Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar: Drei biographische Skizzen 3515092145, 9783515092142

Die Geschichte einer Krise, in den Biographien dreier Männer erzählt. Es spiegelt sich darin eine moderne Problematik in

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German Pages 276 Year 2015

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Table of contents :
INHALT
EINLEITUNG
A. DIE OHNMACHT DES ALLMÄCHTIGEN DICTATORS CAESAR
1. DAS PROBLEM DER STAATSMANNSCHAFT CAESARS
2. CAESARS AUFSTIEG BIS ZUM CONSULAT
3. DIE STRUKTUR DER SPÄTEN RÖMISCHEN REPUBLIK
4. VOM ERSTEN CONSULAT CAESARS BIS ZUM AUSBRUCH DES BÜRGERKRIEGS
5. VOM SIEG IM BÜRGERKRIEG BIS ZUR ERMORDUNG
6. DIE MÖGLICHKEITEN UND DIE GRENZEN CAESARS
B. CICERO. DAS ERFOLGREICHE SCHEITERN DES NEULINGS IN DER ALTEN REPUBLIK
1. DAS PROBLEM: CICERO UND DIE RES PUBLICA
2. HERKUNFT UND POLITISCHER AUFSTIEG
3. VERTEIDIGUNG DES CONSULATS, VERBANNUNG UND RÜCKKEHR
4. ZUWENDUNG ZUR PHILOSOPHIE IN DER NEUEN REALITÄT NACH LUCCA
5. ANGESICHTS DES BÜRGERKRIEGS UND UNTER DER HERRSCHAFT CAESARS
6. CICEROS PRINCIPAT UND SEINE ERMORDUNG
C. AUGUSTUS. DIE BEGRÜNDUNG DER MONARCHIE ALS WIEDERHERSTELLUNG DER REPUBLIK
1. DAS PROBLEM: DIE BILDUNG DER ALTERNATIVE
2. VOM ERBEN CAESARS ZUM FÜHRER ITALIENS
3 .DER ERSTE BÜRGER (PRINCEPS) UND DIE MÜHWALTUNG FÜR DAS GEMEINWESEN
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Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar: Drei biographische Skizzen
 3515092145, 9783515092142

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DIE OHNMACHT DES ALLMÄCHTIGEN DICTATORS CAESAR DREI ­BIOGRAPHISCHE SKIZZEN

Franz Steiner Verlag

CHRISTIAN MEIER

CHRISTIAN MEIER DIE OHNMACHT DES ALLMÄCHTIGEN DICTATORS CAESAR

DIE OHNMACHT DES ALLMÄCHTIGEN DICTATORS CAESAR DREI BIOGRAPHISCHE SKIZZEN CHRISTIAN MEIER

2., überarbeitete Auflage

Franz Steiner Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. 2., überarbeitete Auflage © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-09214-2 (Print) ISBN 978-3-515-11019-8 (E-Book)

INHALT

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 A. Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar . . . . . . . . . 17 1. Das Problem der Staatsmannschaft Caesars . . . . . . . . . . . . . . 19 2. Caesars Aufstieg bis zum Consulat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3. Die Struktur der späten römischen Republik. Caesar, Roms Ordnung und die Krise ohne Alternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 4. Vom ersten Consulat Caesars bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 5. Vom Sieg im Bürgerkrieg bis zur Ermordung. Das Problem der Neuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 6. Die Möglichkeiten und die Grenzen Caesars . . . . . . . . . 103 B. Cicero. Das erfolgreiche Scheitern des Neulings in der alten Republik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Das Problem: Cicero und die res publica. . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Herkunft und politischer Aufstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 5

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a) 106–81 v. Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Konditionen der politischen Laufbahn . . . . . . . . c) 81–63 v. Chr.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verteidigung des Consulats,Verbannung und Rückkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Cicero zwischen den Fronten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) 60–56 v. Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuwendung zur Philosophie in der neuen Realität nach Lucca . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angesichts des Bürgerkriegs und unter der Herrschaft Caesars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ciceros Principat und seine Ermordung . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Augustus. Die Begründung der Monarchie als Wiederherstellung der Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 1. Das Problem: Die Bildung der Alternative . . . . . . . . . . . . . 213 2. Vom Erben Caesars zum Führer Italiens . . . . . . . . . . . . . . . 215 3. Der Erste Bürger (princeps) und die Mühwaltung für das Gemeinwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

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Für Alfred Heuß, Hans-Georg Pflaum und Friedrich Vittinghoff

EINLEITUNG

drei Männern aus dem alten Rom, die heute noch am ehesten im allgemeinen Gedächtnis präsent sind, handeln die biographischen Skizzen, die dieses Buch vereint. Von dem Mann also, der der römischen Republik den Todesstoß versetzte, dem, der Rom als Monarchie neu gründete, und schließlich auch dem, der verzweifelt versuchte, die überkommene Ordnung zu verteidigen, ohne es wirklich zu können, der darunter auf viele Weisen gelitten und der so viel darüber geschrieben hat; Reden, philosophische Schriften und nicht zuletzt eine Unzahl von Briefen, welche ihn uns über alle Distanz hinweg noch heute so nahebringen, daß man sich bei der Lektüre gelegentlich recht indiskret vorkommt. Die Zeit, in der sie lebten, war sehr schwierig. Sie ist innerhalb der Weltgeschichte beispielhaft durch die Krise, die die römische Republik zu jener Zeit durchmachte, mehr als ein Jahrhundert lang, ohne sie recht wahrnehmen, analysieren, begreifen oder gar meistern zu können. Die Zeitgenossen waren ganz und gar gefangen in der bewußt/unbewußten Überzeugung, daß die Ordnung, in der sie

von ca esa r , cice ro , august us ,

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lebten, die sie miteinander ausmachten, die sie geradezu waren, die rechte war. In ihr hatte Rom jahrhundertelang sicher gelebt, hatte es nahezu den ganzen Mittelmeerraum und noch einiges darüber hinaus erobert. Was hätte daran falsch sein sollen? Doch funktionierte sie nicht mehr so recht. In der Regel wurde man damit gut fertig, doch wurde die Regel immer wieder durchbrochen. Cicero klagte, die res publica sei verloren (amissa). Was aber nicht hieß, daß sie dahin sei, sondern nur daß das, was man lebte, was man vermochte, was man war, nicht mehr dem genügte, was diese Ordnung verlangte. Sie versagte also. Sie mußte wiederhergestellt werden. Nur – wie? Gewiß, große Krisen sind nicht gerade selten in der Weltgeschichte. Die Verhältnisse, in denen man miteinander mehr oder weniger gut ausgekommen ist, können aus dem Lot geraten. Man kann finden, wie die Dinge stünden, könnten sie nicht bleiben. Ein Krisenbewußtsein kann sich regen. Man sieht sich bedrängt. Es wird geklagt. Man findet sich nicht mehr zurecht. Der Boden unter den Füßen scheint unsicher zu sein. Wir kennen das. Der Ruf nach Reformen ertönt. Vielleicht steht gar eine Umwälzung, eine Revolution vor der Tür. Oder ihr Ausbruch wird erhofft; oder befürchtet. Oft ist ja auch die Zahl der durch die Mißstände besonders Benachteiligten, der Notleidenden groß, welche unruhig werden und auf die gestützt dann der oder jener neue Macht begründen könnte. Allein, eigentümlich für die Krise der späten römischen Republik war, daß die, die die Zeche bezahlten, also die Menschen in den ausgebeuteten Provinzen Roms, machtlos waren. Daß sie von sich aus auch nichts ausrichten konnten. Es gab nichts, was sie in größerem Stil hätte aufrütteln, sich zu verbinden und zu militärischer Rüstung hätte veranlassen können; oder sofern es der Fall war, ließ es sich durch Roms Armeen erledigen. Die andern Notleidenden aber, die breite Unterschicht in der Stadt Rom, konnten zwar Unruhen erzeugen, man mußte einige Rücksicht auf sie nehmen. Sie gaben einen gewissen Resonanzboden für Agitation ab. Doch für nennenswerte Reformen, geschweige denn für einen Umsturz konnte sich auch auf 10

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sie keiner stützen. Zu sehr waren alle eingebunden in das Herkömmliche. Mithin fehlte es in der römischen res publica amissa an einer Alternative zur überkommenen Ordnung. Man befand sich in einer Krise ohne Alternative, und zwar für relativ sehr lange Zeit; für etwa ein Jahrhundert. Was das bedeutet, läßt sich an der Geschichte der Neuzeit studieren, in der über eine längere Periode hin das Gegenteil der Fall war. Denn dort bildeten sich ja deutliche Alternativen heraus, im Bürgertum gegen das Ancien Régime, unter den Liberalen (mit der Zeit auch den Demokraten) gegen die Monarchien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und schließlich im Proletariat gegen das Bürgertum. Man drängte auf Reformen. Es kam zu Unruhen, Aufständen, eventuell gar Revolutionen. In der Folge wurden – zumindest verschiedentlich – die Staaten auf eine breitere Basis gestellt, es wurden auch die Gesellschaften neu integriert. Jacob Burckhardt kann das Wort Krise dann sogar dazu benutzen, um damit die sich auflehnende Kraft selbst zu bezeichnen. Da kamen also nicht nur neue Gedanken (und Reformideen) auf, sondern es kamen auch neue gesellschaftliche Kräfte zusammen, welche – vielleicht zunächst mehr unbewußt – einen fruchtbaren Boden bildeten, um immer neue Ideen darauf gedeihen, hervorrufen und tiefere Wurzeln treiben zu lassen, bis in das Verständnis der je eigenen Interessen, bis in die Mentalität hinein. Ganz neue Vorstellungen etwa vom Staat, seinen Aufgaben und Möglichkeiten kamen auf und festigten sich dank und innerhalb breiter Resonanz. Schließlich formierten diese Kräfte sich, um in das Geschehen eingreifen und wichtige Veränderungen erreichen zu können. Sie wuchsen zur Alternative heran. Übrigens gab es Entsprechendes streckenweise auch im antiken Griechenland, in der Geschichte, welche zu Vorstufen der Demokratie und schließlich zur Demokratie selbst führten. Als sich in der frühen Republik breitere Kreise ihrer Bürgerschaft, die sogenannte Plebs, vereinten, um sich Instrumente der Mit11

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sprache sowie Freiheitsrechte zu verschaffen, brachte auch Rom entfernt Ähnliches hervor. Doch ist dadurch das Adelsregime nur modifiziert (und stabilisiert) worden. Hier wie dort, bei Griechen wie Römern, ging es darum, breiten Schichten in kleinen Gemeinwesen politisch mehr Geltung zu verschaffen; partizipatorisch bei den einen, im Sinne besserer Wahrung eigener Rechte bei den andern. Größere politische Einheiten dagegen ließen sich in der griechisch-römischen Antike nur von einem Zentrum her beherrschen; sei es von Monarchen, im Hellenismus etwa, sei es von einem in hohem Maße disziplinierten Adel wie in Rom. Über ganze Räume ließ sich ein horizontaler Zusammenhang breiterer Schichten, eine horizontale Solidarität nicht stiften. Die Disziplin aber im römischen Adel beruhte auf so komplizierten Voraussetzungen, daß sie am Ende hoffnungslos überfordert war. Wenn das Reich überdauern sollte – und das mußte es wohl, da in keinem seiner Teile handfeste Möglichkeiten gegeben waren, vom Ganzen abzufallen – konnte auf die Dauer also nur eine Monarchie weiterhelfen. Und das Erstaunliche war, daß in sie, und nicht zuletzt vermittels des Adels, eine Respektierung von Rechten der Bürgerschaft einmontiert wurde – so daß übrigens auch im Laufe der Zeit die römische Rechtswissenschaft sich zu einem imposanten Gebäude weiterentwickelte, ohne das der Verlauf, den die europäische Geschichte dann nahm, so leicht nicht hätte zustande kommen können. In all diesen Fällen (am wenigsten noch in dem der römischen Plebs), hat es einige Zeit gebraucht, bis sich die neuen Kräfte, welche dann als Alternative fungieren konnten, herausgebildet hatten; bis auf sie gestützt Neues hat begründet werden können. Insofern konnten – können vielleicht auch heute – Krisen ganze Phasen lang ohne Alternative bleiben. Zunächst zumindest. Demgegenüber zeichnet sich diejenige der späten Republik dadurch aus, daß sie sich nicht nur über sehr lange Zeit erstreckt hat.Vielmehr kam hier etwas anderes hinzu: Es hat sich in dieser langen Zeit eben keine neue »gesellschaftliche« Kraft 12

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herangebildet, die schließlich das Zeug dazu gehabt hätte, eine Alternative zum Überkommenen zu bilden. Kein Stand, keine Schicht kam dafür in Frage. Es fehlte jeder Ansatzpunkt dazu. Alle irgend Mächtigen waren mit dem Bestehenden zufrieden, und alle Unzufriedenen waren machtlos. Stattdessen machte sich etwas anderes geltend: Die Republik, die die ganze Mittelmeerwelt erobert hatte, wurde mit einer Reihe militärischer Probleme nicht mehr auf herkömmliche Weise fertig. Sie konnte ihre Kriege nicht mehr mit ihren Bauern führen. Sie mußte Besitzlose zum Wehrdienst anwerben. Und ihre Feldherren mußten sich zugleich als Soldatenführer bewähren. Zumindest, wo es sich um größere Kriege handelte, entstand eine besonders enge Verbindung zwischen Feldherrn und Soldaten. Ansprüche wurden erhoben, welche für die Soldaten nach der Entlassung materielle Vorteile und für die Feldherren Machtgewinne durch größeren Anhang brachten. Und die wiederum ließen sie zu mächtig werden in den Augen eines Senats, dessen Funktion als oberstes Regierungsorgan, als Regulator auch eines Adelsregimes darauf beruhte, daß keines seiner Mitglieder zu mächtig wurde. So kam es zu verschiedenen schweren Konflikten, auch zu Bürgerkriegen, in denen die überkommene Ordnung mit der Zeit geschwächt und allmählich aufgerieben wurde – bis sie nicht mehr zu halten war. Das Grundmuster solcher Prozesse kennen wir ja: Die politischen und gesellschaftlichen Konstellationen etwa innerhalb eines Staates können sich derart zuspitzen, daß sich die Nebenwirkungen des Handelns verschiedenster Subjekte zu ganzen Abläufen summieren, die keiner von ihnen will. Es spielte sich nicht eine Legitimitätskrise, aber ein Prozeß der Desintegration ab. Keiner der großen Feldherren der späten Republik, kein Marius, kein Sulla, kein Pompeius, allem Anschein nach auch kein Caesar wußte etwas anderes als die Republik. Aber es gab eben auch keinerlei Ansatzpunkte für Zweifel daran in breiteren Schichten – bis schließlich dem Augustus ein, nicht zuletzt aus der Zermürbung durch nahezu 20 Jahre Bürgerkrieg gespeistes, starkes Bedürfnis nach Frieden (und nichts 13

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als Frieden) entgegenkam, auf dem er eine monarchische Herrschaft abstützen konnte; aber bemerkenswerterweise nur, indem er vorgab (und nicht nur vorgab), die Republik wiederherzustellen. Man kann es auch anders ausdrücken: Es gelang den Römern lange Zeit nicht, Macht über ihre Verhältnisse zu gewinnen: Jene Macht, die es ihnen ermöglicht hätte, nicht nur in den Verhältnissen vieles zu tun, sondern eben diese Verhältnisse auch zu verändern, um besser mit allem Drängenden, allem Bedrohlichen fertig zu werden. Auch Caesar konnte das nicht – bei all der beispiellosen Macht in den Verhältnissen, die er gewonnen hatte. Dergleichen hat man nicht gerne wahr. In der Regel wehrt sich der menschliche Stolz und ganz besonders jenes Bündel von Erwartungen dagegen, die man an den Staat und speziell auch an die Imagination des großen Mannes zu richten pflegt. So ergibt es sich aus der europäischen Geschichte; wir wissen nicht, wieweit das auch künftig so bleiben wird. Jedenfalls hat es solche Krisen gegeben. Die späte römische Republik bietet vielleicht das beste, vermutlich sollte man sagen: das klassische Beispiel dafür. Es war zugleich eine Zeit, von der Jacob Burckhardt sagen konnte. »Was Wettkampf großer Persönlichkeiten betrifft, so ist diese Zeit die erste in der Weltgeschichte. Was nicht groß war, das war doch charakteristisch, energisch, wenn auch ruchlos, nach großem Maßstab zugeschnitzt. Alles Große aber sammelt sich in der wunderbaren Gestalt Caesars«. Auch das macht diese Zeit so faszinierend. In den hier vorgelegten Skizzen wird die Problematik an drei Biographien durchgespielt. Es kann ja nicht uninteressant sein, wie prominente Männer sich als Kinder einer solchen Krisenzeit entwickeln, bewähren oder auch (zumindest in vielem) scheitern. »Was man ist und was man sein muß in der Welt«, heißt es in Lessings Nathan, »das paßt ja wohl nicht immer«. Oder es paßt gerade doch. »Nicht jede Zeit findet ihren großen Mann und nicht jede große Fähigkeit findet ihre Zeit.Vielleicht sind jetzt sehr große Männer vorhanden für Dinge, die 14

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nicht vorhanden sind«, schrieb Jacob Burckhardt. Jedenfalls sind Zeiten auch daraufhin zu untersuchen, was sie Persönlichkeiten an Entfaltungsmöglichkeiten und -grenzen bieten. Im Fall der Krise der römischen Republik liegt das besonders nahe – und hat sich das auf ganz außergewöhnliche Weise ausgewirkt. Die Skizzen sind in den späten 1970er Jahren aus je verschiedenen Anlässen entstanden (Vorträge bei der Siemens Stiftung in München, im Bayerischen Runfunk, an amerikanischen Universitäten). Gesammelt sind sie 1980 erstmals in der edition suhrkamp erschienen, auf Anregung von Siegfried Unseld. So, wie die Dinge damals standen, galt das Erzählen des Historikers, noch dazu das biographische, weithin als überholt. Ich wollte daher – das war meine zweite Absicht – an Beispielen zeigen, wie sich strukturgeschichtliche Fragestellungen gerade auch im Erzählen fruchtbar machen lassen. Die Ausgabe ist seit einiger Zeit vergriffen. Jetzt hat sich der Franz Steiner Verlag dieser Skizzen angenommen, wofür ich ihm und nicht zuletzt Katharina Stüdemann, von der die Anregung dazu ausging, dankbar bin. Bei Steiner ist 1966 erstmals mein Buch Res Publica Amissa erschienen, auf das hier für das Verständnis der Krise der Republik verwiesen sei. Aufgrund weiterer Beschäftigung mit der Sache ist das Ganze überarbeitet worden. Manches ist weiter ausgeführt in meiner Caesar-Biographie (Berlin 1982 u.ö., zuletzt München 2004). Für die Quellen zu Caesar ist auf Matthias Gelzers CaesarBiographie (6. Aufl. Wiesbaden 1960) zu verweisen, entsprechend für Cicero auf dessen Cicero-Biographie (Wiesbaden 1969). Ein anderes Bild zeichnet Christian Habicht, Cicero der Politiker (München 1990). Für Quellen und Literatur zu Augustus ist Dietmar Kienasts Augustus (4. Aufl. Darmstadt 2009) heranzuziehen. Einen besonderen Hinweis verdient Jochen Bleicken, Augustus (Berlin 1998), Werner Dahlheim, Augustus (München 2010), das Gemeinschaftswerk Ralf von den Hoff/ Wilfried Stroh/Martin Zimmermann, Divus Augustus. Der erste römische Kaiser und seine Welt (München 2014) und natürlich Paul Zanker, Augustus und die Welt der Bilder. (München 1987). 15

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Zur Ordnung der Republik wäre jetzt vielleicht mein Aufsatz mit diesem Titel von Nutzen, der in Band 300 der Historischen Zeitschrift erscheinen soll. Das Buch war in der ersten Auflage Alfred Heuß, Hans-Georg Pflaum und Friedrich Vittinghoff gewidmet. Zum Dank für vieles, nicht zuletzt für gute Freundschaft. Es möge dies auch in der vorliegenden Form sein. München im September 2014

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A. DIE OHN MACHT DES ALLMÄCH TIGEN DICTATORS CAESAR

1. DAS PROBLEM DER STAATSMANNSCHAFT CAESARS

ga i us j u l i us ca esa r erscheint kaum einem mehr in der übermenschlichen Vollkommenheit, in der Theodor Mommsen ihn einst zeichnete. »Caesar ist der ganze und vollkommene Mann«, hieß es da. »So wirkte und schaffte er, wie nie ein Sterblicher vor und nach ihm.« »Wie der Künstler alles malen kann, nur nicht die vollendete Schönheit, so kann auch der Geschichtsschreiber, wo ihm alle tausend Jahre einmal das Vollkommene begegnet, nur darüber schweigen.« Was Mommsen dann allerdings nicht getan hat. Und so ist das Werk des großen Gelehrten und Literaturnobelpreisträgers nirgends so sehr in die Untiefen des Kitschs geraten wie hier. Aber wenn auch die Wissenschaft diesen Caesar in das Archiv ihrer Geschichte transportiert hat und ein menschlicheres Bild des großen Römers zu zeichnen pflegt, so steht doch das Problem seiner Größe noch immer wie ein sperriger Block in der Landschaft. Es scheint mit dem Phänomen der Größe verbunden zu sein, daß es entweder über- oder unterschätzt wird. Die Überschätzung äußert sich vor allem in seiner Verabsolutierung. Man

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denkt die Größe gern ohne Spezifizierung als möglichst umfassend. Einem Großen traut man gern Größe in jeder Hinsicht zu. Da scheint fast nur Licht, kaum Schatten zu sein. Ein Großer mutet wie ein Haus mit lauter Südseiten an. Großes persönliches Format, große persönliche Kapazität, großer persönlicher Einsatz werden gern und leicht für eine grenzenlose Befähigung gehalten. Der große Feldherr soll auch ein großer Politiker sein; der große Politiker, der sich durchzusetzen, der zu siegen, energisch zuzupacken versteht, der Scheinwirklichkeit als Schein und verkannte Wirklichkeit als Wirklichkeit zu erkennen und damit zu verändern weiß – der wird gern auch für einen großen Staatsarchitekten gehalten, der ein Gemeinwesen auf neue Grundlagen zu stellen, es neu zu integrieren vermag. So wird auch vielfach eine dichte Beziehung, ja direkte Proportionalität zwischen Größe der Person und positiver historischer Funktion, also segensreicher Wirkung hergestellt. Man kann das wieder und wieder beobachten. Was da alles an Heilserwartungen, geheimen Identifikationen, Projektionen, Vollkommenheitsträumen und anderem mitspielt, mag dahinstehen. Nur auf zwei Dinge möchte ich hinweisen: Die Vermutung umfassender Größe ist offenbar besonders dringend, wenn ein Großer, Mächtiger auch dem Geist seiner Epoche gegenüber aufgeschlossen ist oder gar direkt an ihm teilhat. Dann findet anscheinend jene viel ersehnte Vermählung von Geist und Macht statt, die sich vielleicht unbewußt mit Platons Traum von den Königen, die Philosophen, oder den Philosophen, die Könige werden, trifft. Eine bestimmte Sorte von Menschen, diejenigen nämlich, die den Geist verwalten, lassen sich dafür gern erwärmen. Außerdem trifft sich hier uraltes und immer neues magisches Denken mit der nicht nur angst-, sondern auch trostvollen Vorstellung vom starken Vater: So wird dann dem Großen auch gern zugetraut, daß er stärker ist als jedes mögliche Problem, als jede Krise, jede Aporie. Umgekehrt gibt es eine Weise, Größe zu leugnen, die manche historischen Ereignisse oder ganze Epochen unverständlich macht (und die übrigens nicht ungefährlich ist: denn sie macht 20

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wie jede Leugnung von Wirklichkeit wehrlos gegenüber dem Geleugneten). Mitunter scheint sich dabei eine Alternative aufzutun zwischen historischer Größe und Struktur, die an dem zu Grunde gelegten Strukturbegriff zweifeln läßt. Die besondere Faszination nun, die von dem Phänomen der Größe (wie immer es exakt zu bestimmen sei) selbst noch über Jahrtausende hinweg ausgeht, läßt es geraten erscheinen, bei der Betrachtung eines so großen Mannes wie Caesar die Frage möglichst genau anzusetzen. Worum geht es? Um einen Politiker in einer Zeit schwerer Krise, des langgestreckten Niedergangs eines großen Gemeinwesens. Der sich freimachte von unzähligen Befangenheiten und Voreingenommenheiten, der ganz anders dachte und handelte als seine Zeitgenossen, über tausend Bedenklichkeiten sich hinwegsetzend, ungemein tatkräftig, erfolgreich, ausgreifend, voller Phantasie, also immer wieder auch überraschend. Einen großen Feldherrn zugleich, einen Soldatenführer obendrein mit mitreißendem männlichen Charme. Den Eroberer Galliens, der den römischen Herrschaftsbereich bis an Rhein und Atlantik ausweitete. Einen Mann, der in solchen Abstand und Konflikt zu und mit den herrschenden Kreisen des Gemeinwesens geriet, daß ihre Ansprüche sich ausschlossen und schließlich nur noch der Bürgerkrieg zwischen ihnen entscheiden konnte. Der das römische Reich eroberte und danach seine eigene Herrschaft darin errichtete, als Herrscher großartige organisatorische Werke vollbrachte – von dem man nur nicht weiß, ob er wirklich einen Ausweg aus der virulenten Krise Roms wußte, also: ob er diese recht erkannte, ob er sie anzupacken willens und vor allem in der Lage war. Nicht zuletzt: ob sich dafür die Möglichkeit bot. Hier liegt das zentrale Problem. Hier entscheidet sich zwar nicht die Größe Caesars: die ist allemal gesichert. Aber es steht zur Debatte, ob und gegebenenfalls warum er vor der größten Aufgabe, die sich ihm stellte, gescheitert ist. Gerade zu dieser Frage schweigen unsere Quellen weithin. Wir hören so gut wie nichts, was Caesars Urteil über die Krise und seine Aufgabe in ihr, was seine Absichten und Pläne be21

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leuchten könnte. Kein Zeugnis besagt, daß er gewußt hätte, wie und was man hätte ändern können und sollen. Dadurch aber gerät die althistorische Wissenschaft einerseits in Schwierigkeiten, gewinnt sie andererseits verführerische Freiheit. In aller Regel setzen die bisherigen Deutungen bei Caesar selbst an: Sie fragen, was er wollte und was er persönlich konnte. Die Palette der Antworten ist sehr breit. So heißt es etwa, Caesar sei seiner letzten, größten, seiner eigentlich staatsmännischen Aufgabe nicht gewachsen gewesen, ja er habe eigentlich gar nicht in seine Zeit gepaßt, sei vielmehr ein später Nachfahre selbstbezogener archaischer Helden, des Achill und Coriolan, kein Vorläufer des Augustus, also des so mächtigen wie seine Macht schließlich zügelnden Begründers der römischen Monarchie gewesen. Aber man sagt auch, die Gegner seien schuld. Wenn Caesar nicht ermordet worden wäre, hätte er die Krise gemeistert. Und: Keiner habe ihn verstanden, in Wirklichkeit sei er seiner Zeit weit voraus gewesen. Wobei sich freilich fragt, was das für einen Staatsmann heißt. Ist es nicht eher ein Argument für Propheten und Dichter? Andererseits aber auch: Hat vielleicht dieser Mann gerade weil er seiner Art nach eher in eine längst überwundene Epoche gehört, eben diese Art in seiner Zeit so faszinierend und erfolgreich ausbilden und dann eine so zentrale Rolle in seiner Gesellschaft spielen können? Vor allem aber: Könnte es nicht sein, daß Caesar gescheitert ist, weil seine Aufgabe damals zu groß war, als daß ein einzelner sie hätte erfüllen können? Muß man wirklich entweder Caesar für besonders unfähig oder seine Zeitgenossen für besonders uneinsichtig und verständnislos halten, um Caesars Scheitern zu erklären? Ging es hier wirklich nur um Probleme, die bei mehr Einsicht und Fähigkeit hätten »gelöst« werden können? Kann es nicht vielmehr sein, daß die Verhältnisse, das heißt vor allem die Weise, in der damals Interessen und Meinungen gelagert waren, eine direkte Neuintegration des Gemeinwesens nach dem Bürgerkrieg ganz oder nahezu unmöglich machten? Und zwar für jeden, auch für den Begabtesten, Einsichtsvollsten, Selbstlosesten, nicht nur für einen Mann von Caesars besonderer Eigenart 22

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und Vergangenheit? Ich finde jedenfalls, man sollte in Hinsicht auf Caesars Scheitern nicht nur nach seinen und seiner Gegner Einsichten und Fähigkeiten fragen, sondern wesentlich von der Struktur der römischen Republik ausgehen. Erst in diesem Zusammenhang kann deutlich werden, worin sein Werk bestand und wie es sich zu den Problemen seiner Zeit verhielt. Das Urteil über Handeln und Unterlassen, über Leistung und Versagen eines Politikers ist doch abhängig von seinen Möglichkeiten. Es fragt sich also, welche Aufgaben sich Caesar stellten und welche Möglichkeiten für ihre Bewältigung es damals überhaupt gab (oder welche sich allenfalls bereiten ließen). Diese Frage ist sowohl für einzelne Situationen wie im ganzen zu stellen. Mit der Frage nach den Möglichkeiten ist die Problematik der Macht aufgeworfen. Bei Macht aber fragt es sich in Zeiten einer tiefgreifenden, das ganze politische System in Frage stellenden Krise nicht nur nach Macht in den Verhältnissen, sondern auch nach Macht über die Verhältnisse. Denn eine Krise besteht ja, politisch gesehen, vor allem in der Desintegration von Machtverhältnissen, in einer krisenhaft-virulenten Form von Lagerung der Macht. Es geht also für einen Politiker, der die Dinge in die Hand bekommt, in einer so schweren Krise nicht nur darum, sich durchzusetzen und sein Durchsetzungsvermögen institutionell unmittelbar abzusichern, sondern zugleich darum, eine neue institutionelle Ordnung zu schaffen, die sich einigermaßen selbsttätig halten, die – auch und gerade mit einem Monarchen an der Spitze – in sich selber ruhen und sich reproduzieren kann. Sonst wird dieser Politiker auf die Dauer selbst mit der Durchsetzung seiner jeweiligen politischen Absichten in Schwierigkeiten geraten. Letztlich hängt also in der Krise auch die Macht in den Verhältnissen von der über die Verhältnisse ab. Dabei kann es um viel mehr als nur politische Probleme gehen. Denn in die Politik ragen ja jeweils solche aus andern Bereichen hinein, um sich dann politisch niederzuschlagen. Erst von der Vielfalt der Probleme her wird die Machtlagerung kritisch; sei es, 23

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daß sich neue, in die bisherigen politischen Verhältnisse nicht zu integrierende Kräfte bilden, sei es, daß sich eine neue Situation gegenseitiger Blockierung aller Kräfte aufbaut, die ein eingreifendes Handeln unmöglich macht, bis sich allmählich aufgrund der Virulenz der Krise neue Machtverhältnisse einpendeln. Es stellt sich hier das Problem des Machtbedarfs eines politischen Systems. Dieser Begriff zielt darauf, daß ein System so viel Macht hervorbringen, das heißt genauer gesagt: an entscheidenden Stellen versammeln können muß, wie es zum Funktionieren braucht. Er zielt aber auch darauf, daß es in einer Krise über genügend Macht verfügen muß, um durch entsprechenden Wandel wieder funktionstüchtig zu werden. Ob dies aber möglich ist, ist nicht nur eine Frage richtiger oder falscher, kluger oder dummer, kurz- oder weitsichtiger Politik, sondern auch eine Frage der Machtlagerung, das heißt hier: der Zusammenfaßbarkeit von Macht. Genauer: Es müssen sich, wenn das bisherige System neuen Anforderungen nicht mehr gerecht werden kann, genügend viele und starke Kräfte derart vereinen lassen, daß sie eine Alternative zum Bestehenden bilden können. Wie stark sie dazu sein müssen, hängt von der Stärke der möglichen Widerstände ab. Wenn derart von einer Zusammenfaßbarkeit genügend vieler und starker Kräfte zu einer Alternative gesprochen wird, so bedeutet das also, daß hier nicht einfach Intellektuelles, also Gedanken, Pläne, Einsichten gefragt sind. Eine solche Alternative muß vielmehr eine politische Kraft sein. Das heißt, zu ihr müssen sich Meinungen und Interessen in bestimmter Weise zusammenballen; derart nämlich, daß sehr viele nicht nur akademisch, sondern aus kräftigen Antrieben ihres Handelns heraus sich genötigt sehen, in dieser Richtung zu hoffen, zu denken, vielleicht auch zu wirken. »Für das Eigene sorgt man vorzugsweise, für das Gemeinsame aber weniger oder doch nur, soweit es den Einzelnen berührt«, heißt es bei Aristoteles, Eben aus dem Eigenen Unzähliger muß eine Alternative sich aufbauen: dies geschieht dann zwar in einem Meinungsbildungsprozeß, aber der darf sich nicht bloß in intellektuellen Zirkeln abspielen. 24

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Denn es geht ja darum, daß sich Meinungen mit Interessen in bestimmter Weise verfugen. Wohl ist es immer eine Sache der Meinung, besser: dessen, was sie zu wissen meinen, wie die Mitglieder einer Gesellschaft ihre Interessen bestimmen; nur kann solches Wissen nicht unabhängig von bestimmten Bedingungen ihres Seins entstehen und sich reproduzieren. Wenn sich nun eine Krise wesentlich in virulenten Interessenkollisionen vollzieht, muß die Bildung einer sie überwindenden Macht wesentlich daraus resultieren, daß ein Großteil der Interessen durch Entstehung neuer Meinungen in eine gemeinsame Richtung gelenkt wird. Das setzt eine bestimmte Lagerung, nämlich Mobilisierbarkeit und Vereinbarkeit der Interessen voraus. Veränderung darf dann nicht nur in der Sphäre von Wünschen siedeln, sondern muß durch eine Amalgamierung von Einsichten und Bedürfnissen zur Angelegenheit Unzähliger werden. Die Entstehung einer Alternative muß folglich ebenso an vorhandene oder sich bildende Interessen und Meinungen anknüpfen, wie sie solche Meinungen und Interessen formt. Ihre Wirksamkeit muß nicht zuletzt darin bestehen, daß sie die Motive, aus denen sie lebt, zum guten Teil selbst erzeugt. In einem umfassenden Prozeß müssen interessenfundierte und interessenfundierende neue Meinungen umschlagen in eine eigenständige politische Kraft. Nur wo Ansätze zur Bildung einer solchen Alternative sind – so ist meine These –, kann einer virulenten Krise im politischen Handeln direkt und wirksam begegnet werden. Da kann die aus den objektiven Realitäten resultierende Unwiderstehlichkeit sich herauskristallisieren, die Arnold Gehlen das »Stimmrecht der Sachen« genannt hat. Aber es muß solche Ansätze nicht geben. Nicht jede Krise enthält die Möglichkeit einer solchen direkten »Lösung«, zumindest nicht sogleich oder auch nur so bald. So kann oft nur die Zeit, das heißt die Veränderung der Machtlagerung durch allmähliche, durchaus »intransitive« Prozesse die Voraussetzungen zur Lösung heranwachsen lassen. In ihnen kann politisches Handeln ein Teil, eventuell auch die wichtigste treibende Kraft sein, aber primär nur durch seine Nebenwirkungen. 25

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Die Bildung einer Alternative kann dann von einer Zermürbung der kollidierenden Interessen abhängen. Daß man sich schließlich mit unendlich vielem abzufinden bereit ist, wenn nur wieder Frieden und jemand, wer immer es sei, da ist, der Frieden und Ordnung zu schaffen vermag. Um die Möglichkeiten eines Politikers in einer Krise zu erkennen, muß also die Frage nach einer entsprechenden Zusammenfaßbarkeit der Macht gestellt werden. Die Verfügung über eine Armee, der Sieg in einem Bürgerkrieg, umfassende Vollmachten, die Anhänglichkeit der Massen, die große Zahl von Freunden, Reichtum und die Fähigkeit, viele Wünsche zu erfüllen, können einen Politiker instandsetzen, ungeheuer viel auszurichten und unwiderstehlich zu werden. Um aber die Verhältnisse, die er vorfindet, nachhaltig und dauerhaft zu verändern, braucht er eventuell ganz andere Formen von Macht. Jede Machtposition kann in eigentümlicher Kombination von vorhandener und fehlender Macht, von Bereichen der Macht und Bereichen der Ohnmacht bestehen. Ganz unabhängig davon, wie weit der Mächtige schwach gegenüber seinen Gefolgsleuten ist. Die Verteilung zwischen Macht und Ohnmacht kann sich eben zuspitzen auf ein Nebeneinander von ungeheurer Macht in den Verhältnissen und geringer Macht über sie, und dies besonders unter den Umständen einer Desintegration bisheriger Machtverhältnisse. Das war bei Caesar nach dem Bürgerkrieg der Fall. Insofern ist hier in Hinsicht auf den letzten, den eigentlich kritischen Teil seines Lebens vom Nebeneinander von Allmacht und Ohnmacht die Rede. In diese Problematik muß folglich eine Betrachtung der Biographie Caesars münden. Auszugehen aber hat sie natürlich vom Heranwachsen und dem Aufstieg ihres Helden innerhalb der römischen res publica. Doch auch dabei stellt sich die Frage nach der Struktur der römischen Republik, nur in einem weiteren Sinne. Denn diese Struktur, genauer: der Zustand, in den sie damals geraten war, war die Bedingung der Ausbildung von Caesars Größe, sie bot den Freiraum zu ihrer Entfaltung, wie umgekehrt das Aufkommen großer Einzelner (in einem allge26

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meineren Sinne) damals ein wesentlicher Strukturbestandteil war. Das hat schon Montesquieu erkannt, der schrieb: »Wenn Caesar und Pompeius wie Cato gedacht hätten, würden andere wie Caesar und Pompeius gedacht haben.«

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2. CAESARS AUFSTIEG BIS ZUM CONSULAT

ca esa r w u r de i m ja h r e 100 v. Chr. geboren, in einer sehr alten, politisch aber unbedeutenden Patricierfamilie. Diese hatte sich damals durch Heirat mit dem mächtigen Aufsteiger, lateinisch: homo novus, Gaius Marius verbunden. Als es in den achtziger Jahren in Rom zum Bürgerkrieg kam, schlug der sich auf die Seite des Consuls Cinna, des Führers der einen Partei. Und Caesar heiratete dessen Tochter. Er war 18 Jahre alt, als Cinnas Gegner Sulla siegte. Der hatte freilich nichts gegen den jungen, begabten, wenn auch (wie er meinte) schlecht gegürteten Patricier – außer, daß er eben mit der Tochter seines Feindes verheiratet war; denn Sulla haßte die Familien der Gegenseite und alles, was mit ihnen zusammenhing, von ganzem Herzen. Er verlangte also, daß Caesar seiner jungen Frau den Laufpaß gebe. Allein, dazu war der offenbar viel zu stolz. Eine solche Zumutung wies er von sich, obgleich das riskant war; denn in Rom herrschte Terror. Er hat sich dann auch verstecken müssen, fand schließlich nur dank hoher Fürsprache Gnade und ging zunächst in die Provinzen, um Militärdienst zu leisten. Nach Sullas Tod kehrte er nach Rom zurück, den Quellen zufolge erhoffte er sich eine

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politische Umwälzung, die aber nicht, jedenfalls nicht in aussichtsreichem Maße, zustandekam. Danach fuhr er zum Studium nach Rhodos. Damals passierte die berühmte Geschichte mit den Seeräubern, die man sich in Rom gern erzählte: Er wurde gefangengenommen. Während andere sich um ein Lösegeld bemühten, soll er sich circa 40 Tage lang in aristokratischer Gelassenheit und Souveränität unter den rauhen Gesellen bewegt, ihnen etwa befohlen haben, ruhig zu sein, wenn er schlafen wollte; soll Reden gehalten und ihnen lachend gedroht haben, er werde sie alle aufknüpfen lassen, wenn er frei käme. Sobald dies geschehen, bemannte er eine Flotte, setzte ihnen nach und nahm sie gefangen. Als der Statthalter von Asien zögerte, sie zu bestrafen (er rechnete seinerseits auf hohes Lösegeld), habe Caesar sie kurzerhand auf eigene Faust ans Kreuz schlagen lassen. Nach kurzem Studium ging er nach Rom, um seine Laufbahn zu betreiben. Sie stand unter guten Vorzeichen. Denn Caesar hatte beste, zum Teil verwandtschaftliche Verbindungen, auch zu den Häuptern der sullanischen Aristokratie. Er war hochintelligent, vermutlich auch liebenswürdig und anstellig. Sie erwiesen ihm Ende der siebziger Jahre die große Ehre, ihm in das kleine, vornehme, mächtige Priestercollegium der Pontifices zu verhelfen. Immer waren dazu neben hochangesehenen älteren Herren einige jüngere kooptiert worden, bevorzugt solche, die mit dem Verstorbenen, dessen Platz sie einnehmen sollten, verwandt waren. Das erleichterte die Auswahl. Es war auch bei Caesar der Fall. Er hat im folgenden die in Rom festgelegte Ämterlaufbahn durchaus mit Bravour zurückgelegt, wurde Quaestor, Aedil, Praetor, schließlich Consul, alles so früh, wie es nach den Vorschriften über Mindestalter nur möglich war. Allein, irgendetwas stachelte ihn stets von neuem dazu an, prominente Sullaner, die Häupter des Senats, zu ärgern, ja aufs Blut zu reizen. Ich vermute, er habe die Niederlage durch Sulla und besonders das Ansinnen, sich von seiner Frau zu trennen, so bald nicht verwunden. Jedenfalls beliebte es ihm, sich am Rande dieser Aristokratie zu bewegen. Von dort aus erschien 29

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ihm das Regime in all seinen Schwächen und seinem Versagen als verächtlich. Er war gewiß nicht der einzige, dem es so erging. Aber im Unterschied zu den meisten, wenn nicht zu allen anderen, scheint die Ablehnung bei ihm ziemlich tief gewurzelt und sich gelegentlich offen artikuliert zu haben. Er entwickelte einen besonderen Stolz, ein besonderes Bedürfnis, sich und seinen Anfängen treu zu bleiben. Das äußerte sich in immer neuen Aggressionen. Cicero sprach Ende der 60er Jahre davon, daß er sich auf der via popularis bewegte, das hieß: immer wieder populare Aktionen gegen den Senat unterstützte, gelegentlich auch eigene ins Werk setzte. Popular nannte man damals zumal Volkstribune, die vor der Volksversammlung gegen den Senat agitierten. Sie standen in einer Tradition, die sich allmählich herausgebildet hatte, seit die beiden Gracchen (133 und 123/1) bestimmte Forderungen im Sinne desVolkes gegen den Senat durchgesetzt hatten – und dafür mit dem Tode hatten büßen müssen. Seitdem hatten sich immer einmal wieder Volkstribunen gefunden, die gegen Senat und/ oder Magistrate im Namen des Volkes Vorwürfe erhoben, sich nicht nur für die Freiheitsrechte römischer Bürger einsetzten, sondern eventuell auch Gesetze beantragten. Sie stützten sich dabei auf verschiedene Gruppen, deren Interessen sie vertraten, und es pflegte sich ein bestimmtes Publikum auf dem Forum Romanum einzufinden, das einen Resonanzboden dafür bot. »Popular« war nicht der Name einer Partei, denn es kam, über einzelne Situationen hinaus, zu keinem Zusammenschluß irgend nennenswerter Kräfte gegen den Senat. Vielmehr bezeichnete das Adjektiv eine bestimmte Methode, der sich verschiedene Kräfte vorübergehend bedienen konnten. Es stand gleichsam eine Rolle bereit, in die junge Volkstribunen schlüpfen konnten, eine Reihe von Parolen, die bei kleiner Flamme wachgehalten wurden, um in dem Moment zu einem Feuer entfacht zu werden, wo es größere Dinge gegen den Senat durchzusetzen galt. Konstant daran waren Teile der stadtrömischen Bürgerschaft, zum Teil auch organisierte Gruppen, die als Claqueure dienen 30

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konnten. Sie standen in gewissem Sinne für das römische Volk, das zwar im allgemeinen dem Senat zu Diensten war, in dem aber doch stets etwas von der alten Opposition noch lebendig war, die sich in den Anfängen der Republik verschiedene Rechte gegen den Senat erkämpft hatte. In diesem Kreis konnte man sich beliebt machen. Dann hatte man auch die Redner auf seiner Seite, die immer wieder etwas aufgriffen, was im Sinne des Volkes war (und was eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich zog). Dann konnte man auch hier und da etwas anstiften. Wer sich auf der via popularis bewegte, war damit politisch nicht festgelegt, aber er konnte sich immerhin bei Teilen des Volkes beliebt machen. Für alle größeren Aktionen mußten größere Anhängerschaften mobilisiert werden. Man konnte vielleicht hoffen, daß man das, wenn es einmal der Fall war, fördern, daß man dabei vermitteln und daß man sich jedenfalls ein Ansehen bei denen schaffen konnte, die gerade die entsprechende Klaviatur betätigten. Und man konnte Minderprivilegierte für sich einnehmen, zumal wenn man ohnehin gegen den Senat sticheln wollte. Wir wissen nicht, wie intensiv Caesar das betrieb. Er scheint sich aber demonstrativ in dieser Gesellschaft bewegt zu haben. Caesars Onkel Marius gehörte zu denen, auf die die Volkstribunen sich immer wieder beriefen. Daran konnte er anschließen, wenn er die Siegeszeichen des Marius und dessen Statue wieder aufstellen ließ, welche unter Sulla einst weggeräumt worden waren. Bei anderer Gelegenheit setzte sich Caesar für die Nachkommen der von Sulla einst, am Ende des Bürgerkriegs, für vogelfrei Erklärten ein. Sie hatten das Recht auf Bewerbung um Magistrate verloren, das Caesar ihnen jetzt wieder verschaffen wollte. Es spricht vieles dafür, daß Caesar damals schon für die nächste Zukunft harte Kämpfe zwischen Senat und Volksversammlung voraussah, genau gesagt: Versuche, mit Hilfe der Volksversammlung gegen den Senat wichtige Gesetze durchzubringen. Dafür wollte er vielleicht die Luft regen. Dabei wollte er eine zentrale Rolle spielen. Für alle Fälle hat er sich darauf vorbereitet. 31

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So sehr Caesar aber zu Teilen der herrschenden Aristokratie Abstand hielt und seine eigenen Wege zu gehen suchte, so sehr vermochte er es, sich im Rahmen der damaligen Gesellschaft mit Bravour zu bewegen. Er verstand es, auf allen politischen Instrumenten virtuos und mit Erfolg zu spielen. Für das Gros der guten Gesellschaft scheint er zunächst ein extravaganter, unruhiger, besonders eindrucksvoller, kluger, aber keineswegs bedrohlicher Aristokrat gewesen zu sein. Wenn er zuweilen über die Stränge schlug, sich leicht abseits des Üblichen bewegte und hohe Herren einmal aufs Korn nahm, machte ihn das eher interessant. Außerdem setzte er sich wirkungsvoll für viele ein, er hatte also beste Beziehungen. Die waren es, über die im damaligen Rom ein Großteil der Wähler mobilisiert wurde. Caesars bestrickender Charme, seine aristokratische Gebärde, der Glanz seines Auftretens nahmen zusätzlich für ihn ein. Das alles war wesentlich für eine gute Laufbahn. Das kompensierte die Ablehnung, auf die er bei einigen der mächtigen Führer des Senats gestoßen sein muß. Denn diese haben spätestens um 60 gewußt, daß er ihnen gefährlich werden konnte. Sie nahmen die Dinge politisch, im Sinne der Wahrung senatorischer Macht und Autorität. Höchst aufschlußreich für Caesars damalige Ambitionen, auch für die Stellung, die er in der Senatsgesellschaft einnehmen wollte, sind zwei Ereignisse des Jahres 63. Das eine ist die Wahl zum Pontifex Maximus, zum höchsten Priester Roms. Das war im Grunde ein politisches Amt, denn diese Priester hatten keine Kulte zu vollziehen. Sie waren vielmehr zuständig und sachverständig für die Beziehungen des Gemeinwesens zu überirdischen Gewalten. Daraus konnte politisch einiger Einfluß resultieren, und Ansehen ohnehin, so daß die prominentesten Consulare, Männer also, die das oberste Amt des Consuls bekleidet hatten und zum führenden Kreis des Senats gehörten, dafür zu kandidieren pflegten. So auch jetzt. Einer von ihnen hätte es werden müssen, denn das Amt fiel gewöhnlich einem der angesehensten Herren zu. Das hatte sich so eingespielt, obwohl die Wahl in einer Volksversammlung erfolgte, in der die städtische Menge, die plebs urbana großen Einfluß besaß. Zumeist wurde 32

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der Vorrang der prominenten Herren von den übrigen Pontifices (den möglichen anderen Kandidaten) mit Selbstverständlichkeit (bei möglicher Nachhilfe) respektiert: Keiner also von ihnen trat normalerweise gegen sie an. Caesar aber, der damals noch nicht einmal Praetor war, geschweige denn, daß er die höchste Stufe der Ämterstaffel, das Consulat erreicht hatte, hielt sich nicht daran. Schon vorher hatte er einen popularen Antrag unterstützt, wonach künftig alle Priesterämter – nicht nur das des Pontifex Maximus – von der Volksversammlung besetzt werden sollten. Sein großes Ansehen bei der plebs urbana kam ihm zugute. So organisierte er eine große Wahlkampagne, nahm ungeheure Schulden auf, um die Wähler zu bestechen – denn das hatte man im damaligen Rom aus eigener Tasche zu bestreiten. Seine finanzielle Lage war so angespannt, daß Catulus, sein wichtigster Gegenkandidat, hoffen konnte, ihn durch ein hohes Geldangebot zur Aufgabe der Kandidatur zu bewegen. Er rechnete damit, daß Caesar zu rechnen verstünde. Aber der verschaffte sich neue Gelder, erhöhte den Einsatz bis an die äußerste Grenze seines Kredits; als er am Morgen der Wahl das Haus verließ, sagte er zu seiner Mutter, er könne nur als Pontifex Maximus heimkommen oder gar nicht – und wurde dann mit überwältigender Mehrheit gewählt. Caesars Bewerbung entsprang einer kühnen Kalkulation. Was andere kaum für denkbar hielten, erkannte er als möglich. Und er war bereit, weit über seine Verhältnisse hinaus Risiken einzugehen. Einerseits reizte es ihn auch diesmal, den führenden Senatoren, welche in der Tradition der sullanischen Bürgerkriegspartei standen, zuzusetzen. Zugleich meldete er damit einen hohen Anspruch an: er war etwas höchst Besonderes. Sein Erfolg bewies es. Jeder konnte es sehen. Selbst den höchsten Consularen war er überlegen. Seine neue Würde, die mit einem Amtssitz auf dem Forum an der Via Sacra verknüpft war, dokumentierte es. Noch charakteristischer war Caesars Auftritt am 5. Dezember 63. Seit Monaten war in Rom von Putschplänen einer Gruppe 33

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meist hochverschuldeter Senatoren die Rede, die sich um einen Mann namens Catilina vereinten. Der hatte inzwischen die Stadt verlassen, und es hatte Meldungen gegeben, welche besagten, er sammle in der Toscana aus Unzufriedenen ein kleines Heer. Aber man hatte noch im Dunkeln getappt. Jetzt aber waren endlich Beweise aufgetaucht. Man hatte Briefe abgefangen, fünf führende Männer aus der Stadt waren gefaßt und überführt worden. Rom fieberte vor Aufregung. Gerüchte schwirrten durch die Luft. Es hieß, Freunde der Verschwörer organisierten einen Volksauflauf, um die Gefangenen zu befreien. Der Consul Cicero hatte den Senat in den Concordia-Tempel berufen, zu Füßen des Kapitols, am Kopf des Forum Romanum (rechts von der Treppe, über die man heute von der Piazza del Campidoglio zum Forum heruntersteigt, links liegt dann gleich das Mamertinum, das Gefängnis, in dem die fünf schließlich erdrosselt wurden). Die Wahl des Tagungsortes hatte zugleich praktische und symbolische Bedeutung. Das ganze Gebiet war durch eine starke Mannschaft gesichert.Trotzdem vibrierte die Angst. Eine äußerst schwere Entscheidung stand an:Was sollte mit ihnen geschehen? Ziel der Senatshäupter und des Consuls war offenbar, die Todesstrafe durchzusetzen. Das war zwar wider das Gesetz, schien aber durch die Not geboten.Vorher schon hatte der Senat das senatus consultum ultimum erlassen, das heißt, grob gesagt, den Notstand erklärt. Jetzt sollte kurzer Prozeß gemacht, ein Exempel statuiert werden, wie es in Zeiten höchster Spannung schon verschiedentlich und mit Erfolg geschehen war. Je entschiedener und härter man verfuhr, um so weniger Zulauf konnte Catilina und sein Heer erhalten. Um so schneller konnte der Aufruhr erstickt werden. Eile war auch deshalb geboten, weil sonst zu befürchten war, daß einem Mann ein Vorwand zugespielt würde, um mit Heeresmacht in Italien einzumarschieren. Das war Gnaeus Pompeius. Er hatte als junger Mann im Bürgerkrieg auf eigene Faust eine Legion ausgehoben und sie dem Bürgerkriegsführer Sulla angedient. Anschließend war er mit größeren militärischen Aufträgen betraut worden, weil die regulären Magistrate ziemlich 34

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unfähig waren. Er verstand einiges von Strategie und Soldatenführung, weit mehr als die meisten andern. Man brauchte ihn also. So konnte er sich im Jahre 70, ohne ein weiteres reguläres Amt bekleidet zu haben (wie es eigentlich geboten war), das Consulat ertrotzen. Was ärgerlich war. Inzwischen hatte er in den Jahren 67 und 66 gegen den Willen der Senatsmehrheit durch die Volksversammlung große Kommanden erhalten. Das eine, um die weit verbreitete Seeräuberplage zu beseitigen, was ihm aufs beste gelungen war; das andere, um einen großen Krieg im Osten gegen den unruhigen, ehrgeizigen König Mithridates zu Ende zu führen; womit er ebenfalls Erfolg hatte. Jetzt stand seine Rückkehr bevor. Dem Gesetz nach mußte er seine Soldaten an der Grenze Italiens entlassen, um sie eventuell später zum Triumph wieder nach Rom zu rufen. Aber wenn er Gelegenheit bekam, sie gegen Catilina unter Waffen weit in die Halbinsel, bis dicht nach Rom zu führen, konnte er auf den Senat anschließend Druck ausüben. Wozu Pompeius allen Anlaß hatte. Denn er hatte einige Forderungen, auf deren Erfüllung er größten Wert legen mußte. Bald nach dem 5. Dezember brachte ein ihm verbundener Volkstribun denn auch den Antrag ein, ihn gegen Catilina zu holen. All diese Gründe veranlaßten den zunächst gefragten Senator, ultima poena, die äußerste, also die Todesstrafe zu beantragen. Alle Consulare stimmten zu. Dann aber kam die Reihe an Caesar. Er stand im Verdacht, mit Catilina gute Beziehungen zu unterhalten, vielleicht sogar im geheimen zu konspirieren. Andere, die sich in ähnlicher Situation befanden, waren vorsichtshalber gar nicht erst erschienen. Nun erhob er sich und hielt eine Rede, in der er Catilina und die Seinen scharf verurteilte, die Todesstrafe aber als zu mild hinstellte (so berichtet es jedenfalls Sallust), da wäre ja auf einen Streich alles vorbei. Da es letztlich keine der Größe des Verbrechens angemessene Strafe gebe, empfehle es sich, sich an das Gesetz zu halten, nach dem die kapitale Verurteilung eines Bürgers nur durch einen von der Volksversammlung eingesetzten Gerichtshof erfolgen dürfe. Caesar erinnerte daran, daß aufgrund des Gesetzes jeder Senator, der dagegen 35

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verstoße, selbst der Kapitalstrafe verfalle. Er wird ausgemalt haben, was alles an Agitation, Unruhe und Gefahren aus einem Todesurteil erwachsen konnte, nicht zuletzt für den Consul Cicero. Daher sein Vorschlag, das Vermögen der Catilinarier einzuziehen und diese auf Lebenszeit in Städten außerhalb Roms in Haft zu setzen. Diese Haft sollte schärfstens gesichert werden. Es solle in Zukunft keiner bei Senat oder Volk einen Antrag auf Erleichterung oder Freilassung stellen dürfen. Das hörte sich sehr überzeugend an, und es war verführerisch. Aber es stellte de facto einen schweren Schlag gegen das vom Senat bis dahin behauptete (übrigens von Caesar grundsätzlich nicht bestrittene) Recht dar, in Notfällen mit äußerster Härte und, wenn es sein mußte, auch gegen die Gesetze zu verfahren. Insofern war es popular: ganz auf der Linie der bisherigen caesarischen Politik. Zugleich ließ es den Catilinariern die Hoffnung auf spätere Befreiung. Schließlich vereitelte es den Effekt eines statuierten Exempels und kam damit auch dem Interesse des Pompeius entgegen, um dessen Gunst sich Caesar sich damals bemühte. Er wird alles mit Unschuldsmiene vorgetragen haben; staatsmännisch, auf eine dem ganzen Gestus nach höchst respektable, verantwortungsvolle, auf das Wohl des Consuls, des Senats, der res publica bedachte Weise.Vorausblickend schien er einen höchst praktischen Vorschlag zu machen, mit dem er freilich die Absichten der Senatshäupter und des Consuls durchkreuzte. Fast hätte er mit seinem Antrag auch Erfolg gehabt. Dem Consul Cicero schwand aller mühsam zusammengeraffter Mut dahin; die hohen Herren fielen reihenweise um. Zwischenrufe ertönten, Angst breitete sich aus. So konnte ein anderer Senator, vermutlich in Pompeius’ und Caesars Sinn, sogar die Vertagung der Beratung vorschlagen. Erst der junge Cato, seinem Rang nach ein Hinterbänkler, war mutig, energisch und überzeugend genug, um den Senat wieder aufzurichten und auf die Linie zu bringen, die seinen Häuptern vorschwebte. In all der Aufregung waren auch die Mannschaften, die Cicero zum Schutz der Sitzung aufgeboten hatte, nervös geworden. Caesar konnte den Se36

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nat nur unter dem Schutz des Consuls verlassen. So sehr hatte er alle gereizt, obwohl oder weil er zunächst viele überzeugt hatte. Am 1. Januar 62, er hatte gerade seine Praetur angetreten, rächte er sich am angesehensten der Senatshäupter, Lutatius Catulus einem der beiden Consulare, die Caesar 63 unterlegen waren. Die hatten ihn nämlich verdächtigt, mit Catilina konspiriert zu haben. Er verlangte von ihm Rechenschaft über die öffentlichen Gelder, die Catulus vor einigen Jahren für die Wiederherstellung des capitolinischen Juppitertempels zugewiesen worden waren. Man solle den Auftrag an einen anderen geben. Und er demütigte den alten Herren zusätzlich, indem er ihn nötigte, sich unterhalb der Rednertribüne, auf der der Praetor Caesar saß, zu rechtfertigen. Als zahlreiche Freunde des Catulus herbeieilten, blies er die Aktion ab. Der Eindruck, der hier von Caesar entsteht, kann nicht ex eventu bedingt sein. Es zeigt sich seine große Distanz zur Senatsgesellschaft, sein Bedürfnis, die hohen Herren teils kleinlich, teils mit großen Auftritten zu reizen. Es mag dabei ein Schuß Mutwille mitgespielt haben. Er wird es genossen haben, wie er viele Senatoren in ihrer Angst und Erbärmlichkeit vorführen konnte. Er bewies seine Furchtlosigkeit, seine politische Phantasie, seinen Wagemut. Spielte mit hohen Einsätzen. War nicht nur anspruchsvoll, sondern auch fähig, sich manche Ansprüche zu erfüllen. So konnte sich seine jugendliche Verachtung für die hochverehrten, schwächlichen, ihm aufgeblasen erscheinenden Senatshäupter umsetzen zu einem Bewußtsein persönlicher Überlegenheit, das zumeist wohlkontrolliert war, dabei aber stets von neuem Grenzen zu testen versuchte – und gelegentlich wohl auch hochgemut und rücksichtslos über das vernünftigerweise Mögliche hinausgriff. Übrigens war ähnliches auch im Privatleben Caesars zu beobachten. Nicht nur bei der Wahl zum Pontifex Maximus machte er sich keine Sorgen um seine Schulden. Auch bei seinen Amouren mit schönen Senatorenfrauen pflegte er nicht zu geizen. Und als ihm bei einer Villa, die er sich am Nemisee hatte erbauen lassen, irgendwelche Einzelheiten nicht paßten, ließ er 37

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in seinem Ärger lieber gleich das ganze, von geborgtem Geld errichtete Haus einreißen, als es umzubauen oder gar so, wie es war, zu beziehen. Als er 62 in seine Statthalterschaft nach Spanien aufbrechen wollte, sollen die Gläubiger seine Ausrüstung gepfändet haben. Sein Freund Crassus mußte mit einigen Millionen einspringen, bevor sich der Praetor der römischen Republik in sein Amtsgebiet begeben konnte.Wahrscheinlich ist diese finanzielle Rücksichtslosigkeit symptomatisch. Aber mit all dem, was er ins Werk setzte, hätte Caesar vermutlich nur ein ungewöhnlicher, unbequemer, sarkastisch höhnender, auf die Dauer mehr gefürchteter als geachteter, in erfolgreichen, aber letztlich unbefriedigenden Vorstößen sich aufreibender, schließlich zynischer Consular werden können, wenn nicht ein besonderes Ereignis dazwischengekommen wäre: Als er sich um das Consulat für 59 bewarb, bot sich eine einzigartige Chance. Wie er sie wahrnahm, so stellte er die Weichen für die eigene Zukunft und, wie es schließlich herauskam, auch für die der Republik (nämlich für die nachhaltige Beschleunigung ihres Niedergangs). Jetzt kam etwas in den Blick, womit er bis dahin kaum hätte rechnen können, nämlich die Möglichkeit, ein großes Kommando zu übernehmen. Seine politische Existenz straffte sich. Er legte sich fest auf ein neues Spiel mit unerhört hohem Einsatz. Auf dem Weg, den er jetzt einschlug, gewann er die Gelegenheit und den Raum, um alles, was in ihm steckte, seine ganze umfassende Kraft, seinen Willen, seine Größe gegen einen dunklen Hintergrund voll zu entfalten. Diese Chance kam von seiten des Pompeius. Der war Ende 62 aus dem Osten nach langen Feldzügen zurückgekommen, hatte, wie das Gesetz es wollte, sein Heer nach der Landung in Brindisi entlassen und wollte nun einerseits – nach schon oft geübtem Feldherrnbrauch – Landanweisungen für seine Veteranen, andererseits eine Ratifikation seiner im Osten getroffenen Verfügungen erreichen. Mit diesem Begehren gelangte er an den Senat, mit jenem an die Volksversammlung. Mit keinem hatte er Erfolg. Die Senatsmehrheit war gegen ihn, und ein Volksbeschluß wurde vereitelt. 38

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Pompeius geriet damit in eine sehr mißliche Lage. Wenn er seine politische Stellung nicht aufgeben wollte, konnte er auf seine Forderungen nicht verzichten. Allein, um sie durchzusetzen, brauchte er einen entschlossenen mutigen Helfer, der bereit war, etwas zu riskieren. Wohl konnte er seine Veteranen nach Rom holen, das Stadtvolk auf seine Seite bringen, dann war ihm die Mehrheit in der Volksversammlung sicher. Und die Volksversammlung konnte über alle seine Forderungen gültig Beschluß fassen. Aber gegen den Antrag konnte ein Volkstribun sein Veto einlegen, und damit war im Zweifelsfall nur fertigzuwerden, wenn man den Tribunen offen unter Druck setzte, mit Gewalt vom Platz jagte oder sein Veto einfach überging. Das heißt, man mußte gegen wichtige Grundsätze der geltenden Ordnung, modern gesagt: gegen die Verfassung verstoßen. Wer so handelte, verlor beim Senat und allen, die ihm anhingen, an Kredit, konnte vor Gericht gezogen werden, in schwerwiegenden Fällen konnte der Senat ein senatus consultum ultimum beschließen und gewaltsam gegen den Rechtsbrecher vorgehen. Dann mußte er voraussichtlich mit dem Leben büßen. Und der Senat war zu härtestem Widerstand entschlossen. Kurzum, ein energischer, rücksichtsloser Mann konnte zwar mit Hilfe einer kräftigen Minderheit in der Volksversammlung alles durchsetzen, lief dabei aber ein hohes Risiko. Wie es auskam, war eine Machtfrage. Dieses Risiko wollte Pompeius ursprünglich vermeiden: es sollte auch in seinem Namen so keiner handeln. Denn er legte großen Wert darauf, im Senat und bei der »guten Gesellschaft« etwas zu gelten, er wollte es mit ihnen keineswegs verderben. Aber da der Senat ihn hartnäckig bekämpfte, blieb ihm nichts anderes übrig. Er verbündete sich also mit Caesar. Denn der versprach, als popularer Politiker und Consul seine Sache zu verfechten. Weil aber der Senat zu allem entschlossen war, mußte Pompeius bereit sein, Caesar Kompensation und Sicherheit zu bieten. Und Caesar forderte, daß Pompeius ihm helfe, ein mehrjähriges Provinzialkommando zu erhalten, in dessen Besitz er große Eroberungen machen konnte. Das bot – wenn er über die Gefährdung 39

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durch ein senatus consultum ultimum während seines Amtsjahrs oder gleich nach dessen Ende hinwegkam – eine gewisse Aussicht, sich gegen drohende Anklagen zu sichern, später als Sieger heimzukehren und dann durch Ruhm, Anhängerschaften und Geld seinerseits eine besondere Stellung zu gewinnen. Es war genau der Weg, den man einschlagen mußte, wenn man nicht im Trott der Oligarchie, im scheinbaren Glanz einer nur sehr bedingt mächtigen, von tausend Rücksichten, Bedenken und Verflochtenheiten beengten Position befangen bleiben wollte. Nur in einem großen militärischen Kommando konnte ein römischer Adliger sich damals besonders hervortun. Nur dadurch konnte er ungewöhnliche Macht zu gewinnen hoffen, eine Macht, die es ihm erlaubte, gegen die herkömmlich führenden Kreise im Senat aufzukommen – in welchem Umfang und in welcher Weise auch immer. Warum dem so war, allgemein gesagt, warum man sich durch persönliche Leistung und die Gewinnung einer in der eigenen Person konzentrierten Macht – nicht dagegen auch im Bündnis mit oppositionellen Schichten – gegen die maßgebenden Teile der Oligarchie emporschwingen konnte, ergibt sich aus den Verhältnissen der späten römischen Republik.

