. 501

122

Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

„Die Regelung der Stellung und der Befugnisse des Leiters gegenüber den einzelnen Teil­ nehmern an der Versammlung […] fällt an sich nicht in den Rahmen des Entwurfs. Es ist da­ her davon abgesehen, ihn mit bestimmten seiner Stellung und Aufgabe entsprechenden Be­ fugnissen auszustatten und ihn zur Durchführung seiner Maßregeln besondere, etwa den polizeilichen Befugnissen nachgebildete Zwangsmittel zur Verfügung zu stellen. Da eine ­öffentliche Versammlung lediglich ein Privatunternehmen darstellt, hat der Leiter zur Erfül­ lung seiner Aufgaben keine besonderen Befugnisse“.

Trotz der Inpflichtnahme verweigerte der Entwurf dem Leiter damit weiter Mittel und ließ ihn somit, abseits der „selbstverständlichen Befugnis“ zur Auflösung der Versammlung (§ 5 RegE) und gegebenenfalls des Hausrechts, ohne weiteren Schutz zurück.507 Der Schutz der Versammlungsfreiheit selbst stand damit deutlich zurück, beachtet man insb., so die Versammlung aufgelöst wurde, dass Nichtentfernen zu­ gleich wieder als strafbar erklärt wurde (§ 10 RegE) und zwar unabhängig davon, ob die Polizei oder der Leiter die Auflösung ausgesprochen hatten.508 Der Entwurf vertraute vielmehr darauf, „daß die Teilnehmer sich am willigsten einer von ihnen selbst bestellten Autorität fügen werden“ und sich so der dem Leiter obliegenden „Versammlungsdisziplin“ beugen würden.509 Dieses war auch insoweit konsequent, als der Entwurf ein möglichst hohes Maß an Autonomie der Versammlung zu er­ reichen und – dem Verständnis als staatsfreie „Privatsache“ folgend – die Polizei aus den Auseinandersetzungen der Versammlungen herauszuhalten suchte: „Weder für die überwachenden Beamten noch für sonstige polizeiliche Organe liegt ohne weiteres ein Anlaß vor, für das Gelingen oder den sachgemäßen Verlauf einer Versamm­ lung tätig einzugreifen. Sie haben sich vielmehr grundsätzlich jeder Einwirkung in Mei­ nungsverschiedenheiten des Leiters mit den Teilnehmern oder der Teilnehmer untereinander zu enthalten, soweit nicht etwaige Ausschreitungen nach den allgemeinen Regeln ein po­ lizeiliches Einschreiten erforderlich machen. Eine etwaige Bitte des Leiters um Unterstüt­ zung bei den zur Erhaltung der Ruhe und Ordnung erforderlich werdenden Maßnahmen ge­ gen einzelne Teilnehmer wird daher unter dem Gesichtspunkt eines von einer Privatperson ausgehenden Ersuchens polizeilichen Einschreitens zu beurteilen sein. Eine Verpflichtung des überwachenden Beamten, als solchen, zur Unterstützung des Versammlungsleiters be­ steht somit nicht.“510

Doch trotz dieses Ansatzes und obwohl die Landesgesetze durchaus die Mög­ lichkeit kannten, Ordner einzusetzen, blieben diese im Entwurf unerwähnt. Ging es hingegen um die Verantwortlichkeit, wurde der Leiter wieder nach vorn gestellt, so sei für die Frage der Auflösung der Grund „nicht so sehr in der Verfehlung des einzelnen, wie in dem Umstande zu erblicken, daß der Leiter der Ausschreitung nicht wirksam entgegentritt und damit die Verantwortung dafür auf sich und die von ihm vertretene Versammlung überträgt.“511 507

RT-Drs. 12/482, S. 32. RT-Drs. 12/482, S. 33. 509 RT-Drs. 12/482, S. 35. Entsprechend war die Auflösungsbefugnis der Polizei subsidiär ge­ dacht, ebd. 510 RT-Drs. 12/482, S. 36. 511 RT-Drs. 12/482, S. 38. 508

D. Über die Reichsgründung zum RVG

123

Dieses Verständnis hat sich, namentlich bei der Auslegung des Begriffs der Friedlichkeit, bis heute erhalten. Bezogen auf die Aufrechterhaltung der öffent­ lichen Sicherheit nach außen ist demnach die kritische Bezeichnung der Rolle des Leiters im RVG als „Hilfsorgan“ der Polizei (Ridder) zumindest nicht ganz von der Hand zu weisen.512 Die XIV. Kommission übernahm die Vorschläge und die darin ausgesproche­ nen Anknüpfungen an die Wertungen der Organisationsidee in ganz wesentlichem Umfang in ihren Entwurf, fügte jedoch auch einige nicht unbedeutsame Ände­ rungen hinzu, wodurch der Entwurf in Teilen liberaler wurde, etwa durch die Beschränkung der Anzeigepflichten von Versammlungen in „öffentlichen Ange­ legenheiten“ zu „in politischen Angelegenheiten“, § 1 KommE.513 Insb. betonte die Kommission die Rolle des Veranstalters stärker, dem entgegen dem Entwurf nun die Möglichkeit über die Leitung zu bestimmen selbst zugesprochen wurde, wodurch die Zentralgestalt gegenüber den Teilnehmern deutlich in den Vorder­ grund gesetzt wird, § 5 KommE.514 Zur Stärkung der Zentralinstanz gehört auch die Aufnahme des Rechts, den Auflösungsgrund zu erfahren in § 9 KommE, ver­ bunden mit der Möglichkeit der Anfechtung der Auflösung, § 9a KommE. Im Vergleich zum Entwurf der Regierung stärkte der KommE, dem sich der Reichstag umfänglich anschloss, demnach die Person des Veranstalters, er ver­ zichtete aber wie schon der Regierungsentwurf darauf, dem Leiter weitere Mit­ tel zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung in der Versammlung an die Hand zu geben.515 4. Die Beratungen des Reichstags zum RVG In der ersten Beratung des Reichstags wurde bereits der weitere Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens deutlich. Dies galt sowohl für die Dauer der Beratung, die bereits hier drei Tage in Anspruch nahm,516 als auch für ihre Schwerpunkt­ themen.

512

Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn. 50. Sowie Verpflichtung eine Bescheinigung über die Anzeige auszustellen („ist“, § 3 KommE, statt „soll“, § 3 RegE); Verkürzung des Vorlaufs der Genehmigung (von 48 auf 24 Stunden, § 4 RegE/KommE); Streichung des Begriffs der „öffentlichen Ordnung“ (§ 4 KommE/RegE). Vgl. auch die Ausdifferenzierung und Minderung der Strafen, §§ 11 RegE, 11 und 11a KommE. 514 Hierhin geht auch die Möglichkeit des Veranstalters – nicht des Leiters – im Voraus Aus­ nahmen vom Sprachenparagraphen anzustreben, § 7 KommE. 515 Daher geht auch die Einschätzung Ridders, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung, Rn.  50, fehl, der Leiter sei als „Beliehener“ zu verstehen. Die­ ses scheitert weiter auch daran, dass namentlich das Auflösungsrecht, das § 10 S. 4 RVG an­ sprach, als bereits „selbstverständlich“ vorausgesetzt und nicht erst durch das RVG zuerkannt wurde. 516 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, 69.–71. Sitzung am 09.–11.12.1907. 513

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

Gelobt wurde einhellig die Gleichstellung517 von Mann und Frau durch den Ent­ wurf sowie der Ansatz, das Versammlungsrecht zu vereinheitlichen.518 Umstritten waren hingegen die Fragen der Möglichkeit und Notwendigkeit einer Definition der öffentlichen bzw. politischen Angelegenheiten519 sowie die Frage der Betei­ ligung Minderjähriger an Versammlungen520. Dieses galt auch für die Rechte der Ausländer521 sowie namentlich für die Verpflichtung zur Nutzung der deutschen Sprache in § 7 RegE522. Die Anknüpfung an die Organisationsidee fand dabei be­ sondere Beachtung in der Form, als die einzuführende Leiterpflicht des § 5 RegE kritisch hinterfragt wurde. Dabei ging es allerdings nicht um die Anknüpfung an sich, sondern um die konkreten Folgen einer solchen Regelung. Während von Bethmann Hollweg den Fortschritt herausstellte, der es „zu sein scheint, wenn der Entwurf die Handhabung der Versammlungspolizei in erster Linie dem Leiter der Versammlungen überträgt und die Behörde erst dann einschreiten läßt, wenn der Leiter nicht die Macht oder den Willen hat, die Wahrung des Gesetzes durchzusetzen“,523

äußerste Dietrich524 bedenken, dass die Leiterpflicht zu „einer Unfreiheit in den Versammlungen führt, zu einer Vergewaltigung der Minorität in den Fällen, wo diejenige Partei […] die die Versammlung berufen hat, nicht die Mehrheit in ihr hat.“

Daher forderte er, dass die Versammlungsleitung bereits im Voraus bestimmt wer­ den können müsse.525 Von anderer Seite wurde die Leiterpflicht als „bureaukrati­ sche Schablonisierung“ angegriffen,526 während wieder andere die Vorschrift für „weniger belangreich“527 hielten und so zumindest in der Generaldebatte nicht wei­ ter drauf eingingen. Der Abgeordnete Heine hielt die Leiterpflicht dagegen nicht nur für „ganz überflüssig“ sondern gar für „sehr gefährlich“, da er befürchtete, dass nunmehr „jedes Biertischgespräch als Versammlungen angesehen“ würde und in Folge mangels eines Leiters möglicherweise Strafen folgen könnten.528 Diese An­ sicht spiegelte letztlich die Sorge vor Behördenwillkür wider, welche die Beratun­ 517

Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 09.12.1907, S. 2098, 2112; Verhand­ lungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 10.12.1907, S. 2130. 518 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 10.12.1907, S. 2130; Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 11.12.1907, S. 2161. 519 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 09.12.1907, S. 2094, 2101 f., 2116. 520 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 09.12.1907, S. 2092 f., 2097, 2112. 521 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 09.12.1907, S. 2099. 522 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 09.12.1907, S. 2094, 2098, 2105; Ver­ handlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 10.12.1907, S. 2126, 2153; Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 11.12.1907, S. 2171, 2177, 2183. 523 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 09.12.1907, S. 2094. 524 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 09.12.1907, S. 2096. 525 Dietrich, Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 09.12.1907, S. 2096. 526 Trimborn, Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 09.12.1907, S. 2013. 527 Hieber, Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 09.12.1907, S. 2110. 528 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 09.12.1907, S. 2118.

D. Über die Reichsgründung zum RVG

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gen begleitete,529 zumal der Begriff „Versammlung“ selbst stets weit530 verstanden wurde. So gingen dann auch die Ansichten darüber auseinander, ob der RegE für das gesamte Reich betrachtet eine freiheitlichere oder weniger freiheitliche Rege­ lung gegenüber den Landesgesetzen darstellte.531 Unter diesen Vorzeichen wurde der Entwurf der Kommission überwiesen.532 Der aus den Beratungen der Kommission hervorgegangene Entwurf, welcher wesentlich einen Kompromiss darstellte,533 wurde zwar einhellig als Verbesserung gegenüber dem RegE angesehen,534 konnte aber die Wogen in den wesentlichen Streitfragen nicht glätten. Dies galt insb. für die Sprachenfrage, welche den mit Abstand weitesten Raum in den Beratungen einnahm und die noch in der dritten Beratungen eine Spezi­ aldiskussion erhielt.535 Die teils tiefen Gräben zwischen Opposition und „Block­ parteien“ zeigten sich auch weiterhin an den Auseinandersetzungen um die Be­ teiligung Minderjähriger.536 So blieb es auch nach dem Kommissionentwurf beim Lob der Gleichstellung537 und der Rechtsvereinheitlichung538 einerseits und den gegenläufigen Einschätzungen über die „Freiheitlichkeit“ bzw. „Liberalität“ des Gesetzes andererseits.539 Das dabei in der Debatte die kritischen Würdigungen deutlich die Mehrheit bil­ deten, das Gesetz aber schließlich dennoch unverändert nach den Vorschlägen der Kommission angenommen wurde, erklärte sich aus der Quasiverweigerung der 529

Vgl. etwa Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 09.12.1907, S. 2016; Ver­ handlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 03.04.1908, S. 4602, 4610, 4626; Verhandlun­ gen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 04.04.1908, S. 4700; Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 08.04.1908, S. 4821. 530 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 02.04.1908, S. 4560; Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 03.04.1908, S. 4610. 531 Verhandlungen des Reichstags, 12.  LP, Sitzung am 09.12.1907, S.  2105; Verhandlun­ gen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 11.12.1907, S. 2161, 2165; anders Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 09.12.1907, S. 2129. 532 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 11.12.1907, S. 2187. 533 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 02.04.1908, S. 4565; Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 08.04.1908, S. 4799. 534 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 08.04.1908, S. 4789. 535 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 04.04.1908, S. 4637, 4639, 4681; Ver­ handlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 08.04.1908, S. 4825 ff. 536 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 02.04.1908, S. 4576; Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 06.04.1908, S. 4701, 4706; Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 08.04.1908, S. 4835 ff. 537 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 02.04.1908, S. 4558. 538 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 08.04.1908, S. 4803. 539 Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 02.04.1908, S. 4565 f.; Verhandlun­ gen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 03.04.1908, S. 4600; Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 06.04.1908, S. 4700; Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 08.04.1908, S. 4790; anders: Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 02.04.1908, S.  4596, 4598, 4601, 4606; Verhandlungen des Reichstags, 12.  LP, Sitzung am 06.04.1908, S. 4701; Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 08.04.1908, S. 4789, 4807.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

Diskussion der „Blockparteien“, wie sie etwa Müller (Meiningen) bereits zu Be­ ginn der zweiten Beratung ankündigte: „Wir werden keinerlei neue Anträge zu diesem Gesetzentwurf selbst stellen und werden uns nur auf die absolut notwendige Abwehr von Angriffen gegen uns beschränken.“540

Für die Anknüpfung an die Idee der organisierten Versammlung bleibt schließlich festzuhalten, dass sich die Kommission der Kritik am RegE angenommen541 und die Leitungspflicht entsprechend schützend für die vorbereitend planende Zentral­ instanz ausgestaltet hatte, eben damit „die Versammlung den Charakter behalte, der im Willen des Veranstalters liege.“542

Diese Ausgestaltung wurde im Reichstag nicht mehr angegriffen. 5. Entstehung und Inhalt des RVG in Literatur und Rechtsprechung Die Entstehung des RVG wurde seitens der Literatur in nicht geringem Umfang begleitet.543 Entsprechend der unterschiedlichen im Reichstag vertretenen Ansich­ ten herrschten und herrschen auch in der Literatur durchaus entgegengesetzte Auf­ fassungen über den Charakter bzw. das Gelingen des Gesetzes, wobei zumeist eine verhaltene Zustimmung unter dem Begriff „Kompromiss“ vertreten wurde,544 wäh­ rend in neuerer Zeit zumindest vergleichend die positive Deutung überwiegt.545 540

Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 02.04.1908, S. 4564. RT-Drs. 12/819, S. 4859 f. 542 RT-Drs. 12/819, S. 4859. Aus diesem Grund behielt der Reichstag auch die Entfernungs­ pflicht nach Auflösung der Versammlung, sei es durch den Leiter oder die Behörde, trotz er­ heblicher Kritik, wiederum angeknüpft an die behördliche Praxis, Verhandlungen des Reichs­ tags, 12. LP, Sitzung am 03.04.1908, S. 4626; Verhandlungen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 06.04.1908, S. 4700, bei. 543 Etwa Altmann, PrVBl. 1908, 361 und 637; Laband, DJZ 1908, 1. 544 Etwa von Jan, Vereinsgesetz, 1931, S. 8: „Kompromiß zwischen konservativen und libe­ ralen Gedanken“; gegen das Wort Kompromiss Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn.  51; Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1933, S. 566: „im allgemeinen von freiheitlichem Geiste getragen“, ebenso Delius, in: Nipperdey, Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, 1930, S. 139. Zu den Ausführungsvor­ schriften in Preußen, namentlich des Ministererlasses vom 13.05.1908. Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 330 ff. Auch dieser zeige einen „bemerkenswert liberalen Geist“ (Brecht, ebd., S. 330). So verbietet der Erlass in Nr. 15 etwa die Befugnisse nach § 13 RVG „in kleinlicher und lästiger Weise“ auszunutzen. Ein Einschreiten gegenüber Versammlungen dürfe „niemals in kleinlicher und unnötig rügender Weise erfolgen“ (nach Nr. 21). Kritischer Vorwärtsverlag, Vereinsrecht und Polizei, 1908, S. 10, der Entwurf könne seine „Herkunft als Kind der unnatürlichen Paarung zwischen Konservativ und Liberal nicht verleugnen“ und sei „nichts Ganzes, weder entschieden freiheitlich noch entschieden reaktionär“, mithin, zitierend den Abgeordneten Heine, ein „Kuhhandel“, S. 11. 545 Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, 1975, S.  189 „zwar polizeirecht­ liche, seinerzeit indessen gleichwohl besonders freiheitliche Regelung“; einschränkend dagegen­ 541

D. Über die Reichsgründung zum RVG

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Diese Polarisierung, die bereits den Gesetzgebungsprozess begleitet hatte, setzte sich auch innerhalb der Literatur fort, was sich etwa an der Kommentierung Adolphs zeigen lässt, dem von der einen Seite eine „zu reaktionäre“, von der ande­ ren hingegen eine „zu liberale“ Auslegung vorgehalten wurde.546 Die Einstellung der Literatur zur Organisationsidee selbst blieb neutral, na­ mentlich in Bezug auf die neu eingeführte Leiterpflicht äußerst knapp und weit­ gehend auf der Stufe der Wiedergabe des Kommissionsberichts sowie der Recht­ sprechung,547 welche bereits zur VO 1850 oder dem Sozialistengesetz ergangen war, beschränkt. Zu den Kommentierungen zur VO 1850 bestanden folglich kaum Unterschiede.548 Eine Verschiebung bzgl. der Rolle von Veranstalter und Leiter be­ schrieb allerdings Stier-Somlo, indem er davon ausging, dass ein auf Veranlas­ sung des Veranstalters durch die Versammlung gewählter Leiter nicht mehr durch diesen „abgesetzt“ werden könne, anders als bei einem durch den Veranstalter be­ stimmten Leiter.549 Hier war bereits der Ansatz einer, in diesem Fall die Rechte der Teilnehmer gegenüber der Zentralgestalt stärkenden, Systembildung zu sehen, die der Reichstag zu § 10 noch verweigert hatte. Dazu gehören auch die Überlegun­ gen zum „Aufschwingen“ einer Person zum Leiter bzw. der Wahl eines Leiters gegen den Willen des Veranstalters, wobei Stier-Somlo für beide Fälle einen Leiter i. S. d. RVG nicht gegeben sah, sodass dem Veranstalter zumindest die Möglichkeit blieb, die ihm entglittene Versammlung selbst aufzulösen.550 Für die Bedeutung des § 10 hob Adolph551 besonders hervor, die „Freiheit des Veranstalters in der Bestellung des Leiters ist überaus wichtig, da sie ihm das Mittel in die Hand gibt der Versammlung denjenigen Charakter zu erhalten, den sie nach sei­ nem Willen haben soll.“

Dieses stellte nach Adolph insb. eine Verbesserung zu § 4 des königlich sächsi­ schen Gesetzes dar, der einen von der Versammlung „als solchen anerkannten […] Leiter“ verlangt habe.552 Hier war also, zumindest bezogen auf das Königreich Sachsen, eine Stärkung des Veranstalters erfolgt. Die Strafvorschriften, insb. bei Müller, Wirkungsbereich und Schranken der Versammlungsfreiheit, 1974, S. 34, „zumindest übertrieben“ m. w. N.; Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 64: „wesentlich li­ beralere Züge, als die meisten Versammlungs- und Vereinsgesetze der Länder, die aufgegeben wurden“; Gaßner, Die Rechtsprechung zum Versammlungsrecht, 2012, S. 7 „erster Schritt zur Überwindung des repressiven Polizeistaates“. 546 Adolph, Vereinsgesetz, 1914, Vorwort S. VII. 547 Etwa Delius, Deutsches Vereinsrecht und Versammlungsrecht, 1908, S. 460–462 zu § 10 RVG. Deutlich strukturierter, aber vergleichbar in der Ausführlichkeit Stier-Somlo, Reichsver­ einsgesetz, 1909, S. 155–160 zu § 10. 548 Insb. zeigt sich dieses bei Delius, Das preußische Vereins- und Versammlungsrecht, 3. Aufl., 1905 die zu Delius, Deutsches Vereinsrecht und Versammlungsrecht, 4. Aufl., 1908 wurde. 549 Stier-Somlo, Reichsvereinsgesetz, 1909, S. 157. 550 Stier-Somlo, Reichsvereinsgesetz, 1909, S. 158. 551 Adolph, Vereinsgesetz, 1914, S. 223. 552 Adolph, Vereinsgesetz, 1914, S. 223.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

Verstößen gegen die Anzeige- und Genehmigungspflicht, wurden allgemein als „angemessen“ angesehen.553 Zusammenfassend betrachtet sind die Kommentierungen im Wesentlichen un­ tereinander austauschbar und abseits der Zusammenstellung des Materials aus den Drucksachen wenig weiterführend. Eine Ausnahme bietet etwa die, auch kommen­ tierende, Schrift „Vereinsrecht und Polizei“, die den vielsagenden Untertitel „Eine Denkschrift gegen die Verpreußung und Versächselung des deutschen Vereins- und Versammlungsrechtes“

trägt und 1908, noch zum Regierungsentwurf des RVG, die sozialdemokratische Sichtweise darstellt. Hierbei steht allerdings die Schilderung von Fallbeispielen aus Behördenpraxis und Rechtsprechung im Vordergrund. Dabei wird insb. deut­ lich, wie schnell sich die Zentralgestalt strafbar machen konnte.554 Die Rechtsprechung, welche den Kommentierungen – bis auf diese Ausnahme stets unhinterfragt – zugrunde lag und welche zuvor in die Beratungen eingeflos­ sen war, hatte bereits vor Inkrafttreten des RVG eine Vielzahl von Entscheidungen zum Versammlungsrecht, namentlich zur VO 1850, getroffen.555 Diese haben auch die Anknüpfung an die Organisationsidee weiter ausdifferenziert. So trennte das KG zwischen der Tätigkeit als Vereinsvorstand und der Tätig­ keit in einer Versammlung des Vereins, indem es erklärte, dass ein Vereins­vorstand nur aufgrund seiner Anwesenheit nicht automatisch auch Vorsteher oder Leiter der Versammlung sei.556 Auch stellte das KG fest, dass eine Versammlung ihre Eigen­ schaft als „ordnungsgemäß angemeldet“ nicht dadurch verliere, dass nicht der Un­ ternehmer selbst, sondern eine andere Person „in Vertretung des Unternehmers und als Leiter“ die Versammlung eröffne.557 Hierdurch waren die Rollen der Zen­ tralgestalt zumindest teilweise flexibilisiert. Kleinere Versammlungen wollte das KG sogar ganz von Anzeigepflichten ausnehmen, da man bei diesen nicht von „Einberufern“ oder „Unternehmer“ sprechen könnte.558 Besondere Bedeutung kam in diesem Bereich auch der Rechtsprechung zum Hausrecht zu. So stand nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts dem Ver­ 553

Etwa Stier-Somlo, Reichsvereinsgesetz, 1909, S. 205 ff. m. w. N., auch zum Verschulden bei Unterlassen der Anzeige, S. 212 ff. 554 Etwa zur Erklärung gegenüber einer Gruppe, eine Versammlung nicht abzuhalten, als Ab­ halten einer Versammlung, S. 44, auch S. 50 f. zur Anzeigepflicht. Zu den Worten „Möge dir die Erde leicht sein.“ am Grab eines Töpfers als „außergewöhnliches Leichenbegängnis“, S. 58, zum Spazierstock als „Versammlung Bewaffneter“, S. 67. 555 Etwa zum Begriff der öffentlichen bzw. politischen Angelegenheiten, Nachweise bei Adolph, Vereinsgesetz, 1914, S. 131 ff. 556 KG, DJZ 1904, 948, nach Delius, Deutsches Vereinsrecht und Versammlungsrecht, 1908, S. 461. 557 KG, Johow, Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts, Bd. 11 (1890), S. 299. 558 KG, DJZ 1903, 83, nach Delius, Deutsches Vereinsrecht und Versammlungsrecht, 1908, S. 412.

D. Über die Reichsgründung zum RVG

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sammlungsleiter das Hausrecht bei einer Versammlung in einem Gasthaus auch dann zu, wenn dieses durch den Wirt nicht explizit übertragen worden war.559 Die­ ses wiederum hatte Auswirkungen etwa auf die Strafbarkeit wegen Hausfriedens­ bruch (§ 123 RStGB),560 die mangels Schutznormen für die Versammlung wichtig war. So sah dann auch das PrOVG das Hausverbot als Schutzmöglichkeit, etwa ge­ gen Gegner einer bestimmten Partei, an.561 Diesen Entscheidungen über das Haus­ recht kam auch in den Beratungen der XIV. Kommission Gewicht zu, ging diese doch davon aus, dass, so das Hausrecht nicht beim Leiter der Versammlung liege, ihm also die Auflösungsbefugnis besonders zugesprochen werden müsse.562 Dass die Gerichte dabei davon ausgingen, dass auch dann, wenn für die Beam­ ten ein Leiter oder Veranstalter nicht erkennbar war, dieser dennoch als vorhanden vorausgesetzt wurde, zeigte sich etwa in der Formulierung des Reichsgerichts, dass es der Weigerung eines Leiters eine Versammlung aufzulösen gleichkäme, wenn die Versammlung den Abgeordneten die „Bezeichnung“ des Leiters verweigerte.563 Diese ausgestaltende Rechtsprechung setzte sich auch nach Erlass des RVG fort, etwa als das Reichsgericht erklärte, dass es neben der Möglichkeit der Benennung eines Leiters und der Wahl durch die Versammlung auch eine dritte Möglichkeit gäbe, nämlich die eines faktischen Leiters, als demjenigen, welcher etwa „wäh­ rend des Aufzugs die Zugrichtung angibt“.564 Dabei konnte ein wesentlicher Punkt für die Schaffung eines einheitlichen RVG, die Herstellung möglichst gleicher Handlungsmaßstäbe auch der Behörden, na­ mentlich durch die unterschiedliche Spruchpraxis der Gerichte, auch nach Erlass des RVG nicht erreicht werden.565

V. Zwischenergebnis Das RVG knüpfte demnach noch stärker, aber vor allem positiver an die Idee der organisierten Versammlung an. In der Kontinuität zu seinen Vorgängerregelungen liegt dann auch zumeist der Schwerpunkt der Kritik am RVG. So verhält es sich etwa bei Ridder, der meint, es sei lediglich das preußische Recht „zum Reichs­ 559

RGSt 24 (1893), 194 ff. RG, Urt. v. 03.06.1905, GA 52, 320. 561 PrOVG, Urt. v. 30.09.1898, nach Stier-Somlo, Reichsvereinsgesetz, 1909, S. 159. 562 Kommissionsbericht der XIV. Kommission, RT-Drs. 12/819, S. 76, zustimmend und da­ her für die Aufnahme eines entsprechenden Satzes auch die Reichstagsmehrheit, Verhandlun­ gen des Reichstags, 12. LP, Sitzung am 03.04.1908, S. 4625–4627. 563 RGSt 26 (1895), 395. 564 RGSt 44 (1911), 370 (373). Für die Urteile ist zu beachten, dass sie in der Regel eine er­ weiterte Strafmöglichkeit zur Folge hatten. Zum sog. faktischen Leiter im Rahmen des VersG vgl. Kap. 3 B. I. 3. e). 565 Adolph, Vereinsgesetz, 1914, Vorwort S. VIII m. w. N. Eine Auswertung hierzu steht aus. Sie wird dadurch erschwert, dass das RVG nur elf Jahre galt und sodann in den Nachwehen der Revolution überhaupt seine Geltung in Frage stand. 560

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

gesetz erhoben“ worden.566 Doch wenn auch das RVG „in vielen Punkten ja nur allzu unverkennbar“567 an das preußische Recht angelehnt war, so darf man dabei die wesentliche Bedeutung der nunmehr positiveren Anknüpfung an die Organisa­ tionsidee nicht außer Acht lassen. Hieraus und gerade auch vor dem historischen Hintergrund kann das RVG damit zu Recht als „wichtigste gesetzgeberische Leis­ tung des ‚Bülow-Blocks‘“568 bezeichnet werden. Auch blieb es grds. zunächst bei einem weiten Versammlungsbegriff, auch wenn etwa, anders als noch in § 4 RegE, nun in § 9 RVG nicht mehr von „Hochzeitsversammlungen“ sondern von „Hoch­ zeitsgesellschaften“ gesprochen wurde. Dieses blieb eine echte Ausnahmevor­ schrift, begründet durch die Weite des Begriffs.569 Viel zentraler als die Begriffe blieb für die Gesetzgebung ohnehin die Orientierung an der Idee der organisier­ ten Versammlung.

E. Zwischen Revolution und Notverordnung Das RVG bestand in seiner angedachten Form wie auch die Umgebung, für die es geplant war, nur wenige Jahre. Bereits mit dem Kriegsbeginn 1914 änderte sich die Situation grundsätzlich, was in Folge des sog. Burgfriedens auch politisch galt. Nachdem noch während des Krieges drei Änderungen570 beschlossen wurden – un­ ter anderem die Streichung des noch in den Beratungen meistumstrittenen „Spra­ chenparagraphen“, § 17 RVG – folgte mit dem Beginn der Revolution im Oktober 1918 und insb. dem „Aufruf des Rates der Volksbeauftragten“ eine Zeit größter Unsicherheit, in der die Möglichkeit zur Veranstaltung von und Teilnahme an Ver­ sammlungen wie auch des staatlichen Einflusses auf diese nicht mehr vom Ge­ setz, sondern vom „Machtstand“571 im jeweiligen Gebiet abhing. Zwar sollte es nur ­Monate später wieder Grundrechte geben, doch vermochten diese kaum zu wir­ ken, während das Versammlungsrecht zwischen Belagerungszustand, Notverord­ nungen, Republikschutzgesetzen und schließlich wieder Notverordnungen hin und her schwankte. Zu einem versammlungs(freiheits)rechtlichen „Normalzustand“, wie ihn das RVG vorgesehen hatte und der zudem reichsweit gegolten hätte, kam es nicht mehr. Entsprechend kompliziert fällt die Beurteilung der Orientierung an und Wertung der Organisationsidee für diese Zeit aus. 566

Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn. 50. Waldecker, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1932, § 104 S. 641. 568 Winkler, Geschichte des Westens, 2009, S. 1044. 569 Vgl. entsprechend auch §§ 20, 24 RVG sowie Anschütz, Verfassungsurkunde, 1912, S. 526; s.a. ebd., S. 519. 570 Gesetz zur Änderung des Vereinsgesetzes vom 26.06.1916, RGBl. 1916, S. 635 (§ 17a); Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst vom 05.12.1916, RGBl. 1916, S.  1333 (§ 14); Gesetz betreffend die Abänderung des Vereinsgesetzes vom 19.04.1917, RGBl. 1917, S. 361 (Streichung des § 12). 571 Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn. 59. 567

E. Zwischen Revolution und Notverordnung

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I. Versammlungsrecht zwischen Krieg und Revolution In die kurze Zeit der Geltung des RVG572 in seiner ursprünglichen Form fie­ len insb. die Berliner Wahlrechtsdemonstrationen vom 13.02, 27.02, 06.03. und 10.04.1910, deren Höhepunkt bei einer Teilnehmerzahl von etwa 250.000 Men­ schen erreicht war.573 Kleinere Demonstrationen hatte es bereits seit 1908 vermehrt gegeben.574 Beide Aspekte zeigten, dass mit dem RVG ein wesentlicher Schritt für die Versammlungsfreiheit getan worden war. Auch die Versammlungskultur war hier, ähnlich wie bei vielen Versammlungen des Vormärz,575 friedlich entwickelt und auf Reform statt Revolution orientiert. Theodor Heuss, der diese Versamm­ lungen als Zeitzeuge in Berlin miterlebte, kennzeichnete die Versammlungen so: „Der Sinn dieser Massendemonstrationen ist nicht die politische Aktion. Es wird hier nicht das Wahlrecht erobert.“576

So bestand für kurze Zeit ein vergleichsweise hohes Maß an Versammlungs­ freiheit. Doch bereits 1914 kam es mit der Verhängung des Kriegszustands577 wie­ der zu zahlreichen Versammlungsverboten aufgrund der Belagerungszustands­ gesetze578, wobei das Vorgehen zwischen den einzelnen Verantwortlichen sehr uneinheitlich war.579 Den wachsenden Unmut über die Beschränkungen der Ver­ sammlungsfreiheit konnten auch die verschiedenen Erleichterungen,580 etwa die Streichung des Sprachenparagraphen, nicht hemmen. Deutlich wird dieses etwa in den Reichstagsdebatten vom 06.–11.10.1917.581 Auch die wachsende Kriegs­ müdigkeit führte schließlich zu Streiks und Unruhen, die sich auch in Massen­ kundgebungen, etwa in Treptow, Bahn brachen.582 Die Regierung reagierte h­ ierauf 572 Die Ministerialerlasse und Ausführungsvorschriften für Reich und Länder finden sich etwa bei Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 330; von Bitter, in: von Bitter/Drews, Handwörterbuch der preußischen Verwaltung, 1928, S. 895; Stier-Somlo, Reichsvereinsgesetz, 1909, S. 244. Zur Kritik an der Vollzugspraxis des RVG von Jan, Vereinsgesetz, 1931, S. 10. 573 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. IV, 1994, S. 378. 574 Warneken, in: Warneken, Massenmedium Straße, 1991, S. 97, 99 m. w. N. in Fn. 5. 575 Vgl. Kap. 2 B. I. und C. I. 1. 576 Zitat bei Warneken, in: Warneken, Massenmedium Straße, 1991, S. 101. 577 Kaiserliche Verordnung über die Verhängung des Kriegszustands vom 31.07.1914, RGBl. 1914, S. 263. 578 Etwa Preußisches Gesetz über den Belagerungszustand vom 04.06.1851, PrGS 1851, S. 451; das RVG hatte diese in § 24 ausdrücklich bestehen lassen. 579 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. V, 1992, S. 41, 50 f., 55 f.; Ridder, in: Ridder u. a., Ver­ sammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn. 53. Beispiele für Versammlungsverbote und Ausweitung der Anzeigefristen bereits um den Jahreswechsel 1914/15 finden sich in RGSt, JW 1916, 854. 580 Gesetz zur Änderung des Vereinsgesetzes vom 26.06.1916, RGBl. 1916, S. 635 (§ 17a); Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst vom 05.12.1916, RGBl. 1916, S.  1333 (§ 14); Gesetz betreffend die Abänderung des Vereinsgesetzes vom 19.04.1917, RGBl. 1917, S. 361 (Streichung des § 12). 581 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. V, 1992, S. 373 sowie RT-Drs. 13/1050 und 13/1051. 582 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. V, 1992, S. 441.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

mit der Verhängung eines verschärften Belagerungszustandes.583 Doch auch die Verbindung von Verboten einerseits mit Reformen hin zu einer Liberalisierung584 andererseits können letztlich nicht verhindern, dass sich  – wesentlich aus Ver­ sammlungen –585 mit dem Kieler Matrosenaufstand am 29.10.1918 die Revolu­ tion entwickelte.586 Der Erlass des Kriegsministers Scheüch vom 02.11.1918587, eine Art „verkürzte Version des RVG“,588 erlangte so auch bis zur Ausrufung der Republik keine praktische Wirkung mehr, außer derjenigen, dass er die Deutung zuließ, die Genehmigungspflicht sei abgeschafft.589 Im Übrigen waren zu diesem Zeitpunkt die Behörden, jedenfalls in den Großstädten, ohnehin nicht mehr in der Lage, „von ihren Eingriffsrechten in das Versammlungsgeschehen wirksam Ge­ brauch zu machen“.590 Mit dem „Aufruf des Rates der Volksbeauftragten“, dem Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt591 sowie dem Übergangsgesetz zur Natio­ nalversammlung592 wurde die kurze Revolution bereits wieder „eingefangen“ und es begann der Übergang zur Republik.

II. Der Aufruf des Rates der Volksbeauftragten Datiert auf den 12.11.1918 verkündete der „Rat der Volksbeauftragten“ seinen Aufruf „An das deutsche Volk“593: „Die aus der Revolution hervorgegangene Regierung, deren politische Leitung rein sozia­ listisch ist, setzt sich die Aufgabe, das sozialistische Programm zu verwirklichen. Sie ver­ kündet schon jetzt mit Gesetzeskraft folgendes: 1. Der Belagerungszustand wird aufgehoben. 2. Das Vereins- und Versammlungsrecht unterliegt keiner Beschränkung, auch nicht für ­Beamte und Staatsarbeiter. […]“ 583 Die Verordnung ist abgedruckt bei Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungs­ geschichte, Bd. III, 1990, S. 227 (Nr. 164). 584 RGBl. 1918, S. 1274. 585 Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 4. 586 Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 2015, Rn. 467. 587 Abgedruckt bei Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. III, 1990, S.  279 ff. (Nr.  207); dazu Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn. 54. 588 Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn. 54. 589 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. V, 1992, S. 611. 590 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. V, 1992, S. 612. 591 RGBl. 1919, S. 169. 592 RGBl. 1919, S. 285. Dieses verkündete das „Inkraftbleiben aller bisherigen Gesetze und Verordnungen des Reichs“, § 1 S.  2–5. Für den Aufruf des Rates der Volksbeauftragten war das „Verzeichnis der Erlassenen Verordnungen des Rates der Volksbeauftragten“, Beilage zum Reichsanzeiger Nr. 79, entscheidend. 593 RGBl. 1918, S. 1303. Der Aufruf wird regelmäßig unter dem Datum 12.11.1918 angege­ ben, wie es das Reichsgesetzblatt in der Überschrift angibt. Die Ausgabe erfolgte am 14.11.1918, ebd.

E. Zwischen Revolution und Notverordnung

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Diese Formulierung war alles andere als das „Ergebnis sorgfältig ausgeklügelter juristischer Überlegung. Seine Vorgeschichte sind die als drückend empfundenen Einengungen, denen in der Vergangenheit die politische Tätig­ keit der seitherigen Opposition durch die vom Reichsvereinsgesetz zugelassenen direkten und noch mehr durch die indirekten […] Einwirkungen auf das Vereins und Versammlungs­ recht ausgesetzt worden war.“594

Folglich warf diese mehrere Fragen auf, von denen zwei hier interessant sind. Da war zunächst die Frage danach, ob es sich bei dem Aufruf um ein bloßes Re­ gierungsprogramm handelte,595 wofür der Wortlaut „setzt sich die Aufgabe, das sozialistische Programm zu verwirklichen“ sowie die folgenden programmati­ schen Ausführungen596 sprechen, oder ob der Aufruf als unmittelbar geltendes Gesetz aufzufassen war,597 wofür ebenfalls der Wortlaut angeführt werden kann („schon jetzt mit Gesetzeskraft“).598 Beide Positionen wurden vertreten und führ­ ten entsprechend zu Unsicherheiten. Wenn man der zweiten Ansicht folgte, war weiter zu fragen, welche Bestimmungen des RVG dann noch galten. Dieses hing wiederum davon ab, welche Bestimmungen des RVG man als „Beschränkung“ des Versammlungsrechts auffasste. Die Auffassungen hierzu gingen von Einord­ nung aller Vorschriften als Beschränkung und damit der Annahme einer vollstän­ digen Aufhebung bis zur Diskussion um jeden einzelnen Paragraphen.599 Diese Frage beschäftigte neben der Literatur auch die Rechtsprechung600 noch bis in die 594

Waldecker, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1932, § 104 S. 641. 595 So bis 1925 das KG, Johow, Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts, Bd. 52, 306; JW 1921, 1092; DJZ 1925, 1594, nach Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 261; Delius, PrVBl. 1918/19, S. 97 f. und S. 399 f. 596 RGBl. 1918, S. 1304. 597 Nachweise bei Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S.  261; Waldecker, in: ­Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1932, § 104 S.  641 f.; KG ab 06.10.1930, JW 1931, 964. 598 Nach Inkrafttreten der WRV wurde teils auch vertreten, dass die Beschränkungen des RVG lediglich suspendiert seien, offenlassend noch RGSt 56, 177 (183), Urt. v. 15.12.1921, ab­ lehnend RGSt 66, 228 (230), Urt. v. 28.04.1932, und mit Bestehen der Verfassung nunmehr le­ diglich an dieser, nicht mehr aber am „Aufruf“ gemessen werden müssten, Müller-Meiningen, in: Laband u. a., Handbuch der 1912, S. 1888; Kiesow/Zweigert, Gesetz zum Schutz der Re­ publik, 1923, S. 178. RGSt 56, 177 hatte auch insoweit Bedeutung, dass hiernach die Rspr. da­ von ausging, dass das RVG grundsätzlich weitergelte, Waldecker, in: Anschütz/Thoma, Hand­ buch des Deutschen Staatsrechts, 1932, § 104 S. 642. 599 S. bereits RGSt 56, 177 (183 ff.), Urt. v. 15.12.1921; auch RT-Drs. 3/2279 vom 10.05.1926, dazu Delius, DJZ 1926, 888: „Der Entw.[urf] hebt das RVGes. aus den Trümmern.“; RT-Drs. 4/1083 vom 03.06.1929; a. § 9 RepSchutzG 1930. Letzteres vertrat eine Mehrheit in Literatur und Rechtsprechung, etwa zu § 13 RVG noch 1932, RGSt 66, 228 (230 ff.), Urt. v. 28.04.1932; Jellinek, Verwaltungsrecht, 1931, S. 486. 600 Etwa am 06.10.1930 KG, JW 1931, 964. Für sehr weitere Einschränkungsmöglichkeiten unter der WRV und breite Weitergeltung des RVG etwa RGSt 65, 353 (354), Urt. v. 11.06.1931: „Das Recht, sich zu versammeln, ist ein staatsbürgerliches Recht, das auch von der RVerf. (Art. 123) anerkannt wird. Es schließt freilich die Befugnis des Staates, seine Ausübung aus

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

30er Jahre.601 Für die hier im Vordergrund stehende Frage der Idee der organisier­ ten Versammlung, an die das RVG anknüpfte, ist dabei interessant zu sehen, wie die mit dieser Idee besonders in Verbindung stehenden Normen der Anzeige- bzw. Genehmigungspflicht (§§ 5, 7 RVG) sowie der Pflicht zur Leiterbestellung ver­ bunden mit den diesem obliegenden Aufgaben (§ 10 RVG) eingeordnet wurden. Für die Anzeige- bzw. Genehmigungspflichten wurde zumeist vertreten, dass sie aufgehoben seien.602 Teils geschah dies mit der Begründung, sie verhinderten die straflose Abhaltung von Versammlungen, die die Frist nicht mehr ein­halten konnten.603 Dieses Argument trägt allerdings nicht, da hierfür bereits die Strei­ chung der Strafvorschriften ausreichte.604 Aus der einhelligen Ablehnung und dem völligen Fehlen des Versuchs, die Vorschriften, etwa als bloße Obliegenheiten, ar­ gumentativ „zu retten“, ist zu schließen, dass die Anzeige- und Genehmigungs­ pflichten als wirkliche Belastung der Zentralgestalt angesehen wurden. Spätestens mit Erlass der WRV hätte sich eine andere Argumentation allerdings auch schwer getan.605 Die Pflicht, einen Leiter zu bestimmen wurde zu etwa gleichen Teilen für nicht mehr geltend oder weitergeltend gehalten.606 Für eine Weitergeltung legte Brecht607 dar, man könne polizeilichen Gründen zu überwachen, insb. die Veranstaltung von Versammlungen einer An­ zeigepflicht oder einer behördlichen Genehmigung zu unterwerfen, oder dem einzelnen die Teilnahme unter bestimmten Voraussetzungen zu verbieten (§ 11 RVereinsG), nicht aus.“ 601 Die beiden (gleichlautenden) Gesetzesentwürfe zur Änderung des RVG (RT-Drs. 3/2279 vom 10.05.1926; RT-Drs. 4/1083 vom 03.06.1929), gehen in ihrer Begründung von einer Wei­ tergeltung des RVG aus und statuieren daher lediglich Änderungen. Ein Überblick über Teile der vertretenen Auffassungen findet sich bei Waldecker, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1932, § 104 S. 642 Fn. 1. 602 Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1933, S. 569; Reichsminister des Innern, RTDrs. 3/2279, S. 3 ff.; von Jan, Vereinsgesetz, 1931, S. 170. 603 Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 263. Das überhaupt eine Begründung erfolgte, ist freilich schon eine Ausnahme. Zumeist beschränkt sich die Darstellung auf eine Auflistung der aufgehobenen Vorschriften. 604 Anders Waldecker, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1932, § 104 S.  642, der der Auffassung ist, die Schutzbestimmungen seien entweder mit den kor­ respondierenden Beschränkungen beseitigt oder durch die Aufhebung der Beschränkungen ob­ solet geworden. 605 Dazu sogleich Kap. 2 E. 3. 606 Gegen die Weitergeltung Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1933, S. 569, be­ zogen auf Art.  123 „bleiben also aufgehoben“ (ohne Begründung); da Anschütz der Auffas­ sung war, dass der Aufruf nur „solche Vorschriften beseitigen will, welche die Versammlungsund Vereinsfreiheit einengen, nicht auch solche, die  – nur oder doch auch  – einen Schutz dieser Freiheit bedeuten und bezwecken“ (S. 567), kann er die Leiterpflicht demnach nur ne­ gativ betrachtet haben, ebenso Rempe, Die heutige Geltung des Reichsvereinsgesetzes, 1926, S.  46; ­anders aber RG, JW 1929, 1148; Reichsminister des Innern, RT-Drs. 3/2279, S.  3 ff. zum Gesetzentwurf; von Jan, Vereinsgesetz, 1931, S. 124 zu § 10 S. 1 einerseits und § 10 S. 2­ andererseits. 607 Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 263.

E. Zwischen Revolution und Notverordnung

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„in Vorschriften, die dem Veranstalter der Versammlung die Möglichkeit zu ihrer Ordnung gewähren, keine Beschränkung des Versammlungsrechts im Sinne der RV. [Reichsverfas­ sung] erblicken, da es den VB. [Volksbeauftragten] doch offenbar grade darauf ankam, die natürliche Ordnung durch den Veranstalter möglichst an Stelle der pol.[izeilichen] Ordnung zu stärken.“

Hierin ist zum einen die Wertung festzuhalten, die die Leiterpflicht als Aus­ gestaltung einer „natürlichen Ordnung“ sieht. Dahinter liegt wiederum das durch die tatsächliche Lage geprägte Vorstellungsbild von Versammlungen. Zum ande­ ren stellte Brecht hier den Grundsatz der Selbstverantwortlichkeit der Versamm­ lung heraus. Dieses deckt sich mit der bereits früher vertretenen Ansicht der inne­ ren Organisation einer Versammlung als „Privatinteresse“. Dieses korrespondiert mit der Einschätzung, die innere Organisation einer Versammlung sei im Wesent­ lichen eine Frage des Hausrechts und nicht eine solche der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber – von ggf. sich gegenüberstehenden Grundrechtspositionen der Teilnehmer ganz abgesehen.608 Solche Fragen des Hausrechts seien nun aber durch den Aufruf gar nicht berührt worden.609 Folglich nahm Brecht auch die Pflicht für Ruhe und Ordnung zu sorgen als Teil  der Verpflichtung aus dem Hausrecht als weiter bestehend an. Unbefugtes Verweilen, gegen die Aufforderung des Leiters, den Raum zu verlassen, sei demnach Hausfriedensbruch.610 Gleiches gelte für die­ jenigen, „die mit dem Betreten des Saales nur den Zweck verbanden, die darin stattfindende Versammlung zu stören“.611 Der Leiter könne störende Personen auch, „falls Aufforderung nicht genügt, mit Gewalt entfernen“. Auch andere Teil­ nehmer dürften so in „Notwehr“ die „Störer an der Fortsetzung ihres rechtswid­ rigen Angriffs verhindern“.612 Aufgrund seines Hausrechts könne „sich der Leiter eines sog. Saalschutzes bedienen“.613 Diese Überlegungen sind bei Brecht – wie auch bei vorherigen Ansätzen – jedoch stets nur auf die Konstellationen der Ver­ sammlungen in geschlossenen Räumen bezogen. Während diese Regelungen nach Brecht auf dem Hausrecht basierten, gelte aus § 10 RVG folgend der „für die Versammlungstechnik wichtige Satz, daß die Ver­ sammlung sich nicht selbst durch oppositionelle Majorität einen anderen Leiter geben kann“, fort.614 Dieser Gedanke, der bereits in den Beratungen zum RVG auf­ tauchte, rückt wiederum die Zentralgestalt in den Vordergrund. Auch die Pflicht zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung gelte weiter, jedoch nur Verstan­ den als „äußere Ruhe“, also nicht als Verhinderung von Straftaten o. ä.615 Auch die­ 608 Dieses komplizierte Feld des Verhältnisses der Teilnehmer untereinander zur Zentral­ gestalt grade auch in Bezug auf das Hausrecht ist aufgearbeitet von Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 190 ff. 609 Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 263 und 304. 610 Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 304. Entsprechend RGSt 5, 110. 611 Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 305 nach RG, JW 1930, 1211, Nr. 20. 612 Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 305 nach RG, JW 1930, 1211, Nr. 20. 613 Dazu aber Kap. 2 E. IV 2. 614 Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 305. 615 Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 305 nach RG, JW 1929, 1148, Nr. 24.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

Auflösungsbefugnis aus § 10 S. 3 RVG wurde als weitergeltend angesehen – und zwar einschließlich der Strafnorm des §§ 16, 18 Nr. 4.616 Weitgehende Einigkeit617 bestand demgegenüber bzgl. des Wegfalls der Be­ stimmungen, die Auflösung der Versammlung und Bestrafung der Zentralgestalt bei fehlender Anzeige oder Genehmigung erlaubten (§ 14 Nr. 1, 2; § 18 Nr. 2; § 19 Nr. 1 RVG). In der Formulierung des Reichsgerichts: „Der Wille der Volksbeauftragten ist unzweifelhaft dahin gegangen, die Beschränkungen des Vereins- und Versammlungsrechts, die in umstürzlerischen Kreisen den stärksten Angrif­ fen ausgesetzt waren, sofort außer Wirksamkeit zu setzen.“618

Die Wertung der Vorschriften, die an die Idee der organisierten Versammlung anknüpften, war also durchaus zwiegespalten. Während die Anzeige- und Geneh­ migungspflichten einhellig als nicht mehr geltend angesehen wurden, konnte sich § 10 RVG in einem Verständnis als Schutznorm für die Versammlung einer nicht geringen Zustimmung erfreuen. Ein deutlicher Bruch ist darin zu sehen, dass sich die Verpflichtungen des Leiters, abseits der inneren Ordnung, auflösten. Die Zen­ tralgestalt wird damit von einem Verpflichteten zum Berechtigten, wobei diese Berechtigung nunmehr nicht allein einfachrechtliche Gewährung, sondern Grund­ recht war. Die Zentralgestalt erhält dadurch, zumindest in der Literatur, ein posi­ tiveres Bild. Gleichzeitig wird die Versammlung – zumindest in der Vorstellung – selbstbestimmt und (teilweise)619 staatsfrei. Für alle hier vorgestellten Bearbeitungen zur Wirkung des Aufrufes des Rates der Volksbeauftragten ist dabei festzuhalten, dass die Kritik an „Beschränkungen“ sich nicht daraus speiste, dass die organisierte Versammlung der falsche Anknüp­ fungspunkt einer Versammlungsgesetzgebung sei  – derartige Gedanken blieben völlig außen vor –, sondern daraus, dass die konkrete Anknüpfung in ihrer Verbin­ dung mit der Auferlegung von Pflichten nicht den maßgeblichen Freiheitsvorstel­ lungen entsprach.

III. Die Weimarer Reichsverfassung Die aus der Wahl vom 19.01.1919 hervorgegangene Nationalversammlung sah sich bei ihrem Zusammentreten am 06.02.1919 neben einer Vielzahl von Auf­ gaben620 zentral mit der Erarbeitung einer neuen Verfassung konfrontiert, zu der 616

Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 1933, S. 569; von Jan, Vereinsgesetz, 1931, S. 136 ff.; Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 305. 617 Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 261. 618 RGSt 56 (1921), 177 (183). 619 Unter Ausnahme der Regelungen zur Aufsicht über Versammlungen, etwa auch durch die Entsendung von Beauftragten (§ 13). Zu dessen Fortgeltung von Jan, Vereinsgesetz, 1931, S. 137. 620 Zu diesen Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. IV, 2012, S. 81, dort auch zur Entstehung der Verfassung m. w. N. S.  81 ff.; Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. V, 1992, S. 1083 f. Zu diesem und dem Folgenden umfassend Gusy, JZ 1994, 753.

E. Zwischen Revolution und Notverordnung

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gleich mehrere Entwürfe621 vorlagen. Gleichzeitig waren hier in wenigen Wochen Entscheidungen von erheblicher Reichweite zu fällen, zumal unter dem Eindruck einer keinesfalls gefestigten Situation. Die wesentliche Rolle nahm dabei der Ent­ wurf von Preuß622 ein, der bereits seit 1917 auch offiziell mit der Erarbeitung von Vorschlägen zur Verfassungsänderung befasst war.623 Nachdem Preuß seinen Ent­ wurf der Nationalversammlung am 24.02.1919 vorgestellt hatte, fand bereits am 31.07.1919 die Schlussabstimmung statt.624 Die Beratungen des Verfassungsaus­ schusses (8. Ausschuss), der einen Unterausschuss für die Grundrechte unterhielt, endeten im Juni, sodass der Nationalversammlung am 18.06.1919 der Bericht zur Verfügung gestellt werden konnte.625 Dem zeitlichen Druck entsprechend, konnte die Beratung zur Versammlungsfreiheit nur kurz ausfallen. Der Preuß’sche Ent­ wurf sah bzgl. der Versammlungsfreiheit vor: „§ 22. Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne besondere Erlaubniß friedlich und ohne Waffen zu versammeln oder Vereine zu bilden.“626

In den Beratungen des 8. Ausschusses wurde schließlich eine Ergänzung ein­ gefügt und die Vereinsfreiheit abgetrennt: „Artikel 17. Alle Deutschen haben das Recht sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaub­ nis friedlich und unbewaffnet zu versammeln. Versammlungen unter freiem Himmeln können durch Reichsgesetz anmeldepflichtig ge­ macht und bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden.“

Diese Fassung nahm der Unterausschuss „ohne Debatte“ an.627 Der Verfassungs­ ausschuss empfahl ihn der Nationalversammlung als Art. 121 zur Annahme in die Verfassung.628 Unter dieser Nummerierung wurde der Artikel sodann in der zwei­ 621

Dazu Gusy, JZ 1994, 753 (759 f.). Nachweise bei Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. IV, 2012, S. 81 Fn. 43. 622 Genauer: Die Entwürfe in ihrer Bearbeitung, dazu Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. V, 1992, S.  1178 ff.; der letztlich den Beratungen zugrunde gelegte Entwurf ist abgedruckt in­ Heilfron, Die deutsche Nationalversammlung im Jahre 1919, Bd. II, 1921, S. 703 ff. 623 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd.  IV, 2012, S.  82. Der Preuß’sche Ursprungsentwurf, abgedruckt bei Triepel, Quellensammlung zum Deutschen Reichsstaatsrecht, 1931, Nr. 7, enthielt die Versammlungsfreiheit noch nicht. Dieses brachte unter weiteren Änderungen erst die Überarbeitung des Entwurfs, Stolleis, Geschichte des öf­ fentlichen Rechts in Deutschland, Bd. IV, 2012, S. 83. 624 Verhandlungen der Nationalversammlung, 71. Sitzung am 31.07.1919. 625 Aktenstücke zu den Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalver­ sammlung, Aktenstück Nr. 391 vom 18.06.1919. 626 Text bei Heilfron, Die deutsche Nationalversammlung im Jahre 1919, Bd. II, 1921, S. 706, in ihrer Arbeit für den Aufbau des neuen deutschen Volksstaates. 627 Berichterstatter Beyerle, Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen National­ versammlung, 33. Sitzung am 30.05.1919, S. 381. In einem Zwischenentwurf wurde der Ar­ tikel vorübergehend als Art.  33 geführt. Die neue Fassung entsprach einer „Zerlegung des Artikels der Regierungsvorlage“, Berichterstatter Beyerle, Verhandlungen der Nationalver­ sammlung, 58. Sitzung am 16.07.1919, S. 3896. 628 Drucksache der Nationalversammlung Nr. 391, S. 1, 11.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

ten Lesung zum Verfassungsentwurf in der Nationalversammlung beraten. Da­ bei sind drei Punkte auffällig. Während sich in Literatur und Rechtsprechung eine breite Diskussion um die Wirkung des Aufrufs des Rates entwickelte,629 fand die Auffassung des Berichterstatters Beyerle, § 7 RVG erhalte durch die Verfassung eine „Abänderung“, wenn sich die Nationalversammlung dem Vorschlag des Aus­ schusses folgend dazu entschließe, die „Genehmigungspflicht aufzuheben“, in der Debatte keinen Widerspruch.630 Dieses legt zumindest nahe, dass die Natio­ nalversammlung zumindest für die Genehmigungspflicht eine Fortgeltung, bes­ tenfalls eine zeitweise Suspendierung durch den Aufruf, annahm und erst in der Wirkung der Nationalverfassung eine Änderung der Rechtslage erblickte.631 Wei­ ter entschied sich die Nationalversammlung, dem Ausschuss auch darin zu fol­ gen, die Möglichkeit zuzulassen, Versammlungen unter freiem Himmel durch Reichsgesetz (wieder) anmeldepflichtig zu machen. Damit erlaubte die Natio­ nalversammlung gleichzeitig, wieder an die Idee der organisierten Versammlung anzuknüpfen. Die Kritik hieran, wie an der in Abs.  2 gegebenen Möglichkeit, Versammlungen bei „unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ zu ver­ bieten, beschränkte sich in der Debatte darauf, der (Mehrheits)Sozialdemokratie sowie den bürgerlichen Demokraten vorzuhalten, sie hätten früher den Grundsatz des freien Versammlungsrechts vertreten, doch „jetzt, nachdem sie zur Macht durch die Revolution gekommen sind, haben sie einfach die­ sen Grundsatz aufgegeben“.632

Preuß konterte dieses als Vertreter des Reichsministeriums mit der für das Ver­ sammlungsrecht bereits bekannten Ausführung, dass nicht nur Behörden und­ Gesetzgeber ihre Befugnisse missbrauchen könnten, sondern dass auch „alle Frei­ heitsrechte“ missbraucht werden könnten.633 „Damit muß man rechnen. Die Erfahrungen in Berlin und anderen großen Städten haben ge­ zeigt, daß man immerhin mindestens wissen muß, wenn große Versammlungen unter freiem Himmel, besonders in aufgeregter Zeit, stattfinden, schon im Interesse des öffentlichen Ver­ kehrs, um den nach Möglichkeit aufrechtzuerhalten.“

So entschied man sich 1919 wie 1850 von bürgerlich liberaler  – und inso­ weit neu mehrheitssozialdemokratischer – Seite wiederum nach einer Revolution für die Sicherung des Status quo, eben auch im Wege des Versammlungsrechts. Entsprechend nahm die Nationalversammlung die Regelungen zur Versamm­

629

Vgl. Kap. 2 E. II. Verhandlungen der Nationalversammlung, 58. Sitzung am 16.07.1919, S. 3897. 631 Ganz entsprechend auch die weiteren Ausführungen zur Frage, ob es „Aufgabe der Grundrechte sein könne, in den vorhandenen Rechtszustand neugestaltend einzugreifen“,­ Beyerle, Verhandlungen der Nationalversammlung, 58. Sitzung am 16.07.1919, S. 3897. Zum hier vertretenen Schluss kommt auch Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Ge­ schichtliche Einleitung Rn. 63. 632 Raute, Verhandlungen der Nationalversammlung, 59. Sitzung am 17.07.1919, S. 3967. 633 Preuß, Verhandlungen der Nationalversammlung, 59. Sitzung am 17.07.1919, S. 3968. 630

E. Zwischen Revolution und Notverordnung

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lungsfreiheit in der vorgeschlagenen Form – schließlich als Art. 123 – in die Ver­ fassung auf.634 Festzuhalten bleibt schließlich noch, dass sich unter der Weimarer Reichsver­ fassung in der Kommentierung635 das Verständnis der Versammlungsfreiheit hin zu einem politischen oder zumindest stark an der Meinungsfreiheit orientierten Ver­ ständnis verschiebt.636 Eine derartige Auffassung lässt sich auch bereits in den Be­ ratungen der Nationalversammlung feststellen.637 Dieses Verständnis führte alsbald dazu, andere Versammlungen, insb. gesellige Zusammenkünfte, nicht mehr wie zu­ vor im Gesetz auszunehmen oder ungeregelt zu lassen, sondern diese aus dem Be­ griffsverständnis „Versammlung“ zu streichen.638 Dass in den Bearbeitungen im Üb­ rigen Wertungen zumeist fehlen, trifft nicht nur das Versammlungsrecht, sondern ist Ausdruck „eines ‚positivistisch‘ verfahrenden Kommentars für die Praxis“.639 Die Entstehung und Fassung der WRV und die damit einhergehende erstmalige Kodifizierung von Grundrechten auf Reichsebene, lassen demnach kaum Rück­ schlüsse auf die Wertung der Idee der organisierten Versammlung zu. Insb. das die Organisation unabdingbare Voraussetzung einer Versammlung war, lässt sich zu­ mindest aus den Debatten nicht zwingend festhalten. Gegen diesen Schluss spricht auch, dass die Revolution durchaus auch spontane Elemente aus Versammlungen enthielt.640 Dieses ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Prototyp der Versamm­ lung, wie er der Nationalversammlung vor Augen stand, derjenige der organisier­ ten Versammlung war. Entsprechend setzt auch die Möglichkeit, Anmeldepflichten für Versammlungen unter freiem Himmel wieder einzuführen, eine einfachrecht­ liche Anknüpfung an die Organisationsidee wieder als Normalfall voraus. 634

Verhandlungen der Nationalversammlung, 59. Sitzung am 17.07.1919, S. 3968. Zu diesen sowie den zeitgenössischen Lehrbüchern und Sammelbänden Stolleis, Ge­ schichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. IV, 2012, S. 95 ff. m. w. N. 636 Etwa Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 264 „wie der freien Meinungs­ äußerung überhaupt, so auch des freien Versammlungs- und Vereinsrechts“ sowie S. 285 „Mei­ nungsäußerung zu mehreren“; Waldecker, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1932, § 104 S. 644: „Es handelt sich also um die Sicherstellung der freien Mei­ nungsäußerung in räumlich zusammengefaßtem, größerem Personenkreise“ unter Bezugnahme auf PrOVGE 76, 435. 637 Verhandlungen der Nationalversammlung, 58. Sitzung am 16.07.1919, Berichterstatter Beyerle, S.  3895: „Grundrechte der freien politischen Betätigung: Versammlungsrecht, Ver­ einsrecht, Wahlfreiheit und Petitionsrecht“; Raute, Verhandlungen der Nationalversammlung, 59. Sitzung am 17.07.1919, S. 3967: „eine unbeschränkte Versammlungsfreiheit ist das Pos­ tulat aller politischen Freiheit“; sowie Naumann, Verhandlungen der Nationalversammlung, 18. Sitzung am 31.03.1919, S. 177. 638 Etwa Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 272 unter weiter: „wo keine Ver­ sammlung im technischen Sinne vorliegt [gemeint sind solche zur Meinungsäußerung], sind das VerG [Reichsvereinsgesetz] und Art. 123 RV nicht anwendbar“. Dieses Verständnis über­ sieht für das RVG jedenfalls § 9, der ansonsten ein Leersatz wäre. 639 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. IV, 2012, S. 95. 640 Dazu etwa Gusy, JZ 1994, 753 (757): „Die Revolution entstand von ‚unten‘, unabhängig [… von den Parteien …] und eher gegen als mit ihrem Willen.“ 635

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

IV. Versammlungen als Kampfmittel Die junge Republik sah sich bereits von ihrer Gründungszeit an, etwa während des Märzaufstandes 1919 in Berlin, dem auch die Republik nicht anders als durch die Erklärung des Belagerungszustandes zu begegnen wusste,641 oder des KappPutsches 1920 und dann nach einer gewissen Beruhigung, insb. auch des Ver­ sammlungsgeschehens in der Mitte der zwanziger Jahre, wieder ab Herbst 1928642 einer steten Bedrohung ausgesetzt,643 die auch in Versammlungen jeweils sichtbar zu Tage trat. Zu den Bewältigungsstrategien gehörten dabei neben dem Einsatz der Reichs­ wehr auch vorbeugende Maßnahmen, wie die „Befriedung der Gebäude des Reichstags“644, und ausgleichende Komponenten für den Einzelnen, wie etwa der Erlass des Tumultschadensgesetzes.645 Der Einsatz der Reichswehr, deren An­ gehörige selbst in der Versammlungsfreiheit gesetzlich eingeschränkt waren,646 gegen Versammlungen stellte dabei einen für die Sozialdemokratie zuvor kaum vorstellbaren Schritt dar, der sich, wenn auch aus anderen Motiven, in manchen Details als vergleichbar mit den Schritten der Regierung nach 1848 darstellte.647 Während dieser den Bestand der Republik schützte, verschlechterte er die Bezie­ hungen innerhalb der politischen Linken nachhaltig.

641

Huber, Verfassungsgeschichte, Bd.  V, 1992, S.  1101 ff.; die Verordnungen sind abge­ druckt  bei Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd.  IV, 1991, S.  98 f. (Nr. 92 und 93). 642 Aufhebung des Redeverbots gegen Hitler in Preußen am 28.09.1928, erste Rede Hitlers im Sportpalast am 16.11.1928, Versammlungsverbote für politische Versammlungen unter freiem Himmel in Berlin ab dem 13.12.1928, für Preußen ab dem 21.03.1929. 643 Zu diesen, den staatlichen Schutzmöglichkeiten und tatsächlichen Reaktionen umfassend Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991. 644 Gesetz über die Befriedung der Gebäude des Reichstags und der Landtage vom 08.05.1920, RGBl. 1920, S.  909, sowie VO vom 17.05.1920, RGBl. 1920, S.  973, dazu von Bitter, in: von Bitter/Drews, Handwörterbuch der preußischen Verwaltung, 1928, S. 927; Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn. 77; Sachs, in: Stern, Staatsrecht, 2006, § 107 S. 1187; von Jan, Vereinsgesetz, 1931, S. 14. Vgl. dazu auch § 116 StGB. 645 Gesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden vom 12.05.1920, RGBl. 1920, S.  941 mit Änderungen vom 08.01.1924, RGBl. 1924, S.  23 und 29.03.1924, RGBl. 1924, S.  381. Zu dessen Bedeutung für Ausschreitungen bei Versammlungen, OVG Berlin, Urt. v. 08.12.2004, Az. 1 B 18.03 – juris. 646 § 36 Abs. 2 Reichswehrgesetz vom 23.03.1921, RGBl. 1921, S. 329; s.a. Verfügung des Reichswehrministers vom 23.07.1924, PrMbl. 1924, S. 785. 647 Vgl. dazu § 17 Reichswehrgesetz zum Einsatz der Reichswehr gegen „Aufruhr“ sowie die Vorschriften über den Waffengebrauch des Militärs und seine Mitwirkung zur Unterdrückung innerer Unruhen vom 19.03.1914 in der Fassung der Verfügung vom 14.05.1920, abgedruckt bei von Brauchitsch, Ergänzungsband, S.  550. Die darin verfügte dreimalige Warnung vor dem Einsatz der Schusswaffen findet sich ähnlich bereits in der Tumultverordnung von 1835, vgl. Kap. 2 B. 3.

