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German Pages 344 Year 2020
Kirstin Lenzen Die multiple Identität der Technik
| Band 9
Editorial Moderne Gesellschaften sind nur zu begreifen, wenn Technik und Körper konzeptuell einbezogen werden. Erst in diesen Materialitäten haben Handlungen einen festen Ort, gewinnen soziale Praktiken und Interaktionen an Dauer und Ausdehnung. Techniken und Körper hingegen ohne gesellschaftliche Praktiken zu beschreiben – seien es diejenigen des experimentellen Herstellens, des instrumentellen Handelns oder des spielerischen Umgangs –, bedeutete den Verzicht auf das sozialtheoretische Erbe von Marx bis Plessner und von Mead bis Foucault sowie den Verlust der kritischen Distanz zu Strategien der Kontrolle und Strukturen der Macht. Die biowissenschaftliche Technisierung des Körpers und die Computer-, Nano- und Netzrevolutionen des Technischen führen diese beiden materiellen Dimensionen des Sozialen nunmehr so eng zusammen, dass Körper und Technik als »sozio-organisch-technische« Hybrid-Konstellationen analysierbar werden. Damit gewinnt aber auch die Frage nach der modernen Gesellschaft an Kompliziertheit: die Grenzen des Sozialen ziehen sich quer durch die Trias Mensch – Tier – Maschine und müssen neu vermessen werden. Die Reihe Technik | Körper | Gesellschaft stellt Studien vor, die sich dieser Frage nach den neuen Grenzziehungen und Interaktionsgeflechten des Sozialen annähern. Sie machen dabei den technischen Wandel und die Wirkung hybrider Konstellationen, die Prozesse der Innovation und die Inszenierung der Beziehungen zwischen Technik und Gesellschaft und/oder Körper und Gesellschaft zum Thema und denken soziale Praktiken und die Materialitäten von Techniken und Körpern konsequent zusammen. Die Reihe wird herausgegeben von Gesa Lindemann und Werner Rammert.
Kirstin Lenzen (Dr.), geb. 1972, forschte als Arbeitswissenschaftlerin am Lehrstuhl und Institut für Arbeitswissenschaft (IAW) der RWTH Aachen sowie als Techniksoziologin an den Instituten für Soziologie der RWTH Aachen und der TU Berlin, wo sie bei Werner Rammert promovierte. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Technik- und Innovationssoziologie. Sie arbeitet in selbständiger Tätigkeit als Beraterin und Coach.
Kirstin Lenzen
Die multiple Identität der Technik Eine Innovationsbiographie der Augmented Reality-Technologie
Für Jochen
Zugl.: Berlin, Technische Universität, Diss., 2019 Diese Publikation wurde aus dem Open-Access-Publikationsfonds der Technischen Universität Berlin unterstützt.
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Erschienen 2020 im transcript Verlag, Bielefeld © Kirstin Lenzen Umschlaggestaltung: Maria Arndt nach einem Konzept von Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: rashadashurov / Adobe Stock Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5185-0 PDF-ISBN 978-3-8394-5185-4 https://doi.org/10.14361/9783839451854 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download
Inhalt
Geleitwort .................................................................................... 9 1. Einleitung................................................................................ 17 1.1. Problemaufriss: Die Frage nach der Identität der Technik.............................................. 18 1.2. Aufbau der Arbeit..................................................................................................24 2. Vom ›Wesen der Technik‹ ............................................................... 27 2.1. Die Bestimmung des Technischen – Eine Bestandsaufnahme ......................................... 27 2.2. Das Soziale steckt in der Technik, aber wie kommt es dort wieder heraus? – Von der Idee der Vergegenständlichung zur Widerständigkeit der Dinge..................................... 40 2.3. Zwischenfazit I .................................................................................................... 56 3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung .......... 61 3.1. Facetten einer Identität der Technik ........................................................................ 62 3.2. Zwischenfazit II ................................................................................................... 121 4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5. 4.6.
Die narrative Herstellung technischer Identitäten ......................................125 Eine kurze Geschichte der Narration ....................................................................... 126 Narration – Facetten eines vielseitigen Begriffs ........................................................ 133 Narrationen in der Identitätsforschung – die Narrative Identität ....................................142 Technik erzählen – Narrationen in der Technik- und Innovationsforschung ..................... 159 Konzept einer narrativen Identität der Technik ......................................................... 169 Zwischenfazit III ................................................................................................. 190
5. Fallstudie ...............................................................................195 5.1. Fragestellung, Untersuchungsgegenstand und methodisches Vorgehen ......................... 195 5.2. What’s the story? – Die Geschichte der Augmented Reality-Technologie und ihrer technischen Identität .......................................................................................... 217 5.3. Die Innovationsbiographie der Augmented Reality-Technologie .................................... 286
6. 6.1. 6.2. 6.3.
Zusammenfassende Betrachtungen..................................................... 291 Die Identität der Technik – Knowing that and knowing how ............................................ 291 Lessons Learned – Von der Instandhaltung zum Monsterjäger ...................................... 295 Quo Vadis?......................................................................................................... 299
Literaturverzeichnis ......................................................................... 303 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis .................................................... 339 Danksagung ................................................................................. 341
»Wenn Euer Geist leer ist, ist er stets für alles bereit; er ist offen für alles. Im AnfängerGeist gibt es viele Möglichkeiten, im Geist des Experten nur wenige.« (Suzuki 1999: 23)
Geleitwort
Die Frage nach der Identität von Menschen hat eine lange sozialwissenschaftliche Forschungsgeschichte. Sie hat unter anderem gezeigt: Was alltäglich als einheitliche IchIdentität erlebt wird, ist das Ergebnis der Interaktion mit multiplen identitätsprägenden Instanzen. Was als konstante Identität dargestellt wird, erweist sich als Momentaufnahme in einem wechselhaften Lebenslauf, der in eine kohärente Biographie uminterpretiert wird. Die Frage nach der Identität von Techniken, wie sie in diesem Buch aufgeworfen wird, ist ganz neu und überraschend: Techniken gelten in der Regel als fixierte und funktionierende Sachen, hätten damit per definitionem eine feste Identität. Und wie die Techniken selbst – analog zu den Menschen – im Verlauf ihrer Identitätsentwicklung daran mitwirken könnten, wäre nach geläufigen handlungstheoretischen Konzepten schwer vorstellbar. Sind folglich das Konzept einer »multiplen Identität der Technik« und die Methode einer »Innovationsbiographie« nur eine modische oder metaphorische Redeweise? Oder hat die Verfasserin mit dieser Anlage ihrer Dissertationsschrift einen mutigen und höchst originellen Beitrag zur Technik- und Innovationsforschung geleistet? In diesem Buch unterbreitet Kirstin Lenzen einen Vorschlag, auf welche Weise Identität in Bezug auf Technik analytisch differenziert gefasst werden kann. Hierbei stützt sich die Autorin auf Annahmen zur Identität aus der Biographieforschung. Sie fragt nicht nur, was unter einer Identität von Technik verstanden werden kann, sondern auch mit welchen Mechanismen diese zu Stande kommt, und unter welchen Bedingungen sie aufrechterhalten und angepasst wird. Mit anderen Worten soll in einem Atemzug sowohl die Wandlungsfähigkeit als auch die Kohärenz von Technik untersucht werden. Das gewählte Beispiel der Augmented Reality-Technologie scheint hierfür besonders geeignet und herausfordernd zu sein, da diese kombinierte Künstliche Intelligenz-Technik mehrere Identitätsveränderungen in ihrem jahrzehntelangen Entwicklungsverlauf durchgemacht hat. Ausgegangen ist das Vorhaben der Verfasserin von einer schon viele Jahre zurückliegenden Forschungsfrage, die häufig in interdisziplinären und sozialwissenschaftlich begleitenden Projekten zur Technikentwicklung auftaucht: Was ist das eigentlich für eine Technologie, was macht ihren Kern aus, zumal wenn es sich wie heute meistens
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um eine komplexe aus verschiedenartigen und unterschiedlich konfigurierten Techniken handelt? Selbstverständlich übernimmt man zunächst ihren Namen, auch die Definition und ebenso die Bilder von materiellen Realisierungen und schematischen Darstellungen der Funktionszusammenhänge, wie sie im Projektantrag und auch im Förderprogramm verwendet werden. Man muss aber nach einiger Zeit feststellen, dass die beteiligten Technikwissenschaftler selbst unterschiedliche Definitionen, Domänenlabel und wechselnde Bestimmungen des technischen Kerns haben. Aus dieser Problematik heraus hat die Verfasserin ihre zunächst ungewöhnlich wirkenden Forschungsfragen entwickelt: »Welche Charakteristika« erlauben es allen beteiligten Forscher-, Entwickler-, Nutzer- und Förderer-Personen, »von einer Technologie mit gleicher Identität auszugehen« und »welche Faktoren im Einzelnen« sind daran beteiligt, wie spielen sie zusammen und welche Rolle spielt die Technik selbst in diesem Prozess, um über den zeitlichen Verlauf gleichzeitig »flexibel genug für unterschiedliche Einsatzbereiche sowie stabil genug für eine kontinuierliche Entwicklung zu sein?« Damit hat die Verfasserin eine ganz neue Forschungsfrage aufgeworfen, die vielleicht mit dem Aufkommen der Hochtechnologien und ihrer Erforschung schon in der Luft lag, aber von ihr hier ausdrücklich zum Thema der Technik- und Innovationsforschung gemacht worden ist. In der Einleitung begründet die Autorin die Relevanz des Problems damit, dass moderne Hochtechnologien – wie auch die von ihr als Fall ausgewählte »Augmented Reality-Technologie« – durch zwei Merkmale gekennzeichnet sind: einen überaus komplexen Innovationsverlauf und eine äußerst unsichere Identität. Bei der diagnostizierten Komplizierung der Innovationsverläufe, wie sie durch vermehrte Akteure, heterogene Orientierungen und reflexives Wissen hervorgerufen werden, beruft sie sich auf die Arbeiten von Van de Ven, Garud, Carnoe, van Lente, Rip und Rammert, die seit Ende des 20. Jahrhunderts markante Veränderungen bei der Entwicklung neuer Technologien feststellen. »Heterogene Kooperation«, »Individualisierung von Innovationsverläufen« und »reflexives Innovationsregime« sind die Stichworte. Das Problem der unsicheren Identität kommt bei diesen Hochtechnologien verstärkt und mehrfach auf, weil im Zuge ihrer Entwicklung stoffliche Formen, technische Konfigurationen, Spannbreiten von individueller Deutung und vorherrschende Nutzungspraktiken immer wieder je nach Zeit und Ort oder auch gleichzeitig wechseln können, so dass von keiner dauerhaften und selbstverständlichen Kernidentität mehr ausgegangen werden kann. Vor diesem Hintergrund wird die theoretische und praktische Relevanz des Vorhabens deutlich und verständlich, nämlich danach zu fragen, »auf welche Weise ›Identität‹ in Bezug auf Technik analytisch differenzierter gefasst und methodisch zugänglich gemacht werden kann«. Die Verfasserin fokussiert noch genauer auf die Frage, »mit Hilfe welcher Mechanismen, sie (die Identität, d.V.) überhaupt erst zustande kommt, unter neuen Bedingungen aufrechterhalten wird und wie sich angesichts der Ausbildung ›multipler Identitäten‹ sowie individueller Deutungs- und Nutzungspraktiken eine Art Kohärenz der Technik sicherstellen lässt, die es Forschern und Anwendern ermöglicht, sich dem Feld einer Technologie zugehörig zu fühlen und darauf in ihrem Handeln zu beziehen.« Im zweiten Kapitel werden zunächst techniksoziologische, aber auch technikhistorische und technikphilosophische Ansätze daraufhin untersucht, welche allgemeinen An-
Geleitwort
haltspunkte sie für die Bestimmung der spezifischen Identität einer Technologie bieten. Hierbei konzentriert sich die Auseinandersetzung auf drei Spuren, nämlich die begriffliche Fassung von Technik, ihrer Materialbasis sowie ihr sogenanntes Wesen. Insbesondere die Frage nach dem Wesen der Technik führt in philosophische Vorstellungen hinein, die bedeuten, dass Technik weit mehr als die Summe von Einzelteilen ist. Es geht mithin um ein relationales Verständnis von Technik, indem bestimmte Elemente in einem Schema wiederholt werden und erwartbare Wirkungen oder Leistungen zeigen. Anschließend werden die besonderen Ansätze der technik- und innovationssoziologischen Forschung, die sich mit der sozialen Konstitution, Genese, praktischen Verwendung und Handlungsträgerschaft von Techniken befassen, auf Ansatzpunkte und Schwachstellen im Hinblick auf ein weiterführendes Konzept der Identität diskutiert. Beeindruckend ist die Gründlichkeit der Aufarbeitung des jeweiligen Standes der Diskussion. Das gilt sowohl für die Sozialtheorie der Technik, die Innovationsforschung als auch für die Bedeutung des Narrativen mit Blick auf die für eine Innovationsbiographie anwendbaren Methoden. Bei der Bestimmung dessen, was der Kern des Technischen ist, nimmt sie die wichtigsten Ansätze knapp, aber klar referierend auf. Das sind u.a die Vergegenständlichungsperspektive (Linde), der Sozialkonstruktivismus, die Praxistheorie, die Akteur-Netzwerk-Theorie und der pragmatistische Ansatz verteilten Handelns. Bei aller Heterogenität der Ansätze hält die Verfasserin die wichtigsten Aspekte jeweils fest und zeigt nüchtern die blinden Flecken und offenen Fragen. Dies befähigt die Autorin dann im dritten Kapitel, sich mit den Facetten einer Identität der Technik zu beschäftigen. Sie prüft verschiedene Identitätskonzepte von George H. Mead über M. Michael bis hin zu Anwendungen in der Technikgenese- und Innovationsforschung auf ihre Beiträge zur Entwicklung und Aushandlung von Identitäten hin. Sie verfolgt dabei die originelle grundlegende Idee, Erkenntnisse und Methoden aus der Identitäts- und Sozialisationsforschung zu Lebenslauf und Biographie von Menschen auf diejenige von Techniken zu übertragen. Mit klaren Thesen gelingt es ihr hier, einige Pflöcke im Neuland der Innovationsbiographieforschung einzuschlagen, etwa mit Bestimmungen von Technik als »sozialer Identität« und zugleich »materiell-konzeptueller Identität«, und mit der Unterscheidung zwischen »technischem Körper« und »Identität« der Technik«. Die vorher sorgfältig geprüften Faktoren und Ansatzpunkte werden hier zu einem eigenständigen differenzierten Konzept ›multipler Identität‹ zusammengeführt. Dabei werden – bei aller kritischen Reflexion der Unterschiede menschlicher und technischer Identität – die Ansätze der soziologischen Identitäts-, Biographie- und Lebenslaufforschung konstruktiv einbezogen. Die Identität der Technik – so die starke These – wird als symbolische Struktur verstanden, die in Aushandlungs- bzw. Anpassungsprozessen zwischen den beteiligten Akteuren und der Technik selbst konstituiert wird und fortlaufender Aktualisierung bedarf. Dabei ist die konsequent prozessuale Sicht auf die viel- und wechselseitige Identitätsentwickung hervorzuheben. Hier schöpft die Autorin aus dem Repertoire der menschlichen Identitäts- und Biographieforschung – wohl prüfend und nicht blind analogisierend –, wenn sie von »Identitätsarbeit« und »Identitätsprojekten« spricht und es auf die technischen Lebensläufe überträgt. Im Kern wird festgehalten, technische Identität im Grundmodus des Relationalen zu sehen, d.h. Kontinuität und Entwicklung sowie Verschiedenheit und Ähnlichkeit
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müssen zueinander in Beziehung gebracht werden. Dies geschieht, indem die Technik sowohl eine Kernidentität, als auch Teil-Identitäten ausbildet. Die technische Identitätsarbeit beansprucht nicht zuletzt, Visionen und Realität in Übereinkunft zu bringen, was unter anderem über Identitätsprojekte gelingt, mit denen bestimmte Bedeutungen einer Bewährung ausgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund lassen sich neben der Differenzierung von Kern- und Teilidentitäten auch die Identitätsrelevanz des Körpers und des Namens, die Praktiken der Herstellung von Kontinuität und Kohärenz und die Konzepte der Identitätsarbeit und des Identitätsprojekts auf die Analyse von Innovationsbiographien übertragen. Im vierten Kapitel werden die narrative Herstellung technischer Identitäten und die methodischen Probleme grundlegend diskutiert: Wie kann man die Herstellung technischer Identitäten und die Bedeutung der jeweiligen Faktoren und Konstellationen empirisch feststellen und rekonstruieren? Die Verfasserin führt mit solider Kenntnis und sprachlicher Klarheit in die Narrationsforschung ein. Auch für nicht speziell mit den Methoden der Objektive Hermeneutik, der dokumentarischen Methode und des narrativen Interviews vertraute Forscher hat sie diese in ihren Möglichkeiten und Grenzen deutlich nachvollziehbar dargestellt und ihr eigenes Vorgehen in der Fallstudie überzeugend begründet. Besonders erhellend und weiterführend treten dabei die poststrukturalistischen Deutungen von Handlung als Text und das Konzept der »narrativen Identität« (Ricoeur) hervor, ebenso die Referenz auf ein erweitertes Narrationsverständnis als »Praktiken« (Reckwitz; Czarniawska; Deuten/Rip). Mit den beiden sich ergänzenden Konzepten »doing identity« und »Identitätszuweisung durch Positionierung« argumentiert sie überzeugend und in stimmiger Fortsetzung der Argumentationslinie aus den beiden vorhergehenden Kapitel für die Möglichkeit einer empirischen Identitätsforschung, die sich auch auf Identitätsbildungen in der Technikentwicklung übertragen lässt. Wie »Technik erzählen« genau vor sich gehen kann, dazu wertet die Verfasserin wiederum breit und wohl informiert die wenigen vorhandenen Studien und Ansätze in der Technik-, Innovations-, Wissenschafts- und der Organisationsforschung aus. Ausgehend von einem erweiterten Narrations-Ansatz, dem »narrativem Interview« nach Schütze und unter Hinzuziehung der Positioning Theory wird ein höchst origineller Zugang zur Erschließung von Innovationsbiographien entwickelt. Dabei überträgt sie nicht einfach im Analogie-Verfahren die Konzepte vom Menschen auf die Technik, sondern prüft Schritt für Schritt jeweils, was sich als übertragbar erweist oder was auf eine andere Weise übersetzt werden muss. Der Biographieforschung wird entlehnt, dass Erzählungen als Kommunikationsprozesse verstanden werden. Durch sie werden Identitäten nicht nur dargestellt, sondern auch mit der Umwelt ausgehandelt. Nach dem Ansatz des Positioning wird vor allem wichtig, als sozial bestimmbare Person wahrgenommen zu werden, wodurch auch anderen Interaktionsteilnehmern ein Status zugeschrieben wird. Dies vollzieht sich auch über Teil-Identitäten, so dass die ausgehandelten Identitäten letztlich keineswegs starr sind. Schließlich wird auch auf methodische Aspekte der Narrationsanalyse am Beispiel des narrativen Interviews nach Schütze eingegangen, um dann auf den Einsatz der Narrations- und Erzählforschung in der Technikforschung überzuleiten.
Geleitwort
Die originellen Prüf- und theoretischen Integrationsleistungen gipfeln im Zwischenfazit II in der Aussage: »Die Identität der Technik wird in diesem Zusammenhang als eine narrativ hergestellte symbolische Struktur begriffen, wobei Narrationen nicht nur den Inhalt der technischen Identitäten abbilden, sondern zugleich den modus operandi ihrer Herstellung darstellen und somit überhaupt erst den empirischen und methodischen Zugang zur Analyse der Herstellung von Identität im Allgemeinen sowie technischer Identität im Besonderen ermöglichen«. Mit der Fallstudie zur »Augmented Reality-Technologie« wird dann im fünften Kapitel die »innovationsbiographische Identitätsrekonstruktion« vorgeführt, wie sie bisher als Forschungsansatz explizit entwickelt und dann auf das empirische Material übertragen worden ist. Das im Theorieteil erarbeitete Rüstzeug wird nun einer Bewährungsprobe unterzogen: das neue theoretische Konzept der narrativen Identität und die weiter ausgearbeitete Methode der Innovationsbiographie werden auf die vielfach verschlungenen Pfade einer jahrzehntelangen Auf- und Ab- und Um-Entwicklung der Virtual und der Augmented Reality angewendet. Methodisch stützt sich die Autorin dabei auf das narrative Interview nach Schütze, das kreativ für den Untersuchungsgegenstand der Identität der AR-Technologie adaptiert und modifiziert wurde. Zusätzlich kam neben Leitfadeninterviews mit Experten eine narrative Analyse von umfangreichen Dokumenten auf der nationalen und europäischen Projektebene zum Einsatz, an der Lenzen als sozialwissenschaftliche Mitarbeiterin selbst beteiligt war. Diese umfasste darüber hinaus auf der Ebene des Gesamtfeldes Experten sowie Dokumente von Förder-, Beratungs- und Wirtschaftsinstitutionen und bezog auch die internationalen Entwicklungen vor allem in den USA mit ein. Das Kapitel besticht durch die ausführliche Darlegung der einzelnen methodischen Schritte und die Anpassung der Methoden an den Gegenstand. Hierbei wird zum einen die breite und tiefe Kenntnis des Untersuchungsfeldes, sowie ebenfalls die hervorragende Sichtung methodischer Zugänge vorgeführt, die unter anderem beinhalten, dass eine der seltenen Narrationsanalyse von Organisationen (Holtgrewe) gekannt und genutzt wird. Durch die Paarung von narrativen Interviews und Experteninterviews wird zum einen ein erweiterter Rahmen für Erzählungen zu AR-Techniken geschaffen, zum anderen wird die Positionierung von Experten im Feld relevant gemacht. Zum dritten werden über die Narrationsanalyse von Dokumenten auch schriftliche Belege von Teil-Identitäten genutzt. Durch diese geschickte Kombination kann sowohl auf Vorläufergeschichten mit der Technik als auch auf bestimmte Entwicklungsphasen eingegangen werden. Frühe Visionen der Technik werden ebenso gekennzeichnet, wie spätere Ernüchterung. Nachgezeichnet wird der Verlauf der AR-Technologie unter Berücksichtigung ihrer Identitäts-Konstitutionen, wobei die Autorin ebenso Forschungsprojekte, wie auch Konferenzen zur Technik berücksichtigen kann. Sodann werden Hindernisse in Anwendungsfeldern beschrieben sowie insgesamt herausgearbeitet, dass sich die Erwartungen in einem Wandlungsprozess befinden. Schließlich wird auch auf solche Anwendungsfelder eingegangen, die die Frage aufwerfen, ob es sich überhaupt noch um die besagte Technologie handelt. Mit entsprechenden grafischen Darstellungen wird gleichsam die Wanderung der Identitätskonstruktion durch verschiedene Themenfelder sinnbildlich gemacht, so dass schließlich auch die Vorstellung einer Innovationsbiographie plastisch wird.
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Im Schlusskapitel denkt die Verfasserin darüber nach, inwieweit mit dem von ihr kundig und kreativ entwickelten theoretischen und methodischen Ansatz nicht nur in diesem Fall neue Erkenntnisse gewonnen werden konnten, sondern er sich mit Blick auf eine breiter vergleichenden Analyse von Innovationsbiographien auf zukünftigen hochtechnologischen Felder dafür eignet, diese für unsere Innovationsgesellschaft charakteristischen Entwicklungen theoretisch angemessener zu begreifen und in diese verteilten Prozesse praktisch förderlicher einzugreifen. Auffällig wäre vielleicht das ungleiche Verhältnis von 3 Kapiteln zu Theorien, Forschungsstand und Methodik im Verhältnis zur kurzen Fallrekonstruktion, nach dem Motto: Viel Vorwand und Aufwand für eine einzelne empirische Studie! Aber diese Kritik würde den besonderen Charakter dieser Pionierarbeit verkennen. Es geht gerade darum, theoretische Ansätze und verschiedene Forschungsfelder für dieses neuartige, riskante und originelle Vorgehen gründlich zu durchdenken und zu prüfen, inwieweit sich Hinweise, gute Gründe und gangbare Wege auf mehr als eine nur metaphorische Verwendung des Identitätsbegriffs und der Innovationsbiographie finden lassen. Die Fallstudie war dafür beides zugleich: Ausgangspunkt und Experimentierfeld für die grundlegenden Überlegungen. Kritisieren könnte man auch die vielleicht zu allgemein ansetzende Diskussion etwa des »Technischen« oder des »Narrativen«. Allerdings gelingt es der Verfasserin in beiden Fällen überzeugend, mit wenigen, aber durch qualitativ hochwertige Referenztexte oder Referenzautoren belegten Schritten, die Darstellung und Diskussion auf ihr jeweiliges Vorhaben zu fokussieren. Dabei erstaunt nicht nur die sprachliche Klarheit des textlichen Umgangs, sondern auch die Umsicht bei der korrekten und fairen Wiedergabe der Positionen und Argumente. Betrachtet man die Arbeit im Kontext der technik- und innovationssoziologischen Forschung, so gibt es zwar als Vorläufer die vielen technikgenetischen Fallstudien zum Entstehungs- und Verwendungszusammenhang von Einzeltechniken, wie Fahrrad, Dieselmotor, Telefon und PC, bis hin zu komplexen Energie-, Mobilitäts-, Künstliche Intelligenz- und Biotechnologien. In ihnen wurden schon verschiedene prägende Faktoren und Konstellationen für die abschließende Gestalt einer Technik entdeckt. Die Frage nach der Identität einer Technik wurde jedoch nie so explizit gestellt. Auch sind die vielen Verlaufsstudien zu verschiedensten Technologien in der Innovationsforschung, die mit Phasen-, Pfad-, kreativ abweichenden und rekursiven Lernkonzepten die jeweiligen Entwicklungen zu erklären suchen, als Ideengeber zu erwähnen. Es zählten entweder standardisierte Innovationsverläufe in nationalen Innovationssystemen oder historische Individualfälle spezifischer Konstellationen. Auch wenn bei den letzteren Fällen öfter schon mal von Innovationsbiographien gesprochen wurde, ist dabei die Analogie zur Identitätsentwicklung von Menschen nicht wirklich erkannt und weiterverfolgt worden. Die Idee dazu, Innovationsbiographien über die institutionalisierten Bedingungen der Innovationsverläufe hinaus intensiv und vergleichend nach dem Vorbild der sozialwissenschaftlichen Biographie- und Lebenslaufforschung zu erforschen, gab es schon seit Ende der 1990er Jahre; aber das Vorhaben mit all seinen Risiken ernsthaft aufgegriffen, systematisch ausgearbeitet und am empirischen Fall ausprobiert zu haben, das macht die einzigartige Leistung dieser Dissertation aus.
Geleitwort
Es ist der Verfasserin Kirstin Lenzen wie bisher noch niemandem wirklich gelungen, die Möglichkeit aufzuzeigen, ein originelles theoretisches Konzept dafür zu entwickeln und auch einen Methodenweg durchzuspielen, mit dem die »multiple Identität« von Techniken im Verlaufe ihrer Entwicklung rekonstruiert und das mithilfe einer nicht nur metaphorischen oder analogen »Innovationsbiographie« durchgeführt werden kann. Daher wünschen wir diesem Buch viele neugierige LeserInnen und kritisch nachvollziehende ForscherInnen. Werner Rammert Thomas Brüsemeister
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1. Einleitung Hochtechnologien, Innovationsbiographien und technische Identitäten
Als mehrere Massenmedien am 18. April 2017 berichten, Facebook-Chef Mark Zuckerberg wolle künftig verstärkt in Augmented Reality (AR) investieren, scheint es sich hierbei um eine völlig gewöhnliche Meldung zu handeln. Bei genauerer Betrachtung ist diese Meldung jedoch alles andere als selbstverständlich, denn erstens konnte die Öffentlichkeit bis vor kurzem mit dem Begriff Augmented Reality nur wenig anfangen, zweitens scheuten viele Unternehmer in den letzten Jahren Investitionen in diese neue Technologie und drittens berichteten lange Zeit lediglich Fachmagazine über ihre Existenz. Als moderne Hochtechnologie weist Augmented Reality nämlich gleich zwei Besonderheiten auf: Erstens einen überaus komplexen Innovationsverlauf und zweitens eine äußerst unsichere Identität. Diese beiden Faktoren – so die Grundannahme dieser Arbeit – haben die Entwicklung der AR-Technologie entscheidend geprägt. Während die mit der Komplexität von Innovationsverläufen einhergehenden Veränderungen in der Innovationsforschung mittlerweile eine breite Beachtung gefunden haben (vgl. beispielsweise Garud/Karnøe 2001b; Rammert 1997, 2000a+b; Van de Ven/Poole 1995; Van de Ven et al. 1999), scheint die Frage nach der Identität einer Technik bislang weitgehend offen zu sein. Zwar finden in der techniksoziologischen Literatur auch technische Identitäten, welche sich entweder im Rahmen der Entwicklung oder Anwendung der Technik herauskristallisieren bzw. über die Zeit verändern, insbesondere im Zusammenhang mit Hochtechnologien eine immer stärkere Beachtung. Häufig ist jedoch nicht wirklich klar, was mit ›Identität‹ eigentlich gemeint ist. Stattdessen hat es den Anschein, als ob der Begriff ›Identität der Technik‹ in der Literatur eher intuitiv und metaphorisch verwendet und insbesondere auf Technologien bezogen wird, bei denen sich »die Optionen vervielfältigen und die Erwartbarkeit verringert« (Rammert 2000b: 185). Die vorliegende Arbeit schließt an diese Debatte an und greift die Frage auf, wie sich das Konzept einer Identität der Technik theoretisch fassen lässt, d.h. was unter einer technischen Identität verstanden wird, welche Funktion sie erfüllt und auf welche Weise sie konkret hergestellt wird. Im Zuge dessen wird der in diesem Zusammen-
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Die multiple Identität der Technik
hang ebenfalls häufig metaphorisch verwendete Begriff der Innovationsbiographie präzisiert. Im Anschluss an die theoretische Konzeption einer Identität der Technik sowie der Beschreibung ihrer Herstellungsmechanismen werden die Überlegungen im Rahmen einer Fallstudie auf die Praxis bezogen und hinsichtlich ihres Anwendungsbezuges überprüft. In diesem Zusammenhang stellt die AR-Technologie als Querschnittstechnologie mit ihren vielfältigen Anwendungs- und Realisierungsmöglichkeiten sowie den zahlreichen Entwicklungssträngen ein besonders instruktives Beispiel dar, um Prozesse der Identitätsbildung zu untersuchen.1
1.1.
Problemaufriss: Die Frage nach der Identität der Technik
Augmented Reality lässt sich mit ›erweiterter Realität‹ übersetzen und wird gelegentlich als Variante virtueller Umgebungen, der sogenannten Virtual Reality (VR), verstanden (vgl. Azuma 1997: 355). Während der Anwender im Rahmen von Virtual Reality jedoch völlig in die virtuelle Welt ›eintaucht‹ (immersion) und die reale Welt um sich herum nicht gleichzeitig wahrnehmen kann, erlauben AR-Technologien dem Anwender, die reale Welt wahrzunehmen und zur gleichen Zeit kontextabhängig virtuelle Informationen – beispielsweise durch Einblendung in eine Datenbrille – zu erhalten. In ihrer ursprünglichen Variante gelten neben der Kombination realer und virtueller Umgebungen speziell die Mensch-Maschine-Interaktion in Echtzeit sowie die dreidimensionale Darstellung eingeblendeter Informationen für die AR-Technologie als charakteristisch (Azuma 1997: 356). Gekennzeichnet ist die Entwicklung der AR-Technologie durch vielfältige Forschungsund Entwicklungsstränge, die zumeist von großen, heterogenen Kooperationsprojekten getragen werden. Rammert beschreibt entsprechende Innovationsverläufe – gewissermaßen analog zu Prozessen der Individualisierung und reflexiven Modernisierung (vgl. Beck 1996) – als »reflexive Innovationen« (vgl. hier und im Folgenden Rammert 2000b: 157ff.). ›Reflexiv‹ werden Innovationen u.a. in dem Sinne, dass ihre traditionelle Einbettung in gewohnte wissenschaftliche und wirtschaftliche Kontexte nicht länger vorgezeichnet ist, sondern zunehmend zur Disposition steht und neu verhandelt werden muss. Diese ›Individualisierung‹ von Innovationsverläufen – Rammert spricht auch von veränderten ›Innovationsbiographien‹ (vgl. u.a. Rammert 2000a) – hat auf institutioneller Ebene u.a. eine Aufweichung von Grenzen der Wissensproduktion sowie zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung zur Folge, während sie auf der Ebene individueller Innovationsverläufe zu einer beschleunigten Entstehung von Technikgenerationen, der Individualisierung etablierter Innovationspfade sowie einer Pluralität technischer Identitäten führt. Bestimmten lange Zeit »risikofreudige Erfinder-Unternehmer« (Rammert 1997: 412), Wissenschaftler, staatliche Akteure oder Konzerne Entstehung und Verlauf neuer Innovationen, so sind Entwicklungen moderner Hochtechnologien wie der AR-Technologie durch eine Vielzahl beteiligter Akteure sowie Entwicklungspfade mit Brüchen und »Zick-Zack-Verläufen« (Rammert 1
In diese Einleitung sind Teile eines Arbeitspapiers zu dem vorliegenden Forschungsvorhaben eingeflossen, das an der TU Berlin als Workingpaper veröffentlicht wurde (vgl. Lenzen 2007).
1. Einleitung
1997: 412) gekennzeichnet. Auch wenn im Verlauf der Entwicklung der AR-Technologie immer wieder verschiedene Geschichten erzählt werden, wer als Begründer dieser Technologie gilt und diese Geschichten für die Identität der Technologie eine wichtige Funktion erfüllen, kann ihre Erfindung weder auf eine Persönlichkeit noch auf eine Institution zurück geführt oder gar von einem linearen Verlauf gesprochen werden. Zwar stellen im Laufe ihrer Geschichte unterschiedliche als ›Türhüter‹ (gatekeeper) und Fürsprecher (spokesperson) fungierende Akteure »ein wichtiges Moment bei der Gestaltung und Durchsetzung neuer Techniken« (Rammert 2000b: 175) dar, jedoch sind sie Teil eines heterogenen Innovationsregimes mit einer Vielzahl von Beteiligten aus Grundlagen- und angewandter Forschung, die zum Teil in Kooperationsprojekten miteinander verbunden oder aber über den Innovationsprozess verteilt und nur »fluidly« (Van de Ven et al. 1999: 13) durch Publikationen sowie die Teilnahme an Konferenzen koordiniert sind. Aus der Heterogenität dieses Innovationsregimes resultiert eine Vielzahl non-linearer, dynamischer Entwicklungsstränge, die an unterschiedlichen Orten ihren Ausgang haben. Augmented Reality zeichnet sich jedoch nicht nur durch einen reflexiven und individualisierten Innovationsverlauf aus, sondern vor allem auch durch eine äußerst unsichere Identität. In der techniksoziologischen Literatur wird der auf Technik bezogene Identitätsbegriff dabei sehr unterschiedlich verwendet. So verweist das Konzept einer Identität der Technik entweder auf individuelle Nutzungspraktiken oder aber auf die Materialität der Technik sowie ihre Anwendungsfelder im Zuge der technischen Entwicklung. Entsprechend zeichnet beispielsweise Kopytoff aus einer kulturalistischen Perspektive anhand von Konsumgütern nach, wie deren Identität durch diverse Klassifizierungsund Reklassifizierungsprozesse in der Nutzung verändert und neu konstituiert wird (vgl. Kopytoff 1996: 90). Auch Hörning verweist aus einer praxistheoretischen Perspektive darauf, dass Dinge in der praktischen Verwendung durch diverse Nutzer ihre »ursprünglich angelegte Identität« (Hörning 2001: 72) keineswegs behalten, sondern – wie beispielsweise der Wandel des Computers vom Arbeitsgerät zur Erfassung roßer Datenmengen über ein Multimdialgerät hin zum ›Internet der Dinge‹ zeigt – immer wieder »neu und anders ›in Form‹ gebracht [werden]« (Hörning 2001: 107f.), so dass am Ende die Identifikation ihrer ›Kern-Identität‹ nicht mehr möglich scheint. Auf der Seite technischer Entwicklungen hingegen geht es um die Frage, ob die Technologie im Zuge des Innovationsprozesses eine ›generische Identität‹, die auch über verschiedene Anwendungsfälle hinweg stabil bleibt, erhält (vgl. Fleck 1993; Peine 2006) oder eher eine »schillernde bis ungesicherte Identität« (Barben 1997: 22) besitzt. Technologien mit einer generischen Identität – wie beispielsweise generische Systeme – sind charakterisiert durch die »existence of explicit system standards specifiying functions and performance, and by the existence of markets for the generic technology systems and standard system elements« (Fleck 1993: 17f.). Demgegenüber haben Technologien ohne »clear sense of generic identity« (Fleck 1993: 17f.) häufig keine einheitlichen und stabilen technischen Artefakte als Grundlage, sondern weisen vielfältige Realisierungsmöglichkeiten auf bzw. bestehen wie beispielsweise die Biotechnologie aus einem »Bündel neuer molekular- und zellbiologischer Methoden« (Dolata 2003: 97), die zudem noch in verschiedenen Kontexten Anwendung finden, weshalb sie sich auch als ›patch-workidentity‹ bezeichnen lassen.
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Die Verwendung des Identitätsbegriffs bezieht sich also auf Technologien, die sich einer eindeutigen Klassifizierung entziehen. Hierbei handelt es sich erstens um Technologien, die keine eindeutig identifizierbare stoffliche Form haben, sondern durch unterschiedliche technologische Konfigurationen realisierbar sind, ohne dass zuvor feststeht, welche davon die beste Lösung darstellt. Zweitens sind damit Technologien angesprochen, die sich auf kein einheitliches Anwendungsfeld beziehen, sondern sich durch eine »anhaltende technische Dynamik, Zweckoffenheit und vielseitige Verwendbarkeit« (Dolata/Werle 2007a: 35) auszeichnen. Aus diesen Mehrdeutigkeiten in Entwickung und Konzeption der Technologie resultiert drittens auch auf individueller Ebene eine große Spannbreite für unterschiedliche (Um-)Deutungen sowie Nutzungspraktiken im konkreten Umgang mit der Technologie. Die Entwicklung dieser Technologie erfolgt viertens – wie das Beispiel der Biotechnologie, aber auch der eingangs beschriebenen ARTechnologie verdeutlicht – »nicht nur in den unterschiedlichen Bereichen, sondern auch in den verschiedenen Dimensionen auf bemerkenswerte Weise ungleichzeitig und ungleichmäßig« (Barben 1997: 17). Hierbei handelt es sich um Eigenschaften, die häufig auf komplexe Hoch- und insbesondere Querschnittstechnologien wie Bio- und Nanotechnologie, aber auch auf Teile der I&K-Technologie zutreffen. In diesen Fällen scheint das Problem einer einigermaßen stabilen Bedeutungskonstitution aufgrund ihrer Heterogenität besonders gravierend zu sein. So verbergen sich beispielsweise hinter dem Begriff Augmented Reality verschiedene technologische Konfigurationen, deren Ziel in der Erweiterung der Realität durch eine flexible und positionsgenaue Anreicherung mit virtuellen Informationen liegt. Abgesehen von der visuellen Überlagerung – die zurzeit die mit Abstand am häufigsten realisierte AR-Variante darstellt – sind auch andere Formen wie beispielsweise akustische, haptische, taktile und olfaktorische Umsetzungen denkbar (vgl. Azuma 2001: 34; Milgram/Kishino 1994: 6). Als typische Querschnittstechnologie lassen sich für die AR-Technologie darüber hinaus zahlreiche Anwendungsfelder kontestieren. Zu den von Azuma im Jahr 1997 unterschiedenen sechs Klassen möglicher AR-Anwendungen – nämlich Medizin, Wartung, Instandhaltung, Kommentierung, Robotik, Unterhaltung und Militär (vgl. Azuma 1997: 356) – sind mittlerweile ein Vielfaches an weiteren Nutzerkontexten wie beispielsweise Konsum, Architektur, Wissenschaft (z.B. Archäologie und Geographie), Outdoor und vor allem die Anwendungen in der Spieleindustrie hinzugekommen. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die materielle Realisierung der AR-Technologie ebenfalls eine große Spannbreite aufweist, denn hier handelt es sich wie bei den meisten Hochtechnologien nicht »um eine einzelne Technologie, sondern um ein komplexes Geflecht […] von vielen verschiedenen Techniken […], die auf einen Zweck hin kombiniert werden« (Rammert 2000: 42). Zwar ist an diesen technologischen Konfigurationen eine Vielzahl einzelner technischer Elemente beteiligt, unterschieden werden sie jedoch vor allem hinsichtlich des Ausgabemediums, auf welchem die virtuellen Elemente in die reale Bildszene eingeblendet werden. Neben unterschiedlichen Datenbrillen werden derzeit vor allem Smartphones und Tablet-PCs als Ausgabemedien genutzt. Geforscht wird darüber hinaus an SpiegelLösungen, in welche virtuelle Informationen eingeblendet werden. Obwohl weder die technologischen Konfigurationen viel gemeinsam haben, noch der Anwendungsbezug identisch ist, handelt es sich in allen genannten Fällen um Augmented Reality.
1. Einleitung
Es stellt sich die Frage, welche Charakteristika es sowohl Forschern und Entwicklern als auch Nutzern ermöglichen, in den genannten Fällen von einer Technologie mit gleicher Identität auszugehen. Oder anders formuliert: Was verleiht dieser Technologie über ihren Verlauf (ihre Biographie) hinweg eine Wiedererkennbarkeit als eben dieser Technologie? Diese Überlegungen sind keineswegs nur von theoretisch-konzeptionellem Interesse, sondern auch in praktischer Hinsicht für den Innovationsverlauf dieser Technologie von hoher Relevanz. Für die Entwicklung einer Technologie ist die Beantwortung der Frage, wie und um welchen Forschungsgegenstand sich die relevanten Akteure in Entwicklung und Verlauf der Technologie eigentlich koordinieren, durchaus folgenreich: Worin besteht der Kern dieser Technologie und was lässt sie angesichts ihrer vielfältigen Gestaltungs- und Verwendungsformen sowie ihres heterogenen und häufig asynchronen Innovationsverlaufs dennoch über die unterschiedlichen Anwendungsbereiche sowie die Zeit hinweg stabil als die gleiche Technologie erscheinen, so dass sich mehr oder minder stabile Innovationsnetzwerke um diese Technologie herum bilden und Forschungs- und Entwicklungsgelder akquiriert werden können? Und wie gelingt es dieser Technologie, gleichzeitig flexibel genug für unterschiedliche Einsatzbereiche sowie stabil genug für eine kontinuierliche Entwicklung zu sein? Die zuvor genannten Ansätze gehen zum großen Teil davon aus, dass Anwendungskontext, materielle Realisierung, individuelle Nutzung sowie die Art des Innovationsverlaufs die entscheidenden Faktoren zur Bestimmung einer technischen Identität darstellen. Lassen sich Technologien nicht darüber bestimmen, gilt ihre Identität als unsicher und brüchig. Zu prüfen ist, inwiefern diese Faktoren tatsächlich in der Lage sind, die Identität einer Technik zu konstituieren: Es darf angenommen werden, dass selbst ein einfaches Artefakt wie ein Stuhl bei vergleichbarer Form und Materialbasis sowie gleichem Anwendungsbereich sowohl für Hersteller und Entwickler als auch Nutzer recht unterschiedliche Identitäten besitzen kann, wie die Stühle »Leifarne« aus dem aktuellen IKEA-Sortiment2 sowie der legendäre Designklassiker ›LC1‹ von Le Corbusier3 – beides als Sitzmöbel genutze Armlehnstühle für den Wohnbereich – eindrucksvoll beweisen. Vor diesem Hintergrund scheinen Zweifel berechtigt, ob stoffliche Basis, Anwendungsbezug oder individuelle Nutzung in der Lage sind, das Kohärente und über die Zeit Stabile dieser Technologie hinreichend zu erklären. Stattdessen ist bereits bei einfachen Artefakten, ganz sicher aber bei Hochtechnologien zu vermuten, dass sich die Konstitution ihrer Identität umfassender gestaltet, als in der Literatur zunächst angenommen. Im Rahmen dieser Arbeit wird ein Vorschlag erarbeitet, auf welche Weise ›Identität‹ in Bezug auf Technik analytisch differenzierter gefasst und methodisch zugänglich gemacht werden kann. Zu klären ist, welche Faktoren im Einzelnen beteiligt sind, wie diese Faktoren zusammenspielen und welche Rolle die Technik selbst in diesem Prozess spielt. Zurückgegriffen wird dabei auf Annahmen aus der Identitäts- und Biographieforschung, und es wird untersucht, was sich hieraus lernen und auf die Erforschung der Identität der Technik übertragen lässt. In diesem Zusammenhang geht es nicht nur um die Frage, was unter der Identität einer Technik verstanden werden kann, sondern 2 3
URL: www.ikea.com/de/de/catalog/products/S39127809/; Zugriff: 10.05.17 URL: https://www.cassina.com/de/kollektionen/sofas-und-sessel/lc1-uam; Zugriff: 07.06.17
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auch wie, d.h. mit Hilfe welcher Mechanismen, sie überhaupt erst zustande kommt, unter neuen Bedingungen aufrechterhalten wird und wie sich angesichts der Ausbildung ›multipler Identitäten‹ sowie individueller Deutungs- und Nutzungspraktiken eine Art Kohärenz der Technik sicherstellen lässt, die es Forschern und Anwendern ermöglicht, sich dem Feld einer Technologie zugehörig zu fühlen und darauf in ihrem Handeln zu beziehen. Es wird argumentiert, dass es sich bei der Identität der Technik um eine primär narrativ hergestellte, symbolische Struktur handelt, die nicht nur auf Deutungszuschreibungen und Nutzungspraktiken basiert, sondern an deren fortwährender Aushandlung sowohl Akteure als auch die Technik selbst in ihrer Materialität gleichermaßen beteiligt sind. Konstitutiert wird diese Struktur im Zuge gemeinsamer Narrative, in welche Mensch und Technik verbal sowie nonverbal involviert sind. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Konzept der Positionierung als diskursive Praxis zu, das sowohl in die Identitäts- als auch die Technikforschung Eingang gefunden hat. Mit Hilfe der in den Narrationen enthaltenen Selbst- und Fremdpositionierungen bringen die Beteiligten zum Ausdruck, wie sie sich selbst und andere (u.a. eben auch die Technik) sehen bzw. welche Positionierungen sie bereit sind zu akzeptieren und welche sie ablehnen. Ausgehend von einem weit gefassten, sowohl Handlungen als auch nicht-menschliche Akteure als narratives Personal einschließenden, performativen Narrationsbegriff wird dabei nicht nur über Technik, sondern mit ihr gesprochen, denn Dank ihrer Eigenaktivität wirkt diese selbst auch aktiv an ihrer Geschichte mit. Die Identität der Technik lässt sich somit im Sinne eines doing identity als Ergebnis einer auf wechselseitigen Positionierungen basierenden, performativen Narrationspraxis verstehen. Bezug nehmend auf die Identitäts- und Biographieforschung (vgl. LuciusHoene/Deppermann 2004a: 10) wird die Innovationsbiographie im Rahmen dieser Arbeit in den Dienst dieser Identitätskonstitution gestellt. Die Idee, den Biographiebegriff auf Artefakte sowie Technik zu übertragen, besteht bereits seit längerem. In den ersten Jahren nutzten vor allem Ethnographen und Anthropologen den Begriff der Biographie, um damit die kulturelle Bedeutungskonstitution unterschiedlicher Artefakte zu beschreiben. So beschrieb der Anthropologe Igor Kopytoff im Jahr 1986 in ›The Cultural biography of things‹, wie Artefakte im Laufe ihrer Geschichte erst durch unterschiedliche Zuschreibungen kulturell als ›Konsumgüter‹ konstituiert werden. Verstanden werden kulturelle Biographien in diesem Zusammenhang als »the story of the various singularizations of it, of classifications and reclassifications in an uncertain world of categories« (Kopytoff 1986: 90). Aus einer ebenfalls ethnographisch geprägten Perspektive zeichnen Doering und Hirschauer in ihrer ›Biographie der Dinge‹ elf Jahre später die »Musealisierung kultureller Artefakte [Hervorheb. getilgt, K.L.]« (Doering/Hirschauer 1997: 268) nach und beschreiben, welche Stationen Artefakte – beginnend bei ihrer »vormuseale[n] Biographie« (Doering/Hirschauer 1997: 269) über die Aufnahme ins Museum bis hin zu ihrer Ausstellung – durchlaufen und im Zuge dessen für den Betrachter jeweils eine neue Bedeutung erhalten. Einen ähnlichen Ansatz verfolgen Gosden und Marshall, die in ›The cultural biography of objects‹ am Beispiel archäologischer Artefakte untersuchen, wie material culture durch die soziale Interaktion zwischen Mensch und Objekt eine Bedeutung erhält (vgl. Gosden/Marshall 1999: 169). Gemeinsam ist diesen Ansätzen eine ähnlich intuitive, metaphorische Ver-
1. Einleitung
wendungsweise des Biographiebegriffs, die auch im Zusammenhang mit dem Begriff der Identiät der Technik zu beobachten ist. Gegenstand der Betrachtung sind meist einfache Artefakte, anhand derer Prozesse kultureller Bedeutungszuschreibungen und Verwendungsweisen nachgezeichnet werden. Ausschlaggebend für die Anwendung des Biographiebegriffs auf die Technik- und Innovationsforschung war Werner Rammerts programmatischer Aufsatz im Jahr 2000, in dem er ausgehend von den bereits angesprochenen Veränderungen moderner Innovationsverläufe erstmalig Ideen für ein Konzept der Innovationsbiographie skizziert (vgl. Rammert 2000a). Mit dem anvisierten Forschungsprogramm ›Innovationsbiographien im gesellschaftlichen Vergleich‹ sollen vor allem kreative und experimentelle Aspekte des Innovationsprozesses betont, Kommunikations- und Lernprozesse spezifiziert sowie technologische Konfigurationen in dem theoretischen Konzept berücksichtigt werden (vgl. Rammert 2000a: 41). In der Folge wurde die Idee einer Innovationsbiographie weiter ausgearbeitet. In der 2008 erschienen ›Innovationsbiographie der Windenergie‹, welche sich ausdrücklich auf Rammerts Konzept beruft, wird Biographie in Abgrenzung zum Lebenslauf als »Beschreibung dieser Veränderungen [gemeint sind Stationswechsel im Lebenslauf, Anm. v. Verf., K.L.], die unter Einbezug der verschiedenen Einflussfaktoren in ihrem Verlauf dargestellt werden können« (Bruns et al. 2008: 24), verstanden. Verwendet wird der Biographie-Begriff auch in diesem Zusammenhang »als Metapher für die individuelle und interpretierte Geschichte der Windenergie« (Bruns et al. 2008: 24). Zwar verweisen die Autoren auf die Möglichkeit, Methoden der Biographie- und Lebenslaufforschung auf Innovationen zu übertragen, greifen selbst in ihrem Ansatz mit der Konstellationsanalyse jedoch auf eine Methode der Technikforschung zurück. Demgegenüber greifen Butzin et al. in dem 2012 herausgegebenen Sammelband ›Innovationsbiographien‹ neben der Netzwerkanalyse sowie der Erstellung von Raum-Zeit-Pfaden auch auf das narrative Interview zurück (vgl. Butzin et al. 2012b), wobei neben einer räumlichen Betrachtungsweise sowie der Analyse der Akteurnetzwerke allerdings die Generierung von Wissen in Innovationsverläufen im Vordergrund steht (vgl. Butzin 2012a: 120 sowie Butzin et al. 2012a: 11ff.). In der Lesart der Autoren besteht dann auch das »übergeordnete Ziel einer Innovationsbiographie [darin], den Innovationsverlauf in seinem Raum-Zeitgefüge abbilden und seine Wissensdynamiken erfassen zu können« (Butzin 2012b: 123). Mit der Fokussierung auf die Identität der Technik wird der Geschichte der Innovationsbiographie eine weitere Facette hinzugefügt. Bereits 2005 skizziert (vgl. Lenzen et al. 2005) und 2007 im Hinblick auf die Identität der Technik präzisiert (vgl. Lenzen 2007), wird in der vorliegenden Arbeit das Konzept einer Innovationsbiographie erarbeitet, das sich sowohl theoretisch als auch methodisch eng an der Biographieund Identitätsforschung orientiert und zentrale Aspekte für die Analyse von Innovationsprozessen theoretisch und praktisch nutzbar macht. Unter Innovationen werden dabei in Anlehnung an Braun-Thürmann »materielle oder symbolische Artefakte [verstanden], welche Beobachterinnen und Beobachter als neuartig wahrnehmen und als Verbesserung gegenüber dem Bestehenden erleben« (Braun-Thürmann 2005: 6). Innovationsbiographien lassen sich somit als die Orte beschreiben, an denen sich die Entwicklung der Identität einer Technik, welche als neuartig und verbessert wahrgenommen wird, vollzieht.