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3. DIE STRUKTUR DER SPÄTEN RÖMISCHEN REPUBLIK Caesar, Roms Ordnung und die Krise ohne Alternative

di e röm isch e r e pu bl i k war ein sehr eigentümliches Gebilde. Ihre Ordnung war nicht eigentlich eine Verfassung. Unser Begriff führt da in die Irre. Wir haben es in ihr vielmehr mit einer quasiständisch aufgebauten Bürgerschaft zu tun, die in eine bestimmte Façon gebracht worden war, mit einigen politischen Organen und einem ganzen Bündel einerseits von kräftigen Bindungen, andererseits von Regeln, Beispielen und institutionalisierten Prozeduren sowie wenigen Gesetzen. Viele der Regeln und Beispiele waren nicht unbedingt verpflichtend. Sie ließen Spielräume. Doch blieben diese Spielräume hinwiederum letztlich dadurch begrenzt, daß sich in den Akteuren wie in den kräftigen Erwartungen, denen sie jeweils begegneten, ein starker Sinn für das je Angebrachte bildete, welcher ihrem Handeln Grenzen zu setzen pflegte, die in aller Regel hielten. Es ist auch theoretisch schlechterdings nicht möglich, für Rom eine – modern gesprochen – politische von einer gesellschaftlichen Ordnung zu scheiden, weil dort (anders als in der griechischen und der neuzeitlichen Geschichte) nie eine Scheidung zwischen dem einen und dem andern, also der Aufbau

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einer gegen die »gesellschaftliche« abgesetzten »politischen« Ordnung erfolgt ist. Entsprechend tief war alles Denken und Trachten, waren die Römer mit Haut und Haaren in die bestehende umfassende Ordnung eingebunden. Es war diesem Gemeinwesen eine besonders dichte, pralle, alternativlose Wirklichkeit eigen. Kaum ragte im römischen Wissen von der eigenen Ordnung Möglichkeit über Wirklichkeit hinaus. Kaum ließ sich auch nur theoretische Distanz zu ihr gewinnen. Maßgebend war zu Anfang der Republik ein nach außen abgeschlossener Adel von hohem Standescharisma, das Patriciat (zu dem auch die Julii Caesares gehörten). Die Patricier beanspruchten zunächst das Monopol auf die politischen Ämter, nicht zuletzt weil sie offenbar glaubhaft behaupten konnten, Zugang zum Willen der Götter zu besitzen, das Gemeinwesen also in Übereinstimmung mit denen zu regieren. Ihr Vorrang war, wie immer das bewirkt sein mochte, tief in den mentalen Grundlagen der ganzen Republik verankert, jenem Komplex selbstverständlicher Anschauungen, Perspektiven, Selbsteinschätzungen, und Verhaltensweisen, der sich früh eingebürgert hatte und an den auch in Zukunft kein Zweifel so leicht herankam. Mit ihm war es vermacht, daß auch die Patricier selbst ziemlich genau so zu denken und zu handeln hatten, wie es ihrer Stellung in jenem Ganzen entsprach, als welches Rom in jener Zeit stark und dauerhaft geprägt wurde. Es sollte – im gegebenen Rahmen – durchaus Freiheitsrechte für das Gros der Bürger enthalten, nicht aber die Freiheit weitgehender Mitsprache, die für griechische Poleis charakteristisch war. Gerade auf der Folie des griechischen Gegenbildes läßt sich studieren, welch weitreichende Folgen es hat, wenn am Anfang einer Kultur ein hoher Aufwand an prägender Kraft getrieben wird, um ein Gemeinwesen in Form zu bringen – und zu halten. Es erfolgen dann Festlegungen (bis ins Metaphysische hinein), die so leicht nicht wieder aufzusprengen sind – Bedingungen sowohl für die Entfaltung wie für die Begrenzung der in ihm zu erzeugenden Energien. Für den ziemlich genau geformten Rahmen des patricisch geführten Gemeinwesens war es charakteristisch, daß es, als grö42

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ßere Teile der Bürgerschaft, die sogenannte Plebs, sich gegen das Patriciat aufbäumten, für sie nicht möglich, vielleicht nicht einmal denkbar war, dessen Rechte etwa durch Volksbeschlüsse oder gar einen Aufstand einzuschränken. Sie konnten sich vielmehr nur zu einer Sondergemeinde innerhalb des Gemeinwesens zusammenschließen und das Recht sichern, Volkstribunen zu wählen, die – aufgrund eines Eides der Plebejer – sakrosankt sein sollten: Wer ihnen ein Haar krümme, solle vogelfrei sein. Dadurch aber wurden die Vorrechte und die überlegene Position des Patriciats – das heißt zugleich: die strenge, religiös unterfangene Zurichtung der gesamten Bürgerschaft, von Hoch wie Niedrig, auf bestimmte Formen und Verpflichtungen – zunächst nicht angetastet. Es wurden nur eben, von Anfang an, gewisse Schutzmechanismen für die anderen begründet. Auf die Dauer allerdings wurde gefordert, daß die Plebejer, was hieß: Mitglieder der plebejischen Führungsschicht das Recht auf Bekleidung der Ämter erhielten. Als das schließlich durchgesetzt wurde, bildete sich ein neuer patricisch-plebejischer Adel, der mehr oder weniger in die Position des Patriciats einrückte. Doch blieb die plebejische Organisation bestehen. Die Volkstribunen behielten die Rechte, die sie sich ertrotzt hatten, indem sie etwa zwischen Magistrate und Bürger »intercedierten«, das heißt dazwischentraten, wenn diese gegen Zugriffe jener verteidigt werden mußten. Das hatte sich zu einem umfassenden Einspruchsrecht gesteigert. Es blieben zudem die Möglichkeiten lebhafter, wohl auch aggressiver Agitation. Der Form nach hatte die Plebs sehr weitgehende Rechte. Schließlich erhielten ihre Resolutionen (plebis scita) Gesetzeskraft. Im ganzen aber blieb das Gemeinwesen, wenn auch eingeschränkt, unter Führung des neuen Adels, speziell des Senats, in dem er versammelt war, sowie der Magistrate, die er stellte (samt einigen Aufsteigern, welche sich ihnen zugesellten). Ihre Rechte sowie die der Volksversammlungen waren formal kaum begrenzt.Wie weit sie sie nutzen konnten, mußte sich von Fall zu Fall herausstellen. Unter Umständen nach Konflikten, jedenfalls in immer neuem Ausgleich. 43

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Dies alles geschah unter dem Regime ständig neu anerzogener selbstverständlicher Übereinstimmung der Vorstellungen von rechter Ordnung und den eigenen Pflichten in deren Rahmen. Dazu dienten eingeschliffene Regeln samt einer vermutlich bis ins Instinktive hinein gesicherten Fähigkeit der Akteure, die eigenen Kräfte und Möglichkeiten schließlich (nach entsprechendem Messen) genau einzuschätzen und gegebenenfalls aufgrund davon zurückzustecken. Wohl konnte man Grenzen abtasten, doch pflegte sich bald herauszustellen, wie weit man gehen konnte. Die stets neue Notwendigkeit, das vielfältige System in Balance zu halten, erhielt das alte Gefüge jung. Eine eingeübte Kunst des Nachgebens tat das Ihre dazu. Schließlich gab es eine Instanz, nämlich den engeren Kreis der Führenden im Senat, welche, wenn es nötig war, zu bewirken vermochte, daß die Geschlossenheit des Senats und damit der Führungsschicht sich immer neu aktualisierte. Sie sahen auch darauf, daß sich keine Faktionen im Adel bildeten. Zusätzlich war der gesamte Adel vermittels eines Systems von Nah- und Treuverhältnissen tief in die Bürgerschaft eingebettet. Es verpflichtete seine Angehörigen, sich nach Möglichkeit für die ihnen derart Verbundenen einzusetzen. Wogegen diese sie, etwa bei den Wahlen, zu unterstützen hatten. Der Adel leistete auf diese Weise einen umfassenden Dienst an den Bürgern, das heißt an seiner Macht. Denn letztlich kam der politische Gewinn daraus ihm zugute. So bewies das ganze System einerseits große Elastizität, andererseits bemerkenswerte Festigkeit, vielerlei Möglichkeiten für weite Kreise, die eigenen Interessen zur Geltung zu bringen, andererseits klare Grenzziehungen, wo sonst das überkommene Gefüge tangiert worden wäre, und zugleich klare Führungsstrukturen. Eines bedingte jeweils das andere. Dazu, daß das gut ging, trugen die ungeheuren auswärtigen Erfolge dieser Republik, die Eroberungen, das Wachstum des Herrschaftsbereichs mitsamt den daraus resultierenden Mitteln und Möglichkeiten wesentlich bei. Allein, die Kapazität dieser Ordnung war nicht unbegrenzt. 44

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Und speziell der weit sich ausdehnende Herrschaftsbereich brachte außer zahlreichen Entlastungen neue schwere Probleme mit sich. Denn ein bestimmtes Ausmaß an Spannungen innerhalb der Führungsschicht (wie des Herrschaftsbereichs) durfte nicht überschritten werden, wenn das Ganze einigermaßen in geregelten Bahnen laufen sollte. Wenn, wie sich das unter den sich ausweitenden Bedingungen geradezu aufdrängte, die römischen Magistrate (etwa als Statthalter) mächtiger, selbständiger, auch weltläufiger wurden, so erschwerte das deren Einfügung in den Zusammenhang des Standes. Zugleich stellten sich infolge der Expansion zahlreiche Mißstände ein. Es stiegen aber auch die Anforderungen an die militärische Führungskompetenz der Adligen; und nicht wenige blieben dahinter zurück. Schließlich kam es zu Konflikten von einer Schwere, daß ihnen mit den herkömmlichen Formen des Sich-Auspendelns unter den verschiedenen Magistraten und Organen nicht mehr so leicht zu begegnen war. Die erste große Überforderung erlebte die Ordnung der Republik im Jahre 133 v. Chr. Damals brachte Tiberius Gracchus die wachsende Not der Bauern, aus denen sich Roms Armeen rekrutierten, auf die Tagesordnung. Die Kriege waren länger geworden, einer von ihnen war ausgesprochen schmutzig und beutelos. Zahlreiche Bauern verarmten, konnten ihre Höfe nicht halten. Gracchus’ Antrag jedoch, ihnen aus öffentlichem Eigentum neues Land zu verschaffen, stieß auf das Veto eines Collegen. Nach alter Regel hätte er das Veto angesichts des überaus starken Zuspruchs, den Gracchus erfuhr, zurückziehen müssen. Aber er beharrte darauf, nahm sein Recht also absolut. Dies wiederum wollte sich Gracchus nicht gefallen lassen. Er ließ den Collegen kurzerhand durch die Volksversammlung absetzen. Jeder wollte mit dem Kopf durch die Wand; was noch mehr gegen alle eingebürgerte Rechtsauffassung verstieß. Anschließend versuchte Gracchus auch noch, ebenfalls gegen alle Regel, wiedergewählt zu werden; wohl einerseits, um sich zu sichern, andererseits vielleicht, um weitere einschneidende Gesetze zu geben. Was bedeutete, daß er noch weiter über die 45

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Stränge schlagen konnte. Daraufhin tat der Senat ein Übriges: Er schlug seine bis dahin durchweg gewahrte Überparteilichkeit, eine Voraussetzung seiner Autorität, in den Wind. Ein großer Teil seiner Mitglieder verlegte sich auf Lynchjustiz. Erstmals wurde in Rom Gewalt zur ultima ratio der Politik. Der Tribun wurde samt mehreren Anhängern erschlagen. Wesentliche Grundlagen der überkommenen Ordnung wurden damit erschüttert. Und das hatte Folgen. Aber auf den Gedanken, daß sie nicht mehr die richtige war, ist keiner gekommen. Als bald darauf nicht genügend Soldaten ausgehoben werden konnten, brach der Consul Marius mit dem Grundsatz, daß nur, wer eigenes Land besaß, für Rom in den Krieg ziehen durfte. Er nahm jeden. Und er wollte seine Soldaten nicht nur durch Sold honorieren, sondern ihnen am Ende Land verschaffen. Nachdem zuvor Landeigentum Voraussetzung für Wehrdienst gewesen war, sollte insofern Wehrdienst Voraussetzung für Landeigentum werden. Vielleicht konnte man das eine nicht ohne das andere denken. Jedenfalls waren die Soldaten nach römischer Auffassung ihrem Feldherrn dafür zu Gefolgschaft verpflichtet. So verwandelte sich der Charakter der römischen Armeen. Man mußte künftig nicht nur Feldherr, sondern in höherem Maß auch Soldatenführer sein, wenn man eine von ihnen zum Erfolg führen wollte. Ja, aus verschiedenen Gründen scheint es dazu gekommen zu sein, daß größere militärische Aufgaben nurmehr von Männern erfüllt werden konnten, die bereit und in der Lage waren, sich stark auf die Soldaten einzulassen. Was zugleich bedeuten konnte, sich stärker vom Gros der Senatoren abzuheben. Die großen Feldherrn und ihre Pflichten gegenüber ihren Veteranen sollten mit der Zeit zum schwierigsten Problem in der Krise der Republik werden. Denn so nötig sie für Krieg und Friedenssicherung gebraucht wurden, so sehr wehrte sich der Senat dagegen, daß ihnen die Ansiedlung ihrer Veteranen beschlossen wurde. Immerhin hatte zu seinem Zusammenhalt gehört, daß keiner zu selbständig und zu mächtig wurde; eben das aber schien zu drohen, wenn einer sich auf größere Gruppen 46

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von Männern stützen konnte, die nicht nur unter seinem Kommando gekämpft hatten, sondern ihm auch ihre Bauerngüter verdankten. Ende der 90er Jahre stellte sich ein weiteres Problem. Rom zog zu seinen Kriegen seit langem schon seine Bundesgenossen in Italien heran. Viele von denen aber hatten mit der Zeit das Gefühl, den Römern gegenüber benachteiligt zu sein. Sie wollten ins Bürgerrecht aufgenommen werden. Als ein Versuch, ihnen dazu zu verhelfen, scheiterte, griffen sie zu den Waffen. Rom wurde rasch in die Enge gedrängt. Es mußte nachgeben. Das bedeutete, daß die Bürgerschaft sich nahezu verdoppelte. Da wollte der Senat zumindest das Gewicht, das die Neubürger bei den Wahlen erlangen konnten, gering halten. Römische Wahlen wurden in Abteilungen, quasi Wahlkreisen durchgeführt. Das Ergebnis errechnete sich nicht aus der Gesamtzahl der Individualstimmen, sondern aus den Stimmen der Wahlkörper, und die waren unterschiedlich groß. Jetzt plante man, den Neubürgern eine relativ geringe Zahl von Stimmabteilungen zuzuweisen. Ein Volkstribun setzte sich dagegen zur Wehr. Er hielt das für unbillig, erhoffte sich wohl auch großen Anhang. Erbitterte Kämpfe entbrannten. Die Fronten verlängerten sich.Wieder versuchte einer den andern zu übertrumpfen – ohne Rücksicht auf die gebotenen Grenzen. Am Ende, 88 v. Chr., kam es dazu, daß erstmals ein Consul eine römische Armee auf die Stadt marschieren ließ. Das war Lucius Cornelius Sulla. Er nahm Rom ein und setzte seinen Willen mit Waffengewalt durch. Da er aber bald darauf einen Krieg im Osten zu führen hatte, geriet die Stadt unter die Gewalt eines Rivalen, des Lucius Cornelius Cinna und von Caesars Onkel Marius. Sie stützten sich ihrerseits auf Armeen. Ein erster großer Bürgerkrieg war die Folge. Er endete mit dem Sieg Sullas. Der versuchte anschließend zwar, die Republik neuerdings zu stabilisieren. Das Senatsregime sollte gestärkt, der Einfluß der Volkstribunen zurückgedämmt werden. Aber die hohen Verluste an (zumal führenden) Senatoren, die der Bürgerkrieg gekostet hatte, die völlig ungewohnte, allem Denken zuwiderlaufende Er47

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fahrung senatorischer Ohnmacht gegenüber den Bürgerkriegsparteien sowie die rücksichtslose mörderische Weise, in der sich Sulla vieler seiner Gegner entledigt hatte, stellten eine schwere Hypothek für die neu etablierte Senatsautorität dar, welche letztlich nicht mehr abgetragen werden konnte. Man pflegt die Zeit seit 133 als eine Zeit der Krise zu begreifen, die sich in den 80er Jahren erheblich verschärfte. Seit Theodor Mommsen spricht man vielfach sogar von einem Zeitalter der Revolution. Dieser Ausdruck trifft aber die Sache nicht. Wohl gab es immer wieder Unregelmäßigkeiten, Hetze und Gewalt; wie ja auch Bürgerkriege. Aber eines, was Revolutionen doch eigentlich kennzeichnet, fehlte: Es gab keine, zunächst vielleicht latente, bald aber doch handgreifliche Kraft, die auf Umsturz gedrängt hätte. Vielmehr kannte diese Krise die Herausbildung einer Alternative zum Bestehenden über viele Jahrzehnte hinweg gerade nicht. Nicht einmal in Form irgendwelcher Gedanken, die auf eine andere Republik gezielt hätten, und schon gar nicht in der Realität einer innerhalb der Bürgerschaft sich allmählich herauskristallisierenden Kraft, die eventuell die Legitimität des Überkommenen hätte infragestellen können. Wir haben es eher mit Prozessen der Desintegration zu tun. Wohl hatte sich neben, respektive genauer: gleich unterhalb des Senats eine breite, sehr wohlhabende Schicht gebildet, die Ritter (so genannt, weil ihr Vermögen sie instand setzte, mit eigenem Pferd zu dienen; wovon freilich damals kein Gebrauch mehr gemacht wurde). Die meisten von ihnen waren Großgrundbesitzer, bildeten die lokale Aristokratie in den verschiedenen Städten Italiens (domi nobiles). Eine wachsende Zahl von ihnen aber machte in großem Stil Geschäfte als Publicanen, das heißt Pächter öffentlicher Aufträge, unter anderm der Einziehung von Steuern und Zöllen in den Provinzen. Daraus ergaben sich gelegentlich Konflikte mit den Statthaltern. Tiberius Gracchus’ Bruder Gaius hatte ihnen 123/2 eine weitere wichtige Funktion übergeben: Sie sollten die Geschworenen für die Strafgerichte sein, unter anderm diejenigen, welche für die Ausbeutung der Provinzen durch senatorische Statthalter zuständig 48

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waren. Dabei standen sie denen als Ausbeuter kaum nach (ohne daß man sie freilich deswegen hätte belangen können). Mehr aber scheint das Gros nicht gewollt zu haben. Fraglos waren die Ritter regimentsfähig. Aber in der Regel haben nur wenige von ihnen davon Gebrauch gemacht (und sich rasch dem Senatsadel assimiliert). Es war ihnen bewußt, daß der Senatsadel etwas anderes war als sie. Daß ihm die Führung der Republik zukam. Und daß seine Angehörigen dafür sehr viele Verpflichtungen auf sich nahmen. Sie dachten nicht – oder nicht ernsthaft – daran, ihn abzulösen oder zu großen Teilen in ihn einzudringen. Zwar könnten im letzten Jahrzehnt des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts Teile des Ritterstands ihren Einfluß bei den Wahlen stärker gegen die herrschenden Kreise geltend gemacht, sich insofern politisiert haben. Aber das ging bald vorüber. Im Bürgerkrieg der achtziger Jahre haben nicht wenige von ihnen sich auf die Seite Cinnas geschlagen, teilweise auch eine politische Laufbahn versucht. Sulla hat deswegen nach seinem Sieg eine größere Zahl von Rittern ermorden lassen. Seitdem mochten zwar einzelne von ihnen weiterhin die Ämterlaufbahn einschlagen (und sich dem Senat integrieren). Der Stand im ganzen aber beschränkte sich darauf, innerhalb der Politik seine eigenen Interessen zu verfolgen. Daraus konnten sich gelegentlich Störungen ergeben. Auch eine Einschränkung der Verantwortlichkeit des Senats (indem man den Rittern wider bessere Einsicht zu Gefallen war). Aber im ganzen waren sie – wie alle potentiell Mächtigen damals – mit den Zuständen zufrieden. Sie kamen auf ihre Kosten. Mithin spielte sich in der späten römischen Republik eine sehr eigentümliche Krise ab. Vieles funktionierte nicht. In vielem versagten Senat und Magistrate.Verschiedentlich kam es zu großen Konflikten, von denen einige – nicht nur der mit Tiberius Gracchus – durch Gewalt, also Mord beendet wurden, im Auftrag des Senats, mit Unterstützung des zweiten Standes. Bürgerkriege wurden möglich, Verschwörungen wie die catilinarische. Auch litten die unteren Schichten unter teilweise sehr 49

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schlechten wirtschaftlichen Bedingungen. Es ließ sich beobachten, und zumindest Cicero sprach es offen aus, daß die Republik »verloren (amissa)« sei (nicht endgültig, aber einstweilen, jedenfalls bis sie wiederhergestellt werde). Aber es zweifelte, soweit man irgend sehen kann, keiner daran, daß die überkommene Ordnung die rechte sei, daß dem Senat die Führung der Republik, ja die Verantwortung für sie zukam. Und daß die Magistrate durch die Angehörigen des alten Adels zu besetzen seien. Es bildete sich keine Kraft, die auf eine Veränderung der Verhältnisse hätte drängen können. Wenn die potentiell Mächtigen, aufs ganze gesehen, zufrieden waren, waren die potentiell Unzufriedenen machtlos. Man konnte sich auf einige von ihnen stützen, wenn man etwas mit Hilfe der Volksversammlung ins Werk setzen wollte. Vielleicht fiel für sie auch etwas dabei ab, etwa Verteilungen verbilligten Getreides. Aber von weiteren Ambitionen ist keine Spur. Insofern haben wir es hier über eine lange Zeit mit einer Krise ohne Alternative zu tun. Die Aristokratie war zu tief und zu gut in der ganzen Ordnung verankert, die Ordnung selbst, unter der Rom sein Reich erobert hatte, verstand sich zu sehr von selbst. Und die spezifischen neuzeitlichen Erwartungen an das Veränderungspotential Minderprivilegierter, die wir (immer noch?) gern hegen, sind hier fehl am Platze. Sie setzen vermutlich die Scheidung von Staat und Gesellschaft und die Ausbildung all der Hebel voraus, die damit gegeben sind. In Rom aber hat man es nicht mit Staat und Gesellschaft, sondern mit einer Bürgerschaft zu tun, die das Gemeinwesen war. Man kannte auch nicht die Vorstellung möglichen Fortschritts, weder die Hoffnung darauf, noch gar die Gewißheit darüber – samt all den Relativierungen, die daraus erwachsen, daß man weiß, daß irgendwann alles überholt ist. So mußte die Krise auf andere Weise vorangetrieben werden, nämlich durch Pompeius, durch Caesar und durch den Senat. Und zwar nicht dadurch, daß einer das gewollt hätte, schon gar nicht der Senat, ich vermute aber, selbst Caesar nicht. Doch 50

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alle zusammen bewirkten sie es. Pompeius, indem er auf seinen Forderungen bestand, der Senat, indem er ihre Erfüllung verhinderte, und Caesar, indem er sie gewaltsam durchsetzte und dem Senat eine Niederlage beibrachte, von der der sich so leicht nicht mehr erholen konnte. Worauf dann weitere Versuche des Senats folgten, Pompeius auszugrenzen, Caesar niederzuringen, was auf lange Bürgerkriege hinauslief, bis Augustus seine Monarchie begründete. Versucht man das auf allgemeinere Formeln zu bringen, so handelte es sich darum, daß die herkömmliche Ordnung überfordert war. Das Imperium war zu groß geworden. Das Senatsregime war den militärischen Anforderungen nicht mehr gewachsen. Sei es, daß daraus Folgen entstanden, wie die, denen Tib. Gracchus zu genügen versuchte, sei es, daß dafür ein neuer Typ Soldaten und gelegentlich auch Feldherren gebraucht wurden, die sich dem Senatsregime nicht mehr so leicht einfügen konnten. Den Rest trug der Verlust an Elastizität bei, das sture Festhalten des Senats an einer Rolle, die er nicht mehr zu spielen vermochte, die er aber spielen zu müssen glaubte, vielleicht gar glauben mußte, weil ihm noch immer die Verantwortung für die Republik allgemein zugedacht wurde; weil er – seit Beginn der akuten Krise, seit den Gracchen also – sich im Notfall immer noch hatte durchsetzen können, mit Hilfe blanker Gewalt. Aber eben da er weiterhin nach allgemeiner Auffassung jene Verantwortung trug, wäre es wohl pflichtwidrig gewesen, wenn er sie nicht wahrgenommen hätte – gegenüber allen Kräften, die ihm dabei im Wege waren (oder zu sein schienen). Doch hatte er eben nicht die Macht, die seiner Verantwortung entsprochen hätte. So reagierte er krampfhaft. Er bekämpfte die großen Einzelnen um so mehr, je mehr sie gebraucht wurden. In dieser Lage konnte ein junger Mann einen für sein Alter ganz ungewöhnlichen Einfluß auf den Senat erlangen. Das war Marcus Porcius Cato, der, auf stoischer Philosophie fußend, in aller Strenge das durchzusetzen suchte, was nach allgemeinem Verständnis Sache des Senats war, ohne daß der unbedingt dazu geneigt gewesen wäre, es zu praktizieren. Aber er konnte sich 51

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den Reden Catos nicht entziehen.Wenn er ernst nahm, was ihm aufgegeben war, mußte er eigentlich tun, worauf Cato drang. Daraus resultierte dessen hohe Autorität – bei allen Niederlagen, die er dann in der Folge erlitt. Pompeius aber unterlag der Schwierigkeit, daß für ihn – nach all seinen Leistungen – in der Republik eigentlich keine Position vorgesehen war. Denn letztlich wollte er vom Senat und allen »Guten«, die dem anhingen, ja anerkannt werden. Er blieb ganz bezogen auf das Überkommene, Bestehende. Er hatte keine Sache, der er sich gegen den Senat hätte verknüpfen, die er hätte verfechten können. Weil es eben keine Alternative gab. Caesar dagegen hat seit 59 den offenen Widerspruch zu Senat und res publica bewußt riskiert. Er setzte primär auf sich. Ordnete sich damit gleichsam einer anderen Wirklichkeit zu. Verlagerte die Widersprüchlichkeit der damaligen Welt zwischen sich und den Senat, zwischen ein großartiges Kommando über eine höchst erfolgreiche Armee und die so vielfach versagende Republik. Dadurch hob er sich so glanzvoll vom dunklen Horizont des damaligen Roms ab; dadurch bildete sich seine Persönlichkeit so groß und großartig aus. Er wurde deswegen freilich keineswegs zum Vertreter des Reiches gegen Rom. Vielmehr spricht die Wahrscheinlichkeit eher dafür, daß er das alte Ideal der Aristie neu erfüllte: operibus anteire, alle andern durch Leistung für die Republik (wie er sie verstand) hinter sich lassen – nur freilich nicht als später Nachfahre des Achill oder Coriolan, sondern indem er sich in seiner höchst schwierigen Zeit auf seine, eine sehr besondere Weise einen Weg suchte.

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4. VOM ERSTEN CONSULAT CAESARS BIS ZUM AUSBRUCH DES BÜRGERKRIEGS

des Jahres 60 von der spanischen Statthalterschaft zurückkam, hätte er eigentlich einen Triumph feiern sollen, der ihm für irgendwelche Feldzüge beschlossen worden war. Dann hätte er sich aber nicht für das Consulat des Jahres 59 bewerben können. Denn dies hätte vorausgesetzt, daß er demnächst die geheiligte Stadtgrenze überschritt (womit er sein Kommando drangab, ohne so rasch feierlich in Rom einziehen zu können). Also ließ er den Triumph (für den es einiger Vorbereitungen bedurft hätte) fahren. Die Verhandlungen mit Pompeius werden längst im Gang gewesen sein. Jetzt zog Caesar noch Pompeius’ Rivalen Crassus hinzu: Man schloß einen Dreibund, um gemeinsam Ziele zu erreichen, mit denen man einzeln gescheitert war. Caesars Wahl ging reibungslos über die Bühne. Sein Consulat begann mit einer überlegenen Geste: Er stellte das Ackergesetz, das er in Pompeius’ Interesse beantragte, im Senat zur Diskussion und erklärte sich bereit, jeden Einwand zu berücksichtigen. Aber die Senatoren gingen darauf nicht ein. Schließlich erklärte Cato, es solle grundsätzlich nichts geneuert werden. Darauf wandte sich Caesar an die Volksversamma l s ca esa r u m di e m i t t e

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lung. Als es zur Abstimmung kommen sollte, wurde intercediert. Das war nicht überraschend, Caesar hatte damit gerechnet. Als der zweite Consul, Caesars Gegner Marcus Bibulus nach vorn auf die Tribüne kam, leerte man einen Korb voll Mist über ihn. Den Einspruch, den er und drei Volkstribunen einlegten, achtete Caesar für nichts, das Gesetz wurde beschlossen. Weiterer Widerstand war sinnlos. Pompeius hatte Veteranen nach Rom geholt, und die beherrschten die Straße. Der Senat hatte weder Polizei noch Militär. So konnte Caesar in der Folge Gesetz auf Gesetz – er hatte ein großes Programm – durchbringen. Einer seiner Helfershelfer, P.Vatinius, ließ die Volksversammlung beschließen. Caesar solle die Provinz Gallia Cisalpina sowie Illyrien als Statthalter bekommen. Bibulus zog sich ganz in sein Haus zurück. Er legte aber ein ums andere Mal ein religiöses Obstruktionsmittel, die Ankündigung der Himmelsbeobachtung ein. Wenn ein Magistrat den Himmel beobachtete (das heißt eigentlich, wenn er einen Blitz sah; nur reichte es inzwischen, wenn ein Amtsdiener ihm den meldete), mußte die Volksversammlung aufgelöst werden. Beschlüsse, die sie dann trotzdem faßte, konnte der Senat annullieren. Das Verfahren war im zweiten Jahrhundert gesetzlich geregelt worden. Bedingung war nur, daß eine solche Beobachtung vor Beginn einer Volksversammlung angekündigt wurde. Wenn das geschah, konnte die Volksversammlung nicht tagen. Da eine solche Ankündigung bei den Gefolgsleuten des Antragstellers aber großen Unwillen erregen konnte, wurde von diesem Instrument danach wenig Gebrauch gemacht. Für Bibulus jedoch wurde es wesentlich. Er ließ seine Beobachtung durch einen Amtsdiener melden. Im Unterschied zum tribunicischen Veto hatte das den Vorteil, daß seine Mißachtung dem Senat die Handhabe bot, die so zustande gekommenen Gesetze nachher für ungültig zu erklären – wenn es taktisch möglich war. Aber das war ja ohnehin die Voraussetzung mancher für sich genommen problematischer Institutionen: Sie waren wirksam, weil und solange der Senat ihre Respektierung sichern konnte. Caesar jedoch störte sich nicht im geringsten an all dem. 54

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Nachdem er einmal den ersten Schritt getan, kannte er keine Rücksichten mehr. Wenn die Gegner die Verfassung gebrochen haben wollten, sollten sie sie gebrochen haben. Er konnte ohnehin nicht viel damit anfangen. Es war, wie wenn sein kalter, scharfer Blick an diesen Dingen keinen Widerstand gefunden hätte: Er sah in all den geheiligten Formen keine Realität, nur Schein. Damit hatte er recht und unrecht: recht, weil sie in der Tat, aus der Distanz betrachtet, als lächerlich (»allzu dumm und alt«, wie Antonius später formulierte) erscheinen konnten – und außerdem mit einer Handbewegung zur Seite zu fegen waren; unrecht, weil der Senat und die römische Gesellschaft noch willens waren, die betreffenden Gesetze und Formen zu verteidigen, weil sie noch ganz und gar in der überkommenen Wirklichkeit der römischen Republik verhaftet waren, sich also über deren Durchbrechung empörten. Insofern wohnte diesen Mitteln noch viel Macht inne: aber nicht in jedem Moment; bei entschlossener Übertretung nur dann, wenn das Maß zum Überlaufen kam und sich von Senat und Bürgerschaft her harter Widerstand formierte. Diese Uneindeutigkeit, daß wichtige Verfassungsinstitutionen galten und auch nicht galten, war typisch für die etwas aufgeweichte Realität im damaligen Rom. Und daß Caesar für all die Imponderabilien, die mit der alten, herkömmlichen Realität verbunden waren, keinen Sinn hatte, war typisch für ihn. Und besonders typisch war, daß er daraus gar kein Hehl machte. Durch die Verfassungsbrüche, durch den Hohn und den Spott, den er obendrein gab, schließlich durch die Selbstherrlichkeit seines Auftretens machte Caesar sich weithin verhaßt. Und die Gegner vermochten es zusätzlich, in raffinierter Taktik ihre Niederlage gegen ihn auszuspielen. So geriet er in Bedrängnis; Pompeius scheint Miene gemacht zu haben, sich von ihm zu distanzieren; es wurde ihm unheimlich bei alldem, was sein Helfer anrichtete. Caesar hat ihm aber offenbar klar machen können, daß es kein Zurück gab. So kam es zu neuen Abmachungen: Caesar brachte ein zweites Ackergesetz ein, das Pompeius zugute kommen sollte. Dafür stellte der im Senat (den zahlreiche Se55

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natoren boykottierten) den Antrag, Caesar auch Gallia Transalpina (Provence und Languedoc) als Provinz zu beschließen. Das Ganze wurde besiegelt durch die Ehe, die Pompeius mit Caesars Tochter Julia schloß. Schließlich setzte Caesar sogar seine Kandidaten bei der Consulwahl durch, überwand einige gefährliche Klippen zu Beginn des nächsten Jahres und konnte darauf nach Gallien zu seinen Truppen gehen. Der Senat war schwer geschlagen: Das hatte man noch nie erlebt, daß ein Consul ein Gesetz nach dem anderen widerrechtlich durchgesetzt hatte. Und ebensowenig war es vorgekommen, daß jemand, der so weitgehend die für den Senat so wichtigen Obstruktionsmittel mißachtet hatte, davongekommen war, ohne dafür zu büßen – noch dazu in ein legales Kommando. Damit war die Grundlage der senatorischen Autorität aufs tiefste getroffen. Der Senat war nicht mehr die Instanz, die sich letzten Endes als die stärkste erwies, die in dubio für Ordnung sorgen konnte. In gewissem Sinne hatten die führenden Senatoren das selbst verschuldet: durch ihren heftigen, ungewöhnlich harten, unbeugsamen Widerstand. Sie konnten allerdings wohl nicht voraussehen, was Caesar ihnen alles entgegenzusetzen bereit war. Jeden anderen hätten sie wahrscheinlich besiegt. Als sie ihre Niederlage einsahen, versuchten sie, mit Caesar zu einem Kompromiß zu kommen: er sollte alles noch einmal einbringen, dafür wollten sie garantieren, daß kein Einspruch dagegen erhoben wurde. So hätten sie, schweren Herzens, die Sache konzediert, um wenigstens die Ordnung zu wahren. Womit Caesar zugleich auf den Boden der Legalität zurückgeholt worden wäre. Doch der lehnte ab, es war zu spät. Die führenden Senatoren haben deswegen den Kampf nicht aufgegeben. Nur war er jetzt mit großen Schwierigkeiten verbunden. Zuweilen gerieten sie selbst im Senat in die Minderheit. Indes waren sie überzeugt, je mehr die alte Ordnung bedroht war, um so mehr müsse man sie verteidigen. Die Diskrepanz zwischen Verantwortung und relativer Machtlosigkeit trieb den Prozeß nur beschleunigt weiter. Caesar hat nach dem Consulat sogleich in Gallien Krieg 56

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begonnen, genauer: Er hat ihn mit fadenscheinigen Gründen vom Zaun gebrochen. Und nicht nur einmal, sondern mehrfach. Von der Provence her, die schon seit 60 Jahren in römischer Hand war, eroberte er in den nächsten Jahren das ganze Gebiet bis zum Ozean, zur Nordsee und zum Rhein. Kein römischer Feldherr hatte je eine so große Eroberung gemacht. Es war eine ungeheure militärische Leistung, vollbracht gegen den Willen des Senats. Caesar konnte seine ganze Tatkraft ausleben, sein strategisches und diplomatisches Genie bewähren. Unter seinen Soldaten war er ganz in seinem Element. Er hat ihnen keineswegs nur befohlen, im Gegenteil. Er hat sie auch zu überzeugen gewußt. Er orientierte sie über die Lage, teilte ihnen in wichtigen Situationen seine Überlegungen mit. Er nahm sie als Kameraden, bei aller Sicherheit und Überlegenheit seines Auftretens und Befehlens. Er war, wo es nottat, streng und verlangte höchsten Einsatz.Aber er war zugleich, wo es anging, auch großzügig und sah ihnen manches nach. So hatte er alles aufs beste in der Hand. Die Erfolge bestätigten es. Und Caesar war von unerschütterlicher Sicherheit. Als einmal alles hoffnungslos und verworren aussah, so hören wir, fanden die Soldaten Trost in der »Tatkraft und wunderbaren Heiterkeit« ihres Feldherrn. Er zeigte sich nämlich »voller Zuversicht und Selbstvertrauen«. Außerdem teilte er alle Gefahren und Strapazen der Soldaten, lebte die längste Zeit mit ihnen im Lager und sorgte für sie. Er war ihr Vorbild. Er vermochte sie mit dem Gedanken zu beseelen, daß es eine hohe Aufgabe war, der sie sich in rastlosem Einsatz hingaben, die zwar er selbst gesetzt hatte, deren Erfüllung dann aber ihren eigenen Gesetzen folgte. So riß er sie mit sich, so waren sie stolz, seine Soldaten zu sein, wetteiferten in der Erfüllung ihrer Pflichten. Caesar machte sie, wie Sueton schreibt, devotissimos sibi et fortissimos, zu deutsch: ihm ganz ergeben und äußerst tapfer. Wo seine Führung derart anerkannt war und sich bewährte, konnte sich die dämonische Kraft (deinótes), die nach Plutarch unter seiner Heiterkeit verborgen war, ganz nach außen kehren. Man hat vermutet, Caesar habe sich auf seinen Feldzügen zu sehr ans Befehlen gewöhnt, um in Rom noch überzeugen zu 57

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können. Er hat sich jedenfalls an ein umfassendes, volles, erfolgreiches, ausfüllendes Wirken gewöhnt, und er hatte dann in der Tat Mühe damit, den Schwierigkeiten und Querelen der römischen Politik mit all ihrem Kleinklein, ihren Intrigen und Eitelkeiten sich auszusetzen. Insofern hat das gallische Kommando ihn stark geprägt. Die Art, in der er hier ein knappes Jahrzehnt lang seine Persönlichkeit verwirklichte, entsprach zu gut seinem höchstpersönlichen Anspruch, um nicht künftig sein ganzes Denken und Trachten aufs stärkste zu bestimmen. Daß die Soldaten gleichwohl zuweilen unzufrieden waren und schimpften, versteht sich von selbst. Daß sie Teilhabe an der Beute forderten und für später eine Landversorgung erwarteten, vertrug sich nicht nur mit ihrem Eifer und ihrer Anhänglichkeit: Es verstärkte noch das gemeinsame Interesse, das Band zwischen ihnen und dem Feldherrn. Die römischen Armeen der späten Republik waren ohnehin viel stärker an den Feldherrn als an das Gemeinwesen gebunden. Und an kaum einen anderen so sehr wie an Caesar. Er schmiedete sich also im gallischen Krieg eine Armee, auf die er sich verlassen konnte, auch wenn es gegen den Senat ging. Er sammelte unermeßliche Reichtümer, der Ruhm seiner Eroberungen durchdrang weite Teile der römischen Gesellschaft. Trotzdem konnte er in den maßgebenden Kreisen Roms nicht von sich überzeugen. Er hat es zwar durch Meisterwerke der Diplomatie und Planung sowie teilweise durch hervorragende Helfer vermocht, sich den Rücken freizuhalten; einmal wurde auch sein Kommando verlängert. Aber den Haß der Gegner hat er nicht besänftigen können, und auch der »guten Gesellschaft« war er eher unheimlich. Sie hielt mehr zum Senat. Lediglich die niedere plebs war Caesar wirklich gewogen. Er hat sie auch reichlich beschenkt. Außerdem versuchte er, durch glanzvolle Bauten seinen Namen beliebter zu machen. Von besonderem Interesse ist dabei die Errichtung der saepta Julia, eines großen marmornen Abstimmungsgebäudes auf dem Marsfeld (wo man bis dahin mit Holzgerüsten auf freiem Feld ausgekommen war). Nach dem Bürgerkrieg gewann dieser Bau eine hintergründige 58

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Bedeutung: In ihm schien Freiheit mit Marmor aufgewogen worden zu sein. Was sollte werden, wenn Caesar zurückkam? Er legte größten Wert darauf, gleich wieder das Consulat zu bekleiden. Seine Gegner im führenden Senatskreis wollten ihm den Prozeß machen, um ihn endlich zu Fall zu bringen. Kein Gedanke daran, daß sie die Forderungen, die sich aus seiner Kriegführung in Gallien ergaben, erfüllen oder nur passieren lassen würden. Folglich wirkten sie darauf hin, daß Caesar sein Kommando niederlegen und als Privatmann nach Rom zurückkehren sollte (damit sie ihn für seine Verfassungsbrüche vor Gericht ziehen und – unter militärischer Deckung – verurteilen lassen könnten). Andernfalls wollten sie ihn zum Feind des Gemeinwesens (hostis) erklären lassen und den Bürgerkrieg gegen ihn eröffnen. Die dahinterstehende Erwartung war kühn: Der kraftvolle, stolze Proconsul, Eroberer ganz Galliens, Herr über 11 Legionen und 22 zusätzlich ausgehobene Cohorten sollte sich ihnen ausliefern! Aber sie rechneten offenbar darauf, stärker zu sein. Jedenfalls war das gegenseitige Mißtrauen, die Feindschaft so groß, daß andernfalls in der Tat Schlimmes für den Senat und die bestehende Ordnung zu befürchten war. Sollten sich die Vorgänge des Jahres 59 wiederholen? Besser, man stürzte ihn vorher. Caesar dagegen wollte sich in absentia (also ohne sein Kommando schon niedergelegt zu haben) um das Consulat von 49 bewerben; das Recht dazu hatte er sich vorher schon bestätigen lassen. Der Erfolg war so gut wie sicher. Dann konnte er zum Jahresende nach Rom zurückkehren, ohne belangt werden zu können – bis er im Triumph, unter Vorführung einer Unzahl von Gefangenen, Beute und Darstellungen der großen Schlachten in Rom eingezogen wäre, um gleich darauf sein Consulat anzutreten. Er mag auch gehofft haben, Pompeius für ein neues Bündnis zu gewinnen. Die Entschiedenen unter den Senatshäuptern aber waren damals gerade dabei, Pompeius auf ihre Seite zu ziehen. Der hatte seit 55 ein großes Kommando in Spanien. Er hatte es bekommen als Kompensation für die Verlängerung von Caesars 59

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Statthalterschaft. Dort konnte er eine eigene große Armee unterhalten, um in diesem Punkt nicht hinter Caesar zurückstehen zu müssen; übrigens ohne sich selbst dorthin zu begeben. Die Begründung neuer großer Kommanden war an sich dazu da gewesen, die beiden Herren (und Crassus als Dritten im Bunde) weit aus den übrigen Senatoren herauszuheben. Jetzt sollten Pompeius’ Legionen den Verfechtern einer entschiedenen Senatspolitik dienen. Pompeius hatte neun Legionen in Spanien, zwei in Italien; weitere sollten – wenn Caesar nicht klein beigab – in Italien und im römischen Herrschaftsbereich (in dem Pompeius über große Anhängerschaften verfügte) ausgehoben werden. Pompeius erklärte, er brauche nur mit dem Fuß aufzustampfen, dann würden Truppen aus dem Boden wachsen. Er versicherte, Caesar werde es nicht wagen, Krieg zu beginnen. Vermutlich wollte er sich nicht eingestehen, daß der einstige Helfer inzwischen – und ja nicht ohne sein Zutun – zu einer Macht sui generis geworden war. Wozu soll man die eigenen Vorstellungen von der Realität stets neu überprüfen? Und Pompeius’ Meinung beruhigte auch die andern. Übrigens war die Lage militärisch gesehen gar nicht so ungünstig für ihn, Legionen gegen Legionen gemessen. Aber was Caesar ins Feld stellen konnte, war nicht nur nach diesem Maß zu messen. Andererseits liefen in Rom Gerüchte um, nach denen Caesar sich auf seine Soldaten nicht verlassen könne, und viele Senatoren konnten sich das gut (und vor allem gern) vorstellen. So entsprach es ihren Wünschen. So schien die Rechnung auch militärisch aufzugehen. Um so mehr, je weniger die führenden Senatoren damals von dieser Seite der Lage verstanden. Die Senatsmehrheit allerdings ließ sich lange Zeit nicht bewegen, den Beschluß über die Beendigung des caesarischen Kommandos zu fassen. Auch Pompeius war nicht gerade eifrig bei der Sache. Wohl dachte auch er mit gemischten Gefühlen an Caesars Rückkehr in die Innenpolitik. Aber er wollte sich alle Türen offenhalten. Er brauchte Caesar, damit die Senatoren ihn brauchten. Die Situation war ihm ausgesprochen günstig: 60

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sowohl der Senat wie Caesar mußten sich um ihn bemühen. Dadurch glaubte er, alles in der Hand zu haben. Bei ihm lag die Entscheidung, das fand er gut, also meinte er sie einstweilen nicht treffen zu müssen. Was er sich dabei dachte, ob er wirklich glaubte, die Situation bleibe so günstig oder werde sich von selbst in seinem Sinne verwandeln, wissen wir nicht. Er sah sich jedenfalls über den Parteien stehen – und wäre zwischen die Stühle geraten, wenn die Senatshäupter ihn nicht gebraucht und zuletzt mit Kunst und Nachdruck auf ihre Seite genötigt hätten. Ende des Jahres 50 spitzte sich die Situation zu. Caesar hatte zunächst durch ihm ergebene Volkstribunen verhindern lassen, daß der Senat ihm einen Nachfolger sandte. Denn er wollte ja unmittelbar vom Kommando in das Consulat überwechseln. Im Jahre 50 hatte er dann die Taktik geändert: Sein Freund Curio schlug vor, Pompeius und Caesar sollten gleichzeitig ihre Kommanden niederlegen. Das war ein geschickter Schachzug. Damit schien aller militärische Druck auf die Innenpolitik beseitigt, die res publica wieder frei zu werden. Wenn sie das aber war, hatte Caesar dank seiner taktischen Überlegenheit, seiner Skrupellosigkeit und dank der großen Anhängerschaft seiner Veteranen die beste Aussicht, sich in Rom gegen alle Angriffe zu behaupten und Consul zu werden, um dann weiterzusehen. Am 1. Dezember 50 gelang es Curio, im Senat eine überwältigende Mehrheit für seinen Vorschlag zu gewinnen. Doch waren die Gegner nicht bereit, das hinzunehmen, sondern der Consul Gaius Marcellus ging zusammen mit den designierten Consuln von 49 zu Pompeius und forderte ihn, indem er ihm ein Schwert übergab, auf, den Schutz des Gemeinwesens zu übernehmen. Er fand, wo der Senat sich seiner Pflicht versage, müsse der Consul an seiner Statt handeln. Auch jetzt war Pompeius nicht gleich entschlossen. Aber er lehnte auch nicht ab. So entstand der Eindruck, er habe den Auftrag angenommen. Darüber hat sich dann Caesars Abgesandter, der mit ihm nochmals alle Streitpunkte erörtern sollte, so erregt, daß er postwendend zurückfuhr. Und dies hinwiederum brachte Pompeius endlich dazu, die Rüstungen gegen Caesar aufzunehmen. 61

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Anfang Januar 49 setzte er mit seinen Verbündeten den Senat unter Druck, um schließlich zu erreichen, daß dieser das senatus consultum ultimum beschloß und Pompeius und die Magistrate mit unbeschränkten Vollmachten ausstattete. Caesar sei als Feind des Gemeinwesens anzusehen, wenn er nicht bis zu einem bestimmten Termin sein Kommando niederlege und nach Rom komme. Dagegen konnten Caesars Anhänger unter den Volkstribunen nicht interzedieren. Unter Klagen flüchteten sie sich zu ihrem Auftraggeber. Was immer in diesen ersten Januartagen von Pompeius und einem kleinen Kreis von Senatshäuptern an Druck und taktischer Finesse aufgewandt worden ist, am Ende war es eben doch der Senat, seine Autorität, seine in der Allgemeinheit unstrittige Verantwortung für die Republik, die gegen den römischen Statthalter in Gallien aufgeboten wurde. Auch wenn das Ganze einem Kraftakt zu verdanken war. Auch wenn die Senatsmehrheit wieder zu bröckeln begann, sobald es ernst wurde. Caesar, der sich damals an der Grenze seiner Provinz zwischen Ravenna und Rimini aufhielt, hatte vieles versucht, um zu verhindern, daß Beschlüsse gegen ihn gefaßt würden. Die Verhandlungen waren schwierig. Manche der Gegner verweigerten den Kontakt. Die Verlesung eines seiner Briefe im Senat wurde verhindert. An Pompeius kam er nicht heran. Vereinzelt wagten sich Vermittler hervor, als Caesar bereits aus seiner Provinz in das Bürgergebiet Italien eingefallen war. Am Ende ist alles gescheitert. So hat er, wohl am 10. Januar 49 (nach dem von ihm bald darauf neu geordneten Kalender war es Ende November 50), als ihn die Nachricht vom senatus consultum ultimum erreichte, unverzüglich einige Cohorten ins Bürgergebiet Italien einrükken und in Ariminum (heute Rimini) Posten fassen lassen. Er selbst folgte ihnen am späten Abend. Am Ufer des Rubicon, des Grenzflusses, der seine Provinz vom italischen Bürgergebiet trennte, soll er eine Weile schweigend innegehalten haben, bevor er mit den Worten: »Hoch fliege der Würfel« auf die andere Seite hinüberwechselte. Es war ein Zitat aus Menander, das er 62

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gebrauchte. Die bekannte Version iacta alea est (der Würfel ist gefallen) beruht auf einem Mißverständnis. Caesar hatte nicht gewürfelt, sondern das Würfeln sollte jetzt beginnen; der Feldzug, in dem so viel auf das Glück ankam. Gaius Asinius Pollio, welcher später die Geschichte seit 60 v. Chr. schreiben sollte, befand sich damals in Caesars Gefolge. Ihm verdanken wir diese Nachricht. Er berichtete ferner, Caesar habe als Quintessenz seiner Überlegungen am Rubicon bemerkt: »Der Verzicht auf diesen Übergang wird mir, der Übergang allen Menschen Unheil bringen«. Das klingt ungeheuerlich. Gerade so ungeheuerlich, wie es dann kommen sollte. Denn der damals eröffnete Bürgerkrieg zog ja die ganze römische Welt rings ums Mittelmeer in Mitleidenschaft. Doch ist es sehr fraglich, ob Caesar das im Januar 49 so vorausgesehen hat. Zumindest spricht alles dafür, daß er hoffte, wenn nicht die Aussöhnung mit Pompeius, so doch eine rasche Entscheidung innerhalb Italiens herbeizuführen. In aller Eile nämlich setzte er seine zunächst geringe Streitmacht in Marsch, eine einzige Legion. Er ließ sie schnell entlang der Adriaküste nach Süden vordringen; weitere Truppen – einige hatten südlich der Alpen ihr Winterlager bezogen – wurden eilends in Bewegung gesetzt. Caesar scheint, sei es von vornherein, sei es sehr bald, zu der Überzeugung gelangt zu sein, Pompeius wolle sich mit rasch zusammengerafften Streitkräften nach Griechenland begeben, um dort in aller Ruhe ein großes Heer zu versammeln. Er liebte es, mit überlegener Macht zu operieren. Daran wolle Caesar ihn hindern. Doch langte er zwar in Brindisi an, bevor Pompeius übersetzen konnte. Aber im Unterschied zu dem hatte er keine Flotte. Pompeius war auch nicht zu den gewünschten Verhandlungen bereit. So geschah dann, was als Risiko von vornherein einzukalkulieren gewesen wäre: Der Krieg griff auf immer weitere Teile des Imperium Romanum aus. Caesars Entschluß zum Übergang über den Rubicon mutet ungeheuerlich an. Auch wenn es kaum wahrscheinlich ist, daß er in jener Quintessenz von »allen Menschen« sprach; Asinius 63

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Pollio wird ex eventu formuliert haben; so bleibt doch bestehen, daß Caesar seinen Entschluß aus höchstpersönlichen Gründen faßte. Er selbst nennt als wichtigsten Kriegsgrund, er habe drohendes Unrecht abwehren, seine dignitas, das heißt seine Ehre, die aufgrund seiner Leistung ihm zukommende Stellung verteidigen müssen. So sollte er angesichts des leichenübersäten Schlachtfeldes von Pharsalos klagen: »Das haben sie gewollt! Nach so bedeutenden Taten wäre ich, Gaius Caesar, verurteilt worden, wenn ich nicht bei meinem Heer Schutz gesucht hätte«. Entsprechend fragt Cicero später in einer Rede, mit der er Caesars Gunst gewinnen wollte: »Was wollten deine Armeen anderes, als beleidigendes Unrecht von dir abwenden?« Wenn Caesar gelegentlich weitere Gründe vorbrachte, so drehte sich auch dabei alles um ihn selbst. Wohl beschwerte er sich, daß ein Veto der Volkstribunen nicht beachtet worden sei, aber er fügte hinzu, es sei in seiner Sache eingelegt worden. Und wenn es um Freiheit gehen sollte, war es seine Freiheit; die des römischen Volkes war nur bedroht, weil er es war. Das scheint ihm ganz natürlich gewesen zu sein. Keine Spur von Gewissensbissen läßt sich in den Quellen fassen. Wohl hatte er den Krieg nicht gewollt. Cicero hat das völlig richtig festgestellt: »Caesars Gegner haben den Krieg gewollt, Caesar dagegen nicht, er hat ihn nur nicht gefürchtet«. Ehe er aber die Entscheidung über seine politische Existenz einfach in die Hände seiner Gegner legte, wollte Caesar den Krieg eben doch. Und zwar schnell, wie einen Präventivkrieg. Und wenn er hoffen konnte, vielleicht gar ohne Kampfhandlungen zum Ziel zu kommen oder jedenfalls den Krieg in Italien zur Entscheidung zu führen, so nahm er doch das Risiko auf sich, das mit einem großen Krieg verbunden ist. Eine Vermessenheit ungeheuerlichen Ausmaßes war das.Was immer Caesar vielleicht an Unrecht drohte: Hätte er sich nicht als Einzelner, und wenn er noch so groß war, dem Senatsbeschluß fügen müssen? Man hilft sich angesichts dieser Schwierigkeit gern darüber hinweg, indem man annimmt, Caesar habe eine Mission gehabt. Die Republik war überlebt, unfähig, mit 64

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dem Weltreich, das sie besaß, fertigzuwerden und für sich selbst eine neue angemessene politische Form zu finden. Da habe Caesar einen Ausweg bahnen wollen. Aber es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, daß er dergleichen vorgehabt hätte. Zumindest, und darum geht es hier ja, hatte er dergleichen am Rubicon nicht im Sinn. Er hatte, um es zu wiederholen, ausschließlich persönliche Motive. Cicero schrieb, an allem habe seine Sache Überfluß, nur eine Sache habe sie nicht. Auf der Ebene, auf der Menschen planen und handeln und für ihr Handeln Verantwortung tragen, ist die Sache insoweit klar. Doch muß man versuchen, die Lage, aus der heraus er handelte, genauer zu analysieren. Um zu verstehen, was daran zu verstehen ist. Caesar hatte gewiß nicht unrecht, wenn er behauptete, der Senat sei von seinen Gegnern, den entschiedenen Verfechtern von Senatsregime und Republik überrumpelt. Die Senatsmehrheit war zwar nicht für Caesar; aber sobald die Frage Krieg oder Frieden lautete, war sie für den Frieden. Mit Caesar war, wie sie wußte, nicht zu spaßen. Also wollte sie ihm nachgeben. Also mußte sie von Caesars Gegnern – er nannte sie factio paucorum, also einen kleinen Klüngel, der sich mit Machenschaften durchsetzte – stark bearbeitet werden. Seine Argumentation lief darauf hinaus, daß eine Auseinandersetzung zwischen wenigen Personen ausgetragen wurde. So hat er die Dinge offenkundig gesehen. Sein Sinn für Institutionen war ohnehin nicht sehr ausgeprägt. Er sah nur, wer sich ihrer wie bediente (und wie er selbst sich ihrer bedienen konnte). Sein Blick ging eben gleichsam hindurch durch all das, was ihnen ihr eigenes Gewicht, ihr Ansehen, ihre Autorität verschaffte, all das, was ihnen allgemein zuerkannt, was insofern an ihnen wirkmächtig war und was ihr Recht ausmachte. Demgemäß sprach Caesar nicht von einem Krieg, der zu führen, sondern von civiles controversiae, bürgerlichen Streitigkeiten, die auszutragen waren. Er fand, ein guter Bürger könne nichts besseres tun, als sich da herauszuhalten. Dieser Streit ging, nach seiner Ansicht, also die Bürger gar nichts an. Wo die Entschiedenen unter den Häuptern des Senats die 65

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Republik in Gefahr sahen, wenn er ungestraft zurückkehren könnte – wofür ja nach allem, was man 59, aber doch wohl auch in den neun Jahren seitdem erlebt hatte, einiges sprach –, da sah er sich nur in eine Auseinandersetzung verwickelt. Wo sie in ihm einen Feind (hostis) der Republik bekämpften (und ihn haßten), nannte er sie seine Gegner (inimici) und wird sie eher verachtet haben. Während sie fanden, alle Bürger hätten sich gegen Caesar zu wehren, betrachtete er alle als seine Freunde, die nicht gegen ihn seien. Das war nicht ganz richtig. Denn die breitere Oberschicht der sogenannten Guten (boni) stand – nicht anders als die Senatsmehrheit – eher auf Seiten des Pompeius und der Senatshäupter, das heißt der Republik. Sie fanden zum Beispiel auch, ein prominenter Senator wie Cicero sei verpflichtet, sich in Pompeius’ Lager zu begeben. Aber wie die Senatsmehrheit im Zweifel lieber für den Frieden als für den Krieg gewesen war, waren sie es ebenfalls. Und sie hatten, zumindest in aller Regel, keine Bedenken, die Tore ihrer Städte für Caesars Soldaten zu öffnen. Sie tendierten offensichtlich dazu, sich mit dem Feldherrn zu arrangieren. De facto also lief ihr Verhalten auf die Rolle hinaus, die Caesar ihnen zudachte. Wobei man nicht übersehen sollte, daß die in Rom verbliebenen Teile des Senats immerhin zunächst nicht bereit waren, Caesars Sache zu legitimieren. In gewissem Sinne setzte sich darin etwas fort, was Cicero schon im Jahre 56 beobachtet hatte. Er konzipierte damals die Formel otium cum dignitate als das Ziel vernünftiger verantwortungsvoller Politik. Zwei Ansprüchen mußte sie gerecht werden: Dem der Senatoren auf dignitas, die Ehre, die ihnen gebührte, die überlegene Macht und Autorität, die daraus resultierte, sowie dem der breiten Bürgerschaft auf Sicherung der öffentlichen Ruhe und Ordnung. Beides sollte sich vereinen. Indem die einen für das otium sorgten, sollten die anderen die dignitas teils stützen, teils verteidigen. So sollte das, was man modernisierend die Verfassung der Republik nennen könnte, bewahrt werden. Die Kräfte, die sie trugen, sollten sich vereinen. Nur fand Cicero, im Jahre 56 seien die einen dabei, ihre dignitas auch unter 66

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Preisgabe des Anspruchs auf otium zu verfechten, während die anderen nurmehr auf die Wahrung des otium versessen seien, um wenigstens das genießen zu können. Die Koalition derer, die die Republik trugen, war demnach dabei zu zerspringen. Gleichgültig, was Cicero damals aus der Situation heraus (und aus recht persönlichen Gründen) im Sinne hatte – die Diagnose war gut. Und sie läßt sich besser noch auf die Lage im Jahre 49 beziehen: wie der Senat zur Partei wurde, die Republik, für die er kämpfte, vom Ganzen zum Teil, so mußte sich das Gros der Bürgerschaft in die Neutralität zurückziehen. Sie konnten nichts anderes mehr tun. Dabei spielte noch etwas anderes mit. Das ungewöhnlich stabile, kräftige, über Jahrhunderte durchhaltende römische Senatsregime hatte nicht zuletzt darauf beruht, daß zumal die führenden Senatoren es vermochten, die Sache des gesamten Senats gegen alle möglichen partikularen Interessen einzelner Adliger oder von Teilen des Volkes zu wahren. Das war eine Herkulesaufgabe, aber sie wurde gelöst.Voraussetzung war, daß der Senat sich aus vielerlei Streitigkeiten heraushielt, gelegentlich auch Niederlagen hinnahm, wenn nur seine Geschlossenheit, das heißt seine Überlegenheit im ganzen, im wesentlichen gewahrt blieb. Um es etwas formelhaft zu sagen: Das Senatsregime setzte die Überparteilichkeit des Hauses überall dort, wo es darauf ankam, voraus. Seit dem Kampf gegen Tiberius Gracchus war damit gelegentlich schon gebrochen worden. Aber die Einsicht, wie wichtig es war, daß der Senat nicht zu sehr in intensive Streitigkeiten hineingezogen wurde oder gar zur Partei degenerierte, daß man oft besser daran tat, unbequeme Entscheidungen etwa der Volksversammlung hinzunehmen, als einen Kampf zu wagen, scheint unter den Führenden nicht ganz verloren gegangen zu sein (wenn es ihnen auch manchmal schwerfiel, sich durchzusetzen). Als der Consul Sulla 88 auf Rom marschierte, unter anderm um auf diese Weise bestimmte Ziele der Senatsmehrheit durchzusetzen, traten ihm viele Senatoren entgegen. Und man lernte im Bürgerkrieg bald (sofern man es noch nicht gewußt hatte), 67

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daß der Senat dabei nicht gewinnen konnte. So war es nicht nur Feigheit oder Ruhebedürfnis, wenn im Jahre 49 entsprechende Gedanken die Runde machten. Indem man die Republik und damit das Senatsregime mit Waffengewalt verteidigen und sichern wollte, gefährdete man sie. Man tat es, weil Caesar sie, wenn er in Rom ein zweites Consulat antreten konnte, noch mehr bedroht hätte. Wie man ihn 59 erlebt hatte, als er, noch dazu als Consul, die wesentlichen Elemente der römischen Ordnung nicht nur notgedrungen (um Pompeius’ Forderungen durchzusetzen) verletzte, sondern seinen Spott und Hohn mutwillig noch obendrein gab, zuletzt das Kompromißangebot, das ihm die Rückkehr in die Legalität ermöglichen sollte, stolz zurückwies und wie man ihn dann als Statthalter ganz nach eigenem Willen operieren sah – dergleichen durfte nicht wieder passieren. Er hatte sich aus der römischen Senatsgesellschaft ausgeklinkt. Die Frage ist, wie weit er das wußte.Wie weit also etwa seine apologetischen Behauptungen und Vorwürfe bewußt scheinheilig waren? Oder – um die andere Möglichkeit dagegen zu stellen – ob er wirklich in einiger Naivität sich beleidigt fühlte. Er beschwerte sich etwa, ihm allein habe man das nicht vergönnt, was man allen Feldherrn immer gewährt hatte, daß sie nämlich nach glückhaften Taten entweder mit gewissen Ehren oder doch wenigstens ohne Schmach nach Rom zurückkehren und ihre Armee entlassen konnten. Wohl hatte in Rom kaum einer Caesars Krieg gewollt. Daß er ihn eröffnete und immer weiter ausdehnte, bis er die Grenzen der Republik an Rhein und Nordsee sowie an den Atlantik verlegt hatte, war eine Eigenmächtigkeit sondergleichen – weit über das Ausmaß dessen hinaus, das römischen Kommandeuren zugebilligt werden konnte. Einmal wurde sogar im Senat der Antrag gestellt, ihn den Germanen auszuliefern, weil er einen Waffenstillstand mit denen schnöde gebrochen und also göttliche Strafe auf Rom herabbeschworen hatte. Aber hatte er nicht ganz Gallien für Rom erobert, hatte ungeheure militärische Leistungen vollbracht, war vom Senat dafür mehrmals mit großen Dankfesten 68

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geehrt worden? Der Senat hatte die Besoldung von Legionen, die Caesar eigenmächtig ausgehoben hatte, übernommen. Sein Kommando war verlängert worden, und jetzt sollte das alles nichts sein? Und weiter: Hatte man das Recht diesen Mann wegen nahezu zehn Jahre zuvor begangener Verfassungsbrüche vor Gericht zu stellen? Ihn in seiner Existenz zu bedrohen? Hatte speziell Pompeius dieses Recht, in dessen Sinn Caesar sich damals so rücksichtslos durchgesetzt hatte? Und hatte der Senat es, der gerade einige Wochen zuvor beschlossen hatte, Caesar und Pompeius, beide, sollten ihre Heere entlassen, und der nun, so mußte es doch scheinen (vermutlich auch sein), offensichtlich recht unsanft dazu gedrängt worden war, den Äußersten Senatsbeschluß zu fassen? Aber je mehr man sich in die Konsequenzen dessen vertieft, was sich teils aus Caesars Äußerungen ergibt, teils aus seiner Lage erschließen läßt, um so deutlicher wird, wie meilenweit er sich vom Senat und vom Gros zumindest der Oberschichten der römischen Bürgerschaft entfernt hatte. Aus der teils frech, teils überlegen gespielten Rolle eines gewissen Außenseiters war er als Consul nicht nur in einen Konflikt mit dem Senat geraten, sondern er hatte diesen Konflikt noch vertieft und sich anschließend weit über seine Statthalterpflichten hinaus so etwas wie ein eigenes Reich geschaffen. Höchst selbstherrlich. Wo die großen Kommanden, die Pompeius sich verschaffen ließ, einer Notwendigkeit – wie dem Kampf gegen die Seeräuberplage – entsprochen hatten, hatte Caesar das Seine dazu gedacht, große Eroberungen zu ermöglichen, welche für Rom absolut entbehrlich, ja kaum erwünscht waren, dafür seinen engen ganz persönlichen Interessen dienten. Man wird vermuten können, daß er sich dadurch in all seiner Kraft und Dynamik auslebte. Operibus anteire, durch Taten vorangehen, das hohe Leistungsideal, das er sich gesetzt hatte, ließ sich erfüllen, immer glänzender konnte er sich von der Senatsgesellschaft absetzen. Wo in Rom alles sich gegenseitig lähmte, 69

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sich blockierte, wo dort Mißstände grassierten, ohne daß man sie hätte beheben können, wurde hier gehandelt, kommandiert, gesiegt, erobert – ohne viel Rücksicht auf die Besiegten. Es spricht vieles dafür, daß Caesar sich in den neun Jahren seiner gallischen Statthalterschaft eine eigene Wirklichkeit geschaffen hat, mit seinen Soldaten, mit dienstbaren Geistern; mit eigenen Maßstäben, eigenen Regeln, eigenen Erwartungen, ganz wie es ihm gefiel. Mit einer Verfügungsgewalt großen Ausmaßes. Auch mit eigener Ungeduld, gleichsam mit eigenem Atem. Er hatte insofern nicht bloß Feldzüge geführt und die eroberten Gebiete irgendwie in Besitz genommen. Vielleicht konnte er sich wirklich nicht mehr vorstellen, daß er sich in das vorgegebene Ganze der Republik einzufügen hatte. Auf der andern Seite hatten sich die Häupter des Senats in der Wirklichkeit der alten Republik gleichsam verbarikadiert. So sehr sie in deren Rahmen im Recht waren, so sehr hatten sich die Machtverhältnisse darin verschoben, daß das Ganze dieser Republik zum Teil geworden war. Hätten sich in Rom auch nur Ansätze einer Alternative zum Bestehenden abgezeichnet, hätten sich neue Ansprüche geregt, was doch wohl notwendig mit Rechtfertigungserwartungen verknüpft gewesen wäre, so hätten Männer wie Pompeius und Caesar eine Sache entwickeln können, für die sie sich hätten einsetzen, in deren Dienst sie sich hätten stellen können. Das Eigentümliche der Situation resultierte daraus, daß soviel Macht gegen die Verantwortlichen formiert werden konnte – ohne daß gleichzeitig damit ein entsprechend kräftiger Zweifel an deren Regime hätte aufkommen können. Da das nicht möglich war, hatten Pompeius und Caesar gleichsam nur sich selber und ihre eigenen Leistungen vorzuweisen. Pompeius in nicht abzulegender innerer Abhängigkeit vom Urteil der guten Gesellschaft und des Senats, Caesar dagegen, indem er sich, um es zu wiederholen, in einer eigenen Welt immer weiter auslebte, in Distanz, ja Gegensatz zum Senat und der von ihm bestimmten Republik. Seine Außenseiterstellung war eine Bedingung dafür, daß 70

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er seine große Begabung relativ frei und auf sich selbst gestellt faszinierend entfalten konnte. Jacob Burckhardt nannte ihn gar »in Betreff der Begabung vielleicht den größten der Sterblichen«. Aber er sah in ihm auch ein »Symptom der Krankheit«. Das brachte ihn schließlich dazu, seine Ansprüche zu verabsolutieren – wie umgekehrt die führenden Senatoren ihn aus der Republik ausschließen wollten. Der unüberbrückbare Gegensatz, der 59 entstanden war und 49 sich so sehr vertiefte, war wohl wirklich nur durch einen Bürgerkrieg aufzulösen. Womit über die Verantwortung dafür und über dessen Ausgang nichts gesagt ist.