E. Zwischen Revolution und Notverordnung

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1. Das Republikschutzgesetz von 1922 Den Grundtenor dieser Zeit bildete die ständige Diffamierung der Republik, ih­ rer Vertreter und Symbole.648 Die Republik reagierte hierauf mit zahllosen lokalen Versammlungsverboten auf unterer Verwaltungsebene, mehreren Notverordnun­ gen auf Reichs-649 und Landesebene650 sowie dem Erlass des Republikschutzgeset­ zes (RepSchutzG)651. Bereits sechs Monate nach Inkrafttreten der Verfassung sah sich Reichsprä­ sident Ebert das erste Mal gezwungen, die Versammlungsfreiheit für weite Teile des Reichs außer Kraft zu setzen.652 Weitere Verordnungen und deren Wiederauf­ hebungen ergingen fortan in rascher Folge.653 Hierbei schwankte die Größe der betroffenen Gebiete erheblich, teils wurden die Verordnungen auch nur nach und nach wieder aufgehoben, so etwa im März 1921 in Sachsen.654 Besondere Re­ gelungen für Versammlungen über die bloße Aufhebung der Versammlungsfrei­ heit hinaus finden sich erst in den Reaktion auf die Ermordung Rathenaus am 24.06.1922. Bereits mit der „Verordnung zum Schutze der Republik“655 vom 26.06.1922 wurde in § 1 die Möglichkeit eingeführt, Versammlungen bei 648

Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 1997, S.  206: „Judenrepublik“, „schwarz-rotmostrich“ sowie ders., Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 159 ff.; s.a. § 8 Nr. 2 Rep­ SchutzG; § 134a RStGB, eingefügt durch § 9 Nr. 3 Verordnung des Reichspräsidenten zur Er­ haltung des inneren Friedens vom 19.12.1932, RGBl. I 1932, S. 548 (549). 649 Zu diesen Schubert, Die Entwicklung des Vereinsrechts, 1938. 650 Durch § 1 Abs.  1 der zweiten Verordnung des Reichspräsidenten gegen politische Aus­ schreitungen vom 28.06.1932, RGBl. I 1932, S. 339: wurde den Ländern diese Möglichkeit genommen und deren Handlungsspielraum auf „bestimmt abgegrenzte Ortsteile“ und „Ein­ zelfälle“ beschränkt. Damit war es den Landesbehörden kaum mehr möglich die öffentliche­ Sicherheit zu erhalten oder wiederherzustellen, die Verordnung erzielte damit das Gegenteil ih­ res Titels. 651 Gesetz zum Schutz der Republik vom 21.07.1922, RGBl. I 1922, S. 585. Zu diesem und zum Folgendem umfassend Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 128 ff. Das be­ fristete Gesetz wurde durch die Gesetze vom 31.03.1926, RGBl. I 1926, S.  190 und vom 08.07.1926, RGBl. I 1926, S. 397 geändert und durch Gesetz vom 02.06.1927, RGBl. I 1927, S.  125 bis zum 23.07.1929 verlängert. Danach trat es außer Kraft, da sich keine Mehrheit im Reichstag mehr finden ließ. Das deutlich abgeschwächte (zweite) Gesetz zum Schutz der Republik vom 23.03.1930, RGBl. I 1930, S. 91, dazu Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 171 ff., trat durch § 12 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 der Verordnung des Reichspräsidenten zur Erhaltung des inneren Friedens vom 19.12.1932, RGBl. I 1932, S. 548 zum 20.12.1932 außer Kraft. 652 § 1 Verordnung des Reichspräsidenten […] betreffend die Wiederherstellung der öffent­ lichen Sicherheit und Ordnung im Reichsgebiete […] vom 13.01.1920, RGBl. I 1920, S. 207. 653 Statt vieler nur VO vom 11.04.1920, RGBl. I 1920, S. 479, die gleichzeitig Grundrechte für bestimmte Gebiete aufhob und für andere neu errichtete. 654 VO vom 24.03.1921, RGBl. I 1921, S. 253, teils aufgehoben durch VO vom 21.06.1921, RGBl. I 1921, S. 769. 655 RGBl. I 1922, S. 521.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

„Besorgnis […] daß in ihnen Erörterungen stattfinden, die zur gesetzeswidrigen Beseitigung der republikanischen Staatsform oder zu Gewalttaten gegen Mitglieder der jetzigen oder einer früheren republikanischen Regierung […] aufreizen, solche Handlungen billigen oder verherrlichen oder die republikanische Einrichtungen des Staates in einer den inneren Frie­ den des Staates gefährdenden Weise verächtlich machen“656,

zu verbieten. Dieses bedeutete gegenüber dem zweifelhaften Rechtszustand nach dem Aufruf des Rates der Volksbeauftragten und dem Erlass der Verfassung eine erhebliche Erleichterung. Für die behördliche Praxis setzte die Verfassung in Art. 123 Abs. 2 für ein Verbot doch nicht nur eine „begründete Besorgnis“, sondern eine „unmittelbare Gefahr“ für die öffentliche Sicherheit voraus.657 Dass die Re­ gierung weiterhin einen größtmöglichen Freiheitsschutz aufrechterhalten wollte, etwa indem sie die Möglichkeit einer „Beschwerde“ gegen Versammlungsverbote festschrieb, § 3 NVO vom 26.06.1922, ist umso beachtlicher, als Reichskanzler Wirth bereits im Reichstag unter Bezugnahme auf die Ermordung Rathenaus und die Ziele der Täter zutreffend festgestellt hatte: „Zuerst sollen die Führer der Republik, dann soll die Republik selbst fallen.“658

Neben der Möglichkeit der Versammlungsverbote wurde auch eine entspre­ chende Strafvorschrift für Fälle des Zuwiderhandelns aufgenommen, die die Zen­ tralgestalt, hier als Veranstalter oder Redner, mit Haftstrafe bedrohte, § 4 NVO vom 26.06.1922. Dabei fiel das mögliche Strafmaß jedoch für die Zentralgestalt nicht höher aus als für denjenigen, der sich mit der öffentlichen Verherrlichung von Gewalttaten außerhalb von Versammlungen hervortrat, § 5. Mit einer weiteren Verordnung vom gleichen Tag (Verordnung über das Verbot bestimmter Versamm­ lungen)659 wurden die Landeszentralbehörden ermächtigt, die für den 28.06.1922 geplanten Veranstaltungen „zur Erörterung der Annahme des Friedensvertrags oder damit zusammenhängender Fragen auch außer den Fällen des Artikels 123 der Reichsverfassung zu verbieten“, und diese Möglichkeit noch um „Regiments­ feiern und andere Versammlungen von Angehörigen ehemaliger Truppenteile“ erweitert. Ganz entsprechend der vorausgehenden Verordnung waren die Straf­ vorschriften für Veranstalter und Redner gefasst. Das Republikschutzgesetz griff diese Regelungen in § 7 Nr. 3 und § 8 Nr. 1; § 14 Abs. 1, 3; § 19 Abs. 1 wieder auf, befreite aber Wahlversammlungen von der Verbotsmöglichkeit, § 15, und ließ für diese nur noch eine Auflösung zu, § 16. Für diese wurde als Voraussetzung an das klassische Bild der „Duldung“ entsprechender Verstöße angeknüpft. Die Anknüpfung an die Organisationsidee war demnach in der ersten Welle der Notverordnungen bis zum Republikschutzgesetz äußerst knapp. Man beschränkte 656

Verordnung zum Schutze der Republik vom 26.06.1922, RGBl. I 1922, S. 521. Alternativ bestanden Verbotsmöglichkeiten nur, wenn die Versammlung als „unfriedlich“ eingeordnet wurde und damit nicht unter den Schutzbereich des Art. 123 WRV fiel. 658 Wirth, vortragend aus dem „Aufruf und Mahnruf“ der Regierung an das deutsche Volk, Verhandlungen des Reichstags, 1. LP, Sitzung am 24.06.1922, S. 8037. 659 RGBl. I 1922, S. 523. 657

E. Zwischen Revolution und Notverordnung

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sich im Wesentlichen auf die Aussetzung der Versammlungsfreiheit, die Erleich­ terung von Verboten und die Wiedereinführung von Strafvorschriften, die zwar die Zentralgestalt explizit nannten, diese jedoch keiner härteren Strafandrohung zukommen ließ. Damit blieben die Begrenzungen des Versammlungsrechts trotz der realen Bedrohungslage deutlich hinter dem zurück, was noch das RVG in ver­ gleichsweise ruhigen Zeiten ermöglicht hatte.660 „Schutz der Republik um jeden Preis“ war demnach zumindest nicht Maßstab der Rechtsetzung.661 2. Polizeilicher Versammlungsschutz Wie angespannt die Lage bzgl. der Versammlungen trotz des Republikschutz­ gesetzes weiterhin blieb, lässt sich aus den Erlassen der preußischen Innenminister Severing und Grzesinski erkennen. Bereits im Oktober 1922 erklärte Severing im Landtag, dass „Versammlungen politischer Parteien ohne weiteres zu schützen seien“, und gab dieses als Erlass seiner preußischen Polizei weiter.662 Hintergrund waren die Angriffe auf die Ver­ sammlungen politischer Gegner. Die politischen Gruppen reagierten auf ebendiese durch den Einsatz von Selbst- und Saalschutzorganisationen663, was die angespannte Lage weiter verschärfte, da „das Vorhandensein eines Saalschutzes erfahrungs­ gemäß Gegenströmungen auslößt“664. So wies ein Erlass665 1923 darauf hin, dass „gegen alle Organisationen, die unbefugt zu militärischer oder polizeilicher Betätigung als Selbstschutz, Saalschutz oder dergleichen […] gebildet sind, ohne Rücksicht auf die politi­ sche Richtung mit den gesetzlich zulässigen Mitteln einzuschreiten [ist, …] Die Sicherung von Versammlungen, die Ausübung von Straßen- und Postendiensten, die Abwehr hochver­ räterischer Unternehmungen ist ausschließlich Sache der Polizei kraft des ihr ­anvertrauten 660 Überblick zu den Maßnahmen zum Schutz der Republik bei Jasper, Der Schutz der Repu­ blik, 1963. 661 Für die tatsächliche Durchsetzung mag man, etwa für den sog. Spartakusaufstand, zu an­ derer Einschätzung kommen, vgl. etwa Noskes Ausruf „Einer muß der Bluthund werden, ich scheue die Verantwortung nicht!“ Noske, Von Kiel bis Kapp, 1920, S. 68 sowie ebd., die Be­ schreibung der Situation, aus der das Zitat stammt. 662 Erlass vom 09.12.1922 betreffend Versammlungspolizei, PrMbl. 1922, S.  1195, abge­ druckt bei Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 335. 663 Das „geeignete“ Personal für derartige Organisationen bildeten häufig Mitglieder be­ reits zuvor verbotener Organisationen, namentlich Freikorps oder sonstige ehemalige Soldaten (etwa Rotfrontkämpferbund); so bildete etwa die 1920 aufgelöste „Brigade Ehrhardt“ einen Grundstein der zunächst „Saalschutz“ genannten späteren „Sturmabteilung“ (SA) der NSDAP, die diese Bezeichnung seit einer größeren Auseinandersetzung anlässlich einer Versammlung im Münchener Hofbräuhaus am 04.11.1921 trug, Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf, 1992, S. 23 ff.; Longerich, Die braunen Bataillone, 1989, S. 22, 102 ff. Auch die Namensgebung der „Schutzstaffel“ stammt aus dieser Zeit der Saalschlachten. 664 Erlass vom 22.03.1923 betreffend Selbstschutzorganisationen, PrMbl. 1923, S. 311. 665 Erlass vom 22.03.1923 betreffend Selbstschutzorganisationen, PrMbl. 1923, S. 311, abge­ druckt bei Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 336. Der Erlass spricht für „die jüngste Zeit“ von zahlreichen Fällen von Versammlungsstörungen.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

öffentlichen Amtes. […] Das gleiche gilt für Vereinigungen, die zu dem Zweck gebildet sind, in Versammlungen, gleichviel welcher Richtung, die freie Meinungsäußerung der Versamm­ lungsteilnehmer zu stören oder zu unterdrücken.“

Die Schutzpflicht der Polizei für friedliche Versammlungen war für Severing, auch zur Erhaltung bzw. Herstellung des inneren Friedens, derart bedeutsam, dass er es auch nicht nur bei Hinweisen für die Polizei beließ, sondern Konsequenzen androhte. „Ich werde in jedem Falle, in dem eine friedliche Versammlung mangels ausreichender Schutzmaßnahmen gesprengt ist, den Polizeiverwalter zur Verantwortung ziehen, wenn ihm in irgendeiner Hinsicht der Vorwurf mangelnder Vorbereitung von Schutzmaßnahmen zu machen ist.“666

Nachdem die Maßnahmen zum Schutz von Angriffen auf Versammlungen von außen zunächst Wirkung zu zeigen schienen, zeigten sich jedoch zugleich neue Strategien der Kampfverbände: „Die Erfahrung hat gezeigt, daß Störungen politischer Versammlungen keineswegs nur von außen versucht werden. Vielmehr werden häufig solche Versammlungen von politischen Gegnern frühzeitig und in solcher Zahl besucht, daß die Parteifreunde der Veranstalter nur noch in der Minderzahl Zutritt zum Versammlungslokal erhalten. Derartige Versammlungen sind, sobald es von innen heraus zu erheblichen Störungen kam, im allgemeinen ohne wei­ teres aufgelößt worden. Da der Wahlkampf nicht mit irgendwelchen terroristischen Mitteln geführt werden darf, ist es unbedingt erforderlich, daß auch solche Störungsversuche zu­ nächst mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln abgewehrt und daß nötigenfalls die Veran­ stalter im Gebrauch des Hausrechts durch die Polizei unterstützt werden.“667

Abgesehen von dem Einblick in die Versammlungsrealität macht dieser Erlass einen weiteren Punkt deutlich: Die Rolle der Zentralgestalt. An dieser – und nicht etwa an der Mehrzahl der Teilnehmer – wurde gemessen, nach welcher Richtung der polizeiliche Schutz zu erfolgen hatte. Der Schutz der Versammlung war dem­ nach orientiert am Willen ihres Urhebers, nicht aber am Willen „der Versamm­ lung“. Die Methoden, Versammlungen zu unterlaufen, zu übernehmen und um­ zufunktionieren, bildeten jedoch zugleich die erste Krise des Organisationsrechts, indem sich die Organisation gegen die Zentralgestalt wenden ließ. Wo dieses nicht gelang, wurde schlicht versucht, die Versammlung zu sprengen bzw. die Polizei durch Gewalt zum Eingreifen zu zwingen. Noch 1928 stellte ein ergänzender Er­ lass klar, dass die Auflösung „immer das letzte Mittel bleiben […müsse…] schon um der Versuchung entgegenzutreten, auf diese Weise sich mittelbar der Polizei zur Verhinderung von Versammlungen unbeque­ mer politischer Gegner zu bedienen.“668 666

Ebd. Erlass vom 29.03.1924, PrMBl. 1924, S. 349, abgedruckt bei Brecht, Vereins- und Ver­ sammlungsrecht, 1932, S. 338. 668 Erlass vom 10.04.1928 betreffend polizeiliche Sicherung der Wahlvorbereitung, PrMBl. 1928, S. 413, abgedruckt bei Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 340. 667

E. Zwischen Revolution und Notverordnung

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Die hier dargestellte neuere Taktik der Verhinderung von Versammlungen wurde dabei begleitet durch den alltäglichen Terror der Straße. So berichtet ein Erlass 1925669 von „vorwiegend jugendlichen Personen […, die…] mit Knotenstöcken und häufig auch mit Gummiknüppeln […] versehen in kleinen Trupps lärmend und provozierend die Straßen durchziehen, Passanten belästigen, politisch Andersdenkende vielfach nicht nur in unfläti­ ger Weise beschimpfen, sondern sogar überfallen und verletzen.“

Dabei versuchte der preußische Innenminister auch weitestmöglich derartige Provokationen zu vermeiden, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Hierzu sollte im Vorfeld von Versammlungen auch der Kontakt zu Veranstaltern gesucht werden, um etwa auf mögliche Strafbarkeiten durch mitgeführte Plakate bei Ver­ sammlungen hinzuweisen. Zur weiteren Sicherung sollte dann nach den Gesprä­ chen in der Vorbereitungsphase noch eine „Nachschau auf den Sammelplätzen für die Veranstaltung erfolgen“.670 Es ist sicherlich zu weitgehend, hier bereits von Kooperation zu sprechen, jedoch war die Zielrichtung derartiger Maßnahmen, die friedliche Versammlungen ermöglichen und Auflösungen vorbeugen sollten, durchaus vergleichbar, jedenfalls das Gespräch sollte gesucht werden. Dieses zeigt sich auch in der späteren Vorgabe an die Regierungspräsidenten „alsbald die Führer der politischen Parteien in persönlicher Fühlungnahme und mündlicher Besprechung auf die von mir erlassenen Richtlinien für die polizeiliche Sicherung […] hin­ zuweisen; es muß erwartet werden, daß auch von den Parteien alles geschieht, um Störun­ gen des Wahlkampfes auszuschließen, insbesondere um Zusammenstöße und sonstige Aus­ schreitungen nach Möglichkeit zu verhüten.“671

Dass schon bald der Schutz vor und für Versammlungen nur während ihrer Durchführungsphase nicht mehr ausreichend war, zeigt ein Erlass aus dem Jahr 1927672, der verschiedene Vorkommnisse zum Anlass nahm, „nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß das verfassungsmäßige Recht jedes Staatsbürgers auf […] Versammlungsfreiheit den unbehinderten An- und Abmarsch einschließt, und daß dieser daher gleichfalls mit allen zur Verfügung stehenden polizeilichen Mitteln zu gewähr­ leisten ist.“

669 Erlass vom 26.05.1925, betreffend Treiben radikaler Elemente, PrMBl. 1925, S.  636, abgedruckt bei Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S.  338 sowie Erlass vom 24.08.1926, betreffend Treiben radikaler Elemente, PrMBl. 1926, S.  799, abgedruckt bei Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 339: „Gegen alle Terrorakte, Überfälle und Angriffe ersuche ich in jedem Fall mit Entschlossenheit und Nachdruck einzuschreiten.“ 670 Erlass vom 24.08.1926, betreffend Treiben radikaler Elemente, PrMBl. 1926, S. 799, ab­ gedruckt bei Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 339. 671 Erlass vom 05.08.1927, betreffend polizeiliche Sicherung von Veranstaltungen politischer Organisationen, PrMBl. 1927, S. 807, abgedruckt bei Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 340. 672 Erlass vom 05.08.1927, betreffend polizeiliche Sicherung von Veranstaltungen politischer Organisationen, PrMBl. 1927, S. 807, abgedruckt bei Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 340.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

Was „selbstverständlich auch gegen Ausschreitungen der durchfahrenden Ver­ sammlungsteilnehmer selbst“ zu beachten sei. Die hier gewünschten Maßnahmen setzten selbstverständlich ein hohes Maß an Informationen über Versammlungen voraus, wozu die unklare Rechtslage bzgl. der Anmeldpflicht nicht gerade beigetragen haben dürfte. Entsprechend gingen die Aufforderungen des Innenministeriums an die Polizeiverwaltungen dahin, „von sich aus alles zu veranlassen, um über geplante Versammlungen unterrich­ tet zu sein“.673 Einer der letzten Erlasse vor der Notverordnungszeit zeigt aber auch, wie we­ nig Erfolg dem wohlgemeinten Tun beschieden war. In Anbetracht der Kette von Maßnahmen von Verboten, Gesprächen und Informationsbeschaffung seit 1921 klingt dieser als Bilanz rückblickend vielmehr hilflos („Wenn dieser letzte Ver­ such“).674 3. Strafrechtlicher Versammlungsschutz Zu den in den Erlassen sichtbar werdenden Bemühungen der Exekutive um den Schutz von Versammlungen gehört auch die legislative Maßnahme der Einführung des § 107a RStGB, zwischen Wahlhinderung (§ 107 RStGB) und Wahlfälschung (§ 108 RStGB), mit der Strafrechtsnovelle 1923.675 Bereits 1896 hatte das PrOVG festgestellt, dass eine befürchtete Störung einer Versammlung kein tauglicher Verbotsgrund für ebendiese sei, sondern eine solche Gefahr einer Störung viel­ mehr eine Schutzpflicht der Polizei zur Folge habe,676 was die preußischen In­ nenminister wie gezeigt umzusetzen versuchten. Einen zusätzlichen Schutz sollte nun die Strafnorm des § 107a RStGB geben: „Wer nichtverbotene Versammlungen, Aufzüge oder Kundgebungen677 mit Gewalt oder durch Bedrohung mit einem Verbrechen verhindert oder sprengt, wird mit Gefängnis, neben dem auf Geldstrafe erkannt werden kann, bestraft.

673

Erlass vom 10.04.1928, betreffend polizeiliche Sicherung der Wahlvorbereitung, PrMBl. 1928, S. 413, abgedruckt bei Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 340. 674 Erlass vom 21.03.1929, betreffend Treiben radikaler Organisationen, PrMBl. 1929, S. 257, abgedruckt bei Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 342. 675 Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs vom 23.05.1923, RGBl. I 1932, S. 296. 676 PrOVGE 31 (1896), 409; s.a. PrOVGE 60, 332; OLG Dresden, Urt. v. 14.11.1932, nach Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S.  269. Deutlich auch Brecht, ebd., S.  283, „kein Schutz der Versammlung durch ihr Verbot“. 677 Aufzüge wurden als Versammlungen gleichstehend angesehen, RGSt 44, 372. Unter „Kundgebung“ verstand man teils eine Unterart der Versammlung, bei der eine Willens- oder Meinungsäußerung nach außen getragen werden soll, Schönke, RStGB, 1942, § 107 S. 260; teils wurde der Unterschied darin gesehen, dass eine Versammlung den Willen erst bilden müsse, eine Kundgebung diesen schon habe, diese also in jene auch übergehen könnte, von Frank, RStGB, 1931, S. 274.

E. Zwischen Revolution und Notverordnung

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Wer in nichtverbotenen Versammlungen oder bei nichtverbotenen Aufzügen oder Kund­ gebungen Gewalttätigkeiten in der Absicht begeht, die Versammlung, den Aufzug oder die Kundgebung zu sprengen, wird mit Gefängnis und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Stra­ fen bestraft.“

Der Gesetzgeber entschied sich dabei dazu, in Abs. 1 nur die vollendete Verhin­ derung oder Sprengung unter Strafe zu stellen und den Versuch in Abs. 2 zu regeln. Wie der Begriff „Absicht“ zeigt, wollte der Gesetzgeber hierbei nicht jede Art von Vorsatz zulassen,678 sondern nur dann Strafe anordnen, wenn „der bestimmte, auf die Herbeiführung des Erfolges, der Versammlungssprengung, gerichtete Wille“ gegeben sei.679 Die hieraus resultierenden Beweisschwierigkeiten dürften die Wirksamkeit der Norm erheblich beschränkt haben. Die Rechtsprechung nahm zudem an, dass Gewalttätigkeit und Drohung jeweils körperlichen Zwang voraus­ setzten bzw. zumindest dessen „Empfinden“680. Wich also eine Versammlung aus bloßer Angst um Leib und Leben, etwa vor einer heranrückenden SA-Gruppe, zu­ rück, ohne die körperliche Auseinandersetzung zu suchen, blieb die erfolgreiche Sprengung straflos. Auch im Übrigen wirkte die Rechtsprechung eingrenzend,681 sodass eher Strafen wegen Hausfriedensbruchs oder groben Unfugs in Betracht kamen.682 Die Literatur orientierte sich wesentlich an der Rechtsprechung.683 Zwar bleibt demnach festzuhalten, dass hier zum ersten Male auch auf dem Weg des Strafrechts der Schutz der Versammlungen – wenn auch nicht mehr vor dem Staat sondern vor übergreifenden Dritten  – zu erreichen versucht wurde. Doch blieb auch diese Maßnahme letztlich nur Stückwerk. Denn von der Kompetenz, dass Versammlungsrecht (wieder) einheitlich zu re­ geln, Art. 7 Abs. 1 Nr. 6 WRV, wurde kein Gebrauch mehr gemacht. Ein entspre­ chender Versuch zur Novellierung684 scheiterte 1926 bereits an der Annahme, dass man aufgrund des Aufrufs des Rates der Volksbeauftragten eine Verfassungs­ änderung erwirken müsse.685 Der unveränderte erneute Versuch 1929686 kam nicht­ 678 Verhandlungen des Reichstags, 1.  LP, Sitzung am 24.04.1923, S.  10721 f.; Sitzung am 08.05.1923, S. 10908 ff. (10915, 10917). 679 RGSt 68, 164 (165), Urt. v. 26.03.1934. 680 Nachweise bei Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 319 f. Brecht stuft aller­ dings das Ausdrehen des Lichtes als Gewalttätigkeit ein, S. 320; Schönke, RStGB, 1951, § 107a S. 286 f. 681 Etwa RGSt 65, 353, Urt. v. 11.06.1931 zum Begriff der „verbotenen Versammlung“. Die­ ses seien nur solche, die durch gesonderten Akt, nicht aber bereits nach der WRV verboten seien. Dieses umfasste Gesetze und behördliche Entscheidungen, von Frank, RStGB, 1931, S. 274. 682 Hierunter wurden etwa Störungen durch Lärm gefasst, RG, JW 1930, 1211, Nr. 20, Urt. v. 11.07.1929. 683 Vgl. etwa Schönke, RStGB, 1942, § 107 S. 259 f.; von Frank, RStGB, 1931, S. 274 f. 684 RT-Drs. 3/2279. 685 Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn.  67; Schmidt, Das Vereins- und Versammlungsrecht, 1934, S. 34 ff.; von Jan, Vereinsgesetz, 1931, S. 14; Tießler, Das Grundrecht der Vereins- und Versammlungsfreiheit, 1930, S. 96. 686 RT-Drs. 4/1083 vom 03.06.1929.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

einmal mehr zur Behandlung im Reichstag.687 Stattdessen blieb es wesentlich bei regionalen Maßnahmen, insb. Verboten688, die jedoch kaum mehr Wirkung fanden, und Polizeimaßnahmen, die, wie in Berlin ab dem 01.05.1929,689 zu zahlreichen Toten führten.690 Dieses setzt sich während der Zeit der Notverordnungen fort.691

V. Die Praxis der Notverordnungen und die Auflösung der Republik 1. Die Notverordnungen der Präsidialkabinette Seit dem Ende der großen Koalition mit dem Rücktritt der Regierung Müller fehlte der Republik eine Regierung mit parlamentarischer Mehrheit. Mit der feh­ lenden Handlungsfähigkeit des Parlaments ging die Ausübung der Staatsgewalt unter der Regierung Brüning 1931692 auf die Exekutive, namentlich auf Reichs­ präsident von Hindenburg sowie die jeweiligen Präsidialkabinette von dessen Gnaden, über.693 Regiert wurde nunmehr auf Grundlage des Art. 48 Abs. 2 WRV mit Notverordnungen.694 Sie betrafen im besonderen Maße auch das Versamm­ lungsrecht.695

687 von Jan, Vereinsgesetz, 1931, S.  14; Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 271. 688 Etwa für Berlin durch Polizeipräsident Zörgiebel vom 13.12.1928 für alle politischen Ver­ sammlungen unter freiem Himmel, ausgedehnt auf ganz Preußen am 21.03.1929. 689 Zum sog. Blutmai Kutscha, in: Kutscha, Demonstrationsfreiheit, 1986, S. 17. 690 Das Maß der Ausschreitungen ist dokumentiert bei Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. VII, 1984, S. 1013 (72 Tote und 497 Schwerverletzte bei 322 Auseinandersetzungen allein in Preu­ ßen). In diesen Zahlen ist Berlin nicht einmal erfasst, dazu PP Berlin, DJZ 1930, 877. Vgl. die Denkschrift Severins in VjhZg 1960, 281 ff. 691 Blomeyer, Der Notstand in den letzten Jahren von Weimar, 1999, S. 489. Blomeyer spricht in diesem Zusammenhang für die Zeit nach dem Sturz Brünings von einem „Kalten Bürger­ krieg“ zwischen vier Gruppen: Der SPD (mit Teilen der Gewerkschaften, der preußischen Po­ lizei und dem Reichsbanner) der Regierung Papen (mit dem Stahlhelm, der DNVP, Teilen der Industrie der „ostelbischen Landwirtschaft“ der Reichverwaltung und Reichswehr), der Na­ tionalsozialisten sowie der Kommunisten (mit Teilen der Gewerkschaften und dem Rotfront­ kämpferbund). 692 Rechnet man die Notverordnungen gegen den Waffenmissbrauch vom 25.07.1930, RGBl. I 1930, S. 352, die für das „gemeinsame bewaffnete Erscheinen“ zu politischen Zwecken eine Strafe androhte, kann man den Zeitrahmen entsprechend früher ziehen. 693 Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 191. 694 Diese traten neben das (zweite) Republikschutzgesetz, dessen § 8 die versammlungsrecht­ lichen Regelungen der §§ 14 ff. des Republikschutzgesetzes von 1922 erheblich gemildert hatte, Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 193. 695 Nachfolgend wird nur auf die jeweiligen versammlungsrechtlichen Besonderheiten mit Bezug zur Organisationsidee eingegangen. Eine vertiefte Darstellung der Notverordnungs­ praxis findet sich bei Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 191 ff., auf die hier um­ fassend verwiesen sei.

E. Zwischen Revolution und Notverordnung

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Bereits mit der Verordnung zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 28.03.1931696, die wesentlich eine Reaktion auf die gewalttätigen Auseinanderset­ zungen der jeweiligen „Parteiarmeen“, namentlich der SA und des Rotfrontkämp­ ferbundes, war,697 knüpfte die Rechtsetzung, wenn auch nicht mehr als Legislative, sondern nunmehr als Exekutive, an die hergebrachten Muster der Versammlungs­ gesetzgebung an. So wurde für „öffentliche politische Versammlungen sowie alle Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel“ eine Anmeldepflicht einge­ führt, § 1 NVO vom 28.03.1931. Der Begriff „Anmeldung“ entsprach dabei der Reichsverfassung.698 Die NVO ging aber über diese hinaus, indem auch öffentliche Versammlungen, die nicht unter freiem Himmel stattfanden, anmeldepflichtig­ gemacht wurden. Entsprechend sah § 16 NVO vom 28.03.1931 eine Außerkraft­ setzung des Art. 123 WRV vor. Die möglichen Verbotsgründe wurden gegenüber der WRV erweitert, insb. konnte nun mehr nicht nur bei „unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ (§ 123 Abs. 2 WRV), sondern bereits bei „Besorgnis“ einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ein Verbot ausgespro­ chen werden, § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 NVO vom 28.03.1931. Es bestand folglich wie­ der eine Generalklausel für Versammlungsverbote.699 Die Zentralgestalt hatte bei der Anmeldung, wie bereits vor 1908 in vielen Lan­ desgesetzen üblich, Ort, Zeit und Verhandlungsgegenstand anzugeben. Diese An­ knüpfungen an die Ordnungsidee wurden jeweils mit entsprechenden Strafvor­ schriften bei Zuwiderhandlung (§ 2 NVO vom 28.03.1931) versehen. Aufnahme fand nach Jahren hier auch wieder die bloße Teilnehmerstrafbarkeit für verbotene oder nicht angemeldete Versammlungen, § 3, die ebenfalls mit Gefängnis oder Geldstrafe bedroht war, wobei anders als für die Zentralgestalt kein Mindeststraf­ maß vorgesehen war.700 Eine Reaktion auf ein versammlungsrechtliches Novum war die Aufnahme von „Personenfahrten auf Lastkraftwagen […] zu politischen Zwecken“, welche die klassischen Versammlungen ergänzten und ein wesent­ liches Propaganda- und Kampfmittel wurden. Die Regelungen zu Versammlungen 696 Verordnung des Reichspräsidenten zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 28.03.1931, RGBl. I 1931, S.  79; zu dieser Gusy, Weimar  – die wehrlose Republik?, 1991, S. 193 ff. 697 Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 193. 698 War folglich zu verstehen als „Anzeige“, nicht aber als „Genehmigung“. 699 Verbote waren darüber hinaus dann möglich, wenn eine Versammlung als „unfriedlich“ eingeordnet wurde. Dieses wurde etwa angenommen, wenn es grade der Zweck der Versamm­ lung sei, „gegen ein Strafgesetz, sei es auch nur einen Übertretungsparagraphen zu versto­ ßen“ oder „die tatsächlich stattfindenden Erörterungen den öffentlichen Frieden stören“ oder es wenn es in der Versammlung „selbst zu Friedensbrüchen, Schlägereien“ kam, Brecht, Vereinsund Versammlungsrecht, 1932, S. 267 f., wobei in letzteren Fällen, da die Versammlung bereits stattfand, nur noch eine auf eine entsprechende Norm des allgemeinen Polizeirechts, § 10 II 17 PrALR bzw. später § 14 PrPolVerwG, gestützte Auflösung, nicht aber ein Verbot gem. Art. 123 Abs. 2 WRV, in Betracht kam. 700 Ergänzt um „Aufzüge“, § 10 Nr.  2 Dritte Verordnung des Reichspräsidenten zur Siche­ rung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 06.10.1931, RGBl. I 1931, S. 537.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

wurden hier für entsprechend anwendbar erklärt, § 4 Abs. 1, sodass auch die Ab­ grenzung zwischen Veranstalter und Teilnehmer Eingang fand, § 4 Abs. 2, 3. Das Abweichen von den Angaben der Anmeldung wurde wieder zu einem Auflösungs­ grund, § 6 Nr. 2, sodass auch hier die planende Rolle stärker in den Vordergrund gerückt wurde. Konnte die Zentralgestalt Abweichungen nicht verhindern, ging man davon aus, dass sie die Versammlung auflösen müsse, so sie sich nicht selbst strafbar machen wollte. Gleichzeitig fand auch das Recht, Auskunft über Ver­ bots- bzw. Auflösungsgründe zu erhalten, wieder Eingang in das Versammlungs­ recht, § 9. Die genannte Anmeldefrist von 24 Stunden, § 1 Abs. 1 S. 1, wurde noch dadurch faktisch verlängert, dass Plakate und Flugblätter, die öffentliche Ankün­ digungen politischer Versammlungen enthielten, bevor sie „angeschlagen, aus­ gestellt, verbreitet oder sonst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“, nochmals 24 Stunden zuvor der zuständigen Polizeibehörde zur Kenntnisnahme vorzulegen waren, § 10 Abs. 2. Auch deren zulässiger Inhalt orientierte sich an der Organisationsidee, indem er nur „die zur Bekanntmachung der Versammlung er­ forderlichen sachlichen Angaben über Ort und Zeit der Versammlung, Veranstal­ ter, Teilnehmer, Redner, Vortragsgegenstand, Aussprache und Eintrittsgeld enthal­ ten“ durfte, § 10 Abs. 2.701 Die NVO vom 06.10.1931702 präzisierte diesen Regelungsansatz weiter dahin, dass nicht nur Verstöße gegen Verbote gem. § 1 der NVO vom 28.03.1931 strafbar gestellt wurden, sondern auch solche gegen Verbote, die unmittelbar aufgrund von Art. 123 Abs. 2 WRV erlassen wurden, § 9. Darüber hinaus wurde die Möglichkeit geschaffen, Räume, „von denen aus eine Mehrheit von Personen aus politischen Beweggründen oder zu politischen Zwecken gemeinsam oder zusammen mit an­ deren Gewalttätigkeiten“ begingen, polizeilich zu schließen, § 7 Abs. 1 Nr. 1, was etwa die Versammlungsräume von Parteiorganisationen umfassen konnte.703 Diese Regelungen waren durchaus geeignet, der Polizei ein Mittel zur Befrie­ dung der Straße an die Hand zu geben. Die auf die Regierung Brüning folgende Re­ gierung Papen ließ sich nicht länger als zwei Wochen Zeit um diese zu beseitigen.704 Mit der NVO vom 14.06.1932705 wurden die über die WRV hinausgehenden Ver­ botsmöglichkeiten wieder aufgehoben, § 20 Abs. 2. An ihre Stelle trat eine Auf­ 701

Vgl. hierzu bereits die preußischen Regelungen zu Anschlägen, Kap. 2 C. I. 2. Dritte Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 06.10.1931, RGBl. I 1931, S. 537; zu dieser Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 203 ff. 703 Dieses findet sich noch in § 23 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz des deutschen Volkes vom 04.02.1933, RGBl. I 1933, S. 35. 704 Entsprechend resignierend bereits der Runderlass des Preußischen Innenministers ­Severing vom 17.06.1932, PrMBl. 1932, S. 614, in einer Aufzählung der fortgefallenen „wesentlichhe(n) Bestimmungen“; dazu auch Häntzschel, Die Verordnungen gegen politische Ausschreitungen, 1932, S. 106. 705 Verordnung des Reichspräsidenten gegen politische Ausschreitungen vom 14.06.1932, RGBl. I 1932, S. 297; zu dieser Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 207 ff. 702

E. Zwischen Revolution und Notverordnung

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zählung möglicher Verbotsgründe für öffentliche politische Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel, § 1, die dazu führen mussten, dass die Polizei je­ weils einen Rechtsbruch abwarten musste. Um der Polizei diese abwartende Posi­ tion auszugestalten, wurden als § 2 und § 3 wortgleich die §§ 13 und 14 des RVG706 (Entsendung von Beauftragten, Kundgabe ihrer Eigenschaft gegenüber Leiter oder Veranstalter und Bekanntgabe der Auflösungsgründe diesen gegenüber, Platzein­ räumung) in ihrer Anknüpfung an die Organisationsidee wieder im Versammlungs­ recht hervorgehoben.707 Anmeldevorschriften und Verbotsmöglichkeiten, genau entsprechend §§ 5, 18 RVG, sollte erst der Reichsinnenminister wieder einfüh­ ren können, § 4. Politisch war die Verordnung nichts anderes als „ein Zurückwei­ chen des Reiches gegenüber den politischen Gegnern der Republik insbesondere von rechts“.708 Mit der Verordnung des Reichsministers des Innern über Versammlungen und Aufzüge vom 28.06.1932709 tat die Reichsregierung zwar auf den § 4 der NVO vom 19.06.1932 gestützt wieder einen Schritt zurück und führte die gerade aufgeho­ benen Regelungen fast wortgleich wieder ein, verzichtete aber auf die Ausgestal­ tung der Verbotsgründe sowie die Aufnahme der Lastwagenfahrten. Diese VO stand jedoch in unmittelbarem Zusammenhang mit der NVO710 vom gleichen Tage, die den Ländern die Möglichkeit nahm, abseits „unmittelbarer Gefahren für die öffentliche Sicherheit“ und auch dann nur „für bestimmt ab­ gegrenzte Ortsteile“ und nur „im Einzelfalle“ Versammlungsverbote zu erlassen, § 1 Abs. 1 NVO vom 28.06.1932. Flächenverbote „für das ganze Reichsgebiet oder einzelne Teile“ wurden nach deren § 2 nur noch dem Reichsminister des In­ nern zugestanden. Was hier als Erweiterung der Versammlungsfreiheit erschien, hatte allerdings zur Folge, dass den Landesregierungen, so ihre unteren Stellen nicht wollten oder konnten, die Möglichkeiten fehlten, in ihren Gebieten für „öf­ fentliche Sicherheit und Ordnung“ i. S. d. Art.  48 Abs.  2 WRV zu sorgen, was wiederum dem Reichspräsidenten die Tür zu „nötigen Maßnahmen“ öffnete. So wurden über den Weg der Verlagerung von Versammlungsverboten auf die (über­ forderten) örtlichen Stellen die Landesregierungen doppelt geschwächt.711 Die fast gleichzeitige Aufhebung des SA-Verbotes712 und die damit einhergehende massiv steigende Gewalt im Wahlkampf713 musste so früher oder später zwangs­ 706 Ebenso die dazugehörige Strafvorschrift § 18 Nr.  3 RVG, nunmehr § 15 Nr.  1 der Ver­ ordnung. 707 Ob §§ 13, 14 RVG nicht ohnehin weitergalten, war umstritten, s. o. Kap. 2 E. II. 708 Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 207, 211. 709 Verordnung des Reichsministers des Innern über Versammlungen und Aufzüge vom 28.06.1932, RGBl. I 1932, S. 339. 710 Zweite Verordnung des Reichspräsidenten gegen politische Ausschreitungen vom 28.06.1932, RGBl. I 1932, S. 339. 711 Zu diesem Vorgehen der Reichsregierung Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 209. 712 Vom 16.06.1932. 713 Schulz, Von Brüning zu Hitler, 1992, S. 887–895.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

weise zu Möglichkeiten der Reichsexekution führen. Für Preußen führte dieser Weg über Altona.714 In Folge des „Altonaer Blutsonntags“ erging ein reichsweites Verbot715 gem. § 2 NVO vom 28.06.1932 für Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge. Dieses ließ, anders als vorhergehende Verbote, den Charakter der Versammlung unberücksichtigt.716 Ergänzt wurde dieses Verbot für Versammlungen unter freiem Himmel durch eine Kette weiterer Verbote für „öffentliche politische Versammlungen“, also auch solche in geschlossenen Räumen, verstanden als „Versammlungen, die zu politischen Zwecken oder von politischen Vereinigungen veranstaltet werden“, § 1 S.  2 NVO vom 02.11.1932. Die Einordnung einer Versammlung als poli­ tisch folgte hier wesentlich der Zielrichtung, welche ihr durch den Veranstal­ ter beigemessen wurde. Insgesamt bestanden Verbote für öffentliche politische Versammlungen vom 31.07.–10.8.1932717, vom 12.08.–31.08.1932718 sowie vom 06.11.1932–02.01.1933719. Das jenerzeitige Verständnis des Begriffs „Versammlung unter freiem Himmel“ zeigte sich dabei in der Ausnahme für „Versammlungen unter freiem Himmel, wenn sie in festumfriedeten, dauernd für Massen­ besuch eingerichteten Anlagen stattfinden und ihr Besuch nur gegen Eintrittskarten zuge­ lassen ist“

in § 1 Abs. 2 NVO vom 18.07.1932.720 Der breite Versammlungsbegriff zeigte sich in der später721 aufgenommenen Ausnahme für

714

Zum „Altonaer Blutsonntag“ Schirmann, Der Altonaer Blutsonntag, 17. Juli 1932 – Dich­ tungen und Wahrheit, 1994; zum sog. „Preußenschlag“ (20.07.1932) Grund, „Preußenschlag“ und Staatsgerichtshof im Jahre 1932, 1976. 715 Zweite Verordnung des Reichsministers des Inneren über Versammlungen und Aufzüge vom 18.07.1932, RGBl. I 1932, S. 355. 716 Die Verbote vom 08.12.1931 und 17.03.1932 der Regierung Brüning für die Zeit vom 09.12.1931–03.01.1932 vom 20.03.–03.04.1932 erfassten insoweit nur „politische Versamm­ lungen unter freiem Himmel“. 717 Notverordnung vom 29.07.1932, RGBl. I 1932, S. 389. 718 Notverordnung vom 09.08.1932, RGBl. I 1932, S. 407. 719 Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung des inneren Friedens vom 02.11.1932, RGBl. I 1932, S.  517 mit Ausnahmemöglichkeiten für „Versammlungen in geschlossenen Räumen zur Vorbereitung von Wahlen zu öffentlichen Körperschaften […] sofern diese Wah­ len im Monat November stattfinden“ (Reichstagswahl); Verordnung des Reichspräsiden­ ten zur Sicherung des inneren Friedens vom 03.11.1932, RGBl. I 1932, S.  519; Notver­ ordnung vom 18.11.1932, RGBl. I 1932, S. 529 mit Ausnahmen für die Wahlen im Januar 1933. 720 Zweite Verordnung des Reichsministers des Inneren über Versammlungen und Aufzüge vom 18.07.1932, RGBl. I 1932, S. 355. 721 Dritte Verordnung des Reichsministers des Innern über Versammlungen und Aufzüge vom 22.07.1932, RGBl. I 1932, S. 385.

E. Zwischen Revolution und Notverordnung

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„Gedenkfeiern, Trachtenfeste und sonstige Veranstaltungen, die der Förderung künstlerischer, kultureller oder heimatlicher Zwecke dienen und von Körperschaften oder von Vereinigun­ gen unpolitischer Art veranstaltet werden.“722

Weitere Ausnahmen für Versammlungen unter freiem Himmel enthielt die „Ge­ burtstagsverordnung“723 zu Ehren Hindenburgs, die „solche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge, die zu Ehren des 85. Geburts­ tages des Herrn Reichspräsidenten veranstaltet werden […] am 1., 2. und 3. Oktober 1932“,

erlaubte. Eine entsprechende Verordnung724 erlaubte den obersten Landesbehör­ den Veranstaltungen, „die zum Gedenken an die Toten des Weltkrieges veranstal­ tet werden“, zuzulassen. In der Gesamtbetrachtung war die Rechtslage durch die verschiedenen Verord­ nungen so unübersichtlich725 geworden, dass Häntzschel bereits 1931 attestierte: „Die verschiedenen Verordnungen greifen vielfach ineinander über, so daß es außerordent­ lich schwierig geworden ist, sich in ihnen zurechtzufinden.“726

Eine Klärung der völlig unübersichtlich gewordenen Rechtslage versuchte die Regierung Schleicher mit der NVO vom 19.12.1932,727 die das vorstehend be­ schriebene Konglomerat aufhob, § 1, und lediglich eine §§ 13, 18 Nr. 3 RVG ent­ sprechende Regelung beibehielt, § 2. Mit der Aufhebung der Notverordnungen en­ dete hier auch die Aussetzung des Art. 123 Abs. 2 WRV. Den eigentlichen Zweck der Notverordnungen nach Art. 48 Abs. 2 WRV, die Republik und ihre Verfassung zu schützen, hatten die Notverordnungen seit 1931 sämtlich verfehlt.728 2. Das Ende der Republik Spätestens seit der Zeit der Notverordnungen von 1931 befand sich die Repu­ blik in Auflösung.729 Die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz des deut­ schen Volkes vom 04.02.1933730 führte zwar ein, in ganz wesentlichen Teilen den 722 Dieses kann freilich auch als Klarstellung gelesen werden, dafür spricht der Wortlaut „gilt ferner nicht“, ebd. 723 Vierte Verordnung des Reichsministers des Innern über Versammlungen und Aufzüge vom 24.09.1932, RGBl. I 1932, S. 483. 724 Fünfte Verordnung des Reichsministers des Innern über Versammlungen und Aufzüge vom 22.10.1932, RGBl. I 1932, S. 515. 725 Hiervon zeugen die selbstständige Kommentierung Häntzschels, die von 1931 bis 1932 in kurzer Folge erschien, sowie die ergänzenden Kommentierungen zum „Versammlungs-Not­ recht“, etwa bei Kempner, in: Drews, Preußisches Polizeirecht, 1933, S. 39 ff. 726 Häntzschel, Die Verordnungen gegen politische Ausschreitungen, 1931, Vorwort S. 3. 727 Verordnung des Reichspräsidenten zur Erhaltung des inneren Friedens vom 19.12.1932, RGBl. I 1932, S. 548; dazu Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 212 f. 728 Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 214. Zu den Vollzugsdefiziten ebd., S. 304. 729 Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 191 m. w. N. 730 RGBl. I 1933, S. 35.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

bereits bekannten versammlungsrechtlichen Regelungen wörtlich entsprechen­ des, System in geordneter Form wieder ein – allerdings unter bereits völlig ande­ ren politischen Vorzeichen, nämlich der Etablierung des NS-Regimes. So fanden die Anmeldepflicht mit einer Frist von 48 Stunden, § 1 Abs. 1, Verbots- und Auf­ lösungsmöglichkeiten, § 1 Abs.  2 und § 2, Beauftragtenregelung und Recht auf Mitteilung der Auflösungsgründe, §§ 3 und 4, sowie daran anschließende Strafvor­ schriften, §§ 16, 17, erneut Eingang in das Versammlungsrecht. Neu war allerdings die Ausnahme aller „Veranstaltungen nicht politischer Art“ in § 1 Abs. 3. Waren diese Regelungen zumindest verständlich gefasst, verloren sie mit der in der sog. „Reichstagsbrandverordnung“731 erfolgten erneuten Aussetzung des Art. 123 WRV nach nicht einmal einem Monat ihre Bedeutung. Die Nationalsozialisten hatten die Möglichkeiten, nicht nur eine Regierung, sondern ein gesamtes Staatswesen durch Versammlungen permanentem Druck auszusetzen, umfassend genutzt. Die Aussetzung des Art. 123 Abs. 2 WRV durch die Reichstagsbrandverordnung und die systematische Unterdrückung freier Ver­ sammlungen nach dem Regierungswechsel waren insoweit ein logischer Schritt der Machtsicherung. Das eigentlich Neue am Modell des Nationalsozialismus bezogen auf Versamm­ lungen war hingegen ein anderer Schritt: Die Überschwemmung des Landes mit Versammlungen. Eine derartige Menge an Versammlungen wie nach 1933 hatte keine Zeit zuvor gesehen. Gleichzeitig fehlte diesen Versammlungen jegliche Ver­ sammlungsfreiheit.732 Zu diesem Zweck wurde die Organisation und Leitung der Versammlung zunächst vom Einzelnen umfassend auf die Organisation durch die Partei und nach deren Vereinigung mit dem Staat733 auf diesen verlagert. Dieses war für die Etablierung einer totalen Herrschaft von zentraler Bedeutung, ebenso wie die Etablierung von Aufmärschen der Partei, bei denen die Teilnehmer je­ weils nur noch als austauschbares Beiwerk der zum Führer gewordenen Zentral­ gestalt fungierten, hierin jedoch noch eine Abgrenzung zu bloßen Sympathisanten, d. h. Zuschauern, bildeten. Diese nach innen jeweils radikaler werdende Struktur ist das wesentliche Merkmal der „totalen Organisation“ (H. Arendt), die die Orga­

731

Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat, RGBl. I 1932, S. 83. Als Beispiel der wenigen freien nicht geheimen Versammlung können Beerdigungen ge­ sehen werden, die, wie die Eitel Friedrich von Preußens, durchaus noch größere Menschen­ mengen ohne (staats)parteiliche Organisation zusammenbrachten. Erst zu Kriegsende kam es wieder zu freien Versammlungen, die zumindest für die jeweiligen Zentralgestalten in der Re­ gel mit sofortiger Ermordung endeten, dazu Kempner, Priester vor Hitlers Tribunalen, 1966, S. 268, 315. Ein bedeutsamer Fall des Handelns auch durch Versammlungen stellt der Kreuz­ kampf im Oldenburger Münsterland dar, dazu allgemein Pohlschneider, Der nationalsozialisti­ sche Kirchenkampf in Oldenburg, 1978; zu Versammlungen Kuropka, Zur Sache – Das Kreuz!, 1987, dort auch zu Auswirkungen in andere Regionen, S. 371 f. mit Bildern einer Demonstra­ tion vom 12.01.1937. 733 Vgl. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat vom 29.03.1935, RGBl. I 1935, S. 502. 732

E. Zwischen Revolution und Notverordnung

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nisation des gesamten Volkes umfasst.734 Hierzu war die Übernahme der Zentral­ gestalt die tragende Maßnahme. Das Paradoxon dieses Schrittes ist, dass nach Jahrhunderten der Einschränkung von Versammlungen und insb. des Vorgehens gegen die Zentralgestalt der Staat selbst die Rolle der Zentralgestalt übernahm und damit die Versammlungsfreiheit radikaler beseitigte, als jedes bloße Verbot es gekonnt hätte.735

VI. Zwischenergebnis Zusammenfassend ist eine einheitliche Wertung der Idee der organisierten Ver­ sammlung im Republikschutzgesetz sowie den Notverordnungen kaum möglich. Die Regelungen blieben Stückwerk ohne jegliches Konzept, schwankend zwi­ schen Totalverbot und Begrenzung von Versammlungen. Während in den ersten Jahren der Republik vorübergehende Verbote im Vordergrund standen und auch das Republikschutzgesetz der Zentralgestalt kaum Beachtung schenkte, nähert sich die Regelungspraxis (nunmehr der Exekutive)  in ihren Notverordnungen den hergebrachten Regelungen an, namentlich durch die Einführung der Anmel­ depflicht und die für diese zu leistenden Angaben, von denen im Verlauf, wollte man nicht Auflösung und Strafe riskieren, nicht mehr abgewichen werden konnte. Hierher gehört auch das Recht des Leiters bzw. Veranstalters Verbots- und Auf­ lösungsgründe mitgeteilt zu bekommen. Die folgenden Verbotsketten lassen nur noch insoweit Rückschlüsse zu, als dass für die Einordnung einer Versammlung als politisch maßgeblich auf die planenden Instanzen abgestellt wurde. In der Gesamtschau erweist sich das Versammlungsrecht zwischen Revolution und Notverordnungen als uneinheitliches Gebilde, das im Spagat zwischen weitest möglicher Freiheit, wie sie der Rat der Volksbeauftragten und – in beschränktem Umfang – die WRV verkündeten, und der Realität von Verbot und Auflösung nie einen konsequenten Weg fand. Entsprechend schwankend war auch die Anknüp­ fung an die Idee der organisierten Versammlung. Einerseits wurden die Vorschrif­ ten, die der Zentralgestalt Pflichten auferlegten, als Belastungen angesehen und entsprechend das RVG für nicht mehr anwendbar gehalten, andererseits führte die­ ses rechtlich scheinbare „Mehr“ an Freiheit nicht stets auch zu mehr tatsächlicher Freiheit. Insb. die weithin genutzten Möglichkeiten, Versammlungen zu überneh­ men oder zu sprengen, wie sie sich in den Erlassen der preußischen I­ nnenminister

734

Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 1955, S. 760, 766 ff. Die SED kopierte dieses Modell erfolgreich  – bis ihr die Rolle als Zentralgestalt 1989 entglitt. Aus der Übernahme der Initiatorenfunktion durch den Staat darf allerdings auch unter dem GG nicht geschlossen werden, dass im Ganzen keine Versammlung mehr vorliege. Zwar kann sich der Staat als Zentralgestalt nicht selbst auf Grundrechte berufen, doch genießen die teilnehmenden Bürger Grundrechtsschutz, dazu BVerfG, NVwZ 2005, 1055 (1056): „Tag für Demokratie“. 735

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

Severing und Grzesinski zeigten, zeigten auch die Schwäche des Ansatzes einer völligen Freigabe des Versammlungsrechts. Zudem wird hier deutlich, dass die Ausübung der Versammlungsfreiheit eben nicht mehr nur oder gar primär durch den Staat – sofern er nicht selbst Zentralgestalt wird – beeinträchtigt oder verhin­ dert werden kann, sondern auch durch Dritte. Dieses stellte zwar keinen Bruch der Kontinuität der Anknüpfung an die Organisationsidee dar, zeigte als deren Krise jedoch auch die Anfälligkeit organisierter Versammlungen. Der sich auch aus dieser Krise der Organisationsidee entwickelnde Gedanke des grundrechtlichen Schutzes freier Versammlungen läutete jedoch auch einen Paradigmenwechsel im Versammlungsrecht ein, wenn dieser auch erst unter dem Grundgesetz langsam wirksam werden konnte.

F. „Verwaltungsrecht besteht“? – Das Versammlungsgesetz 1953 Nach der Befreiung 1945 sah sich die in ihrer Gründung befindliche Bundesre­ publik einer völlig anderen Situation gegenüber als die Republik des Jahres 1918. Zwar hatte der Nationalsozialismus unvergleichbares Elend auch über Deutsch­ land gebracht, doch bestand nun die Möglichkeit unter dem Schutzschild der de­ mokratischen Befreier ein rechtsstaatliches demokratisches Gemeinwesen zu er­ richten, ohne dabei der permanenten Bedrohung von Terror und Bürgerkrieg ausgesetzt zu sein. Unter diesem Vorzeichen der umfassenden Sicherheitsgewähr­ leistung von außen konnte so zunächst das Grundgesetz und in der jungen Bundes­ republik sodann das Versammlungsgesetz entstehen. Einzelne Regelungen der­ Befreier und der Länder finden sich jedoch bereits vor diesen.

I. Versammlungsrechtliche Regelungen der Befreier Mit dem Kriegsende am 08.05.1945 ging das Versammlungsrecht in den Kom­ petenzbereich der Befreier über, die dieses jeweils zonal in den Verordnungen der Militärregierung regelten. Dabei wählte bspw. die britische Militärregierung ein System, das Versammlungen in drei Gruppen einteilte (öffentliche unpolitische Versammlungen,736 politische Versammlungen737 und öffentliche Umzüge738) und bereits am 15.09.1945 in Kraft trat. Dabei fasste die britische Militärregierung den Begriff der Versammlung weit, sodass etwa auch Veranstaltungen zu „sportlichen, unterhaltenden, Erholungs-, Wohlfahrts- oder ähnlichen unpolitischen Zwecken“ 736

Verordnung der Militärregierung (MRegVO) Nr. 9, abgedruckt in Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen, 1946, S. 7. 737 MRegVO Nr. 10, abgedruckt in Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen, 1946, S. 7 f. 738 MRegVO Nr. 11, abgedruckt in Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen, 1946, S. 8.

F. „Verwaltungsrecht besteht“? – Das Versammlungsgesetz 1953 

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erfasst waren.739 Diese durften bereits ab September 1945 in der britischen Zone wieder ohne Genehmigung stattfinden. Für „Filmvorführungen, Inszenierungen oder Aufführungen von Theaterstücken, Konzerten, Opern, Jahrmärkten, Zirkus­ sen, Karnevalen“ bedurfte es jedoch der Eintragung und Zulassung.740 Auffällig ist, dass die Militärregierung für die Bestimmung verbotenen Verhaltens sich nicht auf die Begehung „während“ einer Versammlung beschränkte, sondern ausdrück­ lich die Planungsphase („oder im Laufe der Vorbereitung“) mit einbezog, was eine Orientierung an der Zentralgestalt nahelegt.741 Für politische Versammlungen hingegen war durch die Person, die eine solche abzuhalten wünschte, zunächst ein „Antrag auf Genehmigung der Abhaltung“ bei der Militärregierung zu stellen,742 sofern es sich dabei um öffentliche Versammlun­ gen handelte.743 Der Antrag war „volle sieben Tage vor dem Datum der geplanten Versammlung“ zu stellen und musste umfassende Angaben über Veranstalter, Red­ ner, „genauen Zweck der Versammlung“ sowie „Namen jeder politischen Ver­ einigung, die sie unterstützt“ enthalten.744 Zusätzlich musste der Antragsteller eine „unterzeichnete Zusicherung hinzufügen, die bestätigt, daß alle in der Militär­ regierungsgenehmigung enthaltenen Vorschriften und Bedingungen befolgt wer­ den“ – er hatte mithin umfassend und unter Strafandrohung für die allseitige Ein­ haltung von Auflagen einzustehen.745 Diese „Vorschriften und Bedingungen“ der Genehmigung waren jeweils vor Beginn der Versammlung „durch öffentliches Verlesen“ mitzuteilen.746 Bloße Teilnehmer („der einer politischen Versammlung beiwohnt“) waren hingegen nur für ihr Handeln verantwortlich.747 Für öffentliche Umzüge galten den politischen Versammlungen weitestgehend entsprechende Vorschriften,748 wobei ein Umzug auch eine sich bewegende Ver­ sammlung zu „unterhaltenden, religiösen oder anderen Zwecken“ sein konnte und nicht notwendig politisch sein musste.749 Die versammlungsrechtlichen Regelungen nahmen also die Anknüpfung an die Organisationsidee auf und hoben den Veranstalter insb. als Verantwortlichen  – auch für das Tun Dritter – heraus. 739

MRegVO Nr. 9, Art. I. MRegVO Nr. 9, Art. II. i. V. m. Gesetz Nr. 191 der Militärregierung. Bei der „Eintragung und Zulassung“ handelte es sich um eine Art Anzeige. 741 MRegVO Nr. 9, Art. III. 742 MRegVO Nr. 10, Art. I. Nr. 1. 743 MRegVO Nr. 10, Art. IV. Nr. 8, dort auch zur Legaldefinition der „politischen Versamm­ lung“ als eine „öffentliche Versammlung, die zu politischen Zwecken abgehalten wird.“ 744 MRegVO Nr. 10, Art. I. Nr. 2. 745 S. auch die Strafbestimmung des Art. III. Nr. 6, 7. 746 MRegVO Nr. 10, Art. I. Nr. 4. 747 MRegVO Nr. 10, Art. III. Nr. 6 lit. b). 748 MRegVO Nr. 11 mit Besonderheiten etwa für „die Verwendung einer Kapelle oder das Mitführen von Fahnen“, die explizit anzugeben waren, Art. I. Nr. 2 lit. d). Eine politische Ver­ sammlung vor oder nach dem Umzug war zusätzlich anzuzeigen, MRegVO Nr. 11, Art. I. Nr. 3. 749 MRegVO Nr. 11, Art. IV. Nr. 9. 740

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

II. Erste versammlungsrechtliche Regelungen der Länder Noch bevor die durch die Militärregierung bestimmten Sicherungsmaßnahmen in Bezug auf Versammlungen am 17.03.1950 entfielen,750 trafen die Länder bereits Vorkehrungen zum Schutz der Parlamente (Bannkreise),751 wie sie auch der Par­ lamentarische Rat in seinen Beratungen752 stets für notwendig erachtete. Die Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen der Hohen Kommission fiel damit unmittelbar zusammen mit einem Anstieg der Auseinandersetzungen bei politi­ schen Versammlungen, die das Kabinett im März 1950 beriet. Auf die namentlich mit Kundgebungen der sog. Freien Deutschen Jugend (FDJ) einhergehenden Aus­ einandersetzungen, die sich im Folgenden insb. aus Anlass des Beschlusses des Wehrbeitrages verschärften,753 reagierten die Länder zunächst mit landesweiten Verboten in Form von Polizeiverordnungen, teils gestützt auf § 14 des Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes i. V. m. § 1 RVG,754 teils gestützt auf §§ 14 und 25 des Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes755 – teils auch mit härterem Vorgehen der Polizei756 bis zum Schusswaffeneinsatz.757 Die bayerische Regierung versuchte ab Februar 1951, ein umfassenderes gesetzliches Vorgehen u. a. gegen derartige Aus­ schreitungen mit dem „Entwurf eines Gesetz zur Sicherung des politischen Frie­ dens in Bayern“ zu ermöglichen.758

750 Gesetz Nr.  2  – A (Aufhebung von Rechtsvorschriften über politische Parteien, Vereine nicht-politischen Charakters, Versammlungen und Umzüge) der Alliierten Hohen Kommission vom 17.03.1950, Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission 1950, S. 138. Betroffen waren etwa die MRegVO Nr. 9, 10, 11 der britischen Militärregierung, Art. 1 Nr. 2, 3, 4. 751 Etwa Berlin, Gesetz über die Befriedung des Tagungsortes der Stadtverordnetenver­ sammlung vom 15.08.1949, Verordnungsblatt für Groß-Berlin 1949, S.  287. NRW, Gesetz vom 23.12.1949, GVBl. 1950, S.  13. Kurz darauf etwa Hamburg, Gesetz über die Befrie­ dung des Rathauses in Hamburg vom 10.05.1950, HHGVBl. 1950, S. 97; Schleswig-Holstein, Gesetz über die Befriedung des Gebäudes des Landtages vom 30.05.1950, SHGVBl. 1950, S. 197. 752 S. Kap. 2 F. IV. 1. 753 Kutscha, in: Kutscha, Demonstrationsfreiheit, 1986, S. 18 f. 754 So NRW, Polizeiverordnung über das Verbot von Versammlungen unter freiem Himmel vom 05.09.1950, GVBl. 1950, S. 159. 755 So Niedersachsen, Verordnung über das Verbot von Versammlungen und Aufzügen unter freiem Himmel vom 26.09.1950, GVBl. 1950, S. 49. 756 Kutscha, in: Kutscha, Demonstrationsfreiheit, 1986, S. 19, vgl. etwa auch den Ausspruch Lehrs im Bundestag, „die Unruhestifter haben die gebührende Prügel bekommen“, zitiert nach von Brünneck, Politische Justiz, 1978, S. 59. 757 Kutscha behauptet, es habe anlässlich einer FDJ-Veranstaltung am 11.05.1952 in Essen ein Schießbefehl bestanden, Kutscha, in: Kutscha, Demonstrationsfreiheit, 1986, S.  19. Tat­ sächlich starb ein Student. 758 Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung des politischen Friedens in Bayern. Der Titel war in Anbetracht der Notverordnungsgeschichte wohl etwas unglücklich gewählt. Der Streit um das Gesetz zog sich bis 1953, vgl. Die Zeit, „Zurück zur Zensur“, 05.03.1953, Nr. 10.

F. „Verwaltungsrecht besteht“? – Das Versammlungsgesetz 1953 

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Für Berlin hatte die Alliierte Kommandantur bereits am 10.08.1946 ein, der spä­ teren britischen Regelung ähnelndes, „kleines Versammlungsgesetz“, erlassen.759 Das den Militärregierungen darin vorbehaltende „Recht auf Genehmigung“ wurde ab Oktober 1949 vom Magistrat ausgeübt.760 Die dafür neu erlassenen Bestimmun­ gen gingen bereits grds. davon aus, dass eine Versammlung genehmigt würde und ein Verbot nur dann greifen sollte, wenn „die Abhaltung der Versammlung oder die Veranstaltung des Umzuges gegen die Gesetze verstoßen oder eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu befürchten ist“.761 Die unterschiedliche Wortwahl zwi­ schen „abhalten“ und „veranstalten“ zeigt hier deutlich die Orientierung an einer Versammlung mit Debattenkultur bzw. Zentralgestalt. Mit dieser Verantwortungs­ übergabe stand die Erklärung der Kommandantur in Zusammenhang, die „Vor­ legung gesetzlicher Bestimmungen“ zu begrüßen um „weitmögliche Erleichterun­ gen in der Kontrolle von öffentlichen Versammlungen [zu erreichen und,] um der Bevölkerung das Versammlungsgrundrecht zu sichern“.762 Magistrat und Stadtverordnetenversammlung nahmen diese Möglichkeit763 da­ hingehend auf, ein ganz wesentlich mit dem RVG übereinstimmendes „Gesetz über die Vereins- und Versammlungsfreiheit“764 neu zu erlassen.765 Dabei blieb man insb. bei den Regelungen der Kommandantur, nach denen Versammlungen unter freiem Himmel nicht nur anmelde-, sondern genehmigungspflichtig waren,766 so­ wie bei der Beibehaltung der Leiterpflicht, der zudem nun die Eingrenzung auf „öffentlich politische“ Versammlungen des § 10 RVG fehlte. 759

Alliierte Kommandantur Berlin BK/O (46) 325 vom 10.08.1946, abgedruckt in Vbl. Berlin 1946, S. 294. Ergänzend verlangte die Berliner Regelung etwa die Angabe der Tagesordnung, Nr. 2 Abs. III und machte auch „private politische Versammlungen“ mitteilungspflichtig, wobei sogar die Namen der eingeladenen Gäste „soweit möglich“ mitzuteilen waren, Nr. 5. Ähnlich den Regelungen des § 13 RVG waren auch Zutrittsrechte der Alliierten Behörden festgelegt, Nr. 8. 760 Anordnung über die Genehmigung öffentlicher Versammlungen und Umzüge vom 28.10.1949, Verordnungsblatt für Groß-Berlin 1949, S. 432. 761 Anordnung über die Genehmigung öffentlicher Versammlungen und Umzüge vom 28.10.1949, Verordnungsblatt für Groß-Berlin 1949, Nr. 3. 762 Alliierte Kommandantur Berlin BK/O (49) 171 vom 08.08.1949, abgedruckt in Verord­ nungsblatt für Groß-Berlin 1949, S. 267. 763 Die Kommandantur hatte bereits darauf hingewiesen, dass so man das „noch in Kraft be­ findliche deutsche Gesetz“ für hinreichend erachtete, auch eine diesbezügliche Erörterung der Rechtslage gegenüber der Kommandantur möglich sei, BK/O (49) 171, Nr. 3. 764 Gesetz über die Vereins- und Versammlungsfreiheit vom 29.09.1950, Verordnungsblatt für Groß-Berlin 1950, S. 442. Das Gesetz galt bis 1968 Berlin das VersG übernahm, Artikel I Ge­ setz zur Übernahme von Gesetzen vom 15.10.1968, GVBl. Berlin 1968, S. 1507. Die Alliierte Kommandantur strich allerdings § 1 Abs. 2 VersG zugunsten einer berlinspezifischen Regelung, BK/O (68) 11 vom 10.10.1968, GVBl. Berlin 1968, S. 1510. 765 Vgl. zu den Übereinstimmungen  – das Berliner Gesetz jeweils zuerst genannt  – zum RVG: § 1/§ 1 RVG; § 2/§ 3 RVG, § 3/§ 3 RVG, § 5/§ 2 RVG; § 6 Nr. 3/§ 4 RVG; § 7/§ 10 RVG, § 8/§ 11 RVG; § 9/§ 7 RVG; § 10/§ 8 RVG; § 11/§ 13 RVG; § 12/§§ 14 f. RVG; § 13/§ 16 RVG; § 14/§ 6 RVG; § 15 Abs. 2/§ 18 Nr. 2, § 19 Nr. 1 RVG; § 16/§ 18 RVG; § 17/§ 20 RVG. Anpas­ sungen betrafen etwa den Wortaustausch von „sofort“ (§ 16 RVG) zu „unverzüglich“ (hier § 13) sowie Anpassungen in Bezug auf Art. 9 Abs. 2 GG. 766 Vgl. Alliierte Kommandantur Berlin BK/O (46) 325 vom 10.08.1946.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

III. Das VersG von 1953 Wie bereits gezeigt, knüpft die absolute Mehrzahl aller Normen des VersG direkt an die Idee der organisierten Versammlung an.767 Deutlich wird dieses bereits im Wortlaut des § 1 Abs. 1 VersG, der das Veranstalten wie das Teilnehmen an einer Versammlung aufführt und damit zwischen Zentralgestalt und Teilnehmern diffe­ renziert. Die Ausrichtung an der Organisationsidee zeigt sich weiter deutlich an den Rechten des Veranstalters, den Leiter zu bestimmen (§ 7 Abs. 3 VersG) und Ausladungen vorzunehmen (§ 6 Abs. 1 VersG), sowie seiner Pflicht zur Anmeldung einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel (§ 14 Abs.  1 VersG). Die weitreichendste Orientierung an der Organisationsidee stellen jedoch die Pflicht zur Bestellung eines Leiters (§ 7 Abs. 1 VersG) sowie die mit seiner Person ver­ bundenen Rechte dar. Zu nennen sind die Zuweisung des Hausrechts (§ 7 Abs. 4 VersG), des Rechts über den Ablauf der Versammlung zu bestimmen (§ 8 S. 1 VersG) und Ordner zu verwenden (§ 9 VersG). Auch die Folgepflicht der Teilneh­ mer (§ 10 VersG) sowie das Ausschlussrecht des Leiters (§ 11 Abs. 1 VersG) zei­ gen deutlich die Orientierung des VersG an der Idee der organisierten Versamm­ lung mit in Planung und Durchführung lenkender Zentralinstanz einerseits und Teil­nehmern andererseits. Ruft man sich die Diskussion um die Frage, welche Normen nach dem Aufruf des Rates der Volksbeauftragten als Beschränkung und damit nicht mehr geltend angesehen wurden,768 in Erinnerung, fällt zudem insb. § 20 VersG auf, der deutlich macht, dass der Gesetzgeber des Versammlungsgesetzes den Regelung der §§ 1 bis 3 und 5 bis 13 VersG, also allen hier genannten abseits der Anmeldepflicht in § 14 VersG, keinen beschränkenden Charakter zuschrieb und entsprechend auf eine Aufnahme in die Zitierklausel verzichtete.

IV. Die Entstehung des VersG Die Vorüberlegungen zur Möglichkeit eines späteren Versammlungsgesetzes be­ ginnen bereits mit den Beratungen zum Grundgesetz auf Herrenchiemsee und im Parlamentarischen Rat. 1. Beratungen zum GG Vom 10. bis 23.08.1948 tagte auf Herrenchiemsee der durch die Ministerprä­ sidenten einberufene „Verfassungskonvent“. Diese Gruppe von jeweils zwei Sach­ verständigen pro Land („Expertengremium“769) erarbeitete ein Dokument, das­ 767

Vgl. Kap. 1 B. II. Vgl. Kap. 2 E. II. 769 Möllers, Wörterbuch der Polizei, 2010, Stichwort: Grundgesetz 3. 768

F. „Verwaltungsrecht besteht“? – Das Versammlungsgesetz 1953 

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unter anderem einen Entwurf (Herrenchiemsee-Entwurf)770 eines Grundgesetzes enthielt. Dieses sah für die Versammlungsfreiheit vor: „Art. 8. Alle haben das Recht, sich ohne vorherige Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln.“

Dieser Entwurf wurde zur Arbeitsgrundlage für den Parlamentarischen Rat, der ab dem 01.09.1948 seine Beratungen zum Grundgesetz aufnahm. In dessen „Aus­ schuß für Grundsatzfragen“771 wurden sodann die verschiedenen Vorschläge zur Fassung der Grundrechte diskutiert, während sich der Hauptausschuss bzgl. der Versammlungsfreiheit auf bloße Abstimmung beschränkte. Im Wortlaut schien die Organisationsidee damit eher zurückgedrängt. Doch be­ reits am 21.09.1948 trug der Berichterstatter Bergsträsser in seinem „Katalog der Grundrechte“ dem Grundsatzausschuss die Frage an, ob man nicht dem Chiem­seer Entwurf einen Zusatz hinzufügen sollte, dass Versammlungen unter freiem Him­ mel anmeldepflichtig gemacht werden könnten, wie es etwa bereits die hessische Verfassung vorsah.772 Man müsse beachten, dass es „sonst in Zeiten politischer oder sozialer Spannungen dazu kommen könnte, daß sich ent­ gegenstehende Gruppen Versammlungen unter freiem Himmel nahe beieinander abhalten und es dadurch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt.“773

Bergsträsser setzte damit zum einen das Vorhandensein eines Organisators voraus, der die Anmeldung vornehmen konnte, und griff zum anderen die zeitgeschicht­ liche Komponente der Versammlungen heraus, die die Beteiligten während der Weimarer Republik noch miterlebt hatten. Der Redaktionsausschuss des Grundsatzausschusses (Bergsträsser, Zinn, Heuss)774 schlug ganz entsprechend vor,775 den Artikel, hier als Art. 11, wie folgt zu fassen: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Bei Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz beschränkt wer­ den. Sie können bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden.“776

770

Abgedruckt in Bucher, Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, 1981, S. 581. Zu diesem und seinen Mitgliedern Pikart/Werner, Ausschuß für Grundsatzfragen, 1993, S.  X ff. An den Debatten beteiligten sich zum Versammlungsrecht wesentlich nur von­ Mangoldt, Bergsträsser, Zinn und Heuss. 772 S. „Katalog der Grundrechte“ vom 21.09.1948 mit Anregungen Bergsträsser als Bericht­ erstatter vom 21.09.1948, abgedruckt bei Pikart/Werner, Ausschuß für Grundsatzfragen, 1993, S. 25. 773 Ebd. 774 Vgl. Pikart/Werner, Ausschuß für Grundsatzfragen, 1993, S. 119. 775 6. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 05.10.1948, abgedruckt bei Pikart/ Werner, Ausschuß für Grundsatzfragen, 1993, S. 117. 776 Parlamentarischer Rat-Drs. 110, abgedruckt bei Pikart/Werner, Ausschuß für Grundsatz­ fragen, 1993, S. 117 Fn. 2. 771

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

Die Sortierung der Grundrechte war dabei so gefasst, dass nach der Meinungs­ freiheit (Art. 8 der seinerzeitigen Zählung) zunächst das Briefgeheimnis etc. folg­ ten, denn diese hätten zu jener, so der Vorsitzende von Mangoldt, „die engste Ver­ bindung“. Dann sollten Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre folgen und erst dann die Versammlungsfreiheit, die im Vergleich zur Vereinigungsfreiheit „die we­ niger enge Bindung“ zur Meinungsfreiheit habe.777 Die Formulierung wich zum einen durch die Ersetzung der Grundrechtsträger von „alle“ auf „alle Deutschen“ vom Chiemseer Entwurf ab und näherte sich zum zweiten auch mit der Aufnahme des einschränkenden zweiten Absatzes deutlich wieder der WRV an. Mit der Erklärung Zinns, warum man nunmehr von Deut­ schen spreche statt von allen, wird neben der dargestellten Sortierung auch deut­ lich, warum die Versammlungsfreiheit zumindest nicht auf Meinungsäußerung in politischen Angelegenheiten beschränkt war. Hintergrund war keine Einteilung in bürgerliche oder staatsbürgerliche Rechte, die eine politische Deutung nahelegen würden, sondern vielmehr eine außenpolitische: „Wenn wir von vornherein erklären würden, daß jeder Ausländer das gleiche Recht habe, würden wir uns von vornherein die Möglichkeit nehmen, uns in Staatsverträgen für Deut­ sche im Ausland das gleiche Recht zu sichern.“778

Die Einschränkungsmöglichkeiten sah der Ausschuss dabei als auch gegen­ über der WRV weitergehend an. Insb. sollte es verfassungsrechtlich möglich blei­ ben, eine Bannmeile für die Parlamente zu errichten, die „schlechthin jede Ver­ sammlung innerhalb der Bannmeile verbietet. Die Notwendigkeit einer solchen Beschränkung wird man aber nicht verneinen können.“779 Mit der Erinnerung an die massiven Bedrohungen und Angriffe auf Abgeordnete in der Weimarer Re­ publik vor Augen, konnte man dieses wohl nicht anders sehen.780 Die Ergänzung des der WRV entsprechenden Verbotsgrundes in Abs.  2 der Verfassung erklärte von Mangoldt später mit der Notwendigkeit, Verbotsmöglichkeiten bereits vor Er­ lass eines Versammlungsgesetzes zur Verfügung zu haben.781 Thoma schrieb in einer Stellungnahme zu dieser Fassung von gegenüber der WRV „geringen als Verbesserung anzusehenden Änderungen“.782 777

von Mangoldt, abgedruckt bei Pikart/Werner, Ausschuß für Grundsatzfragen, 1993, S. 118. Bei Pikart/Werner, Ausschuß für Grundsatzfragen, 1993, S. 128. 779 Zinn, abgedruckt bei Pikart/Werner, Ausschuß für Grundsatzfragen, 1993, S. 122. 780 So war etwa bei der Abstimmung über das sog. „Ermächtigungsgesetz“ (Gesetz zur Be­ hebung der Not von Volk und Reich vom 24.03.1933, RGBl. I 1933, S. 141) nicht nur die Kroll­ oper von der SS umstellt, vielmehr befand sich die SA, in weit höherer Zahl als ihre Mandats­ träger, sogar im Haus selbst. 781 von Mangoldt, 25. Sitzung am 24.11.1848, abgedruckt bei Pikart/Werner, Ausschuß für Grundsatzfragen, 1993, S. 685 sowie Verhandlungen des Hauptausschusses des Parlamentari­ schen Rates, 47. Sitzung am 08.02.1949, S. 603. 782 Thoma, Kritische Würdigung des vom Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Ra­ tes beschlossenen und veröffentlichten Grundrechtskatalogs vom 25.10.1948, abgedruckt bei­ Pikart/­Werner, Ausschuß für Grundsatzfragen, 1993, S. 370. 778

F. „Verwaltungsrecht besteht“? – Das Versammlungsgesetz 1953 

163

Der Allgemeine Redaktionsausschuss des Parlamentarischen Rates empfahl je­ doch, Abs. 2 einen weiteren Einschub hinzuzufügen: „Bei Versammlungen unter freiem Himmel darf dieses Recht durch Gesetz, jedoch nicht aus politischen Gründen, beschränkt werden. […]“783

Die Ablehnung dieser Formulierung durch den Grundsatzausschuss spiegelte sich wesentlich in den Worten des Abgeordneten Heuss „[…] es kommen überhaupt nur politische Gründe in Frage“.784

Dabei darf diese zumeist verkürzt wiedergegebene Aussage aber nicht dahin­ gehend verstanden werden, dass Heuss oder gar der Ausschuss die Versammlungs­ freiheit rein politisch verstand. Vielmehr ging es in der konkreten Debatte um Möglichkeiten polizeilichen Einschreitens. Bergsträsser erklärte hierzu: „Bei öffentlichen Versammlungen muß die Polizei, wenn zwei gegensätzliche Gruppen an demselben Tag eine Demonstration machen, schon die Möglichkeit haben, den einen zu sa­ gen: Geht nach dem Osten der Stadt, und den anderen zu sagen: Geht nach dem Westen der Stadt! Sonst prügeln sie sich, und es gibt Tote und einen Skandal.“785

Auch ein solches Vorgehen habe, so Bergsträsser, eben einen politischen Grund. Die Stellungnahme Heuss’ kann also nicht für eine Einschränkung des Versamm­ lungsbegriffes auf politische Themen herangezogen werden. Einen Vorschlag des Gewerkschaftsrates der Vereinten Zonen, der aus Sorge vor polizeilichen Maßnahmen eine Streichung des Abs. 2 wünschte, stieß in gleicher Sitzung des Grundsatzausschusses auf rigide Ablehnung.786 Der Hauptausschuss nahm die Fassung des Grundsatzausschusses in erster Le­ sung an.787 Zwar empfahl im Folgenden der Allgemeine Redaktionsausschuss788 zum Ärger des Grundsatzausschusses789 die Ersetzung der Worte „durch Gesetz“ 783 Parlamentarischer Rat-Drs. 28, abgedruckt bei Pikart/Werner, Ausschuß für Grundsatz­ fragen, 1993, S. 581. 784 Heuss, 25. Sitzung am 24.11.1848, abgedruckt bei Pikart/Werner, Ausschuß für Grund­ satzfragen, 1993, S. 684. Noch weiter: „Das scheint mir glatter Unsinn zu sein.“ und „Die Ver­ waltung kann damit nichts anfangen.“ 785 25. Sitzung am 24.11.1848, abgedruckt bei Pikart/Werner, Ausschuß für Grundsatzfragen, 1993, S. 684. 786 „Das machen wir nicht mit.“ (Bergsträsser); „Die Anmeldepflicht kommt selbstverständ­ lich in das Gesetz hinein.“ (Eberhard), 25.  Sitzung am 24.11.1848, abgedruckt bei Pikart/­ Werner, Ausschuß für Grundsatzfragen, 1993, S. 685. 787 Verhandlungen des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, 17.  Sitzung am 03.12.1948, S. 205 (210). 788 Parlamentarischer Rat-Drs. 370 vom 13.12.1848, abgedruckt bei Pikart/Werner, Aus­ schuß für Grundsatzfragen, 1993, S. 875 ff. (881). 789 von Mangoldt: „Da hat der Redaktionsausschuß nicht begriffen, was wir wollen“, 32. Sit­ zung am 11.01.1949, abgedruckt bei Pikart/Werner, Ausschuß für Grundsatzfragen, 1993, S.  939, nämlich Bannmeilengesetze zu ermöglichen, die unmittelbare Versammlungsverbote für die Parlamente konstituierten, ohne, dass diese erst durch Behörden im Einzelfall errichtet werden müssen (s. o.).

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

mit „auf Grund eines Gesetzes“, doch behielt der Hauptausschuss auch in zweiter Lesung die Fassung des Grundsatzausschusses bei.790 Der „Fünferausschuss“ empfahl darauf eine vermittelnde Fassung für den zwei­ ten Absatz „Bei Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz beschränkt wer­ den. Sie können bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit auf Grund eines ­Gesetzes verboten werden.“791,

welche der Hauptausschuss in dritter Lesung annahm.792 Warum in der vierten Le­ sung schließlich die Fassung „Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.“

einem Vorschlag des Allgemeinen Redaktionsausschusses793 folgend angenommen wurde,794 kann aus den Akten nicht mehr geklärt werden. Wahrscheinlich ist eine Verständigung zwischen von Mangoldt und dem Redaktionsausschuss, die die vo­ rausgegangen Missverständnisse klärte. Da es im Plenum des Parlamentarischen Rates nicht zu Erörterungen der Versammlungsfreiheit geschweige denn zu Ände­ rungen kam,795 konnte die bis heute geltende Fassung des Art. 8 „(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden.“

mit dem Grundgesetz am 08.05.1949 verabschiedet werden. Am 23.05.1949 trat es, nach Zustimmung der Militärverwaltung sowie der Landtage,796 in Kraft. Da anders als 1848 und 1850 in Preußen eine Debatte im Plenum zur Versamm­ lungsfreiheit ausblieb, bekommt die Ausschussarbeit, wie sie sich in der endgül­ tigen Fassung zeigte, eine besondere Bedeutung. Hierbei ist zu sehen, dass Kritik an Einschränkungsmöglichkeiten der Versammlungsfreiheit im Parlamentarischen Rat nicht existierte, vielmehr solche als alternativlos angesehen wurden. Dabei 790 Verhandlungen des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, 44. Sitzung am 19.01.1949, S. 569. 791 Parlamentarischer Rat-Drs. 591 vom 05.02.1949 (nicht veröffentlicht). 792 Verhandlungen des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, 47. Sitzung am 08.02.1949, S. 603 (616). 793 Parlamentarischer Rat-Drs. vom 02.05.1949 (nicht veröffentlicht). 794 Verhandlungen des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, 57. Sitzung am 05.05.1949, S. 743 (746). 795 Matz, in: JÖR 1 n. F. (1951), 113 (116), dort auch zum Vorstehenden. 796 Amtsblatt der Militärregierung Deutschlands, Britisches Kontrollgebiet, 1949, Nr.  35, Teil 2 B; der bayerische Landtag stimmte nicht zu, hatte sich jedoch die Annahme bei Zustim­ mung der Mehrheit vorbehalten, Verhandlungen des Bayerischen Landtags, 110. Sitzung am 19./20.05.1949, S. 79 ff.