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Die multiple Identität der Technik
1.2.
Aufbau der Arbeit
Ausgehend von dem Ziel dieser Arbeit, eine theoretische Konzeption der Identität der Technik zu erarbeiten und im Rahmen einer Fallstudie am Beispiel der AR-Technologie praktisch zu untersuchen, wird der Ansatz technischer Identitäten sukzessive entfaltet und im Hinblick auf seine empirische Zugänglichkeit präzisiert. Dabei sind folgende übergeordnete Fragen für Inhalt und Aufbau der Arbeit leitend: 1) Was lässt sich unter der ›Identität der Technik‹ verstehen? 2) Wie wird diese Identität hergestellt und wie lässt sie sich empirisch erschließen? 3) Welche Identitätsentwicklung lässt sich im Fall der AR-Technologie beobachten? Um einen allgemeinen Bezugsrahmen für die Identität der Technik zu schaffen, wirft Kapitel 2 in einem ersten Schritt die Frage auf, was Technik überhaupt ist und welche Anhaltspunkte sich aus einer übergeordneten Bestimmung des Technischen für die spezifische Identität einer Technologie gewinnen lassen. Die mit dieser Fragestellung einhergehende breit angelegte Debatte über das ›Wesen der Technik‹ aufgreifend, werden techniksoziologische, -historische sowie –philosophische Ansätze diskutiert und Möglichkeiten sowie Schwierigkeiten einer Bestimmung des Technischen über den Technikbegriff, die materielle Basis der Technik als Sach- und Realtechnik, ihre Anwendungskontexte sowie die Abgrenzug von Technik in Differenz zu anderen Bereichen wie beispielsweise Natur, Leben oder dem Sozialen (Gesellschaft, Lebenswelt, Kultur) untersucht. Die Überlegungen zur Bestimmung des Wesens der Technik münden schließlich in Blumenbergs relationalen Ansatz der Technisierung (vgl. Blumenberg 1981b), der von Rammert aufgegriffen und durch den Verweis auf unterschiedliche Medien, in welche die Technisierungsschemata eingeschrieben werden können, für eine techniksoziologische Betrachtung präzisiert wurde (vgl. Rammert 1993). In einem zweiten Schritt werden die Ausführungen zu einer allgemeinen Bestimmung der Technik ergänzt durch Ansätze aus der technik- und innovationssoziologischen Forschung, welche sich mit der Konstitution der Technik als sozialem Phänomen beschäftigen und die Entstehung ihrer sozialen Bedeutung im Zuge ihres Herstellungs- und Verwendungskontextes aus Sicht der Vergegenständlichungsperspektive, des Sozialkonstruktivismus sowie der Praxistheorie zu erklären versuchen. Berücksichtigt werden darüber hinaus Ansätze, welche auf die Handlungsträgerschaft der Technik verweisen und ihren Eigenanteil an der Konstitution ihrer sozialen Bedeutung betonen. Die Relevanz dieses Kapitels besteht darin, sowohl Ansatzpunkte als auch Schwachstellen bisheriger Ansätze zu identifizieren und somit eine grundlegende Basis für die weiterführende Konzeption einer Identität der Technik zu schaffen. Auf Grundlage der vorangegangenen Überlegungen werden die erarbeiteten Ansatzpunkte in Kapitel 3 aufgegriffen. Auf ihrer Basis wird der Frage nachgegangen, wie die einzelnen Faktoren sinnvoll aufeinander bezogen und in ein Konzept der Identität der Technik integriert werden können. Ausgehend von der Annahme, dass sich zwischen menschlichen und technischen Identitäten Parallelen ziehen lassen, wird zur Klärung dieser Frage auf unterschiedliche Ansätze der soziologischen Identitäts- sowie Biographie- und Lebenslaufforschung, aber auch der Soziologie des Körpers rekurriert und auf dieser Basis ein Konzept entworfen, wie sich die Identität der Technik analytisch fassen und innovationsbiographisch beschreiben lässt. Es wird argumentiert,
1. Einleitung
dass die Identität der Technik als symbolische Struktur verstanden werden kann, die in Aushandlungsprozessen zwischen den beteiligten Akteuren sowie der Technik selbst konstituiert wird. Neben der Differenzierung zwischen Kern- und Teilidentitäten werden aus der Identitätsforschung auch Überlegungen zur Identitätsrelevanz des Körpers und des Namens, der Herstellung von Kontinuität und Kohärenz sowie der Prozess der Identitätsarbeit für die Analyse von Innovationsprozessen nutzbar gemacht. Durch diese Vorgehensweise wird einerseits fruchtbaren Ansatzpunkten aus der bisherigen technik- und innovationssoziologischen Forschung Rechnung getragen und andererseits werden die zuvor identifizierten Schwachstellen aufgearbeitet. Diese integrative und durch Anleihen aus soziologischen Nachbardisziplinen erweiterte Betrachtungsweise ermöglicht es, das Zusammenspiel identitätsrelevanter Einflussfaktoren zu klären und diese in einem umfassenden Konzept technischer Identität zusammen zu führen. Zur Erschließung eines methodischen Zugang für die Identität der Technik wird in Kapitel 4 das erarbeitete Konzept ein weiteres Mal erweitert. Wurde zuvor beantwortet, was unter einer Identität der Technik verstanden werden kann und welche Faktoren an ihrer Konstitution beteiligt sind, widmen sich die Überlegungen dieses Kapitels der Frage, in welchem Modus, d.h. wie sich die Herstellung technischer Identitäten vollzieht. Spezifiziert wird das Konzept durch den Rekurs auf narrative Ansätze, die einen interessanten Schnittpunkt zwischen Technik- und Identitätsforschung bilden und die Identität der Technik zu einem empirisch zugänglichen Phänomen machen. Um den in dieser Arbeit verwendeten narrativen Ansatz einordnen zu können und erste Anhaltspunkte für das vorliegende Narrationsverständnis zu gewinnen, werden die vergleichsweise lange Geschichte der Narration kurz aufgearbeitet und unterschiedliche Facetten von Narrationen wie beispielsweise die Frage nach dem narrativen Personal, dem Verhältnis von Repräsentation und Performanz, der Bedeutung von Relationalität und emplotment sowie der Breite des hier verwendeten Narrationsbegriffs diskutiert. Im Anschluss daran werden auf die Identitätsforschung Bezug nehmend Ansätze analysiert, die Narrationen als modus operandi der Identitätskonstitution im Sinne eines doing identity betrachten und auf diese Weise einen methodischen Zugang zu ihrer Analyse erschließen. In diesem Zusammenhang wird vor allem die Bedeutung der Positioning Theory herausgearbeitet, die nicht nur Eingang in die Identitätsforschung (vgl. Van Langenhove/Harré 1999a), sondern auch in die Innovationsforschung gefunden hat (vgl. Van Lente/Rip 1998a+b). Ein Exkurs zu dem narrativen Interview nach Fritz Schütze (vgl. Schütze 1976; 1977; 1981; 1983; 1984) verweist ergänzend auf das für die anschließende Fallstudie relevante methodische Instrumentarium der Biographieforschung und skizziert zentrale Annahmen dieser Untersuchungsmethode. Bereits vorhandene narrative Ansätze in Technik- und Innovationsforschung aufgreifend, münden die Überlegungen in dem eingangs erwähnten Konzept einer narrativen Identität der Technik, welches die vorangegangenen Schritte abschließend in ein Gesamtkonzept integriert. Die Fallstudie in Kapitel 5 greift sowohl die Fragestellung nach der Identität der Technik und ihrer Herstellungsmechanismen, als auch das zuvor erarbeitete Konzept einer narrativen Identität der Technik auf und überträgt beides auf die AR-Technologie, welche als Untersuchungsgegenstand im Fokus der empirischen Untersuchung steht. Nach einer Präzisierung der grundlegenden Annahmen sowie der Fragestellung wer-
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den sowohl die Technologie als auch das empirische Feld und das methodische Vorgehen beschrieben. Der Schwerpunkt der mit Hilfe von narrativen Interviews sowie Leitfaden-Interviews durchgeführten Expertenbefragung stützt sich primär auf den deutschsprachigen Raum sowie die Perspektive der Europäischen Union in Brüssel. Ergänzt werden die Ergebnisse durch eine Dokumentenanalyse, die auch internationale Entwicklungen, vor allen in den USA sowie in Japan, aufgreift. Anhand des erhobenen empirischen Datenmaterials wird die Geschichte der AR-Technologie seit ihrer Entstehung in Form ihrer Innovationsbiographie ›erzählt‹ und anhand unterschiedlicher Entwicklungsphasen Entwicklung und Herstellung ihrer Identität(en) analysiert. In einem Fazit werden in Kapitel 6 die theoretisch-konzeptionellen sowie empirischen Stränge dieser Arbeit abschließend zusammengeführt. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass dieser Arbeit mit der Konzeption einer Identität der Technik sowohl ein neuer theoretischer Ansatz sowie mit dem Untersuchungsgegenstand der ARTechnologie und der Adaption des narrativen Interviews zur Analyse technischer Identitäten im Zuge von Innovationsbiographien auch ein neuer empirischer Ansatz zugrunde liegt, wird der Gesamtprozess einer kritischen Reflektion hinsichtlich der gewonnenen Erkenntnisse sowie der aus den Erfahrungen abgeleiteten Lernfelder unterzogen und schließt mit einem Ausblick auf Möglichkeiten der weiterführenden Forschung ab.
2. Vom ›Wesen der Technik‹ Annäherungen an einen schwierigen Sachverhalt1
2.1.
Die Bestimmung des Technischen – Eine Bestandsaufnahme Das erste Geschäfte einer jeden Theorie ist das Aufräumen der durcheinander geworfenen und, man kann wohl sagen, sehr in einander verfilzten Begriffe und Vorstellungen; und erst, wenn man sich über Namen und Begriffe verständigt hat, darf man hoffen, in der Betrachtung der Dinge mit Klarheit und Leichtigkeit vorzuschreiten, darf man gewiß sein, sich mit dem Leser immer auf demselben Standpunkt zu befinden. Carl von Clausewitz2
Möchte man sich der Thematik einer Identität der Technik nähern, ist es naheliegend, in einem ersten Schritt zu klären, was Technik – zunächst auf einer allgemeinen Ebene – eigentlich ist, um hieraus Schlüsse auf Charakteristika zu ziehen, welche die Konstruktion eines Identitätsbegriffs ermöglichen. Nun kann man der Techniksoziologie und -philosophie nicht vorwerfen, dass sie sich einer näheren Beschäftigung damit, was Technik ist, was sie im Kern ausmacht und wie ihr ›Wesen‹ zu denken sei, bislang entzogen habe.3 Stattdessen gibt es in der Tat eine Vielzahl von Bemühungen, sich dem Wesen der Technik zu nähern und es in irgendeiner Weise greifbar zu machen, auf die 1 2 3
Die Idee vom Wesen der Technik geht auf eine Überschrift von Schulz-Schaeffer (2000: 33) zurück, unter der er Überlegungen zu der Problematik einer Bestimmung des Technischen ausführt. Von Clausewitz 1990: 90. Der Begriff des ›Wesens‹ hat in der Philosophie eine lange Tradition und wurde von Aristoteles bis Heidegger ausführlich behandelt (vgl. Aristoteles 2005, Heidegger 1954b; 1954c sowie 1962). Aufgegriffen wurde dieser Begriff u.a. von Rammert und Schulz-Schaeffer, um das Gemeinsame der heterogenen Verwendungsformen des Technikbegriffs herauszustellen (vgl. Rammert 1998a: 293ff. sowie Schulz-Schaeffer 2000: 44ff.).
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nicht umstandslos verzichtet werden kann. Auf Basis bereits bestehender Überlegungen der Techniksoziologie und -philosophie kann man zur Bestimmung einer Identität der Technik auf allgemeiner Ebene an unterschiedlichen Punkten ansetzen. So lässt sich zunächst betrachten, welche Implikationen der Technikbegriff selbst sowie seine unterschiedlichen Verwendungskontexte enthalten. Als zweites kann man auf die Materialbasis sowie die Anwendungsfelder der Technik rekurrieren, um ihre Identität herauszuarbeiten. Drittens lässt sich schließlich untersuchen, was denn das Wesen der Technik im eigentlichen Sinne, sprich: das allen Techniken Gemeinsame ist bzw. was Technik im Kern ausmacht. Um sich dem Begriffsfeld Technik anzunähern, wird im Folgenden diesen drei Spuren – der begrifflichen Fassung von Technik, ihrer Materialbasis sowie dem Wesen der Technik – nachgegangen und analysiert, wie ihre Aussagekraft, ihre Plausibilität sowie die darin enthaltenen Anregungen zur Konzeption einer Identität der Technik zu beurteilen sind. Dabei werden hierauf aufbauend die folgenden drei Fragen leitend sein: 1) Welche Verwendungen des Technikbegriffs lassen sich beobachten? 2) Aus welchem Stoff besteht Technik und was trägt ihre Materialbasis im Rahmen eines bestimmten Anwendungsfeldes zur Klärung ihrer Identität bei? Und 3) Was ist das Gemeinsame, das Wesen der Technik, also das, was es uns erlaubt, sowohl bei einem Hammer als auch bei einem Computerprogramm sowie der kalligraphischen Gestaltung von Texten von Technik zu sprechen?
2.1.1.
Technik – eine Begriffskarriere
Wovon sprechen wir eigentlich, wenn wir von Technik oder technisch sprechen und welche Zuschreibung und/oder Bedeutung ist diesen Begrifflichkeiten eingeschrieben? Ein kurzer Blick in die Begriffsgeschichte der Technik zeigt, welche Wandlungen der Technikbegriff im Laufe der Jahrhunderte vollzogen hat (ausführlich vgl. Halfmann 1996: 21ff.; Krohn 1989: 15; Rammert 2000b: 41ff. sowie Ropohl 2006: 44). Der Technikbegriff der Antike stützt sich auf das Wort technikon, das nach Heidegger solches meint, »was zur τεχνη [techne; Anm. v. Verf., K.L.] gehört«.4 Während sich der antike Technikbegriff einerseits »am Modell des methodischen Handelns und des sachgerechten Handwerkens orientierte« (Rammert 2000b: 43) – Hickman spricht in Anlehnung an Dewey in diesem Zusammenhang von empeiria (vgl. Hickmann 1990: 16) – betont Heidegger andererseits, dass der Begriff der techne eng verbunden ist mit dem »Erkennen im weitesten Sinne« (Heidegger 1962: 12). Das Entbergen der Natur wird zum zentralen Merkmal des antiken Technikbegriffs. Technik schafft nicht etwas Künstliches an sich, sondern legt nur etwas frei, was der Natur der Dinge als »überhaupt Möglichen« (Blumenberg 1981c: 71) ohnehin innewohnt: »Wenn z.B. ein Haus zu den Naturgegenständen gehörte, dann entstünde es genau so, wie jetzt auf Grund handwerklicher Fähigkeit« (Aristoteles 1995: Buch II, 199a; vgl. auch Blumenberg 1993b: 55f.). In diesem Sinne bezieht sich das Ver-
4
Heideggers Aufsatz ›Die Frage nach der Technik‹ ist zweimal in gleicher Form veröffentlicht worden (vgl. Heidegger 1954b sowie 1962). Aus Gründen der Übersichtlichkeit sowie Einheitlichkeit beziehen sich die Verweise in dieser Arbeit ausschließlich auf die 1962 veröffentlichte Version.
2. Vom ›Wesen der Technik‹
ständnis von Technik immer unmittelbar auf die Natur sowie auf die Nachahmung der ihr inhärenten Funktionsweisen und Zusammenhänge. Mit der christlichen Vorstellung der Welt als Schöpfung Gottes wandelt sich auch das Technikverständnis. Der Mensch fühlt sich aufgrund des Schöpfungsmythos der Natur gegenüber privilegiert und tritt ihr entgegen, indem er für sich das Recht beansprucht, sich die Natur untertan zu machen (vgl. Blumenberg 1951: 464). Während im Mittelalter schon nicht mehr die Natur, aber immerhin noch die schöpferische Kraft Gottes durch die Technik nachgebildet wird, wird in der Renaissance die schöpferische Kraft des Menschen selbst entdeckt, indem »technische Errungenschaften als von Gott gewährte Kompensationen für die Imperfektionen der Menschen legitimiert [werden]« (Halfmann 1996: 38). Dieses Verständnis begünstigt eine forschende gegenüber einer mimetischen Einstellung zur Natur. Technik wird zum Instrument, das den Zwecken des Menschen dienlich ist, indem es die Fortsetzung der Schöpfung, d.h. die Umbildung und Neuschaffung der Natur gemäß seiner Bedürfnisse ermöglicht. Im 17. und 18. Jahrhundert werden die in Mittelalter und Renaissance angestoßenen Veränderungen – insbesondere die Rolle der experimentellen Forschung – weiter vorangetrieben. Die Erforschung und Anwendung naturbezogener Gesetzmäßigkeiten tritt zunehmend in den Vordergrund, was Auswirkungen auf das besondere Verhältnis von Technik und Natur hat. Nicht mehr die Perfektion der Natur (wie in der Antike) oder der Schöpfungsgedanke (wie in Mittelalter und Renaissance) bilden die Grundlage für die Beschäftigung mit der Natur, sondern die mechanistische Erklärung von Naturprozessen wird zum konstituierenden Merkmal des Verhältnisses zur Natur: Technik wird nun »als Anwendung von Naturgesetzen verstanden« (Halfmann 1996: 51). Trotz des neuzeitlichen Umbruchs im 17. und 18. Jahrhundert und der damit einhergehenden naturwissenschaftlichen Entdeckungen führten die neuen Erkenntnisse bis auf wenige Ausnahmen kaum zu der Erfindung neuer Technologien (vgl. Halfmann 1996: 55; Krohn 1989: 30). Diese setzten sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch, in der eine Wandlung von der Vorstellung von Technik als angewandter Naturwissenschaft hin zu einer Trennung von Technik- und Naturwissenschaft stattfand. Diese theoretische Dekontextualisierung führte zur Entstehung der Technikwissenschaften: »Technologie wird zu einer selbständigen Prinzipienwissenschaft, deren Aufgabe es ist, Technik zu produzieren« (Krohn 1989: 35).5 Gleichzeitig setzt eine Reflexion über Technik ein, die sich in der Etablierung von Disziplinen wie Technikgeschichte, -philosophie und später -soziologie niederschlägt. Dabei konzentrieren sich
5
Die Verwendung des Technologiebegriffs ist nicht ganz unproblematisch. Obwohl ›Technik‹ und ›Technologie‹ heute häufig synonym verwendet werden (vgl. Degele 2002: 20), bezeichnet Technologie ursprünglich »die Wissenschaft von Technik«, während Technik im Gegensatz dazu den »Bereich der konkreten Erfahrungswirklichkeit bezeichnet« (Ropohl 2006a: 47). In der gegenwärtigen Sprachverwendung wird diese Unterscheidung sowohl im deutschsprachigen als auch im angelsächsischen Raum, in welchem ›technology‹ häufig zur Bezeichnung moderner Hochtechnologien verwendet wird (vgl. Rammert 1995a: 66f.; 2000b: 42), kaum mehr berücksichtigt. Sich dieser Entwicklung anschließend wird der Begriff ›Technologie‹ im folgenden je nach Kontext sowohl in seiner ursprünglichen Bedeutung von »systematisierte[m] Wissen über die Techniken« (Rammert 2000b: 41) als auch zur Bezeichnung moderner Hochtechnologien verwendet.
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sowohl Produktion als auch Reflexion der Technik insbesondere auf den Bereich der Arbeit sowie ihrer Organisation und Produktionssteigerung durch die Technik. Im 20. Jahrhundert verschiebt sich das Technikverständnis u.a. von der Betrachtung materieller Artefakte hin zur »systemischen Vernetzung von Techniken« (Krohn 1989: 34). Es ist das Jahrhundert der Groß- sowie später Hochtechnologien, die sowohl materielle als auch immaterielle und menschliche Komponenten miteinander vernetzen und deren Funktion ohne eine organisatorische und institutionelle Einbettung nicht denkbar ist. Damit verlieren die Naturwissenschaften endgültig ihre Bedeutung als Grundlagenwissenschaften für die technische Entwicklung und müssen den Konstruktionswissenschaften Platz machen: »[N]icht mehr die Mathematik, sondern der Computer und die Programmierung sind die wichtigsten Hilfsmittel für den Aufbau der Wissenschaft« (Krohn 1989: 37). Reflektiert man die Wandlung des Technikbegriffs innerhalb der geschichtlichen Entwicklung, überrascht es nicht, dass der Begriff der Technik auch heute noch sowohl hinsichtlich seiner Verwendungskontexte als auch der einbezogenen Materialbasis äußerst heterogen verwendet wird (vgl. Schulz-Schaeffer 2000: 33ff.). Neben der Heterogenität der Entstehungskontexte des Technikbegriffs lässt sich eine Vielzahl von Verwendungskontexten der Technik beobachten, die von der Referenz auf relativ einfache Artefakte wie beispielsweise einem Hammer bis hin zur Genomsequenzierung im Rahmen der Biotechnologie reicht. Für die Konzeption einer Identität der Technik bedeutet dies, dass anhand des Technikbegriffs aufgrund seiner beschriebenen heterogenen Verwendungsweisen kaum geklärt werden kann, wovon wir eigentlich sprechen, wenn wir etwas als ›Technik‹ bzw. als ›technisch‹ bezeichnen. Gibt die reine Attribution als etwas ›Technisches‹ also wenig Aufschluss über die Identität eines Objekts, so wird häufig sowohl in der Alltagssprache als auch in techniksoziologischen Ansätzen, die eine Identität der Technik thematisieren, auf die Materialbasis der Technik zur Bestimmung ihrer Identität verwiesen. Aus diesem Grund gilt es im Folgenden zu prüfen, ob an Stelle des Technikbegriffs die Materialbasis als Referenzpunkt zur Bestimmung technischer Identität geeignet ist bzw. welche Implikationen sie für die nachfolgenden konzeptuellen Überlegungen enthält.
2.1.2.
Der Stoff, aus dem die Technik ist
Woraus besteht eigentlich Technik? Dieser Frage nach der stofflichen6 Realisierung von Technik scheint unter Beachtung der einschlägigen Literatur eine besondere Bedeutung in der Bestimmung ihrer Identität zuzukommen. Das wird insbesondere in den Fällen evident, in denen – wie beispielsweise bei Hochtechnologien wie der Bio- und
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Der Begriff ›Stoff‹ bezeichnet im Folgenden nicht allein die materielle Basis der Technik im Sinne einer Realtechnik, sondern wird auf einer allgemeinen Ebene zur Bezeichnung der unterschiedlichen Möglichkeiten herangezogen, aus denen sich Technik konstituiert. Er ist damit in weiten Teilen mit dem von Rammert eingeführten und im folgenden noch näher dargestellten Begriff des »Trägermediums« (Rammert 2008: 351) identisch, das den ›Sachaspekt‹ (im Unterschied zum ›Tataspekt‹) der Technik bezeichnen und den Blick »für technische Formen« (Rammer 2008: 351) schärfen soll, ohne sich dabei reduktionistisch allein auf die physische Materialität zu beziehen.
2. Vom ›Wesen der Technik‹
Nanotechnologie – eine eindeutige Materialbasis beispielsweise in Form eines technischen Artefakts oder einer technologischen Konfiguration nicht auszumachen ist. In diesen Fällen wird dann vermutet, die betreffende Technologie besäße bestenfalls eine ›Patchwork-Identität‹ (vgl. Barben 1997: 23, Fußnote 15; Dolata 2003: 97) und schlimmstenfalls eben gar keine. Dieses Phänomen lässt sich so auch bei der AR-Technologie feststellen: Es lassen sich zahlreiche Bestrebungen beobachten, die AR-Technologie über ihre Materialbasis zu identifizieren, was sich angesichts ihres Charakters einer variablen technologischen Konfiguration jedoch als außerordentlich schwierig erweist. In Ermangelung einer eindeutigen Materialbasis wird deshalb sowohl in Publikationen als auch in Experteninterviews gerne auf eine der zentralen Hardware-Komponenten der AR-Technologie zurückgegriffen: das Display. Bereits in einer der ersten überhaupt erschienen Fachpublikationen über die AR-Technologie von Caudell und Mizell aus dem Jahr 1992, die als Geburtsstunde von Augmented Reality gilt und das Verständnis dieser Technologie in der Wahrnehmung unterschiedlicher Experten nachhaltig prägen sollte, ist bereits im Titel die Rede von einer ›Heads-Up Display Technology‹ (Caudell/Mizell 1992). Bis heute sind meist visuelle Realisationen der AR-Technologie im Fokus der Betrachtung, obwohl darüber hinaus auch verschiedene andere Möglichkeiten der Realisierung wie beispielsweise auditive (vgl. Sundareswaran et al. 2003; Völk et al. 2007), taktile (vgl. Adcock/Hutchins/Gum 2003; Cassinelli/Reynolds/Ishikawa 2006; Scharver et al. 2004; Vallino/Brown 1999) oder sogar olfaktorische (vgl. Davide/Holmberg/Lundström 2001) AR-Systeme bestehen. Ungeachtet der tatsächlichen technologischen Konfiguration scheint es offensichtlich das Bedürfnis zu geben, eine Technologie an eine spezifische technische Realisierungsform zu binden, um sie auf diese Weise fassbarer zu machen. Für die Ausgangsfrage, was Technik ist und wie sich ihre Identität bestimmen lässt, gilt es zu klären, welche Rolle die materielle Basis der Technik für ihre Identität spielt. Diese Frage lässt sich auf der Ebene des Alltagswissens intuitiv relativ leicht beantworten – dann wird Technik häufig mit Sach- bzw. Realtechnik gleichgesetzt oder aber ihr instrumenteller Charakter betont. Wissenschaftlich hingegen gestaltet sich die Definition der Technik deutlich schwieriger, denn sie ist konfrontiert mit Mehrdeutigkeiten sowohl im Hinblick auf die stoffliche Basis der Technik als auch bezogen auf die unterschiedlichen Verwendungs- und Handlungskontexte, in denen Technik eine Rolle spielt. Wie der in Kapitel 2.1.1 dargestellte kurze Blick in die Geschichte der Technik verdeutlicht, hat sich die Vorstellung von ›Technik als Handlung‹ über ›Technik als Artefakt‹ bis hin zu ›Technik als sozio-technisches System‹ gewandelt. Vor allem moderne Hochtechnologien wie beispielsweise Informations- und Kommunikationstechnologien, Bio- und Nanotechnologien sowie auch Verfahrenstechnologien zeichnen sich dabei durch besondere Eigenschaften aus: Bei solchen Hochtechnologien sind die Erzeugung wissenschaftlichen Wissens und die Herstellung technischer Instrumente eng aufeinander bezogen. Außerdem wird damit auch die Tatsache berücksichtigt, dass es sich in der Praxis selten um eine einzelne Technologie, sondern um ein komplexes Geflecht […] von vielen verschiedenen Techniken handelt, die auf einen Zweck hin kombiniert werden und sich mit der Zeit zu Technostrukturen der Gesellschaft verfestigen (Rammert 2000b: 42).
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Die multiple Identität der Technik
Die stoffliche Basis der miteinander kombinierten Techniken weist dabei eine hohe Vielfältigkeit auf. So unterscheidet Rammert beispielsweise drei Stoffgruppen bzw. Gruppen von Trägermedien, nämlich erstens körperliche Bewegungen, zweitens physische Dinge sowie drittens symbolische Zeichen (vgl. Rammert 1998a: 314). Degele versteht Technik ebenfalls als physisches Ding, wobei ihre Definition sich im engeren Sinne auf Artefakte bezieht und somit natürliche Objekte wie beispielsweise die Onko-Maus7 ausschließt; weiterhin als Handlung und darüber hinaus auch als eine bestimmte Form des Wissens, nämlich das »Know-how, das hinter der Entwicklung oder Nutzung von jeglichen Artefakten und Handlungsweisen steckt« (Degele 2002: 20). Damit schließt sie im Gegensatz zu Rammert auch das zuvor erwähnte technologische Wissen mit ein und subsumiert es unter den Gesamtbegriff Technik. Ropohl schließlich unterscheidet zwischen einem engen Technikbegriff, der sich allein auf die gegenständliche Sachtechnik bezieht, und stellt diesem einem weiten Technikbegriff gegenüber, der »jede kunstfertige regelgeleitete Verfahrensweise in beliebigen menschlichen Handlungsfeldern« (Ropohl 2006a: 44) meint.8 Als Alternative zu diesen beiden Begriffen bezieht sich Ropohl in seinen Ausführungen selbst auf einen Technikbegriff mittlerer Reichweite, der sowohl die technischen Artefakte und Sachsysteme, als auch die Handlungen, die zu ihrer Entstehung führen, sowie die Handlungen, die sich aus dem Umgang mit Artefakten und Sachsystemen ergeben, umfasst (vgl. Ropohl 2001: 16f.; 2006a: 45). Vor dem Hintergrund zuvor genannten Definitionen lassen sich zusammenfassend insgesamt vier für die Technik in Frage kommende Stoffklassen unterscheiden: Erstens physische Dinge, bei denen noch einmal zwischen künstlich hergestellten Artefakten sowie natürlichen Objekten unterschieden werden kann, zweitens handlungsorientierte Körperbewegungen, die sich nach dem Ausmaß der Einbindung auf technische Artefakte differenzieren lassen, drittens Zeichen, die beispielsweise die Basis für Softwareprogramme bilden und viertens – ergänzend zu den Stoffgruppen nach Rammert – kognitive Prozesse, welche die Grundlage für das technologische Wissen darstellen. Heute scheinen die unterschiedlichen technischen Stoffe gleichzeitig als Materialbasis in Betracht zu kommen, sie variieren von materiell bis immateriell, »wobei die Komponenten, die nicht genau als materiell oder immateriell einzuordnen sind, ständig zunehmen« (Krohn 1989: 38). Bei der Beantwortung der Frage nach technischen Identitäten auf das einer Technik zugrunde liegende Material zu verweisen und Technik im Sinne einer ›Realtechnik‹ zu verstehen, mag also nur für einfache Artefakte wie einen Schraubenzieher oder eine Zange auf den ersten Blick zutreffend erscheinen – für andere Technologien wie beispielsweise das ›Universal Mobile Telecommunications System‹ (UMTS) oder das ›Web 2.0‹ hingegen ist es dies nicht. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass eine Konzentration auf die Realtechnik im Sinne künstlich
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Bei der Onko-Maus (auch: Krebs-Maus) handelt es sich um eine gentechnisch veränderte Maus, die aufgrund des Ausschaltens einzelner Gene zu einer schnelleren Tumorbildung neigt. Sie wird vornehmlich in der Krebsforschung sowie der pharmazeutischen Forschung eingesetzt, um die Tumorbildung sowie die Wirkung pharmazeutischer Gegenmittel zu erforschen. Die Unterscheidung zwischen einem engen sowie einem weiten Technikbegriff hat in der Technikphilosophie eine lange Tradition, wie Rammert (1993: 10ff.) und Rapp (1978: 41ff.) herausstellen.
2. Vom ›Wesen der Technik‹
hergestellter Objekte (vgl. Rammert 2000b: 42) nicht ausreichend für die Bestimmung von Technik ist. Zwar ist unstrittig, dass der ›Stoff‹, aus dem eine Technik besteht, durchaus eine identitätsrelevante Funktion hat. So ist beispielsweise anzunehmen, dass es einen Unterschied macht, ob eine der teuersten Uhren der Welt, nämlich der ›Super Ice Cube‹ von Chopard, mit Diamanten oder aber mit Strasssteinen besetzt ist. In diesem Sinne können wir in der Tat mit Miller von einem material matters (vgl. Miller 1998a: 10ff.) sprechen – und zwar im äußerst eng gemeinten Sinne. Gleichzeitig erschöpft sich aber die Identität einer Technik nicht in ihrer stofflichen Realisierung. Und auch wenn wir von vergleichsweise einfachen Artefakten auf die Ebene komplexer Hochtechnologien wie der AR-Technologie wechseln, zeigt sich, dass das Bestreben, diese Technologie und ihren Kern über den Einsatz sogenannter Head-Mounted Displays (HMD) zu bestimmen, an seine Grenzen stößt. Die AR-Technologie lässt sich eben weder auf ihre visuelle Realisierung noch auf das Head-Mounted Display als zentrale Hardwarekomponente reduzieren. Eine Klassifizierung der AR-Technologie als Display-Technologie greift nicht nur deshalb zu kurz, weil es neben der visuellen Realisierung, wie erwähnt, auch noch andere Formen gibt, sondern auch ein visuelles AR-System als Display-Technologie keineswegs treffsicher charakterisiert ist. Dies liegt zum einen darin begründet, dass ein ARSystem neben dem Display weitere Hardware-Komponenten wie beispielsweise Computer und Kamera aufweist, aber auch entscheidende Software-Elemente wie Trackingund Renderingverfahren sowie eine große Wissensbasis, die erfasst, aufbereitet und in das System integriert werden muss. Das Display allein reicht zur Charakterisierung des Systems auch deshalb nicht aus, weil andere Technologien wie beispielsweise VirtualReality-Systeme oder sogar Fernsehgeräte ebenfalls auf einem Display basieren. Insofern ist die Referenz auf die materielle Basis eines Displays wenig aussagekräftig. Hinzu kommt, dass es selbst für visuelle AR-Technologien unterschiedliche Realisierungsmöglichkeiten gibt – allein das Spektrum der verwendeten Displays reicht hier von einem halbdurchlässigen Spiegel über ein Head-Mounted Display bis hin zu dem Touchscreen eines Smartphones. Was hier exemplarisch am Beispiel des Displays aufgezeigt wurde, gilt auch für die anderen AR-Komponenten: Weder als Einzelkomponenten noch in ihrer Zusammenstellung zu einer spezifischen Konfiguration (die je nach Anwendungskontext und Einsatzgebiet wechselt) sind sie geeignet, eine Technologie in ausreichendem Maße zu charakterisieren. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Materialbasasis einen notwendigen, aber keineswegs hinreichenden Faktor zur Bestimmung einer Identität der Technik darstellt. Nun könnte man argumentieren, dass, wenn schon nicht die Materialbasis der Technik für ihre Identität ausschlaggebend ist, die Technik doch vielleicht durch ihren Anwendungsbereich i.S. eines material in action eine Art ›Kontextqualifizierung‹ erfährt, welche ihre Identität bestimmt. Und tatsächlich kann das gleiche Artefakt aus dem gleichen Material in unterschiedlichen sozialen und kulturellen Kontexten9 gänzlich unterschiedliche Bedeutungen haben, wie folgendes kurzes Beispiel zeigt: 9
Diese werden im Folgenden als Anwendungskontexte bezeichnet und sind von den zuvor genannten Verwendungskontexten zu unterscheiden, welche sich auf die Verwendungsweisen des Technikbegriffs und nicht auf den Anwendungs- und Einsatzbereich der Technik selbst beziehen.
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Die multiple Identität der Technik
Afrikaner sehen in jedem gebrauchten, verrotteten, weggeworfenen Ding neue Potenziale, alles Material wird umgewidmet und wiederverwendet. Der Besitzer eines Ateliers in Colobane, einem Slum in Dakar, zeigte mir einmal sein Warensortiment, das er aus Blechabfällen zaubert: Karbidkocher, Zäune, Dachschindeln, Kehrschaufeln, Wandschmuck, Skulpturen (Grill 2005: 79). Es lassen sich aber nicht nur, wie oben beschrieben, Abfälle umwidmen, was man noch als eine Form des Recycling verstehen könnte, sondern auch in ihrer materiellen Basis vollständig erhaltene und funktionsfähige Gegenstände, die nicht in ihre Einzelteile zerlegt werden und somit nicht nur als Materialressource dienen, führen in anderen Kontexten unter Umständen ein gänzlich neues Leben. Einerseits lassen sich Objekte so zum Fetisch stilisieren, indem sie ihres ursprünglichen Sinns entleert und fortan mit neuen Bedeutungskonstruktionen – beispielsweise als ›Kunst‹ –aufgeladen werden (vgl. Thurner 1997), andererseits gilt der Prozess auch umgekehrt, indem Gebrauchsgegenstände im Zuge eines Rekontextualisierungsprozesses einen neuen, beispielsweise quasi-religiösen Charakter erhalten. Auch wenn unstrittig ist, dass der Anwendungsbereich eine wichtige und notwendige Rolle spielt, ist er jedoch keineswegs hinreichend, um die Identität einer Technik bestimmen zu können. Deutlich wird dies am Beispiel des umstrittenen deutschen Einsatzes von AWACS-Aufklärern (Airborne Warning and Control System), welche während des Irak-Kriegs im Frühjahr 2003 den türkischen Luftraum überflogen. Hier waren sowohl die gleiche Materialbasis (AWACS) als auch der gleiche Anwendungskontext (Militär) gegeben, so dass die Identität dieser Flugzeuge theoretisch eigentlich eindeutig hätte bestimmt werden können. Praktisch löste der Einsatz der AWACS allerdings die Diskussion aus, ob es sich nach dem 1994 geschaffenen Parlamentsbeteiligungsgesetz um einen zustimmungsbedürftigen, weil bewaffneten, Einsatz handelte oder nicht. In der anschließenden Debatte ging es um zwei zentrale Fragen: Erstens, ob es sich um einen Routineeinsatz oder einen Kampf einsatz gehandelt habe – im ersten Fall hätte der situative Einsatz der AWACS diese zu einem militärischen Hilfsmittel, im zweiten Fall jedoch zu einem Kampfmittel erklärt. Zweitens kreiste die Debatte um die Frage, ob es sich um einen unbewaffneten oder aber einen bewaffneten Einsatz gehandelt habe, mit anderen Worten darum, ob es sich bei den AWACS selbst um eine Waffe handelt oder nicht. Befürworter des Einsatzes verwiesen darauf, dass die AWACS nicht mit Waffen ausgestattet seien, sondern lediglich über ein Radarsystem verfügten, das als Warn- und Überwachungssystem diene. Gegner hingegen referierten auf einen anderen Teil der Materialbasis, nämlich auf die Feuerleitzentralen der AWACS, mit deren Hilfe sie sowohl türkische Kampfflugzeuge ins Ziel hätten führen, als auch ihre Informationen an Bodengefechtsstände weitergeben können, weshalb es sich bei dem Einsatz der AWACS um einen bewaffneten Einsatz gehandelt habe. Zweifelsohne ging es, wie die FAZ.net am 12.02.2008 titelte, bei dieser Debatte sowie der damit einhergehenden Frage, was die AWACS in dieser Situation denn nun konkret ›gewesen‹ seien, um einen »Streit um Nuancen« (Müller 2008) – allerdings um einen mit großen politischen und juristischen Folgen. Die Entscheidung zum Einsatz der AWACS durch die zu dem damaligen Zeitpunkt amtierende, aus SPD und Grünen zusammengesetzte, Bundesregierung war nämlich ohne Zustimmung des Bundestags getroffen worden, da dieser
2. Vom ›Wesen der Technik‹
– so die Argumentation der Koalitionsregierung – nur bei bewaffneten Kampfeinsätzen zustimmungspflichtig sei. Da es sich aber – so die weitere Begründung – lediglich um einen ›Routineeinsatz‹ innerhalb der Nato gehandelt habe, der zudem noch mit einem unbewaffneten Aufklärungsflugzeug durchgeführt worden sei, habe kein Anlass bestanden, den Bundestag um Zustimmung zu bitten. Die FDP sah das anders und erhob daraufhin Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, der im Mai 2008 stattgegeben wurde. Das Beispiel verdeutlicht, dass ein Artefakt mit der gleichen Materialbasis auch im gleichen Anwendungskontext recht unterschiedliche Identitäten aufweisen kann – in diesem Fall wahlweise die eines militärischen Kampf - oder aber eines Hilfsmittels. Wenn aber weder der Technikbegriff noch die einer Technik zugrunde liegende Materialbasis oder ihr Anwendungskontext sich als eindeutige Referenzpunkte zur Identifizierung eignen, gilt es zu überlegen, was sowohl Technik auf einer allgemeinen, begrifflichen Ebene, als auch spezifische Technologien in ihrer konkreten Realisierung als solche erkennbar werden lässt. Die Notwendigkeit entsprechender Überlegungen zeigt sich umso deutlicher bei modernen Hochtechnologien wie der AR-Technologie, welche sich durch eine Vielfalt an technischen Realisierungsmöglichkeiten und Anwendungsfeldern auszeichnen.
2.1.3.
›Des Pudels Kern‹ – oder warum Technik mehr ist als die Summe ihrer Einzelteile
Es stellt sich also die Frage, ob es nicht auch etwas alle Techniken Verbindendes, etwas Gemeinsames wie ein Wesen der Technik gibt, das unabhängig von Verwendungskontext und Materialbasis existiert. Anders gefragt: Was zeichnet Technik als solche aus? Diese Frage erweist sich als keineswegs neu. Spätestens seit der Antike versucht die Philosophie das Wesen der Dinge zu entschlüsseln. Eine besondere Bedeutung kommt hierbei Aristoteles zu, dessen Ausführungen über die ›Lehre des Sein‹ bis heute das Verständnis über das Wesen der Dinge prägen.10 Anzumerken ist, dass Aristoteles sich keineswegs explizit auf Technik bezog. Stattdessen reicht das Spektrum der von ihm untersuchten Dinge von Lebewesen und ihren Eigenschaften über Naturphänomene (vgl. Aristoteles 2005: Buch VIII, 1044a, 15ff.) sowie mathematische Dinge (vgl. Buch VIII, 1042a, 10) bis hin zu Artefakten wie beispielsweise Häusern (vgl. Buch II, 1041a, 5).
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Aristoteles selbst verwendet den Begriff des Wesens zunächst in offensichtlich recht unterschiedlichen Bedeutungen. So setzt er an einigen Stellen seiner Schriften das Wesen der Dinge mit deren Substanz, d.h. deren Material und Form gleich: »Aus dem Gesagten geht klar hervor, was das sinnlich erfaßbare Wesen ist und auf welche Weise es existiert: einerseits nämlich als Stoff, andererseits als Gestalt und Verwirklichung und drittens als das daraus Vereinigte« (Aristoteles 2005: Buch VIII; 1043a; 25). An anderen Stellen wiederum gibt er an, dass »das Wesen ein Prinzip und eine Ursache ist (Aristoteles 2005: Buch VII, 1041a, 5f.). Dieser scheinbare Widerspruch – dass das Wesen zugleich Substanz und Ursache ist – löst sich dadurch auf, dass die Substanz unter die Ursachen subsumiert wird und ihre Kausalität sich darin ausdrückt, was »das Wesen dem Vermögen nach ist« (Aristoteles 2005: Buch VIII, 1042b, 5f.), während sich der Zweck (causa finalis) sowie die dahinter stehende bewirkende Kraft (causa efficiens) durch ihren verwirklichenden Charakter auszeichnen (vgl. auch Aristoteles 1995: Buch II, 198aff.).
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Die multiple Identität der Technik
Dennoch wurden die nach Aristoteles Meinung dem Wesen der Technik zugrunde liegenden vier Ursachen insbesondere zur Erklärung und Analyse technischer Artefakte in der Technikwissenschaft rezipiert (vgl. u.a. Heidegger 1954b: 15, 1962: 7; Rammert 1998a: 293): Erstens die causa materialis, worunter das Entstehen aus etwas bereits Vorhandenem verstanden wird (vgl. Aristoteles 1995: Buch II, 194b), zweitens die causa formalis, welche die Form bzw. das Modell eines Dinges bezeichnet, drittens die causa finalis, die den Zweck angibt, für das ein Ding entstanden ist sowie viertens die causa efficiens, von der »aus der erste Anfang der Veränderung oder der Ruhe stammt« (Aristoteles 2005: Buch V, 1013a, 30). Die Einzigartigkeit eines Dings ergibt sich nun aus der Differenz seiner Wesensmerkmale (Material, Form, Zweck, bewirkende Kraft) zu den Merkmalen anderer Dinge. So unterscheidet sich ein Haus beispielsweise in allen vier Bereichen eindeutig von denen eines Hufeisens, während ein Schwert immerhin das Material und die bewirkende Kraft, jedoch nicht die Form und den Zweck mit einem Hufeisen teilt und ihm dem Wesen nach somit näher steht als das Haus. Obwohl die Vier-UrsachenLehre des Aristoteles bis heute in der Technikphilosophie lebendig ist, ist sie in ihrer Rezeption nicht kritiklos geblieben. So richtet Heidegger seine Kritik primär auf den instrumentalen Charakter der Wesensbestimmung durch Ursachen. Das Problem besteht seiner Meinung nach darin, dass sowohl die ›Ursache für die Ursachen‹ als auch ihre Einheit, ihr Zusammenspiel nicht ausreichend geklärt ist (vgl. Heidegger 1962: 10). In einer komplizierten Abfolge des-in-Frage-stellens der Ursachen und ihrer Charakteristika kommt er zu dem Schluss, dass es sich bei der Technik um ein »Her-vor-bringen«, ein »Entbergen« handelt, in welchem »die Möglichkeit aller herstellenden Verfertigung« (Heidegger 1962: 12) beruht. Trotz seiner analytischen Verdienste ist jedoch fragwürdig, inwiefern Heideggers Konzeption des Wesens der Technik im Sinne des Entbergens tatsächlich dazu geeignet ist, den Gegenstand Technik als Untersuchungseinheit näher zu bestimmen, denn offensichtlich ist »Heideggers Auffassung vom Wesen der modernen Technik […] eigentlich ein Weg des Fragens« (Kawahara 1989: 47). Aus diesem Grund wird im Folgenden nach einer praktikablen Lösung gesucht, um das Wesen der Technik näher zu bestimmen. Weitere Versuche, den Kern der Technik zu bestimmen, finden sich in Ansätzen, die Technik in Differenz zu anderen Bereichen – beispielsweise Natur, Leben, Gesellschaft und Lebenswelt bzw. Kultur – bestimmen wollen.11 Auf die besondere Beziehung zwischen Technik und Natur wurde bereits im Rahmen des historischen Abrisses eingegangen. Tatsächlich »fungiert das Attribut ›natürlich‹ als Gegenbegriff für alles das, was als verändernder Eingriff in gewohnte und als unproblematisch vorausgesetzte Lebensumstände thematisiert wird« (Schulz-Schaeffer 2000: 36). Allerdings ist diese Differenz – ähnlich wie die Differenz zwischen Technik und Leben (vgl. Rammert 1989: 131) – insbesondere im Hinblick auf moderne Technologien wie beispielsweise Bio- und Nanotechnologie nicht länger einfach aufrecht zu halten. Zum einen entzieht sich – wie insbesondere die Gentechnik aufzeigt – »das Organische nicht grundsätzlich einer Technisierung« (Rammert 2000b: 45), zum anderen lässt sich Technik nicht länger 11
Für eine ausführliche Darstellung und Diskussion dieser Ansätze siehe Rammert 1998a: 298ff.; 2000b: 45ff. sowie Schulz-Schaeffer 2000: 35ff. Eine dezidierte Auseinandersetzung speziell mit ›Technik als Gegennatur‹ findet sich bei Ropohl 1991: 51.