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5. VOM SIEG IM BÜRGERKRIEG BIS ZUR ERMORDUNG Das Problem der Neuordnung

de r bü rge r k r i eg hat mehr als vier Jahre gedauert. Nachdem er die Abreise des Pompeius in den Osten nicht hatte verhindern können, zog Caesar nach Spanien gegen dessen dortige Legionen, setzte darauf nach Griechenland über, wo er Pompeius selbst bei Pharsalus besiegte, folgte ihm nach Ägypten und hatte anschließend die Reste der Gegenpartei in Afrika und noch einmal in Spanien zu bekämpfen. Er hat immer wieder Friedensverhandlungen anzubahnen versucht; nie ist es gelungen, teils weil die Gegner sich überlegen fühlten, teils weil sie sich mißtrauten, im wesentlichen doch wohl, weil sie sich Caesar nicht unterwerfen wollten. Sie fürchteten mit gutem Grund, daß es darauf hinausliefe. Der Kampf war sehr hart. Die Gegner waren mächtig, zeitweise überlegen; beherrschten zunächst die See. Zuweilen stand Caesars Geschick auf Messers Schneide. Er hätte durchaus auch unterliegen können. Aber schließlich behielt er doch die Oberhand, durch militärisches Geschick, Schnelligkeit, Kühnheit, die mitreißende Kraft seines Führertums; durch die Tapferkeit, Disziplin und Treue seiner Soldaten; durch seine Aus-

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vom s i e g i m b ürg e r k ri eg b i s z ur e rmordung

strahlungskraft, durch die Uneinigkeit seiner Gegner und vieles andere; nicht zuletzt durch sein Glück. So gewann er die Herrschaft über das ganze römische Imperium. Zu rühmen ist seine Milde, die clementia Caesaris: Er hat fast alle seine Gegner, wenn sie in seine Hand fielen, begnadigt, einige mehrfach, kaum einen hingerichtet, wenige verbannt. Er war in der Tat ein großmütiger Gegner. Das ist sicher, und es mag ihm oft nicht leichtgefallen sein. Hinzuzufügen ist aber, daß er damit eine Folgerung aus seiner Sache zog. Wer nur für sich selber, um Unrecht von sich abzuwenden, Krieg führt, kann dafür schlecht morden. Er war ja kein Desperado, kein Verbrecher. Bei allem Mutwillen, der gelegentlich mit ihm durchging, bei aller Subjektivität, allem Eingesponnensein in seine Wirklichkeit, in die Konsequenzen, die er daraus zog, in Konzessionen, zu denen er genötigt war: Man wird ihm kaum einige Gewissenhaftigkeit absprechen können, innerhalb seines Handlungsrahmens, nachdem er einmal den Rubicon überschritten hatte. In der Konsequenz der Begnadigung äußerte sich eine andere Seite derselben »Größe«, die im Kriegsentschluß aus höchstpersönlichem Anlaß zutage getreten war. Damit war dann aber zugleich ein Weiteres gegeben: die clementia resultierte aus gewaltigem Überlegenheitsbewußtsein, und er scheint das kaum versteckt zu haben. »Wie er in Taten voranzugehen bestrebt war, so wollte er auch in Gerechtigkeit und Billigkeit obsiegen«, hat er nach eigenem Zeugnis vor dem Senat erklärt. Cicero rühmte ihn später, er habe noch seinen Sieg besiegt. Als die ersten Begnadigten wieder ins feindliche Lager zurückgingen, schrieb Caesar, dadurch lasse er sich nicht irremachen: »Denn nichts ist mir lieber, als daß ich mir und jene sich gleichbleiben.« Wollte er sie gar nicht gewinnen? Oder war er nur maßlos enttäuscht, daß er sie nicht mit einem Schlag auf seine Seite ziehen konnte? Jedenfalls wollte er sie nicht nur an Großmut übertreffen, sondern auch durch Großmut überwinden. Das nannte er die »neue Art zu siegen«, und zwar im gleichen Atemzug, in dem er davon sprach, er wolle Pompeius versöhnen. »Versuchen wir auf diese Weise, wenn wir können, alle für uns einzunehmen und den Sieg 73

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dauerhaft zu machen.« Die Versöhnung und sein Sieg, die Milde und sein Triumph sollten offenbar eines sein. In dieser clementia kündigte sich, ob bewußt oder unbewußt, ein monarchischer Zug an. Jedenfalls unterschied sich Caesar klar von dem archaisch-aristokratischen Anspruch Sullas (mit dem er sonst so viel gemein hatte). Der soll noch in seiner Grabinschrift erklärt haben, es habe ihn weder einer seiner Freunde im Gutes- noch einer seiner Feinde im Bösestun übertroffen. Mindestens davon sollte sich die »neue Art zu siegen« absetzen. Welcher Anspruch in der clementia steckte, kommt nicht zuletzt in dem Ärger zum Ausdruck, mit dem Caesar auf den Freitod seines Feindes Cato reagiert haben soll: »Ich neide dir diesen Tod. Denn du hast mir deine Rettung geneidet.« Viele alte Gegner haben das genau empfunden. Sie waren verletzt. So gern die meisten von Caesars Milde Gebrauch machten, so wenig waren sie durch sie schon versöhnt. Cato meinte, es sei rechtswidrig, die zu begnadigen, über die zu herrschen Caesar nicht zukomme. Allein, was sollte er machen? Die Herrscherrechte, die er ausübte, resultierten aus seinem Sieg. Kriegseröffnung und Sieg waren das eigentlich Schlimme; die clementia konnte nur deren Konsequenzen mildern. Die eigentliche Versöhnung aber konnte, wenn überhaupt, so nur mit der Zeit, durch die weitere Politik, das weitere Verhalten angebahnt werden. Und der andauernde, erbitterte Widerstand gegen Caesar hat sie nicht erleichtert. Am Ende stand – nach dem zweiten Feldzug in Spanien – der Triumph, den Caesar auch über römische Bürger feierte. Bei den vorangegangenen Feldzügen, für die er sich zuvor Triumphe hatte verleihen lassen, hatte er immerhin noch vorgeben können, Nichtrömer besiegt zu haben. Hier aber waren es allein römische Soldaten, die auf diese Weise nachträglich zu Feinden gestempelt wurden. Das widersprach seinen Auffassungen, wonach er gar keinen Bürgerkrieg führte. Es mußte böses Blut machen. Ein Volkstribun unterließ es denn auch, sich zu Ehren des vorbeifahrenden Triumphators von seiner Bank zu erheben, worauf Caesar ihm entgegenschleuderte: »Fordere doch die Re74

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publik von mir zurück!« Tagelang soll der Ärger darüber in ihm gegoren haben. Warum hat er diesen Triumph feiern wollen? War es, weil ihn der wiederaufflammende Widerstand zu schierer Verzweiflung trieb? Oder weil er das neu aufgestellte Heer seiner Gegner nun als ein Feindesheer ansah? Er mag gefunden haben, wo seine Herrschaft inzwischen evident (und in vielen Ehrungen manifest) geworden war, stellte sich, wer sich ihm widersetzte, gegen Rom. Vielleicht auch hat er eine Konzession an die Soldaten gemacht, denen nach ungeheuren Anstrengungen und Verlusten kaum plausibel gemacht werden konnte, daß die Feinde eigentlich nur Gegner waren, die man möglichst zu schonen hatte. Dann wäre hier eine der vielen Handlungen gewesen, die, wie Cicero beklagt, der Sieg in einem Bürgerkrieg dem Sieger auch gegen dessen Willen aufzwingt. Mit den Siegen stellte sich sodann die vielfältige Problematik der Neuordnung des nun in seine Hände gefallenen Gemeinwesens. Der Krieg hatte wesentliche Lebensbedingungen zerstört oder erschüttert. Die alte Führungsschicht war ihm weitgehend zum Opfer gefallen. Die Arbeit der politischen Institutionen war tief beeinträchtigt. Eine Menge von wirtschaftlichen Schwierigkeiten hatte sich aufgetan. Nicht zuletzt war im Herrschaftsbereich vieles durcheinandergeraten. Vielfach herrschte Willkür. Cicero hielt dem Dictator damals vor, die Rechtsprechung sei wieder in Gang zu setzen, Treu und Glaube wieder zu beleben, die Ausschweifungen in Schranken zu weisen, Nachwuchs müsse hervorgebracht werden, alles, was auseinandergeflossen sei, müsse durch strenge Gesetze wieder zusammengebunden werden. Von den Verlusten, den Plünderungen respektive der Ausbeutung der Zivilbevölkerung gar nicht zu reden. Es ergaben sich aus dem Sieg aber auch eine ganze Reihe weiterer Probleme: Welche Stellung sollte der Sieger künftig im Gemeinwesen einnehmen? Welche Rechte forderten seine Anhänger, seine Soldaten; wie konnte er sie zufriedenstellen? Wie konnte er sich mit den Gegnern arrangieren? Schließlich mußte sich Caesar vermutlich auch vor der Frage finden, wie er die diversen Mißstände, die schon länger 75

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eingerastet waren – soweit er sie erkannte –, innerhalb einer neuen Ordnung abstellen, verhüten oder vermindern könnte. Die Problematik umfaßte alle Teile der römischen Bürgerschaft wie des Herrschaftsbereichs; Hoch wie Niedrig, Reich wie Arm, Militär wie Zivil, Bürger wie die Untertanen in den Provinzen. Zwischen Recht und Praxis, Notwendigkeiten und Möglichkeiten, den diversen Erwartungen und Forderungen klaffte eine weite Diskrepanz. Es kam zu verschiedenen Konflikten.Vor allem aber wußten die Menschen nicht mehr, woran sie waren. Zu viel war ungewiß, zuviel war möglich. Im Grunde war alles in der Schwebe. Das Zentrum der Problematik lag im Politischen. Wie sollte künftig regiert werden? Wie sollte die Willensbildung und der politische Ausgleich zwischen den Beteiligten stattfinden? Sollten die alten Institutionen, vielleicht modifiziert, wieder ihre Funktionen ausüben? Oder sollte eine Monarchie an die Stelle der republikanischen Ordnung treten? Und wenn, wie sollte sie aufgebaut sein, welche Rolle sollte der Adel, der Senat in ihr spielen? An der Lösung der politischen Probleme hing alles andere. Denn hier standen der Frieden und die Stabilität des Gemeinwesens auf dem Spiel. Mißlang die politische Konsolidierung, so drohten neue schwere Konflikte, und alles, was sonst vielleicht geschafft und wiederhergestellt worden war, mußte von neuem bedroht sein. Alle Leistungen waren also prekär, so lange die politische Stabilität nicht erreicht war. Zuständig für alle Probleme der Neuordnung war Caesar. Er war der Sieger, er hatte sich von Senat und Volk umfangreiche Vollmachten verleihen lassen, zumal die Dictatur, letztere möglicherweise sogar mit dem Auftrag zur Wiederherstellung des Gemeinwesens. Jedenfalls war ohne seinen Willen nichts ins Werk zu setzen. Alles wartete also darauf, was er täte. Dabei ist aber nun zu bedenken, daß ich hier die Fragen von heute aus formuliert habe. Man darf jedoch die Perspektive vom grünen Tisch der Wissenschaft (oder des vom neuzeitlichen Staat infizierten Denkens) nicht mit derjenigen Caesars und seiner Zeitgenossen verwechseln. Es ist durchaus offen, in welcher 76

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Form sich die Fragen der Neuordnung damals stellten. Zwar drängten sich viele Schwierigkeiten, Ansprüche und Erwartungen einfach auf. Man war sich gewiß auch darüber im klaren, daß es galt, aus einem Syndrom von Problemen einen Ausweg zu finden. In welchem Sinne auch immer: das constituere rem publicam, um den lateinischen terminus technicus zu gebrauchen, stand jedenfalls auf der Tagesordnung. Bevor Caesar das letzte Mal aus dem Krieg nach Rom zurückkehrte, hatte er auch ausdrücklich erklärt, er wolle »ohne die Dinge eingerichtet« zu haben, die Stadt nicht wieder verlassen. Allein, ob und wie weit irgend jemand grundsätzlich die Frage gestellt hat, in welchen Formen man künftig leben und die Probleme Roms bewältigen könnte – ob etwa besser in einer Monarchie oder in einer Republik –, ist unklar. Es wird nicht einmal deutlich, wie weit damals zusammenhängende Konzeptionen einer künftigen Organisation des Gemeinwesens entworfen, erwogen oder angestrebt werden konnten – und wie weit sie ausführbar waren. Der Rahmen des institutionellen Denkens war vermutlich eng gezogen. Vergleicht man die weitestgehenden Reformen der späten Republik, diejenigen des Gaius Gracchus und die Sullas, so fällt vor allem auf, wie stark damals alles Denken an die Gegebenheiten der Republik gebunden, wie eng der Rahmen gezogen war, innerhalb dessen nur etwas verändert werden konnte. Sollte er sich in der Zwischenzeit nennenswert erweitert haben? Konnte man absehen von Senat und Magistraten, dem mit allen Vorstellungen von Rom aufs engste verknüpften Senatsadel und den ganz selbstverständlichen Ansprüchen, gleichsam den Freiheiten seiner Mitglieder? Den Rechten der Volksversammlung? Wie weit ließen sich überhaupt neue Institutionen begründen? Hätte man etwa ein genaues System von Regeln zur Begrenzung von Senat und Magistraten an die Stelle des formal kaum begrenzten Waltens und des Sich-Ausgleichens von Aristokraten samt dem weiten Kreis ihrer Beziehungen setzen können? Oder gar eine Administration? Mußten nicht allen Ansätzen zur Reform – und das war doch wohl das wichtigste – Kräfte in der Bürgerschaft 77

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entsprechen, dank derer sie »einrasten« und wirksam werden konnten? Indes spricht nicht viel dafür, daß es solche Kräfte gab. Denn man war ja ganz im Überkommenen befangen. Schließlich ist keineswegs gesagt, daß Caesar oder irgendwer sonst wußte, was alles zu leisten und durchzustehen war, damit eine überzeugende Ordnung, in welcher Form auch immer, sich institutionalisierte. Denn es kann angesichts von Krieg, Sieg und langfristiger Problematik nicht einfach gewesen sein, die Erwartungen, den Ehrgeiz und die Zielsetzungen der damals wirkenden Mächte (Persönlichkeiten wie Gruppen) derart aufeinander einzurichten, daß unter ihnen der Rahmen einer neuen Ordnung selbstverständlich und stabil werden, das heißt ein Eigengewicht erhalten konnte. Auch wenn Caesar eine Monarchie schaffen wollte, mußten doch eigentlich Fundamente dafür auch in der Bürgerschaft gelegt werden. Vieles mußte sich doch am Ende selber tragen. Verantwortung mußte verteilt, ein ganzer Stand gewonnen (oder ein neuer begründet) werden. Das aber konnte keine Frage nur von Gesetzen und Anordnungen sein. Man darf also nicht einfach damit beginnen, die Problematik, wie sie sich uns heute darstellt – ex eventu wie von neuzeitlichen Denk-, Problemlösungs- und Selbsttäuschungsweisen her –, zu umreißen, um dann Worte und Handlungen der Zeitgenossen als Antworten darauf zu verstehen (respektive zu vermissen). Man muß sich vielmehr offen halten für die Möglichkeit, daß Caesar die zentralen politischen Probleme gar nicht gesehen, daß er im wesentlichen improvisiert hat, daß er politisch vornehmlich damit beschäftigt war, die Konsequenzen seines Sieges zu ziehen, das heißt sich und seine Anhängerschaft im Gemeinwesen zu etablieren. Vielleicht entsprang seine Monarchie gar keiner Einsicht in irgendwelche Notwendigkeiten, sondern allein der Tatsache, daß er allen anderen so weit überlegen war, daß er anders als monarchisch gar nicht regieren konnte? Vielleicht ging es ihm auch um gar nichts anderes als darum, selbst monarchisch zu regieren, zu verwalten, zu verfügen? Immerhin war die Eroberung Roms und seines Herrschaftsbereichs Nebenwirkung eines Kriegs, in den Caesar gezogen war, 78

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um drohendes »Unrecht« von sich abzuwenden. Er hatte keine Sache, wie etwa Sulla sie zuletzt gehabt hatte, der die Nobilität wieder einsetzen und das Senatsregime wieder funktionstüchtig hatte machen wollen. Mit dem Fehlen einer Alternative zum Senatsregime war es vermacht, daß es in der römischen Bürgerschaft keine Anknüpfungspunkte für die Herausbildung kräftiger neuer Forderungen und Überzeugungen in Hinsicht auf das Ganze des Gemeinwesens gab. Die bürgerschaftliche Identität und das Wissen der Römer waren auch gar nicht darauf eingerichtet, daß man auf eine umfassende Krise mit dem Entwerfen und Verfolgen ganz neuer Konzeptionen des politischen Systems hätte reagieren können. Ferner war Caesars Gefolgschaft aus Anhängern verschiedenster Provenienz zusammengewürfelt, die geeint waren nur durch den Willen, mit seiner Hilfe ihren je eigenen Interessen zu dienen. Die meisten von ihnen waren jedenfalls wesentlich auf den eigenen Vorteil fixiert, den sie obendrein nach den Idealen der überkommenen Senatsaristokratie bemaßen. Es ist also mit einer möglichst weiten Fragestellung an das Ordnungswerk Caesars heranzugehen. Caesar war weitaus die längste Zeit nach dem Überschreiten des Rubicon durch den Krieg beansprucht.Von den knapp fünfeinhalb Jahren bis zu seinem Tode war er kaum zwölf Monate in Rom. Dabei waren die Aufenthalte in den ersten Jahren erfüllt von Kriegsvorbereitung und der Erledigung allerdringendster Regierungsaufgaben. Erst nach der Rückkehr aus Afrika (Ende Juli 46) und dann wieder nach der aus Spanien (Anfang Oktober 45) hat Caesar sich zusammenhängend größeren Aufgaben im Sinne einer Neubegründung von Ordnung widmen können. Das eine Mal hatte er gut drei, das andere fünfeinhalb Monate Zeit. Während dieser Zeit – und zum Teil auch schon vorher – hat Caesar die verschiedensten Probleme mit einer Tatkraft ohnegleichen angepackt, eine fast fieberhafte Tätigkeit entfaltet und außerordentlich viel ins Werk gesetzt. So gelang ihm der schwierige Ausgleich zwischen Gläubigern und Schuldnern in den verworrenen wirtschaftlichen Verhältnissen. Ein gewisses 79

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Entgegenkommen gegen die Schuldner (und Mieter) erleichterte die Lage; aber gleichzeitig wurde deutlich, daß Caesar großen Wert darauf legte, die Sicherheit des überkommenen Zivilrechts zu bewahren, daß ihm viel am Vertrauen der wohlhabenden Schichten lag: sehr zum Ärger der vielen hochverschuldeten Herren in seiner Umgebung, von denen einige dann auch mit Unruhen und Gewalttätigkeit reagierten. Caesar verfügte ferner, daß künftig ein bestimmter Prozentsatz der Landarbeiter aus Freien – statt Sklaven – rekrutiert werden sollte. Er revidierte die Liste derer in der Stadt, die vom Gemeinwesen mit Getreide versorgt wurden, erheblich. Deren Zahl sank von 320 000 auf 150 000. 80 000 Angehörige der städtischen Plebs versorgte er in den Provinzen mit Land. Sein großangelegtes Siedlungsprogramm galt aber vor allem seinen Veteranen. Hier lag seine bedeutendste organisatorische Leistung. Die Veteranen wurden zum Teil – wie die ehemaligen Getreideempfänger – in den Provinzen angesiedelt, zumal in Spanien und in der Provence, zum Teil auch im Osten.Viele von ihnen erhielten ihr Land aber in Italien selbst. So forderten sie es, und Caesar war ihnen gegenüber nicht frei. Er mußte im Gegenteil die Treue und den Einsatz, die ihm seine Soldaten gezollt hatten, weitgehend honorieren. So konnte er sich nicht damit begnügen, die Äcker aus öffentlichem Eigentum oder eigenem Vermögen zu nehmen oder zu kaufen. Das hätte bei weitem nicht ausgereicht, sondern er mußte – sehr gegen seine Absicht – auch enteignen, um diejenigen, denen er seinen Sieg verdankte, zu befrieden und von der Straße zu bringen. So wagte er auch verschiedene notwendige Umdispositionen nicht, aus Furcht, es könne Unruhen geben. An der Ausführung seiner Siedlungspolitik hat er sich weitgehend selbst beteiligt. Mit der Versorgung in überseeischen Colonien ging eine gewisse Romanisierung einher. Ob Caesar das beabsichtigt hat, wissen wir nicht. Zumindest wußte er, daß sie seine Herrschaft sicherte: Nun verfügte er (wie vorher Pompeius) über eigene Clientelen weit über den Herrschaftsbereich hin. Ebenfalls im Sinne der Schaffung und Belohnung von Anhängerschaf80

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ten lagen umfangreiche Bürgerrechtsverleihungen, beginnend mit derjenigen des vollen Bürgerrechts an die Einwohner der Provinz Gallia Cisalpina, der Poebene also, fortfahrend mit der Verleihung des (verglichen mit dem römischen eingeschränkten, vielfach aber als dessen Vorstufe dienenden) latinischen Bürgerrechts an die sizilischen Gemeinden und schließlich mit zahlreichen Verleihungen an einzelne Städte oder Persönlichkeiten außerhalb Italiens. Auch hier könnte man eine allgemeine Konzeption hinter Caesars Anordnungen sehen: daß mindestens dort, wo man schon lange unter römischer Herrschaft lebte und sich der römischen Ordnung schon weitgehend angeglichen hatte, alle oder wenigstens (bei den latinischen Gemeinden) die Honoratiorenschicht auch vollberechtigte Mitglieder des römischen Bürgerverbands wurden. Im Effekt wurde damit für das Zusammenwachsen der Teile des Reichs Wesentliches geleistet, zugleich die herrschende Bürgerschaft verbreitert. Aber es ist eben nicht bezeugt, daß Caesar solche allgemeinen »staatsmännischen« Konzeptionen hegte. Sicher ist vielmehr nur, daß er in ganz großem Stile tat, was in Rom schon immer getan worden war und dann in der Kaiserzeit mehrfach wieder getan wurde: durch Bürgerrechtsverleihungen Anhang zu gewinnen. In Caesars Anordnungen gegenüber den Provinzialen war die gleiche Tendenz am Werk: Wer zu ihm gehalten hatte, wurde belohnt auf Kosten derer, die sich auf Pompeius’ Seite geschlagen hatten. Auch hier mag manches zugleich oder daneben geschehen sein, um die römische Herrschaft überzeugender zu machen und zu befestigen. Aber auch das entzieht sich unserer Kenntnis. Die Verwaltung der Provinzen wurde jedenfalls, sofern sie durch seine Anhänger erfolgte, nicht unbedingt rühmlich vollzogen; da waltete eher Korruption. Über diese Maßnahmen hinaus ist eine Unsumme von anderen und von Plänen bezeugt. Die Einführung des julianischen Kalenders etwa, der an die Stelle des durch häufige Schaltmonate stets neu korrigierten, inzwischen in Unordnung geratenen Mondjahres ein Sonnenjahr von 365 ¼ Tagen setzte. Straßen und Häfen sollten ausgebaut werden. Eine große Biblio81

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thek sollte die gesamte Literatur sammeln, das römische Recht sollte kodifiziert werden. Andere Vorhaben, für die mindestens Vorbereitungen wohl anliefen, galten der Austrocknung der pontinischen Sümpfe und der Durchstechung des Isthmos von Korinth.Vieles also, was bis Justinian oder Mussolini liegenblieb, wurde in Angriff genommen. Außerdem sollte auf dem Marsfeld der größte Tempel der Welt und am tarpejischen Felsen das größte Theater der Welt errichtet werden. Auch ohne daß ich diese Aufzählung fortsetzte, müßte deutlich sein, daß Caesar in den wenigen Monaten, die ihm dafür blieben, erstaunlich viel geschaffen oder beabsichtigt hat. Dabei war der Modus seiner Tätigkeit das Entwerfen und Planen, das Organisieren und Anordnen. Es ging jeweils um Dinge, über die er verfügen konnte. Bei der Ausarbeitung und Ausführung konnte er sich auf eine gut organisierte Kanzlei – auch dies in diesem Ausmaß eine Neuerung in Rom – und zahlreiche Helfer stützen. Der ganze Stab arbeitete im Prinzip kaum anders als Caesars Armee. »Wo Macht sich unmittelbar in Tat umsetzen ließ, da mußte sich seine Herrschaft in ihrem Element fühlen.« (A. Heuß) Anders mußte es sich im Politischen verhalten. Im April 49 hatte Caesar, als er erstmals nach der Eröffnung des Bürgerkriegs in Rom war, den Senatoren erklärt, »sie sollten sich der öffentlichen Angelegenheiten annehmen und sie mit ihm zusammen verwalten. Wenn sie sich aber aus Furcht entzögen, werde er ihnen nicht weiter zur Last fallen und sie von sich aus besorgen«. Damals sperrte sich der Senat. Inzwischen war er zum willfährigen Werkzeug geworden. Denn Caesar hatte nicht nur die vielen vakanten Stellen neu besetzt, sondern auch die Liste von 600 auf 900 erweitert. Aber schon, daß er sich dieses Werkzeugs bediente, fand er jetzt oft zu umständlich. Er ließ seine Verfügungen stattdessen meist einfach in die Form von Gesetzen oder eben Senatsbeschlüssen gießen, wobei sich die Sekretäre die Namen des Antragstellers und der Protokollzeugen ausdachten. Diese bekamen dann Dankschreiben seitens Begünstigter für Initiativen, von denen sie selbst gar nichts wußten. 82

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Das war vermutlich symptomatisch: Caesar ging in seiner organisatorischen Tätigkeit auf, in den Werken, den Leistungen, in denen er alle übertreffen wollte, auch im Frieden. Er hatte wenig Zeit, denn er wollte in Kürze Gigantisches ausrichten. So wie er sieben Briefe auf einmal diktieren, wie er im gallischen Krieg einen blitzschnellen, zuverlässigen Kurierdienst nach Rom aufziehen konnte, wie er seine Armee und seine Feldzüge mit größter Kunst und Umsicht organisierte, konnte er auch mit höchster Effizienz seine vielfältigen Projekte anpacken. Derart rationelle Arbeit aber, unter dem Druck außerordentlicher Ansprüche geleistet, erfordert einen planmäßigen, reibungslosen Ablauf. Das umständliche Verfahren der Beratung und Beschlußfassung in den herkömmlichen Organen konnte da nur lästig sein. Ebenso stand es mit der Rücksicht auf andere Persönlichkeiten: So ließ Caesar – allem römischen Brauch zuwider – gelegentlich selbst den großen alten Consular Cicero in seinem Vorzimmer warten. Er wußte, daß ihn das höchst unbeliebt machte. Aber das nahm er in Kauf. Ob er durch den Gebrauch, den er von seiner Machtfülle machte, breitere Kreise von seinen überragenden Fähigkeiten überzeugen, seinen Sieg und seine Herrschaft annehmbar machen konnte (oder ob er dies wenigstens glaubte), ist nicht überliefert. Daß Cicero davon nicht beeindruckt war, besagt nicht viel. Immerhin hatte dieses rastlose Schaffen, auch wenn man es kaum von Caesar verlangt hatte, etwas Imposantes; so wie die Eroberung Galliens und die Führung des Bürgerkrieges es gehabt hatten, die Caesar jedenfalls eher für sich als im römischen Interesse vollbrachte. In diesem Schaffen bewährte und bestätigte sich sein außerordentlich hoher Anspruch an sich selbst, seine außerordentliche Überlegenheit über alle anderen: das aufgrund der Ablösung aus den herkömmlichen Bindungen maßlos gewordene Leistungsstreben und -bewußtsein. Caesar hatte schließlich, so kann man summieren, alle Macht in den Verhältnissen. Die Frage war, ob er auch Macht über die Verhältnisse hatte oder gewinnen konnte. In Hinsicht auf die 83

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politische Ordnung stehen wir vor einem eigenartigen Befund. Einerseits ist damals viel geschehen, um durch Vollmachten und Ehren für Caesar eine weit über alle anderen hinausgehobene Stellung aufzubauen. In aller Regel wird daraus heute der Schluß gezogen, er habe eine Monarchie begründen wollen. Andererseits haben zahlreiche prominente Zeitgenossen, unter ihnen Cicero und Brutus, trotzdem über längere Zeit die Hoffnung oder gar Erwartung gehegt und ausgesprochen, Caesar werde die res publica wiederherstellen. Es mag zu fragen sein, was sie darunter verstanden und mit welchen Modifikationen ihrer Ordnung sie rechneten. Denn das Wort bedeutete damals primär »Gemeinwesen«, es entsprach insofern etwa unserem »Staat«. In der Anwendung auf Rom war damit zwar eine bestimmte Verfassung gemeint. Aber da konnte manches natürlich geändert werden. Gleichwohl kann kein Zweifel daran sein, daß die Vorstellungen dieser Herren eine Monarchie, lateinisch gesprochen: ein regnum, also die dauernde herrscherliche Gewalt eines Einzelnen ausschlossen. Sofern Caesars Macht über den republikanischen Rahmen hinausging, scheinen sie dies demnach für ein Provisorium (und seine Ehren für die Befriedigung bloßer Eitelkeit) gehalten zu haben. Caesar hat dem nicht widersprochen, er hat offenkundig niemals Absichten auf Begründung einer anderen Ordnung öffentlich geäußert. Wir hören auch nichts davon, daß irgendwer gewußt und verstanden hätte, was gespielt wurde. Selbst Caesars engste Vertraute waren sich offenbar im unklaren darüber, was er eigentlich wollte. Als er schließlich offen auf die Monarchie zuzusteuern schien, schlossen sich einige seiner prominenten Anhänger dem Kreis derer an, die den Tyrannen ermorden wollten. Sie waren davon offenbar überrascht. Cicero, der bei aller entschiedenen Ablehnung und Kritik gelegentlich Spuren von Respekt gegenüber Caesar zeigte, behauptete zuweilen, daß er gar nicht Herr seiner Entschlüsse wäre, weil er zu viele Rücksichten zu nehmen hätte. Er konnte auch den Eindruck gewinnen, Caesar wisse selber nicht, was er wolle. Wie ist dieser eigenartige Befund zu deuten? Wollte Caesar 84

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die Monarchie? Wollte er sie nur faktisch für sich oder als Institution? Hatte er ein klares Konzept? Konnte damals überhaupt eine institutionelle Neuordnung des Gemeinwesens auf dem Wege politischen Handelns vorgenommen werden? Oder haben nur die Mörder Caesar davon abgehalten, das Notwendige zu tun? Im Gegensatz zur vielfältigen Tätigkeit administrativen Verfügens und Anordnens können wir bei der institutionellen Neugestaltung – soweit davon überhaupt die Rede sein kann – nicht unbedingt mit einer durchhaltenden Tendenz rechnen. Es spricht vielmehr vieles dafür, daß Caesar hier in einen Prozeß verquickt war, in dessen Verlauf sich seine Position stark veränderte. Diese Fragen sind also im Blick auf den Ablauf zu behandeln. Wir haben keinen Anhaltspunkt dafür, daß Caesar in den ersten Jahren des Bürgerkriegs mehr als die Sicherung seiner Existenz, im Endeffekt mehr als eine hochangesehene, mächtige, sichere Stellung in der res publica wollte. Was es bedeutete, daß er auf einmal Rom und den ganzen Herrschaftsbereich zur Beute hatte, muß er sich vorher keineswegs klar gemacht haben. Für 48 wurde er, wie es legal war, zum Consul gewählt. Nach dem Sieg bei Pharsalus (9. August 48) wurde er zum Dictator für ein Jahr ernannt: Der Senat versuchte, sich mit dem Sieger auf guten Fuß zu stellen. Die Vollmachten des Dictators gingen zwar über die des Consuls hinaus. Allein, die Verleihung der Dictatur entsprach der herkömmlichen Ordnung besser (auch nach Sullas Beispiel), als es ein wiederholtes Consulat getan hätte; und man konnte ihm eine Verlängerung seiner amtlichen Stellung kaum versagen. Gleichzeitig beschloß man für Caesar eine Reihe von außerordentlichen Vollmachten: im ganzen eine Bestätigung von Rechten, die der Sieger im Bürgerkrieg ohnehin beanspruchte oder sich hätte nehmen können. Nach dem Sieg in Afrika (46), als der Bürgerkrieg von neuem und mehr noch als vorher im wesentlichen beendet zu sein schien, fuhr man mit dem Beschließen von Vollmachten und zunehmend auch Ehren fort, ging aber zum Teil erheblich über das bisherige Niveau hinaus. Jetzt wurde Caesar zum Bei85

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spiel eine zehnjährige Dictatur, anscheinend mit dem Auftrag, das Gemeinwesen wiederherzustellen, eine dreijährige Sittenaufsicht (etwa der alten republikanischen Censur entsprechend) verliehen, angeblich auch das Recht, alle Magistrate zu bestimmen. Sein Triumphalwagen sollte im Juppiterheiligtum aufgestellt werden, auf ihm seine Statue mit der Weltkugel zu Füßen und einer Inschrift, die ihn als Halbgott bezeichnete. Beim Triumph sollten ihm außerordentlicherweise 72 Liktoren, wie üblich im Gänsemarsch, vorangehen. Von diesen respektgebietenden Amtsdienern mit den Rutenbündeln standen normalerweise 12 dem Consul und 24 dem Dictator zur Verfügung. An der Steigerung der Ehren war manches sehr ärgerlich. Der Sieg sollte in einer Weise gefeiert und verewigt werden, die Caesar ein großes Stück weit über den Rahmen der oligarchischen Gleichheit und des Herkömmlichen hinaushob. Die Befristung von Dictatur und censorischer Vollmacht ermöglichte es zwar noch, von einem Provisorium zu sprechen. Aber ob man wirklich der Ansicht war, er brauche für die Wiederherstellung der Ordnung zehn Jahre, darf wohl bezweifelt werden. Auch war kaum anzunehmen, daß Caesar sich etwa nach einer Serie von Gesetzen und Maßnahmen ins Privatleben zurückziehen wollte. Man erkannte also seine außerordentliche, überragende Qualität an und versuchte, sie in Formen des Rechts und der Ehren der römischen Wirklichkeit einzuordnen. Allein, so sehr dabei Angst, Schmeichelei und Anbiederung im Spiel gewesen sein werden: Vielleicht ließ sich auf diese Weise am ehesten eine Basis der Zusammenarbeit mit dem Sieger schaffen? Vielleicht war diese großartige Bevollmächtigung am ehesten geeignet, um ihn in das Spiel der alten Institutionen einzufangen? Immerhin hatte der Senat, wenn er jetzt mit Caesar auskommen mußte, einiges wiedergutzumachen. Konnte man also am ehesten auf diese Weise hoffen, Mitsprache und auf die Dauer auch Freiheit und Wiederherstellung der res publica zu erreichen? Als man den Dictator im Jahre 46 zum ersten Mal unbelastet vom Druck drängender militärischer Aufgaben erlebte, gab er sich freundlich; beriet sich mit den Senatshäuptern; ließ minde86

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stens hoffen, daß er die res publica wiederherstellen wolle. Wirksam und ernsthaft nahm er es mit zahlreichen Problemen auf. Manches daran befremdete, manches verletzte, etwa die Weise, in der er den Senat mit seinen Offizieren und Anhängern überfüllte: Auf Vorhaltungen antwortete er, selbst wenn er seine dignitas mit Wegelagerern und Mördern gerettet hätte, hätte er ihnen entsprechenden Dank abgestattet. Man hielt ihm zugute, daß er den Seinen gegenüber zu Konzessionen verpflichtet war. Sehr bald aber wuchs die Streitmacht der Pompejaner in Spanien zu bedrohlicher Stärke an; Caesar mußte im November 46 überstürzt neuerdings in einen gefährlichen Krieg ziehen. Als er zurückkam (Anfang Oktober 45), war vieles, wenn nicht alles, anders. Es ist, wie wenn zur Zeit des spanischen Krieges eine Zäsur eingetreten wäre. Während Caesars Abwesenheit erschien Ciceros Gedenkschrift für Cato: Das war, bei aller Vorsicht, ein Bekenntnis zur alten res publica und zu ihrem vornehmsten Verfechter. Caesar antwortete mit einer wütenden Gegenschrift, in der er Cato in jeder Hinsicht herunterputzte, ihn als Säufer und Geizhals, der sogar seine Frau verschachert habe, charakterisierte. Er war zutiefst getroffen. So wie er die Maßstäbe setzte, konnte er an Cato nichts finden. Dieser war in allem sein Gegenbild. Er mußte also jedes Lob Catos als Kritik an sich selbst, als Zweifel daran, daß er es verdiente, der erste Mann in Rom zu sein, empfinden. Und letztlich war es ja auch so gemeint. Vielleicht in diesem Zusammenhang, gewiß aber in Hinsicht auf die Schwierigkeiten, die er in Rom gewärtigte, faßte er noch vor der Rückkehr aus Spanien den Beschluß, anschließend einen großangelegten Feldzug gegen die Parther zu beginnen. Seine Statthalter in Rom hatten Angst, ihn daran erinnern zu lassen, daß zunächst Recht und Ordnung wiederhergestellt werden müßten. Er hat dann ja freilich von selbst erklärt, erst wenn dies geschehen sei, würde er aufbrechen. Brutus, der ihn in Gallien traf, gewann den besten Eindruck. Caesar werde sich zu den Guten schlagen, schrieb er nach Rom. Cicero bemerkte dazu nur, wo er die wohl finden wolle, wenn er sich nicht auf87

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hänge. Danach feierte Caesar den Triumph über die römischen Gegner. In Rom überschlug sich der Senat mit unerhörten neuen Ehrungen. Die erste Serie wurde in mehreren Sitzungen gleich nach dem entscheidenden Sieg im spanischen Feldzug beschlossen. Man nannte Caesar »Befreier« und widmete der Libertas einen Tempel. Man gab Caesar das Recht, überall einen Lorbeerkranz zu tragen (was eigentlich Juppiter gebührte), verlieh ihm den Ehrentitel Imperator als Vornamen, ließ ihm aus öffentlichen Geldern einen Palast bauen. Er allein sollte den Befehl über die römischen Armeen und die Verfügung über den Staatsschatz haben. Er sollte auch Consul auf 10 Jahre sein. Eine Elfenbeinstatue von ihm sollte nach den Götterbildern in öffentlichen Prozessionen mitgeführt werden. Ein Standbild von ihm mit der Unterschrift »Dem unbesiegten Gott« sollte im Quirinustempel aufgestellt werden. Ein weiteres auf dem Kapitol neben der Statue des alten Brutus (der einst das römische Königtum gestürzt hatte und dessen Statue nun neben denen der sieben Könige stand), eine bemerkenswerte Kombination. Nachdem Caesar dann nach Rom zurückgekehrt war, wurden ihm mit der Zeit immer weitere Ehren und Vollmachten verliehen. Er sollte stets das Triumphalgewand anlegen dürfen. Später erhielt er das Recht, einen goldenen Kranz zu tragen. Das war der Kranz der etruskischen Könige; er wurde in der Republik während des Triumphs über den Kopf des siegreichen Feldherrn gehalten. Caesar sollte ihn aufsetzen und bei allen Festen damit erscheinen. Weiter wurde beschlossen, daß er bei verschiedenen Gelegenheiten auf einem goldenen Sessel sitzen sollte. Dann bekam er den Titel des pater patriae. Sein Geburtstag wurde zum öffentlichen Feiertag erklärt. Sein Geburtsmonat Quinctilis in Julius umgenannt. In allen Tempeln und in den Municipien sollten Caesarstatuen aufgestellt werden. Ein Concordia-Tempel sollte die durch Caesar neu begründete Eintracht besiegeln, ein Felicitas-Tempel sein Glück. Ferner erhielt er die sacrosanctitas der römischen Volkstribunen (die durch die Schwurgemeinschaft der Plebs gewährleistete Unverletzlich88

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keit). Die Senatoren leisteten den Eid, sein Leben zu schützen. Man beschloß ihm eine Leibwache aus Senatoren und Rittern. Alle Magistrate sollten auf seine Verfügungen einen Eid leisten. Schließlich wurden ihm die Dictatur und die censorische Vollmacht auf Lebenszeit erstreckt. Damit war auch der Schein des Provisoriums zerstört. Neben diesen Beschlüssen stand eine ganze Reihe von weiteren, durch die Caesar den Göttern noch mehr angenähert wurde. Er sollte etwa einen Priester bekommen. Gemeinsam mit der Clementia sollte er kultisch verehrt werden. Auch ein Tempel sollte ihm erbaut werden. Es spricht allerdings einiges dafür, daß der eigentliche Kult für den neuen Gott erst nach dessen Tode einsetzen sollte. Drei elementare Tendenzen lassen sich in diesen Beschlüssen fassen: Caesars Sieg wurde zur Befreiung erklärt und zugleich als Werk der Götter sanktioniert. Das alle Überragende und ganz Außerordentliche seiner Persönlichkeit wurde öffentlich anerkannt und in vielen, zum Teil kultischen Formen manifest gemacht. Er erhielt monarchische Vollmachten. Ehren und Vollmachten stammten aus den verschiedensten Bereichen. Eine ganze Reihe verwies auf das altrömische Königtum. Aber das Konglomerat von Macht und Ehre, zu dem sie sich in Caesar verquickten, schuf eine Position sui generis. Seit dem spanischen Krieg beschleunigte sich die Abfolge stark. Die Ehrenbeschlüsse wucherten geradezu, ohne daß nach dem ersten Schub noch Anlässe dafür ersichtlich wären. Man gewinnt den Eindruck einer Ehrungshysterie. Wozu aber diese lange Serie sich jagender Beschlüsse? Wie kam es dazu, daß man ziemlich unmotiviert zu immer neuen Ehrungen ansetzte? Vollzog sich hier etappenweise ein Plan Caesars? Oder war er selbst in diesem Prozeß zugleich Treibender und Getriebener? Oder gar dies mehr als jenes? Die Ehrungen und der Prozeß ihrer Wucherung erscheinen jedenfalls nicht erst uns im nüchtern-glanzlosen Republikanismus des heutigen Europa verstiegen und schwer verständlich. Auch bei vielen der damaligen Zeitgenossen – und nicht nur 89

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bei Herren von Schlage Ciceros – fanden sie wenig Beifall, erweckten im Gegenteil eine Menge böses Blut. Es ist andererseits überliefert, daß einige Senatoren meinten, Caesar mit Hilfe der Ehrungen als Tyrannen hinstellen zu können. Einer unserer Autoren schreibt, der Dictator sei mit Ehren geschmückt worden wie ein Opfertier. Es soll auch versteckter Spott im Spiel gewesen sein, wenn etwa zu Gunsten des vielbeanspruchten Liebhabers beschlossen wurde, er solle so viele Frauen haben dürfen, wie er wolle.Was also ging hier vor? Wie ist es zu erklären? Diese Fragen sind nicht isoliert, sondern im weiteren Zusammenhang des Geschehens dieser Monate zu behandeln. Als der Senat einmal in feierlichem Zuge eine neue Serie von Ehrenbeschlüssen überbringen wollte, empfing Caesar ihn sitzend. Man war allgemein empört über den Mangel an Respekt. Caesar ließ später Entschuldigungen ausstreuen (es sei ihm gerade übel geworden). Aber es fällt schwer zu übersehen, daß er, indem er sich nicht zu erheben geruhte, nur die Konsequenz aus dem übermäßigen Rang zog, den man ihm zuerkannte (selbst wenn ihm dabei übel geworden sein sollte). In die gleiche Richtung zielt ein Ausspruch, der von ihm überliefert wird: »Die Menschen sollten bedachtsamer mit ihm sprechen und, was er sage, an Gesetzes Statt erachten.« Immerhin sollten alle seine Verfügungen als Gesetze gelten. Fraglich ist, ob er die Fülle seiner Ehrungen und Vollmachten mit dem Königstitel bekrönen wollte. Vielfach hat man es gemeint und verschiedentlich ist ihm der Titel zugerufen oder das Königssymbol des Diadems angetragen worden. Er hat es jedesmal abgelehnt. Berühmt ist die Szene am Lupercalienfest (15. Februar) 44: Der Dictator saß, angetan mit Triumphalgewand und goldenem Kranz im goldenen Sessel auf der Rednertribüne am Forum. Sein Consulatscollege und bedeutendster Gefolgsmann M. Antonius, der am traditionellen Lauf der nur mit einem Schurz bekleideten Luperci teilgenommen hatte, »legte« ihm – wie Cicero sagt – ein Diadem »auf«. Caesar wies es zurück und ließ es dem Juppiter als dem einzigen König Roms schicken. Antonius befahl, in den Staatskalender einzutragen, 90

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Caesar sei vom Consul Antonius auf Befehl des Volkes das Königtum (regnum) angetragen worden; er habe es nicht annehmen wollen. Man kann den Vorgang verschieden deuten. Entweder: Caesar habe das Diadem gewollt und nur abgelehnt, weil er nicht den nötigen Beifall erhielt; oder: Caesar habe es sich in aller Öffentlichkeit antragen lassen wollen, um es sichtbar zurückzuweisen (und allen Verdächtigungen und neuerlichen Proklamationen entgegenzuwirken). Es ist auch vermutet worden, Antonius habe ohne Caesars Wissen gehandelt (um sich beliebt zu machen oder auch ihn zu verleumden). Was davon richtig ist, ist mit Sicherheit nicht auszumachen. Immerhin spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, daß Caesar den Königstitel wirklich nicht wollte. Der Beifall hätte sich inszenieren lassen. Wenn er – wie überliefert – damals Hals und Brust entblößte und öffentlich darbot, erscheint es geradezu als sicher, daß er die römische Auffassung respektierte und teilte, nach der, wer nach der Krone strebte, des Todes würdig war. Mithin scheint er eine feine Trennungslinie zwischen dem Königtum und seiner Form der Alleinherrschaft gezogen zu haben. Sie wird für die meisten zu fein gewesen sein. So waren die Gerüchte, nach denen Caesar König werden wollte, in jenen Monaten nie zu unterdrücken. Übrigens meinte man auch, er plane, die Hauptstadt nach Alexandria zu verlegen. Seine Geliebte, die ägyptische Königin Kleopatra hatte damals in Rom, jenseits des Tibers, ihre Residenz aufgeschlagen. Es hat die Phantasie der Römer jener Zeit stark beschäftigt. Jedenfalls konnte Caesar machen, was er wollte: Er kam von dem Verdacht, die Krone, genauer: das Diadem zu wollen, nicht los. Seine Gegner scheinen das Ihre dazu beigetragen zu haben. So hieß es denn auch, in der Senatssitzung am 15. März 44 sollte der Antrag eingebracht werden, ihn aufgrund eines sibyllinischen Spruchs für die Provinzen zum König zu ernennen. Da er zu Beginn dieser Sitzung ermordet wurde, konnte die Probe darauf nicht erbracht werden. Doch sollte man die Frage des Königstitels nicht überschätzen. Sie könnte allenfalls für die geheimsten Wünsche Caesars 91

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etwas aussagen; vielleicht aber auch nur für die schwindelerregende Stimmung dieser Monate oder für die Taktik der Opposition. Daß Caesar eine Alleinherrschaft innehatte, ist deutlich; daß er sie auf Lebenszeit behalten wollte, ebenfalls. Denn gerade in jenen Tagen hat er die Dictatur, die ihm zunächst auf zehn Jahre verliehen worden war, lange vor deren Ablauf auf Lebenszeit beschlossen bekommen und (nach einem gewissen Zögern) angetreten. Schließlich ist nicht zu übersehen, daß er Wert darauf legte, diese Monarchie de facto et de iure in höchst auffälligen Formen der Repräsentation auch zu demonstrieren. Schon dies führte dazu, daß die Zeitgenossen und spätere Historiker ihm alles Mögliche zutrauten. Sie taten sich schwer, ihn zu verstehen. Dem Aufbau seiner Position korrespondierten bestimmte Veränderungen der überkommenen institutionellen Ordnung. Caesar ließ die republikanischen Einrichtungen zwar formell allesamt bestehen. Aber er setzte ihre Eigenständigkeit außer Kraft. Der Senat etwa war mit seinen 900 Mitgliedern, von denen der größte Teil aus Kreaturen Caesars bestand, kaum mehr in der Lage, auch nur eine eigene Linie zu steuern, geschweige denn das Zentrum politischer Willensbildung zu sein. Abgesehen davon war Caesar viel zu ungeduldig, um Senatsdebatten etwas abgewinnen zu können. Sie hätten ihn eher gelangweilt. Oft war es ihm ja, wie erwähnt, sogar zu mühsam, die Senatsbeschlüsse im Senat fassen zu lassen. Die Magistrate konnten kaum selbständig handeln, da sie sich nach Caesar zu richten (oder auf Caesars Verfügungen zu warten) hatten. Um mehr ausführende Organe zu haben, vergrößerte der Dictator ihre Zahl. Die Besetzung der Stellen unterlag seinem bestimmenden Einfluß; teilweise wohl aufgrund ihm verliehener Vorrechte, im übrigen aufgrund seiner Macht. Sofern sich Opposition regte, wurde sie unterdrückt, die Opponenten abgesetzt. Die Tatsache, daß insbesondere die führenden Caesarianer als Magistrate mitunter eine eigene Politik trieben und Caesar zu Konzessionen zwangen, verschlägt nichts gegen diese Feststellungen. Denn damit wurde dem Eigengewicht der Institutionen gewiß nicht aufgeholfen. Je weniger aber Senat und Magistrate zu sagen hatten, um so 92

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bedeutsamer wurden diese Positionen unter anderem Gesichtspunkt: Caesar wußte sich die Ehre, welche in Rom Senatssitz und Magistratsbekleidung bedeuteten, nutzbar zu machen. Sie diente ihm als Mittel, gute Dienste zu belohnen. Auch scheint er selbst sein Consulat entsprechend aufgefaßt zu haben. Denn um der Vollmachten willen brauchte er es nicht. Aber als Consul konnte er dem Jahr den Namen geben; außerdem erhöhte die Bekleidung vieler Consulate den Rang des römischen Adligen. Um aber gleichwohl auch andere (außer dem Collegen, den Caesar wie alle anderen jeweils hatte) an der Ehre, Consul zu sein, teilnehmen zu lassen, gab er das Consulat 45 und 44 während des Jahres wie ein abgelegtes Kleid anderen weiter. In der Öffentlichkeit betrachtete man diese Nachfolger nicht als richtige Consuln. Als einer von ihnen am letzten Tag des Jahres 45 starb, ließ Caesar sich obendrein die Gelegenheit nicht entgehen, noch einen anderen mit dieser Ehre zu begaben, einen besonders wachsamen Consul – wie Cicero spottete –, denn er tat während des ganzen Consulats kein Auge zu. Andererseits hatte keiner unter ihm gefrühstückt. Schlimmer ließ sich mit dem höchsten römischen Amt kaum Schindluder treiben. Im Sinne dieser Politik lag zugleich, daß Caesar sich das alte Königsrecht, Familien ins Patriciat aufzunehmen, verleihen ließ. Caesar mochte hoffen, durch solche Rangerhöhungen eine große Zahl von Männern enger an sich zu binden und vielleicht auch für den Zustand des Gemeinwesens, in dem sie derart ausgezeichnet wurden, einzunehmen. Übrigens war er großzügig: Nicht nur alte Anhänger, sondern auch ehemalige Gegner und einflußreiche Männer aus ganz Italien wurden in Senat und Ämter befördert. Sie erwiesen sich zum Teil als solider und verläßlicher als die eigenen Gefolgsleute. Weitere Anhaltspunkte, die eventuell als Teile einer politischen Neuordnung zu verstehen gewesen wären, besitzen wir nicht. Wenn Caesar also ein Konzept dafür gehabt haben sollte, so wäre es bestimmt gewesen durch die mit aller Macht und Sinnfälligkeit ausgestattete Alleinherrschaft, die Schwächung bzw. Zerstörung des Eigengewichts aller potentiell entgegen93

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stehenden Instanzen, schließlich die Besetzung dieser Instanzen durch Anhänger, die für ihre Dienste gegenüber dem Alleinherrscher mit republikanischen Würden geehrt wurden, ob sie die damit verbundenen Funktionen nun wahrzunehmen in der Lage waren oder nicht. Damit hätte Caesar – neben seiner Kanzlei – gefügige Organe für die Ausführung seines Willens und vielleicht eine Stütze seiner Herrschaft gewonnen, wenn alles in seinem Sinne lief. Die Etablierung der überragenden Persönlichkeit des Siegers samt seiner (um alte Gegner und breitere Kreise erweiterten) Gefolgschaft im Gemeinwesen und die politische Neuordnung (falls es ihm darum denn ging) wären also auf das gleiche hinausgelaufen. Jedenfalls scheint es, daß nichts anderes herausgekommen wäre, wenn er nur an sich und den Ausbau seiner Wirkensmöglichkeiten gedacht hätte. Man müßte sonst meinen, die Annahme der übermäßigen Ehrungen sei ein selbstloses Opfer im Dienste einer so für ihn gar nicht wünschenswerten monarchischen Repräsentation gewesen. Wir haben mithin keinen Anhaltspunkt dafür, daß Caesar gründlich und mit beachtlichen neuen Einsichten über das Gemeinwesen nachgedacht, daß er institutionelle Erfordernisse einer Neuordnung aufgrund eines eigenen Konzepts erkannt und angepackt hätte. Es ist ja auch nicht zu sehen, daß die dazu erforderliche Bereitschaft in der römischen Bürgerschaft gegeben gewesen wäre; etwa dazu, sich künftig von einem Monarchen regieren zu lassen, ein solches Regime für notwendig zu halten und sich ihm einzufügen. Es ist schon fraglich, ob Caesar sich überhaupt die Frage stellte, wie das Gemeinwesen künftig strukturiert sein sollte. Wohl kann man das behaupten. Aber es wird dann immer schwierig sein zu erklären, warum Caesar schon in Spanien den Partherfeldzug plante; warum er, als er dann doch beschloß, zunächst in Rom für die neuerliche Etablierung von Ordnung zu sorgen, offenbar nur daran dachte, daß seine Gesetze sonst »mißachtet würden, wie zum Beispiel das Luxusgesetz mißachtet worden sei«. Es scheint danach eher, daß er die Krise – wie Ci94

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cero und das Gros der Zeitgenossen – primär moralisch verstand. Wie soll man die zuletzt schwindelerregenden Ehrungen mit der Absicht einer plausiblen Neuordnung in Einklang bringen (in einer Zeit, der nicht die Monarchie, sondern die Republik das Selbstverständliche war)? Sollten fast unbegrenzte Vollmachten und die Schwächung und Verspottung der republikanischen Einrichtungen alles sein, was es auf diesem Gebiet zu tun gab? Hätte er nicht wenigstens Klarheit darüber schaffen müssen, wie es künftig mit der Verantwortung von Senat und Magistraten stehen sollte? Und sei es, daß er ihre Rechte zum Schein ernstgenommen und respektiert hätte? Mußte er sich nicht intensiver darum bemühen, viele Adlige für sich zu gewinnen; und nicht nur diesen und jenen bei dieser und jener Gelegenheit, sondern so, daß irgendwie der Stand als Ganzes sich ernstgenommen gesehen hätte? Wobei es also nicht um imposante Werke, sondern um Übereinkommen, um Vertrauen gehandelt hätte, damit sich mit ihrer Hilfe eine neue Ordnung aufbauen ließe? Gewiß war es schwer, ein Gemeinwesen neu zu institutionalisieren, in dem so wenig handfestes Interesse daran bestand, in dem so viel Wert auf Selbständigkeit, auf die Möglichkeit, sich selbst zu helfen, gelegt wurde, in dem die führenden Schichten zu sehr das Gemeinwesen ausmachten, um von übergeordneten Instanzen, von einem »Staat« auf die Dauer die Gewährleistung von Ordnung erwarten zu können. Sie hätten dazu auf ganze Teile ihrer selbst verzichten müssen, mit denen sie zuvor das meiste untereinander zu regeln pflegten, um sich abhängig zu machen von den Instanzen einer Monarchie. Dadurch wurde es ja damals so schwer, genau gesagt, unmöglich, Macht über die Verhältnisse zu gewinnen. Aber immerhin war nach dem Bürgerkrieg einiges zu tun und mindestens insofern war man bereit, von Caesar eine Lösung zu erwarten. Nur – hat ihn das nicht eher in Verlegenheit versetzt? Nimmt man dagegen an, Caesar habe nur an sich, seine Gefolgsleute und vor allem an den Ausbau seiner Wirkensmöglichkeiten gedacht, so läßt sich alles, was wir von ihm und der Problematik der Zeit wissen, sehr gut damit in Einklang bringen. 95

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Was hier geschah, lag, so gesehen, genau in der Konsequenz seiner Eigenart und seiner Situation im damaligen Rom. Er konnte sich in lauter Dinge stürzen, die sich seinem Zugriff, seiner Bravour öffneten.Was ist also wahrscheinlicher als anzunehmen, daß er das tat, was ihm aufgrund der Kategorien seines Denkens und aufgrund der damaligen Verhältnisse nahelag? So lange man jedenfalls nicht mit dem Wunder eines – sei es noch in der archaischen Vergangenheit, sei es schon in der fernen Zukunft eines »Reichsstaats« beheimateten – Übermenschen rechnen will. Man könnte sich fragen, ob Caesar sich nicht, weil er so wenig Macht über die Verhältnisse gewinnen konnte, um so mehr auf das warf, was er in den Verhältnissen vermochte.Vielleicht ist darin sogar die Lösung für das Rätsel seines Wirkens nach und zwischen den Bürgerkriegen zu suchen: Er setzte fort, was er schon in Gallien nicht nur sich angewöhnt, sondern zum Ausweis, zur Seinsweise seiner überragenden Fähigkeiten gemacht hatte: Die – in mancher Hinsicht vielleicht geradezu betäubende – ungeheure Aktivität, die imponieren, die seine ganze Überlegenheit auf der Folie so vielfältigen Versagens beweisen, vielleicht auch manches an seinen hohen Ansprüchen rechtfertigen sollte. Das könnte sich ihm geradezu habitualisiert haben. Korrespondierend dazu hätte die Flut der Ehrungen ihm deswegen wichtig, vielleicht gar dringend gewesen sein können – als Kompensation für alles, was ihm so lange vorenthalten worden war, die (nicht nur erzwungene) Anerkennung durch den Senat und die römischen Oberschichten. Dann hätte sich die Einzigartigkeit seiner Persönlichkeit auf den Wegen, die sie seit dem Anfang seines fünften Lebensjahrzehnts eingeschlagen hatte, einfach fortgesetzt – in immer größere Höhen – womit er dann eine Unerreichbarkeit erklommen hätte, bis in die Göttlichkeit hinein (zu welcher in der Antike ein gleitender Übergang von persönlicher Außerordentlichkeit her sich öffnete). Caesar hat wohl, wie schon bemerkt, nie, jedenfalls seit seinem Consulat nicht, einen Sinn für politische Institutionen und deren kompliziertes Spiel an den Tag gelegt. Dieses Spiel 96

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war ja auch zu seiner Zeit vielfältig gestört und wenig effizient. Das Gros der Bürgerschaft war dicht darin eingefügt. Aber wenn man ein Stück weit draußen stand wie Caesar, war man daran nicht unbedingt gebunden. Die Verteidigung der Republik konnte ihm kaum Respekt abnötigen. Man kennt von ihm den Ausspruch, die Republik sei nur ein Name ohne Körper und Gestalt. Für ihn gab es vor allem Personen und sachliche Probleme. Treue und Verantwortung waren ihm wesentlich persönliche Beziehungen (und er pflegte sie mit Hingebung). So sah er in seinen Gegnern nur ihre Feindschaft, ihren Haß gegen ihn und ihre – durchaus auch – eigennützigen Motive. Und wie ihm der Bürgerkrieg nur ein Kampf gegen Personen war, die ihm seine dignitas streitig machen wollten, wie er die Gegner, indem er sie persönlich begnadigte, seinem Regime eingeordnet zu haben meinte, so nahm er auch nach dem Sieg die Dinge persönlich. Er versuchte, freundlich zu allen zu sein, Treue zu belohnen, Gegnerschaft nicht zu bestrafen und für alle gut zu sorgen, als Herrscher. Bei der Lösung sachlicher Probleme hatten ihn die institutionellen Umständlichkeiten immer gestört. Wo er konnte, hatte er sich darüber hinweggesetzt. Nach dem Sieg konnte ihm nichts mehr im Wege stehen: Er packte alles an, Nahe- wie Fernliegendes.War überzeugt, daß es so, wie er es tat, richtig war und daß er Ungeheures ins Werk setze. Das Dritte aber, was zwischen Personen und Sachproblemen lag, die Ordnung, in der die Römer lebten und die sie werthielten und verteidigten (auch wenn sie zur Zeit in vielem versagte), das, was sie für richtig ansahen und was auch insofern noch richtig war, als es allgemein anerkannt wurde, das Ganze der politischen Ordnung eben, das mehr als die Summe seiner Teile war, bedeutete ihm wenig oder nichts. Das Eigengewicht, die Recht und Sicherheit gewährleistende Kraft von Institutionen, die Formen der Mitsprache, die Freiheit des republikanischen Lebens – um die es schlecht bestellt war, die aber noch nicht verloren schien – waren ihm vor allem lästig. Er verstand 97

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vermutlich kaum, woran die andern hingen. Er tat sein Bestes zur Bewältigung aller Probleme (oder dessen, was er dafür hielt); was wollten sie noch? Es wird ihm, wenn er die Mahnungen zur Wiederherstellung der res publica hörte, zumute gewesen sein wie einem, der ununterbrochen Wasser ausschöpft, damit das Schiff seetüchtig bleibe oder werde, während die anderen an der abblätternden Farbe oder den neuen Stufen vor der Kommandobrücke herumnörgelten. Dem konnte er nur mit vorwurfsvoller Rastlosigkeit begegnen. So hatte es sich aus seiner Laufbahn ergeben: Jetzt war er Sklave der Überzeugung, alles besser machen zu können. Da er so viel Gelegenheit dazu hatte, mußte er sie wahrnehmen. So entsprach es aber auch der Lagerung von Macht und Interessen: Dem auf dignitas orientierten Führer einer persönlichen Gefolgschaft kam, um es zu wiederholen, aus der »guten römischen Gesellschaft« keine nennenswerte Kraft entgegen, die auf eine grundlegend neue Ordnung tendierte. Das heißt, es fehlte Caesar an der Möglichkeit, die eigenen mit allgemeinen Interessen, das eigene Streben nach Macht und Wirkung mit einem allgemeinen Trend zur Deckung zu bringen. Vermutlich ist es doch eine allzu harmlose Vorstellung, wenn wir das, was wir für »staatsmännisch« halten, einfach aus Einsicht und Impetus, aus erhabener Weitsicht und Unabhängigkeit von Parteiinteressen ableiten. Man schmälert die Größe und das persönliche Verdienst eines Staatsmanns nicht, sondern macht sie nur glaubwürdiger, wenn man sagt, daß sein Wirken im Sinne des Begriffs eine bestimmte Machtlagerung voraussetzt. Das, was er »weitsichtig« als allgemeines Interesse erkennt, muß schon in seiner Gegenwart als Interesse und Meinung nennenswert angelegt sein. Es muß ein Geben und Nehmen zwischen ihm und bestimmten, und sei es potentiellen Machtfaktoren da sein, das ihn einerseits an eine Sache bindet, ihm aber andererseits die Freiheit, die Chance, das Material gibt, das, was er aus dieser Lage heraus erkennt, auch zu verwirklichen. Unabhängigkeit nicht einfach von Parteiungen, sondern nur von solchen, die ihn in die Enge, d.h. in Krisenzeiten: in die Krise selbst verstricken, 98

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ist für ihn wichtig. Das Vorhandensein anderer Parteiungen dagegen, das heißt einer Gruppierung, in der das Bedürfnis nach Neuerungen sich objektiviert und Stoßkraft gewinnt, das heißt einer solchen Machtlagerung, die es erlaubt, genügend Kraft auf die Bewältigung zentraler Probleme zu konzentrieren, ist wohl sogar conditio sine qua non eines staatsmännischen Werkes. Da es daran fehlte, geriet Caesar in eine weite Distanz und Fremdheit zum römischen Adel und dem weiteren Kreis derer, die Cicero »die Guten« nannte, das heißt der wohlhabenden, der einzig wirklich ernstzunehmenden Schicht. Diese Fremdheit war als solche nicht unbedingt zu begreifen. Die unversöhnlichen Gegner nahmen Caesar vielmehr als Feind der Republik. Wenn andere wie etwa Brutus nach Pharsalus Hoffnungen auf ihn setzten, gingen sie davon aus, daß entweder die res publica wiederhergestellt würde oder Rechtlosigkeit und Despotie herrschten. Gegen das Letztere aber sprachen Caesars Großzügigkeit, Milde und Liebenswürdigkeit, die Erfahrung, daß er durchaus bereit war, es mit vielen anstehenden Problemen aufzunehmen. So konnte leicht der Eindruck entstehen, daß er guten Willens war. Er war ganz anders, als man gefürchtet hatte. Das alte Bild des verhaßten Consuls von 59 und des bedrohlichen gallischen Proconsuls schien falsch zu sein. Dankbar und erleichtert, vielleicht auch mit gewissen Schuldgefühlen legten sie es zu den Akten. So gaben sie Caesar viel Kredit, sahen ihm manches nach, hielten vieles, was ihnen zuwider war, für provisorisch.Von ihren Erwartungen aus mußten sie zunächst keineswegs damit rechnen, daß er eine Despotie errichten wollte. Wenn Caesar ihren Erwartungen nicht widersprach, mag das dadurch befördert gewesen sein, daß auch er den Gegensatz zwischen seinen und ihren Ansichten gar nicht recht begriff. Wenn es ihm nur darum ging, sich im Bestehenden zu etablieren, so bestand die entscheidende Differenz zunächst darin, daß ihm die res publica und deren selbständiges Funktionieren nicht wichtig waren. Das war nach republikanischen Maßstäben gravierend, mußte aber nicht gleich erkennbar sein, sofern er nur seinen guten Willen bekundete. Wenn Caesar später eine feine Grenze 99

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zum Königtum einhielt, mag er gemeint haben, die res publica mindestens im Sinne rechtlicher Ordnung zu bewahren. Daß er seine Stellung vererben, also eine dauerhafte Monarchie einrichten wollte, verlautet nirgends; die testamentarische Adoption seines 18jährigen Großneffen spricht eher dagegen. Es waren damals also grundverschiedene Erwartungen, Zielsetzungen und Ideale am Werk, und die Beteiligten mußten das so bald nicht erkennen (sofern ihnen nicht Mißtrauen und Haß den Blick schärften). Caesars Anhänger andererseits mochten schlecht über die alte Republik denken, aber sie waren doch Aristokraten (oder Möchtegern-Aristokraten) und wollten nicht Diener, sondern Herren sein. Es ging ihnen nicht nur um Reichtum und Ansehen, sondern auch um eigene Macht und Selbständigkeit. Der alte Hang zur aristokratischen Selbstherrlichkeit war bei den Aktiveren, Ehrgeizigeren unter ihnen um so ungebundener, als sie sich den korrespondierenden Pflichten und Beschränkungen, der in Rom so unentbehrlichen Adelsdisziplin nie hatten unterwerfen wollen, so wenig wie ihr Herr es gewollt hatte. Von ihnen werden wenig Anregungen für eine Neugestaltung des Gemeinwesens gekommen sein. Aus Distanz und Fremdheit aber resultierten stets neue Mißverständnisse, und das wurde mit der Zeit höchst störend. Es folgte daraus ein Prozeß immer weiterer Entfremdung, dem Caesar schließlich zum Opfer fiel. Vielleicht ist die Wucherung der Ehrenbeschlüsse am besten so zu erklären: Da keiner wußte, was eigentlich im Gange war, da der Senat an den Rand des Geschehens geriet, konnte das Bedürfnis, an Caesar heranzukommen, sich zu ihm in ein Verhältnis zu setzen, sehr leicht auf diesen Weg gedrängt werden. Caesars Position immer weiter zu steigern, war die einzige freie Initiative, die geblieben war, durch die man um Caesars Gunst wetteifern konnte. Es mochte manch einem schwindeln; aber nachdem man einmal auf diesen Weg geraten war, wäre jedes Zögern im Voranschreiten allzu leicht verdächtig gewesen. Ehrgeiz, Furcht und Mißtrauen mußten zur Fortsetzung antreiben. Mit jeder Ehrung mußten weitere Beschlüsse herausgefordert werden. Sonst wäre ja ein Vakuum 100

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entstanden. Je prächtiger und gigantischer Caesar aber dastand, um so mehr nahmen hinwiederum Furcht und Mißtrauen zu. Je mehr sie zunahmen, um so dringender wurde es, ihn neuerdings durch Ehrungen für sich einzunehmen. Möglicherweise sollte die Dictatur auf Lebenszeit Caesar auch den Griff nach der Krone unmöglich machen. Die in stets neuen Formen der Ehrung sich niederschlagenden Huldigungen waren nachher so selbstverständlich, daß Caesar Gegenvoten als Opposition verstand. Wie sehr er sich in die Rolle fügte, zeigt die Szene, in der er den Senat sitzend empfing. Man war wie in einem Rausch gefangen. Die Dinge gerieten ins Uferlose. Das Problem, wie weit Caesar in diesem Prozeß trieb und wie weit er getrieben wurde, ist nicht zu lösen. Mindestens am Anfang muß er mit den Ehrungen einverstanden gewesen sein. Sonst hätte er sie leicht unterbinden können. Auf die Dauer wurde das schwieriger. Da wäre es schon unhöflich gewesen, die einen abzulehnen, nachdem er die anderen angenommen hatte. Mögen ihm die Beschlüsse recht gewesen sein oder mag er auch sie nicht für so wichtig genommen haben, jedenfalls hat er sich energisch nur beim Königstitel zur Wehr gesetzt. Aber angesichts all des anderen, was er sich verleihen ließ, war das keine Auffangstellung, nicht einmal ein Alibi mehr. Die Geschichte der Ehrungs- und Vollmachtsbeschlüsse ist also – zumindest in ihrem letzten Teil – eine Geschichte der Schwäche Caesars, genauer gesagt seiner mangelnden Macht über die Verhältnisse. Je weniger er mit den politischen Problemen des Gemeinwesens fertig wurde, um so mehr drehte sich alles um seine Person. Um so weniger konnte er die, die ihm nicht anhingen, von sich überzeugen. Wenn wir die Ehrungen im Sinne politischer Reform deuten dürften, so hätte diese ihre Ausprägung und Legitimation einzig in der Herausstellung der ganz außerordentlichen, der nahezu göttlichen Qualität Caesars gefunden. Damit wurde die Kluft endgültig unüberbrückbar. Caesar hat das deutlich gespürt. Schon 46 hatte er verschiedentlich geäußert, er habe für sich und seinen Ruhm genug gelebt. Cicero bemühte sich verzweifelt, ihn auf die unbewäl101

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tigte Problematik des Gemeinwesens hinzuweisen. Dabei wußte Caesar genau, daß die Stadt und der Herrschaftsbereich, wenn ihm etwas zustieße, keine Ruhe haben, sondern unter noch viel schlimmeren Umständen in neue Bürgerkriege schlittern müßten. Aber er wußte nicht, wie er dem begegnen sollte. Eben das machte seine Aufgabe so quälend. Das ließ den Wunsch so verführerisch werden, sich ihr nach der Rückkehr aus Spanien möglichst rasch wieder zu entwinden. Am 18. März 44 wollte er – nach umfangreichen Rüstungen – gegen die Parther aufbrechen. Die innere Problematik war mitnichten auch nur angepackt. Doch war er überfordert, seine Kräfte ließen nach. Der Aufbruch in den Feldzug war – wie ein antiker Autor schreibt – als Therapie gemeint. Es war jedenfalls eine Flucht. Zwar gab es Gründe für den Krieg. Einige Truppenteile im Osten hatten gemeutert und sich zu den Parthern geschlagen. Aber nirgends verlautet, daß man davon in Kürze größere Gefahren befürchtet hätte. Wo von Caesars Plänen gesprochen wird, ist immer nur von einem Eroberungszug im Stile Alexanders des Großen die Rede: Er wollte anschließend vom Kaukasus her um das Schwarze Meer ziehen und auch noch den Balkan unterwerfen. Ruhm sondergleichen wäre ihm zuteil geworden. Mag sein, daß er meinte, nach solchen Siegen endlich von sich überzeugen zu können.Vielleicht dachte er auch daran, daß in seiner Abwesenheit Unruhen in Italien entstünden, durch deren Behebung er sich dann als Retter präsentieren konnte. Wie dem auch sei: Wenn ihm der Partherfeldzug innenpolitisch zugutekommen sollte, so ergibt sich auch daraus, daß er direkt mit der innenpolitischen Problematik nicht fertig wurde. Das ist der entscheidende Punkt. Die Mörder, denen er an den Iden des März zum Opfer fiel, waren es also offensichtlich nicht, die ihn daran gehindert haben, Rom eine neue Ordnung zu geben. Was auch immer er gewollt hat, wenn er je der Lösung nahe gewesen sein sollte, so hat er sich mit der Zeit davon nur immer weiter entfernt.