F. „Verwaltungsrecht besteht“? – Das Versammlungsgesetz 1953 

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machen die Debatten auch deutlich, dass es weniger um die Sorge vor staatlichen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit ging als um solche vor einer Wieder­ holung der bürgerkriegsartigen Zustände, welche die erste Republik so stark belas­ tet hatten. Namentlich für die Abgeordneten Bergsträsser und Zinn (beide SPD), die diese Zustände in Berlin als Reichstagsabgeordneter bzw. Student und spä­ ter Referendar zeitweise selbst miterlebt hatten,797 spielte dieses eine wesentliche Rolle, wobei ihre Ausführungen im Ausschuss jeweils ohne Widerspruch blieben. Zusammenfassend orientierte sich der Parlamentarische Rat schließlich mehr an der WRV, ihren Begrifflichkeiten und den unter ihr herrschenden Verhältnissen als am Chiemseer Entwurf. Er wollte dabei weitere Beschränkungsmöglichkei­ ten, als sie die WRV zuließ. Namentlich stand die Wiedereinführung einer Anmel­ depflicht, verstanden als Anzeigepflicht i. S. v. § 5 RVG, durch ein zu schaffendes Versammlungsgesetz für den Parlamentarischen Rat als selbstverständlich außer Frage. Insoweit kann auch für den Parlamentarischen Rat von einer Orientierung an der Idee der organisierten Versammlung ausgegangen werden. 2. Beratungen zum VersG a) Vom ersten Entwurf des BMI zum Regierungsentwurf Bereits zu Beginn der ersten Legislaturperiode teilte Bundesinnenminister Heinemann am 23.02.1950 im Bundestag mit, dass das Innenministerium ein „Versammlungsordnungsgesetz“ bearbeite.798 Kompetenztitel hierfür war Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG a. F. Hintergrund dieser Überlegungen zu einem Gesetzentwurf waren eine Vielzahl von Vorfällen anlässlich von Versammlungen politischer Par­ teien in den Monaten vor und seit der Bundestagswahl. Diese erörterte im März 1950 auch das Kabinett.799 Hier einigte man sich darauf, dass ein „Gesetz über den Schutz politischer Versammlungen“ erlassen werden müsse und insb. nicht die Novelle zum StGB abgewartet werden könne, da diese „zu lange Zeit in An­ spruch nehme“.800 Noch bevor Heinemann den Gesetzentwurf seines Hauses mit den Innenministern der Länder erörterte,801 veröffentlichte er am 13.04.1950 einige Leitgedanken hierzu in der Zeit.802 Der Artikel mit dem vielsagenden Ti­ tel „Wettrüsten zur Saalschlacht“ macht die Motive des Gesetzes deutlich. So­ 797 Pikart/Werner, Ausschuß für Grundsatzfragen, 1993, Einleitung, S. XIV f. Bergsträsser trat erst 1930 von der DDP zur SPD über. 798 Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 40. Sitzung am 23.02.1950, S. 1338. 799 52. Kabinettssitzung am 14.03.1950, TOP L. 800 52. Kabinettssitzung am 14.03.1950, TOP L. Die StGB-Novelle erging schließlich am 01.10.1953, und damit unwesentlich später als das VersG. 801 Das Gesetzesvorhaben wurde auf der Konferenz der Innenminister am 14.04. erörtert, 59. Kabinettssitzung am 21.04.1950, TOP 5, Fn. 2. 802 Heinemann, Wettrüsten zur Saalschlacht?, in: Die Zeit, Nr. 15, 13.04.1950, S. 1. Dort auch zum Folgenden.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

berichtete ­Heinemann von „vielfältigen Mitteilungen über Störungen und Spren­ gungen politischer Versammlungen“, die „auf einen bedenklichen Gebrauch dieses Grundrechts schließen“ ließen. Folge hiervon sei, dass eine „große Partei“ bereits „‚organisatorische Maßnahmen zum Schutz der eigenen Versammlungen‘“ be­ schlossen habe. Hierin sah er den „Anfang eines planmäßigen privaten Saalschut­ zes“, dem andere Parteien folgen würden, sodass sich die Frage nach dem titel­ gebenden „Wettrüsten zur Saalschlacht“ stelle, wenn die Parteien zum „Angriff gegen Veranstaltungen politischer Gegner“ übergingen. Dabei war das Wort „An­ fang“ noch zurückhaltend gewählt, „Wiederaufleben“ hätte die Situation wohl besser beschrieben und genauer das gekennzeichnet, was die Regierung (wieder) aufkommen sah.803 Es sei also notwendig, über „eine Ordnung unseres Versamm­ lungswesens“ bzw. allgemeiner „die äußeren Formen unseres politischen Lebens“ nachzudenken bzw. diese zu verbessern. Hierzu hätten sich manche Regelungen des RVG als „unzulänglich“ erwiesen, andere seien „nicht mehr zeitgemäß“, so­ dass ohnehin Änderungsbedarf bestehe.804 Namentlich müsse das Hausrecht des Veranstalters näher ausgestaltet werden und dürften seine Befugnisse sich nicht nur auf die Möglichkeit der Auflösung beschränken. Diese sei, wie Heinemann völlig zutreffend begründete, aber nicht ausreichend, da es Störern nun einmal gerade auf die Auflösung ankäme. Als Reaktion war ein umfassenderes Konzept­ geplant, das den Veranstalter als Inhaber des Hausrechts in den Mittelpunkt des Gesetzes stellte. Zunächst sollte das Gesetz „alle Teilnehmer zur Wahrung von Ordnung und Si­ cherheit“ verpflichten, ein Schritt, der über die ehemalige Auferlegung entspre­ chender Pflichten nur dem Leiter gegenüber deutlich hinausging. Den Anfang für eine friedliche Versammlungskultur sollten „zunächst einmal die Veranstalter“ leisten, indem sie „selber alles unterlassen, was ihre politischen Gegner von vorn­ herein ungebührlich reizen muß“. Dieses umschrieb namentlich das Zeigen der Reichskriegsflagge und früherer Reichsfarben (§ 4 des Entwurfs des BMI)805, was bereits das politische Klima in Weimar vergiftet hatte, sowie das Verbot von Uniformen als Ausdruck politischer Gesinnung. Die Rechte des Leiters, dessen Vorhandensein wie in § 10 S. 1 RVG vorausgesetzt werden sollte, umfassten Ord­ nungsrufe, Ordnerverwendung „zur Durchsetzung seines Hausrechts“ und Aus­ schließungsrechte, ergänzend aber auch die Ausweispflicht von Teilnehmern ge­ genüber Leiter oder Ordnern (§ 11 des Entwurfs des BMI). Diesen Rechten sollte aber auch die Pflicht gegenübergestellt werden einzugreifen, wenn „verfassungs­ feindliche Ansichten oder Vorschläge vorgetragen oder diskutiert werden“, was 803 Die Beschreibung Heinemanns stellte auch nicht lediglich die Regierungsauffassung dar, sondern spiegelte zumindest die Erfahrungen, wenn auch nicht die Einschätzungen, aller zu je­ ner Zeit im Bundestag vertretenen Parteien wieder, dazu Kap. 2 F. IV. 2. 804 Heinemann ging, wie neben der Regierung auch der Bundestag, von einer Weitergeltung des RVG aus. Vgl. dazu § 30 VersG 1953 einerseits sowie den Streit um die Fortgeltung des RVG in Weimar andererseits, s. o. Kap. 2 E. II. 805 Ungedruckte Quelle, Az. des Bundesarchivs B 106/3229 Bd. 1, B 136/1933 und B 141/4689.

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durch Wortentziehung und nötigenfalls Auflösung der Versammlung durch den Leiter geschehen sollte (§§ 6 bis 13, 22 des Entwurfs des BMI). Die Zielrichtung des Entwurfs beschrieb Heinemann dabei in kaum zu übertreffender Deutlichkeit: „Es muß ein für allemal feststehen, daß es an der bestehenden demokratischen Grundord­ nung nichts herumzudeuteln gibt. Anders als in der Weimarer Republik sollte sich unsere junge Demokratie entschlossen gegenüber den Gegnern der inneren Freiheit den erforder­ lichen Respekt zu verschaffen wissen.“

Hierzu gehörte für ihn auch die Erweiterung der strafrechtlichen Bestimmungen des § 107a StGB um eine Regelung für „gröbliche Störungen“, insb. „verabredete oder gemeinschaftliche“. Eine Absicht zu solcher Tat ergäbe sich etwa „aus dem Mitbringen von Lärminstrumenten, Stinkbomben und Wurfgegenständen“ sowie dem „Widerstand gegen befugte hausrechtliche Anordnungen“. Aus den Überlegungen zu Saalschlachten, den Ausführungen zum Hausrecht sowie dem nahezu vollständigen Übergehen der Versammlungen unter freiem Himmel („besondere Bestimmungen [sind] zu erwägen“) geht auch hervor, warum das VersG den, für die heutige Situation zunächst unverständlich wirkenden, Auf­ bau über den Beginn mit den Versammlungen in geschlossenen Räumen, wählt: Hierin lag 1950 das absolut vorrangige Regelungsproblem. Heinemann schloss seinen Artikel mit den Worten: „Eine gesetzliche Festlegung einfacher Spielregeln dieser Art, einschließlich strafrechtlicher Bestimmungen, mag bedauert werden, aber sie ist nicht zu umgehen, solange wir nicht in gefestigter demokratischer Ordnung leben.“

Der Begriff der „Spielregeln“ sollte für die weitere Beratung eine erhebliche Bedeutung erlangen, zeigt er doch, dass eine Beschränkung des Versammlungs­ wesens in Ordnungsvorschriften, die an die Idee der organisierten Versammlung anknüpfen, nicht als solche eingeschätzt wurden. So verband sich im Entwurf des BMI Versammlungsschutz mit dem Schutz der Demokratie. Der Gedanke der vorübergehenden Notwendigkeit reihte sich dabei nicht nur in die damalige Einschätzung zum vorübergehenden Charakter des Grundgesetzes, sondern auch in Überlegungen ein, die bereits in den Preußischen Kammern in den Beratungen ab 1848 zum Ausdruck gekommen waren.806 Während Heinemann für den Entwurf in der Innenministerkonferenz großen Zuspruch fand und insb. im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlkämpfe zur Eile gemahnt wurde, stieß die Vorlage des BMI vom 18.04.1950 bereits im Kabinett auf „schwerste Bedenken“.807 Dehler kritisierte den Entwurf als „zu polizeistaat­ lich“, andere Minister störten sich besonders an § 4 des BMI-Entwurfs, der die alte Reichsflagge betraf und von dem befürchtet wurde, dass er „den ­Flaggenstreit 806

Zum vorübergehenden Charakter in den Beratungen der Kammern s. o. Kap. 2 C. I. 59. Kabinettssitzung am 21.04.1950, Punkt 5.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

erst popularisieren würde“.808 Schließlich könne der Versammlungsleiter gewisse Pflichten des Entwurfs des BMI809 „gar nicht ausführen“. Man einigte sich schließ­ lich darauf, den Entwurf zunächst mit den Koalitionsfraktionen zu besprechen. Nach einer Referentenbesprechung am 04.05.1950810 einigte man sich im Kabi­ nett schließlich darauf, die Regelungen zur Reichsflagge zu streichen und auch keine entsprechenden Verbote für Hakenkreuzfahnen aufzunehmen. Ebenso strich das Kabinett die Pflicht des Leiters zum Einschreiten gegen verfassungswidrige Äußerungen, da der Versammlungsleiter dieses „‚Polizeirecht‘“ ohnehin nicht wirksam ausüben könne und die „opponierenden Versammlungsbesucher dadurch nur Oberwasser erhielten und es erreicht würde, daß zum Schaden der ruhigen Teilnehmer die Versammlung nicht durchgeführt werden“ könne.811 Den nach den Beratungen des Kabinetts so neugefassten Entwurf vom 06.05.1950812 nahm das Kabinett am 09.05.1950 an.813 Der Bundesrat schlug in seiner Stellungnahme814 neben sprachlichen Änderungen wesentliche Regelungen des Entwurfs des BMI, die das Kabinett verworfen hatte, wieder zur Aufnahme vor (Reichsflagge, Pflicht des Versammlungsleiters zum Einschreiten), was das Kabinett aus den bekannten Gründen ablehnte.815 Mit den Stellungnahmen ging der Entwurf am 26.06.1950 an den Bundestag. b) Der Regierungsentwurf und seine Behandlung im Bundestag aa) Der Regierungsentwurf Obwohl Adenauer bereits in den Beratungen des Kabinetts darauf hingewiesen hatte, dass es „unbedingt erforderlich“ sei, „so rasch als möglich“ ein Versamm­ lungsgesetz zu erlassen,816 dauerte der Gesetzgebungsvorgang von der Übergabe des Regierungsentwurfs bis zum Gesetzesbeschluss dennoch mehr als drei Jahre. 808 59. Kabinettssitzung am 21.04.1950, Punkt 5. Der Bundesminister für Arbeit meinte hierzu, „daß man alles, was man populär machen wollte, in der vorgesehen Form verbieten müßte“. 809 Etwa § 9 Abs.1: „Der Leiter ist verpflichtet einzugreifen, wen Ansichten und Vorschläge vertreten werden, die sich offensichtlich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder den Gedanken der Völkerverständigung richten oder den Strafgesetzen zuwiderlaufen.“ Abs. 2: „Fährt der Redner trotz Zurechtweisung mit Äußerungen dieser Art fort, so hat der Leiter im das Wort zu entziehen“ sowie § 22: „Der Leiter hat ferner einzugreifen, wenn Teilnehmer sich Ausschreitungen oder den Strafgesetzen zuwiderlaufende Handlungen zuschulden kommen lassen …“. Zitiert nach 74. Kabinettssit­ zung am 16.06.1950, Punkt 6 Fn. 7. 810 63. Kabinettssitzung am 05.05.1950, Punkt 7 Fn. 1. 811 63. Kabinettssitzung am 05.05.1950, Punkt 7. 812 Entspricht BT-Drs. 1/1102. 813 64. Kabinettssitzung am 09.05.1950, Punkt 4. 814 Abgedruckt in BT-Drs. 1/1102, Anlage II, S. 12–19. 815 74. Kabinettssitzung am 16.06.1950, Punkt 6; s.a. Stellungnahme der Bundesregierung zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates in BT-Drs. 1/1102, S. 20. 816 52. Kabinettssitzung am 14.03.1950, TOP L.

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Der aus den Beratungen des Kabinetts hervorgegangene Regierungsentwurf (VersGE) vom 26.06.1950817 mit dem Titel „Entwurf eines Gesetzes über öffent­ liche Versammlungen und Aufzüge“ trug weiterhin noch den bezeichnenden Kurz­ titel „Versammlungsordnungsgesetz“. Anders als § 1 RVG gewährte§ 1 VersGE nunmehr nicht mehr das Recht „sich zu versammeln“, sondern stellte eine allgemeine Verhaltenspflicht auf: „Wer an einer öffentlichen Versammlung oder an einem Aufzug teilnimmt, hat sich so zu verhalten, daß die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht beeinträchtigt sind.“

Damit zielte der Entwurf in zwei Richtungen: auf die öffentliche Ordnung und Si­ cherheit innerhalb einer Versammlung einerseits wie auch nach außen anderer­ seits. Gesetzeszweck war damit der Schutz von und vor Versammlungen. Während die Festschreibung des Waffenverbots (§ 2 VersGE) bereits bekann­ ter Übung entsprach, war das Uniformverbot (§ 3 VersGE) als Ergebnis der Erfah­ rungen der Weimarer Zeit ein neues Element, das mit dem Zusatz „als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung“ zugleich die deutliche Ausrichtung des VersGE auf politische Versammlungen hervorhob. Gänzlich neu hingegen war gegenüber den Vorgängerregelungen die Ausgestaltung des inneren Gesche­ hens der Versammlung durch die Festlegung von Leiterrechten und -pflichten in den Regelungen des zweiten Abschnitts (§§ 4 bis 13 VersGE) über öffentliche Versammlungen in geschlossenen Räumen. Hier fand sich nun das Teilnahme­ recht (§ 4 Abs. 1 VersGE), das jedermann für „befugt“ erklärte an einer Versamm­ lung teilzunehmen, wenn zu dieser „öffentlich […] geladen“ war. Mit der Rege­ lung zum Ausschlussrecht für „bestimmte Personen oder Personenkreise“ (§ 4 Abs.  2 VersGE)818 begann bereits die Ausgestaltung der Rechte des Veranstal­ ters oder Leiters. Jede öffentliche Versammlung musste nach dem Entwurf (§ 5 Abs.  1 VersGE)819 einen Leiter haben, wobei für die Leiterbestellung dem Ver­ anstalter eine besondere Rolle zukam (§ 5 Abs.  2 und 3 VersGE).820 Der Ent­ wurf enthielt dabei auch noch die explizite Möglichkeit für den Veranstalter, die Wahl eines Leiters durch die Versammlung „herbeiführen“ zu lassen (§ 5 Abs. 3 Hs.  2 VersGE). Der Leiter sollte über den „Verlauf der Versammlung, insb., ob eine Aussprache stattfindet“, entscheiden können (§ 6 S.  1 VersGE)821 und hier­ für das Wort erteilen und entziehen können (§ 6 S. 2 VersGE). Diese später gestri­ chene Ausführung zeigt die Orientierung des Versammlungsbildes des VersGE an einer debattenartigen Versammlung und hebt die Zentralgestalt als entscheidungs­ befugt über das Rederecht oder überhaupt das Stattfinden einer Aussprache deut­ lich hervor.

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BT-Drs. 1/1102. Entspricht § 6 Abs. 1 VersG. 819 Entspricht § 7 Abs. 1 VersG. 820 Entsprechen bis auf das Folgende, § 7 Abs. 2 und 3 VersG. 821 Entspricht bis auf den Austausch der Worte „Verlauf“ durch „Ablauf“ § 8 S. 1 VersG. 818

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

Während der Versammlung hatte der Leiter für Ordnung zu sorgen, wofür er sich der Hilfe unbewaffneter Ordner bedienen durfte (§ 7 Abs. 1 und 2 VersGE).822 Die Pflicht die Ordner auf „Anfordern“ der Polizei „namentlich zu bezeichnen“ (§ 7 Abs.  3 VersGE) entfiel später.823 § 8 VersGE sah für die Ausgestaltung der „Ordnungsgewalt“ des Leiters weiter das Recht vor, Teilnehmer zur Ordnung zu rufen. Voraussetzung dafür war eine Störung der Versammlung, „insbesondere durch fortwährende Zwischenrufe“. Für „gröbliche“ oder wiederholte Störung sollte ein Ausschlussrecht bestehen,824 das die gesetzliche Pflicht nach sich zog, die Versammlung sofort zu verlassen (§ 13 Abs. 1VersG)825. Schließlich wurde dem Leiter auch das Recht zugestanden, die Versammlung „jederzeit“ aufzulösen.826 Über die Bestimmung des Verlaufs der Versammlung hinaus, sah der Entwurf auch vor, dass Teilnehmer, welche wiederholt zur Ordnung gerufen oder aus­ geschlossen wurden, sich gegenüber dem Leiter oder den Ordnern „auf Anfordern […] über seine Person auszuweisen“ hatten, § 9 VersGE. Die Regelungen zur Entsendung von Polizeibeamten bzw. über ihre Pflicht, sich dem Leiter zu erkennen zu geben, § 11 VersGE827, waren ebenfalls hergebracht, vgl. nur § 13 RVG. Mit der Ausgestaltung der Rechte des Leiters einhergehend sah der Entwurf weiter vor, dass die Polizei eine Versammlung auch dann auflösen können sollte, „wenn der Leiter seine Befugnisse in gröblicher Weise mißbraucht“, § 12 Abs. 1 Nr.  1 VersGE, was einen völlig neuen Aspekt in das Versammlungsrecht ein­ brachte: Es ging nicht mehr um den Verstoß der Zentralgestalt gegen ihr auf­ erlegte  Pflichten, sondern um den Missbrauch ihr (gewährter) Rechte innerhalb der Versammlung, und nicht mehr um den Missbrauch des Rechts der Versamm­ lungsfreiheit nach außen, wie es die Regelungen der Reaktion namensgebend ge­ prägt hatte. Für Versammlungen unter freiem Himmel (§§ 14 bis 21 VersGE) orientierte sich die Bestimmung zur Anmeldepflicht in § 14 VersGE828 ganz wesentlich an § 5 RVG829, dehnte jedoch die Frist von 24 auf 48 Stunden aus und stellte zudem auf den Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung ab, welche § 6 RVG noch als Ersatz für eine Anzeige bereitgestellt hatte. Eine Genehmigungspflicht be­ stand jedoch nicht mehr. Dafür wurde in § 15 VersGE die Möglichkeit präventi­ 822

Entsprechend bzw. ähnlich §§ 8 S. 2 und 9 Abs. 1 VersG. Vgl. dazu aber § 10 Abs. 4 BayVersG a. F., BayGVbl. 2008, S. 421. 824 Vgl. § 11 Abs. 1 VersG, der diese Beschreibung der Störungen nicht mehr enthält. 825 Vgl. § 11 Abs. 2 VersG. 826 Vgl. § 8 S. 3 VersG, dort allerdings mit der Formulierung „schließen“. Hintergrund der Än­ derung war, dass die Schließung einer Versammlung im Unterschied zu ihrer Auflösung keine Entfernungspflicht nach sich ziehen sollte, vgl. § 13 Abs. 2 VersGE bzw. § 13 Abs. 2 VersG. 827 Vgl. § 12 VersG. 828 Wortgleich zu § 14 VersG. 829 § 5 RVG galt jedoch für Versammlungen in geschlossenen Räumen. 823

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ver Versammlungsverbote wieder eingeführt und die bereits in den Beratungen des parlamentarischen Rates als besonders bedeutsam hervorgehobenen Regelun­ gen zu „Bannkreisen“ eingeführt, die ein unmittelbares Verbot von Versammlun­ gen um alle Organe der Gesetzgebung des Bundes und der Länder sowie aller Ge­ richte enthielten, wobei der Umfang der Bannkreise jeweils durch den Präsidenten festzulegen war (§ 16 VersGE). In § 17 VersGE wurden die hergebrachten Ausnahmen830 für privilegierte Ver­ sammlungen wieder aufgenommen, womit sich die Regierung in ihrem Entwurf dem weiten Versammlungsverständnis der Vorgängerregelungen anschloss. Mit § 18 VersGE wurde eine weitgehende Verweisung831 bzgl. der Rechte und Pflichten des Leiters bzw. Veranstalters eingeführt (Bestimmung über den Verlauf der Versammlung, Ordnungsruf, Auflösungsbefugnis, Entsendung von Beamten). Dabei wurde insb. auch die Regelung, dass jede Versammlung einen Leiter haben müsse, auf die Versammlungen unter freiem Himmel übertragen. Das Ausschluss­ recht sollte hier aber „nur“ der Polizei zustehen, § 18 Abs. 2 VersGE, und die Ver­ wendung von Ordnern einer Erlaubnis bedürfen, § 19 VersGE832. Für Aufzüge wurden gesonderte Leiterpflichten (§ 20 VersGE) festgelegt. So wurde bestimmt: „Der Leiter des Aufzuges hat einzugreifen“ wenn sich etwa Teil­ nehmer „Ausschreitungen oder andere den Strafgesetzen zuwiderlaufende Hand­ lungen zuschulden kommen lassen“, § 20 Abs.  1 Nr.  1 VersGE. Gleiches sollte auch dann gelten, wenn Teilnehmer den vom Veranstalter in der Anmeldung ge­ machten Angaben zuwiderhandelten, § 20 Abs. 1 Nr. 3 VersGE. Diese Regelungen sollten im Falle des vorsätzlichen Nichteinschreitens des Leiters mit Gefängnis oder Geldstrafe belegt werden, § 27 VersGE. Dabei setzte der Entwurf das Straf­ maß gleich mit dem Unterlassen der Anmeldung und der Bestrafung der Teilneh­ mer, so diese Waffen trugen. Dieses war noch dadurch erheblicher, dass der Leiter auch dann einschreiten sollte, wenn Teilnehmer Waffen führten, während er selbst nur unbewaffnete Ordner verwenden durfte, § 20 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 2 VersGE. So er dieses nicht umzusetzen vermochte, sollte er verpflichtet sein, den Aufzug aufzulösen, § 20 Abs. 2 VersGE.833 Zusammenfassend war damit die Orientierung an der Idee der organisierten Ver­ sammlung im Entwurf des VersG stärker als in allen vorherigen Regelungen, was namentlich durch die konkrete Ausgestaltung der Befugnisse des Leiters deut­ lich wurde. Dass der VersGE Versammlungen ohne einen Leiter überhaupt nicht als Regelungsansatz begriff, zeigte sich auch daran, dass nicht einmal den als un­ gefährlich erachteten privilegierten Versammlungen die Verpflichtung zur Stel­ lung eines Leiters abgenommen wurde. Dieses war jedoch insoweit wiederum­ 830

Vgl. etwa § 9 RVG. Das Verweisungssystem besteht weiterhin fort, vgl. § 18 VersG. 832 Vgl. § 18 Abs. 2 VersG. 833 Nur dieser letzte Teil ist in § 19 Abs. 3 VersG erhalten geblieben. 831

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

konsequent, als dass das tatsächliche Vorhandensein eines Veranstalters bei jeder Versammlung für die Regierung völlig außer Frage stand. Die Strafvorschriften rundeten den an der organisierten Versammlung orien­ tierten Gesetzentwurf ab. Zunächst wurde die Verhinderung oder Sprengung einer Versammlung, entsprechend dem Grundgedanken des Schutzes der Versammlun­ gen aus § 1 VersGE, mit Gefängnisstrafe bedroht, § 22 VersGE834. Hier wird der Ausgangspunkt des Gesetzes, der Schutz vor Saalschlachten, besonders deutlich. Dieses zeigte sich auch in der Aufnahme der Regelungen zum „Komplott“, also der gemeinsamen gröblichen Störung mit der Erfolgsqualifikation, wenn hier­ durch eine Schlägerei ausgelöst wurde, § 28 Abs.  3, 4 VersGE. Durch die wei­ teren Vorschriften wurde die Zentralgestalt entweder besonders geschützt („tät­ licher Widerstand“, § 23 VersGE, Störung trotz wiederholter Zurechtweisung, § 28 Abs. 2 lit. a) VersGE) oder aber die ihr auferlegten Pflichten durch Strafnor­ men abgesichert (§§ 24, 25, 27 VersGE). Die Bundesregierung begründete ihren Entwurf ganz wesentlich mit dem, was Heinemann bereits in der Zeit dargelegt hatte.835 Es habe festgestellt werden müs­ sen, dass „politische Versammlungen in sehr vielen Fällen einen turbulenten Ver­ lauf nehmen oder gar gesprengt werden.“ Dieser „drohenden Verrohung der politi­ schen Sitten“ – der Bundesrat sprach in seiner Begründung zum Verbot, andere als weiße Armbinden zu verwenden, undiplomatischer von „politischen Entartungs­ erscheinungen“  – müsse nunmehr entgegengetreten werden.836 Auffällig ist da­ bei, dass die Regierung in ihrer Begründung immer wieder darauf einging, dass­ „Spielregeln“837 festgelegt werden müssten, was der ganzen Begründung wie dem Gesetzentwurf einen erzieherischen Charakter verlieh. Es ging darum „die Spielregeln, die das Verhalten der Versammlungsteilnehmer und die Handhabung der Versammlungsleitung bestimmen sollten, gesetzlich festzulegen.“

Hierin liege auch das Kernproblem des RVG, das eben nicht nur „überholt“ sei, sondern auch „von den Pflichten der Teilnehmer“ überhaupt nicht handle.838 Ne­ ben den Regelungen bzgl. der Teilnehmer sollte aber namentlich der Leiter eine „Mitverantwortung“ bzw. „rechtliche Verantwortung“ auferlegt bekommen für das, was in der Versammlung geschah. Die Grundlage der ihm obliegenden Maß­ nahmen und deren Ausgestaltung im Gesetz sei dabei das Hausrecht.839 Polizei­ liche Befugnisse stünden dabei folglich nicht in Rede, ebenso wie Ordner keine Polizeiorgane seien, sondern lediglich die Befugnisse des Leiters aus dem privaten Hausrecht als „Gehilfen“ wahrnähmen.840 834

Entspricht § 21 VersG, wobei dort heute auch nur auf Geldstrafe erkannt werden kann. Begründung der Bundesregierung zum VersGE in BT-Drs. 1/1102, S. 8–11 (8). 836 Begründung der Bundesregierung zum VersGE in BT-Drs. 1/1102, S. 8. 837 Begründung der Bundesregierung zum VersGE in BT-Drs. 1/1102, S. 8 (zwei Mal), 9. 838 Begründung der Bundesregierung zum VersGE in BT-Drs. 1/1102, S. 8. 839 Begründung der Bundesregierung zum VersGE in BT-Drs. 1/1102, S. 9. 840 Begründung der Bundesregierung zum VersGE in BT-Drs. 1/1102, S. 9 f. 835

F. „Verwaltungsrecht besteht“? – Das Versammlungsgesetz 1953 

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„Da dem Leiter keine polizeilichen Funktionen gegeben werden, hat er auch keine öffent­ lichrechtlichen Exekutivbefugnisse.“841

Konsequent wurde daher auch die Ausweispflicht gegenüber dem Leiter nicht aus polizeirechtlichen Bestimmungen hergeleitet, sondern als § 127 StPO nahestehend angesehen. Dennoch sah der Entwurf selbst vor, dass nicht etwa die Polizei zur Beachtung der Einhaltung der Strafgesetze vorrangig verpflichtet sei, sondern „in erster Linie der Leiter einzuschreiten hat“.842 Dabei werden die Leiterbefugnisse in ihren konkreten Befugnissen zu den Rechten der Teilnehmer nicht näher erläutert. Die Begründung hierfür gibt der Entwurf selbst: „Diese Bestimmungen regeln den Ablauf der Versammlungen so, wie es vernünftiger Übung entsprechen sollte. Wer an einer öffentlichen Versammlung teilnimmt, unterwirft sich – ohne daß darin eine Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit erblickt werden könnte – der für eine solche Veranstaltung gebotenen Ordnung.“

Folgerichtig ist entsprechend auch die Zitierung der eingeschränkten Grundrechte nur bei Versammlungen unter freiem Himmel, § 21 VersGE. Obwohl der Entwurf damit das Hausrecht des Veranstalters in den Mittelpunkt stellte, übertrug er wesentliche Regelungen, die hieran anknüpften, auch auf Ver­ sammlungen unter freiem Himmel. Das Schweigen der Begründung an dieser Stelle ist umso erstaunlicher, als für die Verwendung von Ordnern bei Versamm­ lungen unter freiem Himmel eine Genehmigung verlangt wurde und dieses mit dem Gemeingebrauch an öffentlichen Straßen und Plätzen begründet wurde.843 Zusammenfassend orientierte sich der Regierungsentwurf damit umfassend  – und weiter als alle Vorgänger – an der Idee der organisierten Versammlung, sodass beinahe jede Norm direkt hieran anknüpft. Doch wählte die Regierung auch die­ ses Modell als Regelungsansatz, wäre es voreilig anzunehmen, dass die Regierung die Möglichkeit anderer Versammlungen nicht gesehen hätte. Vielmehr spricht der Entwurf sogar von „Spontankundgebungen“. Er versteht hierunter aber ab­ weichend vom heutigen Begriffsverständnis der „Spontanversammlung“ lediglich Veranstaltungen, die „weder angemeldet noch ausdrücklich verboten waren“, und will bei diesen die Teilnehmer nicht entsprechend § 29 VersGE bestrafen. Vielmehr solle „es bei der Bestrafung des Veranstalters nach § 27 [VersGE] sein bewen­ den haben“.844 Nach heutigem Verständnis waren also eher sog. „Eilversammlun­ gen“ gemeint. Das Nichtvorhandensein eines Leiters war von den Vorstellun­ gen des Entwurfs schlicht ausgeschlossen. Allerdings beließ es die Regierung mit § 5 Abs. 1 VersGE damit scheinbar bei einer lex imperfecta. Denn weder war die Bestellung eines Leiters durch die Behörde durchzusetzen, noch bestand etwa eine 841

Begründung der Bundesregierung zum VersGE in BT-Drs. 1/1102, S. 10. Begründung der Bundesregierung zum VersGE in BT-Drs. 1/1102, S. 10. 843 Begründung der Bundesregierung zum VersGE in BT-Drs. 1/1102, S. 10. 844 Begründung der Bundesregierung zum VersGE in BT-Drs. 1/1102, S. 10. 842

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

strafende Regelung für die Teilnahme an einer „leiterlosen“ Versammlung. Doch ist auch dieses letztlich konsequent, existierte doch in der Vorstellung der Regie­ rung jedenfalls stets ein Urheber in Form des Veranstalters, der jedenfalls Leiter war, § 5 Abs. 2 S. 1 VersGE. bb) Die Beratungen im Bundestag In der ersten Beratung des Regierungsentwurfs im Bundestag stellte Heinemann nochmals heraus, dass der Entwurf nach Einschätzung der Regierung „keine Be­ einträchtigung des öffentlichen Versammlungslebens“ enthalte.845 Schwerpunkt sei die „Ordnung des Versammlungsablaufs“ für die es in Deutschland an „fairen, gefestigten Spielregeln“ fehle, die andere Länder mit demokratischen Traditionen längst hätten.846 Die Regelungen des Gesetzes seien daher als „Hilfestellung“ da­ für zu verstehen, „daß sich auch bei uns solche Spielregeln einbürgern und festi­ gen“.847 Neben diesem Schwerpunkt sei die „Pflicht zum angemessenen Verhal­ ten aller Teilnehmer an einer Versammlung […] der Leitsatz für das Ganze.“848 Dass der Leiter keine Polizeigewalt ausübe und „Quelle seiner Rechte […] nach wie vor das Recht des Hausherrn“ bliebe, stellte er hier nochmals heraus. Letzt­ lich schreibe der Entwurf, etwa in Bezug auf die Verwendung von Ordnern, nur fest, „was bisher faktisch schon geübt“ werde.849 Das bereits im Entwurf wie ­ egründung zum Ausdruck kommende Moment des Erzieherischen machte in seiner B schließlich auch der Schlusssatz der Rede Heinemanns deutlich, in welchem er wünschte, dass das Gesetz in seiner endgültigen Fassung „unserem öffentlichen Versammlungsleben als einem Grundelement freiheitlich-demokrati­ schen Lebens zu einer guten Ordnung verhilft und dazu beiträgt, daß demokratische Institu­ tionen Ansehen gewinnen und sich in unserem Volksbewußtsein festigen.“850

In der anschließenden Aussprache wurden die, heute teils gravierend wirkenden Strafvorschriften, teils noch als zu gering angesehen, was insb. mit Berichten über „gemeinschaftliche Überfälle“ auf Versammlungen, deren Ziel etwa gewesen sei, „einen großen, mit 800 Menschen besetzten Saal zu demolieren“ oder eine „Ver­ sammlung der FDP zusammen[zu]schlagen“, zusammenhing.851 Euler bezeichnete derartige Vorfälle, „die in den vergangenen Monaten das politische Bild der Aus­ 845

Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 83. Sitzung am 12.09.1950, S. 3123. Zum Verweis auf Belgien und England bereits Kap. 2 C. I. 4. und VII. bzw. Kap. 2 C. I. 2. 847 Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 83. Sitzung am 12.09.1950, S. 3123. 848 Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 83. Sitzung am 12.09.1950, S. 3123, vgl. § 1 VersGE. Dieses hervorhebend auch Solleder, Verhandlungen des Deutschen Bundes­ tags, 1. LP, 83. Sitzung am 12.09.1950, S. 3127. 849 Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 83. Sitzung am 12.09.1950, S. 3124. 850 Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 83. Sitzung am 12.09.1950, S. 3124. 851 von Thadden, Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 83. Sitzung am 12.09.1950, S. 3124. Zur Begründung versammlungsrechtlicher Regelungen durch Verweise auf aktuelles Versammlungsgeschehen bereits Kap. 2 C. I. 2. 846

F. „Verwaltungsrecht besteht“? – Das Versammlungsgesetz 1953 

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einandersetzung der Parteien getrübt haben“, als „organisierte[n] Kampf gegen die Demokratie“.852 Von Aretin bezeichnete die Notwendigkeit des Gesetzes als „ein schmerzliches Armutszeugnis für unsere heutige Zeit“, wobei derartige Be­ richte teils mit Androhungen weiterer Gewalt durch Zuruf kommentiert wurden.853 Teils wurde aber auch die „Manie, der Drang, möglichst viel unter Strafe zu stel­ len“, kritisiert.854 Für die oppositionelle SPD legte Jacobi dar, dass es sich bei dem Entwurf zwar um „weit mehr als eine Reihe von Spielregeln“ handle, man aber die „Grundten­ denz dieses Gesetzes, Sauberkeit und Ordnung miteinander zu paaren“ bejahe und „daß niemandem von diesem Gesetz her Schaden und Gefahren drohen“.855 Frei­ heit meine ohnehin „nicht Zügellosigkeit“. Jacobi verteidigte dann auch die noch erweiterten Eingriffspflichten des Leiters bei der Äußerung von Ansichten, wel­ che offensichtlich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verstießen, welche der Bundesrat vorgeschlagen hatte,856 als „Frage der politischen Erziehung des Funktionärkörpers der politischen Parteien“ und keinesfalls „zu hohe Anfor­ derung“, wie die Einschätzung der Bundesregierung lautete.857 Die Orientierung an der Organisationsidee wurde entweder als selbstverständ­ lich nicht näher erwähnt oder aber ihre Ausgestaltung, mit der man dem ­Leiter „eine einwandfreie, eindeutige starke Stellung gegeben“ habe und somit den Kern­ fehler des RVG beseitig habe,858 hervorgehoben. Damit war der Bundestag in der ersten Beratung weitestgehend einig über die Notwendigkeit des Gesetzes, na­ mentlich auch über die Ausgestaltung der Rechte des Leiters.859 Der Entwurf wurde dem „Ausschuß zum Schutze der Verfassung“ federführend überwiesen.860 In einem ersten Bericht vom 19.10.1950861 empfahl der Ausschuss zunächst als Kurztitel des Gesetzes nicht mehr Versammlungsordnungsgesetz, sondern bloß „Versammlungsgesetz“ zu nutzen,862 was zunächst den Gedanken der Versamm­ 852

Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 83. Sitzung am 12.09.1950, S. 3127. Etwa Schoettle, Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1.  LP, 83. Sitzung am 12.09.1950, S. 3125. 854 Reismann, Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 83. Sitzung am 12.09.1950, S. 3130. 855 Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 83. Sitzung am 12.09.1950, S. 3125. 856 Vgl. den Vorschlag zu § 7a des Bundesrates in BT-Drs. 1/1102, S. 13. 857 Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 83. Sitzung am 12.09.1950, S. 3126, an­ ders aber Euler, S. 3128 sowie Freiherr von Arettin, ebd., S. 3128; von Merkatz, ebd., S. 3129. 858 Etwa Euler, Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 83. Sitzung am 12.09.1950, S. 3127. 859 Die Ausnahme stellte die KPD dar, die das Gesetz als „Hilfe für die Reaktion“ umfassend ablehnte, Agatz, Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 83. Sitzung am 12.09.1950, S. 3129. 860 Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 83. Sitzung am 12.09.1950, S. 3131. 861 BT-Drs. 1/2759. Die Beschlüsse des Ausschusses sind hier der Urfassung gegenüber­ gestellt. 862 BT-Drs. 1/2759, S. 2. 853

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

lungsorganisation zurückzutreten zu lassen scheint. Doch bereits die neue Fassung des § 1, welche der Ausschuss vorschlug, zeigte das Gegenteil. Dieser bestimmte zwar, dass nicht nur ein Teilnehmer, wie in § 1 VersGE, sondern „jedermann“ sich bei Versammlungen nicht störend bzw. beeinträchtigend zu verhalten hatte, jedoch stellte der erste Entwurf des Ausschusses als Schutzgut nicht die „öffentliche Ord­ nung und Sicherheit“ heraus, sondern „die ordnungsgemäße Durchführung“ der Versammlung. Auch in weiteren Vorschriften gestalteten die Beschlüsse des Aus­ schusses den VersGE in seiner Anknüpfung an die Organisationsidee weiter aus, etwa durch die Regelungen zum Verbot einer Versammlung in geschlossenen Räu­ men, bei der „der Veranstalter und sein Anhang“ als maßgebliche Gruppe genannt wurden, der Aufnahme des Zusatzes, dass der Leiter das Hausrecht ausübe, oder der Aufnahme von Folgepflichten der Teilnehmer: „Alle Versammlungsteilnehmer sind verpflichtet, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anweisungen des Leiters oder der von ihm bestellten Ordner zu befolgen.“863

Insgesamt behielten die Beschlüsse des Ausschusses, wie die erste Beratung des VersGE hatte vermuten lassen, die Kerngedanken des VersGE bei, fügten aber noch weitere hinzu und führten diese insb. näher und kleinteiliger aus. Jedoch kam es, nach vorheriger Absetzung der Beratung,864 erst am 26.06.1952 und damit etwa eineinhalb Jahre später überhaupt zu dessen Vorstellung durch den Berichterstatter Becker im Bundestag,865 wo zunächst die Aussprache auf eine der folgenden Sit­ zungen vertagt866 und dort der Bericht aufgrund der mittlerweile eingegangenen Änderungsanträge an den Ausschuss zu deren Berücksichtigung zurückverwiesen wurde.867 Die bis dahin bereits erhebliche Dauer der Beratungen begründete der von der Tagesordnung überraschte Becker damit, dass man einen Unterausschuss gebildet habe, dessen Mitglieder jeweils einen eigenen Entwurf erstellt hätten, der sodann erst wieder zusammengefügt werden musste.868 Dass er sich im Übrigen auf die Wiedergabe des Inhalts des Berichts beschränkte, hing indes nicht nur mit seiner mangelnden Vorbereitung zusammen, sondern auch damit, dass der Aus­ schuss zum Schutze der Verfassung nur zu Beginn der Legislaturperiode nicht ge­ heim tagte869 und insoweit das Beratungsgeheimnis eine weitere Preisgabe – und damit auch Erforschung der Motive des Ausschusses – ausschloss. Eine Randbe­ merkung Beckers ist jedoch interessant, da sie feststellt, dem Versammlungsleiter sei das „Hausrecht sowohl in privatrechtlicher wie auch in öffentlich-rechtlicher 863 §§ 3a, 5 Abs. 1 und 7a nach der Zählung des Ausschusses, BT-Drs. 1/2759, S. 3 f., wobei sich diese beispielhafte Aufzählung nahezu beliebig fortsetzen ließe. 864 Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 176. Sitzung am 22.11.1950, S. 7211. 865 Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 220. Sitzung am 26.06.1952, S. 9735 f. 866 Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 220. Sitzung am 26.06.1952, S. 9712, 9736. 867 Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 226. Sitzung am 18.07.1952, S. 10167. 868 Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 220. Sitzung am 26.06.1952, S. 9735. 869 Vgl. Fisch, Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 264 Sitzung am 06.05.1953, S. 12859; der Ausschluss des Abgeordneten der KPD führte dazu, dass im Ausschuss jeweils sogar einhellig abgestimmt wurde.

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Beziehung“ zugesprochen, weshalb sich der Leiter „auch der polizeilichen Hilfe bedienen“ könne, um seine Rechte durchzusetzen.870 Dieses stellt zumindest eine gewisse Undeutlichkeit her, betrachtete doch der VersGE die Rechte des Leiters gerade nicht als „polizeiliche“. Vermutlich meinte Becker jedoch, dass die Polizei die Rechte des Leiters zu schützen hätte, was sich aus dem Zusammenhang seiner Äußerung zum Ausschluss eines Verbotes einer Versammlung wegen befürchteter Störungen von außen – „ausdrücklich“ ausgenommen „ein Verbot unter dem Ge­ sichtspunkt des polizeilichen Notstandes“ – herleiten lässt.871 Den auf die Rückverweisung erstellten Ausschussbericht872 vom 05.02.1953 (BTDrs. 1/4079), der durch das wiederholte Fehlen der DP-Fraktion bereits verzögert worden war,873 traf wiederum das Schicksal zwischenzeitlicher neuer Anträge,874 sodass die zweite und dritte Beratung des Entwurfs erneut abgesetzt wurde.875 Der nunmehr dritte Bericht (BT-Drs. 1/4291) des Ausschusses vom 22.04.1953876, der keine wesentlichen Änderungen zum zweiten enthielt, wurde schließlich der zweiten und dritten Beratung des Bundestages und damit der Abstimmung am 06.05.1953 zugrunde gelegt.877 Aus der anfänglichen allgemein bejahten Eilbedürftigkeit des Gegenstandes war eine Frage der Eilbedürftigkeit aufgrund des nahenden Endes der Legislaturperi­ ode geworden. Der dritte Bericht des Ausschusses stimmt dabei ganz wesentlich mit dem späte­ ren VersG 1953 überein, die Änderungen des Bundestags beschränkten sich auf we­ nige Normen.878 Gegenüber dem VersGE enthielt das zukünftige VersG in der Fas­ sung des dritten Berichts des Ausschusses zum Schutze der Verfassung ­(VersGAE) 870

Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 220. Sitzung am 26.06.1952, S. 9735. Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 220. Sitzung am 26.06.1952, S. 9735. 872 BT-Drs. 1/4079. Über die Beschlüsse aus BT-Drs. 1/2759 hinaus war hier auf Antrag der SPD bereits als § 2b die Urform des späteren § 1 Abs. 2 VersG enthalten, der ein Berufen auf „Rechte aus diesem Gesetz“ in bestimmten Fällen ausschloss. Weiterhin war auf Vorschlag des BMI die Bannmeilenregelung für das BVerfG wieder aufgenommen worden, die der Ausschuss zuvor gestrichen sehen wollte, Berichterstatter Mehs, Verhandlungen des Deutschen Bundes­ tags, 1. LP, 264. Sitzung am 06.05.1953, S. 12850. Insb. hatte der Ausschuss aber die Verwei­ sungsnorm (§ 18 VersG) auf die Pflicht des Vorhandenseins eines Leiters erweitert, die zuvor in der Verweisungskette gefehlt hatte und ebenso die Strafbarkeit des Widerstandes gegen den Leiter oder seine Ordner auf Angriffe „während der rechtmäßigen Ausübung seiner Ordnungs­ befugnisse“ erweitert, § 23. 873 Mehs, Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1.  LP, 264. Sitzung am 06.05.1953, S. 12850. 874 Vgl. Ewers, Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 264. Sitzung am 06.05.1953, S. 12851. 875 Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 250. Sitzung am 25.02.1953, S. 11945. 876 BT-Drs. 1/4291. 877 Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 264. Sitzung am 06.05.1953, S. 12858. 878 Die einzigen Änderungen betrafen, nach der Zählung des Ausschusses, § 16 (Bannmeilen), § 26 (Durchführung eines Aufzuges nun „in anderer Weise“ statt „wesentlich anders“ sowie dreier Änderungen des Strafrahmens (§§ 26, 26a, 27)). 871

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

nun keine allgemeine Verhaltenspflicht für Teilnehmer mehr, sondern stattdessen eine an § 1 RVG orientierte Gewährleistungsnorm, § 1 Abs. 1,879 die allerdings so­ gleich durch § 1 Abs. 2 VersGAE wieder eingeschränkt wurde.880 Die Organisa­ tionsidee hervorhebend war nun aber neben dem Teilnahmerecht (§ 4 VersGE) ex­ plizit auch das Recht, Versammlungen zu veranstalten, aufgenommen worden. Das im Entwurf noch in § 1 VersGE prominent gesetzte Störungsverbot fand sich nun, allerdings unter bewusster Erweiterung durch die Streichung des Wortes „gröblich“,881 nur noch in § 2 Abs. 2 VersGAE. Die „ordnungsmäßige Durchführung der Veranstaltung [zu] ermöglichen und vor allem [zu] ver­ hindern, daß die Durchführung der Veranstaltungen demokratischer Parteien durch rechtsoder linksradikale Elemente unmöglich gemacht wird“,

hielt der Ausschuss als Zweck der Norm fest.882 Die Verbotsgründe für Versammlungen in geschlossenen Räumen (§ 3a Vers­ GAE) knüpften nun vollumfänglich an das Handeln des Veranstalters, Leiters oder ihres „Anhangs“ an. Zwar war die Möglichkeit des Leiters, die Versamm­ lung einen Leiter wählen zu lassen (§ 5 Abs.  3 VersGE), aus dem Text genom­ men worden, dafür allerdings das Hausrecht des Leiters diesem bereits durch Ge­ setz übertragen worden (§ 7 Abs. 4 VersGAE). Weiter enthielten die Regelungen über den Ablauf der Versammlung nun nicht mehr die Bezugnahme auf die klas­ sische Form (Aussprache, Wortentziehung, § 6 VersGE), dafür jedoch die Mit­ tel der Unterbrechung und Fortsetzung, § 6 VersGAE.883 Wesentlichster Punkt ge­ genüber dem Entwurf und gleichzeitig für die Anknüpfung an die Ordnungsidee war aber sicherlich die gesetzliche Festschreibung der Folgepflicht der Teilneh­ mer gegenüber dem Leiter in § 7a VersGAE,884 die in § 19 Abs. 2 für Versamm­ lungen unter freiem Himmel wiederholt wurde. Bezüglich der Auflösungsgründe (§ 12 VersGAE)885 war zwar der „Mißbrauch“ der Befugnisse des Leiters ge­ strichen, dafür aber eine Auflösungsmöglichkeit für Fälle eingeführt worden, in 879 Diese Regelung war erst auf Vorschlag des BMI vom 24.02.1951 (Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1.  LP, 264. Sitzung am 06.05.1953) dem „Ausschlusskatalog“ des Abs. 1 vorangestellt worden. 880 Der Antrag, diese Änderung herbeizuführen, stammte von der DP-Fraktion, Verhandlun­ gen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 264. Sitzung am 06.05.1953, S. 12857. Eine vergleich­ bare Regel fand sich allerdings bereits 1951 im Entwurf einer Verordnung des bayerischen In­ nenministers Hoegner, so Fisch, Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 264. Sitzung am 06.05.1953, S. 12855. 881 Mehs, Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1.  LP, 264. Sitzung am 06.05.1953, S.  12851. Die Streichung wurde damit begründet, dass ohne diese der Eindruck entstehen könnte, „einfache Störungen“ seien erlaubt. „Einfache Zwischenrufe“ wurden allerdings im Ausschuss nicht als Störung angesehen. 882 Mehs, Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1.  LP, 264. Sitzung am 06.05.1953, S. 12851. 883 Entspricht § 8 VersG. 884 Entspricht § 10 VersG. 885 Entspricht § 13 VersG.

F. „Verwaltungsrecht besteht“? – Das Versammlungsgesetz 1953 

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denen der Leiter nicht gegen die Aufforderung zu Straftaten in der Versammlung vorging. Die Straftatbestände waren zwar wesentlich umgestaltet, und dabei teils erleichtert, teils erschwert worden, stellten nach den Beschlüssen des 5. Ausschus­ ses aber noch deutlicher als der Entwurf der Regierung die Rolle der Zentralgestalt heraus. Durch die Übernahme des Regelungsgehaltes des § 107 StGB in das Ver­ sammlungsrecht selbst konnte die Materie sinnvoller zusammengefügt werden und dieser, neben den Bestimmungen des RVG sowie der Notverordnungen „zur Erhaltung des inneren Friedens“ sowie „zum Schutz von Volk und Staat“, die einst das Versammlungsrecht umgestaltet und schließlich aufgehoben hatten,886 mit § 30 VersGAE aufgehoben werden. In der abschließenden Beratung im Bundestag stellten Berichterstatter Mehs und Bundesinnenminister Lehr nochmals die Erfahrungen der Weimarer Zeit, die Rechtsunsicherheit unter dem RVG, für das es „selbst der Rechtsprechung der Ver­ waltungsgerichte nicht gelungen“ sei, „Klarheit darüber zu schaffen, was nun im einzelnen geltendes Recht ist“887, dar. Der Ausschuss habe, so Lehr, „der drohen­ den Verrohung der politischen Sitten“, dem „Mißbrauch verfassungsmäßiger Ver­ sammlungsfreiheit durch undemokratische Veranstalter, undemokratische Leiter und undemokratische Teilnehmer“ mit der Festlegung der „Rechtsbeziehungen zwischen dem Veranstalter, dem Leiter, und dem Teilnehmer einer Versammlung klar und viel eingehender, als das früher der Fall war“, entgegentreten wollen, mit­ hin die notwendigen „Spielregeln“ gesetzt, um einem „geordneten Verlauf der Ver­ sammlung den Weg zu bahnen“.888 Somit blieb der Grundgedanke der Regierung sowie der sie tragenden Frak­ tionen vom ersten Entwurf des VersG bis zur letzten Beratung gleich. Er lässt sich in den Schlagworten „Wir haben das schon einmal erlebt.“

und „Es gibt keine Freiheit ohne Bindung.“

zusammenfassen.889 Die KPD schloss sich in ihrer Beurteilung des Gesetzes an ihr Politikverständ­ nis an, welches insb. die SPD als eigentlichen politischen Gegner begriff. Die SPD habe sich mit ihrer Mitarbeit am VersG an „der Schaffung von Ausnahme­ gesetzen zum Schutze des Adenauer-Regimes“ beteiligt und habe damit an der­ 886

S. o. Kap. 2 E. V. Lehr, Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1.  LP, 264. Sitzung am 06.05.1953, S. 12850 ff., Zitat Lehrs, ebd., S. 12852. 888 Lehr, Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1.  LP, 264. Sitzung am 06.05.1953, S. 12852 f. 889 Zitat bei Lehr, Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1.  LP, 264. Sitzung am 06.05.1953, S. 12852. 887

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

„Faschisierung des Staatsapparates“ mitgewirkt.890 Neben derartigen Auswürfen891 zeichnete der Abgeordnete Fisch aber auch einen Wandel im Gesetz zutreffend nach, der durch die Ersetzung des anfangs zielgebenden Versammlungsschutzes, § 1 VersGE, durch die Gewährung bzw. Entziehung der Möglichkeit, sich auf die Rechte aus dem VersG zu berufen, eingetreten war.892 Durch diese Regelung erhielt das VersG deutlich stärker den Charakter eines Verbotsgesetzes. Die Aufnahme des Begriffes des Veranstalters in § 1 VersG zeigt neben § 7 VersG besonders deutlich die Orientierung an der Organisationsidee. Ewers893 be­ schrieb dieses so: „Jetzt haben wir die Fassung, die mit demjenigen anfängt und denjenigen zuerst erwähnt, der bei jeder Versammlung in geschlossenem Raum und unter freiem Himmel gar nicht weg­ zudenken ist, nämlich die Person oder die Organisation, die diese Veranstaltung ins Leben ruft: der Veranstalter.“

Dass dieser, bzw. der Leiter, durch das Gesetz geschützt werden müsste, darin bestand, abseits der KPD, breite Übereinstimmung, auch wenn die Bedrohungs­ lage für Versammlungen zum Ende der Legislaturperiode nicht mehr von allen gleich hoch eingeschätzt wurde.894 Deutlich wurde dieses etwa bei Jaeger895, der meinte, dass die Zeichen im bevorstehenden Wahlkampf nicht mehr so „auf Sturm“ stünden, wie sie einst standen, und daher den Schutzzweck eher auf die Zukunft ausgerichtet sehen wollte: „Aber man weiß nicht, was in ferner Zukunft einmal passiert. Deshalb ist es besser, die De­ mokratie zu sichern und vorbeugend dafür zu sorgen, daß es keine Scherben gibt […].“

Aus dem akuten Versammlungsschutzgesetz war damit ein vorbeugendes De­ mokratieschutzgesetz geworden. Der durch den Bundesrat einberufene Vermittlungsausschuss896 nahm, neben der Wiederaufnahme des Uniformverbots sowie der Aufnahme des Verbotes der Ver­ 890 Fisch, Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1.  LP, 264. Sitzung am 06.05.1953, S. 12853. 891 Vgl. weiter: „offizielle Verkündigung des Prinzips polizeistaatlicher Willkür“, ebd., S. 12858. 892 Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 264. Sitzung am 06.05.1953, S. 12854. 893 Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 264. Sitzung am 06.05.1953, S. 12857. 894 Einerseits Maier am 05.02.1953 in den Beratungen des Ausschusses zur Begründung, wa­ rum die SPD das Gesetz nunmehr ablehne: „politische Versammlungen seien in letzter Zeit ohne wesentliche Störungen verlaufen“, zitiert nach Fisch, Verhandlungen des Deutschen Bun­ destags, 1. LP, 264. Sitzung am 06.05.1953, S. 12854, soweit ders., S. 12886 f.; anders aber weiterhin die Berichte von Fisch, ebd., S.  12859: es sei die „eine bestimmte Tradition aus der Kampfzeit der ‚tausend Jahre‘ wiederbelebt worden […] nämlich in Omnibussen Stör­ kolonnen bis zur Stärke von 3- oder 400 Mann auffahren zu lassen, um mißliebige Redner am Sprechen zu hindern“, und S. 12866 f., der daraus allerdings den Schluss zog, die Versamm­ lung müsse sich selbst schützen dürfen, ebd., S. 12860; Euler, ebd., S. 12864 f.; Jaeger, ebd., S. 12865; Menzel, ebd., S. 12865. 895 Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 264. Sitzung am 06.05.1953, S. 12887. 896 BT-Drs. 1/4387, mit Änderungsvorschlägen des Bundesrates.

F. „Verwaltungsrecht besteht“? – Das Versammlungsgesetz 1953 

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wendung der „Kennzeichen ehemaliger Nationalsozialistischer Organisationen“, nur noch kleinere Änderung vor,897 sodass der Bundestag den Änderungen am 03.07.1953 zustimmen898 und der Bundesrat mit seiner Zustimmung den Weg für das Versammlungsgesetz nach mehr als drei Jahren freimachen konnte.899

V. Zwischenergebnis Die weitest mögliche Übernahme des  – in Bundestag und Bundesregierung als unzureichend bewerteten  – RVG in das Versammlungsgesetz der Alliierten Kommandantur für Berlin dürfte der Grund dafür gewesen sein, dass dieses erste deutsche Versammlungsgesetz der Nachkriegszeit für das VersG und seine Be­ ratung keine Rolle spielte. Das VersG war, wie seine Entstehungsgeschichte vor ­vergangenen Ereignissen und aktuellen Anlässen, die Einschätzungen des Ka­ binetts und die Beratungen des federführenden fünften Ausschusses und nicht zuletzt die Beratungen im Bundestag deutlich zeigen, ein Versammlungs- und­ Demokratieschutzgesetz. Und dabei ging es nicht um irgendeine Form der Demokratie, sondern die kon­ krete Form der repräsentativen Demokratie, wie sie das Grundgesetz festlegt. Und es ging auch nicht um irgendwelche Versammlungen, sondern um politische Versammlungen. Zur Erreichung dieser beiden Ziele nahm das Gesetz nach dem „Fundamental­ rollentausch“ der Nationalsozialisten die Zentralgestalt wieder als Privaten in den Fokus und entwickelte hierbei ein System zwischen Schutz und Pflichten der Zen­ tralgestalt sowie allgemeiner Schutzbestimmungen. Die Pflichten der Zentralgestalt, der weder polizeiliche Aufgaben noch Befug­ nisse zukamen, waren und sind dabei wesentlich schmaler, als die übliche Darstel­ lung in der Literatur vermuten lässt. Die Zentralgestalt hat in der Einladung ihren Namen anzugeben (§ 2 Abs.  1 VersG) und für Ordnung in der Versammlung bzw. einen ordnungsgemäßen Ab­ lauf zu sorgen, §§ 8 S. 2, 19 Abs. 1 S. 1 VersG. Auf Anfordern hat sie der Polizei die Zahl der verwendeten Ordner anzuzeigen bzw. diese bei Versammlungen un­ ter freiem Himmel genehmigen zu lassen (§ 9 Abs. 2 S. 1, § 18 Abs. 2 VersG) und Beauftragten der Polizei einen angemessenen Platz einzuräumen. Hinzutritt die Obliegenheit, Bewaffnete auszuschließen, § 13 Nr. 3 VersG, und das Auffordern und Anreizen zu Straftaten zu unterbinden, § 13 Nr.  3, Nr.  4 VersG, sowie die­ 897

BT-Drs. 1/4409 (neu), Anlage mit Änderungen des Vermittlungsausschusses. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1.  LP, 280. Sitzung am 03.07.1953, S. 14073–14074. 899 Vgl. Mitteilung über die Annahme des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge in Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. LP, 282. Sitzung am 29.07.1953, S. 4256. 898

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

Beendigungspflicht des § 19 Abs. 3 VersG. Wesentlichster Punkt ist aber die An­ meldungspflicht des § 14 VersG.900 Diese Punkte zeigen deutliche Kontinuitäten zu den überkommenen Versammlungsgesetzen. Hinzutritt die besondere Fokussie­ rung auf das Verhalten des Veranstalters nach § 5 Nr. 3 und 4 VersG, die eine An­ knüpfung an die Rechtsprechung zur Friedlichkeit einer Versammlung darstellen, die sich seit dem 19. Jahrhundert wesentlich gehalten hat. Zu diesen Regelungen treten diejenigen Normen, die wesentlich den Schutz der Demokratie bzw. Dritter bezwecken. Hierher gehören namentlich das Waffen- (§ 2 Abs. 3 VersG) sowie das Uniformverbot (§ 3 VersG)901 sowie die Saalschutzexzesse verhindernde Regelung bzgl. des Einsatzes von Ordnern, § 9 Abs. 1 VersG. Das wesentlich Neue am Konzept des VersG, indem es sich vom RVG wie den übrigen Vorläufern unterscheidet, sind allerdings die Regelungen zum Schutz der Zentralgestalt sowie die genaueren Regelungen zum Innenverhältnis der Ver­ sammlung, namentlich die Regelungen zur Bestimmung des Leiters in § 7 VersG, welche eine direkte Reaktion auf die Realgeschichte der ehemals verbreiteten Lei­ terwahl und ihrer historischen Folgen sind. Zum Schutz der Zentralgestalt gehört in diesem Zusammenhang auch das aus § 107a RStGB übernommene Störungs­ verbot (§ 2 Abs.  2 VersG) hinsichtlich der ordnungsgemäßen Durchführungen, welche in der Verantwortung des Leiters liegt und welche ein ihm zustehen­ des Recht darstellt. Dieser wesentliche Punkt des VersG hat in seiner Wahrneh­ mung insb. durch die Voranstellung der „Jedermann hat das Recht/dieses Recht hat nicht“ Norm des § 1 VersG gelitten, welche dem VersG seinen häufig kritisier­ ten Verbotscharakter aufstempelt. Zum Schutz der Zentralgestalt gehören, neben dem das Störungsverbot absichernden § 21 VersG, weiter die §§ 22, 29 Nr. 2 und 3 VersG.902 Dieser Schutzgedanke zeigt sich auch in den Regelungen zur inneren Ordnung in der Versammlung, insb. den Folgepflichten der Teilnehmer, §§ 10, 19 Abs.  2 VersG, sowie den Ausschlussrechten, §§ 6, 11 VersG. Hiermit bestanden zum ersten Mal wirksame Regelungen abseits der Auflösung einer Versammlung. Dass hier „Spielregeln“ bzw. eine „Geschäftsordnung“ für das Verhalten inner­ halb einer Versammlung gesetzlich festgelegt wurden, welche die Wahrnehmung des Hausrechts näher bestimmten, war zwar, beachtet man etwa die Regelun­ gen zu Wortentziehung und Ordnungsruf in §§ 8 f. des Versammlungsgesetzes des­ Königreichs Sachsen, nicht gänzlich neu, richtet aber das VersG wesentlich stärker auf die Mitwirkung am politischen Prozess und dessen Sicherung aus.903 900 Diese Verpflichtungen absichernde Straf- und Ordnungswidrigkeitenvorschriften enthiel­ ten §§ 24–26, 29 Nr. 5 und 6 (nun § 29 Abs. 1 Nr. 6 bzw. 7) sowie der später hinzugefügte § 29 Abs. 1 Nr. 8 VersG. 901 Sowie das nunmehr entfallene Verbot der Verwendung der Kennzeichen nationalsozialis­ tischer Organisationen, § 4 a. F. VersG. 902 Nunmehr § 29 Abs. 1 Nr. 4, 5 VersG. 903 Ewers, Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1.  LP, 264. Sitzung am 06.05.1953, S. 12889: „weil es selbstverständlich in den Versammlungen der verschiedensten Parteien und Gruppen so etwas wie eine Geschäftsordnung geben muss. Allein mit dem Hausrecht läßt sich kein demokratischer Parlamentarismus durchführen.“

G. Spontan, kooperativ, groß

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Zusammenfassend ist das Versammlungsgesetz ein Gesetz zum Schutz der De­ mokratie, insb. vor dem Wiederaufleben von bürgerkriegsartigen Saal- und Stra­ ßenschlachten, wie sie sich insb. in den Auseinandersetzungen von Rotfrontkämp­ ferbund, Reichsbanner und SA und SS gezeigt hatten. Sein Anwendungsbereich ist damit begrenzt auf Versammlungen, die grds. Gefahren der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen politischen Gruppen oder des Angriffs der Versammlung auf Dritte mit sich bringen. Insoweit ist der Versammlungsbegriff des VersG ein enger. Die Zentralgestalt der Versammlung wird damit zwar nicht Träger polizei­ licher Aufgaben, aber dennoch zu einem Baustein im Schutz der Demokratie wie der öffentlichen Sicherheit. Mit diesem Schutz korrespondiert der Schutz der Ver­ sammlung. Die Organisationsidee lag dabei bereits den Vorstellungen des par­ lamentarischen Rates zum GG zugrunde, noch stärker findet sie sich aber in der Legislative und Exekutive im Rahmen der Entstehung des VersG.

G. Spontan, kooperativ, groß Das aus den Beratungen hervorgegangene Gesetz entspricht weitestgehend der heute geltenden Rechtslage. Dieses gilt namentlich für die Regelungen, welche die Orientierung des VersG an der Organisationsidee ausmachen. So sind die §§ 1–3, 5–12, 13–17, 18–19 VersG trotz mehrerer Änderungsgesetze904 ganz oder wesent­ lich im Wortlaut gleich geblieben. Die Entwicklung und Anpassung des Geset­ zes an die geänderten Anforderungen der Praxis überließ der Gesetzgeber viel­ mehr der Rechtsprechung.905 Eine Ausnahme stellen die Änderungen in Folge der Ergänzung des Waffenverbots (§ 2 Abs. 3 VersG), die Aufnahme der Regelungen zu Bild- und Tonaufnahmen (§§ 12a, 19a VersG), die Änderungen bzgl. der Bann­ meilen (§ 16 VersG) und die Bestimmungen zum Schutze der Gedenkstätten und der Würde der Opfer des Nationalsozialismus (§ 15 Abs. 2 VersG) dar, welche al­ lerdings nur einen geringen Bezug zur Organisationsidee aufweisen. Anderes gilt hingegen für die Wiederaufnahme des Begriffs des „Zusammenrottens“ in das Ver­ sammlungsrecht (§ 27 Abs. 3 Nr. 3 VersG) sowie die Einfügung der Unterschei­ dung der Vorbereitungs- und Durchführungsphasen („nach den zur Zeit des Er­ lasses der Verfügung erkennbaren Umständen“ bzw. „bei Durchführung“) in § 15 Abs. 1 VersG. Die Entwicklung des tatsächlichen Versammlungsgeschehens, wel­ ches jeweils Ausgangspunkt der Rechtsprechung wie der wenigen Änderungen war, lässt sich für die Bundesrepublik in mehrere Phasen einteilen, die teils in­ einander übergehen.906 904

Übersicht zu diesen bei Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 2011, S. 15. Die Gesamtzahl der Änderungsgesetze zum VersG war entsprechend klein (13). 906 Die Übergänge sind schwer festzulegen und entsprechend uneinheitlich sind die Auffassun­ gen, etwa einerseits Höfling/Augsberg, ZG 2006, 151 (162) (fünf Phasen), andererseits L ­ adeur, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Art. 8 Rn. 8 f. (drei Phasen; Ladeur beachtete aller­ dings 1992 noch nicht die Zunahme der Versammlungsaktivität rechtsextremistischer Kreise). 905

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

Die frühen Jahre der Bundesrepublik waren dabei geprägt durch vergleichsweise „straff organisiert[e]“ Versammlungen,907 die wesentlich von Parteien oder Ge­ werkschaften organisiert wurden. Die Versammlungen dienten dabei vielfach als „Form der Mobilisierung von Anhängern für die in organisierter Form verfolgten Ziele“908. Themen waren etwa die Westintegration der Bundesrepublik, der Kampf der KPD dagegen sowie auf gewerkschaftlicher Seite die Mitbestimmung. Die Versammlungen verliefen dabei nicht stets friedlich. Die Stürmung von Versamm­ lungen war zwar nicht alltäglich, aber häufig.909 Die Auseinandersetzung bei Ver­ sammlungen richtete sich wesentlich gegen den politischen Gegner. Mit Erlass des VersG sowie der Festigung der „Strukturentscheidungen“910 – und deren Anerken­ nung durch Teile der SPD – endete die erste Phase des Versammlungsgeschehens. Mit der Festigung dieser staatlichen Strukturen entwickelte sich ab Ende der 1950er Jahre911 über die Ostermärsche bis zum Sternmarsch auf Bonn 1968 eine neue Form von Versammlungen, bei denen eine Vielzahl von Einzelgruppen in „Großversammlungen“ aufeinandertrafen,912 wobei der strukturierende Ansatz des VersG mit der Anknüpfung an eine Zentralgestalt, die die Versammlung organisiert und lenkt, an seine Grenze geriet. Die „Gewohnheit zu protestieren“ wurde zum ­ ersonen Lebensstil.913 Dabei bediente sich eine steigende Zahl von Gruppen oder P auch „bewußt provokanter Protestformen“, etwa der Besetzung von Wohnhäusern oder der Blockade von Kasernen.914 Hierbei wurde der Staat zunehmend als Geg­ ner definiert, was auf teils dankbare Aufnahme mancher staatlicher Organe traf, sodass sich in gegenseitiger Aufschaukelung ein „Freund-Feind-Schema“915 bilden konnte. Hierzu trugen auch bürgerkriegsartige Szenen, etwa im Zuge der Schwa­ binger Krawalle 1962, bei. Mit der Ermordung Benno Ohnesorgs durch einen erst später enttarnten Stasimitarbeiter sowie dem Attentat auf Rudi Dutschke steigerte sich die Gewalt der nunmehr radikalisierten Studentenproteste erheblich,916 sodass es zu „eruptiven gewaltsamen Gegenreaktionen“917 kam, was sich z. B. in massi­ ven Angriffen auf die Polizei nach Zerstreuung von Versammlungen ausdrückte, 907

Höfling/Augsberg, ZG 2006, 151 (160). Ladeur, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Art. 8 Rn. 8. 909 Vgl. dazu die Berichte aus dem Gesetzgebungsverfahren, Kap. 2 F. IV. 2. b), aber auch die Berichte der Gerichte, etwa OLG Braunschweig, DVBl. 1953, 252. 910 Ladeur, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Art. 8 Rn. 8. 911 So versammelten sich in Hamburg am 17.04.1958 etwa 120.000 Personen zum Thema „Kampf dem Atomtod“. 912 Höfling/Augsberg, ZG 2006, 151 (160); Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 177. 913 Luhmann, Dabeisein und Dagegensein, in: Short Cuts, 2002, S. 86 sowie ders., Protest, 1996. 914 Höfling/Augsberg, ZG 2006, 151 (160). 915 Höfling/Augsberg, ZG 2006, 151 (160). 916 Kraujuttis, Versammlungsfreiheit, 2005, S. 63; Langguth, Protestbewegung, 1983, S. 19; Ossenbühl, Der Staat (10) 1971, S. 53. 917 Lindner, Jugendproteste und Jugendkonflikte, in: Roth, Die sozialen Bewegungen, 2008, S. 561. 908

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etwa am 11.11.1968 am Tegeler Weg in West-Berlin.918 Gleichzeitig wurde die Versammlungsfreiheit als Kampfmittel gegen Private eingesetzt, etwa bei Blocka­ den gegen Zeitungsverlage. Während sich diese Entwicklung wesentlich in Großstädten abspielte, erwei­ terten die Versammlungen ab Mitte der 1970er Jahre in einer dritten Phase ihren Aktionsradius und gingen dazu über, Versammlungen direkt an symbolischen oder konfliktbeladenen Orten zu wählen, etwa Kernkraftwerken (Brokdorf 1981, Wackers­dorf 1985), sonstigen Infrastrukturprojekten (Startbahn West 1987)919 und wiederum Kasernen.920 Zwar bestanden innerhalb dieser „neuen sozialen Bewe­ gungen“921 dabei durchaus Initiatorenkreise, doch kam es nicht zu greifbaren Ko­ ordinationen zwischen den Gruppen.922 Die Entwicklung des sog. „Schwarzen Blocks“ als taktisches Vorgehen innerhalb einer Versammlung ist wesentlich mit der fehlenden einheitlichen Lenkung durch eine Zentralgestalt für die gesamte Versammlung verbunden. Diese Phase wurde begleitet durch die Intensivierung der Blockaden923 unter dem Stichwort „ziviler Ungehorsam“924 und zog sich letzt­ lich bis zu den ersten Castortransporten nach Gorleben 1995, wobei hier bereits eine deutliche Institutionalisierung der Proteste und ihrer Organisation erkennbar wurde. Mangels eines greifbaren politischen Gegners richtete sich die Gewalt zu­ nächst gegen Sachen (Bauzäune, Schienen) und schließlich zunehmend auch ge­ gen Personen, namentlich Polizisten.925 Nach der Wiedervereinigung steigerte sich die Zahl der Versammlungen rechts­ extremistischer Gruppen unter freiem Himmel erheblich,926 wobei gezielt Anleh­ nung an den Nationalsozialismus gesucht wurde, etwa durch die Wahl der Ver­ sammlungsorte (Brandenburger Tor, Synagogen), Daten (insb. 31.  Januar) und Themen (Wehrmachtsausstellung,927 Synagogenbau928). Hierbei rückte die „Zur­ schaustellung organisierter Gewaltbereitschaft“ zunehmend hinter die Provokation

918 Lindner, Jugendproteste und Jugendkonflikte, in: Roth, Die sozialen Bewegungen, 2008, S. 561 f. 919 Eine Übersicht zur „Stimmungslage“ nach den Polizistenmorden an der Startbahn West findet sich in „Der Spiegel“, Nr. 46, 1987, S. 17 ff. 920 Vgl. BVerfGE 69, 315, 323. 921 Ladeur, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Art. 8 Rn. 8. Zu den Hintergründen der Entwicklung bis Anfang der 80er Jahre Hettich, Zornige Bürger, 1984, insb. auch zur Symbolik von Protest, Gewalt und Gewaltlosigkeit, S. 37 ff. 922 Höfling/Augsberg, ZG 2006, 151 (160). 923 Höfling/Augsberg, ZG 2006, 151 (162). 924 Früh bereits Rucht, DuR 1983, 123. 925 Zahlen dazu etwa in BT-Drs. 11/2834, S. 7. 926 Rauer, Rechtliche Maßnahmen gegen rechtsextremistische Versammlungen, 2010, S. 23; Pewestorf, in: Pewestorf/Söllner/Tölle, Polizei- und Ordnungsrecht, 2009, S.  833, 2.  Teil, Kap. 2 Rn. 26. 927 Arndt, BayVBl. 2002, 653 (653) war die Kundgebung am 01.12.2001 der größte „natio­ nalsozialistische Aufmarsch seit 1945“. 928 Zur NPD-Kundgebung in Bochum am 23.06.2004, BVerfGE 111, 147.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

zurück.929 Die Versammlungstätigkeit glitt hier nach und nach wieder in das Schema der 50er Jahre, indem nunmehr sowohl die Versammlungen der Rechtsextremis­ ten (NPD, Republikaner, heute zunehmend sog. „freier Kräfte“) durchorganisiert sind, während auch die Gegenseite sich vielfältiger Organisationsstrukturen be­ dient (Parteien, „Bündnisse“, Antifa). Staatliche Stellen, namentlich die Polizei, kommen hierdurch in die Situation, Versammlungsfreiheit gewährleisten zu müs­ sen und dafür von der jeweiligen Versammlungsgegenseite massiven verbalen wie körperlichen Angriffen ausgesetzt zu sein.930 Die über Jahre schwankende Schärfe der Auseinandersetzungen zwischen Ver­ sammlungsteilnehmern und der Polizei bzw. Teilnehmern von Gegenversammlun­ gen sowie die gesetzgeberische Reaktion (etwa Verbot sog. Schutzwaffen) dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die absolute Mehrheit aller Versamm­ lungen völlig ohne Gewalt stattfand.931 Vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung der Rechtsprechung zu sehen, die sich, namentlich aufgrund der Amnestie für die Hochzeit der sog. Studentenbewegung durch das 3. Strafrechtsänderungsgesetz932 um Verfassungsbeschwerden und höchstrichterliche Entscheidungen gebracht, je­ weils verzögert entwickelte. Wesentlich für die hier behandelte Idee der organisierten Versammlung waren dabei Fragen im Zusammenhang mit der Anmeldepflicht, der Kooperation sowie den Besonderheiten von Groß­veranstaltungen von Bedeutung.