2. Vom ›Wesen der Technik‹
auf reine Mechanik beschränken, wie beispielsweise Techniken künstlicher Intelligenz zeigen (vgl. Rammert 2000b: 45). Ähnlich problematisch verhält es sich mit dem Versuch, Technik in Abgrenzung zu Sozialem wie beispielsweise Gesellschaft, Lebenswelt und Kultur zu setzen. In diesem Zusammenhang wird gerne das mit der Technik scheinbar evozierte instrumentelle Handeln dem kommunikativen, sozialen Handeln gegenübergestellt (vgl. Rammert 2000b: 46; Schulz-Schaeffer 2000: 37ff.) und die technikorientierten Ingenieur- und Naturwissenschaften von den eher kulturell und gesellschaftlich orientierten Geisteswissenschaften abgegrenzt. Aber auch diese Differenz scheitert an der wechselseitigen Durchdringung von Technik und Gesellschaft bzw. Lebenswelt und Kultur: Zwar kann man auch in diesem Fall nicht »bei der Bestimmung des Technischen [nicht] auf den Gesichtspunkt ihrer Instrumentalität verzichten« (SchulzSchaeffer 2000: 42). Allerdings lässt sich das Technische erstens nicht ohne das Soziale oder Kulturelle bestimmen – so ist jede Technik geprägt von Vorstellungen und Visionen ihrer Entwickler und angewiesen auf die deutende Verwendung ihrer Nutzer. Zweitens lassen sich auch Gesellschaft und sogar Kultur nicht ohne die Technik denken, denn sogar »die rigoroseste symbolische Technik, die mathematische Logik, [ist] auf Sprachspiele der Alltagsrede angewiesen« (Rammert 2000b: 45). Diese wechselseitigen Durchdringungen führen dazu, dass Technik in gesellschaftlichen Kontexten zunehmend als etwas Natürliches betrachtet wird und ihr instrumenteller Charakter in den Hintergrund tritt (vgl. Schulz-Schaeffer 2000: 43). Auch wenn man diesenannten Differenzen nicht gänzlich verneinen kann, zeigt sich doch, dass die Grenzen zwischen Technik und Natur sowie Technik und Gesellschaft (einschließlich ihrer unterschiedlichen Facetten) aufweichen und der Kern der Technik nicht durch eine Differenzsetzung bestimmt werden kann. Um dennoch einen Zugang zum Wesen der Technik zu gewinnen, scheint sich das Phänomen der Technisierung anzubieten, das von Husserl in seiner phänomenologischen Abhandlung über die Entwicklung der Wissenschaften herausgearbeitet und von Blumenberg auf alle mechanisierten Handlungsbereiche übertragen wurde. Husserl bezieht sich in seinem Verständnis von Technisierung unter anderem auf die ›Mathematisierung der Natur‹ (vgl. Husserl 1977: 22ff.), die sich darin zeigt, dass insbesondere die Naturwissenschaften ihr Interesse auf die Entwicklung und Verwendung von mathematischen Formeln richten, mit deren Hilfe sich »die zu erwartenden empirischen Regelmäßigkeiten der praktischen Lebenswelt entwerfen [lassen]« (Husserl 1977: 46). Dies bedeutet zwar einerseits »eine ungeheure Erweiterung der Möglichkeit des in den alten primitiven Formen überlieferten arithmetischen Denkens« (Husserl 1977: 47), birgt gleichzeitig aber auch die Gefahr der Sinnentleerung, da niemand »ein wirkliches Verständnis des eigentlichen Sinnes und der inneren Notwendigkeit solcher Leistungen« (Husserl 1977: 56) besitzt. Blumenberg verdeutlicht diesen Vorgang am Beispiel der Türklingel: Während bei einer alten mechanischen Türklingel der Zusammenhang zwischen auslösender Ursache (zum Beispiel dem Ziehen an einer Schnur) sowie dem erzielten Effekt (in diesem Fall dem Erklingen eines Tones) unmittelbar nachvollziehbar war, verbirgt sich dieser Zusammenhang bei der elektrischen Klingel im Inneren der Technik:
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Die multiple Identität der Technik
[W]ir erzeugen den Effekt nicht mehr, sondern lösen ihn nur noch aus. Der gewünschte Effekt liegt apparativ sozusagen fertig für uns bereit, ja er verbirgt sich in seiner Bedingtheit und in der Kompliziertheit seines Zustandekommens sorgfältig vor uns, um sich uns als das mühelos Verfügbare zu suggerieren (Blumenberg 1981b: 35). Mit diesem Schritt löst Blumenberg den Begriff der Technisierung aus seinem ursprünglichen Kontext der Wissenschaft heraus und überträgt ihn »auf alle Handlungsbereiche, in denen es um Mechanisierung geht« (Schulz-Schaeffer 2000: 46). Die uns umgebenden lebensweltlichen Gegenstände und folglich auch die Technik treten uns als etwas Fertiges entgegen, als »unabhängig von allen funktionalen Erfordernissen, eine Sphäre von Gehäusen, von Verkleidungen, unspezifischen Fassaden und Blenden« (Blumenberg 1981b: 35f.). In diesem Sinne bietet die Technisierung – verstanden als Formalisierung von Prozessen – die eigentliche Voraussetzung dafür, dass sowohl ein alltäglicher Umgang mit den Dingen als auch technischer Fortschritt möglich werden: Man will und kann – sowohl in der alltäglichen Lebenswelt als auch im Forschungsprozess – nicht jeden den Dingen inhärenten Wissensbestand nachvollziehen, sondern mit Hilfe der »Methodik [eine] unreflektierte Wiederholbarkeit schaffen« (Blumenberg 1981b: 42), die zu einer Sinnentlastung im alltäglichen Umgang mit den Dingen führt. So gesehen handelt es sich nach Blumenberg bei der zunehmenden Technisierung der Lebenswelt keineswegs um einen Sinnverlust, sondern stattdessen um einen »selbst auferlegte[n] Sinnverzicht« (Blumenberg 1981b: 42), der die menschlichen Kapazitäten sowie die ›Reichweite jedes Daseins‹ in räumlicher und zeitlicher Hinsicht steigert (vgl. Blumenberg 1981b: 50f.). Geht man davon aus, dass der eigentliche Kern der Technik in einem als Technisierung bezeichneten formalisierten Prozess besteht, welcher den Zusammenhang von Ursache und Wirkung verbirgt, so gewinnt man einen brauchbaren Ansatz für das Wesen der Technik, der »die auf den Unterscheidungen natürlich/künstlich oder instrumentell/lebensweltlich aufbauenden dichotomischen Beschreibungen überwindet, indem [er] die Gegenbegriffe mit Blick auf das Phänomen des Technischen neu relationiert« (Schulz-Schaeffer 2000: 47). Auch Rammert greift den Begriff der Technisierung auf und beschreibt ihn in Anlehnung an Blumenbergs phänomenologischen Ansatz (vgl. Blumenberg 1981a, 1981b, 1981c) als eine »besondere formgebende Praxis [bezeichnet], Elemente, Ereignisse oder Bewegungen kunstfertig und effektiv in schematische Beziehungen von Einwirkung und notwendigen Folgen zusammenzusetzen« (Rammert 2008: 351). Zugleich wird damit ein relationales Technikverständnis vertreten, denn als technisiert gelten »Handlungen, natürliche Prozessabläufe oder Zeichenprozesse dann […], wenn sie einem festen Schema folgen, das wiederholbar und zuverlässig erwartete Wirkungen und erwünschte Leistungen erzeugt« (Rammert 2008: 351). Technische Objekte enthalten demzufolge »eine objektivierte Relation zwischen Ursachen und Wirkungen als selbstbestimmendes Merkmal« (Rammert 2007: 56), wodurch sie sich von nicht-technischen Objekten abgrenzen. Anzumerken ist, dass diese Differenzierung keineswegs substantiell, sondern vielmehr graduell zu verstehen ist: In Abhängigkeit davon, wie eng die Kopplung der Elemente ist und wie zuverlässig sie die gewünschte Wirkung hervorbringen, können die Beziehungen zwischen den einzelnen Elementen mehr oder weniger technisiert sein. Dieses prozessorientierte Verständnis von Technik schließt eine stoffliche
2. Vom ›Wesen der Technik‹
Basis allerdings keineswegs aus. Vielmehr können sich Technisierungsschemata in verschiedene Medien, wie beispielsweise physische Dinge, symbolische Zeichen oder körperliche Bewegungen einschreiben. Je nach Materialbasis präsentiert sich das Wesen der Technik im Sinne der Technisierung dann in unterschiedlicher Form: Auf der Basis körperlicher Bewegungen als Habitualisierung, in physischen Dingen als Mechanisierung und auf der Grundlage symbolischer Zeichen als Algorithmisierung (vgl. Rammert 2007: 16). In diesem Sinne können die unterschiedlichen Formen der Technisierung als der ›Geist‹ verstanden werden, »der die materiellen Glieder eines technischen Artefakts beseelt und belebt« (Rammert 1993: 297).12 Mit dem Verweis auf die unterschiedlichen Stoffe, die der Technisierung zugrunde liegen, präzisiert Rammert die bereits bei Blumenberg angelegte Idee einer Ausweitung des Technisierungsbegriffs von den Naturwissenschaften auch auf andere Bereiche. Hat Rammert zu Recht darauf hingewiesen, dass Technik nicht allein »als materielles Ensemble« (Rammert 1998a: 302) verstanden werden kann, ist im Umkehrschluss zu fragen, ob die Idee der Technisierung ausreichend ist, um die Identität der Technik näher zu bestimmen. Oder anders: Lassen sich einzelne Technologien anhand des ihnen zugrunde liegenden Technisierungsschemas identifizieren? Angesichts der Tatsache, dass das Schema der Technisierung auf materieller Basis äußerst unterschiedlich realisiert werden kann – man denke hier beispielsweise an das Schema des Fliegens und seine unterschiedlichen Umsetzungsversuche, die von der durch menschliche Kraft angetriebenen Imitation des Vogelfluges in der Tradition des Ikarus bis hin zur Entwicklung eines Airbus A319 für die Flugbereitschaft der Bundeswehr reichen – scheint fraglich, ob das Technisierungsschema allein ausreichend zur Identifizierung einer Technik ist. Selbst wenn dieses in die gleichen Trägermedien eingeschrieben ist (dies entspräche dem bereits dargestellten Verhältnis von Medium und Form bei Rammert, vgl. Rammert 1993: 291ff. sowie 2007: 47ff.) – was für den oben genannten Fall bedeutet, dass es sich beispielsweise um ein Flugzeug handelt – kann es in unterschiedlichen Anwendungskontexten wie der Ausübung eines Freizeitsports, militärischen Anwendungen oder aber auch dem Linienflug in der Tourismusbranche zum Einsatz kommen. Und selbst wenn man noch einen Schritt weiter geht und nicht nur das gleiche Schema der Technisierung sowie die gleiche Realisierung, sondern auch das gleiche Anwendungsfeld zur Identifikation einer Technik heranzieht, kann es – wie das zuvor genannte Beispiel der AWACS eindrücklich zeigt – dennoch gänzlich unterschiedliche soziale
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Interessant ist, dass sich eine ähnliche Konzeption von Technik ohne expliziten Verweis auf Husserl und Blumenberg auch in anderen Ansätzen findet. So denkt Luhmann beispielsweise darüber nach, »Technik als funktionierende Simplifikation zu begreifen [Hervorheb. im Orig.]« (Luhmann 1997: 524), eine Idee, die durchaus an den mit der Technisierung einhergehenden Aspekt der Sinnentlastung erinnert. Ropohl wiederum bezieht sich in seiner sehr praxisnahen Fassung des Gegenstands Technik auf die ihr zugrunde liegenden Funktionsideen, wobei der »Funktionsbegriff, wie in Mathematik und Naturwissenschaften üblich, im rein beschreibenden Sinn gebraucht [wird]: Die Funktion gibt das tatsächliche Transformationsverhalten an und sagt nichts über dessen Zweck oder Sinn aus. Die Funktion eines Sachsystems ist gewissermaßen das Verfahren, das darin abläuft« (Ropohl 2006b: 52). Obwohl zu vermuten ist, dass eine Parallele zu dem Begriff der Technisierung nicht intendiert ist, lassen sich zwischen beiden Ansätzen deutliche Berührungspunkte finden.
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Die multiple Identität der Technik
Bedeutungen erhalten. In der Tat scheint man zwar weder das Technisierungsschema, noch die Stoffbasis sowie das Anwendungsfeld oder den konkreten Einsatz bei der Konzeption einer Identität der Technik unberücksichtigt lassen zu können. Gleichwohl stellen diese Faktoren nur notwendige, jedoch keine hinreichenden Bedingungen zur Bestimmung technischer Identitäten dar, denn im Beispiel der AWACS war keiner der Faktoren offenbar in der Lage, abschließend zu klären, worum es sich bei den AWACS eigentlich handelt und wie ihr Einsatz zu bewerten sei (›geschlossen‹ wurde die Debatte letztendlich auf juristischem Wege). Gleichzeitig wird jedoch deutlich, wie groß der Einfluss eines bestimmten Verständnisses von Technik auf Politik und Gesellschaft sein kann. Es lässt sich festhalten, dass das Schema der Technisierung – um es in den Begriffen der Identitätsforschung zu fassen – so etwas wie die Kernidentität der Technik darstellt, wobei es jedoch nicht in der Lage ist, auch die Ausprägung unterschiedlicher Teilidentitäten zu erfassen. Vielmehr hat Technik neben ihrer Kernbedeutung auch noch eine darüber hinausreichende soziale Bedeutung, die in unterschiedlichen Anwendungskontexten variieren kann. Wenn also die Technisierung im Sinne Rammerts der ›Geist‹ der Technik ist und die – wie auch immer geartete – stoffliche Basis so etwas wie ihr ›Körper‹, dann bleibt darüber hinaus nach wie vor die Frage offen, welche soziale Bedeutung eine konkrete Technik in einer spezifischen Situation hat und wie sie diese eigentlich erhält.
2.2.
Das Soziale steckt in der Technik, aber wie kommt es dort wieder heraus? – Von der Idee der Vergegenständlichung zur Widerständigkeit der Dinge
Wie zuvor gezeigt, stellt die Beschreibung der stofflichen Basis der Technik zwar eine notwendige, jedoch keine hinreichende Voraussetzung für die Erfassung der Technik und damit für die Konzeption einer Identität der Technik dar. So ist ein an einem Holzstiel befestigtes Eisenstück noch lange kein Hammer und das systematische Zerlegen von Objekten mittels eines Messers ist nicht automatisch mit der Seziertechnik in medizinischen Kontexten gleichzusetzen.13 Auch das herausgestellte Wesen der Technik in Form eines auf unterschiedlicher Stoffbasis realisiertem Technisierungsschemas stellt zwar das Typische einer Technik – quasi im Sinne einer Kernidentität der Technik – heraus, gibt jedoch noch keine Auskunft darüber, ob und wenn in welcher spezifischen Weise die verschiedenen Techniken tatsächlich sozial in Erscheinung treten. Abgesehen davon, dass ein Technisierungsschema also noch nicht zwangsläufig sozialen Einfluss 13
An dieser Stelle wird der bereits beschriebene Unterschied zwischen Technisierung als ›Geist‹ bzw. ›Kernidentität‹ der Technik sowie ihrer sozialen Bedeutung besonders deutlich: Das systematische Zerteilen von Objekten kann durchaus im Sinne des Technisierungsgedankens als »situativ gefundene, erprobte und auf Dauer gestellte und immer wieder aktivierbare Sequenz von Abläufen, die erwartbare Wirkungen zeitigen« (Rammert 1998a: 308) verstanden werden. Damit ist aber lediglich die Grundidee dieser Technik beschrieben. Wofür diese Sequenz angewandt – ob zum Sezieren im medizinischen Sinn oder zum Zerteilen von Fleisch auf dem Schlachthof – und welche sozialen und kulturellen Bedeutungen ihr zugeschrieben werden, ist damit jedoch noch nicht ausgesagt.
2. Vom ›Wesen der Technik‹
ausübt (wen interessiert ein Stuhl, der verlassen in einem unbegehbaren Stück Wildnis steht?) und vor allem nicht unbedingt in der ursprünglich geplanten Weise (auch wenn ein Stuhl zunächst dafür konzipiert wurde, um darauf zu sitzen, eignet er sich jedoch in vielen Fällen mindestens genauso vortrefflich als Leiter, Beistelltisch oder womöglich sogar als Brennholz), besteht auch die Möglichkeit, dass technischen Stoffen nicht nur ein, sondern gleich mehrere Technisierungsschemata eingeschrieben sein können, die jeweils wiederum eine unterschiedliche soziale Bedeutung erlangen können, wie das Beispiel des Computers eindrucksvoll zeigt: Computer eignen sich […] für die Veränderung von Arbeit ebenso wie von Spiel, für die Steuerung und Kontrolle ganz beliebiger Prozesse, ob herrschaftlicher oder künstlerischer oder wissenschaftlicher […]. Computer lassen sich sozusagen in einem stärkeren Sinn als andere Geräte als Simulate und Kombinate betrachten – sie können die Operationen vieler anderer Geräte nachahmen und in ein und derselben Maschine zusammenführen [Hervorheb. getilgt, K.L.] (Joerges 1996: 74f.). Ob überhaupt und wenn ja wie Technik eine soziale Bedeutung bzw. eine Identität erhalten und somit auch soziologisch relevant werden kann, bildet die Ausgangsfrage der nachfolgenden Überlegungen. Dabei scheint – wie Schulz-Schaeffer herausgestellt hat – das Problem weniger in der Frage nach der sozialen Relevanz von Handlungstechniken als vielmehr in der von sachtechnischen Artefakten zu bestehen (vgl. SchulzSchaeffer 2000: 48ff.). Während »die Elemente, aus denen Handlungstechniken zusammengesetzt sind, Handlungen oder Kommunikationen, geläufiger Gegenstand der soziologischen Beobachtung und Theoriebildung sind« (Schulz-Schaeffer 2000: 4), scheint den unterschiedlichen Stoffen, aus denen Sachtechnik sich konstituiert, nicht zwangsläufig die gleiche soziologische Bedeutung zuteil zu werden. Aber was macht dann aus den unterschiedlichen Stoffen spezifische, sozial anerkannte Techniken? Offensichtlich muss den technischen Stoffen überhaupt erst so etwas wie ein sozialer Sinn verliehen werden, zum einen, damit sie auf einer allgemeinen Ebene überhaupt als soziologische Tatsache in Erscheinung treten und wahrgenommen werden und zum anderen, um ihnen in den unterschiedlichen sozialen Kontexten, in die sie eingebettet sind, eine spezifische soziale Identität zu verleihen. Folglich geht es »um die Relationierung von Technik und Sinn, die analoge Probleme aufwirft wie die Beziehung zwischen Materie und Geist oder Körper und Seele« (Rammert 1993: 302). Was Technik im Hinblick auf ihre soziale Identität ist, erschließt sich also offensichtlich nicht von selbst, sondern bedarf weiterer Erläuterungen. Nun ist die Idee, dass Technik neben ihrer stofflichen Manifestation sowie dem ihr inhärenten Technisierungsschema auch soziale Bezüge und Inhalte aufweist, nicht neu. In der techniksoziologischen Forschung lassen sich eine Reihe von Ansätzen unterscheiden, die sich mehr oder minder explizit diesem Thema widmen. Für die Entwicklung des Konzepts einer Identität der Technik sind insbesondere vier Ansätze relevant, die auf unterschiedliche Art und Weise die soziale Identität der Technik zu erschließen suchen. So wird im Rahmen der Vergegenständlichungsperspektive angenommen, dass der soziale Inhalt quasi in das technische Objekt eingeschrieben ist (›Der soziale Inhalt ist in den Dingen vergegenständlicht‹) und den Nutzer quasi automatisch zu dem von den Entwicklern intendierten Gebrauch veranlasst. Demgegenüber wird im Sozialkonstruk-
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tivismus davon ausgegangen, dass der soziale Inhalt technischer Objekte keineswegs schon feststeht, sondern erst durch Bedeutungszuschreibungen konstruiert wird (›Der soziale Inhalt der Dinge wird durch Bedeutungszuschreibung definiert‹). Auch die Praxistheorie geht davon aus, dass erst der Nutzer technischen Objekten einen sozialen Inhalt verleiht, allerdings im Rahmen des praktischen Umgangs mit ihnen (›Der soziale Inhalt der Dinge ergibt sich durch den Umgang mit ihnen‹). Neuere Ansätze wie beispielsweise die Akteur-Netzwerk-Theorie oder die Mangle of Practice wiederum schreiben den Dingen selber in unterschiedlichen Maßen Handlungsträgerschaft und Widerständigkeit zu (›Dinge wehren sich und handeln mit‹). Die genannten Ansätze werden im Folgenden kurz skizziert und im Hinblick auf ihre Aussagekraft bewertet.
2.2.1.
Die Vergegenständlichung des Sozialen in der Technik
Aus der auf Linde zurückgehenden Vergegenständlichungsperspektive wird angenommen, dass der soziale Inhalt der Technik einerseits im Herstellungsprozess quasi in das technische Objekt eingeschrieben wird und andererseits – in Anlehnung an Durkheims Definition sozialer Tatbestände – den Nutzer automatisch zu dem von den Entwicklern intendierten Gebrauch veranlasst und auf diese Weise zur Ausbildung entsprechender Handlungsstrukturen führt. Ausschlaggebend für Lindes Bemühungen ist die in der Soziologie der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts vorherrschende »Sachabstinenz« (Linde 1972: 12), im Zuge derer Artefakte aus dem soziologischen Kontext exkommuniziert und in die Systemumwelt ausgelagert wurden. Eine derartige System-Umwelt-Konzeption übersieht Lindes Meinung nach, »daß der von profanen Artefakten ausgehende Anpassungszwang durch eine hochselektive, spezifische ›Gebrauchsanweisung‹ bereits handlungsrelevant strukturiert ist« (Linde 1972: 9). Mit dem Ziel, Artefakte »der Kategorie Gerät oder kurz ›Sachen‹« (Linde 1982:1) zurück in die Soziologie zu holen und ihren Stellenwert für gesellschaftliche Strukturen und Zusammenhänge herauszuarbeiten, formuliert Linde 1972 die Doppelthese, »daß (a) Sachen soziale Verhältnisse begründende und artikulierende Grundelemente [sic!] der Vergesellschaftung sind und (b) daher auch notwendig eine Grundkategorie der soziologischen Analyse sein müssten« (Linde 1972: 8). Dabei greift er zum einen auf Emile Durkheims Überlegungen zu sozialen Tatbeständen, verstanden als »jede mehr oder minder festgelegte Art des Handelns, die die Fähigkeit besitzt, auf den Einzelnen einen äußeren Zwang auszuüben« (Durkheim 1984: 114) sowie Hans Freyers Kategorie ›Gerät‹ im Sinne »vergegenständlichte[r] oder vorgefertigte[r] Teilstücke von zweckgerichteten Handlungsabläufen« (Linde 1972: 59) zurück. Diese Überlegungen aufgreifend stellen Linde zufolge Sachen ebenfalls vorgegebene, vom Individuum unabhängige Handlungsmuster dar und üben analog zu Durkheims sozialen Tatbeständen einen verhaltensdeterminierenden Zwang im Hinblick auf ihre Aneignung und Verwendung aus. Bereits mit dem Erwerb eines Gerätes erfolgt demnach die Festlegung auf eine bestimmte, in dem Gerät vergegenständlichte Zweck/Mittel/Sanktion-Kombination, die zum einen ein gewisses ›Verhalten‹ der erworbenen Technik erwarten lässt, zum anderen jedoch auch weitere Optionen ausschließt. Mit einem Thermomix lassen sich Lebensmittel zerkleinern, erwärmen und dampfgaren, nicht jedoch grillen. Interessant ist die Erweiterung um den As-
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pekt der Sanktionen, welche bei regelwidriger Handhabung eines technischen Geräts unter Umständen drohen (so empfiehlt sich, bei der Zubereitung von Puderzucker im Thermomix den Deckelaufsatz nicht zu vergessen). Die in den Dingen angelegten Verwendungsweisen sind somit »mit mehr oder weniger großen Toleranzen vorprogrammiert« (Linde 1972: 70). Der soziale Charakter technischer Artefakte geht diesem Verständnis nach aus »jener Erwartung [hervor], die in der Konstruktion der Sache gegenständlich fixiert ist« (Linde 1972: 74f.). Zehn Jahre nach Erscheinen seines Aufsatzes zur Vergegenständlichungsperspektive in der Techniksoziologie erweitert Linde seinen Ansatz um die Entstehungszusammenhänge technischer Artefakte, denn – wie Linde richtig bemerkt – handelt es sich bei »Herstellung und Verwendung […] um zwei analytisch isolierbare und getrennt erörterungsbedürftige Dimensionen der Sache Gerät« (Linde 1982: 7). Auf diese Weise wird ein weiter gefasster gesellschaftlicher Bezug hergestellt, denn die Entstehung neuer Innovationen basiert nicht nur auf gesellschaftlichen Wissensbeständen, Erwartungen und sozialen Strukturen, sondern bedarf zu ihrer Durchsetzung auch gesellschaftlicher Akzeptanz, um sich erfolgreich am Markt behaupten zu können. Im Zuge des Herstellungsprozesses werden somit auch gesellschaftliche Strukturen und Zusammenhänge in die Technik eingeschrieben. Um dem Vorwurf des Technikdeterminismus entgegenzuwirken, verweist Linde darauf, dass technische Artefakte ähnlich wie soziale Normen dem Einzelnen zwar als soziale Struktur gegenübertreten, ihre determinierende Funktion aber nicht für sich genommen entfalten, sondern erst durch ihre Einbettung in soziale Strukturen bzw. in diesem Fall auch technische Infrastrukturen eine handlungsnormierende Wirkung erhalten. Die Aufgabe einer soziologischen Analyse von Sachverhältnissen besteht dann darin, »die soziale Relevanz der in den Sachen angelegten und mit der Sachaneignung wie mit dem Sachgebrauch akzeptierten Regelungen zu entziffern« (Linde 1972: 82). Lindes Ansatz wurde später im Zuge der sogenannten ›realistischen Techniksoziologie‹ aufgegriffen und weiter ausgeführt. ›Realistisch‹ verweist hier auf eine »Herangehensweise […], in der Technik als ›äußere‹, handelnden Subjekten gegenüberstehende soziale Struktur konzipiert wird […]« (Joerges 1989: 46), beispielsweise in Form technischer Normierungen und Regularien. Auch die realistische Techniksoziologie wehrt sich gegen den Vorwurf des Technikdeterminismus, indem sie darauf verweist, dass Gerätetechnik keineswegs bei den Geräten ende, sondern Handlungsanschlüsse voraussetze (vgl. Joerges 1988: 35). Diese »spiegeln einerseits die Struktur der Geräte und müssen sich mit ihnen ändern; sie folgen andererseits, wenn auch eben nicht so starr, ähnlichen unpersönlich-formalisierten Ablaufprogrammen wie die Operationen der Geräte auch« (Joerges 1988a: 35). Nun ist bereits aus der Kommunikationsforschung bekannt, dass sich die Vorstellung eines Transportmodells im Sinne eines Vorgangs, bei dem auf der einen Seite Inhalte ›verpackt‹ werden und wie von Zauberhand bei dem Empfänger einer Nachricht oder eben dem Nutzer einer Technik wieder heraustreten und die zuvor intendierte Wirkung entfalten, als äußerst kritikanfällig erwiesen hat. Hat der Transport von Nachrichten, wie ihn beispielsweise Shannon und Weaver (1976) vertraten, in der Kommunikation schon nicht funktioniert, so ist gleichfalls äußerst zweifelhaft, ob sich die von Erfinder und Hersteller intendierten und in technischen Artefakten vergegenständlichten Ziele und Verwendungsweisen in der Tat auch so einfach zum Nutzer ›transportie-
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ren‹ lassen, um dort ihre handlungsnormierende Wirkung zu entfalten. Wenngleich der Gedanke, dass sachtechnische Artefakte in bestimmter Form sozial vorstrukturiert sind, interessant ist, erweist sich insbesondere die »funktionale Äquivalenz von technischen Artefakten und sozialen Normen« (Linde 1982: 28) als nicht unproblematisch. So weist Schulz-Schaeffer auf Schwachstellen in der Analogiebildung hin, denn während Durkheims soziale Institutionen Strukturen darstellen, die nicht auf individuelle Handlungen zurückzuführen sind, sondern diese umgekehrt beeinflussen, beruht der institutionelle Charakter von Sachtechnik sehr wohl auf individuellem Handeln, nämlich dem Einschreiben von Handlungsanweisungen in die Sachtechnik während des Konstruktions- und Herstellungsprozesses (vgl. Schulz-Schaeffer 2000: 57ff.). Darüber hinaus besitzen die in Sachtechnik vergegenständlichten Handlungsmuster ihre Funktion als soziale Institution erst in dem Moment, in dem sie auch tatsächlich in einem bestimmten Kontext Anwendung finden. In diesem Moment mögen sie durchaus in der Lage sein, soziale Handlungsabläufe durch die in ihnen vergegenständlichten Mechanismen zu ersetzen14 . Das setzt allerdings voraus, dass man weiß, wie man der Sachtechnik die vergegenständlichten Handlungsmuster entlockt, was sich bei manchen Technologien durchaus als Herausforderung erweisen kann (vgl. Schulz-Schaeffer 2000: 59ff.). So zeigt die Bedienung der Solarthermieanlage im neuen Eigenheim, dass die Gebrauchsanweisung einem Gerät offenbar keineswegs immer eingeschrieben ist, sondern sich unter Umständen als überaus opak erweist und erst mit Mühe und keineswegs immer erfolgreich dem Artefakt entlockt werden muss. Das Funktionieren der vergegenständlichten Handlungsmuster ist zudem von ihrer Einbettung in bereits bestehende, stabile Handlungszusammenhänge sowie sozialen Voraussetzungen abhängig (der schleppende Ausbau von Breitband-Zugängen verhinder in ländlichen Gegenden mancherorts schlicht die Internetversorgung) und außerdem muss eine soziale Notwendigkeit für die Nutzung dieses Mediums (z.B. der Wunsch nach einem schnellen Medium zum Überbrücken größerer Distanzen) vorhanden sein (vgl. Schulz-Schaeffer 2000: 62ff.). In diesem Ansatz ausgeschlossen scheinen dann auch vor allem eigensinnige, nicht-intendierte Verwendungsweisen durch den Nutzer zu sein, welche die vergegenständlichten Anweisungen sowie in der Technik angelegten Handlungsnormierungen ad absurdum führen: So wird im Alltag der Gehstock zum Beispiel als ›Telefon‹ umfunktioniert (vgl. Forchhammer 2006: 135) oder aus dem Sitzhocker wird ein Tritthocker als Ersatz für eine Leiter. Insbesondere für die Technikforschung wirft dies – wie Forchhammer zu Recht bemerkt – gleichzeitig aber auch neue Fragen auf, denn Technologies are, nonetheless, often characterized as being designed in a certain context, by someone, with certain goals in mind. But it is a theoretical challenge to grasp the dialectics of predertimination and open-endedness in the use of technologies (Forchhammer 2006: 132). Schließlich ist zu fragen, ob sich der soziale Aspekt der Technik tatsächlich in ihrer handlungsnormierenden Funktion erschöpft. Es ist nicht nur so, dass die in technischen Artefakten angelegten Verwendungsweisen ignoriert werden können und Tech14
Man denke hier beispielsweise an Krippendorfs ›verschwundenen Boten‹, der heute gerne durch das Telefon oder das Schreiben von Emails ersetzt wird (vgl. Krippendorf 1994).
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nik dadurch ihre handlungsleitende Funktion verliert, sondern selbst wenn ein technisches Artefakt in der ursprünglich intendierten Weise verwendet wird, können verschiedene Akteure ihm eine gänzlich unterschiedliche Bedeutung zuweisen. So kann es sich bei den bereits dargestellten AWACS sowohl um Aufklärungsflugzeuge als auch um Kampfmaschinen handeln. Neben diesen theoretischen Schwachstellen weist der Ansatz auch praktische Probleme auf. Denn die hier fokussierten Hoch- und Querschnittstechnologien zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie weder über eine eindeutige sachtechnische Gestalt noch über einen klar definierten Anwendungszweck verfügen, dafür aber eine so hohe Komplexität aufweisen, dass von »jedem Gerät notwendig eingeschriebenen spezifischen Anforderungen seiner Verwendung [und] seines Gebrauchs« (Linde 1982: 20) im Sinne Lindes kaum die Rede sein kann. Diesen Kritikpunkten zum Trotz bietet die Vergegenständlichungsperspektive einige interessante Ansatzpunkte für die zu erarbeitende Konzeption einer Identität der Technik. Zunächst stellt schon der Versuch, technische Artefakte einer soziologischen Analyse überhaupt zugänglich zu machen, für die Techniksoziologie einen wichtigen Meilenstein dar. Zwar ist damit noch nicht erklärt, was Technik an sich ist bzw. wie ihre Identität zu denken sei, aber die Perspektive, Artefakte in ihrer Materialität und Funktionalität ernst zu nehmen sowie die daraus resultierenden Effekte zu berücksichtigen, bietet interessante Ansatzpunkte für den Eigenanteil der Technik selbst an ihrer Identitätsbildung. Denn auch wenn sowohl die Materialität der Technik als auch ihr Design sowie ihr Funktionsprinzip sozialen Prozessen – beispielsweise im Zuge ihrer Erfindung und Herstellung – unterliegen, so tritt die Technik selbst dem Nutzer doch als etwas gegenüber, auf das er –durch eigensinnige Praktiken der Fremdverwendung oder auch Missbrauch – zwar einen gewissen Einfluss hat, das ihm gleichzeitig jedoch keinen unbegrenzten Möglichkeitsraum anbietet, sondern ihn durchaus in seinen auf das Artefakt bezogenen Verhaltensweisen einschränkt (wenngleich auch nicht in der handlungsdeterminierenden Form, wie bei Linde und der realistischen Techniksoziologie angelegt). Bevor diese Überlegungen vertieft und zu einer Identität der Technik ausgebaut werden können, greifen die nachfolgenden Ansätze zunächst die genannten Schwachstellen auf und legen den Schwerpunkt ihrer Betrachtung entsprechend auf die an technische Artefakte herangetragenen Deutungszuschreibungen sowie Praktiken ihrer Nutzung.
2.2.2.
Technik als soziale Konstruktion
Entgegen der Vergegenständlichungsperspektive liegt Ansätzen, die sich mit der sozialen Konstruktion von Technik beschäftigen, die Annahme zugrunde, dass der soziale Inhalt technischer Objekte keineswegs schon mittels Einschreibung während des Herstellungsprozesses feststeht, sondern erst durch Bedeutungszuschreibungen konstruiert wird. Maßgeblich geprägt wurde die Diskussion um die soziale Konstruktion von Technik durch den Schlüsseltext ›The Social Construction of Facts and Artifacts: Or How the Sociology of Science and the Sociology of Technology Might Benefit Each Other‹ (Pinch/Bijker 1987) aus dem Bereich der Wissenschaftssoziologie: Zum einen, indem die Autoren die bis dahin in der wissenschaftlichen Literatur häufig proklamierte Trennung
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zwischen Wissenschaft und Technik aufheben und stattdessen deren Interdependenzen betonen und zum anderen, indem sie darüber hinaus auf die Parallelen zwischen Wissenschafts- und Technikforschung im Hinblick auf die soziale Konstruktion ihrer Gegenstände verweisen (vgl. Pinch/Bijker 1987: 21). Pinch und Bijker knüpfen an das von Collins dargestellten ›Empirical Programme of Relativism‹ (EPOR) aus der Wissenschaftssoziologie an, das durch die Annahmen gekennzeichnet ist, dass auch naturwissenschaftliche Fakten erstens interpretativ flexibel sind und mehr als eine Interpretation zulassen. Zweitens unterliegen die daraus resultierenden wissenschaftlichen Kontroversen sozialen Schließungsmechanismen, welche die »potentially endless debate about interpretation« (Collins 1981: 7) begrenzen. Diese müssen drittens zu dem sie umgebenden sozio-kulturellen Milieu in Beziehung gesetzt werden, welches seinerseits Einfluss auf die institutionelle Autonomie der Wissenschaft nimmt. Bezug nehmend auf die enge Verzahnung zwischen Wissenschaft und Technikentwicklung übertragen Pinch und Bijker die in EPOR zur Erklärung herangezogenen drei Phasen der Konstruktion wissenschaftlichen Wissens in den Naturwissenschaften auf die Social Construction of Technology (SCOT). Den Ausgangspunkt stellt die interpretative Flexibilität technologischer Artefakte dar, die darin besteht, dass sich »radically different meanings of an artefact« (Pinch 1996: 24) für unterschiedliche soziale Gruppen identifizieren lassen. Diese können unterschiedliche Sachverhalte betreffen. Zum einen lässt sich die interpretative Flexibilität im Hinblick auf Technik so verstehen, dass insbesondere in der Entwicklungsphase unklar ist, durch welches technische Artefakt ein bestimmtes Problem am besten gelöst werden kann und wie ein Artefakt so gestaltet werden kann, dass es sich in besonderer Form zur Lösung eines Problems eignet (vgl. Pinch/Bijker 1987: 40). In diesem Fall stehen mehrere Artefakte zur Auswahl, die potentiell zur Lösung eines Problems beitragen können.15 Demgegenüber können zum anderen einem bestimmten Artefakt unterschiedliche Bedeutungen – zum Beispiel im Hinblick auf seine Verwendungs- und Nutzungskontexte, aber auch hinsichtlich der Rolle, die es innerhalb unterschiedlicher sozialer Gruppen spielt – zugeschrieben werden (vgl. Pinch/Bijker 1987: 29ff.). An dem Übergang vom Hochrad (beispielsweise dem Penny Farthing ›Ordinary‹) zum Sicherheits-Niederrad (›Safety Bicycle‹) lässt sich zeigen, dass nicht jede soziale Gruppe diese technische Entwicklung mit der gleichen Begeisterung teilte: Während insbesondere Frauen, die unter anderem aufgrund ihrer Bekleidung kaum eine Möglichkeit hatten, ein Hochfahrrad zu nutzen, die Verringerung der Reifengröße als Lösung ihres Problems betrachteten, sahen junge, abenteuerlustige Männer das deutlich anders: Sie hatten primär sportliche Ambitionen und fürchteten nun, dass eine kleinere Fahrradbereifung zu einer geringeren Fahrgeschwindigkeit führen könne (vgl. Pinch/Bijker 1987: 34f.). Das Beispiel zeigt, dass sich das Set an Bedeutungen hinsichtlich eines Artefakts nicht zwangsweise der gleichen Beliebtheit bei allen Beteiligten erfreut, sondern unter Umständen im
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Pinch und Bijker demonstrieren am Beispiel der Luftbereifung, welche das Vibrationsproblem kleinerer Reifen löste und somit eine Abkehr von den ursprünglichen Hochfahrrädern ermöglichte, dass dies keineswegs die einzige denkbare Lösung darstellte. Alternativ hätten ebemsp Modifikationen am Fahrradrahmen oder dem Sattel durch den Einbau von Sprungfedern als Lösung dienen können (vgl. Pinch/Bijker 1987: 41).
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Widerspruch zu den Deutungszuschreibungen anderer relevanter sozialer Gruppen steht. Wie aber lassen sich die Kontroversen hinsichtlich Bedeutung und Eignung eines Artefakts zur Lösung bestehender Probleme beenden? Pinch und Bijker nennen zwei Schließungsmechanismen, die zu einer Schließung der Debatten sowie einer Stabilisierung des Artefakts führen: Entweder behandeln die relevanten sozialen Gruppen ein Problem als gelöst (rhetorical closure), indem sie beispielsweise in Werbeanzeigen darauf hinweisen, dass auch ein Hochrad »almost absolute safety« (Pinch/Bijker 1987: 44) bietet, oder sie übersetzen es in ein anderes Problem (closure by redefinition of the problem). So schienen luftbereifte Niedrigräder für sportliche, männliche Fahrradfahrer zunächst wenig attraktiv, da sie hierdurch eine Verringerung der Fahrgeschwindigkeit befürchteten. Als aber ein luftbereiftes Niedrigrad erstmalig ein Fahrradrennen gewann, änderte sich diese Einstellung: Die Luftbereifung war nun mehr nicht länger die Lösung des Vibrationsproblems bei langsamen, sicherheitsorientierten Niedrigrädern, sondern eine Möglichkeit, besonders schnell und sportlich voranzukommen: »One can say […] that the meaning of the air tire was translated to constitute a solution to quite another problem: the problem of how to go as fast as possible« (Pinch/Bijker 1987: 46). Aufgrund der genannten Mechanismen kommt es schließlich zur Schließung der Debatte sowie einer Einigung hinsichtlich Bedeutung und Design des Artefaktes. Die Betonung der beschriebenen sozialen Konstruktion von Artefakten stellt zweifelsohne eine herausragende Leistung dar, hat sie doch die soziologischen Debatten hinsichtlich der sozialen Bedeutung der Technik in den letzten Jahren maßgeblich beeinflusst. Nichtsdestotrotz werfen auch hier einige Punkte Fragen auf. Meyer und Schulz-Schaeffer weisen zu Recht darauf hin, dass die zentralen Annahmen von SCOT deutlich unpräziser gefasst sind als die des EPOR-Ansatzes (vgl. Meyer/SchulzSchaeffer 2006: 30). Dies betrifft insbesondere das Konzept der interpretativen Flexibilität. So macht es einen gewaltigen Unterschied, ob sich die interpretative Flexiblität auf verschiedene Artefakte, »die darum konkurrieren, als Lösung eines Problems zu gelten« (Schulz-Schaeffer 2000: 263) oder aber eben nur auf ein Artefakt und die ihm zugeschriebenen Deutungen bezieht. Während im ersten Fall das Problem eine technische Lösung ›sucht‹, sucht im zweiten Fall das technische Artefakt eine Bedeutung (beispielsweise in Form eines Nutzungskontextes).16 Darüber hinaus ist fraglich, ob tatsächlich, wie die verschiedenen von Pinch und Bijker beschriebenen Schließungsmechanismen nahelegen, ein ›Einigungszwang‹ besteht, der die Debatte um ein Artefakt beendet. Weder ist auszuschließen ist, dass verschiedene technische Realisierungsformen gleichzeitig zur Lösung eines Problems koexistieren, noch ist nach Schulz-Schaeffer im Hinblick auf unterschiedliche Deutungen eines Artefaktes 16
Zur Präzisierung des Konzepts der interpretativen Flexibilität schlagen Meyer und SchulzSchaeffer die Differenzierung zwischen drei Formen interpretativer Flexibilität vor: Erstens interpretative Flexibilität hinsichtlich der ›Wahrheit‹ von Daten und Informationen, die primär die in EPOR vertretene Auffassung der sozialen Konstruktion wissenschaftlicher Fakten betrifft; zweitens interpretative Flexibilität im Hinblick auf die Nützlichkeit, die die Frage beinhaltet, ob und wenn ja, für wen ein technisches Artefakt einen Nutzen aufweist und somit in weiten Teilen mit dem SCOT-Ansatz korrespondiert sowie drittens interpretative Flexibilität bezogen auf die Relevanz, die insbesondere bei der Beurteilung zukünftiger Forschungs- und Entwicklungspfade von Bedeutung ist (vgl. Meyer/Schulz-Schaeffer 2006: 27ff.).
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zu »erkennen, aus welchem Grund ein Einigungszwang bestehen könnte, der die beteiligten Akteure dazu nötigt, ihre unterschiedlichen Deutungen in einer Kontroverse auszutragen« (Schulz-Schaeffer 2000: 278). Um bei dem Beispiel des Fahrrads zu bleiben, lässt sich weder von einer homogenen Verwendungsweise noch von einer einheitlichen Form der Realisierung sprechen. Stattdessen präsentiert sich das Artefakt in einer Nutzungs- und Materialisierungsvielfalt, die vom Fahrrad als Sport- und Freizeitgerät über das Fahrrad als Transport- und Verkehrsmittel bis hin zur Touristenattraktion in Form der Fahrradrikscha reicht. Verschärft wird diese Problematik, wenn man es mit hochkomplexen Technologien wie beispielsweise der hier behandelten AR-Technologie zu tun hat: In diesen Fällen scheint eine soziale Schließung im Hinblick auf die unterschiedlichen Bedeutungen und Funktionen sowie das Design eines Artefaktes eher die Ausnahme als die Regel zu sein, denn das Problem dieser Technologien besteht ja gerade darin, dass unterschiedliche stoffliche Realisationen und Anwendungskontexte nebeneinander bestehen und eine Schließung, die zu einer mehr oder minder einheitlichen Identität der Technik führen könnte, eben nicht in Sicht ist. Insbesondere Quertechnologien zeichnen sich eben durch eins aus: Sie liegen quer zu verschiedenen Anwendungsfeldern und Nutzerkontexten. Das sichert ihnen einerseits eine große Offenheit und Bandbreite an technischen Realisierungen und Einsatzmöglichkeiten, dies erfolgt andererseits aber um den Preis einer zumindest temporär oder lokal stabilen Bedeutungszuschreibung. Zu komplex sind hier die technologischen Konfigurationen, als dass man überhaupt von einem Gegenstand sprechen kann. Zu heterogen treten die beteiligten Akteure auf, als dass sich hier eine überschaubare Anzahl relevanter sozialer Gruppen benennen ließe, welche zu einer Einigung beitragen könnten. Und vor allem: Zu vielfältig präsentieren sich die intendierten sowie die ursprünglich nicht geplanten Anwendungsmöglichkeiten, als dass eine zumindest vorübergehende Bedeutungszuschreibung im Sinne eines ›Gerätes für…‹ überhaupt möglich scheint. Daher sind Zweifel angebracht, ob eine soziale Schließung überhaupt in jedem Fall nötig oder sinnvoll ist. Offensichtlich sind wir auch trotz unterschiedlicher Deutungszuschreibungen sowie stofflicher Realisierungen in der Lage, technische Artefakte als eine bestimmte Technologie zu identifizieren, was im weiteren Verlauf die Frage aufwirft, worin die Kernidentität einer Technologie besteht (vgl. in dieser Arbeit Kapitel 3.1.4). Der Ansatz des Social Construction of Technology hat in den letzten Jahren einen Teil der Kritikpunkte aufgenommen und darauf zu reagieren versucht, indem er unter anderem nicht mehr nur primär den Designprozess, sondern auch den Nutzerkontext stärker berücksichtigt sowie die Wechselseitigkeit der Beeinflussung (social shaping) von sozialer Gruppe und technischem Artefakt stärker in den Vordergrund zu rücken und darüber hinaus an den sozio-kulturellen Kontext anzubinden sucht (vgl. Kline/Pinch 1996; Pinch 1996). Obwohl die diesem Ansatz zugrunde liegende Idee, dass es sich bei technischen Artefakten nicht nur um ›Behälter‹ für die von den Entwicklern eingebauten Ideen (wie dies die Vergegenständlichungsperspektive zuweilen anklingen lässt), sondern stattdessen um das Ergebnis sozialer Aushandlungsprozesse handelt, für eine soziologische Betrachtungsweise überaus reizvoll und gewinnbringend sein mag, wird die interpretative Flexibilität ihrerseits nicht nur durch bereits vorhandene und weitere Möglichkeiten selektierende Vorstellungen innerhalb der Scientific Communi-
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ty, sondern auch durch die Rolle der Artefakte selbst, d.h. durch ihren Einfluss auf die ausgehandelten Bedeutungen, begrenzt. Zwar können einem Artefakt – insbesondere in der von Erwartungen an eine neue Technologie geprägten Entwicklungsphase – alle möglichen Bedeutungen und Funktionen zugeschrieben werden (was seinen Niederschlag in zum Teil horrenden Projektbudgets für neue, zukunftsträchtige Technologien findet). Spätestens bei der Umsetzung und praktischen Nutzung wird jedoch deutlich, dass technische Artefakte zum einen im praktischen Umgang gänzlich anders als zunächst geplant verwendet werden können.17 Zum anderen löst die Technik selbst längst nicht alle zu erwartenden Versprechen ein, sondern reagiert unter Umständen mit Widerständigkeit und zwingt sowohl Entwickler als auch Nutzer zum Umdenken sowie zur Anpassung der eigenen Vorstellungen an das technische Artefakt. Diese Überlegungen haben insbesondere praxistheoretische Ansätze, die zunächst den Umgang mit der Technik und später auch den Eigenanteil der Technik selbst im Sinne eines material matters (vgl. Miller 1998a: 10ff.) zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen gemacht haben, aufgegriffen.
2.2.3.
Formgebende Praxis – Vom praktischen Umgang mit der Technik
Ähnlich wie der Sozialkonstruktivismus geht auch die Praxistheorie davon aus, dass technischen Objekten ein sozialer Inhalt erst durch andere verliehen wird, allerdings nicht im Zuge von Deutungszuschreibungen, sondern im praktischen Umgang mit ihnen. Dabei verweist der praktische Umgang mit den Dingen auf zwei zentrale Punkte: Zum einen geht es um die herstellende und verwendende Umgangsweise mit Artefakten, zum anderen erfährt in einigen Ansätzen insbesondere der Eigenanteil der Technik – beispielsweise in Form von Widerständigkeiten – eine besondere Bedeutung. Da die Diskussion um den Eigenanteil der Technik eine Schnittstelle zu der Frage nach der Handlungsträgerschaft von Technik bildet, werden Ansätze, die sich dieser Thematik widmen, gesondert behandelt (vgl. Kapitel 2.2.4) und im vorliegenden Kapitel zunächst allgemeine Grundzüge einer praxistheoretischen Perspektive auf Technik skizziert. Bei den Praxistheorien handelt es sich um ein Bündel von Ansätzen (vgl. Hörning 2001: 160f.; Reckwitz 2003: 282), denen es »um ein modifiziertes Verständnis dessen [geht], was ›Handeln‹ ist – und damit auch, was der ›Akteur‹ oder das ›Subjekt‹ – ist: gleichzeitig und vor allem aber geht es ihnen um ein modifiziertes Verständnis des ›Sozialen‹« (Reckwitz 2003: 282). Wo aber verorten Praxistheoretiker das Soziale in ihrem Ansatz? Während mentalistische Ansätze der Kulturtheorie das Soziale als »kognitivgeistige Schemata« (Reckwitz 2003: 288) im menschlichen Geist und textualistische Ansätze das Soziale primär auf der Ebene von Texten und Diskursen zu entdecken suchen, ist nach praxistheoretischem Verständnis das Soziale in den sozialen Praktiken, »verstanden als know-how abhängige und von einem praktischen ›Verstehen‹ zusammengehaltene Verhaltensroutinen [angelegt]« (Reckwitz 2003: 289). Obwohl sich Vertreter der Praxistheorie vehement gegen ›kulturalistische Vereinseitigungen‹ im Sinne reiner 17
Zu denken ist hier beispielsweise an den ›Short Message Service‹ (SMS), der seinerzeit seine Bedeutung erst dadurch erhielt, dass er überraschend von Jugendlichen ›entdeckt‹ und von ihnen zum Versenden von Textnachrichten verwendet wurde (vgl. Weyer 2008: 46).
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Bedeutungszuschreibungen von außen wehren (vgl. Hörning 1995: 133), sind auch soziale Praktiken als kleinste Einheit des Sozialen (vgl. Reckwitz 2003: 290) nicht unabhängig von einem kulturellen Hintergrundwissen in Form kollektiver Wissens- und Deutungsschemata zu denken (vgl. Hörning 2001: 165). Sie greifen auf kulturelle Bestände zurück, »die in routinisierten Interpretationen und Sinnzuschreibungen der Akteure Eingang ins Handlungsgeschehen finden und dort als implizite Unterscheidungsraster wirken« (Hörning 2001: 165). Kulturelle Deutungsmuster und Wissensbestände ermöglichen soziale Praktiken erst, indem sie beispielsweise praktisches Wissen im Sinne eines knowing how bereitstellen. Gleichzeitig schränken sie das Repertoire möglicher Praktiken ein, indem sie »bestimmte Gebrauchsformen nahelegen und andere als unpassend ausschließen« (Hörning 2001: 165). Es wird davon ausgegangen, dass trotz kultureller Interdependenzen letztendlich die praktische Beteiligung am sozialen Leben und nicht allein kulturelle Sinnzuschreibungen entscheidend für unser Verständnis sozialer Verhältnisse sind. In diesem Sinne lässt sich von einer ›realistischen Kulturperspektive‹ (vgl. Hörning 1995: 138) oder eben einem doing culture – verstanden »als Sammelbegriff für das ›Dickicht‹ der pragmatischen Verwendungswesen von Kultur« (Hörning/Reuter 2004a: 8) – sprechen. Kultur wird »in ihrem praktischen Vollzug« (Hörning/Reuter 2004a: 8) betrachtet und darüber hinaus die Materialität des Sozialen in Form von Körpern und Artefakten betont. Zentral ist für die Frage nach Identität in dieser Arbeit vor allem das Subjektverständnis in der Praxistheorie. Subjekte sind nach praxeologischer Vorstellung nämlich keine bereits festgelegte Entitäten mit festen Eigenschaften, sondern »sie existieren nur innerhalb des Vollzugs sozialer Praktiken: ein einzelnes Subjekt ›ist‹ […] die Sequenz von Akten, in denen es in seiner Alltags- und Lebenszeit an sozialen Praktiken partizipiert (Reckwitz 2003: 296). In diesem Sinne lässt sich aus praxeologischer Perspektive nicht mehr nur von einem doing culture, sondern darüber hinaus von einem doing identity im Sinne der praktischen Herstellung von Subjektivität sprechen. Für die Techniksoziologie wird die Praxistheorie vor allem aufgrund ihrer Fokussierung auf die Materialität des Sozialen interessant. Insbesondere die Frage, was Technik denn sei bzw. wie sich ihr sozialer Inhalt bestimmen ließe, wird aus praxistheoretischer Perspektive neu bewertet. Technische Artefakte seien keineswegs – wie SCOT nahelegt – »beliebig interpretierbar« (Hörning 1995: 133). Stattdessen erschließt sich »[d]ie ›Bedeutung‹ einer Sache oder einer Tätigkeit […] erst aus den Umgangspraktiken und deren ›inneren Geregeltheit‹« (Hörning 2001: 162f.). Technik wird somit »als Finden, Verfertigen und Verfestigen einer situativ wirksamen Sequenz von Objekten oder Ereignissen« (Rammert 2007: 56) betrachtet. Dass Artefakte in der Praxis keineswegs beliebig interpretierbar sind, wird besonders am Beispiel der Medizinroboter deutlich. Besonders spektakulär ist der Fall des ROBODOC, einem technischen System, das in der computerassistierten Chirurgie bei der rechnergestützten Implantation von Hüftprothesen seine Anwendung fand. Von Medizinern wurde ihm das Potential attestiert, »eine Operation präziser durchzuführen, als dies der Mensch oder eine Maschine alleine können« (Börner/Wiesel 1999). ROBODOC, dem »Arzt aus Stahl und Silizium«, wie der Focus am 28.02.1994 titelte (vgl. Siefer 1994), wurden seitens verschiedener Akteure wie Hersteller, medizinische Anwender sowie Medien lange Zeit brilliante Fähigkeiten zugeschrieben. Im praktischen Einsatz stellte sich allerdings heraus, dass ROBODOC nicht in der Lage war, die
2. Vom ›Wesen der Technik‹
hohen Erwartungen zu erfüllen. Stattdessen kam es bei vielen Patienten zu operationsspezifischen Komplikationen wie Nerven- und Muskelschäden, hohem Blutverlust und Infektionen (vgl. Rosa 2007: 300). Im Jahr 2003 wurde als Reaktion darauf die Betroffenengruppe ›Privatinitiative Forum ROBODOC‹ gegründet, und auch das Bild der Medizinrobotik in den Medien erfuhr aufgrund der praktischen Erfahrungen mit dem Hoffnungsträger einen nachträglichen Meinungsumschwung: »Regelrecht ausgebeint« habe ROBODOC laut Spiegel vom 27.01.2003 seine Patienten (vgl. Ludwig/Mertin 2003) und der Focus, der ROBODOC Jahre zuvor den Status eines Pioniers verliehen hatte, erklärt diesen am 26.04.2004 schließlich schlichtweg für ›arbeitslos‹ (vgl. Hömberg 2004). Kurzum: »Die Bilder des perfekten Roboters verkehrten sich von der Heilsvision in die Katastrophe« (Rosa 2007: 304). Das Beispiel verdeutlicht, dass Technik ihre Identität nicht primär als Ergebnis von Zuschreibungen erhält, sondern »[d]ie Bedeutung eines Dings, einer Sache, eines Sachverhalts […] in den sozialen Praktiken [steckt]; die sozialen Praktiken bilden das Medium gemeinsamer Vorstellungen und sozialer Übereinkünfte« (Hörning 2000: 12). Allerdings unterliegt auch der Umgang mit Artefakten kulturellen Hintergrundannahmen, die einerseits das Mögliche legitimieren sowie einen sozial inakzeptablen Umgang limitieren und ggf. sanktionieren. Als Beispiel sei auf den praktischen Einsatz biologischer Techniken in der Landwirtschaft verwiesen, im Zuge derer pflanzliche Organismen gentechnisch verändert werden (›Grüne Gentechnik‹), um Erträge zu steigern oder die Widerstandskraft der Pflanzen zu erhöhen. In den USA hat der Anbau gentechnisch veränderter Agrarprodukte den konventionellen Anbau stark zurückgedrängt. In Europa hingegen ist der Vorbehalt gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel nach wie vor sehr hoch. Diese kulturellen Unterschiede im Umgang mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln spiegeln sich zum einen in dem Verhalten der Verbraucher, zum anderen aber auch in den spezifischen gesetzlichen Rahmenbedingungen wider. Während in den USA nach der Devise »Ein Maiskolben ist ein Maiskolben« (Spelsberg 2008) verfahren wird und primär die Ergebnisse in Form von Produkteigenschaften, jedoch weniger die Herstellungsverfahren von Interesse sind, »gilt in Europa das politisch verankerte Vorsorgeprinzip, nach dem auch plausible, wissenschaftlich jedoch nicht bewiesene Risikoszenarien bei Zulassungsentscheidungen zu berücksichtigen sind« (Spelsberg 2008). Das Beispiel zeigt, dass durch diese Manifestationen kultureller Zuschreibungen und Leitbilder der Umgang mit mikrobiologischen Techniken und Anbauweisen entweder wie im Fall der USA legitimiert oder eben, wie im Beispiel Europa, limitiert werden. Mit dem Verweis auf implizite Wissensbestände und habituelle Elemente im praktischen Umgang mit den Dingen erweitern praxistheoretische Ansätze den Diskurs um den sozialen Inhalt der Technik in einem entscheidenden Punkt. Allerdings gilt es hier, nicht nur ›kulturalistische‹, sondern auch ›praxistheoretische‹ Vereinseitigungen zu vermeiden. Zwar kann man in der Tat bezweifeln, dass der soziale Inhalt der Technik immer das Ergebnis expliziter Bedeutungszuschreibung ist. Betont man jedoch einseitig die Materialität des Sozialen und geht davon aus, dass Dinge nur im Zuge des praktischen Umgangs mit ihnen eine soziale Bedeutung und Funktion erhalten, dann ließen sich Phänomene wie die bei Van Lente und Rip beschriebene und im Rahmen dieser Arbeit an späterer Stelle ausführlich aufgegriffene Entstehung einer Technik als
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Die multiple Identität der Technik
rhetorische Einheit auf der Basis von Erwartungsstrukturen nur schwer erklären (vgl. Van Lente/Rip 1998a+b sowie in dieser Arbeit Kapitel 3.1.1). Zwar wird auch bei Van Lente und Rip keineswegs ausgeschlossen, dass a) Erwartungen an die Technik durch den praktischen Umgang mit ihr vorstrukturiert sein können und b) auch in dem von Van Lente und Rip gewählten Beispiel der Membrantechnologie neben Erwartungen auch konkrete praktische Erfahrungen im Entwicklungsprozess eine Rolle spielen. Anzumerken ist jedoch, dass die Bedeutung einer Technik auch dann (zumindest vorläufig) entstehen kann, wenn die materielle Technik selber noch gar nicht praktisch involviert ist. Um auch diese Fälle einzubeziehen, wäre eine praxeologische Erweiterung im Sinne einer ›prä-materiellen‹ Analyse des Technikdiskurses, in dem die Erwartungsstrukturen entstehen, als soziale Praxis nötig, was jedoch in den o.g. Ansätzen weitgehend unberücksichtigt bleibt. Darüber hinaus wird in den genannten Ansätzen die Differenzierung zwischen Herstellungs- und Nutzungspraktiken nicht immer deutlich herausgearbeitet. Zwar werden beide Formen des praktischen Umgangs in der Regel erwähnt, jedoch ihre spezifischen Eigenheiten sowie ihre wechselseitige Einflussnahme häufig nicht thematisiert (vgl. exemplarisch Hörning 2001). Es macht aber ganz sicher einen Unterschied, ob man sich auf die praktische Herstellung der sozialen Bedeutung eines Artefaktes im Herstellungsprozess, oder aber im Verwendungskontext bezieht, denn gerade die eigensinnige Verwendung von Gegenständen durch den Nutzer konterkariert unter Umständen die Bedeutung, die ein Artefakt im Zuge seiner praktischen Entstehung erfahren hat. Betrachtet man schließlich die Entstehung und Entwicklung von äußerst heterogenen und vor allem verteilten Technikfeldern wie beispielsweise Robotik, Biooder eben die AR-Technologie, so muss es neben den in sozialen Praktiken konstituierten Technikbedeutungen noch etwas Kohärentes geben, das unabhängig von situativen Anwendungen ist und um das sich ein Feld über konkrete praktische Anwendungen hinaus gruppieren und an dem es sich orientieren kann. Auch dieser Aspekt bleibt bislang in der praxistheoretisch ausgerichteten Techniksoziologie weitgehend unberücksichtigt. Während bislang der Fokus der Betrachtung auf den allgemeinen Grundzügen einer praxistheoretischen Perspektive auf Technik sowie dem Umgang mit der Technik lag, soll im Folgenden die Perspektive erweitert und die Rolle sowie der Eigenanteil der Technik selbst am praktischen Geschehen näher thematisiert werden.