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6. DIE MÖGLICH KEITEN UND DIE GRENZEN CAESARS

»w e n n j e n e r m i t e i n e m sol ch e n ge ist den Ausweg nicht fand, wer wird ihn jetzt finden?«, hat Caesars kluger Freund Gaius Matius kurz nach dessen Ermordung gefragt. Er formulierte damit eine Erwartung nicht nur von Zeitgenossen, sondern auch moderner Historiker: daß damals ein Mann den Weg aus den inneren Schwierigkeiten Roms hätte weisen können. Und für ihn wie für viele andere nach ihm hätte Caesar mit seinem ingenium, mit seiner Größe es am ehesten gekonnt. Das eine wie das andere ist aber eben höchst fraglich. Die für viele faszinierende Größe Caesars war, wie sich zeigt, Stärke und Schwäche zugleich. Beides erwuchs aus derselben Wurzel. Denn solche Größe ist auch ein Produkt von Geschichte. Sie keimt nicht einfach aus großen Anlagen; man sollte im Gegenteil annehmen, Menschen mit solchen Anlagen würden öfter und zu allen Zeiten geboren. »Nicht jede Zeit findet ihren großen Mann und nicht jede Fähigkeit findet ihre Zeit. Vielleicht sind jetzt sehr große Männer vorhanden für Dinge, die nicht vorhanden sind«, hat Jacob Burckhardt bemerkt. Was Caesar so groß werden ließ, war die umfassende Frei103

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heit und Gelegenheit, seine außerordentlich reiche, starke Begabung in ihrer ganzen Fülle und in besonders glanzvoller Weise zu entfalten. Damit das möglich war, mußte sehr vieles zusammenkommen: Daß im kleinen Kreis der römischen Nobilität ein Mann aufwuchs, der das Zeug hatte, eine welthistorisch seltene Situation voll auszuschöpfen. Die Republik, die ein Weltreich regierte, befand sich in einem Prozeß der Desintegration. Wer innerhalb der herrschenden Schicht das Zeug und Gelegenheit dazu hatte, konnte sich gegen all ihre Zwänge und Borniertheiten glanzvoll absetzen, seinen Aufstieg machen und sich und seine Fähigkeiten relativ frei entfalten. Die Macht lag auf der Straße. Caesar stand im rechten Moment bereit, um gute Teile davon aufzulesen. Es folgte die Bewährung als Feldherr und Eroberer in Gallien. Er behauptete sich, wurde mächtig, geriet in solchen Widerspruch zum Senatsadel, daß er sich nur retten konnte, indem er einen Bürgerkrieg anfing. Schließlich wurde er Herr des römischen Imperiums. Der Modus dieses Aufstiegs und diese Ausbildung einer großen Persönlichkeit aber waren bestimmt durch die Situation einer Krise ohne Alternative. Es gab keine Sache, der er sich hätte verbinden, in deren Dienst er sich hätte stellen können. So wurde es Caesar möglich und wurde er dazu gelenkt, dem alten griechisch-aristokratischen Ideal der Aristie – Erster zu sein und hervorzuragen vor allen – nachzustreben, freilich auf römische Weise, das heißt durch politische und militärische Leistung. Seine Größe wurde vollkommen erst in der Unabhängigkeit, dank des durch und durch autonomen Willens, der Fremdheit gegenüber der gesamten Bürgerschaft, in der er gleichsam über alle hinauswuchs. Seine persönliche Sache bot zugleich Ansporn zu seinem ganz ungewöhnlichen Verhalten als Sieger. Nicht zu vergessen auch, daß man in Rom damals das Ideal der humanitas ausbildete, der feinen Bildung, die Caesar in seiner geschliffenen Sprache und der Eleganz von Ausdruck und Umgangsform wie wenige zu kultivieren vermochte. Unter anderem legen seine Bücher über den Gallischen und über den Bürgerkrieg Zeugnis davon ab. 104

d i e mö gl i c h kei te n und di e g re nz e n ca e sar s

Es gab, aufs Ganze gesehen, wohl wenige Situationen in der Weltgeschichte, in denen sich ein Mann von Caesars Voraussetzungen so großartig und in vielem auch so liebenswert entfalten konnte. Eben mit dieser Situation aber waren zugleich dem Wirken eines solchen Mannes Grenzen gesetzt. Die Krise, die ihn so groß werden ließ, versagte ihm die Möglichkeit der direkten Einwirkung auf sie im Sinne einer politischen Neuordnung. Insofern war Caesar mächtig und ohnmächtig zugleich. Er hatte alles, um seinen Willen von Fall zu Fall durchzusetzen, aber nichts, woran er für eine irgend befriedigende Neuordnung hätte anknüpfen können. Es gab eben noch nicht die Macht, die sich zu einer Alternative hätte gruppieren lassen können. Die strukturellen Grundbedingungen waren im Positiven kaum anders als vor 49. So wie er damals – aufgrund eben dieser Bedingungen – seine Maßstäbe ganz in sich und seinen persönlichen Leistungen gefunden hatte, blieb es auch weiterhin. Wenn er nicht gemeint hätte, durch überragende Leistungen und Leistungsfähigkeit von sich zu überzeugen, ist schwer zu sehen, wie er es sonst hätte tun können. Umgekehrt kann man es nicht Kurzsichtigkeit oder Borniertheit nennen, wenn zahlreiche Senatoren sich von ihm im Hinblick auf die politische Neuordnung nicht überzeugen ließen. Sie waren nur befangen in einer Wirklichkeit, die in Rom durchaus noch vorherrschte. Wenn dies richtig ist, so hätte auch kein anderer außer Caesar damals einen direkten Ausweg aus der Krise eröffnen können. Das Problem war einfach für den direkten Zugriff politischen Handelns noch zu groß. Der Machtbedarf für eine gründliche Neuorientierung des Gemeinwesens war noch nicht zu erfüllen. Die in der Forschung verschiedentlich gestellte Frage nach Caesars letzten Absichten ist vermutlich ziemlich irrelevant. Das eigentliche Problem liegt darin, daß es an Ansatzpunkten fehlte, Macht über die Verhältnisse zu gewinnen. Diese Konstellation änderte sich erst, als knapp 15 weitere Jahre Bürgerkrieg nach Caesars Tod ins Land gegangen waren. Damit war das Geschehen aufreibend, einschneidend, zermür105

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bend genug geworden, daß eine allgemeine Bereitschaft heranwuchs, eine Monarchie zu ertragen, vielleicht gar zu wollen, wenn sie nur für Ordnung und Recht sorgte. 20 Jahre nach dem Übergang über den Rubicon war der Adel ausgeblutet, waren die Angehörigen der im Bürgerkrieg herangewachsenen Jahrgänge groß und alle zusammen genügend weichgeklopft, um die allgemeinen Erwartungen zu reduzieren respektive neu zu orientieren. Außerdem hatte einer der Bürgerkriegsführer es vermocht, in seiner näheren und weiteren Anhängerschaft den Kern einer Sache, einer Alternative heranzubilden, die an allgemeine Wünsche und Interessen anknüpfen konnte.Von daher ließ sich endlich der Machtbedarf des Gemeinwesens erfüllen. Dadurch wurde der Erfolg des Augustus möglich. Caesar hat dies wie im Negativen, durch die Beschleunigung des Niedergangs, so auch im Positiven vorbereitet. Denn es bleibt wohl seine wichtigste positive Nachwirkung, daß er seinen Großneffen Octavius im Testament adoptiert hat. Das war aristokratisch gedacht gewesen, nicht monarchisch. Aber durch eine Ironie der Geschichte führte es dazu, daß der junge Mann, der sich dann Gaius Julius Caesar Divi filius nannte, in die Lage kam, Caesars Veteranen für sich zu gewinnen. Er war dann nicht nur der gerissenste, grausamste, klügste sowie lernfähigste Bürgerkriegsführer, sondern auch der so harte wie vorsichtige, so geduldige wie entschiedene Einrichter der Monarchie, dem es gelang, den Wandel zum Gegenstand von Politik zu machen, der unter dem Namen Augustus in die Weihnachtsgeschichte gekommen ist und dessen von seinem Adoptivvater ererbter Name Caesar dann der Titel der Kaiser und Zaren wurde. Zu Caesars Größe hatte immer das Glück gehört; das äußert sich zunächst in seinen Taten, in denen er noch uns als groß erscheint, und für spätere Zeiten in seiner Ermordung, durch die es möglich ist, die Schuld an seinem Scheitern den Mördern zuzuschieben, schließlich in seinem Großneffen, der den Namen Caesar zu Ehren brachte (sich freilich später nur mehr wenig auf seinen Adoptivvater selbst bezog). Damit beginnt die Geschichte von Caesars Ruhm. 106

B. CICERO. DAS ERFOLGREICHE SCHEITERN DES NEULINGS IN DER ALTEN REPUBLIK

1. DAS PROBLEM: CICERO UND DIE RES PUBLICA

des 5. Dezember 63 v. Chr. ließ der Consul Cicero im Mamertinum, dem Gefängnis am Fuß des Capitols, die fünf führenden Catilinarier erdrosseln. Angestachelt durch Lucius Sergius Catilina hatten sie sich mitsamt einer Reihe weiterer Herren, zumal aus dem Adel, zusammengetan, möglicherweise auch verschworen, um die Herrschaft in Rom an sich zu reißen. Die monatelangen Konspirationen waren dem Consul nicht verborgen geblieben. Er hatte den Senat deswegen veranlaßt, das senatus consultum ultimum zu beschließen: Die Consuln sollten zusehen, so lautete es, daß die res publica keinen Schaden nehme. Praktisch war damit, gemäß früheren Vorbildern, gesagt, daß sie zur Not ohne Rücksicht auf gesetzliche Schranken alles zum Schutz der res publica Notwendige tun sollten. Aber Cicero hatte die Verschworenen trotz gespanntester Aufmerksamkeit zunächst nicht überführen können. Endlich jedoch, am 3. Dezember, hatte man Briefe von ihnen abgefangen, in denen die Absicht zum Umsturz handgreiflich war. Man hatte sie sofort vor den Senat geführt, und der hatte beschlossen, sie bei fünf seiner Mitglieder in Haft zu setzen. Zwei Tage später legte der Consul dem Senat die Frage vor, was mit ihnen geschehen sollte. a m f rü h e n a be n d

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Es entspann sich eine heftige Debatte. Die Senatoren äußerten sich, wie üblich in der Reihenfolge, in der sie in der Senatsliste aufgeführt waren, wobei die Magistrate für das nächste Jahr, sobald sie gewählt waren, zunächst befragt wurden. Zuerst also erhielten die neu gewählten Consuln, dann die ehemaligen Consuln, die Consulare, das Wort, anschließend die Angehörigen der nächsten Ränge (denn der Senat war entsprechend der Rangfolge der je zuletzt bekleideten Ämter gegliedert); innerhalb der Rangklassen verfuhr man nach Anciennität. Den Stimmen der Consulare kam in wichtigen Fragen normalerweise hohe Autorität zu. Gleich der erste schlug die Hinrichtung der fünf Herren vor. Und einer nach dem andern scheinen sich ihm die nächsten angeschlossen zu haben, bis Caesar als designierter Praetor am Anfang der zweiten Rangklasse zu Wort kam. Er muß eine höchst eindrucksvolle Rede gehalten haben. Sein Antrag lautete auf lebenslängliche Haft. Als darauf die nächsten zumindest weit überwiegend ihm beistimmten, als gar einer den Antrag stellte, man solle den Beschluß verschieben, intervenierte der Consul Cicero mit einer Rede, die so, wie er sie drei Jahre später veröffentlichte, voller Entschiedenheit ist.Was er jedoch damals sagte, war weniger klar. Nicht einmal sein Bruder verstand so recht, worauf er hinaus wollte. In der anschließend von vorne begonnenen Umfrage erklärte dann auch gleich der erste, unter »äußerster Strafe« – so hatte er formuliert – habe er natürlich ebenfalls lebenslange Haft gemeint. Und fast alle aus der obersten Rangklasse schlossen sich ihm an. Es blieb einem Hinterbänkler, dem jungen Marcus Porcius Cato vorbehalten, den Senat zur Ordnung zu rufen, und zwar derart überzeugend, daß viele noch einmal ihre Meinung änderten. So wurde endlich der Tod der fünf Herren beschlossen. Consul Cicero ließ sie aus ihrem jeweiligen Gewahrsam in das Gefängnis führen. Die Stadt war wie im Fieber. Es hatte Gerüchte gegeben, wonach in den Vierteln der Handwerker und armen Leute für eine gewaltsame Befreiung der Gefangenen geworben wurde. 110

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Cicero hatte auf dem Forum Wachen aufstellen lassen. Jetzt begab er sich, von vornehmen Senatoren wie von einer Leibwache umringt, auf den Palatin, um den prominentesten der Catilinarier herbeizuführen. Andere brachen auf, um die vier anderen abzuholen. »Das Volk« – und viele müssen in der aufgeregten Atmosphäre auf den Straßen zusammengelaufen sein – sah, wie Plutarch berichtet, mit Schaudern zu. Es ließ die Züge schweigend passieren. Vor allem die Jungen hätten betroffen dreingeschaut. Es sei ihnen zumute gewesen, wie wenn sie mit Furcht und Entsetzen in die Mysterien aristokratischer Machtvollkommenheit eingeweiht würden. Eine nach der anderen trafen die fünf Gruppen, die gefangenen Verschwörer inmitten ihrer hochmögenden Begleiter, auf dem Forum ein und steuerten auf das Mamertinum zu. Dort übergab der Consul die Gefangenen dem Scharfrichter. Sie wurden sofort hingerichtet. Cicero verkündete auf dem Forum: »Sie haben gelebt« (vixerunt). Es war ein bemerkenswerter Erfolg des Senats, der erste seit den Bürgerkriegen der achtziger Jahre. Man hatte ein Exempel statuiert, und mindestens kurzfristig erfüllten sich die Erwartungen derer, die die Todesstrafe verfochten hatten: Die Verschwörung in der Stadt war erledigt. Catilina selbst, der mit einem aufständischen Kontingent in der Toscana stand, erhielt keinen Zulauf mehr. Es war nicht schwer, ihn zu besiegen. Übrigens könnte es sein, daß Cicero selbst nicht wenig dazu beigetragen hat, daß vage Pläne Catilinas und seiner Freunde sich zu dem konkretisierten, was dann die catilinarische Verschwörung genannt wurde. Seine zuvor wiederholt vorgetragenen Anschuldigungen könnten Catilina erst so recht dazu getrieben haben, Ernst zu machen. Als sich Cicero am Abend des 5. Dezembers nach Hause begab, hatte sich die Spannung gelöst. Er wurde überall mit Beifall begrüßt und als »Retter des Vaterlands« gefeiert. Die Gassen waren, wie uns berichtet wird, »hell von den Lampen und Fakkeln, die sie an den Türen anbrachten, Frauen reihten sich an den Fenstern der Obergeschosse, um den Mann zu ehren und zu sehen, der da im Geleit der Edelsten in Glanz und Würde 111

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emporstieg«. Der Senat hatte ihm schon vorher ein Dankfest beschlossen, wie es das bis dahin nur für militärische Siege gegeben hatte. Quintus Lutatius Catulus, der Angesehenste der Senatoren, hatte Cicero schon gleich nach der Verhaftung der Fünf »Vater des Vaterlandes« genannt. Es war der Höhepunkt seines Lebens. Doch dauerte es nur wenige Tage, bis eine heftige Agitation gegen ihn einsetzte. Sie sollte das Präludium sein für eine lange Geschichte voller Belastungen, Verwicklungen, Entwürdigungen. Man machte gegen ihn geltend, er habe das wichtigste Freiheitsrecht der Römer verletzt, das Recht, daß kein römischer Bürger ohne Gerichtsurteil getötet werden durfte. Wie es damit stand, ist ein unlösbares Problem. Der Anspruch des Senats, der im »äußersten Senatsbeschluß« impliziert war, daß die Consuln nämlich im Notfall über dieses Recht hinweggehen sollten, war mehr oder weniger anerkannt. Vielleicht sagt man besser: Er wurde hingenommen. 120 v. Chr., nachdem der Notstandsbeschluß zum ersten Mal gegen Gaius Gracchus gefaßt und exekutiert worden war, hatte es deswegen noch eine Anklage gegeben, die allerdings mit einem Freispruch endete. Übrigens hatte auch Caesar in seiner Rede vom 5. Dezember den senatorischen Anspruch nicht bestritten. Doch könnte man sich fragen, ob im Jahre 63 nicht, nachdem die Catilinarier dingfest gemacht worden waren, ein Gerichtsverfahren geboten gewesen wäre. Andererseits hätte man einwenden können, die Gefahr eines Aufstands sei damit nicht gebannt gewesen. Aber wie dem allem auch sei, für diejenigen, die in öffentlicher Agitation die Sache des Volkes zu verfechten pflegten, war die Behauptung, Cicero und der Senat hätten das wichtigste Freiheitsrecht der römischen Bürger verletzt, ein gefundenes Fressen. Die Frage war nur, wie sie es nutzen konnten. Die Vorwürfe der Volkstribunen gehörten in den Zusammenhang einer sehr merkwürdigen Konstellation zwischen Senat und Volksversammlung, welche letztlich auf die Anfänge der Republik zurückging, seit dem Tribunat des Tiberius Gracchus (133) aber neuerdings virulent geworden war. Die Republik wurde seit ihren Anfängen vom Senat regiert. 112

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Sein Regime war wohlbegründet. So gut, daß Teile des Volkes, die sogenannte Plebs, als sie in früher Zeit gegen ihn aufstanden, vermutlich nicht mal daran denken konnten, ihn zu stürzen. Sie begnügten sich mit dem Recht, in eigenen Versammlungen zusammenzutreten und Volkstribunen zu wählen. Diese Institutionen wurden mit der Zeit aufs beste in das Ganze integriert. Wo immer Plebejer in ihren Rechten verletzt wurden, kamen die Tribunen ihnen zu Hilfe, sie »interzedierten«, das heißt erhoben Einspruch – was sich schließlich zu einer Art Veto steigerte. Darüber hinaus konnte die Volksversammlung Resolutionen fassen, welche später Gesetzeskraft erhielten. Daraus resultierte eine gewisse Kontrolle, zugleich konnten die plebejischen Volksversammlungen in zugespitzten Situationen als Ventil wirken. Das Senatsregime blieb also in Kraft, doch war es – zu seinem Vorteil – zu gewissen Rücksichten genötigt. Dies aber funktionierte nur so lange gut, bis größere Probleme auftauchten und bis ein Volkstribun bereit war, es damit aufzunehmen. Ja vielleicht wäre auch das noch nicht wirklich schwierig geworden, wenn der Senat nicht darauf in einer Weise reagiert hätte, die den Grundvoraussetzungen der römischen Ordnung widersprach. Tiberius Sempronius Gracchus war ein stolzer, empfindlicher, wohl auch reizbarer Mann aus bester Familie, den der Senat in seiner Ehre tief verletzt hatte. So war er frei, vielleicht gar disponiert dazu, es mit einem Mißstand aufzunehmen, der schon seit einiger Zeit um sich gegriffen hatte, der Not der römischen Bauern nämlich, die nicht zuletzt aufgrund der langen, verlustreichen und beutearmen Kriege der vorangehenden Jahre ihre Höfe verloren hatten. Sie sollten neues Land bekommen, aus öffentlichem Eigentum, indes aus Gütern, die von Angehörigen der Oberschicht zwei Generationen zuvor in Besitz genommen waren, weil sie nach dem zweiten Punischen Krieg brachlagen. Es gab also Widerstand. Ein College legte sein Veto ein. Insofern hielt sich alles noch in der herkömmlichen Ordnung. Nur – der College beharrte auf dem Veto, obwohl in der Volksversammlung sehr starke Kräfte auf Annahme des gracchischen Antrags 113

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drängten. Womit er seine Vollmachten verabsolutierte, abweichend von grundlegenden Voraussetzungen der römischen Ordnung. In offensichtlichem Widerspruch gegen die Kräfteverhältnisse (respektive ohne diese umkehren zu können) pflegte man in Rom nicht zu handeln. Gracchus ließ ihn deswegen durch das Volk absetzen. Womit er sich mindestens ebenso im Widerspruch zu den Grundsätzen der Ordnung bewegte. Und er ging im gleichen Sinne noch einen Schritt weiter: Er wollte sich für das nächste Jahr wiederwählen lassen. Worauf ein großer Kreis von Senatoren dem Ganzen die Krone aufsetzte, indem er Lynchjustiz übte. Gracchus wurde ermordet. In die Ordnung fraß sich ein Riß ein, der ihr Schicksal keineswegs so leicht besiegelte, aber Jahrzehnte voller immer wiederkehrender schwerer Konflikte nach sich zog. Seitdem kam es stets neu dazu, daß Volkstribunen Vorhaben gegen den Senat mit Hilfe der Volksversammlung durchsetzten. Bei kleineren war das zunächst hinzunehmen, für größere Fälle entwickelte man das Instrument des senatus consultum ultimum: Gewalttätigkeiten wurden provoziert, der Notstand ausgerufen. Senat und Oberschichten rückten zusammen, um die Republik mit allen Mitteln, also gewaltsam zu verteidigen. Der Volkstribun und einige seiner Anhänger wurden umgebracht. Doch bildete sich zugleich auf Dauer eine Gegenposition aus, welche dann weitergegeben wurde: Immer wieder wurde der Senat angegriffen, beriefen sich Tribune auf die Rechte des Volkes, beschworen sie das Geschick der Gracchen. Und es scheint ein Publikum von Unzufriedenen gegeben zu haben, in dem diese »populare Politik« Anklang, vielleicht auch Auftrieb fand und an das man anknüpfen konnte, wenn man mit Hilfe der Volksversammlung etwas durchsetzen wollte. Dabei berief man sich natürlich immer von neuem auf die Freiheitsrechte der römischen Bürger. Im Normalfall war das vielleicht unbequem, aber nicht gefährlich. Anders jedoch konnte es werden, wenn es zu größeren Auseinandersetzungen kam. Und genau das drohte damals. Die Hinrichtung der Catilinarier geriet damit in einen weiteren Zu114

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sammenhang. Es stand nämlich die Rückkehr des bedeutendsten Feldherrn der Zeit aus einem Krieg im Osten des Reichs bevor, des Gnaeus Pompeius Magnus. Er hatte sein Kommando gegen den Senat durch die Volksversammlung erhalten. Hatte glänzende Erfolge erzielt. Jetzt mußte er sehen, daß er für seine Soldaten (wie es inzwischen üblich geworden war) ein Siedlungsprogramm durchsetzte und seine Verfügungen im Osten ratifiziert bekam. Die führenden Senatoren waren strikt dagegen. Er mochte also darauf angewiesen sein, sich mit Hilfe der Volksversammlung durchzusetzen. Es konnte zu größeren Auseinandersetzungen kommen; falls Gewalt angewandt wurde, vielleicht gar zu einem senatus consultum ultimum. So bestand aller Anlaß, gegen Cicero zu agitieren, also neuerdings in Frage zu stellen, daß ein Consul ungestraft Freiheitsrechte römischer Bürger verletzte.Vielleicht gar, indem man ihn vor Gericht anklagte. Schließlich spielte Ciceros Sieg über Catilina noch in einem weiteren Zusammenhang eine Rolle: in dem der Wiederbefestigung des Senatsregimes nach den Bürgerkriegen der 80er Jahre. Damals hatte Lucius Cornelius Sulla, nachdem er Rom zurückerobert hatte, die Stellung des Senats durch verschiedene Reformen zu befestigen versucht. Aber der Senat war durch starke Verluste in den Bürgerkriegen so geschwächt, und Sullas vorangegangenes Gewaltregime hatte ihn mit einer solchen Hypothek belastet, daß er Schritt für Schritt zurückweichen mußte. In den 60er Jahren begann man langsam wieder Fuß zu fassen, und die Niederschlagung der catilinarischen Verschwörung war ein großer Schritt auf diesem Wege. Sie stärkte zugleich den jungen Cato, der so sehr dazu beigetragen hatte und der von da an versuchte, mit einer konsequenten – man kann auch sagen: sturen – Politik die Position des Senats zu befestigen. Dazu hat Ciceros Erfolg beigetragen; vielleicht gar nicht wenig. So könnte er durchaus dazu geholfen haben, daß der Senat gegen Pompeius so unnachgiebig blieb, was schließlich zum Aufstieg Caesars und damit zum Ende der Republik führte. Auf diesem Hintergrund ist die Lage Ciceros seit seinem 115

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Consulat zu verstehen. Zum einen konnte er stolz auf seinen Erfolg sein. Übrigens auch darauf, daß sich die Ritter (Roms zweiter Stand) angesichts der von den Catilinariern drohenden Gefahr für ihre Vermögen (denn es ging auch um einen Schuldenerlaß) auf die Seite des Senats geschlagen hatten. Er sprach von der concordia ordinum, die er herbeigeführt habe. Daß die beiden Stände in Situationen der Zuspitzung noch jedes Mal zusammengestanden hatten, daß das eine Voraussetzung für die Ausführung des »äußersten Senatsbeschlusses« gewesen war, scheint er dabei nicht bedacht zu haben. Ihm schien das vielmehr sein Verdienst zu sein; vielleicht war sogar etwas Wahres daran. Aber falsch war jedenfalls seine Erwartung, was in der Ausnahmesituation zustandegekommen war, hätte künftig auch für die Regel zu gelten. Doch traf das ja auch für die Stellung des Senats zu. Auch die war im Moment der Gefahr stärker, als sie in der Regel hätte sein können. Cicero hat einige Illusionen daraus abgeleitet, welche bald in herbe Enttäuschungen umschlugen. Es fiel ihm schwer zu verstehen, daß sich das im Jahre 63 Erreichte nicht halten ließ; zumal er fürchtete, daß damit seine Sicherheit bedroht sei. Sein Denken sollte eben darum künftig kreisen; relativ weitgehend jedenfalls; auch deswegen, weil er immer wieder darauf festgelegt wurde: Indem in ihm die ultima ratio des Senats angegriffen wurde, mußte sie in ihm auch verteidigt werden! Und indem an der Autorität des Senats zugleich die res publica hing, war er ständig in der Versuchung, sein Geschick mit dem der Republik in eins zu setzen. Damit brachte er einen Gesichtspunkt in die Politik hinein, der diese im Normalfall nicht bestimmen konnte. Er dachte aus seiner Lage heraus immer wieder, es müsse in der Politik um die (in ihm) bedrohte Republik gehen; was es aber eben nicht tat. Denn in der Regel standen ganz andere Dinge auf der Tagesordnung, worum man sich so oder so gruppierte. So geriet dieser Mann, indem er sehr rasch zur Zielscheibe popularer Angriffe wurde, indem er, höchst sensibel wie er war, Gefahren zu befürchten fand – in eine eigentümliche Lage. Sein 116

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Consulat sollte daher der Höhe- und zugleich der Wendepunkt seiner Laufbahn werden.Was ihn mit Recht stolz machte, darunter hatte er bald zu leiden. Sein Erfolg erwies sich als Kalamität. Das eröffnete ihm zugleich besondere Perspektiven. Es setzte ihn instand, gute, treffende Urteile zu fällen. Es konnte ihn aber auch arg verblenden. Politisch hat es ihn vielfach überfordert. Aber es hat ihm, kompensierend, auch vieles erschlossen. Denn man tut vermutlich nicht gut daran, seine zahlreichen philosophischen Werke nur akademisch zu nehmen.Was er etwa in seinen über die Jahrhunderte stark fortwirkenden Schriften de re publica, de legibus und de officiis vortrug und wie er das tat, war zum nicht geringen Teil aus seiner so besonderen Situation heraus angeregt und eben damit zu deren Bewältigung gedacht. Nach Caesars Ermordung im Jahre 44 hob Marcus Brutus seinen blutigen Dolch empor und rief: Cicero! Er gratulierte ihm zur Wiederherstellung der Republik. So sehr war Cicero zuletzt zu deren bedeutendstem Verfechter, ja zu deren Verkörperung geworden. Es sollte ihm schließlich das Leben kosten, am 7. Dezember 43, fast auf den Tag genau 20 Jahre nach seinem großen Triumph über die Catilinarier. Und es hat ihm zuvor schon das Leben sehr schwer gemacht.

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2. HERKUNFT UND POLITISCHER AUFSTIEG

a) 106–81 v. Chr. m a rcus t u l l i us cice ro war homo novus im strengen Sinne des Wortes. Denn es gab einerseits Neulinge, deren Vorfahren schon im Senat gewesen, aber nicht zum obersten Rang gelangt, nicht also Consul geworden waren. Die waren es im weiteren Sinne. Im engeren war es der, der nicht aus senatorischer Familie stammte und gleichwohl die Ämterlaufbahn bis zur obersten Stufe, dem Consulat zu durchlaufen vermochte. Schon das war äußerst selten. Nur wenigen ist es geglückt. Und Cicero schaffte es obendrein suo anno, also zum frühest möglichen Zeitpunkt; sobald er nämlich alt genug war, um für die einzelnen Ämter (für welche Altersgrenzen festgesetzt waren) zu kandidieren. Eben das war im damaligen Rom Gegenstand mächtigen Ehrgeizes. Es bedeutete viel. Ciceros politischer Aufstieg war schwer erarbeitet, bei der Bewerbung um das Consulat allerdings wohl auch von der Situation begünstigt. Der Vater war Ritter, also Angehöriger des zweiten, ebenfalls regimentsfähigen Standes. Die Mutter stammte aus senatorischer Familie. Von beiden Seiten her gab es enge Beziehungen zu Senatskreisen.

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Die Eltern lebten in Arpinum, einer kleinen Landstadt 100 Kilometer östlich von Rom. Sie war seit dem Ende des 4. Jahrhunderts dem Herrschaftsbereich der Stadt angegliedert; seit 188 besaßen ihre Bürger das volle römische Bürgerrecht. Dort wurde Cicero am 3. Januar 106 v. Chr. geboren. Im Jahre davor, 107, war ein anderer Sohn der Stadt, auch er ein homo novus, der berühmte Feldherr Gaius Marius, Consul gewesen. Cicero erfuhr in Rom eine sehr gründliche rhetorische und juristische Ausbildung. Das geschah zum Teil in den Häusern zweier prominenter rechtskundiger Consulare. Zusammen mit mehreren sehr vornehmen jungen Herren konnte er, gemäß dem Brauch, zuhören, wenn sie ihre Rechtsauskünfte gaben und begründeten. In diesem Kreis muß er zugleich mit der römischen Politik in erste enge Berührung gekommen sein. Rom machte damals eine sehr schwere Zeit durch. 91 begann der Krieg mit den italischen Bundesgenossen, einer großen Zahl unter jenen Städten, die seit langem zur Heeresfolge verpflichtet waren, deren Bürger aber das römische Bürgerrecht nicht besaßen. Verschiedentlich hatte Rom sein Bürgerrecht an verbündete Städte, auch an frühere Feinde, verliehen; doch war das seit einiger Zeit schon unterblieben. Nun gab es viele, die vergeblich darauf warteten. Sie hatten guten Grund, es zu fordern. Als aber entsprechende Anträge in Rom gescheitert waren und sie offen dafür zu Felde zogen, schoben sich bei einigen von ihnen heftige antirömische Ressentiments in den Vordergrund, die den Kampfeswillen einiger Stämme stark anstachelten. Schwere Kämpfe schlossen sich an. Als Rom bereit war, nach und nach sein Bürgerrecht zu verleihen, entbrannte ein Streit darum, wie die schließlich ins römische Bürgerrecht aufgenommenen Italiker auf die römischen Wahlbezirke verteilt werden sollten. Davon mußte abhängen, welches Gewicht sie künftig in der römischen Politik besaßen. Die Senatsmehrheit tendierte dazu, ihren künftigen Einfluß zu beschränken. Einzelne Adlige dagegen sahen hier eine Chance, im Bunde mit den neuen Bürgern mächtig zu werden. Damals war es, daß der Consul Sulla mit einer Armee nach Rom marschierte und die Stadt besetzte. 119

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Erstmals überschritt damit, allem Brauch zuwider, eine bewaffnete römische Truppe die geheiligte Stadtgrenze und wurde sie in der Innenpolitik eingesetzt. Als Sulla bald darauf in den Osten ging, um den König Mithridates zu bekämpfen, brach Bürgerkrieg aus. Eine Gruppe von Herren um Marius und Cinna, den Consuln von 87, gewann die Herrschaft in der Stadt. Jahre später kehrte Sulla nach Italien zurück, und der Bürgerkrieg begann von neuem, nur heftiger und länger, entsprechend der Größe der Kontingente, die beide Seiten einzusetzen hatten. Schließlich siegte Sulla und mit ihm die Sache der Nobilität, des obersten Senatsadels, die er auf seine Fahnen geschrieben hatte. Erst ganz zuletzt, als der offene Kampf nicht mehr zu vermeiden war, schlugen sich viele Angehörige dieses höchsten Adels auf seine Seite. Aber auch dann tat er nicht unbedingt das, was sie wollten, sondern das, wovon er meinte, daß es im Sinne des Senatsregimes wäre. Das begann mit der Niedermetzelung Tausender Gefangener und mit den Proscriptionen, aufgrund derer 40 Senatoren und 1600 Ritter zur Ermordung freigegeben wurden. Danach wurde die öffentliche Ordnung zum Teil neu organisiert, im Sinne einer konsequenten Befestigung des Senatsregimes. Cicero hatte zunächst die Politik, soweit sie noch auf dem Forum oder im Senat, in zum Teil großen rhetorischen Kämpfen, ausgetragen wurde, aufmerksam beobachtet. Seit Sullas erstem Marsch auf Rom oder wenigstens seit der Eroberung der Stadt durch die Gegenpartei hat er dann aber relativ zurückgezogen gelebt. Verschiedene der großen Redner wurden damals umgebracht, zuletzt sein Lehrer, der greise Quintus Mucius Scaevola, der den Rang des obersten Priesters, des Pontifex Maximus bekleidete. Da war es besser, sich auf rhetorische, juristische und besonders auch philosophische Studien zu konzentrieren. Er hatte offensichtlich vor, sich als Prozeßredner einen Namen zu machen, möglichst aber wohl auch mit Hilfe der vielen dadurch zu knüpfenden Beziehungen die politische Laufbahn einzuschlagen. Seit alters hatten Angehörige der Landstädte das immer wie120

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der getan. Der Senat ergänzte sich von dort. Da sie von außen in den illustren, stolzen Stand eintraten, waren sie in der Regel voller Respekt, sie hingen der alten Ordnung mit frischem Elan an. Sie litten oft aber auch, zumal wenn sie bis ins Consulat vordringen wollten, unter dem Hochmut der angesehenen Adelsgeschlechter. Den konnte man, wie einst der alte Cato, ebenfalls ein homo novus, schließlich besiegen. Man konnte aber auch so davon verletzt werden, daß man sich in einen von Ressentiments erfüllten Gegensatz zum Adel bringen ließ wie Marius. Cicero stand natürlich auch den führenden Adligen fremd und verletzlich gegenüber, blieb aber innerlich so abhängig von ihnen, daß sich für ihn ein Gegensatz nicht ergeben konnte. Das war eine Sache seines Charakters, der Art seines Aufstiegs (er hatte weder Catos Robustheit noch konnte er militärische Leistungen wie Marius aufweisen), aber es hing auch mit der Zeit zusammen, in die er hineinwuchs. Denn in der römischen Politik war inzwischen die Aufgabenhaltigkeit im Vergleich zur Interessenhaltigkeit so weit zurückgetreten, daß sich kaum mehr Chancen zur Bewährung an allgemeinen Aufgaben, etwa der Politik und der Kriegführung (und zur Anerkennung dafür) boten. Man war mehr auf das Knüpfen einer Unzahl von Beziehungen angewiesen. Das brachte einen nicht unbedingt in die Mitte der Politik, schuf aber viel Anhang. Ciceros spezifische Art der Behauptung gegen den Hochmut des Adels war außer durch rhetorische Leistung besonders durch Philosophie, mit der Zeit auch durch das weder sehr realistische noch so recht brückenschlagende Bewußtsein überlegener politischer Einsicht akzentuiert. Er baute einen intellektuellen – oder soll man sagen: seelischen? – Innenraum aus, in dem er sich gegen alle möglichen Anfechtungen der Realität abschirmte. Der war massiv genug, um seine Wahrnehmung von praktisch-politischer Realität ein kritisches Stück weit zu begrenzen. Aber er war auch zentral und weit genug, um ihn manche Realitäten wahrnehmen zu lassen, die den stärker in der praktischen Politik (und im Herkommen) Befangenen kaum deutlich wurden. Angesichts der Widerstände, der Schwierigkeiten, der Ab121

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lehnung, auf die sie bei den Adligen stießen, konnten die homines novi sich kaum damit begnügen, es denen gleichzutun. Ihr Ehrgeiz mußte höher zielen. Sie pflegten daher besondere Ansprüche an sich selbst zu stellen: Die Art der Vorfahren besser zu verkörpern als deren privilegierte Nachkommen. Das mußte in der Situation Ciceros leicht einen besonderen Akzent erhalten. Denn wenn die Verkörperung altrömischer Art immer wichtig und notwendig gewesen war, so mußte sie es in der späten Republik um so mehr sein, als man von ihr am ehesten die Lösung der Krise erwartete. Da die institutionellen Mängel und das krasse Mißverhältnis zwischen Institutionen und Aufgaben nicht zu durchschauen waren, verfiel man in Rom am ehesten auf die Antwort, die Krise sei aus moralischen Defiziten hervorgegangen, folglich durch deren Behebung zu bekämpfen. Man verwechselte Symptome mit Ursachen. Doch mochte Cicero die Hoffnung hegen, es besonders gut zu machen. Später hat er von sich gesagt, er habe sich von Jugend an die schon bei Homer formulierte aristokratische Devise zu eigen gemacht: »Erster zu sein und hervorzuragen vor allen«. Ob daraus zu entnehmen ist, daß er schon frühzeitig hoffte, bis ins Consulat zu gelangen, ist eine müßige Frage. Die unterste Stufe der römischen Ämterstaffel, die Quaestur, hatte zwanzig Stellen, die nächste, die man auf zwei Wegen zu nehmen pflegte (Aedilität oder Volkstribunat), vierzehn, die Praetur dann acht und das Consulat zwei im Jahr. Schon bis zur Praetur mußte der Weg steinig genug sein, das Consulat fast unerreichbar erscheinen. Überdies betrachtete der engere Kreis der Nobilität (eben der Nachfahren von Consuln) das Amt praktisch als seine Domäne. Jedenfalls aber drängte Cicero sein rhetorisches Können, vielleicht auch sein philosophisches Ideal zur Bewährung auf dem Forum. Und er wollte politisch so hoch kommen, wie es möglich war.

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b) Die Konditionen der politischen Laufbahn

Das »Bindungswesen«, das die Konditionen des politischen Aufstiegs im damaligen Rom weitgehend bedingte, war die modifizierte Form des alten Clientelwesens. Die römische Bürgerschaft war in der Frühzeit dadurch charakterisiert gewesen, daß sich weiteste Teile der Mittel- und Unterschichten in der Clientel der aristokratischen Geschlechter befanden. Sie waren angewiesen auf Schutz und Vertretung durch ihre adligen Patrone, genau wie diese auf die Unterstützung durch jene rechnen konnten. Und dieses System gegenseitiger Verpflichtung pflanzte sich fort und erweiterte sich mit dem Wachsen des römischen Herrschaftsbereichs und den dazu parallelen Veränderungen der römischen Bürgerschaft. Neu in die Bürgerschaft aufgenommene Männer, die führenden Kreise der immer zahlreicher werdenden verbündeten und/oder dem Herrschaftsbereich eingegliederten Städte fanden durch Gastfreunde, Patrone und sonstwie ihnen verbundene Adlige ihren Zugang zum Senat, zu den Magistraten, gegebenenfalls ihre Vertretung vor Gericht. Umgekehrt erhielten Senat und Magistrate vermittels dieser Bindungen auch zahlreiche Informationen und Einwirkungsmöglichkeiten, waren sie nahezu verwoben in alle Angelegenheiten. Obwohl es mit der Zeit möglich wurde, daß etwa Geschäftsleute, Staatspächter ihre gemeinsamen Interessen auch gemeinsam verfochten, waren auch sie in der Regel weiterhin auf die personalen Vertretungsformen angewiesen. Allerdings trat neben die einfache Bindung zwischen Client und Patron mehr und mehr die Konkurrenz vieler in verschiedene Richtungen verlaufender Beziehungen, und es lockerte sich zugleich die Abhängigkeit von den Adelsgeschlechtern auch dadurch, daß etwa die zahlreichen wohlhabenden Ritter, die ihrerseits über viel Einfluß verfügten, den Adligen weniger als Clienten denn als Freunde begegneten. Schließlich wurde mit dem Wachstum der Bürgerschaft der Kreis derer, über die ein Adliger oder ein Geschlecht mehr oder weniger gebieten konnte, relativ 123

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immer kleiner. So gerieten die Verpflichtungen insgesamt unter ein anderes Vorzeichen. Die Adligen hatten dank traditionellen Ansehens wie dank der Tatsache, daß sie sehr viele Beziehungen unterhielten und ungemein vieles vermitteln konnten, die zentralen politischen Positionen inne. In aller Regel blieb die Politik mit Selbstverständlichkeit personal strukturiert. Aber die Einzelnen hatten mehr dafür zu arbeiten, ihr Einfluß verstand sich weniger von selbst. Dabei ergab sich eine gewisse Arbeitsteilung zwischen den Generationen, indem der Hauptteil der Mühewaltung den Jüngeren zufiel, denen, die sich noch vor oder auf den unteren Stufen der römischen Ämterleiter befanden und ihren Aufstieg bewerkstelligen mußten. Der Platz, an dem ihnen ihre Mühe vergolten wurde, war das Marsfeld, wo vor den Toren Roms die Wahlen zu den höheren Magistraten abgehalten wurden. Wer einem Kandidaten irgendwie verpflichtet war, hatte zu kommen (vielfach auch anzureisen), wenn der kandidierte, und für ihn eine seiner Stimmen abzugeben. Eben dadurch begründete er – vermittels des verpflichtenden Charakters aller Leistungen – den Anspruch auf weitere Unterstützung durch den Gewählten. In diesen Wahlen hatten die Adligen durch ererbte Anhängerschaften, ihren Namen, ihr Auftreten einen großen Vorsprung vor allen anderen. Wollte ein Neuling es mit ihnen aufnehmen, so mußte er versuchen, durch großen Eifer und Können möglichst viele möglichst einflußreiche Bürger zu gewinnen. In der späten Republik legten zudem manche ein Schwergewicht ihrer Wahlwerbung in die Ausrichtung prächtiger Spiele. Cicero konnte da, schon finanziell, nicht mithalten, wenn er es denn überhaupt gewollt hätte. So blieb nur der Weg, sich möglichst vieler Bürger vor Gericht – oder dann auch vor dem Senat – anzunehmen. Er beschritt ihn nicht nur mit großem persönlichen Einsatz, sondern entfaltete bald eine solche rhetorische Meisterschaft, daß einflußreiche Herren ihn baten, die Sache ihrer Clienten zu übernehmen. Dabei verpflichtete er sich die einen wie die anderen. Darüber hinaus war er unermüdlich damit

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beschäftigt, möglichst viele angesehene Bürger kennenzulernen und ihnen in jeder Weise entgegenzukommen. Unzählige Hände mußten geschüttelt werden, damit auf genügend vielen Stimmtäfelchen der Name eines Kandidaten erschien. Viele empfanden das als unwürdig. Aber dieser Tribut war zu erbringen, wenn man am Ende vielleicht gar das Consulat und anschließend die dignitas, also die Ehre, den Rang, das Ansehen des gewesenen Consuls, des Consulars, und damit eines der führenden Senatoren einnehmen wollte. Es gehörte zu den Eigentümlichkeiten der römischen Republik, daß in den Wahlen nur Magistrate bestellt wurden. Zur Zusammensetzung der höchsten Körperschaft, des Senats, trug das nur indirekt und partiell bei, indem die Magistrate nach ihrem Amtsjahr in den Senat gelangten oder, wenn sie dort schon waren, mit jedem neuen Amt in eine höhere Rangklasse gelangten. So ergänzte sich der Senat und bestimmte sich der Rang in ihm zwar nach und nach aufgrund des Wählervotums, nie aber repräsentierte sich in seiner Zusammensetzung ein jeweiliger Wille der Wählerschaft. Die Wähler hatten nur eben, in von Jahr zu Jahr anderer Zusammensetzung, die Gelegenheit, dazu beizutragen, daß ihre Freunde und Patrone gewählt wurden. Nur selten stand jemand zur Wahl, der für eine besondere Politik eintrat. Für größere, eher sachliche Forderungen mußten andere Wege, zumal der über die gesetzgebende Volksversammlung, gegangen werden. Es kam selten genug vor. Nur ausnahmsweise wirkte sich in den Wahlen ein irgendwie geschlossener, stärkerer Wille der Bürgerschaft aus. Entsprechend gab es keine Parteien und auch keine gegenstandsunabhängigen, quer durch die Politik wirksamen adligen Faktionsbildungen, mit deren Hilfe der Einzelne seinen Aufstieg hätte machen können. Daher war es nicht die Bewährung an der Sache von Parteien oder Faktionen, durch die er hochkam. So entsprach es altem Brauch, auch der besonderen Stellung der Adligen. Es entsprach aber auch der damaligen politischen Thematik, die in der Regel in der Behandlung unzähliger Einzelinteressen vor Senat, Magistraten oder Gericht bestand.Von einem 125

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zum andern Tagesordnungspunkt wechselten die Gruppierungen entsprechend den vielen Bindungen. Und was man in all dem galt, hing weitgehend von der Fähigkeit ab, sich für andere erfolgreich einzusetzen. Man fragt sich, ob es denn sonst nichts gab in der römischen Politik, keine Angelegenheiten, die eher das Ganze des Gemeinwesens, seine Gestaltung oder das Verhältnis größerer Gruppen in ihm betrafen. Man kann an die verschiedenen großen Auseinandersetzungen erinnern, etwa um die Wiederherstellung des von Sulla beschränkten Volkstribunats, um die großen Kommanden des Pompeius, an die Kämpfe zwischen Pompeius, Caesar und der Senatsmehrheit. Gab es da nicht doch, in welcher Form immer, größere Parteiungen und Gegensätze? Sollten sie keine Rolle bei den Wahlen, beim Aufstieg von Politikern gespielt haben? So merkwürdig es klingt: Wohl kam es immer wieder zum Austrag großer Gegensätze. Daraus gewann der Prozeß des Niedergangs der Republik einen Großteil seiner Virulenz. Aber sie waren als Gruppierungsfaktoren viel zu schwach, um das regelmäßige politische Feld in ihren Bann zu ziehen. Sie bildeten nur einen Gegenstand, eine Parteiung neben anderen. Das galt unabhängig davon, daß Pompeius, Caesar und ähnlich auch der überaus reiche Marcus Licinius Crassus auf ihre Weise sehr viel Einfluß in ihrer Hand versammelten. Aufs ganze gesehen fragt sich natürlich: Wie konnte im damaligen Rom überhaupt Politik entstehen? Was bedeutete es, daß kaum Kräfte zusammenzufassen waren, um bestimmte Probleme politisch auszutragen? Daß große und kleine Interessen sich nicht aneinander kristallisierten, sondern oft in Widerspruch geraten mochten? Wie verhielt sich diese Art der Gruppierung zu der Krise der späten Republik? Aber zunächst einmal geht es hier darum, wie Cicero in diesem politischen Feld eine Position aufbauen konnte. Diese Frage muß in Hinsicht auf seine Laufbahn beantwortet werden.

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c) 81–63 v. Chr.

Cicero begann nach Sullas Sieg, während dessen Dictatur öffentlich aufzutreten, zumal in Prozessen. Gleich bei seiner ersten causa publica, einem Kriminalverfahren wegen Mordes, fand er sich vor politischen Problemen. Sextus Roscius von Ameria war angeklagt, seinen Vater ermordet zu haben. In Wirklichkeit hatte, wie Cicero es darstellt, ein anderer diesen Mord begangen, im Dienst eines Dritten. Sie hätten die Beute, die Güter des reichen Mannes mit einem einflußreichen Günstling des Dictators geteilt. Und der wiederum hatte Vater Roscius noch nachträglich auf eine der Proscriptionslisten gesetzt, jener Listen, auf denen bald nach dem Sieg die Namen derer öffentlich angeschlagen wurden, die Sulla ächten wollte. Ihre Ermordung war damit straffrei, ihr Vermögen verfiel dem Gemeinwesen (und gelangte meist an Günstlinge). Den Söhnen der Proscribierten wurde das passive Wahlrecht genommen. Aber all das scheint den Herren noch nicht genug gewesen zu sein: Sie wollten den Sohn auch noch mit dem Vatermord behaften. Die Verteidigung war heikel. Rom war noch keineswegs zu geordneten Verhältnissen zurückgekehrt. Der engere Kreis um Sulla war noch überaus mächtig, Widerstand hatte sich noch kaum hervorgewagt, alle standen noch unter dem Eindruck seines Sieges und all der Gewalt, die damit verbunden gewesen war. So hatten die Freunde des Ermordeten, einflußreiche Aristokraten, dem Sohn zwar Beistand geleistet, indem sie auf seine Seite traten, aber keiner wagte es, das Wort zu seinen Gunsten zu ergreifen. Auf diese Weise kam Cicero dazu, die Sache zu verfechten. Er behalf sich, indem er den Dictator sorgfältig von dessen Vertrauten, von allen ihren (und seinen) Untaten trennte: Sulla weiß nichts davon, so wenig wie Juppiter sich um alles kümmern kann. Im Gegenteil: Er hat die res publica wiederhergestellt, das Recht herrscht wieder. Man kann und muß endlich von den Mördern und Räubern abrücken, auf daß das Regime der Nobilität wirklich wieder arbeiten kann. Mag sein, daß der 127

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26jährige damit zur »Normalisierung« des öffentlichen Lebens beigetragen hat. Jedenfalls bewegte er sich mutig – leicht oppositionell gegen den engen Kreis der Sieger – auf eine Weise, die ihm im Endeffekt breithin Aufmerksamkeit und Zustimmung eingebracht haben muß. 79 ging er für zwei Jahre nach Griechenland und Kleinasien. Seine Gesundheit hatte unter der angestrengten Tätigkeit gelitten. Die Ärzte rieten, das Reden aufzugeben. Jetzt wollte er sich auf einer Bildungsreise erholen und hoffte zugleich, bei den berühmten griechischen Rhetoriklehrern eine weniger anstrengende Sprechtechnik zu lernen. Die Hoffnung erfüllte sich: Auf Rhodos brachte ihm Apollonius Molon das Nötige bei. In Athen, Rhodos und an anderen Orten kam er außerdem mit den berühmtesten Philosophen der Zeit zusammen, zum Teil zu längerem intensivem Studium. 76 wurde er zum Quaestor gewählt, sein Amtsbezirk war Sizilien. Er gab sich alle Mühe, um seinen Aufgaben gerecht zu werden. Als er zurückkam, mußte er bemerken, daß man davon in Rom kaum etwas wahrgenommen hatte. Alle Aufmerksamkeit konzentrierte sich dort auf die Vorgänge in der Stadt. Man mußte also dort bleiben, wenn man etwas werden wollte. Aus diesen und anderen Gründen hat Cicero nie eine Provinz haben wollen (wie römische Praetoren und Consuln sie nach ihrem Amtsjahr zu übernehmen pflegten), obwohl ihm damit eine wichtige Einnahmequelle verschlossen blieb. Die Beziehungen zu den Sizilianern aber, die er während der Quaestur geknüpft hatte, brachten ihm im Jahre 70 eine ganz neue Verpflichtung: Man bat ihn, die Sache der Provinzialen gegen den korrupten ehemaligen Statthalter Gaius Verres zu übernehmen. Cicero hatte bis dahin nur verteidigt, nie jemanden angeklagt. Er wollte es mit keinem verderben. Hier aber hätte er sich unbeliebt gemacht, wenn er keine Anklage erhob. Die Sache enthielt ein gewisses Risiko, bot aber zugleich Aussicht auf einen großen Erfolg. Der Fall war eindeutig: Verres hatte so hohe Summen erpreßt und so viel Unrecht getan, daß ein Freispruch durch das 128

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Senatorengericht ein unerhörter Skandal gewesen wäre. Dabei stand das Gericht unter Druck. Im gleichen Jahr nämlich hatten Pompeius und Crassus als Consuln das Volkstribunat wiederhergestellt. Und es drohte ein anderes Werk Sullas aufgehoben zu werden: Die Übertragung der Gerichte an die Senatoren. Es hieß, die Ritter sollten sie wieder übernehmen. Dahin zielte eine ganze Strömung innerhalb der Bürgerschaft: Die oligarchische Mißwirtschaft und Korruption der letzten Jahre war offenkundig, viele waren entschlossen, aufzuräumen. Freilich war Verres deswegen noch lange nicht bereit, sich geschlagen zu geben. Er hatte anscheinend aus der verbreiteten Korruption den Schluß gezogen, in Rom sei alles nur eine Frage des Geldes. Cicero berichtet von ihm den Ausspruch, er habe den Gewinn seines ersten Statthalterjahrs für sich, den des zweiten für seine Verteidiger und den des dritten für die Richter bestimmt (und er knüpft daran die giftige Bemerkung, es werde nochmal dahin kommen, daß auswärtige Völker Gesandte nach Rom mit der Bitte schickten, das Gesetz gegen Erpressung und Ausbeutung durch Statthalter aufzuheben. Dann würden diese vielleicht nur mehr so viel fortschleppen, wie sie für sich und ihre Kinder als ausreichend ansähen). Verres konnte auch eine ganze Gruppe einflußreicher hoher Adliger für sich aufbieten. Er hatte einigen von ihnen versprochen, viel Geld einzusetzen, um ihnen zu Consulat respektive Praetur des folgenden Jahres zu verhelfen. Sie hatten Erfolg gehabt. Nun legten sie Cicero alle nur erdenklichen Hindernisse in den Weg, um seine Anklage zu erschweren oder den Prozeß ins folgende Jahr hinüberzuziehen, in dem sie ihn kraft Amtes stärker beeinflussen könnten. Aber es gelang ihm, alle notwendigen Zeugen und Dokumente rechtzeitig zusammenzubringen, und in eindrucksvoller Massierung führte er sie dem Gericht vor. Eine breite Öffentlichkeit war Zeuge. Die Evidenz war bei der in Rom gerade vorwaltenden kritischen Strömung unwiderstehlich. Außerdem trieb Cicero die Sache so schnell voran, daß alle Termine eingehalten wurden. Sein wichtigster Gegner, Verres’ Verteidiger Quintus Hortensius, der gerade zum Consul für 129

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69 gewählt war, hielt es schließlich für gut, auf eine Gegenrede zu verzichten. Und der Angeklagte begab sich freiwillig ins Exil. Hortensius war bis dahin unbestritten der erste Gerichtsredner Roms gewesen. Jetzt lief Cicero ihm diesen Rang ab. Um dies um so besser zu dokumentieren, edierte er auch die für die zweite Verhandlung (die dann ausfiel) vorgesehenen Reden mit einer überwältigenden Fülle an Material. Betriebsamkeit, Tüchtigkeit und der Eifer des homo novus sind darin mit Händen zu greifen. Er berief sich auf die großen Vorbilder der Vergangenheit und maß seine Gegner an ihnen (womit dann auch gleich gutes Licht auf ihn selber fiel). Andererseits trennte er deutlich: Es war nicht der Senat, sondern eine kleine machtvolle Clique von wenigen, gegen die er kämpfte. Solche Trennung war ein beliebtes agitatorisches Mittel. Auch das Bekenntnis zu Senat und Senatsregime war es. Gewiß, wenn Cicero die Entartung des bestehenden Regimes kritisierte, schwamm er mit dem Strom. Aber sein im Namen des guten Herkommens geführter Angriff gegen Mißbräuche entsprang auch seiner Meinung. Vermutlich hatte er sogar die Illusion, sich durch Profilierung dieser Meinung beim Senat – oder, wie er gern sagte, bei allen Guten – beliebt zu machen und Freunde zu gewinnen. Er hielt politische Meinungen für sehr wichtig. Und wenn sie sich mit soviel Tüchtigkeit paarten, konnten die Senatoren doch eigentlich nur froh sein, einen Mann wie ihn zu ihren Bundesgenossen oder gar Vorkämpfern zählen zu können. Allein, für die hohen Herren, die im Senat den Ton angaben, hatte die Tüchtigkeit von homines novi eher den Geruch von G’schaftlhuberei. Das beste, was sie dafür aufbringen konnten, war wahrscheinlich ein widerwilliger Respekt vor dem Erfolg, den einer damit zu erringen vermochte. Cicero war ihnen gegenüber in einer verflixten Situation: Je besser er es machte, um so weniger war es ihnen recht, so lange er sich ihnen nicht geradezu aufzwang. Da er das aber mindestens so bald nicht konnte, war seine Werbung um sie je bemühter um so bemühender. Sie wird dies übrigens um so mehr gewesen sein, als Cicero zugleich 130

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gerne die Seite hervorkehrte, die ihm besonders wichtig war und die ihn vom herkömmlichen Typus des homo novus unterschied: seine ungewöhnliche Bildung, seine humanitas. In einem schönen Passus in der Verres-Rede wirft er seinen vornehmen Gegnern vor, daß sie die Betriebsamkeit (industria) der Neulinge haßten, ihre Biederkeit, ihren Respekt und ihr Schamgefühl verachteten, ihren Charakter und ihre Tüchtigkeit am liebsten zum Teufel wünschten und dafür einen Mann wie Verres liebten. Da der aber all diese Tugenden nicht hätte, müsse er sie doch wohl durch kultiviertes Gespräch, Bildung und humanitas erfreuen. Das also mußte man offenbar haben, und man hatte es nicht, sofern man hart und ernst an seinem Aufstieg arbeitete. Aber Verres, so fährt Cicero fort, hatte es auch nicht. Statt dessen, so muß man ergänzen, hatte Cicero es. Nur konnte er damit die adelsstolzen Führer des Senats so leicht kaum gnädig stimmen. Denn seine Bildung ging über die ihre hinaus, sie kann sich kaum schon mit Gelassenheit gepaart haben, sondern enthielt bei aller Ernsthaftigkeit einen guten Schuß Tendenz. Man merkte die Absicht, mit der sie sich darbot. Schließlich war es auch nicht comme il faut, daß Cicero aus seiner Philosophie gewisse Konsequenzen in der Politik zu ziehen suchte. Denn da traf sich seine Bildung dann eben doch mit den Tugenden des homo novus, deren Beobachtung viele so sauer ankam. Doch wie auch immer: Hortensius war besiegt, außerdem hatte Cicero es unmittelbar vor Prozeßbeginn geschafft, mit den Stimmen aller Wahlkörper zum Aedilen gewählt zu werden, obwohl oder vielleicht gar: weil Verres viel Geld aufwandte, um das zu hintertreiben. Schließlich war er bekannter geworden. Solche Erfolge schufen gute Ausgangsbedingungen für weitere. Das machte diese Episode in Ciceros Biographie so wichtig. Wie weit darüber hinaus diejenigen, mit denen zusammen er damals gegen oligarchische Mißbräuche agitierte, sich seiner Anklagen auch weiterhin erinnerten, ist unklar. Aber Cicero mag es sich eingebildet und auch das mag ihn weiterhin beflügelt haben. Es bekräftigte jedenfalls seine Meinung, daß er sich in dem Wunsch, die gute alte Ordnung wiederherzustellen, in 131

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Übereinstimmung mit anderen befand. An diesem Punkt trafen sich seine politischen Ambitionen mit seinen philosophischen Überzeugungen, um ihm Festigkeit und das Bewußtsein großer Überlegenheit zu verleihen. Wenn daraus eine mittlere politische Linie zu resultieren scheint, so ist dieser Eindruck nicht ganz falsch. Es war, wie wir hören, für Kandidaten nicht günstig, sich auf eine bestimmte Politik festzulegen. Das hätte mehr Ärger gebracht als Vorteile. Indem Cicero das vermied, konnte er es sehr vielen recht machen. Vor allem aber mußte er unermüdlich damit fortfahren, Freunde durch Mühewaltung zu gewinnen und sich aufs liebenswürdigste in Erinnerung zu bringen. Dadurch konnte man sich unendlich viele verpflichten, auch solche, die untereinander verfeindet waren. Besonders wichtig war, daß er sich der Ritter und zumal der einflußreichsten unter ihnen, der Pächter öffentlicher Aufgaben annahm. Er sprach dann gern von der notwendigen Verbindung unter den beiden obersten Ständen der Bürgerschaft. Seit dem Consulat steigerte er das zur Behauptung einer concordia ordinum, die er hergestellt habe und die zu bewahren sei. Auch das war ehrlich gemeint, und die concordia ordinum war ihm geradezu existentiell wichtig. Aber was die Ritter anging, so müssen es in erster Linie konkrete Verpflichtungen und Interessen gewesen sein, die sie an Cicero banden. Im Jahre 67 wurde er zum Praetor für 66 gewählt, höchst ehrenvoll, denn auch das geschah zum frühestmöglichen Zeitpunkt, und obendrein ging er mit den Stimmen aller Wahlkörper als erster durchs Ziel. 66 wagte er es dann sogar, im Kampf zwischen Pompeius und der Senatsmehrheit politisch Stellung zu beziehen. Er empfahl die Betrauung des Feldherrn mit dem Krieg gegen Mithridates, den mächtigen König von Pontos, der schon seit vielen Jahren im Osten verschiedene Länder erobert und sich erfolgreich gegen Rom behauptet hatte. Das lag wiederum im Sinne einer Strömung innerhalb der breiteren Bürgerschaft. Denn nachdem Pompeius 67 gegen harten Widerstand ein besonderes 132

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Kommando gegen die Seeräuber erhalten und diese (nachdem sie die Römer lange aufs äußerste geplagt hatten) in überraschend kurzer Zeit gründlich besiegt hatte, hatten sich selbst einige hochmögende Senatoren für den neuen Auftrag ausgesprochen. Der Widerstand war relativ schwach. Da erachtete Cicero offenbar die Gelegenheit als günstig, den großen Herrn für sich einzunehmen, ohne mit dessen Gegnern allzu sehr über Kreuz zu geraten. Übrigens wirkte er damit zugleich im Sinne der Publicanen, der Pächter öffentlicher Einnahmen, und der breiten Masse des niederen Volkes. Seine Rede war, soweit möglich, ausgewogen. Er lobte Pompeius, unterstützte dessen Sache, fand aber zugleich sehr viele ehrenvolle, freundliche Worte auch für die führenden Gegner. Den Vorwurf, er neige bald zu dieser, bald zu jener Seite, mußte er auf sich nehmen. Noch zweimal finden wir Cicero, 66 und 65, auf der Seite von Anhängern des Pompeius, und zwar derer, die »populare Politik« betrieben. Er meinte offenbar, sich einigen Konsequenzen seiner volksfreundlichen Stellungnahme nicht entziehen zu können. Vielleicht hat auch Pompeius ihn gebeten, für seinen Anhang einzutreten, und er wollte ihn nicht verletzen. Jedenfalls wird mitgesprochen haben, daß Cicero nun direkt aufs Consulat zusteuerte und angesichts des vielfältigen adligen Widerwillens gegen die Beschmutzung des Consulats durch einen homo novus sich stärker der Gegenseite zuwandte. Besonders zu erwähnen ist dabei die Verteidigung des Volkstribunen von 67 Gaius Cornelius. Der gehörte zu Pompeius’ Anhängern und hatte sich bei der breiten Menge beliebt gemacht. Er hatte 67 einige Gesetze beantragt, die gewisse Mißbräuche von Senat und Magistraten beschneiden sollten. Die Anklage bezog sich unter anderm darauf, daß er einen Collegen daran gehindert hatte, zu intercedieren. Dieser Punkt war besonders kitzlig. Denn nachdem im Jahre 70 das unbeschränkte Gesetzgebungsrecht der Volkstribunen (das Sulla beschnitten hatte) wiederhergestellt war, hatten sich die führenden Kreise im Senat darauf versteift, daß sich das tribunicische Veto (das gegen jeden Antrag eingelegt werden konnte) unbedingt durchzusetzen ver133

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mochte. Entsprechend wurde die Anklage von fünf der prominentesten Senatshäupter unterstützt. Cicero konnte den Tatbestand nicht leugnen. Aber er spielte seine Bedeutung herunter. Wohl hatte Cornelius das Veto vereitelt, und das mochte den Rechtsanschauungen vieler Senatoren widersprechen. Allein, als daraufhin Proteste laut wurden und Unruhen ausbrachen, hatte Cornelius die Versammlung aufgelöst und das Gesetz aufgegeben (um später einen modifizierten Antrag ordnungsgemäß einzubringen). Es war also nichts passiert. Andererseits hatte man Aulus Gabinius, den Collegen des Cornelius, der das Seeräubergesetz zu Gunsten des Pompeius eingebracht hatte, nicht vor Gericht gezogen. Dabei hatte der nicht nur ein Veto mißachtet, sondern sogar (wie einst Tiberius Gracchus) den viel weitergehenden Antrag gestellt, den intercedierenden Volkstribunen abzusetzen. Und welchen Vorteil hatte es doch gebracht, wie Cicero, von den Formalia absehend, hinzufügte, daß Gabinius »nicht duldete, daß die Stimme und der Wille eines einzigen Collegen stärker wären als die der gesamten Bürgerschaft«! Sonst trieben die Seeräuber weiterhin ihr Unwesen. In der Tat war es widersinnig, daß die weitergehende Tat straffrei ausging, die weniger weitgehende aber geahndet wurde. Zwar entsprach dies nicht unbedingt dem Willen der beteiligten Senatoren. Sie konnten nur an Gabinius nicht heran, weil der bei Pompeius im Felde stand. Doch änderte das ja nichts an dem Mißverhältnis. Ciceros Rede war wiederum voller Respekt für seine hochmögenden Gegner. Aber gleichzeitig enthielt sie ein grundsätzliches Plädoyer für populare Gesetzgebung, indem sie Gesetze aufzählte, die einst gegen den Willen des Senats durchgesetzt worden und längst in den Bestand der römischen Ordnung eingegangen waren. Das Gericht sprach seinen Mandanten frei, wobei dessen Beziehung zu Pompeius mitgesprochen haben soll. Bei den Wahlen des Jahres 65, zu denen viele Bürger in Rom und auf dem Marsfeld zusammengekommen waren, eröffnete Cicero die prensatio für das Consulat, das heißt: das Händeschütteln und damit die Kandidatur. Es begann für ihn ein Jahr inten134

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sivster Werbung, während dessen er direkt oder indirekt möglichst viele Bürger für sich zu mobilisieren suchte, indem er an alles, war er bisher getan, anknüpfte und vielen Versprechungen für die Zukunft machte. Seine gefährlichsten Mitbewerber waren Gaius Antonius und Lucius Catilina. Sie hatten miteinander ein Wahlbündnis geschlossen. Es scheint, daß Marcus Licinius Crassus viel Geld einsetzte, um ihnen zu helfen. Auch Caesar soll das Bündnis unterstützt haben. Die Hemmungslosigkeit des Stimmenkaufs rief großen Ärger hervor. Man nahm sie zum Anlaß für eine Verschärfung der Gesetze. Cicero attackierte die beiden im Senat, geißelte alle ihre früheren Verbrechen und Untaten und spielte dabei auf gewisse Putschpläne an, die Catilina kurz vorher betrieben haben sollte. Es spricht manches dafür, daß die Machenschaften dieser Gegner Cicero zugute kamen. Man wird zwar kaum, wie einige Quellen ex eventu behaupten, einen Umsturz befürchtet haben. Aber es konnte gleichwohl aus verschiedenen Gründen als recht ungünstig erscheinen, diese etwas zwielichtigen Vertrauten des Crassus zusammen im Consulat zu haben. So mag manch einer geneigt gewesen sein, den aussichtsreichsten der anderen Kandidaten zu unterstützen. Und das war eben Cicero. Jedenfalls war dessen Anhängerschaft so überwältigend groß, daß schon vor der Wahl der Eindruck entstand, er werde gewinnen. Vermutlich hat man den Kandidaten mit zahlreichen Zurufen auf Straßen und Plätzen begrüßt, hat die Absicht, ihn zu wählen, weithin offen und ansteckend vor sich hergetragen. Es entstand ein Klima der Zustimmung durch die verschiedensten Lager hindurch. Dabei könnte denn auch das Stadtvolk (dessen Gewicht in der Wahlversammlung selbst nicht groß war) Stimmung machend und Resonanz bietend mit von der Partie gewesen sein. Da sich die Römer in Abstimmungen, sobald einmal klar war, wohin es ging, besonders gern der stärkeren Sache anschlossen (und zumal bei Consulwahlen eine der beiden Stimmen gern dem Aussichtsreichsten gaben), ist anzunehmen, daß auch die Senatoren, einschließlich der Führenden, jetzt offen 135

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für Cicero eintraten. Man hatte nichts davon, den präsumptiven Consul gegen sich einzunehmen, schlug sich besser auf dessen Seite, zumal wenn er an sich gutwillig war. Cicero wurde also wiederum »in seinem Jahr« und wieder mit den Stimmen aller Wahlkörper gewählt. Selbst wenn es nicht ganz so gewesen sein sollte, so konnte er es sich zumindest einbilden, daß sich Senat, Ritter und breite Masse in seiner Wahl vereinigt hatten, und damit eine Geschlossenheit der Bürgerschaft sich manifestierte, wie sie seinen Idealen entsprach. Erst ein ganzes Stück nach ihm erreichte Antonius als zweiter die (für die Wahl notwendige) absolute Mehrheit. Catilina, der diesem dicht auflag, fiel durch. Antonius hat dann in Ciceros Consulat keine große Rolle gespielt. Er hielt sich im ganzen zurück, nachdem Cicero ihm in einem wichtigen Punkt entgegengekommen war: Er hatte Antonius nämlich die ertragreichere der beiden Provinzen abgetreten, die für die Consuln des Jahres 63 festgesetzt waren. Es fiel ihm um so leichter als er ohnehin keine Provinz wollte (und schließlich nach dem Consulat auch in Rom blieb). Getragen von dem Gefühl einer breiten Zustimmung und beseelt von dem Wunsch, ein vorbildliches Consulat zu führen, trat Cicero am 1. Januar sein Amt an. So scheint es jedenfalls nach den Quellen. Freilich gehen die zum guten Teil auf ihn selbst zurück. Zunächst auf seine Reden als Consul, die er aber erst drei Jahre später redigiert herausgegeben hat; nach dem Erlebnis der großen Koalition gegen Catilina und angesichts der Notwendigkeit, sein Consulat zu verteidigen. Zudem hatte er eine Denkschrift über sein Consulat verfaßt. Gleichwohl kann man so viel mit einiger Wahrscheinlichkeit feststellen: Cicero verstand den Erfolg seiner Wahl nicht nur als Frucht seiner unendlichen Arbeitsleistung in der Werbung von Freunden. Er wird ihn vielmehr zugleich als Zustimmung zu seiner Person und zu dem Programm aufgefaßt haben, das er verkörperte; der Rittersohn, der sich dem Ideal der alten Republik verschrieben hatte, und der Senator, der zugleich die Ritter 136

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und die breite Masse dafür gewinnen wollte. Das war kein Programm mit einzelnen sachlichen Punkten, sondern eine Konzeption von der Einheit der Bürgerschaft und besonders der Rolle des Staatsmannes in ihr. Später hat Cicero sich auf Platons These berufen: Wie in einem Gemeinwesen die Ersten sind, so pflegen auch die übrigen Bürger zu sein. Und eben diesen moralischen Anspruch, diese Hoffnung hat er vermutlich schon damals gehegt.Wenn die Krise aus der mangelnden Moral erwuchs, so konnte er jetzt das Seine dazu tun, sie zu überwinden. Dank Tüchtigkeit und Bildung war er besonders dazu berufen. Große Hoffnung erfüllte ihn also. Und indem er sich überschätzte, überschätzte er zugleich die Bürgerschaft. Die Einmütigkeit, die sich auf ihn bezog, sollte sich zugleich auf die res publica beziehen. So war die Ansicht, auf die er sich später so gern berief, damals in ihm schon irgendwie angelegt: Am 1. Januar 63 wurde in Rom ein neuer Anfang gesetzt. Wahrscheinlich haben sich wenige Consuln so gut auf ihr Consulat vorbereitet wie dieser homo novus. Und schon in der ersten Sitzung, zur Eröffnung des Jahres, im Tempel des Juppiter Optimus Maximus muß er den Ton einer festen, verantwortungsvollen Amtsführung angeschlagen haben. Das Jahr begann gleich mit schwierigen Problemen, nämlich mit einem Antrag auf ein Ackergesetz. Mit großem Aufwand an Geld sollten in Italien Äcker gekauft werden, die dann an die Armen Roms zu verteilen waren. Ansiedlung wie Geldbeschaffung sollten in den Händen einer Kommission liegen, die mit außerordentlichen Vollmachten innerhalb des gesamten Herrschaftsbereichs auszustatten war. Nach Cicero ging ihre Ermessensfreiheit so weit, daß sie sogar das Königreich Ägypten hätte für Rom einziehen können. Für ihre Bestellung war ein besonderer Modus vorgesehen, der pekuniäre Manipulationen großen Ausmaßes zugelassen hätte. Hinter dem Antrag scheint Marcus Crassus gesteckt zu haben, vermutlich auch Caesar. Es ging ihnen darum, vor der Rückkehr des Pompeius große Anhängerschaften im Volk zu gewinnen. Der Antrag enthielt deutliche Spitzen gegen den Feldherrn. 137

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Crassus sah in Pompeius seinen vornehmsten Rivalen. Er war von brennendem Ehrgeiz beseelt, nur fehlte es ihm an Mut, Ausdauer, an politischer Einsicht, an Urteilskraft und wirklichem Willen. So verloren sich seine starken Antriebe regelmäßig in bloßer Rührigkeit. Er war rastlos beschäftigt, knüpfte überall Beziehungen und sammelte Reichtümer. Daneben scheint er mit Vorliebe Pläne geschmiedet zu haben, die sich allesamt dadurch auszeichneten, daß sie unüberlegt waren. Crassus war mächtig nur durch Geld, und das bedeutete damals viel, aber er meinte, noch viel mächtiger zu sein, als er war. So stand hinter dem Antrag auch nicht viel Kraft. Cicero trat ihm entgegen. Er gab sich vor dem Volk als popularer Consul, der grundsätzlich überhaupt nichts gegen Ackergesetze einzuwenden hätte, von diesem jedoch aus verschiedenen Gründen dringend abraten müsse. Er bestritt, daß es einen Gegensatz von Consulat und Volkstribunat gebe. Wenn sich die Inhaber dieser Ämter bisher bekämpft hätten, so nur, weil ihre Absichten auseinandergingen. Dem aber müsse nicht so sein. Mit solchen Reden hat er dann die Gegner wirklich dazu gebracht, ihren Antrag zurückzuziehen. Im weiteren Verlauf des Jahres war er einer ganzen Reihe anderer popularer Initiativen konfrontiert. Kaum ein Jahr der späten Republik ist daran so reich gewesen, kaum eines so stark von Zufällen der politischen Verknüpfung bestimmt. Und wenige Consuln der damaligen Zeit hatten innenpolitisch soviel Handlungsmöglichkeiten wie Cicero. So wurde ein Versuch gestartet, den Nachkommen der von Sulla Proscribierten die politischen Rechte zurückzugeben. Cicero widersetzte sich mit Erfolg. Man befürchtete Unruhen von ihnen. Ein anderes Gesetz, das die Bestellung der Priester wieder an die Volksversammlung übertrug, ließ er offenbar widerstandslos passieren, ebenso verschiedene Ehrenbeschlüsse für Pompeius. Als es im Theater Proteste gegen die vier Jahre zuvor (wieder?)eingerichteten Sonderplätze für den Ritterstand gab, hat Cicero die Menge mit den Vorrechten des zweiten Standes versöhnt. Dann wurde ein merkwürdiger Prozeß gegen den alten Se138

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nator Gaius Rabirius angestrengt. Der Vorwurf lautete, er habe 37 Jahre zuvor den großen popularen Volkstribunen Lucius Appuleius Saturninus erschlagen. Gegen Saturninus war damals ein senatus consultum ultimum erlassen worden, er hatte sich dem Consul Marius gegen die Zusage der Schonung ergeben. Dann hatte eine Gruppe junger Männer ihn und einige Verbündete überfallen und ermordet. Rabirius hatte stolz sein Haupt herumgezeigt. Diese Tat war fraglos durch den Notstandsbeschluß nicht gedeckt. Gleichwohl war sie im Sinne vieler Senatoren gewesen. Wenn der Fall jetzt hervorgekramt wurde, so ging es offenbar wesentlich auch darum, einen Schlag gegen das senatorische Notstandsrecht zu führen. Daß die Rechtmäßigkeit dieses Instruments nicht direkt tangiert war, erleichterte die Attacke. Andererseits war es der Vollstreckungsgehilfe der Senatsmehrheit in der Ausnahmesituation, den sie traf. Das mußte bei jeder nicht gar so feinen Betrachtung erkennbar sein. Hätte die Anklage Erfolg gehabt, so hätte davon auch für künftige Vollstrecker eines senatus consultum ultimum eine abschreckende Wirkung ausgehen können. Doch konnte Cicero das zusammen mit Hortensius vereiteln. Er erreichte es auch, daß Lucius Lucullus den Triumph über Mithridates, an dem er seit Jahren gehindert worden war, endlich feiern konnte. Übrigens hatte das zugleich den Vorteil, daß dessen Veteranen zu den Wahlen in Rom waren. Sie konnten gleich für einen ihrer früheren hohen Offiziere, Licinius Murena stimmen, der denn auch zum Consul gewählt wurde. Das war wichtig, weil Catilina nochmals kandidierte. Er wollte noch einen letzten Anlauf unternehmen. Denn er glaubte, einen Anspruch darauf zu haben, zumal er aus dem ältesten Adel, dem Patriciat, stammte. Sein Geschlecht hatte politisch lange keine Rolle mehr gespielt. Jetzt mischte sich in ihm die völlige Selbstverständlichkeit des altadligen Anspruchs mit der Robustheit eines self-made-man. Er hatte unter Sulla einige verbrecherische, ekelhafte Schergendienste geleistet. Das hatte ihn einigen der prominentesten Consulare nahegebracht. Seine rücksichtslose Art, die bei Außenseitern nicht seltene Konsequenz, mit der 139

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Catilina relativ offen und hemmungslos so war, in diesem Falle: so korrupt war, wie es die übrige Gesellschaft im Grunde zu sein schien, am Ende aber eben doch nicht in solchem Ausmaß gewesen ist, empfahl ihn vielen der jüngeren Senatoren und mehr oder weniger allen in Not geratenen, verschuldeten, verzweifelten, »catilinarischen« Existenzen. Für die vielleicht auch verschuldeten, aber gewiß noch nicht verzweifelten Teile der jeunesse dorée, welche mit ihm sympathisierten, mag es gar so geschienen haben, als ob das Gros der Senatsgesellschaft um das Maß, um das es weniger korrupt war als Catilina, eher schlimmer als besser wäre als er, indem es nur Bedenklichkeit, Schwächlichkeit, heuchlerische Scheinheiligkeit waren, was sie von ihm zu unterscheiden schien. Denn etwas an ihm muß imponierend gewesen sein. So übte dieser Mann in seiner Korruptheit, Rücksichtslosigkeit,Vitalität und offenbar faszinierenden persönlichen Art weithin Anziehungskraft aus. Während seiner Kandidatur verkündete er, er wolle sich an die Spitze der Notleidenden stellen. Das brachte ihm die entschiedene Gegnerschaft des Consuls Cicero, vieler Senatoren und Ritter ein. Cicero beantragte seinetwegen ein neues Gesetz gegen Wahlmißbräuche und insinuierte dann der Versammlung, daß Catilina sich notfalls mit Mord und Totschlag den Sieg erkämpfen wollte: Er gab vor, sich schützen zu müssen, indem er einen Panzer unter der Toga trug. Am Ende unterlag Catilina wiederum und gab sich nun mit Freunden seinen Plänen hin, sich durch einen Staatsstreich an die Spitze der res publica zu putschen. Man dachte an die Gewinnung führender Positionen für einige Verschwörer und einen Schuldenerlaß. Aufruhr, Mord und Brandstiftung wurden als Mittel dazu erwogen. Cicero war durch die Geliebte eines der Verschwörer genauestens über alles unterrichtet und blieb ständig auf dem laufenden. Nur konnte er diese Quelle natürlich nicht offenlegen. Wie weit das, was Cicero darüber jeweils in der Öffentlichkeit aussagte – und was uns (evtl. darüber hinausgehend) in seinen später publizierten Reden entgegentritt –, der Wahrheit entsprach, ist schwer zu entscheiden. Sicher ist für die er140

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ste Zeit nur, daß weitgehende Putschpläne erwogen und ein Stück weit betrieben wurden. Dies wird dadurch bestätigt, daß damals nachweislich in der Umgebung von Florenz zahlreiche Unzufriedene gesammelt und bewaffnet wurden. Ob damit die Verschwörung bereits unausweichlich auf der Bahn war, ob es von dem Zeitpunkt an, da in Etrurien die Fahne des Aufruhrs aufgepflanzt worden war, für Catilina kein Zurück mehr gegeben hätte, ist kaum eindeutig zu entscheiden. Die Frage ist, wie schon gesagt, deswegen interessant, weil gegebenenfalls erst Cicero Catilina dazu gebracht haben könnte, daß er keinen andern Ausweg mehr sah, als die Pläne direkt zu betreiben. Der Consul scheint jedenfalls sogleich an die Ernsthaftigkeit des Putschplans geglaubt zu haben. Dafür sprachen seine Informationen. Sein Bemühen, alles recht zu machen, nur keinen Fehler zu begehen – den die hohen Herren dem homo novus hätten schadenfroh ankreiden können –, versetzte ihn in höchste Spannung. Der Faszination durch Catilinas verkrachtes Genie erlag er ganz und gar nicht, sie wirkte eher ernüchternd, wenn nicht gar erschreckend auf seine bürgerlich ordnungsliebende, eher biedere Sinnesart. Wenn Caesar ihm bis zum Jahre 60 als enfant terrible, als verbesserlich, nur als Nobilitäts-, nicht auch als Bürgerschreck erschien, so hatte er für Catilina offensichtlich gar kein Verständnis. Daß die Senatoren – in ihrer Indolenz, in einigem Mißtrauen gegen die Wichtigtuerei ihres Consuls, vielleicht aber auch in üblicher Dickfelligkeit – Ciceros Informationen vielfach nicht recht ernst nahmen, jedenfalls der ganzen Sache mit großer Unbekümmertheit begegneten, kann ihn nur in seiner vorwurfsvollen Strenge und Unerbittlichkeit gesteigert haben. So war Cicero vermutlich energischer, als die meisten anderen Consuln gewesen wären.Wenn er Catilina überdies erst zu vollem Ernst getrieben haben sollte, so wäre das in seinen Augen nicht einmal das Schlechteste gewesen. Denn es mußte endlich die Möglichkeit geben, daß der Senat gegen eine Reihe der korruptesten seiner Mitglieder vorgehen konnte. Am 21. Oktober wurde endlich das senatus consultum ultimum beschlossen. Am 7. November hielt Cicero seine erste Catilina141