I. Ohne Anmeldung oder Erlaubnis, aber mit Anzeige?! Die Anmeldepflicht für öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel ist ein Kuriosum. Während Art.  8 Abs.  1 GG ausdrücklich erklärt, dass alle Deutschen das Recht haben, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis zu versammeln, schreibt § 14 Abs. 1 VersG gerade eine solche Anmeldung vor. Eine Anmeldepflicht für öf­ fentliche Versammlungen in geschlossenen Räumen besteht hingegen nicht. Der Streit um die Anmeldepflicht und -frist bzw. ihre Auslegung hat die Gerichte und – weit überproportional zu den gerichtlichen Entscheidungen – die Literatur vielfach beschäftigt. Die Anmeldepflicht wurde dabei stets einhellig als Anzeigepflicht verstanden,933 ist also kein Antrag auf Genehmigung, sondern im Kern eine Wis­ senserklärung des Veranstalters an die zuständige Versammlungsbehörde. 929 Höfling/Augsberg, ZG 2006, 151 (162). Ausschreitungen durch Teilnehmer blieben dabei weitgehend hinter denen der Gegendemonstranten zurück. 930 Hüttmann, in: Brenneisen/Dubbert/Schwentuchowski, Ernstfälle, 2003, S. 201. 931 Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 10 m. w. N. 932 3. Strafrechtsreformgesetz vom 20.05.1970, BGBl. I 1970, S.  509; Müller, Wirkungs­ bereich und Schranken der Versammlungsfreiheit, 1974, S. 41. Erfasst waren Taten der Zeit vom 01.01.1965 bis zum 31.12.1969. 933 Statt aller Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 35, 36 m. w. N. Ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht ist erst bei Durchführung gem. § 26 Nr. 2 VersG für Veranstal­ ter und Leiter strafbewährt; kritische Stimmen zur strafrechtlichen Sanktion sind jedoch auch unter dieser einschränkenden Vorgabe nicht selten, vgl. nur Breitbach, NJW 1984, 841 m. w. N.

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Ausgangspunkt für eine erste höchstrichterliche Entscheidung zur Anmelde­ pflicht war dabei ein durch das VG Bremen am 14.03.1963934 entschiedener Fall, der die Rechtmäßigkeit einer Auflösungsverfügung betraf. Der Kläger, Vorstands­ mitglied der „Internationale der Kriegsdienstgegner“, hatte sich aufgrund eines mehrere Tage zuvor gefassten Entschlusses mit weiteren Vereinsmitgliedern vor dem US-Amerikanischen Generalkonsulat getroffen, um dort gegen die Wieder­ aufnahme der Atomversuche zu protestierten. Einer eintreffenden Polizeistreife er­ klärte der Kläger, „die Versammlung sei nicht angemeldet und habe keinen verant­ wortlichen Leiter; jeder Teilnehmer sei für sich selbst verantwortlich“, woraufhin die Versammlung aufgelöst wurde – später erklärte der Kläger hingegen, er habe sich für die Versammlung „verantwortlich gefühlt“.935 Nachdem das VG Bremen die Klage als unzulässig abgewiesen hatte, wies das OVG Bremen am 26.02.1964 auch die Berufung des Klägers zurück. Art. 8 Abs. 2 GG „gelte deshalb, weil öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel besonders geeig­ net erschienen, den Rechtsfrieden zu gefährden oder zu brechen. Wegen der Unbegrenzt­ heit ihrer Teilnehmerzahl und wegen ihrer massensuggestiven Wirkung gefährdeten sie die öffentliche Sicherheit und Ordnung mehr als Versammlungen in geschlossenen Räumen. Bei nichtangemeldeten Versammlungen unter freiem Himmel bestehe generell ein erhöh­ tes ­Gefährdungsmoment darin, daß die Polizei nicht rechtzeitig die zum Schutz der öffent­ lichen Sicherheit und Ordnung, auch der Versammlungsteilnehmer, erforderlichen Maßnah­ men vorbereiten und treffen könne. Die Auflösbarkeit solcher Versammlungen entspreche also den spezifischen Gefahren, die diese heraufbeschwören.“

Die Versammlung erschien hier wesentlich als Gefahrenherd, ihre Zentralgestalt wieder mehr als der Urheber bzw. Veranlasser aus früheren Regelungen. Die Frage, ob eine Versammlung, die „aus besonderem Anlaß so kurzfristig („spontan“) verabredet worden sei, daß sie vorher nicht habe angemeldet werden können [bzw. ob Versammlungen] die aus Anlaß eines bestimmten Ereignisses sehr kurzfristig angesetzt und durchgeführt werden müßten, weil sie sonst ihren Sinn und Zweck verfehlen würden, wie z. B. der Schweigemarsch der Berliner Studenten aus Anlaß der Ermordung des Präsidenten Kennedy“

vor dem Hintergrund des Art.  8 GG als „unangemeldete Versammlungen“ auf­ gelöst werden könnten, ließ das OVG dabei noch offen,936 indem es festhielt, entscheidend „sei insoweit nicht der Entschluß der Teilnehmer, eine Versammlung kurzfristig abhalten zu wollen, sondern die Sachlage des Einzelfalles und die sich aus ihr ergebende Notwendigkeit einer bestimmten und schnellen Reaktion“,

die hier nach den Feststellungen des VG aufgrund der Einlassungen des Klägers nicht bestanden habe. Auffällig ist hierbei, dass das OVG mit der beschriebenen Konstellation („verabredet“, „angesetzt“) auch für kurzfristige Versammlungen an 934

Nicht veröffentlicht; vgl. a. BVerwGE 26, 135 (dort ohne Tatbestand) – juris-Rn. 7. BVerwGE 26, 135 (dort ohne Tatbestand) – juris-Rn. 1. 936 BVerwGE 26, 135 (dort ohne Tatbestand) – juris-Rn. 12. 935

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

der Orientierung an der vorbereitenden Zentralinstanz festhielt. Der verwendete Begriff des „spontanen“ deckt sich dabei nicht mit der heute geläufigen Definition, sondern trifft eher die heutige Definition der Eilversammlung.937 Das BVerwG trat der Entscheidung des OVG zur Maßgeblichkeit der Sachlage und des objektiven Sinns der Versammlung ausdrücklich bei, stellte aber statt des Willens der Teilnehmer den Willen des Veranstalters für die Frage der Notwendig­ keit der kurzfristigen Durchführung als Vergleichsgruppe heraus.938 Darüber hinaus bejahte es für „die Regelfälle“ die Verfassungsmäßigkeit der §§ 14, 15 Abs.  2 a. F. sowie der Strafbestimmungen der § 26 Abs.  1 Nr.  2 und Abs. 2 a. F. VersG, ließ dabei aber die Frage nach dem Sonderfall der „spontanen“ oder „kurzfristig anberaumten öffentlichen Versammlungen“  – unter Andeutung der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung – offen.939 Spätestens da­ mit war die Diskussion in der Literatur eröffnet.940 In der Rechtsprechung griff höchstrichterlich zunächst der BGH 1969­ (Laepple)941 die Frage der Anmeldepflicht wieder auf. Wegen der Blockade des Straßenbahnverkehrs in Köln, anlässlich des Protests gegen eine Preiserhöhung, wurde der Student Laepple unter anderem wegen (fahrlässiger, § 26 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VersG a. F.) Durchführung einer nicht angemeldeten Versammlung ange­ klagt. Das LG Köln war dabei zu der Einschätzung gekommen, dass eine Anmel­ dung der Versammlung bei der Polizei nicht mehr erforderlich gewesen sei, da diese durch verschiedene Aushänge u. a. in der Universität bereits am Vortag der Versammlung über diese sowie ihre näheren Umstände informiert gewesen sei: „Ein schon Informierter könne nicht mehr informiert werden und brauche es auch nicht, weil das Gesetz niemandem etwas Überflüssiges abverlange.“942

Dem trat der BGH in der Revisionsentscheidung mit dem Argument entgegen, § 26 Abs. 1 Nr. 2 VersG a. F. diene als Ungehorsamstatbestand „ganz allgemein der Sicherung gewisser Meldepflichten […] und zur Gewährleistung recht­ zeitiger und verläßlicher Unterrichtung des richtigen Adressaten.“943

937

In der frühen Diskussion wurde teils auch der Begriff „Sofortversammlung“ statt Eil­ versammlung genutzt, etwa Borchert, Die Spontanversammlung, 1972, S. 102 ff. 938 BVerwGE 26, 135 (138) – juris-Rn. 27. 939 BVerwGE 26, 135 (138) – juris-Rn. 25. 940 Früh bereits Möhrle, RuP 1969, 60 (62). Die Auffassungen darüber, was eine Spontan­ versammlung sei, gingen zu dieser Zeit in der Literatur auseinander, teilweise ließen Bearbei­ tungen die Frage auch aus, Borchert, Die Spontanversammlung, 1972, S. 47 ff. Borchert stellt die Veranstalterlosigkeit als wesentliches Merkmal der Spontanversammlung heraus, ebd., S. 50. 941 BGHSt 23, 46. 942 BGHSt 23, 46 (59). 943 Der BGH unterlegte dieses Argument mit dem etwas überraschenden Vergleich der Ver­ letzung der Meldepflicht des Arztes (nach §§ 12, 27 des Gesetzes zur Bekämpfung der Ge­ schlechtskrankheiten vom 23.07.1953, BGBl. I 1953, S. 700) bei erfolgter Kenntniserlangung des Gesundheitsamtes auf anderem Wege, BGHSt 23, 46 (59).

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Die Kritik an der Anmeldepflicht betreffe „soweit sie ernsthafter Erörterung wert sind […] nicht die Anmeldepflicht überhaupt, der ohne die in § 14 bestimmte Frist immer genügt werden kann, wenn eine Versammlung unter freiem Himmel auf Grund einer vorherigen Planung stattfinden soll.“944

Die Pflicht zu „unverzüglicher Meldung“ bliebe also ungeachtet der Unmöglich­ keit der Einhaltung der Anmeldefrist bestehen.945 Das Bundesverfassungsgericht knüpfte im Brokdorf-Beschluss946 an die gezeig­ ten Argumentationslinien an und führte sie näher aus. Die Begeisterung des Ers­ ten Senats, endlich das Versammlungsrecht behandeln zu dürfen war dabei derartig groß, dass er unter Berichterstatter Simon nicht nur ein 26 Seiten947 umfassendes „Lehrbuch“948 vier Seiten949 tragender Begründung voranschob, sondern dieses zu­ dem – unter Auslassung der Vorentscheidung950, verschiedener Beschlüsse951 und seiner eigenen Entscheidung zum Uniformverbot952 – als erste Entscheidung des Gerichts zur Versammlungsfreiheit ausgab.953 Zur Anmeldepflicht schloss sich das BVerfG dem BGH sowie der – nach dem BVerfG damals – herrschenden Lehre954 an: Die Anmeldepflicht sei verfassungs­ gemäß. Diesem setzte das BVerfG allerdings zwei „aber“ hinzu. Zum einen dürfe die Verletzung der Anmeldepflicht nicht „schon schematisch zum Verbot oder zur Auflösung einer Veranstaltung“ berechtigen, sondern vielmehr müssten „wei­ tere Voraussetzungen für ein Eingreifen hinzukommen“.955 Dieses entsprach exakt der bereits durch das BVerwG angedeuteten Lösung der „sinnvollen Anwendung der Ermessensermächtigung des § 15 Abs.  2 VersG“ a. F.,956 auf dessen Ermes­ sensregelung das Gericht dann auch besonders hinwies.957 Zum anderen dürfe die „Anmeldepflicht nicht ausnahmslos“ eingreifen, so entfiele die Anmeldepflicht bei „Spontandemonstrationen, die sich aus aktuellem Anlaß augenblicklich bil­ den“.958 Diese unterstünden Art. 8 Abs. 1 GG, sodass versammlungsrechtliche Vor­ 944 BGHSt 23, 46 (59), unter Verweis auf die vorstehende Entscheidung des BVerwG sowie Frowein, NJW 1969, 1081. 945 BGHSt 23, 46 (59); bestätigt durch BVerfGE 69, 315 (358 f.); 85, 69 (74). 946 BVerfGE 69, 315. 947 BVerfGE 69, 315 (342–368). 948 Zuerst Gusy, JuS 1986, 608 (608), teils auch als „Magna Charta“ bezeichnet, etwa­ Hoffmann-­Riem, in: FS Simon, 1987, S. 379 (379). 949 BVerfGE 69, 315 (369–372). 950 BVerfGE 56, 244. 951 Nachweise bei Hong, in: Rensen/Brink, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfas­ sungsgerichts, 2009, S. 155 (156 Fn. 1). 952 BVerfGE 57, 29. 953 BVerfGE 69, 315 (344): „bislang mit der Versammlungsfreiheit noch nicht befasst“. 954 Nachweise in BVerfGE 69, 315 (350). 955 BVerfGE 69, 315 (350 und 351). 956 BVerwGE 26, 135 (138) – juris-Rn. 25. 957 Zuvor bereits Frowein, NJW 1969, 1081 (1084). 958 BVerfGE 69, 315 (350).

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schriften auf sie nicht anwendbar seien, „soweit der mit der Spontanveranstaltung verfolgte Zweck bei Einhaltung dieser Vorschriften nicht erreicht werden könnte“. Dass man diesen Versammlungstyp trotz „Nichtbeachtung solcher Vorschriften“ eine „Anerkennung“ zukommen ließe, sei daraus zu „rechtfertigen“, dass die „versammlungsrechtlichen Ordnungsvorschriften im Lichte des Grundrechts der Versammlungsfreiheit angewendet und gegebenenfalls hinter ihm zurücktreten müssen“, denn, so das BVerfG weiter, das „Grundrecht und nicht das Versamm­ lungsgesetz verbürgt die Zulässigkeit von Versammlungen“.959 Dem ist sicherlich zuzustimmen, doch wird in dieser Formulierung des BVerfG auch ein deutlicher Rechtfertigungsdruck sichtbar. Dabei überdeckt die Zitierung des BVerwG an genau dieser Stelle zudem, dass dort von „augenblicklicher Bildung“ im Sinne einer veranstalterlosen Versamm­ lung keineswegs die Rede war, sondern unter dem Begriff „spontan“ eine organi­ sierte Versammlung verstanden wurde, bei der lediglich keine Zeit mehr zur An­ meldung blieb. Herzog, zur Zeit des Brokdorf-Beschlusses Vorsitzender des Ersten Senats, spricht daher zutreffend von „echten Spontanversammlungen“, die das BVerfG hier habe regeln wollen.960 Genauer ist daher die spätere Formulierung der Spontanversammlungen als Versammlungen, „die sich aus einem momentanen Anlaß ungeplant und ohne Veranstalter entwickeln“,961 sodass eine vorherige An­ meldung bereits „aus tatsächlichen Gründen unmöglich“ ist.962 Durch die neue Ausrichtung des Begriffs der „Spontanversammlung“ wider­ sprach das BVerfG damit auch nicht dem BGH, der lediglich die Nichteinhal­ tung der Frist in Fällen besonderer Eile nicht sanktioniert wissen wollte, aber den­ noch an der Pflicht zur Anmeldung festgehalten hatte.963 Die Rechtfertigung der „auf gewichtigen Gemeinwohlbelangen beruhende[n]“964 Anmeldepflicht selbst folgerte das BVerfG dabei, anders als noch das BVerwG, nicht mehr allein aus dem Bedürfnis, rechtzeitig die Polizei zu informieren, damit diese „ausreichende Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorbereiten und treffen kann“965, sondern stellte die Ermöglichung der Versammlung in den Vordergrund: „Die mit der Anmeldung verbundenen Angaben sollen den Behörden die notwendigen In­ formationen vermitteln, damit sie sich ein Bild darüber machen können, was einerseits 959

BVerfGE 69, 315 (350 f.). Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, 1987, Art. 8 Rn. 84. 961 Das Nichtvorhandensein eines Veranstalters schließt allerdings nicht aus, dass die Ver­ anstaltung in ihrem Verlauf einen Leiter erhält, etwa durch Wahl seitens der Teilnehmer. Zum Problem des sog. faktischen Leiters vgl. Kap. 3 B. I. 3. e). 962 BVerfGE 85, 69 (75). Das Phänomen sich augenblicklich bildender Versammlungen war im Übrigen nicht neu, sondern bereits aus den frühen Entwicklungsphasen des Versammlungs­ rechts bekannt, vgl. Kap. 2 A. II. bis IV. 963 BGHSt 23, 46 (58 ff.). 964 BVerfGE 69, 315 (351). 965 BVerwGE 26, 135 (137 f.) – juris-Rn. 24. 960

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zum möglichst störungsfreien Verlauf der Veranstaltung an Verkehrsregelungen und son­ stigen Maßnahmen veranlaßt werden muss und was andererseits im Interesse Dritter sowie im Gemeinschaftsinteresse erforderlich ist und wie beides aufeinander abgestimmt werden kann […]“.966

Mit diesem kleinen Einschub lenkte das BVerfG die Bedeutung der Anmelde­ pflicht auf eine für das Versammlungsrecht neue Bahn, die  – auch unter dem Aspekt des Grundrechtsschutzes durch Verfahren  – bereits deutlich auf Ermög­ lichung statt bloßer Gefahrenabwehr zielt. Diese Entwicklung  – gerade vor der­ geschilderten historischen Situation – aufgegriffen zu haben ist einer der großen Verdienste des Beschlusses. Hatte sich das BVerfG im Brokdorf-Beschluss noch nur mit dem Wegfall der Anmeldepflicht bei echten Spontanversammlungen beschäftigt, stand eine Aus­ einandersetzung mit der Anmeldefrist, die das BVerfG hier explizit nicht geprüft hatte,967 noch aus. Den Ausgangspunkt hierzu bildete wiederum eine Verurteilung wegen der Durchführung einer unangemeldeten Versammlung gem. § 26 Nr.  2 VersG. Die Versammlung war nicht angemeldet worden, obwohl die Anmeldefrist von 48 Stunden hätte eingehalten werden können. Das BVerfG kam dabei zu dem Ergebnis, dass die Anmeldefrist von 48 Stunden vor Bekanntgabe der Versamm­ lung „für den Regelfall verfassungsrechtlich nicht“ zu beanstanden sei. Da es auf­ grund der vorausgehenden Entscheidungen auf die Rechtmäßigkeit der Anmel­ dungspflicht überhaupt nicht mehr ankam, konnte sich das BVerfG hier dann auch auf die Frist konzentrieren. Deren Rechtfertigung fand das BVerfG wiederum nicht nur in einer einseiti­ gen Ermöglichung ggf. notwendiger Maßnahmen durch die Polizei, sondern auch in der Möglichkeit für den Veranstalter, dass diese Maßnahmen (etwa Auflagen) „dann bereits bei der Bekanntgabe berücksichtigt werden können“ bzw. so ein Ver­ bot ausgesprochen werden kann, noch „bevor […] öffentlich für die Teilnahme an der Versammlung geworben worden ist“.968 Wie bereits für die Spontanversammlungen müsse jedoch auch für die so­ genannten „Eilversammlungen“ aus der Versammlungsfreiheit eine Besonderheit folgen. Bei Eilversammlungen, also solchen Versammlungen, „die im Unterschied zu Spontanversammlungen zwar geplant sind und einen Veranstalter haben, aber ohne Gefährdung des Demonstrationszwecks nicht unter Einhaltung der Frist des § 14 VersG angemeldet werden können“, sei allerdings „lediglich die ­Fristwahrung unmöglich“, weshalb es für diese „keines Verzichts auf die Anmeldung, sondern

966 Auch diese Überlegung hatte das BVerfG nicht „ab ovo“ (Hong, in: Rensen/Brink, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2009, S. 157) entwickelt, sondern einem Beschluss des Rechtsausschusses (BT-Drs. 8/1845, S. 10) angelehnt, s. bereits BVerfGE 69, 315 (350). 967 BVerfGE 69, 315 (349). 968 BVerfGE 85, 69 (74).

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nur einer der Eigenart der Versammlung Rechnung tragenden Verkürzung der An­ meldefrist“ bedürfe.969 Eilversammlungen seien also in verfassungskonformer Interpretation des § 14 VersG jeweils anzumelden, „sobald die Möglichkeit dazu besteht“.970 Damit schloss sich das BVerfG den Ausführungen des BGH in der­ Laepple-Entscheidung an, ohne jedoch die Begründung mit vergleichbar repres­ siv ablehnendem Ton vorzutragen. Indem das BVerfG die Anmeldepflicht nur für die extrem seltenen echten Spontanversammlungen entfallen ließ, diese im Übri­ gen aber mit starken Argumenten für verfassungskonform erklärte, hielt es auch die ­Orientierung des VersG an der organisierten Versammlung aufrecht,971 wenn es auch die Tür zu einer Entwicklung in eine für die Anmeldepflicht wie das gesamte Versammlungsrecht neue Richtung weit öffnete. Auch wenn das BVerfG die Anmeldepflicht, zumindest wenn sie mit einer „Er­ weiterung und Formalisierung“ einhergeht, die „nicht nach Größe und Gefahren­ potential der Versammlung unterscheidet“, zuletzt wieder kritisch beleuchtet,972 bzw. die Gesetzgeber in der Ausweitung der begleitenden Formalien beschränkt hat, so war das Gericht doch stets klug genug, dieses wesentliche Anknüpfungs­ moment nicht in Bausch und Bogen zu verwerfen. Dieses erklärt sich auch aus einem weiteren wesentlichen Aspekt des Brokdorf-Beschlusses.

II. Kooperation zwischen Pflicht und Obliegenheit Für seinen Versuch Versammlungen, namentlich solche zu stark emotiona­ lisierten Umweltthemen, wieder in „friedliche“ Bahnen zu lenken, wählte das BVerfG den Weg der „Etablierung eines zivilgesellschaftlich geprägten Koope­ rationsmodells“.973 Versammlungen sollten nicht länger in einer Fokussierung auf mögliche Gewalttaten gesehen werden, sondern als Mittel politischer Partizipa­ tion. Wie bereits für seine Überlegungen zur Verfassungsmäßigkeit der Anmel­ depflicht konnte das BVerfG auch hier auf breite Vorarbeiten zurückgreifen. So hatte Werbke bereits 1970 angeregt im Rahmen einer Neuregelung der Anmel­ depflicht, diese „zu einem Verfahren umzugestalten, das eine Plattform für die Abstimmung der öffentlichen mit den privaten Interessen schafft und so zugleich zur institutionellen Absicherung der Versammlungsfreiheit beiträgt“.974 Es ging 969

BVerfGE 85, 69 (75). BVerfGE 85, 69 (75). Ablehnend die Richter Seibert und Henschel, nach denen es sich bei der Verkürzung der Anmeldepflicht nicht um eine verfassungskonforme Interpretation, son­ dern um eine hier unzulässige „richterrechtliche Ergänzung der Tatbestandsvoraussetzungen“ handle, ebd., S. 78. Es müsse vielmehr der Gesetzgeber handeln, so er die Anmeldepflicht auch für Eilversammlungen beibehalten wolle, ebd., S. 79. 971 Eilversammlungen sind letztlich nichts anders als ein Modus der organisierten Versamm­ lung, bei dem die Planungsphase stark verkürzt ist. 972 BVerfGE 122, 342 (366). 973 Höfling/Augsberg, ZG 2006, 157 (161). 974 Werbke, NJW 1970, 1 (8). 970

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ihm also um Interessenausgleich („Abstimmung“) einerseits und Grundrechts­ schutz durch Verfahren andererseits. Quilisch sprach der „Kooperation der Polizei mit Veranstalter und Leiter öffentlicher Versammlungen in versammlungsfreund­ lichem Sinne“ bereits fünfzehn Jahre vor dem Brokdorf-Beschluss „prinzipielle Bedeutung“ zu.975 Die Forderung nach einseitig behördlicher Kooperation folgerte er dabei nicht nur aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit976 bzw. dem daraus resultierendem Übermaßverbot, sondern auch aus dem „Gedanken der Selbstver­ waltung in der öffentlichen Versammlung“, also der Überlegung, dass die „Ord­ nung in der Versammlung primär Aufgabe der ‚Organe‘ der Versammlung selbst ist und nur dort, wo diese offensichtlich versagen, unmittelbarer polizeilicher Ein­ satz zulässig“ sei.977 Diese frühen Überlegungen zur Kooperation wurden weitergeführt durch die sog. Stuttgarter Gespräche, welche die „Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen“ in Folge der Demonstration am 28.02.1981 in Brokdorf initiiert hatte.978 Die aus diesen Gesprächen zwischen Umweltverbänden, Polizei, sowie Vertretern aus Poli­ tik, Gewerkschaften, Kirchen und Wirtschaft hervorgegangenen „Überlegungen zur Austragung von Umweltkonflikten“ verstanden sich als „eine Art Verhaltens­ katalog bei Umwelt-Demonstrationen“ und enthielten sowohl Maßgaben für Ver­ sammlungsveranstalter und -teilnehmer als auch für Polizei, Politik und Medien979. Mit diesem beiderseitigen Ansatz zur Kooperation bei Versammlungen gingen die Empfehlungen dabei jedenfalls über den rein staatlich gedachten Ansatz Quilisch’ hinaus. Auf der Grundlage einer umfassenden Anerkennung des staatlichen Ge­ waltmonopols980 wurden konkrete Möglichkeiten zur Prävention entwickelt, wobei Versammlungsfreiheit als „Mittel gesellschaftlicher Konfliktaustragung“ verstan­ den wurde, der namentlich für politische Diskussion, Information und Mobilisie­ 975

Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 177. Zu dessen verfassungsrechtlicher Bedeutung bereits BVerfGE 9, 338 (346); 19, 348 (349). 977 Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 177. In ganz ähnlicher Richtung ar­ gumentierte die GdP in ihrer im äußersten Maße versammlungsfreundlichen Stellungnahme in BVerfGE 69, 315 (335 f.). 978 Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen, Stuttgarter Gespräche, 1984, S. 1. 979 Zwischen der „Herstellung von Öffentlichkeit und der Gewaltsamkeit von Aktionen [be­ stehe] ein unheilvoller Zusammenhang“, daher sollten sich die Medien „um faire, ausgewo­ gene Berichterstattung über die jeweilige Problematik, die Ziele, Vorhaben und Aktionen des Bürgerprotests bemühen und dafür sorgen, daß der Darstellung von Gewalttätigkeiten nicht der Vorzug vor der Berichterstattung über friedliche Aktionen eingeräumt wird.“, so Arbeits­ gemeinschaft für Umweltfragen, Stuttgarter Gespräche, 1984, S. 10. 980 Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen, Stuttgarter Gespräche, 1984, S. 8: „Nur dann Ent­ scheidungen anzuerkennen, wenn sie sich mit den eigenen Auffassungen decken, widerspricht demokratischem Grundverständnis. Für die Anwendung nichtstaatlicher Gewalt zur Durchset­ zung politischer Ziele gibt es keinen Rechtfertigungsgrund. […] Wer sich trotzdem aus eige­ nem Ermessen heraus Gewalt anmaßt, führt die Gesellschaft hinter die Errungenschaften des freiheitlichen Verfassungsstaates zurück.“ Über die Einordnung des sog. „zivilen Ungehor­ sams“ also „illegale gewaltfreie Aktion[en]“, S. 9 konnte kein Konsens hergestellt werden, die Rechtsprechung brauchte für eine Klärung noch etliche Jahre, vgl. von BGHSt 23, 46 ­(Laepple) bis BVerfGE 104, 92 (Sitzblockaden III). 976

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rung der Öffentlichkeit Bedeutung zukomme.981 Einerseits seien gegenseitige Pro­ vokationen zu unterlassen. Diese umfassten aus Veranstalter- und Teilnehmersicht etwa „Nichtankündigung von Versammlungen“, „Bewaffnung von Demonstran­ ten“, „Maßnahmen, die Personen unverhältnismäßig behindern, bedrohen oder ge­ fährden“, beiderseitig das Unterlassen unnötiger „Machtdemonstrationen“ sowie „aggressiv wirkendes Auftreten von Demonstranten und Polizeikräften“ sowie poli­zeilicherseits „unnötig, überzogen oder unverständlich wirkende polizeiliche Einsatzmaßnahmen“.982 Als Mittel zur Erreichung der Ziele wurde ganz wesentlich der „umfassende möglichst auch gegenseitige“ Informationsaustausch betrachtet. Der „enge Kon­ takt zwischen Veranstaltern/Leitern von Versammlungen oder Teilnehmern von Aktionen und den zuständigen Behörden“ sollte dabei über den Informations­ austausch hinaus auch das „gegenseitige Verständnis“ fördern sowie eine bessere Lage­einschätzung ermöglichen.983 Der direkte Kontakt sollte hierbei „in der Vor­ bereitung, in der ständigen Verbindung während der Veranstaltungen und in einem Gespräch danach“ erfolgen. Die Polizei sollte hiernach jedoch nicht nur zum Ge­ spräch bereit sein, sondern auch „zur Beratung in Fragen der Organisation, der Wahrnehmung von Ordnungsaufgaben und der Verkehrsabwicklung“ sowie wei­ terhin die „Bemühungen der Veranstaltungsleitung, die der Friedlichkeit der Ver­ anstaltung dienen“, unterstützen.984 Die Stuttgarter Gespräche gingen folglich von einer echten, weil beidseitigen Kooperation aus. Sie verstanden sich aber aus­ drücklich nur als „Überlegungen zum Konfliktmanagement“ im Sinne einer „Ori­ entierungshilfe“, nicht aber als verpflichtend. Sie waren insoweit eine Ergänzung der Heinemann’schen „Spielregeln“ für eine gewandelte Situation, ohne aber für sich Verbindlichkeit einzufordern. Kooperation in diesem Sinne bedeutet also we­ sentlich Kontaktaufnahme und möglichst gegenseitigen Informationsaustausch. Das BVerfG fügte diese Ansätze, die es selbst als „bewährte Erfahrungen“985 be­ zeichnete, ausführlich zitierte986 und sich teils zu eigen machte,987 im BrokdorfBeschluss mit den rechtlichen Überlegungen zusammen. Dabei ließ das BVerfG offen, ob die Verpflichtung der Behörden zur Berücksichtigung „dieser Erfahrun­ gen“ aus einer aus Art. 8 GG herleitbaren Schutzpflicht erwachse. So hatte es etwa die GdP dargelegt, nach der es die Pflicht der Behörden sei, „Versammlungen […] zu ermöglichen sowie die Grundrechtsausübung vor Störungen und Ausschreitun­ gen Dritter zu schützen“988, wobei hier nicht klar wird, ob die GdP insoweit Gegen­ 981

Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen, Stuttgarter Gespräche, 1984, S. 9. Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen, Stuttgarter Gespräche, 1984, S. 12. 983 Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen, Stuttgarter Gespräche, 1984, S. 10. 984 Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen, Stuttgarter Gespräche, 1984, S. 11. 985 BVerfGE 69, 315 (356); zu diesen als Voraussetzungen eines friedlichen Verlaufs a. die Stellungnahme des Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins in BVerfGE 69, 315 (332). 986 BVerfGE 69, 315 (319 f.). 987 BVerfGE 69, 315 (355). 988 BVerfGE 69, 315 (356). 982

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demonstranten oder Gefahren „aus den eigenen Reihen“ im Auge hatte. Jedenfalls setzten die Grundrechte „Maßstäbe für eine den Grundrechtsschutz effektuierende Organisationsgestaltung und Verfahrensgestaltung sowie für eine grundrechts­ freundliche Anwendung vorhandener Verfahrensvorschriften“, was umso mehr für die Versammlungsfreiheit gelte, da diese einen „wesentlichen verfahrensrecht­ lichen und organisationsrechtlichen Gehalt“ habe.989 Zudem ließe sich die Koope­ rationspflicht („diese Erfahrungen nicht nur in Erwägung zu ziehen, sondern auch tatsächlich zu erproben“)990 auch aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit her­ leiten. Die Grenze der Kooperation für die Behörden liege dabei darin, dass „die verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht so weit gespannt werden [dürften], dass sie den Charakter der polizeilichen Aufgabe als Gefahrenabwehr grundsätzlich verändern oder die Anwendung flexibler Einsatzstrategien unmöglichen machen“.

Hiermit ging der Senat deutlich hinter die Stuttgarter Gespräche zurück, die eine Förderung der Versammlungsdurchführung (etwa durch Beratung) vorgeschlagen hatten. Dieses erklärt sich insb. mit dem durch das Gericht statuierten „Abstands­ gebot“, das gleichzeitig die Grenze möglicher Anforderungen an Veranstalter und Teilnehmer herausstellt: „Ebenso und erst recht dürfen gegenüber den Veranstaltern und Teilnehmern von Groß­ demonstrationen keine Anforderungen gestellt werden, welche den Charakter von Demon­ strationen als prinzipiell staatsfreie reglementierte Beiträge zur politischen Meinungsbil­ dung und Willensbildung sowie die Selbstbestimmung der Veranstalter über Art und Inhalt der Demonstrationen aushöhlen würden.“991

Bereits hiermit hatte das BVerfG die Tür zur Annahme von Kooperationspflichten für Veranstalter und Teilnehmer zugeschlagen. Eine mögliche Ausgestaltung der Kooperation sah das BVerfG als Aufgabe des Gesetzgebers an, legte jedoch auch hier bereits die Grenze fest: „Weitergehende verfahrensrechtliche Obliegenheiten ließen sich möglicherweise mit der Gemeinschaftsbezogenheit der Grundrechtsausübung und mit der Verursachermitverant­ wortung für die Auswirkungen von Großdemonstrationen rechtfertigen.“992

Hierin lagen gleich zwei Einschränkungen: Zum einen käme eine Rechtfer­ tigung nur für „Großdemonstrationen“ in Betracht, zum anderen könne es nur um Obliegenheiten, also niemals um Pflichten von Veranstaltern oder Teilnehmern ge­ hen.993 Auch die anschließende „Je-desto-Formel“ lässt ausschließlich die positive Anknüpfung an Kooperationsbereitschaft der Grundrechtsträger zu, nicht aber ne­ gative an ihre Verweigerung. Die Kooperation des Veranstalters kann also lediglich 989

BVerfGE 69, 315 (355 f.). BVerfGE 69, 315 (356). 991 BVerfGE 69, 315 (356). 992 BVerfGE 69, 315 (357). 993 Missverständlich insoweit BVerfG, NVwZ 2012, 818 (820), da die dort genannten „Ko­ operationspflichten der Veranstalter“ weder in der zitierten Rechtsprechung des BVerfG auf­ tauchen noch in dem in Rede stehenden § 14 BayVersG. 990

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„dazu führen, dass die Schwelle für behördliches Eingreifen wegen einer Gefähr­ dung der öffentlichen Sicherheit höher rückt“994, nicht aber deren Verweigerung zu einem „Absinken der Eingriffsschwelle“995. Ebenso gibt § 28 VwVfG996 dem Veranstalter zwar die Möglichkeit zur Stellungnahme zu tatsächlichen und recht­ lichen Erwägungen der Behörde, jedoch nicht die Pflicht hierzu. Die Verpflich­ tung der Grundrechtsträger, „unfriedliches Verhalten zu unterlassen und die Be­ einträchtigung von Drittinteressen zu minimalisieren“, folge hingegen bereits aus der Grundrechtsgewährleistung selbst und deren „Abstimmung auf die Grund­ rechte anderer“.997 Die Einführung von Kooperationspflichten auch der Grundrechtsträger ist dem­ nach verfassungsrechtlich unzulässig, das Kooperationsangebot, insb. die Weiter­ gabe von Informationen, der zuständigen Behörde dagegen verfassungsrecht­ liche Pflicht, beschränkt durch den „Charakter der polizeilichen Aufgabe als Gefahrenabwehr“ bzw. die Einsatztaktik. Auch unter diesen sehr eingeschränkten Maßgaben des großen Wortes „Kooperation“ ist jedoch die Bedeutung der Kon­ taktaufnahme und des damit zumindest grds. ermöglichten Dialogs bzw. des „ge­ genseitigen Kennenlernens“998 nicht zu unterschätzen.999 Den Grundsatz, dass eine Rechtspflicht zur Kooperation des Veranstalters mit den Behörden nicht bestehe, hat das BVerfG 2001 in aller Deutlichkeit wiederholt und konkretisiert: Aus dem „Grundsatz vertrauensvoller Kooperation“ könnten weder die Verpflichtung zur Stellung eines „Sicherheitskonzepts“ noch „beson­ dere[n] Anstrengungen […] für einen friedlichen Verlauf der Versammlung zu sor­ gen“, noch das Unterlassen von Täuschungen über Teilnehmerkreis oder -zahl der Versammlung hergeleitet werden.1000 Betrachtet man die gesamten Ausführungen, wie die durch das BVerfG auf­ gegriffenen Vorüberlegungen zur Kooperation, wird insb. eins deutlich: Die wei­ terhin strikte Orientierung an der Idee der organisierten Versammlung. Im Zentrum der Überlegungen des BVerfG wie auch bereits der Stuttgarter Gespräche und insb. Quilisch’ steht die Zentralgestalt, die zur Durchführung „ihrer“ Versammlung den 994

BVerfGE 69, 315 (357); wiederholt in BVerfG, NJW 2001, 2078 (2079). So aber OVG Weimar, NVwZ-RR 2003, 207 (209), wohl in Anlehnung an die Überlegun­ gen des BVerfG, dass ein Versammlungsverbot oder eine Auflösung eher verwaltungsgericht­ lich bestehen könne, wenn sich die Behörde um Kooperation bemüht habe, BVerfGE 69, 315 (356). Dieses sagt aber nichts zum Verhalten der Veranstalter, sondern betrifft allein Fragen der Verhältnismäßigkeit behördlicher Maßnahmen. 996 Bzw. die entsprechende Norm des Landesrechts. 997 BVerfGE 69, 315 (356) a. E. 998 BVerfGE 69, 315 (355, 358). 999 Dieses betont auch BVerfGE 69, 315 (358 f.). 1000 BVerfG, NJW 2001, 2078 (2079). Vgl. a. zur fehlenden Pflicht abseits besonderer Um­ stände „öffentlich deutliche Signale“ auf die „Gewaltfreiheit der Durchführung der Versamm­ lung“ hinzusetzen BVerfG, NJW 2000, 3051. Zur Nichtteilnahme an einem angebotenen Ko­ operationsgespräch BVerfG, NVwZ 2007, 574 f. 995

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Kontakt zur Behörde suchen und dieses nach ihren Vorstellungen gestalten kann. Teilnehmer der Versammlung tauchen dabei jeweils nur am Rande auf, etwa wenn es darum geht, Provokationen zu unterlassen, oder der Veranstalter bzw. Leiter auf diese einwirken soll. Infolge der Andeutung des BVerfG eine gesetzliche Regelung der Kooperations­ pflichten der Behörde sowie der Obliegenheiten der Veranstalter zu schaffen, kam es 1988 zu einem entsprechenden Regelungsvorschlag.1001 Dieser sah die Einfüh­ rung eines neuen § 14a VersG vor, der die Kooperation in das Gesetz einbringen sollte, ohne jedoch den Begriff zu verwenden: „(1) Die zuständige Behörde erörtert, soweit dies sachdienlich und möglich ist, mit dem Ver­ anstalter der Versammlung oder des Aufzuges oder mit demjenigen, der eine Vielzahl von Personen zur Teilnahme an einer solchen Versammlung aufgefordert hat, Einzelheiten der Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges, insbesondere geeignete Maßnahmen zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Die Behörde hat dabei, soweit nicht die Erfüllung ihrer Aufgaben dadurch beeinträchtigt wird, auch Auskunft über beabsichtigte Schutz und Sicherheitsmaßnahmen zu geben. (2) Die in Absatz 1 bezeichneten Personen haben im Interesse eines ordnungsgemäßen und friedlichen Verlaufs der Versammlung oder des Aufzugs der Behörde Auskunft insbesondere über Umfang und vorgesehenen Ablauf der Veranstaltung zu geben. Sie haben an einem von der Behörde festgesetzten Erörterungstermin teilzunehmen.“

Während Abs. 1 unproblematisch die Vorgaben des Brokdorf-Beschlusses um­ setzte, ging zumindest Abs.  2 S.  2 über dessen Grenzen hinaus. Inwieweit dies auch für die Pflicht zur Angabe über „Umfang und vorgesehenen Ablauf der Ver­ anstaltung“ gilt, mag hier dahingestellt bleiben, da es insoweit eher Fragen des sinnvollen Umfangs der Anmeldepflicht als der Kooperation sind.1002 Das BVerfG hat seinerseits eine entsprechende Regelung in § 13 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 BayVersG a. F. für die erwartete Anzahl der teilnehmenden Personen, also einen Teilbereich des „Umfangs“, sowie den beabsichtigten Ablauf der Versammlung (§ 13 Abs. 2 Nr. 6 BayVersG a. F.) zwar nicht als mit Art. 8 unvereinbar einstweilen außer Kraft gesetzt,1003 jedoch eine auf die Versammlung bezogene „Pflicht zur Mitteilung ih­ res genauen Ablaufs und möglicherweise auch ihres Inhalts“ als Beschränkung der „Freiheitswahrnehmung“ des Veranstalters kritisiert,1004 eine Angabepflicht zu 1001 BT-Drs. 11/2834. Bereits 1977 hatte es den Versuch gegeben, die Anmeldepflicht um die Worte „unter Angabe des Gegenstandes der Versammlung oder des Aufzuges“ zu ergänzen, BT-Drs. 8/1845, S. 4, dessen Entwurf hier wiederholt wurde. Später dazu BT-Drs. 11/4359, S. 30. 1002 Der Vorschlag wiederholte lediglich einen entsprechenden Entwurf der Änderung der An­ meldepflicht vom 01.06.1978, BT-Drs. 8/1845, S. 4. 1003 Der Außerkraftsetzung standen die durch das Gericht selbst aufgestellten Anforderun­ gen, vgl. BVerfGE 122, 342 (361 f.) m. w. N., entgegen, insb. da durch die Außerkraftsetzung der Bußgeldvorschriften der Nachteil bereits gemindert erschien, BVerfGE 122, 342 (367). 1004 BVerfGE 122, 342 (367). Die Ausführungen sind insoweit im Urteil kaum detailliert; ver­ mutlich haben die Erläuterungen in der mündlichen Verhandlungen jedoch den bayerischen Ge­ setzgeber zur Streichung „ermutigt“.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

Ort, Zeitpunkt des Beginns und des Endes der Versammlung sowie des Versamm­ lungsthemas (§ 13 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 bis 3 BayVersG a. F.), vom BVerfG als die „äußeren Kerninformationen der Versammlung“ bezeichnet, hingegen unbespro­ chen gelassen.1005 Die besondere Bedeutung, welche das BVerfG der Kooperation im Versamm­ lungsrecht zumisst, zeigt sich dabei insb. in den Fällen besonders großer Veranstal­ tungen, die von dem im VersG vorausgesetzten Organisationsmodell abweichen.

III. Keine, viele, einer? Großversammlungen und die Veranstalterfrage „Wer zu einer öffentlichen Versammlung oder zu einem Aufzug öffentlich einlädt, muß als Veranstalter in der Einladung seinen Namen angeben.“

§ 2 Abs.  1 VersG fast in dieser kurzen Formel zwei wesentliche Aspekte des VersG zusammen: die Orientierung an der Idee der organisierten Versammlung und die Öffentlichkeit nicht nur der Versammlung, sondern der Transparenz im Sinne einer Erkennbarkeit des Veranstalters einer Versammlung. Veranstalter i. S. d. VersG ist folglich, wer zu einer öffentlichen Versammlung öffentlich einlädt. Das VersG geht dabei aufgrund der überkommenen Vorstellung wie der praktischen Anwen­ dung des Versammlungsrechts primär von einem Veranstalter aus, der ggf. auch eine Vereinigung sein kann, § 7 Abs. 2 S. 2 VersG. Es schließt damit allerdings nicht bereits dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 VersG nach aus, dass eine einzige Versamm­ lung mehrere Veranstalter haben kann. Wahrscheinlich ist vielmehr, dass hier die Formulierung des RVG (etwa § 7) übernommen wurde, da zu abweichenden Über­ legungen kein Anlass bestand. Ein entsprechender Regelungsbedarf war schlicht nicht zu erkennen, was entsprechend für die Frage nach mehreren Leitern gilt. Das „Veranstalten“ erfasst danach neben dem Hervorrufen eines Teilnahme­ entschlusses bei potenziellen Teilnehmern durch die Einladung auch die Setzung eines gewissen organisatorischen Rahmens, jedenfalls hinsichtlich der „äußeren Kerninformationen“ Ort, Zeit und Versammlungsthema. Das Recht diesen Rah­ men zu setzen und zu dieser Versammlung einzuladen zeigt gleichzeitig die beson­ dere Bedeutung des Veranstalters für „seine“ Versammlung. Diese hervorgehobene Rolle, welche der Gesetzgeber dem Veranstalter zugestehen wollte, zeigt sich wei­ terhin im Recht, den Teilnehmerkreis zu bestimmen, § 6 Abs. 1 VersG, sowie über die Leitung, § 7 Abs. 2 bis 3 VersG bzw. für Versammlungen unter freiem Himmel § 14 Abs. 2 VersG. Zu dieser Zuordnung tritt die Abgrenzung des Veranstalters zu Dritten, die die Teilnahme an der Versammlung zwar fördern wollen, jedoch nicht an der Setzung

1005

BVerfGE 122, 342 (366 f.).

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des organisatorischen Rahmens beteiligt sind. Das VersG verwendet für diese Tä­ tigkeit den Begriff des „Aufforderns“ zur Teilnahme an einer Versammlung, § 23 VersG.1006 Dieses Auffordern bezieht sich jeweils auf eine bereits im Planungsoder Durchführungsstadium befindliche Versammlung, macht den Auffordern­ den aber nicht zu einem Veranstalter i. S. d. VersG mit den daraus folgenden Rech­ ten und Pflichten. Beachtet man die Entstehungsgeschichte des VersG und dessen ­Regelungszweck, wäre eine solche Folge absurd.1007 Zudem bräche sie die Syste­ matik und widerspräche dem Wortlaut. Ganz entsprechend entwickelte die Rechtsprechung in den 70er Jahren den Be­ griff des Veranstalters. So führte etwa das OLG Düsseldorf aus: „Veranstalter [… i. S. des VersG ist, …] wer in einem anderen den Willen zum Sichversam­ meln hervorruft […] und ein gewisses Maß von Verantwortungsbewusstsein für die Ver­ anstaltung hat oder zumindest durch seine Handlungsweise dokumentiert.“1008

Erginge keine Einladung, so sei derjenige, der die äußeren Vorbereitungen trifft, Veranstalter.1009 Bei diesen reichten allerdings „geringfügige Organisationshandlungen, eine allgemein gehaltene Aufforderung  – auch wenn sie Zeit- und Ortsangaben enthält – oder die Initiative zu einer unverbindlichen Ver­ abredung […] in der Regel nicht aus, um jemanden als Veranstalter im Sinne des Versamm­ lungsgesetzes anzusehen.“1010

Das BayObLG ergänzte: „Veranstaltung ist Urheberschaft in Bezug auf eine Versammlung und ihre Durchführung […] Der Veranstalter ist der Veranlasser der spezifischen Gruppenbildung [… bzw. derjenige,] der die bewußtseinsmäßige Bereitschaft einer Gruppe von Gesinnungsgenossen zu Aktionen nutzt, in diesen den Willem zum Sichversammeln hervorruft und sich entweder ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten für die Versammlung verantwortlich erklärt.“1011

Diese Erweiterung, die die planende Rolle der Zentralinstanz zu Gunsten des „Er­ greifens der Gelegenheit“ etwas in den Hintergrund treten lässt, ermöglichte dem Gericht, etwa bei Spontandemonstrationen eine Person als Veranstalter gem. § 26 VersG zu behandeln, wenn eine ausreichende Tätigkeit als Leiter nicht feststell­

1006 Vgl. a. den später eingeführten § 29a VersG bzgl. der Aufforderung „zu einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel“ innerhalb der Bannkreise nach § 16 VersG. 1007 Man stelle sich etwa den Vorsitzenden der A-Partei vor, der durch Aufforderung zur Teil­ nahme an der Veranstaltung der B-Partei zu deren (Mit)Veranstalter wird und folglich u. a. die Möglichkeit erhält, die Leitung zu übernehmen. 1008 OLG Düsseldorf, NJW 1978, 118; das OLG folgt insoweit Dietel/Gintzel, Versammlungs­ gesetz, 4. Aufl., 1973, § 1 Rn. 23 bzw. Ott, Versammlungsgesetz, 1. Aufl., 1969, § 1 Anm. 8. 1009 OLG Düsseldorf, NJW 1978, 118; das OLG folgt hier Füßlein, Versammlungsgesetz, 1954, § 1 Rn. 5a. 1010 OLG Düsseldorf, NJW 1978, 118 im Anschluss an Ott, Versammlungsgesetz, 1. Aufl., 1969, § 1 Anm. 8. 1011 BayObLGSt 1978, 47 ( 49 f.).

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bar war. Sie widerspricht damit aber der Konzeption des VersG sowie der im nach­ folgenden nunmehr herrschenden Rechtsprechung zur Qualifikation der Spontan­ demonstrationen, die gerade keinen Veranstalter haben soll. Während hierbei stets noch die einzelne Person im Vordergrund stand, öffnete sich Ende der 70er Jahre der Blick für eine Öffnung des Veranstalterbegriffs hin zu einer Mitveranstaltung. Diesen entwickelte das BayObLG in Anlehnung an die Grundsätze der Mittäterschaft dahin, dass Mitveranstalter diejenigen seien, wel­ che den „Plan“ zur Veranstaltung und Durchführung der Versammlung „gemein­ sam gefaßt und durchgeführt“ hätten.1012 Der BGH gelangte schließlich zu der­ Annahme, dass solche Äußerungen, die geeignet sind „als Aufruf verstanden zu werden sich auf jeden Fall (also auch bei fortbestehender Vollzieh­ barkeit des Verbots) an dem Aufzug zu beteiligten, und auch tatsächlich so verstanden wor­ den sind“,

den die Äußerungen Tätigenden „(objektiv) zum (Mit-)Veranstalter der trotz voll­ ziehbarem Verbots durchgeführten Demonstration“ machen könnten.1013 Damit riss der BGH jedoch die Trennung zwischen Veranstaltung und Unterstützung, Einladung und Aufruf zu einer Versammlung unzulässigerweise ein und verkannte die Bedeutung der Organisation einer Versammlung. „Veranstalten“ i. S. d. VersG ist eben mehr als „Urheberschaft hinsichtlich des Zustandekommens“ oder „Ver­ anlassung spezifischer Gruppenbildung“. Hiermit ging die Rechtsprechung so­ mit hinter das neue Verständnis des Veranstalters in RVG und VersG zurück und knüpfte wieder bei den Vorstellungen des „Aufwieglers“ und „Veranlassers“ der vordemokratischen Rechtsetzung an.1014 Diese Auffassung hat sich dennoch gehalten.1015 Vor diesem bereits stark geöffneten Veranstalterbegriff sind auch die Ausfüh­ rungen des Ersten Senats im Brokdorf-Beschluss zu sehen,1016 der zudem die Be­ sonderheiten der Großdemonstrationen zu beachten hatte. An den Planungen der dem Beschluss zugrundeliegenden Versammlungen waren zunächst 30 Bürger­ initiativen, später 60 Bürgerinitiativen und andere Vereinigungen beteiligt, die in Vorbereitungstreffen bis zu 400 Vertreter zusammenbrachten, wobei von zunächst

1012

BayObLG, NJW 1979, 1895 (1896). BGH, NStZ 1984, 28. 1014 Zu den Begriffen Kap.  2 A. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 2011, § 1 Rn. 231 sprechen dann auch von „konkreter Veranlassung“ einer Versammlung. 1015 Etwa Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 2011, § 1 Rn. 230 f., so sei „jeder, der zur Teilnahme öffentlich aufruft, Veranstalter“ (Rn. 231). Wie hier allerdings Bertuleit/Steinmeier, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, § 1 Rn. 53; eher auf die Einladung im eigenen Na­ men abstellend Ott/Wächtler/Heinhold, Versammlungsgesetz, 2010, § 1 Rn. 59. 1016 Die Entscheidung des BGH, NStZ 1984, 28, erging etwa eineinhalb Jahre vor BVerfGE 69, 315 und betraf zudem eine Person, die im Zeitpunkt ihrer Verurteilung Vorstandsmitglied des Bundesverbandes „Bürgerinitiativen Umweltschutz“ war. Diese betrieb maßgeblich die Versammlung in Brokdorf 1981, BVerfGE 69, 315 (320 f.). 1013

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50.000 Versammlungsteilnehmern ausgegangen wurde.1017 Trotz der vorläufigen Planung argumentierten die Beschwerdeführer, es handele sich bei „Großdemonstrationen der strittigen Art […] um ein spontanes Geschehen. Es gebe keine eigentlichen Veranstalter, sondern bestenfalls Ansprechpersonen; selbstverständlich könne bei der Vielzahl der beteiligten Gruppen nicht die eine für die andere Verantwortung übernehmen.“1018

Ganz entsprechend führte der BBU aus, das VersG passe in seiner Orientierung „am herkömmlichen Typ hierarchisch-organisierter, disziplinierter Versammlun­ gen unter der Leitung eines bestimmten Veranstalters“ nicht zu den Großdemons­ trationen neuer sozialer Bewegungen: „Veranstalter und Leiter im Sinne des Versammlungsgesetzes gebe es hier nicht. Demonstra­ tionen würden vielmehr pluralistisch von einer größeren Zahl grundsätzlich gleichberech­ tigter Gruppen und Personen mit teils erheblichen Meinungsunterschieden vorbereitet und langfristig auf größeren Treffen in völliger Öffentlichkeit diskutiert.“1019,

während das Bundesinnenministerium vertrat, es müsse gerade bei Großversamm­ lungen „Verantwortliche als Adressaten und Ansprechpartner“ geben, allein be­ reits um Auflagen erlassen zu können.1020 Die GdP befürchtete, dass infolge der möglichen persönlichen Konsequenzen sich weniger „Gutwillige“ bereitfinden würden, Verantwortung zu übernehmen, was wiederum „diffuse Vorbereitungen“ zur Folge habe.1021 Das BVerfG stand damit vor der Wahl, die Geltung des VersG trotz der vor­ gebrachten Bedenken strikt auch für Großversammlungen anzunehmen oder diese gänzlich ohne gesetzliche Regelung zu lassen, und entschied sich für die Mitte. Der Erste Senat erkannte die Geltung des VersG, namentlich der §§ 14 und 15 grds. auch für Großdemonstrationen an, deren Anwendung sei jedoch der spezifischen Situation anzupassen.1022 Hierzu gehört zunächst die Beachtung der Überlegungen zur Kooperation,1023 die das BVerfG hier zunächst für Großversammlungen für die Behörden als verbindlich erklärte, bevor diese nach und nach als ein allgemeiner Grundsatz versammlungsbehördlichen Vorgehens verstanden wurde. Zwar über­ ­ rganisation von nahm das BVerfG ganz wesentlich die Darstellung des BBU zur O 1017 BVerfGE 69, 315 (320 f.) Das Phänomen der Großveranstaltung war allerdings 1985 längst nicht mehr neu, vgl. zu noch größeren Versammlungen bereits Kap. 2 C. I. 1. zum Fried­ richshainzug. 1018 BVerfGE 69, 315 (328). 1019 BVerfGE 69, 315 (338); hierzu auch Bertuleit/Steinmeier, in: Ridder u. a., Versamm­ lungsrecht, 1992, § 1 Rn. 47 sowie Ladeur, ebd., Art. 8 Rn. 9: „Agglomeration von unterschied­ lichen Gruppen mit ebenso unterschiedlichen Forderungen, Zielen, Methoden“. 1020 BVerfGE 69, 315 (331). Das ist für versammlungsrechtliche Auflagen richtig, Versamm­ lungsverbote gemäß § 15 VersG richten sich hingegen an Teilnehmer und Veranstalter, vgl. be­ reits BVerfGE 69, 315 (370 a. E.). 1021 BVerfGE 69, 315 (336). 1022 BVerfGE 69, 315 (354). 1023 BVerfGE 69, 315 (355–357), s.a. Kap. 3 I. 3. b).

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Versammlungen, doch sah es hierin nur einen Grund dafür, die „Funktion der An­ meldung“ neu zu verstehen. Diese sei als Ermöglichung der Kontaktaufnahme auch bei Großdemonstrationen erforderlich, zumal die „sorgfältige Vorbereitung einer Großdemonstration durch Veranstalter und Ordnungskräfte sowie eine entspre­ chende Kooperation“ zugleich die Gefahr eines unfriedlichen Verlaufs mindere.1024 Seien einzelne Gruppen oder Personen, etwa aufgrund der „Vielschichtigkeit der Trägerorganisation bei Großveranstaltungen“, außerstande, eine „Gesamtanmel­ dung oder Gesamtleitung vorzunehmen“, dürfte dieses nicht unmittelbar zu Sank­ tionen führen.1025 Das BVerfG behielt damit die Orientierung an der Idee der organisierten Ver­ sammlung für Großversammlungen umfassend bei. Der „gesamtverantwortliche Anmelder“1026, der eine Gesamtleitung einsetzt, ist demnach der versammlungs­ rechtliche Normalfall. Dieses war nicht nur die folgerichtige – und in Anbetracht des Bedarfs des Grundrechtsausgleichs verfassungsrechtlich zwingende  – Fort­ entwicklung der Organisationsidee, sondern gleichzeitig ein zukunftweisender Schritt, der wiederum die Versammlungsrealität (durch die Koordinationsbemü­ hungen des BBU als Dachverband) aufnahm und bereits den ersten Weg zur Insti­ tutionalisierung auch von Großversammlungen wies. Dass das BVerfG en passant auch noch die „ursprünglich unproblematischen Vorstellungen von Veranstalter und Leiter“1027 für kleinere Versammlungen mit­ bestätigte, verdeutlicht das umfassende Festhalten des BVerfG an der Idee der or­ ganisierten Versammlung. Daraus folgt gleichzeitig, dass Großversammlungen mit einem die Teilnehmer einigenden Versammlungszweck jeweils nur eine Versammlung sind, auch wenn eine Vielzahl von Mitveranstaltern besteht, und von Einzelversammlungen nur bei räumlicher wie zeitlicher Trennung ausgegangen werden kann.1028 Auf eine Klärung des im Entscheidungszeitpunkt nicht völlig unstrittigen Ver­ anstalterbegriffs verzichtete das BVerfG jedoch. Ebenso fehlten Ausführungen zum konkreten Verhältnis der (Mit-)Veranstalter untereinander. Dieses ist aller­ dings insoweit konsequent, als das BVerfG am Idealbild einer Gesamtanmeldung und Gesamtleitung festhielt, sich also die jeweiligen an der Organisation Beteilig­ ten in diesem Punkt selbst einigen sollten. Dieses entspricht auch dem Respekt vor der Selbstverwaltung der Versammlung. Zwar haben alle an der Organisation maß­ geblich Beteiligten in der Vorbereitung die gleichen Rechte, gelingt ihnen jedoch die Koordination dieser Rechte nicht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle auch im Durchführungsstadium die gleichen Rechte und Pflichten haben.1029 1024

BVerfGE 69, 315 (359). BVerfGE 69, 315 (359). 1026 BVerfGE 69, 315 (359). 1027 BVerfGE 69, 315 (358). 1028 Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 2011, § 1 Rn. 231. 1029 Anders Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 2011, § 1 Rn. 230. 1025

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Vielmehr gilt insb. für die Bestimmung des Leiters der Versammlung insoweit ein Vorrang der Erstanmeldung. Weigert sich eine Interessengruppe mit dem Ver­ anstalter einer angemeldeten Versammlung zu kooperieren, bleibt ihr unbelassen, eine räumlich und zeitlich getrennte Versammlung einzuberufen oder ihren Unmut in der angemeldeten Versammlung kundzutun. Zusammenfassend schließen weder das VersG noch das GG eine Mitveranstal­ tung aus. Veranstalter ist jedoch nur, wer „eine deutlich herausgehobene vorberei­ tende organisatorische Funktion übernimmt und diese Funktion nach außen doku­ mentiert“1030. Dieses zeigt sich insb. durch die Einladung im eigenen Namen. Der bloße Aufruf, an einer Versammlung teilzunehmen oder eine solche zu bilden, ist jedoch zur Begründung der Veranstalterrolle nicht ausreichend. Die umfassende organisatorische Vorbereitung einer Versammlung führt jedoch auch dann zur Ver­ anstaltereigenschaft, wenn diese anonym erfolgt.1031 Insoweit liegt lediglich ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 VersG vor.

IV. Störungsverbot Entscheidungen zur Störung von Versammlungen sind vergleichsweise selten. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass aus der Gründungszeit der Bundes­ republik, in der Versammlungsstörungen ein verbreitetes Problem waren,1032 Ent­ scheidungen zu § 107a StGB1033 selten sind und sich mit Erlass des VersG 1953 die Lage bzgl. der Versammlungsstörungen deutlich entspannte. Für die Phase des vermehrten Vorkommens rechtsextremistischer Versammlungen hängt dies zum anderen wesentlich damit zusammen, dass das BVerfG den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG weit gefasst hat. Das Grundrecht schütze „nicht nur solche Teilnehmer vor staatlichen Eingriffen, die die Ziele der Versammlung oder die dort vertretenen Meinungen billigen, sondern kommt ebenso denjenigen zugute, die ih­ nen kritisch oder ablehnend gegenüberstehen und dies in der Versammlung zum Ausdruck bringen wollen.“1034

Beteiligung an einer Versammlung setzte demnach „keine Unterstützung des Ver­ sammlungsziels voraus, sondern erlaubt auch Widerspruch und Protest.“ Aller­ dings sei Voraussetzung der Eröffnung des Schutzbereichs die „Bereitschaft, die Versammlung in ihrem Bestand hinzunehmen und abweichende Ziele allein mit kommunikativen Mitteln zu verfolgen.1035 Erst wenn der Zweck des Zusammen­ wirkens von Personen „nur in der Unterbindung einer Versammlung“ bestehe, sei 1030

Bertuleit/Steinemeier, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, § 1 Rn. 51. Anders Kniesel/Poscher, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 2012, Kap. K Rn. 206. 1032 Vgl. Kap. 2 F. IV. 1033 Vgl. zu diesem Kap. 2 E. IV. 3. 1034 BVerfGE 84, 203 (209). Bestätigt durch BVerfG, NVwZ 2012, 818 (820). 1035 BVerfGE 84, 203 (209). 1031

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der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit verlassen.1036 Eine Störung der Ver­ sammlung liegt demnach nur bei einer Verhinderungsabsicht vor, unterhalb dieser Schwelle hingegen nicht. Insoweit deckt sich die Grenze des Schutzbereichs der Versammlungsfreiheit mit dem Gebot, Störungen zu unterlassen, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung zu verhindern, des § 2 Abs.  2 VersG, wobei § 2 Abs. 2 VersG für jedermann gilt – also auch für Einzelpersonen außerhalb der Versammlung, für die Art. 8 GG selbst nicht greift. Zudem ist die Unterbindung von Störungen, soweit sie von Teilnehmern der Versammlung selbst ausgehen, zunächst Aufgabe der Versammlung selbst, ge­ nauer des Leiters und seiner Ordner gem. §§ 10, 11 Abs. 1 VersG. Erst subsidiär ist die Polizei zuständig gem. §§ 13 Abs. 1; 15; 18 Abs. 3 und 19 Abs. 4 VersG. Ent­ sprechend bestehen auch hier kaum Ansatzpunkte für die Rechtsprechung.1037 Subjektiv muss das Verhalten die Störung „bezwecken“, weshalb Missfallens­ kundgebungen und Zwischenrufe regelmäßig nicht als Störung betrachtet wer­ den.1038 Objektiv wird eine „erhebliche“ Störung verlangt, was im Einzelfall zu beurteilen sei.1039 Dieses knüpft an die verfassungsgerichtliche Auffassung zur Stö­ rung an. Auch wenn damit Verhaltensweisen innerhalb der Versammlung kaum je die Schwere des § 2 Abs. 2 VersG erreichen und damit der Norm innerhalb der Ver­ sammlung kaum Bedeutung zukommt, bleibt dennoch ihr Schutzzweck festzu­ halten, die ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung zu gewährleisten, womit die Norm wesentlich auf den Schutz der Zentralgestalt abstellt. Auch (höchstrichterliche) Entscheidungen, die sich – auch nur am Rand – mit Versammlungsstörungen von außen (§ 21 VersG)1040 befassen, sind selten und be­ treffen im wesentlich Blockaden.1041 Hier hat sich zuletzt durch die Diskussion um sog. Probeblockaden manches bewegt.1042 Eine grobe Störung liegt nach dem OVG Münster „erst in der Bildung einer unüberwindlichen Blockade von nicht un­ 1036 BVerfGE 84, 203 (210). Da hier dann bereits keine Versammlung i. S. d. GG vorliege, könnten die Störer auch nicht „Versammlung in der Versammlung“ sein, so Ott/Wächtler/­ Heinhold, Versammlungsgesetz, 2010, § 1 Rn. 68. 1037 BVerfGE 84, 203 lag eine Konstellation zugrunde, in der potenziellen Teilnehmern der Zutritt durch die Polizei, auf Bitten des Veranstalters, untersagt worden war. 1038 Breitbach, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, § 2 Rn. 41. 1039 Breitbach, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, § 2 Rn. 41. 1040 Die Norm steht ebenfalls unter dem Eindruck der Diskussion um den Gewaltbegriff, der jedoch nicht in Versammlung-Gegenversammlungskonstellationen entwickelt wurde, sondern im Zuge der Umwelt- und Friedensbewegung. Zum Gewaltbegriff zuletzt BVerfGE 104, 92 m. w. N. 1041 Noch seltener sind Entscheidungen zu den Schutznormen zugunsten der Zentralgestalt in Ausübung ihrer Befugnisse (etwa §§ 7, 22, 29 Abs. 1 Nr. 4, 5 VersG n. F.), seltenes Beispiel OLG Dresden, Beschl.v. 07.12.2009 – 2 Ss 542/09, 2 Ss 0542/09 – juris und VG Karlsruhe, NVwZ-RR 1990, 192 (zur Begrenzung des Hausrechts durch § 7 VersG). 1042 Etwa OVG Münster, NVwZ-RR 2013, 38; Ruffert, JuS 2013, 575; Schwabe/Knape, DVBl. 2012, 1514.

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erheblicher Dauer, die nicht ohne Weiteres umgangen werden kann“.1043 Die Stö­ rung müsse überdies auf eine Vereitelung der Versammlung hinauslaufen („in der Absicht …“, § 21 VersG).1044 Für die Störung wird dabei dennoch unisono nicht auf „die Versammlung“ oder die Teilnehmerrechte, sondern konkret auf die Beein­ trächtigung des Veranstaltungs- oder Leitungsrechts abgestellt.1045 Zusammenfassend zielen damit die Störungsverbote wesentlich auf den Schutz der „Durchführung“ der Versammlung und damit der Rechte der Zentralgestalt. Obwohl die Vorschriften bisher kaum einen Anwendungsfall gefunden haben  – und ihre Schutzwirkung wohl zurecht als überschätzt bezeichnet wird1046 – wäre doch eine Streichung1047 in Anbetracht der eher zunehmenden tätlichen Angriffe auf Versammlungen ein rechtspolitisch falsches Signal, insb. wenn Störungsver­ suche und Gewalttaten aus Gegenversammlungen heraus oder durch frei ope­ rierende Kräfte im Rahmen des polizeilichen Notstandes als Verbotsgründe der eigentlich zu schützenden Versammlung herangezogen werden.1048

V. Zwischenergebnis Das BVerfG steht damit trotz der sich stets wandelnden Versammlungsreali­ tät der Organisationsidee positiv gegenüber. Die Anknüpfung an dieses Rege­ lungs- und Sozialmodell wird in keiner Entscheidung in Frage gestellt. Vielmehr betont das BVerfG die Bedeutung des Vorhandenseins einer Zentralinstanz für die Grundrechtsverwirklichung, namentlich im Rahmen der Kooperation bei Groß­ versammlungen. Auch die an die Organisationsidee anknüpfenden Regelungen, insb. die Anmeldepflicht, hat das BVerfG nicht verworfen. Bezüglich der Ord­ nungsvorschriften hat das BVerfG sich entweder für deren Zulässigkeit zumindest für die überkommenen organisierten Versammlungen („ursprünglich unproble­ matisch“) ausgesprochen und sich einer Entscheidung enthalten (Brokdorf) oder sich lediglich gegen übermäßige Formalisierung, nicht aber gegen die Ordnungs­ vorschriften selbst ausgesprochen (BayVersG). Allerdings hat das BVerfG mit der Anerkennung veranstalter- und leiterloser Spontanversammlungen auch eine deutliche Öffnung zu Versammlungsmodellen abseits der Organisationsidee voll­ zogen. Namentlich für Großversammlungen hielt es jedoch am „Idealtypus“ der Gesamtveranstaltung und Gesamtleitung fest. Die Rechtsprechung zu den­ Grenzen des Schutzbereichs der Versammlungsfreiheit orientiert sich bei der Dis­ 1043

OVG Münster, NVwZ-RR 2013, 38 (40). OVG Münster, NVwZ-RR 2013, 38 (40). sowie OLG Hamm, NStZ 2012, 457 und BayObLGSt 1995, 167 (Ls.), das die „nicht unerhebliche Dauer“ mit zehn Minuten ansetzt. 1045 Zur versuchten Übernahme einer Versammlung unter detaillierter Schilderung des Vor­ gehens OLG Hamm, Urt. v. 11.12.1991 – 2 Ss 814/91 – juris. 1046 Ott/Wächtler/Heinhold, Versammlungsgesetz, 2010, § 21 Rn. 13. 1047 Dafür Pawlita/Steinmeier, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, § 21 Rn. 30. 1048 Zum „Vorbehalt der Verfügbarkeit“ BVerfG, NJW 2001, 1411 (1412); zu den Begründungs­ anforderungen an ein Verbot aufgrund polizeilichen Notstandes BVerfG, NJW 2001, 2069 (2072). 1044

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kussion von Störung und Verhinderung ebenfalls wesentlich an der Durchführung der Versammlung und damit der Zentralgestalt. Der wesentlichste Punkt ist aber, dass das BVerfG unter Aufnahme von Recht­ sprechung, Literatur und praktischen Erfahrungen den versammlungsschützen­ den Ansatz des VersG behutsam zu Ermöglichung und Ausgleich fortentwickelt hat und damit den ehemals rein repressiven Ansatz der Organisationsidee zu einem wesentlichen Kern des Grundrechtsschutzes gewandelt hat. Diesen Schritt auch im Gesetz deutlicher zum Ausdruck zu bringen, ist nunmehr Aufgabe des Gesetzgebers.1049

H. Musterentwürfe und Landesgesetze Seit Inkrafttreten der Föderalismusreform II 2006 ist die konkurrierende Gesetz­ gebungskompetenz des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 a. F. entfallen. Zwar gilt das VersG gem. Art. 125a GG bis zu seiner Ersetzung durch wirksames1050 Lan­ desrecht fort, doch liegen Fortschreibung und Anpassung des Versammlungsrechts damit geschichtlich betrachtet wieder in den Händen der Ländern. Die nunmehr in landesgesetzlicher Form abzuarbeitenden „Mängel“ – freundlicher: Regelungs­ bedarfe  – des VersG werden dabei allgemein als umfangreich dargestellt.1051 Ebenso zahlreich ist jedoch auch die Kritik an der „Zerstückelung“ – freundlicher: Föderalisierung  – des Versammlungsrechts überhaupt, die sich wesentlich aus der Problematik speist, bei Großversammlungen oder besonderen Konfliktlagen regelmäßig auf Polizeikräfte anderer Bundesländer zurückgreifen zu müssen, die damit in komplizierten Einsatzlagen zusätzlich mit abweichenden gesetzlichen­ Regelungen konfrontiert werden. Fest steht, dass die Länder in ihrer Regelung nicht frei sind, sondern sich an die Vorgaben des GG zu halten haben, wie sie namentlich das BVerfG herausgearbei­ tet hat und auch nach der Föderalismusreform weiter ausarbeitet.1052 Damit ist der Spielraum der Länder für eigene Versammlungsrechtskonzepte vorgezeichnet.1053 Gleichzeitig bringt das Danaergeschenk der Föderalismuskommission die Länder in die (rechts)politisch unglückliche Situation, nur Gesetze schaffen zu können, die zwingend auf breite Ablehnung stoßen, entweder weil sie durch Betroffene als für sich zu beschränkend oder als für andere nicht beschränkend genug wahr­ genommen werden. 1049

Vgl. bereits BVerfGE 69, 315 (357). Hierin liegt die Antwort darauf, warum nach dem Scheitern des ersten Anlaufs eines Ver­ sammlungsgesetzes für Sachsen vor dem SächsVerfGH, NVwZ 2011, 936, das VersG des Bun­ des weiter angewendet werden konnte. 1051 Vgl. nur Höfling/Augsberg, ZG 2006, 157 (167 f.). 1052 Nach der Föderalismusreform namentlich in BVerfGE 128, 226 (Fraport) und BVerfGE 122, 342 (BayVersG). 1053 Gusy, RuP 2008, 66 (73). 1050

H. Musterentwürfe und Landesgesetze

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Den Versuch, ein eigenes Versammlungsgesetz zu erlassen, hat bisher nur eine Minderheit der Länder gewagt. Teils nahmen sie hierbei die verschiedenen Mus­ terentwürfe als Ausgangspunkt. Diese wiederum haben sich zum Ziel gesetzt, nicht nur die verfassungsrechtlichen und -gerichtlichen Anforderungen umzuset­ zen, sondern auch die durch die Föderalismusreform möglich gewordene „Zer­ splitterung“ einzugrenzen. Für die hier untersuchte Fragestellung ist dabei von Interesse, welche Rolle der Idee der organisierten Versammlung im Rahmen der Musterentwürfe und Gesetze zur Umsetzung der Regelungsziele zukommt.