2.2.4.
Technik in Aktion – die andere Seite der Praxis18
Werden die praktischen Umgangsformen mit technischen Artefakten auf der einen Seite durch kulturelle Deutungsmuster legitimiert bzw. auch begrenzt, so werden sie auf der anderen Seite durch die Artefakte selbst beeinflusst. Praxistheoretische Ansätze
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Der Ausdruck ›Technik in Aktion‹ stammt ursprünglich von Rammert (vgl. Rammert 2007 82, 93 sowie 2009: 8). Da der Ausdruck auf eine einseitige Ausrichtung der Beteiligung von Technik – beispielsweise im Sinne von ›Widerständigkeit‹ der Technik – verzichtet, sondern neutral den Eigenanteil der Technik am Geschehen bezeichnet, wird er für die vorliegenden Ausführungen übernommen.
2. Vom ›Wesen der Technik‹
verweisen entsprechend auf die »Macht der Dinge« (Hörning 2001: 15), die in der Lage ist, »uns in ein Netz von Verhältnissen und Beziehungen hineinzuziehen, das uns sehr viel an praktischem Wissen und Urteilskraft abverlangt« (Hörning 2001: 15). Dinge sind demnach weder Produkte von Deutungszuschreibungen, noch wird mit ihnen einfach nur ›umgegangen‹, sondern sie nehmen aktiv am sozialen Geschehen teil‹ ›wehren‹ sich, erweisen sich als widerständig im praktischen Umgang, bieten neue, bislang nicht gesehene Optionen oder fordern Handlungen seitens nicht-menschlicher Akteure ein.19 Soziale Aktivitäten sind folglich nicht nur auf menschliche, sondern auf menschliche und nicht-menschliche Aktivitäten verteilt, wie Rammert und Schulz-Schaeffer am Beispiel der Frage ›Wer fliegt die Touristen nach Teneriffa?‹ anschaulich demonstrieren (vgl. Rammert/Schulz-Schaeffer 2002a: 42). Das Fliegen eines Flugzeugs stellt demnach einen Komplex hybrider Aktivitäten dar, die sich zum einen auf menschliche Instanzen (z.B. den Piloten), aber auch auf technische Artefakte (z.B. das Flugzeug selbst, den Autopilot etc.) verteilen (vgl. Rammert/Schulz-Schaeffer 2002a: 43). Relevant wird die Frage nach dem Mitwirken sowie der Handlungsträgerschaft von Technik vor allem in Fällen, in denen der Mensch Technik nicht nur in das Handlungsgeschehen einbezieht, sondern ihr quasi die Kontrolle überträgt. So flog am 21. Oktober 2009 ein mit 144 Passagieren besetzter Airbus A320, der ursprünglich in Minneapolis hätte landen sollen, gleich 240 Kilometer über sein Ziel hinaus, ohne dass die zuständigen Piloten dieses bemerkten (vgl. N.N. 2209a; 2009b; 2009c).20 Lediglich die Flugaufsichtsbehörde (FAA) zeigte sich irritiert, als der Funkkontakt abriss und verständigte sicherheitshalber die Luftwaffe. Durch einen Flugbegleiter auf ihren Fehler aufmerksam gemacht, kehrten die Piloten um und landeten schließlich das Flugzeug auf dem ursprünglich geplanten Flugplatz. Spätestens angesichts der Tatsache, dass ein Flugzeug 240 Kilometer sicher zurücklegen kann, ohne dass menschliche Akteure im Cockpit steuernd in das Geschehen eingreifen, wird deutlich, dass technische Artefakte nicht nur in Handlungsabläufe instrumentell involviert sind, sondern als mithandelnde, zum Teil autonome Akteure das Geschehen in hohem Maße beeinflussen. Noch brisanter werden entsprechende Debatten vor dem Hintergrund, dass Technik nicht nur wie im o.g. Beispiel ›versehentlich‹ die Kontrolle über ein Flugzeug übertragen wird, sondern intensiv am Einsatz vollautonomer Fahrzeuge wie dem Google-Auto geforscht wird (vgl. Schulz 2017). Zu Recht lässt bei diesen Konstellationen fragen, wer denn nun eigentlich als Träger der Handlung gilt. Ganz offensichtlich nämlich wird »[s]oziales Handeln […] nicht nur von Aliens weitergetragen, sondern es wird auf verschiedene Akteurstypen verlagert oder delegiert, die fähig sind, das Handeln durch andere Aktionsmodi, andere Typen von Materialien zu transportieren« (Latour 2007:122). 19
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Hörning beschreibt dies sehr anschaulich am Beispiel des Telefons: »Obgleich es nur ein simples physisches Objekt ist, ›insistiert es‹ auf Erreichbarkeit, ›fordert es‹ Kommunikation mit anderen ein, ›ruft es‹ Antworten ab, was eine Veränderung nicht nur zeitlicher und räumlicher, sondern auch sozialer und sogar hierarchischer Distanzen mit sich bringt« (Hörning 2001: 57). Womit die Piloten während ihres Irrfluges beschäftigt waren, ist indes ungeklärt. Die Angaben reichen von »hantieren mit Laptops« (N.N. 2009b) über hitzige Diskussionen der Piloten untereinander (vgl. N.N. 2009a) bis zu der Vermutung, die Piloten hätten einfach verschlafen (vgl. N.N. 2009c).
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Wie aber lässt sich der Eigenanteil der Technik theoretisch fassen? Der eher normativ ausgerichteten Auffassung aus Perspektive der Akteur-Netzwerk-Theorie zufolge »ist jedes Ding [Hervorheb. im Orig.], das eine gegebene Situation verändert, indem es einen Unterschied macht, ein Akteur – oder, wenn es noch keine Figuration hat, ein Aktant« (Latour 2007: 123). Damit ist allerdings noch wenig ausgesagt über das Ausmaß, in dem technische Artefakte am sozialen Geschehen beteiligt sind. Eine differenziertere Betrachtungsweise legen Rammert und Schulz-Schaeffer vor. Handlungen sind demnach immer in einen Handlungsstrom, d.h. einen Gesamtkomplex von Aktivitäten, eingebettet. Technische Artefakte, die in diesem Handlungsstrom eingebunden sind, unterscheiden sich zum einen hinsichtlich ihrer Komplexität und des Grades der von ihnen ›übernommenen‹ Aktivitäten und weisen zum anderen »unterschiedliche Grade von Abweichung und Widerständigkeit« (Rammert/Schulz-Schaeffer 2002a: 43) auf. Die Autoren unterscheiden zwischen drei Graden der Handlungsträgerschaft: Auf der untersten Ebene stehen Artefakte, die sich primär durch einen kausalen Einfluss auszeichnen, indem sie verändernd auf ihre Umwelt einwirken.21 Auf einer darüber liegenden Ebene befinden sich Technologien, von denen man in einem begrenzten Maße davon ausgehen kann, dass sie über mehrere, nicht vorhersehbare ›Handlungs‹Optionen verfügen und die dem Nutzer daher als kontingent erscheinen, beispielsweise ›intelligenten Ordner‹ auf dem Computer.22 Die oberste Ebene wird repräsentiert von komplexen Technologien (z.B. fallbasiert lernenden Software-Agenten), denen man aufgrund ihrer vielfältigen Möglichkeiten leicht ein intentionales Verhalten zuschreibt (vgl. Rammert/Schulz-Schaeffer 2002a: 21f.; Rammert 2007: 112ff.; Rammert 2008: 355ff.). Inwiefern die von technischen Artefakten vollzogenen Aktivitäten dann als ›Handlungen‹ interpretiert und den Artefakten selbst Grade der Handlungsträgerschaft zugesprochen werden, ist wiederum das Ergebnis von Handlungszuschreibungen.Diese basieren nicht nur auf den vielfältigen Möglichkeiten avancierter Technologien, sondern vor allem auf der Undurchschaubarkeit ihrer ›Verhaltensweisen‹.23 Aus diesem Grund ist manch einer geneigt, auch seinem Computer eine Form von – meist unerwünschter – Intentionalität zuzugestehen und ihn nicht selten dafür durch Zerstörung zu bestrafen oder gar zu erschießen, wie Videos und Schlagzeilen im Internet unterhaltsam
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Als Beispiel sei hier Latours berühmter Schlüsselanhänger genannt, der aufgrund seiner Größe und seines Gewichts die Hotelgäste dazu bewegt, ihn an der Hotelrezeption abzugeben (vgl. Latour 1996b: 53ff). Nach ihrem Anlegen sammeln intelligente Ordner eigenständig Dateien eines bestimmten Dateityps oder zu einem spezifischen Thema und aktualisieren sich bei Veränderungen ohne Zutun des Nutzers. Die Zuschreibung von Handlungsträgerschaft beruht darüberhinaus auf der Wahrnehmung technischer Abläufe als sinnhafte Abläufe (vgl. Schulz-Schaeffer 2007: 441) sowie der Delegation menschlicher Tätigkeiten an technische Artefakte (vgl. Schulz-Schaeffer 2007). Handlungszuschreibungen – so argumentiert Schulz-Schaeffer unter Bezugnahme auf das Thomas-Theorem (vgl. Thomas/Thomas 1928: 572) – können eine eigenständige Realität entfalten, nämlich dann, wenn die Akteure vor dem Hintergrund einer intersubjektiv gültigen Situationsdefinition ein Verhalten als Handlung interpretieren und ihre eigenen Anschlusshandlungen daraufhin entwerfen (vgl. Schulz-Schaeffer 2009: 163ff.).
2. Vom ›Wesen der Technik‹
beweisen.24 Mit der Differenzierung auf Basis eines graduellen Handlungsbegriffs gelingt es den Autoren zum einen, die Frage nach der Handlungsträgerschaft von Technik zu präzisieren. Zum anderen entgehen die Autoren dem der Akteur-Netzwerk-Theorie oft entgegengebrachten Vorwurf, technischen Artefakten per se den gleichen Status wie menschlichen Akteuren einzuräumen. Handlungsträgerschaft im Sinne bestimmter, auf unterschiedliche Weise wirksamer Eigenschaften und Aktivitäten von Technik, die dann als Eigenaktivitäten der Technik wahrgenommen werden, entsteht vielmehr im unmittelbaren Handlungsvollzug und Umgang mit dem technischen Artefakt (vgl. Michael 1996: 137; Pickering 1993: 574ff.). Insbesondere Andrew Pickering hat in seinem Ansatz der Mangle of Practice am Beispiel der Entwicklung von Glasers Bubble Chamber eindrücklich veranschaulicht, wie sich die Widerständigkeit der Technik als emergentes Phänomen im konkreten Handlungsvollzug bemerkbar macht (vgl. Pickering 1993: 568ff.). Er beschreibt, wie der US-amerikanische Physiker Donald Glaser sich in den 1950er Jahren zum Ziel gesetzt hatte, einen Teilchendetektor zu entwickeln, der Spuren von geladenen, energiereichen Elementarteilchen sichtbar macht. Die von ihm konstruierten Prototypen ›weigerten‹ sich jedoch hartnäckig, die Teilchenlaufbahnen zu zeigen. Diese ›Weigerung‹ seitens der Technik – von Pickering als Widerständigkeit bzw. resistance »in this sense of a practical obsticale« (Pickering 1993: 569) bezeichnet – führte dazu, dass Glaser seine Vorstellungen von dem zu entwickelnden Detektor anpasste (accommodation) und nun seinerseits neue Materialien und Konstellationen ausprobierte. Es folgte ein steter Aushandlungsprozess, im Zuge dessen abwechselnd der Prototyp einerseits sowie Glasers Ziele und Herangehensweisen andererseits ›in die Mangel‹ genommen wurden, wobei der Begriff ›Mangel‹ (mangle) auf die Dialektik von Widerständigkeit und Anpassung referiert. Materielle Handlungsträgerschaft (material agency) unterscheidet sich nach Pickering in zwei entscheidenden Punkten von der Handlungsträgerschaft menschlicher Akteure (human agency): Erstens ist sie im Unterschied zur menschlichen Handlungsträgerschaft nicht intentional (vgl. Pickering 1993: 565f.) und zweitens stellt sie kein dauerhaftes, sondern ein zeitlich emergentes und somit nicht vorhersehbares Phänomen dar (vgl. Pickering 1993: 575). Hierdurch unterscheidet auch er sich von Vertretern der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT), die Entwickler, Technik und Nutzer als symmetrische Aktanten in einem Geschehen (oder eben in Latours semiotischen Sprachgebrauch als ›Autor‹, ›Text‹ und ›Leser‹) betrachten (Latour 1996b: 73; vgl. Pickering 1993: 563).
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Empirisch wurde das Phänomen der Aggression gegen Computer von Brinks untersucht, die unter anderem die Besonderheiten der Wahrnehmung des Computers in Abgrenzung zu anderen Technologien als ›echten Akteur‹ thematisiert. Sie kommt dabei zu dem Schluss, dass der Computer nicht als ›normale Maschine‹ betrachtet wird: »Man spricht mit seinem PC; aber nicht mit seinem Geschirrspüler. Man streichelt die Mikrowelle nicht, um einem Systemabsturz vorzubeugen, aber den Monitor. Der Mensch benimmt sich dem Rechner gegenüber anders als gegenüber anderen Maschinen: Er redet mit ihm, streichelt ihn, pflegt ihn, und prügelt ihn gelegentlich. Der Mensch hat das Gefühl, mit dem Rechner in echter Interaktion zu stehen […]. Wenn der Rechner nicht funktioniert, wird die Dienstverweigerung vergolten« (Brinks 2005: 34). In ihrer Studie kommt Brinks zu dem Schluss, dass insbesondere die Humanisierung, d.h. die Wahrnehmung des Computers als Interaktionspartner (und nicht als totes Objekt) zu aggressivem Verhalten im Umgang mit Computern beiträgt (vgl. Brinks 2005: 101).
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Die multiple Identität der Technik
Für die soziale Bedeutung der Technik ist festzuhalten, dass Technik nicht allein das ist, was in ihr von Entwicklern und Produzenten ›vergegenständlicht‹ wurde, auch nicht allein das, was man ihr an sozialer Bedeutung zuschreibt und schließlich auch der praktische Umgang mit ihr alleine nicht in der Lage ist, ihren sozialen Status zu klären, sondern dass sie selbst ›mithandelt‹ und somit aktiv einen Einfluss auf die ihr eigene soziale Bedeutung hat. Die an einem Artefakt vorgenommenen Einschreibungen setzen unserem Handeln in Bezug auf die und mit den Artefakten teilweise Grenzen, teilweise legen sie bestimmte Handlungen nahe, teilweise erschweren sie bestimmte andere. Wir können diese Einschreibungen nicht nicht beachten, wissen zugleich aber auch nie sicher zu sagen, was genau sie motiviert hat und von welchen Prozessen sie das Ergebnis sind (Strübing 2005: 287). Die Betonung der Rolle der Technik im Entwicklungsprozess hat zu vielen kontroversen, aber auch zu fruchtbaren Diskussionen geführt und eröffnet eine spannende Sichtweise auf die Interaktion zwischen Mensch und Technik. Zu ergänzen wäre, dass die stoffliche Seite der Technik nicht nur Widerständigkeiten aufweist, sondern auch neue, bislang unvorhergesehene Optionen bietet und somit den weiteren Entwicklungsverlauf mit beeinflusst. Neben den bereits für die Praxistheorie im allgemeinen herausgearbeiteten Problemfeldern ist auch der empirische Zugang zu den beschriebenen Prozessen nicht unproblematisch, denn betrachtet man technische Handlungsträgerschaft als zeitlich emergentes Phänomen, das im praktischen Entwicklungsprozess entsteht, ist man entweder auf die Beobachtungen dieser Prozesse in Echtzeit angewiesen, oder aber auf Aussagen anderer über diese Prozesse. Insbesondere bei bereits abgeschlossenen oder sehr langwierigen und heterogenen Entwicklungsprozessen mit unterschiedlichen Entwicklungssträngen sowie räumlich verteilten Entwicklungsorten ist eine Beobachtung aufgrund personeller, zeitlicher und finanzieller Beschränkungen weitgehend ausgeschlossen. Folglich ist man auf Darstellungen der Beteiligten angewiesen, wobei man jedoch Gefahr läuft, auf ›retrospektiv geschöntes‹ Material zu stoßen und nur wenig über den Prozess und die Widerständigkeit der Dinge selbst zu erfahren. Auch der von Pickering vorgeschlagene Ausweg, entsprechende Darstellungen selbst als Teil des ›mangling process‹ (vgl. Pickering 1993: 6) zu betrachten, ist zwar interessant, da ihnen somit eine über reine Repräsentationen hinausgehende Rolle zugewiesen wird, löst aber das Problem selbst nicht. Zwar ist es legitim, retrospektiv aus den Darstellungen beteiligter Akteure Erkenntnisse auf vergangene Ereignisse ziehen zu wollen, wünschenswert wäre dann allerdings eine systematisch ausgearbeitete methodische Vorgehensweise, die nachvollziehbar dokumentiert ist und ein Urteil erlaubt, welche Aussagekraft die gewonnenen Erkenntnisse haben.
2.3.
Zwischenfazit I
Zurückkehrend zu dem Ziel dieses Kapitels, nämlich der Annäherung an die Technik auf der Grundlage bereits bestehender Überlegungen, lässt sich festhalten, dass es sich bei der Bestimmung dessen, was Technik eigentlich ist, um einen äußerst vielschichti-
2. Vom ›Wesen der Technik‹
gen Sachverhalt handelt. So änderte sich die Bedeutung des Technikbegriffs im Laufe der Zeit immer wieder und führte schließlich zu einer Begriffsvielfalt, die sich sowohl in unterschiedlichen Verwendungskontexten von Technik als auch in der Heterogenität der ihr zugrunde liegenden Materialbasis und Anwendungskontexte widerspiegelt. Der Versuch, diese Heterogenität durch eine Bestimmung des Wesens der Technik zu bündeln, mündete schließlich darin, das Wesen der Technik als ein den unterschiedlichen technischen Stoffen inhärentes Schema der Technisierung zu begreifen. Wenngleich die Auseinandersetzungen mit dem Technikbegriff verdeutlicht, dass die Attribution ›technisch‹ allenfalls als Sammelbegriff für unterschiedliche Referenzpunkte gilt, kaum aber zu einer Bestimmung ›des Technischen‹ an sich herangezogen werden kann, bieten doch die Materialbasis und die Anwendungskontexte der Technik, die Idee eines ihr inhärenten Technisierungsschemas sowie die zuvor diskutierten techniksoziologischen Zugänge durchaus relevante Ansatzpunkte für die Frage nach einer Identität der Technik. Wie gezeigt übersteigt die Materialbasis der Technik physische Stoffe bei weitem, weshalb sich Technik nicht primär im Sinne von ›Realtechnik‹ verstehen lässt. Stattdessen müssen – wie Rammert anführt – auch Stoffgruppen wie beispielsweise symbolische Zeichen, handlungsauslösende Körper und ergänzend dazu unter Umständen sogar neuronale und biochemische Stoffe als Basis kognitiver Prozesse mit in die Überlegungen einbezogen werden. Insbesondere moderne Hochtechnologien lassen sich kaum auf eine Stoffklasse reduzieren, sondern stellen stattdessen eine komplizierte hybride Konfiguration dar. Denkt man beispielsweise an Neuroimplantate, mit deren Hilfe die moderne Medizintechnik Brain-Computer- oder Brain-Machine-Interfaces zu realisieren versucht, werden alle vier Stoffklassen zusammen relevant: Physische Stoffe, aus denen die Hardware besteht, symbolische Zeichen in Form der Software, der Körper (in diesem Fall das Gehirn) des Patienten als ›Träger‹ bzw. das motorische System als ›Datenausgabe-Modul‹ (vgl. Grunwald 2007: 5) der Technik sowie die elektrischen Gehirnaktivitäten, die mittels Elektroden aufgezeichnet werden und als Daten-Input fungieren. Diese unterschiedlichen Aspekte der Materialität der Technik gilt es auch in Hinblick auf ihre Identität zu betrachten. Auch wenn die verschiedenen der Technik zugrunde liegenden Stoffklassen relevant für die symbolische Bedeutungsstruktur technischer Artefakte sind und somit in einem Identitätskonzept der Technik Berücksichtigung finden müssen, reichen sie nicht aus, um das Wesen der Technik gänzlich zu erfassen. Stattdessen kann das gleiche Artefakt in unterschiedlichen Anwendungsfeldern und sogar unter Umständen auch innerhalb des gleichen Anwendungskontextes gänzlich unterschiedliche Bedeutungen erhalten, wie das AWACS-Beispiel eindrücklich zeigt. Es lassen sich folglich unter Berücksichtigung unterschiedlicher Kontexte sowie unterschiedlicher sozial relevanter Gruppen innerhalb eines Kontexes so etwas wie unterschiedliche ›Teilidentitäten‹ einer Technik analysieren. Das einer Technik inhärente Technisierungsschema wiederum vermag zwar nicht in Gänze die verschiedenen Ausprägungen der symbolischen Bedeutungsstruktur einer spezifischen Technologie zu erklären, gleichwohl bietet dieser Ansatz die Möglichkeit, den Kern einer Technik zu beschreiben. Darüber hinaus verleihen Technisierungsschemata der materiellen Basis einer Technik so etwas wie ›Leben‹ (vgl. Rammert 1993: 297), das heißt, eine spezifische Funktionalität, die es ihr ermöglicht, in zuverlässig wiederholbarer Weise zu funktionieren.
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Darüber hinaus bietet insbesondere die philosophische und soziologische Technikforschung, die sich der Frage nach sozialen Aspekten der Technik widmen, interessante Ansatzpunkte zur Bestimmung dessen, was Technik ist. Die dargestellten Ansätze zeigen, dass sich das Verständnis, wie sich der soziale Inhalt der Technik konstituiert, in vier Phasen unterteilen lässt: Zunächst waren die Dinge – salopp formuliert – das, was in ihnen vergegenständlicht wurde, dann wurden sie als Ergebnis von Bedeutungszuschreibungen interpretiert, sodann ergab sich ihr sozialer Inhalt aus ihrer praktischen Verwendung und schließlich entschieden sie selbst ›aktiv‹ über ihr Dasein mit. Und in der Tat kann jeder der genannten Ansätze – ungeachtet der mit ihnen auch verbundenen Probleme und Unklarheiten, die in der Literatur bereits ausführlich diskutiert wurden – eine gewisse Plausibilität für sich beanspruchen: Natürlich sind Dinge durch den Herstellungsprozess vorstrukturiert, wenngleich fraglich ist, ob diese Vergegenständlichungen tatsächlich unabhängig von den Handlungskontexten, in die sie eingebettet sind, eine derart normierende Kraft ausüben wie von Linde behauptet. Dieses Problem betrifft insbesondere auch die hier fokussierten Hoch- und Querschnittstechnologien, denn diese zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie weder über eine eindeutige sachtechnische Gestalt noch über einen klar definierten Anwendungszweck verfügen, dafür aber eine so hohe Komplexität aufweisen, dass von »jedem Gerät notwendig eingeschriebenen spezifischen Anforderungen seiner Verwendung [und] seines Gebrauchs« (Linde 1983: 20) im strengen Sinne Lindes kaum die Rede sein kann. Dennoch treten technische Artefakte dem Nutzer vielleicht nicht mit einem verhaltensdeterminierenden Zwang im Sinne Lindes entgegen, jedoch sehr wohl als Entität mit nicht immer nachvollzieh- und vorhersehbaren ›Eigenschaften‹. Und selbstverständlich werden an Dinge Deutungen herangetragen und ihre Bedeutung sozial ausgehandelt. Allerdings scheint bei Hoch- und Querschnittstechnologien eine soziale Schließung im Hinblick auf die unterschiedlichen Bedeutungen und Funktionen sowie das Design eines Artefaktes eher die Ausnahme als die Regel zu sein, denn das Problem dieser Technologien besteht ja gerade darin, dass unterschiedliche stoffliche Realisationen und Anwendungskontexte nebeneinander bestehen und eine Schließung, die zu einer mehr oder minder einheitlichen Identität der Technik führen könnte, eben nicht in Sicht ist. Ungeachtet dessen stellen die sozialen Bedeutungen, die seitens unterschiedlicher Akteure an ein Artefakt herangetragen werden, einen wichtigen Aspekt für die Identität einer Technik in Form ihrer symbolischen Struktur dar. Aber darüber hinaus ergeben sich auch aus dem praktischen Umgang mit den Dingen neue Optionen der Nutzung und Bedeutungskonstitution. Hier gilt es, nicht nur ›kulturalistische‹, sondern auch ›praxistheoretische‹ Vereinseitigungen zu vermeiden. Denn wenn man davon ausgeht, dass Dinge nur im Zuge des praktischen Umgangs eine soziale Bedeutung und Funktion erhalten, dann ließen sich Phänomene wie die bei Van Lente und Rip beschriebene Entstehung einer Technik auf der Basis von Erwartungsstrukturen nur schwer erklären (vgl. Van Lente/Rip 1998a u. a). Es scheint viel mehr, als würde zwischen den von außen herangetragenen sozialen Zuschreibungen sowie den Widerständigkeiten und Optionen seitens der Technik im praktischen Umgang vermittelt. Hier zeigt sich, inwiefern die Erwartungen an die Technik aufrechterhalten werden können oder aber in einem wechselseitigen Anpassungsprozess modifiziert werden müssen. Und schließlich sind Dinge nicht unbegrenzt interpretierbar und für alle Zwecke nutzbar, sondern ermögli-
2. Vom ›Wesen der Technik‹
chen und beschränken die Deutungs- und Verwendungsmöglichkeiten aufgrund ihrer stofflichen und konzeptuellen Eigenschaften. Wobei allerdings zu ergänzen wäre, dass die materiell-konzeptuelle Seite der Technik nicht nur Widerständigkeiten aufweist, sondern auch neue, bislang unvorhergesehene Optionen anbieten kann. Resümiert man die vorangegangenen Überlegungen, bieten sowohl die Materialbasis und Anwendungskontexte der Technik als auch das ihr inhärente Technisierungsschema sowie die unterschiedlichen techniksoziologischen Ansätze, mit deren Hilfe so etwas wie die ›sozialen Bedeutungen‹ einer Technik erfasst werden sollen, notwendige, wenngleich in ihrer isolierten Betrachtung keineswegs hinreichende Ansatzpunkte, die für die Ausarbeitung einer Identität der Technik Berücksichtigung finden und in ein entsprechendes Konzept integriert werden müssen. Dabei scheint es wenig produktiv, einen Ansatz gegen den anderen auszuspielen. Stattdessen wird nach einem Konzept gesucht, das die für die vorliegende Fragestellung relevanten Aspekte der genannten Ansätze berücksichtigt, miteinander in Beziehung setzt und so einen neuen Blick auf die Konstitution technischer Identität ermöglicht. An dieser Stelle ist es sinnvoll, einen Blick in die Nachbardisziplinen Biographie- und Identitätsforschung zu werfen, die sich im Hinblick auf die Entstehung menschlicher Identitäten mit einer ähnlichen Problemlage konfrontiert sehen und Ansätze entwickelt haben, die unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Faktoren Identitäten zu erklären versuchen.
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3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung Wie viele Seiten hat ein Ding? So viele, wie wir Blicke dafür haben […] Ulla Hahn1
Im Zuge der techniksoziologischen Ansätze war bislang von der ›sozialen Bedeutung‹ oder aber dem ›sozialen Inhalt‹ der Technik die Rede. Möchte man die Identität der Technik näher differenzieren, ist es lohnend, einen Blick auf die Identitätsforschung selbst zu werfen und zu prüfen, welche Schlüsse sich hieraus für die Entstehung technischer Identitäten ziehen lassen, inwiefern eine Orientierung an der soziologischen Identitätsforschung neue Erkenntnisse für die Technik- und Innovationsforschung liefern bzw. inwiefern sie Anregungen für die Konzeption einer Identität der Technik bieten kann. Begrifflich bezeichnet ›Identität‹ entweder etwas, das gleich bleibt (idem) oder aber etwas, das als ein Selbst (ipse) zu identifizieren ist.2 Auf einer allgemeinen Ebene kann Identität als eine symbolische Struktur (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 51) verstanden werden, die es ermöglicht, dass Menschen – aber eben auch Dinge – eindeutig identifiziert und mit bestimmten Eigenschaften und Merkmalen verbunden werden können, die sie von anderen unterscheiden. Auf der Seite der soziologischen Identitätsforschung wird ein besonderes Augenmerk auf interaktionistische Ansätze gelegt. Exemplarisch sei hier auf die Theorie zur Entstehung von Identität nach George Herbert Mead sowie die Weiterentwicklung dieses Ansatzes durch Lothar Krappmann verwiesen, welche beide Identität als das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen Individuum und Umwelt begreifen. Darüber hinaus werden neuere Ansätze berücksichtigt, die den prozesshaften und zugleich relationalen Charakter von Identität(-sentwicklung) hervorheben und somit insbesondere für die Entwicklung des Konzepts der Innovationsbiographie vielversprechende Ansatzpunkte bieten. Zu nennen sind in diesem Kontext vor allem die Differenzierung zwischen Kern- und
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Hahn 2006:10. Zu einer ausführlichen Diskussion der Dialektik von ›Selbigkeit‹ (idem) und ›Selbstheit‹ (ipse) vergleiche Ricoeur 1991.
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Die multiple Identität der Technik
Teilidentitäten, die Bedeutung in der Identitätsarbeit hergestellter Identitätskonstruktionen und die Verfolgung von Identitätsprojekten im Rahmen des doing identity, die mit diesen Aspekten eng verknüpfte Frage nach Kohärenz und Kontinuität dieser Identitätskonstruktionen sowie der Zusammenhang von Körper und Identität. Vor dem Hintergrund dieser Ansätze wird im Folgenden geprüft, inwiefern eine techniksoziologische Konzeption einer Identität der Technik von den Anregungen aus der Biographieforschung profitieren und die in Kapitel 3.1 dargestellten Betrachtungsweisen sinnvoll in ein Gesamtkonzept integrieren kann. Bezug nehmend auf die genannten Identitätsfacetten stellen sich für die Technik- und Innovationsforschung insbesondere im Hinblick auf Querschnittstechnologien wie die AR-Technologie demnach folgende Fragen: Wie nimmt ein Gegenstand in verschiedenen Teilbereichen über den Anwendungskontext hinausgehende unterschiedliche symbolische Funktionen wahr und wie wird er mit Bedeutungen versehen?3 Welchen Einfluss hat die Stofflichkeit der Technik selbst auf diese symbolischen Dimensionen? Wie präsentiert sich die Technik trotz ihrer Multidimensionalität als eine einheitliche und vor allem eindeutig identifizierbare Technik und welche Rückwirkungen hat diese Form der Gegenstandskonstitution auf das technologische Feld? Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden kurz einige zentrale Kernelemente der Identitätsforschung aufgegriffen und hinsichtlich einer möglichen Anwendbarkeit auf die Technikforschung sowie ihres Potentials für die Konzeption einer Identität der Technik diskutiert. Da es hierbei ausdrücklich nicht um eine ausführliche Diskussion identitätstheoretischer Konzepte sowie ihre exakte Übertragung auf die Technikforschung, sondern eben um Anregungen geht, werden die zentralen Aspekte der Identitätsforschung nur sehr knapp und vereinfacht dargestellt.
3.1.
Facetten einer Identität der Technik
3.1.1.
It’s a matter of matching – Technische Identität als Aushandlungsprozess
Insbesondere interaktionistische Ansätze haben auf die Aushandlungsprozesse zwischen eigenen und fremden Anteilen im Zuge der Identitätsbildung hingewiesen. So besteht das Selbst (self ), das häufig synonym mit dem Begriff der Identität verwendet wird, aus den Haltungen Anderer einem selbst gegenüber (me; ICH) sowie der eigenen Stellungnahme (I; Ich), welche die »Antwort des Einzelnen auf die Haltung der anderen ihm gegenüber« (Mead 1973: 221) darstellt und somit die kreativen Aspekte der Identität betont. Zusammen bilden sie eine Persönlichkeit, wie sie in der gesellschaftlichen Erfahrung erscheint. Die Identität ist im Wesentlichen ein gesellschaftlicher Prozeß, der aus diesen beiden unterscheidbaren Phasen besteht (Mead 1973: 221).
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Epp et al. sprechen in diesem Zusammenhang von »einer Art Bedeutungsüberschuß der technischen Infrastruktur oder des Artefakts« (Epp et al. 2001: 3), der über eine rein sachtechnische Zweck-Mittel-Relation hinausgeht.
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
Dieser Aushandlungsprozess findet nach Mead in Interaktionen (z.B. unterschiedlichen Formen des Spiels (play und game)) statt, in denen der Einzelne sich die Haltung Anderer durch Rollenübernahme vergegenwärtigt und selbst Stellung zu den so internalisierten ›generalisierten Anderen‹ nimmt (vgl. Mead 1973: 194ff.). Identität ist demnach »beides zugleich: antizipierte Erwartungen der anderen und eigene Antwort des Individuums« (Krappmann 2000: 39). Die Betonung eines Passungsprozesses, der auf eine Aushandlung zwischen Selbst und Umwelt abzielt, findet sich auch in biographietheoretischen Ansätzen, wie beispielsweise bei Bude (1998). der die Entstehung von Subjektivität im Spannungsfeld zwischen einer von situativen und sozialen Aushandlungsprozessen abhängigen Identität auf der einen sowie einer Person mit dauerhaften Einstellungen auf der anderen Seite ansiedelt. Dabei finden die Aushandlungsprozesse immer vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Strukturen statt, welche die Passungsprozesse beeinflussen und sich in den ausgehandelten Identitätsentwürfen niederschlagen: Dieser Entwicklungsprozeß vollzieht sich unter den Bedingungen der Individualisierung in einem durch Macht, das heißt von gesellschaftlichen Institutionen, besetzten Raum, in dem die Individuen zwar größere Chancen als früher haben (mehr und andere Optionalitäten), in dem diese aber stets zugleich auch von erwünschten Identitätsentwürfen geprägt werden (Keupp et al. 2002: 302). Ungeachtet der zahlreichen Unterschiede zwischen den einzelnen Ansätzen und unabhängig davon, welche Begriffe man verwendet, scheint in der Identitätsforschung eine breite Einigung dahingehend zu bestehen, dass Identität kein solipsistischer Vorgang, sondern stattdessen Ergebnis eines »Passungsproze[sses] an der Schnittstelle von Innen und Außen« (Keupp et al. 2002: 191) ist. So gesehen handelt es sich bei Identität nicht um eine »binnenpsychische[…] Vollintegration der Persönlichkeit« (Keupp et al. 2002: 16), sondern um eine diskursiv hergestellte Identitätskonstruktion. Die Erfahrung von Identität vermittelt sich dem Akteur in der Prozessualität, und dies auf zweifache Weise. Zum einen unter der Perspektive der Handlung, indem er sich zu einem Identitätsziel ins Verhältnis setzt und zum anderen unter der Perspektive der Anerkennung als in der sozialen Beziehung Wahrgenommener (Keuppt et al. 2002: 163). Um diese beiden Seiten fassen zu können, wird im Folgenden ›personale Identität‹ zur Bezeichnung derjenigen Anteile verwendet, die die betreffende Person selbst in diesen Konstruktionsprozess mit einbringt, während ›soziale Identität‹ als Identität »für die Anderen« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 49) verstanden wird. Das im Aushandlungsprozess zwischen beiden Seiten erzielte Ergebnis in Form einer (vorläufigen) Identitätskonstruktion wird als ›Gesamtidentität‹ oder ›Selbst‹ bezeichnet. Ermöglicht sowie begrenzt wird der Spielraum möglicher Identitätskonstruktionen einerseits durch die Gesellschaft, die – insbesondere mit Hilfe der Medien – kulturell geprägte und sozial akzeptierte Identitätsbilder vermittelt bzw. davon abweichende Entwürfe sanktioniert, und zum anderen durch die Individuen sowie die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen wie sprachliche, kognitive, instrumentelle und materielle Mittel selbst (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 50f.). Festhalten lässt sich, dass – trotz möglicher Unterschiede im Detail – in der soziologischen Identitätsforschung weitgehend Einig-
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Die multiple Identität der Technik
keit darüber besteht, dass Identität in einem Wechselspiel zwischen Innen und Außen, zwischen Individuum und Umwelt entsteht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich hierbei nicht um einen einmaligen Vorgang mit dem Resultat einer zeitlich konstanten und unveränderlichen Identität handelt, sondern vielmehr um einen Aushandlungsprozess, der fortwährender Aktualisierung bedarf. Die ersten Überlegungen im Hinblick auf das Konzept einer Identität der Technik gehen dahin, dass sich in Anlehnung an die zuvor genannten Ausführungen (mit einigen Einschränkungen) auch die Identität der Technik als Produkt eines Aushandlungsprozesses zwischen ›sozialen‹ und – im weiteren Sinne – ›personalen‹, d.h. von dem ›Träger der Identität‹ (sei es Mensch, Tier oder Technik) ausgehenden Aspekten beschreiben lässt. Um diesen Gedanken weiter zu verfolgen, ist es notwendig, sowohl für die bei Mead als me bezeichneten Haltungen anderer dem Individuum gegenüber als auch für die als I bezeichneten Reaktionen des Individuums hierauf selbst ein Pendant auf Seiten der Technik zu finden. Während man sich für die soziale Identität in Form von Erwartungen und Zuschreibungen noch vergleichbare Analogien in Bezug auf Technik vorstellen mag, wird dies bei der Suche nach einer Entsprechung für die personale Identität auf technischer Seite bereits schwieriger. Interessant ist an dieser Stelle, dass sich in der Literatur ein entsprechender Versuch der Analogiebildung im Hinblick auf natürliche, nicht-menschliche Entitäten (natural non-humans) bereits bei Michael (1996) findet. In Auseinandersetzung mit dem Beitrag von Akteur-Netzwerken zur Identitätskonstruktion sowie der damit verbundenen Frage, welcher Status insbesondere natürlichen, nicht-menschlichen Entitäten in diesem Prozess zukommt, versucht Michael, »the roles of such ›natural‹ nonhumans in the construction of human identity« (Michael 1996: 131) zu klären und entwickelt zu diesem Zweck eine 2x2-Matrix, mit deren Hilfe auf einem abstrakten Level »the inter-relation between ›self‹ and ›other‹« (Michael 1996: 140) typologisiert werden kann (vgl. Tab. 1). Tabelle 1: Klassifizierungsschema zur Rollenanalyse von Mensch und Natur bei Identitätskonstruktionen (in Anlehnung an Michael 1996: 138ff ) Objektperspektive
Subjektperspektive
me
I
human
Identität des Menschen
Mensch als Objekt
Mensch als Subjekt
nonhuman
Identität natürlicher, nicht-menschlicher Identitäten
natürliche, nichtmenschliche Entitäten als Objekt
natürliche, nichtmenschliche Entitäten als Subjekt
it
Thou
Objektperspektive
Subjektperspektive
Zur Klärung der möglichen Rollen im Hinblick auf die Konstruktion von Identität greift Michael auf Meads Unterscheidung zwischen me und I zurück, ohne damit jedoch wie Mead »die organisierte Gruppe von Haltungen anderer« (Mead 1973: 218) einerseits sowie die Reaktion auf »Übernahme der Haltungen anderer« (Mead 1973: 217) andererseits zu bezeichnen, sondern stattdessen zwischen Subjekt- bzw. Objektstatus
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
des Menschen zu differenzieren. Analog dazu verwendet Michael die Begriffe it zur Bezeichnung des Objektstatus sowie das altenglische Thou zur Bezeichnung es Subjektstatus natürlicher, nicht-menschlicher Entitäten. Zwar – so betont auch Mead – wird das Individuum in dem Moment, in dem es die »Haltungen anderer Individuen gegenüber sich selbst innerhalb einer gesellschaftlichen Umwelt oder eines Erfahrungs- und Verhaltenskontextes einnimmt« (Mead 1973: 180) auch für sich selbst zum Objekt, genauso wie es – so ließe sich weiter argumentieren – in dem Moment, in dem es auf diese Haltungen reagiert, zweifelsohne einen Subjektstatus inne hat. Allerdings stellen me und I bei Mead zwei Aspekte der eigenen Identitätskonstitution dar, während Michael sie generalisierend zur Bezeichnung von Subjekt- und Objektstatus und damit zur Klärung ihrer Handlungsträgerschaft verwendet. Im Gegensatz zu dem in dieser Arbeit entwickelten Ansatz, der die Identität der Technik selbst in den Vordergrund stellt und das Zustandekommen technischer Identitäten durch Aushandlungsprozesse u.a. zwischen Zuschreibungen der Umwelt sowie Eigenanteilen der Technik erklärt, geht Michael der Frage nach, wie natürliche, nicht-menschliche Entitäten sich in die Identitätsbildung von Akteur-Netzwerken einschalten (vgl. Michael 1996: 141). Als Grundlage seiner Analyse bezieht sich Michael dabei primär auf Zuschreibungen in »more or less institutionalized or articulated textual forms (in the broadest sense)« (Michael 1996: 138) – wobei er betont, dass diese »textual forms« neben Diskursen auch »practical forms« (Michael 1996: 138) umfassen können – und versucht auf dieser Basis to arrange the ways of ›knowing nature‹ in terms of the relative subject-ness (personhood) or object-ness (thinglikeness) which is ascribed respectively to humans and nature, whether this ascription is discursive (linguistic formation) or practical (in the ›handling of nature‹) (Michael 1996: 137) Trotz bestehender Unterschiede zu dem hier vertretenen Konzept einer Identität der Technik stellt Michaels Klassifizierung interessante Anregungen sowie mit den Bezeichnungen it und Thou ein für die Übertragung auf technische Artefakte geeignetes begriffliches Pendant zu Meads Konzepten me und I dar. Um beide Seiten analytisch schärfer fassen zu können, soll it dabei im Folgenden – in engerer Anlehnung an Mead, als dies bei Michael der Fall ist – als ›soziale Identität der Technik‹ im Sinne einer Identität »für die Anderen« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 49) verstanden werden. Angesichts der Tatsache, dass man im Hinblick auf technische Artefakte hingegen kaum von einer ›personalen Identität‹ im eigentlichen Sinne sprechen kann, wird Thou für diejenigen Anteile der Identität verwendet, die das Artefakt selbst in diesen Konstruktionsprozess mit einbringt und die entweder aus seiner Materialität, seinem Design und/oder dem ihm zugrunde liegenden konzeptuellen Technisierungsschema resultieren. Aus diesem Grund wird im weiteren Verlauf an Stelle einer personalen Identität im Hinblick auf Technik von einer ›konzeptuell-materiellen‹ Identität zur Bezeichnung entsprechender Identitätsanteile die Rede sein. Das im Aushandlungsprozess zwischen beiden Seiten erzielte Ergebnis in Form einer (vorläufigen) Identitätskonstruktion wird als ›Gesamtidentität‹ oder ›Selbst‹ (self ) bezeichnet. In den nachfolgenden Annahmen werden die vorangegangenen Überlegungen aufgegriffen und weiterentwickelt, so dass sie für ein Konzept der Identität der Technik fruchtbar gemacht werden können.