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rische Rede, aufgrund derer Catilina die Stadt verließ, um offen den Aufstand zu betreiben. Am 3. Dezember wurden die in der Stadt führenden Catilinarier quasi auf frischer Tat ertappt. Am 5. Dezember wurde, nachdem sie zuvor ihre Schuld eingestanden hatten, der Beschluß gefaßt, sie hinzurichten. Davon war schon die Rede. Wenig später begann die populare Agitation gegen den Consul. Aber so unangenehm sie war, sie fiel zunächst nicht ins Gewicht, bestärkte ihn nur im Bewußtsein seines großen Erfolgs und seiner Wichtigkeit. Er hatte die Stadt gerettet. Er konnte mit Recht stolz sein auf dieses Consulat (auch wenn er bald stolzer noch war, als es Gründe dafür gab). Der Senat stand so mächtig da, wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. Das ihm beschlossene Dankfest bestätigte Ciceros Auffassung vom hohen Rang ziviler Leistung; es zeigte zugleich, wie sehr Rom jetzt auch im Innern bedroht war. Aber gerade gegen diese Bedrohung meinte Cicero ja nun, ein Bündnis zwischen Senat und Rittern begründet zu haben, das nach seiner Auffassung auch weiterhin die Sicherheit des Gemeinwesens und die Autorität des Senats verbürgen sollte. Darüber hinaus habe sich eine Übereinstimmung aller Guten (consensus omnium bonorum) hergestellt. In der Tat hatten die wohlhabenden Ritter, überhaupt die »Guten« für Catilina besonders wenig übrig. Gefahren für die öffentliche Ordnung (und für ihre Vermögen obendrein) haben sie stets beunruhigt. Später schrieb Cicero, er habe sein Consulat so geführt, daß er »nichts ohne den Rat des Senats, nichts ohne die Zustimmung des Ritterstandes getan« und daß er »auf dem Markt das Hohe Haus, im Senat das Volk verteidigt, die Menge mit den Ersten des Gemeinwesens, den Ritterstand mit dem Senat verbunden« habe. Alle ständischen Gegensätze, die Rom so oft in heftige Konflikte versetzt hatten, schienen überbrückt, ja überwunden zu sein. Die Bürgerschaft bildete in ihrer großen Mehrheit wieder eine Einheit. Die Ideale des Friedens, der Eintracht, der Ruhe, die Cicero am 1. Januar auch der Stadt-Plebs zugesprochen hatte, schienen nach dem Sieg über Catilina verwirklicht. Sein Consulat schien die schönsten, höchstgespannten Er142

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wartungen zu erfüllen. Seine Anschauung von rechter Staatsmannschaft, seine Stellung zwischen den Ständen, sein ganzer politischer Charakter hatten sich, so mußte es ihm erscheinen, bewährt. In der Tat war er genau der Mann für die Situation von 63 gewesen. Die großen politischen Gegensätze spielten gerade in diesem Jahr kaum eine Rolle. Jeweils konnte Cicero im Sinne breiter Mehrheiten auftreten, beim Ackergesetz sogar für Pompeius und den Senat zugleich. Die Initiativen, mit denen er sich auseinanderzusetzen hatte, waren zum Teil relativ schwach. Nicht so schwach zwar, daß es keine Leistung gewesen wäre, mit ihnen fertig zu werden; aber doch so schwach, daß ein aufmerksamer, beweglicher, tüchtiger, redegewaltiger und insofern überdurchschnittlicher Consul es mit ihnen aufnehmen konnte. Und dann hatte die catilinarische Verschwörung noch einen guten Teil der Kräfte in einer Front zusammengeführt, die Cicero in seiner Laufbahn gewonnen oder zu gewinnen versucht hatte, Senat und Ritter (nicht freilich Pompeius und nur vorübergehend und teilweise das niedere Stadtvolk). So schien sein Consulat von stark integrierender Kraft zu sein. Freilich mußte die Situation, in die das zufällige Zusammentreffen der Handlungslinien in der eigenartigen Zwischenlage von 63 den Consul gebracht hatte, nicht andauern. Was 63 nicht nur sich vertrug, sondern zum Teil sogar eng zusammenwirkte, mußte dies nicht auch in Zukunft tun. Es ist durchaus zu fragen, ob Cicero eine neue Basis für das künftige Zusammenwirken von Senat und Rittern geschaffen (diese also nicht nur auf einen gegebenen Anlaß hin zusammengebunden) hatte. Konnten alle Guten auch weiterhin in einer Front stehen, wenn die akute Gefahr durch eine Gruppe von Putschisten vorbei war? Hielt also Cicero Vorübergehendes für dauerhaft, die Ausnahme für die Regel, eine besondere – und in seiner Person besonders sich darstellende – Situation für allgemein? Vor allem fällt auf, daß in dem Bild, das er von der Übereinstimmung der Stände zeichnet, von Interessen keine Rede ist, vielmehr nur von gutem Willen und allgemeiner Einsicht. Und 143

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daß – wie in der Theorie – nur von Ständen gesprochen wird, nicht von Personen, obwohl doch damals der stärkste Gegensatz zwischen Pompeius und der Senatsmehrheit zu bestehen schien. Schon fünf Tage nach der Hinrichtung der fünf Catilinarier brachte der Volkstribun Quintus Caecilius Metellus Nepos, ein Freund des Pompeius, zwei Anträge ein, nach denen der Feldherr gegen Catilina nach Italien berufen und ihm die Bewerbung um ein Consulat in absentia gestattet sein sollte. Dieses wird sein eigentlicher Auftrag gewesen sein. Jenes wurde plötzlich aus der Situation heraus nahegelegt. Es begann damit die direkte Vorbereitung von Pompeius’ Rückkehr in die Innenpolitik. Die feldherrliche Macht im Herrschaftsbereich sollte möglichst günstig in innerrömische Ausgangspositionen transferiert werden, um die Durchsetzung verschiedener Forderungen, unter anderm auf Ansiedlung der Veteranen, zu erleichtern. Im Laufe der Agitation wurde dann auch Cicero heftig angegriffen. Durch die Reklamierung der Freiheitsrechte sollte die starke Stellung des Senats erschüttert werden. Am letzten Tag des Jahres hinderte Nepos den Consul daran, die übliche Rede an das Volk zu halten. Wer andere hinrichte, ohne ihnen Gelegenheit zu geben, sich in einem Gerichtsverfahren zu verteidigen, dürfe selbst nicht öffentlich zu Worte kommen. Aber Cicero parierte, indem er in seinen Rechenschaftseid die Worte einflocht, er allein habe die res publica gerettet. Die Anwesenden replizierten, wie sie das gewohnt waren, er habe wahr geschworen. Anfang 62 gelang es, die Angriffe gegen Cicero zu unterbinden und Nepos’ Antrag zu vereiteln. Unter Drohungen verließ der Volkstribun die Stadt, um sich zu Pompeius zu begeben. Die Vorbereitung von dessen Rückkehr in die Innenpolitik war gescheitert. Nachdem Pompeius sodann Anfang 61 nach Entlassung seines Heeres in Rom wieder angelangt war, konnte man die Erfüllung seiner aus der Kriegführung sich ergebenden Forderungen lange verweigern oder verhindern. Pompeius geriet in eine höchst schwierige Situation, aus der erst das eineinhalb Jahre später begründete Bündnis mit Caesar und danach dessen – zum 144

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Teil durch heftigsten, provozierenden Widerstand hervorgerufenes – gewaltsames, verfassungswidriges Durchgreifen ihn retten sollte. Dies bedeutete dann den Anfang vom Ende der Republik. Vieles spricht dafür, daß erst die Verfilzung mit der Catilinarischen Verschwörung das Scheitern der Mission des Nepos ermöglichte. Insofern war es wesentlich Ciceros Consulat – und auch die Leistung des Consuls –, wodurch der Senat in jene Position der Stärke gelangte, in der er Pompeius dann begegnete und die Auseinandersetzung auf die Spitze trieb. Von heute her gesehen kann man sagen, daß die Überlebenschancen der Republik bei einem schwachen Regime größer gewesen wären, genauer gesagt: daß bei mehr Resignation des Senats die überkommene Form länger hätte bewahrt bleiben können. Aber damals konnte man das nicht wissen. Und hätte Cicero es gewußt, so hätte er kaum Consul werden können, denn zu seinem Aufstieg, seinem Wesen, seiner Politik gehörte die Überzeugung von der Güte der alten res publica und damit insbesondere auch der Macht des Senatsregimes. Und so, wie die Dinge damals standen, konnte eine recht verstandene consularische und senatorische Politik kaum anders, als energisch und hart durchzugreifen, sobald – und sofern – sich die Gelegenheit ergab, die Verantwortung, Macht, Entschlossenheit und Fähigkeit des Hohen Hauses durch Statuierung eines Exempels zu beweisen. Die Verfechter der Hinrichtung handelten insofern konsequent im Sinne der senatorischen Politik. Sie konnten nicht einsehen, warum sich die Probleme dem Zugriff des Senats nicht mehr fügen sollten. Je weniger sie es taten, um so mehr mußten sie sie folglich dazu zwingen. Sie kannten nicht die Verunsicherung durch den Verdacht, ihr Regime sei überholt (wie man in Rom ja auch weder das Täuschungspotential der Utopie noch das Hoffnungspotential hatte, das sich aus dem Fortschrittsbegriff und seinem Nachhall speist). Sie hatten auch nicht die Unschuld bloßer Funktionäre. Schließlich konnten sie nicht annehmen, daß alles auch ganz anders sein könnte als früher, konnten nicht mit einem grundstürzenden Wandel der Ordnung rechnen, konnten mithin auch die Schwäche des 145

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Gemeinwesens nicht durchschauen. Eben damit trieben sie die Gegensätze auf die Spitze. In der Zeit vor Sulla hatte man damit oft genug Erfolg gehabt. Wenn man glaubhaft machen konnte, daß das Ganze auf dem Spiel stand, aktualisierte sich die Übereinstimmung breiter Kreise zur Verteidigung von res publica und Senatsregime. So sollte es vielleicht auch gegen Pompeius praktiziert werden. Eben dafür schuf Ciceros Consulat eine wesentliche Voraussetzung. Aber wenn Cato und andere diese Linie der Senatspolitik unbedingt einhalten wollten, so stellte sich die Sache für Cicero anders dar. Zunächst war er stolz darauf, den Senat so stark gemacht zu haben. Aus seiner Leistung erwuchs ihm ein Anspruch auf besonders hohe Ehre, lateinisch dignitas, und er wurde auch deutlich respektiert. Sobald sich aber neue Auseinandersetzungen ankündigten, wie sie angesichts der Rückkehr des Pompeius kaum ausbleiben konnten, fühlte Cicero sich bedroht. Jetzt entstanden Parteiungen, in denen nicht große Koalitionen gegen schwache oder zumindest unterlegene Kräfte standen, sondern in denen so starke Kräfte einander gegenübertraten, daß nicht sicher war, wer siegte. Und jetzt befand sich Cicero nicht mehr am Rande, sondern potentiell im Zentrum der Politik. Damit war eine völlig neue Situation gegeben. Konnte Cicero sich auch jetzt noch den Parteiungen entziehen? Geriet er nicht, wenn er wieder zwischen den Fronten stehen wollte, in Gefahr, zwischen den Stühlen zu landen? Sein Glaube an die res publica, an das Senatsregime geriet in Konflikt mit den Realitäten. Wenn andere auf die Erfahrung oder Befürchtung gewisser Schwächen des Senats mit einem Trotzdem reagierten, neigte Cicero zur Verzweiflung. Die paradoxe Lage des Senats innerhalb der Krise ohne Alternative hat wohl keinen römischen Senator zu solchen Fehlschlüssen geführt, wie er sie damals zog. Dazu trugen viele eigenartige persönliche Schwächen bei, insbesondere aber die existentielle Identifizierung mit der res publica, welche weitgehende Einigkeit der Bürgerschaft erforderte, wo in Wirklichkeit Kampf die Tagesordnung bestimmte. 146

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Ciceros Aufstieg und sein Consulat hatten auf Tugenden beruht, die in gewissem Sinne unpolitisch waren. Insofern nämlich, als sie auf die Wirklichkeit der harten Gegensätze nicht bemessen waren. Jetzt aber brauchte er politische.

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3. VERTEIDIGUNG DES CONSULATS, VERBANNUNG UND RÜCKKEHR

a) Cicero zwischen den Fronten 62 wa r pom pe i us aus dem Osten zurückgekehrt. Entgegen den in Rom gehegten Befürchtungen hatte er sich so verhalten, wie das offenbar seit Sulla vorgeschrieben war: Er entließ seine Armee an der Grenze Italiens, in Brindisi. Dankbar bereitete man ihm in Rom einen ehrenvollen Empfang, um bald darauf in Stellung für die zu erwartenden Auseinandersetzungen zu gehen. Wir wissen nicht genau, wann sie einsetzten. Jedenfalls scheint Pompeius noch im Jahre 61 seine im Osten getroffenen Verfügungen dem Senat zur Ratifikation vorgelegt zu haben. Er wollte sie en bloc bewilligt bekommen, aber der Senat wollte sie Punkt für Punkt durchsprechen. Das Gezänk, das sich daraus ergab, scheint sich lange hingezogen zu haben; vieles, wenn nicht alles, blieb zunächst unerledigt. Außerdem konnten nach einem inzwischen schon eingebürgerten Brauch Pompeius’ Veteranen von ihm erwarten, daß er sie mit Land versorgte. Was ebenfalls auf den erbitterten Widerstand des Senats stieß. Denn der fürchtete, Pompeius’ Macht würde damit erheblich gesteigert: Es zeichnete sich ab, daß der sich nur gegen e n de

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den Senat, also nur vermittels der Volksversammlung durchsetzen konnte. Ebenfalls Ende 62 ereignete sich ein Skandal, der für Cicero höchst folgeträchtig werden sollte. Als im Hause des Pontifex Maximus Gaius Julius Caesar traditionsgemäß von vornehmen Frauen Roms (unter strengem Ausschluß von Männern) das Bona-Dea-Fest gefeiert wurde, schlich sich dort ein junger Patricier, Publius Clodius, in Frauenkleidern ein. Er hatte es – wie gemunkelt wurde – auf die Gastgeberin abgesehen. Aber er wurde entdeckt und entkam nur knapp dank der Hilfe einer Sklavin. Caesar fand, auf seine Frau dürfe nicht einmal der Schatten eines Verdachts fallen, und verstieß sie. Die Politik drehte sich wochenlang um die Frage, wie der Religionsfrevel geahndet werden sollte. Man wollte ein Sondergericht einsetzen. Clodius suchte die Abstimmung darüber zu vereiteln. Zahlreiche Freunde aus Roms jeunesse dorée unterstützten ihn, Cicero sprach von »milchbärtigen Jünglingen«, »jener ganzen Sippschaft Catilinas«. Auch der Consul war Clodius wohlgesonnen. Nach langem Hin und Her einigten sich Clodius’ Gegner mit einem ihm zugetanen Volkstribunen auf einen Antrag, der im entscheidenden Punkt, in der Frage nämlich, wie die Geschworenen bestellt werden sollten, zahnlos war. Sie meinten, er könne gar nicht freigesprochen werden. Er wurde aber – wofür Crassus eine Menge Geld beisteuerte. In den Auseinandersetzungen dieser Wochen griff Clodius einige Häupter des Senats an, beschwerte sich auch über die Hinrichtung der Catilinarier. Ciceros consularische Betriebsamkeit bedachte er mit Spott. Der antwortete, indem er Clodius’ Alibi vor Gericht widerlegte. Er putzte ihn außerdem vor dem Senat herunter und schuf sich damit einen bitteren Feind. Wie so mancher unter den begabten Söhnen des hohen Adels damals hatte Clodius weder vor den Idealen der Republik noch vor den stolzen, doch häufig auch schwachen alten Herren, die sie repräsentierten, sonderlichen Respekt. Aber was ihn selbst anging, das nahm er ernst, und den ganzen Hohn und Sarkasmus, mit dem Cicero ihn vom Podest der Sittenstrenge 149

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aus überschüttete, konnte er schlecht vertragen. Er sann auf Rache. Sein Plan war, zur plebs überzutreten, nicht zuletzt um als Volkstribun Cicero zur Rechenschaft zu ziehen. Der war durch den Ausgang des Prozesses, den ersten Sieg der »Schlechten« (improbi) nach seinem Consulat tief erschüttert. Bei solchen Richtern mußte er für sich und die res publica das Schlimmste befürchten. Doch habe er es sich nicht anmerken lassen, habe im Gegenteil versucht, den Senat und alle Guten aufzurichten, damit sie nicht über der einen Schlappe den Mut verlören. Ende 61 fand er aber auch die concordia ordinum in höchster Gefahr. Der Senat hatte beschlossen, es sollte ein neues Gesetz gegen Richterbestechung eingebracht werden. Das bezog sich primär auf die Geschworenen aus dem Ritterstand, denn im Unterschied zu den Senatoren waren die bislang dafür nicht zu belangen. Andererseits hatten die Pächter der Einnahmen aus Asien den Antrag gestellt, die Pachtsumme zu ermäßigen; sie hätten sich bei der Auktion zu sehr in die Höhe getrieben. Übrigens war es Crassus, der sie dazu ermuntert hatte. Cicero selbst bezeichnete das Ansinnen als »kaum zu ertragen«. Aber er wollte alles tun, um ihm zum Erfolg zu verhelfen, der höheren politischen Notwendigkeit wegen. Er habe sich auch beinahe durchgesetzt, weil nämlich viele Senatoren es sich ebenfalls mit den Publicanen nicht verderben wollten. Aber der junge Cato widersprach. Und da es anders nicht zu machen war, vereitelte er ein übers andere Mal, mehr als drei Monate lang, die Abstimmung durch Filibustern. Der Sitzungsleiter durfte einen Senator nicht unterbrechen, und vor allem in diesem Falle wäre das unmöglich gewesen, da Cato hartnäckig und unbeirrbar sprach, überzeugend und mit nur allzu berechtigten Argumenten. Bei Einbruch der Dunkelheit mußte die Sitzung jeweils ihr Ende finden. Anscheinend kam die Entfremdung zwischen Senat und Rittern für Cicero überraschend. Dabei bedeutete sie nur eine Rückkehr zur Regel der Politik. Freilich gehörte zu dieser Regel damals kein Gegensatz zwischen den Ständen, aber doch ein 150

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distanziertes Nebeneinander. Jedenfalls waren die Fälle politischen Zusammenwirkens immer die Ausnahme gewesen, nach der man über kurz oder lang zu den normalen Konditionen zurückkehrte. Eben damit aber hatte Cicero nicht gerechnet. Er verwechselte die Ausnahme mit der Regel, indem er sich der Illusion hingab, sein Consulat habe eine neue Epoche eingeleitet, die durch die concordia ordinum gekennzeichnet sei. Darauf hatte er vertraut, zumal er meinte, daß so die künftige Macht des Senats und er selbst abgesichert war. In dem Brief, in dem er seinem Freund Atticus Anfang Dezember 61 von den beiden die Ritter betreffenden Anträgen berichtete, schreibt er, er habe die von ihm »zusammengeleimte Eintracht der Stände« verteidigt. Und er fährt fort: »Aber dennoch, weil dies alles so unsicher ist, wird von uns ein gewisser zur Erhaltung unserer Position, wie ich hoffe, sicherer Weg gebahnt; ich kann ihn dir brieflich nicht recht deutlich machen, einen kleinen Fingerzeig aber will ich dir geben. Ich verkehre mit Pompeius aufs freundlichste. Ich weiß, was du jetzt sagst. Ich werde mich hüten vor allem, wovor man sich zu hüten hat, und ich will dir ein ander Mal mehr über meine politischen Pläne schreiben.« Man spürt deutlich, wie unwohl ihm bei der Sache ist. Es beginnt damit eine Geschichte von nahezu abenteuerlich anmutender intellektueller Akrobatik; jedenfalls eines der traurigsten, von Selbsttäuschungen erfülltesten, zugleich interessantesten Kapitel im Leben des Politikers Cicero. Nach der Catilinarischen Verschwörung hatte Cicero einen vermutlich eitlen Bericht an Pompeius gesandt. Der aber hatte äußerst kühl geantwortet. Über die großen Taten, deren Cicero sich gerühmt hatte, scheint er kein Wort verloren zu haben, geschweige denn, daß er ihm dazu gratuliert hätte. Es behagte ihm offensichtlich nicht, daß Cicero sich mit ihm auf eine Stufe stellte. Außerdem hätte er es ja viel lieber gesehen, wenn Senat und Consul nicht allein mit dem Putsch fertig geworden wären, sondern ihn dazu benötigt hätten. Vielleicht hatte er auch grundsätzliche Bedenken, sich auf die Seite Ciceros und des Se151

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nats zu stellen, zumal so lange nicht klar war, ob er deren Gegner nicht brauchte. Nach der Rückkehr beteuerte er in einer Art Interview vor der Volksversammlung, er respektiere die Autorität des Senats als das Höchste. Später erging er sich im Senat auf eine konkrete Frage in vagen Ausführungen des Lobes für alle Beschlüsse des Hauses und meinte danach zu Cicero ein wenig wegwerfend, damit habe er wohl genug zu »diesen deinen Angelegenheiten da« gesagt, also zur Niederwerfung Catilinas. Cicero hat ihn dann umworben. Einerseits wurmte und beängstigte es ihn, daß Pompeius sich nicht zu ihm und seinen Taten bekannte. Andererseits hatte er sich kurz zuvor schon ausgemalt, zwischen Pompeius und ihm könne eine Freundschaft entstehen, wie einst zwischen dem von ihm hochverehrten Scipio Aemilianus und Laelius, das heißt, so wie er das verstand, zwischen dem führenden Staatsmann und seinem engsten Ratgeber. Da Pompeius sich weit besser mit römischen Armeen und im Herrschaftsbereich auskannte als mit der Politik in der Stadt, konnte Cicero sich einbilden, ihm wirklich von Nutzen zu sein und ihn dabei zu beeinflussen. Pompeius ließ sich seine Annäherung, weil er politisch eher isoliert war, auch gern gefallen. In der Öffentlichkeit konnte man schon den Eindruck einer freundschaftlichen Beziehung zwischen den beiden gewinnen, berichtet Cicero. Die »bärtigen jungen Männer«, einst Kumpanen der Verschwörung, trieben schon ihren Spott damit. Seit Ende 61 aber hatte Cicero eine noch engere Allianz im Auge. Sie zahlte sich, wie er andeutet, auch bald aus, indem Pompeius mehr als einmal öffentlich erklärte, Cicero habe Roms Herrschaft und die Wohlfahrt des ganzen orbis terrarum gerettet. Es ging, wie er in den ersten Mitteilungen an Atticus sagt, um seine Sicherheit. Er schwebte wegen des 5. Dezember 63 in Gefahr. Der Senat hatte sich als schwach erwiesen, die Geschworenen als bestechlich, die concordia ordinum war preisgegeben. Außerdem hatte Cicero das Gefühl, daß die wichtigsten Häupter des Senats (principes) »neidisch« auf ihn seien. Das kann nur heißen, daß sie seinen vergleichsweise großen Bedarf an Lo152

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besworten für den Sieg über Catilina nicht deckten, wahrscheinlich mit wachsender zeitlicher Entfernung um so weniger. Die Geschichte, zu der Cicero selbst immer wieder gern das Wort ergriff, die er aufplusterte, über die er dann sogar ein eigenes Epos verfaßte, wurde ja auch langweilig. So gingen die Principes zunehmend zur Tagesordnung über; das war nur normal; während er schicksalhaft an dem großen Ereignis haften blieb. Er muß ihnen mit seiner Wichtigtuerei recht sehr auf die Nerven gegangen sein, und um so mehr, je mehr er sich über sie ärgerte. So machte sich Überdruß und Mißtrauen zwischen ihnen breit. Da jene Herren sich wie politische Routiniers verhielten und zusätzlich ihre privaten Steckenpferde ritten – damals war gerade die Fischzucht in Mode –, fühlte er sich und das Gemeinwesen von ihnen geradezu im Stich gelassen. »Die einen sind nichts, die anderen kümmern sich um nichts«, urteilte er im Blick auf die römischen Politiker, indem er einen griechischen Dichter zitierte. Da mochte es sich nahelegen, den mächtigsten potentiellen Gegner des Senats für sich einzunehmen. Populare Angriffe mochten unbequem sein. Wirklich gefährlich konnten sie nur werden, wenn sie von einflußreichen Herren unterstützt wurden. Auf das Streben nach Sicherheit kommt Cicero auch im folgenden immer wieder zurück, dann freilich, indem er es zu einem Nebeneffekt herabstuft. In Wirklichkeit ginge es um viel mehr. So trug er denn in einem zweiten Brief noch eine andere Begründung vor. Sein Freund Atticus hatte die Befürchtung geäußert, Ciceros dignitas litte unter der neuen Verbindung – es gehörte sich nicht, daß er von seiner politischen Linie so einfach abwiche –, er setze sein gutes Ansehen im Senat aufs Spiel, um ganz von Pompeius abhängig zu werden. Der habe doch nichts Großartiges, nichts Hervorragendes, nichts, was nicht niedrig und popular sei, an sich. Was alles Pompeius an Außerordentlichem geleistet hatte, verschwand für Atticus offenbar hinter dem Gemisch aus Stolz und Tapsigkeit, mit dem Pompeius sich in seiner schwierigen Rolle bewegt zu haben scheint. Cicero bestritt nicht, was Atticus über den Charakter sei153

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nes neuen Verbündeten äußerte. Aber weder leide seine Ehre, er spricht von dignitas, noch geriete er in Pompeius’ Abhängigkeit. Ganz im Gegenteil: Nicht er würde von seinem geraden Weg abgehen, sondern Pompeius’ Weg würde gerader werden. Was wichtig war. Denn Pompeius schwanke in seiner Meinung hin und her. Schon sei es deutlich, daß er »besser« (melior) geworden sei. Er streiche nämlich, so lautet die Begründung, Ciceros Sieg über Catilina inzwischen mehr heraus als seine eigenen über Mithridates und die Seeräuber. Die seien nur große Leistungen, jener die Rettung des Gemeinwesens gewesen. Er, Cicero, halte unverrückbar an seinen alten Ansichten fest, obwohl das schwer geworden sei, da er sich inzwischen ganz allein auf der rechten Spur befinde. »Vom Senat aber wird mich nichts trennen«, schreibt er, wobei er wohl an das Gros der Senatoren denkt. Später meint er, er könne außer Pompeius vielleicht auch Caesar »besser machen«. Ganz unabhängig von seiner persönlichen Lage sei es vernünftiger, die »kranken Teile der Republik« zu heilen als sie »herauszuschneiden« (also zu bekämpfen). Selbst wenn ihm persönlich gar nichts drohe, sei es aus staatsmännischen Erwägungen angezeigt, diesen Weg einzuschlagen. Die Frage ist, wie sich Cicero eine solche Allianz konkret und vor allem auf die Dauer vorgestellt hat. Meinte er wirklich, Pompeius für ein Bündnis zu gewinnen? Konnte er sicher sein, daß dabei seine eigenen Interessen gewahrt würden? Konnte er annehmen, die neue Verbindung bliebe folgenlos für seine Stellung im Senat? Wie wollte er sich verhalten, wenn der Konflikt zwischen Pompeius und der Senatsmehrheit offen ausbrach? Denn damit war doch zu rechnen. Der Senat versteifte sich darauf, gegen Pompeius’ Forderungen Widerstand zu leisten. Der aber konnte kaum darauf verzichten, sie durchzusetzen. Wohl hat er im Jahre 60 den Antrag auf ein Ackergesetz zurückziehen lassen, als der Consul ihn auf höchst spektakuläre Weise bekämpfte. Wohl war Pompeius auch an sich kein Gegner des Senats und schon gar nicht der überkommenen Ordnung, im Gegenteil. Ihm lag viel daran, bei den »Guten« hoch angesehen zu sein. Er hätte dem Senat auch gern gedient. Aber wenn der 154

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ihn nun scheitern ließ, konnte er das hinnehmen? Sallust spricht später vom biederen Gesicht des Pompeius, fügt aber gleich hinzu, die Gesinnung dahinter sei unverfroren gewesen. Womit er ihm vielleicht doch Unrecht antut. Pompeius war oft mehr der Getriebene als der Treibende; getrieben indes immer wieder durch Gebote, die sich aus der Sonderstellung ergaben, die er einmal erlangt hatte und bewahren wollte. So, wie die Dinge dann gelaufen sind, hat Pompeius sich noch im gleichen Jahr mit Caesar verbündet, der für 59 zum Consul gewählt wurde. Und der war bereit, seine Forderungen mit allen Mitteln, auch unter Bruch der Ordnung, auch gewaltsam, durchzupeitschen. Hat vielleicht erst er Pompeius dazu gebracht, alle Rücksichten fallenzulassen? Übrigens aus ganz persönlichen Gründen; denn Caesar wollte sich als Gegenleistung für seinen hohen Einsatz eine Provinz verschaffen, von der aus er große Eroberungen hätte ins Werk setzen können. Hätte Pompeius sich andernfalls vielleicht gar von Cicero bereden lassen, sich dem Senat zu unterwerfen und auf seine Forderungen zu verzichten? Man kann es vielleicht nicht völlig ausschließen. Aber daß es wahrscheinlich gewesen wäre, wird man nicht annehmen dürfen. Und daß sich gar Caesar von Cicero hätte überreden lassen, darauf zu verzichten, alle Hebel daran zu setzen, um seine vielleicht einmalige Chance zu nutzen, wird man schon gar nicht vermuten sollen. Cicero stellt darüber in seinen Briefen auch gar keine Überlegungen an. Da ist eben nur davon die Rede, daß er Pompeius, vielleicht auch Caesar besser machen, und das hieß nicht zuletzt, daß er sie dazu bringen wollte, dauerhaft für ihn und damit für die Republik zu kämpfen. Man kann kaum andere Folgerungen aus dem allen ziehen, als daß in Cicero damals ein delikates Gemisch aus Angst und Lobversessenheit gearbeitet hat. Es mag auch verletzter Stolz des homo novus Trotzreaktionen hervorgerufen haben. Alles zusammen gründete in ziemlicher Selbstüberschätzung und/oder lief darauf hinaus; wie ja auch sein Wunsch, ähnlich dem Laelius bester Freund des herausragenden Mannes zu sein. 155

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In der Rede von der Sorge um die res publica fand dies alles seine Rationalisierung. Es ging darum, daß die Republik (die keiner direkt bedrohte), also er selbst (der sich bedroht fühlte) verteidigt wurde. Diese Sorge war nicht völlig grundlos. Denn die Republik, das war das Senatsregime; und das wiederum hatte unter den damaligen Umständen die freie Verfügung über seine ultima ratio zur Voraussetzung. Eben deswegen mochte man versuchen, dessen letzten Vollstrecker zu bestrafen. Aber diese Sorge mußte gleichwohl als recht übertrieben erscheinen. Gewiß war es störend, von rhetorischen Randalierern immer wieder einmal vorgehalten zu bekommen, man habe das wichtigste Freiheitsrecht des römischen Bürgers verletzt. Jedoch – konnte man wirklich damit rechnen, die Dinge würden so heiß gegessen, wie sie in der popularen Agitation gekocht wurden? Wie beim senatus consultum ultimum selbst wäre, wenn wirklich einer gegen dessen letzten Exekutor vorging, nach menschlichem Ermessen zu erwarten gewesen, daß Senat und Ritter alles für ihn einsetzten, was sie hatten; und das war ja nicht wenig. Somit klaffte einerseits eine ziemliche Lücke zwischen den Gesichtspunkten Ciceros und dem normalen politischen Leben der Zeit, das sich um die verschiedensten Interessen drehte, ohne daß sich irgendwer um die Zukunft der Republik Sorgen gemacht hätte. Andererseits wich er, was Pompeius anging, völlig von den Urteilen der Senatshäupter ab. Indem für ihn immer wieder gleich die Republik auf dem Spiel stand, urteilte er nach dem Kriterium der Gesinnung gegenüber dem Gemeinwesen, und das hieß für ihn dem Senatsregime. Entsprechend unterschied er zwischen Guten und Schlechten. Damit nahm er eine alte Unterscheidung auf. Wie so viele andere, meinten auch die römischen Adligen, die Guten (boni) oder die Besten (optimates) zu sein. Der Ausdruck ließ sich auf die Angehörigen der oberen Bürgerschichten insgesamt ausdehnen. Mit dem Anspruch, etwas Besseres zu sein, verquickte sich der, das Rechte zu denken und zu wollen. Insofern war darin eine bestimmte politische Einstellung inbegriffen. Das Kriterium der politischen Einstellung war 123/2 in den 156

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Tribunatsjahren des Gaius Gracchus sogar von der ständischen Bedeutung der Termini abgelöst worden. Denn damals hatten beide Seiten für sich den Anspruch erhoben, die Guten zu sein, während die anderen schlecht wären. Doch hatte sich das nicht durchgesetzt. Später meinte Sallust, die Guten seien so schlecht wie die Schlechten, aber die Reichsten und Mächtigsten würden deswegen, weil sie das Bestehende verteidigten, für gut gehalten. Das muß, übrigens in Hinsicht auf einen relativ breiten Kreis, auch für den Wortgebrauch zur Zeit Ciceros maßgebend gewesen sein. Die »gute Gesellschaft« hing dem Bestehenden an. »Gut ist«, wie Cicero einmal formuliert, »was den Guten gefällt«. Entsprechend konnte man die, die gar nicht grundsätzlich dagegen waren, aber mit manchen seiner Regeln in Kollision gerieten, als Schlechte aussortieren. Sei dies Pompeius, den Cicero ja aber »bessern« wollte, seien es agitierende Volkstribunen oder gar Bösewichter. Cicero nun, der, vielleicht nicht nur aus seiner persönlichen Lage heraus, auf große Koalitionen aus war, tendierte andererseits dazu, solche »Schlechten« besonders klar aus dem Block aller anderen auszusondern, während er Pompeius und Caesar als verbesserungsfähig auf die andere Seite stellte. Das Ergebnis ließe sich in diesem Schema fassen. Catilina und die Catilinarier Clodius (sehr bald), später Antonius

Pompeius Senat und alle Guten Caesar

Die Senatshäupter dagegen urteilten viel stärker den Interessen als einer möglichen Gesinnung nach. Für sie war der mächtige Pompeius mit seinen Forderungen der eigentliche Gegner, und nicht weniger Caesar, der viele von ihnen verärgert hatte und sich, wie Cicero bezeugt, auf der popularis via bewegte:

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Pompeius Caesar populariter agentes

Senat und alle Guten

Mehrere von ihnen hatten sich lange gesträubt, Catilina auszugrenzen. Später haben sie zeitweilig mit Ciceros Erzfeind, dem popularen Volkstribunen Clodius paktiert. Bis sie sich dagegen mit Pompeius verbündeten, mußte sehr viel Wasser den Tiber hinunterfließen. Denn der bedrohte angesichts der Sonderstellung, die er anstrebte, die grundlegende Gleichheit unter den Senatoren. Und das stellte für sie die eigentliche Gefahr dar. Die Dinge wären einfacher gewesen, wenn damals breiter und zugleich tiefer gelagerte Gegensätze bestanden hätten. Wenn sich etwa, gestützt auf die zahlreichen Notleidenden, ein ganzes politisches Lager herausgebildet hätte, das vielleicht den Senat grundsätzlich bekämpft, das zumindest größere Reformen auf längere Sicht auf seine Fahnen geschrieben hätte. Dem hätte Pompeius sich dann anschließen können und Cicero hätte eher gewußt, was er tat.Wenn also eine »Alternative« zur bestehenden Ordnung entstanden wäre. Es gab ja eigentlich Mißstände genug. Und war es nicht auch skandalös, daß ein Mann wie Pompeius, der mit dem Sieg über die Seeräuber etwas geschafft hatte, woran vorher alle gescheitert waren, der auch gegen Mithridates durchschlagende Erfolge erzielt hatte, wie es so leicht kein anderer damals gekonnt hätte – daß dieser Mann also vom Scheitern bedroht war, sobald es um die Bewilligung der aus alldem sich ergebenden Forderungen ging? Tat der Senat wirklich richtig daran, ihn zu bekämpfen? Doch scheint sich auch Cicero das nicht gefragt zu haben. Zu sehr war er wie alle andern fixiert darauf, daß die Verantwortung für res publica und Herrschaftsbereich beim Senat lag und daß alle sich dem zu fügen hatten. Jedenfalls läßt er nichts darüber verlauten, daß Pompeius seine Forderungen zu Recht erhob. Dem Senat wurde damals wie seit eh und je die Verantwor158

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tung für die Republik zugesprochen. Man wußte es nicht anders. Wenn er in vielem versagte, so war das bedauerlich. Man konnte versuchen, daran etwas zu ändern. Die Krise der Zeit resultierte aus vielfältiger Überforderung, sie bestand in Desintegration. Aber eine Legitimitätskrise war es nicht. Es wurde dem Senat auch nicht verdacht, daß er verschiedene Probleme gar nicht mehr erfolgreich anpacken konnte. Im übrigen ließen sich alle auch nur potentiell Mächtigen, nicht zuletzt dank all der Mittel, die aus den eroberten Gebieten hereinströmten, zufriedenstellen. Und die Unzufriedenen waren machtlos, auch wenn sie gelegentlich stören mochten. So war sich auch der Senat seines Regimes gewiß. Trotz aller Mängel. Außerdem drängte gerade damals der junge Cato, der in der Diskussion über die Catilinarier am 5. Dezember 63 zuletzt den Ausschlag gegeben hatte, darauf, diese Mängel zu beseitigen. Die Stärke, die der Senat 63 gewonnen hatte, gab ihm Auftrieb. Cicero selbst hatte ja dazu beigetragen. Daher war der Widerstand gegen Pompeius so stark. Doch sollte sich bald zeigen, daß der andere große Exponent der Debatte vom 5. Dezember, Gaius Julius Caesar, indem er eben diesen Widerstand brach, die letzte Phase der Republik einläuten konnte. Damit waren die Positionen abgesteckt, die die römische Politik jetzt bestimmen sollten. Als es hart auf hart kam, wußte Cicero rasch, wo er hingehörte; obwohl er, und nicht zuletzt deswegen, bald erfuhr, daß er von Pompeius so leicht nicht loskam, weil er ihn dann wirklich brauchte. Das Intermezzo seiner Annäherung an ihn in den Jahren 61/60 ist für das Verständnis des Politikers Cicero – das wird man rück- und vorausblickend feststellen können – von großem Interesse. Die harte Probe, der er infolge des 5. Dezember 63 ausgesetzt war, ließ gerade einige seiner Schwächen sich ausleben. Die Dünnhäutigkeit (und wohl auch die Phantasie), die ihn seine Angst so sehr empfinden ließ. Die Eitelkeit, die weit über die Verteidigung seiner Tat hinaus, auf die er angewiesen war, Lob heischte. Die Selbstüberschätzung, zu der sie Zuflucht nahm; das 159

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Wunschdenken, die Anfälligkeit für Illusionen, die ihn dazu verleiteten, Unmöglichem nachzustreben. Und manche seiner Äußerungen lassen an seiner Urteilskraft zweifeln.Was alles uns nur bekannt wird, weil seine Briefe an Atticus veröffentlicht wurden und in Abschriften erhalten blieben. Urteilskraft aber ist keine abstrakte Größe. Aus dem Innern eines politischen Kreises oder auch von einem reinen Beobachtungsposten aus urteilt es sich leichter. Politische Verankerung und damit gegebene Perspektiven bilden zumeist einen Teil dessen, was dann als Einsicht firmiert. In einer einerseits abstrakten, andererseits persönlich betroffenen Position dagegen kann politische Urteilskraft leicht überfordert sein – auch wenn sie größer ist als diejenige, welche Cicero mitbrachte. Auch Eitelkeit ist keine absolute Größe. Sie ist das Empfinden einer Knappheit. Daß sie sich hier so offen äußerte, war auf Mängel der – für ihn wirklich lebensnotwendigen – allgemeinen Anerkennung zurückzuführen. Das Bedürfnis nach Lob und die Einsamkeit, welche sich daraus ergab, daß er faktisch mit der Sache der res publica, wie er sie verstand, allein stand, verhakten sich zu dem Syndrom, das wir als Eitelkeit etikettieren. Und daß Cicero die Dinge dann – in der Suche nach Begründungen – rasch sub specie rei publicae erschienen, daß er die Republik bedroht sah, war nicht falsch, wenn auch das Motiv, das ihn dazu brachte, nicht gerade die Analyse aus gebotener Distanz war. Es ist schwer auszuloten, welche Fernwirkungen dieses Intermezzo für Ciceros weitere Laufbahn, aber auch für seine bedingte Abwendung von der Politik hinweg zur Philosophie gehabt hat. In der politischen Isolierung dieser Jahre finden wir ihn jedenfalls Halt und Orientierung in theoretischen Studien suchen. Im Jahre 60 mißt er erstmals, soweit wir sehen, die Politiker am philosophischen Ideal des Staatsmanns: Keiner ist es – außer, wie man wohl hinzudenken muß, ihm selbst, der es nicht sein kann, weil die anderen ihn im Stich lassen. Denn wie der Staatsmann seine Autorität erlangte, war ihm nicht problematisch: Die sollte sich zu seiner höheren Einsicht gesellen, andern160

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falls waren die schuld, die sie ihm nicht gewährten. In diesem Ideal, das Cicero dann seit der Mitte der 50er Jahre in seinen philosophischen Schriften weiter ausbaute, kehrte er für sich eine Grundvoraussetzung der römischen Republik, die inzwischen freilich dahingeschwunden war, um. Denn wo bis dahin der Senat und in ihm die letztlich sich herausstellende Übereinstimmung der Maßgebenden in der Regel als geschlossene Kraft den Ausschlag in der römischen Politik gegeben hatten, forderte Cicero jetzt den Staatsmann, der in letzter Instanz auf sich gestellt und dafür an der Philosophie orientiert war. Der soll das Ganze verfechten, über alle Gegensätze und über die eigenen Interessen hinweg, vermutlich im Sinne der breiten Koalition aller Gutwilligen. Noch in den 90er Jahren, als sich in der römischen Führungsschicht eine gewisse Zuwendung zur griechischen Philosophie, insbesondere zur Stoa zeigt, war es darum gegangen, in der geschlossenen, maßgebenden Schicht eine gewisse Läuterung des Handelns durch philosophische Maßstäbe zu erreichen. Jetzt suchte Cicero den einzelnen herausragenden, philosophisch gebildeten Staatsmann (der im Grunde so einsam ist, wie er selbst). b) 60–56 v. Chr.

Etwa in der Zeit, in der Cicero an Atticus schrieb, er hoffe, auch Caesar »besser« zu machen, bereitete der sein Bündnis mit Pompeius vor. Frisch von seiner spanischen Statthalterschaft zurückgekehrt, bewarb er sich um das Consulat von 59. Am Ende brachte er einen Dreibund zustande. Denn man zog Pompeius’ Rivalen Crassus hinzu. Alle drei hatten bestimmte Absichten, die sie gegen den Senat durchsetzen wollten. Angesichts des starken Widerstands, der zu gewärtigen war, fuhren sie am besten, wenn sie sie gemeinsam betrieben. Crassus half trotz und wegen seiner Eifersucht gegen Pompeius besser mit, als daß er hätte leer ausgehen wollen (oder sollen). Caesar sollte die wichtigsten Gesetze zum Teil selbst einbringen, zum Teil sollte es ein befreundeter 161

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Tribun tun, Publius Vatinius. Pompeius sollte seine Veteranen nach Rom rufen, um dabei handfeste Unterstützung zu leisten. Der Widerstand des Senats mußte zur Not gegen das Recht, mit Gewalt niedergekämpft werden. Um sich gegen die deswegen zu erwartenden Anklagen zu sichern, sollte Caesar eine Provinz erhalten, die ihm Gelegenheit zu größeren Eroberungen gab, also den Weg eröffnete, auf dem er am ehesten eine Sonderstellung ähnlich der des Pompeius gewinnen konnte. Caesar versuchte, auch Cicero in das Bündnis einzubeziehen. Das Ansehen, über das der Consular bei breiten Kreisen noch immer verfügte, und seine großen rhetorischen Fähigkeiten konnten nur nützen. Cicero fand, er könne sich auf diese Weise mit seinen Feinden aussöhnen, die Attacken der Popularen fänden ein Ende, es gäbe Frieden mit der breiten Menge, er gewinne Aussicht auf ein ruhiges Alter. Aber er war sich auch bewußt, daß in diesem Bündnis nicht er den entscheidenden Einfluß auf Pompeius ausübte. Wenn er vorher dessen Interessen unterschätzt hatte, so konnte er jetzt dessen Absichten nicht mehr übersehen. Es war unverkennbar, daß man sich mit aller Macht, und bald auch zu vermuten, daß man sich unter Mißachtung des Rechts durchsetzen wollte. Hatte doch Vatinius offen erklärt, daß er sich um religiöse Einsprüche nicht kümmern wolle. Da konnte Cicero nicht mitmachen. Nun konnte auch er nicht leugnen, daß seine dignitas ein Sich-Einlassen auf Pompeius verbot. Wie Cicero sich im Senat verhielt, wie entschieden er Caesars Anträge ablehnte, ist nicht überliefert. Jedenfalls teilte er aber die Empörung über die Weise, in der Caesar das erste Gesetz gegen das Veto einiger Tribunen und den Einspruch seines Collegen durchsetzte. Und er äußerte die Empörung offen in einer Rede vor Gericht, in der er seinen ehemaligen Mitconsul Antonius verteidigte. Er wäre diesem Prozeß lieber aus dem Weg gegangen. Denn Antonius’ Statthalterschaft war offensichtlich ungewöhnlich korrupt gewesen. Nur hatte die Abmachung, aufgrund derer Cicero ihm einst die Provinz Macedonia abgetreten hatte, seine 162

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Beteiligung an dessen Gewinn vorgesehen. Und da Cicero nach dem Consulat das dringende Bedürfnis hatte, sich einen standesgemäßen Stadtpalast zuzulegen, war er auf dieses Geld (wie auf anderes) angewiesen. Das hatte ihn immer weiter in dessen Sache verstrickt. Deswegen, nicht zuletzt aber auch, weil es in dem Prozeß zugleich um die Verteidigung des Siegs über Catilina gehen mußte (und konnte), übernahm er den Fall. Und nun versuchte er, durch die Klage über die gegenwärtigen Zustände, die so sehr von denen abstachen, die er einst geschaffen, vom Unrecht des Angeklagten abzulenken. Caesar antwortete binnen drei Stunden, indem er Clodius endlich dessen Wunsch erfüllte, zur plebs überzugehen. Das war bisher an verschiedenen Einsprüchen gescheitert. Jetzt gab es kein Halten mehr. Sei es aus Mutwillen, sei es weil er in seinem unbändigen Zorn so schnell keinen anderen fand, veranlaßte der Consul einen etwa 20jährigen gleichgültigen Mann, den in der Mitte der Dreißiger stehenden vornehmen Patricier zu adoptieren. Pompeius war sich nicht zu schade oder sah sich genötigt, bei der Posse den Augur zu spielen. Damit war der Weg des Feindes zum Volkstribunat offen. Freilich waren Caesar und Pompeius nicht gewillt, den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen. Pompeius ließ sich von Clodius versprechen, daß er seinen Freund Cicero nicht verfolge. Es bestand auch die Möglichkeit, Cicero mit einer Gesandtschaft zu betrauen, die ihn 58 dem Zugriff des Clodius entzogen hätte. Caesar bot ihm schließlich an, ihm eine Legatenstellung in seiner gallischen Statthalterschaft zu geben. Er wollte Cicero nicht unbedingt der Rache preisgeben. Es war ihm genug, daß er still war und sich aus Rom entfernte. Eben das aber wollte Cicero nicht. Er mag zeitweilig geschwankt haben. Doch überwog die Absicht, das zu tun, was die Guten von ihm erwarteten, nämlich sich zum Kampf zu stellen und sich nicht durch einen, wie auch immer gearteten, Anschluß an die drei Herren zu kompromittieren, welche inzwischen viel Schindluder mit der römischen Ordnung trieben. Im übrigen rätselte man darüber, was Clodius eigentlich 163

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wollte. In Ciceros Briefen hören wir, daß seinen öffentlichen Erklärungen und den Aussagen von Mittelsmännern (oder -frauen) recht Verwirrendes zu entnehmen war. Clodius wollte offenbar aus seinem Tribunat alles an Aufstiegs- und Machtchancen herausschlagen, was in der Situation enthalten war. Und angesichts der mächtigen Empörung, die in der römischen Bürgerschaft (einschließlich des Stadtvolks) gegen das willkürliche Treiben Caesars und seiner Helfershelfer aufflammte, scheint er sich sogar zeitweilig überlegt zu haben, ob er sich nicht besser gegen diese stellen und deren Gesetze für ungültig erklären lassen sollte. Caesar soll zuweilen recht unglücklich über die Aussicht auf Clodius’ Tribunat gewesen sein. Die Lage war explosiv. Man wußte nicht, wohin die Dinge tendierten. Viel stand auf dem Spiel. Wer großen Ehrgeiz hatte, geschickt und skrupellos war, mochte gebraucht werden, von wem auch immer. Er konnte sich einbilden, er habe die Chance, mit hohem Einsatz auf der richtigen Seite Außerordentliches zu gewinnen. Unter offensichtlich starkem Einfluß Catos hatte sich der zweite Consul Marcus Calpurnius Bibulus, nachdem er zunächst zu interzedieren versucht hatte, auf eine ganz neue Taktik verlegt, nämlich den Rückzug in sein Haus. Von dort aus sandte er gegen jeden Antrag einen religiösen Einspruch. Da nicht anzunehmen war, daß Caesar darauf achten würde, warb er also geradezu mit der eigenen Niederlage und Schwäche, und die Mehrzahl der Senatoren unterstützte ihn, indem sie den Senatssitzungen fernblieb. Bibulus und die Seinen waren sich des Ansehens des Senats und der Verfassung sicher genug, um gerade daraus, daß es geschunden wurde, Sukkurs zu erhoffen. Die Rechnung war offenbar die, Caesar mit der Zeit zu schwächen, dann bei den Wahlen Gegnern von ihm zum Erfolg zu verhelfen, um ihn Anfang 58 – vermutlich aufgrund eines Notstandsbeschlusses – für seine zahlreichen Rechtsbrüche zu bestrafen. Gesetze, die gegen religiöse Einsprüche erlassen worden waren, konnten zudem vom Senat annulliert werden. Cicero stand dieser Taktik zunächst eher skeptisch gegen164

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über. Er hätte ein anderes Rezept bevorzugt: transitum tempestatis exspectare: das Unwetter vorüberziehen zu lassen. Er war – bestärkt durch seine philosophische Lektüre, in diesem Fall vor allem des Theophrast – der Ansicht, daß die Geschichte sich im Kreise bewege, und leitete daraus die Maxime ab, eher zuzuwarten, auf daß es nicht allzu schlimm komme. Das paßte zu seiner Kritik an der senatorischen Politik. Unter diesem Blickwinkel erschien ihm sogar der Sieg Caesars als notwendig. Aber wenn er es überhaupt versucht haben sollte, diesen Standpunkt im Senat zu vertreten, so waren seine Aussichten denkbar gering, zumal nach seinem Bündnis mit Pompeius, nach seiner Abwendung von den principes, die sich so rasch nicht vergessen ließ. Schließlich konnte er nicht leugnen, daß die Taktik der Gegner allmählich Erfolge zeitigte. Denn Caesar ist durch ihren Widerstand in schwere Bedrängnis geraten. Doch hat er sich daraus befreien können. Er versicherte sich durch ein neues Bündnis des Beistands des Pompeius. Zu Consuln von 58 wurden zwei Herren gewählt, die Pompeius und ihm ergeben waren. Gleichwohl begannen zwei Praetoren Anfang 58, seine Gesetzgebung in Frage zu ziehen. Die Situation war für ihn alles andere als einfach. So überschritt er die Stadtgrenze, was bedeutete, daß er sein Kommando antrat (und infolgedessen nicht mehr zu belangen war). Er blieb jedoch fürs erste vor der Stadt stehen, um das Geschehen dort zu beobachten respektive zu beeinflussen. Mehrere Zeugnisse sprechen dafür, daß er damals Clodius dazu anspornte, Ciceros Bestrafung einzuleiten. Möglicherweise erst, als er sah, daß starker Druck auf den Senat notwendig war. Clodius hatte zu Beginn des Jahres einige Gesetze beschließen lassen, die dazu bestimmt waren, ihm große Anhängerschaft zu erwerben: Eines, aufgrund dessen die Getreideverteilungen an die plebs urbana künftig kostenlos sein sollten, und ein zweites, durch das gewisse vom Senat verbotene Vereine wieder zugelassen wurden. Mit Hilfe solcher Vereine konnte er Straßen und Plätze beherrschen. Er benutzte sie als Knüttelgarden. Ein drittes Gesetz sollte religiöse Einsprüche gegen Gesetzesanträge 165

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erschweren. So schuf er sich Instrumente, um als Volkstribun einiges ins Werk zu setzen. Eine offene Frage ist, was er damit vorhatte. Zunächst zögerte er mit weiteren Anträgen. Frühestens Ende Januar brachte er aber ein allgemein gehaltenes Gesetz ein, wonach der Ächtung verfallen sollte, wer einen römischen Bürger ohne Gerichtsurteil töte oder getötet habe. Das war an sich nichts Neues, ein entsprechendes Gesetz hatte schon Gaius Gracchus gegeben. Wir erfahren nicht, ob Clodius dem irgend Wichtiges hinzufügte. Aber es war eine starke, wenn auch zunächst nur indirekte Drohung gegen Cicero. Und der ging sogleich darauf ein. Er legte Trauerkleidung an und appellierte erregt überall an die Bürger, ihn nicht im Stich zu lassen. Die Ritter versammelten sich zu einer Kundgebung auf dem Kapitol und beschlossen, ebenfalls Trauerkleidung zu tragen. Das gleiche tat der Senat. Es wurde den Senatoren allerdings gleich darauf von den Consuln verboten. Clodius hatte sie durch einen Antrag, der ihnen eine großartige Ausstattung ihrer Provinzen versprach, für sich eingenommen. Seine Banden setzten Cicero zu. Wo immer sie ihn trafen, pöbelten sie gegen ihn und bewarfen ihn mit Dreck und Steinen. Ähnliches widerfuhr einigen seiner Helfer, einer verlor dabei sein Leben. Der Consul Gabinius hielt große Reden, in denen er erklärte, endlich müßten die Hinrichtungen vom 5. Dezember 63 geahndet werden, und man solle nicht glauben, daß der Senat noch etwas zu sagen hätte. Er vergaß auch nicht, den Rittern Strafen anzudrohen. Einer ihrer Wortführer wurde aus Rom verwiesen. Man tat alles, um Ciceros Freunde einzuschüchtern. Und Clodius betonte immer wieder, im Einverständnis mit Pompeius, Caesar und Crassus zu handeln. Caesar hat dies allerdings öffentlich nicht gesagt. Im Gegenteil, er erklärte staatsmännisch, wohl sei er einst gegen den Hinrichtungsbeschluß gewesen; aber er sei kein Freund von Gesetzen, die vergangene Taten unter Strafe stellten. Er ließ es jedoch zu, daß Clodius immer wieder drohend auf ihn verwies. Pompeius dagegen zog sich auf ein Landhaus zurück. Ei166

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ner Delegation hoher Senatoren erklärte er, als Privatmann sei er wehrlos gegen einen bewaffneten Volkstribunen. Wenn aber ein senatus consultum ultimum erlassen werde, werde er zu den Waffen greifen. Das war schön gesagt; denn wie sollte das denn zustandekommen? Alles war seit 59 auf unvorhersehbare Weise gründlich verwandelt. Als Cicero Pompeius kniefällig um Hilfe bat (und gewiß an seine Versprechungen erinnerte), antwortete der, er vermöge nichts gegen Caesar. In langen Beratungen mit Cato und anderen führenden Senatoren kam Cicero zu dem Schluß, es sei das beste, Blutvergießen zu vermeiden und freiwillig Rom zu verlassen. Später hielt er das für einen Fehler. Aber da hatte er den ganzen aufreibenden Terror nicht mehr im Gedächtnis, dem er und seine Freunde ausgesetzt gewesen waren und der sich noch steigern mochte. Er verließ Rom am Tage vor der Ratifikation des Gesetzes; Vorher hatte er der Minerva ein Standbild auf dem Capitol aufgestellt. Sein Palast auf dem Palatin wurde daraufhin geplündert und niedergebrannt. Auf dem Grundstück errichtete Clodius ein Heiligtum der Freiheit (Libertas). Anschließend besiegelte er durch ein weiteres Gesetz die Verbannung: Es bestimmte, Cicero sei, weil er einen gefälschten Senatsbeschluß aufgezeichnet und daraufhin römische Bürger ohne Urteil hingerichtet habe, der Ächtung verfallen und sein Vermögen sei einzuziehen. Eine Klausel verbot, die Aufhebung des Gesetzes zu beantragen oder auch nur darüber zu reden. Clodius ließ sie eigens an die Pfosten der Curie, des Senatshauses, anschlagen. Nachträglich wurde eingefügt, daß der Geltungsbereich der Ächtung 500 Meilen Entfernung von Rom betragen solle. Cicero begab sich in die Provinz Macedonia, er blieb die längste Zeit über in Saloniki. Unmittelbar nach seiner Abreise brach Caesar in die Provinz auf. Alarmierende Nachrichten von einem Einfall der Helvetier mahnten zu großer Eile. Sonst wäre er offenbar noch länger vor Rom verblieben. Dies wie anderes spricht dafür, daß er vor seinen Gegnern viel Respekt hatte und daß Clodius’ Rückendeckung ihm dringend erwünscht war.Wie weit er Cicero damals für eine Gefahr hielt, ist nicht zu sehen. Jedenfalls kam es ihm sehr darauf 167

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an, daß dem Senat durch die Entfernung des Consuls von 63 eine neue, schwere Niederlage beigebracht wurde. Wenig später bewerkstelligte Clodius auch die Entfernung Catos, indem er ihn durch ein Gesetz mit der Einziehung Cyperns für Rom betrauen ließ. Die Verbannung war für Cicero überaus quälend. Keinen Moment hat er sich mit ihr abgefunden. Ununterbrochen bangte er seiner Rückkehr entgegen, nervös, unbeherrscht, ungeduldig, ängstlich und immer wieder enttäuscht und niedergeschlagen; maßlos klagend, aber andererseits stets neu sich aufrichtend zu Hoffnung und Vorwürfen an die verschiedensten Adressen. Die Politik in Rom war unübersichtlich, rasche, unvorhergesehene und zum Teil schwer deutbare Wechsel jagten sich. Und entsprechend fand Cicero immer wieder Lücken, in denen er seine Hoffnung sprießen lassen konnte. Clodius legte sich mit Pompeius an, der eine der Consuln wandte sich daraufhin gegen ihn.Vielleicht ist er dadurch daran gehindert worden, ein weitergehendes Gesetzgebungsprogramm einzubringen. Schon am 1. Juni 58 beschloß der Senat Ciceros Rückberufung. Aber es wurde dagegen ein Veto eingelegt. Pompeius begann mit Vorbereitungen zugunsten Ciceros. Er ersah sich eine Chance, sein Ansehen bei Senat und Rittern auf diese Weise zu verbessern. Durch einen Gesandten ließ er mit Caesar verhandeln. Im August schien Clodius dann ein Attentat gegen Pompeius ins Werk setzen zu wollen, worauf dieser sich bis Ende des Jahres ganz aus der Politik zurückzog. Danach machte Clodius eine Kehrtwendung, indem er Caesars Gesetzgebung von 59 als rechtswidrig bekämpfte und Miene machte, sie annullieren zu lassen; insofern offenbar im Bunde mit einigen Senatshäuptern. Diese wußten sehr wohl, wie wichtig es für den Senat war, daß Cicero zurückkehrte. Aber sie mußten auch sehen, die schweren Niederlagen, die der Senat durch Caesars Rechtsbrüche erlitten hatte, wettzumachen. Eben hierzu schien Clodius jetzt helfen zu wollen. Wenn er es ernsthaft betrieb, so hoffte er vielleicht darauf, daß Caesars Gesetze wegen religiöser Fehler annulliert 168

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würden und daß er Gesetze ähnlichen Inhalts, aber korrekt, neu einbringen und einigen Anhang dadurch gewinnen könne. Sicher ist, daß es den führenden Senatoren inzwischen genug war, wenn wenigstens das Recht der religiösen Obstruktion auf diese Weise wieder Kraft und Anerkennung erhielte. Dafür waren sie in der Sache zu vielen Konzessionen bereit, um die Gegnerschaft breiter Kreise abzuwenden. Schon 59 hatten sie Caesar ein entsprechendes Angebot vorgelegt. Aber vielleicht wollte Clodius sich mit dieser Agitation nur wichtig machen oder angesichts des Gegensatzes zu Pompeius neue Freunde gewinnen. Jedenfalls war es sehr merkwürdig, die führenden Senatoren mit dem popularen, auf bewaffnete Banden sich stützenden Volkstribunen zusammenwirken zu sehen. Die Senatsmehrheit versagte sich dem Spiel denn auch, obwohl Clodius einmal erklärte, er werde Cicero auf seinen Schultern zurückbringen, wenn sie Caesars Gesetze annullierten. Cicero selbst nahm die Verbindung mit Clodius später zum Anlaß, den Senatoren um Hortensius vorzuwerfen, daß sie seinen und aller Guten Feind Clodius in ihr Herz geschlossen hätten. Er hatte keinen Sinn für das komplizierte Spiel und sah nur auf die einfachen Linien seiner Gegensatzzeichnung. Entsprechend sind wir durch seine Briefe aus der Zeit informiert. Was alles seit Caesars Consulat in Rom sei es drunter und drüberging, sei es ins Schwimmen geriet, kann man aus ihnen nur erschließen. Will man Clodius nicht nur für ein auf seine Weise genial anarchisches Element halten, so muß man seine verschiedenen Wendungen auf die Nöte jener Jahre zurückführen. Mit dem 1. Januar 57, dem Amtsantritt der neuen Consuln, begann eine neue Kampagne für Ciceros Heimberufung. Aber so leicht, wie es zuerst schien, war die nicht zu erreichen. Gegen Senatsbeschlüsse wurde intercediert. Als die Volksversammlung darüber auf Antrag von acht Tribunen abstimmen sollte, besetzte Clodius in der vorangehenden Nacht mit seinen Banden das Forum und sprengte die Versammlung nach blutigem Kampf. Inzwischen hatten aber andere Tribunen ihrerseits Banden aufge169

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stellt, um ihm auf der Straße Paroli zu bieten. Monatelang tobten die Straßenkämpfe, bis Pompeius sich endlich energischer der Sache annahm und auch Caesar einwilligte. Der Senat beschloß, ganz Italien zu einer Abstimmung in Centuriatcomitien aufzurufen (in denen sonst fast nur die Magistrate gewählt wurden; hier gaben die Wohlhabenden den Ausschlag). Die Ritter und zahlreiche Landstädte faßten Ehrenbeschlüsse. Eine außerordentlich große Anzahl von Bürgern strömte zusammen, zumal etwa gleichzeitig die Wahlen stattfanden. So wurde am 4. August 57 Ciceros Heimberufung beschlossen. Hochgestimmt kehrte er zurück. Und gleich war er wieder mehr als er selbst: Mit ihm, so fand und proklamierte er, zog auch die res publica wieder in Rom ein. Endlich hatte sich das Rad vollends gedreht, die Einmütigkeit der Bürgerschaft war wiederhergestellt. Man konnte wieder hoffen. Ein neuer Anfang war gesetzt. In gewissem Sinn hatte Cicero recht: Eine große Allianz hatte sich für ihn gebildet, und das hing gewiß mit dem zusammen, was er als Sieger über Catilina symbolisierte. Nur konnte sich, was sich in solcher Situation auf ihn bezog, nicht in der weiteren Politik fortsetzen. So mußten ähnlich wie 61/60 seine Vorstellungen bald wieder mit der Wirklichkeit kollidieren. Schon kurz nach seiner Heimkehr brachen neue Kämpfe zwischen dem Senat und Pompeius aus, über verschiedene Fragen, und Cicero geriet erneut zwischen die Stühle. Er mußte sich vor allem Pompeius, der sich zuletzt stark für ihn eingesetzt hatte, dankbar erweisen – ganz abgesehen von den, wie auch immer vage gehaltenen, Zusagen, die sein Bruder nicht nur Pompeius, sondern auch Caesar für Ciceros Wohlverhalten hatte geben müssen. Andererseits meinten die principes, die sich ebenfalls um ihn verdient gemacht hatten, daß er auf ihrer Seite Stellung beziehen müsse, zumal er dort hingehöre. Es gab ärgerliche Auseinandersetzungen um die Rückerstattung seines Vermögens, und darin schlugen sich die neuen Gegensätze samt verschiedenen Enttäuschungen über Cicero nieder. Erneut sah er sich dem Neid der Senatshäupter ausgesetzt. Die Einzelheiten sind schwer zu deuten. Wichtig ist, daß 170

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damals von Seiten führender principes und des Clodius dem Pompeius schwer zugesetzt wurde. Ein heftiger Prozeßkrieg entbrannte gegen dessen Anhänger. Cicero hatte sich für sie zu engagieren, zumal sie sich für seine Rückberufung eingesetzt hatten. Er war sehr unglücklich. In einer der Reden, derjenigen für den Volkstribunen Publius Sestius, ließ Cicero sich durch die Frage, wer eigentlich jenes »Volk der Optimaten« sei, auf das er sich ständig berufe, zu einer grundsätzlichen Analyse der Lage veranlassen. Sie ist vermutlich nachträglich redigiert worden, wird aber in ihren wesentlichen Aussagen seinen damaligen Gedanken entsprechen. Zunächst konstatierte er wieder, wie breit die Koalition aller Guten war, legte es detailliert dar. Er zog den Kreis weit bis hin zu den Freigelassenen. Zu den Optimaten, den »Besten«, gehörten, so behauptete er, alle, die nicht ruchlos, nicht von Natur schlecht oder wahnsinnig, die nicht durch häusliche Mißstände beeinträchtigt seien. Die Schlechten dagegen seien inzwischen zu einer ganz geringen Minderheit zusammengeschrumpft. Gegen welche breite populare Front hatten doch die Senatshäupter früher zu kämpfen gehabt! Jetzt dagegen stand auf der Gegenseite nur noch Clodius mit seinen Spießgesellen und seinen angeheuerten Banden. Andererseits bildete diese Sippschaft aber eine große Gefahr. Denn die Ordnung werde immer mit größerer Wucht angegriffen als verteidigt, weil die Guten dabei in gewisser Weise langsamer seien und die Anfänge unterschätzten, so daß sie immer wieder erst durch die absolute Notwendigkeit veranlaßt wurden, sich zur Wehr zu setzen: »derart, daß sie gelegentlich durch Zögern und Langsamkeit, indem sie Ruhe und Sicherheit auch ohne Respektierung der Ordnung der Republik erhalten wollten, am Ende beides verlieren«. In diesen Worten klingt die Zielsetzung an, auf die nach Cicero die Optimaten orientiert sein mußten und die hier besonderes Interesse verdient: cum dignitate otium. Dieser kurze Ausdruck läßt sich etwa umschreiben als: Ruhe und Sicherheit im Rahmen der Respektierung der überkommenen Ordnung der Republik. Beides sollte miteinander verknüpft sein. 171

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Dignitas bezeichnete die Würde, das Ansehen, die führende Position der obersten Senatoren, der Consulare, sowie die damit gegebene überkommene Ordnung. Es hatte mithin einen individuellen sowie einen allgemeinen Aspekt. Einer war im anderen enthalten. So wurde auch die Krise der Republik von den Consularen wesentlich als Bedrohung oder Einschränkung ihrer eigenen dignitas (sowie der Senatsautorität) aufgefaßt. Die eigene Stellung und die Verantwortung für die Republik kamen für sie ganz konkret zur Deckung. Von der »Würde« hing die »Funktion« ab. Cicero, bei dem wir diese Auffassung vor allem greifen, machte davon nur insofern eine Ausnahme, als er die eigene Stellung mehr von außen und stärker in Frage gestellt sah. Von daher kam er jetzt zu seinem Zweifel, zu seiner Einsicht, daß ebenso groß wie das Bedürfnis nach dignitas dasjenige breitester Kreise nach Ruhe und Sicherheit sei. Wenn Cicero fand, in Wirklichkeit ließen sich die einen im Kampf um die dignitas so weit forttragen, daß sie nicht für Ruhe und Sicherheit sorgten, während die anderen einer Ruhe und Sicherheit den Vorzug gäben, die weit von dignitas entfernt sei, so hatte er damit eine glänzende Analyse der Situation gegeben. Respekt gegen die Ordnung der Republik und Gewährleistung von Ruhe und Sicherheit hatten zu divergieren begonnen. Wenn das in Einzelfällen immer wieder vorkommen mag, so war hier damit eine grundsätzlich neue Lage bezeichnet. Der Senat konnte nicht mehr im äußersten Fall für Ruhe und Ordnung aufkommen. Folglich konnte er nicht mehr auf die – ihm bisher letztlich sichere – Unterstützung der breiten Kreise der Wohlhabenden, der Ritter also, aber wohl auch zahlreicher Senatoren rechnen, denen dringend daran gelegen war. Das hieß, daß das Bestreben der führenden Senatoren, die überkommene Ordnung um jeden Preis zu wahren und wiederherzustellen, nur mehr einem partikularen Interesse entsprach, welches sich nicht mehr mit dem des Ganzen deckte. »Würde« und »Funktion« kamen keineswegs mehr zur Deckung. Aber wie brachte man otium und dignitas wieder zusammen? Pompeius blieb in diesen allgemein gehaltenen Erörterun172

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gen ausgespart. Aber es lag offenkundig in ihrer Konsequenz, daß man ihn nicht auf Kosten des otium bekämpfen, vielmehr mit ihm zusammen eine Politik betreiben sollte, die dignitas und otium wieder zur Deckung kommen ließ. Im Spätsommer des Jahres 56 hielt Cicero dann die Rede, in der er neben Pompeius sogar Caesar zu den Optimaten rechnete, die gegen die Schlechten zusammenhalten sollen. Doch war das nach der großen Wende, die die römische Politik im April durch die neuen Abmachungen zwischen Caesar, Pompeius und Gracchus erfuhr. Ciceros These lief also darauf hinaus, daß die Aufgaben der Republik ein Zurückstecken politischer Ansprüche erforderten. Von ihnen her war das Streben nach dignitas neu zu adjustieren. So wie das Senatsregime von den führenden Herren verstanden wurde, lag es nicht mehr im Sinne des ganzen Gemeinwesens. Eine Umorientierung im Blick auf die Aufgaben war geboten. So also diagnostizierte Cicero eine ganz wesentliche Bedingung der res publica, eine für ihr Funktionieren wichtige Verknotung von Interessen – in dem Moment, als sie sich aufzulösen begann; als die in letzter Instanz stets gegebene Übereinstimmung aller »Guten« dahingeschwunden war. Eben deswegen, darauf lief Ciceros Argumentation heraus, mußte für den Zusammenhalt aller Guten und für die Koalition zwischen Pompeius und dem Senat gesorgt werden, in der – nebenbei gesagt – allein die Konflikte zu umgehen waren, in die Cicero durch die Ansprüche der so heftig streitenden Parteien gebracht wurde. Genau wie 61/60 unterschätzte er dabei in seinem eher theoretischen Ansatz die Gegensätze, die ausgetragen wurden. Mit dieser Unterschätzung muß der merkwürdige Antrag zusammengebracht werden, den er dann am 5. April 56 in einer außerordentlich erregten, lauten Senatsdebatte stellte: Man möge beschließen, am 15. Mai in voll besetzter Versammlung über den ager Campanus zu verhandeln. Dieser war durch ein im Senat sehr unbeliebtes Gesetz Caesars zur Aufteilung bestimmt, aber erst zum Teil an Siedler angewiesen worden. Pompeius schien kein Interesse daran zu haben, die Anweisungen fortzusetzen. Und er vermittelte Cicero offenbar den Eindruck, wie wenn 173

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er gegen eine Aufhebung des Gesetzes oder wenigstens gegen eine Aussparung der noch nicht verteilten Ländereien nichts einzuwenden habe. Cicero scheint darin eine Chance gesehen zu haben, ihn und die Senatshäupter in einer wichtigen Sache zusammenzuführen, die obendrein allen Guten gefallen mußte. Was Pompeius vorhatte, ist kaum zu ermitteln, jedenfalls machte ihn diese Initiative sowohl für Caesar wie für den Senat wichtig. Als Cicero ihn am 7. April vor dem Aufbruch in die Ferien besuchte, deutete nichts darauf hin, daß er mit dem Antrag unzufrieden sei oder ihn gar ablehne. Wenige Tage später aber war es, daß sich Pompeius mit Crassus und Caesar in Lucca (an der Grenze von Caesars Provinz Gallia Cisalpina), traf, um ein neues Bündnis zu vereinbaren. Crassus und Pompeius sollten sich im nächsten Jahr zu Consuln wählen lassen. Es sollten Caesars Kommando verlängert und den beiden Consuln ähnlich große, mit beachtlichen Armeen ausgestattete Kommanden in Spanien respektive Syrien gegeben werden. Es wurde gleichsam eine neue Kategorie führender Senatoren geschaffen: Das waren jetzt die, die über große Armeen verfügten. Zahlreiche Senatoren sollen gleichzeitig in Lucca gewesen sein. Die drei zogen ihre Verbündeten zu einer gemeinsamen Ausrichtung der Politik zusammen. Clodius hatte seine Angriffe auf Pompeius einzustellen. Cicero bekam mitgeteilt, daß er sich in der campanischen Angelegenheit zurückzuhalten habe. Pompeius beklagte sich bitter bei seinem Bruder Quintus, daß er entgegen dessen vor der Rückkehr gegebenen Zusagen so wenig Wohlverhalten zeige. In Rom entbrannten bald harte Auseinandersetzungen. Die Gegner der drei Herren gaben sich so schnell nicht geschlagen. Doch ließ sich nichts verhindern. Der Senat – das heißt die führenden Senatoren, die seit alters in letzter Instanz über die Senatspolitik bestimmten – erlitt abermals eine schwere Niederlage. Von einer allmählichen Wiederherstellung seiner Position nach den Schlägen von 59 war keine Rede mehr. Pompeius, Crassus und Caesar befestigten ihre Übermacht. So lange sie einig waren, war wenig gegen sie auszurichten. 174

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Die Enttäuschung war gerade für Cicero bitter. Seine Hoffnungen brachen zusammen. Alle scheinbaren Erfolge hatten wieder nur zum Scheitern geführt. Doch viel schlimmer war, daß er jetzt in schmachvolle, entwürdigende Abhängigkeit von den drei Herren geriet. Die ganze Realität verwandelte sich für ihn.