I. Die Musterentwürfe Derzeit bestehen mit dem „Entwurf eines Versammlungsgesetzes“ einer BundLänder-Arbeitsgruppe (BLE), dem Musterentwurf der GdP (GdPE) „für ein ein­ heitliches Versammlungsgesetz“ sowie dem „Musterentwurf eines Versammlungs­ gesetzes“ des „Arbeitskreises Versammlungsrecht“ (AKE) nicht weniger als drei umfassende Musterentwürfe. 1. Entwurf der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Der Entwurf einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe,1054 an der seitens des Bundes das BMJ sowie von Seiten der Länder Bayern, Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vor­ pommern, NRW und Schleswig-Holstein teilnahmen, entstand als Entwurf für eine Aktualisierung des Versammlungsrechts auf der Bundesebene.1055 Wegen der anstehenden Verfassungsänderung durch die Föderalismusreform wurde der Ent­ wurf jedoch nicht mehr in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Stattdessen sollte er nunmehr aufgrund einer Empfehlung des BMI vom 20.11.2006 als „Be­ ratungsgrundlage“ bei der Erstellung von Landesversammlungsgesetzen dienen. Der BLE stellt dabei im Wesentlichen eine Umstrukturierung des VersG dar, welche einige der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung folgende Begriffs­ bestimmungen1056 und kleinere Änderungen sowie wenige Neuerungen enthält. Er beginnt mit einem Abschnitt „Allgemeines“, der im Vergleich zum VersG deutlich ausgebaut ist und insb. die Verweisungstechnik des VersG in dessen §§ 18 und 19a ersetzen soll. Zudem sind anders als im VersG Überschriften für die einzelnen Pa­ ragraphen vorgesehen. Wie das VersG beginnt auch der BLE mit der Feststellung des Jedermannsrechts, sich zu versammeln, und behält damit die Erweiterung gegenüber Art. 8 Abs. 1 GG 1054

Abgedruckt bei Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 15. Aufl., 2008, S. 7 sowie in Enders u. a., Musterentwurf, 2011, Anlage 2, S. 95–102. 1055 Auch zum Folgenden GdPE, I. 1056 § 2 BLE.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

bei. Auffällig ist allerdings für die Betrachtung unter dem Gesichtspunkt der Or­ ganisationsidee,1057 dass auf die begriffliche Nennung von „veranstalten“ und „teil­ nehmen“ verzichtet wurde. Eine § 8 VersG entsprechende Regelung der Leitungsrechte und -pflichten fin­ det sich in § 4 Abs.  1 BLE, wobei hier das „Unterbrechen“ einer Versammlung durch den Leiter ausgelassen wurde, das ausweislich § 11 Abs. 2 Nr. 4 S. 2 BLE nunmehr nur noch für die Behörde und nur bei Versammlungen in geschlossenen Räumen vorgesehen ist. § 4 Abs. 2 S. 1 BLE erweitert die Leiterpflichten, indem er den Leiter dazu verpflichtet, „geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu ver­ hindern, dass aus der Versammlung heraus Gewalttätigkeiten begangen werden“, wobei unter „geeignete Maßnahmen“ bereits der „Aufruf zur Gewaltfreiheit und die Distanzierung von gewaltbereiten Anhängern“ verstanden wird, § 4 Abs.  2 BLE.1058 Hiermit knüpft der BLE nicht nur an die Idee der organisierten Versamm­ lung an, sondern versteht diese (wieder) eher als Verantwortlichkeitsregelung ge­ genüber der Zentralgestalt, der damit eine echte verwaltungsrechtliche Pflicht auf­ erlegt wird. Insoweit geht der BLE auch deutlich über § 13 Abs.  1 Nr.  4 VersG hinaus, der bloß eine Auflösungsbefugnis in besonderen Fällen vorsah. Die Zen­ tralgestalt erscheint hier trotz der vergleichsweise minimalen Anforderungen an „geeignete Maßnahmen“ eher als Hilfspolizist denn als Grundrechtsträger. Mit der Stoßrichtung der Verhinderung von Gewalttätigkeiten nach außen rückt der BLE zudem von der Orientierung an der inneren Ordnung i. S. d. ordnungsgemä­ ßen Durchführung ab. Die Regelungen zur Verwendung von Ordnern (§ 4 Abs.  3, 4 BLE) bei Ver­ sammlungen in geschlossenen Räumen entsprechen weitgehend § 9 Abs. 1 VersG, allerdings ist eine Verpflichtung der Mitteilung der Zahl nicht mehr vorgesehen. Auch die Entsendung von Polizeibeamten aus § 12 VersG ist beibehalten, jedoch insoweit verändert worden, dass es ausreicht, dass sich „die polizeiliche Einsatz­ leitung vor Ort“ oder die Beamten dem Leiter zu erkennen geben. Die Pflichten der Teilnehmer sind im BLE dem VersG entsprechend ausgestal­ tet, hier jedoch zentral in § 5 zusammengefasst.1059 Insb. werden die Folgepflichten der Teilnehmer gegenüber Anweisungen der Leiter oder Ordner zur Aufrechterhal­ tung der Ordnung beibehalten. Gleiches gilt für die Regelungen zu Versamm­ lungsstörungen in § 8 BLE, die wie § 2 Abs. 3 VersG die „ordnungsgemäße Durch­ führung der Versammlung“ schützen sollen und sich damit entsprechend an der 1057

Die Vorschriften die keinen oder nur einen geringen Bezug zur Ordnungsidee aufweisen, orientieren sich ebenfalls wesentlich am VersG, vgl. nur § 1 Abs. 2 BLE/§ 1 Abs. 2 VersG; § 6 BLE/§§ 2 Abs. 3; 27 VersG (Waffenverbote); § 7 BLE/§ 3 Abs. 1 VersG (Uniformverbot); §§ 12, 16 BLE/§§ 12a, 19a VersG (Bild- und Tonaufnahmen); § 17 BLE/§ 17a VersG (Schutzwaffenund Vermummungsverbot). 1058 Derartige Distanzierungsgebote sind vor Art.  5 Abs.  1, 2 GG nicht unproblematisch,­ Ladeur, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Art. 8 Rn. 15 für entsprechende Auflagen. 1059 Bis auf die Ersetzung des Wortes „sofort“ durch „unverzüglich“ gleich §§ 10, 11 Abs. 2 und 13 Abs. 2 VersG.

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Zentralgestalt orientieren. Auch hier sind die im VersG verteilten Verbote zusam­ mengefasst und lediglich in der Gestaltung verändert, etwa beim Austausch der Formulierung „Störungen zu unterlassen“ durch „sind Störungen verboten“.1060 Die Veranstalterrechte bei öffentlichen Versammlungen in geschlossenen Räu­ men, § 9 BLE, entsprechen denen des geltenden Rechts (§§ 2 Abs. 1; 6 Abs. 1 und 2; 9 Abs.  2 VersG). Einen breiten Raum nimmt allerdings die bisher zumeist als „Auflagen“ bzw. „Minusmaßnahmen“ durchgeführte „Geeignetheitsprüfung“ der Ordner ein, § 9 Abs. 4 BLE. Die gewünschte gesetzliche Verankerung der Ableh­ nung von Ordnern geht hier mit einer Fülle von Angaben über diese einher.1061 Die Möglichkeit der Behörde, die Ordnerzahl zu beschränken, bleibt gleich. Haus- und Ausschlussrecht sind nunmehr in einer Norm zusammengefasst.1062 Die Beschrän­ kungsmöglichkeiten sind für Versammlungen in geschlossenen Räumen gegen­ über § 13 VersG durch die Verbotsmöglichkeit erweitert, § 11 Abs. 1 BLE. Auch wird deutlich zwischen Maßnahmen vor und nach Beginn der Versammlung ge­ trennt. Die Orientierung am Veranstalter bzw. seinem Anhang bleibt gleich.1063 Für öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel sind die Regelungen des § 14 VersG wesentlich umgestaltet. Dieses beginnt bereits mit der Umbenennung der „Anmeldung“ in die „Anzeige“, also dem Nachzeichnen der Rechtsprechung. Die Anzeigefrist ist hierbei auf 72 Stunden vor der Bekanntgabe ausgedehnt und die Bekanntgabe entsprechend der vorherrschenden Ansicht legaldefiniert, § 13 Abs. 1 BLE. Allerdings werden die Anzeigemodalitäten auf „schriftlich, elektro­ nisch oder zur Niederschrift“ begrenzt und damit die für Eilversammlungen wich­ tige Möglichkeit telefonischer Anmeldung genommen, § 13 Abs. 1 S. 1 BLE. Der Umfang der Anzeigepflicht ist gegenüber dem VersG, das über den „Gegen­ stand“ sowie den „Leiter“ aus dem Wortlaut des § 14 VersG hinaus der Systema­ tik nach grds. nur noch Ort und Zeit verlangt, deutlich erweitert und umfasst etwa die „erwartete Zahl der teilnehmenden Personen“, den „beabsichtigten Ablauf“, „zur Durchführung der Versammlung mitgeführte Gegenstände oder […] tech­ nische Hilfsmittel“ sowie die Ordnerzahl und bei Aufzügen („sich fortbewegenden Versammlungen“) den beabsichtigten Streckenverlauf, wobei alle „Änderungen der Angaben […] der zuständigen Behörde unverzüglich anzuzeigen“ sind, § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 6–9, S. 2–3 BLE.1064 Eil- und Spontanversammlungen werden ent­ sprechend der Rechtsprechung legaldefiniert, die Abgrenzung nach „geplant“ und „ohne Veranstalter“ damit festgeschrieben, § 13 Abs. 3, 4 BLE. 1060

§ 8 Abs. 1 BLE/§ 2 Abs. 3 VersG; § 8 Abs. 2 Nr. 1 BLE/§ 21 VersG unter Ersetzung des Wortes „grob“ durch „erheblich“; § 8 Abs. 2 Nr. 2 BLE/§ 22 VersG; § 8 Abs. 2 Nr. 3 BLE/§ 23 VersG. 1061 Familienname, Vorname, Geburtsname, Geburtsdatum, Geburtsort, Anschrift. 1062 § 10 BLE/§§ 7 Abs. 4; 11 Abs. 1 VersG. 1063 Allerdings ist der BLE auch insoweit strenger, als er eine Auflösung bzw. ein Verbot be­ reits dann zulässt, wenn der Veranstalter oder Leiter Bewaffneten den „Zutritt gewährt“, und nicht wie in § 13 Abs. 1 Nr. 3 VersG, wenn er diese nicht ausschließt. 1064 Zu einer derartigen Ausdehnung der Anzeigepflicht vgl. Kap. 2 H. II. 1.

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Die ausgedehnten Regelungen bzgl. der Ordnerverwendung, § 13 Abs. 5 BLE, entsprechen wesentlich den beschriebenen für Versammlungen in geschlossenen Räumen. Durch das ermöglichte umfassende Ablehnungsverfahren entfällt dabei die Genehmigungspflicht gem. § 18 Abs. 2 VersG. Hinzutritt allerdings die gesetz­ liche Möglichkeit der Behörde, die Zahl der Ordner „angemessen zu erhöhen“, § 13 Abs. 5 S. 3 BLE, was den geschilderten Eindruck der Zentralgestalt als Hilfs­ polizisten unterstützt. Die durch das BVerfG angeregte gesetzliche Regelung der Kooperation findet sich in § 14 BLE unter dem Begriff „Zusammenarbeit“. Hiernach hat die Behörde, soweit erforderlich, mit dem Veranstalter zusammenzuarbeiten, insb. Gelegen­ heit zur Erörterung bzgl. der „Einzelheiten der Durchführung der Versammlung“ zu geben, § 14 Abs. 1 BLE. Während die Behörde entsprechend der Vorgaben des BVerfG zur Zusammenarbeit verpflichtet wird, bleibt es für den Veranstalter bei einem „soll“ der Information über „Art, Umfang und den vorgesehenen Verlauf“, § 14 Abs. 2 BLE. Ein gegenseitiger Informationsaustausch „soll“ auch während der Durchführung stattfinden, § 14 Abs. 3 BLE, wobei hier auch der Leiter einbezo­ gen wird. Die Mitwirkung des Veranstalters oder Leiters „soll“ die Behörde bei beschränkendem Handeln berücksichtigen, § 14 Abs. 4 BLE, worin letztlich bloß eine deklaratorische Aufnahme des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit liegt. Die wesentlichste Änderung des umgestalteten § 15 VersG liegt in der Erset­ zung des irreführenden Begriffs „Auflage“ durch „Beschränkungen“, § 15 Abs. 1, 3 BLE.1065 Aufgenommen ist allerdings auch der Hinweis des BVerfG an die Be­ hörden, gleichrangige Rechte Dritter, also außerhalb der betroffenen Versammlung stehender Grundrechtsträger, zu beachten, § 15 Abs. 1 S. 2 BLE. Die Regelung des § 17 VersG für „sonstige öffentliche Veranstaltungen“1066 ist entsprechend der aufgenommen Legaldefinition der Versammlung wesentlich ge­ kürzt und besteht nur noch als Randnotiz entsprechend §§ 17, 17a Abs. 1, 3 VersG. Auf die Festsetzung eines Straftaten- und Ordnungswidrigkeitenkatalogs wurde verzichtet. Zusammenfassend ist der BLE eine Neufassung des VersG unter Berücksichti­ gung der bis 2006 ergangenen Rechtsprechung des BVerfG, wobei sich diese Be­ rücksichtigung eher in der Aufnahme von Legaldefinitionen erschöpft, als darin, das dahinterstehende Konzept, insb. auch das Verständnis der Organisationsidee, zu übernehmen. Die Ergänzung der Leiter- und Veranstalterpflichten, namentlich die Verhinderung von Gewalttätigkeiten aus der Versammlung heraus sowie die formalisierten Anzeigefristen, lassen den Schutz- und Förderungsgedanken, der bereits im VersG angelegt war, deutlich zurücktreten. Hierzu gehört auch die Ver­ schiebung des Störungsverbotes an eine weniger prominente Stelle, woran auch 1065 Vgl. i. Ü. die wesentlich gleichen § 15 Abs. 1–3 BLE/§ 15 Abs. 1–3 VersG; § 15 Abs. 4 BLE/§ 18 Abs. 3 VersG; § 15 Abs. 5 BLE/§ 15 Abs. 4 VersG. 1066 Vgl. § 17a VersG.

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die eigene Überschrift nichts ändert. Weiter erscheint die Verpflichtung zum An­ gebot der „Zusammenarbeit“ für den Veranstalter nicht gerade „einladend“, son­ dern eher als eine nochmalige Erweiterung der Anzeigepflichten. Entsprechendes gilt für das „Ordnerauswahlverfahren“. So orientiert sich der BLE zwar maßgeblich an der Idee der organisierten Ver­ sammlung, jedoch eher an deren vorgrundgesetzlichem Verständnis. 2. Entwurf der GdP Der GdPE1067 aus dem September 2009 wurde durch Gintzel erstellt und beruht ganz wesentlich auf dem BLE. Durch das jüngere Datum konnte dabei allerdings sowohl das BayVersG a. F. als auch das Urteil des BVerfG1068 zu diesem vom Fe­ bruar 2009 berücksichtigt werden. Der GdPE verzichtet anders als BLE und VersG in der Eröffnungsbestimmung zum Versammlungsrecht für jedermann auf den Zusatz „öffentlich“, da hierin eine Einschränkung der Grundrechtsgarantie des Art. 8 Abs. 1 GG liege.1069 Diese Ein­ schätzung ist fragwürdig, bedeutet der Begriff doch im Rahmen des VersG ledig­ lich eine Eingrenzung dessen eigenen Anwendungsbereichs, nicht aber des Grund­ rechts, und beruht wohl eher auf dem Wunsch, in Folge auch nichtöffentliche Versammlungen zu regeln.1070 Die Begriffsbestimmungen des § 2 GdPE decken sich mit jenen des § 2 BLE. Neu gegenüber dem VersG wie dem BLE ist die Aufnahme eines Militanzverbots1071 im Anschluss an das Uniformverbot, d. h. dem Verbot, an „einer Versammlung in einer Art und Weise teilzunehmen, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild durch eine militant-aggressive bedrohliche Prägung eine ein­ schüchternde Wirkung erzielt“, § 3 Nr. 1 BLE. Diese Regelung ziele auf „Erschei­ nungsformen aggressiv-bedrohlicher einschüchternder Gesamtinszenierungen“1072 extremistischer Versammlungen beider Richtungen ab, die den Zweck verfolgten, „den eigenen Anhängern eine spezifische ‚Erlebniswelt‘ zu verschaffen.“1073 Die Regelung über die Versammlungsleitung weicht insoweit von § 7 Abs.  1 VersG und § 3 Abs. 1 BLE ab, dass sie den Begriff der „Gesamtleitung“ aus dem Brokdorf-Beschluss übernimmt1074 und in § 5 Abs.  1 GdPE näher ausgestaltet. 1067 Die Pressemitteilung der GdP vom 03.09.2009 (GdP-Info Berlin: Nr. 50/2009), sowie der Entwurf sind abrufbar unter http://www.gdp.de/gdp/gdpber.nsf/id/DE_GdP_legt_Musterent­ wurf_fuer_einheitliches_Versammlungsgesetz_vor [Stand: 31.07.2016]. 1068 BVerfGE 122, 342. 1069 GdPE, Anm. zu § 1, vgl. a. Anmerkung zu § 2 GdPE. 1070 Etwa zum Waffen- oder Militanzverbot, §§ 3 f. GdPE. 1071 Vgl. Kap. 2 H. II. 1. 1072 Insoweit anknüpfend an BVerfGE 111, 147 (157); das Einschüchterung Unfriedlichkeit bedeute, wird abgelehnt, etwa Limmer, Rechtliche Grenzen der Einschüchterung, 2010, S. 355, dort aber a. zur Zulässigkeit von Militanzverboten, S. 360. 1073 Anm. zu § 3 und § 4 GdPE. 1074 Dort BVerfGE 69, 315 (359).

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Statt einem Leiter wird nun das Vorhandensein einer Gesamtleitung vorgeschrie­ ben, wobei für „weiträumige Versammlungen“ noch „Abschnittsleiter“ bestimmt werden können, die in ihrem jeweiligen Abschnitt die Leiterfunktion wahrnehmen. Der die Organisationsidee auch bei Großversammlungen hochhaltenden Recht­ sprechung des BVerfG wird hiermit eine konkrete nähere Ausgestaltungsform zur Seite gestellt, die für verschiedenartige Versammlungen verschiedene Lösun­ gen ermöglicht und damit die Zentralgestalt um eine weitere Möglichkeit zur Aus­ übung ihrer Rechte bereichert. Die Leitungsrechte und -pflichten sowie die Pflichten der Teilnehmer in §§ 6 f. GdPE entsprechen weitestgehend den Bestimmungen des BLE. Das Störungsver­ bot erhält die gleiche zurückgesetzte Position wie im BLE, wird allerdings um Ver­ bote für den Vorfeldbereich von Versammlungen ergänzt, § 8 Abs. 1 GdPE, insb. um eine behördliche Teilnahmeuntersagung zu ermöglichen.1075 Ebenso ist zur sprachlichen Hervorhebung der Schutzfunktion1076 die Überschrift als „Schutz der Durchführung der Versammlung“ statt als Störungsverbot gefasst. Die Veranstalterrechte und -pflichten für Versammlungen in geschlossenen Räumen in § 9 GdPE entsprechen wesentlich § 9 BLE. Die Erweiterung der An­ gabe des Veranstalternamens auch auf die nicht öffentliche Einladung soll sog. ver­ deckte Einladungen ausschließen.1077 Während die Ausschlussrechte des Leiters hier dem BLE entsprechen, ist für die Ausübung des Hausrechts durch den Leiter aufgeführt, dass dieses nur „gegenüber anderen Personen als Teilnehmern“ aus­ geübt werden könne, § 10 Abs. 2 BLE. Das Hausrecht komme so gegenüber Teil­ nehmern erst nach deren Ausschluss zum Tragen.1078 Die Regelungen zu Beschrän­ kungen, Verboten und Auflösungen (§ 11 GdPE) entsprechen in der durch die GdP veröffentlichten Version bis auf Nuancen § 11 BLE.1079 Bzgl. der Anzeigepflicht ist die Fassung des BLE durch eine Verpflichtung der Behörde zu einem Hinweis auf „Mängel“ der Anzeige ergänzt, § 13 Abs. 1 S. 2 GdPE. Die Inhalte der Anzeige sind gegenüber dem BLE zusammengestrichen, § 13 Abs. 2 GdPE. Hiermit sollte der Entscheidung des BVerfG zum Bayerischen Versammlungsgesetz, das dem BLE entsprechende Regelungen enthielt, Rechnung getragen werden.1080 Dabei wurden allerdings gerade die Angaben gestrichen, wel­ che das BVerfG in der genannten Entscheidung nicht beanstandet hatte, sondern vielmehr als „äußere Kerninformationen der Versammlung“ bezeichnet hatte.1081 Die beanstandeten Angaben hingegen finden sich weiterhin in § 13 Abs. 2 GdPE. 1075 Anm. zu § 8 GdPE. Entsprechend für Versammlungen unter freiem Himmel, § 17 Abs. 3 GdPE. 1076 Anm. zu § 8 GdPE. 1077 Anm. zu § 9 GdPE. 1078 Anm. zu § 10 GdPE. 1079 Widersprüchlich insoweit die Anm. zu § 11 GdPE. 1080 Anm. zu § 13 GdPE. 1081 Dazu BVerfGE 122, 342 (366 f.).

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Auch hinsichtlich der „Zusammenarbeit“ entspricht der GdPE dem BLE, er­ gänzt diesen in § 14 Abs. 1 S. 1 GdPE allerdings um die Möglichkeit des Ver­ anstalters, eine Zusammenarbeit „zu beantragen“, soweit dieses der Behörde nicht erforderlich scheint. Dies ist zwar hinsichtlich der möglichst weiten Ermög­ lichung der Grundrechtsausübung zu begrüßen, fraglich ist allerdings, ob hierfür der Begriff „beantragen“ klug gewählt ist, insb. wenn die GdP selbst davon aus­ geht, dass die Versammlungsbehörde den Veranstalter „über die versammlungs­ rechtlichen Fragen und darüber hinausgehende ordnungsbehördliche Belange“ berät.1082 Die Regelungen zur Störung einer Versammlung sind gegenüber dem BLE um Regelbeispiele einer erheblichen Störung ergänzt, § 15 Abs.  4 S.  2 GdPE. Auf­ fällig ist hierbei der Versuch, eine Störung der Ordnung (lies: der Versammlung) bereits darin zu sehen, dass etwa Personen Gegenstände mit sich führen, die ge­ eignet sind die Feststellung der Identität zu verhindern (Nr. 3). Hiermit entfernt sich die GdP deutlich von der Organisationsidee, in deren Schutzrahmen jeweils auf eine Störung der Durchführung der Versammlung abgestellt wird. Hintergrund scheint zu sein, dass so der Ausschluss von Teilnehmern ermöglicht werden soll. Dieses ist allerdings bezogen auf die Organisationsidee, verstanden in der Form, wie das BVerfG sie für das VersG betont, unzulässig. Vielmehr wäre eine Rege­ lung entsprechend § 17a Abs. 4 S. 2 VersG zum Ausschlussrecht in derartigen Fäl­ len zu treffen gewesen. Im Unterschied zum BLE enthält der GdPE auch einen Straftaten- und Ord­ nungswidrigkeitenkatalog. Dieser umfasst zwar nur noch zwei, statt der früher gern kritisierten zehn Paragraphen, wird aber dadurch nicht automatisch übersicht­ licher, insb. da nunmehr die Tatbestände jeweils zurückverweisen, statt ein Verhal­ ten zu beschreiben. Die Tatbestände und Strafandrohungen gleichen dabei jedoch wesentlich dem VersG, teils kommen aber auch neue Bußgeldtatbestände hinzu, z. B. bei Ausschluss von Pressevertretern, § 22 Nr. 7 GdPE, bei der An­knüpfung an das Ordnerprüfverfahren, § 22 Nr. 8 GdPE, oder bei Verstoß gegen die ausgedehn­ ten Anzeige-und Meldepflichten, § 22 Nr. 6 GdPE. Zusammenfassend orientiert sich der GdPE wie der ihm zugrundeliegende BLE an der Idee der Organisierten Versammlung. Ebenso hat der Entwurf die Kritik hieran zu teilen. Hinzu treten jedoch der systemwidrige Versuch, die Störung einer Versammlung von deren ordnungsgemäßer Durchführung zu entkoppeln, und der konfuse Versuch der Anpassung der Anzeigepflichten nach der Entscheidung zum Bayerischen Versammlungsgesetz. War demnach bereits der BLE nicht son­ derlich gelungen, gilt dieses für den GdPE umso mehr.1083

1082

Anm. zu § 14 GdPE. Eine Aktualisierung hat nach 2009 nicht mehr stattgefunden. Hierin und in der Mitarbeit Kniesels am AKE liegt wohl der Grund dafür, dass der Entwurf in der aktuellen 16. Auflage des Versammlungsrechtskommentars Dietel/Gintzel/Kniesel nicht mehr abgedruckt ist. 1083

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Ein Lichtblick ist jedoch der Versuch unter dem Begriff der „Gesamtleitung“ bzw. der Abschnittsleitung einen Ansatz des BVerfG zur Operationalisierung von Großversammlungen vor dem Hintergrund der Kooperationsrechtsprechung aufzugreifen. 3. Entwurf des Arbeitskreises Versammlungsrecht Der aktuellste Musterentwurf ist gleichzeitig der umfassendste, da er nicht nur einen vollständigen Gesetzentwurf, sondern auch eine entsprechend ausführliche Begründung enthält. Der AKE wurde im September 2010 fertiggestellt und konnte damit sowohl BLE und GdPE als auch das bayerische VersG sowie die dazu er­ gangene Entscheidung des BVerfG berücksichtigen. Anders als der GdPE setzt sich der AKE dabei auch mit der Entscheidung des BGH zum Fraport1084 ausein­ ander. Zielvorgabe für den AKE war dabei zwar eine „einheitliche Regelungs­ struktur“ anzubieten, nicht jedoch „jede Einzelfrage […] zu vereinheitlichen“.1085 Dass der AKE zwar keinen grundsätzlichen Systemwechsel wollte, sondern eine rechtspolitische Weiterentwicklung, zeigt sich bereits im gewählten Weg, der da­ rauf beruhte, die „traditionelle Regelungsstruktur fortzuschreiben, weiterzuent­ wickeln und zu modernisieren“  – unter der Maßgabe, das Versammlungsrecht (noch) stärker als im geltenden VersG „als Recht bürgerschaftlicher Selbstorga­ nisation aus[zu]gestalten“.1086 Folglich erhebt der AKE für sich nicht nur den An­ spruch, die Rechtsprechung umzusetzen, sondern auch selbst rechtspolitische Ak­ zente zu ­setzen. Der AKE beginnt wie VersG, BLE und GdPE mit der Wiederholung des Rechts der Versammlungsfreiheit, § 1 Abs. 1 AKE. Zwar führt er die Teilnahme an einer Versammlung nicht mehr gesondert auf, behält aber anders als BLE und GdPE die Formulierung „Versammlungen zu veranstalten“ aus § 1 VersG bei. Auch im AKE wird damit bereits im ersten Paragraphen die Orientierung an der Idee der organi­ sierten Versammlung deutlich. Anders als das VersG beschränkt der AKE seinen Anwendungsbereich allerdings nicht auf öffentliche Versammlungen, sondern will (s. § 2 Abs. 3 AKE) alle Versammlungen umfassen.1087 Der Eröffnung der „Allgemeinen Regelungen“ durch die Versammlungsfreiheits­ bestimmung folgt eine Definition der Versammlung, § 2 Abs. 1 VersG, und unmit­ telbar anschließend bereits die Aufnahme der Rechtsprechung zur Kooperation, hier tituliert als „Schutzaufgabe und Kooperation“, in § 3 AKE. Die hierin fest­ gehaltene Aufgabe der Behörde ist dreiteilig und setzt sich zusammen aus der Unterstützung der Durchführung der nach dem AKE zulässigen Versammlungen 1084

BGH, NJW 2006, 1054. Enders u. a., Musterentwurf, 2011, S. 1. 1086 Enders u. a., Musterentwurf, 2011, S. 1. 1087 Entsprechend die Begründung bei Enders u. a., Musterentwurf, 2011, S. 17. 1085

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(§ 3 Nr. 1 AKE), dem Schutz der Durchführung vor Störungen (§ 3 Nr. 2 AKE) so­ wie dem Schutz der öffentlichen Sicherheit vor Gefahren, die „von der Versamm­ lung oder im Zusammenhang mit der Versammlung von Dritten“ ausgehen. Der AKE stellt damit den Schutz der Versammlung als Aufgabe der Behörde deutlich heraus, behält dabei die Orientierung an der Durchführung der Versammlung bei, bezieht aber auch deutlich die Abwehr der in Zusammenhang mit Versammlun­ gen möglicherweise auftauchenden Gefahren mit ein. Die Kooperation wird dabei durch die Behörde jeweils dann in Form eines „Kooperationsgesprächs“ anzubie­ ten sein, „soweit es nach Art und Umfang der Versammlung erforderlich ist“, wo­ bei das Gesprächsangebot „rechtzeitig“ an den Veranstalter oder Leiter zu richten ist, § 3 Abs. 2 S. 1 AKE. Inhalt des Gesprächs sollen hierbei „Gefahrenlage und sonstige Umstände“ sein, die für die „ordnungsgemäße Durchführung der Ver­ sammlung wesentlich sind“. Anders als im Entwurf der GdP fehlt hier die Mög­ lichkeit, seitens des Veranstalters oder Leiters ein Gespräch, soweit es nicht erfor­ derlich ist, zu beantragen. Anders als GdPE und BLE wird im AKE allerdings die Kooperation nicht nur für Versammlungen unter freiem Himmel, sondern für alle Versammlungen vorgesehen. Auch ist die Frage der „Erforderlichkeit“ eines Ko­ operationsgesprächs hier objektiv („soweit […] erforderlich ist“) und nicht wie in GdPE und BLE subjektiv nach Sicht der Behörde („soweit […] erforderlich er­ scheint“)1088 formuliert. Weiterhin ist das Kooperationsgespräch hier nicht als we­ sentlich weitere Informationsweitergabe an die Behörde aufgebaut. Der Vorrang der Selbstorganisation der Versammlung vor behördlichen Maß­ nahmen wird hierbei dadurch deutlich, dass zunächst der Zentralgestalt die Mög­ lichkeit zu geben ist, durch eigene Maßnahmen, namentlich „ergänzende Angaben oder Veränderungen der beabsichtigten Versammlung“, behördliche Maßnahmen „entbehrlich“ zu machen, § 3 Abs. 2 S. 2 AKE. Die Weitergabe von Informationen zur „Gefahrenlage“ soll dabei nicht nur vor, sondern auch während der Versamm­ lung erfolgen. Insoweit weitet sich das Kooperationsgespräch zu fortlaufendem Kontakt, § 3 Abs. 3 AKE. Wie das VersG geht auch der AKE vom Regelfall einer organisierten Versamm­ lung aus. Für die Frage, wer Veranstalter einer Versammlung ist, knüpft § 4 AKE wie § 8 Abs. 1 S. 3 VersG zunächst an die Einladung zu einer Versammlung an. Die implizite Bestimmung des Veranstalters durch die Anmeldung des § 14 Abs. 1 VersG wird hier durch die explizite Anknüpfung an die Anzeige ergänzt. Die An­ gabepflicht des Veranstalternamens wird für öffentliche Versammlungen beibehal­ ten, § 4 S. 2 VersG. Die Regelungen zur Versammlungsleitung sind hier ebenfalls in § 5 „vor die Klammer gezogen“ und orientieren sich an § 7 VersG.1089 Anders als VersG, BLE und GdPE verzichtet der AKE auf die ausdrückliche Statuierung der Pflicht eines 1088

§ 14 Abs. 1 BLE; § 14 Abs. 1 GdPE. Vgl. § 5 Abs. 1 S. 1 AKE/§ 7 Abs. 2 S. 1 VersG; § 5 Abs. 1 S. 3 AKE/§ 7 Abs. 2 S. 2 VersG; § 5 Abs. 2 AKE/§ 7 Abs. 3 VersG.

1089

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Leiters. Diese ergibt sich allerdings systematisch aus der Formulierung „Wer eine Versammlung veranstaltet, leitet die Versammlung.“ (§ 5 Abs. 1 S. 1 AKE). Damit behält auch der AKE die Leiterpflicht für den Regelfall einer Versammlung bei,1090 verzichtet jedoch auf die für Spontanversammlungen problematische Formulie­ rung des § 7 Abs. 1 VersG. Darüber hinaus bietet der AKE für die Versammlungsleitung weitere Gestal­ tungsmodalitäten. So sollen bei Versammlungen mit mehreren Veranstaltern diese den Leiter bestimmen, § 5 Abs. 1 S. 2 AKE. Durch die textliche Fassung „die Ver­ sammlungsleitung“, ist auch eine „kollektive Leitung“ möglich.1091 Die Übertra­ gung der Leitung wird durch § 5 Abs. 2 AKE nun auch für Versammlungen unter freiem Himmel ermöglicht, wo die Übertragung mangels Verweis in § 18 VersG nur im Rahmen der Anmeldung nach § 14 Abs.1 VersG möglich war. Dieses soll die „Organisationsfreiheit“ des Veranstalters besser zur Geltung kommen lassen.1092 Welche Bedeutung der Versammlungsleitung gerade auch für die Versammlung selbst zukommt, wird dadurch hervorgehoben, dass bei veranstalter­losen Ver­ sammlungen die Versammlung gem. § 5 Abs. 2 AKE eine Versammlungsleitung bestimmen kann. Unter veranstalterlosen Versammlungen will der AKE dabei über Spontanversammlungen hinaus etwa auch solche Versammlungen mit „Konstituie­ rung durch Internet-Kommunikation“1093 verstehen. Für nichtöffentliche Versammlungen sollen die Vorschriften des AKE nicht gel­ ten, allerdings kann sich die Versammlung durch die Bestimmung einer Leitung die Vorteile des Modells zunutze machen („Optionsmodell“1094), § 5 Abs. 4 AKE. Auch die Regelungen der „Befugnisse der Versammlungsleitung“ zeigen deut­ lich ihre Herkunft aus dem VersG. So werden etwa das „Sorge tragen“ für den ord­ nungsgemäßen Ablauf der Versammlung aus § 8 S. 2 VersG sowie die Möglichkeit zur Unterbrechung oder Schließung aus § 8 S. 3 VersG in § 6 Abs. 1 AKE übernom­ men, ergänzt um das Hinwirken auf die Friedlichkeit der Versammlung. Entspre­ chendes gilt für die Verwendung von Ordnern, die zwar auf die Formulierung „bei der Durchführung seiner Rechte“ des § 9 Abs.  1 VersG verzichtet, die Bindung der Ordner an die Zentralgestalt(en) aber durch die Verwendung des Wortes „be­ dienen“ in § 6 Abs. 2 S. 1 VersG beibehält. Die Folgepflichten der Teilnehmer aus § 10 VersG finden sich nun in § 6 Abs. 3 AKE, sind jedoch maßgeblich dadurch er­ weitert, dass auch vor Ort anwesende Nichtteilnehmer „in der Versammlung“ der Folgepflicht unterliegen sollen.1095 Diesem Verständnis der Möglichkeit von Nicht­ teilnehmern in einer Versammlung folgt auch die Regelung, welche Ordnern die gleichen Pflichten auferlegt wie Teilnehmern (§ 6 Abs. 2 S. 3 AKE), da diese nicht 1090

Vgl. a. Begründung, Enders u. a., Musterentwurf, 2011, S. 24. Enders u. a., Musterentwurf, 2011, S. 24. 1092 Enders u. a., Musterentwurf, 2011, S. 23. 1093 Enders u. a., Musterentwurf, 2011, S. 24. 1094 Enders u. a., Musterentwurf, 2011, S. 4. 1095 Enders u. a., Musterentwurf, 2011, S. 28. 1091

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stets auch Teilnehmer seien.1096 Ausschlussrechte und Entfernungspflicht entspre­ chen § 11 VersG.1097 Das Störungsverbot des § 2 Abs. 2 VersG findet sich wie in BLE und GdPE zurückgesetzt in § 7 AKE. Anders als VersG, BLE und GdPE regelt der AKE die Versammlungen unter freiem Himmel im direkten Anschluss an die allgemeinen Regelungen und dreht damit den Aufbau des Gesetzes entsprechend den heutigen Vorstellungen um. Die „Anzeigepflicht“ in § 10 AKE folgt zunächst § 14 Abs. 1 VersG, bezieht al­ lerdings bereits die Möglichkeit mehrerer Veranstalter ein, die insg. nur eine An­ zeige abzugeben haben, § 10 Abs. 1 S. 2 AKE. Auch hier wird die Anzeige auf schriftliche, elektronische oder zur Niederschrift beschränkt, wegen letzterer al­ lerdings eine § 193 BGB entsprechende Regelung angefügt. Für Eilversamm­ lungen wird auch die telefonische Anzeige zugelassen, § 10 Abs.  3 S.  2 VersG. Die Fristberechnung stellt allerdings nicht mehr auf die Bekanntgabe, sondern die Einladung ab, § 10 Abs.  1 S.  1 AKE. Die anzuzeigenden Angaben zur Ver­ sammlung werden entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG auf die „Kern­ daten“ beschränkt. Grds. bleibt es auch bei der Angabe des Leiters in der An­ zeige, § 10 Abs. 2 S. 2 AKE. Auch die Anzahl der Ordner ist weiterhin mitzuteilen (§ 18 Abs. 2 VersG/§ 10 Abs. 2 S. 4 AKE). Die Genehmigungspflicht entfällt, das Ablehnungsrecht ist mit deutlich geringeren Angabepflichten verbunden als in GdPE und BLE und bezieht sich zudem nur auf unmittelbare Gefahren für die öf­ fentliche Sicherheit, nicht etwa auf deren Eignung zur Unterstützung des Leiters (§ 13 Abs. 6 Nr. 1 GdPE) der Versammlung, § 12 Abs. 1 AKE. Aus gleichem Grund kann allerdings auch ein Leiter abgelehnt werden, § 12 Abs. 1 AKE.1098 Die Eingriffsmöglichkeiten gegenüber der Durchführung einer Versammlung sind verglichen mit § 15 VersG klärend neu gefasst und beinhalten neben verdeutli­ chenden Regelungen zur Verhältnismäßigkeit (§ 13 Abs. 2 AKE) auch Bestimmun­ gen behördlicher Maßnahmen „zulasten der Versammlung“ als Nichtstörer, § 13 Abs.  3 AKE.1099 Behördlichen Verzögerungsstrategien soll durch die Verpflich­ tung des § 13 Abs. 4 AKE vorgebeugt werden, beabsichtigte Verfügungen „unver­ züglich“ nach Feststellung der Voraussetzungen bekanntzugeben. Somit wird das Selbstbestimmungsrecht der Veranstalter geschützt, denen Handlungsmöglichkei­ ten eröffnet bleiben, und zudem möglicher Rechtschutz nicht verhindert. Die Möglichkeit behördlichen Ausschlusses von Teilnehmern wird aus Respekt gegenüber der vorrangig in der Verantwortung stehenden Versammlungsleitung doppelt beschränkt, zum einen durch die Begrenzung auf Störungen für die öffent­ 1096 Letzteres resultiert insb. aus der Aufgabe der Ehrenamtlichkeit der Ordner, welche sich nach den Verfassern nicht rechtfertigen lasse („unverhältnismäßig“), Enders u. a., Musterent­ wurf, 2011, S. 26. 1097 § 6 Abs. 4 AKE, abseits der Ersetzung von „sofort“ durch „unverzüglich“. 1098 Ebenso § 13 Abs. 5 GdPE, fehlend hingegen im BLE. 1099 Die Bestimmungen über „symbolträchtige Orte“ des § 15 Abs.  2 VersG sind in § 19 AKE – ergänzt um symbolträchtige Tage – verschoben.

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liche Sicherheit, zum anderen durch die Subsidiarität gegenüber dem Einschreiten der Versammlungsleitung, § 14 Abs. 2 AKE.1100 Neu ist dafür die Möglichkeit einer behördlichen Teilnahmeuntersagung aus dem Gesetz, § 14 Abs. 1 AKE. Für Bildund Tonaufnahmen ist eine Informationspflicht gegenüber der Versammlungs­ leitung vorgesehen, § 16 Abs. 3 S. 2 AKE. Versammlungen unter freiem Himmel in den „Schutzzonen“ der Landtage (ehemals Bannkreise bzw. Bannmeilen) sind anzumelden, § 20 Abs. 2 AKE, wobei ein Verbot nur bei einer unmittelbaren Ge­ fahr für die Tätigkeit „des Landtages, seiner Organe oder Gremien“ zulässig sein soll, § 20 Abs. 3 AKE. Für die Versammlungen in geschlossenen Räumen bleibt es bei den Möglichkei­ ten des Veranstalters, bestimmte Personen oder Personenkreise von der Teilnahme auszuschließen, einschließlich der Rückausnahme für Pressevertreter, § 22 AKE. Die Beschränkungsmöglichkeiten sind zwar um Verbote ergänzt, allerdings bzgl. der Anwesenheit von Polizeibeamten gegenüber § 12 VersG zurückgenommen. Auch für Versammlungen in geschlossenen Räumen wird jedoch ein Ausschluss­ recht der Polizei begründet, § 24 Abs. 2 AKE. Der AKE enthält schließlich einen am VersG orientierten,1101 diesem gegenüber aber deutlich gekürzten Straftaten- und Ordnungswidrigkeitenkatalog. Nament­ lich die Straftatbestände wurden erheblich reduziert, insb. durch die Abstufung zu Ordnungswidrigkeiten, etwa der Aufruf zu verbotenen Versammlungen, § 28 Nr. 3 AKE. Der Kernschutztatbestand der Versammlungsfreiheit wird auf Verhindern oder Vereiteln der Durchführung einer Versammlung beschränkt, insb. wird auf die „grobe Störung“ ganz verzichtet, § 27 Abs. 1 AKE. Stattdessen werden in einem neuen Ordnungswidrigkeitstatbestand Störungen zusammengefasst: „§ 28 Abs. 1 AKE Ordnungswidrig handelt, Nr. 4 wer trotz einer Anordnung, dies zu unterlassen, die Zufahrtswege zu einer Versammlung oder die für einen Aufzug vorgesehene Strecke blockiert oder die Versammlung auf andere Weise mit dem Ziel stört, deren Durchführung erheblich zu behindern oder zu vereiteln […]“.

Hiermit wird, dem Muster der vorherigen Anordnung aus dem Gedanken des Schutzes durch klarstellende Wirkung des Verwaltungsakts1102 folgend, Rechtsklar­ heit geschaffen und die Problematik um die Bestimmung der Störung1103 beseitigt. Das Mitführen von Waffen wird der Verwendung bewaffneter Ordner gleich­ gestellt, § 27 Abs. 1 AKE. Die Gewalt bzw. ihre Androhung gegen Ordner oder Leiter in der „rechtmäßigen Durchführung“ von Ordnungsaufgaben bleibt Straftat­ bestand, das bloße Widerstand Leisten wird hingegen straflos gestellt, § 27 Abs. 3 AKE. Insoweit bleibt nur das Nichtentfernen trotz Ausschlusses als Ordnungswid­ rigkeit, § 28 Nr. 11 AKE. 1100

Die Regelung entspricht daher mehr § 17a VersG als § 18 Abs. 3 VersG. Vgl. etwa § 28 Abs. 1 Nr. 1 AKE/§ 26 Nr. 2 VersG. 1102 Vgl. bereits BVerfGE 122, 342 (356, 357) sowie §§ 17, 18 AKE. 1103 Dazu Kap. 2 G. IV. 1101

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Zusammenfassend ist der AKE bezogen auf die Regelungen, welche in Zu­ sammenhang mit der Idee der organisierten Versammlung stehen, durchaus ge­ lungen. Insb. deshalb, weil er folgerichtig die Entwicklung der Organisations­ idee unter Berücksichtigung der Gestalt, die sie seit der Nachkriegszeit durch vielerlei verschiedene Entwicklungen erhalten hat, fortschreibt. Zwar gehen die Verfasser davon aus, dass der Entwurf „keine bestimmte innere Ordnung für Versammlungen“ vorschreibt,1104 doch bleibt es faktisch wie rechtlich bei der heraus­gehobenen Rolle der Zentralgestalt und dem zur „Versammlungsleitung“ umtitulierten Leiter. Allerdings wird die Selbstbestimmung der Zentralinstanz ge­ stärkt, etwa durch die erweiterten Möglichkeiten der Übertragung der Leitung. Zutreffend ist daher die Selbsteinschätzung des AKE, hier würden die „traditio­ nellen Instrumente […] im Sinne autonomieschützender Gestaltungsmöglich­ keiten“ angeboten.1105 Hieraus erhellt sich umso deutlicher die Orientierung des AKE an der Organisationsidee. Insgesamt rückt der staatliche Schutzauftrag gegenüber der Durchführung von Versammlungen im AKE gegenüber dem auf Verbote an Dritte gerichteten Ansatz des VersG deutlich in den Vordergrund. Den Staat versteht der Entwurf weniger als einen potenziellen Gefährder für Versammlungen, den es zu hemmen gilt, sondern als Unterstützer. Das Versammlungsrecht wird damit endgültig vom Gefahren­ abwehrrecht zum „Grundrechtsgewährleistungsrecht“.1106 Ob der Entwurf aller­ dings hinsichtlich seiner gegen Störer von außerhalb der Versammlung gerichteten Vorschriften ausreichend ist, erscheint fraglich. Die hier gewählte Formulierung, namentlich in § 28 Abs. 1 Nr. 4 AKE, kann vielmehr als Einladung zum Versuch der Verhinderung von Versammlungen verstanden werden, zumal auch Ausführun­ gen zum Begriff der „Erheblichkeit“ fehlen und insoweit nicht klar wird, ob und in welchem Umfang dem Verständnis des ersetzten Begriffs der „groben Störung“ gefolgt werden soll.1107 Die postulierte „Unbefangenheit“ der Grundrechtsausübung und die vielfach betonte „Symbolik“1108 des Protests laufen hier somit Gefahr zu einer überhöhten gesetzlichen Leitlinie zu werden, die letztlich einseitig zu Lasten von Minderhei­ ten geht, die das Grundrecht eigentlich besonders schützen soll.1109 Die kritische aber eben „geistige Auseinandersetzung“1110 mit Ansichten der jeweiligen Gegen­ seite, die über das Niederbrüllen und Pfeifen hinausgeht, wird damit jedenfalls, sei sie auch derzeit bereits kaum noch bedeutsam, endgültig zu Grabe getragen. Die ­ ögen für politischen Überlegungen, die diesen Bestimmungen zugrunde liegen, m

1104

Enders u. a., Musterentwurf, 2011, S. 2. Enders u. a., Musterentwurf, 2011, S. 2. 1106 Enders u. a., Musterentwurf, 2011, S. 2. 1107 Vgl. Kap. 2 G. IV. 1108 Vgl. nur BVerfGE 73, 206 (248, 252). 1109 BVerfGE 69, 315 (343). 1110 BVerfGE 69, 315 (345). 1105

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die Auseinandersetzungen mit Extremisten („Naziaufmarsch verhindern“) nach­ vollziehbar sein,1111 bereits für Umweltdemonstrationen allerdings nicht mehr („Castor schottern“), beinhaltet das Grundrecht der Versammlungsfreiheit doch gerade nicht das Recht zu entscheiden, welche Beeinträchtigungen ihrer Rechte Dritte hinzunehmen haben.1112 Dies schmälert jedoch den Grundansatz des AKE nicht, der folglich zu Recht auch für die Diskussion um die Landesgesetze Bedeu­ tung erlangt hat.

II. Die Landesversammlungsgesetze Die Landesgesetzgeber haben von ihrer nicht mehr ganz neuen Gesetzgebungs­ kompetenz bisher nur spärlich Gebrauch gemacht.1113 Eigenständige Vollregelun­ gen bestehen lediglich in Bayern, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Berlin hat lediglich eine Teilregelung in Bezug auf die Ton- und Bildaufnahmen erlassen,1114 die für die hier untersuchte Entwicklung der Idee der organisierten Versammlung ohne Bedeutung ist. 1. Bayerisches Versammlungsgesetz Das Bayerische Versammlungsgesetz (BayVersG)1115 war bei seinem Inkraft­ treten 2008 das erste eigenständige Landesversammlungsgesetz und folgt wesent­ lich dem BLE. Auf eine Verfassungsbeschwerde nebst Eilantrag gegen das Ge­ setz „als Ganzes“1116 hin setzte das BVerfG mehrere Normen einstweilen außer Kraft, insb. aber nicht nur solche aus dem Bereich der Ordnungswidrigkeits- und Straftatbestände, sondern insb. auch der Regelung der Datenerhebung sowie der Bild- und Tonaufzeichnungen bzw. der Übersichtsaufnahmen. Der Bayerische Gesetzgeber reagierte hierauf nicht nur mit der Aufhebung bzw. Anpassung der entsprechenden Normen, sondern nahm auch die Kritik des BVerfG an weiteren Bestimmungen zum Anlass, über die außer Kraft gesetzten hinaus Änderungen

1111 Zu dem „sich allgemeinen Kategorien entziehenden“ Unrecht, welches die „national­ sozialistische Herrschaft über Europa und weite Teile der Welt gebracht hat“ BVerfGE 124, 300 (327), allerdings unter Verkennung von dessen Bedeutung für die Frage der Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 1 GG. 1112 BVerfGE 104, 92 (Ls. 3). 1113 Ausführungsregelungen zu Bannmeilen oder Gedenkstätten etc. bestehen hingegen in fast allen Ländern; Nachweise bei Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 2011, S. 446–602. 1114 Gesetz über Aufnahmen und Aufzeichnungen von Bild und Ton bei Versammlungen un­ ter freiem Himmel und Aufzügen vom 27.04.2013, GVBl. 2013, S. 103; kritisch zu diesen Re­ gelungen Neskovic/Uhlig, NVwZ 2014, 335. 1115 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG) vom 22.07.2008 (GVBl. 2008, S.  421), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.04.2010 (GVBl. 2010, S. 190). 1116 BVerfGE 122, 342 (343).

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vorzunehmen.1117 Infolgedessen wurde die Verfassungsbeschwerde in der Haupt­ sache wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen.1118 Da das BVerfG für weitere durch es selbst kritisierte Bestimmungen zunächst auf den Rechtsweg verwies,1119 blieben weitere Unsicherheiten erhalten. Im Folgenden wird jeweils nur auf die hier relevanten Abweichungen zum BLE eingegangen, der Wortlaut des aktuellen BayVersG zugrunde gelegt und werden Unterschiede zur alten Fassung (a. F.) hervorgehoben. Anders als Art. 7 Abs. 1 VersG, BLE und Art. 3 Abs. 1 BayVersG a. F. verzichtet die aktuelle Fassung des BayVersG auf die Statuierung einer Leiterpflicht. Art. 3 BayVersG geht nunmehr den Weg des § 5 AKE und bestimmt, dass der Veranstalter die Versammlung leitet. Die Leitung wird auch hier übertragbar ausgestaltet, Art. 3 Abs. 1 S. 2 BayVersG. Die ehemals in Art. 3 Abs. 3 BayVersG a. F. festgelegten zwingenden Inhalte für Einladung und Bekanntgabe wurden gestrichen. Damit be­ steht für den Veranstalter auch eine § 2 Abs. 1 VersG entsprechende Pflicht, in der Einladung seinen Namen anzugeben, nicht mehr. Eine § 4 Abs.  2 BLE entspre­ chende Regelung zur Pflicht des Leiters, geeignete Maßnahmen zur Verhinderun­ gen von Gewalttaten aus der Versammlung heraus zu treffen, hat der Gesetzgeber mit Art. 3 Abs. 4 S. 1 und 2 BayVersG a. F. ebenso gestrichen wie die über § 19 Abs. 3 VersG auch für Versammlungen in geschlossenen Räumen geltende Pflicht, diese aufzulösen, in Art. 4 Abs. 3 S. 3 BayVersG a. F. Die Leiterpflichten entspre­ chen im Übrigen wesentlich § 4 BLE bzw. § 8 VersG, orientieren sich aber inso­ weit stärker an der überkommenen Struktur diskutierender Versammlungen, als dass Erteilung und Entziehung des Wortes explizit genannt werden, Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 BayVersG. Die Pflicht zur ständigen Erreichbarkeit des Leiters während der Versammlung, Art. 4 Abs. 2 Nr. 4 BayVersG a. F., wurde ebenso gestrichen wie die Pflicht des Veranstalters, im Vorfeld der Versammlung „geeignete Maßnah­ men zu ergreifen“, um „einen gewalttätigen Verlauf“ zu verhindern, Art. 4 Abs. 1­ BayVersG a. F. Insoweit ging die erste Fassung des BayVersG noch über den BLE hinaus. Die Regelungen zur Ordnerverwendung orientieren sich weiterhin wesent­ lich am BLE.1120 Die Regelungen zur Entsendung von Polizeibeamten sind anders als im AKE zwar aus § 12 VersG beibehalten, nunmehr allerdings in Art. 4 Abs. 3 BayVersG auf die Fälle der Erforderlichkeit zur polizeilichen Aufgabenerfüllung bzw. auf die Fälle beschränkt, in denen „tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten vorliegen oder eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu besorgen ist“. Auch insoweit wurden „Hinweise“ des BVerfG entsprechend

1117

Gesetz vom 22.04.2010 (GVBl. 2010, S. 190). BVerfG, NVwZ 2012, 818. 1119 BVerfGE, NVwZ 2012, 818 (819 f.); die Möglichkeit, ein zweites „Lehrbuch“ zu verfas­ sen, nahm das BVerfG nicht an. 1120 Art. 4 Abs. 4 BayVersG/§ 4 Abs. 3 BLE. 1118

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umgesetzt. Für das Störungsverbot bleibt es bei einer §§ 2 Abs. 2; 21, 22 VersG­ vergleichbaren Regelung, wie sie sich auch in § 8 BLE findet. Die Unterscheidung von Aufforderung und Einladung zu einer Versammlung behält auch das BayVersG in Art. 8 Abs. 3 bei. Wie VersG und BLE regelt auch das BayVersG die Versammlungen in geschlos­ senen Räumen im Anschluss an die allgemeinen Vorschriften und damit vor den Versammlungen unter freiem Himmel. Veranstalterrechte und -pflichten entspre­ chen hierbei dem BLE, gleiches gilt für die Bestimmungen zum Hausrecht bzw. zum Ausschluss von Störern, Art. 10 und 11 BayVersG, und die Möglichkeiten für Beschränkungen, Verbote und Auflösung, Art. 12 BayVersG. Die Anzeigefrist für Versammlungen unter freiem Himmel hat der Gesetzgeber von zunächst 72 Stunden auf nunmehr 48 vor Bekanntgabe der Versammlung wie­ der § 14 VersG angepasst. Im Zuge der Umgestaltung des Gesetzes fiel dabei auch die Sonderregelung der Frist von 96 Stunden für „überörtliche Versammlungen“ in Art. 13 Abs. 1 BayVersG a. F. Ebenso entfielen die § 13 Abs. 2 BLE entspre­ chenden Formalisierungen der Anzeige, die nunmehr auf die verfassungsrecht­ lich zugelassenen „Kerninformationen“ stationärer Versammlungen bzw. ergän­ zend den Streckenverlauf für Aufzüge beschränkt ist. Änderung sind anders als in § 13 Abs. 2 S. 2 BLE nur noch dann mitzuteilen, wenn sie wesentlich sind, Art. 13 Abs. 2 S. 2 BayVersG. Die Ablehnungsrechte der Behörden sind nun eher § 12 AKE als dem BLE an­ gepasst. Zwar stellt Art. 13 Abs. 6 weiterhin nicht auf Gefahren für die öffentliche Sicherheit ab, sondern auf die Friedlichkeit der Versammlung, doch ist die Prüfung der Geeignetheit der Ordner für die Aufrechterhaltung der Ordnung aus Art. 13 Abs. 6 BayVersG a. F. gestrichen worden. Eine behördliche Erhöhung der Ordner­ zahl ist nur noch dann möglich, wenn ohne diese eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit „zu besorgen“ ist. Die Bestimmung zur „Zusammenarbeit“ in Art. 14 BayVersG ähnelt § 14 Abs. 1 BLE, beinhaltet jedoch zumindest die Klarstellung, dass der Veranstalter zur Mit­ wirkung an einem Erörterungsgespräch nicht verpflichtet ist, und ist im Übri­ gen auch versammlungsfreundlicher im Sinne der Gegenseitigkeit ausgestaltet. Dennoch bleibt die Norm hinter § 3 AKE zurück, zumal dessen Orientierung an der staatlichen Schutzpflicht fehlt. Entsprechend dem AKE ist jedoch eine die Selbstbestimmung der Versammlung schützende Regelung aufgenommen wor­ den, die die Behörde verpflichtet, Beschränkungen rechtzeitig vor Versammlungs­ beginn zu treffen, Art. 15 Abs. 3 BayVersG. Bzgl. der Ausschlussrechte des Lei­ ters bleibt es allerdings bei den Regelungen des VersG, die einen Ausschluss nur bei Versammlungen in geschlossenen Räumen zulassen, § 11 VersG/Art. 15 Abs. 2­ BayVersG. Die Straf- und Ordnungswidrigkeitstatbestände wurden zwar im Zuge der Neuregelung um die unglückliche Anknüpfung an die erweiterten Anzeige-, Bekanntgabe- und Einladungsgestaltungsformalitäten erleichtert, orientieren sich im Übrigen aber weiter am VersG. Allerdings hat der Gesetzgeber mehrere Tat­

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bestände von Straf- auf Ordnungswidrigkeiten zurückgestuft.1121 Die Durchfüh­ rung einer Versammlung anders „als der Veranstalter bei der Anzeige […] ange­ geben hat“1122 wurde hingegen aufgegeben. Die wesentlichen Schutznormen für die Durchführung der Versammlung bzw. den Schutz der Zentralgestalt, §§ 21, 22 VersG, wurden beibehalten. Folgt das BayVersG dem BLE, so teilt es auch die Kritik daran, die aller­ dings durch die Gesetzesänderung entsprechend gemildert wird. Es bleibt jedoch trotz der Änderungen dabei, dass die Möglichkeit zur Fortschreibung der Orga­ nisationsidee verpasst wurde. Das gilt sowohl für die Ausgestaltung der Koope­ ration, als auch die Stellung von Veranstalter und Leiter. Eine Gesetzgebung, die letztlich nur das Nötigste, etwa Definitionen und Ausnahmen für Eil- und Spon­ tanversammlungen aufnimmt, überlässt die Entwicklung allein der Rechtspre­ chung und braucht sich folglich über berichtigende Worte der Gerichte nicht zu wundern. 2. Landesversammlungsgesetz Sachsen-Anhalt Das Landesversammlungsgesetz Sachsen-Anhalt (LSAVersG)1123 stellt eine ak­ tualisierte Version des VersG mit minimalen Anpassungen und Wortlautänderun­ gen dar. So hat etwa gem. § 1 Abs.  1 LSAVersG nicht „Jedermann“ (§ 1 Abs.  1 VersG), sondern „Jeder“ das Recht, Versammlungen zu veranstalten und an sol­ chen Veranstaltungen teilzunehmen.1124 Die Vorschriften zum Inhalt der Einladung werden insoweit ergänzt, als dass sie in Sachsen-Anhalt nun nicht mehr nur für öf­ fentliche Versammlungen gelten, § 2 Abs. 1 LSAVersG. Andererseits ist das Uni­ formverbot in § 3 LSAVersG auf öffentliche Versammlungen begrenzt und damit im Anwendungsbereich enger als § 3 Abs. 1 VersG, zumal er das Tragen von Uni­ formen etc. auch nur noch verbietet, „sofern davon eine einschüchternde Wirkung ausgeht“. Auf den dem VersG entsprechenden schmalen allgemeinen Teil folgen die Regelungen zu Versammlungen in geschlossenen Räumen. Eine erste für die Organisationsidee bedeutsame Neuerung ist die Aufnahme einer Ausnahme von der Leiterpflicht für Spontanversammlungen, § 6 Abs. 1 S. 2 VersG, die in § 12 Abs. 1 S. 2 LSAVersG legaldefiniert werden. Im Übrigen bleibt es aber auch für Versammlungen in geschlossenen Räumen bei der Pflicht des Vor­ handenseins eines Leiters, § 6 Abs. 1 S. 1 LSAVersG. Auch die weiteren Regelun­ gen zum Versammlungsleiter entsprechen § 7 VersG. 1121

Vgl. Art. 20 Abs. 2 Nr. 2, 6, 8, 9 BayVersG a. F./Art. 21 Abs. 1 Nr. 2, 7, 8, 6 BayVersG. Art. 20 Abs. 2 Nr. 7 BayVersG a. F./§ 25 Nr. 1 VersG. 1123 Gesetz des Landes Sachsen-Anhalt über Versammlungen und Aufzüge vom 03.12.2009 (GVBl. LSAVersG 2009, S. 558). 1124 Vergleichbare minimalistische Änderungen finden sich etwa auch in § 11 Abs.  1 S.  1 Nr. 1 LSAVersG: „zuständige Behörde“ statt § 13 Abs. 1 Nr. 1 VersG: „zuständige Verwaltungs­ behörde“; § 13 Abs. 1 LSAVersG: „Beschränkung“ statt § 15 Abs. 1 VersG: „Auflagen“. 1122

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Bild- und Tonaufnahmen sind für Versammlungen in geschlossenen Räumen ebenso wenig vorgesehen wie die Entsendung von Polizeibeamten in diese Ver­ sammlungen (ehemals §§ 12a, 12 VersG), wobei letztere auch für Versammlungen unter freiem Himmel nicht mehr geregelt ist. Für Versammlungen unter freiem Himmel bleibt es auch der Bezeichnung nach bei einer Anmeldepflicht, ergänzt sind lediglich die Ausnahmen für Spontan- und Eilversammlungen, § 12 Abs. 1 LSAVersG. Die Kooperation wird als Erörterung mit dem Veranstalter über „Einzelheiten der Durchführung der Versammlung, insb. geeignete Maßnahmen zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit“ verstanden, § 12 Abs.  3 S.  1 LSAVersG. Dabei soll die Behörde auf eine „ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung“ hinwirken (S.  1). Der Veranstalter darf sich äußern und „sachdienliche Fragen“ stellen (S. 2). Während die Kooperation von Behördenseite dabei kaum näher bestimmt wird und als Begriff nicht auftaucht, „soll“ der Veranstalter mit den zuständigen Behörden kooperieren, insb. weitere Informationen, als für die Anmeldung ohnehin vorgesehen, geben. In dieser For­ mulierung hat das LSAVersG ein Alleinstellungsmerkmal innerhalb der Muster­ entwürfe und Versammlungsgesetze. Die Beschränkungsmöglichkeiten sind in § 13 LSAVersG breiter ausgestaltet als in § 15 VersG, insb. sind eine Vielzahl von symbolträchtigen Orten erfasst so­ wie zahlreiche symbolträchtige Tage, die „an die Schrecken der nationalsozialis­ tischen Gewaltherrschaft“ erinnern oder die „unter dieser besonders begangen“ wurden, § 13 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 i. V. m. § 14 Abs. 2 LSAVersG, welche auch dem geschichtsinteressierten Leser nicht zwingend sofort verständlich sind. Schutz­ waffen- und Vermummungsverbote in § 15 LSAVersG entsprechen wesentlich § 17a VersG. Abseits der gestrichenen Norm zur Ausnahme für sonstige Veranstal­ tungen in § 17 VersG entsprechen die folgenden Vorschriften dem VersG in ho­ hem Grad bis in den Wortlaut.1125 Zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft wurde im Vergleich zu § 26 Nr.  2 VersG allerdings die Durchführung einer Versammlung ohne Anmeldung, § 28 Abs. 1 Nr. 2 VersG. Entsprechend den nahezu verschwindenden Änderungen kann für das LSA­ VersG auf die Ausführungen zur Bedeutung der Organisationsidee für das VersG verwiesen werden. Ob es für diese tatsächlich eines eigenen Gesetzes bedurft hätte, mag der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers überlassen bleiben.

1125

§ 16 LSAVersG/§ 19 VersG; § 18 LSAVersG/§§ 12a, 19a VersG mit geringen Änderun­ gen; § 19 LSAVersG unter Ergänzung etwa des Grundrechts auf informationelle Selbstbestim­ mung/§ 20 VersG; §§ 20–27 LSAVersG jeweils um einen Paragraphen in der Zählung zum VersG nach vorn versetzt, wobei etwa Störungen mit bis zu drei statt bis zu zwei Jahren Frei­ heitsstrafe belegt werden können.

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3. Sächsisches Versammlungsgesetz Der erste Anlauf zum Erlass eines Sächsischen Versammlungsgesetzes (Sächs­ VersG)1126 erschöpfte sich wesentlich in einer vollständigen Übernahme des VersG als Landesrecht und der anknüpfenden Anpassung, insb. des § 15 VersG für die Besonderheiten Sachsens.1127 Dabei behielt der sächsische Landesgesetzgeber die Zählung des VersG bei, was ihm zwar Häme einbrachte,1128 jedoch im Sinne einer leichteren Arbeit mit der bestehenden Rechtsprechung und Literatur sowie den ge­ ringen Änderungen durchaus sinnvoll war. Aufgrund eines formellen Fehlers im Gesetzgebungsverfahren – der Gesetzgeber hatte in der Gesetzesvorlage den Wort­ laut des VersG nicht abgedruckt, sondern lediglich auf dieses verwiesen – erklärte der SächsVerfGH das Gesetz, ohne auf materielle Fragen eingehen zu müssen, am 19.04.2011 für nichtig.1129 Mit dem neuen SächsVersG1130 fügte der Gesetzgeber dann auch wenige Änderung ein, gab aber die umfassende Orientierung am VersG nicht auf – dafür aber dessen Zählung. So enthält das SächsVersG nun eine dem § 2 Abs.  1 AKE entsprechende De­ fi­nition der Versammlung sowie eine § 2 Abs.  1 Hs. 1 AKE bzw. Art.  2 Abs.  2 BayVersG gleichende Definition der Öffentlichkeit der Versammlung, § 1 Abs. 3, 4 SächsVersG. Auch das Uniformverbot wurde in einer Mischung aus § 3 Abs. 1 VersG und § 18 AKE unter dem Zusatz „wenn infolge des äußeren Erscheinungs­ bildes oder die Ausgestaltung der Versammlung Gewaltbereitschaft vermittelt und dadurch auf andere Versammlungsteilnehmer oder Außenstehende einschüchternd eingewirkt wird“ in § 3 SächsVersG neugefasst. Die Vorschriften über Versamm­ lungen in geschlossenen Räumen entsprechen dem VersG bis auf eine Abweichung bzgl. der Entsendung von Polizeibeamten, die nunmehr zumindest das „befürchten lassen“ einer (konkreten) Gefahr erfordert, § 11 Abs. 1 SächsVersG. Für Versammlungen unter freiem Himmel heißt die Anzeigepflicht nun auch im SächsVersG „Anzeigepflicht“. Eilversammlungen sind „unverzüglich“ anzuzei­ gen, Spontanversammlungen („fällt die Bekanntgabe der Versammlung mit deren Beginn zusammen“) gar nicht. Dass hier von der Definition des BVerfG, die nicht auf Bekanntgabe – es gibt ja keinen Veranstalter –, sondern auf die augenblickliche Bildung abstellt, abgewichen wurde, verwundert. Die Regelungen zur Koope­

1126 Gesetz über Versammlungen und Aufzüge im Freistaat Sachsen vom 20.01.2010, SächsGVBl. 2010, S. 3. 1127 Gesetz über die landesrechtliche Geltung des Gesetzes über Versammlungen und Auf­ züge vom 20.01.2010, SächsGVBl. 2010, S. 2. Daneben wurde etwa in § 20 SächsVersG das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als Zitat aufgenommen und die Bannmei­ lenregelung gestrichen. Zu den Änderungen Sächsischer Landtag, Drs. 5/286, S. 8 ff. 1128 Etwa Scheidler, NVwZ 2011, 924. 1129 SächsVerfGH, NVwZ 2011, 936. 1130 Gesetz über Versammlungen und Aufzüge im Freistaat Sachsen vom 25.01.2012, SächsGVBl. 2012, S. 54, zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.12.2013, SächsGVBl. 2013, S. 890.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

ration in § 14 Abs. 5 SächsVersG sind eine auf § 3 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 verkürzte Übernahme des AKE. Die Beschränkungsmöglichkeiten wurden an die Landes­ gegebenheiten angepasst (§ 15 SächsVersG), allerdings nicht derart umfassend ge­ staltet wie in Sachsen-Anhalt. Die Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbestände entsprechen dem VersG, wobei wie in Sachsen-Anhalt der Strafrahmen bei Störun­ gen auf drei Jahre Freiheitsstrafe erweitert wurde, § 22 SächsVersG.1131 Noch weniger als das LSAVersG versucht das SächsVersG damit eigene Ak­ zente zu setzen, die Ausführungen zu jenem gelten entsprechend. 4. Niedersächsisches Versammlungsgesetz Lässt man den kaum veränderten Neuerlass des SächsVersG außer Betracht, ist das Niedersächsische Versammlungsgesetz (NdsVersG)1132 das derzeit zweit­ jüngste Landesversammlungsgesetz. Zwar finden sich auch hier zahlreiche Rege­ lungen des VersG wieder, doch versuchte der niedersächsische Gesetzgeber auch eigene Neuerungen einzubringen. Die Versammlungsfreiheit, hier als „Grundsatz“ überschrieben, verzichtet auf die Nennung des Veranstaltens einer Versammlung und führt stattdessen das Recht an, sich „mit anderen Personen“ zu versammeln, § 1 Abs. 1 NdsVersG. Dieser Ver­ zicht ist zwar in Anbetracht der Musterentwürfe, etwa § 1 Abs. 1 BLE, nicht neu, zeichnet aber eine Linie des Gesetzes vor, das im Folgenden konsequent auf den Begriff des Veranstaltens verzichtet. Den gefahrenabwehrrechtlichen Charakter des Gesetzes betont bereits § 3 Abs. 1 NdsVersG, der es verbietet, „in einer Versammlung oder aus einer Versammlung heraus durch Gewalttätigkeiten auf Personen oder Sachen einzuwirken“. Erst nach weiteren Verboten zu Waffen und Uniformen, § 3 Abs. 2, 3 NdsVersG, folgt das Störungsverbot, § 4 NdsVersG, das an der Durchführung der Versammlung ausgerichtet ist. In den folgenden Vorschriften zu Versammlungen unter freiem Himmel ent­ spricht das NdsVersG zunächst bzgl. der Anzeigepflicht (§ 5 Abs.  1 NdsVersG) teils dem AKE1133, spricht aber nicht wie dieser vom Veranstalten einer Versamm­ lung, sondern von deren Durchführung. Hierin setzt sich der Verzicht auf den Be­ griff des Veranstalters fort. Die Vorschriften zur Anzeige orientieren sich dabei im Folgenden am BLE, auch nachdem der bayerische Gesetzgeber manche die­ ser Regelungen nach dem Beschluss des BVerfG gestrichen hatte.1134 Auch die 1131 Die Zählung der Paragraphen weicht hier gegenüber dem VersG um eine Nummer nach oben ab. 1132 Vom 07.10.2010, Nds. GVBl. 2010, S. 465, berichtigt S. 532. 1133 § 10 Abs. 1 S. 1, 4 AKE. 1134 § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 BLE/§§ 10 Abs. 3; 13 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 BayVersG, dort allerdings nun ohne die telefonische oder sonstige Erreichbarkeit des Leiters. Ebenso gestrichen wurde in

H. Musterentwürfe und Landesgesetze

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im ­BayVersG mittlerweile gestrichenen weiteren Anforderung an die Anzeige aus § 13 Abs. 2 S. 1 Nr. 7–9 BLE werden hier aufgenommen (§ 5 Abs. 3 NdsVersG), allerdings mit der Änderung, dass nicht der Veranstalter diese mit der Anzeige zu geben hat, sondern der Leiter auf Anfordern der Behörde, soweit dieses für die Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit erforderlich ist. Dieses gilt auch für die Weitergabe persönlicher Daten der Ordner, § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 NdsVersG.1135 Die Regelungen zu Eil- und Spontanversammlungen entsprechen dem SächsVersG.1136 Auch in den Ausführungen zur „Zusammenarbeit“ (§ 6 NdsVersG) taucht der Veranstalter nicht mehr auf. Stattdessen „gibt“ die zuständige Behörde dem Leiter einer Versammlung unter freiem Himmel „Gelegenheit zur Zusammenarbeit, insb. zur Erörterung von Einzelheiten der Durchführung der Versammlung“. Mit diesen Ausführungen stellt das NdsVersG die mit Abstand kürzeste Bestimmung aller Ge­ setze und Entwürfe. Die Bestimmungen zur Versammlungsleitung (§ 7 NdsVersG) sind eine Zusam­ menstellung der §§ 8 S. 1, 2, 3 (ohne Unterbrechung), 9 und 10 VersG. Bestanden wird auch hier auf die Erreichbarkeit der Versammlungsleitung während der Ver­ sammlung, § 7 Abs. 1 S. 5 NdsVersG. Auffällig ist dabei, dass die Verwendung der Ordner im Vergleich zum VersG auf die Durchführung der „Aufgaben“ des Lei­ ters begrenzt wird und dessen Rechte nicht mehr auftauchen, § 7 Abs. 2 NdsVersG. Auch die Regelungen über Beschränkungen sowie Schutzausrüstung und Ver­ mummung (§§ 8, 9 NdsVersG) sind eine reine Neuzusammenstellung aus §§ 15 Abs. 4; 13 Abs. 2 und 17a VersG, ergänzt um einige Einschübe aus dem AKE, etwa § 13 Abs. 3 und § 19. Eine Ablehnungsmöglichkeit für Leiter und Ordner sieht auch das NdsVersG vor, § 10 Abs.  1. Diese Regelung entspricht wesentlich § 12 Abs.  1 AKE, nennt aber explizit die Möglichkeit der zuständigen Behörden, die durch den Leiter wei­ terzugebenden Daten über sich und die vorgesehenen Order an Polizei und Verfas­ sungsschutzbehörden zur Überprüfung weiterzuleiten. Anhaltspunkte dafür, dass von diesen Personen eine Gefahr ausgeht, brauchen für die Weitergabe nach dem NdsVersG nicht bestehen. Darüber hinaus sieht das NdsVersG auch Teilnahme­ verbotsmöglichkeiten vor, § 10 Abs. 3 S. 1. Für Versammlungen in geschlossenen Räumen bestimmt § 13 Abs. 1 NdsVersG, dass derjenige, welcher zu einer Versammlung „einlädt“, Leiter der Versammlung ist. Insoweit wird die Rolle des Veranstalters durch den Einladenden ersetzt, ohne dass hierfür eine sachliche Begründung im Gesetz zu finden ist. Vielmehr orientie­ ren sich die Vorschriften hier i. Ü. an §§ 7 Abs. 2; 6 und 11 VersG. Bayern die Angabe über die erwartete Teilnehmerzahl, § 13 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 BayVersG a. F., die sich an § 13 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 BLE orientiert. Vgl. a. § 5 Abs. 2 S. 2 NdsVersG/§ 13 Abs. 2 S. 3 BLE. 1135 Entsprechend § 13 Abs. 5 BLE. 1136 § 5 Abs. 4, 5 NdsVersG/§ 14 Abs. 3, 4 SächsVersG.

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

Wie gegenüber Versammlungen unter freiem Himmel wird auch für Versamm­ lungen in geschlossenen Räumen eine Nichtstörerregelung aufgenommen, § 14 Abs. 3 NdsVersG. Die Ersetzung des Veranstalters durch „den Einladenden“ setzt sich für die Ab­ lehnungsmöglichkeiten für Ordner und Leiter bei Versammlungen in geschlos­ senen Räumen auf die eigentümliche Weise fort, dass der Einladende zunächst die Daten des Leiters zu übermitteln hat, woraufhin dieser sodann die Daten der Ordner weitergeben muss, § 15 Abs. 1 S. 1 NdsVersG. Anders als im AKE wird für die Ablehnungsrechte auch nicht auf eine Gefahr für die öffentliche Sicher­ heit oder am VersG orientiert auf die ordnungsgemäße Durchführung der Ver­ sammlung abgestellt, sondern auf eine unmittelbare Gefährdung der „Friedlich­ keit“ der Versammlung, § 15 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, 2 NdsVersG. Gleiches gilt für die Teilnahmeuntersagung, die auch für Versammlungen in geschlossenen Räumen behördlicherseits zulässig ist, § 15 Abs. 3 VersG, sowie die Anwesenheit von Polizeibeamten „zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für die Friedlichkeit der Versammlung“ (§ 16 S. 1 NdsVersG) sowie Bild- und Tonübertragungen und -aufzeichnungen. Die Straf- und Ordnungswidrigkeitsvorschriften entsprechen wiederum einer erweiterten Form des VersG,1137 allerdings findet sich eine gesonderte Ordnungs­ widrigkeitsbestimmung für Störungen einer Versammlung von außerhalb aber­ unterhalb der Schwelle der erheblichen Störung, § 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 NdsVersG. Die ausgedehnten Informationspflichten – hier des Leiters – werden wie in den durch das BVerfG einstweilig außer Kraft gesetzten Normen des BayVersG sank­ tioniert, § 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, 6 NdsVersG. Hier wird schließlich auch noch die „anzeigende Person“ dem Leiter sowie dem Einladenden zur Seite gestellt. Das NdsVersG bleibt damit noch deutlich hinter der älteren Fassung des­ BayVersG zurück. Es ist unübersichtlich gestaltet und insb. bzgl. der Regelungen zur Ordnerablehnung, Teilnahmeuntersagung und Bild- und Tonübertragung und -aufzeichnung nicht zuletzt vor der Rechtsprechung des BVerfG zum BayVersG äußerst fragwürdig. Der niedersächsische Gesetzgeber hat hier zudem versucht, den als fehlend erkannten Gesetzesvorbehalt durch Anknüpfung an das Merkmal der „Friedlichkeit“ zu umgehen, die damit insb. gegenüber dem Begriff der öf­ fentlichen Sicherheit bestehende Unsicherheit jedoch hingenommen. In seiner Gesamtheit orientiert sich das NdsVersG weiter an der Idee der orga­ nisierten Versammlung, kürzt diese aber auf die Funktion des Leiters. Die daraus resultierenden Folgeprobleme, jeweils noch eine „einladende Person“ oder eine „anzeigende Person“ zu haben, hätte sich der Gesetzgeber dabei leicht sparen kön­ nen. Mit der Reduzierung der Zentralgestalt auf die Person des Leiters werden zudem die Aspekte der Planung und Nachbereitung einer Versammlung in den

1137

§ 20 NdsVersG umfasst §§ 23 f., 26 f. VersG in ihren wesentlichen Inhalten.