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Die multiple Identität der Technik
Annahme 1: Technik besitzt eine soziale Identität. Nicht die Dinge, sondern die Meinungen über diese beunruhigen die Menschen. Epiktet4 Es stellt sich zunächst die Frage, welche Aspekte im Hinblick auf Technik der sozialen Identität (me) entsprechen und wie hierauf aufbauend eine soziale Identität der Technik konzipiert werden kann. Dabei soll me nicht wie bei Michael generell einen Objektstatus anzeigen, sondern in engerer Anlehnung an Mead die zuvor bereits erwähnten organisierten Haltungen anderer (vgl. Mead 1973: 218) bezeichnen. Der von Michael betonte Objektstatus resultiert hieraus nur mittelbar, nämlich indem diese Haltungen in Form von Erwartungen, Zuschreibungen etc. einem Individuum (oder auch Artefakt) zugewiesen werden. An die soziale Identität im Sinne Meads sowie auch der modernen Identitäts- und Biographieforschung anknüpfend werden unter der sozialen Identität der Technik diejenigen Aspekte verstanden, die von außen an die Technik herangetragen werden oder mit anderen Worten: Die soziale Identität der Technik bezeichnet das, was ein technisches Artefakt ›für die Anderen‹ (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 49), d.h. für die soziale Umwelt ist. Im Hinblick auf das angestrebte Konzept einer Identität der Technik ist nachfolgend zu überlegen, welche Formen diese organisierten Haltungen anderer annehmen können, mit denen technische Artefakte von außen konfrontiert werden. Zu denken ist hier beispielsweise an Bedeutungszuschreibungen, Erwartungen, aber auch Nutzer- und Anwendervorstellungen. Dabei ist anzumerken, dass sich diese Haltungen keineswegs nur auf ›fertige‹ und bereits im Einsatz befindliche Artefakte beziehen müssen und somit auch Nutzer nicht die einzigen sozialen Gruppen darstellen, die dem Artefakt eine Bedeutung verleihen. Stattdessen erfolgen Zuschreibungen von außen bereits in sehr frühen Entwicklungsstadien – beispielsweise durch Konstrukteure oder Projektförderer – und beziehen sich in diesem Fall lediglich auf Prototypen oder – in einem noch früheren Stadium – sogar nur auf Ideen und vage Vorstellungen einer Technik. Um die unterschiedlichen Formen einer sozialen Identität zu verdeutlichen, werden im Folgenden mögliche organisierte Haltungen anderer der Technik gegenüber exemplarisch anhand drei techniksoziologischer Konzepte für unterschiedliche Zeithorizonte sowie unterschiedliche soziale Gruppen herausgearbeitet. Wie zuvor erwähnt, stellt bereits der Ansatz einer Social Construction of Technology die interpretative Flexibilität technischer Artefakte heraus, im Zuge dessen diese zum einen mit unterschiedlichen Verwendungs- und Nutzungskontexten konfrontiert werden, zum anderen aber auch von verschiedenen sozialen Gruppen ein unterschiedliches Potential hinsichtlich der Lösung von Problemen zugewiesen bekommen. Dies zeigt sich eindrucksvoll an der bereits dargestellten Kontroverse um die Anforderungen, die an das Fahrrad gestellt wurden (vgl. Kapitel 2.2.2). Während die einen hierin ein Sportgerät sahen, war es für die anderen (in diesem Fall insbesondere Frauen, aber
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Epiktet 1946: 16
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
auch ältere Personen) eine Transportmöglichkeit, die möglichst sicher sein sollte. Entscheidend ist, dass diese Zuschreibungen keineswegs nur rein kognitiv auf einer individuellen Ebene stattfinden, sondern innerhalb sozialer Gruppierungen geteilt werden und damit eine soziale Relevanz beispielsweise in Form gesellschaftlicher Akzeptanz (oder eben auch Ablehnung) haben. Besonders deutlich wird dies am Beispiel des von Henry Ford eingeführten Model T (›Tin Lizzie‹) in ländlichen Gegenden der USA zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Von Ford als Transportmittel für Personen konzipiert, stieß das Model T bei der ländlichen Bevölkerung zunächst auf wenig Gegenliebe und wurde unter anderem aufgrund seines hohen Lärmpegels als Bedrohung insbesondere für Pferdegespanne, aber auch für die Menschen empfunden, was sich in Bezeichnungen wie ›devil wagon‹ (vgl. Kline/Pinch 1996: 768ff.) sowie zahlreichen Verordnungen, die den Gebrauch des Automobils im Straßenverkehr regulieren sollten, widerspiegelte. Im Laufe der Zeit entdeckten die Farmer die Möglichkeit, das Automobil so umzubauen, dass sich mit dessen Hilfe verschiedene Haushaltsgeräte (beispielsweise Waschmaschinen) sowie landwirtschaftliche Geräte (beispielsweise Wasserpumpen und Getreidemühlen) antreiben ließen oder aber auch der Transport landwirtschaftlicher Erzeugnisse vereinfacht wurde. Die soziale Identität des Automobils in Form der Zuschreibungen und Nutzungsvorstellungen der Farmer hatte sich von einer Bedrohung zu einem nützlichen landwirtschaftlichen Gerät gewandelt, was in der Folge verschiedene Firmen dazu veranlasste, entsprechende Hilfsmittel zum Umbau für verschiedene Zwecke anzubieten. Schließlich bot Ford selbst neben dem Model T nun auch »a complete automotive ensemble for the farm – car, truck, and tractor« (Kline/Pinch 1996: 790) an. Die hier beschriebene soziale Identität der Technik kann sich aber nicht nur in Form von Nutzervorstellungen und Zuschreibungen auf bereits bestehende Artefakte beziehen, die sich als Innovationen am Markt bereits durchgesetzt haben, sondern auch in einem frühen Entwicklungsstadium Einfluss auf das Design haben. »The key element is that such groups share a meaning of the artefact – a meaning which can then be used to explain particular development paths which the artefact takes« (Pinch 1996: 24). Besonders deutlich wird dies an der Leitbildforschung, die sich im Zuge der Studien zur Technikgenese insbesondere in der deutschen Technik- und Innovationsforschung etabliert hat. Das Ziel dieser Forschung besteht darin, bereits in frühen Phasen der Technikgenese zu untersuchen, mit welchen »Visionen und Konzepten der Technisierung [Hervorheb. getilgt, K.L.]« (Rammert 1993: 56) die Akteure an die Technikentwicklung herantreten bzw. »[a]uf welchen Wegen und in welcher Form […] die Interessen und Zwecke sozialer Akteure Eingang in reale Technik [finden]« (Dierkes/Hoffmann/Marz 1992: 24). Die soziale Identität der Technik besteht hier in Leitbildern, worunter im weitesten Sinne »Bilder, die leiten« und im engeren Sinne »die Summe der einer Technologie zugeschriebenen (technischen, sozialen, ökonomischen etc.) Eigenschaften zu verstehen [ist]« (Dierkes/Hoffmann/Marz 1992: 24), welche dann handlungsleitend wirken. Auch in diesem Fall handelt es sich nicht nur um solipsistische kognitive oder rhetorische Zuschreibungen, sondern um kollektive Projektionen, welche »die Intuitionen und das (Erfahrungs-)Wissen der Menschen darüber [bündeln], was ihnen einerseits als machbar und andererseits als wünschbar erscheint [Hervorheb. getilgt, K.L.]« (Dierkes/Hoffmann/Marz 1992: 24). Durch ihren kollektiven Charakter wirken sie – genau wie die Deutungszuschreibungen sozialer Gruppen im Rahmen der interpretativen
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Die multiple Identität der Technik
Flexibilität – sowohl auf die Technik selbst als auch auf das sie umgebende soziale Umfeld zurück, indem sie beispielsweise direktiv die Richtung der weiteren Entwicklung weisen, paradigmatisch auf neue Perspektiven einschwören, die Verständigung durch eine geteilte Interpretation des Kontextes herstellen und auch prognostisch mögliche Weiterentwicklungen ausleuchten (vgl. Mambrey 1994: 130f.). Insbesondere in Form von Metaphern ermöglichen sie darüber hinaus, Vorstellungen zukünftiger Techniken und Technologien zu entwickeln und »das gesehene oder gedachte Neue, [das] durch seine Nichtexistenz oder Uneigentlichkeit irritiert, […] kognitiv stimmig [zu machen]« (Mambrey 1994: 131), so dass hierdurch neue Prozesse der Technikentwicklung angestoßen werden können. Entscheidend ist, dass diese Leitbilder keineswegs immer explizit sein müssen, sondern stattdessen »strukturieren, bündeln und begrenzen [sie] quasi unsichtbar« (Knie 1998: 45). Die soziale Identität der Technik kann sich aber sogar noch früher ausbilden, nämlich dann, wenn es eigentlich noch gar kein Artefakt gibt, sondern allenfalls symbolische Repräsentationen in Form von Prototypen oder – in einem noch früheren Zustand – Tabellen und Diagrammen bzw. einfach in Form eines Labels existieren, auf die sich die Haltungen der anderen beziehen. In diesem Stadium konstituiert sich die soziale Identität der Technik primär aus Versprechen und Erwartungen, »as technological options, a promise of functionalities in other words ›hopeful monstrosities‹ […]« (Rip 2009: 405), die als prospective, d.h. als ein Ausblick auf die Zukunft, in symbolische Repräsentationen technischer Artefakte eingebettet sind. Besonders eindrucksvoll zeigen Van Lente und Rip am Beispiel der Membrantechnologie auf, wie diese zunächst als eine rhetorische Einheit entsteht, indem das Label ›Membrantechnologie‹ geprägt wird, auf das von Fürsprechern bereits im Vorfeld einer konkreten technischen Entwicklung eine soziale Identität in Form von Versprechen und Erwartungen auf die prospektive neue Technologie projiziert und in unterschiedlichen Diskursen verbreitet wird. Diese von Rip in Anlehnung an Adam (2004) als »materialization of the ›not yet‹« (Rip 2009: 408) bezeichnete Verkörperung von Erwartungen wirkt ihrerseits auf das soziale Feld zurück, »structures further developments; mobilizing support which has demands attached to it, articulating the promise into more specific requirements for the next step« (Rip 2009: 409). Ein aktuelles Beispiel für diese Rückwirkungen auf das Feld stellt die ›Industrie 4.0‹ dar: Vor dem Hintergrund der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beschriebenen Vision intelligenter Fabriken, in denen Maschinen »miteinander kommunizieren, sich gegenseitig über Fehler im Fertigungsprozess informieren, knappe Materialbestände identifizieren und nachbestellen«5 , unterstützt das BMBF die Forschungsförderung derzeit mit 470 Millionen Euro. Das Ziel bestehe, so die bis 2018 amtierende Bildungsministerin Prof. Dr. Johanna Wanka darin, dass die »Forschungsergebnisse zur Schlüsseltechnologie der Industrie 4.0 […] bei den industriellen Anwendern des produzierenden Gewerbes »auf dem Hallenboden« ankommen« (BMBF 2017: 5). Auch die Anfänge der AR-Technologie beruhen auf der narrativen Arbeit beteiliger Akteure, wie folgende Selbstaussage eines Fürsprechers der AR-Technologie verdeutlicht:
5
URL: https://www.bmbf.de/de/zukunftsprojekt-industrie-4-0-848.html; Zugriff: 27.06.18
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
Also, das Eine ist: Ich hab’s kommen sehen. Ich hab’ gespürt: ›Das kommt!‹, und ich hab’ dran geglaubt. […] Das Zweite ist: Ich habe gewusst, das wird nur werden, wenn wir Geld haben für die Forschung auf dem Gebiet. Deswegen ist es mir gelungen, die FÖRDERUNG von Politik, also BMBF, und Industrie dafür zu erreichen. Und das bedeutet, viel ÜBERZEUGUNGSkraft, viele Vorträge, viele Workshops, viele PodiumsDiskussionen, viele Teilnahmen als Gutachter in allen möglichen Ausschüssen, die Leute also davon ÜBERZEUGEN, dass das ’n Thema ist. [M]an muss derjenige sein, der TRENDS erkennt, IDEEN in die Welt setzt, sie auch sozusagen in Politik, Förderung und Wirtschaft an den Mann bringt. Gut, und die Aufgabe habe ich gespielt, aber das war mein Job (IP-10, Turn 26).6 Und weiter: Also gut, ich habe auch Power Point-Präsentationen gehabt oder so, aber das alleine ist nichts, sondern dann treffen Sie die Leute beim Buffet, und dann müssen Sie bei ’nem Glas Whisky sagen: ›Siehst Du, nicht, also das könnte auch virtuelle Realität sein!‹Ja, Sie müssen in gewisser Hinsicht ein VISIONSverkäufer sein (IP-10, Turn 143). Und auch hier beschränkt sich die Auswirkung der sozialen Identität keineswegs nur auf die Technik selbst, sondern wirkt auf das soziale Feld zurück, indem auf Basis dieser rhetorischen Arbeit mit der Zeit eine relativ stabile Zuhörerschaft, beispielsweise in Form von interessierten Unternehmen und politischen Institutionen, geschaffen wird. In einem zweiten Schritt zeigen Van Lente und Rip, wie aus der rhetorischen Einheit ›Membrantechnologie‹, die im ersten Stadium noch eng an einige wenige relevante Akteure und deren rhetorische Arbeit gebunden ist, schließlich eine ›soziale Realität‹ wird, die unabhängig von den Fürsprechern existiert und um die sich unterschiedliche Akteure gruppieren und miteinander koordinieren, obwohl sie nicht in gemeinsame soziale Strukturen eingebettet sind. Dies geschieht dadurch, dass sich die soziale Identität der Technik als eine Art Skript in den Szenario-ähnlichen Darstellungen sowie den darin enthaltenen Erwartungsaussagen verfestigt, auf das unterschiedliche Akteure reagieren und sich entsprechend – entweder zustimmend oder ablehnend – positionieren. Aufgrund dieser Positionierung entstehen Knotenpunkte und Verbindungen zwischen den Akteuren, die Abhängigkeiten schaffen (vgl. Van Lente/Rip 1998a: 235) und die zur Herausbildung einer ›Welt der Membrantechnologie‹ führen (vgl. Van Lente/Rip 1998a: 235f.). Auf der Grundlage der gemeinsam geteilten sozialen Identität der Technik in Form von Erwartungsstrukturen bildet sich schließlich eine mehr oder minder geteilte Agenda heraus, die Spezifikationen an die zukünftige Technologie enthält und Optionen für weiterführende Handlungen bereitstellt (vgl. Van Lente/Rip 1998b: 218f.). So koordinieren sich im Bereich ›Industrie 4.0‹ beispielsweise unterschiedliche Akteure aus Wirtschaft, Forschung, Politik, aber auch Verbände und gesellschaftliche Gruppen sich in sogenannten ›Hubs‹. Diese Kompetenzzentren bieten Raum für den Austausch
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Die Regelung zur Zitierweise aus den Experteninterviews wird im Rahmen der Fallstudie in Kapitel 5.1.3 erläutert.
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über die Digitalsierung der Industrie sowie die Identifizierung neuer Handlungsfelder und die Initiierung konkreter Projekte im Bereich ›Industrie 4.0‹.7 Gemeinsam ist den dargestellten Ansätzen, dass sie dem ›Social Shaping of Technology‹ nahe stehen und somit davon ausgehen, »that technology is shaped in form and content by social forces, and that its social effects are not determined simply by the nature of the technology« (Russel/Williams 2002: 39). Dabei zeigen die genannten drei exemplarischen Fälle zum einen, dass technische Artefakte für unterschiedliche Gruppierungen tatsächlich so etwas wie eine soziale Identität im Sinne organisierter Haltungen besitzen. Diese kann unterschiedliche Formen annehmen und in unterschiedlichen Entwicklungsstadien eine faktische Auswirkung auf Design und Nutzung der Artefakte haben. Zum anderen wird darüber hinaus deutlich, dass die in einem Feld vorherrschende Vorstellung dieser Technik auch auf das Feld selbst zurückwirkt – unabhängig davon, ob sich diese Vorstellungen auch tatsächlich realisieren lassen oder nicht. Die soziale Identität der Technik ist das, was diese Technik für andere ist bzw. sein soll. Und genau diese Zuschreibungen und Erwartungen konstituieren bereits einen Teil der technischen Identität, sogar dann, wenn die Technik als solche noch gar nicht entwickelt ist oder im Anfangsstadium ihrer Entwicklung steckt. Dies zeigt sich im Falle der AR-Technologie besonders gut an Darstellungen in Publikationen, in denen sie beispielsweise als »exciting new technology with the potential of becoming a ›killer application‹, combining many aspects of computer science into well-designed and welltuned systems« (Klinker 1999: 14) dargestellt wird. Diese Beschreibung mag zutreffen oder nicht – wenn diese Einschätzung von mehreren relevanten Akteuren geteilt wird, dann hat die AR-Technologie für diese Personen die oben beschriebene soziale Identität, die als solche auf ihr Umfeld zurückwirkt, und dann kann diese Identität auch als eine soziale Identität der Technik analysiert werden. Nun geht es in Meads Konzeption einer sozialen Identität nicht nur um die organisierten Haltungen anderer, die an jemanden herangetragen werden, sondern eben auch um die Übernahme der angetragenen Erwartungen und Vorstellungen durch das Individuum selbst. Man wird diesen Aspekt – zumindest im ursprünglichen Sinne – nicht auf technische Artefakte übertragen können, was eben noch einmal darauf verweist, dass es sich hier nicht im eigentlichen Sinne um eine Konzeptübertragung handelt. Allerdings lassen sich auch hier Analogien im Bereich der Technik finden, denn die an die Technik herangetragenen Vorstellungen und Erwartungen sind – wie die Ansätze der Vergegenständlichungsperspektive zeigen – zu einem gewissen Teil in die Technik ›eingebaut‹, inkorporiert und somit in die Technik ›übernommen‹ worden. Gleichzeitig vermag die Technik jedoch auch nicht alle Ideen und Zuschreibungen zu erfüllen. Das bedeutet, dass neben der sozialen Identität (me) auch so etwas wie eine personale Identität (I) im Sinne einer sich aus der Technik selbst ergebenden Eigenständigkeit zu berücksichtigen ist, welche im Folgenden näher untersucht werden soll.
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Vgl. beispielsweise den ›digitalHUB Aachen‹ (URL: https://aachen.digital/; Zugriff: 27.06.18) oder den ›CPS.HUB NRW‹ (URL: https://www.wirtschaft.nrw/cpshub-nrw; Zugriff: 27.06.18).
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
Annahme 2: Technik besitzt eine Identität, die durch Eigenschaften der Technik selbst geprägt ist (materiell-konzeptuelle Identität). Während man sich an den Gedanken einer sozialen Identität der Technik (it) im Sinne von Erwartungen und Bedeutungen, die von außen an die Technik herangetragen werden – noch leicht gewöhnen mag, erscheint die Übertragung der personalen Identität (I) – im Meadschen Sinne verstanden als »die Reaktion des Organismus auf die Haltungen anderer, die man selbst einnimmt« (Mead 1973: 218) – auf technische Artefakte zunächst deutlich schwieriger zu sein. Spannend ist an dieser Stelle, dass eine personale Identität der Technik ausgerechnet von Seiten der Identitätsforschung keineswegs ausgeschlossen wird, denn [n]atürlich haben nur menschliche Individuen eine personale Identität, aber diese spezielle Form von Identität entspricht in ihrer Struktur und in ihren Aufbauprinzipien durchaus solchen Identitäten, die wir auch anderen Dingen zusprechen; zum Beispiel Gegenständen, Handlungen oder Ereignissen (Meuter 1995: 10). Wie aber könnte das Pendant zu einer personalen Identität aus der Perspektive technischer Artefakte aussehen? Bereits angedeutet wurde, dass sich die personale Identität der Technik analog zu der personalen Identität im Sinne Meads aus den Anteilen zusammensetzt, die von dem Artefakt selbst – hier vor allem seiner Materialität und seinem Design sowie des ihm inhärenten konzeptuellen Schemas – ausgehen. Es ist an dieser Stelle zu überlegen, in welcher Form sich der – durchaus identitätsrelevante – Eigenanteil bemerkbar macht. In der zuvor aufgestellten Annahme über die soziale Identität der Technik wurde herausgearbeitet, dass in den verschiedenen Phasen der Entwicklung und des Umgangs mit der Technik Annahmen formuliert werden, was die Technik zu sein und wie sie zu funktionieren hat. Nun entsprechen ja bekanntlich die an eine Technik herangetragenen Vorstellungen und Bedeutungen, wie das von Pickering dargestellte Beispiel der Bubble Chamber (vgl. Kapitel 2.2.4) veranschaulicht, nicht immer den Eigenschaften, die das technische Artefakt oder die technologische Konfiguration dann auch in der konkreten Anwendung zeigt. Zahlreiche Beispiele auch aus dem Alltag belegen, dass Technik keineswegs immer gemäß der Vorstellungen des Nutzers ›agiert‹, sondern sich in vielen Situationen äußerst ›unkooperativ‹ zeigt: Das Auto, das eines Tages auf der Autobahn aus unerklärlichen Gründen seinen Dienst versagt, das Computerprogramm, das eigenmächtig Dinge auszuführen scheint sowie der Schrubber, der nicht an seinem angestammten Platz stehen bleiben will, sondern seinem Besitzer von hinten in den Rücken fällt, sobald man sich umdreht, sind nur einige Beispiele hierfür. Unter den geschilderten Bedingungen erscheint die Individualität eines Artefakts nicht mehr als Vertrautheit und Verlässlichkeit, sondern als Fremdheit und Undurchschaubarkeit, die sich als Unberechenbarkeit äußert, als Tücke des Objekts, das seinen Dienst versagt, ohne dass wir den Grund dafür begreifen können. Individualität steht damit für Unzuverlässigkeit und Risiko, ist negativ bestimmt als Mangel an VorausBestimmbarkeit und als Abweichung vom Soll (Lang 2008: 245). Dieser Eigenanteil der Technik hat Einfluss auf ihre Identität im Sinne der zuvor beschriebenen symbolischen Struktur, denn er führt zu »Erwartungsveränderungen
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und Erwartungsbrüchen« (Brüsemeister 2008: 230) seitens der beteiligten Akteure: Auf einmal wird aus dem heiß geliebten Auto ›Paulchen‹ eine ›Höllenmaschine‹, das ›Dienst‹programm, das die Arbeit eigentlich erleichtern soll, erzeugt nun erst recht Arbeit und der Schrubber ist nicht länger ein Mittel zum Frühjahrsputz, sondern eine Gefahrenquelle im Haushalt. Was für Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs zutrifft, gilt dann auch in besonderem Maße für moderne Hochtechnologien, die eine deutlich höhere Komplexität aufweisen und damit für den Nutzer wesentlich undurchschaubarer sind. Die Eigenschaften, die diese Technologien in der Anwendung an den Tag legen, beeinflussen in hohem Maße ihre Identität im Sinne ihrer symbolischen Struktur. Sollte sich beispielsweise herausstellen, dass die AR-Systeme aus dem zuvor genannten Beispiel weder well-tuned sind noch als Killer-Applikationen (killer application; im Folgenden auch Killer-App) taugen, sondern stattdessen äußerst störanfällig oder gar nicht erst funktionsfähig sind, wird man sich mit dem Bild, das man sich bis dato von der AR-Technologie machte, noch einmal neu auseinandersetzen müssen. Die Beispiele verdeutlichen, dass stoffliche Aspekte sowie funktionelle Eigenschaften der Technik selbst im konkreten Umgang mitentscheiden, welche Vorstellungen aufrechterhalten werden können, welche nicht und wo sich unerwartet neue Optionen zeigen. Aus diesem Grund und um das Missverständnis einer Vermenschlichung von Technik zu vermeiden, wird im Hinblick auf den Eigenanteil technischer Artefakte an ihrer Bedeutungskonstitution im Folgenden an Stelle einer ›personalen‹ von einer ›materiell-konzeptuellen‹ Identität (Thou) die Rede sein, wobei der Begriff ›konzeptuell‹ sowohl das Technisierungsschema als auch das der Technik eigene Design umfasst. Darunter verstanden werden – wie bereits angedeutet – die Eigenschaften, die von Material, Technisierungsschema oder Design eines technischen Artefaktes herrühren, wobei der besondere Fokus auf Eigenschaften und eben nicht auf dem Material o.ä. selbst liegt. Wie noch auszuführen sein wird, handelt es sich bei Material, technischem Konzept sowie Design um etwas, das sich analog zum Menschen als ›Körper der Technik‹8 beschreiben lässt (vgl. hierzu auch in dieser Arbeit Kapitel 3.1.2). Der materiell-konzeptuelle Eigenanteil der Technik an ihrer Identität (Thou) hingegen basiert zwar auf den zugrunde liegenden Materialien im Sinne von von Sachtechnik und leitet sich aus diesen sowie dem Konzept der Technik in Form ihres Technisierungsschemas ab, ist aber nicht identisch mit dem Körper der Technik, sondern stellt eine eigenständige Kategorie dar. Nun ließe sich argumentieren, dass Technik selbst nicht quasi ex nihilo Eigenschaften entwickelt, die sie dann im praktischen Umgang an den Tag legt. Und in der Tat sind technische Artefakte nicht nur im Hinblick auf ihre Identität, sondern auch auf ihre Form, ihre Funktionsweise sowie ihre Gestaltung selber Produkte früherer Aushandlungsprozesse zwischen Mensch und Technik – sei es, dass in ihnen bestimmte
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Der Begriff ›Körper der Technik‹ meint hier in der Tat den ›Körper‹, sprich: die Basis der Technik und grenzt sich damit von Joerges ab, der Technik als ›Körper der Gesellschaft‹ betrachtet und damit auf eine »Betrachtungsweise [verweist], in der die anorganischen, außerkörperlichen Medien der Technik für Gesellschaften das bewerkstelligen, was organische Körper für menschliches Handeln leisten […]« (Joerges 1996: 7).
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
Handlungsanweisungen vergegenständlicht wurden, ihre Bedeutung sowie ihre Ausgestaltung zwischen sozial relevanten Akteuren ausgehandelt werden mussten oder aber sie in der Praxis ›gemangelt‹ wurde, bis sie ihre (vorerst) endgültige Gestalt erhielt. Entscheidend ist jedoch, dass diese Aushandlungsprozesse zwar ihre Spuren hinterlassen, die Technik zu einem anderen Zeitpunkt, in einem anderen Kontext und im Umfeld anderer Akteure diesen jedoch als etwas quasi Eigenständiges entgegentritt, das mit einer eigenen Logik handelt. Wie Joerges trefflich bemerkt, handelt es sich hierbei keineswegs um etwas unveränderlich Stabiles, wohl aber um einen »Realitätsbereich, dessen Ordnungen in ständigem und außerordentlich unübersichtlichem Wandel begriffen sind« (Joerges 1989: 47). Geordnet soll also bedeuten, dass es sich um eine entworfene, gesetzte Realität handelt, die dann, wenn sie übernommen und selbstverständlich reproduziert und erweitert wird, mit einiger Regelmäßigkeit Handlungsweisen herausfordert und festlegt (Joerges 1989: 47). Angesichts der Tatsache, dass sich der Entstehungsprozess technischer Artefakte den Akteuren in einem neuen sozialen Umfeld in der Regel entzieht, tritt die Technik den Beteiligten als eine mehr oder minder verfestigte, eigenständige Entität mit spezifischen und oft undurchschaubaren ›Eigenschaften‹ und ›Verhaltensweisen‹ entgegen, die dann im aktuellen Gebrauch im Rahmen gewisser Grenzen wieder neu verhandelt werden können. Wie aber tritt die materiell-konzeptuelle Identität der Technik konkret in Erscheinung? Zunächst wird in Anlehnung an Pickering davon ausgegangen, dass es sich im Hinblick auf die Eigenanteile der Technik um ein zeitlich emergentes Phänomen handelt, das nicht vorhersehbar ist, sondern – wie Pickering es im Falle von Glasers Blasenkammer formuliert – »appeared as if by chance – they just happened« (Pickering 1993: 576). Grundsätzlich sind unbegrenzt viele Ausdrucksformen der Wirkmächtigkeit denkbar, so dass seine vollständige Darstellung dessen, wie die materiell-konzeptuellen Identitätsanteile der Technik Einfluss auf ihre Gesamtidentität nehmen, zwangsweise scheitern muss. Um dennoch einen groben Überblick über das Spektrum der Wirkmächtigkeit der Dinge zu geben, seien im Folgenden einige Formen exemplarisch herausgegriffen. Hierbei stellt sich das praktische Problem, wie sich diese Eigenanteile der Technik sinnvoll klassifizieren lassen. Eine erste Möglichkeit stellt die Einteilung in (aus Nutzerperspektive) erwünschte im Gegensatz zu nicht-erwünschten Reaktionen der Technik im praktischen Umgang dar. Für den Nutzer offensichtlich wird der Eigenanteil der Technik insbesondere dann, wenn sich diese als widerständig oder gar defekt erweist: »Accidents and their subsequent inquiries are perhaps the only passing moment when outsiders may glimpse the routinely less orderly, less rule-controlled world of technology and science« (Wynne 1988: 150). Diese Formen des Eigenanteils der Technik werden in der techniksoziologischen Literatur besonders häufig – beispielsweise bei Pickering als ›Widerständigkeit der Technik‹ – thematisiert. In diesen Fällen wandelt sich die bisherige Identität einer Technologie aufgrund ihrer Unvorhersehbarkeit, ihrer Provokation oder sogar Bedrohlichkeit hin zu einer negativeren Identität – wie das bereits angeführte Beispiel des Autos ›Paulchen‹ verdeutlicht. Genauso gut ist aber auch der gegenteilige Fall möglich:
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Technik kann den Nutzer ebenso unterstützen. Zu denken ist hier beispielsweise an die Rechtschreibkorrektur auf dem Computer, die nicht nur auf Fehler hinweist, sondern diese sogar korrigiert; den Bordcomputer im Auto, der dem Fahrer mitteilt, dass der nächste Ölwechsel fällig ist oder aber das im vorangegangenen Kapitel bereits erwähnte Cockpit-Assistenzsystem, das ein Flugzeug auch dann sicher weiter fliegt, wenn die Piloten anderweitig beschäftigt sind. Darüber hinaus ermöglichen bestimmte Eigenschaften der Technik auch neue Optionen, oder – wie Löfgren (2000: 322) betont: »Most new technologies entered the world full of promises but also with rather diffuse about their actual and potential future use«. Besonders deutlich wird dies an der aktuellen Entwicklung der SmartPhones: So kann man mit seinem Mobiltelefon nicht mehr nur telefonieren oder – und auch dies stellte für die Nutzung von Handys bereits eine neue Option dar – photographieren, sondern sich auch die nächste Filiale der Sparkasse anzeigen lassen oder unterwegs Überweisungen tätigen. Mit diesen Funktionen hat sich zugleich auch die Identität des Geräts vom einfachen, mobilen Telefon hin zu einem Multi-Talent – teilweise sogar mit Statussymbol-Charakter – gewandelt, ohne dass ein Ende bzw. eine soziale Schließung in Sicht wäre. Noch eindringlicher wird das Optionen generierende Potential bei Technologien, die auch neue positive, emotionale Erfahrungen ermöglichen, wie das Beispiel des »Tischbildtelefons« – nebenbei bemerkt einer Variante der AR-Technologie, ohne dass es dieses Label trägt – verdeutlicht. Sicherlich stellt es schon einen deutlichen Unterschied im emotionalen Erleben dar, ob man sich mit einer entfernten Person via Brief oder Telefon verständigt oder mit dem Tischbildtelefon, denn hier wird durch die Technik eine gänzlich neue Form medial vermittelter Nähe ermöglicht. Die Idee des Tischbildtelefons ist denkbar einfach: Über einer Tischplatte werden ein Beamer, eine Webcam und ein Mikrofon dauerhaft bei den beteiligten Akteuren platziert. Legt nun ein Kommunikationspartner beispielsweise seine Hand auf die von der Webcam erfassten Tischfläche, wird dieses Bild via Beamer auf die Tischplatte des anderen Teilnehmers projiziert, der wiederum mit eigenen Gesten auf die virtuelle Hand ›reagieren‹ und somit eine Form der Verbundenheit herstellen kann (vgl. Abb. 1).9 Mit Hilfe dieser technologischen Konfiguration wird die Realität (in diesem Fall der Tisch) durch das projizierte Bild des Gegenübers erweitert (augmentiert), so dass ein »Ort [entsteht], an dem man miteinander sprechen, und vor allem etwas tun kann« (Pontes 2010). Dieser ›Erlebnis-ermöglichenden‹ Eigenschaft der Technik widmet sich eine eigene Disziplin, nämlich das sogenannte ›Experience Design‹, das »nicht beim Produkt, sondern den zu gestaltenden Erlebnissen – hier Verbundenheitserlebnisse – an[setzt]« (Hassenzahl et al. 2010: 190): It simply focuses our interest on interactive products (as opposed to, for example, other people) as creators, facilitators and mediators of experience. Although interactive products are not considered as experience in themselves, through their power to 9
Die Gestik als Ausdruck der Verbundenheit stellt hierbei nur ein Beispiel dar. Hassenzahl et al. identifizieren anhand der Literatur insgesamt sechs verschiedene Facetten der Verbundenheit – nämlich Körperlichkeit, emotionaler Ausdruck, Gewahrwerdung, gemeinsames Tun, gemeinsame Erinnerung sowie Geschenke – die durch verschiedene technologische Konzepte realisiert werden können (vgl. Hassenzahl et al. 2010: 191ff.).
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
shape what we feel, think, and do, they will inevitably influence our experience. The experiential approach to designing interactive products explores ways to create and shape experiences through products (Hassenzahl 2010: 8). Abbildung 1: Technische Realisierung des Tischbildtelefons mit Webcam, Beamer und Mikrofon (links); Beispiel für die Realisierung virtuell-realer Gestik (rechts)
(Hassenzahl et al. 2010: 190)
Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle angemerkt, dass Technik selbstverständlich nicht nur positive, sondern auch negative emotionale Erfahrungen ermöglichen kann, wie das bereits erwähnte Beispiel der Aggression gegen Computer eindrücklich belegt. Die insbesondere durch den negativ konnotierten Verweis auf die Widerständigkeit der Dinge in der Literatur häufig anzutreffende Unterteilung in negative sowie positive Formen, die die materiell-konzeptuelle Identität der Technik im praktischen Gebrauch an den Tag legen kann, stellt nur eine grobe Klassifizierung dar, welche die extremen Ausprägungen der Wirkmächtigkeit der Technik erfasst. Häufig tritt der Eigenanteil der Technik in Erscheinung, ohne dass eine eindeutige Zuordnung sogleich gegeben ist. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn Technik explizit die Aktivität des Akteurs herausfordert. So kann Technik auch zu einer Handlung auffordern – beispielsweise, wenn sich während der Installation einer neuen Computersoftware verschiedene Optionen ergeben, unter denen der Nutzer wählen muss, bevor der Installationsprozess abgeschlossen werden kann. Darüber hinaus kann die Aktivität der Technik auch zu einer Änderung der Deutungen bei den beteiligten Akteuren führen, wie das zuvor genannte Beispiel der sozialen Konstruktion des Fahrrads und seiner Reifen verdeutlicht: Vor dem Fahrradrennen galt die Verwendung kleiner, luftbereifter Reifen als mögliche Lösung für das lästige Vibrationsproblem – nachdem das Rennen von einem luftbereiften Niedrigrad gewonnen wurde, galt es als sportliches Vehikel (vgl. Kapitel 2.2.2). Schließlich kann Technik Akteure sogar dazu bewegen, gänzlich neue Praktiken herauszubilden. So beschreibt Löfgren, wie sich mit der Etablierung der Eisenbahn als Reisemittel das Anstehen und Warten in der Menge sowie die damit einhergehenden Umgangsformen wie beispielsweise »Distanz zu wahren, sich abzugrenzen oder auch Kontakt aufzunehmen« (Löfgren 2009: 32) erst herausbilden und etablieren mussten. Je nach Reaktion des betroffenen Akteurs mögen die beschriebenen Handlungsauffor-
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derungen als lästig, neutral oder sogar positiv empfunden werden und zu einer durch die Technik selbst bedingten Veränderung ihrer Identität führen. Der materiell-konzeptuelle Anteil der Technik an ihrer Identität kann mehr oder minder überraschend in Erscheinung treten und dabei einen Effekt haben, der zunächst keineswegs intendiert ist – beispielsweise in Form eines plötzlichen Defekts der Technik. In diesem Fall spricht Latour von ›Mittlern‹, aus deren »Input […] sich ihr Output nie richtig vorhersagen [lässt]; stets muss ihre Spezifität berücksichtigt werden. Mittler übersetzen, entstellen, modifizieren und transformieren die Bedeutung oder die Elemente, die sie übermitteln sollen« (Latour 2007: 70). Genauso gut – und dies ist ein selten thematisierter Aspekt des Eigenanteils der Technik – kann die Technik aber auch zuverlässig genau das tun, was seitens des Nutzers von ihr erwartet wird. In diesem Fall fungiert die Technik im Sinne Latours als ein ›Zwischenglied‹, das »Bedeutung oder Kraft ohne Transformation transportiert: Mit seinem Input ist auch sein Output definiert« (Latour 2007: 70). Das Entscheidende ist, dass sowohl aus Zwischengliedern Mittler als auch umgekehrt aus Mittlern Zwischenglieder werden können, so dass man es mit einer »fortwährende[n] Unbestimmtheit hinsichtlich der inneren Natur der Entitäten – verhalten sie sich als Zwischenglieder oder Mittler?« (Latour 2007: 71) zu tun hat. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass es sich bei der materiell-konzeptuellen Identität der Technik keineswegs um eine normativ gesetzte Handlungsträgerschaft der Technik handelt, sondern dass sie – genau wie die personale Identität als Stellungnahme des Einzelnen zu den von außen herangetragenen Erwartungen und Vorstellungen unterschiedlich vehement ausfallen kann – in der Praxis unterschiedliche graduelle Stufen aufweist. Der konzeptuell-materielle Eigenanteil der Technik weist somit verschiedene Facetten auf: Er kann erwünscht oder unerwünscht in Erscheinung treten, einen Effekt haben (Mittler) oder eben nicht (Zwischenglied), er kann für den Nutzer mehr oder weniger überraschend auftreten und ihm mehr oder weniger Freiheit für sein Verhalten lassen und darüber hinaus unterschiedliche graduelle Stufen annehmen Festzuhalten bleibt, dass unabhängig davon, welcher Klassifizierung man sich bedient, Technik durch ihren Eigenanteil maßgeblich an ihrer Identität im Sinne der sie auszeichnenden symbolischen Struktur mitwirkt. Entweder verändert die Technik die ihr vom Nutzer zugeschriebene soziale Identität im praktischen Vollzug, indem sie bestimmte Erwartungen enttäuscht bzw. neue Möglichkeiten eröffnet und wird damit zu etwas anderem, oder aber das, was sie tut, entspricht den an sie herangetragenen Erwartungen, so sie die von außen zugeschriebenen Identitätsvorstellungen bestätigt. Annahme 3: Die Gesamtidentität der Technik wird in der Praxis zwischen sozialen Aspekten und den Eigenschaften der Technik ausgehandelt. Bis hierhin lässt sich festhalten, dass die Identität der Technik – analog zu der Identität menschlicher Akteure – aus sozialen, von außen an die Technik herangetragenen (it), sowie durch die Technik selbst bedingten, materiell-konzeptuellen (Thou) Identitätsanteilen bestimmt wird. Entsprechend lässt sich das o.g. Klassifizierungsschema von Michael zur Rollenanalyse von Mensch und Natur bei der Identitätskonstruktion basie-
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
rend auf den Erkenntnissen der Identitätsforschung wie folgt für die Technik erweitern (vgl. Tab. 2). Tabelle 2: Erweitertes Klassifizierungsschema zur Rollenanalyse von Mensch/Natur sowie Mensch/Technik bei Identitätskonstruktionen (Erweiterung in Anlehnung an Michael 1996: 138ff) Objektperspektive
Subjektperspektive
me
I
human
Identität des Menschen
Mensch als Objekt (Michael 1996) Haltung anderer einem gegenüber (vgl. Mead 1973) >> Mensch als Objekt, an das von außen Erwartungen herangetragen werden
Mensch als Subjekt (Michael 1996) Eigene Stellungnahme auf Haltung anderer (vgl. Mead 1973) >> Mensch als Subjekt, das auf die Erwartungen anderer reagiert (Eigenanteil, Response)
nonhuman
Identität natürlicher, nichtmenschlicher Identitäten
natürliche, nicht-menschliche Entitäten als Objekt (Michael 1996)
natürliche, nicht-menschliche Entitäten als Subjekt (Michael 1996)
Identität der Technik
Haltung anderer der Technik gegenüber Technik als Objekt, an das von außen Erwartungen herangetragen werden (= was es sein soll)
(in Praxis beobachtbare) ›Reaktion‹ der Technik auf die Haltung anderer (kann sie z.B. bestätigen oder konterkarieren) Technik als ›Subjekt‹, das mit Eigenmächtigkeit (z.B. Widerständigkeit; Optionen…) auf die Erwartungen von außen ›reagiert‹ (= was es selber ›sagt‹)
it
Thou
Objektperspektive
Subjektperspektive
Es stellt sich nun die Frage, wie aus der sozialen sowie der materiell-konzeptuellen Identität im Zuge eines Aushandlungs- und Passungsprozesses so etwas wie eine – zumindest temporäre – Gesamtidentität der Technik entsteht. Vergegenwärtigt man sich die Annahme der Identitätsforschung, dass die »Übereinstimmung über die Identität der Beteiligten und die Interpretation der Situation […] das Ergebnis eines Prozesses [ist], in dem Erwartungen ausgetauscht und nach und nach einander angeglichen werden« (Krappmann 2000: 34), so fühlt man sich auf Seite der Technikforschung un-
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Die multiple Identität der Technik
weigerlich an Pickerings Ansatz der Mangle of Practice erinnert, der insbesondere den performativen Charakter der Technisierung betont. Der Aushandlung beider Identitätsanteile in Interaktionen entspricht somit auf technischer Seite, wie bereits angedeutet, der konkrete Umgang mit den Dingen, denn wie Pickering herausgestellt hat, entstehen erst in der experimentellen Praxis durch das wechselseitige ›Mangeln‹, d.h. der Abfolge von Anpassung (accomodation) und Widerständigkeit (resistance) sowohl theoretischer Annahmen und Erwartungshaltungen einerseits als auch materieller Gegebenheiten andererseits gelungene Verknüpfungen im Sinne technisierter Abläufe (vgl. Pickering 1993). Zwar kann man einem Objekt unbegrenzt bestimmte Merkmale und Verhaltenseigenschaften zuschreiben, spätestens jedoch im Umgang mit der Technik wird sich herausstellen, ob die bestehende soziale Identität der Technik aufrecht erhalten werden kann, oder ob nicht aufgrund bestimmter Widerständigkeiten seitens der Technik die alten Vorstellungen modifiziert oder sogar ganz aufgegeben werden müssen. Während – um in Pickerings bereits erwähntem Beispiel der Blasenkammer zu bleiben – Glaser dem von ihm konstruierten Prototypen die Identität eines »new kind of detector, like the cloud chamber« (Pickering 1993: 569) zuschrieb, machte das konstruierte Artefakt indes keinerlei Anstalten, die Spuren der gewünschten Teilchen aufzuzeichnen. Erst nach einer langen Abfolge von Widerständigkeiten und Anpassungen gelang es, die Erwartungen an die Technik sowie die Eigenschaften der Technik selbst in Einklang zu bringen, so dass sich eine neue symbolische Struktur der Technik herausbilden konnte: This last sequence of resistance and accommodation in accelerator physics, then, mangled both the material and conceptual aspects of the culture of particle physics: a new material form of the chamber, the quenched xeno chamber, and new knowledge, a new understanding of the chamber’s functioning, emerged together (Pickering 1993: 573). Ähnliche Beispiele finden sich nicht nur bei modernen Hochtechnologien, die aufgrund ihrer variablen technologischen Konfigurationen besonders bedeutungsoffen hinsichtlich ihrer Identität zu sein scheinen, sondern auch bei Technologien des lebensweltlichen Alltags. Schon die Konfiguration eines Smartphones gestaltet sich als interaktiver ›Mangel‹-Prozess zwischen Nutzer und Technik, bei der das Gerät samt seiner Einstellungen einerseits an die Bedürfnisse des Nutzers angepasst wird, während der Nutzer sich gleichzeitig ebenfalls ›mangeln‹ lässt, indem er von den einen oder anderen Anforderungen an das Gerät wieder Abstand nimmt oder sich auf neue Optionen einlässt. Derartige Beispiele zeigen, dass »im Prozess des handelnden Umgehens mit Artefakten […] diese fortwährend verändert [werden]. Selbst wenn ihre stoffliche Gestalt unberührt bleibt, erfahren sie doch in den Interaktionsprozessen, an denen sie beteiligt sind, eine fortwährende Bedeutungsveränderung« (Strübing 2005: 288). Mit der Fokussierung auf den praktischen Aushandlungsprozess der symbolischen Struktur einer Technik wird ein Bogen zu praxistheoretischen Ansätzen geschlagen, die ebenfalls die Bedeutung des praktischen Umgangs mit der Technik sowie die Widerständigkeit und den Eigensinn der Dinge betonen. Während der Umgang mit den Dingen für sie jedoch konstitutiv für die Herausbildung einer sozialen Bedeutung der Technik ist, ermöglicht die hier dargestellte Konzeption, die Identität der Technik auf
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
verschiedenen Ebenen zu betrachten: Erstens auf der Ebene der sozialen Identität als von außen zugeschriebene (womöglich rein rhetorische); zweitens auf der Ebene personaler Identität als eine, die sich aus den materiell-konzeptuellen Aspekten der Technik ergibt sowie drittens auf der Ebene der Gesamtidentität. Hierunter wird das (vorläufige) Ergebnis des Aushandlungsprozesses verstanden, das sich beispielsweise in Form von Prototypen, die relativ zuverlässig die zugeschriebenen Eigenschaften aufweisen, manifestiert. Die Identität der Technik ist folglich das Konstrukt einer symbolischen Struktur, das aus einem Passungsprozess zwischen von außen an die Technik herangetragenen sowie inhärenten Aspekten der Technik resultiert. Nun könnte man argumentieren, dass Aushandlungsprozesse dieser Art lediglich einen sehr begrenzten Einfluss haben: Im schlimmsten Fall gelten sie nur für einen Akteur, der einmalig eine bestimmte Erfahrung macht, worauf sich nicht generell auf die Identität der Technik schließen lasse. Was aber wäre denn eine ›generelle Identität‹? Aus der Identitätsforschung ist hinlänglich bekannt, dass »Identität als Vorstellung von einem ›heilen‹ Individuum bzw. als Forderung, unter allen Umständen eines aus sich zu machen« und somit eine »eindeutige Einheit« (Bilden 1997: 229) darzustellen, zunehmend problematisch, wenn nicht gar unmöglich ist. Stattdessen handelt es sich um eine Vielzahl von Identitäts-Facetten bzw. Teilidentitäten, die »[d]urch eine eher lockere Verbindung« (Bilden 1997: 243) zusammengehalten werden. Vor diesem Hintergrund würde sich folglich weniger die Frage nach einer ›generellen Identität‹, sondern eher danach stellen, wie diese Facetten aufeinander bezogen werden bzw. als zu einer Entität zugehörig wahrgenommen werden. Darüber hinaus darf jedoch nicht vergessen werden, dass sowohl soziale als auch materiell-konzeptuelle Identitätsanteile der Technik in Form ihres Eigenanteils aber nicht nur im privaten Alltag des Nutzers Einfluss auf die Gesamtidentität der Technik üben, sondern – wie im Zuge der materiell-konzeptuellen Identität der Technik bereits beschrieben – schon im Entstehungsprozess einer Technologie. Zwar gibt es in der Tat im Zuge der technischen Nutzung immer wieder Identitätsentwürfe, die von der aktuellen Situation abhängig und somit von kürzerer Dauer sind, es ist jedoch nicht damit zu rechnen, dass Ausnahmefälle automatisch eine von der Mehrheit geteilte symbolische Struktur erhalten. Gleichwohl können, wie das Beispiel des Short Message Service (SMS) zeigt, auch widerständige Verwendungsweisen dauerhaft zu einer Veränderung technischer Identitäten führen. In diesem Zusammenhang entscheidend ist jedoch, dass insbesondere in Phasen der Technikentwicklung der gleiche Aushandlungsprozess zwischen der sozialen sowie der materiell-konzeptuellen Identität der Technik stattfindet wie später im Alltag der Nutzer – allerdings mit einem Unterschied: In dieser Phase werden nämlich Form, Konzept und Material der Technik ausgewählt, was den Spielraum für künftige Identitätsentwürfe absteckt und auf relative Dauer gestellt: Im So-sein eines Artefaktes aber sind immer die Einschreibungen seiner Erzeuger zu finden: Eine Absicht der Toaster-Hersteller ist es, eine [sic!] Gerät zu liefern, mit dem Brot scheibenweise geröstet werden kann – deshalb wird es uns kaum gelingen, damit eine Email zu versenden oder ein Brötchen hinein zu praktizieren (Strübing 2005: 287).
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Sowohl die materiell-konzeptuelle Identität im Sinne der aus Material, Konzept und Design abgeleiteten Eigenschaften, als auch die soziale Identität im Sinne der Erwartungen, die an ein Artefakt von außen herangetragen werden, verfestigen sich in diesem Stadium der technischen Entwicklung zumindest für einen gewissen Zeitraum. verfestigt. Sowohl in dieser als auch in späteren Phasen, in denen die Technik Herstellerkonform genutzt wird, entsteht als Ergebnis der vorangegangenen Aushandlungsprozesse so etwas wie eine Gesamtidentität, die anzeigt, welche symbolische Struktur in einer Technik weitgehend verbreitet ist und von verschiedenen Akteuren geteilt wird. Die Gesamtidentität der Technik bezeichnet dann das, was – mehr oder weniger überdauernd – in einem bestimmten Feld sozial wirksam ist. Das kann im Falle der Technikentwicklung beispielsweise eine neue Technologie sein, die im Rahmen eines Feldes von Forschern und Entwicklern auf ähnliche Weise be- bzw. ›gehandelt‹ wird, und auf die man sich im Zuge verschiedener Entwicklungs-relevanter Tätigkeiten wie Forschung, Förderung und Herstellung bezieht. Im Falle der Techniknutzung kann es sich um ein Sportgerät – sei es der Fußball, das Kiteboard oder das Segelflugzeug – handeln, das für eine Gruppe von Sportlern eine bestimmte Bedeutung hat, diese Gruppe zusammenhält und ihre gemeinsamen Aktivitäten maßgeblich prägt. Entscheidend ist der performative Charakter dieses Technisierungsprozesses, denn im Zuge der technischen Entwicklung schränken weder »objektive physikalische Eigenschaften oder gar Naturgesetze die technischen Projekte und den Raum technologischer Möglichkeiten ein […]« (Rammert 2007: 56), noch handelt es sich bei technischem Wissen um die »Repräsentation einer vorgefundenen Welt« (Wehling 2003: 128), sondern stattdessen werden in praktischen Aushandlungsprozessen »völlig neue Wirkhorizonte [hergestellt], die in der ›world of representation‹ zunächst keine Entsprechung finden und von der Wissenschaft (noch) nicht erfasst werden können« (Wehling 2003: 128). Genau diese neuen Wirkhorizonte treten zukünftigen Nutzern aber in Form technischer Artefakte wieder gegenüber und begrenzen den Möglichkeitsraum zukünftiger Identitätskonstruktionen. Die an einem Artefakt vorgenommenen Einschreibungen setzen unserem Handeln in Bezug auf die und mit den Artefakten teilweise Grenzen, teilweise legen sie bestimmte Handlungen nahe, teilweise erschweren sie bestimmte andere. Wir können diese Einschreibungen nicht nicht beachten, wissen zugleich aber auch nie sicher zu sagen, was genau sie motiviert hat und von welchen Prozessen sie das Ergebnis sind (Strübing 2005: 287). So wurde vor einigen Jahren im Rahmen eines der bisher größten AR-Projekte im deutschsprachigen Raum eine Studie durchgeführt, die das Ziel hatte, die Montage verschiedener Teile an einer Autotür unter Anleitung eines Collaborative Augmented Reality-Systems (CARS) mit der Anleitung per Telefon sowie per Videokonferenz zu vergleichen (vgl. Lenzen 2001). Die Erwartungen waren ausgesprochen hoch und man war sich absolut sicher, dass das AR-System den anderen Medien deutlich hinsichtlich der Eindeutigkeit der Anleitung überlegen war. Bei der Durchführung der Untersuchung zeigte sich jedoch, dass das CARS lediglich im Hinblick auf die Qualität der Montage (gemessen an der Anzahl der Fehler) am besten abschnitt. Weder in der Bearbeitungszeit noch in der mentalen Modellbildung (angezeigt durch die Anzahl der
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
verbalen und nonverbalen Deiktika) stellte es sich als überlegen heraus. Stattdessen wurde die im NASA-TASK-LOAD-INDEX (NASA-TLX) erhobene Beanspruchung im Umgang mit dieser Technologie als besonders hoch angegeben. Teilweise nahmen die Teilnehmer der Untersuchung die Datenbrille sogar ab oder versuchten, darüber oder darunter hinwegzugucken, weil sie die Datenbrille mit den eingeblendeten Informationen, die das Kernstück der eingesetzten Technologie ausmachte und auf die sich die höchsten Erwartungen bezogen, als störend empfanden. Unabhängig davon, mit welchen Vorstellungen und Erwartungen (it) man also an die Technik herantritt, »[t]he material characteristics of the technology might also set limits on what the object may be used for (Forchhammer 2006: 138). Leider besteht nicht immer die Möglichkeit, die Widerständigkeit der Dinge und den praktischen Aushandlungsprozess zwischen Erwartung und Realität auf diese Weise in actu zu beobachten. Jedoch stellen Projektdokumentationen und narrative Interviews mit den Beteiligten eine alternative Möglichkeit dar, entsprechende Prozesse zu erheben. Vor diesem Hintergrund lässt sich festhalten, dass die Entstehung symbolischer Strukturen auf der Basis sozialer Erwartungen von außen sowie materiell-konzeptueller Identitätsanteile der Technik selbst den Kern des Konzepts einer Identität darstellen, weshalb ihr an dieser Stelle ein besonderer Raum gegeben wurde. Allerdings erschöpft sich die Identität der Technik keineswegs in diesem Prozess. Stattdessen spielen für die Entstehung sowohl menschlicher als auch technischer Identitäten weitere Faktoren eine Rolle, die im Folgenden kurz erwähnt werden sollen.
3.1.2.
Der Körper der Technik
Neben den oben genannten Aspekten ist insbesondere für die Technikforschung ein Themenbereich relevant, der in der Identitätsforschung nur am Rande behandelt wird, nämlich die Rolle des Körpers10 für die Identität. Trotz der Unterscheidung zwischen
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In der Körpersoziologie wird zwischen Leib auf der einen sowie Körper auf der anderen Seite unterschieden. Während der Leib auf den lebendigen Körper verweist, der ausschließlich subjektiv und »nur von innen wahrgenommen werden [kann] [Hervorheb. im Orig.]« (Gugutzer 2004: 152f.), handelt es sich bei dem »Körper [um ein] Objekt des Weiteren insofern, als er von anderen von außen wahrgenommen werden kann [Hervorheb. im Orig.]« (Gugutzer 2004: 152). Der Körper ist im Gegensatz zum Leib unbelebt (›Körperding‹, vgl. u.a. Plessner 1975: 294), kann als Instrument eingesetzt werden (vgl. Barkhaus 2001: 30), weist eine »relative Örtlichkeit [Hervorheb. im Orig.]« (Gugutzer 2004: 153) auf und lässt sich darüber hinaus teilen (vgl. Gugutzer 2004: 154). Diese Dualität von ›Leib-sein‹ und ›Körper-haben‹ stellt nach Plessner einen »unaufhebbare[n] Doppelaspekt der Existenz dar« (Plessner 1975: 292), im Zuge dessen der »wahrnehmend-wahrnehmbare, spürendspürbare Leib und der Körper als form- und manipulierbarer Gegenstand […] eine untrennbare, sich wechselseitig prägende Einheit [bilden]« (Gugutzer 2006: 30). Auch wenn in der Körpersoziologie beide Aspekte eine untrennbare Einheit darstellen, muss man an dieser Stelle deutlich auf die Grenze der Übertragbarkeit verweisen, denn im Hinblick auf Technik wird man nicht von einem Leib sprechen können, der von der Technik selbst affektiv spür- und erfahrbar ist. Stattdessen treten Materialität, Konzept und Form der Technik hier als Körper im o.g. Sinne in Erscheinung – ohne dadurch allerdings ihre Identitätsrelevanz einzubüßen. Aus diesem Grund beziehen sich die folgenden Ausführungen primär auf die Identitätsrelevanz des Körpers, ohne damit die Differenz zwischen Körper und Leib leugnen oder nivellieren zu wollen.