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4. ZUWENDUNG ZUR PHILOSOPHIE IN DER NEUEN REALITÄT NACH LUCCA

rücksich tslos na h m e n pom pe i us und Caesar den verdienten Consular in Anspruch. Sie brauchten ihn als Redner und als Aushängeschild für Absichten, die den seinen diametral entgegen waren. Sie zwangen ihn zur politischen Prostitution. Er hatte im Senat zugunsten Caesars zu reden. Dabei mußte er sich die wütenden Vorhaltungen führender Senatoren gefallen lassen. Mühsam versuchte er, den ihm aufgezwungenen Stellungswechsel teils zu bagatellisieren, teils zu rechtfertigen. Wie kam er dazu, für den Mann einzutreten, der seinerzeit so viel zu seiner Verbannung beigetragen hatte? Es war gleichsam ein Widerruf seiner selbst. Als aufgrund bestimmter Zeichen das Priestercollegium der haruspices ein Gutachten erstattete, das vor Zwietracht und Streit unter den Optimaten, vor Mord und Tyrannis warnte, deutete er es in einer großen Rede als Hinweis auf die Notwendigkeit der Verbindung des Senats mit Pompeius, Caesar und Crassus. Brutal wurde Cicero dazu gebracht, sich mit verschiedenen seiner Feinde zu vertragen, den Vatinius, den er so oft aufs schärfste angegriffen, und schließlich nach langem Sträuben sogar seinen Erzfeind Gabinius, den Consul von 58,

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zu verteidigen. Nur für Clodius brauchte er nicht einzutreten. Wenigstens das blieb ihm erspart; es war aber auch nicht nötig. Im Senat wurden Ciceros Leichtfertigkeit, sein Überläufertum, sein Verrat immer neu bald empört, bald hämisch kommentiert. Er suchte aus der Niedergeschlagenheit herauszukommen, indem er wieder alle Schuld den neidischen principes zuschob. Sie seien es gewesen, die das Gemeinwesen in die Hand der drei Machthaber gespielt hätten, durch ihre engstirnige, mißgünstige Politik. Schadenfroh stellte er fest, daß es ihnen recht geschähe, wenn es ihnen und ihm so schlecht ginge. »Ich denke daran, wie schön das Gemeinwesen ein Weilchen lang war, als wir regierten, welcher Dank mir gezollt wurde. Kein Schmerz würgt mich, daß Einer alles vermag; die aber zerplatzen, denen es leid tat, daß ich etwas vermochte«, schrieb er an Atticus. Einwänden gegen seinen Stellungswechsel, gegen seine unwürdige Abhängigkeit begegnete Cicero mit dem Hinweis auf Senatsbeschlüsse zu Gunsten Caesars. Er übersah dabei nur, daß es sich um gelegentliche Konzessionen handelte, die sich daraus ergaben, daß inzwischen zahlreiche Senatoren den drei Herren verpflichtet waren. Da konnten sie sich bestimmten Forderungen nicht entziehen. Das änderte aber nichts daran, daß sie sich im übrigen zumeist weiter gegen diese stellten und den Kampf Catos und seiner Freunde unterstützten. Außerdem war es ein Unterschied, ob einfache Senatoren oder ein Mann vom Range und der Vergangenheit Ciceros solche Beschlüsse unterstützte und vor allem auch: ob sie sie nur unterstützten oder ob sie sie beantragten, wie Cicero das tun mußte. Seine Lage war schrecklich. Nichts war mehr da von der alten dignitas, dem Respekt, den man für seine Äußerungen beanspruchen konnte, von der libertas, der Freiheit im Betreiben der öffentlichen Angelegenheiten: Man hatte den Machthabern entweder ohne alle gravitas, also: ohne den verantwortungsvollen Ernst, der einer consularischen Meinungsäußerung anstand, zuzustimmen oder vergeblich zu widersprechen. Alle waren machtlos. Einmal heißt es in einem Brief: Sagt er, was er über das Gemeinwesen zu sagen hat, so wird er für verrückt, sagt er, was 177

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er sagen muß, so wird er für einen Sklaven, schweigt er, so wird er für unterdrückt und gefangen gehalten. Nicht einmal seinen Schmerz darf er zeigen, um nicht als undankbar zu erscheinen. Zurückziehen kann er sich auch nicht. Anfang 55 stellt er resigniert fest, daß sich in seiner Generation an der Herrschaft der drei Machthaber nichts mehr ändern werde. Auch die Gegner täten besser daran, sich zu fügen. Später meint er, man solle weder gegen eine solche Macht kämpfen noch die Herrschaft der höchsten Männer (summi viri) zerstören, selbst wenn das möglich wäre. Und man dürfe auch nicht bei der gleichen politischen Meinung bleiben, wenn alles verwandelt und der Sinn der Guten verändert sei. Man hat sich nach den Umständen zu richten (temporibus adsentiendum). Wie beim Steuern eines Schiffs kann man nicht immer den gleichen Kurs halten.Wohl müsse cum dignitate otium das Ziel bleiben, aber man müsse nicht immer das Gleiche sagen, sondern das Gleiche anpeilen. So und ähnlich versuchte er als Konstanz zu erweisen, was Wechsel war. Immerhin ist zu seinen Gunsten zu sagen: Je schwächer der Senat wurde, um so richtiger wurden Ciceros Urteile. Nicht unbedingt, weil er klüger geworden wäre, sondern weil sich die Umstände seiner Art zu urteilen näherten. Als er nicht mehr um einer imaginären concordia ordinum willen, nicht mehr weil Pompeius es gut meinte oder zu bessern wäre, sondern einfach weil er übermächtig war, empfahl, den Kampf gegen ihn zu beenden, begann Einsicht für das zu sprechen, was er wollte. Als sich die Realität in diesem Sinn änderte, hatte er endlich recht. Wobei man vielleicht anfügen sollte, daß er auch vorher objektiv gesehen so falsch nicht lag; indes wohl ohne es zu wissen. Denn wenn der Senat Pompeius 61/60 rechtzeitig nachgegeben hätte, hätte er sich vielleicht nicht Caesars Consulat, aber doch die verheerenden Auswirkungen seiner Gesetzgebung, seiner Rechtsbrüche ersparen können. Cicero wird auch damals nicht gewußt haben, daß die Überlebens-Chance des Senatsregimes am ehesten in der Resignation in Hinsicht auf dessen konsequente Wahrnehmung be178

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stand. Aber indem diese Resignation die Kehrseite der von ihm erstrebten großen Koalition war, gelangte er auf einem Umweg zu einer ähnlichen Erkenntnis. Freilich, je mehr er sich die neue Lage und sein eigenes Verhalten in ihr als notwendig und sinnvoll erklärte, je mehr er sich zu seiner Verteidigung in den Gedanken flüchtete, die Verfechter der senatorischen Politik seien schuld an allem, und nicht sie, sondern er hätte recht, um so mehr schwächte sich zugleich sein Widerstand gegen weitere Zumutungen. Widerwille und Mutwille scheinen sich zuweilen in seinen Kapitulationen gemischt zu haben. Es lag ein gewisser Masochismus in seinem Denken. Aber all diese Manöver halfen nur ein Stück weit, zumal seine Verzweiflung dabei letztlich nur wuchs. So brauchte er andere Ressourcen, um seine und der Republik so unwürdige Lage auszuhalten. Er fand sie in der Philosophie, in der Schriftstellerei, in einer theoretischen Aktivität, die er primär als eine andere Form der Tüchtigkeit empfand, im Dienst der Aufgabe, in Rom die griechische Philosophie heimisch zu machen, die ihm aber zugleich auch Orientierung und Antwort bot auf viele Fragen. In den Jahren ab 55 schrieb er drei seiner bedeutendsten Werke, »Über den Redner«, »Über das Gemeinwesen« und »Über die Gesetze« (das letztere wurde damals aber nicht vollendet). Alle drei sind als Dialoge gearbeitet, im bewußten Anschluß an Platon. Zwei von ihnen spielen in innenpolitisch höchst gefährlichen Situationen kurz vor dem Tode der Protagonisten. In der Schrift »Über den Redner« treffen sich einige prominente Politiker auf dem Land, wohin sie sich während einer Reihe von Festtagen mitten aus den heftigsten politischen Kämpfen zurückgezogen haben. Sie sprechen lange über die Politik, beklagen deren Lauf und stellen schlimme Prognosen, von denen Cicero sagt, daß sie sich später bewahrheiten sollten. Doch besaß der Gastgeber L. Licinius Crassus, Consul von 95, »so viel humanitas, daß, als man sich gewaschen und zu Tisch gesetzt hatte, alles Bedrückende des vorangegangenen Gesprächs verflogen war. Und es war in seinem Wesen so viel Liebenswürdigkeit, in seiner 179

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Sprache so viel feine Anmut, daß der Eindruck entstand, der Tag sei unter ihnen für die Politik, der Abend dagegen für die entspannte urbane Heiterkeit des Landhauses reserviert gewesen.« Schon die wundervolle Atmosphäre, der pointierte, geschliffene, teilweise witzige oder liebenswürdig neckende Stil dieser Dialoge ist, wenn man so will, Balsam in der bedrohlichen Situation Ciceros und der Republik; persönliche Kultur, Lebenskunst als Form des Aushaltens, als Sieg über das Andrängende der aufgezwungenen politischen Prostitution. Keine Lebenslage gibt es, so heißt es später, in der nicht Heiterkeit und Witz am Platze wären. Dort kann sich die von Cicero gerühmte »geschliffene Feinheit der alten Urbanität und des kultiviertesten Gesprächs« bewähren. Das heißt »menschlich leben«. Oder um noch eine Probe aus dem Dialog zu geben: Cicero schildert, wie einige junge Freunde Crassus bedrängen, in zusammenhängendem Lehrvortrag seine rhetorische Theorie darzulegen. Aber der wehrt ab. Er findet das ein eitles Bemühen. Denn er sei alt, und es ginge um etwas, das er nicht einmal in jungen Jahren unternommen hätte. Doch man dringt weiter in ihn, bis einer schließlich höflich ablenkt: »Hast du aber keine Lust, so will ich dich nicht drängen und es auch nicht so weit kommen lassen, daß ich in deinen Augen Unfug treibe, während du fürchtest, es zu tun.« Darauf antwortet dann Crassus, indem er auf das Wort »Unfug« (ineptiae) reflektiert. Er habe immer gemeint, der Bedeutungsumfang dieses Wortes sei der größte unter allen Wörtern der lateinischen Sprache. »Denn was wir Unfug nennen, leitet seinen Namen doch wohl daher, daß es sich nicht fügt, und dieser Ausdruck ist in unserem Sprachgebrauch sehr weit verbreitet. Denn wer nicht sieht, was die Umstände fordern, wer zu viel redet, wer sich aufspielt, wer keine Rücksicht auf den Rang oder das Interesse der Leute nimmt, mit denen er es zu tun hat, ja wer überhaupt in irgendeinem Punkt Takt oder Maß vermissen läßt, von dem sagt man, er treibe Unfug«. Crassus fährt dann fort: »Besonders ausgeprägt ist dieser Fehler bei dem so gelehrten Volk der Griechen …, die an jeder Stelle und in jedem 180

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Kreis, wo es ihnen paßt, über besonders knifflige oder unwesentliche Fragen überaus scharfsinnig diskutieren.« Davon heben sich die vornehmen Römer ab, wenn sie heiter, ein wenig von oben herab und nicht gar so fachmännisch mit den griechischen Lehrstücken umgehen. Ciceros Dialoge sind höchst weltmännische Konversationen. Was die Entdeckung – nicht: der Form, des Stils und der Heiterkeit, aber: – der großen Ressourcen bedeutet, die so etwas gerade in widrigen Zeiten darstellen kann, müßte heute auch in Deutschland (wo man seit dem 19. Jahrhundert so wenig Sinn für ciceronische Form gehabt hat) wieder zu verstehen sein. Man erfreute sich dessen in Ciceros Zeit um so mehr, als die Verfeinerung des menschlichen Umgangs wie die philosophische Bildung damals noch relativ neu waren und sich gerade in diesen Dialogen auf eine höhere Stufe erhoben. Die Schrift »Über den Redner« ist dem Lob der Rhetorik und der Darlegung ihrer verschiedenen Teile gewidmet. Freilich verschließt sich Cicero nicht den vielen Einwänden, die seit Platon gegen die Redekunst vorgebracht worden waren. Aber er begegnet ihnen, indem er die Forderung aufstellt, der Redner solle »in jedem Teil menschlicher Bildung (humanitas)«, insbesondere auch in der Philosophie ein Meister sein. Erst dann erreicht die Redekunst ihre Vollkommenheit. Nichts unterscheidet den Menschen so sehr vom Tier wie die Sprache. Nichts ist für sein irdisches Leben so wichtig. Denn die Entstehung und die Erhaltung der Gemeinwesen, ohne welche Menschen nicht existieren können, wird durch die Rede ermöglicht. Deswegen ist umgekehrt nichts so inhuman, wie die Rede zu mißbrauchen, um anderen zu schaden. Und andererseits: »Wer sollte es darum nicht mit Recht der höchsten Mühe für wert erachten, in dem einen Punkt, in dem die Menschen einen wesentlichen Vorzug vor den Tieren haben, die Menschen selbst zu übertreffen?« Wenn aber der Redner einen Höhepunkt menschlichen Vermögens darstellt, die eigenen Lebensverhältnisse entscheidend zu bestimmen, so ist der Staatsmann, den Cicero gleich darauf in der Schrift »Über das Gemeinwesen« entwirft, noch 181

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weit darüber hinaus. Ziemlich zu Anfang heißt es dort: »Es gibt ja kein Gebiet, auf dem die menschliche Tugend dem göttlichen Walten näher kommt, als wenn es gilt, neue Gemeinwesen zu gründen oder das Bestehen bereits gegründeter zu sichern.« Zunächst freilich fragt sich, welches die beste Form des Gemeinwesens sei. Die gemischte Verfassung ist es. Cicero meint, diese sei am besten in Rom verwirklicht, dessen Ordnung nicht einem Gesetzgeber, sondern der Weisheit und Erfahrung vieler Geschlechter verdankt werde. Er gibt eine historische Darstellung der res publica. Danach führt er in Rede und Gegenrede den Nachweis, daß ein Gemeinwesen nur auf Gerechtigkeit beruhen könne. Nach Erörterung von Fragen der Anthropologie, Ethik und Erziehung konzentriert sich das Gespräch schließlich auf den Staatsmann, den Lenker und Steuermann, wie er in wechselnden Termini genannt wird. Er soll philosophisch gebildet sein, damit er weise und gerecht sei. Er soll sich so beherrschen, daß sich das ganze Gemeinwesen ein Beispiel daran nehmen kann. Eben dadurch kommt es ihm zu, politisch zu führen. Hinter dieser Konzeption steht Platons Philosophenkönig. Gemeint ist ein Führender unter den ersten Männern der Republik. Es ist also nicht unbedingt nur ein einziger, jedenfalls aber einer, der aus besonderer Verantwortung das Steuer des Gemeinwesens in die Hand nehmen kann, wenn es nottut, der also, auch auf sich gestellt, aus überlegener Einsicht in das politische Geschehen einzugreifen vermag. Er soll gegebenenfalls als Dictator berufen werden, um das Gemeinwesen wieder ins Lot zu bringen. Als Verkörperung dieses Ideals dient Scipio Aemilianus, der Sieger über Karthago, dessen Freund Laelius war. Welche Hoffnung an solch einen Mann geknüpft wird, ergibt sich schon daraus, daß dieses Gespräch in die Zeit kurz nach dem Tribunat des Tiberius Gracchus placiert wird, nachdem »dessen Tod und schon vorher die gesamte Weise von dessen Tribunat ein einiges Volk in zwei Teile gespalten hatte«. Damals habe Scipio als einziger die res publica retten können, wenn er nicht plötzlich umgekommen wäre: Es ist, wie wenn Cicero gemäß der stark ereignisgeschichtlich orientierten Auffassung der Antike den 182

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Punkt hätte bezeichnen wollen, an dem die Krise gerade noch abzuwenden gewesen wäre. In der Figur des Staatsmanns, also dessen, der sich führend für das Ganze einsetzen kann, ist offenbar nach Cicero das entscheidende Heilmittel für die Krise zu sehen. Er mußte die Gewähr bieten, daß die alte Republik wieder ins Lot gebracht respektive gerettet würde. Es ist gewiß kein Zufall, daß dieses Bild von dem Mann konzipiert wurde, der als Politiker das Ganze der res publica ständig in seinem Handeln präsent zu haben suchte, dabei freilich keinen Erfolg hatte, aber doch zu einem relativ klar, vielleicht sogar zu klar gezeichneten Bild des ungenügenden Zustands der res publica amissa gelangte. Je mehr er das Gemeinwesen, statt es in principes und Senat und den anderen Institutionen einfach anwesend zu sehen, von außen betrachtete, um so dringender suchte er nach einem Ausweg. Es war konsequent, daß er ihn mangels einer in der Gesellschaft irgendwie greifbaren Alternative in einem Retter zu finden suchte. Die Republik mußte nicht nur dargestellt und verteidigt werden, sondern auch »besorgt«. Man stand vor zahlreichen Aufgaben, deren Lösung nicht vernachlässigt werden durfte. Und wahrscheinlich ist es nicht falsch, wenn man vermutet, daß ihm dabei eher ein Mann vorgeschwebt hat, wie er selbst es war (zwar in seiner Machtlosigkeit im Moment nicht sein konnte, aber vielleicht einmal würde – was dann zu seinem letzten Erfolg und zu seinem endgültigen Scheitern führen sollte). Denn entscheidend dafür schienen ihm Einsicht und Bildung zu sein, Tugenden, die er besaß und die Pompeius fehlten. Der Staatsmann, wie Cicero ihn zeichnete, war also durchaus republikanisch konzipiert. Folglich war es ein Mißverständnis, wenn moderne Philologen und Historiker meinten, Cicero habe ein Principat als gemäßigte Monarchie im Auge gehabt. Die weitere Geschichte sollte es dazu bringen, daß der »Retter«, den Rom schließlich fand, zwar nicht Philosoph und schon gar nicht ein Herausragender unter den Ersten des Senats, vielmehr ein Bürgerkriegsführer, nicht ein Wiederhersteller im Ausnahme183

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fall, sondern der Gründer einer Monarchie war, aber immerhin ein Mann, der das Ganze des Gemeinwesens unter Aufnahme gewisser Traditionen der Republik verfechten konnte und sich wirksam der zahlreichen Nöte und Aufgaben annahm, die sich stellten. Cicero mag dazu beigetragen haben, den Erwartungsbonus zu schaffen, der schließlich Augustus zugute kam, als er die Rolle des Retters übernahm. Es ist nicht ausgeschlossen, daß damals auch die andere Seite der ciceronischen politischen Philosophie Wirkung erzielte: das Plädoyer für die Gerechtigkeit und die Güte der alten Ordnung. Es könnte den – freilich primär aus anderen Wurzeln entspringenden – Respekt des Augustus gegenüber den alten Institutionen und die Sache derer gestärkt haben, die ihm zumindest im Endeffekt diesen Respekt abnötigten. Doch an all das war damals nicht zu denken. Und natürlich war es auch ganz unklar, wie ein solcher Staatsmann politisch Wesentliches hätte erreichen können, sei es als Dictator, sei es ohne Amt, insofern also als Privatmann (obzwar zugleich Senator). Wenn Pompeius auch nur von ferne solche Gedanken gehegt hätte, wäre er im Senat, auch nach dessen schweren Niederlagen, auf großen Widerstand gestoßen. Die Dictatur mit ihren umfassenden Vollmachten hätte die Macht der republikanischen Institutionen, der Bürgerschaft, des allgemeinen Urteils vorausgesetzt, um Vertrauen zu genießen und notfalls Paroli geboten zu bekommen. Gerade daran aber fehlte es jetzt in Rom. Außerdem war sie nur für spezielle Aufträge, im allgemeinen für die Kriegführung gedacht. Die neuartige »Dictatur zur Ordnung des Gemeinwesens«, die Sulla sich hatte einrichten lassen, war nur nach einem Bürgerkrieg möglich, und die Republik hatte das Glück gehabt, daß Sulla, wie freiwillig nun auch, am Ende zurücktrat. So etwas ließ sich nicht wiederholen. Entsprechend hatte die hohe Autorität eines Einzelnen als Privatmann sich zwar in den guten Zeiten der Republik herausbilden können – Cicero berief sich dafür auf einige Vorbilder, 184

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deren Einfluß er übertrieben haben mag –, aber in einer Zeit, wo man sich mißtrauisch gegen alles Außergewöhnliche verschloß, die senatorische Norm eher verengte, waren die Voraussetzungen auch dafür geschwunden. Gerade weil die Republik auf einen Staatsmann angewiesen war, der sie retten konnte, war sie nicht mehr zu retten. Das eine hat Cicero erkannt, und er war damit seinen Zeitgenossen vermutlich voraus, das andere nicht. So hat er, ohne es zu wollen und zu wissen, in seinem Bild des Staatsmanns nur die Aporie der Zeit ausgedrückt. Gleichwohl, mehr als das, was Cicero erkannte, war damals vermutlich nicht wahrzunehmen, da die res publica nicht nur die äußere Form, sondern zugleich das Sein, die Identität der römischen Bürgerschaft war: Wie sollte man darauf kommen, daß sie keine Zukunft mehr hatte? Wie sollte man sich eine Alternative zu sich selber ausdenken? So war es wahrscheinlich eine politische Theorie auf der Höhe der Zeit, die Cicero bot – und wie weit blieb sie doch hinter deren Problemen zurück! Übrigens enthielt das dritte Buch Über die Gesetze einige durchaus beachtliche Vorschläge für institutionelle Verbesserungen. Das Buch »Über das Gemeinwesen« schließt mit dem Somnium Scipionis, dem Traum des Scipio. Er ist konzipiert im Anschluß an Platon, aber mit wesentlichen Abweichungen. Dem jungen Scipio Aemilianus begegnet sein Großvater hoch im Weltall. Er mahnt ihn an seine Pflichten gegenüber der Republik und verheißt ihm als Lohn ein ewiges Leben im Himmel, zusammen mit allen anderen, die sich um ihr Vaterland verdient gemacht haben. Nichts liege dem höchsten Gott so am Herzen wie die Gemeinwesen. Aber so wichtig sie für die Menschen sind, so unbedeutend und klein sind sie doch, wenn man sie von ganz oben her betrachtet. Selbst das römische Reich ist dann nur ein Flecken auf dem kleinen Ball, den die Menschen Erde nennen. Sub specie aeternitatis gesehen ist auch der Ruhm nichtig: Die Erde bietet kaum Resonanz dafür, und kurz ist die Frist, die er währt – gemessen an den unendlichen Zeiträumen, in denen der Kosmos lebt. »Strenge dich an und sei überzeugt, du 185

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bist nicht sterblich, sondern nur dieser dein Leib«, wird Scipio gemahnt. »Wisse, daß du Gott bist, sofern Gott ist, was lebendige Kraft hat, was fühlt, was sich erinnert, was voraussieht, was diesen ihm untergeordneten Körper so lenkt und leitet und bewegt wie jener höchste Gott.« Daran schließen sich Argumente für die Unsterblichkeit der Seele. Es sind Gedanken verschiedenster Herkunft, die Cicero hier aufgenommen hat. Aber wie großartig werden sie zusammengebunden, das Aufrufen der Verpflichtungen dem Gemeinwesen gegenüber – und die Perspektive von weit außerhalb, welche die Erde als klein und das Gerede der Menschen als nichtig erscheinen läßt. Die Göttlichkeit der menschlichen Natur ist für Cicero zugleich die Grundlegung des Naturrechts. Zwischen Mensch und Gott besteht eine gemeinsame Teilhabe an der Vernunft, eine Wesensähnlichkeit. Wenn der alte Spruch des delphischen Orakels »Erkenne dich selbst« gerade bedeutet hatte, daß der Mensch seine Grenzen, seine Sterblichkeit beachten solle, erklärt Cicero jetzt ganz im Gegensatz dazu: »Wer sich selbst erkennt, wird … spüren, daß er etwas Göttliches besitzt«. Und die Götter haben die Welt so eingerichtet, daß der Mensch alles in ihr findet, was er braucht. Sie haben ihn so ausgestattet, daß er selbst bestrebt ist, sich zu vervollkommnen. Daraus ergibt sich für Cicero, daß die Natur selber von sich aus voranschreitet. Durch die Vernunft aber kann der Mensch das Gesetz erkennen, das Gott gegeben hat. Es ist für alle Menschen das gleiche. Und indem die Vernunft mit der Natur übereinstimmt, weiß man, was man zu tun und zu lassen hat. Ciceros Rechtsphilosophie ist, wie Richard Harder schrieb, »wesentlich eine Anthropologie: Der Mensch ist zum Recht geboren, so wie er zur Güte und wie er zu Bildung und Kultur geboren ist.« Das wird im ersten Buch der Schrift »Über die Gesetze« ausgeführt. Später entwickelt Cicero den Gedanken, daß die sittlichen Grundideen allen Menschen angeboren seien, so daß deren Übereinstimmung über sittliche Begriffe die Stimme der Natur und damit der Wahrheit sei. 186

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Wenn in diesem Sinne die Philosophie Cicero zum Aushalten der widrigen Lage, in der er und das Gemeinwesen sich befanden, verhelfen sollte, so konnte das für ihn nicht Abwendung von Politik bedeuten, Abgeklärtheit und Seelenruhe abseits dessen, was auf dem Markt geschah. Wohl mochte ihm Scipios Traum mit der Entwertung des irdischen Beifalls und Ruhms die Unabhängigkeit des Weisen verbürgen, bei allem Pflichtbewußtsein. Aber damit kam er nicht weit. Er blieb gleichwohl gebannt in seine politische Pflicht – und in das, was er politisch darstellen wollte. Die philosophische Tätigkeit und der ganze Bereich der humanitas wurden ihm deswegen eher eine Form der Sammlung zur Politik und eine Form der Politik obendrein. Sie taten das in mehrfacher Hinsicht. Erstens ließen sich die Widrigkeiten der Realität, ließ sich deren stets neu erschreckender Anblick in gewissem Sinne überspielen in der sprachlichen Form, im Stil. Dieser Stil war gleichsam eine Schutzvorrichtung gegen das Andringen der Erfahrungen auf den Kern der Persönlichkeit. So sehr er nur die Außenseite eines oft höchst unordentlichen, aufgewühlten, verzweifelten Innern war, allein dadurch, daß Cicero so vieles davon differenziert, elegant, überlegen sagbar und mitteilbar machte, schuf er eine Basis, die ein gutes Stück weit zu tragen vermochte. Das Ideal der humanitas, zu dem dieser Stil gehörte, scheint in der römischen Adelswelt des späten 2. Jahrhunderts v. Chr entwickelt worden zu sein, auch wenn wir es – in der bruchstückhaften Überlieferung – erst bei Cicero formuliert finden. Es sollte das, was dem Menschen eigentümlich ist und was sich für ihn gehört, zusammenfassen. Der Begriff vereinigte im wesentlichen zwei Bedeutungskomplexe. Einerseits war es der der Kultur als einer spezifisch menschlichen Kompetenz. Er erstreckte sich über eine ganze Skala: Elementar meinte er das, was die Menschen von den Tieren, die zivilisierten Völker von den Barbaren unterscheidet. Daran schloß sich die Steigerung an, die diese Zivilisation in der zumal philosophischen und rhetori187

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schen Bildung erfuhr. Der eigentliche Kern dieses Bedeutungskomplexes und des Begriffs überhaupt lag für Cicero in den feinen Formen des kultivierten Umgangs, wie sie sich in den gebildeten Kreisen entfaltet hatten, in der kultivierten Sprache, in Anmut und Stil, Heiterkeit, Liebenswürdigkeit, Ironie und Witz, in gegenseitigem Verständnis und Rücksichtnahme. Der andere Sinn von humanitas bezog sich auf Großzügigkeit, Milde, Leutseligkeit, Fürsorge für Schwache und Unterworfene, Billigkeit, kurz: auf Philanthropie (und damit auch auf die Solidarität zwischen Menschen als Menschen). Die verschiedenen Bedeutungsvarianten hängen, wie man sieht, zusammen. So, wie der Begriff uns bei Cicero entgegentritt, bezeichnet er vor allem ein Ideal und Postulat der führenden Schichten in Rom. In der relativ weiten Erstreckung seiner Bedeutungen war er deswegen in bestimmter Weise akzentuiert, gerade so, wie er im Kontext von Gegen- und Ergänzungsbegriffen gebraucht wurde. Deswegen fehlt in ihm zum Beispiel auch das Element der Menschenwürde. Die Würde des Adligen war in herkömmlicher Weise dignitas, was etwa Ehre, Ansehen, Anspruch auf Respekt bedeutete. Erst ganz am Ende seiner Lebenszeit, als Cicero nicht nur die dignitas des führenden Adligen längst eingebüßt hatte, sondern sich nun noch tiefer, eben in seiner Menschlichkeit bedroht sah, nimmt humanitas einmal die Bedeutung Menschenwürde an. Wie es dazu kam, daß sich die verschiedenen Bedeutungen in dem Begriff humanitas verdichteten, ist nicht zu sehen. Zu vermuten ist nur, daß dies in den führenden Kreisen Roms geschah, und deutlich ist, daß es durch eine bewußte Zuwendung zu den Griechen mindestens akzentuiert wurde; den Griechen, die der jüngere Plinius später homines maxime homines, Menschen also, die am meisten Menschen sind, nannte (während die Römer eher in ihren Rollen aufgingen). Was die Griechen teils verwirklicht, teils erdacht und postuliert hatten (und was ihnen nicht zu einem Begriff der Menschlichkeit gerann), erschien den Römern von außen. Es war ihnen, da es ihnen selbst zunächst fremd war, besonders kostbar, und sie faßten das, was ihnen da188

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von überzeugend oder als erstrebenswert erschien, in den neuen Begriff. Der gebildete Umgang mit griechischen Geistern trug wesentlich dazu bei; in der Feinheit des philosophischen Gesprächs, doch gewiß auch dadurch, daß die Philosophen des besiegten, aber kulturell überlegenen Volkes den Eroberern und Beherrschern ihres Landes griechische Maßstäbe als Pflichten formulierten und entgegenhielten. So gewann »Menschlichkeit« etwas Programmatisches. Der Begriff stand in Opposition einerseits gegen gewisse politische Praktiken der Härte, andererseits gegen altrömische Werte des Ernstes, der Gewichtigkeit, der Strenge und der Würde. Die aufgeschlosseneren Kreise im Adel fanden, daß diese Ideale durch das der humanitas zu verfeinern und zu sublimieren seien. Es schwebte ihnen eine Mischung aus strengem Ernst und »Menschlichkeit« vor. Diese Öffnung Roms zu den Griechen fand statt in einer Zeit, da sich die herkömmliche, selbstverständliche adlige Moral und Disziplin aufgrund zahlreicher neuer Konflikte und Herausforderungen lockerte. Die Regierung des weltumfassenden Herrschaftsbereichs, die sozialen und vor allem die politischen Probleme warfen neue Fragen auf, forderten neue Begründungen für das Handeln, neue Orientierungen, neue Weisen der Legitimation. Die wachsende Sensibilität wurde aufgehoben (im dreifachen Sinne des Wortes) in Bildung, in Sprache. Bei Cicero kam speziell der Sinn der Behauptung in den Widrigkeiten der res publica amissa hinzu, der Republik, an deren rechtmäßiger Form gar kein Zweifel war, die aber im Moment nicht war, was sie zu sein hatte, insofern nicht vorhanden war, verloren, aber deswegen doch nicht untergegangen. Denn das bedeuteten Ciceros Klagen über die verlorene (amissa), zugrundegerichtete (perdita), angeschlagene (adflicta) Republik. Es ging darum, sie zu restaurieren. Die zweite Seite dieser Sammlung zur Politik war die Vergewisserung über die res publica, über die Richtigkeit ihrer Formen und darüber, daß sie sich mit der Natur in Übereinstimmung befände. Die dritte war die Vergewisserung über die außerordentli189

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chen menschlichen Möglichkeiten. Was Cicero an der eigenen humanitas erfuhr, an seinem rednerischen Vermögen, was er im Consulat erfahren zu haben meinte, verknüpfte er mit dem in der griechischen Philosophie gefundenen, von ihm römisch akzentuierten Bild des Staatsmanns zum glanzvollen Ideal der Persönlichkeit, die sich nicht nur selbst in allem behauptet, sondern auch im Gemeinwesen durchsetzt und dieses in rechter Weise zu lenken vermag. In dieses Ideal rettete und steigerte er gleichsam den Traum von seiner besonderen Verwirklichung altrömischer, durch Philosophie geläuterter Art. Wenn die Kräfte der weltbeherrschenden Herrenschicht angesichts der Krise Roms überfordert waren, so überbrückte Cicero diese Kluft, indem er mit Hilfe der Philosophie einseitig die positiven Möglichkeiten betonte und Pflichten daraus ableitete. Daß er schließlich viertens die Einbürgerung der Philosophie in Rom auch als einen Akt öffentlicher Wirksamkeit verstand, kam hinzu. Mithin bedeutete die Philosophie für Cicero weniger ein Refugium als ein Ausfallstor zu einer – erhofften – neuen und neuartigen politischen Tätigkeit. Er konnte, selbst wenn er es gewollt hätte, nicht wahrhaben, daß die Republik am Ende sei. Also mobilisierte er alle philosophischen Argumente, die für deren Bewahrung und Wiederherstellung sprachen – und mobilisierte die Philosophie überhaupt als etwas, das Rom bisher gefehlt hatte, das ihm künftig werde helfen können. Man kann dies Illusion nennen und hätte nicht Unrecht. Insbesondere das von Cicero fingierte Bild eines »Scipionenkreises« stellte den Intellektuellen-Traum von der Vereinigung von Geist und Macht so verführerisch dar, wie es selten sonst geschehen ist. Und ganz gewiß war Ciceros aufrichtende, tröstliche Lehre von den menschlichen Möglichkeiten nicht realistisch, wenn sie auch manchen weniger realistisch Veranlagten, und vor allem Cicero selbst, Hoffnung geben konnte, sich in den politischen Realien zu behaupten. Man kann auch Sublimierung finden im Ausbau dieser inneren Wirklichkeit, in der Cicero mit sich verkehrte, und die Kompensation seiner Verzweiflung durch das Bild menschlicher Größe und Rechtlichkeit, der Erfüllung 190

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wohlwollender göttlicher Einrichtung durch die menschliche Gesellschaft. Dann bleibt noch die spezifische Weise zu erhellen, in der das damalige Rom der Illusion und der Kompensation die Wege wies respektive in der Cicero unter den sich bietenden Möglichkeiten die Wahl traf. Die Starrheit bloßer Abwehr und Defensive, die – wie bei Cato – in stoischer Philosophie eine Stütze finden konnte, war Cicero versagt, aufgrund der Distanz, in die ihn seine Position am Rande der Senatshäupter, sein Erfolg und speziell die Identifikation mit der Republik gebracht hatten. Da es eine Alternative, mit der er sich hätte verknüpfen können, nicht gab. So blieb ihm, wenn er nicht vollends verzweifeln wollte, wie mir scheint, nur der Ausweg in das großartige Bild der Möglichkeiten des hervorragenden, umfassend gebildeten Mannes. Farben und Formen dazu fand er bei den Griechen, die Konzeption war römisch, bestimmt aus der Perspektive der tätigen, weltbeherrschenden Aristokratie. Anders gesagt: Mangels einer Sache war Cicero auf sich selbst verwiesen. In Theorie und Bildung konnte er das verwirklichen, was er in praxi nicht vermochte. Hadrian von Corneto hat später von »jenem unsterblichen und fast himmlischen Zeitalter Ciceros« gesprochen. Wenn man auf eine kurze Formel bringen soll, was diese schwere Epoche menschlich so fruchtbar machte, so war es, daß die Krise der Republik deren großartigste Söhne aus zahlreichen Bindungen freisetzte, ihnen keine Sache gab, der sie sich hätten verknüpfen können, dafür aber ganz ungewöhnliche Möglichkeiten zu freier Entfaltung ihrer Persönlichkeit eröffnete. Wenn Caesar die Grenzen der Herrschaft Roms weit hinausschob, so tat es Cicero mit denen des römischen Geistes. Und nach einem Ausspruch Caesars bedeutete dies sogar mehr als jenes.

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5. ANGESICHTS DES BÜRGERKRIEGS UND UNTER DER HERRSCHAFT CAESARS

nach pom pe i us ’ u n d cr assus ’ consu l at im Jahre 55 hatte sich in Rom zunehmend Anarchie eingefressen. Crassus wollte endlich erreichen, was in Rom stets Ruhm eingetragen hatte, nämlich kriegerische Erfolge, und zwar gegen die Parther. Pompeius war die Zurückhaltung selbst, er spielte den Consular, der wieder ins Glied zurückgetreten war. Seine Statthalterschaft Spanien verwaltete er aus der Ferne. Alle anderen Kräfte waren vollauf damit beschäftigt, sich gegenseitig zu bekämpfen und in Schach zu halten. Die notwendigsten Funktionen des Gemeinwesens blieben oft unerledigt. 53 hatte Rom zum Beispiel monatelang keine Consuln. Man munkelte von einer Dictatur, die einzurichten sei, ob um die Wahlen abzuhalten oder um die Ordnung wiederherzustellen, wird nicht ganz klar. Pompeius sollte sich dieses Auftrags annehmen. Er ließ ihn sich aufdrängen, um ihn dann weit von sich zu weisen. Jedenfalls arbeitete er darauf hin, daß die Bürgerschaft fühlte, daß man ohne seine Hilfe nicht weiterkäme. Doch zunächst erfüllte man ihm diesen Wunsch nicht. 53 unterlag Crassus den Parthern und wurde getötet. Damals

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hatte Cicero die große Freude, daß er als sein Nachfolger in das hohe Priestercollegium der Augurn gewählt wurde. Anfang 52 erreichte die Anarchie dann ihren kritischen Punkt, als Clodius bei einem Zusammenstoß seiner Bande mit der seines alten Rivalen Titus Annius Milo erschlagen wurde. Im Stadtvolk grassierte die Unruhe. Zwei Tribunen boten die Leiche, blutig und schmutzig, wie sie war, auf dem Forum dar und hetzten die Umstehenden auf. Unter der Führung seines wichtigsten Adjutanten trug man den Toten in die Curie und errichtete aus den Bänken einen Scheiterhaufen. Zusammen mit dem toten Bandenführer ging das Gebäude des römischen Senats samt einigen angrenzenden Häusern in Flammen auf. Aber so erfreulich es für viele, zumal für Cicero war, daß der Unruhestifter endlich von der Bildfläche verschwunden war: Nun ließ es sich wirklich nicht mehr vermeiden, auf Pompeius’ Hilfe zurückzugreifen. Nach langen diplomatischen Verhandlungen verfiel man darauf, ihn nicht zum Dictator, aber zum Consul ohne Collegen zu wählen. Sodann wollte Pompeius zeigen, was man an ihm hatte, und begann voller Energie damit, in Rom aufzuräumen. Zunächst wurde Milo vor Gericht gestellt. Cicero mußte ihn verteidigen, da er zu den aktivsten Förderern seiner Rückberufung gehört hatte. Das war nicht einfach, weil Pompeius auf eine Verurteilung drängte. Er hatte das Forum mit Soldaten besetzt, ringsum grölten die Clodius-Anhänger gegen den Mörder ihres Anführers. Cicero war unsicher, verzweifelte an seiner Sache und ließ sich aus der Fassung bringen. Er scheint nicht gut gesprochen zu haben. Seinen Ruf als Redner versuchte er später zu retten, indem er niederschrieb, wie er hätte reden sollen. Aber Milo mußte ins Exil. Eine lange Reihe weiterer strenger Prozesse schloß sich an. Pompeius setzte außerdem einige Reformen durch, darunter ein Gesetz, das bestimmte, die Obermagistrate sollten nicht mehr gleich nach dem städtischen Amtsjahr in eine Provinz gehen, sondern erst nach fünf Jahren. Dadurch sollte wohl vor allem Wahlbestechungen entgegengewirkt werden. Eine wich193

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tige Folge war, daß zunächst ältere Praetorier und Consulare einspringen mußten. Einer davon war Cicero. Sehr gegen seinen Willen mußte er die Provinz Cilicia (im südöstlichen Kleinasien) übernehmen. Ängstlich bemühte er sich, alles korrekt zu erledigen. Er wollte sich keine Blöße geben, und man kann ihm gewiß glauben, daß er sich vorbildlich an die Grundsätze hielt, die der gestrenge Cato neuerdings für die Provinzverwaltung aufgestellt hatte. Er führte auch einen kleinen Feldzug, bei dem mehrere Ortschaften erobert wurden. Sein Heer rief ihn zum imperator aus, in der herkömmlichen Form der Ehrung siegreicher Feldherren. Und obgleich er darüber spottete, war es ihm doch recht lieb, auf diese Weise Aussicht auf einen Triumph erhalten zu können. Der Bürgerkrieg ließ es dann dazu nicht kommen. Aber jahrelang zog er noch mit Liktoren, welche ihm als Statthalter zugekommen waren, und deren lorbeergeschmückten Rutenbündeln durch die Lande, um den Anspruch darauf aufrechtzuerhalten. In Rom hatte inzwischen der Streit um die Beendigung der Statthalterschaft Caesars begonnen. Als Cicero Anfang Januar 49 dort anlangte, war man gerade im Begriff, ein senatus consultum ultimum und unter dessen Schutz die Abberufung Caesars zu beschließen. Kurz darauf fiel Caesar in Italien ein. Cicero versuchte alles, was in seinen Kräften stand, um den Bürgerkrieg zu verhindern oder, als er einmal ausgebrochen, diplomatisch zu beenden. Es war ihm klar, daß der Senat und die Republik dabei nur verlieren könnten. Während die Herren um Cato, die zum Kriege gedrängt hatten, um Caesar nicht als Consul in die Innenpolitik zurückkehren zu lassen, auf Pompeius vertrauten, sah Cicero, daß der Sieger, ob Caesar oder Pompeius, in Rom seine Herrschaft errichten würde. Anders als sie hielt er den Senat nicht für stark oder Pompeius nicht für maßvoll genug, um das im Falle eines Sieges auszuschließen. Er erinnerte sich an den Bürgerkrieg der achtziger Jahre. Dabei war sein Urteil über Caesars Einfall in Italien um nichts milder als das der anderen. Aber das stand auf einem anderen Blatt. Es spricht vieles dafür, daß Cicero auch damals formulierte 194

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und mit Argumenten versah, was seinen eigenen Wünschen entsprach. Er wollte dem Senat und dem ganzen Gemeinwesen ersparen, was er sich selbst gern erspart hätte. Im Krieg hätte er kaum neutral bleiben können. Pompeius war er verpflichtet, bei Caesar hatte er ein großes Darlehen aufgenommen und fürchtete, zur Kasse gebeten zu werden. Aber auch wenn er es zurückzahlte, was natürlich zur Not hätte geschehen müssen, hätte es ihm ferngelegen, sich gegen Caesar für Pompeius zu entscheiden. Denn er war zwar gegen Caesar, aber er war nicht für Pompeius. »Ich habe einen, den ich fliehen, aber keinen, dem ich folgen will«, schrieb er einmal. Seiner Ehre, seiner Verknüpfung mit der Republik war er es schuldig, sich lieber mit Pompeius besiegen zu lassen als mit Caesar zu siegen. Aber er wollte weder dies noch das. Und er fürchtete eben doch, daß Pompeius besiegt würde. Außerdem scheint damals der ganze Ärger über die Zumutungen und Kränkungen, die dieser »Freund« ihm in den letzten Jahren bereitet hatte, in ihm hochgekommen zu sein. So sehr er ihm äußerlich verpflichtet war, so sehr empörte sich sein Inneres dagegen. Unendlich viel Schmach hatte er sich aufbürden lassen und hatte sich damit abgefunden, weil er meinte, daß die Macht der drei summi viri fürs erste feststand. Als Pompeius und Caesar in Konflikt gerieten, als er Pompeius’ Schwäche spürte, schwand gleichsam die Geschäftsgrundlage seiner Unterwürfigkeit und damit zugleich seiner Verpflichtung. Er spürte ein Stück Freiheit und wollte es nicht gleich wieder drangeben. Vermutlich kam hinzu, daß er in den letzten Jahren, durch seine philosophische Arbeit und die Statthalterschaft mehr Abstand von seiner traurigen Rolle gewonnen hatte, daß er Pompeius stärker als zuvor am Maßstab des Lenkers der Republik, wie er ihn entworfen, maß und auch von daher mit größerer Sicherheit dessen Versagen diagnostizierte. Ex eventu besehen waren seine Intentionen richtig, und er hatte gewiß auch gute Argumente dafür – übrigens auch für sein Urteil über die Problematiken, die der Republik aus dem Bürgerkrieg erwuchsen. Zudem lag es ihm einfach nahe, die 195

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Schwächen der Sache des Pompeius wahrzunehmen, weil für ihn eine andere zwar nicht in Frage kam, weil er aber vermeiden wollte, Stellung zu nehmen. Er besaß gleichsam den Scharfblick des Unentschiedenen. Ohne weiter zu versuchen, den Windungen und Motivierungen seiner damaligen Gedanken zu folgen, wird man feststellen können, daß Cicero durch seine enge, wenn auch vielfach durchlöcherte Verknüpfung mit der Sache des Senats und der Republik, durch das Scheitern und die philosophische Besinnung, die daraus folgten, in der Lage war, ein treffendes Urteil über die Gefahren des Bürgerkriegs abzugeben. In gewissem Sinne bewährte sich darin erneut die weitgehende Schicksalsverbundenheit zwischen ihm und der Republik. Und es war ja schon früher zu beobachten: Je schwächer der Senat wurde, um so realitätsnäher waren die Urteile, zu denen Cicero über seine Lage kam. Das änderte sich erst, als sich wieder eine Front der res publica aufzubauen schien, in der er als Denkender und Handelnder neue Gelegenheit zu Fehlurteilen erhielt, nachdem er, anders als die Republik, den Bürgerkrieg überlebt hatte. Doch zunächst einmal gab er sich dem Versuch, den Krieg zu verhindern, hin. In intensiven diplomatischen Bemühungen handelte er Caesars Freunden einige Zugeständnisse ab, Pompeius war schon, wie er meinte, halbwegs bereit, darauf einzugehen, als andere sich in den Weg stellten. Doch gab Cicero so rasch nicht auf. Als Pompeius Rom verließ, wuchsen seine Zweifel an dessen Kriegführung. Als er nach Griechenland übersetzte, konnte Cicero es nicht über sich bringen, ihm zu folgen. So geriet er in Caesars Machtbereich. Er wehrte sich tapfer gegen gewisse Zumutungen des ihm mit allem ihm zu Gebote stehenden Charme begegnenden siegreichen Feldherrn und ärgerte sich über das »Schattenreich« seines Gefolges. Seine Stellung wurde immer vieldeutiger. Immer tiefer geriet er in die Aporie, weder mehr tapfer noch klug handeln zu können. In der Öffentlichkeit kritisierte man ihn heftig, was ihn mit Recht empörte, denn eben diese Öffentlichkeit arrangierte sich ja äußerlich recht gut mit 196

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dem Sieger. Nur noch in ihren Urteilen stand sie auf dem Boden der Republik. Im übrigen übernahm sie faktisch Caesars Meinung, es würden nur persönliche Streitigkeiten zwischen ihm und seinen Gegnern ausgetragen, an denen die Bürgerschaft keinen Anteil hatte: Die Monarchie bereitete sich vor, indem die Bürger für das Gemeinwesen nicht mehr aufkommen konnten. Schließlich, als es im Grunde längst zu spät war, tat Cicero das, was ihm seine Position gebot. Er setzte nach Griechenland über. Dort spielte er in Pompeius’ Lager den Schlachtenbummler, höchst skeptisch, was die Siegesaussichten anging. Nach der Schlacht bei Pharsalus zog es ihn sogleich wieder nach Italien. Andere Consulare warteten in Ruhe ab. Man versteht Ciceros Eile nicht recht. Es ist, wie wenn er so rasch wie möglich in den Status quo ante zurückgewollt hätte, den er so ungern aufgegeben hatte. Im Oktober 48 landete er also in Brindisi. Allein, Caesar hatte verfügt, daß keiner der alten Gegner ohne seine Einwilligung nach Italien kommen dürfe, und Caesar stand damals in Ägypten. Sein Vertreter Antonius bewilligte Cicero auf dessen Einspruch eine Ausnahme, und zwar in öffentlichem Edikt, was wieder höchst peinlich war. Danach aber mußte Cicero noch nahezu ein ganzes Jahr in Brindisi warten, bis er nach Rom und in seine Landhäuser zurückkehren durfte. Dort hatte er wenig Freude. Politisch hatte er nichts zu sagen, im Senat hätte er nur für Caesar Stellung nehmen können, also blieb er fern oder nahm schweigend an den Sitzungen teil. Caesar übte zwar keinen Druck auf ihn aus, doch kam es ihm schwer an, das Treiben der Sieger vor sich abspielen zu sehen. Außerdem bedrückte es ihn, daß seine politischen Freunde zumeist tot oder geächtet waren. Er war dadurch nicht nur vereinsamt, sondern empfand ihren Tod oder ihre Abwesenheit auch als Vorwurf. Schon seine Teilnahme an Senatssitzungen konnte als Entgegenkommen gegen Caesar erscheinen. Für die meisten war er zwar der hervorragendste anwesende Vertreter der alten res publica. Seine Morgenempfänge waren stark besucht. Doch bot das wenig Trost. »Wenn dignitas ist, recht über das Gemeinwesen zu denken und den Beifall der Guten zu gewinnen für 197

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das, was man denkt, habe ich meine dignitas bewahrt«, schrieb er 46. »Wenn sie aber darin liegt, daß du, was du denkst, entweder in die Tat umsetzen oder wenigstens in freier Rede vertreten kannst, dann ist uns nicht eine Spur von dignitas übrig geblieben, und es ist schon eine Leistung, wenn wir uns selbst so regieren, daß wir das, was teils schon ist, teils droht, maßvoll ertragen.« Wieder flüchtete er sich in die Philosophie, in jenen »Hafen, von dem er einst ausgefahren war«. Freunde überredeten ihn, eine Geschichte der Beredsamkeit zu schreiben: Das war der »Brutus«, in dem er zugleich verschiedenen Freunden, allen voran Cato, der damals noch im Felde gegen Caesar stand, ein Denkmal setzte. Danach schrieb er eine ganze Reihe von Werken, in denen er die Philosophie der Griechen in weiten Teilen auf Lateinisch darlegte, sich mit ihr auseinandersetzte und eigene Antworten auf ihre Fragen suchte. Er schmolz dabei die Extrakte einer langen fachlichen Diskussion in eine Lebensform ein. Es war – um es kurz zu pointieren – nicht so sehr Philosophie, sondern vor allem Weisheit, was er lehrte. Nicht so sehr philosophischer Erkenntnisdrang oder Schulehrgeiz bewegten ihn, sondern zumal das Bedürfnis nach Orientierung und nach praktischen Handlungsanweisungen sowie nach deren tieferer Begründung. Er gab sich nicht so sehr der Philosophie hin, wie er diese hineinzog in seinen Lebenskreis. Als Cato sich nach der Niederlage von Thapsus im Jahre 46 das Leben nahm, um nicht Caesars Gnade erfahren zu müssen, schrieb Cicero eine Gedenkschrift, in der er dessen virtus lobte. Cato war, so schrieb er, einer der wenigen, der größer war als sein Ruf. Nach Caesars Rückkunft keimte noch einmal große Hoffnung in Cicero auf. Als der Senat den Dictator sehr angelegentlich um die Begnadigung eines seiner entschiedensten Gegner, des Consuls von 51 Marcus Claudius Marcellus bat, und der, nachdem er sich über ihn beklagt hatte, zustimmte, war Cicero hingerissen von Gesinnung und Haltung des Senats. »Frage mich nicht, dieser Tag erschien mir so schön, daß mich die Ahnung der wiederauflebenden res publica überkam.« Er brach sein Schweigen und hielt eine Dankesrede. Vielleicht konnte der 198

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Dictator die Republik endlich wiederherstellen. Cicero preist seine clementia, die Milde den Gegnern gegenüber: den Sieg, den Caesar über sich selbst erfochten. Hier war nicht Fortuna im Spiel (wie bei den Kriegshandlungen), dieser Sieg stellt ihn den Göttern gleich. Aber nun muß er die schwer geschlagene res publica aufrichten. Caesar ließ es sich gefallen. Was immer er mit dem Gemeinwesen vorhatte, eine Ordnung mußte es haben (insofern war es »wieder aufzurichten«). Wenn er eine Monarchie wollte, so hat er es mindestens nicht öffentlich gesagt. Deswegen konnten viele, wie Brutus, sich ihm zur Verfügung stellen – bis sie nachher bitter enttäuscht wurden. Im Jahre 45 mußte Caesar nach Spanien ziehen, weil sich dort noch einmal ein republikanisches Heer gebildet hatte. Nach seiner Rückkehr im Spätsommer des Jahres war alles verändert. Caesar hatte schon vorher durch seinen »Anticato« für einiges Entsetzen gesorgt. Denn das war ein einziger Haßausbruch gewesen. Cicero wurde darin mit großem Komplimenten für seine literarische Kunst bedacht, aber im übrigen muß Caesar ihm heftig widersprochen haben. Atticus riet, ihn mit einer Denkschrift wieder versöhnlicher zu stimmen. Auch die Cicero wohlgesonnenen Leiter der Kanzlei Caesars in Rom fanden das gut. Widerwillig machte er sich ans Werk. Zwar empfand er es als höchst unwürdig, »aber schon haben wir in diesen Dingen eine Hornhaut bekommen und alle humanitas ausgezogen«. Das ist die einzige Stelle in seinem Werk, in der der Begriff die Bedeutung Menschenwürde annimmt. Hier ging es nicht mehr nur um dignitas, die Dinge griffen in eine tiefere Schicht, eben in das Menschliche, das unter dem Ständischen lag und nun bedroht war. Doch was auch immer Cicero schrieb, es fand bei Caesars Freunden keinen Gefallen. Insbesondere konnte er Caesars nun geäußerte Absicht, nach kurzem Aufenthalt in Rom gegen die Parther zu Felde zu ziehen, nicht billigen. Er war überzeugt, zunächst seien die Dinge in der Stadt wieder ins Lot zu bringen. Aber das war nicht nach dem Sinn des großen Mannes, des »Tempelgenossen des Quirinus«, der inzwischen göttergleiche Ehren genoß. 199

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Um diese Zeit gab Cicero, der übrigens inzwischen durch den Tod seiner geliebten Tochter tief getroffen worden war, alle Hoffnung auf. Wenn Caesar, wie es scheint, den inneren Problemen Roms ratlos gegenüberstand, wurde Cicero immer bestimmter. In seinen philosophischen Schriften aus dieser Zeit äußerte sich unverhohlene Feindschaft gegen den Tyrannen. In der Klarheit, in der er ihn ablehnte, war es ihm keine Frage, daß man ihn umbringen müsse. Er hat auch Brutus dazu gemahnt, indem er ihn an zwei seiner Ahnen erinnerte, deren einer die Republik von der Tyrannis befreit und deren anderer sie davor bewahrt hatte. Mit der Zeit kamen immer mehr führende Politiker, einige Caesarianer eingeschlossen, zur gleichen Überzeugung. An den Planungen, die schließlich zum Attentat führten, war Cicero allerdings nicht beteiligt. Das hätte wenig gebracht. Aber wie sehr er den Attentätern zum Gewährsmann der Republik geworden war, wurde sinnfällig, als Brutus nach vollbrachter Tat den blutigen Dolch in die Höhe reckte und Cicero zum Wiederaufleben der Freiheit, mithin zur Wiederherstellung der Republik gratulierte. Der Tyrannenmord erfüllte ihn mit tiefer Genugtuung. Allein, er war unzufrieden darüber, daß man nur Caesar und nicht auch dessen Collegen und vornehmsten Helfer Marcus Antonius umgebracht hatte. Die Tat, kritisierte er, sei »mit mannhaftem Herzen und kindlichem Verstand« betrieben worden. Da klafften die Möglichkeiten von praktischem Ethos und theoretischer Praxis weit auseinander. Brutus, der nach langem inneren Ringen zu der Überzeugung gekommen war, daß man den Tyrannen ermorden müsse, konnte schließlich zwar aus ethischen Gründen handeln, aber nicht das tun, was politisch vielleicht wirklich geboten gewesen wäre. Cicero aber konnte zwar – nicht zuletzt aufgrund seiner alten Unterscheidung zwischen Gut und Schlecht – das Gebotene sehen, aber nicht handeln. Freilich war er nach der Tat in der Lage, Energie zu entfalten, und sein Rat, sogleich den Senat zu berufen, das Volk zu bearbeiten und die Führung des Gemeinwesens in die 200

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Hand zu nehmen, war wohl insoweit gut, als man dadurch das Überraschungsmoment nutzen und dem Antonius, der Caesars Truppen befehligte, in wesentlich besserer Position hätte gegenübertreten können. Aber es mag sein, daß er sich – in Erinnerung etwa an den 5. Dezember 63 – einigen Täuschungen über die Beeinflußbarkeit des Volkes hingab. Jedenfalls drang Cicero nicht durch, man verhandelte mit Antonius, und der nahm gern die Gelegenheit wahr, die Initiative in Rom zu ergreifen. Allerdings hatte er zunächst noch nicht freie Hand. Man spielte auf Verständigung. Cicero setzte sich nolens volens für den vermittelnden Antrag ein, einerseits die Rechtsgültigkeit der Anordnungen Caesars anzuerkennen, andererseits seinen Mördern Straflosigkeit zuzubilligen. Gegenüber Atticus gab er zu, daß er diesen in sich total widersprüchlichen Kompromiß aus Furcht vertreten habe. Als der Senat dann auch noch eine öffentliche Leichenfeier für den ermordeten Tyrannen beschloß, stimmte mindestens Brutus, vermutlich auch Cicero zu. Wenn es je ein Tauziehen zwischen den Caesar-Mördern und Antonius gegeben hatte, war es für jene verloren. Brutus und Cassius willigten ein, Rom zu verlassen. Antonius erwirkte freundlicherweise die Erlaubnis dazu vom Senat.

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6. CICEROS PRINCIPAT UND SEINE ERMORDUNG

i m ja h r e 43 h at cice ro dann noch einmal eine große Rolle in der römischen Politik gespielt. 44 hatte er zunächst die Caesar-Mörder verteidigt. Aber er konnte nicht viel für sie tun. Als Antonius sich unter dem Druck des aus Griechenland rasch zurückgekehrten 19-jährigen Adoptivsohns und Erben Caesars, Gaius Octavius (der sich dann Gaius Julius Caesar – und später Augustus – nannte), endlich veranlaßt sah, deutlich gegen sie Stellung zu beziehen, hatte er ihnen nur raten können, in den Osten auszuweichen. Im Sommer beschloß er, seinerseits nach Griechenland zu gehen, war auch schon unterwegs, als neue Nachrichten und politische Hoffnungen ihn zur Umkehr bewogen. Der junge Caesar umwarb und bedrängte ihn: Er wollte sich ganz in den Dienst des Senats stellen und Cicero zu seinem vornehmsten Ratgeber machen. Denn mit Antonius hatte er Schwierigkeiten bekommen. Einmal nannte er Cicero auch seinen Vater. Cicero hat lange gezögert. Er lebte damals zurückgezogen und widmete sich seinem letzten großen philosophischen Werk, den Büchern »de officiis«, wir übersetzen »Über die Pflichten«,

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obwohl es falsch wäre, hier unsern modernen Pflichtbegriff einzubringen. Es handelte sich im wesentlichen um die Regeln des richtigen Verhaltens, um die humane Gesittung.Was sich für den Menschen gehört, wie sich dies mit der Nützlichkeit verbindet und endlich, ob die Forderung der Sittlichkeit zur Nützlichkeit in Widerspruch geraten kann, sind die drei Fragenkomplexe, um die sich das Buch dreht. Cicero besinnt sich auf die Grundlagen der menschlichen Natur, und es bewährt sich ihm dabei jene Auffassung, die in der stoischen Oikeiosis-Lehre formuliert, aber auch dem römischen humanitas-Begriff eigen ist: daß schon mit der Natur des Menschen, dank seiner Vernunft, eine »Zueignung« oder Zugehörigkeit zu den Mitmenschen, ja zu allen Menschen gegeben ist. Daraus resultieren gewisse Pflichten, welche sich übrigens zumeist auch aus ganz praktischen Erwägungen ableiten lassen. Also enthält schon der Begriff der Menschlichkeit eine Norm, die relativ unangestrengt, relativ natürlich ist. Aus eben diesem Grund hat diese Schrift wohl am meisten unter allen ciceronischen nachgewirkt. Cicero hat sie seinem Sohn Marcus gewidmet, spricht ihn auch mehrfach an. Ganz vollendet hat er sie freilich nicht. Denn schließlich wurde er doch in die Politik hineingerissen, die ihn übrigens auch bei der Arbeit stark bewegte: Bitterer Haß auf den alten Caesar drückt sich in vielen Passagen aus. Entsprechend hatte er viele Einwände gegen den jungen. »Sieh auf seinen Namen, sieh auf seine Jugend«, schrieb er seinem Freunde Atticus. Er könne sich mit ihm nur verbinden, wenn sicher sei, daß er sich nicht gegen die Mörder seines Vaters stelle. Aber wer sollte ihm das gewährleisten? Andererseits schmeichelte ihm die Weise, in der sich der junge Caesar um ihn bemühte und ihn gleichsam als den senior statesman respektierte. Und er scheint zu der Überzeugung gelangt zu sein, daß er gegenüber Antonius die geringere Gefahr darstellte. Mit dem hatte er sich außerdem schon vorher heftig auseinandergesetzt. Nun strebte Antonius offen danach, die Provinz Gallia Cisalpina (die in weitem Umkreis die Gebiete nördlich und südlich des Po umfaßte) zu übernehmen, die einer der 203

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Caesar-Mörder, Decimus Brutus, verwaltete.Von dorther wollte er nach dem Consulat mit zahlreichen Legionen weiterhin auf die Politik in Rom einwirken. So konnte Cicero schließlich nicht umhin, Caesars Zusicherungen Glauben zu schenken: Er meinte, ihn lenken zu können. Als der – und Decimus Brutus – ihn um Hilfe baten, wirkte er schließlich offen auf den Krieg gegen Antonius hin. Er versuchte, die führenden Caesar-Mörder von seinem Plan zu überzeugen. Doch die waren sich klar darüber, daß der junge Caesar ihr Feind sein mußte. Mit Antonius konnten sie vielleicht noch zu einem Ausgleich kommen. Cicero selber aber sah, wie üblich, eher auf die (geäußerten) Absichten als auf die Interessen und schätzte seine eigenen Möglichkeiten, wie ebenfalls üblich, zu hoch ein. Anfang 43 wurden die Legionen, die der junge Caesar eigenmächtig ausgehoben hatte, vom Senat legitimiert, er selbst erhielt ein offizielles Kommando. Schließlich gelang es Cicero auch, Antonius zum Feind der Republik erklären zu lassen. Die Consuln rückten aus, um ihn mit Caesar zusammen zu bekämpfen. Diesmal gab es für Cicero keine Bedenken gegen den Bürgerkrieg, während die Senatsmehrheit zum Verhandeln tendierte. Er hatte aber auch das Gefühl, daß eine breite Phalanx bereit stand, um das »Untier«, das nach der Tyrannis strebte, zu besiegen. Und alles vollzog sich, wie er meinte, unter der Führung des Senats, wo wiederum er die wichtigste Stimme hatte. Hier, so erklärte er, stünden sich nicht – wie in den früheren Bürgerkriegen – Parteien im Kampf um politische Ziele gegenüber, sondern die Bürgerschaft war geschlossen gegen den Räuberhauptmann, der sie samt seinen Spießgesellen bedrohte. Wieder der Gedanke der großen Koalition aller Guten gegen wenige Böse. Freilich hatte Antonius viele Freunde in Senat und Bürgerschaft, aber die konnten sich einstweilen nicht durchsetzen. In den Tagen vor der Entscheidungsschlacht herrschte in Rom Unruhe und Panik. Als dann die Siegesnachricht eintraf, strömte eine große Volksmasse vor Ciceros Haus, geleitete ihn wie in einem Triumphzug auf das Capitol und dann zur Red204

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nertribüne auf das Forum. Es muß ihm wie am 5. Dezember 63 zu Mute gewesen sein, der Consensus aller Stände war wiederhergestellt. Er war der einzige unter den alten Consularen, der eine ganz klare Linie steuerte. Er war sich seiner Sache so sicher, wie er es nur sein konnte, aber auch sein mußte, wenn sich alles nach Gut und Schlecht zu gruppieren schien. Alle anderen scheinen eher zögernd und schwankend gewesen zu sein. Mit Verve, mit ungeahnter Kraft und unter großartigem Aufblühen all seiner rhetorischen Kunst nahm er das Steuer der senatorischen Politik in seine Hand. Jetzt konnte er endlich die Rolle des princeps spielen, so wie es einst Catulus als der unbestritten Erste der Senatoren, als der Aufmerksamste und Regste, als das Zentrum des Senats getan hatte, und so wie Cicero es in der Schrift »Über den Redner« und in der »Über das Gemeinwesen« beschrieben hatte. In der Tat konnte das so erscheinen. Nur war ihm nicht wirklich klar, was gespielt wurde und wo eigentlich die Trümpfe lagen. In Rom liefen die Fäden der Macht nur scheinbar zusammen. In Wirklichkeit beruhte die Autorität des Senats, soweit sie bestand, nur darin, daß sie einstweilen noch benötigt wurde, um Caesar gegenüber Antonius stark zu machen. Denn Antonius mußte erst besiegt werden, bevor Caesar ihm als gleichberechtigt begegnen, und das heißt bevor die beiden sich einigen konnten, um ihre Interessen gemeinsam zu betreiben. Nach der Niederlage hatte Antonius nach Gallien entkommen können. Einer der Consuln war gefallen, der andere erlag gleich darauf seinen Verletzungen. Caesar wollte Antonius nicht verfolgen, und er konnte dafür ins Feld führen, daß es ihm an Geld für seine Soldaten mangelte. Decimus Brutus tat sich schwer, weil er offenbar so schnell nicht in Bewegung kam. Wenig später vereinte sich Antonius mit Marcus Aemilius Lepidus, dem Statthalter der Gallia Narbonensis, und war dann wieder im Besitz einer großen Armee. Eifrig versuchte der Senat, sich eine eigene Streitmacht zu verschaffen, indem er zwei Legionen aus Afrika heranholte und 205

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die Caesar-Mörder aufforderte, sogleich mit ihren Truppen nach Italien zu kommen. Nur waren die noch bei weitem nicht genügend gerüstet. Derweil nutzte Caesar die Zeit, um beim Senat einen höheren Preis für seine guten Dienste einzufordern. Er wollte, 19jährig, Consul werden. Die hohen Herren waren außer sich. Sie wiesen das Ansinnen zurück. So hatten sie nicht gerechnet. Allenfalls fanden sie sich bereit, ihm das Recht zu gewähren, sich um die Praetur zu bewerben. Noch einmal wandte er sich darauf an Cicero. Er schlug ihm vor, sie sollten sich zusammen zu Consuln wählen lassen, er werde sich dann ganz seiner Führung unterordnen. Ciceros Hoffnung schien sich gegen viele Zweifel zu bestätigen. Als der Antrag vor den Senat kam, schwieg er. Weiter wagte er wohl nicht zu gehen. Aber der Senat lehnte wiederum ab. Man wußte offenbar nicht, mit wem man es zu tun hatte. Auch Cicero unterschätzte Caesar. Der bekam zu hören, Cicero habe gesagt, man solle den jungen Mann »loben, auszeichnen und in die Höhe heben« (was zugleich: »beseitigen« hieß). Das mag ein Gerücht gewesen sein, aber ganz falsch spiegelte es Ciceros Meinung gewiß nicht. Und Caesar nahm es ernst. So unterlag der Senat, kaum daß er wieder Spielraum und eine gewisse Achtung gewonnen hatte, dem nun schon alten Fehler, seine Macht zu überschätzen. Und Cicero hatte daran vollen Anteil, auch wenn er gelegentlich festgestellt hatte: Es wird Spott mit uns getrieben, ebenso durch Verhätschelung der Soldaten wie durch Unverschämtheit der Kommandeure. Jeder verlangt, in der Politik so viel auszurichten, wie er Macht hat. Aber eben das, was er damit erkannte, sollte ja nicht sein, mußte also bekämpft werden. Caesar marschierte auf Rom. Der Senat befahl ihm, 15 Kilometer vor der Stadt innezuhalten. Als er unmittelbar am Stadtrand angelangt war, kam die römische Gesellschaft gepilgert, um ihm ihre Aufwartung zu machen. Als er mit einem Trupp Soldaten die Stadt betrat und Cicero zu ihm kam, begrüßte er ihn: Er komme als der letzte der Freunde. Dann ließ er sich zusammen mit einem Onkel zum Consul wählen. Ein Gesetz wurde 206

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durchgepeitscht, nach dem ein Sondergericht gegen die CaesarMörder einzusetzen sei. Darauf zog er gegen Antonius nach Norden, während sein Onkel im Senat beantragte, die gegen Antonius beschlossene hostis-Erklärung aufzuheben. So hatte Caesar die Ausgangsposition, die er brauchte, um mit Antonius ins Gespräch zu kommen. Ende Oktober trafen sie sich bei Bologna – Antonius war ihm entgegengereist – und beschlossen, sich zu verbinden. Weil das zu dritt besser ging – wie einst zwischen Pompeius, Caesar und Crassus – nahmen sie Lepidus hinzu. Sie kamen überein, sich mit umfassenden Vollmachten zur »Wiederherstellung der res publica« ausstatten zu lassen. Außerdem verabredeten sie, ihre wichtigsten – und wohlhabendsten – Gegner zu proscribieren. Es heißt, Antonius habe in erster Linie Ciceros Kopf gefordert. Zu sehr hatte Cicero ihn, nicht zum wenigsten durch die Reihe seiner vor Senat und Volk gehaltenen Philippicae aufs Blut gereizt. Caesar habe erst am dritten Tage eingewilligt. Das Letztere verdient nicht unbedingt Vertrauen. Wahrscheinlich hätte Cicero entkommen können, wenn er sofort abgereist wäre. Aber so schnell und klar konnte er sich wieder nicht entschließen. So wurde er am 7. Dezember 43 auf der Flucht gefaßt und ermordet. Seinen Kopf und seine Hände schnitt man ab, um sie Antonius zu senden, der es sich nicht nehmen ließ, sie auf der Rednertribüne in Rom ausstellen zu lassen. So war auch Ciceros letzter großer Erfolg, sein Principat, sein eindeutiger Vorrang innerhalb des Senats, nur der Auftakt eines Scheiterns. Sein Fehler war einerseits die Überschätzung der Macht des Senats, andererseits die völlige Verkennung der Interessen und Absichten des jungen Caesar. Vermutlich wäre es besser gewesen, auf Antonius zu setzen, wie es die CaesarMörder wollten. Aber wie auch immer, wenn einer an das Senatsregime glaubte, so mußte er auch an die Möglichkeit, es kräftig zu verfechten, glauben, und so lag es nahe, es mit dem mächtigsten potentiellen Gegner aufzunehmen. Freilich mußte man ihn nicht 207

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gleich verteufeln und zum Feind aller Guten erklären. Darin begegnete Cicero Antonius so wie einst Catilina – und trieb ihn möglicherweise erst zu etwas, was der sonst gar nicht unbedingt gewollt hätte (wie vielleicht ebenfalls einst Catilina). Aber in diesem Ansatz schlug sich bei aller Individualität des Marcus Tullius Cicero etwas nieder von der Situation des Neulings, des Intellektuellen in der Krise ohne Alternative: Daß er die Krise viel sensibler empfand als die Standesgenossen; daß er es mit ihr aufnehmen wollte; daß er dies aber nicht im Angriff, sondern nur in der Verteidigung des Bestehenden tun und daß er diese Verteidigung nur als Sache der Gesinnung ansehen konnte, und dabei die Trennlinien falsch zog. Insofern war Cicero von der spezifischen Form der Krise wesentlich mitbestimmt, in seinem Denken mitgeprägt – obwohl sich dort zugleich manch Typisches findet, das zu allen Zeiten wieder begegnet. Es ist eine besondere Ironie, daß der letzte große Einsatz Ciceros für die Republik, der letzte Kampf der Republik überhaupt, nicht nur nicht die Rettung des alten Gemeinwesens, sondern nicht einmal die der Caesar-Mörder bewerkstelligen konnte, daß er gegen den vermutlich harmloseren der beiden Bürgerkriegskommandeure geführt und daß in ihm der Mann hochgebracht wurde, der dann die Monarchie begründete. Und eine zweite Ironie ist es, daß Caesar Augustus dann der Vorstellung, die Cicero abstrakt vom Staatsmann entworfen hatte, wenigstens nahekam, so nahe, wie das in praxi möglich war: indem er als Privatmann verantwortlich in die Politik eingriff und dann das Ganze des Gemeinwesens wie ein princeps verfocht und dessen wichtigste Aufgaben löste – nur daß er dabei zugleich Monarch war und daß das alles nur mehr wenig mit der politischen Form der Republik zu tun hatte. Gleichwohl könnte eine letzte Ironie darin bestehen, daß er – mindestens aus Taktik, vielleicht aber auch aus Überzeugung, freilich nicht als Philosoph – ein Stück der res publica, die Cicero in die Literatur geflüchtet hatte, verwirklichte, indem er sein Principat als res publica restituta begründete. Diese Nachwirkung wäre sehr vermittelt, und nichts spricht 208

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dafür, daß Cicero die zukünftige Form des Principats irgendwie vorausgesehen oder gar theoretisch konzipiert hätte. Er hat nur formuliert, was er in seiner Gegenwart für möglich und notwendig hielt. Wenn das das Bild des Monarchen-Princeps partiell vorwegnahm, so zeigt dies nur, daß Cicero in seinen Anforderungen an das Gemeinwesen, in seinem Leiden an dessen Krise, in seiner Bezogenheit auf das Ganze der res publica und in seiner Betonung des Aspekts der Aufgabenerledigung (statt nur der Machtbehauptung) schon in eine Distanz zum Gegebenen geraten war, die ihn bei aller Verhaftung darin sehen ließ, woran es fehlte; im Theoretischen, in Anlehnung an platonische Gedanken. Das Zukünftig-Neue dagegen konnte jedenfalls nicht im voraus konzipiert, sondern nur in der Bewältigung des allmählich sich verändernden Gegebenen, in der Wahrnehmung der darin sich bietenden Möglichkeiten entstehen. Und es mußte erst auf diese Weise gegenwärtig werden, um erkannt und anerkannt werden zu können. Eben das konnte nach neuem, langem Bürgerkrieg, nach Zermürbung der römischen Bürgerschaft samt all derer, die ihr unterworfen waren, geschehen; als alles sich nach Frieden sehnte, wie immer er aussah. Was dann dem Augustus zugutekam. Daß sein Adoptivvater mehr erkannt hätte, zeigt sich nirgends. Er fand zwar einen Weg für sich und mochte meinen, daß der gut war für das Gemeinwesen. Aber daß dies ein Ausweg aus der Krise sein sollte und als solcher erachtet wurde, verlautet nicht. Im Gegenteil, selbst sein Freund Matius hat nach seinem Tode erklärt: »Wenn jener mit einem solchen Geist keinen Ausweg fand, wer soll ihn jetzt finden?« Erst moderne Historiker, allen voran Theodor Mommsen, haben zu wissen gemeint, daß der Dictator Caesar die wahre Lösung der Krise kannte. Und sie haben Cicero scharf kritisiert, weil er das nicht verstanden habe. Das hat dazu geführt, daß anders als im übrigen Europa das Bild Ciceros in Deutschland lange Zeit eher negativ gezeichnet wurde. Unterdes hat sich daran einiges geändert. Vielleicht kann man dabei noch weiter 209

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kommen, wenn aus dem Zusammenhang der Krise der Zeit die Beschränktheiten des Horizonts, die Erfolge, die Einsamkeit und nicht zuletzt die ungewöhnlichen Ressourcen deutlich werden, aus denen Cicero in der Philosophie und vor allem in der Verfeinerung der humanitas schöpfte: um diese Zeit auf seine Weise auszuhalten und zu bestehen, nicht glanzvoll, aber doch so, daß er noch in seinem politischen Scheitern, indes eben auf seine Weise, erfolgreich blieb. Der ältere Plinius hat ihm das hundert Jahre später attestiert, indem er in Cicero die Vollendung des Menschen sah (wie der Mensch das vollendetste der Lebewesen ist).