H. Musterentwürfe und Landesgesetze

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Hintergrund gerückt. Dass dieses wohl auch Wunsch des Gesetzgebers war, zeigt sich an dem lieblosen Satz zur Zusammenarbeit, der zudem die verfassungsrecht­ lichen Pflichten der Behörde nur verkürzt wiedergibt. Das NdsVersG ist damit eher Abwendung von als Fortentwicklung der Orga­ nisationsidee. Die Vorgaben des BVerfG werden nur halbherzig umgesetzt und Chancen auf die Entwicklung des Versammlungsrechts im Sinne einer Schutz-, aber auch Ausgleichsfunktion mit Rechten Dritter vertan. In der Zusammenschau orientiert sich damit auch das NdsVersG an der Idee der organisierten Versamm­ lung, die Anknüpfung ist allerdings deutlich gefahrenabwehrrechtlich und wenig grundrechtsfreundlich. Ein Verzicht auf das eigene Landesversammlungsgesetz wäre damit die bessere Alternative zu seinem Erlass gewesen. 5. Versammlungsfreiheitsgesetz für das Land Schleswig-Holstein Mit dem Versammlungsfreiheitsgesetz (VersFG SH)1138 findet sich nunmehr in Schleswig-Holstein die jüngste Version einer landesrechtlichen Regelung des Ver­ sammlungsrechts. Diese orientiert sich ganz wesentlich, überwiegend wortgleich, am AKE. Im Hinblick auf die hier relevanten Bezüge zur Organisationsidee unter­ scheidet das VersFG SH insb. die fehlende Übernahme der Regelung für den Fall, dass mehrere Personen eine Versammlung veranstalten (§ 5 Abs. 1 S. 2 AKE) so­ wie der Entfall der Regelung zur „Leiterwahl“ (§ 5 Abs.  3 AKE). Auch die be­ hördlichen Ablehnungsrechte für Leiter und Ordner in § 12 AKE fanden keinen Eingang in das Gesetz. Aufgenommen wurde aber die tradierten Regelungen zur Anwesenheit von Polizeibeamten in der Versammlung (§ 23 Abs.  3 S.  3 AKE), die sich nach § 10 S. 2 VersFG SH der Versammlungsleitung zu erkennen zu ge­ ben haben. Entsprechende Auskunftspflichten an die Versammlungsleitung finden sich wie in § 16 Abs. 3 S. 2 AKE nun auch in § 16 Abs. 3 S. 2 VersFG SH. Auf­ genommen wurde über den AKE hinaus der klarstellende Entwurf, das beschrän­ kende Verfügungen und Verbote bei Versammlungen an die Versammlungsleitung zu richten sind, § 20 Abs. 4 S. 2 VersFG SH. Damit teilt das VersFG SH neben der umfassenden Anknüpfung an die Organi­ sationsidee sowohl die gelungenen als auch die weniger gelungenen Regelungen des AKE.1139 Mit den Abweichungen zu diesem, die teils unnötig die Zählung der Normen verschieben, zeigt sich jedoch zugleich auch das Problem aller Muster­ entwürfe, die eben nur so weit eine Vereinheitlichung zulassen, wie die Landes­ gesetzgeber es wünschen. Einen „Flickenteppich“1140 im Versammlungsrecht kön­ nen damit auch sie nicht verhindern. 1138

Versammlungsfreiheitsgesetz für das Land Schleswig-Holstein (VersFG SH) vom 18.06.2015, GVBl. 2015, S. 135. 1139 Dazu bereits Kap. 2 H. I. 3. 1140 Brenneisen/Wilksen/Stark, Die Polizei 2011, 29 (31).

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Kap. 2: Ursprung und Entwicklung der Organisationsidee

III. Zwischenergebnis An Vorschlägen, Wünschen, Ratschlägen und Bestandsaufnahmen zur Gestal­ tung des Versammlungsrechts nach der Föderalismusreform besteht kein Man­ gel.1141 Trotz der vereinheitlichenden Wirkung der Rechtsprechung des BVerfG zu den Kernfragen besteht sowohl zu deren konkreter Ausgestaltung, etwa der De­ finition der Versammlung, des Begriffs der Spontan- und Eilversammlungen, der Rechte und Pflichten der Veranstalter und Leiter, der Kooperation bzw. Zusam­ menarbeit, der Anzeigepflichten und Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbestände, als auch zu den verschiedenen Einzelheiten ein zunehmend unübersichtlicher wer­ dendes Gesamtwerk, das bereits jetzt für die Auswertung der Rechtsprechung und Nutzung vorhandener Literatur eine Synopse voraussetzt, welche aufgrund der verschiedenen Fassungen zudem schwer zu erstellen ist. Die Entwicklung des Ver­ sammlungsrechts geht damit derzeit mit zwar langsamen, aber doch langen Schrit­ ten in Richtung eines an die Zersplitterung des Rechtszustandes vor Erlass des RVG erinnernden Zustandes. Mag dies für die Wissenschaft auch mannigfaltige Forschungsansätze schaffen, so geht das Entstehen der von Kirchmannschen Bibliotheken1142 doch wesentlich zu Lasten derer, die sich in der konkreten Situation mit dem Versammlungsrecht in der praktischen Anwendung befassen müssen. Und das ist eben nicht nur die Poli­ zei, die, sofern ausreichend Zeit zur Betrachtung besteht, auf eigene Juristen zu­ rückgreifen kann, sondern – und insoweit vor der Wertung des Art. 8 Abs. 1 GG weitaus gravierender – der Grundrechtsträger. Dieses trifft dabei sowohl überört­ lich wirkende Veranstalter und Leiter, als auch Teilnehmer, die beispielsweise an einer Demonstration im nur wenige Kilometer entfernten nächsten Bundesland teilnehmen wollen. Der Einzelne muss sich folglich mit verschiedenen Rechts­ grundlagen befassen, die zudem weitgehend auf den Schutz durch die Konkretisie­ rung verwaltungsrechtlicher Pflichten durch Verwaltungsakt verzichten. Aufgrund der nicht unerheblichen Unterschiede in den Landesgesetzen wird sich die Diskussion um die Versammlungsfreiheit noch stärker um die einigenden Momente kümmern müssen, welche die Gesetze durchziehen und verbinden. Hier­ her gehört namentlich auch die Idee der organisierten Versammlung, auch wenn die Anknüpfung an diese nunmehr in ganz unterschiedliche Richtungen zu gehen droht und teils bereits geht. Die Fortentwicklung der Idee der organisierten Ver­ sammlung im Sinne einer Schutz- und Ausgleichsfunktion, so wie sie das BVerfG mehrfach beschrieben hat, kommt dagegen in den aktuellen Landesgesetzen kaum vor. Mit der Anknüpfung an den AKE wurde hier aber zumindest in SchleswigHolstein ein versammlungsfreundlicher Ansatz aufgegriffen. 1141

Statt vieler nur Gusy, RuP 2008, 66 sowie bereits die „Mängelliste“ zum Versammlungs­ recht bei Brenneisen/Dubbert/Schwentuchowski, in: Brenneisen/Dubbert/Schwentuchowski, Ernstfälle, 2003, S. 295 (306); sowie bereits oben H. 1142 von Kirchmann, Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848, S. 23.

Kapitel 3

Bedeutung der Organisationsidee Orientierte sich die Rechtsetzung vom Mittelalter bis zu den Landesversamm­ lungsgesetzen damit wie gezeigt an der Idee der organisierten Versammlung, stel­ len sich damit unter der Geltung des Grundgesetzes für die heutige Zeit zwei Folgefragen. Zum einen die Frage, inwieweit die Anknüpfung an die Organisa­ tionsidee den Versammlungsbegriff und damit den Schutzbereich des Grundrechts geprägt hat. Dazu werden nachfolgend zunächst die zu Grundgesetz und Ver­ sammlungsgesetzen vertretenen Versammlungsbegriffe dargestellt. Zum anderen stellt sich die Frage, inwieweit die an die Organisationsidee anknüpfenden Ord­ nungsvorschriften der Versammlungsgesetze gerechtfertigt sind. Hierfür zentral sind deren Wandel und Bedeutung.

A. Grundgesetzlicher Versammlungsbegriff und Organisationsidee Zur Beantwortung der Frage, welche Bedeutung der Organisationsidee unter dem Grundgesetz zukommt, ist zunächst zu klären, was unter dem Begriff Versamm­ lung verstanden wird. Vor diesem Hintergrund erfolgt sodann die Beurteilung, ob das Merkmal der Organisation Begriffsnotwendigkeit der Versammlung ist.

I. Versammlungskonzepte und Versammlungsbegriffe 1. Der verfassungsrechtliche Versammlungsbegriff „Ueber das Associationsrecht der Menschen im Staate, welches sich auf Umgang, Zusammen­ künfte und Verbindungen unter ihnen […] bezieht, wird die Welt sobald nicht einig werden.“1

Wie Zirkler den Stand der Diskussion um den Versammlungsbegriff2 heute ein­ schätzen würde, kann nur Vermutung bleiben. Doch klar ist, einig sind sich Recht­ 1 Zirkler, Associationsrecht, 1834, S. 1. Zum Versammlungsbegriff bis 1848 kurz Wichardt, Die Rechtsprechung des Königlich-Preußischen Oberverwaltungsgerichts, 1976, S. 25 ff., mit Nachweisen zur Literatur S. 32. 2 Eine hervorragend recherchierte Übersicht bieten Laubinger/Repkewitz, VerwArch 92 (2001), 585, die auch die wirtschaftlichen Aspekte der Qualifizierung einer Veranstaltung als Versammlung herausarbeiten, 610 ff.

232

Kap. 3: Bedeutung der Organisationsidee

sprechung und Lehre trotz eines leitsatzgewordenen Machtwortes aus Karlsruhe auch 200 Jahre nach Zirklers Vermutung nicht. Einigkeit lässt sich nicht in der Frage feststellen, was eine Versammlung ist, sondern allein darin, was sie nicht ist, nämlich bloße Ansammlung oder in den Worten der Zeit Zirklers, bloßes Zusammenlaufen. Insoweit wird Versammlungs­ freiheit wesentlich negativ definiert, wobei als Merkmal zur Abgrenzung jeweils die Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks herangezogen wird.3 Dabei ist die genannte Abgrenzung ihrerseits nicht neu, wie es die verkür­ zend ahistorische Darstellung vieler Quellen vorspielt, sondern taucht bereits im 19. Jahrhundert auf, etwa bei Ball „Unter „Versammlung“ versteht der Sprachgebebrauch im weiteren Sinne jede absichtliche Vereinigung Mehrerer an demselben Orte und zu einem (Allen?) gemeinsamen Zwecke […]“4

oder später bei Arndt „Versammlung verfolgt (als Augenblicksverein) einen gemeinsamen praktischen Zweck im Unterschiede von der formlosen, unverbundenen Menschenmenge.“5

jeweils zur revidierten Preußischen Verfassung. Dieser gemeinsame Zweck fehlt etwa bei „bloßen Ansammlungen oder Volksbelustigungen“.6 So auch bereits Anschütz „Durch ihren Zweck unterscheidet sich die Versammlung von anderen, ihr bisweilen äußer­ lich ähnlichen, unverbundenen Personenmehrheiten. Ein Auflauf auf der Straße, das Ge­ wimmel des Marktes, ein Ball oder anderes Fest, ein Theater- oder Konzertpublikum sind Ansammlungen von Menschen, aber keine Versammlungen […].7

Auch in der Rechtsprechung findet sich bereits früh eine vergleichbare Abgren­ zung. Allerdings stellte das Reichsgericht statt der gemeinsamen Zweckverfol­ gung eher das gemeinsame Wollen i. S. e. „inneren Bandes“ heraus. Nach diesem setzt der Versammlungsbegriff „eine gewisse, nicht allzu klein an Zahl bemessene, äußerlich irgendwie vereinigte Personen­ mehrheit oder Menschenmenge […, welche …] auf gemeinsamen, bewußten Zwecken und Zielen, also auf gemeinsamem Wollen beruht“8 3 Statt aller nur Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 16; kritisch zur Sinnhaftigkeit des Kriteriums der „gemeinsamen Zweckverfolgung“ Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, 1987, Art. 8 Rn. 50 f.; Höfling, in: Sachs, GG, 2014, Art. 8 Rn. 14. Die Einhelligkeit der Auffassung stellt etwa OVG Berlin, NJW 2001, 1740 (1740) fest. 4 Ball, Vereins- und Versammlungs-Recht, 1894, S. 30, der seinerseits bereits auf PrOVGE 18 (1890) 426 verweisen kann. 5 Arndt, Verfassungsurkunde, 1911, S. 146 f. 6 BVerfGE 69, 315 (343); anders Depenheuer, in: Maunz/Dürig, GG, 2006, Art. 8 Rn. 39, 53 f., 128 auch für kommerzielle Veranstaltungen. 7 Anschütz, Verfassungsurkunde, 1912, S. 526 f. m. w. N. 8 RGSt 21, 73; 46, 31; vgl. auch RG, Urt. v. 14.08.1891, GA 39, 206: „äußerliche und inner­ liche Vereinigung mehrerer Menschen“, zustimmend Delius, Das preußische Vereins- und Ver­

A. Grundgesetzlicher Versammlungsbegriff und Organisationsidee 

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voraus. Doch endet mit der Abgrenzung auf das „gemeinsame Wollen“ bzw. die „gemeinsamen Zwecke“ und „Zweckverfolgung“ hier bereits die Einigkeit mit der Anschlussfrage, wie dieser Zweck konkret beschaffen sein muss. An dieser Stelle zeigen sich zugleich die unterschiedlichen Versammlungskonzepte. a) Liberale Auslegung Eine Ansicht, der sog. „weite Versammlungsbegriff“, wurde dabei in jüngerer Zeit stark durch die Altkommentierung Herzogs geprägt, die zumeist mit dem Be­ griff „Pariasituation“ und der „Theorie des letzten Freundes“ vorgebracht wird.9 Das dieser Auslegung des Art.  8 GG zugrundeliegende liberal-abwehrrechtliche Versammlungskonzept versteht die Versammlungsfreiheit weiterhin wesentlich als Freiheit vom Staat, ohne allerdings dessen Bedeutung für Schutz und Ermög­ lichung der Grundrechtsausübung zu übergehen. Dieses Versammlungskonzept überlässt den Grundrechtsträgern die Wahl, zu welchen Zwecken sie ihr Grund­ recht nutzen möchten. So kommen Versammlungen zu privaten und öffentlichen, wirtschaftlichen und ideellen Zwecken ebenso in Betracht wie solche zu religiösen Zwecken oder Ver­ sammlungen mit dem Ziel der Willensbildung und Kundgabe in Gruppenform.10 Die Kommunikation in ihren verschiedensten Formen11 zwischen den Beteilig­ ten, aber auch nach außen kann hier ebenso die „kollektive Meinungskundgabe“ umfassen wie den Versuch, mit kommunikativen Mitteln auf die öffentliche Mei­ nungsbildung einzuwirken.12 Allein erhebt sie dem liberalen Verständnis folgend den Bezug zur Meinungsbildung nicht zum Postulat der Unabdingbarkeit. Unter diesem Aspekt kann man, insb. wenn man die Beteiligung Herzogs be­ achtet, noch einzelne Passagen des Brokdorf-Beschlusses lesen, etwa wenn das BVerfG ausführt, Versammlungsfreiheit sei „Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung“13. Allerdings finden sich bereits hier breite Ausführungen zur demokratischen Bedeutung der Versammlungsfreiheit. Diese Auffassung würde sich dem Vorwurf der Beliebigkeit aussetzen und die Versammlungsfreiheit zu einer bloß kollektiven Fortsetzung der Handlungsfreiheit sammlungsrecht, 1905, S. 80. Ebenso das KG, Johow, Jahrbuch für Entscheidungen des Kam­ mergerichts, Bd. 13 (1893), S. 362. 9 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, 1987, Art. 8 Rn. 4 f. 10 Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 18; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, 1987, Art. 8 Rn. 13; Benda, in: Bonner Kommentar, 1995, Art. 8 Rn. 28; Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2009, § 164 Rn. 17 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 2013, Art. 8 Rn. 26; Ladeur, in: Ridder u. a., Ver­ sammlungsrecht, 1992, Art. 8 Rn. 17. 11 BVerfGE 69, 315 (343). 12 Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 18. 13 BVerfGE 69, 315 (343).

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Kap. 3: Bedeutung der Organisationsidee

des Einzelnen herabstufen, wenn sie nicht die Bedeutung der Kollektivität des Handelns hervorheben würde. Versammlungsfreiheit verbietet eben nicht nur die Vereinzelung des Individuums im Sinne des Ausgeschlossenseins, sondern ermög­ licht eine besondere und andere Handlungsweise, die ohne den anderen gerade durch die Besonderheiten der Kollektivität gar nicht möglich ist. Das gemeinsame Handeln wirkt auf den einzelnen zurück, kann seine Einstellungen und Handlun­ gen verändern.14 Es kann den einzelnen in seinem Denken und Tun bestärken,15 aber bestenfalls auch zur Hinterfragung des eigenen Tuns anregen. Er kann den anderen zu einem Tun „anstecken“ oder selbst angesteckt werden.16 Diese Grup­ pen- oder Massenphänomene17 sind in ihrer rechtlichen Bedeutung bisher eher im Strafrecht18 als im Versammlungsrecht untersucht, ihre Beschreibung gerade für Versammlungen findet sich hingegen bereits zur Zeit der Märzrevolution: „Das Bewußtsein der Gesinnungsgleichheit, das Bewußtsein des vereinten Strebens nach einem und demselben Ziele, die Gewißheit, daß, indem man als Einzelner einen Schritt vor­ wärts setzt auf der betretenen Bahn, Hunderte, ja Tausende eben dasselbe zu thun im Begriff sind, die fortwährende und unmittelbare Wechselwirkung, welche das eine Mitglied auf das andere durch Rede und Beispiel ausübt, Alles dieses ist es, was, indem es die Wirksamkeit des Vereins im Verhältnis zu der relativen Kraft des Einzelnen als solchen unendlich erhöht, gleichzeitig und nothwendig eine gewisse Solidarität des Einen in Beziehung auf das Thun des Anderen begründet.“19

Festgehalten werden kann jedenfalls, dass sie die Besonderheiten der Kollek­ tivität des Handelns20 als Merkmal der Versammlungsfreiheit mitprägen. Und diese Prägung trifft eben nicht nur Versammlungen zu Zwecken der Meinungs­ kundgabe oder einer solchen in öffentlichen Angelegenheiten, sondern auch die Versammlungen zu sonstigen Zwecken. Aus dieser Besonderheit der Kollektivität folgt der Bedarf grundrechtlichen Schutzes, aber in gewissem Umfang – nicht zuletzt wenn das Argument gegenüber der physischen Präsenz zurücktritt21 – eben auch das Bedürfnis bestimmter Maß­ nahmen zu seiner Regelung.22

14

Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 10. BVerfGE 69, 315 (345): „wobei die Teilnehmer einerseits in der Gemeinschaft mit ande­ ren eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren“. 16 Zu dieser Besonderheit Kap. 4 A. III. 17 Dazu aber Kap. 4 A. III. 18 Etwa Roth, Kollektive Gewalt und Strafrecht, 1989, S. 18 ff. 19 N. N., Entwurf einer Denkschrift zu dem Entwurfe eines Unions-Versammlungs- und Ver­ einsgesetzes, S. 237. In diese Richtung auch Häntzschel, Die Verordnungen gegen politische Ausschreitungen, 1931: „der Wille der Versammelten, sich […] gegenseitig geistig zu beein­ flussen“, S. 32. 20 Bzw. für den Vorfeldbereich das Zusammenkommen zu diesem Zweck sowie Organisa­ tionshandlungen in Vorbereitung von Versammlungen. 21 BVerfGE 69, 315 (345). 22 Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 10. 15

A. Grundgesetzlicher Versammlungsbegriff und Organisationsidee 

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b) Demokratisch-funktionalisierende Auslegung Das BVerfG hat sich von diesem weiten Versammlungsbegriff nicht nur distan­ ziert, sondern diesen in aller Deutlichkeit verworfen. „Für die Eröffnung des Schutzbereichs reicht es wegen seines Bezuges auf den Prozess öf­ fentlicher Meinungsbildung nicht aus, dass die Teilnehmer bei einer gemeinschaftlichen kommunikativen Entfaltung durch einen beliebigen Zweck verbunden sind. Vorausgesetzt ist vielmehr zusätzlich, dass die Zusammenkunft auf die Teilhabe an der öffentlichen Mei­ nungsbildung gerichtet ist. Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG sind demnach örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffent­ lichen Meinungsbildung gerichtete Erörterung oder Kundgebung.“23

Diese Aussage war umso deutlicher, als im Konkreten die Ausrichtung der Ver­ sammlung auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung, anders noch als im Loveparade-Beschluss24, gar nicht in Frage stand. Zwar hat das BVerfG in einer späteren Entscheidung auch die kürzere Defini­ tion aus dem Brokdorf-Beschluss „Kennzeichnend für die in Art. 8 GG gewährleistete Versammlungsfreiheit ist das kollektive Element der Grundrechtsausübung, da sie Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunika­ tion angelegter Entfaltung ist.“25

wiederholt, damit jedoch keinen Schritt hinter die Beschränkung auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zurück getan, zumal auch dort bereits die Äußerungen in Richtung eines – sogar politischen – Verständnisses der Versamm­ lungsfreiheit überwogen.26 Im Kammerbeschluss zur Loveparade hatte das BVerfG insofern bereits das Beisammensein zu wesentlich geselligen Zwecken aus dem Schutzbereich aus­ genommen und derartige Zusammenkünfte mit solchen gleichgestellt, bei denen den Anwesenden bereits der verbindende gemeinsame Zweck fehlt, sowie für den Begriff der Versammlung nach Art. 8 GG festgestellt: „Volksfeste und Vergnügungsveranstaltungen fallen unter ihn ebenso wenig wie Veranstal­ tungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen oder die als eine auf Spaß und Unterhaltung ausgerichtete öffentliche Massenparty gedacht sind […]“27.

Doch ist auch diese Eingrenzung keineswegs neu entwickelt worden, sondern fin­ det sich bereits zu Art. 29 der revidierten Preußischen Verfassung: 23 BVerfGE 104, 92 (104); wiederholt in BVerfGE 111, 147 (154 f.); zuvor bereits BVerfG, NJW 2001, 2459 (2460) „Loveparade“ und BVerfG, DVBl. 2001, 901 f. „Bürgerfragestunde“. 24 BVerfG, NJW 2001, 2459 (1. Kammer des Ersten Senats). 25 BVerfGE 122, 342 (355), im Anschluss an BVerfGE 69, 315 (343). 26 Zur kollektiven Meinungskundgabe dort BVerfGE 69, 315 (344 f.); eine die heutige Auf­ fassung des Gerichts vorbereitende Erklärung auch ebd., S. 356 und 358. 27 BVerfG, NJW 2001, 2459 (2460). Zu „Tanzlustbarkeiten“ bereits PrOVG 18, 422; RGSt (1913) 47, 389 (392) zum RVG.

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Kap. 3: Bedeutung der Organisationsidee

„‚Versammlung‘ […] im engeren Sinne [ist] jede solche Vereinigung, deren Zweck nicht bloße Geselligkeit ist. Art 29 hat nur diesen engeren Sinn im Auge […].“28

Auch die spätere Rechtsprechung zum RVG grenzt zumindest rein gesellige Zwecke aus.29 Folge dieser Auffassung für die preußische Verfassung war eine Ver­ engung des Grundrechtsschutzes, während einfachgesetzlich über einen weiteren Versammlungsbegriff Einschränkungen möglich blieben.30 Seine Aufnahme in die jüngere Rechtsprechung hat dieses Versammlungskon­ zept Hoffmann-Riem zu verdanken, der nicht nur Mitglied der beschlussfassenden 1. Kammer des Ersten Senats im Loveparade-Beschluss war, sondern zudem das Versammlungsrecht zu seinem Dezernat zählen konnte.31 Die nahezu Wortlaut­ gleichheit zwischen den Kammerbeschlüssen und seiner Kommentierung ist da­ bei nicht zu übersehen.32 Diesem Verständnis hat sich schließlich auch der Senat angeschlossen. Hintergrund dieses „engen“ Versammlungsbegriffs ist die demokratisch-funk­ tionalisierende Auslegung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit, die die­ sem eine Vielzahl von Funktionen zumisst. Dieses könne als „Ausdruck der Volks­ souveränität und demgemäß als Bürgerrecht zur aktiven Teilnahme am politischen Prozess“ verstanden werden.33 Für die Versammlungsfreiheit könne „nichts grund­ sätzlich anderes gelten“ als für die Meinungsfreiheit, die „als freie politische

28

Ball, Vereins- und Versammlungs-Recht, 1894, S.  30. Ball kann sich dabei seinerseits bereits auf die Rechtsprechung stützen, etwa PrOVGE 18, 422 (426). Begrenzt auf den Aus­ schluss von „Lustbarkeiten“ aus gewerberechtlichen Überlegungen noch PrOVGE 11, 389 (391), das im Übrigen von einem weiten Begriff für Verfassung wie VO 1850 ausgeht. Später auch PrOVGE 56, 299 zum RVG, allerdings explizit zu „politischen Versammlungen“. 29 PrOVGE 56, 299; Häntzschel, Die Verordnungen gegen politische Ausschreitungen, 1931, S. 32. 30 Zu einem übereinstimmenden Begriffsverständnis RGSt 47, 389. 31 Geschäftsverteilungsplan des BVerfG für das Geschäftsjahr 2001, NJW, Beilage zu Heft 21/2001, S. 6. 32 Versammlungen sind „örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zum Zwecke ge­ meinsamer Erörterung und Kundgebung in Angelegenheiten, die zur öffentlichen Meinungs­ bildung bestimmt und geeignet sind“, BVerfG, DVBl. 2001, 901 f. bzw. „örtliche Zusammen­ künfte mehrerer Personen zwecks gemeinschaftlicher Erörterung und Kundgebung mit dem Ziel der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung“, BVerfG, NJW 2001, 2459 (2460) einerseits und Versammlungen sind „örtliche Zusammenkünfte von mindestens drei Personen zum Zwecke gemeinschaftlicher kommunikativer Erörterung oder Kundgebung in Angelegen­ heiten, die zur öffentlichen Meinungsbildung bestimmt und geeignet sind“, Hoffmann-Riem, in:­ Denninger u. a., AK-GG, 2001, Art. 8 Rn. 15. 33 BVerfGE 69, 315 (344) f. unter Verweis auf Quilischs, Die demokratische Versammlung, 1970, S.  36 ff. Ausführungen zum „anglo-amerikanischen Rechtskreis“. Einem solchen Ver­ sammlungskonzept ist Anschütz bereits unter Geltung der Reichsverfassung entgegengetreten: „Dieses Recht ist auf Abwehr staatlicher Eingriffe in die persönliche Freiheit, nicht aber auf Anteilnahme an der Bildung des Staatswillens gerichtet, es hat also mit den staatsbürgerlichen oder politischen Rechten nicht das mindeste zu tun […]“, Anschütz, Verfassungsurkunde, 1912, S. 526 f.

A. Grundgesetzlicher Versammlungsbegriff und Organisationsidee 

237

Rede“ mit Hong gesprochen „Gravitationszentrum des Grundrechts“ sei34 und wel­ che „seit langem zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens gezählt“ werde.35 Wobei „das Recht des Bür­ gers auf Teilhabe an der politischen Willensbildung“ sich „nicht nur in der Stimm­ abgabe bei Wahlen“ äußere, „sondern auch in der Einflußnahme auf den ständigen Prozeß der politischen Meinungsbildung“.36 Während in diesem Prozess „große Verbände, finanzstarke Geldgeber oder Massenmedien […] beträchtliche Einflüsse ausüben“, erlebe sich „der Staatsbürger eher als ohnmächtig“.37 Zudem sei der „di­ rekte Zugang zu den Medien und die Chance, sich durch sie zu äußern, auf wenige beschränkt“, sodass dem Einzelnen – neben der Mitwirkung in Parteien o. ä. – „im allgemeinen nur eine kollektive Einflußnahme durch Inanspruchnahme der Ver­ sammlungsfreiheit“ bliebe.38 Die Versammlungsfreiheit enthalte „ein Stück ur­ sprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie“, welches geeignet sei, „den politischen Betrieb vor Erstarrung […] zu bewahren“, was ihr namentlich für „De­ mokratien mit parlamentarischem Repräsentativsystem und geringen plebiszitären Elementen“ den Status des bereits genannten „grundlegenden und unentbehrlichen Funktionselementes“ verleihe.39 Sie gestatte schließlich „unzufriedenen“ Personen „Unmut und Kritik öffentlich vorzubringen und abzuarbeiten“ und „fungiere als notwendige Bedingung eines politischen Frühwarnsystems“.40 Es mag dahingestellt bleiben, ob dieses stets mit bedeutungsschweren Worten und großem Pathos vorgetragene demokratisch-funktionale Verständnis jemals zu­ treffend war oder lediglich eine „Überinterpretation“41 darstellt. Denn anders als noch im Lüth-Urteil42 führt die demokratische Funktionalisie­ rung hier nicht zu einer Ausweitung des Grundrechtsschutzes, sondern zur Be­ grenzung seines Schutzbereichs.43 Durch die besondere Bedeutung eines Grund­ rechts für die Demokratie können sich aber lediglich höhere Schranken für Eingriffe, stärkere Schutzpflichten oder ein größerer Berücksichtigungsumfang in­ 34 Hong, in: Rensen/Brink, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2009, S. 157. 35 BVerfGE 69, 315 (344). 36 BVerfGE 69, 315 (346) im Anschluss an BVerfGE 20, 56 (98 f.). 37 BVerfGE 69, 315 (346). 38 BVerfGE 69, 315 (346). Hinsichtlich des Wandels der Medienlandschaft ist fraglich, ob dieses Argument heute noch in vollem Umfang zutrifft. 39 BVerfGE 69, 315 (347). 40 BVerfGE 69, 315 (374), zum Ganzen auch Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 11. 41 Höfling/Augsberg, ZG 2006, 151; zur Kritik Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 12 f.; Kersten, Rechtswissenschaft 2012, 249 (273); Höfling, in: Sachs, GG, 2014, Art.  8 Rn.  159; Tschentscher, NVwZ 2001, 1243 (1244 f.). Derartige demokratische Funktionalisierungen der Grundrechte sind bereits deutlich vor dem Brokdorf-Beschluss zu Recht kritisiert worden, etwa Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1534 f.); auch Ossenbühl, NJW 1976, 2100 (2103). 42 BVerfGE 7, 198 (208 ff.). 43 Ebenso Depenheuer, in: Maunz/Dürig, GG, 2006, Art. 8 Rn. 50.

238

Kap. 3: Bedeutung der Organisationsidee

gegebenenfalls notwendigen Ausgleichsentscheidungen ergeben, nicht hingegen ein Ausschluss anderer Grundrechtswahrnehmung aus dem Schutzbereich. Weiter überzeugt nicht, warum die Versammlungsfreiheit einerseits zum Mittel der Meinungsfreiheit gemacht wird, andererseits aber deren Schutzbereichsoffen­ heit bis hin zur „bloßen Unterhaltung“44 nicht teilen soll. Auch der Verweis auf die „historische Gefährdungslage“45, der angeblich nur „po­ litische“, also auf die öffentliche Meinungsbildung ausgerichtete Versammlun­ gen ausgesetzt waren, kann vor der Gesetzgebungsgeschichte, die jedenfalls für Versammlungen unter freiem Himmel einen viel weiteren Begriff nutzte, nicht überzeugen.46 Dieses verengende Begriffsverständnis der grundgesetzlichen Versammlungs­ freiheit ist umso bitterer, als sich neben der nicht ausreichenden Begründung auch praktisch nicht unerhebliche Folgen ergeben. Will sich etwa der Veranstalter den Grundrechtsschutz seiner Versammlung nicht nehmen lassen, dürften Meinungsäußerungen nicht nur „bei […] Gelegenheit“ einer Veranstaltung erfolgen und folglich weitere, ggf. überlagernde Elemente des Zusammenkommens, etwa Musik und Tanz, nur als „Mittel zur kommunikativen Entfaltung mit dem Ziel eingesetzt werden, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken“47.

Der Veranstalter hat sich also in der Wahl der Mittel zur Erreichung seines Ver­ sammlungszwecks bereits deshalb selbst zu beschränken, um nicht den Grund­ rechtsschutz von vornherein zu verlieren. Die hierdurch herausgeforderten Abgrenzungsschwierigkeiten versucht das BVerfG dahingehend zu lösen, dass auf das „Gesamtgepräge“ der Veranstaltung abzustellen sei und im Zweifel der „hohe Rang der Versammlungsfreiheit“ be­ wirke, „dass die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt wird“48 – also die Schutzbereichseröffnung dahinsteht, aber das Grundrecht dennoch Anwendung findet. Dem stehe auch nicht entgegen, „dass die Beteiligten berechtigt sind, selbst darüber zu bestimmen, was sie zum Gegenstand öffentlicher Meinungsbildung machen und welcher Formen der kommunikativen Einwir­ kung sie sich bedienen wollen“,

denn die „rechtliche Einordnung dieses Verhaltens als Versammlung […] steht den dazu berufenen Gerichten zu.“ 44

BVerfGE 101, 361 (389 f.). Etwa Bertuleit/Steinmeier, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, § 1 Rn. 12. 46 Vgl. dazu Kap. 2 A.-E. 47 BVerfG, NJW 2001, 2459 (2460). 48 BVerfG, NJW 2001, 2459 (2461). 45

A. Grundgesetzlicher Versammlungsbegriff und Organisationsidee 

239

Noch darüber hinaus geht das OVG Berlin, das dem Veranstalter auferlegt, dar­ zulegen, mit welchen Maßnahmen er „sichergestellt hat, dass die erwarteten Mitwirkenden nicht […] in erster Linie zur Werbung für ihre eigenen Zwecke an dem Umzug teilnehmen werden“49.

Damit wird der Veranstalter dazu gezwungen, nicht nur sich selbst zu beschrän­ ken, sondern auch noch Gefährdungen, die der Einordnung seiner Versamm­ lung unter den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit durch Dritte drohen, abzuwehren. Ob sich die etwas weitere Auffassung, Versammlungsfreiheit sei „Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe“50 bzw. Erörterung auch in anderen als öffentlichen Angelegenheiten51 und nicht nur zur Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbil­ dung, nach den neueren Entscheidungen des BVerfG halten wird, ist fraglich.52 Insoweit diese von der Rechtsprechung vertreten wurde,53 ist bereits nicht klar, ob der Verzicht auf die Erwähnung öffentlicher Angelegenheiten jeweils tatsäch­ lich als Erweiterung gemeint war oder lediglich aus Unerheblichkeit im konkreten Fall ausgelassen wurde. Überdies kann diese Auffassung, die die Versammlungs­ freiheit zu einer bloßen Fortsetzung der Meinungskundgabe oder Erörterung mit­ anderen reduziert, nicht einmal die Argumentation der demokratisch-funktionali­ sierenden Auslegung für sich in Anspruch nehmen.54

49

OVG Berlin, NJW 2001, 1740 (1741), zu einer als Versammlung angemeldeten „Weih­ nachtsparade“ die nach ihrem „Gesamteindruck […] vom kommerziellen Zweck beherrscht“ sei. 50 BVerfGE 69, 315 (345). 51 Eine solche Begrenzung auf die Erörterung „irgendwelcher Angelegenheiten“ wurde etwa durch das Preußische Innenministerium vertreten, Erlass vom 10.10.1923, PrMBl. 1923, S. 1024: „Eine Versammlung (…) ist die Zusammenfassung einer größeren Zahl von Personen, die mit dem Ziele geschieht, diese Personen über irgendwelche Angelegenheiten durch Red­ ner unterrichten zu lassen oder mit ihnen solche zu beraten oder zu erörtern. Z. B. sind Kir­ mesfeiern, Gartenkonzerte und dergleichen im Allgemeinen keine Versammlungen, da bei ihnen weder Ansprachen noch Beratungen und Erörterungen über bestimmte Angelegen­ heiten stattzufinden pflegen. Bei künstlerischen Veranstaltungen wird der Inhalt der Darbie­ tung Beachtung finden müssen. Dagegen sind Denkmalseinweihungen, Fahnenweihen, Ge­ dächtnisfeiern und dergleichen im Hinblick auf die Ansprachen fraglos als Versammlungen anzusehen.“ 52 Kritisch bereits Ladeur, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Art.  8 Rn.  12: Ver­ sammlung sei weder „bloßer Modus der Mitteilung von Meinungen noch eine Form der Prä­ sentation des Volkes“. 53 Nachweise bei Laubinger/Repkewitz, VerwArch 92 (2001), 585. 54 Für die EMRK hingegen ist dieses die vorherrschende Auslegung, Ripke, Europäische Versammlungsfreiheit, 2012, S. 187 ff. (188) m. w. N., was allerdings auch dort nicht unbestrit­ ten ist, ebd., S. 188 f. Eine Beschränkung auf politische Inhalte scheidet für die EMRK aus, ebd., S. 191 m. w. N.

240

Kap. 3: Bedeutung der Organisationsidee

2. Der Versammlungsbegriff des VersG „Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, den Begriff der Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes in Anlehnung an den verfassungsrechtlichen Versammlungsbegriff zu deuten.“55

Indem das BVerfG es zuließ, den Versammlungsbegriff des VersG „in Anleh­ nung“ an den Versammlungsbegriff des GG zu deuten, verschloss es sich zu­ gleich nicht einer abweichenden Auffassung. Denn zum einen bedeutet „Anleh­ nung“ eben nicht Gleichheit, zum anderen lässt die Einordnung einer Auffassung als „nicht zu beanstanden“ Raum für andere Auffassungen, da über diese insoweit nicht der Stab gebrochen wird. Ganz entsprechend war bereits zuvor in der Literatur der Versammlungsbegriff des VersG teils als mit dem grundgesetzlichen deckungsgleich, teils als abwei­ chend bezeichnet worden. Wird die Gleichheit postuliert, beruht dieses jeweils auf der Feststellung, das VersG sei ein Ausführungsgesetz zu Art. 8 GG, was für die Begriffsgleichheit spreche.56 Dagegen sprechen aber folgende Aspekte. Zunächst ist bereits der Anwendungsbereich des VersG und des Schutzbereiches des GG unterschiedlich.57 Während Art. 8 Abs. 1 GG den Schutzbereich nur für Deutsche eröffnet, ist die einfachrechtliche Garantie der Versammlungsfreiheit in § 1 Abs. 1 VersG auf Jedermann erweitert. Allerdings zieht § 1 Abs. 2 VersG den Anwendungsbereich enger als Art. 8 Abs. 1 GG. Das VersG ist weiter nur auf öffentliche Versammlungen anwendbar, während Art. 8 sowohl öffentliche, als auch nicht-öffentliche Versammlungen erfasst. Ver­ sammlung i. S. d. VersG ist darüber hinaus auch eine bewaffnete und selbst eine unfriedliche Versammlung, während diese vom Schutz, nicht aber vom Rege­ lungsbereich des Art.  8 Abs.  1 GG bereits ausgeschlossen ist. Darüber hinaus trifft das VersG auch Regelungen, welche das Be- oder Entstehen einer Versamm­ lung gar nicht voraussetzten, um anwendbar zu sein, etwa das Uniformverbot des § 3 VersG. Überdies muss das VersG seiner Zielsetzung nach auch gar nicht alle Arten des verfassungsrechtlich geschützten Zusammenkommens von Menschen zur gemein­ samen Zweckverfolgung regeln, vielmehr würde die Anwendbarkeit der Bestim­ mungen des VersG auf alle grundgesetzlich geschützten Versammlungsformen weitere Fragen der Rechtfertigung eingreifender Regelungen nach sich ziehen. Folgt hieraus, dass der Versammlungsbegriff des VersG mit dem des GG nicht de­ ckungsgleich ist bzw. jedenfalls nicht sein muss, stellt sich die Frage nach ­dessen

55

BVerfG, NJW 2001, 1459 (1460). Etwa Laubinger/Repkewitz, VerwArch 92 (2001), 585 (612 ff.). 57 Zum Unterschied von Schutz- und Regelungsbereich in Art. 8 GG Gusy, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 14. 56

A. Grundgesetzlicher Versammlungsbegriff und Organisationsidee 

241

Inhalt. Auf eine Definition des Begriffes wurde im Versammlungsgesetz, wie be­ reits im RVG, verzichtet. Diese sollte der Rechtspraxis überlassen bleiben.58 Hin­ tergrund war jeweils, dass man keinen Ansatzpunkt für Umgehungen schaffen wollte.59 Wo sich die Rechtsprechung zum VersG überhaupt einmal mit dem Versamm­ lungsbegriff des VersG auseinandersetzte, legte sie ihn entsprechend eng aus, etwa das OLG Hamburg, welches ausführte, Versammlung sei „das Zusammensein und Zusammenhalten von mindestens drei Personen […], die sich zu­ sammengefunden haben an einem gemeinsamen Ort zu einem gemeinsamen, nicht nur zu­ fälligen, gleichartigen Zweck, öffentliche Angelegenheiten zu erörtern oder eine gemein­ same Kundgebung zu veranstalten“60.

Ganz ähnlich sei, nach dem BayObLG, eine Versammlung nach dem VersG „das Zusammenkommen mehrerer Personen […], die sich an einem gemeinsamen Ort zu einem gemeinsamen, nicht nur zufälligen, gleichartigen Zweck zusammenfinden, der ent­ weder in der Erörterung öffentlicher Angelegenheiten oder in der Veranstaltung einer ge­ meinsamen Kundgebung zu öffentlichen Angelegenheiten unter Einwirkung auf die Öffent­ lichkeit besteht“61.

Teils wurde auch der Begriff der „Öffentlichkeit“ einer Versammlung i. S. d. VersG dahingehend verstanden, dass dieser nur solche Versammlungen „zu dem Zweck, öffentliche Angelegenheiten gemeinsam zu erörtern oder eine gemeinsame Kundgebung zu veranstalten“

umfasse.62 Diese Auffassung des Begriffs der Öffentlichkeit einer Versammlung hat sich jedoch nicht durchgesetzt.63 Die Begriffsbestimmung kann aber nicht nur über das Verständnis der Recht­ sprechung, sondern auch über den § 17 VersG bzw. seine Entstehungsgeschichte erfolgen.

58

Vgl. Kap. 2 F. IV. Vgl. bereits Kap. 2 C. IV. 60 GA 1965, 155, im Anschluss an Füßlein, Versammlungsgesetz, 1954, § 1 Rn. 3a; zustim­ mend BayObLG, NJW 1970, 479 (48). 61 BayObLG, NJW 1979, 1895 (1895) mit umfassenden Nachweisen zum Stand der Diskus­ sion um den Versammlungsbegriff bis Anfang 1979. 62 Im konkreten Fall wurde dieses bereits in § 1 VersG genannte Merkmal für § 14 VersG angewandt, von Mangoldt, in: von Mangoldt/Klein, GG, 1957, Art.  8 Anm.  III 2.  So noch BVerwGE 26, 135 – juris-Rn. 24. Diese Auslegung des Begriffs der Öffentlichkeit steht in Ver­ bindung mit § 5 RVG („öffentliche Versammlung zur Erörterung politischer Angelegenheiten (politische Versammlung)“), doch wurde die „Öffentlichkeit“ auch dort bereits der heutigen Meinung entsprechend aufgefasst, etwa Delius, Deutsches Vereinsrecht und Versammlungs­ recht, 1908, S. 315 f. u. S. 415: Öffentlichkeit liege vor, wen eine „unbestimmte Menschen­ menge […] sich versammeln soll“. 63 Heute etwa Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 2011, § 1 Rn. 201 f. 59

242

Kap. 3: Bedeutung der Organisationsidee

Nach § 17 VersG gelten die §§ 14–16 VersG nicht für „Gottesdienste unter freiem Himmel, kirchliche Prozessionen, Bittgänge und Wallfahrten, gewöhnliche Leichenbegängnisse, Züge von Hochzeitsgesellschaften und hergebrachte Volksfeste“.

Werden somit bestimmte Veranstaltungen von den Regelungen für Versamm­ lungen unter freiem Himmel ausgenommen, könnte man zunächst schließen, dass §§ 14–16 VersG grundsätzlich für diese gelten müssten, diese also Versammlungen seien, da sich ansonsten eine Ausnahme erübrige. Dieses spräche für einen wei­ ten Versammlungsbegriff des VersG. Dieses setzt aber weiter voraus, dass man in § 17 VersG ein „nur“ hineinliest, welches man an den Satzanfang stellt. Dieses­ widerspräche aber der Entstehungsgeschichte der Norm. § 10 VO 1850 bestimmte: „Gewöhnliche Leichenbegängnisse, sowie Züge der Hochzeitsversammlungen, wo diese hergebracht sind, kirchliche Prozessionen, Wallfahrten und Bittgänge, wenn sie in der her­ gebrachten Art statt finden, bedürfen einer vorgängigen Genehmigung und selbst einer ­Anzeige nicht.“

Diese Bestimmungen standen vor dem Hintergrund eines weiten Versamm­ lungsbegriffs, der sich eher an den der Vorgängerregelungen orientierte und jedes Zusammenkommen erfasste, um dann für besondere Versammlungen, nämlich solche, in welchen öffentliche Angelegenheiten erörtert wurden, besondere Ver­ pflichtungen festzuschreiben und andere auszunehmen  – neben den genannten etwa auch die Versammlungen, welche durch „die gesetzlichen Autoritäten“ an­ geordnet waren, sowie die Versammlungen der Mitglieder der Kammern (§ 21 VO 1850). Die Regelung des § 10 VO 1850 bezog sich dabei auf § 9 VO 1850, der für alle öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel eine Genehmigungspflicht aufstellte.64 Eine entsprechende Regelung fand sich in § 9 RVG, „[…] Gewöhnliche Leichenbegängnisse sowie Züge der Hochzeitsgesellschaften, wo sie hergebracht sind, bedürfen der Anzeige oder Genehmigung nicht. […]“,

die auf die Genehmigungspflicht des § 7 RVG für alle Versammlungen unter freiem Himmel zielte. Allerdings wurde hier bereits ein langsamer Wandel des Begriffsverständnisses merkbar, indem nunmehr statt von „Hochzeitsversamm­ lungen“ von „Hochzeitsgesellschaften“ gesprochen wurde. Der Grund dafür, dass man diese Versammlungen von den weitergehenden Pflichten ausnahm, mag darin zu finden sein, dass sie als weniger gefährlich für die öffentliche Ordnung und­ Sicherheit gesehen wurden.65 64

Die Aufnahme der Unnötigkeit einer Anzeige bezieht sich auf das „Weniger“ der Anzeige, wie sie in § 1 VO 1850 für Versammlungen, in welchen öffentliche Angelegenheiten erörtert oder beraten werden sollten, vorgesehen war zum „Mehr“ der Genehmigung. 65 So auch Offczors, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, § 17 Rn. 4.

A. Grundgesetzlicher Versammlungsbegriff und Organisationsidee 

243

Im Gesetzgebungsverfahren zum VersG erklärte Berichterstatter Becker: „Die üblichen Ausnahmen, daß für kirchliche Prozessionen, Bittgänge und Wallfahrten, ge­ wöhnliche Leichenbegängnisse, Züge von Hochzeitsgesellschaften und hergebrachte Volks­ feste diese Bestimmungen nicht gelten, sind aufrecht erhalten.“66

So könnte auch hier wieder von einem weiten Versammlungsbegriff ausgegan­ gen werden, allein spricht die übrige Gesetzgebungsgeschichte des VersG sowie die Systematik des Gesetzes dagegen. Das VersG ist seiner ganzen Entstehungs­ geschichte nach ein Schutzgesetz von und für politische Versammlungen, es sollte „Spielregeln“ für diese festlegen und Saalschlachten verhindern.67 Der ehemals weite Versammlungsbegriff,68 wie ihn die Vorgängernormen festgelegt hatten und welchen die Rechtsprechung im Interesse der Erweiterung der Strafbarkeit stets weiter gefasst hatte,69 spielte bei der Entstehung des VersG keine Rolle mehr. Ebenso widerspricht es seinem Regelungskonzept. So ist die Vorstellung, etwa eine Pilgergruppe auf Wallfahrt müsste einen Lei­ ter stellen und ihren Aufzug anmelden, vor dem Hintergrund der Entstehung des VersG völlig unpassend, ebenso die Frage, wer bei einer Hochzeitsgesellschaft der Leiter sei. Und die Vorstellung, dass der Karnevalsprinz für den Ausschluss des die „ordnungsgemäße Durchführung“ des Rosenmontagszuges störenden Teil­ nehmers zu sorgen habe, ist eher komisch als sinnvoll. Derartige Veranstaltun­ gen unterfallen demnach bereits nicht dem Versammlungsbegriff des VersG. § 17 VersG ist folglich nur noch eine deklaratorische Klarstellung, nicht aber eine Aus­ nahme.70 Ganz entsprechend ist die Wendung „sonstige öffentliche Veranstaltun­ gen“ im später eingefügten § 17a Abs. 1 VersG zu verstehen. Für den Versammlungsbegriff des VersG gilt daher der Begriff, den das BVerfG für den Versammlungsbegriff des Art.  8 GG annimmt. Insoweit liegt seitens des BVerfG und der ihm folgenden herrschenden Meinung eine „Verwechse­ lung des verfassungsrechtlichen mit dem verwaltungsrechtlichen Versammlungs­ begriff“71 vor, der seinen Ursprung zwischen den Konfliktlagen der verschiede­ nen Entwicklungsstufen der Versammlungsrealität und den Rechtsfragen von Sondernutzungsgebühren in der demokratisch-funktionalisierenden Auslegung verdeckt.

66

Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. LP, 220. Sitzung am 26.06.1952, S. 9736. Vgl. Kap. 2 F. V. 68 Das galt durchaus auch für den verfassungsrechtlichen Begriff, etwa Simson, Verhandlun­ gen der Zweiten Kammer, 31. Sitzung am 12.10.1849, S. 631 zu Art. 27 Abs. 1 der oktroyier­ ten Preußischen Verfassung (Revisionsverfahren): „weil man sich wohl Versammlungen ohne allen Zweck denken kann, als den des Beisammenseins, aber nicht dergleichen Gesellschaften oder Vereine“. 69 Vgl. Kap. 2 C. VII. 70 Ebenso Werner, Formelle und materielle Versammlungsrechtswidrigkeit, S. 61–63 m. w. N. auch zur Gegenansicht. 71 Zitat bei Depenheuer, in: Maunz/Dürig, GG, 2006, Art. 8 Rn. 52. 67

244

Kap. 3: Bedeutung der Organisationsidee

Die Begriffsentwicklung ist hier schlicht vom einfachen Recht zum Verfas­ sungsrecht vorgenommen worden. Doch ist „Verwaltungsrecht konkretisiertes Ver­ fassungsrecht“,72 nicht andersherum. Insoweit muss sich der „enge Versammlungs­ begriff“ auch der Kritik Ridders stellen, dieses Verständnis, verbunden mit dem Postulat der Gleichheit der Versammlungsbegriffe in VersG und GG, „[…] könnte doch darauf hindeuten, daß die Begrifflichkeit des Grundrechts (und seiner Vorläufer) von der Begrifflichkeit des VersG (und seiner Vorläufer) mindestens stark beein­ flußt ist; sollte dieses einfache Gesetzesrecht gar die Henne und jenes Grundrecht der hoch­ gepriesenen Versammlungsfreiheit ihr Ei sein?“73

3. Die Versammlungsbegriffe der Landesgesetze und Musterentwürfe Die Landesversammlungsgesetze und Musterentwürfe haben die Definition, welche das BVerfG der Versammlung zugrunde legt, als einfachrechtliche Be­ stimmung übernommen, zumeist mit dem Zusatz „im Sinne dieses Gesetzes“. Diese einfachrechtliche Bestimmung ist für den verfassungsrechtlichen Begriff nicht von Bedeutung. Sie erlangt allerdings Bedeutung für die Abgrenzung von sonstigen Gesetzen, die den Begriff der Versammlung weiter fassen als die Ver­ sammlungsgesetze und Musterentwürfe.74 Mit der Festschreibung des „engen“ Versammlungsbegriffs für die Versammlungsgesetze wird damit gleichzeitig die Auslegung des VersG bestätigt und fortgeschrieben.75 Führt man sich die Defini­ tion des BVerfG zu Art. 8 GG, „Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG sind demnach örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung ge­ richtete Erörterung oder Kundgebung.“,

nochmals vor Augen, verschwinden die Unterschiede beinah.76 § 2 Abs. 1 BLE/§ 2 Abs. 1 GdPE „Eine Versammlung im Sinne dieses Gesetzes ist eine ortsfeste oder sich fortbewegende Zu­ sammenkunft von mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.“ Art. 2 Abs. 1 BayVersG „Eine Versammlung ist eine Zusammenkunft von mindestens zwei Personen zur gemein­ schaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichte­ ten Erörterung oder Kundgebung.“ 72

Werner, DVBl. 1959, 527 (527). Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Geschichtliche Einleitung Rn. 1. 74 Etwa die, teils bereits in die Bauordnungen überführten, Versammlungsstättenverordnun­ gen der Länder. 75 Zum Versammlungsbegriff des VersG vgl. Kap. 3 A. I. 2. 76 Die Unterschiede sind nachfolgend jeweils hervorgehoben. 73

A. Grundgesetzlicher Versammlungsbegriff und Organisationsidee 

245

§ 1 Abs. 3 S. 1 SächsVersG/§ 2 Abs. 1 S. 1 AKE „Versammlung im Sinne dieses Gesetzes ist eine örtliche Zusammenkunft von mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.“ § 2 NdsVersG „Eine Versammlung im Sinne dieses Gesetzes ist eine ortsfeste oder sich fortbewegende Zu­ sammenkunft von mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.“

Lässt man dabei die gesonderte Aufführung von ortsfesten und sich fortbewegen­ den Versammlungen außer Acht, zumal das BVerfG beide als Versammlung i. S. d. Art. 8 GG versteht, ist der einzige Unterschied die Festlegung einer Mindestper­ sonenzahl, auf die das BVerfG bis dato verzichtet hat. Diese liegt dabei in den Ver­ sammlungsgesetzen auch unter der von Hoffmann-Riem mit wenig überzeugender Argumentation77 vorgenommenen Festsetzung einer Mindestanzahl von drei Per­ sonen, die sich insoweit weder in der Kammer noch im Senat durchsetzen konnte.78 Die Ergänzung des Wortes „überwiegend“ entspricht der Rechtsprechung zum „Ge­ samtgepräge“ einer Versammlung, die über die Eröffnung des Schutzbereichs des Art.  8 GG entscheiden soll. Seine Bedeutung für den einfachrechtlichen Begriff ergibt sich besonders aus der zunehmenden Eventisierung79 von Versammlungen.

II. Organisation als Begriffsnotwendigkeit? Vergleicht man die dargestellten verschiedenen Versammlungsbegriffe vor dem Hintergrund der Entwicklung des Versammlungsgeschehens sowie der Versamm­ lungsgesetzgebung fällt ein Punkt besonders auf, nämlich das Fehlen einer Bezug­ nahme in den verschiedenen Definitionen auf die Idee der organisierten Versamm­ lung. Es stellt sich daher die Frage, ob vor dem Hintergrund der steten Anknüpfung an die Idee der organisierten Versammlung das Merkmal des Vorhandenseins einer planenden und lenkenden Zentralgestalt i. S. d. Organisationsidee nicht selbst Begriffsmerkmal der Versammlungsfreiheit ist. 77 Hoffmann-Riem, in: Denninger u. a., AK-GG, 2001, Art. 8 Rn. 18. Hoffmann-Riem argu­ mentiert hier von den Beschränkungen des VersG auf den Begriff des GG, was bereits bedenk­ lich ist. Die Schlussfolgerung, es sei für zwei Personen verfassungswidrig einen Leiter zu for­ dern, aber für drei Personen nicht, ist zudem zweifelhaft. Ein möglicher Weg wäre hier die Argumentation mit den Besonderheiten kollektiven Verhaltens, insb. des wechselseitigen Auf­ einandereinwirkens, das bei zwei Personen völlig anders abläuft als in noch so kleinen Gruppen. 78 Zwar kam es auf eine Mindestzahl der Teilnehmer in den Entscheidungen jeweils nicht an, und brauchte diese so nicht entschieden zu werden. Gleiches gilt aber zumindest für den Se­ natsbeschluss BVerfGE 104, 92 (104) auch für den Versammlungsbegriff des GG bzw. konkre­ ter seinen vermeintlichen Bezug zum Prozess der öffentlichen Meinungsbildung. 79 Diese ist eine Folge des Versuchs, sowohl Teilnehmer als auch mediale Aufmerksamkeit in einer Konkurrenzsituation verschiedener Angebote zu erhalten, dazu Wehowsky, in: Betz/Hitz­ ler/Pfadenhauer, Urbane Events, 2011, S. 160 ff.

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Kap. 3: Bedeutung der Organisationsidee

1. Rechtshistorische Betrachtung Während in Kap.  2 belegt werden konnte, dass sich die Versammlungsrecht­ setzung seit ihren frühsten Entwicklungsstufen zu jeder Zeit und in steigendem Maße an der Idee der organisierten Versammlung orientierte, fällt die Beurteilung, ob das Vorhandensein einer organisatorisch tätigen Zentralinstanz auch als Be­ griffsmerkmal für eine Versammlung notwendig war, anders aus. Zwar setzten be­ reits der Augsburger Reichsabschied von 1555, das PrALR sowie die preußische Tumultverordnung von 1798 das Vorhandensein einer Zentralinstanz für ihre pri­ mär an Strafen orientierten Regelungen voraus. Doch lässt sich ein Rückschluss darauf, dass ohne eine Zentralinstanz eine Versammlung im Sinne der Regelungen nicht bestand wohl nicht ziehen. Jedenfalls aus Sicht der normgebenden Instanzen wäre dieses auch nicht gewollt gewesen, da das Fehlen der Zentralinstanz sonst auch mögliche Teilnehmerstrafbarkeiten ausgeschlossen hätte. Ein ähnliches Bild ergibt sich für die Zehn Artikel sowie die Tumultverordnung von 1835. Zwar differenzierten diese für den Einzelnen näher danach, in welcher Rolle – also als Teilnehmer oder Zentralgestalt – er auftrat. Doch fehlen auch hier belastbare Anknüpfungspunkte in den Normen dafür, dass die fehlende Organisa­ tion ein Ausschlusskriterium darstellen sollte. Für die Zeit von Märzrevolution und Reaktion fällt das Ergebnis differenziert aus. Deren neue Regelungen waren zwar noch stärker auf die Zentralinstanz zu­ geschnitten und ließen ein Abweichen von diesem Organisationsmodell kaum noch zu. Jedoch ist hier zu beachten, dass die preußischen Kammern Versammlun­ gen ohne Organisation sogar gesehen, aber eben als nicht regelungsbedürftig un­ behandelt gelassen hatten. Gleichzeitig ist aber zu beachten, dass auch die Frage einer möglichen Umgehung versammlungsrechtlicher Regelungen, so man die Or­ ganisation als Begriffsnotwendigkeit gefasst hätte, in den Beratungen durchaus gesehen und thematisiert wurde. Entsprechend konnten sich hier einzelne Stim­ men in der Literatur durchaus mit gutem Grund für die Organisation als Begriffs­ notwendigkeit der Versammlung aussprechen. Das Reichsgericht hingegen stellte 1882 zur VO 1850 fest, dass bestimmte Or­ ganisationsstrukturen oder debattenartige Abläufe für das Bestehen einer Ver­ sammlung nicht erforderlich seien: „Wenn die Revision das Thatbestandsmerkmal einer ‚Versammlung‘ vermißt, weil die Ver­ ordnung darunter nur solche Zusammenkünfte verstehe, in denen unter Leitung eines ge­ wählten Bureaus eine geordnete Debatte stattfinde, so läßt die Verordnung nicht erkennen, daß sie von solcher Begriffsbestimmung ausgehe, daß die Beratung und Erörterung eine ­einheitliche in Wechselrede verlaufende sein müsse, und es ist das auch nicht aus der Er­ wähnung von Vorstehern (von Vereinen) und Ordnern zu folgern […].“80 80 RGSt 6, 215 (217 f.); ebenso das KG in einer Entscheidung vom 09.07.1885, abgedruckt in Johow, Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts, Bd. 6, S. 243 (246); vgl. a. ebd. E. v. 30.10.1885 (S. 246).

A. Grundgesetzlicher Versammlungsbegriff und Organisationsidee 

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In einem Vergleich zu Vereinen schob das Reichsgericht 1890 nach, dass sich ein Verein zwar in der Regel durch eine den gemeinsamen Willen zum Ausdruck bringende Organisation auszeichne, jedoch „die flüchtige Erscheinung einer ‚Versammlung‘ jeder derartigen Organisation entbehren kann“.81

Die Literatur folgte weithin dieser Auffassung.82 Zum RVG hingegen, das eine nochmalig stärkere, wenn auch positiv gewandelte, Anknüpfung an die Organisa­ tionsidee mit sich brachte, fehlen wieder Ansatzpunkte für die Annahme der Orga­ nisationsvoraussetzung als Ausschließlichkeitskriterium. Besonders deutlich wird der Verzicht auf das Vorhandensein einer Zentralgestalt in dieser Zeit in einer Ent­ scheidung zur faktischen Leitung eines Aufzuges, in der das Reichsgericht aus­ führte, dass Aufzüge zwar nach dem Willen des Gesetzgebers des RVG Versamm­ lung „im weiteren Sinne“ seien, ein Aufzug aber dem Gesetz nach nicht der Leitung bedürfe.83 Ist aber ein Aufzug eine Versammlung und bedarf der Aufzug keiner Lei­ tung, kann die Leitung nicht Begriffsmerkmal der Versammlung sein. Für diese Interpretation spricht auch § 10 RVG der von vornherein nicht alle Versammlun­ gen erfassen wollte, sondern nur „öffentliche politische“. Auch das Kammer­gericht sah das Bestehen einer Zentralinstanz nicht als Begriffsmerkmal an und verzich­ tete für das Bestehen einer Versammlung folglich auf eine Konstituierung unter oder Begrüßung durch diese.84 Ebenso entschied das PrOVG 1913 zum RVG.85 Die Literatur teilte dieses Verständnis. Ein etwas mehr die Organisation im Sinne der Vorbereitung herausstellender Begriff findet sich bei von Frank, der eine Versammlung i. S. d. § 107a RStGB als „vorbereitetes zeitweiliges Zusammensein einer größeren Anzahl von Menschen zur Einwir­ kung auf ihr Verhalten in einer gemeinsamen Angelegenheit“

betrachtet.86 Doch ist auch dieser Hauch einer Abweichung ein Einzelfall. Der über­ wiegende Teil folgte dem Begriffsverständnis der Rechtsprechung, so etwa Ball: „Desgl.[eichen] ist eine besondere Organisation (Bureauwahl etc.) nicht vorausgesetzt“87,

oder Stier-Somlo: „Die Vorschrift über die Bestellung eines Leiters bezweckt nicht, für den Begriff ‚Versamm­ lung‘ das Dasein eines Leiters als Erfordernis aufzustellen.“88 81

RGSt 21, 71 (73). Vgl. insoweit bereits Kap. 2 C. VII. 83 RGSt 44, 370 (372 f.). 84 KG, Johow, Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts, Bd. 11, S. 304. 85 PrOVGE 61, 238 (240). 86 von Frank, RStGB, 1931, S. 274. 87 Ball, Vereins- und Versammlungs-Recht, 1894, S.  36, unter Verweis auf die genannte Rechtsprechung des RG und KG. 88 Stier-Somlo, Reichsvereinsgesetz, 1909, S. 156. Ganz ähnlich auch Brecht, Vereins- und Versammlungsrecht, 1932, S. 285. 82

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Kap. 3: Bedeutung der Organisationsidee

Am deutlichsten wird insoweit Anschütz: „Das Verbundensein durch jenen [verbindenden] Zweck ist für den Begriff der Versamm­ lung erforderlich, aber auch ausreichend: weitere Verbindungen oder Gemeinsamkeiten in­ volviert der Begriff nicht, insbesondere nicht eine irgendwie beschaffene Organisation. Der Satz des RVG, daß jede öffentliche politische Versammlung einen Leiter haben müsse (§ 10), ist eine Ordnungsvorschrift, kein Begriffsmerkmal.“

Diese Ausführungen, wie auch die Breite des Versammlungsbegriffs in der Ver­ sammlungsgesetzgebung,89 belegen, dass das Vorhandensein einer Zentralgestalt oder eine sonstige Organisation im Sinne von Planung und Durchführungbis in die Geltungszeit des RVG nie Begriffsmerkmal der Versammlung war. 2. Rechtsvergleichende Betrachtung Während die deutsche Rechtsgeschichte hier eindeutig ist, besteht für die EMRK kein Konsens.90 Begründet ist dies darin, dass die mitgliedsstaatlichen Rechtstra­ ditionen hier unterschiedliche Maßstäbe an den „Grad der Organisiertheit“91 le­ gen. So grenzt etwa „Danmarks Riges Grundlov“92 den bloßen „opløb“, also einen Menschenauflauf i. S. e. zufälligen Zusammentreffens, von Versammlungen i. S. d. § 79 ab. Selbst ein gemeinsamer Zweck reicht für die Annahme einer Versamm­ lung nicht aus, vielmehr muss zwingend ein planmäßiges Zusammenkommen un­ ter einem Leiter vorliegen.93 Folgerichtig unterfallen Spontanversammlungen nach deutschem Verständnis nicht den dänischen Grundrechten.94 Auch für die französische „liberté de réunion“ verlangen der Conseil d’Etat und mit ihm die herrschende Literatur ein Mindestmaß an Organisation, konkret einen verabredeten und organisierten Zusammenschluss („groupement concerté et orga­ nisé“).95 Besondere Bedeutung haben hier insb. die Einladung sowie eine genaue 89 Statt vieler nur RGSt 21, 71 (73): „Der gemeinsame Zweck […] kann so einfacher, spon­ taner, auf gemeinsamer Empfindung, Gebrauch oder Herkommen wurzelnder Natur sein […] An sich aber ist jeder Zweck geeignet, das Einigungsband und den inneren Mittelpunkt für eine ‚Versammlung‘ abzugeben, rein gesellige Bestrebungen ebensowohl wie solche, welche mit der sog. Geselligkeit gar nichts gemein haben.“ 90 Gegen das Vorhandensein einer Zentralinstanz als Begriffsmerkmal Ripke, Europäische Versammlungsfreiheit, 2012, S.  192: „keine Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer be­ stimmten Organisationsstruktur der Zusammenkunft“; anders Marauhn, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2009, § 4 Rn. 61: ohne ein „Mindestmaß an Organisation kann kaum von einer Versammlung“ gesprochen werden. 91 Ripke, Europäische Versammlungsfreiheit, 2012, S. 192. 92 Grundgesetz des Reiches Dänemark vom 05.06.1953. 93 Ripke, Europäische Versammlungsfreiheit, 2012, S.  371 f. mit zahlreichen Nachweisen auch aus der dänischen Literatur. 94 Ripke, Europäische Versammlungsfreiheit, 2012, S. 372. 95 Ripke, Europäische Versammlungsfreiheit, 2012, S. 372 f. mit weiteren Nachweisen auch zur Gegenansicht, die unter anderem durch den Cour de cassation vertreten wird und „nur“ ver­

A. Grundgesetzlicher Versammlungsbegriff und Organisationsidee 

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Festlegung der zu behandelnden Gegenstände im Voraus.96 Das französische Recht ist damit noch stärker und vor allem folgenreicher an der Idee der organisierten Versammlung orientiert als das deutsche. Wie das dänische kennt auch das franzö­ sische Recht damit keine geschützten Spontanversammlungen. Die italienische Verfassung schreibt bereits selbst in Art. 17 für Versammlungen auf öffentlichen Plätzen eine Vorankündigung („preaviso“) vor,97 woraus weithin auf eine vorherige Festlegung auch der Ziele der Versammlung geschlossen wird.98 Die Rechtstraditionen der EMRK-Staaten folgen demnach unterschiedlichen Wegen.99 In der Rechtsprechung des EGMR finden sich zu dieser Frage bislang keine weiterführenden Ansatzpunkte. Art. 12 Abs. 1 der EU-Grundrechtecharta lässt sich zwar eine starke Fixierung auf die Nutzung der Versammlungsfreiheit zu öffentlichen Zwecken entnehmen („insb. im politischen, gewerkschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Bereich“), jedoch keine Information über die Bedeutung des Bestehens oder Nichtbeste­ hens einer bestimmten Organisationsstruktur der Versammlung. Auch der EuGH hat sich zu dieser Frage bislang nicht geäußert. Für Art. 21 IPbpR hingegen ist die Frage der Organisation ohne Bedeutung.100 3. Auslegung der Versammlungsgesetze Während die Feststellung, dem VersG liege die Idee der organisierten Versamm­ lung zugrunde, nicht nur wie anfangs gezeigt viel Zustimmung findet, sondern nach den Ergebnissen aus Kap.  2 auch umfänglich belegt werden kann, verhält es sich auch in der Entstehungsgeschichte des VersG mit der Frage nach der Be­ griffsnotwendigkeit der Organisation anders. So ist zwar das VersG bis heute auf die Versammlung mit planender und lenkender Zentralgestalt zugeschnitten, doch lässt sich trotz der niemals in Frage gestellten Fokussierung auf diesen Versamm­ lungstypus aus der Entstehungsgeschichte kein Anhaltspunkt darauf entnehmen, dass jeder andere Organisationstyp nicht Versammlung im Sinne des VersG seien sollte. Dieses gilt dabei sowohl für den Entwurf sowie die diesem zugrunde­liegen­ den Vorstellungen der Exekutive wie auch für das Verständnis der Legislative, wie es sich in den Verhandlungsprotokollen zeigt. Aus Sicht der an der Entstehung be­ teiligten dürfte es auch eher so gewollt gewesen sein, dass das Versammlungs­ langt, dass die zusammengekommenen Personen in der Lage sind, sich nach den Regeln des französischen Versammlungsgesetzes (Art. 8) zu organisieren, also eine Versammlungsleitung zu bestimmen. 96 Ripke, Europäische Versammlungsfreiheit, 2012, S. 373. 97 „Delle riunioni in luogo pubblico deve essere dato preavviso alle autorità.“ 98 Nachweise bei Ripke, Europäische Versammlungsfreiheit, 2012, S. 374. 99 Zu weiteren Staaten Ripke, Europäische Versammlungsfreiheit, 2012, S. 375 ff. 100 Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 7.

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Kap. 3: Bedeutung der Organisationsidee

gesetz jede Art von politischer Versammlung erfassen sollte, sei sie nun veranstal­ tet und geleitet oder i. S. d. VersG „unorganisiert“. Kommentierungen, welche sich explizit damit auseinandersetzen, ob das Vor­ handensein von Veranstalter und Leiter auch Begriffsmerkmal der Versammlung i. S. d. VersG sind, sind selten. Eine entsprechende Einschätzung aus der frühesten Zeit des VersG findet sich etwa bei Trubel/Heinka, nach denen eine „Versammlung im Sinne des Versammlungsrechts […] nur denkbar [ist], wenn eine für den gesetzmäßigen Ablauf verantwortliche Person vorhanden ist.“101

Noch deutlicher wird Samper in seinem „Leitfaden“: „Wohl aber muß ein Leiter vorhanden sein, soll von einer Versammlung gesprochen werden können. Diese Voraussetzung ist unabdingbar, da zu einer Versammlung ein Mindestmaß von äußerer Ordnung, örtlicher Konzentration und Lenkung gehört.“102

Wobei hier bereits eine deutliche Tendenz dahingehend erblickt werden kann, auch den Grundrechtsschutz von der Organisation abhängig zu machen. Im Zuge der beginnenden Diskussion103 um Spontanversammlungen legte sich die ober­ gerichtliche Rechtsprechung bereits früh auf den Verzicht auf das Vorhandensein einer Zentralinstanz für das Vorliegen einer Versammlung fest, etwa das BayObLG „Der Umstand, daß Spontanversammlungen keinen Veranstalter oder bestellten Leiter haben, nimmt ihnen nicht die Eigenschaft einer Versammlung […], denn der oben wiedergegebene Begriff der Versammlung […] ist von der Organisation unabhängig.“104

Auf ganz entsprechender Linie liegt der Brokdorf-Beschluss. Der hier postulier­ ten Ausnahme der veranstalter- und im Regelfall leiterlosen Spontanversammlun­ gen von der Anmeldepflicht des § 14 Abs. 1 VersG105 hätte es nämlich nicht bedurft, wenn eine veranstalterlose Versammlung bereits nicht dem Versammlungsbegriff des VersG unterfallen würde. Folglich ist es unzutreffend, wenn Bertuleit/Steinmeier annehmen: „Ebenso wie der Leiter gehört der Veranstalter dem Wortlaut des VersG nach zu den unver­ zichtbaren Bestandteilen des gesetzlichen Versammlungsbegriffs“106.