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Körper und Identität besteht ein enger Zusammenhang zwischen beiden, der allerdings eher seitens der Körpersoziologie als seitens der Identitätsforschung betont wird. Speziell in Zeiten der Individualisierung, in denen sich die Individuen an keinen verbindlichen Vorgaben mehr orientieren können, sondern auf individuelle Sinnstiftung – häufig unter der Bedingung ständig wechselnder Identitätsentwürfe – angewiesen sind, stellt der Körper »etwas Konkretes, Faßbares, Verläßliches, Gegenwärtiges« dar, das »als eine sinngebende und identitätsrelevante Instanz« (Gugutzer 1998: 35) fungiert. Individualisierungsprozesse sind somit zugleich Voraussetzung und Konsequenz der massenhaften Hinwendung zum Körper in unserer Gegenwart. Der Zugriff auf den Körper als eine sinngebende und identitätsrelevante Instanz darf deshalb nicht nur, wie das häufig geschieht, unter dem Aspekt einer Ausweitung narzißtischer und hedonistischer Verhaltensweisen betrachtet werden, sondern muß auch als mitunter verzweifelte Suche nach individuellen Glücks- und Sinnmaßstäben angesehen werden (Gugutzer 1998: 35). Ähnlich betont auch Barkhaus die Bedeutung des Körpers insbesondere für die Kohärenz der Identität. Davon ausgehend, dass Identitäten nicht nur Konstrukte sind, die immer wieder neu ausgehandelt werden müssen, sondern auch Kohärenz erfordern, versteht sie »Identität im Sinne einer Prozessgestalt […], denn der Gestaltbegriff impliziert sowohl die Einheitlichkeit als auch die Möglichkeit zu einer strukturierten Transformation« (Barkhaus 2001: 46). Der Körper ist nun insofern identitätsrelevant, als dass er »dazu beiträgt, das für [eine] Identitätsgestalt notwendige Maß an Kohärenz aufrecht zu erhalten bzw. einen möglichen Bruch dieser […] Gestalt zu signalisieren« (Barkhaus 2001: 46). Auch wenn hinsichtlich der Identitätsrelevanz des Körpers häufig auf den dem Körper inhärenten Eigensinn verwiesen wird, der – wie nachfolgend gezeigt – sicher eine wichtige Rolle insbesondere in der Begrenzung möglicher Identitätsentwürfe spielt, so stellt der Körper doch zunächst einmal eine mögliche Ressource für die Identitätsbildung dar, und zwar nicht nur, wie mit Verweis auf das Spüren der eigenen Leiblichkeit angeführt wird, für die betreffende Person selbst, sondern ebenso für die Erwartungszuschreibungen seitens der Umwelt. Zum einen stellt der Körper diese Ressource per se zur Verfügung – beispielsweise dann, wenn sich schon früh im Körper und seinen Bewegungen ein besonderes Talent wie das eines Tänzers oder eines Models abzeichnen. Zum anderen bietet der Körper aber auch die Projektionsfläche für identitätsrelevante Veränderungen. Zu denken ist hierbei an bestimmte Praktiken zur Formung des Körpers, chirurgische Eingriffe zur Verschönerung des Körpers, die gezielte Beeinflussung des Ernährungsverhalten sowie die Steigerung körperlicher Leistungsfähigkeit durch ein entsprechendes Training. Darüber hinaus fungiert der Körper aber auch als Träger zeichenträchtiger sowie ›identitätssignalisierender‹ (vgl. Liebsch 2017: 40) Artefakte, wie insbesondere die Modebranche zeigt. Hier nutzen nicht nur Individuen, sondern ganze soziale Gruppen den Körper und seine (textile) Gestaltbarkeit gezielt »zur Inszenierung von Identitäten« (Lehnert 2003: 216): Die Mode drückt nicht nur aus, sondern sie produziert auch: Körperbilder, Geschlechterbilder, Bilder von Schönheit und Hässlichkeit, von Erfolg oder Unglück. Mode pro-
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duziert fiktionale Körper, die den anatomischen Körper verändern, verdecken, prothetisch in den Raum erweitern oder umgekehrt auf ein flächiges Ornament reduzieren – die aber doch immer auf den anatomischen Körper angewiesen sind, auch wenn sie ihm noch so sehr zu widersprechen suchen (Lehnert 2003: 216). Schließlich lässt sich der Körper auch hinsichtlich seiner Funktionen erweitern, wie die aktuellen Debatten über die Gehirn-Maschine-Schnittstellen sowie das NeuroEnhancement eindrücklich veranschaulichen (vgl. u.a. Farah 2004; Nagel/Stephan 2009; Schöne-Seifert 2006; Talbot/Wolf 2006). In diesem Sinne nutzen Individuen »the technological resources availale to them to [sic!] in order to develop their own esteem and sense of self, and to increase their physical capital« (Shilling 2005: 189). Der Körper und seine Körperbiographie werden somit zu einem »gestalt- und machbaren Projekt« (Gugutzer 2002: 258ff.), das zugleich die Ressource für die Identitätsbildung darstellt. Der Körper hat jedoch nicht nur eine identitätsermöglichende Funktion, sondern begrenzt den insbesondere durch Individualisierungsprozesse schier endlos scheinenden Spielraum möglicher Identitätsentwürfe zugleich. Zum einen ermöglicht er durch seine Beschaffenheit nicht nur bestimmte Identitätsentwürfe, sondern schließt bestimmte Möglichkeiten auch einfach aus. So müssen beispielsweise sowohl für den Beruf eines Tänzers als auch einer Profi-Basketballspielerin von vornherein bestimmte körperliche Möglichkeiten wie Körpergröße, Körperbeherrschung, Schnelligkeit, Flexibilität und Rhythmusgefühl gegeben oder aber zumindest das Potential zu ihrer Entwicklung vorhanden sein. Ist dies nicht der Fall, mag man zwar sich selbst für eine begnadete Tänzerin halten und einen entsprechenden Identitätsentwurf darauf aufbauen, spätestens jedoch im praktischen Vollzug wird der Körper diesem Vorhaben mehr oder minder entschieden widersprechen. Die Beschaffenheit des Körpers beeinflusst auch das Spektrum der Identitätszuschreibungen und Erwartungen, die von außen an das Individuum herangetragen werden. Man mag darüber streiten, ob es sich beispielsweise bei der Geschlechtsidentität um eine soziale Konstruktion handelt oder nicht – ohne Zweifel trägt der Körper sowie seine Beschaffenheit nicht unmaßgeblich dazu bei, wie die eigene geschlechtliche Identität sowohl von dem Individuum selbst leiblich-affektiv erfahren, aber auch von der Umwelt zugeschrieben wird. Demgemäß dürfte »[d]ie Behauptung, dass die geschlechtsspezifische Ausprägung des Körpers eine besondere Identitätsrelevanz besitzt, […] kaum überraschen« (Gugutzer 2001: 86). Neben der grundsätzlichen Beschaffenheit des Körpers und seiner daraus resultierenden Widerstände und Möglichkeiten spielt aber auch der körpereigene Eigensinn eine identitätsrelevante, zum Teil diese begrenzende oder zumindest verändernde Rolle. Dies wird insbesondere dann deutlich, wenn der Körper nicht mehr wie gewohnt ›funktioniert‹, sondern – sei es aufgrund von Krankheit oder auch nur eines unguten Gefühls – »ein anderes als von der Person geplante[s] Verhalten erzwingt« (Barkhaus 2001: 43). Der Körper kann seinen Besitzer aber auch überraschen und damit sowohl das eigene Selbstverständnis als auch das der Umwelt in Frage stellen – nämlich dann, wenn er vorreflexiv ›handelt‹ und beispielsweise in Form eines spontanen Lachens oder Weinens sinnhaft auf die Situation Bezug nimmt und sich der Kontrolle entzieht (vgl. Barkhaus 2001: 44f.; Gugutzer 2006: 19f.). In diesen Fällen ist ein bestimmter Identitätsentwurf nicht von vorneherein begrenzt, jedoch kann der
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Eigensinn – sei es in Form überraschender Eigenmächtigkeit, eines Funktionsausfalls oder erwartbarer Veränderung des Körpers durch das Altern – dazu führen, dass sich eine Identität sowohl im Verständnis der betreffenden Person selbst als auch in ihrer Umwelt verändert. Wie erwähnt, spielt der Körper sowohl für die eigene Identitätskonstruktion als auch für Identitätszuschreibungen von außen eine relevante Rolle. Damit stellt er zugleich einen gemeinsamen Referenzpunkt zwischen Innen und Außen, Individuum und Umwelt, personaler und sozialer Identität dar, denn beide Seiten können sich in ihren Identitätsentwürfen den Gegebenheiten des Körpers nicht entziehen, sondern müssen diese im Zuge des zuvor genannten Aushandlungsprozesses berücksichtigen. Im Hinblick auf die Technik gilt es nun zu überlegen, welche Anregungen sich aus den oben genannten Ausführungen für die Konzeption ihrer Identität und hier insbesondere die Identitätsrelevanz ihres Körpers ziehen lassen. Zu diesem Zweck werden im Folgenden zwei Annahmen aufgestellt, die den Zusammenhang von Körper und Identität der Technik näher beleuchten. Annahme 4: Es lässt sich zwischen dem technischen Körper sowie der Identität der Technik unterscheiden Die zu Beginn aufgegriffenen Beispiele in der techniksoziologischen Literatur brachten den Begriff der Identität der Technik häufig in die Nähe der stofflichen Ausgestaltung der Technik (so beispielsweise Dolata, der die Patchwork-Identität der Biotechnologie u.a. mit einem Fehlen technischer Artefakte begründet). Wie bereits im vorherigen Kapitel erwähnt, muss jedoch zwischen der Identität der Technik (insbesondere ihren materiell-konzeptuellen Identitätsanteilen im o.g. Sinne) und ihrem Körper (ver-
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standen als Material, Technisierungsschema11 sowie Design der Technik) unterschieden werden. Verdeutlichen lässt sich dies am Beispiel der zuvor bereits erwähnten, auf Neuroimplantaten basierenden Brain-Computer-Interfaces (BCI) oder Brain-MachineInterfaces (BMI)12 , deren Ziel darin besteht, eine Verbindung zwischen Gehirn und Computer herzustellen und auf Basis willkürlicher Anstrengung des Gehirns den Austausch bioelektrischer Signale zu ermöglichen (vgl. Grunwald 2007: 5). Eingesetzt werden Neuroimplantate beispielsweise, um motorische (z.B. durch den Einsatz von Neuroprothesen) oder sensorische Funktionen (z.B. durch Cochlear-Implantate) wiederherzustellen. Der ›Körper‹ der Technik (der in diesem Fall den menschlichen Körper als Trägerbasis für das Neuroimplantat im Gehirn mit einbezieht) lässt sich anhand seiner Materialeigenschaften, der Anordnung, welche ein spezifisches Technisierungsschema ermöglicht, sowie seines Designs beschreiben. Wenig ausgesagt ist damit allerdings über die Identität dieser Technologie: Es kann sich hierbei um eine »life-changing technology«13 , eine – wie der Tübinger Forscher Niels Birbaumer in einem Interview bemerkt – ›experimentelle Operation‹ mit verheerenden Risiken (vgl. Rauch 2007: 24) oder gar die Möglichkeit zur »herrschaftsförmige[n] Gestaltung einer transhumanistischen Zukunft, die maskulinisierte, weiße, westliche Super-TechnoKörper, ausgerichtet auf Wettbewerb und Rationalität, zur Norm erhebt« (Schmitz 11
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Mit der Zuordnung des Technisierungsschemas zum Körper wird die von Rammert eingeführte und in Kapitel 2.1.2 bereits erwähnte Differenzierung zwischen Medium und Form keineswegs aufgehoben oder gar ignoriert. In der Tat besteht ein Unterschied zwischen den Trägermedien wie beispielsweise menschlichen Körpern, physischen Dingen und symbolischen Zeichen auf der einen sowie der in sie eingeschriebenen Technisierungsschemata in Form von Habitualisierung, Mechanisierung und Algorithmisierung auf der anderen Seite. Allerdings ist ein technischer Körper in der Regel auf ein Technisierungsschema hin konzipiert – dieses bestimmt sowohl das Material als auch das Design in Form der Anordnung der Einzelteile des technischen Artefaktes in großen Teilen. Zusammen bestimmen diese drei Elemente, welche ›Eigenschaften‹ die Technik an den Tag legen kann und welche ausgeschlossen werden. Zudem erhält ein Körper – und das gilt auch für den Körper der Technik – seinen ›Geist‹, seine ›Seele‹ sowie seine ›Lebendigkeit‹ (vgl. Rammert 1993: 297) erst auf Basis seines inhärenten Technisierungsschemas: »Nicht die Materialität von Gehäuse, Siliziumchips und Kontaktdrähten kennzeichnet den Computer, sondern die Organisation der elementaren funktionalen Komponenten« (Rammert 1993: 297f.). Für die Identität der Technik im Allgemeinen sowie ihrer materiell-konzeptuellen Identitätsteile, die aus dem Körper der Technik resultieren im Besonderen, interessiert primär der ›belebte‹ Körper, d.h. der Körper der Technik ›in Aktion‹ (übrigens analog zum Menschen, denn auch hier darf angenommen werden, dass primär der lebende Körper eine identitätsrelevante Funktion besitzt). Zwar kann Technik, wie bereits gezeigt, auch in eigensinniger Weise zweckentfremdet und abweichend von dem ursprünglich intendierten Technisierungsschema verwendet werden, allerdings nur in relativ begrenztem Maße. Und sogar dann, wenn ein technisches Artefakt unbeabsichtigterweise mehrere Schemata zulässt (man denke hier wieder an den Stuhl, der nicht nur zum Sitzen, sondern ebenso als Tritthocker verwendet werden kann), sind es doch diese Schemata, die den Unterschied zwischen einem toten und einem (im Sinne Rammerts) ›lebendigen‹ und somit identitätsrelevanten Körper konstituieren. Vor diesem Hintergrund fungiert der Körper der Technik somit als eine Einheit aus Material, Design und Technisierungsschema. Die beiden Begriffe werden in der Fachliteratur nicht sauber getrennt, sondern meist synonym verwendet, so auch in der vorliegenden Arbeit. URL: www.cyberkinetics.org; Zugriff: 07.02.17
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2016: 51) handeln. Wie dieses Beispiel zeigt, sind Objekte »zwar an die Materialität ihrer Trägersubstanz gebunden, können jedoch in vielen Fällen recht umstandslos von einer Trägersubstanz auf die andere übergehen« (Strübing 2005: 278). Objekte ändern häufiger als ihre materielle Gestalt ihren Bedeutungsgehalt, das wofür sie uns stehen. Aus dem Gen als Erbinformation wird das Gen als patentierbares Wissen; aus der Magnetschwebebahn als schnelles Fernverkehrsmittel wird angesichts der politischen Durchsetzungsprobleme in Deutschland plötzlich ein teures Nahverkehrssystem (Strübing 2005: 278). Die Differenzierung zwischen Körper der Technik auf der einen sowie ihrer Identität auf der anderen Seite betrifft nicht nur die Gesamtidentität der Technik im Sinne ihrer symbolischen Struktur, sondern ebenso die materiell-konzeptuellen Identitätsteile der Technik, die – wie zuvor bereits ausgeführt – eng verbunden mit ihrer körperlichen Basis in Form von Material, Technisierungsschema und Design, jedoch keineswegs mit dieser gleichzusetzen sind. Im Hinblick auf das Material eines Neuroimplantats kann sich dieses beispielsweise entweder biokompatibel (für den Körper und das betroffene Gewebe verträglich) verhalten oder aber toxische Eigenschaften aufweisen, die zu Abwehrreaktionen führen (vgl. Stieglitz 2009: 27f.). Darüber werden – je nach zugrunde liegendem Technisierungsschema – die bioelektrischen Signale des Gehirns erfasst und codiert (ableitendes System), einzelne Hirnregionen über elektrische Impulse stimuliert (stimulierendes System) oder aber beide Funktionen miteinander kombiniert (integriertes System) (vgl. Müller/Clausen/Maio 2009a: 12). Dementsprechend ›erlaubt‹ das System bestimmte Nutzungsweisen, während es andere ausschließt. Und auch aus dem Design14 des Systems resultieren besondere ›Eigenschaften‹, denn es macht einen großen Unterschied, ob ein entsprechendes System – wie beispielsweise das ›Braingate Neural Interface System‹ der Firma Cyberkinetics – die »Größe einer Waschmaschine« (Duncan 2005: 2) besitzt und nach Aussage eines betroffenen Patienten »in seiner derzeitigen Form noch nicht sehr hilfreich für ihn ist« (Duncan 2005:6), oder ob das System tatsächlich – beispielsweise durch einen in die Brust implantierten Prozessor sowie die Verlegung der für den Datentransfer nötigen Glasfaserkabel unter die Haut des Patienten – im Alltag genutzt werden kann, »to help impaired individuals communicate and interact with society«15 , wie es als Vision auf der Homepage der Firma Cyberkinetics beschrieben ist. Während es sich im ersten Fall um ein System handelt, das zwar Potentiale beherbergt, aber den Patienten durch die notwendige Apparatur schon rein optisch stigmatisiert und durch die aufwendige Bedienung von zusätzlichem Pflegepersonal sowie Experten abhängig macht, würde es sich im zweiten Fall 14
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An dieser Stelle ließe sich argumentieren, dass ›Design‹ eine Redundanz zu ›Material‹ und ›Technisierungsschema‹ darstellt, da Design ohnehin beides umfasse. Dies ist einerseits richtig: Bei Design geht es in der Tat auch beispielsweise um Materialauswahl etc. Dem entgegen zu setzen ist allerdings, dass zum einen viele verschiedene Materialien sowie unterschiedliche Anordnungen zur Realisierung eines Technisierungsschemas möglich sind und zum anderen umgekehrt verschiedene Technisierungsschemata mit den gleichen Materialien realisiert werden können. Das Design bezeichnet somit, wie das Artefakt konkret ausgestaltet wurde, d.h. welche Materialen in welcher Kombination und Anordnung zur Realisierung eines bestimmten Schemas herangezogen wurden. URL: www.cyberkinetics.org; Zugriff: 07.02.17
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um eine Technologie handeln, mit deren Hilfe gelähmte Patienten wieder in den Alltag zurückkehren und zumindest teilweise aktiv an diesem teilnehmen können.16 So gesehen sind auch Neuroimplantate sowie die auf ihnen basierenden Systeme letztendlich »›Design-Objekte‹ […] – bewußt unter expressiven Gesichtspunkten entworfen, vermarktet und ausgewählt« (Joerges 1988a: 40). Es zeigt sich, dass anhand des Materials, des konzeptuellen Schemas sowie des Designs der Mensch-Maschine-Schnittstelle nur schwer vorhersehbar ist, welche materiell-konzeptuellen Identitätsanteile auf dieser Basis in einer konkreten Situation zum Tragen kommen – ob sich beispielsweise die verwendeten Materialien als toxisch oder verträglich erweisen und ob das Design alltagstauglich ist oder sich in der Praxis als widerständig entpuppt. Auch wenn – wie Strübing treffend bemerkt – »die Gegenstände vor allem in der Technikforschung zu einer impliziten Gleichsetzung von Objekt und materiellem Gegenstand« (Strübing 2005: 279) ›verführen‹ und wir im Hinblick auf den Körper der Technik meist an eine konkrete materielle Technik – zumindest in Form eines Prototypen – denken, ist anzumerken, dass der Körper einer neuen Technologie in einem Frühstadium ihrer Entwicklung durchaus zunächst als symbolische Repräsentation existiert. Hierbei kann es sich beispielsweise um mathematische oder chemische Formeln, Gestaltungskonzepte, graphische Darstellungen, ausgearbeitete technische Zeichnungen oder auch nur um einen spontan auf ein Blatt skizzierten Entwurf handeln (vgl. Duncker/Disco 1998: 271 sowie Strübing 2005: 277). All diese Formen symbolischer Repräsentationen eint, dass sie nicht einfach ›sich selbst‹, sondern das in sie eingegangene Handeln (Handlungen des Identifizierens, Benennens, Abgrenzens, aber ebenso des stofflichen Hervorbringens, Zurichtens, Veränderns, Nutzens) sowie die mit ihnen verbundene Handlungspotentialität [repräsentieren] (Strübing 2005: 276). Das bedeutet, dass technische Artefakte erstens selbst eine körperliche Präsenz haben – beispielsweise in Form eines beschriebenen Papiers, einer Berechnung, einer Power Point Präsentation oder aber sogar eines prototypischen Artefakts, das sich deutlich von der zu entwickelnden Technologie unterscheidet, anhand dessen sich aber eine erste Vorstellung über die Funktionsweise der künftigen Technik erahnen lässt. Zweitens stellen sie auch eine Art Körperentwurf dar, beinhalten vielleicht schon Vorstellungen über Material, Design oder aber das technische Konzept der zu entwickelnden Technik und zeigen auf diese Weise an, »what they might become« (Rip 2009: 411). In ihrer Beschaffenheit sind sie vergleichbar mit ›Boundary Objects‹, mit Objekten also, […] which are both plastic enough to adapt to local needs and the constraints of the several parties employing them, yet robust enough to maintain a common identity across sites. They are weakly structured in common use, and become strongly structured in individual site use. These objects may be abstract or concrete. They have dif16
Noch evidenter werden die Auswirkungen der aus dem Design resultierenden Eigenschaften, wenn man invasive Gehirn-Computer-Schnittstellen mit nicht-invasiven vergleicht: Während erstere wenigstens das grundsätzliche Potential haben, eines Tages quasi ›unsichtbar‹ im Körper zu verschwinden, weisen letztere durch ihre Sichtbarkeit immer auf eine Krankheit oder Behinderung des Patienten hin.
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ferent meanings in different social worlds but their structure is common enough to more than one world to make them recognizable, a means of translation. The creation and management of boundary objects is a key process in developing and maintaining coherence across intersecting social worlds (Star/Griesemer 1989: 393). Aufgrund dieser Eigenschaften sind sie in der Lage, »eine symbolische Brücke zwischen vergangenem und gegenwärtigem bzw. künftigem Handeln« (Strübing 2005: 276f.) zu schlagen, den Spielraum möglicher Bedeutungszuschreibungen und Erwartungshaltungen an die künftige Technik zu strukturieren (vgl. Duncker/Disco 1998: 266) sowie in einen kohärenten Zusammenhang zu stellen und somit die Handlung heterogener Akteure zu koordinieren (vgl. Fujimura 1992: 169). Darüber hinaus kann sich der Körper einer Technik aber auch bereits in dieser Phase als widerständig erweisen, nämlich beispielsweise dann, wenn sich an die künftige Technik herangetragene Vorstellungen nicht verwirklichen lassen, wenn sich Formeln als fehlerhaft erweisen, die skizzierten Entwürfe zu vereinfachend gedacht wurden oder sich anhand der Berechnungen und Darstellungen zeigt, dass sich das geplante Technikprojekt aufgrund physikalischer Bedingungen nicht wie gewünscht realisieren lässt. Damit besitzen symbolische Repräsentationen als prospektive Technikkörper zwar ebenfalls identitätsrelevante Eigenschaften, allerdings sind sie mit der Technik der Identität selbst ebenso wenig gleichzusetzen wie andere Formen technischer Körper. Die trotz unbestreitbarer Identitätsrelevanz des Körpers analytisch notwendige Trennung zwischen Körper und Identität der Technik entspricht auch den Ansätzen der Körper- und Identitätssoziologie: denn auch bei menschlichen Akteuren würde man kaum annehmen, dass Identitätskonstrukte – weder in Form von Erwartungen, welche sie an andere herantragen (me) oder aber ihre Reaktionen auf die Erwartungen anderer (I) – also der aus dem Körper resultierende Eigensinn gleichzusetzen sind mit dem Körper selbst oder den zugrunde liegenden körperlichen Funktionen. Gleichwohl basieren sowohl identitätsrelevante Anteile als auch der Eigensinn des Körpers natürlich auf körperlichen – beispielsweise neuronalen oder motorischen – Funktionen. Allerdings sind der Analogiebildung zwischen menschlichen und technischen Körpern auch Grenzen gesetzt. Zwar sind auch beim Menschen körperliche Entwicklung sowie die Entwicklung der Identität miteinander verbunden, jedoch findet die körperliche Entwicklung weitgehend eigenständig statt und wird nur in Teilen durch die Identität beeinflusst. Auf jeden Fall bedeutet eine Änderung der personalen Identität (I) beim Menschen nicht automatisch eine Änderung seines Körpers (Kann-Option), während hingegen Veränderungen der materiell-konzeptuellen Identität der Technik (Thou) in der Regel schon aus Veränderungen ihres technischen Körpers resultieren. Darüber hinaus kann z.B. ein technischer Körper wie die AR-Realisation mittels eines HeadMounted Displays unterschiedliche Teilidentitäten wie ›Spiel‹ oder ›Hilfsmittel für die industrielle Instandhaltung‹ haben (ähnlich wie ein Mensch mit einem Körper unterschiedliche Teilidentitäten haben kann). Umgekehrt kann – und hier unterscheidet sich die Technik vom Menschen – eine Teilidentität auch unterschiedliche Körper haben, beispielsweise dann, wenn ein AR-System als Outdoor-System entweder mittels Datenbrille oder aber Handy realisiert wird.
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
Annahme 5: Der Körper der Technik hat eine identitätsrelevante Funktion. Auch der technische Körper hat im Hinblick auf die Identität der Technik eine Kohärenz-stiftende Funktion, was erklärt, warum das Fehlen eines eindeutigen technischen Körpers wie beispielsweise im Fall der Biotechnologie (vgl. Dolata 2003), aber eben auch der AR-Technologie zu Problemen der Sinn- und Bedeutungskonstitution dieser Technologie führt. Insbesondere, wenn man im aristotelischen Sinne davon ausgeht, dass sich die Einzigartigkeit eines Dinges aus der Differenz seiner Wesensmerkmale (Material, Form, Zweck, bewirkende Kraft) zu den Merkmalen anderer Dinge ergibt (vgl. Aristoteles 2005: Buch V, 1013a, 25ff.), stehen Hoch- und Querschnittstechnologien – anders als einfache Artefakte wie beispielsweise Schraubenzieher oder Hammer, die relativ eng an einen technischen Körper gebunden sind – vor einem besonderen Problem. In diesen Fällen ist es angesichts einer Vielzahl möglicher, heterogener stofflicher Realisierungen auch auf Ebene der Identität anscheinend besonders schwierig, Kohärenz zu schaffen. Daraus erklären sich auch die immer wieder zu beobachtenden Versuche, diese Technologien an einen bestimmten technischen Körper, ein (möglichst materielles) Artefakt zu binden, wie das Beispiel der Gleichsetzung von AR-Technologie mit einer ›Heads-Up Display Technology‹ (vgl. Caudell/Mizell 1992) zeigt, um auf diese Weise ihre symbolische Struktur greifbarer zu machen. Es hat den Anschein, als ob gerade das Fehlen eines mehr oder minder eindeutigen, kohärenzstiftenden Körpers in diesen Fällen in besonderem Maße auf seine identitätsrelevante Funktion verweist. Denn auch wenn es sich bei der Identität technischer Artefakte um symbolische Strukturen (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 51) handelt, die diskursiv konstruiert werden, scheinen sie in Teilen trotzdem auf die Basis eines kohärenzstiftenden Körpers angewiesen zu sein. Darüber hinaus stellt auch der Körper der Technik eine mögliche Ressource für Identitätsentwürfe dar. Aufgrund seiner speziellen Beschaffenheit, seinem Material, Design und Konzept bietet er einerseits eine Projektionsfläche für Zuschreibungen von außen und legt bestimmte Sichtweisen nahe. So wird man an einen Hammer beispielsweise die Erwartung stellen, dass man mit seiner Hilfe Nägel o.ä. in eine Wand schlagen, wohl aber kaum, dass man mit ihm Papier zerschneiden kann. Und auch moderne Quer- und Hochschnittstechnologien, die – wie erwähnt – in der Regel nicht über eine eindeutige Technik-körperliche Erscheinung verfügen, scheinen dennoch aufgrund ihrer spezifischen Beschaffenheit einige Sinnzuschreibungen nahe zu legen, während sie andere ausschließen. So würde man sogar bei einem AR-System, das sich – wie noch zu zeigen sein wird – durch eine Vielzahl heterogener Realisierungsmöglichkeiten auszeichnet, naheliegender Weise davon ausgehen, dass es eine wie auch immer geartete Informationserweiterung ermöglicht, wohl jedoch kaum, dass es sich als Transportmittel im Straßenverkehr eignet. Jedoch auch für die materiell-konzeptuelle Identität der Technik im Sinne ihrer spezifischen, im praktischen Umgang in Erscheinung tretenden Eigenschaften, stellt der Körper eine wichtige Ressource dar. Er ist es, der bestimmt, welche ›Verhaltensweisen‹ der Technik letztendlich möglich sind und bei der Identitätsbildung ›mitsprechen‹. Besonders deutlich wird dies an dem Beispiel des Short Message Service (SMS). Aufgrund ihrer spezifischen Beschaffenheit ermöglichte diese Technologie das besonders schnelle Versenden kleiner Textnachrichten. Diese Eigenschaft trug
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dazu bei, dass sich die Identität des Short Message Service, »der in den ursprünglichen Konzeptionen der Entwickler des Mobilfunks nur eine untergeordnete Rolle spielte« (Weyer 2008: 46) dahingehend veränderte, dass er nun den Status einer überaus wichtigen Kommunikations- und Verständigungsform nicht nur in der jugendlichen Bevölkerung inne hat. Hätte die körperliche Basis dieser Technik nicht eine schnelle und unkomplizierte Versendung ermöglicht, sondern stattdessen lediglich eine langwierige und komplizierte Handhabung nach sich gezogen, wäre dieser Wandel in seiner symbolischen Struktur wohl kaum möglich gewesen. In den genannten Beispielen klingt bereits an, dass der Körper der Technik analog zum menschlichen Körper nicht nur eine ermöglichende, sondern zugleich auch eine begrenzende Funktion hat: Weder ein Toaster noch ein AR-System lassen sich letztendlich als Flugzeug nutzen – in der Regel wird dies jedoch auch nicht von ihnen erwartet. Es ist allerdings auch möglich, dass der Technikkörper nicht nur der sozialen Identität der Technik im Sinne von Zuschreibungen von außen Grenzen setzt, sondern auch der materiell-konzeptuellen Technik selbst. So kann es beispielsweise sein, dass ein Wasserkocher wie gewünscht Wasser erwärmt, einen Kabelbrand verursacht oder schlichtweg auch gar nichts macht – dass er sich plötzlich eigenmächtig bewegt und den Raum verlässt, ist aufgrund seiner körperlichen Beschaffenheit indes unwahrscheinlich. Der Körper der Technik kann – wie in dem Beispiel des Short Message Service bereits anklang – auch zu einem Wechsel in der Identität einer Technik führen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn er der Technik eine durchaus erwartbare Funktion versagt und sie ganz anders agieren lässt, als erwartet oder aber seine Beschaffenheit aufgrund von Beschädigung oder Alter (man denke hier beispielsweise an Materialermüdungen) verändert. In diesen Fällen ändern sich zum einen auch die materiell-konzeptuellen Identitätsanteile (die Technik kann nicht mehr die Eigenschaften aufweisen, die sie üblicherweise an den Tag legt) sowie zum anderen die sozialen Identitätsanteile (es wird ihr von außen nicht länger die gleiche Bedeutung zugeschrieben wie zuvor). Ein Massenspektrometer, von dem sich im Gebrauch im Labor gezeigt hat, dass die mit ihm gemessenen Werte nur bedingt verlässlich sind, wird mit dem nächsten erfolgreichen Großgeräteantrag durch ein neues ersetzt und fortan vorrangig in der Ausbildung eingesetzt – wenn nicht gar nur als verstaubende Ablage für die Klemmbretter der Forschenden (Strübing 2005: 288). Der technische Körper ist also nicht nur Träger von Bedeutung und Identität, sondern gestaltet diese auch mit. Wie die genannten Beispiele verdeutlichen, fungiert der Körper der Technik – analog zum menschlichen Körper – sowohl als Ressource für die Identitätsbildung als auch als Begrenzung des Möglichkeitsspielraums. Er stiftet Kohärenz angesichts einer Vielzahl möglicher Identitätsentwürfe, er wirkt als Auslöser für Identitätswandel und stellt insgesamt einen Referenzpunkt einerseits für Zuschreibungen von außen (it) sowie andererseits für die materiell-konzeptuellen Eigenschaften der Technik selbst (Thou) dar. Im Falle der Technik scheint die Verbindung von technischem Körper und technischer Identität besonders eng zu sein. Nimmt man noch einmal Bezug zu der personalen Identität der Technik in Form von Widerständigkeiten und Optionen, die den Prozess der Bedeutungs- und Identitätskonstitution der Technik entscheidend mitbestimmen, so resultieren auch diese weitgehend aus Stoff so-
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
wie Form der Technik, ohne dass sie aber aus den weiter oben genannten Gründen mit der Technik selbst gleichgesetzt werden können. Anders als beim Menschen gehen Anpassungsprozesse seitens der materiell-konzeptuellen Identität der Technik im Aushandlungsprozess auch immer mit ›körperlichen‹ Veränderungen wie der Veränderung stofflicher Eigenschaften oder Modifikationen am Design einher, während die soziale Identität der Technik durch die Anpassung von Erwartungen und Deutungen modifiziert wird. Zwar können auch Menschen sich körperlich verändern, um bestimmte personale Identitätsvorstellungen (zum Beispiel der Vorstellung, ein Leistungssportler zu sein) aufrecht zu erhalten, jedoch hängen diese personalen Identitätsanteile nicht in jedem Fall unmittelbar vom Körper ab.
3.1.3.
›Ach wie gut, dass niemand weiß…‹ – Von der Bedeutung des Namens
»Name ist Identität!« (Aichhorn 1992: 17) – mit diesen prägnanten Worten verweist Aichhorn auf einen wichtigen, jedoch häufig vernachlässigten Faktor der Identitätskonstitution und hebt die besondere Beziehung zwischen Namensgebung und Identität hervor. Die Bedeutung des Namens kommt bereits in dem Märchen Rumpelstilzchen der Gebrüder Grimm zum Ausdruck, in dem der Person, die en den Namen eines anderen kennt, eine besondere Macht über den Namensträger zugesprochen wird. Dass der Gebrauch des Namens mit Macht, aber auch sozialer Rangordnung verbunden ist, wird auch an der Tatsache deutlich, dass Hochgestellte ihre Untergebenen mit deren Vornamen ansprechen dürfen – umgekehrt wird dies keineswegs toleriert. Auch im religiösen Bereich spielt der Name eine besondere – häufig ebenfalls mit Macht assoziierte – Rolle. So wird man auf einen bestimmten Namen getauft, der Name Gottes wird im ›Vater Unser‹ geheiligt und im Buch Jesaja heißt es: »Fürchte Dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!« (Jesaja 43, 1, nach Deutsche Bibelgesellschaft 1978). Wir können im Namen anderer handeln, den Namen eines Ehepartners annehmen (oder ablehnen), den Familiennamen wechseln, unseren Namen mit einem Namenszusatz wie beispielsweise einem eingetragenen Doktortitel veredeln, uns einen adeligen Namenstitel kaufen oder aber unseren Namen durch Pseudonyme verbergen. Ohne Zweifel trägt der Name viel sowohl zu unserem eigenen Selbstverständnis als auch zu der Außenwahrnehmung unserer eigenen Person durch andere bei. Umso erstaunlicher ist es, dass der Name für die Herausbildung sowie das Aufrechterhalten einer Identität in der soziologischen Forschung – vorsichtig formuliert – offenbar eher marginal behandelt wird und die Literaturlage entsprechend dünn ist. Untersuchungen zu der Funktion von Eigennamen lassen sich stattdessen primär unter der linguistischen Disziplin der Onomastik in der philologisch orientierten Soziolinguistik finden (vgl. beispielsweise Blanár 2001 sowie Kalverkämper 1978). Um die besondere Bedeutung des Namens zu veranschaulichen, werden im Folgenden exemplarisch einige Funktionen herausgestellt, die der Name für das Selbst- und Fremdverständnis sowie die Identität erfüllt. Formal stellt der Name zunächst eine Möglichkeit dar, eine Person – sei es staatlich, beruflich, juristisch oder privat – zu adressieren. Er ist quasi der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich soziale Akteure einigen können, wenn sie »in den verschiedenen Zuständen desselben sozialen Feldes […] oder im selben Moment in verschiedenen
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sozialen Feldern« (Bourdieu 2000: 54) sich auf eine bestimmte Person beziehen. Der Eigenname »garantiert […] für die bezeichneten Individuen, durch alle Änderungen und alle biologischen und sozialen Fluktuationen hindurch […] die Identität im Sinne der Identität mit sich selbst […], die die Sozialordnung erfordert« (Bourdieu 2000: 55). Neben der appelativen Funktion des Eigennamens spielt dieser auch eine entscheidende Rolle für die Identifizierung von Teilnehmern einer Gesellschaft: Fehlt die Kenntnis des Namens einer Person, ist sie nicht identifiziert: Unfalltote identifizieren besagt, nach ihrem Namen zu suchen, um zu wissen, wen man vor sich hat; ebenso lautet es, wenn ein noch nicht mit Namen bekannter Täter gefaßt ist, daß über seine Identität noch keine Angaben gemacht werden könnten […] (Kalverkämper 1978: 40). Diese Funktion des Eigennamens als »die sichtbare Bestätigung der Identität seines Trägers, durch die Zeit und die sozialen Räume« (Bourdieu 2000: 55) wird ergänzt durch weitere soziale Funktionen, wie beispielsweise die familieninterne Weitergabe des Vornamens von Generation zu Generation, welche die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familientradition repräsentiert, einen gewissen Stolz auf den eigenen Namen zum Ausdruck bringt, auf die eigene Abstammung und Herkunft (›Du sollst meinen Namen tragen!‹) verweist und als Indikator für eine gewisse soziale Rangordnung sowie gesellschaftlich-ökonomische Bedingungen zu verstehen ist (vgl. Blanár 2001: 152ff.). Die Kodifizierung des zwei-/dreinamigen Systems hat uns in die Lage versetzt, die Mitglieder einer Blutsverwandtschaft untereinander und im Verhältnis zu den nichtverwandten Personen zu unterscheiden. Die Unstimmigkeiten zwischen den anwachsenden Identifikationsbedürfnissen und den Möglichkeiten des Benennungssystems wurde, wie man sagen könnte, durch die wortbildenden Mittel gelöst […] (Blanár 2001: 132) Noch deutlicher wird insbesondere der zuletzt genannte Aspekt bei der Regelung des Familiennamens im Falle von Eheschließungen. Lange Zeit war fraglos, dass die Frau bei der Eheschließung den Familiennamen ihres Mannes annahm. Zwar konnte seit den fünfziger Jahren die Frau ihren Namen an den Familiennamen des Mannes anhängen, jedoch blieb der Familienname des Mannes weiterhin der Hauptname. Dadurch wurde nicht nur ein tradiertes Rollenverständnis, sondern zugleich eine »geschlechtsspezifische Diskriminierung« (Aichhorn 1992: 17) festgeschrieben. Die Beispiele verdeutlichen, dass sowohl mit dem Eigen- als auch dem Familiennamen nicht nur soziale Strukturen verfestigt werden, sondern der Name auch unmittelbaren Einfluss auf das Selbstverständnis sowie die Außenwahrnehmung hat. Erklärbar wird die besondere Bedeutung des Namens für die Identität, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Name nicht lediglich nur eine Bezeichnung für eine Person ist, um sie im sozialen Umfeld adressierbar und identifizierbar zu machen, sondern dass mit dem Namen immer auch bestimmte Bilder und Vorstellungen verbunden sind, die einen über die Adressierung hinausgehenden Bedeutungsüberschuss produzieren. Am deutlichsten wird dies vielleicht anhand einer Untersuchung der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, im Zuge derer seit Anfang 2009 Grundschullehrern virtuelle Klassenlisten vorgelegt wurden mit der Aufgabe, unterschiedliche Fragen bei-
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spielsweise hinsichtlich der Assoziationen zu den vorgelegten Namen zu beantworten. Nach Auswertung von 500 eingegangenen Antworten stellte sich heraus, dass ein Großteil der befragen Lehrer offenbar ausgesprochen unreflektiert Assoziationen über die soziale Herkunft, das Bildungsniveau, die Leistungsbereitschaft sowie das Verhalten der Schüler anhand von Namen entwarf. Als »Prototyp des verhaltensauffälligen Kindes« (Trenkamp 2009) gelte demnach Kevin, dessen Name nach Aussage eines befragten Lehrers »kein Name, sondern eine Diagnose« (Burchard 2009) sei. Dies äußere sich nach Aussage von Professor Dr. Astrid Kaiser, der ehemaligen Leiterin des Instituts für Pädagogik an der Universität Oldenburg, beispielsweise in einer mangelnden Förderung von Kindern mit negativ bzw. bildungsfern assoziierten Namen, zu welchen neben Kevin auch Jaqueline, Chantal, Justin, Marvin und Mandy gehörten. Kaiser argumentiert in einem Interview mit Spiegelonline, dass zwar »bildungsferne Schichten mehr Kevins und Justins hervor[bringen] als Alexanders oder Maximilians«, allerdings hieße bildungsfern nicht unintelligent, sondern ungefördert. Der hochbegabte Kevin bekommt nicht die schulische Förderung, die er bräuchte, weil er aus der falschen Schicht kommt und seine Lehrer ihn schon beim ersten Blick auf die Klassenliste entsprechend sortieren. Der intelligente Kevin ist dumm dran (Kaiser im Interview mit Trenkamp 2009). Begründet werden die Vorurteile gegenüber bestimmten Namen vor allem durch die – zu Unrecht – generalisierten Erfahrungen von Lehrern hinsichtlich der Herkunft sowie des sozialen Status von Kindern mit diesen Namen. Allerdings ist die Assoziierung bestimmter Vorstellungen mit Namen keineswegs ein lehrerspezifisches Phänomen, sondern ein alltäglicher Mechanismus, denn »[w]ir alle ziehen bestimmte Schlüsse aus dem Vornamen. Wenn jemand Gisela heißt, wissen Sie ziemlich sicher, dass diejenige älter als 15 Jahre ist« (Kaiser im Interview mit Trenkam 2009). Dieses Beispiel verdeutlicht, in welchem zum Teil extremen Ausmaß der Name Einfluss vor allem auf die Zuschreibungen und Erwartungshaltungen anderer, aber natürlich auch auf das eigene Selbstbild sowie die daraus resultierenden Reaktionen und somit letztendlich auf die Gesamtidentität im Sinne des Selbst der betroffenen Person hat. Wie bedeutsam die Identitätsrelevanz des Namen für soziale Akteure ist, zeigt sich darüber hinaus auch an seiner bewussten Nutzung als Projektionsfläche, beispielsweise bei der Wahl von Internetnamen; bei der Vermeidung negativ assoziierter Namen wie Adolf; an dem Verbergen des eigenen Namen hinter einem Pseudonym, an dem – insbesondere in Deutschland verbreiteten – hohen Ansehen, das adelige oder akademische Namenszusätze genießen sowie an dem zunehmend steigenden Interesse an der Bedeutung sowie der Herkunft des eigenen Namens. Im Folgenden ist zu überlegen, welche Rolle die Namensgebung einer Technik – kurz: ihr Labeling – für die ihr eigene technische Identität im Sinne ihrer symbolischen Struktur spielt. Annahme 6: Das Labeling spielt eine identitätsrelevante Rolle in der Technikforschung. Nun tragen nicht nur menschliche Akteure einen Namen, sondern auch technische Artefakte werden in der Regel mit einem Label versehen, das entweder eine ganze Gattung technischer Artefakte (z.B. ›Auto‹) oder aber einzelne technische Realisierungen (z.B. ›Corsa‹) bezeichnet. Und auch in diesen Fällen dient das Labeling nicht allein ei-
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ner besseren Adressierbarkeit technischer Artefakte im praktischen Gebrauch, sondern besitzt darüber hinaus ähnlich wie menschliche Eigennamen eine identitätsrelevante Funktion. Besonders anschaulich lässt sich dies anhand eines Artefakts des täglichen Gebrauchs, nämlich des Autos, verdeutlichen. Im Gegensatz zur Mitte des letzten Jahrhunderts, in der die Anzahl der auf dem Markt befindlichen Fahrzeugmodelle noch relativ überschaubar war, ist der derzeitige Bestand an Automodellen kaum mehr zu überblicken und steigt weiterhin rasant an. Jedes dieser Automodelle benötigt wiederum einen Namen, der möglichst die positiven Eigenschaften des Autos unterstreicht, den Wagen bestmöglich symbolisch repräsentiert und hinsichtlich seines Ansehens und seiner Außenwirkung unterstützt, ihn unverwechselbar macht und darüber hinaus am besten noch Kohärenz im Hinblick auf die Käufer- bzw. Fangemeinde schafft, wie es seinerzeit dem VW Käfer gelungen ist, der bis heute zahlreiche Fanclubs und Festivals zu einen vermag. Zu dem Zwecke einer geeigneten Namensfindung werden in der Regel hochbezahlte Agenturen beauftragt, die sich unter Berücksichtigung der Produkt- und Unternehmensphilosophie des Herstellers sowie der lebensweltlichen Bedingungen der anvisierten Zielgruppe um ein geeignetes Label kümmern. In welchem Ausmaß die auf diese Weise kreierten Namen die Identität des Autos beeinflussen, verdeutlichen nicht nur die gelungenen Labeling-Prozesse, sondern vor allem auch solche, in denen die Namensfindung sich als Misserfolg entpuppte. Beinahe ein Klassiker ist hier mittlerweile der ›Pajero‹, hinter dem sich ein Geländewagen von Mitsubishi verbirgt. Dabei steckt hinter diesem Label zunächst eine konkrete Bedeutung – mit ›Pajero‹ bezeichnete der Zoologe Alfred Brehm nämlich einst die südamerikanische Pampaskatze (Leopardus pajeros, vgl. Brehm 1864: 256f.). Mag man sich schon wundern, in welchem Zusammenhang die possierliche Wildkatze zu dem Geländewagen steht, wird die Wahl des Labels umso brisanter, wenn man sich die spanische Bedeutung für ›Pajero‹ anschaut, denn offensichtlich wurde bei der Namensfindung nicht bedacht, dass ›Pajero‹ in Spanien die vulgäre Bezeichnung für einen männlichen Masturbierenden darstellt. Entsprechend litt das Image des Fahrzeugs bei Markteinführung im spanisch-sprachigen Raum, denn – um es mit den provokant-plakativen Worten eines stern-Autors auf den Punkt zu bringen – »[k]einer will den Wichser fahren« (Kramper 2006). Beispiele für vergleichbare Namenspannen, die aus einer bereits vorhandenen Bedeutung des gewählten Labels in unterschiedlichen kulturellen Räumen oder aufgrund historisch-kultureller Entwicklungen resultieren, finden sich zahlreich in der Autobranche: So ist Volkswagens ›Phaeton‹ nach einem Gott aus der griechische Mythologie benannt, dessen Schicksal in Ovids Metamorphosen anschaulich beschrieben wird. Demnach stiehlt der Göttersohn Phaeton seinem Vater Helios heimlich dessen Sonnenwagen, kann ihn jedoch nicht auf seiner vorgesehenen Bahn halten und verursacht bereits nach kurzer Zeit damit einen Unfall, der die ganze Erde zu zerstören droht. Göttervater Zeus schreitet schließlich ein, zerstört den Sonnenwagen und lässt Phaeton in die Tiefe stürzen, woraufhin dieser stirbt (vgl. Ovidius Naso 1994: 63ff.). Weder der mythologische Hintergrund dieses Labels noch der Satz »Von Tradition geprägt«, mit dem Volkswagen auf seiner Homepage für seinen Phaeton wirbt, scheinen dazu angetan, Assoziationen von Sicherheit zu wecken und dem bezeichneten Fahrzeug
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
eine positive Identität zu verleihen.17 Ähnlich verhält es sich mit Fords Bezeichnung ›Pinto‹, die auch für ein kleines, männliches Geschlechtsteil steht, während Nissans Van ›Serena‹ an eine Damenbinde erinnert (vgl. Geiger 2000). Doch nicht nur Autonamen, denen eine wörtliche Bedeutung zugrunde liegt, lassen zweifelhafte Bilder über die Identität des bezeichneten Fahrzeugs entstehen, sondern auch Kunstnamen, zu denen alternativ gegriffen wird, wecken Assoziationen, die so wohl nicht intendiert waren und wahlweise an ›Badezusätze‹ (z.B. ›Laguna‹ von Renault), ›Küchengeräte‹ (z.B. ›Picanta‹ von Kia) oder ›Spielzeug‹ (z.B. ›Volante‹ von Aston Martin) erinnern (vgl. Anker 2007). So amüsant die genannten Beispiele auch sein mögen, verdeutlichen sie doch, in welchem Ausmaß der Name zumindest die soziale Identität in Form von Deutungszuschreibungen beeinflusst.18 Das Label, mit dem ein technisches Artefakt bezeichnet wird, beeinflusst aber nicht nur dessen Image, sondern übt über seine Relevanz für die Identität technischer Artefakte auch eine soziale Funktion aus. Besonders deutlich wird dies anhand des bereits angesprochenen Beispiels der Membrantechnologie. Während in den oben genannten Auto-Beispielen das Labeling erst nachträglich, d.h. nach der Produktentwicklung, erfolgte, zeigt sich am Beispiel der Membrantechnologie, dass auch der umgekehrte Fall möglich ist. Ursprünglich gab es nämlich gar keine Technologie, die mit dem Label ›Membrantechnologie‹ versehen werden konnte. Es existierte lediglich eine Vielzahl eigenständiger Technologien wie beispielsweise Mikrofiltration, Elektrodialyse, Pervaporation und Flüssigmembrantechnologie (vgl. Van Lente/Rip 1998a: 225), die weder unter einem einheitlichen Label firmierten, noch bemerkenswerte Durchbrüche verzeichnen ließen. Stattdessen zeichnete sich die Forschung dadurch aus, dass »[a] number of strands of development already existed, and while there certainly were transformations, no particular step can be singled out as the ›moving force‹ for the new development« (Van Lente/Rip 1998a: 225). Erst Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde zunehmend auf Konferenzen und in Publikationen der Begriff der Membrantechnologie verwendet, um unter diesem Label unterschiedliche
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Interessant ist, dass das Label ›Phaeton‹ offenbar nicht das erste Mal zur – vor den genannten Hintergründen etwas zweifelhaften – Bezeichnung eines Gefährts verwendet wird. So wurde seit dem 18. Jahrhundert ein »gewöhnlich von zwei Pferden gezogener, mehrsitziger, leichter, offener, vierrädiger [sic!] Wagen, der für kürzere Ausfahrten und Touren benutzt wurde« (Köster 2003; 138), ebenfalls als ›Phaeton‹ tituliert (vgl. ausführlich auch Schlinkert 2007). Die Verwendung des Phaeton-Begriffs in der Automobilbranche setzte sich fort. Neben Auto-Karosserien wurden auch ganze Autogattungen nach dem Göttersohn benannt (vgl. Schlinkert 2007: 309ff.). Und auch unter den ersten Automobilen selbst soll der ›Phaeton‹ als Bezeichnung eines Wagens mit offenem Verdeck gedient haben (vgl. Köster 2003: 138). Auch wenn hier aus Gründen der Eindringlichkeit Beispiele gewählt wurden, in denen das Labeling die Identität der Technik in negativer Weise beeinflusst, sei aus Gründen der Vollständigkeit angemerkt, dass es selbstverständlich auch zahlreiche Beispiele für ein gelungenes, positives oder doch zumindest weitgehend neutrales Labeling gibt. In diesen Fällen fällt uns im Alltag allerdings häufig gar nicht mehr auf, inwiefern unser Verständnis eines technischen Artefakts durch dessen Label mitbestimmt wird. Ähnlich, wie man Technik in der Regel dann besonders wahrnimmt, wenn sie nicht (mehr) funktioniert, wird auch die identitätsrelevante Funktion des Labels besonders an den Fällen deutlich, in denen das Label mit kulturell geprägten Alltagsvorstellungen kollidiert und auf diese Weise den Nutzer (ver-)stört.