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C. AUGUSTUS. DIE BEGRÜNDUNG DER MONARCHIE ALS WIEDERHERSTELLUNG DER REPUBLIK

1. DAS PROBLEM: DIE BILDUNG DER ALTERNATIVE

was Caesar nicht gelang, was der vermutlich nicht mal versucht hat (und versuchen konnte), die Begründung einer Monarchie in Rom? Wie vermochte er Macht nicht nur in den Verhältnissen, sondern über die Verhältnisse zu gewinnen? Hatte er größere politische Fähigkeiten als Caesar? Oder hatte er eher andere, an die Aufgabe, eine neue Herrschaftsform zu etablieren, angemessenere? War er aufgrund seiner Biographie in einer günstigeren Lage, indem er etwa aus Caesars Schicksal lernen konnte und indem er den Bürgerkrieg nicht eröffnete, sondern vorfand, indem er ihn nur weiterführte, und das zu Beginn auch noch im Auftrag des Senats? Oder bot ihm einfach die Situation, was vorher nicht gegeben war, daß die römische Gesellschaft durch weitere Bürgerkriege, Enteignungen, Rechtlosigkeit, Unsicherheit zermürbt und also bereitwilliger war, einen Monarchen zu ertragen und seiner Herrschaft eine gewisse Legitimität zuzugestehen? Abgesehen davon, daß man politische Fähigkeiten schwerlich absolut nehmen und aneinander messen kann, bezeichnen diese Fragen offensichtlich keine Alternativen, sondern nur die

wa ru m ge l a ng august us ,

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Dimensionen, in denen man die Antwort suchen muß: Es war selbstverständlich das besondere Zusammentreffen von Biographie, persönlicher Befähigung und Gunst der Situation, was Caesars Adoptivsohn instandsetzte, die politischen Verhältnisse derart zum Gegenstand politischen Handelns zu machen, daß sich daraus das Fundament einer neuen Herrschaft formen ließ (wobei man den Anteil dessen, was sich ungenau am genauesten bezeichnen läßt, nämlich des Glücks nicht unterschätzen sollte). Wie aber konnte Augustus in den römischen Verhältnissen eine neue Grundlage schaffen, eine Macht bilden, von der her deren Krise unter Kontrolle zu bringen war? Konnte er eher die Entstehung neuer Kräfte nutzen und bewirken oder war es eher ein Wandel der Bürgerschaft im ganzen, an den er anknüpfen, den er befördern konnte – wenn man das so trennen darf? Genauer gesagt: Verwandelten sich eher die Erwartungen und Maßstäbe, die Meinungen und Interessen, wenn nicht die Identität der ganzen Bürgerschaft (wobei dies in irgendeinem Ausmaß mit gewissen Verschiebungen zwischen und in den Ständen oder Schichten verbunden gewesen sein müßte)? Oder bildete sich eher eine Alternative in bestimmten – bis dahin politisch weniger geltenden – Schichten, dergestalt, daß es primär deren Erwartungen und Maßstäbe, Meinungen und Interessen waren, deren die bürgerschaftliche Identität dann bestimmender Aufstieg, worauf sich Augustus im Kern stützen konnte? Im biographischen Zusammenhang ist zugleich die Frage nach den Konzeptionen von Interesse, die Augustus eventuell im voraus entwickelt hatte, ferner die nach den unverwechselbar individuellen Elementen seiner Leistung sowie nach dem Ausmaß, in dem diese ganz persönlich bedingt war. Dabei steht im Vordergrund das Problem, was es bedeutet, daß Augustus die Begründung der Monarchie als Wiederherstellung der res publica teils vornahm, teils wenigstens drapierte. Ist es ein weiterer, ein letzter Ausdruck der Paradoxie dieses politischen Übergangs, daß die Republik erst am Ende war, als die res publica restituta proklamiert wurde?

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2. VOM ERBEN CAESARS ZUM FÜHRER ITALIENS

ga i us octav i us , der Sohn des nachmaligen Praetors von 61 und der Atia, der Nichte des gerade zum Praetor gewählten Gaius Julius Caesar, wurde am 23. September 63 v. Chr. geboren. Cicero war gerade Consul, im Senat wurde unter seiner Leitung über die Catilinarische Verschwörung verhandelt. Der Vater stammte aus Velitrae, einer kleinen Landstadt nahe Rom, der Großvater hatte dort Bankgeschäfte betrieben. Der Großvater mütterlicherseits war Senator. Er hatte eine Frau aus dem patricischen Geschlecht der Julier, Caesars Schwester, geheiratet. Die Familie war angesehen, der Vater soll gute Aussicht auf das Consulat gehabt haben. Aber bevor er es hätte erreichen können, starb er. Die Mutter heiratete danach Lucius Marcius Philippus, der 56 Consul wurde. Da Caesar keinen männlichen Erben hatte, kam der Enkel seiner Schwester am ehesten dafür in Frage, an dessen Stelle zu treten. Er sollte ihn in den Partherkrieg begleiten. Zuvor sollte er sich in Griechenland dem Studium der Rhetorik widmen und sich zugleich mit dem Militärwesen vertraut machen. Die Nachricht von der Ermordung Caesars erreichte ihn in Apol-

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lonia, einer Stadt an der Küste des heutigen Albanien. Er begab sich sogleich zurück nach Italien. Dort erfuhr er, daß der Großonkel ihn zum Haupterben eingesetzt und testamentarisch adoptiert hatte. Das Erbe antreten hieß zu allererst, es erkämpfen. Denn Caesars Vermögen befand sich in der Hand seines Mitconsuls und vornehmsten Helfers Marcus Antonius, und der war nicht geneigt, es herauszugeben. Man konnte ihn so leicht auch nicht dazu zwingen. Wenn Octavius aber das Erbe übernahm, hatte er sogleich zahlreiche große Legate auszuzahlen, insbesondere an die Veteranen und an die plebs urbana. Vor allem war mit Caesars Erbe und Namen, wenn Octavius nur einige politische Ambitionen hatte, der Anspruch vermacht, den toten Dictator zu rächen. In der plebs urbana und vor allem unter Caesars Veteranen und Freunden richteten sich viele und kräftige Erwartungen darauf. Man konnte schlecht Caesars Namen tragen und sein Erbe übernehmen, wenn man sich dieser Forderung versagte. So war der Konflikt mit Antonius und mit den CaesarMördern wohl unausweichlich für den achtzehnjährigen Erben, wenn er es denn sein wollte. Sein Stiefvater und seine Mutter rieten davon ab, und sie werden nicht die einzigen gewesen sein. Das Risiko war ungeheuerlich. Sollte der völlig unerfahrene, wohlbehütete, noch dazu eher zarte junge Mann das Zeug haben, die unermeßliche Last der Erbschaft des toten Dictators zu schultern? Schließlich ging es nicht einfach darum, sich eine politische Laufbahn neben anderen seinesgleichen zu sichern. Vielmehr implizierte schon der Name Caesar – auch wenn keinerlei politische Rechte damit verbunden waren – einen Anspruch, ja eine politische Tendenz auf eine, sei es gefürchtete, sei es gewünschte Vormachtstellung, der zu genügen und vor der zu versagen gleichermaßen schwer sein mußte. Konnte ein Caesar damals weniger als der Erste sein wollen? Wie war es zu verantworten, den Achtzehnjährigen den grenzenlosen Zumutungen dieses Vermächtnisses auszusetzen? Zudem schien die Republik wiederhergestellt zu sein, und 216

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es fragte sich, was ein junger Caesar in dieser Lage sollte. Wie unklar immer die Zukunft Roms sein mochte, daß sie gerade für den unerfahrenen, jungen Gaius Octavius die Chance einer in irgendeiner Weise dem Namen Caesar gerecht werdenden Stellung barg, war vernünftigerweise kaum anzunehmen. Die Schlüsse freilich, zu denen das politische Urteil wohlmeinender, gestandener, vorsichtiger, weise gewordener Ratgeber kam, wird der Betroffene, höflich und gut erzogen wie er war, mit allem gebotenen Respekt sich angehört, er wird sie auch für sehr erwägenswert, vielleicht sogar für richtig gehalten haben. Nur überzeugt haben sie ihn nicht. Denn er nahm das Vermächtnis an. Was alles und mit welchem Gewicht zusammenkam, um ihn dazu zu veranlassen, ist schwer zu sagen. Hinter der Erbschaft stand jedenfalls das Bild des Großonkels, seines Glanzes, seiner Größe, vermutlich die von ihm ausgehende Faszination, gewiß auch die Erinnerung an seine väterliche Liebenswürdigkeit, stand vor allem das Vertrauen, das er dem jungen Octavius erwiesen, stand der Wunsch des Toten, in ihm sein Geschlecht fortleben zu lassen. Das alles mahnte um so mehr zur Treue, als so viele andere Caesar verlassen und verraten hatten. Außerdem fanden sich ringsum Anhänger Caesars, für die Antonius zwar einiges tat, die er aber doch irritierte durch seine unklaren Verbindungen zu den Mördern und zum Senat und durch sein eher lavierendes Verhalten. Sie verlangten nach Rache. Sie brauchten jemand, um den sie sich sammeln konnten. Endlich mag die Aussicht auf eine machtvolle Stellung in Rom, wie immer er sie sich vorgestellt haben mag, Octavius gelockt haben. Andererseits: Versagte er sich diesen Herausforderungen, so fand er sich nicht einfach im Status quo ante, sondern er fiel weit dahinter zurück, er verscherzte sich die Sympathien der Caesarianer, ohne daß klar gewesen wäre, ob er die ihrer Gegner gewonnen hätte. So groß also das Risiko sein mochte, so groß war die Aussicht. Größer als das Risiko im Falle der Annahme mochte der Verlust in dem der Ablehnung erscheinen. Und die Aussicht war 217

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jedenfalls um so viel größer denn das Risiko, wie Octavius jünger war als die, die vor ihm ihre Bedenklichkeiten ausbreiteten. Er war damals vermutlich nicht leichtfertig, so wenig wie er es je in seinem Leben gewesen ist. Aber ob er die Dinge so schwer nehmen konnte wie seine älteren Ratgeber, ob er sich das Ausmaß der Schwierigkeiten so genau vorstellen konnte wie sie, ist recht zweifelhaft. Gerade weil er mit Politik, mit dem herkömmlich so hoch, so einzigartig geschätzten Lebenselement seines Standes bis dahin kaum in Berührung gekommen war, spricht nicht viel dafür, daß er wirklich wußte, wovon sie sprachen. Möglicherweise war Octavius auch, als er sich mit seinem Stiefvater und anderen beriet, innerlich schon so eingenommen vom Erbe Caesars, schon so beansprucht und mitgerissen von den Erwartungen, mit denen ihm so viele Caesarianer begegneten, daß er nicht mehr frei war, sich den Ratschlägen seines Stiefvaters und anderer auszusetzen. Man hat einmal und mit einigem Recht gesagt, Caesar sei nie jung gewesen. Aber offenbar war er doch jung genug, um Dankbarkeit,Vertrauen und Treue lebhaft als Verpflichtung zu empfinden. Um sich von der Position, die ihm das Erbe des mächtigsten Römers zu eröffnen schien, anziehen zu lassen und um all das für unverbindlich zu halten, was die nach vielen Niederlagen eher zur Resignation neigenden alten Herren ihm vorhielten. So wenig wir aber die Motive rekonstruieren können, die Gaius Octavius damals bestimmten, das Erbe anzutreten, so wahrscheinlich ist doch wenigstens eines: Daß sie sich etwa im Rahmen des eben Umrissenen bewegten, also sich um Caesar, die Caesarianer und seine eigenen Aussichten im römischen Gemeinwesen drehten, nicht um Konzeptionen von einer wünschenswerten zukünftigen Gestalt des Gemeinwesens. Wenn es Octavius um überlegene Macht ging, war es die Macht Caesars, so weit sie ihm erreichbar war, nicht unbedingt eine Monarchie. Und wenn es um das Gemeinwesen ging, so konnte es ihm wiederum einstweilen nur um die Begründung überlegener Macht gehen, mit deren Hilfe er darin etwas auszurichten hatte. Viel218

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leicht, daß er aus dem Schicksal lernte, das sein Adoptivvater erlitten hatte.Vielleicht aber auch, daß er dieses Schicksal vor allem wiedergutmachen wollte durch Rache an den Caesar-Mördern. Jedenfalls muß er damit gerechnet haben, daß künftig – wie schon von 55 bis zum Bürgerkrieg – wenige besonders mächtige, mit großen Armeekommanden ausgestattete Persönlichkeiten die römische Politik vornehmlich bestimmen würden, und zu diesen wollte er gehören. Wie er sich unter ihnen behaupten wollte, mußte man sehen. Im übrigen gab es für lange Überlegungen kaum Zeit. Es standen andere Sorgen im Vordergrund. Und diese Sorgen respektive die Weise, wie er mit ihnen fertig wurde, bilden das eigentliche Problem. Denn daß einer mit 18 Jahren ein so problematisches wie verlockendes Erbe antritt, ist doch wohl weniger erstaunlich wie daß er den Anforderungen gerecht wird, die ihm daraus erwachsen; daß er wirklich erobert, was sich ihm zunächst nur von ferne anbot. Er mußte seinen Anspruch auf das Erbe durchsetzen, die Sache Caesars offen übernehmen und mußte vor allem Freunde und Soldaten gewinnen, um sich gegen Antonius zu behaupten. Dabei konnte er zum Teil dem Vorbild des Pompeius folgen, der im sullanischen Bürgerkrieg ebenfalls als junger Privatmann aus den Anhängern und ehemaligen Soldaten seines Vaters eine Armee aufgestellt und damit seinen ungewöhnlichen Aufstieg in Rom begonnen hatte. Die Lage in Rom wurde durch das Auftreten des jungen Mannes mit einem Schlag verändert. Dort hatte sich ein labiles Gleichgewicht zwischen Antonius und dem Senat herausgebildet. Die Caesar-Mörder hatten zwar Rom verlassen müssen, aber Antonius bemühte sich, den Faden zu ihnen nicht abreißen zu lassen. Dazu gehörte, daß er nicht die Rache für Caesar betrieb, auch nicht die kultische Verehrung des toten Dictators erlaubte, sondern die Caesarianer mit wenigen Konzessionen hinzuhalten versuchte. So hoffte er offenbar, sowohl im Senat wie bei Soldaten und Veteranen und bei der plebs urbana Rückhalt und Ansehen zu gewinnen und zu befestigen. Wie die Dinge standen, mochte er sich wohl einbilden, mit der Zeit der angesehen219

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ste und mächtigste Politiker im republikanischen Rahmen zu werden, obwohl der dafür notwendige Balance-Akt ungeheuer schwierig war. Aber er konnte ja sehen, auf welche Seite er sich notfalls neigen wollte. Doch zur Logik der Machtlage nach Caesars Tod gehörte es, daß dessen Sohn, gestützt auf die ererbten Machtmittel, sehr rasch die Initiative an sich reißen konnte. Sobald aber die Sache des toten Caesar kräftig vertreten wurde, drohte dem Antonius die eine Grundlage seiner Macht entzogen zu werden. Im gleichen Schritt war die andere gefährdet. Denn er kann sich der Verbindung mit den Caesar-Mördern und ihren Freunden im Senat kaum sicher gewesen sein. Jedenfalls bot ihm dies zu wenig gegen einen Mann, der die Anhänger des toten Caesar um sich zu scharen vermochte. Antonius wurde folglich durch Octavius’ Auftreten vom Senat abgedrängt. Daher sprach er sich gegen die Caesar-Mörder aus, kam den Caesarianern auf verschiedene Weise entgegen und suchte sich im übrigen die Statthalterschaft Gallia Cisalpina (im heutigen Norditalien) mit einer großen Armee zu sichern. Das sollte eine starke Bastion für ihn werden. Der Rivale ließ sich derweil dem Volk als Adoptivsohn Caesars vorstellen, versteigerte einen Teil seiner Güter und lieh sich von Freunden Geld, um glanzvoll die von seinem Adoptivvater gelobten Spiele für die Göttin Venus auszurichten. Er kaufte sich auch auf andere Weisen freigiebig die Gunst des breiten Volkes und anderer. Es ist nicht sicher, ob Antonius ihm nicht wenigstens einen Teil der Erbschaft herausgab. Dann geschah ein Wunder: Bei den Spielen sah man einen großen Kometen mit langem Schweif, den die Menge als den Stern des vergöttlichten Caesar begrüßte. Daß freilich auch der goldene Sessel des Dictators aufgestellt wurde, verhinderte ein Volkstribun. Aber schon die Absicht wurde dem Adoptivsohn hoch angerechnet. Andererseits scheint er von einer Rache für Caesar nicht gesprochen zu haben. Er suchte zunächst nur seine Stellung zu festigen. So sammelte er auch eine größere Zahl von Männern um sich, meistens die noch nicht zu höheren Ämtern und Würden gelangten Anhänger Caesars, vielfach homines novi, die ihm da220

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für um so treuer ergeben waren. Schließlich warb er unter den Veteranen und zum Teil auch unter den noch im aktiven Dienst stehenden Soldaten eine eigene Truppe, mit der er dann in die Politik eingriff. Derweil hatte Antonius die Gallia Cisalpina, die er sich hatte vom Volk beschließen lassen, nicht übernehmen können, weil der bisherige Statthalter, der Caesar-Mörder Decimus Brutus, sich ihm bewaffnet widersetzte. Er belagerte ihn in Mutina. Jetzt drängte eine Gruppe im Senat darauf, Antonius zum Feind zu erklären und gegen ihn den Krieg zu eröffnen. Seine Freunde und die auf Verständigung bedachten Teile des Hauses konnten das zunächst verhindern. Anfang 43 wurde aber doch der Krieg beschlossen. Cicero hatte wesentlich dazu beigetragen. Der junge Mann, der sich jetzt Gaius Julius Caesar nannte, hatte ihn lange umworben. Cicero war ihm zunächst abwartend und mit großem Mißtrauen begegnet. Sein Name und sein Alter störten ihn. Er war sich offensichtlich auch darüber klar, daß Caesar sich auf die Dauer gegen die Mörder seines Vaters stellen mußte, deren Sache Cicero verfocht. Doch der junge Mann ließ nicht locker. Und er hatte in der Eitelkeit und Illusionsfähigkeit des alten Mannes sehr starke Verbündete. Er bot sich an, sich ganz von ihm leiten zu lassen, sich ganz in den Dienst des Senats zu stellen, für die Republik zu Felde zu ziehen. Als die Lage vor Mutina schwierig zu werden drohte, konnte Cicero dem nicht mehr widerstehen. Er trat für Caesar ein. Der Senat erkannte dessen illegal ausgehobene Kontingente an, gab ihm ein Kommando und sandte ihn zusammen mit den Consuln und deren Legionen gegen Antonius. Der wurde besiegt, aber er konnte entkommen. Die Consuln konnten ihn nicht verfolgen. Der eine war gefallen, der andere schwer verletzt (und starb gleich darauf). Decimus Brutus schließlich war aus irgendwelchen Gründen unbeweglich. Und Caesar dachte nicht daran, Antonius weiteren Schaden zuzufügen. Er hatte nichts davon, den Mann zu beseitigen, gegen den man ihn brauchte – und der ihn vielleicht gegen den Senat brauchen konnte. Er schrieb also dem Senat, daß es ihm an Geld 221

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für die Bezahlung der Soldaten fehle, zumal die zugesagten Mittel noch nicht eingetroffen seien. Bald darauf verlautete, daß er sich um eine der freigewordenen Consulstellen bewerben wollte. Der Senat war schockiert. Er glaubte ihm entgegenzukommen, indem er ihm gestattete, sogleich um die Praetur zu kandidieren, 21 Jahre bevor er das dazu notwendige Alter erreicht hatte. Das aber hatte nur zur Folge, daß unter der Führung einiger Subalternoffiziere ein Trupp von 400 Soldaten in Rom erschien und außer dem versprochenen Geld nochmals das Consulat für den Kommandeur forderte. Aber nicht genug damit. Sie verlangten auch die Rücknahme der Ächtung des Antonius. Der Mann, den der junge Caesar im Auftrag des Senats bekämpft und besiegt hatte, sollte rehabilitiert werden – wie wenn nichts gewesen wäre. Als der Senat das ablehnte, schlug der Führer der Delegation den Mantel zurück, wies auf sein Schwert und erklärte: »Dies wird es machen, wenn ihr es nicht macht.« Caesar war der einzige, der über eine schlagkräftige Armee in Italien gebot. Die Unverfrorenheit, mit der er seinen Preis nannte, ist bemerkenswert. Wohl läßt sich sagen, daß sie ihre Logik hatte. Aber es läßt sich auch nicht abstreiten, daß es ungewöhnlich war, dieser Logik so geradewegs zu folgen. Aber wie auch immer: es ärgerte Caesar, daß der Senat, ehrwürdig, geschwätzig und machtlos wie er war, ihn von oben herab behandelte. Außerdem hatte man ihm einen Ausspruch hinterbracht, den angeblich Cicero getan hatte: »Der junge Mann ist zu loben, auszuzeichnen und hochzuheben« (was zugleich »beseitigen« hieß). Eben dies wollte er jetzt in seinem Sinne einklagen. Schließlich brauchte er weitere Macht, weitere Erfolge und die immer noch angesehene Stellung des Consuls, um insbesondere Antonius zu zeigen, wer er war. Es muß ihm längst klar gewesen sein, daß er auf die Dauer nur mit Antonius gegen den Senat, nicht mit dem Senat gegen Antonius kämpfen konnte: Wie immer er Cicero umworben, was immer er ihm zugesagt hatte, das alles zählte nicht mehr, sobald er ihn nicht mehr brauchte. Er hat sich früh daran gewöhnt, eiskalt seinen Vorteil zu berechnen und entsprechend zu handeln. Und das 222

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Gebot der Rache an Caesars Mördern konnte er nicht dauernd hintanstellen. So marschierte er nach der Abweisung seiner Gesandtschaft sofort und in überraschender Eile mit mehreren Legionen auf Rom. Der Senat bewilligte dann zwar Consulatsbewerbung und Geld, als die Senatoren aber hörten, daß die zu ihrem Schutz aus Afrika herbeibeorderten Legionen in Italien gelandet seien, nahmen sie das wieder zurück und geboten Caesar, 15 Kilometer vor Rom stehen zu bleiben. Worum der sich nicht scherte. Als er am Stadtrand anlangte, pilgerte die vornehme Gesellschaft der Stadt in sein Lager, um ihm ihre Reverenz zu erweisen. Die gegen ihn gestellten Kontingente zogen es vor, sich auf seine Seite zu schlagen. Er ließ sich zusammen mit seinem Onkel Quintus Pedius zum Consul wählen. Gleich darauf wurde ein Gesetz durchgebracht, wonach ein Sondergericht gegen die CaesarMörder einzusetzen sei. Als Caesar den Göttern am 19. August das erste Opfer als Consul darbrachte, machte man am Himmel zwölf Adler aus, wie sie einst dem Romulus bei der Gründung der Stadt erschienen sein sollen. Offenbar waren die Götter auf seiner Seite. Er legte dann seine Hand auf das Ärarium, um seine Soldaten zu bezahlen. Während er danach mit elf Legionen nach Norden marschierte, angeblich gegen Antonius, ließ sein Onkel dessen Erklärung zum Feind der Republik aufheben. Man schwankt, ob man den brutalen Realismus, mit dem der Neunzehnjährige sich in diesen Wochen während des Sommers 43 durchsetzte, mehr seinem politischen Rechenvermögen oder seiner Jugend zuschreiben soll. Jedenfalls zählten für ihn die Legionen und sonst nichts. Und da er welche hatte, die Gegner aber keine (oder nur in der Ferne), scheint ihm alles ganz einfach vorgekommen zu sein. Unbeschadet aller Imponderabilien, aller Komplikationen und der Tatsache, daß sich im Senat ja doch noch viel Einfluß versammelte. Den Senat aber fürchtete er nicht. Angesichts des vielverzweigten Wegesystems, auf dem man sich in Rom zu bewegen hatte, mehr auf breiten oder mehr auf schmalen und oft genug auf Umwegen, langsa223

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mer oder schneller, aber doch immer ganz nach Maßgabe der Möglichkeiten, fand er schlicht, daß die Gerade die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten sei und legte sich entsprechend seine Bahn durch die politische Landschaft. Man mag es deuten, wie man will, es hatte etwas von jugendlicher Bedenkenlosigkeit und Unbedingtheit. Doch kann man nicht leugnen, daß er in seiner forschen Direktheit zunächst einmal ans Ziel kam und daß alles Weitere eben davon abhing. Wahrscheinlich spielte es bei Caesars Verhalten in dieser Zeit eine große Rolle, daß er in die Politik nicht hineinwuchs, sondern sich hineinstürzte. Er hatte sie kaum je beobachten können, als er sie schon in vollem Ausmaß machen mußte. Was immer er zunächst über die führenden Senatoren gedacht hatte, er muß rasch herausgefunden haben, wie schwach und wie wenig vorbildlich sie waren. Hätte er Gelegenheit gehabt, ihnen länger zuzusehen, wäre er also nicht gleich in die Lage gekommen, sie zu verachten, so hätte er vielleicht doch mehr über sie und, wie er auf sie Rücksicht nehmen konnte, lernen können. So aber gelangte er zu vorschnellen Schlüssen. Indem er tat, was nur eben ging, erhielt er den Eindruck, daß ungeheuer vieles ging, ob es nun Bestechung, Erpressung, Terror oder Betrug, Untreue oder Gewalt war. Keiner konnte ihn daran hindern, es schlug sich unmittelbar kaum negativ nieder und, was davon vielleicht in tieferen Schichten haften blieb, sah er nicht. Es ist folglich in diesem Stadium eine besonders vielseitige, verschiedensten Lagen gerecht werdende politische Einsicht und Fähigkeit Caesars noch keineswegs sicher auszumachen. Entscheidende Vorteile ergaben sich aus seiner Position. Und die Weise, wie er sie nutzte, war außer durch Mut (oder Leichtsinn), Energie und Diplomatie zumal durch Hemmungslosigkeit, Rücksichtslosigkeit gegenüber den politischen Regeln gekennzeichnet. So erfolgreich er damit war, so wenig spricht schon dafür, daß es wirklich Erkenntnis – oder besonderes Erkenntnisvermögen – gewesen wäre, was ihn damals alle Imponderabilien für nichts erachten ließ. Er müßte sonst in nahezu übermenschlicher Weise unterschieden haben zwischen dem, was in dieser, 224

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und dem, was in anderen Lagen angebracht war; müßte denn gewußt haben, daß die Risiken, die er mit seiner Rücksichtslosigkeit auf längere Sicht lief, letztlich doch begrenzt blieben. Bei Bologna traf er sodann mit Antonius und einem anderen caesarischen Kommandeur, Marcus Aemilius Lepidus, zusammen. Antonius hatte sich nach seiner Niederlage in die Gallia Transalpina begeben und dort mit dem noch von Caesar eingesetzten Statthalter Lepidus vereint. Damit war er wieder in den Besitz einer Armee gelangt. Inzwischen scheinen verschiedene Verhandlungen stattgefunden zu haben. Nun setzten sich die drei Herren zusammen, um sich zu verbünden. Das verstand sich nicht von selbst, aber es lag nahe. Warum sollten sie sich bekämpfen, wenn sie gemeinsam alle Macht an sich reißen konnten? Keiner von ihnen konnte (falls er nicht einfach im Glied verharren wollte) auf gute Zusammenarbeit mit dem Senat rechnen, es sei denn, der hätte den oder die einen gegen den oder die anderen von ihnen gebraucht. Standen sie gegeneinander, so hatten die Caesar-Mörder und durch sie der Senat bessere Chancen, den einen von ihnen zu schlagen und dann ohne den oder die anderen auszukommen. Vielleicht hätte Antonius sich noch am ehesten mit Brutus und Cassius vertragen können. Aber auch ihm muß – wie dem jungen Caesar – inzwischen klar geworden sein, daß er nicht einfach als angesehener Senator in die römische Innenpolitik zurückkehren konnte. So wollte er seine Armee behalten, zumal er andernfalls dem mißtrauischen Senat wehrlos ausgesetzt gewesen wäre. Jedenfalls fuhren sie am besten, wenn sie sich zusammentaten. So konnten sie alle drei ihre Truppen behalten und dem Senat ihren Willen aufzwingen. Wobei sie sich gegen ihn und gegen die Caesar-Mörder, die derweil im Osten eine große Armee aufstellten, die Rache für Caesar zum gemeinsamen Ziel setzten. Indem der Senat, angeführt von Cicero, seine Position noch einmal weit überschätzt hatte, war er damit endgültig als Bündnispartner für den einen oder andern der caesarischen Heerführer ausgefallen, wenn er es überhaupt auf die Dauer hätte sein können. 225

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Gleichwohl war die Einigung auf die Bedingungen des Bündnisses nicht einfach. Und so mächtig Caesar inzwischen geworden war, so konnte er doch dem Antonius noch nicht ganz die Waage halten. Die Abmachungen fielen jedenfalls stärker zu dessen Gunsten aus. Man beschloß, gemeinsam nach Rom zu ziehen und sich dort als »Triumvirat«, Drei-Männer-Collegium also, dictatorische Vollmachten für fünf Jahre geben zu lassen, natürlich rei publicae constituendae causa, um das Gemeinwesen in Ordnung zu bringen. Man einigte sich ferner darauf, wer in den nächsten Jahren die höchsten Magistrate bekleiden sollte: Es waren vor allem Anhänger des Antonius (der hatte auch mehr prominente Freunde). Caesar und sein Onkel mußten sogar vorzeitig das Consulat niederlegen, um zwei von ihnen Platz zu machen. Antonius und Lepidus behielten die westlichen Provinzen, Caesar bekam Afrika (etwa dem heutigen Tunesien entsprechend), Sizilien, Sardinien und Korsika (die er sich zum Teil erst hätte erobern müssen). Zunächst mußte der Feldzug nach Osten gegen die CaesarMörder unternommen werden. Danach sollte eine groß angelegte Ansiedlung von Veteranen der inzwischen stark angewachsenen Armeen vorgenommen werden. Es handelte sich um ca. 100 000 Mann. Damals oder bald darauf legte man 18 der wohlhabendsten Städte in Italien fest, deren Territorium zu diesem Zweck enteignet werden sollte. Außerdem beschloß man größere Proscriptionen zur Beseitigung politischer Gegner, vor allem aber auch zur Auffüllung der eigenen Kriegskasse. Caesar soll dabei zunächst eher zögernd, danach aus freien Stücken um so schärfer gewesen sein. Das prominenteste Opfer war sein väterlicher Freund Cicero. Nachdem alles planmäßig ausgeführt, zog die große Streitmacht unter Antonius und Caesar nach Griechenland und traf dort bei Philippi auf eine ähnlich große Armee unter den Kommandeuren Brutus und Cassius. Zweimal stießen die Heere aufeinander. Das erste Mal siegte Antonius auf seinem Flügel in kühner Attacke über Cassius, während Brutus auf dem anderen 226

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Caesar schlug, genau genommen: dessen Armee. Denn der Feldherr war von der Bildfläche verschwunden. Er war nicht gesund und hatte sich – angeblich aufgrund eines warnenden Traums seines Arztes – davontragen lassen. So bekam man ihn nicht in die Hand, als sein Lager erobert wurde. Allein, Cassius wußte nicht, daß Brutus gesiegt hatte und nahm sich in seiner Verzweiflung das Leben. Die Sache der Caesar-Mörder war deswegen noch keineswegs verloren, ihre Armee noch intakt, außerdem beherrschten sie die See. Aber Brutus ließ sich gleichwohl bald darauf dazu verleiten, in ungünstiger Situation eine Schlacht anzunehmen, die dann dank Antonius die Entscheidung brachte. Brutus gab sich den Tod, Antonius bedeckte den Leichnam ritterlich mit seinem Mantel, dann ließ Caesar ihm den Kopf abschneiden, um ihn der Statue seines Adoptivvaters in Rom zu Füßen zu legen. Antonius erhielt anschließend (neben seiner gallischen Statthalterschaft) die Aufgabe, die östlichen Provinzen in Besitz zu nehmen und zu befrieden sowie die Grenzen gegen die auswärtigen Feinde zu sichern. Das gab auch Gelegenheit zu großen Feldzügen und Siegen für Rom. Caesar dagegen bekam die undankbare Pflicht zugesprochen, die Ansiedlung der Veteranen in Italien vorzunehmen. Dort gab es erhebliche Unruhen und Widerstand der Enteigneten, Empörung auch sonst. Die Lage spitzte sich zu, weil Lucius Antonius, der damals, 40 v. Chr., gerade Consul war, zusammen mit seiner Schwägerin Fulvia meinte, für den Bruder Kapital daraus schlagen zu sollen. Er befürwortete zwar einerseits die Versorgung der Soldaten, trat aber andererseits entschieden für die Enteigneten ein. Caesars Aktivität drohte ins Leere zu laufen. Als sich die Auseinandersetzungen zum bewaffneten Konflikt verschärften, wurde Lucius Antonius mit seiner Streitmacht in Perugia eingeschlossen, er mußte kapitulieren, woraufhin Caesar ein grausames Strafgericht über die Stadt ergehen ließ: Die Gefangenen wurden samt dem Stadtrat fast ausnahmslos hingeschlachtet: Jeder sollte wissen, mit wem man es zu tun hatte. Nur die Gewalt zählte. Kurz darauf landete Antonius bei Brindisi. Die Stadt nahm 227

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ihn nicht auf, so daß er sie belagerte. Caesar zog mit seiner Streitmacht zum Entsatz heran. Es sah so aus, wie wenn es erneut zum Bürgerkrieg käme und nach allem, was man inzwischen erfahren hatte, konnte man sich ausmalen, was der Krieg und vor allem was der Sieg bedeutete. Da legten sich die Soldaten ins Mittel. Diesseits und jenseits standen alte Kriegskameraden. Offiziere beider Heere trafen sich, um auf eine Einigung zu dringen. Drei Vertraute handelten die Bedingungen aus. Schließlich wurde ein neuer Vertrag geschlossen. Antonius bekam die Gewalt über die östlichen Provinzen einschließlich Makedonien, Caesar über die westlichen einschließlich Illyrien. Ein kleiner Fluß im nördlichen Albanien sollte die Grenze bilden. Italien wurde von dieser Regelung ausgenommen: Es sollte beiden Seiten offenstehen, unter anderm zur Aushebung von Soldaten. Afrika kam an Lepidus. Das Ganze besiegelte man durch eine Heirat: Antonius, der gerade verwitwet war, nahm Caesars Schwester Octavia zur Frau. Im Herbst 40, als dieser Vertrag geschlossen wurde, war Caesar gerade 23 Jahre alt. Eine wichtige Phase war abgeschlossen: Die unmittelbaren Ziele nämlich, die er seit dem Antritt seiner Erbschaft verfolgt hatte, waren erreicht, die daraus sich direkt ergebenden Folgeprobleme gelöst. Die Rache an den CaesarMördern war vollzogen; Caesar hatte ein großes, fest etabliertes Kommando, sogar eine Ausnahmestellung mit dictatorischen Vollmachten; er stand dem Antonius gleich; und die nach dem Krieg notwendige Versorgung der Veteranen war gesichert. Mit einer stupenden Zielsicherheit war er zu Werk gegangen, forsch und unverfroren, ohne Tuchfühlung mit dem, was den Römern wichtig und irgendwie noch heilig war, kalt, herzlos, gewalttätig obendrein, nur mit handfesten, harten Fakten kalkulierend, mit überraschender, überrumpelnder Rücksichtslosigkeit gegen alle Regeln und mit viel Glück. An das Glück hatte er geglaubt, nicht erst, aber gewiß besonders, seit ihm die 12 Adler beim Antrittsopfer als Consul erschienen waren; zudem war er begnadet durch den vergöttlichten Vater. Es hatte sich im Rahmen der Rache und des Ausbaus einer Sonderstellung ein Ziel aus dem anderen ergeben. Schließlich 228

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lag die Aufteilung des Herrschaftsbereichs in der Konsequenz des Ausgleichs mit Antonius. Denn der schätzte offenbar den Osten höher ein als den Westen. Übrigens sorgte Antonius auch dafür, daß ein Vertrag mit Pompeius’ jüngerem Sohn Sextus zustande kam, der Sizilien und größere Teile der See beherrschte. Auch dessen Herrschaft wurde anerkannt. Zahlreiche Flüchtlinge aus dem alten republikanischen Lager, die sich bei ihm befanden, durften nach Rom zurückkehren. So schienen sich die verschiedenen Bereiche zu konsolidieren. Antonius war es lieb, daß Pompeius in unmittelbarer Nachbarschaft Caesars saß und notfalls Italien blockieren konnte. Denn er stand ihm wesentlich näher als Caesar. Fürs erste schien der Frieden gesichert. Damals trat Antonius auch das ihm zustehende Amt eines Caesar-Priesters endlich an. Der Prozeß der Vergottung des Dictators war abgeschlossen. Sein Adoptivsohn nannte sich fortan Divi filius, Sohn des Göttlichen. Aber wenn Caesar damit aus der unmittelbaren Gebundenheit an bestimmte Ziele heraus war, anscheinend frei dazu, sich die neue Stellung nach Willkür und Vermögen auszubauen, so mag – oder, wie ich meine: wird – er doch weiterhin durch ein ferneres Ziel bestimmt gewesen sein: nämlich die monarchische Stellung seines Adoptivvaters zu gewinnen. Doch wie auch immer dem gewesen sein mag, Mißtrauen veranlaßte ihn bald, den Krieg gegen Pompeius zu eröffnen, um den Westen des römischen Herrschaftsbereichs ganz in die Hand zu bekommen. Dabei erlitt er zunächst verschiedene Niederlagen, Pompeius sperrte die Zufuhr nach Italien, so daß man dort zu hungern begann. Antonius mußte – auf Bitten der Octavia – mit Schiffen aushelfen, wofür ihm Caesar Soldaten für den Partherkrieg versprach (von welchen aber die wenigsten überkamen). Schließlich vermochte es Marcus Vipsanius Agrippa, Caesars vornehmster Helfer, Pompeius zu schlagen. Da Lepidus Anspruch auf Sizilien erhob, wurde auch gleich mit ihm abgerechnet. Er mußte Afrika an Caesar abtreten, durfte aber am Leben bleiben und sogar sein Priesteramt als Pontifex Maximus behalten. 229

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Im Jahre 36, nach dem Sieg über Pompeius, proklamierte Caesar das Ende des Bürgerkriegs. Er schien saturiert. Nicht nur die Rache war erledigt. Es waren auch die Mitte und der Westen des Reichs sicher in seiner Hand. In Italien war man froh, daß die Versorgung mit Lebensmitteln gesichert war: Ein erster großer Erfolg, den Caesar für die römische Bürgerschaft erfochten hatte, konnte gefeiert werden. Daß er selbst es gewesen war, der durch die Eröffnung des Kriegs die Blockade heraufbeschworen hatte, wird mindestens den maßgebenden Kreisen klar gewesen sein. Viele werden es auch nicht unbedingt für ein Glück gehalten haben, daß er seinen Machtbereich weiter ausgedehnt hatte. In dieser Lage tat Caesar einen weiteren Schritt nach vorn. Vielleicht läßt sich sogar sagen: Er tat einen genialen Schachzug: Er legte vor Senat und Volk Rechenschaft ab für alles, was er als Triumvir getan hatte (um den Bericht übrigens anschließend abschreiben und verbreiten zu lassen). Und er erklärte sich öffentlich bereit, seine – inzwischen verlängerten – Vollmachten als Mitglied des Dreimänner-Collegiums zur Ordnung des Gemeinwesens niederzulegen und alle Gewalt an Volk und Senat zurückzugeben, und zwar sobald Antonius heimkehrte. Denn er gab sich überzeugt, daß jener das gleiche tun werde, da die Bürgerkriege beendet seien. Antonius freilich, der gerade einen erfolglosen Feldzug gegen die Parther hinter sich hatte, konnte kaum daran denken, sich seiner Vollmacht zu entledigen, bevor er die Lage dort siegreich konsolidiert hatte. Und das wiederum muß Caesar gewußt haben. Er konnte also damit rechnen, daß er fürs erste nicht beim Wort genommen würde. Es läßt sich kaum bezweifeln, daß Caesar taktischen Überlegungen folgte. Er mußte über kurz oder lang damit rechnen, daß er sich mit Antonius auseinanderzusetzen hatte, und zwar auf vielen Feldern. Je mehr die Spannungen zunahmen, um so mehr konnte auch auf den Senat ankommen. Dort aber war Antonius weitaus besser angesehen als Caesar. Er hatte sich – seit den Proskriptionen – allen und insbesondere den alten Republikanern gegenüber ritterlich, großzügig und versöhnlich gezeigt, 230

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während Caesar Rache nahm. So energisch er zupacken konnte, im ganzen neigte er eher dazu zu leben und leben zu lassen. Caesar dagegen war mit dem Odium der Gewaltherrschaft, der Enteignung, der Rechtsbrüche behaftet. Das lastete wie eine schwere Hypothek auf ihm. Und in seiner forschen, kaltblütigen, engstens an die eigenen Interessen gebundenen, berechnenden Art stach er höchst ungünstig gegen den vitalen, menschlichen, noch dazu in der Ferne weilenden Schwager ab. Doch ist es keineswegs unwahrscheinlich, daß der siebenundzwanzigjährige Bürgerkriegsführer damals auch zu der Einsicht gelangt ist, daß Anhänger, Soldaten, Geld, Sondervollmachten, Gewaltherrschaft und militärische Siege nicht alles waren, worauf es ankam. Es galt auch, die Bürgerschaft, und das hieß ja vor allem die Führenden in ihr, die Adligen, zu gewinnen. Dies aber setzte voraus, daß man die Wiederherstellung der Republik betrieb. Die alte Form des Gemeinwesens, so schlecht sie zuletzt funktioniert hatte, war die einzige allgemeine Sache, auf die Caesar sich beziehen konnte. Heute kann man dies als Konsequenz der Krise ohne Alternative bezeichnen. Es gab keine Kraft, die prätendieren konnte, das Allgemeine gegenüber den, eben dadurch als partikular zu demaskierenden, herkömmlichen Mächten darzustellen oder doch in Zukunft besser zu verwirklichen (wie das in der Neuzeit etwa das Bürgertum konnte). Das Ganze, dem allein man sich verknüpfen konnte, war das Überkommene. Nur Wiederherstellung, nicht Veränderung (wenn man das so trennen darf) bot sich als auf das Allgemeine gerichtete Zielsetzung an. Man mußte es wollen, nicht weil man überwiegend konservativ statt fortschrittlich war, sondern weil man es allgemein nicht besser wußte, als daß die überkommenen Institutionen jetzt und künftig wie schon früher die rechten waren. Dieses Denken und Wissen war in gewissem Sinn antik, in besonderer Weise römisch, indem damals Geschichte nicht als umfassender Wandlungsprozeß verstanden, die bestehende Ordnung also so leicht nicht relativiert werden konnte, anders gesagt, indem die politische Ordnung eher Seinsweise als Mittel war, 231

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indem sie so weit in die bürgerschaftliche Identität einging, daß man, wenn man sich wollte, auch die bestehende Ordnung wollte, jedenfalls in den maßgebenden Schichten und solange man nicht resignierte. Die einzige grundlegende, zukunftsweisende Verbesserung, die antike Bürgerschaften anstreben konnten, war die Vergrößerung der Teilhabe breiterer Schichten an der Politik. Bei den Griechen hatte das bis zur Demokratie geführt, bei den Römern bis zu Sicherung größerer Einwirkungsmöglichkeiten der plebs. Aber diese Alternativen hatten sich erschöpft. In Rom kam speziell noch eine bestimmte Weise engster Wirklichkeitsverhaftung hinzu, die so leicht keine Distanz zum Bestehenden ermöglichte. Zudem war damals die höchste mögliche Form der Beteiligung der Bürgerschaft an der Politik erreicht (und de facto schon unterschritten, indem der Anteil der mittleren und unteren Schichten daran rückläufig respektive partiell geworden war). Eine solche höchste mögliche Form der Beteiligung an der Politik gibt man ungern auf – es sei denn, der Druck, der darauf zielt, werde so stark, daß man nicht nur zum Nachgeben neigt, sondern auch wirklich zu konsequenter Einsicht in ihre Unhaltbarkeit kommt. Eben das war in Rom, angesichts der Macht zumal der Aristokratie und der engen Wirklichkeitsverhaftung, nur sehr schwer möglich. Überlegungen dieser Art sind erst für die moderne historische Forschung möglich (und zugleich notwendig, um deutlich zu machen, warum hier die Erwartungen, die sich uns aus neuzeitlichen und modernen Auffassungen und Erfahrungen von Verfassung und Geschichte nahelegen, falsch sind). Wir müssen uns eigens klar machen, welches die Möglichkeiten und Grenzen im Horizont der damaligen Zeit waren, warum also das Bekenntnis zur alten res publica die einzige allgemeine Sache war, an die man anknüpfen konnte. Es spricht, soweit wir urteilen können, alles dafür, daß der junge Caesar, indem er sich danach richtete, das Richtige tat, taktisch und vor allem strategisch. Um dem Folgenden zeitlich vorzugreifen: Indem er aus überlegener, faktisch schließlich monarchischer Macht für die res publica eintrat, indem er soweit wie möglich anknüpfte an republikanische 232

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Traditionen, konnte er seine Monarchie am ehesten und am festesten begründen. Es könnte sein, daß Caesar den Senat zunächst unterschätzt hat. Nicht ohne Grund, denn die Gewalthaber – und der in Italien residierende gewiß mehr als der in weiter Ferne sich aufhaltende – hatten über die Magistratswahlen und damit die Zusammensetzung der Rangklassen des Senats verfügt. Aus diesen wie aus andern Gründen lagen die Senatoren ihnen immer wieder zu Füßen. Aber eine Vorstellung von dem, was sie eigentlich sein sollten, und vor allem, was der Senat seit alters war, hatten sie trotzdem. Sie ließen sich instrumentalisieren, aber sie müssen gewußt haben, daß das ihrer Stellung nicht entsprach. Es muß schon damals jene große Wippe in Funktion gewesen sein zwischen der Beschämung durch alle möglichen Entwürdigungen und jener Selbstermannung, jenem eigentümlichen Stolz, in der und mit dem gerade die Mitglieder einer Aristokratie sich darüber hinwegzutäuschen und zu retten neigen. Noch dazu, wenn es sich um Männer handelt, die im Bürgerkrieg militärisch oder politisch eine führende Rolle gespielt hatten, die mit allen Wassern gewaschen waren und sich in der eigenartigen Zwischenlage, in der Rom sich damals befand, klug zu bewegen wußten und – der Senat war stärker, je besser er seine Schwäche kannte. In der Wendung, die Caesar im Jahre 36 vollzog, bezeugt sich also Einblick in Machtverhältnisse (inklusive soft power), die durchaus gegeben waren und die eine Rolle spielen mochten, sobald es zwischen ihm und Antonius zur Entscheidung kam. Und er war bereit, öffentlich die Konsequenzen daraus zu ziehen. Durch diese Wendung wuchs er weit über das hinaus, was er bisher gewesen war. Und nicht nur durch die Kundgabe seines Willens, zur alten Ordnung zurückzukehren, sondern auch dadurch, daß er an seinem Versprechen konsequent festhielt, obwohl er viele verständlicherweise von der Ernsthaftigkeit seiner Absichten so rasch nicht überzeugen konnte. Es war zugleich die Voraussetzung für das, was er dann nach seinem Sieg als monarchische Ordnung etablierte. 233

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Er blieb höchst machtbewußt, an der Kälte seines Durchsetzungswillens wird sich kaum etwas geändert haben. Man muß ihn übrigens auch keineswegs mögen. Aber man kann ihm die Distanzierung von dem, was er gewesen war, von dem auch, was sich ihm desweiteren zuweilen nahelegen mochte, nicht absprechen. Das aber heißt: Die überragende Fähigkeit, sich eine ganz neue Rolle zu erarbeiten und sich konsequent daran zu halten, bis zum Ende. Dadurch war das Jahr 36 in seiner Laufbahn so bedeutsam. Vielleicht muß man dazuhalten, daß Caesar ohnehin nicht von dem geradezu manischen Wirkens-Eifer besessen war, der seinen Adoptivvater veranlaßt hatte, stets alle Hindernisse, die ihm im Wege waren, rasch, oft auch grob beiseitezuräumen. Er hatte sich ja auch nicht jahrelang daran gewöhnen können, sich in der Weise des Befehls und der Verfügung gleichsam ein ganzes Reich zu begründen und zu dirigieren – jenseits des Rubicon. Ihm konnte die politische Isolation nicht zum Trumpf werden. Vielmehr hatte er sich, wie immer zugleich auf seine Armee gestützt, in Rom selbst zu behaupten. Wie er ja auch vom Temperament und innerer Dynamik her ein anderer war als der große Caesar. Die neuen Einsichten schlugen sich unmittelbar darin nieder, daß der junge Caesar den Magistraten mehr Spielraum ließ, den sie in eigener Verantwortung nutzen konnten; daß er bemüht war, sich innerhalb der Grenzen der überkommenen Ordnung zu halten.Wie weit das ging, ist schwer zu sagen. Man mußte die Möglichkeiten vielleicht auch erst in der Praxis erproben. Römische Adlige waren es seit alters gewöhnt, bei allen möglichen Konflikten darauf zu achten, Rücksicht auf die Kräfteverhältnisse zu nehmen und einen Sinn für das jeweils Angebrachte zu entwickeln – vor dem Bürgerkrieg freilich im Rahmen republikanischer Ordnung. Und natürlich wird es sich auch weiterhin nicht empfohlen haben, den Unwillen des Machthabers zu erregen. Aber immerhin – mehr Selbständigkeit werden Magistrate und Senat gewonnen haben.

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Caesar ließ zugleich Bürgerkriegsakten vernichten, verzichtete auf Steuern, die er und seine Kollegen eingeführt hatten, auch auf die Eintreibung von Schulden zugunsten des Ärars. Als er – im Zusammenhang des Kriegs gegen Sextus Pompeius – seinen Kollegen Marcus Aemilius Lepidus kaltstellte, verzichtete er, wie erwähnt, nicht nur darauf, ihn zu beseitigen, sondern beließ ihm sogar das Amt des Pontifex Maximus, das der nach Caesars Ermordung erhalten hatte. Er scheint auch alten Gegnern die Rückkehr nach Rom gestattet zu haben. Andererseits betrieb Caesar energisch die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung, indem er etwa die kriminellen Banden bekämpfen ließ, die sich in der allgemeinen Verwirrung der letzten Jahre in Italien breitgemacht hatten. Tausende von Sklaven, die ihren Herren davongelaufen waren, um in Sextus Pompeius’ Flotte zu dienen (wofür der ihnen die Freiheit verlieh), gab er zurück; und wo sich kein Herr fand, was immerhin bei 6 000 von ihnen der Fall war, ließ er sie ans Kreuz schlagen, wie das etwa bei Sklavenaufständen auch früher schon gemacht worden war. Und keineswegs zuletzt:Wenn noch Veteranen zu versorgen waren, wurde dafür in Italien keiner mehr enteignet. Der Senat revanchierte sich, indem er Caesar Ehren beschloß, ein ganzes Bukett, aus dem er sich, wie es heißt, aussuchen sollte, was ihm genehm war. Er tat es, nimmt man es auf der Folie seines Adoptivvaters, mit Bescheidenheit. Das Wichtigste scheint die Verleihung der tribunicischen sacrosanctitas gewesen zu sein, des besonderen Schutzversprechens also, zu dem sich die Plebs ihren Tribunen gegenüber verpflichtet hatte. Er sollte außerdem auf der Bank der Volkstribunen Platz nehmen können. Das waren reine Ehrungen. Caesar wurde dadurch kaum sicherer, aber der Senat bekundigte immerhin, daß das Gemeinwesen ein besonderes Interesse an seiner Sicherheit habe. Die Tatsache, daß der besondere Schutz dem Oppositionsmagistrat des Volkstribunats entnommen war, unterstrich die relative Bescheidenheit der Ehrung; man knüpfte nicht an Imperium und Obermagistratur an, wie es bei Pompeius geschehen war, von Caesar ganz zu schweigen. Umgekehrt ließ sich auf diese Weise 235

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bekunden, daß Caesar sich der Freiheit und den Rechten des Volkes besonders verbunden fühlte. Eine weitere Ehrung, die er annahm, war die Aufstellung einer vergoldeten Statue von ihm auf dem Forum. Sie sollte auf einer Säule stehen, welche mit Schiffsschnäbeln geschmückt wurde; ein Hinweis auf den Seesieg über Pompeius. Es war der Dank für die »Wiederherstellung des durch Bürgerkrieg erschütterten Friedens zu Lande und auf dem Meer«, eine Inschrift sagte es. Außerdem sollte er das Recht haben, stets einen Lorbeerkranz zu tragen. Das war der Kranz des Triumphators. Und wie dem Triumph auf dem Schlachtfeld die Ausrufung des Feldherrn als Imperator durch seine Soldaten vorausging, so wollte er nun Imperator geradezu heißen. Er ersetzte in diesen Jahren, wir wissen nicht genau wann, seinen Vornamen Gaius durch den Vornamen Imperator, der einst seinem Adoptivvater für sich und seine Nachkommen verliehen worden war. Seine Sieghaftigkeit wurde dadurch zum Teil seiner Person. Auch wenn er sich in Hinsicht auf Ehrungen im Vergleich zum Dictator Caesar zurückhielt, kann man sich fragen, wie weit sich das, was er akzeptierte, mit seinem Versprechen, die Republik in die Hand von Volk und Senat zurückzulegen, vereinbar war. Doch handelte es sich seiner Ansicht nach wohl um verschiedene Dinge: Die Größe der Ehren entsprach der Größe der Verdienste, die er zu haben beanspruchte. Es wurde in ihnen manifest, wie sehr er über alle anderen hinausragte. Man pflegte in der römischen Aristokratie Ränge zu unterscheiden – und öffentlich zu dokumentieren. Es waren an sich die der Republik, der republikanischen Magistrate insbesondere. Jetzt setzte sich der junge Caesar vor alle anderen. Herrschaft, also Alleinherrschaft, war für ihn aber offenbar etwas ganz anderes. Das Mausoleum, das er sich im Jahre 32 zu bauen begann, sollte ihn wenig später in ähnlicher Weise über alle anderen weit hinausheben. Erst zu Anfang der 20er Jahre steckte er auch in Hinsicht auf die Manifestation seiner Bedeutung sichtlich und bewußt zurück. Caesars Versuch, Antonius dadurch auszustechen, daß er die Initiative zur Niederlegung der dictatorischen Vollmachten 236

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ergriff, kann kaum Vertrauen erweckt haben. Konnte man bei seiner berechnenden Art annehmen, daß er sich an sein Versprechen hielt, wenn es ihm nicht mehr so gut ins Spiel paßte? Und was bedeutete solch ein Versprechen überhaupt bei einem solchen Machthaber? So hat er damit auch nicht viel erreicht. Vielleicht hat ihn das enttäuscht, vielleicht wußte er nicht gleich, wieviel zu tun war, um zunächst wieder ein Vertrauenskapital anzusammeln nach all dem, was er angerichtet hatte. Aber, wie gesagt, er hielt unbeirrbar und geduldig an dieser Politik fest. Zusammenfassend läßt sich für die Zeit ab 36 feststellen: Caesar entwickelte ganz neue Antennen für die politische Realität. Offensichtlich hatte er, acht Jahre nach seinem Eintritt in die Politik, inzwischen im 28. Lebensjahr, gelernt, daß das politische Spiel sehr viel komplizierter war, als es ihm ursprünglich wohl geschienen hatte. Wahrscheinlich hat er es schon an den Widerständen anläßlich seiner Landanweisungen gespürt, daß es nicht ausreichte, genügend Legionen zu haben. So markiert das Jahr 36 eine wichtige Realitätsveränderung in Rom. Caesar wie der Senat (oder jedenfalls viele Senatoren) gelangten von verschiedenen Seiten, aufgrund verschiedener Erfahrungen und Einsichten dazu, die Realität, die sie miteinander ausmachten, neu zu verstehen, weniger von den eigenen Ansprüchen, mehr aus distanzierter, desillusionierter Einschätzung der Möglichkeiten, weniger vom Soll als vom Sein her, und eben dadurch traten sie sich neu gegenüber. So kamen sich Caesar und der Senat wenigstens näher. Wie weit den Senatoren klar war, was auf längere Sicht gespielt wurde, wissen wir nicht. Jedenfalls begann Caesar, indem er dem Senat gegenüber zurücksteckte, die politische Offensive gegen Antonius. Indem er sich für die Wiederherstellung der Republik wenigstens verbal einsetzte, begann er sich auf den Endkampf um die Monarchie zu rüsten – wie immer er sich deren Begründung damals vorgestellt hat. Bei diesem Schritt mag seine neue Gemahlin eine wichtige Rolle gespielt haben: Im Jahre 38 hatte er die aus höchstem römischen Adel stammende Livia aus ihrer Ehe heraus zur 237

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Frau genommen. In einem Akt, der eher an seine alte jugendliche Rücksichtslosigkeit erinnerte. Denn sie war im 6. Monat schwanger. Allein, so scheint es, nachdem er einmal ein Auge auf sie geworfen, wollte er sie auch haben, sofort, auch wenn er ihr zunächst das Wochenbett zu rüsten hatte. Von seiner bisherigen Frau, die ihm gerade eine Tochter geboren hatte, schied er sich, dann wurde Hochzeit gehalten. Die Ehe mit Livia hat bis zu seinem Tode, 51 Jahre lang, gedauert. Seine Wahl war gut. Die schöne, kluge, politisch denkende Frau hat ihm sehr geholfen. Und beim Versuch zum Ausgleich mit dem Senat, bei dem so augenfälligen Sinneswandel im Jahre 36 könnte sich das niedergeschlagen haben. Außerdem hat sie ihm gewiß manche Verbindung zu prominenten Adligen vermittelt. Er mußte ja zunehmend versuchen, seine Gefolgschaft in die Reihen des höchsten Senatsadels auszudehnen. Im Jahre 35 begab sich Caesar in einige seiner Provinzen. Er wollte dort nach dem Rechten sehen und insoweit seinem Auftrag des constituere rem publicam nachkommen.Vor allem unternahm er es in verschiedenen Feldzügen, einige Stämme in Illyrien zu bekämpfen, die sich gegen Roms Herrschaft an der Adria empört und Einfälle nach Italien unternommen hatten. Das bot Gelegenheit, um seine neuen noch unerfahrenen Legionen in der kriegerischen Praxis zu schulen, auch um seine große Armee zu unterhalten, ohne Italien finanziell zu belasten. Es bewies zudem, daß Caesar seinerseits alles tat, um die Grenzen des Herrschaftsbereichs zu sichern und zu erweitern. Er konnte den Illyrern die römischen Feldzeichen, die sie 47 erbeutet hatten, wieder abnehmen. Schließlich hat sich Caesar, wie bezeugt wird, in den Kämpfen persönlich ungewöhnlich stark exponiert: Er wollte den Vorwurf der Feigheit entkräften und sich als Soldatenführer bewähren. Insgesamt war der Ertrag der Feldzüge sehr begrenzt. Caesar durfte sich nicht zu sehr engagieren, um den Kampf jederzeit abbrechen zu können, wenn es gegen Antonius nötig war. Übrigens überließ er die Kriegführung weitgehend seinen Generalen, weil er so lange nicht von Rom abwesend sein wollte. 238

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Die Differenzen mit Antonius spitzten sich in der Zwischenzeit zu. Dieser scheint zwar Mühe gehabt zu haben, zu realisieren, daß Caesar Zug um Zug seine eigene Macht weiter ausbaute und ihn dabei in die Enge drängte. Er rechnete nicht so scharf, nicht so kleinlich, er war nicht so mißtrauisch. Er fühlte sich sicher, baute auf das Kapital, das er in Rom und Italien besaß. Sein Denken bewegte sich eher in den Gleisen der alten Oligarchie, in der man politische Vorteile nicht nach einzelnen Punkten bemaß, sondern nach der auctoritas, dem auf Ansehen beruhenden Einfluß im Ganzen. Davon hatte er genug, und er ging unterdessen mehr und mehr in seiner Tätigkeit und seinem Leben im Osten auf, wobei der Charme, die Reize und die Kunst der ägyptischen Königin Kleopatra, ihn zu unterhalten, damals eine nicht geringe Rolle zu spielen begonnen hatten. Mit der hatte er sich zusammengetan. Aber wenn er es auch lange nicht hatte wahrnehmen wollen, so scheint ihm doch spätestens im Winter 36/35 aufgegangen zu sein, daß Caesar nicht nur immer neue Vorteile einheimste, sondern daß er dabei war, seine ganze Position zu untergraben; daß er offen auf einen Konflikt hinarbeitete. Caesar forderte Antonius brieflich auf, in die Niederlegung der dictatorischen Gewalt einzuwilligen. Etwa gleichzeitig begab sich seine Schwester Octavia nach Athen, um ihren Ehemann zu treffen. Sie brachte militärischen Nachschub, darunter zwar nicht die vor zwei Jahren versprochenen Legionen, sondern nur 2 000 Mann. Dafür sandte Caesar dem Antonius die Schiffe zurück, die vom Krieg gegen Sextus Pompeius übrig geblieben waren. Es war offensichtlich, daß er ihn entgegen früheren Zusagen daran hindern wollte, in Italien Truppen zu rekrutieren. Auch dies scheint Antonius nicht sofort ernst genommen zu haben oder er schob jedenfalls die Entscheidung, welche Konsequenzen er daraus ziehen wollte, vor sich her. Erst wollte er die Parther besiegen. Die Gelegenheit dazu schien günstig. Da griff seine Geliebte, die Königin Kleopatra, ein. Sie scheint ihm damals endgültig klar gemacht zu haben, daß die Dinge auf eine Entscheidung zwischen ihm und Caesar zuliefen; 239

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daß er auch im Osten seiner Stellung nicht mehr sicher war, wenn er sich nicht auf die Auseinandersetzung vorbereitete. Der Partherfeldzug wurde also abgeblasen. Neue Rüstungen begannen. Den Nachschub, den Octavia ihm gebracht hatte, nahm Antonius zwar, die Gattin selbst aber sandte er nach Hause – was deren Bruder, was aber auch die römische Öffentlichkeit nicht gerade für ihn einnahm. Beim Aufbau der sehr großen Armee und Flotte aber, den Antonius nun betrieb, war er stark auf die ägyptische Königin angewiesen. Und bei aller Liebe ließ sie sich das honorieren. Schon vorher hatte er ihr – wie anderen Fürsten im Osten – wichtige Rechte innerhalb des römischen Herrschaftsbereichs verliehen. Das war sachlich durchaus begründet (und manche von seinen Anordnungen hat Caesar Augustus später übernommen). Denn Rom fuhr in vieler Hinsicht mit einem System indirekter Herrschaft besser als mit direkter Regie. Es hat sich auch keiner über die ersten dieser Einrichtungen des Antonius beklagt. Dann aber nötigte ihn Kleopatra zu weiteren Zugeständnissen, »Schenkungen«, wie man in Rom sagte, und er geriet immer weiter in die Abhängigkeit von ihr, militärisch, politisch, ja mit Haut und Haaren. Im Winter 34/33 feierte er einen Triumph in Alexandria. Kleopatra präsidierte über dem Ganzen auf einem goldenen Thron, wie wenn sie die Stelle des Juppiter Optimus Maximus einnähme, der das Ziel des römischen Triumphs bildete. Dann erklärte Antonius, daß Kleopatra die Frau des Dictators Caesar gewesen und ihr Ältester dessen legitimer Sohn sei. Daran schloß sich die Verkündung der neuen Ehren und Rechte der Königin und ihrer Kinder, desjenigen des Dictators Caesar und derjenigen des Antonius. Offensichtlich war Antonius der Lage nicht gewachsen. Er war zu sorglos gewesen. Und nachdem er so die Gelegenheit verpaßt hatte, rechtzeitig und unter Ausnutzung aller Mittel seine Position gegen Caesar auszubauen, unabhängig von der ägyptischen Königin oder doch so, daß diese eher ihm als er ihr verpflichtet war, erlag er zunehmend den östlichen Zusammenhängen und verlor er den Sinn dafür, wie sich dies alles in Rom 240

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ausnehmen mußte. Er mochte der bessere Republikaner sein, und viele mochten ihn dafür halten. Dafür wurde Caesar jetzt der bessere Römer. Er ergriff denn auch die Gelegenheit, die ihm so wohlfeil frei Haus geliefert wurde, sogleich beim Schöpfe und geißelte Antonius als Verräter, als Opfer, als Sklaven der ägyptischen Königin. Es begann ein lebhafter Propagandakrieg mit den bösesten Vorwürfen, insbesondere auch privater Art. Damals erklärte sich Antonius bereit, auf seine Vollmachten (die Ende 33 ausliefen) zu verzichten und Rechenschaft abzulegen. Er mußte endlich mit Caesar gleichziehen. Und er fand dabei im Senat noch immer mehr Vertrauen als sein Rivale. Denn eine sehr große Zahl von Senatoren faßte die enge Zusammenarbeit mit und die Zugeständnisse an Kleopatra nicht als antirömische Akte, sondern als Vorbereitung auf den Kampf zur Wiederherstellung der Republik auf. So hoffte Antonius offensichtlich auch, daß der Senat bereit sein werde, seine Verfügungen im Osten zu ratifizieren. In einem Brief trug er den designierten Consuln von 32, die beide seine Anhänger waren, seine Forderungen vor. Allein, in der Sitzung vom 1. Januar wagten sie es nicht, den Brief vorzutragen; sie befürchteten offensichtlich, daß er mißverstanden würde. So beschränkte sich das Referat des leitenden Consuls darauf, Antonius zu loben und Caesar heftig anzugreifen. Er wollte sogar einen Beschluß gegen Caesar fassen lassen, und die Senatsmehrheit scheint dazu bereit gewesen zu sein. Denn ein Volkstribun mußte intercedieren, um es zu verhindern. Caesar selbst hatte sich zur Zeit dieser Sitzung außerhalb der Stadt befunden. Kurz darauf kehrte er zurück. Er berief den Senat ein, kam mit einem Gefolge von Bewaffneten, verteidigte sich gegen die Angriffe und klagte seinerseits die Consuln an. Dann verkündete er, zu einem bestimmten Termin wolle er den Senat neuerdings zusammenrufen, um ihm schriftliche Beweise gegen Antonius vorzulegen. Die Consuln und mit ihnen über 300 Senatoren flohen darauf in den Osten. Das gab zwar eine Einbuße an Prestige, aber es hatte zugleich den Vorteil, daß 241

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die wichtigsten Gegner aus Caesars Machtbereich verschwanden. In der Folge wurde mit aller Macht gegen Antonius agitiert. Aus einigen Städten vernahm man die Forderung, Caesar solle die Führung des Kriegs gegen die von Osten her drohende Gefahr übernehmen. Er griff das auf (hatte es ja wohl auch veranlaßt). Es war ihm wichtig, denn er besaß keine formalen Vollmachten mehr. Anders als Antonius hat er damals nämlich – nach Ablaufen der dafür festgesetzten Frist – den Titel des Triumvirs zu führen aufgehört. Das hinderte ihn freilich nicht daran, weiter zu walten, wie wenn er dazu berechtigt wäre. Aber er fand es doch gut, sich in der eidlich geäußerten Übereinstimmung von ganz Italien eine neuartige Legitimation zu schaffen, als Privatmann, der nicht in irgendwelchen regulären Wahlen bestellt, sondern außerordentlicherweise von der Zustimmung ganz Italiens getragen war. Die Eidesleistung war so freiwillig und spontan, wie sie sein konnte, wenn die Betroffenen sich ihr nicht zu entziehen vermochten. Im Fall einer dem Antonius stark verpflichteten Stadt bewilligte Caesar eine Ausnahme vom freiwilligen Zwang. Die Aktion wird auch nicht ganz glatt vonstatten gegangen sein. Trotz aller Propaganda, daß es gelte, Roms und Italiens Herrschaft gegen orientalische Despotie zu verteidigen, waren viele nicht gleich überzeugt. Aber schließlich konnte doch, von dieser und jener Stadt her, ein Prozeß der Zustimmung in Gang gesetzt werden, der dann zunehmend suggestiv wirkte. Manch einer wird sich der Bewegung zuletzt gern angeschlossen haben, weil sie eine Parteinahme, die in Caesars Machtbereich ohnehin kaum zu umgehen war, rechtfertigte. Nachdem Italien geschworen hatte, schlossen sich die westlichen Provinzen an. Caesar brauchte allerdings nicht nur Zustimmung, sondern auch sehr viel Geld zur Bezahlung seiner Streitmacht. Er ließ also der Bürgerschaft außerordentliche, recht hohe Steuern auferlegen. Wir wissen nicht, in welchem zeitlichen Zusammenhang das zum Prozeß der Eidesleistung stand. Jedenfalls erregte es sehr viel Unzufriedenheit, Ärger und Unruhen. 242

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Bei der Überwindung dieser und anderer Schwierigkeiten kam dann aber Antonius zu Hilfe. Er ließ sich im Frühsommer 32 von Octavia scheiden. In seinem Hauptquartier kam man zu der Überzeugung, daß er nun endgültig in Kleopatras Hand geraten sei. In der Tat war es eine Entscheidung zugunsten der ägyptischen Königin. Denn eine Reihe von Senatoren hatten ihn bedrängt, diese nach Hause zu senden, um den Vorwürfen, er sei ihr hörig und führe den Krieg in ihrem Sinne, zu begegnen. Eben das aber war ihr nicht genehm. Dazu war er also nicht bereit, und die Absage an Octavia war offensichtlich die Besiegelung dieser Entscheidung. Darauf verließen ihn einige seiner wichtigsten Anhänger und gingen zu Caesar über. Sie hatten eine ungemein wertvolle Nachricht im Gepäck: daß nämlich Antonius in der Obhut der Vestalinnen ein neugefaßtes Testament hinterlegt habe. Gegen den Widerstand der Priesterinnen verschaffte sich Imperator Caesar gewaltsam Zugang und verlas anschließend die Urkunde vor dem Senat und vor der Volksversammlung. Sie enthielt unter anderem das Zeugnis, daß Kleopatras Ältester der Sohn des Dictators Caesar sei, ferner setzte sie hohe Legate für die Kinder fest, die Antonius von Kleopatra hatte, und verfügte, daß er in Alexandria begraben werden wollte, in derselben Grabstätte, die auch für die Königin vorgesehen war. Jetzt hatte man es schriftlich. Damit schienen auch die anderen Behauptungen, die gegen Antonius vorgebracht worden waren, bestätigt. Und wenn nicht aus Zustimmung zu ihm, so doch aus Ärger über Antonius war man weithin geneigt, sich Caesar anzuschließen, was nun wohl auch als das aussichtsreichere erschien. In dieser Situation scheint der 31jährige den Entschluß zur Errichtung seines Mausoleums gefaßt zu haben. Es sollte demonstriert werden, daß er in Rom begraben sein wollte; außerordentlich großartig und eindrucksvoll, wie man noch heute sehen kann – in einer prunkenden Weise, von der er sich bald nach Begründung seiner Monarchie deutlich distanzieren sollte. So wurde er zum Führer Italiens. Er hatte endlich eine handfeste, wenn auch zum Teil selbstgemachte Sache, in der er 243

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sich mit der römischen Bürgerschaft einigermaßen identifizieren konnte. Wo sonst bestenfalls – bei Sulla und Pompeius – die Sache der Nobilität und des Senats für einen Bürgerkriegsführer sprach, ließ sich jetzt das Interesse ganz Italiens, ja auch der westlichen Provinzen gegen die Verfechter der östlichen Despotie namhaft machen. Was immer man an Zweifeln gegen die Überzeugungskraft dieser Sache vorbringen mochte, sie bot immerhin ein ideologisches Gewand, in dem Caesar einem weiten Kreis von Menschen, dem ohnehin nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen, plausibel machen konnte, aus welchen allgemeineren Gründen er handelte. Das Gewand war dünn und ein wenig durchsichtig, aber nicht jeder wird das Bedürfnis gehabt haben, allzu genau hinzusehen. Und Antonius half nach Kräften, daß es an Dichte zunahm. So wenig wir einschätzen können, wieviel handfeste Macht Caesar daraus bezog, so gewiß ist doch, daß er an diesen Punkt später in der Begründung seiner Monarchie anknüpfen konnte. Feierlich wurde der Krieg erklärt – gegen die ägyptische Königin, nicht gegen Antonius. Caesar nahm vorsichtshalber einen großen Teil der Senatoren mit in sein Lager. Bei aller beschworenen Treue schien es offenbar angezeigt, sie nicht im Rücken der Armee, im Zentrum Italiens zu belassen. Antonius stand an der Westküste Griechenlands mit einer außerordentlich großen Flotte von gut ausgerüsteten Schiffen und einem beachtlichen Landheer. Man hatte im Hinterland große Getreidedepots angelegt, um die Streitmacht zu versorgen. Kleopatras Schiffe brachten den Nachschub heran. So erwartete er Caesar. Er hätte ihn vielleicht in Italien angreifen können, solange der noch nicht fertig war mit seinen Rüstungen. Aber das ging weder mit Kleopatra – wie hätte das ausgesehen? – noch ohne sie – denn wer hätte ihn dann versorgt? Die Königin mußte jedenfalls verhindern, daß er sich mit Caesar auf ihre Kosten vertrug. Sie war auf den Krieg angewiesen – und auf den Sieg, den sie dann aber doch zu vereiteln beitrug. Im Frühjahr 31 überquerte Caesar die Adria mit einer etwa 244

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gleich großen Armee und Flotte, unbehelligt durch den Feind. Nach einigen siegreichen Gefechten gelang es, Antonius an der Bucht von Actium einzuschließen. Die Moral seiner Truppen war schlecht, viele Soldaten liefen über. Am 2. September 31 suchte er die Entscheidung in einer Seeschlacht. Er lud vorsichtshalber Segel und die Kriegskasse mit auf sein Schiff, um notfalls einen Ausbruch zu wagen und nach Ägypten zurückzukehren. Der Notfall trat ein; Kleopatra ergriff die Flucht, Antonius folgte ihr. Mit wenigen Schiffen konnten sie entkommen. Der größte Teil der Flotte kapitulierte, anschließend auch das Landheer. Bürgerkriegsarmeen folgten damals, wenn sie nicht geradezu mitreißende Führer hatten, vor allem dem Aussichtsreichsten, und das beste Kriterium dafür war der Erfolg. Anschließend setzte Caesar den Flüchtenden auf dem Landweg über Syrien nach. Als er Alexandria besetzte, nahm sich Antonius und danach auch Kleopatra das Leben. Mit diesem Sieg gewann er eine neue Provinz, vor allem aber eine weitere Sache, die noch weit mehr bedeutete als der Kampf des Westens gegen den Osten: den Frieden. Jeder, der dafür war, mußte für ihn sein. Und nach nahezu 20 Jahren Bürgerkrieg waren das nahezu alle. Da an seinem Sieg der Frieden hing, kam ihm die ganze Erschöpfung der Bewohnerschaft Roms und seines Herrschaftsbereichs zugute. Im Jahre 29 wurde mit großem Aplomb der Janus-Bogen geschlossen, zum Zeichen, daß jetzt überall Frieden herrsche. Dann feierte Caesar den Triumph. Ein Gedicht des Properz zeigt, daß die Begeisterung darüber nicht ganz ungetrübt war. Wenn alle nur liebten und tränken, gäbe es weder das grausame Schwert noch das Kriegsschiff, das Meer bei Actium wäre nicht Grabstätte von Landsleuten, und Roma brauchte nicht immer wieder, von Triumphen über eigene Bürger rings umstürmt, ihr Haar in Trauer zu lösen, heißt es da. Da Antonius damals in Caesars Propaganda stets als Trunkenbold und Liebhaber gegeißelt wurde, war klar, was damit gemeint war: Antonius war unschuldig am Krieg, Caesar hatte ihn vom Zaun gebrochen. Der Friede, den er gebracht hatte, war in Wirklichkeit nur das Ende eines unnötigen Krieges, seines Krie245

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ges. Aber das waren vereinzelte Stimmen, im ganzen werden der Sieg und der Friede weit stärker gewirkt haben als der falsche Kriegsgrund. Die Frage war nun, wie Caesar seine Herrschaft begründen wollte.