Diese Auffassung versteht die Ordnungsvorschrift des § 7 Abs.  1 VersG, dass jede Versammlung einen Leiter haben müsse, nicht als solche, sondern als Be­ griffsbestimmung, was sich dem Wortlaut nach jedoch nur vertreten lässt, wenn man die Entstehungsgeschichte der Norm und ihre Vorgängerregelungen außer 101

Trubel/Heinka, Das Versammlungsrecht, 1953, § 7 Rn. 1. Samper, Leitfaden, 1969, S. 18. 103 Vgl. etwa Hoch, JZ 1969, 18 (18) m. w. N.; Frowein, NJW 1969, 1081 (1084). 104 BayObLG, NJW 1970, 479 (480) zu § 26 Abs. 1 Nr. 1 VersG a. F. (heute wortgleich § 26 Nr. 1 VersG), zustimmend Borchert, Die Spontanversammlung, 1972, S. 51. 105 BVerfGE 69, 315 (350 f.) m. w. N. 106 Bertuleit/Steinmeier, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, § 1 Rn. 46; diese folgen insoweit Geulen, KJ 1983, 189 (189), der allerdings diese Tatsache kritisierte. 102

A. Grundgesetzlicher Versammlungsbegriff und Organisationsidee 

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Acht lässt.107 Auch aus der Formulierung des § 1 Abs. 1 VersG, jedermann hat das Recht „an solchen Veranstaltungen“ teilzunehmen, kann nicht geschlossen wer­ den, dass nur „veranstaltete“ Versammlungen gemeint sind, da sich dieses auf die Aufzählung „öffentliche Versammlungen und Aufzüge“, die zu „Veranstaltungen“ zusammengefasst werden, bezieht und für ein anderes Verständnis Anhaltspunkte im Gesetzgebungsverfahren fehlen. Schließlich ließe sich noch fragen, ob für die Erhöhung der Organisationsidee zum Begriffsmerkmal i. S. d. VersG auf ein Leitbild zurückgegriffen werden kann. Für diese wird auf Vorstellungen und Ideen Bezug genommen, die den Gesetzen voraus liegen und so die Rechtsordnung prägen.108 Ein solches Leitbild kann in der Idee der organisierten Versammlung in ihrer konkreten Ausprägung im VersG ge­ sehen werden. Jedoch sind Leitbilder selbst kein Recht, sondern müssen, so sie Recht sein sollen, auch als Recht gesetzt werden, was sich aus Art. 20 Abs. 3; 77 Abs. 1 S. 1 und 92 GG ergibt.109 Dies ist aber i. S. einer Begriffsbestimmung im VersG gerade nicht erfolgt. 4. Auslegung des Grundgesetzes Dem Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 GG lässt sich keine eindeutige Antwort darauf entnehmen, ob das Vorhandensein einer Zentralinstanz Begriffsmerkmal der Ver­ sammlung ist. Einerseits verzichtet Art. 8 Abs. 1 GG zwar auf eine dem späteren § 1 VersG entsprechende Nennung der Rechte, eine Versammlung zu veranstal­ ten oder an einer Versammlung teilzunehmen, und belässt es bei einer den Vorgän­ gerregelungen entsprechenden Garantie des „sich Versammelns“. Doch ist „ver­ sammeln“ seinem Wortverständnis nach eher ein zielgerichtetes Handeln, damit planend und organisatorisch, dem zufälliges „zusammentreffen“ oder plötzliches „zusammenlaufen“ gegenüberstehen. Auch die Garantie der Versammlung „ohne Anmeldung“ ist insoweit nicht ein­ deutig, da sie einerseits an die Vorstellung einer organisierten Versammlung mit Zentralinstanz, die die Anmeldung leisten könnte oder dazu verpflichtetet werde, anknüpft, andererseits die Einführung – zumindest für Versammlungen die nicht Abs. 2 unterfallen – ausschließt. Den Vorgängerregelungen, namentlich der WRV, lässt sich ein eingrenzendes Er­ gebnis nicht entnehmen. So sind sowohl die Beratungen der Nationalversamm­lung 107 Bertuleit/Steinmeier, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, § 1 Rn. 46, argumentier­ ten hier auch historisch unzutreffend. Zwar ist es zutreffend, dass sich der Gesetzgeber „an der Besonderheit deutscher Verfassungsgeschichte orientiert[e], die seit Mitte des 19. Jahrhunderts durch eine starke Stellung der politischen Organisationen […] gekennzeichnet war“. Diese­ Argumentation blendet aber die Besonderheiten der Entstehung und Entwicklung der Idee der organisierten Versammlung aus. 108 Gusy/Müller, ZAR 2013, 265 (268). 109 Tellenbröker, Konfrontationsschutz. 2015.

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Kap. 3: Bedeutung der Organisationsidee

als auch des Parlamentarischen Rates zu dieser Frage insgesamt unergiebig. Zwar lässt sich auch hier für beide feststellen, dass als Archetyp und Anknüpfungspunkt stets die organisierte Versammlung Pate stand, welche die Versammlungsreali­ tät prägte.110 Doch kann vor dem Hintergrund der Begründung von Grundrechten, einmal in Abgrenzung vom Kaiserreich, einmal in Abgrenzung vom Nationalso­ zialismus, jedenfalls nicht darauf geschlossen werden, dass Nationalversammlung oder Parlamentarischer Rat bestimmte Formen von Versammlungen zwingend festlegen und andere ebenso zwingend ausschließen wollten. Vielmehr ist insoweit von einem offenen Grundrechtsverständnis der Versammlung auszugehen. Auch eine systematische Auslegung kommt in der Abgrenzung zu Art.  9 Abs. 1 GG eher zu dem Ergebnis, auf eine bestimmte Organisation zu verzichten. In der organisierten Willensbildung111 liegt hier ein Unterschied zur Versamm­ lungsfreiheit. Dieses Kriterium gewinnt zudem Bedeutung, wenn Versammlungen über die Charakterisierung als „Augenblicksverband“ hinaus auch eine erhebliche mögliche Dauer zugebilligt wird.112 Insoweit fällt die Einschätzung, Organisation sei nicht erforderlich, hier auch deutlich aus, etwa bei Gusy: „Eine Organisation ist ebenso wenig begriffsnotwendig wie die Zurechnung des Verhaltens einzelner Teilnehmer zu anderen. Die Freiheit organisierten Handelns ist nicht in Art. 8, son­ dern in Art. 9 geschützt.“113

Das BVerfG hat sich einer argumentativen Auseinandersetzung in dieser Frage nicht gestellt. In seinen allgemeinen Ausführungen zur Bedeutung der Versamm­ lungsfreiheit in der repräsentativen Demokratie wird dennoch die Unterscheidung zu institutionalisierten Formen von Mitwirkung, etwa in Parteien und Verbänden, deutlich.114 Auch die Gegenüberstellung von Versammlungen zu „Repräsentativ­ organen“115 spricht eher gegen ein organisatorisches Begriffsverständnis. Ent­ sprechend hat das BVerfG auch den Vergleich der Versammlungsstruktur zur repräsentativen Demokratie nicht im Sinne einer Entsprechung, sondern einer Ge­ genüberstellung gewählt.116 Mit der Anerkennung der veranstalterlosen Spontan­ versammlung117 hat das BVerfG ein Begriffsverständnis, welches eine Zentral­ gestalt voraussetzt, ausgeschlossen. 110

Vgl. Kap. 2 E. III. und F. IV. 1. Zur Definition etwa BVerwGE 106, 177 (181). 112 Etwa bei einem Hungerstreik mehrerer Häftlinge, Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 21; zu sog. „Protestcamps“ etwa VG Frankfurt a. M., NVwZ-RR 2012, 806; zu einer „Dauermahnwache“ VG Berlin, B. v. 02.11.2012, Az. VG 1 L 299.12 – juris. 113 Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 20. 114 BVerfGE 69, 315 (346). 115 BVerfGE 69, 315 (347). 116 Im Anschluss an Hesses Zitat vom „Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer De­ mokratie“, Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 14. Aufl., 1984, S. 157, hier BVerfGE 69, 315 (347). 117 BVerfGE 69, 315 (350 f.); s.a. BVerfGE 85, 69 (75) „ungeplant und ohne Veranstalter“; dazu a. Kap. 2 G. I. 111

A. Grundgesetzlicher Versammlungsbegriff und Organisationsidee 

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Die Versammlungsfreiheit ermöglicht folglich auch andere Formen von Ver­ sammlungen, die nicht das klassische Bild erfüllen, an welches das VersG auch selbst nur anknüpft, ohne es jedoch zum Begriffsmerkmal zu erheben. Wenn es mit dem BVerfG gesprochen zutrifft, dass der „Schutz des Art.  8 GG über solche Versammlungen hinausreicht, für welche der Gesetz­ geber des Jahres 1953 Regelungen getroffen hat“118,

so geht auch der Schutz des GG selbst über die Handlungsformen hinaus, die sich der Parlamentarische Rat vorgestellt hat. Hierfür bedarf es auch keiner Er­ gänzung des Grundrechts oder der Neuschaffung eines Grundrechts aus einer Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG oder sonstigen Grundrechten. Damit steht die grundrechtliche Versammlungsfreiheit der Kreativität seiner Grundrechtsträger in der Entwicklung von Formen gemeinsamer Zweckverfolgung innovationsfreund­ lich gegenüber. Auch in dieser Offenheit des Grundrechts zur Erprobung von ge­ genseitigen Verhaltensweisen i. S. e. Kommunikationsprozesses liegt damit Sinn und Zweck der Versammlungsfreiheit. Auch daher sollte die rein demokratisch-­ funktionalisierende Auslegung des Art. 8 Abs. 1 GG aufgegeben werden. Zusam­ menfassend ist Organisation damit kein zwingendes Merkmal des Versammlungs­ begriffes des Art. 8 Abs. 1 GG. 5. Organisation als Abgrenzung zur Ansammlung Der Verzicht auf die Organisationsidee als Begriffsmerkmal der Versammlung in VersG und GG führt allerdings nicht zu ihrer Bedeutungslosigkeit. So kann das Vorhandensein von Organisation in ihrer klassischen Form der Ausgestaltung mit Zentralgestalt aus Veranstalter, Leiter und Teilnehmern dort ein wesentlicher Ansatzpunkt für die Annahme einer Versammlung sein, wo das „innere Band“ des gemeinsamen Zwecks schwer feststellbar ist, jedoch das „äußere Band“ des örtlichen Zusammenhangs durch das Vorhandensein einer Organisationsstruktur im hergebrachten Sinne bzw. die „äußerlich erkennbare organisatorische Hand­ lung“119 besonders stark hervortritt.

III. Organisationsgrundrecht Entfernt man sich von der Fokussierung auf ein Begriffsmerkmal, verhilft der Gedanke der Organisation dennoch zu einem deutlicheren Verständnis der Ver­ sammlungsfreiheit. Der Organisation kommen dabei zwei Ausprägungen zu, die es rechtfertigen, die Versammlungsfreiheit als „Organisationsgrundrecht“ zu bezeichnen, dessen Kern die Ermöglichung organisierten Gruppenhandelns 118

BVerfGE 69, 315 (358). Ladeur, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Art. 8 Rn. 20.

119

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Kap. 3: Bedeutung der Organisationsidee

ist.120 Zum einen schützt die Versammlungsfreiheit das klassische Organisations­ modell, welches die Zentralinstanz in den Vordergrund stellt und an welche das VersG anknüpft. Dieses Modell schützt besonders die Planung und damit die Er­ möglichung des Stattfindens von Versammlungen, aber auch ihre Durchführung, indem es diesen konkreten Organisationsmodus besonders schützt. Zum anderen schützt die Versammlungsfreiheit aber auch alternative Organisationsmodelle, die abseits des zunächst hierarchisch anmutenden klassischen Organisationsmodells die Versammlung eher als „Medium der Selbstorganisation“121 verstehen und im Rahmen der Kollektivität des Handelns eher das Verhalten zu- und miteinander in der Versammlung als deren Besonderheit verstehen. Hier geht die organisatori­ sche Leistung nicht mehr von einer Zentralgestalt aus, sondern von einem „orga­ nisatorischen Grundkonsens“, der sich zwischen den Teilnehmern bildet und sie von denen abgrenzt, die diesen Konsens nicht teilen, etwa indem sie sich räum­ lich von der Versammlung entfernen oder bestimmte Handlungen nicht vorneh­ men. Die Entscheidung, aus der Individualität herauszutreten und mit anderen ein Kollektiv zu bilden, als solches zu agieren und damit Versammlung zu werden, ist die zweite Ausprägung der Versammlungsfreiheit als Organisationsgrundrecht. In dieser zeigt sich besonders die Bedeutung der Versammlungsfreiheit als Ort für die Entwicklung neuer Handlungsformen. So verstanden ist Versammlungs­freiheit das Recht, etwas gemeinsam zu tun und sich dafür verschiedener Organisations­ formen zu bedienen, die das gemeinsame Handeln bestimmen.122

B. Organisationsidee und Ordnungsvorschriften Die Orientierung an der Idee der organisierten Versammlung im VersG wie in den Musterentwürfen und Landesgesetzen zeigt sich besonders in den Ordnungs­ vorschriften, die das Modell der organisierten Versammlung ausgestalten und weitgehend festschreiben. Da Versammlungen wesentlich tatsächliches Geschehen sind, brauchen sie, anders als Rechtsinstitute,123 für ihre Existenz keine Ausgestal­ tung. Die konkreten Vorgaben, wie Versammlungen durchgeführt werden müssen, etwa die Leiter- oder Anzeigepflicht, greifen dabei in den Schutzbereich der Ver­ sammlungsfreiheit ein, indem sie bestimmte Handlungspflichten auferlegen und ein bestimmtes Organisationsmodell verbindlich festlegen. Auch die Regelungen 120 Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 149. Insb. wird hiermit der Zusam­ menhang mit Art. 9 GG deutlicher und die servile Funktion, die die Bezeichnung „Kommuni­ kationsfreiheit“ (etwa Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, 2002) der Versammlungs­ freiheit gegenüber der Meinungsfreiheit nur zugesteht, korrigiert. 121 Ladeur, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Art. 8 Rn. 13, a. „kollektiver Effekt der „Selbstorganisation“, ebd., Rn. 17. 122 Vgl. a. Kap. 4 A. 123 Zu dieser Besonderheit der Ausgestaltung durch Rechtsnorm als Existenzbedingung, ohne deren rechtlichen Rahmen das Gebilde, etwa eine vertragliche Beziehung, nicht existie­ ren würde, Bumke, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 2009.

B. Organisationsidee und Ordnungsvorschriften

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zu Folgepflichten der Teilnehmer greifen unmittelbar in die Versammlungsfreiheit ein, indem sie die Ausübung des Grundrechts zwischen den Grundrechtsträgern in einer bestimmten Weise entscheiden. Demnach bedarf es für diese Ordnungsvor­ schriften jeweils einer verfassungsrechtlich tragfähigen Rechtfertigung. Zwar hat das BVerfG etwa seine Auffassung, die Anmeldepflicht beruhe „auf ge­ wichtigen Gemeinwohlbelangen“124, nie revidiert und zuletzt die Erklärung erneu­ ert, diese unterliege „grundsätzliche keinen verfassungsrechtlichen Bedenken“125. Doch hat es gleichzeitig Pflichten der Grundrechtsträger, namentlich „erhöhte An­ forderungen an die Veranstaltung von Versammlungen“, etwa bzgl. der Bekannt­ machung und des Umfangs der Anmeldepflichten („ausführlicher und formalisier­ ter“), sowie die Erhöhung der Anforderungen an die Versammlungsleitung, nicht ohne Zweifel herausgestellt, ohne allerdings die Leitungspflicht selbst in Frage zu stellen.126 Dabei stellte es etwa in den Raum, ob diese Fragen überhaupt „für alle Arten von Versammlungen unabhängig von ihrem Gefahrenpotential und ihrer Größe, gleich zu beurteilen sind“127. Zwar ließ das BVerfG das Problem bis zum Hauptsacheverfahren dahinstehen,128 doch zeichnete das zweimalige129 Zurück­ kommen auf die bereits zurückgestellte Frage bereits deutlich vor, wie das BVerfG dort zu entscheiden gedachte. Die Rechtfertigungsproblematik wird noch dadurch verschärft, dass das VersG auch für Versammlungen in geschlossenen Räumen, also abseits des Gesetzesvorbehalts des Art. 8 Abs. 2 GG, bestimmte Ordnungs­ vorschriften festlegt, die demnach nur als Folge immanenter Schranken Bestäti­ gung finden können.

I. Wandel und Bedeutung der Ordnungsvorschriften Diese Rechtfertigung darf allerdings nicht von der repressiven Herkunft der an die Idee der organisierten Versammlung anknüpfenden Normen ausgehen, sondern muss deren aktuelle Bedeutung erfassen und zugrunde legen: Der Veranstalter ist heute ebenso wenig Fehdeführer, wie der Staat absolutistischer Polizeistaat ist. In­ soweit ist auch der bloße Verweis auf „vordemokratische geschichtliche Hypo­ theken des deutschen Versammlungsrechts“130 oder eine „obrigkeitsstaatliche Ge­

124

BVerfGE 69, 315 (351). BVerfGE 128, 226 (261). 126 Anlass dazu bestand jedenfalls nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers in BVerfGE 122, 342 (351). 127 BVerfGE 122, 342 (361). 128 BVerfGE 122, 342 (361); aufgrund der Änderung des BayVersG erging dort allerdings le­ diglich ein Nichtannahmebeschluss, BVerfG, NVwZ 2012, 818. 129 BVerfGE 122, 342 (364 f. und 366): „Anzeigepflichten, die nicht nach Größe und Gefah­ renpotential der Versammlung unterscheiden“. 130 Ridder, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Vorwort S. 7. 125

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Kap. 3: Bedeutung der Organisationsidee

schichte des deutschen Vereins- und Versammlungsrechts“131 für die Rechtfertigung der heutigen Normen wertlos. Vielmehr muss die Frage in den Vordergrund rücken, ob die Heinemann’schen Spielregeln in der Gestaltung, welche sie durch die Recht­ sprechung erhalten haben, in der aktuellen Lage noch gebraucht werden. Dabei soll hier der Schwerpunktsetzung der Arbeit folgend auf die Norm ge­ schaut werden, welche die Zentralgestalt am deutlichsten hervorhebt und die letzt­ lich Angelpunkt für die hieran anschließenden Rechte und Pflichten der Grund­ rechtsträger ist: die Pflicht zur Bestellung eines Leiters (§ 7 Abs.  1 VersG). An deren Rechtfertigung hängt letztlich das VersG ebenso wie die Musterentwürfe und Landesversammlungsgesetze. 1. Wandel der Zentralgestalt Zu diesem Zweck muss zunächst der dargestellte Wandel der Bedeutung der Zentralgestalt berücksichtigt werden.132 Der Veranstalter einer Versammlung hat von seinem Ausgangspunkt als „Urhe­ ber“ oder „Veranlasser“ einen erheblichen Bedeutungswandel erfahren: von der repressiven Anknüpfung dem Gedanken folgend, einen statt vieler zu strafen, wo dieses nicht möglich schien, hin zu einem Grundrechtsträger, der nicht nur für sich, sondern auch für andere die Voraussetzungen zur Grundrechtsausübung schafft und damit in vielen Fällen auch einen wesentlichen Beitrag zur Funktions­ fähigkeit der Demokratie leistet. Das Ergebnis dieses Wandels hat das BVerfG im Brokdorf-Beschluss eindringlich beschrieben. Diese Rolle teilt der im Regelfall durch den Veranstalter zu bestimmende Leiter, welcher seinerseits vom Rädels­ führer über seine lediglich verpflichtete, aber kaum geschützte Rolle aus dem RVG zum zentralen Anknüpfungspunkt der Regelungen des VersG erstarkt ist. So steht die Idee der organisierten Versammlung in einer besonderen Kontinuität, die zwar stets die Anknüpfung an die Zentralinstanz suchte, aber dieser zugleich einen Bedeutungswandel beschert hat. 2. Von Verhinderung zu Ermöglichung Dieses gilt ganz entsprechend für die Bedeutung der Versammlungsgesetze, die, aus dem Zweck der Verhinderung und ggf. Niederschlagung von „Aufruhr“ und „Empörung“ kommend, sich über den langen Weg der Entmilitarisierung und Ver­ botsorientierung, namentlich unter dem Eindruck des Gedankens des Grundrechts­ schutzes durch Verfahren zu einem Gewährleistungsrecht gewandelt haben. Das heißt nicht, dass die unbestreitbare Bedeutung des Versammlungsrechts für die Gefahrenabwehr entfallen wäre, jedoch dass diese Funktion eben nicht mehr die 131

BMI in BVerfGE 69, 315 (337). Vgl. dazu insg. Kap. 2.

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B. Organisationsidee und Ordnungsvorschriften

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einzig maßgebende ist: Geschützt wird weiter die öffentliche Sicherheit, aber de­ ren wesentlicher Bestandteil ist eben auch die Versammlungsfreiheit. 3. Aspekte der Bedeutung des Vorhandenseins einer Zentralgestalt Im Folgenden sollen einzelne Aspekte des Vorhandenseins einer Zentralgestalt und ihre Bedeutung für das behördliche Handeln wie die Ausübung des Grund­ rechts selbst beispielhaft dargestellt werden. Vor diesen wesentlich rechtlichen Überlegungen darf aber nicht vergessen werden, dass das Vorhandensein einer Zentralgestalt auch wesentliche Bedeutung für die soziale Interaktion der Versam­ melten untereinander hat.133 a) Schutz der Vorbereitungsphase einer Versammlung Auch wenn das Organisiertsein einer Versammlung weder nach GG noch nach den Versammlungsgesetzen und Musterentwürfen Begriffsmerkmal ist, so haben die Organisationshandlungen dennoch bereits eine Bedeutung für das Vorfeld der Versammlung. Wird nach einhelliger Auffassung nämlich auch das Zusammen­ kommen der Teilnehmer als vom Schutz des Grundrechts umfasst angesehen,134 insb. um eine Unterbindung der (späteren) Grundrechtswahrnehmung zu verhin­ dern,135 so greift der Schutz der Versammlungsfreiheit ebenso für die organisa­ torischen Handlungen im Vorfeld einer Versammlung. Maßnahmen, die geeig­ net sind, die Vorbereitung des gemeinsamen Handelns zu beeinträchtigen, müssen sich demnach an der Versammlungsfreiheit messen lassen. Dieses greift etwa für einschränkende Maßnahmen bzgl. der Einladung und Werbung für eine Versamm­ lung, wenn z. B. über die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für Werbe­ zwecke für die Teilnahme an einer Versammlung zu entscheiden ist. Insoweit entfaltet die organisatorische Komponente der Versammlungsfreiheit eine behörd­ licherseits zu beachtende Vorwirkung. b) Kooperation Die Anmeldepflicht des § 14 Abs. 1 VersG ist der Einstieg zur Kooperation. Das BVerfG sieht die Behörden, soweit es im konkreten Fall erforderlich ist, als zur Kooperation verpflichtet an.136 Die Veranstalter können hingegen nicht zur Ko­ 133 Zu dieser Bedeutung der Zentralgestalt Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 131 ff. (136). 134 Etwa Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 15, 30. 135 Zum Verbot exzessiver Kontrollen BVerfGE 69, 315 (349). 136 BVerfGE 69, 315 (356).

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Kap. 3: Bedeutung der Organisationsidee

operation verpflichtet werden, da für diese, wie das BVerfG zur Ausräumung von Unsicherheiten137 des Brokdorf-Beschlusses herausgestellt hat, der „Grundsatz vertrauensvoller Kooperation […] nicht als Rechtspflicht zur Kooperation aus­ gestaltet“ ist.138 Dennoch ist es für Veranstalter, namentlich für große Versammlungen mit be­ sonderen Anlässen, ratsam, frühzeitig das Gespräch mit den Behörden zu suchen, da ansonsten nicht nur ein „Absinken“ der Eingriffsschwelle droht,139 sondern auch die Möglichkeiten der Behörden zum Schutz der Versammlung reduziert werden, was im äußersten Fall zu Maßnahmen aufgrund polizeilichen Notstan­ des auch gegen die Versammlung führen kann. Der Kooperation kommt damit eine wesentliche Sicherungsfunktion für die Selbstorganisation der Versamm­ lung zu.140 Diese kann am besten durch Dialogbereitschaft und Offenheit erreicht werden („gegenseitiges Kennenlernen“141), für die das Kooperationsgespräch den zentralen Punkt darstellt.142 Die Anmeldung garantiert dabei nur ein Mindest­ maß an Zeit,143 das regelmäßig nur für kurze und jedenfalls nicht für wieder­ holte Treffen und Austauschmöglichkeiten ausreichen wird. Auch insoweit ist es für den Veranstalter ratsam, die Anmeldung nicht bis zur gesetzlichen Grenze hinauszuzögern. Kooperation ist weiterhin nicht auf die Vorbereitungsphase beschränkt, son­ dern kann auch im Laufe der Versammlung und darüber hinaus für besseres Ver­ ständnis sorgen und so den Grundrechtschutz verbessern. Hierzu kann etwa auch gehören, den Leiter über Videoüberwachungsmaßnahmen zu informieren.144 Das Kooperationsprinzip wurde für das Versammlungsrecht seitens des BVerfG zwar besonders für Großdemonstrationen angeregt, ist aber in seiner Bedeutung nicht auf diese beschränkt. Doch gerät es gerade bei diesen auch an seine Grenzen. Wo sich mehrere Veranstalter treffen, verschiedene Gruppen ihre Interessen vertre­ ten wissen möchten, wird die Gestaltung der Kooperation entsprechend aufwändi­ ger. Dieses steigert sich noch in Konstellationen mit Gegendemonstrationen. Den­ noch ist gerade hier, auch zur Beachtung der Verhältnismäßigkeit behördlicher Maßnahmen, die Kooperation oder zumindest ihr Versuch von erheblicher Be­ deutung. Diese Bedeutung erhöht sich noch durch die steigende Zahl solcher Ver­ sammlungen, die sich nicht in das vorgegebene Modell der Versammlung mit (nur) einer Zentralgestalt fügen. Hier Lösungen, auch in gesetzlicher Ausgestaltung, zu 137

BVerfGE 69, 315 (354). BVerfG, NVwZ 2002, 982; zuvor bereits BVerfG, NJW 2001, 2078 (2079) „1. Mai Demo“. 139 BVerfGE 69, 315 (359). 140 Ebenso Hoffmann-Riem, in: FS Simon, S. 379 (382), dort auch ausführlich zur Koope­ ration insgesamt. 141 BVerfGE 69, 315 (355). 142 So und ausführlich zu diesem Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 2011, § 14 Rn. 25 ff., 33 ff., 51 ff.; Hettich, Versammlungsrecht in der kommunalen Praxis, 2003, Rn. 77–91. 143 Hoffmann-Riem, in: FS Simon, S. 379 (393). 144 Neskovic/Uhlig, NVwZ 2014, 1317 (1317) zum BerlVersG. 138

B. Organisationsidee und Ordnungsvorschriften

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finden, ist weiterhin Aufgabe der Gesetzgeber.145 Mit dem AKE ist dafür ein erster Schritt getan. Die Praxis ist hier bereits deutlich weiter als der Gesetzgeber, denn dort sind „Vorbesprechungen, ein intensiver Austausch, die gemeinsame Planung von Alternativen und ständige Kontakte zwischen Veranstalter, Leiter und Behörde während des Laufs der Versammlung […] nicht nur abstrakte Zielvorgabe, sondern weitgehende Realität.“146

Hierüber darf die geringe, jedoch regelmäßig mehr Aufmerksamkeit als eine ge­ lungene Kooperation erregende Zahl pathologischer Fälle nicht hinwegtäuschen. c) Versammlungsleiter als Ansprechpartner für die Teilnehmer Während in der Literatur regelmäßig der Kontakt zwischen Veranstalter, Leiter und Polizei in der Vorbereitung einer Versammlung im Mittelpunkt steht, hat das Vorhandensein einer Zentralinstanz jedoch auch Bedeutung für die konkrete Durchführung. Und auch hier ist der Versammlungsleiter nicht nur Ansprechpart­ ner der Polizei, sondern auch und vor allem der Teilnehmer. So besteht etwa für diese die Möglichkeit, sich beim Leiter über Maßnahmen der Polizei zu infor­ mieren.147 Hierbei ist jedoch darauf zu achten, dass der Versammlungsleiter nicht­ bloßer „Transmissionsriemen der Polizei“148 wird. Im Vordergrund muss stets des­ sen Rolle als Grundrechtsträger stehen. d) Grundrechtsausgleich innerhalb der Versammlung Innerhalb von Versammlungen treffen Grundrechte aufeinander. Die Teilrechte von Veranstalter, Leiter und Teilnehmern können dabei auch zu Teilrechtskollisio­ nen führen.149 Diese können sich zwischen Teilnehmern ergeben, aber auch zwi­ schen Teilnehmern und Zentralgestalt. Dabei kann allerdings nicht pauschal von einem absoluten Vorrang der Teil­ rechte der Zentralgestalt ausgegangen werden, denn anders als das Vorhanden­ sein einer Zentralinstanz ist das Vorhandensein von Teilnehmern jedenfalls Be­ 145 BVerfGE 69, 315 (357); eine gesetzliche Ausgestaltung empfiehlt auch Hoffmann-Riem, in: FS Simon, S. 379 (383). 146 Brenneisen/Mescher, in: Brenneisen/Wilksen, Versammlungsrecht, 2011, S.  250; weni­ ger hoffnungsvoll noch Hoffmann-Riem, in: FS Simon, S. 379 (393), nachdem Kooperation nur mühsam entstehe und eher als Ausnahmefall gelinge. 147 BerlVerfGH, NVwZ-RR 2014, 577 (581). 148 Neskovic/Uhlig, NVwZ 2014, 1317 (1317). 149 Zu diesen Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 2011, § 1 Rn. 229–242. Umfas­ send zu Teilrechtskollisionen und deren Ausgleich die auch in dieser Hinsicht maßstabsetzende Arbeit Quilischs, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 205 ff.

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Kap. 3: Bedeutung der Organisationsidee

griffsmerkmal der Versammlung. In der Durchführungsphase ist die Zentralgestalt damit von der Anwesenheit der Teilnehmer für ihre eigene Grundrechtsausübung abhängig. Ganz entsprechend besteht das Recht zur Teilnahme an einer öffentlichen Ver­ sammlung nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber dem Ver­ anstalter.150 Dennoch hat der Gesetzgeber nicht nur an das Vorhandensein einer Zentralinstanz angeknüpft, sondern deren Rolle auch konkret ausgestaltet. Die Re­ gierungsbegründung sah hierin gar kein Problem, „Wer an einer öffentlichen Versammlung teilnimmt, unterwirft sich – ohne daß darin eine Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit erblickt werden könnte – der für eine solche Veranstaltung gebotenen Ordnung“151,

und stärkte die Zentralgestalt mit entsprechenden Rechten und bestimmte für die Teilnehmer Folgepflichten. Nach der im Gesetz zum Ausdruck gekommenen In­ tention des Gesetzgebers bestimmt folglich wesentlich der Leiter den Cha­rakter der Versammlung.152 Hierdurch wird diesem eine gewisse Vorrangrolle einge­ räumt, die auch das Interesse der Zentralgestalt an der Durchführung „seiner“ Ver­ sammlung in der konkret geplanten Form schützt. Zwar begrenzt dieses in gewis­ sem Umfang die Grundrechtsausübung der Teilnehmer, doch ist dieses bereits in der organisationsrechtlichen Seite der Versammlungsfreiheit angelegt. Wählt der Veranstalter eine gewisse Struktur der Versammlung, ist die Erhaltung dieser eine Folge seiner dem Grundrecht entspringenden Organisationsgewalt.153 Die Versammlungsfreiheit erstreckt sich aufgrund der besonderen Bedeutung der organisatorischen Leistung zur Ermöglichung der Grundrechtsausübung ge­ rade nicht darauf, „gegen den Willen des Leiters dessen Versammlungsressourcen in Anspruch nehmen zu können“154 oder gar eine Versammlung in abweichender Zielrichtung zu übernehmen. Das Veranstalten und Leiten einer Versammlung ist somit, wenn auch nicht Begriffsmerkmal, so doch „integrierender Bestandteil der Versammlungsfreiheit“155. Daraus rechtfertigt sich auch, dieses „Schwergewicht“ der Versammlungsfreiheit einfachrechtlich entsprechend nicht nur zu regeln, son­ dern auch zu schützen und hervorzuheben.156 Das Teilnahmerecht beschränkt sich demnach bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen und, soweit der Veranstalter die Struktur des VersG annimmt, auf das Recht zur Teilnahme und die Äußerung abweichender Meinung, soweit dieses keine Störung darstellt.157 150

BVerfG, NJW 1995, 3110; Ott/Wächtler/Heinhold, Versammlungsgesetz, 2010, § 1 Rn. 61. Regierungsbegründung zum Entwurf des VersG, BT-Drs. 1/1102, S. 9. 152 Ebenso Breitbach, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, § 10 Rn. 10; Ladeur, ebd., Art. 8 Rn. 32. 153 Breitbach, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, § 10 Rn. 11. 154 Breitbach, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, § 10 Rn. 12. 155 Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 192. 156 Zitat bei Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S.  138 f., dort auch zu den Grenzen der Rechte des Leiters, S. 205 ff. 157 Ladeur, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Art. 8 Rn. 32. 151

B. Organisationsidee und Ordnungsvorschriften

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Letztlich steht jedem Grundrechtsträger frei, selbst eine Versammlung etwa auch in Form einer Gegendemonstration abzuhalten. Es gibt aber kein Recht, Ver­ sammlungen in seinem Sinne umzugestalten und dieses anderen aufzuzwingen. Hier erlangt der Schutz der Zentralinstanz durch das Grundrecht selbst auch Be­ deutung für den Schutz der anderen Teilnehmer. Diese hervorgehobene Rolle der Zentralinstanz erlangt besondere Bedeutung für den Schutz von Minderheiten. e) Minderheitenschutz Versteht man die Versammlungsfreiheit als Grundrecht, „das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugute kommt“158, so hat auch hier das Vorhanden­ sein einer Zentralinstanz besondere Bedeutung.159 Schon in den Verhandlungen der zweiten preußischen Kammer 1849/50 wurde die Bedeutung des polizeilichen Schutzes von Versammlungen herausgestellt.160 Hierbei wurden Berichte darüber geliefert, „daß Versammlungen häufig von nicht dazugehörigen Schaaren besucht und gesprengt wur­ den, wo es dann oft blutige Köpfe gesetzt hat“.161

Die staatliche Schutzpflicht für Versammlungen gegen Störungen von außen wird heute allgemein vertreten.162 Dieses wird zusätzlich dadurch aufgeladen, dass die Versammlungsfreiheit durch das BVerfG wesentlich politisch verstanden wird. So muss dem Staat mit dem OVG Berlin-Brandenburg „an der Wahrung des Versammlungsrechts als Form der politischen Beteiligung gerade von Minderheiten als einem Wesenselement des demokratischen Rechtsstaats in besonderer Weise gelegen sein […].“163

Doch kommen die Gefahren für Versammlungen, wie schon die Erfahrungen mit dem „frühzeitigen Erscheinen“ in der Weimarer Republik gezeigt haben,164 eben nicht nur von außen, sondern auch von innen. Auch Minderheiten muss aber möglich sein, öffentliche Versammlungen ab­ zuhalten und in diesen über ihre Anliegen zu informieren, ohne sich dabei Mehr­ heitsmeinungen oder Verhaltensweisen aufdrängen lassen zu müssen, insb. wenn 158

BVerfGE 69, 315 (343). Zur Bedeutung der Versammlungsfreiheit für den Minderheitenschutz Ladeur, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, Art. 8 Rn. 32. 160 Verhandlungen der Zweiten Kammer, 29. Sitzung am 17.04.1849, S. 536. 161 Hartmann, Verhandlungen der Zweiten Kammer, 110. Sitzung am 16.02.1850, S. 2790; der Bericht diente hier dazu ein Amendement, welches die zwingende Öffentlichkeit aller Versammlungen, in denen öffentlichen Angelegenheiten besprochen werden sollen, zurück­ zuweisen. 162 Statt aller nur BVerfGE 69, 315 (355) sowie Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 42 m. w. N. 163 OVG Berlin-Brandenburg, OVGE 29, 170 (182). 164 Vgl. Kap. 2 E. IV. 2. 159

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Kap. 3: Bedeutung der Organisationsidee

dieses durch Störungen geschieht. Hierfür ist aber das Vorhandensein einer Zen­ tralinstanz von erheblicher Bedeutung, da nur diese den Charakter einer Versamm­ lung – etwa die Frage, ob eine Aussprache zu einem Vortrag stattfindet – im Voraus kraft ihrer grundrechtlichen Organisationsgewalt entscheiden kann. Hier erlangt auch die Ausgestaltung der Rechte der Zentralgestalt durch das VersG Bedeutung. Denn wenn sich der Leiter in der Entscheidung über die Durch­ führung einer Versammlung einer Mehrheit beugen müsste, wäre dieses keines­ falls ein „Mehr“ an grundrechtlicher Freiheit, sondern das Ende öffentlich vor­ gebrachter Minderheitenanliegen in Versammlungsform. So schließt § 7 VersG seinem Wortlaut nach eine von dessen Regelungen abweichende Bestellung des Leiters („Übernahme der Versammlung“), etwa im Wege einer Wahl im Laufe der Versammlung zunächst nicht aus. Dieser sagt vielmehr, dass der Veranstalter die Leitung übertragen kann.165 Ihm ist also freigestellt, seiner Übertragungsentschei­ dung eine Wahl durch die Versammlung vorangehen zu lassen. Allerdings verhin­ dert § 7 Abs. 3 VersG, dass die Leitung einer Versammlung etwa durch das „Auf­ schwingen“ einer Person übergehen und somit die Position der Zentralinstanz durch die Versammlung ausgewechselt werden kann. Insoweit sichert das VersG die Organisationsgewalt des Veranstalters ab. Leiter im Sinne des VersG kann also nur derjenige sein, der die Leitung vom Veranstalter übertragen bekommen hat, nur diesen Leiter regelt das VersG.166 Derjenige, der die Leitung bloß faktisch über­ nimmt (sog. faktischer Leiter), sei er auch von der Versammlung akzeptiert, wird demnach nicht zum Leiter im Sinne des VersG,167 folglich stehen ihm auch die dort genannten Rechte nicht zu. Anderes gilt nur, wenn sich die Versammlung ohne vorbereitende Organisation als Spontanversammlung bildet.168 Zum Schutz der Organisationsgewalt gehört auch das Recht zur Verwendung einer angemessenen Zahl169 ehrenamtlicher Ordner (§ 9 Abs. 1 VersG) zur Durch­ führung der Rechte des Leiters („seiner“) aus § 8 VersG. Ganz entsprechend ver­ 165

Breitbach, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, § 7 Rn. 19. Breitbach, NJW 1984, 841 (843). 167 Ebenso Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 2011, § 7 Rn. 11: „Nicht die Wahl, sondern nur die Einsetzung durch den Veranstalter macht eine Person zum Leiter“; Breitbach, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, § 7 Rn.  22 f.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht, 2006, § 107, S. 1222, 1246. 168 Dazu BayObLG, NJW 1970, 479: „Leiter einer Spontanversammlung ist, wer die Funk­ tionen eines solchen erkennbar übernimmt und von der Versammlung als Leiter anerkannt wird.“; bereits früher RGSt 44 (1911), 370 (373) zum faktischen Leiter eines Aufzuges. 169 Die Zahl bestimmt sich in Übereinstimmung mit Art. 8 GG und in den Worten Füßleins, Versammlungsgesetz, 1954, § 9 Rn. 3, durch das durch den „Ordnungszweck gegebene Maß“. Dieses überschritt etwa eine Auflage die zehn Ordner sowie pro 25 Teilnehmer einen weiteren Ordner vorsah, VG Meiningen, Urt. v. 13.03.2012, Az. 2 K 348/11 Me. Denn dieses habe, insb. bei Aufruf über das Internet und damit verbundener Unbekanntheit der Zahl der Teilnehmer, den Zwang zur Vorhaltung einer kaum zu stellenden Ordnerzahl nach sich gezogen. Als obiter dictum wird dann aber, angelehnt an das OVG Weimar, B. v. 17.06.2011, Az. 3 EO 429/11, eine Anzahl von einem Ordner je 40 bis 50 Teilnehmer ohne weitere Begründung akzeptiert. 166

B. Organisationsidee und Ordnungsvorschriften

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hält es sich mit dem Ausschlussrecht170 des Veranstalters bei Veranstaltungen in­ geschlossenen Räumen, § 11 Abs. 1 VersG. Unter freiem Himmel hat die Polizei die Versammlung entsprechend zu schützen, § 19 Abs. 4 VersG. f) Ausgleich mit Interessen Dritter und der Allgemeinheit Die wechselseitigen Interessen im Zusammenhang mit Versammlungen, insb. solchen unter freiem Himmel, zum Ausgleich zu bringen ist Aufgabe der Behör­ den.171 Dieses erlangt nicht nur bei Gegendemonstrationen Bedeutung, sondern auch dann, wenn die Interessen Drittbetroffener172 über das normal hinzuneh­ mende Maß an Beeinträchtigungen im Sinne von bloßen „Nebeneffekten“ hinaus betroffen sind, etwa durch extreme Lärmbelästigung zur Unzeit („Nacht-TanzDemo“)173 oder erhebliche Behinderungen des Verkehrs bzw. des gesamten täg­ lichen Lebens („Blockupy“). Dabei gilt zunächst, dass die Pflicht der „Veranstalter und Teilnehmer […] unfriedliches Verhalten zu unterlassen und die Beeinträch­ tigung von Drittinteressen zu minimalisieren […] schon unmittelbar aus der Grundrechts­ gewährleistung und der Abstimmung auf die Grundrechte anderer“174

folgt. Dieses wird in der Diskussion um die Rechtmäßigkeit bestimmter Protest­ formen zumeist vergessen. Nicht zuletzt geht es hier auch um die Verhinderung von Gewalt, die aus oder im Zusammenhang mit Versammlungen entstehen kann. Hierzu hat der BGH bereits 1969 zutreffend festgestellt, dass sich dem Grund­ gesetz keine Befugnis entnehmen lässt, die Wirkung von Versammlungen auf Dritte durch Gewaltakte zu erhöhen:175 „Niemand ist berechtigt, tätlich in die Rechte anderer einzugreifen, insbesondere Gewalt zu üben, um auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erregen und eigenen In­ teressen oder Auffassungen Geltung zu verschaffen. Der von der Verfassung gewährte wei­ tere Spielraum für die Auseinandersetzung mit Worten […] duldet keine Erweiterung auf tätliches Verhalten. Andererseits kann sich daraus, daß mehrere oder viele einzelne zu ge­ meinsamer Aktion zusammentreten, kein qualitativer Umschlag im Sinne weitergehender Berechtigungen ergeben.“176 170 Die Norm erscheint als Ermessensvorschrift: „kann“; das darin in Anbetracht des Organi­ sationsrechts als Teil des Schutzbereichs des Art. 8 GG tatsächlich eine überprüfbare Ermes­ sensentscheidung liegt, erscheint äußerst fragwürdig, ablehnend Breitbach, in: Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, § 11 Rn.  13, die Bezeichnung sei „verfehlt“; anders aber Dietel/ Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 2011, § 11 Rn.  2; Ott/Wächtler/Heinhold, Versamm­ lungsgesetz, § 11 Rn. 4. Im letzteren Verständnis liegt eine Auffassung, die den Leiter weiterhin eher als Hilfspolizist denn als Grundrechtsträger versteht. 171 BVerfG, NJW 2001, 1407 (1408). 172 Dazu umfassend Scheu, Freiheitsperspektiven Drittbetroffener, 2014. 173 Zu entsprechenden Auflagen etwa VG Frankfurt a. M., NJW 2001, 1741. 174 BVerfGE 69, 315 (356). 175 BGHSt 23, 46 (58 f.). 176 BGHSt 23, 46 (56 f.).

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Kap. 3: Bedeutung der Organisationsidee

Diese Rechtsprechung hat zu einer umfänglichen Debatte um den sog. „Gewalt­ begriff“ geführt, die sich insb. an den gegenläufigen Entscheidungen der Ober­ gerichte und des BGH einerseits und des BVerfG177 andererseits zu sog. Sitz­ blockaden orientiert.178 Das BVerfG hat in diesem Zusammenhang Sitzblockaden von Versammlungs­ teilnehmern, als aufmerksamkeitsträchtigste Form der Behinderungen, als „Mittel zur symbolischen Unterstützung ihres Protest und damit zur Verstärkung der kom­ munikativen Wirkung in der Öffentlichkeit“ zugelassen, soweit diese nicht ledig­ lich einen „Selbstzweck“ darstellen.179 Zudem hat das BVerfG hervorgehoben: „Das Selbstbestimmungsrecht des Grundrechts der Versammlungsfreiheit […] umfasst nicht auch die Entscheidung, welche Beeinträchtigungen die Träger kollidierender Rechtsgüter hinzunehmen haben.“180

Die Aufgabe der „Freiheitsverteilung“181 in Form eines Ausgleichs hat folglich der Gesetzgeber durch entsprechende Normen vorzunehmen. Insoweit spricht vieles für eine explizite Regelung zumindest der Blockaden von Versammlungen durch Gegenversammlungen.182 Auch für diesen Prozess des Ausgleichs erlangt das Vorhandensein einer Zen­ tralgestalt in der konkreten Anwendung des Versammlungsrechts Bedeutung. Dieses gilt umso mehr, als die Anmeldung nach § 14 VersG, gerade auch im Zu­ sammenspiel mit der Möglichkeit, bestimmte Beschränkungen („Auflagen“) nach § 15 VersG zu erlassen, „sonstige Genehmigungs- und Erlaubnisakte der all­ gemeinen Rechtsordnung, die der Gefahrenabwehr dienen, ersetzt“.183 Hierbei geht es im Rahmen der Kooperation jedoch nicht um ein „Verhandeln“ des für Nichtbetroffene Zumutbaren. Dieses ist vielmehr nach bestimmten Kriterien, etwa der Dauer und Intensität der Beeinträchtigung, durch die Behörden zu bestim­ men und gegebenenfalls gerichtlich zu überprüfen.184 Hierbei ist auch das Inter­ esse der (potenziellen) Versammlungsteilnehmer sowie der Zentralgestalt zu be­ rücksichtigen.185 Der Kooperation, insb. dem Kooperationsgespräch, kommt hier die Funktion zu, die Beteiligten über bestehende Vorhaben und Interessen gegen­ 177

Seit BVerfGE 73, 206 („Mutlangen), zuletzt BVerfGE 104, 92 m. w. N. zu den obergericht­ lichen Entscheidungen. 178 Dazu Brenneisen u. a., in: Brenneisen/Wilksen, Versammlungsrecht, 2011, S. 468 ff. 179 BVerfGE 104, 92 (105). VGH Kassel, NVwZ-RR 2012, 805, geht davon aus, dass eine Versammlung, deren Zweck gerade die Verkehrsbehinderung sei, bereits nicht als friedlich gel­ ten könne. 180 BVerfGE 104, 92 (Ls. 3). 181 Höfling/Augsberg, ZG 2006, 151 (174). 182 Dazu etwa § 28 Abs. 1 Nr. 4 AKE explizit zu Versuchen der Durchführungsvereitelung durch Blockaden. 183 Zitat bei BVerfG, NJW 2001, 2459 (2460). 184 Scheu, Freiheitsperspektiven Drittbetroffener, 2014, S. 170 ff. 185 Scheu, Freiheitsperspektiven Drittbetroffener, 2014, S. 170 ff., dort auch zu den Kriterien der Gewichtung der wechselseitigen Interessen.

B. Organisationsidee und Ordnungsvorschriften

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seitig zu informieren und im Rahmen einer „vertrauensvollen Zusammenarbeit“186 zusammenzuführen. Hiermit können nicht nur Interessen Drittbetroffener be­ rücksichtigt, sondern auch die Ausübung der Versammlungsfreiheit ermöglicht werden. Die Bedeutung des Ausgleichs der Interessen hat das BVerfG mit der FraportEntscheidung187 noch um einen neuen Aspekt erweitert. Nachdem soweit ersicht­ lich stets außer Frage stand, dass Art. 8 Abs. 1 GG kein Recht auf Versammlungen auf fremdem Raum vermittelt,188 und Ausnahmen höchstens im Falle eines Kon­ trahierungszwangs denkbar waren,189 vollzog das BVerfG hier 2011 eine radikale Wende. In einem obiter dictum öffnete das BVerfG Grundstücke in rein privatem Besitz für die Ausübung der Versammlungsfreiheit, sofern die privaten Eigentümer auf diesen „einen öffentlichen Verkehr eröffnen und damit Orte der allgemeinen Kommunikation schaffen“:190 „Entsprechendes [wie für den öffentlichen Straßenraum] gilt aber auch für Stätten außer­ halb des öffentlichen Straßenraums, an denen in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr er­ öffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen. Wenn heute die Kommuni­ kationsfunktion der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze zunehmend durch weitere Foren wie Einkaufszentren, Ladenpassagen oder sonstige Begegnungsstätten ergänzt wird, kann die Versammlungsfreiheit für die Verkehrsflächen solcher Einrichtungen nicht ausgenom­ men werden, soweit […] Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung in Anspruch genom­ men werden können.“191

Dieses Ergebnis ist zu Recht auf Kritik gestoßen.192 Für die hier interessierende Bedeutung des Vorhandenseins einer ordnenden und planenden Zentralinstanz, ist aber weniger diese Öffnung sog. „semiöffentlicher“ Räume von Bedeutung, son­ dern die Art, in der das BVerfG sich den Schutz der betroffenen Eigentümer vor­ stellt. Dieses soll nicht nur über Festlegungen in einer „Benutzungsordnung“ ge­ schehen, sondern gerade auch über die Erweiterung der Anzeigepflichten, hier 186

BVerfGE 69, 315 (336). BVerfGE 128, 226. 188 Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 43; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, 1987, Art. 8 Rn. 41. 189 Die Bedeutung des Einzelfalls für die Rechtsprechung zu Art. 11 EMRK, vgl. „Appleby/ United Kingdom“, EGMR, Urt. v. 06.05.2003, Az. 44306/98, verkennen Enders u. a., Muster­ entwurf, 2011, S. 63. 190 Noch offenlassend BVerfGE 128, 226 (250), dann aber S. 252. 191 BVerfGE 128, 226 (252). 192 So bereits im abweichenden Votum BVerfGE 128, 226 (273 ff.). Der Kernfehler beruht be­ reits darin, dass das BVerfG den Konflikt zwischen Eigentum und Versammlungsfreiheit pau­ schal auf der Schutzbereichsebene zugunsten der Versammlungsfreiheit entscheidet. Ebenso § 21 S. 1 AKE: „können öffentliche Versammlungen auch ohne die Zustimmung der Eigentüme­ rin oder des Eigentümers durchgeführt werden“. Die gesamte Begründung, in der das BVerfG der durch Fischer-Lescano/Maurer, NJW 2006, 1393 bereits zu BGH, NJW 2006, 1054 ein­ gebrachten Theorie des „public forums“ aus dem amerikanischen Recht folgte, ohne die grund­ legenden, auch städtebaulich bestimmten Unterschiede der Länder zu berücksichtigen (253 f.). Die Argumentation für dieses rechtspolitisch gewollte Ergebnis findet sich dann auch eher in 187

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Kap. 3: Bedeutung der Organisationsidee

durch private Festlegung, über die Behörden hinaus auf die Eigentümer.193 Eine solche Erweiterung der Anzeigepflichten unterliege keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.194 Auch dort, wo sich aufgrund tatsächlicher oder behaupteter Notwen­ digkeit, neuer Regelungsbedarf ergibt, greift das BVerfG damit auf die Orientie­ rung an der Idee der organisierten Versammlung und ihre Bedeutung für die Kon­ fliktlösungen und den Grundrechtsausgleich zurück.195 En passant hat das BVerfG den Begriff „unter freiem Himmel“ neu definiert: Eine Versammlung findet unter freiem Himmel statt, wenn am Versammlungsort ein allgemeiner kommunikativer Verkehr eröffnet ist.196 g) Gefahrenprognose und Unfriedlichkeit Die Erstellung einer tragfähigen Gefahrenprognose hängt von mehreren Fak­ toren ab – unter ihnen auch das Vorhandensein einer Zentralinstanz.197 Zum einen kann für die Abschätzung der Gefahrenlage auf die Erfahrungen mit dieser zurück­ gegriffen werden. Zum anderen ermöglichen aber auch die mit der Anmeldung verbundene Kontaktaufnahme und der Austausch von Informationen wesentlich die Prognosesicherheit, was wiederum auf die Reaktionsschwelle der Behörden Einfluss hat.198 Je genauer aber die Lage aufgeklärt werden kann, desto besser kann die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der Versammlung geschützt wer­ den, was sich auf die Ermöglichung der Versammlung wiederum positiv auswirkt. Das Vorhandensein einer Zentralgestalt gestattet der Behörde aber auch, Maß­ nahmen gezielt gegen Störer vorzunehmen, ohne gleich die gesamte Versammlung in Anspruch nehmen zu müssen. Die Orientierung der Beurteilung der Friedlich­ keit einer Versammlung an der Zentralgestalt und ihrem Anhang schützt so wiede­ rum gegen das Umfunktionieren einer Versammlung.199

den Erwägungen zum AKE: „Die Privatisierung bisher öffentlicher Räume – etwa von Fuß­ gängerzonen oder Einkaufszentren – darf nicht dazu führen, dass Versammlungen an solchen traditionell für die Ausübung der Versammlungsfreiheit genutzten Orten nunmehr nicht mehr stattfinden können.“, Enders u. a., Musterentwurf, 2011, S. 4. Die Privatisierung von Fußgän­ gerzonen ist aber ebenso wenig ersichtlich, wie jemals (staatliche?!) Einkaufszentren „tradi­ tionell“ für Versammlungen genutzt wurden. Dabei wäre durchaus auch eine differenzierte­ Lösung möglich gewesen Wendt, NVwZ 2012, 606. 193 BVerfGE 128, 226 (262 f.). 194 BVerfGE 128, 226 (261). 195 Zur Einbeziehung der Eigentümer in die Kooperation, § 21 S. 2, 3 AKE. 196 BVerfGE 128, 226 (255); zur Begründung greift das BVerfG auf versammlungsrechtliche „Leitbilder“ zurück, nach denen Versammlungen die „idealtypisch“ auf Straßen und Plätzen bzw. „in Hinterzimmer von Gaststätten“ stattfänden, S. 255 f. 197 Köhler, in: Staack/Schwentuchowski, Versammlungen, 2006, S. 161. 198 BVerfGE 69, 315 (358 f.). 199 BVerfGE 69, 315 (360 ff.).

B. Organisationsidee und Ordnungsvorschriften

267

II. Rechtfertigung der Ordnungsvorschriften Trotz der gezeigten erheblichen Bedeutung des Vorhandenseins einer Zentral­ instanz, namentlich des Leiters in der Durchführungsphase, ist die einschrän­ kungslose Pflicht zur Bestellung eines Leiters umstritten.200 Gleiches gilt für die hieran anknüpfenden Regelungen.201 Das BVerfG hat die Leiterpflicht im Brokdorf-Beschluss explizit nicht über­ prüft.202 Gleiches gilt für den Beschluss zum BayVersG.203 Dabei lässt sich letzte­ rer auch so lesen, dass die Festlegung einer Leitungspflicht, soweit Verstöße ge­ gen diese, wie in allen geltenden Gesetzen und den Musterentwürfen üblich, nicht unmittelbar mit Geldbuße oder Strafe bewehrt sind, möglicherweise die Qualität eines Eingriffs nicht erreicht.204 Wenn auch manche neue Versammlungsgesetze sowie der AKE205 auf die Formulierung des § 7 Abs.  1 VersG verzichten, wird­ dennoch – beachtet man die ohnehin geltenden Ausnahmen für Spontanversamm­ lungen – das inhaltsgleiche mit den Formulierungen „Der Veranstalter leitet die Versammlung.“

oder „Wer eine Versammlung veranstaltet, leitet die Versammlung.“

erreicht.206 Damit gingen Gesetzgeber bzw. Entwurfsverfasser auch jeweils von der Verfassungsmäßigkeit der Leiterpflicht aus. 200 Dagegen etwa Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, 2015, Rn. 802; Hoffmann-­ Riem, in: Denninger u. a., AK-GG, 2001, Art.  8 Rn.  41; eher zustimmend aber abwertend Lenski, VerwArch 2012, 539 (556): „Ordnungsregime“. 201 Da die Ordnungsvorschriften, abseits derer, die auf den Veranstalter zielen, wesentlich vom Vorhandensein eines Leiters abhängen, wird hier nur auf diese näher eingegangen. Zu den einzelnen Vorschriften, die an das Vorhandensein einer Zentralinstanz anknüpfen vgl. Kap. 1 B. II. sowie Kap. 2 H. I. und II. Zu deren verfassungsrechtlicher Beurteilung s. die Kommen­ tierungen zum VersG, insb. Ridder u. a., Versammlungsrecht, 1992, dort zumeist am Ende der Kommentierung des jeweiligen Paragraphen unter der Überschrift „kritische oder rechtspoliti­ sche Würdigung“. 202 BVerfGE 69, 315 (349). 203 Da die Vorschrift des Art. 3 Abs. 1 BayVersG („Der Veranstalter leitet die Versammlung. Er kann die Leitung einer natürlichen Person übertragen.“), wie auch § 7 Abs. 1 VersG nicht bußgeldbewährt sind, war die Verfassungsbeschwerde ohne zuvoriges Nachsuchen um fach­ gerichtlichen Rechtschutz bereits unzulässig, BVerfGE 122, 342 (357). Die Beschwerdeführer hatten argumentiert, es handele sich u. a. bei der Leiterpflicht „insb. für kleine Versammlungen [um] eine große bürokratische Hürde“, und ihre Verfassungswidrigkeit behauptet, BVerfGE 122, 342 (351, 349). Auch im Hauptsacheverfahren ließ das BVerfG die Frage unbeachtet, BVerfG, NVwZ 2012, 818. Im Fraport-Beschluss fehlt jede Bezugnahme auf den Leiter einer Versammlung, allerdings wird die Möglichkeit, Anzeigepflichten des Veranstalters auch gegen­ über Privaten festzulegen, zweimal hervorgehoben, BVerfGE 128, 226 (261 und 263). 204 Dessen Vorliegen hätte insoweit auch den direkten Weg zum BVerfG eröffnet; so die stän­ dige Rechtsprechung etwa BVerfGE 97, 157 (165) m. w. N. 205 Art. 3 Abs. 1 BayVersG; § 13 Abs. 1 NdsVersG; anders aber § 7 Abs. 1 S. 1 NdsVersG. 206 Art. 3 Abs. 1 BayVersG; § 4 S. 1 i. V. m. § 5 Abs. 1 S. 1 AKE.

268

Kap. 3: Bedeutung der Organisationsidee

Geht man entgegen der vorstehenden Lesart von einer Beschränkung des Art. 8 Abs. 1 GG durch die Statuierung einer Leiterpflicht aus, müsste diese zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter erfolgen und die Verhältnismäßigkeit wahren.207 Für Versammlungen unter freiem Himmel, für die mit Art. 8 Abs. 2 GG ein Gesetzes­ vorbehalt besteht, ergibt sich die Rechtmäßigkeit der Festsetzung einer Leitungs­ pflicht bereits aus der dargelegten Bedeutung. Für die anknüpfenden Ordnungs­ vorschriften ist zu beachten, dass diese nicht nur die Versammlungsfreiheit der Zentralgestalt schützen, sondern eben und gerade auch die der anderen Versamm­ lungsteilnehmer. Die Folgepflichten der Teilnehmer ergeben sich dabei ebenfalls bereits aus der Versammlungsfreiheit selbst.208 Für die Wirkung der Ordnungsvor­ schriften nach außen sind die Grundrechte Dritter zu beachten.209 Hieraus stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber nicht sogar verpflichtet ist, die Leitungspflicht und entsprechende Ordnungsvorschriften zum Schutze Dritter festzulegen, führt doch das BVerfG zurecht aus, „daß für die Ausübung der Versammlungsfreiheit unter freiem Himmel wegen der Be­ rührung mit der Außenwelt ein besonderer, namentlich organisationsrechtlicher und ver­ fahrensrechtlicher Regelungsbedarf besteht, um einerseits die realen Voraussetzungen für die Ausübung zu schaffen, andererseits kollidierende Interessen anderer hinreichend zu wahren.“210

Jedenfalls aber muss das hergebrachte Organisationsmodell oder ein vergleich­ bar wirkendes Mittel als Option zur Wahl durch den Veranstalter bereitgestellt werden. Nur durch dieses Angebot der Regelung ist letztlich der „staatsfreie un­ reglementierte Charakter“211 der Versammlungsfreiheit zu erhalten. Denn dieser geht zuerst verloren, wenn in Konfliktsituationen nur die polizeiliche „Organisa­ tion“ bleibt. Die tradierte überlieferte Konzeption führt damit zu mehr Freiheit, da sie die ultima ratio der polizeilichen Steuerung zurücknimmt. Dennoch muss auch hier die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben und insb. übermäßige Reglementie­ rung unterbleiben.212 Auch darf die Zentralinstanz, etwa durch Auferlegung na­ mentlich nach außen wirkender Pflichten, nicht vom Grundrechtsträger zum Hilfs­ polizisten degradiert bzw. aufgerüstet werden. Für Versammlungen in geschlossenen Räumen fehlt ein entsprechender Geset­ zesvorbehalt, sodass nur Maßnahmen aufgrund verfassungsimmanenter Schran­ ken in Betracht kommen.213 Die immanenten Schranken sind hier insb. die Grund­ 207

BVerfGE 69, 315 (348 f.). Vgl. Kap. 3 B. I. 3. d) und e). 209 Vgl. Kap. 3 B. I. 3. f). 210 BVerfGE 69, 315 (348). 211 BVerfGE 69, 315 (349). 212 Benda, in: Bonner Kommentar, 1995, Art. 8 Rn.10. Dies trifft insb. die Ausgestaltung der Anzeigepflichten, dazu BVerfGE 122, 342 (360). 213 So Kap. 3 B. II. Teils wird ein Gesetzesvorbehalt auch für nicht erforderlich erachtet, da mit den Regelungen zur Versammlungsleitung lediglich eine Ausgestaltung des Grundrechts stattfinde, Hettich, Versammlungsrecht in der kommunalen Praxis, 2003, Rn. 93. 208

B. Organisationsidee und Ordnungsvorschriften

269

rechte der anderen Versammlungsteilnehmer. Hierbei geht es darum, „reale Chancen zur Grundrechtsausübung“ zu ermöglichen.214 In geschlossenen Räu­ men besteht darüber hinaus auch Bedarf zum Ausgleich mit dem Eigentumsrecht am Raum, das grds. auch als Handlungsmöglichkeit des Inhabers gegenüber Ver­ sammlungen in Frage kommt.215 Hier wirken die an die Ordnungsidee anknüpfen­ den Regelungen des VersG ausgleichend ein. Rechtspolitisch wäre allerdings zu überlegen, ob für Versammlungen in geschlossenen Räumen, bei denen zumin­ dest Dritte regelmäßig weniger betroffen sind, nicht eine Wahlmöglichkeit des Veranstalters eingeführt werden sollte, die eine Entscheidung für oder gegen das klassische Leitermodell ermöglicht, was insb. für kleine Versammlungen gilt. Die neueren Gesetze und Entwürfe behalten dagegen auch für Versammlungen in ge­ schlossenen Räumen die Leitungspflicht grds. bei.216 Darüber hinaus geht der AKE, der die Leitungsrechte auch auf nichtöffentliche Versammlungen erstreckt, sofern eine Versammlungsleitung bestimmt wird, § 5 Abs.  4 AKE. Demnach ist auch für Versammlungen in geschlossenen Räumen die Festschreibung einer Lei­ terpflicht verfassungsrechtlich zulässig.

214

Hoffmann-Riem, in: Denninger u. a., AK-GG, 2001, Art. 8 Rn. 49. BVerfGE 128, 226 (262). 216 Etwa § 13 Abs. 1 S. 1 NdsVersG; Art. 3 Abs. 1 BayVersG zieht die Leitungspflicht „vor die Klammer“. 215

Kapitel 4

Zukunft der Organisationsidee Die Verbreitung sog. neuer Medien und insb. deren ständige Erreichbarkeit über die umfassende Ausstattung Privater mit internetfähigen mobilen Endgerä­ ten hat auch das Versammlungsgeschehen in den letzten Jahren verändert. Infor­ mationen können jederzeit und überall aktuell abgerufen, generiert und verbrei­ tet werden. Dieses hat zum einen Auswirkung auf die mediale Wahrnehmung von Versammlungen, da das Informationsangebot entsprechend steigt. Gleichzeitig lässt sich Aufmerksamkeit unter einer Vielzahl von Themen zunehmend nur noch mit besonderen, aus dem üblichen herausragenden Handlungen schaffen. An die­ ser Stelle spielen neue Handlungsformen bei Versammlungen eine zentrale Rolle, wobei namentlich Flashmobs bzw. Smartmobs für Beachtung gesorgt haben, nicht zuletzt durch ihren Einsatz als Arbeitskampfmittel.1 Aktuelle Bilder aufmerksam­ keitserregender Handlungen solcher Aktionen können sofort geliefert werden und bleiben dank kostenloser Upload-Portale verfügbar. Über die Bereitstellung aktu­ eller Informationen kann zugleich der Zugang zu klassischen Massenmedien er­ reicht werden. Die Verfügbarkeit und Verbreitungsmöglichkeiten von Informa­ tionen wirken aber auch zurück auf die Organisation und Organisationsformen der Versammlung selbst. Hier bieten sich Möglichkeiten zur Erreichung eines­ Mobilisierungspotenzials,2 das in der Geschichte des Versammlungsgeschehens ohne Beispiel ist. Gleichzeitig entstehen neue Möglichkeiten zur Organisation in der Versammlung, zur Verbindung zwischen den Teilnehmern und zum Kontakt mit den Behörden. Die weitere Entwicklung des Versammlungsgeschehens lässt sich zwar nicht voraussagen, doch sollen hier abschließend noch einige Aspekte des genannten Kontexts aufgezeigt werden, die bereits jetzt bei Versammlungen Bedeutung erlan­ gen. Dass dabei auch Entwicklungen aus dem Vereinigten Königreich einbezogen werden, rechtfertigt sich durch die zunehmende Internationalisierung von Protest sowie der Vernetzung der Versammlungsteilnehmer und Gruppen, die eine Nach­ ahmung erfolgversprechender Handlungen wahrscheinlich werden lässt. Dieses hat sich für Flashmobs, die ihren Ausgangspunkt noch weiter entfernt, nämlich im New York des beginnenden Jahrtausends, haben,3 bereits bewiesen. Zudem bietet das Versammlungsrecht des Vereinigten Königreiches die Möglichkeit eines kur­ 1

Dazu BAG, NJW 2010, 631; BVerfG, NJW 2014, 1874. Rucht, APuZ 25–26/2012, 3 (6 ff.). 3 Nicholson, Flash! Mobs in the Age of Mobile Connectivity, 2005 führt erste Berichte aus dem Jahr 2003 an. 2

A. Neuere Handlungs- und Versammlungsformen

271

zen Vergleichs zu einem System, dem eine dem deutschen Recht entsprechende starke gesetzliche Anknüpfung an die Idee der organisierten Versammlung fehlt.

A. Neuere Handlungs- und Versammlungsformen Aus der Vielzahl neuer Handlungs- und Versammlungsformen können hier nur Beispiele dargestellt werden. Weitere Formen entstehen weiterhin in kurzer Folge und lassen sich somit ohnehin nie einer abschließenden Darstellung zuführen.

I. Flash- und Smartmob Die höchste Aufmerksamkeit unter den neuen Handlungs- und Versammlungs­ formen haben Flash- und Smartmobaktionen hervorgerufen. Beiden ist gemein­sam, dass ihre Organisation sich wesentlich durch soziale Medien oder sonstige mobile Kommunikationsmittel vollzieht.4 In der Durchführungsphase erscheinen dann an zuvor bestimmten Orten mehrere Personen um etwa gleichartige Hand­lungen durchzuführen, die vom bloßen Stehenbleiben aus der Bewegung („Freeze“)5 im öffentlichen Raum bis zum gemeinsamen Musizieren oder Tanzen führen kön­ nen. Die Teilnehmer können dabei wenige Personen bis zu mehrere Hundert zäh­ len, ebenso kann der organisatorische Aufwand erheblich schwanken.6 Verbinden­ des Element ist dabei, dass die Aktion für Außenstehende spontan wirkt.7 Diese Wirkung entstehen zu lassen ist ein wesentlicher Punkt der teils aufwändigen­ Organisation. In der Beurteilung derartiger Versammlungen ist sich die Literatur weitgehend einig. Der Flashmob8 wird regelmäßig als unpolitisch bzw. nicht der Meinungs­ kundgabe geltend eingeordnet und somit dem engen Versammlungsbegriff folgend nicht als Versammlung i. S. d. Art. 8 Abs. 1 GG angesehen.9 Die dabei teils ver­ wendete Bezeichnung „Blödsinnstheater“10 verkennt jedoch die organisatorische 4 Anders wohl Stalberg, KommJur 2013, 169 (169). In der Nutzung der neuen Kommuni­ kationsmittel liegt eine wesentliche Abgrenzung zu den klassischen Mobphänomenen, wie sie­ bereits bei Le Bon, Psychologie der Massen, 1895 oder Canetti, Masse und Macht, 1960 be­ schrieben sind. 5 Ein Beispiel für eine sehr frühe und wesentlich noch „analoge“ Organisation fand am 03.01.2008 in der New Yorker Grand Central statt. Die Mobilisierung erfolgte allerdings auch hier über das Internet, https://www.youtube.com/watch?v=jwMj3PJDxuo&spfreload=10 [Stand: 31.07.2016]. 6 Beispiele sind Legion. Ein wunderbares Beispiel lieferte etwa das Staatsballett Berlin 2011, https://www.youtube.com/watch?v=amLsXY4-zP0&spfreload=10 [Stand: 31.07.2016]. 7 Mit Betonung auf dem „wirkt“, zutreffend daher Lenski, VerwArch 2012, 539 (539, 542); Stalberg, KommJur 2013, 169 (169). 8 Zum Begriff soweit ersichtlich zuerst Rieble, NZA 2008, 796. 9 Vgl. nur Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 2011, § 1 Rn. 54. 10 Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 2011, § 1 Rn. 54.

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Kap. 4: Zukunft der Organisationsidee

wie künstlerische Leistung die in vielen Fällen dieser Veranstaltungsform zu­ grunde liegt. Der Smartmob11 hingegen diene als kreative Form der Versamm­ lung zur Einwirkung auf die öffentliche Meinung und wird folglich als Versamm­ lung angesehen.12 In der Rechtsprechung ist der Flashmob nicht zuletzt aufgrund der viel diskutierten13 Entscheidungen des BAG14 sowie des BVerfG15 mittlerweile ein gängiger Begriff. Der Fokus liegt hier allerdings weiterhin deutlich auf arbeits­ rechtlichen Entscheidungen. Die begriffliche Trennung der Literatur hat die Rechtsprechung bisher nicht übernommen, vielmehr fehlt der Begriff Smartmob hier weitestgehend. So berich­ tet das VG Karlsruhe in einer Entscheidung zur Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Maßnahme, es habe am Handlungsort „eine Art politischer ‚Flash-Mob‘ durch ca.  120 Personen“ stattgefunden.16 Bereits die unterschiedliche Verwendung der Begriffe in Literatur und Rechtsprechung steht damit einer generellen Einordnung entgegen. Weiterhin geht auch die Selbstbezeichnung der Aktionen auseinander, wobei eher auf den bekannteren Begriff „Flashmob“ abgestellt wird. Eine Einschätzung, ob tatsächlich eine Versammlung auch nach dem engen Ver­ sammlungsbegriff vorliegt, ist damit vom jeweiligen Einzelfall abhängig. Fest­ zuhalten für beide Formen ist jedoch, dass diese keineswegs spontan sind, sondern lediglich diese Wirkung erzeugen sollen. Auch setzten beide, je nach Komplexität der Ausführung, eine erhebliche Organisationsleistung voraus.17

II. Critical Mass Eine weniger betrachtete neue Handlungsform ist die „Critical Mass“. Soweit ersichtlich befasst sich in der Literatur bis dato nur ein Text näher mit diesem­ Phänomen,18 die veröffentlichte Rechtsprechung enthält keine Nachweise.19 11 Der Begriff geht auf Rheingold, Smart Mobs, 2002 zurück. Rheingold beschreibt damit aber eher eine Form der Organisation von Eilversammlungen über SMS, was er etwa am Bei­ spiel der Proteste gegen Präsident Estrada 2001 auf den Philippinen ausführt, S. 157 ff. (160). Die Kommunikation innerhalb von Gruppen bezeichnet er dagegen als „Mobile Ad Hoc Social Networks“ (S. 169 ff.). 12 Etwa Lenski, VerwArch 2012, 539 (543). 13 Zum Urteil BAG des statt vieler nur Rüthers/Höpfner, JZ 2010, 261; zum BVerfG Fischer, RdA 2011, 50, jeweils m. w. N. 14 BAGE 132, 140. 15 BVerfG, NJW 2014, 1874. 16 VG Karlsruhe, Urt. v. 28.06.2010 – 3 K 2444/09 – juris. 17 Ebenso Ernst, DÖV 2011, 537 (538). 18 Fuckerer, KommunalPraxis Bayern 2010, 306. Kersten, Rechtswissenschaft 2012, 249 (250), unterstellt diese dem Oberbegriff Flashmob, behandelt sie aber nicht näher; das Wort nennt zumindest Ott/Wächtler/Heinhold, Versammlungsgesetz, 2010, Einf. III Rn. 6. 19 Denkbar sind allerdings Auseinandersetzungen um die Rechtmäßigkeit von Bußgeldern wegen der Begehung von Verkehrsordnungswidrigkeiten, etwa Rotlichtverstößen, bei denen Aspekte der Critical Mass eine Vorfrage bilden können, dazu sogleich.

A. Neuere Handlungs- und Versammlungsformen

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Zu einer Critical Mass treffen sich Radfahrer meist monatlich zu bestimm­ ten Zeiten an bestimmten Orten, um sodann gemeinsam durch Städte zu radeln. Die Entscheidung über die Richtung der Fahrt wird dabei jeweils von den gerade Vorausfahrenden getroffen, denen die Gruppe folgt. So entstehen für jede Ver­ anstaltung unterschiedliche Fahrtrouten.20 Durch die teils sehr hohen Teilnehmer­ zahlen sowie das Fahrverhalten der Einzelnen kommt es dabei für andere Ver­ kehrsteilnehmer regelmäßig zu Beeinträchtigungen. Die Besonderheit der Critical Mass hängt mit den Bestimmungen der StVO zusammen. 1. Critical Mass und StVO Grds. müssen die Teilnehmer von Radfahrgruppen auf der Straße hintereinan­ der fahren, § 2 Abs. 2 StVO. Die Critical Mass bewegt sich allerdings zumeist mit mehreren Personen nebeneinander. Die Teilnehmer der Critical Mass nehmen für ihr Verhalten regelmäßig Kolon­ nenvorrechte nach § 27 StVO für sich in Anspruch. Gem. § 27 Abs. 1 S. 2 StVO dürfen mehr als 15 Radfahrende einen „geschlossenen Verband“ bilden. Diese Teilnehmerzahl wird durch die Critical Mass zumeist erreicht, insb. wenn die Ver­ anstaltung bereits etabliert ist. Bilden Radfahrer einen geschlossenen Verband, hat dieses für sie zwei Vorteile. Zum einen dürfen sie dann zu zweit nebeneinander auf der Fahrbahn fahren, § 27 Abs. 1 S. 3 StVO. Zum anderen werden geschlos­ sene Verbände nach der StVO als ein Verkehrsteilnehmer behandelt.21 Dieses hat insb. zur Folge, dass wenn die Spitze des Verbandes rechtmäßig in eine Kreuzung einfährt, der Rest des Verbandes nachziehen kann und zwar auch dann, wenn eine Lichtzeichenanlage oder Vorfahrtsregelungen dieses im konkreten Fall unter­ sagen. Ganz entsprechend darf ein geschlossener Verband von anderen Verkehrs­ teilnehmern nicht unterbrochen werden, § 27 Abs. 3 StVO. Auf den § 27 StVO wird dann auch regelmäßig auf einschlägigen Internetseiten hingewiesen.22 Dieses wirft allerdings die Frage auf, ob es sich bei den Radtouren in der ge­ schilderten Form überhaupt um geschlossene Verbände handelt. Ein solcher muss gem. § 27 Abs. 3 S. 1 StVO für andere Verkehrsteilnehmer als solcher „deutlich“ erkennbar sein. Aus der Verwendung des Wortes „Kraftfahrzeugverband“ in § 27 Abs. 3 S. 2 StVO folgt dabei, dass § 27 Abs. 3 S. 1 StVO, der allgemeiner nur von Verbänden spricht, auch für Radverbände gilt. Dieses ist durch Erkennungszei­ chen und die „aufgeschlossene Bewegung“ (§ 27 StVO) zu gewährleisten.23 Hier­ 20

Beispiele bei http://criticalmass-berlin.org/strecken-2015/ [Stand: 31.07.2016]. König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 2015, § 27 StVO Rn. 5; Janker, in: Burmann u. a., Straßenverkehrsrecht, 2014, § 27 StVO Rn. 5; Bachmeier, in: Müller/Bachmeier/ Starkgraff, Fachanwaltskommentar Verkehrsrecht, 2014, § 27 StVO Rn. 6. 22 S. http://criticalmass-berlin.org/critical-mass/stvo/; http://criticalmass-kassel.de [Stand: 31.07.2016]. 23 Bachmeier, in: Müller/Bachmeier/Starkgraff, Fachanwaltskommentar Verkehrsrecht, 2014, § 27 StVO Rn. 1. 21

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Kap. 4: Zukunft der Organisationsidee

für würden die anlässlich solcher Veranstaltungen häufig verteilten Flyer und Auf­ kleber, welche etwa in die Speichen gesteckt werden, nicht ausreichen. Allerdings kann argumentiert werden, dass die geschlossene Fahrweise bei Radverbänden als Erkennbarkeit ausreichend ist, da § 27 Abs. 3 S. 2 eine Kennzeichnungspflicht bzgl. der Verbandszugehörigkeit jeweils wieder nur für Kraftfahrzeugverbände festlegt. Allerdings dürfen die Lücken zwischen den Teilnehmern das zur Wah­ rung der Verkehrssicherheit notwendige nicht unterschreiten, da ansonsten ein geschlossener Verband nicht mehr vorliegt.24 Entfernt sich ein Teil der Kolonne kann diese jedoch wieder selbst als geschlossener Verband gelten.25 Anders als Versammlungen einen Leiter setzt jedoch ein Verband einen Ver­ bandsführer, § 27 Abs. 5 StVO, begrifflich voraus.26 Diesem obliegt die Pflicht da­ für zu sorgen, dass die für geschlossene Verbände geltenden Pflichten ein­gehalten werden. Dieses umfasst etwa die Pflicht, in angemessenem Abstand Zwischen­ räume für den übrigen Verkehr zu lassen (§ 27 Abs. 2 StVO), um diesem das Über­ holen und Queren zu ermöglichen, sowie den Verband nicht zu unterbrechen. Für den Veranstalter sind diese Pflichten, anders als für Teilnehmer, in § 49 Abs.  2 Nr. 1 und 2 StVO bußgeldbewährt. Das Vorhandensein eines Verbandsführers wird jedoch von den Teilnehmern üblicherweise als wesensfremd zurückgewiesen: „CM-Rides sind unorganisiert und unhierarchisch.“27

Die Nutzung des Straßenraums sei rein individuell, eine Organisation jegli­ cher Art wird abgelehnt. Fehlt damit der Verbandsführer, kann folglich nicht von einem geschlossenen Verband gesprochen werden. Rechtsfolge solcher dann bloß „offener Verbände“ ist, dass jeder Teilnehmer den Verkehrsregeln unter­ worfen ist,28 dieses gilt insb. für das Einfahren in Kreuzungen aber auch für das Nebeneinanderfahren. Aber auch wenn man trotz Fehlens des Verbandsführers von einem geschlos­ senen Verband ausgeht, entbindet dieses die Teilnehmer nicht von der Einhaltung der Verkehrsregeln. Auch in Verbänden darf dem Vorausfahrenden nicht blind ge­ folgt oder das Kolonnenvorrecht erzwungen werden.29 Weiterhin ist das Neben­ 24

Bachmeier, in: Müller/Bachmeier/Starkgraff, Fachanwaltskommentar Verkehrsrecht, 2014, § 27 StVO Rn. 5, mit dem der Rechtsprechung entnommenen Beispiel, dass Kraftfahrzeuge, die bei einer Geschwindigkeit von 35 km/h einen Abstand von 50 m halten, nicht mehr als ge­ schlossener Verband anzusehen sind. 25 Bachmeier, in: Müller/Bachmeier/Starkgraff, Fachanwaltskommentar Verkehrsrecht, 2014, § 27 StVO Rn. 5 m. w. N. 26 König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 2015, § 27 StVO Rn. 5; Janker, in: Burmann u. a., Straßenverkehrsrecht, 2014, § 27 StVO, Rn. 3: „Der geschlossene Verband setzt einen Führer (…) voraus.“ 27 http://criticalmass-berlin.org/critical-mass/verhaltensregeln/ [Stand 31.07.2016]. 28 Janker, in: Burmann u. a., Straßenverkehrsrecht, 2014, § 27 StVO Rn. 1. 29 König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 2015, § 27 StVO Rn. 5; Bachmeier, in: Müller/Bachmeier/Starkgraff, Fachanwaltskommentar Verkehrsrecht, 2014, § 27 StVO Rn. 6: „Sorgfaltspflichten“.