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Technologien zu subsumieren. Mit zunehmender Etablierung wurde der Begriff »part of the repertoires of scientists, industrialists and policymakers« (Van Lente/Rip 1998a: 226). Er fungierte in der Folge als Schirmbegriff (umbrella term) und begründete als solcher »its own career in the realm of science« (Van Lente/Rip 1998a: 226), eine eigene Geschichte mit »founding fathers and other heroes, with Hard Times and Golden Ages« (Van Lente/Rip 1998a: 226). Einerseits stand er wie ein Schirm über unterschiedlichen Technologien, die ursprünglich keineswegs zusammengehörten, weder eine gemeinsame Geschichte noch eine einheitliche Zielsetzung aufwiesen und schuf andererseits erst die für das Feld um die Membrantechnologie nötige Kohärenz (vgl. Van Lente/Rip 1998a: 227). Aus dem Label wurde eine eigene rhetorische Entität, auf welche sich die Erwartungen der beteiligten sozialen Akteure projizierten und die auf diese Weise ihre eigene symbolische Struktur ausbildete. Auf diesen Identitätsentwurf konnten in der Folge Fürsprecher der Membrantechnologie zurückgreifen, um eine Zuhörerschaft (audience), beispielsweise in Form von Geldgebern, politischen Projektförderern, Wissenschaftlern und Unternehmen für die Membrantechnologie zu interessieren und sie dazu zu motivieren, ihre Ressourcen – sei es Geld, Forschung oder politischer Einfluss – in die Technologie zu investieren. Vor diesem Hintergrund wurde das Forschungsfeld der Membrantechnologie »no longer introduced as an answer to societal problems, but is presented as a generalized promise, and thus significant for its own sake« (Van Lente/Rip 1998b: 231). Anhand der vorangegangenen Beispiele wird deutlich, dass ein Label gleich in mehrfacher Hinsicht identitätsrelevant für die hierdurch bezeichnete Technologie ist: Erstens ruft es positive oder – wie im Fall der oben genannten Autobeispiele – auch negative Assoziationen hervor, die das Bild dieser Technologie in der Außenwahrnehmung prägen. Darüber hinaus kann es zweitens, wie das Beispiel der Membrantechnologie zeigt, eine Technologie symbolisch repräsentieren, und zwar sogar dann, wenn es diese Technologie noch gar nicht gibt. Durch diese Projektionsfläche, aber auch aufgrund der von einem Label signalisierten Kohärenz, kann es drittens dazu führen, dass das Interesse relevanter Akteure geweckt wird und sich um das Label ein soziales Feld aufbaut. Dieses sorgt dafür, dass im Folgenden aus der Technologie, die zunächst lediglich als rhetorische Entität – symbolisch repräsentiert durch einen Schirmbegriff – nunmehr eine soziale Entität mit einer eigenen symbolischen Struktur entsteht (vgl. Van Lente/Rip 1998b: 234ff.). An dieser Stelle ist allerdings anzumerken, dass trotz vielfältiger Parallelen zu Rolle und Funktion des Namens im Hinblick auf die Identität menschlicher Akteure auch ein entscheidender Unterschied besteht: Während für menschliche Akteure der Name sowohl für das Selbstverständnis und die daraus resultierenden Stellungnahmen (personale Identität) als auch für die Deutungszuschreibungen und Erwartungen der Umwelt (soziale Identität) eine identitätsrelevante Rolle spielt, beeinflusst das Label einer Technologie lediglich deren Außenwahrnehmung. Anders als im Fall des Körpers der Technik, welcher auch für die materiell-konzeptuelle Identität der Technik eine entscheidende Rolle spielt, weil aus ihm unter anderem die für die materiell-konzeptuelle Identität kennzeichnenden Eigenschaften der Technik resultieren, spricht wenig dafür, eine derartige Identitätsrelevanz des Labels auch für die aus der Technik selbst resultierenden Identitätsanteile zu behaupten. Stattdessen spielt das
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
Label primär für die Außenwahrnehmung, d.h. für die soziale Identität einer Technik, eine entscheidende Rolle. Neben den genannten identitätsrelevanten Aspekten erfüllt das Label einer Technologie insbesondere bei modernen Hoch- und Querschnittstechnologien noch eine weitere entscheidende Funktion. Vergegenwärtigt man sich nämlich, dass sich diese Technologien vor allem durch das Fehlen eines eindeutig identifizierbaren technischen Körpers auszeichnen und stattdessen eine Vielzahl heterogener Realisierungsmöglichkeiten aufweisen, stellt sich die Frage, inwiefern und auf welche Weise sich bei diesen Technologien überhaupt so etwas wie eine Kernidentität ausbildet, welche die möglichen Erscheinungsformen dieser Technologie in einen kohärenten Zusammenhang stellt und für eine gewisse Kontinuität über die Zeit sorgt. Das folgende Kapitel widmet sich dieser Frage und lässt vermuten, dass auch in dieser Hinsicht dem Labeling eine identitätsrelevante Funktion zukommt.
3.1.4.
Und woher wissen wir, was wir eigentlich meinen? – Kern- und Teilidentitäten der Technik sowie die Herstellung von Kohärenz und Kontinuität
In den bisherigen Ausführungen war bislang immer von der Identität – sei es im Hinblick auf menschliche oder eben technische Akteure – die Rede. Nun wäre es ein Irrtum zu glauben, dass es sich bei ›Identität‹ um ein einheitliches Gebilde handelt, das zwar immer wieder neu ausgehandelt wird, aber in sich kohärent ist und über die Zeit seine Kontinuität bewahrt. Stattdessen bilden sich – wie in den bereits genannten Begriffen wie ›Bastelidentität‹ oder ›Patchwork-Identität‹ angelegt – eine Vielzahl von Identitätsfacetten heraus, von denen einige variabler, situativ veränderlich, andere hingegen beständiger sind, denn »[d]as Subjekt muß schließlich beides tun, es muß sich sozial integrieren und interaktionsfähig, aber auch ›es selbst‹ sein und nicht nur das ›Abziehbild‹ der relevanten Rollenmodelle« (Keupp et al. 2002 : 96). In der Identitätsforschung wird dieses Phänomen durch eine Unterscheidung zwischen Kern- und Teilidentitäten beschrieben. In diesem Zusammenhang geht es vor allem darum, »wie den einzelnen die Konstruktion von Identität gelingt angesichts vielfältiger Selbsterfahrungen in unterschiedlichen sozialen Lebenswelten und Rollen und angesichts der Erwartung der sozialen Umwelt« (Keupp et al. 2002: 95). Im Hinblick auf Teilidentitäten spricht Bilden von einer »Vielfalt der Selbste« (Bilden 1997: 238), die aus unterschiedlichen Beziehungen und Rollen sowie der Aktivität in unterschiedlichen Bereichen resultieren und durch ein »Set von angewandten Bedeutungen« (Straus/Höfer 1997: 281) geprägt werden, wodurch sie »definieren, wer man glaubt zu sein […]« (Keupp et al. 2002: 219). Dabei lassen sich die Teilidentitäten (oder ›Selbst‹) nach Bilden hinsichtlich verschiedener Facetten unterscheiden (vgl. hier und im Folgenden Bilden 1997: 238ff.). Erstens lassen sich biographische ›Selbste‹ beobachten, die sich zeitlich im Laufe der eigenen Biographie voneinander unterscheiden. So sind in der Regel die Teilidentitäten, die sich im Laufe der Jugend herausbilden, andere als beispielsweise bei einem Menschen im Rentenalter. Zweitens resultieren die Teilidentitäten aus verschiedenen Beziehungen sowie Rollen, die man im Zuge dieser Beziehungen annimmt, weshalb Bilden auch von »Rollen-Selbste […]« (Bilden 1997: 238)
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spricht. Drittens verfügt jede Person über eine Vielzahl ›möglicher Selbste‹. Zwar sind im Laufe des Lebens [r]eal die Möglichkeiten beschränkt und verengen sich für viele wirtschaftlich weiter, und damit verengen sich auch die jetzt lebbaren Selbste. Aber die Wünsche und Ansprüche können als ›mögliche oder virtuelle Selbste‹ innerlich am Leben gehalten werden [Hervorheb. getilgt, K.L.] (Bilden 1997: 241). Den in der Regel begehrten möglichen Teilidentitäten stehen viertens die weniger erwünschten und häufig abgelegten Identitätsfacetten gegenüber, die von Bilden als ›abgelehnte‹ oder ›Schatten-Selbste‹ (vgl. Bilden 1997: 242) bezeichnet werden und »die polaren Gegenstücke zu den Teilen von uns selbst [darstellen], mit denen wir uns identifizieren« (Bilden 1997: 242). Auch wenn diese Identitätsteile wie beispielsweise negative Charaktereigenschaften gerne verdrängt werden, machen sie sich jedoch immer wieder bemerkbar und beeinflussen die Identität einer Person. Wie zuvor im Hinblick auf die Gesamtidentität einer Person beschrieben, unterliegen auch Teilidentitäten einem Aushandlungsprozess zwischen Individuum und Gesellschaft, d.h. zwischen den personalen und sozialen Identitätsanteilen, wodurch sie sich fortwährend weiterentwickeln. Das bedeutet aber auch, dass es innerhalb einer Teilidentität aufgrund unterschiedlicher Selbst- und Fremdwahrnehmungen zu Ambivalenzen kommen kann (vgl. Keupp et al. 2002: 219). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Teilidentitäten »ein Mosaik an Erfahrungsbausteinen [enthalten], die auf die Zukunft gerichtet sind (Entwürfe, Projekte), sowie solche, die eher der Vergangenheit angehören (realisierte oder/und gescheiterte Identitätsprojekte, aufgegebene Identitätsentwürfe« (Keupp et al. 2002: 219). Angesichts der Tatsache, dass diese Identitätsanteile relativ autonom und nur locker miteinander verbunden sind und auf diese Weise eine hohe Flexibilität ermöglichen, »kann die Person an Stabilität gegen Erschütterungen und Enttäuschungen gewinnen« (Bilden 1997: 243). Demgegenüber stehen Kernidentitäten (auch ›Meta-Identitäten‹ oder ›Identitätskerne‹, vgl. Straus/Höfer 1997: 296). Deren Konzeption ist nicht ganz unproblematisch, denn insbesondere interaktionistische Ansätze versuchen ja gerade die Vorstellung eines »possessive[n] Individualismus, die Vorstellung von einer klar abgegrenzten autonomen Person« (Keupp et al. 2002: 95) zu überwinden. Verstanden werden sie als »übergeordnete Identitätsbezüge […], in denen zentrale Teile des subjektiven Identitätsbildungsprozesses sich vollziehen und die gegenüber der Ebene der Identitätsperspektiven und Teilidentitäten eine ganz andere Qualität haben« (Straus/Höfer 1997: 296). Zu ihrer Entstehung trägt erstens die Dominanz einzelner Teilidentitäten bei. Dominierende Teilidentitäten unterscheiden sich von anderen Teilidentitäten zum einen dadurch, dass »sie aktuell besser organisiert [sind], das heißt, sie vermitteln einem Subjekt in puncto Anerkennung, Selbstachtung, Autonomie und Originalität mehr Sicherheit« (Straus/Höfer 1997: 299). Zum anderen besitzen sie zu einem bestimmten Zeitpunkt eine höhere Relevanz als andere Teilidentitäten, was sich allerdings im Laufe des Lebens auch wieder ändern kann. Zweitens werden Kernidentitäten durch Generalisierungen auf der Ebene von vier Erfahrungsmodi, nämlich der kognitiven, der sozialen, der emotionalen sowie der produktorientierten Ebene hergestellt. Für die Identitätsarbeit verfolgt die kognitive Ebene das Ziel der Entschiedenheit und Autonomie,
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die soziale Ebene steht für Zugehörigkeit und Anerkennung, die emotionale Ebene für Selbstwertschätzung und Selbstachtung sowie die produktorientierte Ebene für Selbstobjektivierung und Originalität (vgl. Straus/Höfer 1997: 299). Es wird davon ausgegangen, dass Subjekte auf Basis der genannten Erfahrungsmodi, die jeweils quer zu den einzelnen Teilidentitäten liegen, »Generalisierungen bilden, also situations- und auch teilidentitätsübergreifende Muster« (Straus/Höfer 1997: 300). Die Präferenz eines Individuums für einen oder mehrere Erfahrungsmodi bestimmt, welche Generalisierungen besonders stabil ausgeprägt sind und somit maßgeblich die Identität beeinflussen. Schließlich basieren Kernidentitäten drittens auf biographischen Kernnarrationen, »die sowohl in Bezug zu den verschiedenen Lebenswelten wie auch zum biographischen Verlauf der eigenen Identität stark von Kohärenzkonstrukten geprägt sind« (Straus/Höfer 1997: 297). Darüber hinaus fördern aber auch alltägliche Interaktionssituationen »kohärente Identitätsfiguren« (Straus/Höfer 1997: 297), denn zum einen kommen gesellschaftliche Identitätsvorstellungen zum Ausdruck, an denen sich die beteiligten Personen orientieren müssen, und zum anderen erfordern sie »von den Partnern eine Kompetenzdemonstration in Form plausibler situationsgemäßer Selbstdarstellung« (Straus/Höfer 1997: 297f.). Anzumerken ist, dass zum einen die genannten Konstruktionen »einem fortlaufenden Veränderungsprozeß unterliegen, das heißt, sie sind mehr oder minder stabil« (Keupp et al. 2002: 217), so dass ein Rückfall in statische Identitätsvorstellungen nicht zu befürchten ist. Zum anderen besitzt eine Person in der Regel – wie der Begriff Identitätskern fälschlicherweise nahelegen könnte – nicht nur eine, sondern je nachdem, welche der zuvor genannten Konstruktionen Anwendung finden, mehrere Kernidentitäten. Davon ausgehend, dass angesichts der Pluralisierung heterogener Teilidentitäten und dem sich daraus ergebenden Charakter als ›Patchwork-Identität‹ (vgl. Keupp et al. 2002: 74) Identitätskonstruktionen weder zeitlich noch inhaltlich stabil sind, stellt sich die Frage, wie es einem Subjekt gelingt, »aus der Vielzahl an Möglichkeiten für sich stimmige Identitätsprojekte zu realisieren und dabei trotz aller Verschiedenartigkeit sich als kohärent zu erleben?« (Keupp et al. 2002: 243). Die damit verbundene Frage bezieht sich primär auf die Herstellung von Kohärenz im Identitätsprozess, wobei Kohärenz »das Streben nach der Einheit der Person als Frage nach der inneren Stimmigkeit« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 48) auf der synchronen Ebene bezeichnet. Hier geht es primär darum, wie die genannten unterschiedlichen Facetten der Teil- und Kernidentitäten so integriert werden können, dass sie über verschiedene Lebenswelten hinweg als stimmig erfahren werden können, so dass ein Individuum damit »dem sozialen Anspruch und seinem eigenen Bedürfnis nach Authentizität und Einheitlichkeit seiner Person« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004: 48) nachkommen kann. Ähnlich wie zuvor im Hinblick auf die Kernidentität besteht auch in diesem Zusammenhang die Gefahr, von einem Kohärenzbegriff auszugehen, »der als innere Einheit, als Harmonie oder als geschlossene Erzählung verstanden wird« (Keupp et al. 2002: 245). Stattdessen handelt es sich aber auch hier um eine offene Struktur, die immer wieder Aushandlungsprozessen unterliegt. Entscheidend ist im Hinblick auf die Kohärenz der Identität weniger eine inhaltliche Stabilität der Identitätskonstruktionen, sondern die Bedeutung von Kohärenz ist vielmehr als »prozessuales Ergebnis (in dem Gefühl eines trotz
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unterschiedlicher Entwicklungen zu mir passenden Prozesses)« (Keupp et al. 2002: 246) zu verstehen. Während sich die Kohärenz auf die Herstellung von Sinnhaftigkeit und Stimmigkeit auf synchroner Ebene bezieht, fragt Kontinuität »als Aspekt der Einheit einer Person […] nach ihrer temporalen Strukturierung« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 48), d.h. danach, wie die Identität über die Zeit hinweg auf diachroner Ebene als eine einheitliche erfahren wird. Kurzum: Die Kontinuität der Identität bezeichnet die Erfahrung eines Individuums, dass es trotz zeitlich und biographisch divergierender Teil- und Kernidentitäten auch im Alter noch die gleiche Person ist wie beispielsweise in seiner Jugend. Und auch hier sind wie zuvor starre, die Zeit überdauernde Identitätskonzeptionen zu vermeiden, denn der Begriff unterstellt nicht, dass es einen konstanten Kern der Person gäbe, der über alle biographische Zeit hinweg zu erhalten wäre, als ginge es um die bloße Beständigkeit oder Persistenz von ›etwas‹, eines Substrats oder einer Substanz etwa. […] Kontinuität meint die temporale Einheit eines Selbst, das nicht wegen irgendwelcher eventueller Konstanzen von ›etwas‹ das ›gleiche‹ bleicht, sondern aufgrund der aktiven Kontinuierungsleistungen eines um sich selbst sorgenden Subjekts, das sich trotz der in der Zeit erfolgten und noch bevorstehenden, trotz aller erfahrenen und erwarteten (kontingenten) Veränderungen und Entwicklungen als nämliches versteht, zu verstehen gibt und praktisch präsentiert (Straub 2004: 284f.). Um den fortlaufenden Prozess der Herstellung von Kontinuität und Kohärenz zu verdeutlichen, verweisen Straus und Höfer auf einen »Grundmodus des Relationalen« (Straus/Höfer 1997: 285f.), der davon ausgeht, dass ein Individuum bei der Herstellung von Kontinuität und Kohärenz auf relationale Bezugspunkte zurück greift, die sich in dem folgenden Schema veranschaulichen lassen (vgl. Abb. 2): Diesem Koordinatenfeld liegt die Überlegung zugrunde, »daß die Identitätsbildung […] zwar wesentlich von Kontinuität und Kohärenz geprägt ist, nicht aber in einem eindimensionalen Sinne« (Straus/Höfer 1997: 286). Stattdessen spannen sich die Identitätskonstruktionen zwischen den in dem Schema dargestellten Polen auf. In zeitlicher Hinsicht müssen sie auf diachroner Ebene eine gewisse Zuverlässigkeit und Kontinuität garantieren, zugleich aber auch offen für neue Situationen und Entwicklungen sein. Auf synchroner Ebene müssen die Identitätskonstruktionen über unterschiedliche Lebensbezüge hinweg einerseits ein gewisses Maß an Kohärenz aufweisen, andererseits aber auch eine situative Flexibilität an den Tag legen: »In ihrer Verknüpfung wird das eigene Leben in einer Mischung von Kontinutität/Kohärenz wie auch Entwicklung/Flexibilität organisiert« (Straus/Höfer 1997: 286). Vor diesem Hintergrund müssen auch die Kontinuität sowie die Kohärenz der Identität »den sich ständig wandelnden und kontingenten Bedingungen des Lebens angepasst [Hervorheb. im Orig.] werden« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 48), was als eine der zentralen Aufgaben der Identitätsarbeit betrachtet werden kann (vgl. Keupp et al. 2002: 243ff.). Die genannten Aspekte bieten interessante Anknüpfungspunkte für die Identität der Technik, denn auch hier stellt sich angesichts eines hohen Innovationsdrucks sowie daraus resultierender ständig fortlaufender Weiterentwicklungen die Frage, wie
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Abbildung 2: Zweidimensionales Schema von Kohärenz und Kontinuität
(nach Straus/Höfer 1997: 286)
eine Technologie ständig verändert werden und gleichzeitig dennoch als die gleiche identifiziert werden kann. Annahme 7: Technik bildet sowohl Kern- als auch Teilidentitäten aus. Schon bei einfachen Artefakten zeigt sich, dass sie in der Regel mehr als eine Identität ausbilden und abhängig von den jeweiligen Anwendungs- und Einsatzfeldern unterschiedliche symbolische Strukturen aufweisen. So ist ein ›Tisch‹ nicht nur ein ›Tisch‹, sondern – je nach Kontext – beispielsweise ein Wohn-, Schreib-, Küchen-, Nacht-, Schneide- oder Operationstisch. Die Vielfalt der Bedeutungsmöglichkeiten zeigt sich auch bei anderen Artefakten: Beton kann entweder ein einfacher Baustoff sein (der in der Regel durch andere Materialien verdeckt wird), beim Einsatz als Sichtbeton kann er jedoch auch als ästhetisches Stilmittel verwendet werden, während ein Messer sowohl Essbesteck, Skalpell bei Operationen oder aber unverzichtbares Werkzeug eines Fleischers sein kann. Schlägt man den Bogen zurück zu den Hoch- und Querschnittstechnologien, werden die vielen Teilidentitäten, die eine Technik ausbilden kann, noch deutlicher. Insbesondere anhand des bereits erwähnten Beispiels des Computers, der sowohl Arbeits- als auch Spielgerät, Musikanlage oder Fernseher sein kann, wird deutlich, dass man es immer mit situativen und kontextspezifischen Optionen zu tun, ihn so und nicht anders zu thematisieren und einzubinden. […] Im alltäglichen Kommunikationsgeschehen wird er immer wieder neu und anders ›in Form‹ gebracht, wobei er der Kommunikation ebendiese Disponierbarkeit und Variabilität der Konstruktionen abzufordern scheint (Hörning 2001: 107).
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Die Vielzahl möglicher Identitäten zeigt sich insbesondere auch bei der AR-Technologie: So gibt es Anwendungen, die mit Hilfe eines Handys realisiert und beispielsweise im Bereich archäologischer Erlebnispädagogik (vgl. Dähne/Karigiannis 2002) eingesetzt werden. Andere wiederum bedienen sich eines halbdurchlässigen Spiegels und unterstützen chirurgische Eingriffe in der Medizin. In jedem dieser Kontexte besitzt die ARTechnologie – ähnlich wie der Computer – eine andere Teilidentität: Mal ist sie ein mobiles Outdoor-Tool, ein anderes Mal ein medizinisches Präzisionsinstrument. Vor diesem Hintergrund lassen sich Teilidentitäten im technischen Bereich demgemäß als die aus verschiedenen Strängen resultierenden Entwicklungen bezeichnen, die aus den unterschiedlichen Eigenschaften und Inhalten bestehen, welche die Technik in Abhängigkeit von Situation und Kontext sowie im Wechselspiel zwischen Zuschreibungen von außen und eigenen Widerständigkeiten aufweist. Wie aber entstehen diese Teilidentitäten und aus welchen Quellen speisen sie sich? Ähnlich wie menschliche Identitäten, die im Laufe ihrer Biographie unterschiedliche ›biographische Selbste‹ im Sinne von diachron über die Zeit hinweg entstandenen Teilidentitäten ausbilden, lassen sich erstens auch im Rahmen technischer Innovationsund Aneignungsprozesse nicht nur im Verlauf nacheinander, sondern zeitgleich viele heterogene Entwicklungen beobachten. Besonders eindrucksvoll herausgearbeitet wurde dieses im Rahmen des ›Minnesota Innovation Research Program (MIRP)‹.19 Im Zuge dieses Forschungsprogrammes untersuchten seit 1983 interdisziplinäre Forschungsteams in Längsfeldstudien 14 verschiedene Produkt-, Prozess- sowie technische Innovationen und entwickelten auf Basis der Ergebnisse eine Theorie über Innovationsprozesse, die sie als ›Innovationjourney‹ bezeichneten (vgl. Van de Ven et al. 1999).20 Es zeigte sich, dass sich die Innovationsverläufe zum einen keineswegs linear vollzogen und zum anderen die Innovationstätigkeiten selbst nicht an einem Innovationsstrang orientiert blieben, sondern zusammen mit den technischen Produkten feuerwerkartig ›explodierten‹ (vgl. Van de Ven et al. 1999: 34). After an initial shock that stimulates a simple unitary progression of activities to develop an innovative idea, the innovation process soon proliferates into a multiple divergent progression of developmental activities (Van de Ven et al. 1999: 34). War die beobachtete Non-Linearität aufgrund der Ergebnisse der Innovationsforschung in den letzten Jahren durchaus erwartbar, überraschten die häufig unverbundenen heterogenen Parallelentwicklungen, die mit mehr oder weniger großem Erfolg darum eiferten, die dominante Technologie zu werden sowie die Tatsache, dass das »management of innovation soon proliferates into an effort of trying to direct controlled chaos« (Van de Ven et al. 1999: 34) hingegen schon. Auch wenn einige Entwicklungen in Sackgassen mündeten und nicht weiter verfolgt wurden, blieben am Ende dennoch verschiedene parallele Entwicklungen in Co-Existenz nebeneinander bestehen. Das Beispiel verdeutlicht, dass Technologien im Laufe ihrer ›biographischen Entwicklung‹ – sei es im Zuge eines mit der Innovationjourney vergleichbaren Prozesses oder aber aufgrund anderer radikaler oder inkrementeller Weiterentwicklungen 19 20
In der Literatur zur Innovationsforschung auch bekannt geworden als ›Minnesota Studies‹. Zu den methodologischen Hintergründen dieser Studien siehe Van de Ven/Poole 1995.
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
– unterschiedliche technische Varianten mit jeweils unterschiedlichen Teilidentitäten ausbilden. Jedoch auch dann, wenn es sich nicht um unterschiedliche Varianten, sondern um dieselbe Technologie handelt, kann diese zweitens – wie das Beispiel des Computers bereits verdeutlichte – je nach Anwendungsfeld ganz unterschiedliche symbolische Bedeutungsstrukturen aufweisen. Auch wenn wir im Hinblick auf technische Artefakte nicht wie im Falle menschlicher Teilidentitäten von verschiedenen ›Beziehungen‹ oder ›Rollen‹ sowie daraus resultierenden ›Rollen-Selbsten‹ im eigentlichen Sinne sprechen können, ist das relationale Prinzip dahinter durchaus vergleichbar: Abhängig nämlich von den Beziehungen (bei Individuen) oder eben den Anwendungskontexten (bei technischen Artefakten), in die der Träger der Identität eingebunden ist, werden – quasi synchron in der Zeit – unterschiedliche Teilidentitäten entwickelt. Drittens gibt es auch im Falle technischer Teilidentitäten so etwas wie ›mögliche‹ oder ›virtuelle Selbste‹, nämlich dann, wenn die Technik und mit ihr ihre technische (Teil-)Identität sich noch in der Planung befindet. Solche ›möglichen Selbste‹ werden für technische Artefakte beispielsweise in wissenschaftlichen Leitbildern formuliert, oder aber auch als populär-wissenschaftliche bzw. rein populäre Technik-Visionen in den Medien (vgl. hierzu auch Kapitel 4.4.2). Aber nicht nur für neue, sondern auch für bereits bestehende Technologien werden immer wieder neue, potentielle Teilidentitäten formuliert. Besonders deutlich wird dies im Bereich Marketing: Die strategische Aufgabe besteht hier nicht nur – wie zuvor im Zusammenhang mit der Namensgebung im Automobilbereich erwähnt – in der Entwicklung möglicher Label für neue Produkte, sondern auch in der Gestaltung eines Images sowohl für neue, aber gleichwohl auch für bestehende technische Artefakte in Abhängigkeit eines bestimmten Anwendungskontextes oder einer spezifischen Zielgruppe. So verleiht Opel beispielsweise seinem ›Adam Germany’s Next Topmodel (GNTM)‹21 ein jugendliches Image und bewirbt ihn auf der Firmen-Homepage unter dem Slogan »Vom Catwalk auf die Straße« als »Stilikone, die unterwegs alle Blicke auf sich zieht«.22 Schließlich gibt es auch im Hinblick auf technische Artefakte ›ungeliebte‹ Teilidentitäten, die – ähnlich wie im Falle menschlicher Teilidentitäten – unerwünscht sind und möglichst abgelegt werden sollen. Zu denken ist hier zunächst an Teilidentitäten misslungener Technisierungsprojekte sowie gescheiterter Innovationen. In diesen Fällen werden die misslungenen Technikprojekte samt ihrer bis dato ausgebildeten symbolischen Struktur nicht nur von den beteiligten Akteuren aus den entsprechenden Disziplinen und Branchen, sondern anscheinend sogar aus fachfremden Wissenschaftsbereichen wie beispielsweise der Innovationsforschung ›verbannt‹. Bereits Pinch/Bijker beklagen für die Technology Studies »the asymmetric focus of the analysis« sowie ihre »preference for successful innovations« (Pinch/Bijker 1987: 22). Und auch in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen wie beispielsweise der Politik oder den Medien werden je nach Bedarfslage ungeliebte Identitätsfacetten einer Technologie ausgeklammert. Deutlich wird das an den derzeitigen Debatten über die Atomtechnik. Während
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Die Abkürzung GNTM steht für ›Germany´s next Top Model‹. URL: www.opel.de/microapps/say-it-with-opel/adam.html [Zugriff: 30.06.18].
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diese für die Atomindustrie eine überaus lukrative Möglichkeit der Gewinnmaximierung und für Atomkraftgegner und Umweltaktivisten wiederum ein apokalyptisches Sicherheitsrisiko darstellen, waren Teile der Politik vor dem Hintergrund der Laufzeitverlängerung im Oktober 2010 noch ein Jahr vor der Reaktorkatastrophe in Fukushima bemüht, die Atomtechnik als ›sauber‹ zu feiern und ihre zwar bekannten, aber ungeliebten Facetten auszublenden. Es lässt sich festhalten, dass auch technische Artefakte nicht nur eine symbolische Struktur, sondern stattdessen eine Vielzahl technischer Teilidentitäten, abhängig von ihrer ›biographischen‹ Entwicklung, ihren Anwendungskontexten und Einsatzbereichen sowie ihren erwünschten, aber auch ihren unerwünschten Eigenschaften ausbilden. Vor diesem Hintergrund ist zu überlegen, ob und wenn ja, inwiefern Technik neben der Vielzahl ihrer Teilidentitäten auch so etwas wie eine Kernbedeutung besitzt. Im Hinblick auf das bereits dargestellte Beispiel des Computers hält Hörning »eine Rückführung des Computers auf eine Beschreibung bzw. auf eine ›Kern-Identität‹ kaum [für] möglich [Hervorheb. im Orig.]« (Hörning 2001: 107f.). In der Tat scheint es zunächst schwer zu sein, zwischen den verschiedenen Identitätsfacetten der Technik einen gemeinsamen Kern auszumachen. Andererseits stellt sich die Frage, wie sich ohne einen gemeinsamen Bezugspunkt verschiedene Akteure aus heterogenen Feldern dann überhaupt einer Technologie zugehörig fühlen bzw. sich sowohl in ihrer Arbeit als auch in der alltäglichen Nutzung auf diese beziehen können. Nun wird man in Bezug auf Technik zweifelsohne nicht von einem ›Identitätsgefühl‹ der Technik selbst sprechen können, allerdings kann man von Eigenschaften und Zuschreibungen sprechen, die von anderen bewusst als typisch wahrgenommen werden. Diese sind zwar nicht unveränderlich, aber überdauernder als solche der Teilidentitäten. In der Identitätsforschung wird die Entstehung von Kernidentitäten zunächst mit der Dominanz einzelner Teilidentitäten erklärt. Übertragen auf technologische Artefakte würde dies bedeuten, dass eine aus einem Anwendungskontext oder einem spezifischen Entwicklungsstadium resultierende Teilidentität über symbolische Strukturen aus anderen Bereichen dominiert. Vergegenwärtigt man sich noch einmal das Beispiel des Smartphones, so verfügt dieses zwar über zahlreiche Optionen und unterschiedlichste Funktionen, dennoch wird es in der Regel als ein ›Handy‹, ein mobiles Telefon also, bezeichnet (und das sogar dann, wenn es den einen oder anderen regelrecht zu überraschen scheint, sobald das kleine Gerät in seiner Hand tatsächlich klingelt, während er sich gerade via App über die Wetteraussichten der nächsten Tage oder das aktuelle politische Geschehen informiert). Das Gleiche gilt für die Playstation: Obwohl man mit ihr im Internet surfen, Blue Rays, DVDs und Videos aus dem Internet laden sowie Musik hören kann, wird ihr doch in der Regel die Identität einer Spielekonsole zugeschrieben. In diesen Fällen fungiert die dominante Teilidentität quasi pars pro toto als Kern der Technologie, auf den sich die relevanten Akteure in der Folge beziehen. Was aber, wenn sich die Kernidentität nicht einfach aus der Dominanz einer ihrer Teilidentitäten ergibt, sondern man es tatsächlich mit einer Ansammlung unterschiedlicher Bedeutungsstrukturen zu tun hat, die – nur lose gekoppelt – scheinbar ein Mosaik ohne Zentrum ergeben? Die Identitätsforschung sieht als zweite Möglichkeit zur Entstehung von Kernidentitäten Generalisierungen über unterschiedliche Erfahrungsmodi vor. Zweifelsohne wird man im Hinblick auf Technik kaum von kognitiven, sozialen,
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emotionalen oder produktorientierten Erfahrungen sprechen können – Generalisierungen hingegen lassen sich in der Bildung technischer Identitäten durchaus beobachten. Insbesondere bei modernen Hoch- und Querschnittstechnologien, aber häufig auch bei einfachen Artefakten besteht allerdings das Problem, dass sich aufgrund der großen Variationsbreite ihrer möglichen Realisierungen und damit einhergehenden Identitätsausprägungen keine eindeutigen Merkmale isolieren und somit generalisieren lassen, anhand derer sich die Kernidentität eines technischen Artefakts eindeutig bestimmen lässt. Die Problematik, etwas ohne eindeutige distinktive Merkmale identifizieren zu müssen, ist auch in der Linguistik bekannt, nämlich dann, wenn es darum geht, Dinge zu klassifizieren und unter einen Begriff zu subsumieren. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich die Prototypentheorie bzw. -semantik mit der Frage, »innerhalb welcher Grenzen unterschiedliche Kombinationen von z.T. verschiedenen Merkmalen noch als zu ›demselben Begriff‹ zugehörig erkannt werden« (Linke/Nussbaumer/Portmann 1996: 352f.). An Stelle einer eindeutigen Klassifizierung spricht die Prototypentheorie von »aus der Erfahrung stammende[n] […] Repräsentationen, die prägnant das Typische einer Klasse ausdrücken (Linke/Nussbaumer/Portmann et al. 1996: 347). Demnach gibt es besonders prototypische bzw. untypische Vertreter einer Klasse, und »[e]rst wenn gewisse Grenzen überschritten werden, beginnen die Zuordnungen schwankend zu werden« (Linke/Nussbaumer/Portmann 1996: 351). Während ein Rotkehlchen beispielsweise einen besonders typischen Vertreter der Kategorie ›Vogel‹ (einen Prototypen also) darstellt, handelt es sich bei einem Pinguin hingegen um einen peripheren Vogel, denn er »entbehrt offensichtlich gewisser Eigenschaften, die [ihn] zu einem besonders guten Vertreter machen würden, ohne dass [er] andererseits aber auch klar aus dem Begriff herausfallen würde« (Linke/Nussbaumer/Portmann 1996: 157). Die Bestimmung als ›typisch‹ oder aber ›untypisch‹ vollzieht sich anhand von zwei Merkmalskategorien, nämlich erstens sensorischer sowie zweitens kategorialer Merkmale. Unter sensorischen Merkmalen werden Eigenschaften verstanden, die konkret wahrnehmbar und anschaulich sind (für den Prototypen des Vogels wären dies beispielsweise Federn, Flügel, Schnabel und Krallen). Auf einer abstrakteren Ebene erfolgt die Zuordnung anhand kategorialer Merkmale. Sie stellen keine konkret wahrnehmbaren Eigenschaften, sondern abstrakte Relationen dar. So werden auf dieser Ebene Vertreter beispielsweise durch die Verwendung von Oberbegriffen (›Ein Vogel ist ein Tier‹), Unterbegriffen (›Ein Vogel ist zum Beispiel eine Amsel‹), Frames (›Vögel ziehen im Winter Richtung Süden‹) oder Nebenbegriffen (›Ein Kauz ist eine Eule‹) klassifiziert und funktional bestimmt (vgl. Linke/Nussbaumer/Portmann 1996: 349). Die Implikationen der Prototypentheorie bieten fruchtbare Ansatzpunkte für die Übertragung auf die Problematik der Bestimmung von Kernidentitäten, denn hinter der Auseinandersetzung mit der Identifikation von Begriffskernen steht die Identifikationen semantischer und symbolischer Strukturen, anhand derer sich ein Gegenstand als mehr oder weniger ›typisch‹ bestimmen lässt. Übertragen auf Technik stellt sich die Frage, welche typischen sensorischen und kategorialen Merkmale als (von anderen mehr oder minder bewusst wahrgenommene) Kernidentität der Technik fungieren. Zuvor wurde bereits auf die identitätsrelevante Funktion von Körper im Sinne von Material, Design und Technisierungsschema verwiesen. Aus ihnen resultiert nicht nur die materiell-konzeptuelle Identität im Sinne technischer Eigenschaften, sondern sie fun-
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gieren auch als Ressource für die Ausbildung von Kernidentitäten. Denkt man beispielsweise an eine Gardine, so wird man damit ein Material verbinden, das weich fließend, aber sicher nicht hart und unbeweglich ist. Umgekehrt verhält es sich mit Fenstern: Von ihnen erwartet man ein festes, allerdings zerbrechliches, lichtdurchlässiges Material. Und auch das Design einer Technik bzw. eines technischen Artefaktes trägt maßgeblich dazu bei, den Kern ihrer symbolischen Struktur zu bestimmen. Das im Zuge sozialkonstruktivistischer Ansätze bereits erwähnte Beispiel des Fahrrads verdeutlicht dies: Unabhängig davon, ob wir an ein Sport- oder ein Hollandfahrrad denken, gehen wir davon aus, dass dieses Gefährt einen Sattel sowie zwei gleichgroße Räder mit Luftbereifung hat, die voreinander angeordnet sind. Das bedeutet, dass das Design, das sich als dominant durchgesetzt hat, ebenfalls als Ressource zur Konstituierung einer Kernidentität beiträgt. Auch wenn das Fahrrad im Einzelfall die Teilidentität eines Sportgeräts besitzt, ist es im Kern doch ein Gerät mit o.g. Merkmalen, auf dem man sitzt und das sich durch das Treten der Pedale bewegen lässt. Schwieriger wird es im Fall technischer Artefakte, die sich durch eine heterogene Vielfalt ihrer Realisierungen und Anwendungsfelder auszeichnen und sich daher nicht anhand materieller Merkmale oder Designelemente bestimmen lassen. Zum einen werden in diesen Fällen – wie bereits erwähnt – besonders typische technische Elemente, die eine konkrete Materialität sowie ein spezifisches Design aufweisen und mit denen sich bestimmte Vorstellungen verbinden, hervorgehoben und stellvertretend für die gesamte technologische Konstellation als Identifikationskern herangezogen, wie das bereits erwähnte Beispiel der Identifizierung der AR-Technologie als Display-Technologie verdeutlicht. Zum anderen spielt in diesen Fällen neben Material und Design vor allem das Technisierungsschema eine entscheidende Rolle. Prinzipiell spielt das einer Technik inhärente Schema auch bei einfacheren, durchaus gegenständlichen technischen Artefakten eine identitätsrelevante Rolle. So wird man von einem Fön erwarten dürfen, dass mit Betätigen des Schalters heiße oder auch kalte Luft, aber sicher kein Wasserstrahl aus der Düse kommt. Bei komplexen technologischen Konfigurationen verschärft sich diese identitätsrelevante Funktion jedoch, denn hier ist das Technisierungsschema häufig der einzige Referenzpunkt, anhand dessen sich die Technik innerhalb des Möglichkeitenraums als mehr oder weniger typischer Vertreter einordnen oder aber als nicht zugehörig klassifizieren lässt. Für die AR-Technologie ist hier beispielsweise an das für sie typische Schema der Überlagerung der realen Welt mit virtuellen Informationen zu denken.23 Dahinter steht die Vorstellung einer Technologie, welche die reale Umwelt durch virtuelle Informationen erweitert und sich dadurch auf einem Kontinuum zwischen Realität und Virtualität von anderen Formen der Mixed Reality (MR) wie beispielsweise der Augmented Virtuality (AV) (hier wird die virtuelle Welt durch reale Informationen erweitert) abgrenzen lässt (vgl. Milgram/Kishino 1994: 3). Mit dem Verweis auf sensorische Merkmale in Form von Material, Design und Technisierungsschema, die als identitätsrelevante Ressource für die Kernidentität einer Technik identifiziert wurden, bedeutet dies keinesfalls einen Rückfall in die Bestimmung von Technik als Sachtechnik. Stattdessen werden hierdurch Vorstellungen und Bedeutungsstrukturen evoziert, anhand derer ein Artefakt als ein mehr oder 23
Vgl. hierzu Lenzen et al. 2007.
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
weniger typischer Vertreter einer bestimmten Technik identifiziert wird. Gleichzeitig verdeutlichen sensorische Merkmale, dass auch die Herstellung einer Kernidentität der Technik keineswegs nur auf Zuschreibungen von außen beruht, sondern die Technik selbst aufgrund ihres Körpers sowie ihrer materiell-konzeptuellen Identität aktiv an der Konstitution ihres Identitätskerns beteiligt ist. In der Regel ist ein Bündel sensorischer Merkmale für die Ausbildung einer Kernidentität der Technik verantwortlich. Unabhängig davon, ob es sich um eine Näh-, Haushalts-, OP-, Nagel-, Hecken-, Friseur-, Geflügel- oder Bastelschere handelt, so verbinden wir mit einer Schere sowohl ein bestimmtes Material (hart; meistens metallisch), ein bestimmtes Design (zwei geschärfte Scherenhebel sowie Griffe für die Hände) sowie ein Technisierungsschema (die mit einem Gelenk verbundene Scherenhebel können gegeneinander bewegt werden, wodurch die Scherenhebel das Schnittgut durchtrennen). Es kommt allerdings auch vor, dass einige sensorische Merkmale wegfallen, wie das Beispiel der Hoch- und Querschnittstechnologien und hier vor allem das der AR-Technologie zeigt. Hier dient als Referenzpunkt für die Zuordnung zu dieser Technologie lediglich das Technisierungsschema der Realitätsüberlagerung bzw. -erweiterung. Und es kann sogar sein, dass auch dieses Merkmal wegfällt, wie das Beispiel der Nanooder Biotechnologie zeigt. Als Technik ohne eindeutige Realisierungen stehen hier zunächst keine sensorischen Merkmale zur Verfügung, die zur Bestimmung eines Identitätskerns herangezogen werden könnten. Stattdessen wird auf kategoriale Eigenschaften zurückgegriffen, um den Kern dieser Technologien zu erfassen. Hierbei kann es sich – wie die Prototypentheorie zeigt – um Ober-, Unter- oder Nebenbegriffe sowie Frames handeln. Die Identität der AR-Technologie ist in ihrem Kern beispielsweise eine wissensbasierte Computertechnik (Oberbegriff), eine Smartphone-App (Unterbegriff), eine Technologie zur Erweiterung der Realität mit Informationen (Nebenbegriff) oder ein medizintechnisches Utensil (Frame). Ergänzend zu diesen Begriffskategorien dienen auch Technik-Label als Identifikationsmerkmal für den Kern sowohl technischer als auch nicht-technischer Artefakte. So wird man bereitwillig ein Papiertaschentuch anbieten, wenn man um ein ›Tempo‹ gebeten wird, und das, obwohl ›Tempo‹ eigentlich nur ein Markenname ist, der seit 1929 als Bezeichnung für ein Einmaltaschentuch dient und den Zeitgeist der 20er Jahre als »Zeit der Superlative« widerspiegelt.24 Resümiert man die bisherigen Ausführungen, so lässt sich festhalten, dass sich die Bestimmung eines Identitätskerns insbesondere bei Hoch- und Querschnittstechnologien von sensorischen zu kategorialen Merkmalen verschiebt. Es kann sogar vorkommen, dass sowohl sensorische als auch kategoriale Merkmale beinahe keine Rolle mehr spielen, sondern die Kernidentität der Technik in biographischen Kernnarrationen (beispielsweise in Form von Definitionen einer Technik) oder aber alltäglichen Interaktionssituationen hergestellt wird. Das kann – wie noch zu zeigen sein wird – zu willkürlichen Positionierungen führen und so weit gehen, dass Technologien einer bestimmten Kernidentität zugeordnet werden, obwohl sie eigentlich aus dem Spielraum möglicher mehr oder weniger typischer Vertreter gänzlich herausfallen würden.
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URL: www.tempo.net/de/die-marke-tempo/zeitreise/; Zugriff: 07.02.17
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Annahme 8: Die Herstellung von Kohärenz und Kontinuität sind zentrale Aufgaben technischer Identitätsarbeit. Wie erwähnt, stellt Identität kein homogenes, auf Dauer gestelltes Gebilde dar, sondern es lässt sich stattdessen eine Pluralisierung heterogener Teilidentitäten beobachten, die in sogenannten Patchwork-Identitäten münden. Da diese Identitätskonstruktionen weder zeitlich noch inhaltlich stabil sind, sondern immer wieder hinsichtlich ihrer Kontinuität (verstanden als Einheit der Identität über die Zeit hinweg) sowie ihrer Kohärenz (verstanden als innere Stimmigkeit der Identität) angepasst werden müssen, besteht hierin eine der zentralen Aufgaben der Identitätsarbeit. Diese Aufgabe stellt sich insbesondere auch in Bezug auf die Technik, denn sie spiegelt die eingangs skizzierte Problematik der Multidimensionalität der Technik im Hinblick auf ihre möglichen Bedeutungskonstitutionen wider. Zur Verdeutlichung dieser Aufgabe sei noch einmal auf das in Abbildung 2 aufgezeigte relationale Verhältnis zwischen Kohärenz und Flexibilität auf der einen sowie Kontinuität und Entwicklung auf der anderen Seite verwiesen, das die Problematik für die Identität der Technik besonders deutlich werden lässt. Greift man auf das Beispiel AR-Technologie zurück, so stellt sich für diese, aber natürlich auch gleichwohl für andere Technologien, auf Ebene der Kohärenz zunächst die Frage, wie alle möglichen Anwendungskontexte und Realisierungsmöglichkeiten der AR-Technologie auch als ihr zugehörig erkannt werden und einen »stimmige[n] Zusammenhang […], eine Struktur, die aus miteinander verträglichen, zueinander passenden Elementen gebildet wird« (Straub 2004: 287), ergeben. Dieser Aspekt betrifft vorrangig die Frage, um was sich die in der Regel heterogenen Akteure in einem Feld eigentlich gruppieren und worauf sie ihre Arbeit beziehen. Besonders deutlich wird die Frage nach der Kohärenz technischer Identitäten dann, wenn es sich zum einen um sehr komplexe Technologien handelt, die eine große Bedeutungsoffenheit aufweisen und zum anderen das Feld der Akteure sehr heterogen ist, wie dies beispielsweise in interdisziplinär ausgerichteten Projektkonsortien der Fall ist. Gleichzeitig darf Kohärenz technischer Identitäten nicht bedeuten, dass es sich um starre Entitäten handelt. Stattdessen müssen technische Identitäten zwar stimmig, aber dennoch flexibel sein, um eben diese unterschiedlichen Akteure und ihre Forschungs- und Anwendungsfelder einbinden und womöglich auch Teilprojekte integrieren zu können. Ähnlich verhält es sich mit der Kontinuität technischer Identitäten: Die Identität der Technik muss in der Lage sein, auch Veränderungen, die sich im Hinblick auf die Technologie im Laufe ihrer Entwicklung ergeben, in das Gesamtbild zu integrieren und somit einen gemeinsamen Bezugspunkt sicher zu stellen. Dies ist nicht nur wichtig, um ein technologisches Feld im Kern auch über die Zeit hinweg zusammen zu halten und die jeweiligen Aktivitäten sinnvoll aufeinander zu beziehen und zu koordinieren, sondern auch potentielle Förderer und Geldgeber für mehrjährige Projekte sowie Folgeprojekte zu akquirieren und an die Technologie binden zu können. Gleichzeitig muss die Identität einer Technik sich weiterentwickeln können, inkrementellen und radikalen Wandlungsprozessen nicht nur mit einer Veränderung auf materieller, funktioneller oder Design-Ebene begegnen, sondern gleichzeitig auch ihr Image entsprechend ändern können, so dass heterogene Akteure sich auch über die Zeit hinweg an die Technik gebunden fühlen.
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
Sowohl die Entstehung von Kohärenz als auch von Kontinuität technischer Identitäten ist eng gekoppelt an die Ausbildung technischer Kern- und Teilidentitäten. So stellt die beschriebene Ausbildung von Kernidentitäten eine Grundlage dar, um eine Technik zum einen als stimmig, d.h. kohärent und zum anderen als über die Zeit hinweg als eine Einheit zu erfahren. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Kernidentität auf sensorischen bzw. kategorialen Merkmalen basiert oder ›nur‹ narrativ hergestellt wird. Weiter noch: Es spielt zunächst nicht einmal eine Rolle, ob sich wirklich alle Beteiligten – seien es technische Entwickler, Hersteller, Geldgeber oder Nutzer – auf das gleiche materielle Artefakt, das gleiche Design oder das gleiche Technisierungsschema beziehen. Entscheidend ist, dass es einen gemeinsamen Bezugspunkt wie beispielsweise ein geteiltes Schema von Erwartungen oder eine gemeinsame soziale Identität gibt. Allerdings ist auch zu beachten, dass die kontinuität- und kohärenzstiftende Wirkung der Kernidentität keineswegs nur auf ihren sozialen Identitätsanteilen beruht. Auch wenn die Vorstellungen im Hinblick auf die konkrete Realisierung und Funktionalität in der Tat keineswegs gänzlich übereinstimmen müssen, sollten die an die Technik herangetragenen Kern-Ideen und Erwartungen auch in der Praxis, d.h. in der konkreten Aushandlung mit den materiell-konzeptuellen Identitätsteilen, Bestätigung finden. Andernfalls wird sich der gemeinsame Bezugspunkt in Form der Kernidentität nur bedingt als kohärenz- und kontinuitätsstiftend erweisen. Kontinuität und Kohärenz sind jedoch nicht allein die ausschlaggebenden Faktoren für eine gelungene Identitätsbildung. Sie müssen vielmehr in Relation gesetzt werden zu ihren Gegenpolen, nämlich Entwicklung und Flexibilität. Diesem Umstand trägt die Ausbildung von Teilidentitäten Rechnung. Diese ermöglichen es, trotz der geforderten inneren Stimmigkeit sowie einer gewissen Beständigkeit der Identität, möglichst unterschiedlichen Anforderungen, Realisierungsmöglichkeiten und Anwendungsfeldern sowie zukünftigen Technikprojekten gerecht zu werden, aber auch weniger gelungene Facetten, technische Realisierungen sowie Entwicklungsstadien in die Gesamtidentität zu integrieren.
3.1.5.
Zwischen Vision und Realität – Identitätsprojekte und -arbeit
Anhand der vorherigen Ausführungen wird deutlich, dass Identität keine statische Größe ist, die – einmal etabliert – lebenslange Gültigkeit besitzt. Auf menschliche Identität bezogen stehen Individuen insbesondere vor dem Hintergrund von Individualisierungsprozessen sowie der Herauslösung aus lokalen, sozialen Kontexten, die eine Normalbiographie nicht länger erwartbar erscheinen lassen, zunehmend vor der Aufgabe, ihre Identitätsentwürfe flexibel an die sozialen Gegebenheiten sowie die daraus resultierenden Rollenanforderungen anzupassen. Es handelt sich hierbei um einen nichtabschließbaren Prozess, der durchaus einiger Anstrengung bedarf, weshalb die Identitätsforschung den Begriff der Identitätsarbeit geprägt hat. Das bedeutet keineswegs, dass Identitätsarbeit als willkürlicher Gestaltungsakt der eigenen Identität verstanden werden darf, den das Individuum solipsistisch vollzieht (vgl. Straus/Höfer 1997: 302). Vielmehr stellt die fortlaufende, retrospektive sowie prospektive Aushandlung zwischen personalen Anteilen der Identität sowie den Anforderungen der sozialen Umwelt, im Zuge derer »neue Identitätsentwürfe gebildet und immer wieder mit vergangenen und
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real gewordenen Identitätsprojekten verschmolzen« (Straus/Höfer 1997: 302) werden, stellt die zentrale Aufgabe der Identitätsarbeit dar. Ihre strategische Rahmung erhält die Identitätsarbeit durch Identitätsentwürfe sowie vor allem durch Identitätsprojekte, die als »identitätsstrategische Fluchtpunkte in der Zukunft« (Kraus 1996: 164) fungieren. Im Unterschied zum Identitätsentwurf weist das Identitätsprojekt jedoch einen »inneren Beschlußcharakter« (Straus/Höfer 1997: 283) auf und bezieht sich damit zugleich auf »eine Handlung [Hervorheb. v. Verf., K.L.], die in der Zukunft situiert ist« (Kraus 1996: 164). Darüber hinaus schlägt der Projektbegriff jedoch auch eine Brücke sowohl zu den vergangenen als auch den gegenwärtigen Identitätskonstruktionen eines Individuums. Diese stellen den Ausgangspunkt dar, vor dessen Hintergrund entweder in Kontinuität mit den bisherigen Identitätsentwürfen und -konstruktionen oder aber in Abgrenzung hierzu zukünftige Identitätsprojekte konzipiert und evaluiert werden. Jede Festlegung auf ein Identitätsprojekt beinhaltet immer auch die Entscheidung gegen andere Projekte und enthält zugleich »die Gefahr der permanenten Entwertung durch andere mögliche Projekte« (Keupp et al. 2002 : 251). Um dennoch als erfolgreiches Projekt etabliert werden zu können, bedarf es unter Umständen narrativer Plausibilisierungen in Form von Notwendigkeitsszenarien, die ein Projekt aktuell oder retrospektiv legitimieren (vgl. Kraus 1996: 166). Dadurch sind Identitätsprojekte auch in der Lage, sich mit Widersprüchen zu versöhnen und Inkohärenzen zu überbrücken: Die Widersprüche der Gegenwart werden durch die Verheißung einer kohärenten Zukunft lebbar. Dies zeigt sich etwas am Beispiel der ›Success Stories‹ (vom Tellerwäscher zum Millionär), in denen als Ideologiediskurs die Möglichkeit von Projekten trotz einer möglichkeitsarmen Gegenwart betont wird. […] Insofern scheint im Projektbegriff ein Strategiepotential auf für die Bewältigung von situativen Erfahrungen der Inkohärenz (Kraus 1996: 166). Mit dem Verweis auf die strategische Ausrichtung von Identitätsprojekten ist eine weitere wichtige Facette angesprochen. Während Identitätsentwürfe häufig relativ ›planlos‹ skizziert werden, wohnt Identitätsprojekten eine konkrete Ausrichtung sowie Intention inne. Auch wenn der Begriff der Strategie eine potentielle sprachlich-reflexive Repräsentation vermuten lässt und »fälschlicherweise eine Planungs- und Handlungsrationalität suggeriert« (Keupp et al. 2002 : 84), ist dies keineswegs notwendigerweise Voraussetzung für die Wirkmächtigkeit von Identitätsstrategien. Stattdessen »können [sie] auch zur Anwendung kommen, ohne sprachlich für das Subjekt verfügbar zu sein« (Kraus 1996: 167). Insbesondere vor dem Hintergrund der fortwährenden Aushandlung zwischen Individuum und Umwelt im Zuge der Identitätsarbeit sind Identitätsprojekte – sollen sie gelingen – darüber hinaus zwangsläufig auf soziale Anerkennung angewiesen. Das Erleben von Anerkennung speist sich hierbei aus drei Quellen, nämlich erstens der Aufmerksamkeit von anderen in Form verbaler und nonverbaler Botschaften, zweitens der positiven verbalen und nonverbalen Bewertung durch andere sowie drittens der Selbstanerkennung in Form von Selbstbewertungen (vgl. Keupp et al. 2002: 256ff.). Werden Identitätsprojekte schließlich erfolgreich realisiert, so tragen sie in erheblichem Maß zu der bereits angesprochenen »Erfahrung der Kohärenz über verschiedene Lebenswelten hinweg« (Kraus 1996: 168) bei.