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3. DER ERSTE BÜRGER (PRINCEPS) UND DIE MÜHWALTUNG FÜR DAS GEMEINWESEN

so hatte auch sein Sohn nach dem Sieg im Bürgerkrieg alle Macht in der Hand. Keiner hätte ihn hindern können, von ihr nach Belieben Gebrauch zu machen. Allerdings stand ihm mindestens eines im Wege: sein im Jahre 36 abgegebenes Versprechen, seine Ausnahmegewalt niederzulegen und die res publica wieder an Senat und Volk zu übergeben. Und wenn es schon sehr ungünstig gewesen wäre, die Monarchie mit dem Bruch eines solchen Versprechens zu beginnen, so sprach gewiß zugleich die Erfahrung, sprachen auch die Lehren, die er aus dem Schicksal seines Adoptivvaters hatte ziehen können, dafür, daß es sich nicht auszahlte, gegen den Senat und die Bürgerschaft, gegen die noch immer mächtigen Erwartungen auf Wiederherstellung der überkommenen Ordnung die eigene Macht zu stellen, das heißt wesentlich auf Bajonette gestützt zu regieren. Das scheint er gewußt zu haben. Wie aber wollte er seine Position in Zukunft bestimmen? Das war nur zu einem Teil eine politische Frage, die mit dem Senat auszuhandeln war. Daneben stand etwas anderes: eine neue Sache nämlich, die den Bürgerkriegsführer, der möglichst schnell w i e e i nst de r dictator ca esa r ,

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seine Rolle wechseln wollte, schon vorher beschäftigt hatte: die Wiederherstellung des Gemeinwesens; keineswegs nur seiner politischen Ordnung, sondern auch seiner materiellen, rechtlichen, ja seiner sittlichen und religiösen Infrastruktur, übrigens auch seiner baulichen Substanz. Wiederherstellung aber hieß zugleich Verbesserung, nicht nur Reparatur, sondern vielfach auch Neuerrichtung; Neuausrichtung. So wie er gegen Antonius die Sache Italiens, so wie er nach dem Sieg die Sache des Friedens auf seine Fahnen geschrieben hatte, so tat er es jetzt mit der Sache der, man muß wohl sagen, zukunftsweisenden Wiederherstellung nicht nur der römischen Ordnung, sondern eben des gesamten Gemeinwesens. Wo die Sache der Republik seit Jahrzehnten durch den Senat verteidigt worden war, zumal gegen anspruchsvolle Herren wie die großen Volkstribunen oder gegen Männer wie Pompeius und Caesar, wurde sie jetzt durch den letzten in der Reihe der großen Einzelnen offensiv betrieben, in dem umfassenden Sinne, in dem sie nicht nur eine Bürgerschaft, sondern eben ein auf den verschiedensten Feldern sich bewährendes und sich manifestierendes Gemeinwesen war. Augustus konnte nach so viel Zerstörung gleichsam den Senat an Konservativität überholen, indem er sich der Restitution des Überkommenen annahm, während der Senat es immer nur hatte verteidigen können. Im Gemeinwesen wurde der Aspekt der Aufgaben zunächst einmal wichtiger als der des Lebens in den überkommenen Formen. Das Gemeinwesen wurde mehr zum Objekt des Gestaltens, als daß es bloß das gemeinsame Feld des Handelns gewesen wäre. Darin lag die legitimatorische Stärke des immer noch relativ jungen Caesar. Eine Menge Geld wurde eingesetzt. Und eine offene, demonstrative Dynamik entfaltet, die etwas Mitreißendes hatte – bis tief in den römischen Adel hinein, den der künftige Herrscher in die Sache mit einbezog, der sich aber auch in gewissem Sinne damit identifizierte – bei allen Bedenken, aller Kritik, allem Widerwillen, die es natürlich auch gab. Im Vordergrund, im Zentrum des Interesses stand indes zunächst die Etablierung der künftigen Position des Siegers im 248

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Bürgerkrieg. Bald nach seiner Rückkehr aus dem Krieg ließ er sich zusammen mit Marcus Vipsanius Agrippa censorische Vollmacht erteilen und unternahm eine Senatssäuberung. 190 von rund 1 000 Senatoren wurden aus der Liste gestrichen, die »unwürdigsten«, wie es hieß. Und es kann nicht ganz falsch gewesen sein. Darunter waren zum Beispiel verschiedene Offiziere, die der Dictator Caesar in die Liste hatte aufnehmen lassen. Daß auch Gegner, also etwa Anhänger des Antonius, ihren Sitz einbüßten, sollte man annehmen. Doch können es nur wenige von eher vielen gewesen sein. Im Jahre 28 hielt Caesar sich, wie ausdrücklich bezeugt ist, streng in den Grenzen der Gewalt, die ihm als Consul zustand. Denn dazu hatte er sich wählen lassen. Am Ende erklärte er, seiner Macht sicher, wie Tacitus dazu bemerkt, die rechtswidrigen Akte, die er während der Triumviratszeit vorgenommen hatte, für ungültig. Was das im einzelnen bedeutete, ist fraglich. Auch wurde kein Ermordeter dadurch wieder zum Leben erweckt. Aber es wurden immerhin, wie es in einer damals geprägten Münze heißt, iura et leges »restituiert«. Iura et leges, das war die Gesamtheit des – aus ganz verschiedenen Quellen erwachsenen überkommenen – Rechts, die jetzt wieder in ihre volle Geltung einrücken sollte. Das war eine hochwillkommene Geste: Das Eingeständnis einer teilweise rechtswidrigen Amtsführung und die Abkehr davon. Übrigens hatte der Senat schon Anfang 29 alle Maßnahmen Caesars eidlich bestätigt. Endlich legte er Anfang 27 seine außerordentliche Gewalt in einer Rede vor dem Senat nieder. Damit war offenbar die dictatorische Vollmacht gemeint, die er zwar nicht dem Titel nach, aber de facto bis 29 ausgeübt und noch nicht formell abgegeben hatte. In seinem Leistungsbericht spricht er später nur davon, daß er nach dem Sieg im Bürgerkrieg »dank des einmütigen Wunsches aller Bürger in den Besitz der gesamten Gewalt gelangt« war und sich eben dieser dann entledigt habe. Da hat er an die eigentliche Grundlage seiner Vollmacht nicht gedacht. Er hat in liebenswürdiger Weise eine sekundäre, zusätzliche – und durchaus problematische – Legitimation dafür ausgegeben und, 249

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ob bewußt oder nicht, den Sieg im Bürgerkrieg, dem er die »gesamte Gewalt« verdankte, auf den consensus universorum zurückgeführt. Damit hatte Caesar sich auf das zivile Spiel eingelassen. Wenn der Senat mitmachte – und was blieb ihm anderes übrig? –, konnte er sich umgekehrt nicht allen Wünschen Caesars versagen. Die Rückgabe des Gemeinwesens an die alten Institutionen forderte Dank und Anerkennung. Man war genötigt, sich wiederum erkenntlich zu zeigen, freiwillig, wenn auch kaum sehr gern. Caesar hat es auf den guten Willen allerdings nicht ankommen lassen. Schon während der Rede erhoben sich von verschiedenen Seiten Zwischenrufe, die ihn, wie es in unserer Quelle heißt, aufforderten, »die Monarchie« zu übernehmen. Wie immer es gemeint war, es gab ihm Gelegenheit, das abzulehnen. Um so eher konnte er sich zu etwas anderem bereit erklären, wozu er ebenfalls, wohl anschließend, aufgefordert wurde. Jedenfalls muß er die Sitzung vorher mit einigen Senatoren geplant haben. So wurde der Senat durch geschickte Regie, durch die Suggestion der von vielen Seiten ertönenden Zurufe sowie durch Claqueurs per Akklamation dazu gebracht, auf das Angebot der Rückgabe des Gemeinwesens mit der Forderung auf Beibehaltung irgendeiner Form von Sonderstellung zu antworten. Schließlich schälte sich die Zusage Caesars heraus, daß er, wie es heißt, ein Principat und eine besondere Sorge (cura) für das Gemeinwesen übernehmen wolle. In der Quelle lesen wir sogar, er habe »die cura und das Principat ganz« übernommen. Was lateinisch wohl hieß: curam principatumque omnem rei publicae suscepit. Principat war nach alter Auffassung die Stellung der führenden Senatoren, der Consulare. Man konnte das Wort freilich auch auf die eines einzigen, alle überragenden Mannes anwenden. So war es in diesem Fall zu verstehen. Auch ohne daß hinzugefügt worden wäre, es solle der ganze Principat sein, mußte Caesar in einem besonders herausgehobenen Sinne das darstellen, was die anderen auf irgendeine Weise auch waren. 250

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Die Hinzufügung von cura ergibt einen besonderen Akzent. Das Wort ist im Deutschen nur zu umschreiben. Es bezeichnet die ständige Sorge im Sinn von Aufmerksamkeit, Bekümmerung, »Mühwaltung« auch, wie es im alten Lexikon heißt. Gemeint ist die regelmäßige Beobachtung der Politik im Sinne der Wahrnehmung einer besonderen Verantwortung für das Gemeinwesen. Cura principatusque konnte allgemein anknüpfen an die Aufgabe der Ersten des Senats, die das öffentliche Leben zu beobachten und aufgrund davon die Konsequenzen für die senatorische Politik zu ziehen hatten. In der späten Republik hatte es sich dann herausgestellt (was es aber auch früher gelegentlich schon gegeben haben wird), daß nämlich unter den Principes ein einzelner in besonderer Weise stetig, aufmerksam und unermüdlich die senatorische Politik überwachte und wesentlich auch lenkte. Quintus Lutatius Catulus hatte diese informelle Position, diese Rolle innegehabt, er war nach allgemeiner Auffassung der Erste des Senats gewesen. Nach seinem Tod hatte man erwartet, daß ein anderer das fortsetzen werde. Da der das abgelehnt hatte (er wollte sich dafür nicht aufopfern), hatte der junge Cato sie in gewissem Sinne übernommen. In Ciceros theoretische Princeps-Auffassung war das Beispiel des Catulus eingegangen. Daran konnte man anknüpfen. Das ergab eine ganz besondere Form, sich für das Gemeinwesen verantwortlich zu fühlen, alle Vorgänge aufmerksam zu verfolgen und gegebenenfalls das Notwendige zu veranlassen; in Verhandlungen, beim Senat, bei der Volksversammlung, bei den Magistraten, wo auch immer. Was das bedeutete, mußte sich herausstellen. Viel mehr, als daß Caesar dem Gemeinwesen in besonderer Weise weiterhin zur Verfügung stehen wollte, mußte es nicht sein. Freilich waren dessen Bedürfnisse nach 20 Jahren Bürgerkrieg neu, anders, umfassender, und Caesar mußte die Rolle des Princeps ganz anders ausüben als die alten primi inter pares. Sehr viel konkreter war die Vollmacht, die er in der gleichen Sitzung oder bald darauf erhielt: Man verlieh ihm ein imperium 251

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proconsulare, also die statthalterliche Gewalt, in einer Reihe von Grenzprovinzen, die noch nicht voll geordnet oder gesichert waren, und zwar auf 10 Jahre. Er sollte sie befrieden, und er sagte zu, wo ihm das schneller gelinge, werde er die Provinz eher an den Senat zurückgeben. Caesar sollte sich also auf auswärtige Aufgaben konzentrieren, die evident waren, deren Erledigung die Innenpolitik wenig tangierte. Dort bekam er freie Hand – und außerdem den Oberbefehl über fast die ganze römische Armee. Denn die meisten Legionen standen natürlich in jenen Provinzen. Und der Auftrag war zeitlich so begrenzt wie sachlich begründet. Daneben behielt Caesar das Consulat, respektive ließ er sich Jahr für Jahr wieder dazu wählen. Die anderen Provinzen gingen sofort in die Regie des Senats über. Vorteilhaft war dabei, daß der Machthaber sich auf längere Zeit aus Rom entfernte, zwar dort seine Leute hatte, aber doch zunächst mal Senat und Magistrate, Gerichte und Volksversammlung das Ihre relativ frei tun lassen konnte, unter den gegebenen Machtverhältnissen natürlich. Die res publica war ja wiederhergestellt. Nicht ganz paßte es in dieses Bild, daß man, und offenbar als erstes nach Caesars Zusage, dem Gemeinwesen als Princeps und mit besonderer Mühwaltung zu dienen, den Sold seiner Leibwache verdoppelte. Ganz wollte er offenbar seine Monarchie nicht verschleiern. Dazu war er zu vorsichtig und das Verhältnis zum Senat zu offen. Praetorianer aber standen an sich jedem Feldherrn zu (wenn auch nicht in solchem Umfang und nicht in Rom), und dem Gedanken, daß man für die Sicherheit dessen, der gerade die Republik zurückgegeben hatte, etwas tun müsse, konnten sich die Senatoren in der angespannten, vielleicht auch aufgeheizten Stimmung jener Sitzung wohl nicht ganz verschließen. Letztlich werden sie gleichwohl überrumpelt worden sein. Den Abschluß der Verhandlungen bildete die Verleihung des Namens Augustus an Caesar. Er hatte eigentlich Romulus heißen wollen, als neuer Gründer Roms. Doch wurde ihm das ausgeredet (wobei mitgesprochen haben wird, daß der Name des ersten Königs in der Agitation der späten Republik auch in 252

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negativem Sinne gebraucht worden war). Augustus hieß, wenn man es in einem Wort wiedergeben soll, der Hehre oder der Erhabene. Der Name bezeichnete eine übermenschliche, geradezu religiöse Qualität. Hinzugefügt wurden einige relativ bescheidene Ehrungen. Vor seinem Haus auf dem Palatin sollten zwei Lorbeerbäume aufgestellt werden. Außerdem verlieh man dem Princeps die corona civica, die Bürgerkrone in Form eines Eichenkranzes, eine alte Auszeichnung für den, der einem Bürger das Leben gerettet hatte. Begründet wurde es mit der Wiederherstellung der Republik. Die also, die res publica restituta sollte dem Augustus jeweils, wenn er sein Haus betrat, der Eichenkranz signalisieren. Mit ihrem Dank versuchten die Senatoren ihn, und offensichtlich nicht gegen seinen Willen, festzunageln auf das, was er zugestanden, ja was er proklamiert hatte. Im gleichen Sinne beschloß der Senat dem Augustus bald darauf einen goldenen Ehrenschild, vier Tugenden wurden dem Augustus darauf zugesprochen: virtus, also die mannhafte Bewährung im Kampf, clementia, die Milde, iustitia, die Gerechtigkeit sowie seine pietas, was nicht einfach Frömmigkeit, sondern Respekterweisung und Pflichterfüllung gegenüber den Göttern und der Republik bedeutete. Aus der neuen Stellung waren mannigfache Konsequenzen zu ziehen. Zu nennen ist ein interessantes Detail: Augustus ließ nämlich die Denkmäler der letzten Jahre, auf denen er im auftrumpfenden Gestus dargestellt worden war, einschmelzen. So wie er sich gerade noch als Bauherr des riesigen Mausoleums gezeigt hatte, wollte er auch im Bild nicht mehr erscheinen. Er nahm sich noch einmal zurück. Folglich trat er künftig nur noch, in ganz neuem Stil, als der Erste Bürger auf – und paßte sich damit einer ganzen von ihm ausgelösten Bewegung ein, was einerseits neuerlich von erstaunlicher Anpassungsfähigkeit zeugte, ihn andererseits weit über das Bisherige hinausführte. Es war, wie wenn ihn die Rolle, die er einnahm, in den immer neuen Wandlungen, die sie erfuhr, die er ihr gab, ganz in Besitz genommen hätte. Damit freilich, daß die Republik an Senat und Volk zurück253

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gegeben worden war, war natürlich vieles, worauf sie beruhte und was sie ausgemacht hatte, noch nicht wiederhergestellt. Das Programm, das auf die Rettung Roms und Italiens von der Bedrohung aus dem Osten und die Gewinnung des Friedens folgte, bedurfte umfangreicher Bemühungen. Die Erwartungen müssen sehr weit auseinander geklafft haben. Die Lage hatte gewiß etwas Unwirkliches. Die Machtverhältnisse mußten sich erst herausstellen. Einstweilen war man darauf angewiesen, die Möglichkeiten und Grenzen der Politik neu auszuloten. Montesquieu schreibt, es sei damals eine Regierungsform entstanden, »die im bürgerlichen Bereich aristokratisch, im militärischen hingegen monarchisch war. Eine doppeldeutige Regierungsform also, die, weil sie nicht von ihren eigenen Kräften gestützt wurde, nur solange Bestand haben konnte, wie es dem Monarchen gefiel, und die folglich völlig monarchisch war«. Das ist nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig. Der Monarch konnte sich nicht einfach gefallen lassen, was er wollte. So, wie Augustus seine Monarchie jetzt einzurichten begann, war die Legitimierung durch den Senat unerläßlich. Und dabei sollte es bleiben. Auch wenn dem Senat in Zukunft nichts übrigblieb, als bestimmte Nachkommen des vorangegangenen Monarchen oder Usurpatoren mit den nötigen Vollmachten auszustatten, man kam ohne ihn nicht aus. Ja, man mußte seine führende Stellung respektieren. Das war eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß unter den Principes die alten Rechte der Bürger – in Rom wie in seinem Herrschaftsbereich –, auch die weitgehende Selbständigkeit der Gemeinden bestehen blieben. Zwischen den Monarchen und den Senatoren haben sich daraus immer wieder höchst schwierige Situationen ergeben. Sie waren übrigens, wie schon angedeutet, unter anderm der Preis auch dafür, daß das römische Recht in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten jene Vollendung erfuhr, dank derer es weit über die Zeit des römischen Imperiums hinaus ungeheure Wirkungen entfalten konnte. Ob Augustus einen Plan für den weiteren Ausbau seiner Herrschaft hatte, ist durchaus unklar. Und ebenso unklar ist, ob, 254

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wenn er ein Konzept gehabt hätte, das Weitere diesem gemäß verlaufen konnte – und nicht eher nach Maßgabe je neuer Anpassung an Widerstände und Erfordernisse. Nur eines wird Augustus ungefähr bewußt gewesen sein: Das war die Grundstruktur seiner weiteren Politik. Er wollte sich dem Gemeinwesen offensichtlich aufdrängen, indem er sich ihm nicht aufdrängte, mittelbar nämlich, so, daß die Situationen ohne viel ersichtliches Zutun seinerseits entstanden, durch die sein Regime notwendig wurde und tiefere Wurzeln trieb. Es blieb dabei, daß alle seine Vollmachten (bis auf eine, welche er im Jahre 23 bekam) zeitlich befristet waren. Von einer Monarchie auf Lebenszeit war keine Rede. Nur sein Principat, seine Verantwortung für die Republik bestand natürlich weiter. Er begab sich zunächst in die Provinzen, um seinen Auftrag zu erledigen, möglichst gut, möglichst vorbildlich, damit seine feldherrliche, seine organisatorische und seine staatsmännische Fähigkeit offensichtlich wurden. Er konnte tun, was ihm geboten schien. Der Senat hatte ihm pauschal das Recht verliehen, Krieg zu eröffnen und Frieden zu schließen. Aus der Innenpolitik hielt er sich heraus, weil es so der republikanischen Konzeption entsprach und weil so am ehesten die Konflikte entstanden, in denen man wahrnehmen konnte, wie nötig auch dort seine ordnende Hand war. Nach einigen Jahren erwies sich, daß ein neuer Kompromiß mit dem Senat ausgehandelt werden mußte. Es hatte nämlich zunehmend Ärger erweckt, daß Augustus Jahr für Jahr das Consulat bekleidete. Für die Aristokraten war dieser Magistrat das höchste Ziel der Laufbahn, und allzu viele fanden es unmöglich, daß dafür jeweils nur eine Stelle zur Verfügung stand. Augustus war bereit, diesen Wünschen nachzugeben. Vermutlich konnte er nicht anders, wenn er das zivile Spiel fortsetzen wollte. Der Senat scheint ihm relativ zudringlich entgegengetreten zu sein. Das zeigt sich im Ergebnis der Verhandlungen vom Jahre 23, in denen Augustus, aufs Ganze gesehen, kaum so viel zu gewinnen schien, wie er hergab. Es wurde ihm einerseits ein imperium proconsulare auch für die senatorischen Provinzen verliehen, und 255

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zwar anscheinend dergestalt, daß seine Vollmacht dort nicht geringer sein sollte als die ihrer Statthalter. Das ersetzte für diese Gebiete in etwa die consularische Gewalt. Für die Innenpolitik aber hatte er sich mit der tribunicia potestas auf Lebenszeit zu begnügen, der Vollmacht der Volkstribunen, die ihm jetzt verliehen wurde. Dazu gehörte vor allem das Veto-Recht, das Recht zur Gesetzgebung (zusammen mit der Volksversammlung), auch dasjenige, Senatssitzungen einzuberufen; wichtige Befugnisse zweifellos, geeignet, auch größere Veränderungen zu erreichen und alles Mißliebige zu verhindern, aber doch primär für gelegentliche Eingriffe gedacht. Andererseits hatte es etwas für sich, daß Augustus sich mit den Rechten des Oppositionsmagistrats begnügte, der dafür eingesetzt worden war, die Rechte der plebs zu verfechten. Eben durch die – relative – Bescheidenheit, die sich darin zugleich kundtat, war ihm die tribunicia potestas wichtig. Tacitus bezeichnete sie später sogar als den Namen des Gipfels der Macht, den Augustus erfunden habe, um nicht die Titel des Königs oder Dictators anzunehmen und doch durch irgendeine Benennung die anderen Gewalten zu überragen. Das Überragende war danach nicht die Vollmacht, sondern die Benennung, und es resultierte erst daraus, daß der, der sie trug, an Macht alle überragte. So hat diese potestas die Macht des Princeps symbolisiert, ohne sie recht zu enthalten. Sie half folglich, diese Macht zu verstecken. Die Senatoren werden sie nicht für ein sehr großes Zugeständnis gehalten haben. Augustus aber war sie wichtig, nicht nur, um sich den herkömmlichen Verteidigern der Freiheitsrechte des Volkes zuzuordnen, sondern insbesondere, um danach seine Regierungsjahre zu zählen. Mithin wurde die tribunicia potestas Zeichen der Lebenslänglichkeit seines Principats. Im Jahre 22 begab er sich erneut in die Provinzen. Seine Konzessionen und die Macht des Senats, der sie ihm abgetrotzt hatte, verführten währenddessen zu immer neuen innenpolitischen Auseinandersetzungen. Mehrfach forderten seine Anhänger ihn auf, eine Dictatur oder wenigstens wieder das Consulat zu übernehmen. Aber er lehnte jedesmal ab. Lediglich die Bitte, 256

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daß er die Aufsicht über die Getreideversorgung der Stadt besorge, erfüllte er. Im Osten hatte er den Erfolg, daß die Parther bereit waren, ohne Kampf die römischen Feldzeichen wieder herzugeben, die sie 53 erbeutet hatten. So war Roms Ehre wiederhergestellt. Nach der Rückkehr zog Augustus dann die Zügel straffer an. Die Unruhen während seiner Abwesenheit schienen das vielleicht zu legitimieren, jedenfalls zu erfordern. Er ließ sich die consularische Gewalt auf Lebenszeit und die censorische auf fünf Jahre verleihen. Der Senatssäuberung fielen über 200 Senatoren zum Opfer. Verschiedene Anschläge auf das Leben des Princeps blieben ohne Erfolg. Im Jahre 17 feierte er schließlich in den Saecularspielen den Anbruch eines neuen Zeitalters. Die Monarchie war fertig etabliert.Wenn die proconsularischen Imperien ausliefen, ließ Augustus sie sich, nach langem Widerstreben und natürlich nur um der res publica willen, für weitere fünf oder zehn Jahre verlängern, zuweilen auch seinen nächsten Vertrauten, den präsumptiven Nachfolgern, ähnliche Vollmachten verleihen. Dann folgten nur noch wenige Ergänzungen: Im Jahre 12 v. Chr. wurde er nach dem endlich erfolgten Tod des Aemilius Lepidus zum Pontifex Maximus gewählt, im Jahre 2 akklamierten Senat, Ritter und Volk ihm als »Vater des Vaterlands«. Diese Geschichte nun der vorsichtigen Etablierung des Principats innerhalb der res publica restituta bietet nur den ereignisgeschichtlich faßbaren Ausschnitt aus einem wesentlich komplexeren Prozeß. Aus ihr ist weder die Position des Augustus richtig zu erkennen – da sie nur zum geringeren Teil von Vollmachten her bestimmt war – noch die Frage nach der tieferen Begründung seiner Herrschaft im Wissen der römischen Gesellschaft zu beantworten, die Frage also, worin nun die Alternative zum Überkommenen bestand. Augustus selbst hat seine Stellung in dem Leistungsbericht, den er nach seinem Tode veröffentlichen ließ, nicht von seinen Vollmachten, sondern vom Begriff der auctoritas her beschrieben: »Nach dieser Zeit (27) habe ich an auctoritas alle überragt, an Amtsgewalt dagegen habe ich nicht mehr besessen als die 257

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anderen, die meine Collegen in jedem Magistrat waren«. Die Äußerung ist kennzeichnend für die Art seiner Selbstdarstellung. Sie tut so, wie wenn Macht nur entweder Amtsgewalt oder jene auf freiwilligem, im Rahmen der damaligen Institutionen selbstverständlichem Respekt beruhende Form des Ansehens und Einflusses war, die man auctoritas nannte. Sie läßt die von den Magistraten losgelösten Vollmachten ganz aus; denn im imperium proconsulare und in der tribunicia potestas hatte Augustus oft keinen Collegen, ließ, wie erwähnt, vielmehr nur zeitweilig neben sich die als Nachfolger vorgesehenen Männer damit betrauen. Vor allem blieb völlig außer acht, was weder rechtliche Vollmacht noch einfach auctoritas war, sondern die unwiderstehliche, wenn auch selten offen ausgespielte Überlegenheit, die Augustus indirekt zuwuchs aus der Bündelung sowohl von Vollmachten, darunter dem Kommando über fast die ganze römische Armee und die Praetorianer vor oder in Rom, als auch von ungeheuren Clientelen und aus der Verfügung über ungezählte weitere Machtquellen. Alle diese Stränge ballten sich zu einem Einfluß zusammen, der mit dem Begriff auctoritas nur verniedlicht werden konnte. Rechtliches, Gesellschaftliches, Politisches und Militärisches war darin, was die Auswirkung angeht, kaum zu trennen. Eben das sollte verschleiert werden. Aber auch abgesehen von diesen Auslassungen ist es interessant, wie stark Augustus hier – wie in Hinsicht auf die Position, die er 27 aufgab – die außerrechtliche Legitimation und die Freiwilligkeit der Anerkennung, die er erfuhr, betonte. Wie wenn alles darauf angekommen wäre, nur nicht zu viel magistratische Vollmacht zu besitzen! Darin wird sich zum Teil eine Absetzung vom Dictator Caesar geäußert haben, auch eine besonders strenge Interpretation verfassungsmäßiger Amtsgewalt, vor allem aber sollten gewiß auch die quasi-plebiszitären Grundlagen der eigenen Position herausgestrichen werden: Es zeigte sich der Erste Bürger, der aufgrund seiner Leistung, seines Könnens, seiner Achtung vor der Verfassung respektiert wurde. Die Zeitgenossen mochten anders darüber denken. Sie konnten kaum übersehen und haben es vielfach ausgesprochen, 258

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Schmeichler haben es sogar begrüßt, daß es sich um eine Monarchie handelte. Gleichwohl ist es ein entscheidender Unterschied, ob die Monarchie sich als solche gibt (und zugibt) oder nicht, ein Unterschied nicht nur dem äußeren Gewand, sondern der Wirklichkeit nach. Denn das Gewand war zweifellos ein Stück Wirklichkeit, indem es Augustus einschnürte, ihm die Selbstbeschränkung auferlegte, die er in der Rolle des Ersten Bürgers so gut spielte, daß auf die Dauer daran wohl kaum auseinanderzuhalten war, was Rolle und was zweite Natur war. Denn entscheidend für den Charakter dieser Monarchie ist beileibe nicht nur, was sie »im Grunde« war, sondern auch, was sie zu sein intendierte – und vorgab. Jedenfalls dann, wenn sie diese Intention so klar zu erfüllen trachtete. Wohl hatte Augustus mit der Zeit immer mehr zu entscheiden. Selbst wenn das nicht in seinem Sinne gewesen sein sollte: Es blieb ihm gar nichts anderes übrig. Man mußte sich mehr und mehr vergewissern, was er wollte, um nichts anderes zu tun. So wurde die Monarchie unabhängig von seinem Willen auch in der täglichen Praxis immer mächtiger. Allein, der Schein der Republik wurde auch dann nach Möglichkeit gewahrt. Es trifft gewiß nicht, hier von Heuchelei zu sprechen. Wohl wurde Wesentliches verborgen und auch manches vorgeblendet, und es ist überhaupt keine Frage, daß Augustus nicht so edel war, wie er sich gab. Aber das ist im politischen Zusammenhang auch recht gleichgültig. Wenn einer aus Einsicht in die Voraussetzungen eigener Macht rücksichtsvoll ist und sich zurückhält, ist er zunächst einmal klug – und es kommt den Beherrschten auch zugute. Es ergibt sich nur die halbe Wahrheit, wenn man das »entlarvt« – wo die Larve so wesentlich und so heilsam ist. Wie immer die Zeitgenossen Augustus’ Monarchie durchschauen mochten, im ganzen blieb da etwas in der Schwebe, und das war von großer Bedeutung. Gleichwohl war mit der Art, wie Augustus die Republik respektierte, war auch mit seinem Einfluß noch nicht vermacht, daß sein Regime auch wirklich Wurzeln schlug und, wie auch immer, als Alternative zum Überkommenen anerkannt wurde. 259

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Die Antwort auf diese Frage bewegt sich zwischen zwei Polen: Einerseits vermied es Augustus, indem er behauptete, daß er die res publica restituiert habe, gerade, eine Alternative zu ihr herzustellen. Andererseits vermochte er es, die Bürgerschaft und das Gemeinwesen so umzuformen, daß man letzten Endes sehr wohl bereit war, sein Principat als Alternative zu respektieren. Die paradoxe Spannung zwischen diesen beiden Feststellungen ist in der Sache begründet. Sie läßt sich freilich auflösen an dem Punkt, an dem beide konvergieren: Das Hochhalten der Republik war dadurch bestimmt, daß eine Umwertung innerhalb der republikanischen Ideale und Ziele, eine Umwertung auch innerhalb des Begriffs res publica vorgenommen wurde. Eine Abwertung erfuhren diejenigen Ideale, die die freie Ausübung der Macht des Senatsadels zum Inhalt hatten. Aufgewertet wurden dagegen diejenigen, in denen der Princeps stark und unentbehrlich war. Die letzteren waren für die gesamte Bürgerschaft wichtig, in gewissem Sinne auch für den Senatsadel, zumal dem in ihrem Rahmen eine Kompensation für seine Einbuße an Freiheit und Macht geboten wurde. Durch diese Umwertung, die angesichts der Erschöpfung der Gesellschaft durch Bürgerkriege und die Unzahl der seit Jahrzehnten aufgetürmten Probleme eine sachliche Evidenz hatte, gelang es Augustus, sich in die Rolle des wichtigsten Verfechters des ganzen Gemeinwesens einzuschleichen und den Senat darin geradezu auszustechen. Eben dadurch schuf er eine begrenzte, aber haltbare Alternative zur Republik. Das sei jetzt im Einzelnen skizziert. Zunächst ist klar, daß diese Alternative nicht auf dem Aufkommen neuer Schichten und ihrer Maßstäbe beruhte. Zwar stützte Augustus sich stark auf Anhänger aus Geschlechtern und Gegenden, die bislang wenig Anteil an der römischen Politik gehabt hatten. Es blieb ihm während der Bürgerkriege nichts anderes übrig, weil die römischen Adligen meist Antonius zuneigten. Später förderte der Princeps zwar auch den alten Adel. Aber für die wichtigsten Kommanden und Aufträge stützte er sich weiter vornehmlich auf homines novi und Ritter. Auf die konnte er sich am ehesten verlassen. Man kann dies zugleich als 260

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Ausdruck einer gewissen Aufwertung neuer, bis dahin nicht so prominenter Schichten und Gegenden ansehen. Aber diese Aufwertung betraf dann nur gewisse Kreise innerhalb einer im Ganzen sich gleichbleibenden gesellschaftlichen Ordnung. Und gewiß verkörperten diese Schichten oder jedenfalls die von Rom entfernten Gegenden auch gewisse Ideale. Es waren wesentlich die des alten Rom, die sich im römischen Adel weitgehend aufgezehrt hatten. Die alte bürgerschaftliche Ordnung aber blieb nicht nur im ganzen respektiert, sondern sie gewann sogar einen besonderen neuen Sinn im Rahmen des Principats. Augustus konnte sich ja auf die Angehörigen des Ritterstandes gerade deswegen stützen, weil sie zum weiterhin führenden Senatsadel in Konkurrenz standen, und diese Konkurrenz war ihm auch wichtig. Er machte sich den Umstand zunutze, daß jene, sofern sie ehrgeizig waren, in diesen aufrücken wollten. Was seinerseits bedeutete, daß dessen mächtige Stellung innerhalb der Bürgerschaft erhalten blieb, als Anziehungspunkt, aber nicht mehr so sehr als Ausgangspunkt für die Führung der Republik. Seine Bedeutung lag künftig weit stärker im Ständischen als (wie bisher zugleich) im Politischen. So bestand Augustus’ wichtigster Eingriff in Hinsicht auf die höheren Schichten gerade darin, daß er sie in strengerem Sinn ständisch organisierte und damit schärfer aus der übrigen Bürgerschaft heraushob, als das vorher der Fall gewesen war. Der Senatorenstand wurde abgeschlossen. Neuaufnahmen in ihn hingen von der Zustimmung des Princeps ab. Damit bewahrte, ja befestigte der die gesellschaftliche Pyramide. Er machte sich dabei auch die uralte Abstufung zwischen Patriciern und NichtPatriciern zunutze, indem er sich die Vollmacht verleihen ließ, besonders verdiente Senatoren in das Patriciat aufzunehmen. Schon Caesar hatte diese Möglichkeit entdeckt, besondere, in Hinsicht auf politische Machtausübung fast gleichgültige Standes-Ehren zu verleihen. Es blieben den Senatoren zwar die Reservate der städtischen Ämter, auch verschiedene Statthalterschaften. Aber sie büßten an 261

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Einfluß ein. Und zu den entscheidenden Ämtern und Aufträgen im kaiserlichen Dienst wurden nur besonders vertrauenswürdige Senatoren neben den im übrigen bevorzugten homines novi und Rittern herangezogen. Der gleichen Tendenz entsprang die Übertragung neuer Vorrechte und Kompetenzen an den Senat, etwa der Gerichtsbarkeit und der Gesetzgebung. Das bedeutete wesentlich Ehre und einen begrenzten Freiraum. Denn die wichtigeren Entscheidungen waren mit Rücksicht auf den Willen des Princeps zu treffen. Dabei war das Ansehen des Senats herkömmlich noch immer so groß, daß der Aufstieg in ihn als höchst erstrebenswert erschien – auch wenn eine Familie, wenn sie ihn geschafft hatte, für den kaiserlichen Dienst ceteris paribus weniger in Frage kam. So entscheidend und so prägend war die ständische Zugehörigkeit. So zentral war die Standes-Personalpolitik des Princeps. So stark galten noch die republikanischen Maßstäbe; nur daß sie jetzt eben ins Rein-Ständische umgemünzt wurden. Und so sehr konnte man sich entsprechend auf den Eifer und die Zuverlässigkeit der Aufsteiger verlassen, so sehr sie dann andererseits am Selbstbewußtsein des Senats teilhatten. Die gleichen Prinzipien wie beim Senatorenstand waren bei der Aufwertung der Ritter am Werk, jenes zweiten Standes, der wesentlich die führenden Schichten in den verschiedenen Städten umfaßte. Sie genossen herkömmlich eine Reihe von Vorrechten. Augustus verstärkte die ehrenvolle Repräsentation in der Öffentlichkeit. Über die Zugehörigkeit entschied er durch die Verleihung des goldenen Ritterringes, wobei gewiß die Kriterien der Ergebenheit und der Würdigkeit etwa gleich gegolten haben. Dabei spielte ein Aufsteigertyp eine besondere Rolle, nämlich der der Centurionen, der aus dem Mannschaftsstand aufgestiegenen Subalternoffiziere, die die Chance erhielten, bei besonderer Bewährung Ritter zu werden. Die alten Grundsätze der Republik, wonach die ganze Bürgerschaft nach Rängen gegliedert und für die höheren Schichten auf den Aufstieg (gegebenenfalls über verschiedene Stufen hinweg) orientiert war, wurden weiter getrieben. 262

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So wurde die republikanische Gliederung nach Ständen voll in den Dienst der Monarchie gestellt. Ihr Prinzip und ihre Bedeutung waren traditionell, und eben dies wurde von Augustus respektiert. Indem er sich auf die Regelung des Neuzugangs beschränkte, wurde die Gesamtheit der Stände nicht einfach von ihm abhängig, aber er hatte die Möglichkeit, zahlreiche Aufsteiger gleichsam mit republikanischen Ehren an den kaiserlichen Dienst zu binden. Indem er nur partiell in das Ganze eingriff, diente es ihm am besten. Wenn Augustus freilich die Erblichkeit der Standes-Zugehörigkeit der Senatoren herstellte und achtete, so waren die Rangstufen innerhalb des Senats zum Teil Gegenstand seiner Personalpolitik: Er pflegte – von irgendeinem Zeitpunkt an – bestimmte Kandidaten für die Wahl zu empfehlen und hat gewiß auch manche Kandidatur verhindert (wobei er sich indes kaum über alle Geschlechter-Ansprüche hinwegsetzen konnte). Wie weit Augustus die Senatoren wirklich davon überzeugt hat, daß sie politisch und militärisch künftig zurückstehen mußten, ist sehr fraglich. Bekannt sind die Reibungen, welche entstanden, wenn ein Senator aufgrund militärischer Leistungen besondere Ansprüche stellte. Das war dem Princeps gar nicht lieb. Herausragen sollten nur Angehörige der eigenen Familie und enge Vertraute wie Agrippa. Jedenfalls aber war es ein goldener Käfig, den er den Senatoren baute, ein Käfig übrigens auch insofern, als er ihre Freiheit, sich außerhalb Italiens zu bewegen, einschränkte. Im ganzen begegnete er ihnen wie seinesgleichen, erwartete keinen übermäßigen Respekt. Vermutlich haben die Macht der Gewöhnung und zahlreiche Abhängigkeiten zusammen mit der Einsicht, daß es anders nicht ging, dafür gesorgt, daß man sich weitgehend mit dem Regime abfand, so sehr viele auf Änderung hofften. Es gab ja auch verschiedene Attentatsversuche. Mehr als im Senat faßte das Principat vor allem in den anderen Schichten Fuß. Die plebs wurde, um es kurz zu sagen, durch Brot und Spiele, aber auch durch einige Achtungserweise des mächtigen Princeps für dessen Herrschaft eingenommen. Ver263

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schiedene Bauten, unter anderem Theater, waren auch für sie gedacht. Es bestand eine Affinität zwischen Plebs und Princeps. Und alle zusammen genossen die Ruhe, den Frieden, die Rechtssicherheit und den Wohlstand, der in Folge davon sich ausbreitete (wenn auch ungleich verteilt, aber das verstand sich ja von selbst). Mit Anspielung auf die Münzen mit dem Kaiserbild hat ein englischer Historiker das auf die Formel gebracht: »Je mehr sie den Kaiser in ihrer Tasche hatten, um so mehr hatte er sie in seiner.« Dabei ist eine Neuorientierung der öffentlichen Zielsetzungen zu beobachten, welche der umwertenden, das Moment der Ehre von dem der Macht abzweigenden Indienstnahme der republikanischen Ständeordnung korrespondierte. Wo der Senat es als im Zweifel für das Ganze wichtigste Aufgabe angesehen hatte, die überkommene rechte Ordnung zu verteidigen, setzte Augustus ja an die erste Stelle die Lösung der zahlreichen militärischen, administrativen, polizeilichen, wirtschaftlichen, sozialen und auch moralischen Probleme, die – nicht zuletzt über der Verteidigung der Republik und den Bürgerkriegen – allzu lange vernachlässigt worden waren. Grob gesagt machte er das Gemeinwesen vom defendendum zum curandum, und das mußte sehr tief ins öffentliche Bewußtsein einrasten. Die Verwaltung wurde neu organisiert. Nicht zuletzt wurden die Statthalter der Provinzen sorgfältig ausgesucht und besser kontrolliert, ferner mit einer hohen Apanage versehen. Das System des Steuer-Einzugs wurde reformiert. Ausbeutung der Provinzialen war auch künftig nicht ausgeschlossen, aber doch erschwert. Wo früher die Beschwerden an den Senat gingen, richteten sie sich jetzt zunehmend an den Princeps. In Rom wurde durch die Schaffung einer Polizeitruppe und einer Feuerwehr die öffentliche und private Sicherheit befördert, zugleich im Sinne des Princeps. Zahlreiche Maßnahmen galten der Verbesserung der Infrastruktur, des gesamten Verkehrswesens, der Wasser- und der Getreideversorgung. Neue Leitungen wurden gebaut.Von Agrippa heißt es, er habe Straßen reparieren, die Kloaken reinigen lassen und sei selbst in einem Boot durch die 264

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cloaca maxima bis an den Tiber gefahren. Die Ufer des Flusses wurden neu befestigt, um Überschwemmungen vorzubeugen. Relativ gut bekannt ist die Restauration zahlreicher Tempel und Heiligtümer.Viele waren baufällig. Sie mußten repariert oder neu errichtet werden. Die Familien derer, die sie einst gestiftet hatten, wurden, sofern noch Nachkommen vorhanden waren, aufgefordert, das zu besorgen. Unter Umständen griff Augustus ihnen finanziell unter die Arme, ohne dann aber, wie er betonte, seinen Namen auf das Gebäude setzen zu lassen. Verschiedene Adlige fanden sich bereit, Tempel ganz neu und aufs glanzvollste zu errichten. Anderes übernahm Augustus selbst. Später rühmte er sich, die Stadt, die er aus Backsteinen übernommen hatte, in Marmor zu hinterlassen. Das stellte die Schönheit der Stadt nach einem bereits von Aristoteles aufgestellten Rezept in den Dienst der Herrschaft. Schon Caesar hatte ja den Römern anstelle der Holzgerüste, die sie jeweils dazu aufstellten, ein großes marmornes Abstimmungsgebäude zu errichten begonnen, das sein Sohn jetzt vollendete. Selten manifestierte sich das eigentümliche Verhältnis von Freiheit und Marmor so handgreiflich wie hier. Schon in den 30er Jahren hatte der junge Caesar auf dem Palatin unmittelbar neben dem eigenen Haus einen Apollontempel gebaut. Er fühlte sich dem Gott besonders verbunden. Es liefen Geschichten um, wonach er dessen Sohn sei. Jedenfalls soll der Sieg bei Actium im Jahre 30 dem Gott zu verdanken gewesen sein. Eine ganze apollinische Bilderwelt wurde entfaltet, die über den Hellenismus hinaus zurückgriff auf die große Zeit der griechischen Poleis. Sie markierte sinnfällig den Gegensatz zu Antonius, der dem Dionysos huldigte und, wie ihm vorgeworfen wurde, Rom vom Osten her regieren wollte. Es war ein sehr eigener Stil, der dabei herausgebildet wurde; so faszinierend, so einschlagend (falls man das so sagen darf) und überzeugend, daß er sich überallhin verbreitete. Wo die verschiedensten hellenistischen Richtungen gegen Ende der Republik konkurriert hatten, orientierte sich die Architektur, aber auch die Bildhauerkunst samt dem maßgeblichen Porträt des Monarchen nach den Vorbildern der griechischen Klassik. Augustus 265

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wird es kaum angeordnet haben, obwohl er gewiß Verschiedenes angeregt und bewußt weitergetrieben hat. Und das Eigenartige war, daß dieser augustëische Stil bis in die Häuser des Adels hinein maßgeblich wurde. Überall also wurde gearbeitet, das ganze Stadtbild verwandelte sich. Sinnfällig erfuhr man, daß ganz Rom einen neuen Anfang nahm. Was alles lange vernachlässigt gewesen war, genoß die Aufmerksamkeit des Princeps, die Energie, die von ihm ausging. Die Wiederherstellung von so viel Vernachlässigtem, die zugleich vielfältig eine Verbesserung war, muß in irgendeinem Sinne mitreißend gewesen sein. Der Princeps achtete darauf, möglichst die eigenen Verdienste und die Bedeutung der eigenen Familie in Stein zu manifestieren. Er vollendete Gebäude, die sein Adoptivvater begonnen hatte, errichtete dem zum Gott Erklärten einen Tempel auf dem Forum, baute dort eine der großen Basiliken im Namen seiner Enkel neu, eine andere erweiterte er glanzvoll. Er legte ein neues Forum an, mit einem großen Tempel des Rächers Mars, den er in Philippi gelobt hatte. Der Hof war gesäumt mit Statuen der großen Feldherrn der Republik. Und alles lief auf ihn selber zu. Nicht weit von der ara pacis, dem vom Senat zu seinen Ehren geweihten Friedensaltar, wurde eine riesige Sonnenuhr installiert. Als Zeiger diente ein Obelisk, den Augustus aus Ägypten hatte herbeiholen lassen. Am 23. September, seinem Geburtstag, zum Herbstäquinoktium berührte beim höchsten Stand der Sonne die Spitze seines Schattens den Altar. Außer um die Baukunst hat der Princeps sich um die Dichter gekümmert, die in dem ihm aufs engste verbundenen (und zu vielen diplomatischen Missionen herangezogenen) Gaius Maecenas einen großzügigen Förderer und Fürsprecher hatten. Vergil, Horaz, Properz, Tibull, dann auch der jüngere Ovid – wir wissen nicht, warum diese größten unter den römischen Dichtern alle ungefähr gleichzeitig ihre Werke schufen. War das Lateinische endlich so weit, daß sich in ihm all das zu eigenen Zwecken formen ließ, was man bei den Griechen schon länger gefunden, gelernt, studiert hatte? Oder war es das entsetzliche 266

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Leid während der Bürgerkriege, war es die Erfahrung der existentiellen Bedrohungen der ganzen römischen Welt und all dessen, womit man früher darin »aufgehoben war«, die zumal die vier älteren darum ringen ließen, auf ihre, auf so besondere, so »klassische« Weise zu sagen, was sie umtrieb? Es gibt Anzeichen dafür, daß Augustus sie zu instrumentaliseren versuchte. Einige Stücke weit hätten sie ihm dann nachgegeben. Der Friede und die Wiederherstellung von Ordnung waren schließlich einige Dankbarkeit wert. Der Neubau der Tempel stand zugleich im Zusammenhang einer sehr bewußten Wiederbelebung der alten Religion, und diese war wiederum Teil einer forcierten Politik zur Wiederherstellung altrömischer Art. Zahlreiche Kulte wurden erneuert. Wenn man zudem schon in der späten Republik überzeugt gewesen war, daß der Abfall von der alten Vätersitte die Ursache des politischen Niedergangs war, so machte sich Augustus nun daran, diese Sitte wieder zu beleben. Das begann im Kleinen, indem die Gemahlin des Princeps sich wieder an den Webstuhl setzte, um die kaiserliche Familie nach alter Art mit Kleidung zu versorgen. (Die Nachricht, daß Augustus in seiner Empörung über das Ansinnen, sich zum Dictator ernennen zu lassen, seine Kleider zerriß, erhält ihr volles Gewicht erst, wenn man sich dies vor Augen hält.) Es setzte sich fort in der Gesetzgebung gegen Ehe- und Kinderlosigkeit, den Sondersteuern für Unverheiratete, den hohen Strafen für Ehebruch, den Erb- und Luxus-Gesetzen und in den censorischen Rügen des Princeps (der selbst bei aller nach außen getragenen Biederkeit zumindest in Hinsicht auf andere Frauen alles andere als Kostverächter war; was übrigens zu peinlichen Szenen führen konnte). Wie weit auch immer er eine wirkliche Verbesserung der Sitten für möglich gehalten hat – vermutlich war das weitgehend der Fall –, konnte er sein Regime dadurch an der Bewältigung einer Aufgabe von allgemein römischem Interesse legitimieren. Mos maiorum, die Sitte der Väter, war in Rom schon lange groß geschrieben worden. Es war die zentrale Parole der senatorischen Verteidigung der Republik gewesen. Jetzt machte 267

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Augustus sie sich zu eigen. Er schien an die Wurzel des Problems zu gehen. Auch hier wurde eine sachliche Aufgabe, eine Reform über die bloße Defensive gestellt. Augustus hat sein politisches Werk allerdings nicht einfach im Sinne einer Wiederherstellung, sondern auch in dem einer Fortentwicklung verstanden. »Durch neue Gesetze, die auf meine Veranlassung gegeben worden sind, habe ich viele in unserer Zeit in Vergessenheit geratene Beispiele der Väter wiedereingeführt und habe selbst in vielen Hinsichten Beispiele zur Nachahmung den Kommenden überliefert«, sagt er in seinem Leistungsbericht. Damit war nicht nur sein Principat gemeint. Eins der wichtigsten Gebiete des kaiserlichen Interesses war die Militärpolitik. Auf der Armee beruhte seine Herrschaft, sie stellte potentiell die größte Gefahr für ihn dar. Diesem Problem suchte Augustus zunächst durch einige Reformen beizukommen. Er beseitigte die Hauptanlässe, die immer wieder Legionen und Veteranen bestimmt hatten, sich in den Dienst der besonderen Interessen einzelner Feldherrn zu stellen. Das sollte nicht wieder passieren. Er regelte also den Sold, die Abfindungen nach Ende des Dienstes und die Dienstzeit neu. Eine Neuorganisation der Finanzen bot Augustus die materiellen Voraussetzungen dafür, selbst für seine Soldaten zu sorgen. Ferner bedachte er die Soldaten bei besonderen Gelegenheiten mit Schenkungen. Und er war aufs stärkste darauf bedacht, die Verbindung der Armee mit dem Princeps und seinem Hause möglichst eng zu knüpfen. Die Centurionen konnten, wie erwähnt, mit dem Aufstieg in den Ritterstand belohnt werden. Schließlich betrieb Augustus eine sehr geschickte Personalpolitik, wiederum um nicht zu enge Banden zwischen den Legionen und einzelnen Befehlshabern entstehen zu lassen. Größere Feldzüge ließ er nach Möglichkeit von kaiserlichen Prinzen führen. Die Legionen waren – bis auf die Leibgarde der Praetorianer, die in und um Rom stationiert war – in den Grenzprovinzen, meist in größeren Abständen voneinander disloziert. Die Armee war relativ klein. Sie umfaßte 28, nachher 25 Legionen, also rund 150 000 Mann. Dazu kamen in etwa gleicher Stärke Hilfstruppen. Sie waren aus Nicht-Römern 268

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gebildet, die von römischen Offizieren und Unteroffizieren befehligt wurden. Nach ihrer Dienstzeit erhielten sie mitsamt ihren Familien das Bürgerrecht. Diese gut 300 000 Mann hatten die über mehrere Tausende von Meilen sich erstreckenden Grenzen des Reichs und die noch nicht hinreichend befriedeten Provinzen zu sichern. Daß die Veteranen nach der aktiven Dienstzeit vielfach in römischen Kolonien in den Provinzen angesiedelt wurden oder sich in der Nähe ihrer alten Garnisonen niederließen, trug zur Stabilität des Reiches und zugleich zur Romanisierung gerade auch der entfernteren Provinzen bei. Es wird den Absichten des Princeps entsprochen haben. Abgesehen von der vollständigen Unterwerfung der Iberischen Halbinsel hat Augustus in Mitteleuropa und auf dem Balkan weit angelegte Feldzüge unternommen. Die Alpen- und Voralpenländer wurden erobert, dazu Pannonien, Illyrien (so weit es noch nicht römisch war) und Moesien. Damit wurde die Donau in ihrer ganzen Länge zur Grenze des Reichs. Auch der Versuch, die Gebiete zwischen Rhein und Elbe zu erobern, war schon weit gediehen, als ein Aufstand in Illyrien und unabhängig davon die Vernichtung des römischen Heeres unter Quintilius Varus am Teutoburger Wald (9 n. Chr.) alles wieder in Frage stellte. Der Aufstand wurde zwar niedergeschlagen, doch scheute Augustus die Rüstungen, die für einen neuen germanischen Feldzug nötig gewesen wären. Er gab in seinem Testament den Rat, über die gewonnenen Grenzen nicht weiter hinauszugehen, und dabei ist es im ganzen (zumindest in Mitteleuropa) geblieben, mit den bekannten Folgen für die deutsche und europäische Geschichte. Insgesamt, das gilt für den Umgang mit seinen Soldaten nicht anders als für den mit Senatoren, Provinzen, einer Unzahl von Städten, Priesterschaften etc. – war die sorgsame Mühewaltung von Tag zu Tag, die Aufmerksamkeit, der Fleiß des Princeps, all das, was seinen Alltag bestimmte und wovon keine Quelle spricht, von kaum zu überschätzender Bedeutung. Es war ein zentraler Teil seiner cura. In der intensiven, ausgedehnten, umfassenden Tätigkeit, die 269

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Augustus entfaltete, hat er praktisch – ohne daß er es so formuliert hätte – die res publica neu definiert. Indem er sie vor allem zum Gegenstand seiner Sorge machte, war sie nicht mehr primär Sache der Bürger als Bürger, sondern im allgemeineren Sinne bloß öffentliche Ordnung. Der Begriff hatte, modern gesagt, immer sowohl »Republik« wie »Staat« bezeichnet. Jetzt überwog diese Bedeutung jene und ließ sie sie am Ende ganz zurücktreten. Später hat man die alte Republik daher zuweilen der Deutlichkeit halber libera res publica, »Freistaat«, genannt. Einen ähnlichen Wandel machte der Begriff Princeps durch. Es ist nicht auszumachen, wie weit die Leistung des Princeps in Rom im einzelnen wahrgenommen worden ist und beeindruckt hat. Immerhin ist zu bedenken, daß die Erwartungen an die öffentliche Ordnung und deren Effizienz in Rom nicht sehr weit gingen. Wie in allen antiken Gemeinwesen war im Vergleich zur Neuzeit, geschweige denn zur Moderne, sehr viel mehr Bürgersache und sehr viel weniger Sache des Gemeinwesens im Ganzen. Außerdem tat der Verzicht auf freie politische Betätigung mindestens sehr vielen Senatoren weh, und die bildeten ja immer noch die maßgebende Schicht. Gleichwohl scheint es mir aber wahrscheinlich zu sein, daß nach dem Erlebnis von 20 Jahren Bürgerkrieg samt voraufgehender Krise das neue Regime doch wenigstens so weit überzeugt hat, daß breiteste Kreise bis in den obersten Stand hinein sich mehr oder weniger bereitwillig mit ihm abfanden oder gar befreundeten. Insofern wuchs in der römischen Bürgerschaft wohl eine Mehrheit im Gefolge des Princeps zu einer Alternative heran. Aber diese Alternative war durchaus beschränkt. Sie erwuchs weniger aus der Bürgerschaft, als daß sie sich an der Stellung des Princeps kristallisierte. Sie gab der Monarchie zwar eine Sache, aber keine Gelegenheit, sich gegen das Überkommene abzusetzen. Offensichtlich konnte man in Rom eine Alternative zum Herkömmlichen nur bilden, wenn man für das Herkömmliche eintrat, konnte man die Republik nur besiegen, wenn man sie wiederherzustellen schien, mußte noch der Princeps seine Legitimation aus der Sache der res publica beziehen. Ruhe und 270

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Ordnung, die Garantie des Eigentums, die Rechtssicherheit, die Gewährleistung einer effizienteren Verwaltung, notwendige Reformen und vieles andere, was Augustus leistete, waren höchst wichtig, aber sie waren gleichsam nur die Pfeiler der Brücke zum Principat. Die Brücke selbst mußte im Namen der Republik gelegt werden. Der Respekt, den der stets zum Lernen, zum geschmeidigen Sich-Anpassen an alle möglichen Lagen bereite Staatsmann dem Alten erwies, ist nicht das schlechteste Argument dafür. Nur indem er die Monarchie als res publica restituta begründete, indem er den Senat – unter neuen Umständen – als Verfechter des Gemeinwesens ausstach und an Konservativität überholte, konnte er zu einem neuen, modifizierten Verständnis des Gemeinwesens und seiner Aufgaben führen, in dem der Principat dann seinen zentralen Platz hatte. Allein auf diesem Umweg also konnte Augustus der Krise ohne Alternative Herr werden. Nur so konnte er die eigentlich virulenten Gravamina zum Gegenstand verändernden Handelns machen. Und das Haupt-Gravamen war das Senatsregime selbst, das er zu reformieren vermochte unter weitgehender Schonung, aber eben zugleich auch Heranziehung des Senats. Zum Erfolg dieser ganzen Geschichte trug wesentlich bei, daß Augustus so lange lebte; trotz an sich nicht sonderlich kräftiger Gesundheit. Erst im Jahre 14 n. Chr., 40 Jahre nach der Begründung des Principats (27 v. Chr.), starb er, und er hatte das Regime bis zuletzt fest in der Hand, so gut, daß selbst die Nachfolge in die an sich einmalige Position fast reibungslos funktionierte. So konnte die neue Herrschaft Wurzeln schlagen und halbwegs selbstverständlich werden. Aber eine entscheidende Voraussetzung dazu war jedenfalls Augustus’ außerordentliche politische Einsicht und Wandlungsfähigkeit. Und man vermindert dies nicht, sondern macht seine Leistung nur verständlicher, wenn man hinzufügt, daß ihm dabei die Schwäche sehr zugute kam, die ihn 36 v. Chr. zum Versprechen der Rückgabe der res publica einlud. Indem er es dann hielt, gewann seine Politik eine bestimmte Richtung, verlor sie an Freiheit, nahm sie an Kraft, auch an Überzeugungskraft zu. 271

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Er gewann die Herrschaft über die Verhältnisse, indem er seine Macht in den Verhältnissen bewußt zurückhaltend ausübte. Nicht zuletzt darin ist sein staatsmännisches Werk durch die Person seines Schöpfers bestimmt, indem er die Kunst der Politik – und diejenige, sich den Verhältnissen anzupassen und mit ihnen sich zu wandeln, beherrschte. Vom Octavius zum Caesar, vom Caesar zum Augustus, vom brutalen Gewalthaber zum souveränen Politiker, zum Ersten Bürger, zum Princeps. Er blieb nur derselbe, indem er immer wieder ein anderer wurde. Daß er gelegentlich, etwa bei Attentatsversuchen, hart zuschlug, ändert daran nichts. Es gehörte dann allerdings noch eines dazu, und an dieser Stelle ist die Person des Princeps aufs stärkste und ist dann auch seine Dynastie betroffen worden durch die Begrenztheit der Alternative, die sich in Rom anscheinend nur bilden konnte. Die Sache der Republik, die Alternative, die gerade keine zu sein schien, erforderte es, daß der Monarch seinerseits nicht zu sein schien, was er war, sondern der Erste Bürger. Nur indem er vorgab, etwas zu sein, was er nicht war, konnte er die neue Realität der Monarchie mit der alten der Republik versöhnen. Es wurde ihm dabei ein sehr hoher Grad an Selbstverleugnung abverlangt. Denn alle Macht zu haben unter der Bedingung, es nicht zu zeigen (oder wenigstens nicht offen durchblicken zu lassen), gehört wohl zum Schwersten, was einem über Jahrzehnte hin abverlangt werden kann. Ein guter Princeps mußte also ein guter Schauspieler sein. Augustus hat das genau gewußt. Als der Senat 27 zu Ehren des skrupellosen, grausamen, berechnenden, mehrfach zu bewaffnetem Kampf treibenden Bürgerkriegsführers, freilich nach der Rückgabe der Republik, in der Curia Julia jenen goldenen Schild aufhängen ließ, der seine »Mannhaftigkeit, Milde, Gerechtigkeit und Frömmigkeit« ehrte, wurde die neue Rolle erstmals offiziell anerkannt. In ihr erschien Augustus übrigens auch in seinen Portraits, welche Bilder der Erhabenheit, des Ernstes, des Maßes waren und weniger ein herausragendes Individuum als ein Ideal darstellten und in denen er am Ende seines Lebens noch ge272

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nauso erschien wie zu Beginn des Principats, anscheinend ohne gealtert zu sein. Sie stellten nicht ihn, sondern den, der er zu sein prätendierte, dar – unter Vernachlässigung all dessen, was ein langes intensives Leben voll vielfältigster Erfahrungen doch wohl auch in seinem Gesicht eingezeichnet haben muß. Auf dem Totenbett rief er, nachdem er sich vor dem Spiegel sorgfältig die Haare hatte legen und die herabhängenden Wangen hatte massieren lassen, die Freunde zu sich und forderte sie – mit der Formel, mit der Schauspieler von der Bühne abtraten – auf, Beifall zu klatschen, wenn ihnen die Posse gefallen habe. Plaudite, amici, comoedia finita est. Das war nicht bloß eine Redensart, ein Scherz, sondern es war der ironische Abschied eines letztlich eben doch großen Mannes von einer der schwierigsten Rollen, die in der Weltgeschichte der Politik je gespielt worden sind. So, wie er das getan hatte, war es ganz und gar seine Sache. Darin aber, daß er es tat, setzte er auf völlig neue und neuartige Weise etwas fort, was sich schon in der Republik auf höchst bemerkenswerte Weise eingestellt hatte, was zu deren Wesen gehörte. Im Begriff der Rolle, lateinisch persona, wurde dort gefaßt, was von Magistraten und Bürgern erwartet wurde. In hohem Ausmaß hatte jeder seiner (jeweiligen) Rolle zu genügen. Dadurch wurde es möglich, daß Rom in den Bahnen einer gewachsenen Verfassung regiert werden und leben konnte. Wahrnehmung der Rolle war Wahrnehmung der Pflicht (officium). Eben das tat Augustus, indem er eine völlig neue Pflicht sich selbst auferlegte und erfüllte – in der schwierigen Balance zwischen Monarchie und Republik. Nach Vergil hatte Aeneas, der mythische Vorfahr des Augustus, die Pflicht, wider seinen Willen dem Götterbefehl zu gehorchen, um die Voraussetzungen für die Gründung Roms zu schaffen. Nicht anders hat Augustus sich dem verschrieben, was er dann doch wohl irgendwann als seine Mission anzusehen begonnen hatte. Daß er in dieser überpersönlichen Rolle hatte aufgehen können, war vielleicht die größte, die persönlichste Leistung des Princeps. Sie entsprach der Aufgabe, die er sich gesetzt hatte – 273

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aber vielleicht auch seiner Art, soweit aber nicht seiner Art, so seiner Fähigkeit, sich ganz und gar in den Dienst einer Sache zu stellen. Für Nietzsche ist »jener fürchterliche Mensch mit seinem letzten Wort indiskret zu sich selber« gewesen. »Er ließ zum ersten Male seine Maske fallen, als er zu verstehen gab, daß er eine Maske getragen und eine Komödie gespielt habe…, gut bis zur Illusion«. Mit dieser Rolle lastete eine schwere Hypothek auf denen, die Augustus folgten. Sein erster Nachfolger, Tiberius, versagte in dieser Kunst schon bei Antritt seines Principats so kläglich, daß man ihm wie einem Schauspieler zurief, er solle entweder agieren oder abtreten (aut agat aut desistat). Er war echt, er schien die res publica restituta wörtlich zu nehmen. Das konnte nicht gut gehen. Und zwei der späteren Principes waren der Rolle so wenig gewachsen, daß sie sich gleichsam selbst parodierten, indem sie buchstäblich auf der Bühne auftraten. So wenig konnten sie es mit dem Theater, als das der Principat angelegt war, aufnehmen. Die Schwierigkeit der Rolle war und blieb ungeheuerlich, obwohl sich die Dinge dann langsam änderten. Wenn Caesar in seinen Grenzen und Möglichkeiten, von der Krise ohne Alternative in höchstem Maße bestimmt, sich selbst auslebte, so führte diese seinen Adoptivsohn dazu, daß er durch mehr als 40 Jahre spielen mußte, was er nicht unbedingt war, was zu sein er sich aber gezwungen, vielleicht auch erzogen hat. Letztlich dadurch vermochte er die Monarchie in Rom zu begründen.

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Die Geschichte einer Krise, in den Biographien dreier Männer erzählt. Es spiegelt sich darin eine moderne Problematik in römischem Gewande, das Problem eines Übergangs, in dem die überkommenen Erwartungen scheitern, in dem es aufhört, paradox zu sein, daß lauter Paradoxes geschieht, in dem es erst nach langer Zermürbung der gesellschaftlichen Identität gelingt, wieder Macht über die Verhältnisse zu gewinnen.

Franz Steiner Verlag

www.steiner-verlag.de ISBN 978-3-515-09214-2