A. Neuere Handlungs- und Versammlungsformen

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einanderfahren nur zu zweit erlaubt (§ 27 Abs. 1 Nr. 3 StVO), nicht aber in größe­ rer Zahl. Dieses folgt neben dem Wortlaut auch aus der Systematik des § 27 StVO, der eine Behinderung des übrigen Verkehrs verhindern will. Darüber hinaus gilt das Recht nebeneinander zu fahren nur soweit, als hierdurch andere Verkehrsteil­ nehmer nicht behindert werden, § 2 Abs. 4 S. 1 StVO. Zumindest aber nicht „mehr als nach den Umständen unvermeidbar“.30 Jedenfalls rechtswidrig i. S. d. StVO ist das Errichten physischer Barrieren durch den Einsatz des eigenen Körpers sowie des Fahrrades, um hierdurch etwa andere Verkehrsteilnehmer von der Weiterfahrt abzuhalten („Korken“).31 Dieses Verhalten kann vielmehr, unter Beachtung des Zwecks, als Nötigung strafbar sein.32 Hier ist, wie für die Erscheinung der Critical Mass insgesamt, die sich in ihrem Verhalten von Stadt zu Stadt unterscheiden kann, jeweils der Einzelfall zu beurtei­ len. Zusammenfassend dürfte die Critical Mass in vielen Fällen keinen geschlosse­ nen Verband darstellen, die Berufung auf Verbandsrecht unter gleichzeitiger Miss­ achtung der Rücksichtnahmepflichten ist jedenfalls rechtsmissbräuchlich. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob eine Critical Mass gem. § 29 Abs. 2 StVO erlaubnispflichtig ist. Nach § 29 Abs. 2 S. 1 StVO unterliegen Veranstaltungen, für die die Straßen mehr als verkehrsüblich in Anspruch genommen werden, der Er­ laubnispflicht. Eine solche unübliche Inanspruchnahme liegt nach dem Regelbei­ spiel des § 29 Abs. 2 S. 2 StVO vor, wenn die Benutzung der Straße für den Verkehr wegen der Zahl oder des Verhaltens der Teilnehmenden oder der Fahrweise der be­ teiligten Fahrzeuge eingeschränkt wird. Dabei folgt im Umkehrschluss aus § 29 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 StVO, dass geschlossene Radverbände, anders als Kraftfahrzeug­ verbände, nicht stets eine übermäßige Inanspruchnahme darstellen. Allerdings kommen im Rahmen einer Critical Mass alle drei Beispielspunkte in Betracht. Nach der Verwaltungsvorschrift zur StVO33 wird eine Erlaubnispflicht für Rad­ veranstaltungen ab einer Teilnahme von 100 Personen indiziert oder wenn erheb­ liche Verkehrsbeeinträchtigungen zu befürchten sind. Allerdings beziehen sich die Ausführungen lediglich auf Landesstraßen, während die Critcal Mass in den al­ lermeisten Fällen im Stadtverkehr stattfindet.34 Die Vorschriften der Verwaltungs­ vorschrift helfen auch insoweit kaum weiter, als sie sich eher an Veranstaltungen wie Radrennen oder Volksläufen orientieren.35 30

Heß, in: Burmann u. a., Straßenverkehrsrecht, 2014, § 2 StVO Rn. 55. S. dazu http://criticalmass.hamburg/wp-content/uploads/2013/11/Corken.jpg [nicht mehr abrufbar, Stand: 31.03.2015]. 32 Dieses gilt jedenfalls im Rahmen der „Zweite Reihe“-Rechtsprechung (vgl. BGHSt 41, 182) auch, sofern man die Critical Mass als Versammlung einordnet, dazu sogleich. 33 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur StVO in der Fassung vom 17.07.2009, BGBl. III 2009, S. 9231–1. 34 Fuckerer, KommunalPraxis Bayern 2010, 306 (309). 35 Hinzutritt das grds. Problem der Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften sowie deren Wirkung für die Gesetzesauslegung. Für die Außenwirkung ist insb. § 49 Abs. 2 Nr. 6 StVO für den Veranstalter zu beachten. 31

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Kap. 4: Zukunft der Organisationsidee

Dennoch kann aus den „Erlebnisberichten“, welche regelmäßig zu entsprechen­ den Veranstaltungen lanciert werden, geschlossen werden, dass in vielen Fällen tatsächlich eine übermäßige Inanspruchnahme vorliegt, was die Betroffenen mit dem gemeinsamen Motto „Wir behindern nicht den Verkehr, wird sind der Ver­ kehr“ zurückweisen. Geht man jedoch von einer Erlaubnispflicht aus, stellt sich die Frage nach der Einholungspflicht gem. § 29 Abs. 2 S. 1 StVO und damit nach dem Veranstalter. „Veranstalter ist nur, wer die Veranstaltung vorbereitet, organisiert oder eigenverantwortlich ins Werk setzt, der geistige und praktische Urheber, der Planer und Veranlasser.“36

Aufgrund des gezeigten Selbstverständnisses der Critical Mass-Veranstaltun­ gen fehlt es jedoch nicht nur an einem Verbandsführer, sondern auch an einem Veranstalter. Dieses gilt insb. dort, wo die Veranstaltungen nicht durch breite Inter­ netangebote begleitet werden, sondern sich eher in Form eines Brauchs langsam eingebürgert und ritualisiert haben. Mangels eines Veranstalters geht somit aber nicht nur die Erlaubnispflicht ins Leere, sondern auch die Möglichkeit, diese mit Auflagen zu verbinden.37 Hier kä­ men nur Allgemeinverfügungen in Betracht, die allerdings auch nur die Rechtslage wiederholen würden, so sie nicht Radfahrverbote für bestimmte Bereiche aufstel­ len wollen. Beides unterläge aber erheblichen Bedenken. Auch die Veranstalter­ pflichten, die Route vorab bekanntzumachen38 und Radveranstaltungen ggf. auf Nebenstrecken zu verlegen39 bleiben damit wirkungslos. Die Erlaubnispflichten und Auflagenmöglichkeiten nach der StVO würden aber ohnehin zurücktreten, wenn die Veranstaltung als Versammlung i. S. d. VersG anzusehen wäre, da §§ 14 und 15 VersG bzw. die entsprechenden Normen der­ Landesgesetze insoweit das speziellere Gesetz darstellten. 2. Critical Mass als Versammlung Aufgrund der Freiheit der Typenwahl einer Versammlung (Selbstbestimmung)40, könnte auch eine Critcal Mass eine Versammlung sein. Die Selbstbezeichnung der Critical Mass durch Teilnehmer und „begleitende“ Internetseiten scheint der Annahme, es handele sich um Versammlungen, zunächst zu widersprechen. Diese gehen selbst davon aus, die Critical Mass seien keine „Demonstration“ oder „Protestform“.41 An gleicher Stelle findet sich aber die Be­ 36

Janker, in: Burmann u. a., Straßenverkehrsrecht, 2014, § 29 StVO Rn. 4. Fuckerer, KommunalPraxis Bayern 2010, 306 (309). 38 Ziffer 33 zu § 29 StVO. 39 Ziffer 64 zu § 29 StVO. 40 BVerfGE 69, 315 (343). 41 S. dazu http://criticalmass-kassel.de [Stand: 31.07.2016]. 37

A. Neuere Handlungs- und Versammlungsformen

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zeichnung als „unübersehbares Statement für den Fahrradverkehr!“.42 Zwischen den Städten schwanken die Beschreibungen dabei nur gering. So wird etwa für Hamburg angeführt: „Eine Critical Mass ist eine gemeinsame Ausfahrt, unter Beachtung der allgemeinen Ver­ kehrsregeln und keine Demonstration. Die Teilnehmer möchten ein Signal setzen. In der Masse werden sie als Verkehrsteilnehmer wahrgenommen, die ihr Recht auf der Straße zu fahren einfordern.“43

Teils klingt die Beschreibung auch durchaus politisch, etwa für Berlin: „Die CRITICAL MASS ist eine weltweit stattfindende Aktion von Radfahrerinnen und Radfahrern, mit der sie gegen ihre systematische Benachteiligung durch Straßenverkehrs­ ordnung und Verkehrsinfrastruktur sowie die Dominanz des motorisierten Verkehrs in den Städten protestieren und für ihre Rechte als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer*innen eintreten. Sie findet einmal im Monat statt, traditionell am letzten Freitag. In vielen Städten wird aber auch an anderen Tagen gemeinsam geradelt.“44

Trotz der gegenläufigen Selbstbezeichnung wird damit jedoch in den meisten Fällen sogar der enge Versammlungsbegriff erfüllt sein,45 was eine Anmeldepflicht nach sich ziehen würde. Doch fehlt auch hier ein verantwortlicher Veranstalter, so zumindest die Wahrnehmung der Beteiligten: „Nein. Die Critical Mass Hamburg hat keinen Veranstalter. Die Route bestimmt sich wäh­ rend der Fahrt durch die Fahrer, die an der Spitze fahren.“46

Ganz entsprechend fehlt auch ein verantwortlicher Leiter. Durch den ständigen Wechsel wird man selbst einen sog. faktischen Leiter nicht annehmen können.47 Durch die Entscheidung der jeweils an der Spitze Fahrenden liegt aber auch kein bloß massenweise erfolgendes Individualverhalten vor, sondern es bestehen viel­ mehr wechselnde Zentralgestalten in kurzer Folge. Allerdings ist die stete und breite Distanzierung von einer Organisation doch auffällig, wenn etwa auf Internetseiten erklärt wird: „Der Treffpunkt wird auf der Facebookseite der Critical Mass Hamburg bekannt […]. Der Betreiber dieser Website hat mit der Festlegung des Treffpunkts nichts zu tun. Dem Betrei­ ber dieser Webseite ist nicht bekannt, wer den Treffpunkt bestimmt und auf der Facebook­ seite veröffentlicht.“48

Und weiter: „Eine Critical Mass zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass sie nicht von einer oder einzelnen Personen organisiert wird. Daher gibt es weder einen Veranstalter noch einen 42

http://criticalmass-kassel.de [Stand: 31.07.2016]. http://criticalmass.hamburg/faq/ [nicht mehr abrufbar, Stand: 31.03.2015]. 44 http://criticalmass-berlin.org/critical-mass/was-ist-critical-mass/ [Stand: 31.07.2016]. 45 Ebenso Höfling/Krohne, JA 2012, 734 (737). 46 http://criticalmass.hamburg/faq/ [nicht mehr abrufbar, Stand: 31.03.2015]. 47 Zu diesem Kap. 3 B. I. 3 e). 48 http://criticalmass.hamburg/faq/ [nicht mehr abrufbar, Stand: 31.03.2015]. 43

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Kap. 4: Zukunft der Organisationsidee

­ nsprechpartner für die Behörden. Dies gilt auch für die Critical Mass Hamburg. Es handelt A sich nicht um eine Demonstration, sondern um eine Gruppe von Radfahrern, die gemein­ sam eine Tour durch Hamburg fahren. Unterstützung seitens der Polizei ist damit im Grunde nicht erforderlich.“49

Oder an anderer Stelle: „Critical Mass ist eine kreative Form des Straßenprotests, bei der sich mehrere Fahrrad­fahrer scheinbar völlig zufällig treffen, um gemeinsam durch Innenstädte zu fahren und nach dem Motto ‚We’re not blocking traffic, we ARE traffic‘ auf ihre Gleichberechtigung gegenüber dem motorisierten Verkehr aufmerksam zu machen. Critical Mass hat keine Verantwortli­ chen, ist desorganisiert und antihierachisch. Jeder kann mitmachen! […] Es gibt keine Orga­ nisatoren oder Verantwortliche. Daher sind letztlich alle für sich selbst verantwortlich (was natürlich Solidarität und Verantwortung gegenüber Anderen nicht ausschließt).“50

Das ist aber so zumindest nur teilweise richtig, nämlich dort, wo die Veranstal­ tung keinen Urheber hat, sondern eine Art Brauch ist. Wo hingegen über Internet­ seiten Veranstaltungen angekündigt und geplant werden, ist dieses sehr zweifel­ haft. Damit handelt es sich auch bei der Critcal Mass um eine jeweils im Einzelfall einzuordnende neue Handlungsform. Hierbei ist zu beachten, dass man sich eben nicht wie bei üblichen Versammlungen an den Aussagen des Veranstalters orien­ tieren kann. Insb. können die Inhalte von begleitenden Internetseiten den Teilneh­ menden nicht zugerechnet werden. Entsprechend schwierig bis unmöglich ist somit nicht nur die Erstellung von Gefahrenprognosen, sondern auch die Feststellung eines Schwerpunktes der Ver­ anstaltung i. S. d. Rechtsprechung des BVerfG und damit deren Einordnung als Versammlung, denn dem einzelnen Teilnehmer wird in der Regel nicht anzuse­ hen sein, ob er die Veranstaltung nur zum Spaß, zur sportlichen Ertüchtigung oder aus Zwecken der Beeinflussung der öffentlichen Meinung in Bezug auf die Be­ handlung von Radfahren im Straßenverkehr besucht – oder nur zufällig die gleiche Strecke fährt. Hier kommt auch die Abgrenzung der Versammlung zur Ansamm­ lung über den gemeinsamen Zweck an ihre Grenzen. Gleichzeitig offenbaren sich erhebliche Umgehungsmöglichkeiten innerhalb der StVO sowie des VersG durch den bewussten Verzicht auf eine Zentralinstanz.51

III. Schwärme und kollektives Individualverhalten Angesichts solcher neuer Handlungs- und Versammlungsformen werden auch an die Einordnung kollektiven Verhaltens neue Fragen gestellt, wobei der Schwer­ punkt der Diskussion derzeit deutlich auf der Behandlung sog. Massenpartys 49 http://criticalmass.hamburg [nicht mehr abrufbar, Stand: 31.03.2015]. Eine entsprechende Begleitung findet in Hamburg und weiteren Städten dennoch statt. 50 https://www.facebook.com/criticalmasshamburg/info?tab=page_info [Stand: 31.07.2016]. 51 Fuckerer empfiehlt sodann den Versuch der Kontaktaufnahme mit den einzelnen Teilneh­ mern als einzig gangbaren Weg, Fuckerer, KommunalPraxis Bayern 2010, 306 (311).

A. Neuere Handlungs- und Versammlungsformen

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liegt.52 In diesem Zusammenhang wird regelmäßig die Metapher53 des Schwarms benutzt. In diesem finden nach Kersten54 „Individuen […] ohne zentrale Steuerung und hierarchische Organisation zu emergenten Verhaltensweisen, deren kollektive Wirkung über die Summe der einzelnen Handlungs­ beiträge hinausgeht.“

Unter diesen Begriff können die soeben beschriebenen Smart- und Flashmobs, die Critical Mass, aber eben auch Massenpartys und sogar gewaltsame Unruhen fal­ len.55 Jedenfalls für letztere geht der Begriff des Schwarms über den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG hinaus, selbst wenn man einem weiten Versammlungsbegriff folgt. Schwarmartiges Verhalten kann weiterhin auch dann vorliegen, wenn eine örtliche Beziehung der Beteiligten nicht ­besteht, etwa bei Massenbestellungen im Internet.56 Schwärme entwickeln sich an der Schnittstelle von tatsächlicher Präsenz57 und Onlinekommunikation. Der Schwarm wird durch die Kommunikation im Voraus „informationell präformiert“, was ihm einen Informationsvorsprung verschafft, der zum einen das Handeln nach außen spontan erscheinen lässt und zum anderen dem Schwarm die Möglichkeit gibt, „sich führungslos mittels kollektiver Aktions­ verdichtung zu konstituieren“.58 Im Vergleich zur Idee der organisierten Versamm­ lung entsteht so ein Organisationsersatz in der Durchführungsphase der Versamm­ lung, der sich aus der Kompensation in der Vorbereitungsphase speist. Ein weiteres Merkmal des Schwarms ist seine organisatorische Instabilität.59 „Die Individuen wechseln aufgrund einer interagierenden Affektionsbewegung augenblick­ lich vom Individualverhalten in kollektives Parallelverhalten und wieder zurück in In­di­ vidualverhalten.“60

Damit geht einher, dass etwa die Regelungsstruktur des VersG mit ihrer Anknüp­ fung an tradierte Organisationsformen nicht mehr greift. So kommen etwa Un­ terbrechung, Schließung oder auch die Entsendung von Beamten nicht mehr 52

Etwa Levin/Schwarz, DVBl. 2012, 10; Neumann, NVwZ 2011, 1171; Klas/Bauer, KuR 2011, 533. 53 Dazu Kersten, Rechtswissenschaft 2012, 249 (251 ff.), der insb. die unterschiedliche Hand­ lungsweisen von Menschen und Tieren hervorhebt, s. insb. S. 253: „Eigentlich ist ein Flash-Mob kein Schwarm. Doch der ‚Schwarm‘ lässt sich als Metapher verwenden, um das emergente Ver­ halten, das einen Flash-Mob kennzeichnet, auf einen überraschenden Begriff zu bringen […].“ Bei Kersten finden sich umfassende Nachweise auch zum Folgenden und über die rechtswis­ senschaftliche Betrachtung hinaus, etwa zu soziologischen Aspekten des Schwarmverhaltens. 54 Kersten, Rechtswissenschaft 2012, 259 (250); ähnlich Ingold, Der Staat 53 (2014), 201. 55 Kersten, Rechtswissenschaft 2012, 259 (250). 56 Kersten, Rechtswissenschaft 2012, 259 (251). 57 In Abgrenzung zu sog. „Onlineversammlungen“ könnte man mit Lenski auch von „realen Zusammenkünften“ sprechen, Lenski, VerwArch 2012, 539 (539). 58 Kersten, Rechtswissenschaft 2012, 259 (271). 59 S. bereits Kersten, Koalitionsfreiheit als Kampfmittelfreiheit, 2010, S. 75. 60 Kersten, Rechtswissenschaft 2012, 259 (271).

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Kap. 4: Zukunft der Organisationsidee

in Betracht. Weiter fehlt durch den ständigen oder schnellen Verhaltenswechsel ein Adressat für behördliche Verfügungen. Wie für die Critical Mass beispielhaft beschrieben kommt es damit in Schwärmen in erheblichem Umfang zur Mög­ lichkeit des Unterlaufens staatlicher Regelungssysteme. Für das Verhalten im Schwarm behalten sich die Individuen jeweils die Entschei­ dung über ihr Handeln vor („Ko-Isolation“),61 etwa aus der Critical Mass auszusche­ ren und (zeitweise) einen anderen Weg zu nutzen. Eine entindividualisierte Masse, wie sie etwa Le Bon beschrieb, entsteht somit nicht.62 Durch die individuellen Ent­ scheidungen abseits einer verbindenden festen Organisationsstruktur63 wird damit das Verhalten des Schwarms schwerer prognostizierbar, was zu Problemen bei der Erstellung ggf. notwendiger Gefahrenprognosen führt.64 ­Kersten schließt daraus: „Menschliche Schwärme bewegen sich außerhalb staatlicher Kontrolle.“

und bezieht dieses ausdrücklich auf das Versammlungs- und Straßenrecht.65 An dieser Stelle trifft die Diskussion um Schwärme demnach auf die Diskussion um den Versammlungsbegriff.66 Jedenfalls der enge Versammlungsbegriff muss sich hier der zusätzlichen Kritik stellen, durch Schwärme mittels „spontaner Status­ änderung“67 ohne weiteres unterlaufen werden zu können. Gleichzeitig greift das VersG, für das von einem engen Versammlungsbegriff auszugehen ist, entweder erst gar nicht oder wird durch das Unterlaufen seines Re­ gelungsmodells konterkariert. Denn anders als übliche Spontanversammlungen, auf die zumindest Teile des VersG noch anwendbar sind, kann dieses für Schwarm­ phänomene keine Wirkung mehr entfalten. Zudem käme in den allermeisten Fällen behördliches Handeln ohnehin zu spät. Auf diesem Ausgangsbefund auf­ bauend werden drei Handlungsstrategien diskutiert. Die erste führt den Präventionsgedanken ins Feld und möchte durch Vorfeld­ maßnahmen bereits das Entstehen von Schwärmen verhindern.68 Dazu wird eine umfangreiche Datensammlung im Vorfeld nötig, um das Entstehen von Schwär­ 61

Kersten, Rechtswissenschaft 2012, 259 (271). Le Bon, Psychologie der Massen, 1895, S. 10; wie Le Bon auch Canetti, Masse und Macht, 1960, S. 16 ff. 63 Vgl. Lenski, VerwArch 2012, 539 (541). 64 Vgl. Kap. 3 B. I. 3. g). 65 Kersten, Rechtswissenschaft 2012, 259 (272 f.). Ganz anders Lenski, VerwArch 2012, 539 (556). Als weitere Merkmale des Schwarms führt Kersten noch die Vervielfältigung aufgrund Weiterleitung an, S. 271 und 274. Diese ist allerdings den Schwärmen nicht exklusiv, sondern betrifft etwa auch andere Versammlungen, die sich der Onlinekommunikation zur Vorberei­ tung bedienen, dazu Kap.  4 B. I. Gleiches gilt für die „Medialisierung“, ebd., S.  272, sowie Kap.  4 B. III. Lenski, VerwArch 2012, 539 (540 ff.) kommt insg. zu vier „Kennzeichnungs­ merkmalen“, die sich wesentlich mit den hier genannten decken. 66 Zu dieser Kap. 3 A. I. Zur Bedeutung für Diskussion um Flash- und Smartmobs, Lenski, VerwArch 2012, 539 (543 f.). 67 Levin/Schwarz, DVBl. 2012, 10 (11). 68 Vgl. Lenski, VerwArch 2012, 539 (544 ff.). 62

A. Neuere Handlungs- und Versammlungsformen

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men zu erkennen.69 Ist die bevorstehende Aktion gefunden, soll sodann das Ent­ stehen im Wege des Verbotes, sei es in Form einer Allgemeinverfügung oder einer ordnungsbehördlichen Verordnung, unterbunden werden.70 Doch selbst wenn man rechtsstaatliche Bedenken an derartigen, wie auch immer zu konkretisierenden,71 Verboten beiseite stellt, bleibt weiterhin die Besonderheit des freien Handelns des Einzelnen im Schwarm zu beachten, die entsprechende Verbote mangels Sank­ tionsmöglichkeit bei Verstößen zumeist leerlaufen lassen wird.72 Die zweite Handlungsstrategie versucht über die Figur des Zweckveranlassers73 Schwarmverhalten, insb. in Form von Massenpartys, einem Veranlasser zuzurech­ nen, um so zum einen ggf. Kosten weitergeben zu können74 und zum anderen einen gewissen Abschreckungs- oder Einschränkungseffekt zu erreichen.75 Diese Auffas­ sung führt zumindest auf das Versammlungsrecht bezogen zu nichts anderem als der Wiedereinführung der Rädelsführertheorie.76 Hierzu wird zumeist vertreten, dass sich der Veranlasser von seiner Verantwortlichkeit freizeichnen könne, wenn er etwa die Veranstaltung wieder absage.77 Dieses ist aber aufgrund von Selbstläu­ fereffekten im Internet teils ineffektiv, aufgrund von Trotzreaktionen – wie auch bei Verboten – teils kontraproduktiv.78 Eine dritte Variante rät zur „Kooperation“79 bzw. zur „entspannten Koexistenz“80 zwischen Behörde und Individuen im Schwarm. Behördliche Maßnahmen sollen nur bei konkreten Gefahrenerfolgen.81 Solche Maßnahmen können etwa Platzver­ weise vor Ort sein.82 Gefahren für Leben und Gesundheit sind kaum relevant.83 Wahrscheinlicher sind Gefahren für die öffentliche Sicherheit, etwa wenn eine straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis fehlt.84 Dieser bedarf es aber aus der 69

Levin/Schwarz, DVBl. 2012, 10 (11 ff.). Dazu Levin/Schwarz, DVBl. 2012, 10 (13 ff.). 71 Dazu Lenski, VerwArch 2012, 539 (545, 555). 72 Kersten, Rechtswissenschaft 2012, 259 (276) mit einem aussagekräftigen Beispiel aus der Praxis (Verbot des Stehenbleibens auf dem Weihnachtsmarkt). Anders Lenski, VerwArch 2012, 539 (545). 73 Dazu Lenski, VerwArch 2012, 539 (553 ff.). Kritisch zu dieser Konstruktion Gusy, Polizeiund Ordnungsrecht, 2014, Rn. 336. 74 S. Lenski, VerwArch 2012, 539 (547 f.). Dort auch zum Problem der Kostenerhebung, die etwa für polizeiliches Handeln abseits der Ersatzvornahme ausscheidet. 75 Ablehnend dazu Kersten, Rechtswissenschaft 2012, 259 (276 f.). 76 Dazu Kap. 2 B. I. 77 Ernst, DÖV 2011, 537 (544); Levin/Schwarz, DVBl. 2012, 10 (16 f.). 78 Ebenso Kersten, Rechtswissenschaft 2012, 259 (277); ganz anders Lenski, VerwArch 2012, 539 (555). 79 Fuckerer, KommunalPraxis Bayern 2010, 306 (311). 80 Kersten, Rechtswissenschaft 2012, 259 (277, 291). 81 Kersten, Rechtswissenschaft 2012, 259 (277). 82 Lenski, VerwArch 2012, 539 (546 f.). 83 Lenski, VerwArch 2012, 539 (549). 84 Ernst, DÖV 2011, 537 (541); Söllner/Wecker, ZRP 2011, 179 (181); Neumann, NVwZ 2011, 1171 (1175). 70

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Kap. 4: Zukunft der Organisationsidee

Besonderheit des Schwarms nicht, da das Verhalten der Einzelnen für sich den kommunikativen Gemeingebrauch nicht überschreitet.85 Letztere Lösung kann damit Gefahren nicht im Entstehen verhindern, doch ist sie praxistauglich und ermöglicht angemessene Lösungen, abseits von Flächenund Pauschalverboten. Dieses Vorgehen ist umso mehr gerechtfertigt, als dass an­ ders als bei hergebrachten Versammlungen regelmäßig nur kurzfristige Behin­ derungen Dritter eintreten werden und auch Gegenversammlungskonstellationen unwahrscheinlich sind. Damit reduziert sich insgesamt die Schadensgefahr und steigt folglich die Eingriffsschwelle. Die Landesversammlungsgesetze und Musterentwürfe bieten insoweit kein ab­ weichendes Lösungsangebot. Reduziert sich damit der Anwendungsbereich der Versammlungsgesetze allerdings wesentlich auf die hergebrachten organisierten Versammlungen, wäre rechtspolitisch zu fragen, ob es nicht an der Zeit wäre, den konsequenten Schritt zu gehen und nur noch solche Versammlungen als Versamm­ lungen im Sinne der Versammlungsgesetze anzusehen, welche über ein gewis­ ses Maß an Organisation im hergebrachten Sinne des Vorhandenseins einer Zen­ tralgestalt verfügen. Dieses vermeidet zumindest das permanente Vorführen der ­Umgehung der Gesetze.86 Einen weit umfassenderen Weg zum Umgang mit Schwärmen als Kollektivi­ tätsphänomen hat zuletzt Ingold aufgezeigt.87 Er betrachtet die herkömmliche An­ knüpfung des Grundrechtsschutzes an Individuen oder als Rechtssubjekte aus­ gestaltete Kollektive, namentlich juristische Personen nach Art. 19 Abs. 3 GG, als für die neuen Formen von Kollektivität nicht mehr ausreichend.88 Insb. die Qua­ lifizierung als Grundrechtsträger über das Vorhandensein eines Mindestmaßes an Organisation sei nicht mehr ausreichend.89 Die Besonderheit der Schwärme sieht er darin begründet, dass diese eine „soziale Emergenz“ aufwiesen, also die Wech­ selbeziehungen zwischen den Einzelnen zu neuen Eigenschaften des Ganzen füh­ ren könnten, die keiner der einzelnen Teile allein besitze.90 Verlange man für den grundrechtlichen Schutz dieser Emergenz aber eine organisatorische Verfesti­ gung, entstehe eine Schutzlücke.91 Folglich solle die Dogmatik sich von der Kon­ zentration auf das „kollektive Sein“ lösen und diesem das „kollektive Verhalten“ zur Seite stellen.92 So könnte etwa auch die Versammlung als solche selbst Grund­ 85

Lenski, VerwArch 2012, 539 (550). Lenski, VerwArch 2012, 539 (556) empfiehlt für Veranstaltungen unterhalb der durch die Rechtsprechung des BVerfG gezogenen Grenze zur Versammlung ein eigenes Gesetz, das diese Veranstaltungen regelt. Dieses ist auch empfehlenswert, wenn man wie hier dem weiten Ver­ sammlungsbegriff bzgl. des Art. 8 Abs. 1 GG folgt. 87 Ingold, Der Staat 53 (2014), 193. 88 Ingold, Der Staat 53 (2014), 194 f. 89 Ingold, Der Staat 53 (2014), 194. 90 Ingold, Der Staat 53 (2014), 202 f. Ganz ähnlich bereits Kap. 3 A. I. 91 Ingold, Der Staat 53 (2014), 207. 92 Ingold, Der Staat 53 (2014), 208. 86

A. Neuere Handlungs- und Versammlungsformen

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rechtsträger sein.93 Damit erlangt der Begriff „Augenblicksverband“ (Quilisch) für eine Versammlung neue Bedeutung.94 Als Lösung für die angenommene Schutzlücke bietet Ingold eine Rückbezie­ hung des kollektiven Verhaltens auf den Schutzbereich des Einzelnen, den Schutz durch eine „objektiv-rechtliche Grundrechtsdimension“ sowie den Schutz über Art. 19 Abs. 3 GG unter Verzicht auf das Merkmal der organisatorischen Verfes­ tigung an.95 Wobei er diese „Anerkennung sozial emergenter Kollektivitäten als eigene Grundrechtsträger“ als bevorzugenswert herausstellt.96 Wenngleich die Diskussion damit gerade erst eröffnet ist, zeigt sich für die Idee der organisierten Versammlung dennoch bereits eine überraschende mögliche Folge: Obwohl die Organisation für den Begriff der Versammlung als entbehrlich gehalten wird, knüpfen die Gesetze bisher weiter an dieses vorherrschende Sozial­ modell an. Gleichzeitig wird der organisierten Versammlung aber aufgrund man­ gelnder organisatorischer Verfestigung bisher die Grundrechtträgerschaft nach Art. 19 Abs. 3 GG nicht zugestanden. Mit dem Entstehen neuer Handlungsformen und dem damit teils verbundenen Verzicht auf das tradierte Ordnungsmodell wird nunmehr sogar die „ungeordnete“ Versammlung, wenn man der Argumentation In­ golds folgt, schließlich selbst zum Grundrechtsträger.

IV. Zwischenergebnis Neue Handlungs- und Versammlungsformen sind derzeit ein zwar aufmerksam­ keitserregendes, aber doch hinter der Bedeutung klassischer Versammlungsfor­ men zurücktretendes Phänomen. Auch ist zu erwarten, dass die organisatorische Vorbereitung und Durchführung von Versammlungen insb. zu politischen Zwe­ cken zunächst der Regelfall des Versammlungsgeschehens bleiben wird.97 Und doch fühlt man sich als Betrachter der Entwicklung des Versammlungsgesche­ hens und -rechts bei dem Versuch einer Fassung dieser Entwicklung vor dem klas­ sischen Bild der organisierten Versammlung unweigerlich an Stolleis Worte zu Heinrich von Berg erinnert,98 dieser habe ein Regelungssystem dargestellt „vielleicht im Bewußtsein, eine zerfallende Welt abzubilden“.

93 Ingold nennt dieses Beispiel explizit, Ingold, Der Staat 53 (2014), 210; anders die absolut herrschende Meinung, etwa Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2010, Art. 8 Rn. 40. 94 Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 142, 198. Quilisch lehnte allerdings die Grundrechtsträgerschaft der Versammlung als solche ab. 95 Ingold, Der Staat 53 (2014), 211 ff. (215 f., 217 ff.). 96 Ingold, Der Staat 53 (2014), 225. 97 Walter, Die neue Macht der Bürger, 2013, S. 17 mit Fn. 6. 98 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I, 1988, S. 389.

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Kap. 4: Zukunft der Organisationsidee

B. Mobile Massenkommunikation und Organisation Neue Handlungs- und Versammlungsformen profitieren ganz erheblich von den Möglichkeiten mobiler Massenkommunikation. Dieses gilt sowohl für die Or­ ganisation selbst, als auch für die „Vermarktung“ der Veranstaltungen. Aus den vielfältigen Möglichkeiten seien hier noch ausgewählte Aspekte erwähnt.

I. Organisation in der Vorbereitungsphase von Versammlungen Bereits in der Vorbereitungsphase von Versammlungen bieten neue Medien breite Möglichkeiten zur Planung der Veranstaltung selbst, aber auch für deren Wahrnehmung und damit der Mobilisierung potenzieller Teilnehmer. Hierbei ist namentlich über Social Media Dienste im Voraus auch eine Einbindung potenziel­ ler Teilnehmer in die Organisation möglich. Die Ansprache der Adressaten kann dabei über Verlinkungen auch wesentlich direkter erfolgen als etwa über Presse­ mitteilungen. Zudem kann sich der Veranstalter ohne großen Aufwand eine Platt­ form über Private Dienste fast ohne jeglichen Aufwand selbst schaffen. So bedarf es am Beispiel Facebook99 beschrieben, keinerlei Programmierkennt­ nissen mehr, um in weniger als fünf Minuten eine aussagekräftige Internetpräsenz zu erstellen, die zudem über eine Suchmaschine auffindbar ist. Gleichzeitig erhält der Ersteller eine kostenfreie Internetseite, deren Erreichbarkeit durch die Maß­ nahmen des Netzwerks gesichert wird. Weiterhin kann sich der Veranstalter für die Bewerbung sein persönliches Kontaktnetzwerk („Freunde“) sowie eine Vielzahl weiterer bestehender Seiten zunutze machen. Die Kommunikation mit Interes­ sierten kann dabei sowohl über eine elektronische Pinnwand („Chronik“) als auch über persönliche Nachrichten erfolgen. Für die öffentlich einsehbare Pinnwand be­ steht zudem für den Seitenersteller sowie Personen, die dieser dazu ermächtigt hat, die Möglichkeit, Beiträge vorab zu prüfen und entsprechend seiner Zielsetzung zu filtern. Dabei ermöglicht Facebook auch eine de facto verdeckte Organisation. So können etwa „Veranstaltungen“ über das persönliche Nutzerprofil erstellt werden, das trotz der Diskussion um die sog. Klarnamenpflicht keinesfalls in jedem Fall den tatsächlichen Namen des Profilinhabers wiedergibt. Für die Erstellung einer solchen Veranstaltung bedarf es lediglich der Auswahl des entsprechenden Sym­ bols, der Eingabe von Name, Ort und Zeit der Veranstaltung sowie ggf. weiterfüh­ render Details, etwa zum Ablauf. Über die Einstellung „Privatsphäre“ kann sodann die Veranstaltung als „privat“ (also nur für Kontakte sichtbar) oder auch „öffent­

99 Die Darstellung folgt allein dem System Facebook. Andere Netzwerke haben sich in Deutschland nicht mit vergleichbaren Nutzerzahlen halten können.

B. Mobile Massenkommunikation und Organisation 

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lich“ (für jedermann im Netzwerk sichtbar) bekanntgemacht werden. Hierzu kön­ nen sog. „Einladungen“ verschickt werden. Der Profilnutzer erscheint dabei mit seinem Profilnamen als „Gastgeber“.100 ­Darüber hinaus besteht die Möglichkeit eine „Gemeinschaft“ zu erstellen. Eine solche Funktion nutzt etwa die begleitende Seite zur Critical Mass in Hamburg.101 Im Unterschied zu „Veranstaltungen“ blei­ ben diese dauerhaft bestehen und müssen nicht jeweils neu erstellt werden. Auch hier bedarf es nur der Auswahl des Buttons „Seite erstellen“, um in kürzester Zeit eine Webpräsenz zu schaffen. Der Vorteil für den Urheber ist hierbei, dass das eigene Profil nicht automatisch angezeigt wird, die erstellte „Gemeinschaft“ damit unsichtbar verwaltet werden kann.102 Von dieser Plattform aus können sodann wie­ derum „Veranstaltungen“ erstellt werden, bei denen die „Gemeinschaft“ und nicht mehr das Nutzerprofil als „Gastgeber“ auftaucht. Die gezeigten Möglich­keiten treten dabei neben die Möglichkeiten, welche bereits die klassische Organisation über Internetseiten und E-Mailketten bieten.

II. Organisation in der Durchführungsphase von Versammlungen Neben dem Austausch zwischen Zentralgestalt und Behörde, welcher im Be­ reich der Kooperation angesiedelt ist, ergeben sich durch die Verwendung sozia­ ler Medien auch neue Möglichkeiten der Organisation in der Durchführungsphase von Versammlungen. 1. Behörde und Teilnehmer Über neue Medien ist eine direkte Kontaktaufnahme der Behörde mit Versamm­ lungsteilnehmern möglich. Neben der Ansprache durch den einzelnen Beamten oder via Megafon können so insb. Informationen an Teilnehmer weitergegeben werden ohne den Weg über die Zentralgestalt zu suchen. Eine solche Kommunika­ tion ist etwa über eigene Profilseiten in sozialen Medien möglich, die den klassi­ schen Internetauftritt ergänzen.103 So können Versammlungsteilnehmer oder auch

100 Diese Art der Erstellung von „Veranstaltungen“ bei Facebook wurde in Deutschland durch „Thessas Geburtstag“ sowie eine Massenparty auf Sylt der breiten Öffentlichkeit bekannt. Das Problem der Zurechnung von Schäden und damit der Kostenverteilung findet sich diskutiert bei Levin/Schwarz, DVBl. 2012, 10 (16 f.). m. w. N. 101 https://www.facebook.com/criticalmasshamburg/info [Stand: 31.07.2016]. 102 Zur Erstellung muss den AGB zugestimmt werden und Facebook hat die Möglichkeit die Administratorenrechte zu entziehen. Über die AGB verpflichtet sich der Nutzer zudem zur „Einhaltung der Gesetze“. 103 Vgl. etwa die Facebookseite des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main, https://www. facebook.com/PolizeiFrankfurt?fref=ts [Stand: 31.07.2016].

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Kap. 4: Zukunft der Organisationsidee

Dritte Informationen abrufen und diese über die Kommentarfunktion ergänzen. Auch Nachfragen, etwa zu Verkehrsbehinderungen, werden hier in der Regel bin­ nen Minuten beantwortet. Dabei können auch verschiedene Mediendienste kom­ biniert werden. Wobei für die Echtzeitkommunikation insb. Twitter von Bedeu­ tung ist.104 Hierfür können einerseits auf der eigenen Twitterseite Informationen bereitgestellt werden. Auf dieser Seite erscheinen dabei die eigenen Nachrichten („Tweets“) sowie die Kommentare verschiedener Nutzer.105 Die Auffind­barkeit der Nachrichten wird zudem durch die Verwendung sog. „Hashtags“ gewährleis­ tet. Gibt etwa eine Nutzer als Suchbegriff bei Twitter „#DemoXPlatz“ ein, wer­ den ihm die Tweets angezeigt, welchen dieser Zusatz beigefügt wurde. Hierbei sucht die Polizei auch den direkten Kontakt mit Versammlungsteilnehmern. Der Kommunikation der Behörde über soziale Medien kommt damit wesentlich eine Funktion als Teil  der Öffentlichkeitsarbeit zu, durch die eine erhöhte Medien­ wirkung erreicht wird. Von Seiten der Teilnehmer wird dabei ebenfalls eine be­ stimmte Wirkung auf die Öffentlichkeit angestrebt. Gleichzeitig können sich an der Versammlung Unbeteiligte in die Kommunikation einschalten und zusätz­ liche Informationen liefern oder Kritik äußern. Mangels körperlicher Anwesenheit am Versammlungsort genießen derartige Tätigkeiten jedoch nicht den Schutz der Versammlungsfreiheit. Die Nutzung der Dienste ist dabei stark abhängig von der Ereigniswirkung einer Veranstaltung. So haben ohnehin medienwirksame Ereignisse auch ein erhöh­ tes Aufkommen an offener Onlinekommunikation, die insoweit als Multiplikator wirkt. Auffällig ist zudem die starke Nutzung von organisierten Teilnehmern, also etwa solchen aus Verbänden oder Parteien sowie bekannter Gruppen. So betreiben etwa Parteien oder Interessengruppen anlässlich von Versammlungen regelmäßig begleitende Twitterdienste, die die eigene Sichtweise gegenüber Behördenhand­ lungen präsentieren. Die Nutzung durch einzelne Teilnehmer steht demgegenüber soweit ersichtlich deutlich zurück. 2. Teilnehmerkommunikation Die Teilnehmerkommunikation in der Durchführungsphase ist kaum relevant. Hier geht es zumeist um den Austausch von Informationen zwischen sich gegen­ seitig unbekannten Teilnehmern, etwa wenn vor Beweissicherungseinheiten oder Zivilpolizei gewarnt wird. Die verhaltensrelevante Kommunikation erfolgt da­ gegen wesentlich über verdeckte Dienste, insb. Instant Messaging Dienste, wie „WhatsApp“ oder den Blackberry-Messenger. Während für deren Nutzung bei

104

Umfangreich ist etwa der Twitterkanal des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main, https:// twitter.com/polizei_ffm [Stand: 31.07.2016]. 105 Zur Einbindung dient die Voranstellung des Kürzels des Profils, etwa @Polizei_Ffm für die Twitterseite des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main.

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Versammlungen in Deutschland soweit ersichtlich keine Forschungsergebnisse vorliegen, sind diese im Vereinigten Königreich breit diskutiert. Dieses hängt insb. mit den Unruhen in London 2011 zusammen, die im Vereinigten Königreich regel­ mäßig als „Blackberryriots“ behandelt werden, da sich die Teilnehmer wesentlich über den verschlüsselten Blackberry-Messenger austauschten.106 Die Nutzung solcher mobilen Dienste hat dort wie auch in den USA eine De­ batte über die Abschaltung von Mobilfunknetzen anlässlich gewalttätiger Ver­ sammlungen oder Proteste herbeigeführt, wobei die Netzabschaltung bereits heute nicht nur Handlungsform ferner autoritärer Regime ist, sondern konkret etwa im Vorfeld geplanter Proteste in der U-Bahn San Franciscos bereits stattfand („Bart Cell Shutdown 2011“).107 Derartige Maßnahmen können erhebliche Auswirkungen auf die Kommunikation innerhalb und die Organisation einer Versammlung haben und sind entsprechend auch an Art. 8 Abs. 1 GG zu messen. 3. Zentralgestalt und Teilnehmer Soziale Medien ermöglichen der Zentralgestalt einer Versammlung über die be­ kannten Instrumente von E-Mail- oder SMS-Ketten und über die üblichen Kon­ taktformen in der Versammlung hinausgehende Organisationsmöglichkeiten. Hier­ bei kann sich die Zentralgestalt auch der durch Versammlungsteilnehmer an sie übermittelten Informationen bedienen, um hierdurch lenkend auf die Versamm­ lung einzuwirken. Dieses ist namentlich für nicht ortsfeste Versammlungen von Bedeutung, aber auch für den Zugang zu Versammlungen. Im Vereinigten Kö­ nigreich wird diese Erscheinung unter dem Begriff „mapactivism“ behandelt. Anders als in Deutschland besteht im Vereinigten Königreich kein umfassendes Versammlungsgesetz. Stattdessen folgen die für Versammlungen entscheiden­ den Regelungen wesentlich aus Strafgesetzen, namentlich dem Public Order Act 1986108 (POA). Nach Section 11 POA109 ist die Absicht, einen Aufzug („public procession“) zu organisieren („organise“), mindestens am siebten Tag („six clear days“) vor des­ sen Beginn der Polizei anzuzeigen. Dabei werden etwa alle Aufzüge erfasst, die mit Meinungsäußerung einhergehen110 oder an eine historische Begebenheit er­ innern. Die Teilnehmerzahl wird vom Gesetz nicht thematisiert und ist damit nicht von Bedeutung für dessen Anwendung. Ausnahmen von der Anzeigepflicht beste­ hen, wenn ihre Einhaltung vernünftigerweise nicht möglich ist („not ­reasonably

106

Vgl. etwa http://www.economist.com/node/21525976 [Stand: 31.07.2016]. Policinski, BART cell shutdown a landmark in cyber-assembly, 2011. 108 1986 c. 64. 109 „Sections“ entsprechen Paragraphen deutscher Gesetzen. 110 Vgl. Section 11 Abs. 1 (a): „intended to demonstrate support for or opposition to the view or actions of any person […]“. 107

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Kap. 4: Zukunft der Organisationsidee

practicable“). In der Anzeige müssen Datum, Zeit und Strecke der Versammlung genannt werden sowie Name und Adresse der Organisatoren. Werden diese Pflich­ ten nicht erfüllt, die Versammlung aber dennoch durchgeführt („is held“), begehen die Organisatoren eine strafbare Handlung („offence“). Gleiches gilt für Abwei­ chungen von der Anzeige bei Durchführung. Rechte der Organisatoren werden hingegen nicht statuiert. Das Verhalten innerhalb einer Versammlung resultiert im Vereinigten Königreich eher aus Brauch und ist zivilgesellschaftlich etabliert, hierzu gehört auch das Vorhandensein einer Leitung.111 Für alle Arten von Umzügen („any public procession“) können durch die Poli­ zei nach section 12 POA Auflagen („conditions“) erlassen werden, wenn z. B. eine ernste Störung des öffentlichen Lebens erwartet wird („serious disruption to the life of the community“) oder wenn es Zweck („purpose“) der Organisatoren ist, Zwang („compelling“) auf andere zur Durchführung oder Unterlassung von Hand­ lungen auszuüben. Als Inhalt solcher Auflagen werden explizit Streckenverlauf und das Verbot, bestimmte der Öffentlichkeit zugängliche Orte zu betreten, ge­ nannt. Unter öffentlichen Orten sind dabei alle Orte zu verstehen, zu welchen zur konkreten Zeit der Versammlung die Öffentlichkeit oder ein Teil von dieser Zu­ gang hat, wobei unerheblich ist, ob diese Zugangsmöglichkeit von einer Bezah­ lung oder ähnlichem abhängt, ein ausdrückliches oder implizites Zugangsrecht be­ steht.112 Damit sind auch private Räume, etwa Kaufhäuser, einzelne Läden oder Bars, umfasst. Derartige Auflagen können sowohl vor als auch während der Ver­ sammlung ergehen. Wissentliche Verstöße gegen derartige Auflagen („knowingly fails to comply with a condition imposed under this section“) sind strafbare Hand­ lungen. Erscheint der Polizei aus nachvollziehbaren Gründen („reasonable belie­ ves“) eine entsprechende Auflage nicht ausreichend, kann diese nach section 13 („Prohibiting public processions“) bei der Regionalverwaltung („district counsel“) um ein Flächenverbot von bis zu drei Monaten nachsuchen, das sowohl alle Um­ züge als auch nur solche bestimmter Art umfassen kann. Für bloße Teilnahme und Organisation drohen bei Verstößen jeweils unterschiedliche Strafen. Für ortsfeste Versammlungen bedarf es einer Anzeige nicht, doch können auch hier vor Ort oder im Voraus Anweisungen erlassen werden, explizit genannt werden eine Bestim­ mung der Dauer („maximum durration“) einer Versammlung oder deren maximale Teilnehmerzahl, Section 14 Abs. 1 POA. Für diese hat der Criminal Justice and­ Public Order Act 1994 ergänzende Bedeutung. In allen drei geschilderten Konstellationen sind die Regelungen jeweils direkte Vorstufe zu strafrechtlichen Folgen. Diese unterscheiden jeweils nach Teilnehmern und Organisatoren.113 Die versammlungsrechtlichen Regelungen gehen damit hier 111

Vgl. bereits Kap. 2 C. VII. Section 16 (b) zur Definition des „public place“. 113 Der Strafrahmen beträgt etwa nach Section 12 Abs. 8, 9 eine Haftdauer von bis zu drei Monaten oder Geldstrafe für den Organisator und Geldstrafe für Teilnehmer bei Verstößen ge­ gen Auflagen. 112

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allein vom Strafgedanken aus. Eine Ausgestaltung der Organisation oder eine Ge­ währung von Rechten findet sich nicht. Für Versammlungen auf privatem Land un­ ter freiem Himmel, zu dem keine oder nur beschränkte Zutrittsrechte bestehen, fin­ den sich Sonderregelungen in Section 14A bis 14C POA. Ergänzend können nach Section 30 des „Antisocial Behavior Act 2003“ Orte festgelegt werden, an denen Gruppen von mehr als zwei Personen ohne hinzukommen weiterer Gründe zum Verlassen aufgefordert werden können. Darüber hinaus bestehen den deutschen Bannmeilen vergleichbare Gesetze.114 Gerade im Zusammenhang mit neuen Handlungs- und Versammlungsformen folgt aus diesem rein repressiven Regelungssystem ein erhebliches Interesse der Teilnehmer nicht wegen Verstößen in Gewahrsam („arrest“) zu geraten, was be­ reits bei einem Verdacht des Verstoßes gegen Auflagen durch jeden uniformier­ ten Beamten („constable in uniform“) erfolgten kann, Section 14 Abs. 7, Section 13 Abs.  10, Section 12 Abs.  7 POA. Für Organisatoren folgt daraus häufig das Ziel, als solche gar nicht in Erscheinung zu treten. Dieses hat insb. den Nachteil zu Folge, dass gegenseitige Information und Absprachen, also eine vertrauensvolle Kooperation, nicht erfolgen können. Entsprechend allgemein gehalten sind etwa die Verfügungen der „Metropolitan Police“.115 Eine besondere Gefahr für Teilnehmer in Arrest zu geraten geht dabei von Poli­ zeikesseln („cettle“) aus. Um diese zu umgehen hat sich unter dem Begriff „map­ activism“ eine Strategie entwickelt, die die Informationen, welche von Teilneh­ mern generiert werden, mit Geodatendiensten verbindet. Eine erste Erprobung dieses Systems fand 2010 statt. Dazu wurden durch die Teilnehmer Informationen über Polizeiaufgebote, Zugangssperren und besondere Vorkommnisse an eine koordinierende Gruppe geschickt. Dieses erfolgte wesent­ lich über einen Twitteraccount,116 dessen Betreiber auch über SMS und eine spe­ zielle Website erreichbar waren. Diese erstellten sodann eine öffentlich einsehbare Karte auf Basis eines Geodatendienstes. Auf dieser konnten interessierte Teil­ nehmer sodann das Entstehen von Kesseln oder das Vorhandensein von Polizei­ einheiten erkennen und entsprechend reagieren. Neben dieser zentralen Zusam­ menstellung von Informationen besteht zudem die Möglichkeit, entsprechende Karten über Dateisynchronisierungssoftware durch mehrere Personen, etwa Teil­ nehmer, selbst bearbeiten zu lassen.

114 Serious Organised Crime an Police Act 2005, hier Section 128 bis 131 „Tresspass on de­ signated site“ sowie Section 132 bis 138 „Demonstrations in vicinty of Parliament“, zu den konkreten Zonen Serious Organised Crime and Police Act 2005 (Designated Sites under Section 128) Order 2007. 115 Je nach Einsatzlage abrufbar unter http://content.met.police.uk/Home [Stand: 31.07.2016]. 116 https://twitter.com/UCLoccupations; später geführt unter https://twitter.com/UCLanticuts [nicht mehr abrufbar, Stand: 31.03.2015].

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Kap. 4: Zukunft der Organisationsidee

Die bisher höchste Entwicklungsstufe dieses Systems stellte die Software „Sukey“ dar.117 Dieses 2011 gestartete und mittlerweile nicht mehr verfügbare System118 vereinfachte die Verwendung insb. auf Smartphones dahingehend, dass mittels der das System umsetzenden App und der eingebauten Ortungsdienste, basierend auf den bereitgestellten Informationen, dem Nutzer direkte Laufwege in Form eines Navigationssystems dargestellt werden konnten.119 Ein vergleichbares System nutzt die App „Stop & Search“, welche vor Kontrol­ len der UK Border Agency gegen illegale Einwanderer warnen soll.120 Weniger komplexe Systeme werden derzeit in Deutschland etwa dazu genutzt, potenzielle Teilnehmer darüber zu informieren, an welchem Ort sich gerade eine Critcal Mass befindet.121 Für die Nutzung in der Durchführungsphase bestehen Apps, welche erlauben etwa Redebeiträge bei Versammlungen über einen Streamingdienst zu schicken, sodass die Smartphones der Teilnehmer als Lautsprecher dienen können, wo ent­ sprechende Vorrichtungen fehlen. Gleichzeitig werden die Beiträge so auch außer­ halb der Versammlung zugreifbar.

III. Zwischenergebnis Für die Grundrechtsträger bieten sich durch neue Handlungs- und Versamm­ lungsformen demnach erweiterte Möglichkeiten der klassischen Organisation, insb. in der Vorbereitung, aber eben auch in der Durchführungsphase. Die Teilnehmer erhalten zudem die Möglichkeit über die Nutzung sozialer Medien selbst in der Versammlung, aber auch darüber hinaus, zu wirken. Zentral ist aber zumindest derzeit eher das Potenzial des Einsatzes sozialer Medien zur Erreichung von Auf­ merksamkeit, als deren Einsatz zur Organisation, insb. in der Durchführungsphase. Für Behörden dienen soziale Medien wesentlich als niedrigschwellige Ergän­ zung zur klassischen Öffentlichkeitsarbeit. Die Echtzeitkommunikation ermög­ licht dabei insb. die eigene Deutung von Ereignissen denjenigen Privater ge­ genüberzustellen und so zu einer ausgewogenen Berichterstattung beizutragen. Zudem können Falschinformationen schnell korrigiert werden.

117 Der Name stammt aus einem englischen Kinderreim, in dem es heißt „Polly put the kettle on […] We’ll all have tea. Sukey take it off again […] They’ve all gone away“, wobei „Kettle“ im Englischen wie im Deutschen sowohl den Teekessel als auch den Polizeikessel begrifflich umfasst. 118 Ehemals http://sukey.org/ [Stand: 04.08.2013]. Die Facebookseite besteht noch, wurde aller­ dings seit 2013 nicht mehr aktualisiert https://www.facebook.com/sukeyio [Stand: 31.07.2016]. 119 Das System ist noch zu sehen in einem Beitrag des „Weltspiegel“ vom 17.04.2011, bei Minute 2:36; https://www.youtube.com/watch?v=ERFDnM9O1BI [Stand: 31.07.2016]. 120 S. dazu http://www.immigrantx.org/stop-and-search-mobile-app/ [Stand: 31.07.2016]. 121 So etwa für Berlin http://criticalmass-berlin.org/app/ [Stand: 31.07.2016].

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Anders als für den Privaten, der sich „nur“ darüber Gedanken zu machen braucht – oder zumindest sollte –, welche Informationen von sich er einerseits der Öffent­ lichkeit, aber andererseits auch den jeweiligen Social-Media-Diensten zur Ver­ fügung stellt, entstehen hier für die Behörden erhebliche Probleme, nicht nur datenschutzrechtlicher Art. So sind etwa bei der Nutzung kommerzieller Dienste unter Umständen vergabe- und wettbewerbsrechtliche Fragen zu klären, da durch den Einsatz der konkreten, im Falle Facebooks und Twitters monopolisierten, Dienste diese zusätzliche Wettbewerbsvorteile erhalten.122 Die Klärung dieser Aspekte läuft der Entwicklung des Einsatzes entsprechender Dienste durch die­ Behörde bisher deutlich hinterher.

122 Für Geodatendienste und bestimmte Social-Media-Dienste Martini/Fritzsche, VerwArch 2013, 450 (469 ff., 477 ff.).

Kapitel 5

Ergebnis Die Ausgangsfrage, ob nicht nur dem VersG, sondern auch dem Versammlungs­ recht insg. die Idee der organisierten Versammlung zugrunde liegt, kann zusam­ menfassend nur differenziert beantwortet werden.1 Der Ursprung der Idee der organisierten Versammlung liegt weit vor dem Zeit­ punkt der Anfänge zur Herleitung der Versammlungsfreiheit.2 Für die an sie an­ knüpfende Gesetzgebung hat die Idee der organisierten Versammlung dabei eine wesentliche Entwicklungslinie dargestellt und so die Systembildung des Ver­ sammlungsrechts zuerst wesentlich in Preußen3 und schließlich in Deutschland4 maßgeblich geprägt. Dabei war die Anknüpfung an die Organisationsidee aber nie frei von Brüchen, vielmehr war sie jeweils Spiegelbild ihrer historischen Rah­ menbedingungen.5 Ausgehend vom Strafgedanken der Rädelsführertheorie hat sich dabei die Perspektive nach und nach, vom Mittelalter über Märzrevolution, Reichsgrün­ dung, Revolution, Demokratie und Diktatur, verschoben. So konnte schließlich aus dem Gesetzesziel6 der Verhinderung von Saalschlachten mittels des Gedan­ kens des Grundrechtsschutzes durch Verfahren ein Gewährleistungsrecht erwach­ sen, dass die Selbstbestimmung der Grundrechtsträger hervorhebt und schützt, ohne dabei die Rechte Dritter zu vernachlässigen.7 Dass sich diese Systembildung bewährt hat, zeigt nicht zuletzt die Anknüpfung aller Musterentwürfe und neuer Landesversammlungsgesetze.8 Die stete Weiterentwicklung der Idee der organisierten Versammlung, nament­ lich durch das BVerfG, ist damit auch wesentlich dafür, dass dieser weiterhin er­ hebliche Bedeutung zukommt.9 Dieses zeigt sich besonders im Bereich der Koope­ ration, des Grundrechtsausgleichs sowie des Minderheitenschutzes. 1 Vgl. im Einzelnen auch bereits die Zusammenfassungen in den Zwischenergebnissen der jeweiligen Abschnitte. 2 Vgl. Kap. 2 A. I. 3 Vgl. Zu Preußen Kap. 2 A. II., III., B. III. sowie C., zu den einzelnen Ländern Kap. 2 D. II. 4 Vgl. zu den Regelungen im Deutschen Bund Kap. 2 B. II, C. III. sowie D. für das Deutsche Reich. 5 Zu diesen jeweils zu Beginn der Abschnitte. 6 Vgl. Kap. 2 F. III., IV. 7 Vgl. Kap. 3 B. 8 Vgl. Kap. 2 H. 9 Vgl. Kap. 3 B. I. 3.

Kap. 5: Ergebnis

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Vor diesem Hintergrund sind auch die an die Idee der organisierten Versamm­ lung anknüpfenden Ordnungsvorschriften zu sehen und verfassungsrechtlich zu würdigen. Festzuhalten ist hier besonders die Verfassungsmäßigkeit einer all­ gemeinen Leitungspflicht.10 Gleichzeitig würde es aber bedeuten, die Entwicklung der Organisationsidee zu verkennen, wenn man aus ihr ein Begriffsmerkmal für die Annahme einer Ver­ sammlung i. S. d. Eröffnung des grundrechtlichen Schutzbereiches, entnehmen wollte.11 Ebenso unzutreffend ist es aber auch, der grundrechtlichen Versammlungs­ freiheit mittels einer demokratisch-funktionalen Überinterpretation ihre Entwick­ lungsfähigkeit zu nehmen. Derartige Ansätze können für die Ausübung bestimm­ ter besonders konfliktträchtiger Versammlungen in „politischen Angelegenheiten“ in den Versammlungsgesetzen zwar gewählt werden, sie können aber nicht den Schutzbereich des Grundrechts kupieren. Namentlich eine historische Interpre­ tation kann für derartige Eingrenzungen des Schutzbereiches nicht herangezogen werden. Eine vermeintliche besondere „historische Gefährdungslage“ bestimm­ ter Versammlungen rechtfertigt nicht den Ausschluss anderer Versammlungen aus dem Schutzbereich des Grundrechts.12 Nimmt man die Organisation im Sinne des hergebrachten Verständnisses der Organisationsidee damit aus der Begriffsfindung aus, folgt hieraus aber nicht, dass der klassischen Organisation, wo sie etwa durch eine vorbereitende Zentralinstanz geleistet wird, nicht ein besonderer grundrechtlicher Schutz zukommt. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall.13 Doch ist auch das klassische Verständnis der Organisation nicht abschließend, sondern selbst offen. Mit neuen Handlungs- und Versammlungsformen ergeben sich auch neue Formen von Organisation. Dieses umfasst zum einen die erwei­ terten Möglichkeiten der klassischen Organisation einer Zentralgestalt durch die Nutzung mobiler Massenkommunikationsmittel.14 Zum anderen kann Organisa­ tion aber auch durch das Finden eines Verhaltensmodus zueinander bestehen, so­ dass Versammlungen ohne planende und lenkende Zentralgestalt auskommen.15 Versteht man Versammlungsfreiheit vor diesem Hintergrund nicht als bloßes Kommunikationsgrundrecht i. S. e. Anhängsels der Meinungsfreiheit, sondern als Organisationsgrundrecht, das Kommunikation und Gemeinschaft ermöglicht, wird sie gleichzeitig zur Plattform für die Entwicklung immer neuer Formen des ge­ meinsamen Handelns. 10

Vgl. Kap. 3 B. II. Vgl. Kap. 3 A. II. 12 Vgl. Kap. 3 A. I. 13 Zu den Folgen insb. Kap. 3 B I. 2., 3. 14 Vgl. Kap. 4 B. 15 Vgl. Kap. 3 A. III sowie Kap. 4 A. III. 11

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Kap. 5: Ergebnis

Damit ist auch klar, dass die klassische Form der organisierten Versammlung durch neue Handlungs- und Organisationsformen nicht verdrängt, sondern ergänzt werden wird. Die Idee der organisierten Versammlung, wie auch die Anknüpfung an diese im Gesetz, wird vielmehr fortbestehen als das was sie immer war: Ein Stück Kontinuität im Wandel.

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Personen- und Sachverzeichnis Adenauer, Konrad  168 AKE siehe Musterentwurf Allgemeines Landrecht siehe Preußisches Allgemeines Landrecht Anhang der Zentralgestalt  209 Anmeldefrist 191 Anmeldung 138, 154, 161, 165, 186, 189, 202 Ansammlung 232 Ansprechpartner 87 Anstifter  35, 38 Anwesenheit der Polizei siehe Polizei in der Versammlung Anzeige  35, 71, 86, 89, 118, 209 Anzeigepflicht  68, 134, 186, 209, 254, 266 Association/Assoziation  29, 30, 40 Auffordern 199 Auflauf  50, 99 Aufruhr/Aufrührer 31, 33, 34, 37, 48, 72, 98, 99, 256 Aufwicklung/Aufwickler/Aufwiegler  31, 200 Augsburger Reichsabschied (1555)  30 Ausgetretene 32 Ausländer  49, 51 Bannkreise/Bannmeile 162, 171, 183, 218, 289 Bardeleben, Moritz von  59 BayVersG 220 Belgien 77 Berg, Günther Heinrich von  39, 40 Berliner Bürgerwehr  57, 59, 69 Bismarck, Otto von  104, 106 Blackberryriots 287 BLE siehe Musterentwurf Brandenburg, Friedrich Wilhelm von  60, 61, 69 Brokdorf-Beschluss  189, 200, 233, 250 Brüning, Heinrich  148 Bülow, Bernhard von  108 Bundesvereinsgesetz (1854)  91

Camphausen, Ludolf  57 Critical Mass  272 Deutsche Bundesakte  44 Deutscher Bund  44 Dritte  86, 196, 210, 220, 263 Ebert, Friedrich  141 Eilversammlung  173, 191 Einladung 228 Empörung  31, 256 EMRK 248 England siehe Vereinigtes Königreich Entsendung siehe Polizei in der Versammlung Ereigniswirkung siehe Eventisierung Erfurter Entwurf (ErfE)  88 Erlaubnis 86 Erstanmeldung 203 EU-Grundrechtecharta 249 Eventisierung  245, 286 Facebook  284, 291 Fehde  32, 34, 98, 255 Flashmob 271 Folgepflicht der Teilnehmer siehe Teilnehmer­ pflichten Frankfurter Nationalversammlung  62 Frankfurter Reichsverfassung  61 Frankfurter Wachensturm  46 Fraport-Entscheidung 265 Friedrich Wilhelm IV. (Preußen)  57 Friedrichshainzug  57, 67 GdP  194, 201 GdPE siehe Musterentwurf Gefahrenprognose  266, 278 Gegendemonstration 263 Genehmigung  73, 86, 132, 134, 138, 157, 159 Germanen 30 Gesamtleitung siehe Veranstalter, mehrere Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt  132

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Personen- und Sachverzeichnis

Gewährleistung der Versammlungsfreiheit  52 Gewaltbegriff 264 Gewaltmonopol 193 Gierke, Otto  41 Großversammlungen  184, 195, 200 Grundrechtsschutz durch Verfahren  191, 193 Hambacher Fest  45 Hausfriedensbruch 147 Hausrecht  128, 166, 172 Heiliges Römisches Reich  30 Heinemann, Gustav  165, 174, 256 Heppenheimer Versammlung  46 Herrenchiemsee-Entwurf  160 f. Heuss, Theodor  131, 163 Hindenburg, Paul von  148, 153 Improvisierte Versammlung  66, 68 f., 81, 93 Initiatorenkreis siehe Veranstalter, mehrere Interessen Dritter siehe Dritte Karlsbader Beschlüsse  44 Kerninformationen der Versammlung  198, 212 Kollektives Verhalten/Kollektivität  234, 254, 282 Kölner Wirren  46, 60 Kooperation 145, 192, 201, 210, 213, 214, 222, 224, 225, 227, 257, 264, 281, 289 –– der Behörde  195 –– der Teilnehmer  195 –– des Veranstalters  195 f., 224, 257 –– Grenze der  195 –– Kooperationspflicht 257 –– Regelungsvorschlag 197 Kulturkampf 105 Laepple-Urteil 188 Landesversammlungsgesetze  220 ff. Leiter –– Aufschwingen zum  127 –– faktischer  129, 247, 262, 277 –– Leiterpflicht  69, 73, 86, 124, 127, 134, 159, 160, 171, 202, 221, 223, 254 f., 256, 267 –– Pflichten  166–168, 169, 171, 208, 221, 227 –– Rechte  175, 208, 216 –– Wahl eines  169, 182, 262 Leitung, kollektive  216 Leitungspflicht siehe Leiter

Loveparade-Beschluss 235 LSAVersG 223 Lüth-Urteil 237 Manteuffel, Otto Theodor von  61, 64, 88 Mapactivism 287 Märzforderungen 55 Märzgefallene 57 Märzrevolution 55 Massendemonstrationen 55 Massenpartys 278 Maßregelngesetz 48 Menschenmenge 54 Metternich, Klemens von  56 Minutoli, Julius von  59 Missbrauch der Versammlungsfreiheit  40, 48, 68, 70, 76, 138, 170 Mitveranstalter siehe Veranstalter Musterentwürfe  207 ff. Nationalversammlung, Deutsche siehe Wei­ marer Nationalversammlung, Frankfurter Nationalversammlung Nationalversammlung, Preußische  61 Netzabschaltung 287 Nichtstörer  228, 258 Notstand, polizeilicher siehe Nichtstörer Offenburger Versammlung  46 Öffentlichkeitsarbeit 286 Oktroyierte Preußische Verfassung  61 Optionsmodell  216, 268 Organisation als Privatangelegenheit siehe Selbstorganisation der Versammlung Organisation, verdeckte  284 Organisationsersatz 279 Organisationsgrundrecht 253 Organisationsidee 15 –– Krise der  144, 156 –– Wandel der  206 Organisatorischer Grundkonsens  254 Ostermärsche 184 Parlamentarischer Rat  161–165 Paulskirchenverfassung siehe Frankfurter Reichsverfassung Pflicht zur Bestellung eines Leiters siehe Leiterpflicht

Personen- und Sachverzeichnis Pfuel, Ernst von  56 Planungsphase siehe Vorfeld Polizei in der Versammlung 72, 85, 111, 115, 118, 151, 170, 208, 221, 228, 279 Präsidialkabinette 148 Preuß, Hugo  137, 138 Preuß’scher Entwurf  137 Preußen 28 Preußenschlag  28, 152 Preußische Verfassung siehe oktroyierte Preu­ ßische Verfassung und Revidierte Preußi­ sche Verfassung Preußisches Allgemeines Landrecht  33 Probeblockade 204 Rat der Volksbeauftragten  132, 138 Rathenau, Walter  142 Räuberbanden 41 Redlingsführer/Rädelsführer  32 f., 34, 48, 54, 99, 256, 281 Reichsexekutionsordnung 30 Reichstagsbrandverordnung 154 Reichsvereinsgesetz siehe RVG Reichsverfassung (1871)  103 Reichsverfassungskampagne 62 Reichswehr 140 Republikschutzgesetz  141, 142 Revidierte Preußische Verfassung  84 Rheinisches Abgeordnetenfest  104 Rickert, Heinrich  108 Rickert’scher Entwurf  118 Rottierungen siehe Zusammenrotten RVG  113, 230 –– Fortgeltung 133 SA/Sturmabteilung  149, 151 Saalschutz  135, 143, 166 SächsVersG 225 Schutzbeamte 56 Schutzpflicht  114, 146, 194, 261 Schutzzone siehe Bannmeile Schwärme 279 Schwarzer Block  185 Selbstbestimmung/Selbstorganisation der Ver­ sammlung 67, 135, 193, 195, 202, 214, 215, 254, 258 Severing, Carl  143 Sitzblockaden  184, 204, 264

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Smartmob 271 Soziale Bewegungen  201 Sozialistengesetz  106, 117 Spontankundgebungen siehe Spontanver­ sammlung Spontanversammlung  173, 187–192, 225, 250 Sprachenparagraph 115 Sprengen einer Versammlung  147, 166 Störung  135, 146, 166, 172 Störungsverbot 178 Studentenproteste 184 Stuttgarter Gespräche  193 Teilnahmerecht 260 Teilnehmerpflichten  172, 174, 178, 182, 208, 216, 254 Thing 30 Tumult 36 Tumultschadensgesetz 140 Tumultverordnung  (1798) 36, 37 Tumultverordnung  (1835) 49, 67 Twitter  286, 291 Übernehmen bzw. Umfunktionieren einer Ver­ sammlung  144, 262 Unternehmer  35, 71, 89 Ursacher/Urheber  31, 35, 50, 91, 187, 256 Veranlasser  36, 200, 256 Veranstalter –– Begriff  198–200, 202, 203, 226 –– mehrere  185, 198, 200, 202, 211, 258 –– Pflichten 212 –– Rechte 212 –– Staat als  155 Verein  91, 92 Vereinigtes Königreich  288 Vereinsedikt 44 Verfassung des Deutschen Reiches siehe Wei­ marer Verfassung, Frankfurter Reichsver­ fassung, Reichsverfassung (1871) Vergadderung/Vergaddern 31 Verhinderungsabsicht 204 Verordnung über die Verhütung eines die ge­ setzliche Freiheit und Ordnung gefähr­ denden Missbrauches des Versammlungsund Vereinigungsrechts (1849) siehe VO 1849

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Personen- und Sachverzeichnis

Verordnung über die Verhütung eines die ge­ setzliche Freiheit und Ordnung gefährden­ den Missbrauches des Versammlungs- und Vereinigungsrechts (1850) siehe VO 1850 Verordnung über einige Grundlagen der künf­ tigen Preußischen Verfassung  57 Verordnungen der Militärregierungen  156 Verpreußung des Versammlungsrechts 105, 128 Versammlung –– Ermöglichung der  190 –– Gesamtgepräge der  238 –– leiterlose  174, 216 –– ohne Versammlungsfreiheit  154 –– rechtsextremistische  185, 203 Versammlungsbegriff  139, 171, 238, 244 f. –– enger 236 –– weiter  156, 233 Versammlungsgesetz (1953)  156 Versammlungsgesetz, Entwurf (1950)  169 Versammlungskonzept, demokratisch-funktio­ nalisierendes 236 Versammlungskonzept, liberal-abwehrrecht­ liches 233 Versammlungsordnungsgesetz  165, 169 Versammlungsschutz 143, 146, 172, 181, 215, 223

VersFG SH  229 Verursacher siehe Ursacher VO 1849  62, 63 ff., 70 ff. VO 1850  62, 78 ff., 84 ff. Volksauflauf 36 Volksmenge 37 Volksversammlung unter den Zelten  56, 58 Vorfeld 257 Waffen 50 Waldeck, Franz  60, 63 Wartburgfest 45 Weberunruhen 46 Weimarer Nationalversammlung  136 Wiener Schlussakte  44 Wilhelm I. (Deutsches Reich)  58, 104 Wirth, Joseph  143 Wrangel, Friedrich von  60, 63 Zehn Artikel  46 Zentralgestalt/Zentralinstanz  15, 256 Ziviler Ungehorsam  185 Zusammenarbeit siehe Kooperation Zusammenbringen 34 Zusammenlaufen 232 Zusammenrotten  32, 98, 183