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
Schlägt man die Brücke zu der Identität der Technik, so scheint der Gedanke an ›Projekte‹ sowie ›Projektarbeit‹ relativ nahe zu liegen, denn die Entstehung technischen Wissens vollzieht sich heute primär als »Innovation im Netz« (Rammert 1997), beispielsweise im Rahmen interdisziplinärer Forschungsprojekte, an denen eine Vielzahl heterogener Akteure beteiligt sind (vgl. Häußling/Lenzen 2010: 225ff.). Zu überlegen ist im Folgenden, inwiefern auch die Identität der Technik in Projekten strategisch angelegt und realisiert wird. Annahme 9: Die Entstehung technischer Identität vollzieht sich in Identitätsprojekten und kann als Identitätsarbeit bezeichnet werden. Die Entstehung technischer Identitäten stellt – ähnlich wie die Entwicklung menschlicher Identitäten – kein einmaliges Ereignis mit finalem Ergebnis dar, sondern lässt sich ebenfalls als Identitätsarbeit beschreiben. Diese stellt gerade eine der besonderen Herausforderungen im Kontext von Querschnittstechnologen dar, denn diese verändern aufgrund ihrer variierenden Anwendungskontexte und Realisierungsmöglichkeiten ständig ihr Gesicht, weshalb ihre soziale Bedeutung ›als Technik für…‹ sowohl auf der Ebene sozialer Zuschreibungen als auch im praktischen Umgang mit der Technik selbst ständig neu hergestellt werden muss. Auf einer ersten Ebene lassen sich Identitätsentwürfe wie beispielsweise die bereits erwähnten Leitbilder, aber auch vor allem narrative Technovisionen identifizieren. Diese besitzen zwar noch keinen Beschlusscharakter, aber sie strukturieren die Vorstellungen und Erwartungen der beteiligten Akteure und wirken richtungsweisend für die zukünftige Identitätsarbeit. Auf diese Weise stellen sie nicht nur ein zentrales Element der sozialen Identität der Technik dar, sondern sie besitzen zugleich eine strategische Ausrichtung, so dass sowohl die soziale Identität, aber auch der Körper der Technik als Basis für die daraus resultierenden materiell-konzeptuellen Identitätsanteile gezielt geplant und unter Umständen projektiert werden können. In diesem Fall werden aus den noch offenen Identitätsentwürfen Identitätsprojekte, in deren Rahmen nicht nur die Technik als Sachtechnik entworfen und hergestellt, sondern auch ihre Identität geplant und konstituiert wird. Hierunter lassen sich sowohl tatsächliche Projekte verstehen, die in Anträgen, Projektplänen und Arbeitspaketen sowohl auf Ebene des Gesamtprojekts als auch im Rahmen von Teilprojekten Anforderungen und Spezifikationen an die zukünftige Technik formulieren, aber auch nicht projektförmig organisierte Forschungseinheiten, die vergleichbare Ziele verfolgen. Die in den Leitbildern und Visionen zuvor formulierten Entwürfe erhalten im Zuge von Identitätsprojekten einen Beschlusscharakter und wirken nicht nur richtungsweisend für die Entwicklung technischer Identitäten, sondern beeinflussen auch die Organisation der Forschungstätigkeiten. Denn abhängig von der angestrebten Identität der Technik finden sich Projektpartner und Förderinstitutionen zusammen, was Bender als »Co-Evolution von Inhalt (Problemdefinition, technische Spezifikationen) und organisatorischem Kontext der Technikentwicklung« (Bender 2004: 139) bezeichnet. Ähnlich wie menschliche Identitätsprojekte zeichnen sich technische Identitätsprojekte nicht nur durch ihren Beschlusscharakter aus, sondern schlagen ebenfalls eine Brücke zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem, denn sie basieren nicht nur auf bereits vorhandenen technischen Erkenntnissen und Wissensbeständen, sondern grei-
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fen auch vergangene Identitätsprojekte auf. So ist die Idee der AR-Technologie beispielsweise eng verbunden mit der Vision der Virtual Reality-Technologie und wäre ohne sie nicht denkbar. Gleichzeitig stellt die Entscheidung für die Realisierung eines bestimmten Projekts sowie des darin enthaltenen Identitätsentwurfs auch immer eine Entscheidung gegen andere Projektentwürfe dar. In der Regel werden diese Entscheidungen durch Projektförderer im Rahmen von Ausschreibungsverfahren getroffen. Auch wenn in diesen Auswahlverfahren nicht explizit die Identität der Technik als Kriterium berücksichtigt wird, spielt diese implizit eine entscheidende Rolle bei der Begutachtung, denn in der Regel werden nicht allein die technischen Merkmale der im Projekt angestrebten Entwicklung begutachtet, sondern auch identitätsrelevante Faktoren wie beispielsweise geplante Anwendungskontexte, soziale Verträglichkeit, Zielgruppenspezifizierung, Außenwirksamkeit sowie Nachhaltigkeit. Um die benötigten Fördermittel zu beziehen, werden in der Projektbeantragung nicht selten bereits im Vorfeld die identitätsrelevanten Faktoren an die bereits bekannten Erwartungen der Projektträger angepasst. Technisierungsprojekte sind darüber hinaus ebenfalls auf soziale Anerkennung angewiesen. Das betrifft in einem ersten Schritt die Anerkennung der Projektträger bzw. Geldgeber, darüber hinaus aber auch diejenige der betroffenen Scientific Community sowie der anvisierten Nutzer. Technische Identitäten werden aber nicht nur quasi en passant im Zuge von Technisierungsprojekten oder projektförmig organisierten Forschungseinheiten konstituiert, sondern sie stehen häufig selbst im Mittelpunkt der Bemühung. Besonders deutlich wird dies am Beispiel des bereits erwähnten Labelings. Nicht nur für die Benennung neuer Automarken werden hochbezahlte Agenturen für die Namensfindung verpflichtet, die mit Slogans wie »Sag‹ mir, wie Du heißt und ich sag‹ Dir, wer Du bist!« oder »Nomen est omen … Der Name ist ein Vorzeichen!«25 werben und deren primäre Aufgabe laut Endmark, einer der größten Namensfindungs-Agenturen, darin besteht, »Produkte und Dienstleistungen mit Persönlichkeit auf[zu]laden«26 Häufig stellt das Labeling somit ein erstes Identitätsprojekt in der fortlaufenden Entwicklung technischer Identitätsarbeit dar. Auch im Zuge von Marketing-Strategien steht die Identität der Technik im Mittelpunkt. Hier wird vor allem die soziale Identität einer Technik in Form ihres Images strategisch geplant bzw. neu ausgerichtet. Vor diesem Hintergrund könnte man annehmen, dass Identitätsprojekte ausschließlich die soziale, d.h. von außen zugeschriebene Identität betreffen. Allerdings entstehen auch Projektideen selten im ›luftleeren‹ Raum, sondern werden von unterschiedlichen Faktoren angestoßen, zu denen häufig bereits bestehende Artefakte oder technische Probleme gehören. Sogar im Beispiel der Membrantechnologie, die wie erwähnt zunächst lediglich in Form eines Labels bestand, gab es schon unterschiedliche, Membran-basierte Technologien, die den Anstoß für die Prägung des Schirmbegriffs gaben. Spätestens aber, wenn es um die konkrete Umsetzung der technischen Ideen im Zuge eines Projektes geht, wird der Einfluss der materiellkonzeptuellen Identitätsanteile deutlich. Nicht alle Ideen und Erwartungen, die im
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URL: www.increon.com/namensfindung/; Zugriff: 07.02.17 URL: www.endmark.de/leistungen/gestaltung/namensentwicklung/; Zugriff: 07.02.17
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
Zuge eines Technisierungsprojektes zum Teil explizit in Projektbeschreibungen, anträgen und -berichten formuliert, zum Teil in der praktischen Arbeit implizit an die Technik herangetragen werden, lassen sich auch tatsächlich realisieren und über die Projektlaufzeit aufrechterhalten. Stattdessen zeigt sich erst in der Auseinandersetzung sowohl mit der stofflichen Technik als auch aufgrund projektbegleitender Umstände, ob die anfänglichen Identitätsentwürfe aufrechterhalten werden können oder modifiziert werden müssen. Unter Umständen ergeben sich materielle, funktionelle sowie designbedingte Widerständigkeiten und Grenzen, allerdings können sich jedoch auch neue, zunächst nicht bedachte Möglichkeiten eröffnen, so dass die ursprünglichen Ideen entsprechend der materiell-konzeptuellen Identitätsanteile angepasst werden müssen, bis am Ende des Projektes bestenfalls eine stimmige Gesamtidentität entsteht. Kurzum: Die Technik spricht mit! Ihre ›Sprache‹ resultiert dabei »from certain properties of the things themselves, which suit the cultural purposes for which they are enlisted« (Daston 2004a: 15). Auch bei der Projektarbeit handelt es sich also um Identitätsarbeit im Sinne eines Matching zwischen Innen und Außen, das – im Gegensatz zu Identitätsentwürfen – im Rahmen von Projekten strategisch ausgerichtet und auf Realisierung angelegt ist.
3.1.6.
Innovationsbiographien, technische Lebensläufe und Regime
Resümiert man die bisherigen Ausführungen, so lassen sich im Hinblick auf die Technik zwei parallele und einander wechselseitig beeinflussende Prozesse beobachten: Die Entwicklung der Technik erstens im Sinne der in der Literatur häufig thematisierten Innovationsverläufe und zweitens im Sinne der Entwicklung ihrer Identität. Es stellt sich die Frage, wie diese beiden Prozesse sinnvoll aufeinander bezogen werden können. Und auch hier lohnt sich der Blick in die sozialwissenschaftliche Forschung menschlicher Lebenszyklen. Diese unterscheidet zwischen der Lebenslaufforschung auf der einen sowie der Biographieforschung auf der anderen Seite. Die Lebenslaufforschung stellt ein »interdisziplinäres Theorie- und Forschungsprogramm« (Mayer 1990b: 9) dar, das kein gemeinsames Paradigma aufweist, sondern eine Ansammlung unterschiedlicher Ansätze vereint (vgl. Voges 1987b: 18). Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie sich mit Lebensläufen als »the sequence of activities or states and events in various life domains spanning from birth to death« (Mayer 2004: 163) befassen, welche sich mit Hilfe quantitativer Erhebungsverfahren analysieren lassen (vgl. Fuchs-Heinritz et al. 1994: 393). Fokussiert werden im Rahmen der Untersuchungen zum einen die Abfolge relevanter Ereignisse, zum anderen aber auch die Zeiträume zwischen diesen Ereignissen (vgl. Diekmann 1987: 171), so dass nicht nur eine Auswahl von Ausschnitten, sondern der ganze Lebensverlauf in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt wird und die gegenwärtige Situation sowohl im Kontext vergangener als auch zukünftiger Lebenszyklen analysiert werden kann (vgl. Kohli 1978: 9). Das Ziel besteht darin, die »individuelle Betroffenheit, die Wirkungsweise von Institutionen und den gesellschaftlichen Wandel simultan in einem gesamtgesellschaftlichen Rahmen zu untersuchen« (Mayer 1987: 53). Betrachtet man die Entwicklung der Lebensverläufe in den letzten Jahrzehnten, so fällt hier insbesondere die bereits erwähnte De-Institutionalisierung, d.h. die Entbettung aus institutionellen Vorgaben, »mit der
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Die multiple Identität der Technik
die zeitliche Sequenzierung des Lebens an Bedeutung [gewann] und die einzelnen Lebensphasen zu wichtigen sozialen Ordnungsprinzipien [wurden]« (Voges 1987b: 9), auf. Galt der Lebensverlauf lange Zeit als standardisiert und durch eine Abfolge erwartbarer sowie planbarer Lebensereignisse geprägt, lässt sich in Anlehnung an Beck (1996)in den letzten Jahrzehnten eine zunehmende Individualisierung und Flexibilisierung beobachten. Lebensverläufe sind nicht länger durch gesellschaftliche Vorgaben determiniert, sondern zeichnen sich durch eine Pluralisierung von Lebensentwürfen aus, was dem Einzelnen nicht nur neue Wahlmöglichkeiten eröffnet, sondern aufgrund der hohen Kontingenz auch zu Entscheidungen für bzw. gegen zur Verfügung stehende Optionen zwingt. Lebensläufe werden geprägt durch markante Lebensereignisse, worunter »konturierte Veränderungen im Lebenslauf […], also […] Positionswechsel, Veränderungen der Rollenkonstellation, Auf- und Abstiege, Statuspassagen, Umarbeitungen des Selbstbildes usw.« (Fuchs-Heinritz et al. 1994: 392) verstanden werden. Hierbei kann es sich beispielsweise um Verlust oder Wechsel des Arbeitsplatzes, Hochzeit, Geburt des Kindes, Tod eines Angehörigen, Umzug in ein anderes Land o.ä. handeln. Durch diese Lebensereignisse werden die Lebensverläufe gesteuert, einmal eingeschlagene Lebenswege bekommen eine neue Wendung und verändern ihren bisherigen Verlauf. Das bedeutet allerdings weder, »daß die Lebensgeschichte am Punkt ›Null‹ beginnt« (Hoerning 1987: 235), noch »daß sich das Individuum mit aller Entschiedenheit dafür einsetzt, das Lebensereignis so zu bewältigen, daß der ›ehemalige‹ Zustand wieder erreicht wird« (Hoerning 1987: 235). Stattdessen werden sie aufgrund vorangegangener Erfahrungen und Ereignisse verarbeitet und können – selbst dann, wenn sie mit einem Verlust wie beispielsweise des Partners oder Arbeitsplatzes verbunden sind – als Herausforderung verstanden werden. Sowohl die Wahrnehmung als auch die Verarbeitung von Ereignissen ist davon abhängig, »welche sozialen Deutungsmuster für den Bearbeitungsprozeß mobilisiert werden« (Hoerning 1987: 234). Häufig allerdings werden Lebensereignisse erst retrospektiv sinnhaft mit Bedeutung für den gesamten Lebensverlauf aufgeladen oder aber umgedeutet: »Erst im Nachhinein deuten wir die vielen Anzeichen und Ereignisse, die der großen Ankündigung vorausgingen, im Lichte ›neuer‹ Erkenntnisse« (Hoerning 1987: 232). Mit dem Verweis auf die subjektive Verarbeitung von Lebensereignissen und -episoden wird die Brücke geschlagen zur Biographieforschung, die sich als Forschungsgegenstand Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts etablierte. Stellt sich bereits die Lebenslaufforschung als Forschungsprogramm ohne einheitliches Paradigma dar, so präsentiert sich die Biographieforschung als ein derart heterogenes Feld mit sehr unterschiedlichen Schwerpunkten, dass der Gegenstand dieser Forschung nur schwer bestimmbar scheint (vgl. Fischer-Rosenthal 1991; Fuchs-Heinritz 1998). Als Minimalkonsens lässt sich festhalten, dass die meisten Ansätze »›Biographie‹ als Chiffre für die Einbeziehung von ›Subjektivität‹ setzen« (Kohli 1978: 23) und zudem anders als die Lebenslaufforschung, die sich mit der quantitativen Rekonstruktion relevanter Ereignisse im Verlauf eines Lebens beschäftigt, Biographien als subjektive Konstruktionen sowie Erfahrungs-, Sinn- und Handlungszusammenhänge qualitativ zu erschließen suchen. Damit allerdings – so Kohli – kann in der Tat »verschiedenes gemeint sein« (Kohli 1978: 23), nämlich erstens die Rekonstruktion sinnhafter Wis-
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
sensstrukturen und Deutungsmuster, zweitens »die wissenschaftliche Wahrnehmung der eigenen Sinnstrukturen der untersuchten Subjekte« (Kohli 1978: 23), drittens »die Wahrnehmung der individuellen Besonderheiten in den Lebensverhältnissen« (Kohli 1978: 24) sowie viertens der Versuch, »die individuellen Handlungsbeiträge des Subjekts wahrzunehmen« (Kohli 1978: 24). Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich in der Literatur unterschiedliche Bemühungen, das unübersichtliche Feld der soziologischen Biographieforschung zu strukturieren, finden lassen. Fischer-Rosenthal unterscheidet beispielsweise hinsichtlich der möglichen Forschungsschwerpunkte zwischen einer Sinnperspektive, die »nach wechselseitigen Konstitutionsbedingungen von lebensgeschichtlichen Erfahrungen und gesellschaftlich-biographischen Vorgaben […] fragt« (Fischer-Rosenthal 1991: 254f.), einer Funktionsperspektive, die danach fragt, welche Funktionen Biographien für die Lösung gesellschaftlicher Probleme ausüben sowie einer Strukturperspektive, die der Frage nachgeht, welche Erzeugungsregeln sozialen Strukturen und Gebilden (zu denen u.a. auch Biographien zählen, vgl. Fischer-Rosenthal 1991: 255f.) zugrunde liegen. Für Fuchs-Heinritz (1998: 9f.) wiederum liegen die Untersuchungsschwerpunkte der Biographieforschung erstens in der Suche nach verschiedenen Typen und Varianten innerhalb eines Handlungsfeldes, zweitens nach typischen Ausprägungen sozialer Prozesse sowie drittens der Analyse von Lebensgeschichten im Rahmen von Einzelfallstudien. Die Vielzahl möglicher Fragestellungen verdeutlicht die Notwendigkeit einer Eingrenzung auf einen Forschungsschwerpukt. Aus diesem Grund wird im Folgenden die Brücke zu dem thematischen Schwerpunkt dieser Arbeit geschlagen und der Bereich der Identität als Untersuchungsgegenstand der Biographieforschung fokussiert. Zu betonen ist, dass auch in diesem Zusammenhang von Identitätsbildung als Prozess ausgegangen wird. Auch wenn Kohli von einer »Inflation des Identitätsbegriffs« (Kohli 1978: 25) spricht und gelegentlich die Ansicht vertreten wurde, dass »das Identitätskonzept […] in der Soziologie zunehmend weniger in der Lage ist, diesen Prozeß zu fassen, dass vielmehr das Biographie-Konzept den in der Sozialwelt ablaufenden Orientierungen adäquater ist« (Fischer-Rosenthal/Rosenthal 1997: 408), ist fraglich, ob der Identitätsbegriff tatsächlich zugunsten des Biographiebegriffs aufgegeben werden muss. Stattdessen scheint es sinnvoll, den Identitätsbegriff beizubehalten und umgekehrt »die Analyse der Biografie in den Dienst der Identitätsrekonstruktion [zu stellen]. Als konstituierender Teil der Identität wird die Biografiedarstellung zur Grundlage der Erhebung und Analyse gemacht [alle Hervorheb. im Orig.]« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 10). Untersucht wird Biographie in diesem Zusammenhang »als kulturelle[s] Muster der Selbst- und Fremdtypisierung, das zum Zweck des Identitätsmanagements in sozialen Situationen genutzt wird« (Dausien/Kelle 2005: 202). Dieses Verständnis aufgreifend wird die Biographie im hier dargestellten Zusammenhang in den Dienst der Identität gestellt, d.h. die Biographie wird damit zum ›Ort‹ bzw. zur ›Geschichte‹ der Identitätsentwicklung. Dieses Verständnis impliziert, dass die zuvor als identitätsrelevant dargestellten Aspekte auch Einfluss auf die Biographie haben. So gehören beispielsweise nicht nur Identität und Körper, sondern auch »Biographie und Leib […] zusammen. Sie entstehen aneinander und durcheinander, sie entwickeln jeweils autonome Strukturen, aber stets in Verbindung, das eine stützt und irritiert das andere« (Fischer-Rosenthal 1999:
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15f.; vgl. auch Fischer/Kohli 1987: 28f.). Und nicht nur der Körper, sondern auch die im Zusammenhang mit der soziologischen Lebenslaufforschung bereits thematisierten Lebensereignisse können die Biographie, im o.g. Sinne verstanden als Prozess der Identitätskonstitution, irritieren und zu einer Neuausrichtung zwingen. Dies geschieht, indem vorherige Muster reproduziert oder neue Muster entfaltet werden – orientiert »einerseits an den gesamtbiographischen Ressourcen, andererseits an sozial-strukturellen Möglichkeiten« (vgl. Hoerining 1987: 240). Lebenslauf- und Biographieforschung lassen sich somit als komplementäre Untersuchungsgegenstände betrachten, die – auch wenn eines der beiden Forschungsprogramme als Untersuchungsrahmen im Vordergrund steht – sich wechselseitig beeinflussen (vgl. Voges 1987b: 10). So werden beispielsweise durch den Abgleich mit den quantitativ messbaren Ereignissen biographische (Um)Deutungen sichtbar und erinnerte Ereignisse validiert. Wie zuvor erwähnt, finden Prozesse der Identitätsbildung und Entwicklung nicht in einem sozialen Vakuum statt, sondern sind eng an unterschiedliche Ereignisse, aber auch Akteure, Institutionen sowie entsprechende Erwartungsstrukturen gebunden, welche die Spielräume der Identitätsbildung entweder begünstigen oder aber begrenzen. Kurzum: Zusätzlich zu den Lebensverlaufsdaten sowie den biographischen Identitätskonstruktionen muss also auch das Regime Berücksichtigung finden, welches »das Verhältnis von individueller Biographiegestaltung und kulturellen Werten, Ordnungspolitiken und Institutionen, die […] einzelne Phasen des Lebenslaufs in ihre Regie nehmen und sie untereinander verknüpfen« (Born/Krüger 2001b: 11) umspannt und den Lebenslauf (aber indirekt auch die Biographie) somit reguliert. Eine besondere Funktion kommt dem Regime im Hinblick auf »die Gestaltung, Beurteilung, Gewährung und Nicht-Gewährung von Statuskontinuität und Übergang« (Struck 2001: 30) im Hinblick auf Statuspassagen zu. Bei diesen handelt es sich um Übergänge zwischen sozialen Positionen, d.h. um »die Veränderung einer Statussequenz von einem Ursprungs- in einen Folge- bzw. Endzustand […]« (Struck 2001: 31), im Zuge dessen es in der Regel »etwas zu gewinnen oder zu verlieren gibt« (Behrens/Rabe-Kleberg 2000: 102). Diese Statuspassagen werden meist nicht von einem Individuum alleine wahrgenommen, sondern sie müssen mit anderen Akteuren – den sogenannten ›Pförtnern‹ oder ›Türhütern‹ (gatekeepern) – verhandelt werden (vgl. Behrens/Rabe-Kleberg 2000: 102). Hierbei handelt es sich aufgrund ihrer Entscheidungsmacht leicht zu identifizierende und in Organisationen, Sozialstrukturen und Institutionen eingebundene Personen. Sie bewerten Übergangsaspiranten und deren Weg von Status zu Status. Sie haben eine Mittlerrolle zwischen Wünschen, Zielen, Einstellungen und Fähigkeiten der Individuen einerseits und Anforderungen, Zielen, Werten und/oder funktionalen Zwängen von Organisationen sowie auf sie wirkende sozialstrukturelle und institutionelle Rahmenbedingungen andererseits inne (Struck 2001: 49). Behrens und Rabe-Kleberg (2000: 110) unterscheiden vier Typen von gatekeepern, nämlich erstens Primärgruppen (hierzu gehören Familienangehörige, Freunde und PeerGroups), zweitens Organisationsangehörige (insbesondere solche, die intensiv in den sozialen Organisationskontext eingebunden sind), drittens Organisationsrepräsentanten (beispielsweise Verwalter und Prüfer, die über die Anerkennung von Kompeten-
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
zen und Anspruchsberechtigungen entscheiden) sowie viertens Gutachter. In der Regel werden die Entscheidungen über den Zugang zu einem Status nicht von einer Gruppe alleine getroffen, sondern es sind mehrere Gruppen involviert, die sich »schalenförmig um einen Zugang zu einem Status« (Behrens/Rabe-Kleberg 2000: 110) legen und in ihrer Entscheidungsfindung wechselseitig aufeinander beziehen. Es liegt nahe, dass sowohl Statusveränderungen (z.B. ein Berufwechsel) als auch Statuserhalt (z.B. der Erhalt einer Arbeitsstelle) nicht nur den Lebensverlauf prägen, sondern sich unmittelbar auch auf die Biographie sowie die Identitätskonstitution auswirken. Aus diesem Grund stellt die zusätzliche Betrachtung zum einen des Lebenslaufs, verstanden als die »Abfolge der auch mit quantitativen Erhebungsverfahren ermittelbaren Ereignisse und herausragenden Veränderungen im Leben einzelner« (Fuchs-Heinritz et al. 1994: 393) und zum anderen des Regimes im zuvor dargestellten Sinne eine sinnvolle Ergänzung zur biographischen Analyse der Rekonstruktion nicht nur menschlicher, sondern – wie im Folgenden gezeigt – auch technischer Identitäten dar. Annahme 10: Innovationsbiographien lassen sich als Ort der technischen Identitätsentwicklung fassen, die durch die zusätzliche Betrachtung technischer Regime und Innovationsverläufe sinnvoll ergänzt werden können. Zwischen der Rekonstruktion menschlicher Lebensverläufe sowie technischer Innovationsverläufe lassen sich relativ leicht Parallelen ziehen. So werden in der sozialwissenschaftlichen Technik- und Innovationsforschung Technikverläufe häufig anhand spezifischer Phasen rekonstruiert. Insbesondere in der wirtschaftswissenschaftlichen, aber auch der soziologischen Forschung ging man lange Zeit zunächst von Verläufen aus, die sich in typische, aufeinander folgende Phasen wie beispielsweise Idee, Entdeckung, Forschung, Entwicklung, Erfindung, Einführung und Verwertung (vgl. Hauschildt 1997: 19ff.) oder auch Invention, Entwicklung, Innovation, Transfer, Wachstum, Wettbewerb und Momentum (vgl. Hughes 1987) aufteilen und anhand derer sich technische Entwicklungs- und Innovationsprozesse sequentiell rekonstruieren lassen. Wurden diese Verläufe lange zunächst als linear und damit ähnlich wie standardisierte menschliche Lebensläufe als relativ vorhersehbar und planbar gedacht, setzte sich insbesondere im Zuge technikgenetischer Ansätze zunehmend die Annahme durch, daß sich die Entwicklung einer neuen Technik nicht über verschiedene (Entwicklungs-) Stufen oder Phasen gradlinig von oben nach unten durchsetzt, sondern daß sie von zahlreichen Rückkopplungsschleifen, Iterationen und Überschneidungen in allen Phasen der Innovation charakterisiert ist (Asdonk/Bredeweg/Kowol1994: 75). Mit diesem Perspektivwechsel wird außerdem dem Umstand Rechnung getragen, dass die vermeintlich standardisierten und somit antizipierbaren Technikverläufe – »[a]nalog zur Auflösung und ›Individualisierung‹ vorher stark standardisierter Lebensläufe« (Rammert 1997: 408) aus ihren institutionellen Kontexten herausgelöst werden und sich somit »von ausgetrampelten Pfaden technischer Entwicklung« (Rammert 1997: 409) emanzipieren. Mit Blick auf die Individualisierung technischer Verläufe wird nunmehr von einem »mehrdimensionalen, sozialen und historischen Prozeß [ausgegangen], in dem eine Vielzahl ökonomischer, politischer, wissenschaftlicher und kultureller Ein-
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Die multiple Identität der Technik
flüsse wirksam werden« (Asdonk/Bredeweg/Kowol1994: 75). Allerdings – so Weyer – laufe die sozialwissenschaftliche Technikgeneseforschung »trotz aller berechtigter Kritik an naiven Vorstellungen eines linear-sequentiellen Innovationsprozesses […] Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten, wenn sie sich auf Einzelaspekte dieses Gesamtprozesses fixiert […]« (Weyer 1997: 132). Stattdessen sei es sinnvoll, davon auszugehen, »daß der Innovationsprozeß aus mehreren, aufeinander bezogenen Schritten besteht und nicht lediglich eine chaotische Ansammlung völlig beliebiger Konstruktionsakte darstellt, die immer wieder bei ›Null‹ beginnen« (Weyer 1997: 132). Unabhängig davon, ob man von linear aufeinander folgenden oder aber sich rekursiv aufeinander beziehenden Phasen der Technikentwicklung ausgeht, lässt sich festhalten, dass – ähnlich wie bei menschlichen Lebensverläufen – auch in der soziologischen Technik- und Innovationsforschung immer wieder die einzelnen Entwicklungsstadien und »Konstruktionsakte« (Weyer 1997: 132), anhand derer sich der Gesamtverlauf nachvollziehen lässt, im Fokus der Betrachtung stehen. Eine vergleichbare Parallele lässt sich im Hinblick auf die Bedeutung kritischer Ereignisse und Statuspassagen für Technik- und Innovationsverläufe ziehen. Hierbei handelt es sich um Begebenheiten, welche entweder überraschend eintreten oder aber bewusst herbeigeführt werden und nachhaltig die technische Entwicklung beeinflussen, indem sie diese beispielsweise in Frage stellen und in eine neue Richtung lenken oder aber auch zur Stabilisierung eines Entwicklungsstadiums beitragen. Letzteres wird anhand des bereits erwähnten Fahrradbeispiels deutlich. Hier war es ein gewonnenes Fahrradrennen, das schließlich zur Schließung einer lang währenden Debatte um die optimale Beschaffenheit von Fahrradreifen sowie der Durchsetzung der Luftbereifung führte (vgl. Pinch/Bijker 1987: 45f.). In jüngerer Zeit findet sich mit dem Streit zwischen den Datenträgerformaten Blue-ray sowie HD-DVD ein vergleichbares Beispiel. Während beide Formate lange Zeit um die Marktvorherrschaft konkurrierten, entschied sich der »Formatkrieg« (N.N. 2008) relativ abrupt und vor allem überraschend, als das Filmstudio Warner Bros 2008 auf der Consumer Electronic Show in Las Vegas verkündete, fortan das Blue-ray-Format für seine Filme nutzen zu wollen (vgl. hier und im folgenden N.N. 2008 sowie Nolde 2008). Andere Filmstudios wie Walt Disney sowie 20th Century Fox folgten und auch Filmverleiher wie Constantin und Senator entschieden sich für das Blue-ray-Format. Angesichts dieser Marktübermacht hatte HD-DVD keine Chance mehr und gilt seitdem als gescheitert. Während dieses Ereignis in der Studie von Pinch und Bijker nicht als Ereignis an sich, sondern primär im Hinblick auf die soziale Schließung einer Kontroverse sowie die Stabilisierung eines technischen Artefakts Bedeutung erfährt, wird der Einfluss solcher Ereignisse in anderen Ansätzen wie zum Beispiel Konzepten der Pfadabhängigkeit systematisch thematisiert. Bedeutung erfahren diese Ereignisse hier als »historical events« (Arthur 1989: 116) oder »historical accidents« (David 1986: 30), welche beispielsweise zwischen alternativen, konkurrierenden Technikrealisierungen als »insignificant events may by chance give one of them an initial advantage in options« (Arthur 1989: 116). So stellt auch David die besondere Bedeutung dieser Ereignisse für die Entstehung von Pfadabhängigkeiten technischer Verläufe heraus:
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
A path-dependent sequence of economic changes is one in which important influences upon the eventual outcome can be exerted by temporally remote events, including happenings dominated by chance elements rather than systematic forces. […] In such circumstances ›historical accidents‹ can neither be ignored, nor neatly quarantined for the purposes of economic analysis; the dynamic process itself takes on an essentially historical character [alle Hervorheb. im Orig.] (David 1986: 30). Auch in dem von David untersuchten Beispiel des Wettstreits zwischen den konkurrierenden Schreibmaschinen-Tastaturen QWERTY und Dvorak spielt ein Wettkampf – in diesem Fall ein 1888 veranstalteter Schnellschreibwettbewerb – als kritisches Ereignis für die Durchsetzung eines technischen Artefaktes eine entscheidende Rolle. Gewonnen wurde der Wettbewerb von Frank E. McGurrin auf einer QWERTY-Tastatur, und auch wenn unklar ist, ob der Wettbewerb tatsächlich aufgrund der QWERTY-spezifischen Tastenanordnung oder aber aufgrund der Tatsache, dass McGurrin nicht nur über ein zehn-Finger-Schreibsystem verfügte, sondern darüber hinaus auch die Lage der einzelnen Tasten auswendig gelernt hatte, gewonnen wurde, so war dieses Ereignis »crucially important in causing QWERTY to become ›locked in‹ as the dominant keyboard arrangement« (David 1986: 41). Und nicht nur in Davids Untersuchungen zur Pfadabhängigkeit, sondern auch in den bereits erwähnten Minnesota Studies kommt den von Van de Ven et al. als shocks bezeichneten kritischen Ereignissen (vgl. Van de Ven et al. 1999: 28ff.) – hierbei kann es sich um »new leadership, product failure, a budget crisis, or an impending loss of market share« (Van de Ven et al. 1999: 29) sowie diverse andere Begebenheiten handeln – eine zentrale Rolle zu. Sie ›triggern‹ nicht nur – insbesondere im organisatorischen Kontext – Innovationen, sondern »concentrate attention and focus the efforts of diverse stakeholers in the organization« (Van de Ven et al. 1999: 29). Es liegt auf der Hand, dass entsprechende Ereignisse nicht nur Einfluss auf den Verlauf technischer Entwicklungen ausüben, sondern auch die Identität der Technik entscheidend prägen. Handelte es sich bei der von Pinch und Bijker erwähnten Luftbereifung vor dem Wettrennen insbesondere in den Augen sportlich orientierter junger Männer um ein viel zu langsames Gefährt, so wurde nach gewonnenem Rennen hieraus ein anerkanntes Sportgerät. Galt das Datenträgerformat HD-DVD vor der Entscheidung von Warner Bros Entscheidung für die Blue-ray als gleichberechtigter Favorit, wurde es unmittelbar nach der Verkündung zum Marktverlierer schlechthin. Wurde bisher die Übetragung der Lebenslaufforschung auf technische Innovationsverläufe betrachtet, stellt auch – wiederum in einem komplementären Sinn – die Idee der Biographie als Ort der Identitätsentwicklung interessante Anknüpfungspunkte für die Entwicklung eines Konzepts technischer Identitäten bereit. Wie bereits erwähnt, hat der Gedanke, den Biographiebegriff auch auf Entstehung und Entwicklung technischer Artefakte anzuwenden, bereits zuvor Eingang in die Technik- und Innovationsforschung gefunden, allerdings ohne wirklich ein kohärentes Konzept zur Analyse entsprechender Prozesse bereitzustellen. Im Folgenden wird – wie zuvor im Hinblick auf die Überlegungen zu menschlichen Identitäten – die Biographie in den Dienst technischer Identitätskonstitution gestellt. Auf diese Weise wird Biographie zu der Geschichte, die erzählt, wie nicht nur der Mensch, sondern eben auch die Technik sowohl eine körperliche Gestalt als auch darüber hinaus auf der Basis biographischer Interpretationen und
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Zuschreibungen eine Identität gewinnt. Bezogen auf Technik werden Innovationsbiographien (vgl. Rammert 2000a: 35ff.; 2000b: 169, 185) zum Ort der Entwicklung technischer Identitäten. In ihr vollziehen sich all die in diesem Kapitel beschriebenen Aspekte der Identitätsentwicklung technischer Artefakte: Angefangen von der Aushandlung zwischen sozialen und materiell-konzeptuellen Identitätsanteilen über den identitätsrelevanten Einfluss technischer Körper und Label bis hin zur Ausbildung technischer Kernund Teilidentitäten im Rahmen eines doing identity im Zuge technischer Identitätsprojekte. Mit der Betrachtung biographischer Deutungen ergänzen Innovationsbiographien quantitative Längsschnittstudien um eine qualitative Perspektive. Eingebettet werden sowohl Technikverläufe als auch Innovationsbiographien in ein technologisches Regime, das aus verschiedenen Akteuren, Institutionen, aber auch entsprechenden Erwartungsstrukturen sowie »rules that guide the design and further development of a particular technology« (Van de Poel 2003: 49) besteht. Dieses technologische Regime rahmt und reguliert den Innovationsprozess, indem es beispielsweise auch hier die Funktion des Pförtners wahrnimmt. Für den vorliegenden Ansatz spielen nämlich nicht nur kritische Ereignisse eine wichtige Rolle, sondern auch ganz generell Statuspassagen, die einen Wechsel im Verlauf anzeigen. Diese können über kritische Ereignisse hinausgehen und werden von entsprechenden ›Türhütern‹ begleitet. Hierbei kann es sich – analog zu menschlichen Lebensverläufen – erstens ebenfalls um Akteure handeln, die eng mit der Technologie verbunden sind (beispielsweise Entwickler), zweitens um Organisationsangehörige, die im Rahmen ihres organisationalen Kontextes über Entwicklung, Herstellung oder aber – wie beispielsweise Warner Bros. – über Einsatz und Verwendung einer Technologie entscheiden, drittens auch hier um Organisationsrepräsentanten, die über interne Standards befinden sowie viertens um Gutachter (hier ist beispielsweise an Behörden zu denken, die auf die Einhaltung verbindlicher Normen und Vorgaben achten). Sie alle rahmen und regulieren Entwicklung und Verlauf einer Technologie, entscheiden über die eingeschlagene Richtung, veranlassen eine Neuausrichtung oder aber sorgen für den Erhalt des Status quo. Besonders wichtig wird diese Regulierungs- und Vermittlungsfunktion des Innovationsregimes vor dem Hintergrund der beschriebenen Individualisierungsprozesse, im Zuge derer – wie Rammert betont – auch [d]ie Passagepunkte in der Innovationsbiographie zwischen dem wissenschaftlichen, dem wirtschaftlichen und dem politischen Feld […] kritischer geworden [sind]: Zunehmend muß die Hilfe vermittelnder Agenturen in Anspruch genommen werden, diese prekären Übergänge zu bewältigen. Die Anforderungen, zwischen den verschiedenen institutionellen Feldern zu übersetzen, sind gewachsen. Die Notwendigkeit, technische Standards zwischen den unterschiedlichen Akteuren auszuhandeln, hat sich vergrößert (Rammert 1997: 409). Um ihre Rückbindung der innovationsbiographischen Identitätsrekonstruktion an den faktischen Verlauf der Technik zu gewährleisten, ist es somit sinnvoll, ergänzend sowohl den Lebenslauf als auch das die Technik umgebende Innovationsregime zu betrachten. Dadurch kommen kritische Ereignisse und Statuspassagen wie beispielsweise technische Weiterentwicklungen, aber auch Entwicklungen im Feld, z.B. im Hinblick auf die Förderpolitik, in den Blick. Die Analyse dieses (Innovations-)Regimes, insbesondere mit
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
Fokus auf das Gatekeeping, kann somit wertvolle Hinweise auf die Einbindung technologischer Entwicklungen in institutionelle Rahmenbedingungen liefern.
3.2.
Zwischenfazit II
Fasst man die oben genannten Ausführungen zusammen, so zeigt sich, dass die Identitätsforschung viele interessante Anregungen für die Konstitution technischer Identitäten in Form von Deutungszuschreibungen aber auch Widerständen seitens der Technik bietet. Sie ermöglicht durch die Darstellung wechselseitiger Einflüsse von materiellkonzeptueller und sozialer Identität der Technik sowie interaktiver Praxis nicht nur eine integrierte Betrachtung techniksoziologischer Ansätze in einem Gesamtkonzept, sondern hält gleichzeitig trotzdem die Möglichkeit einer fokussierten Analyse auf unterschiedlichen Ebenen offen. In Anlehnung an die interaktionistische Identitätsforschung lässt sich die Identität der Technik als symbolische Struktur bezeichnen, die im praktischen Aushandlungsprozess zwischen der Deutungszuschreibung relevanter Akteure (hier findet sich aus techniksoziologischer Perspektive der Schnittpunkt zum Sozialkonstruktivismus sowie aus Sicht interaktionistischer Identitätstheorien der Bezug zum me im Sinne Meads und Krappmanns) sowie dem technischen Objekt und seiner Widerständigkeit selbst (hier fließen seitens der Technikforschung Ansätze der Akteur-Netzwerk-Theorie und der Mangle of Practice sowie seitens der Identitätsforschung die Idee des I ein) konstituiert wird. Dieser Aushandlungsprozess findet wiederum in der Praxis, d.h. im praktischen Umgang zwischen dem technischen Objekt selbst auf der einen sowie seiner Umwelt (dieser sind relevante Akteure wie beispielsweise Entwickler und Nutzer zuzurechnen) auf der anderen Seite statt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die in der Praxis zugeschriebenen kulturellen Deutungen in Form sie ordnender Strukturen bereits selbst vorstrukturiert sind.27 Das Gleiche gilt für die technischen Objekte und ihre materiell-konzeptuellen Eigenschaften: Auch sie sind vorstrukturiert durch ihre einzelnen Bestandteile, welche selbst das Produkt der in sie eingeschriebenen Ideen einerseits sowie ihrer stofflichen Eigenschaften andererseits sind (an dieser Stelle bekommt die Vergegenständlichungsperspektive eine neue Bedeutung). Innovationen entstehen demnach durch das Aufeinandertreffen neuer Technik- und Deutungsschemata, die in der Praxis aktualisiert werden. Darüber hinaus werden weitere Aspekte neuerer Ansätze der Identitätsforschung berücksichtigt und für die Technik- und Innovationsforschung nutzbar gemacht. In 27
Dieser Gedanke findet sich auch in Bourdieus Habitus-Konzeption als einer zugleich strukturierten und strukturierenden Struktur. Denn: »Habitusformen, […], [erzeugen] strukturierte Strukturen, die geeignet sind, als strukturierende Strukturen zu wirken, mit anderen Worten: als Erzeugungsund Strukturierungsprinzip von Praxisformen und Repräsentationen, die objektiv ›geregelt‹ und ›regelmäßig‹ sein können, ohne im geringsten das Resultat einer gehorsamen Erfüllung von Regeln zu sein; die objektiv ihrem Zweck angepaßt sein können, ohne das bewußte Anvisieren der Ziele und Zwecke und die explizite Beherrschung der zu ihrem Erreichen notwendigen Operationen vorauszusetzen, und die, dies alles gesetzt, kollektiv abgestimmt sein können, ohne das Werk der planenden Tätigkeit eines ›Dirigenten‹ zu sein« (Bourdieu 1979: 165).
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Die multiple Identität der Technik
diesem Zusammenhang sind beispielsweise der Einfluss des ›Körpers‹ sowie des Labelings auf die Identitätsbildung, das insbesondere für technologische Konfigurationen fruchtbare Wechselspiel zwischen Kern- und Teilidentitäten, die Konstruktion von Identität im Rahmen von Identitätsprojekten sowie die wechselseitige Betrachtung von Technikverlauf, Innovationsbiographie und –regime zu nennen. Vor allem der Körper der Technik ist, wie in Kapitel 3.1.2 dargestellt, für die Herausbildung einer technischen Identität in besonderem Maße relevant, ohne dass er mit ihr gleichgesetzt werden könnte, denn neben der kohärenzstiftenden Funktion des Körpers spielen zumindest auf der Ebene sozialer Identitätszuschreibungen durch die Umwelt noch weitere Faktoren eine wichtige Rolle. In diesem Sinne lässt sich dieser wechselseitige Aushandlungsprozess als Ko-Evolution von technischem Körper und technischer Identität beschreiben. Das Label einer Technologie wiederum beeinflusst in hohem Maße ihre Außenwahrnehmung. Es dient bei noch ›körperlosen‹ Technologien als symbolische Repräsentation und vermag das Interesse relevanter Akteure zu wecken, so dass sich um dieses Label ein technologisches Feld etabliert. Mit der Differenzierung zwischen Teil- und Kernidentität sowie den Mechanismen ihrer Entstehung steht ein analytisches Instrumentarium zur Verfügung, das auch für die Herstellung von Kontinuität und Kohärenz in der Identitätsarbeit eine relevante Rolle spielt. Auf diese Weise lässt sich erklären, warum Technik einerseits an ganz unterschiedliche Kontexte und Gegebenheiten flexibel angepasst werden kann, andererseits aber eine symbolische Kernstruktur zur Verfügung stellt, die es den beteiligten Akteuren ermöglicht, eine Technologie über unterschiedliche Anwendungsbezüge als stimmig (Kohärenz) sowie zeitlich über unterschiedliche Entwicklungs- und Anwendungsstufen hinweg als einheitlich (Kontinuität) zu erfahren. Entscheidend ist, dass es sich bei der Entwicklung technischer Identitäten um einen fortwährenden Prozess im Sinne einer Identitätsarbeit handelt, der sich in Identitätsprojekten vollzieht und nie gänzlich abgeschlossen ist. Anhand der komplementären Berücksichtigung von Technikverläufen, Innovationsregime sowie der innovationsbiographischen Konstitution technischer Identitäten wird gleichzeitig einer der größten Unterschiede zu anderen Ansätzen, wie beispielsweise der zuvor erwähnten Innovation-Journeys, deutlich. Innovationsbiographien gehen über eine Kombination von Quer- und Längsschnittanalysen einen Schritt hinaus, indem sie in Anlehnung an die Lebenslauf- und Biographieforschung auf quantitativer Ebene sowohl die ›Lebensereignisse‹ der Technologien als auch auf qualitativer Ebene die dahinter stehenden identitätsrelevanten ›biographischen Deutungen‹, die sich beispielsweise in Form kultureller Deutungen und Interpretationen manifestieren, untersuchen. Diese ergänzende Betrachtung des faktischen Verlaufs der Technik sowie des umgebenden Innovationsregimes bettet den Prozess der biographischen Identitätsrekonstruktion in einen umfassenden sozialen Kontext ein und erlaubt es, Wechselwirkungen zwischen dem technischen Körper und seinen Identitätskonstruktionen sowie den faktischen Ereignissen und relevanten Akteuren zu analysieren. Notwendige Voraussetzung für die Konzeption einer Identität der Technik im oben genannten Sinne ist allerdings eine Perspektivverschiebung im Vergleich zu herkömmlichen Ansätzen der Identitätsforschung. Diese gehen davon aus, dass der Mensch sich mittels seiner Identität selbst zum Objekt machen kann (vgl. Mead 1973: 178), die Kohärenz der Identität u.a. von seinem subjektiven Identitätsgefühl sowie der Selbstthema-
3. Technische Identitäten als Gegenstand innovationsbiographischer Forschung
tisierung der eigenen Identität beeinflusst wird und aus diesen Selbstthematisierungen wiederum das Verhältnis zur Umwelt hervorgeht, so dass die Anteile sozialer Identität erkennbar werden. Die Identität der Technik hingegen zeigt sich insbesondere in Fremdthematisierungen, aus denen die materiell-konzeptuellen Anteile der Identität der Technik hervorgehen. Auch werden die Identitätsprojekte der Technik von anderen entworfen und die Technik selbst nicht durch sich, sondern durch andere als eine Kohärente erfahren. Während sich die Identitätsforschung also auf das Subjekt stützt, um hieraus seine Identität sowie seine Beziehung zur Umwelt zu rekonstruieren, stützt sich die Erforschung technischer Identität auf die Umwelt, um die Bildung technischer Identitäten zu rekonstruieren. Aus diesem Grund lässt sich auch nicht von einer Konzeptübertragung, sondern von Anleihen aus der Identitätsforschung sprechen, die eine neue Perspektive in die Technikforschung bringen. Mit der in diesem Kapitel dargestellten theoretischen Konzeption ist der erste Schritt zur Entwicklung einer Analyse der Identität der Technik vollzogen, die verschiedene Ansätze der Techniksoziologie integriert sowie in einen sinnvollen Zusammenhang setzt und die sich insbesondere zur Analyse der Bedeutungsstrukturen komplexer Innovationen in heterogenen Feldern eignet. Im Folgenden wird zu überlegen sein, wie aus dem bislang theoretischen Konstrukt ein empirisch zugängliches Phänomen wird, anhand dessen sich die Mechanismen der Bedeutungskonstitution technischer Artefakte praktisch untersuchen lassen.
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4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten Der zarte Sprössling, der aus der Vereinigung von Geschichte und Fiktion hervorgeht, ist die Zuweisung einer spezifischen Identität an ein Individuum oder eine Gemeinschaft, die man ihre narrative Identität nennen kann. ›Identität‹ wird hier als eine Kategorie der Praxis aufgefasst. Die Identität eines Individuums, oder einer Gemeinschaft angeben, heißt auf die Frage antworten: wer hat diese Handlung ausgeführt, wer ist der Handelnde, der Urheber? […] Die Antwort kann nur narrativ ausfallen. Auf die Frage ›wer?‹ antworten heißt, wie Hannah Arendt nachdrücklich betont hat, die Geschichte eines Lebens erzählen. Die erzählte Geschichte gibt das wer der Handlung an. Die Identität des wer ist also selber bloß eine narrative Identität. Paul Ricoeur1
Geschichten erfüllen eine Vielzahl gesellschaftlicher und sozialer Funktionen: Sie unterhalten, erklären uns die Welt, vermitteln Wissen, halten Gemeinschaften zusammen und helfen, uns als stimmige Wesen zu erfahren und in der Welt zu verhalten. Interessant ist, dass Narrationen auch ein verbindendes Element zwischen der Technikforschung auf der einen sowie der Identitätsforschung auf der anderen Seite darstellen. In beiden Disziplinen finden sich Ansätze, die nicht nur auf Narrationen und Stories als Datenquelle, sondern auch auf das Konzept der Positionierung von Van Langenhove und Harré (1999a+b) sowie Van Langenhove und Bertolink (1999) zurückgreifen. Während die Identitätsforschung die Bedeutung von Geschichten und den darin enthaltenene Positionierungen vor allem für die Entstehung sowie Aufrechterhaltung der Identi-
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Ricoeur 1991b: 395
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Die multiple Identität der Technik
tät herausarbeitet, betonen Ansätze aus der Technikforschung die sozialen Funktionen narrativer Positionierung für die Etablierung und Durchsetzung neuer Technologien. So erklären beispielsweise Van Lente und Rip die Konstitution technologischer Felder anhand narrativ hergestellter Erwartungszuschreibungen sowie der allmählichen Ausbildung einer geteilten Agenda. Statt des Feldes kann man jedoch auch die Technik selbst in den Fokus der Betrachtung nehmen und – wie von Van Lente und Rip vorgeschlagen – ihre Identität und Biographie anhand von Narrationen analysieren. Im Folgenden wird dieser Idee nachgegangen und das Konzept einer narrativen Identität der Technik entworfen. Dabei wird mit Meuter angenommen, dass es sich bei Narrativität um »einen Begriff [handelt], der nicht nur geeignet ist, das speziellere Problem der Identität einer Person zu behandeln, sondern auch das allgemeinere Problem von sinnhafter Identitätsbildung insgesamt« (Meuter 1995: 10). Narration als Begriff sowie Narrationsanalysen als methodisches Vorgehen erweisen sich für die Forschungspraxis als besonders anschlussfähig. Czarniawska spricht in diesem Zusammenhang von einem ›ubiquitious narrative knowledge‹ (vgl. Czarniawska 2004a: 651). Das mag unter anderem daran liegen, dass der Narrationsbegriff so breit angelegt ist, dass er einen großen Spielraum für die Erforschung unterschiedlicher Sachverhalte und Gegenstände aus unterschiedlichen Forschungsperspektiven und -disziplinen bietet. Um die Potentiale eines narrativen Ansatzes zu nutzen, ohne in eine gewisse Beliebigkeit der Begriffsverwendung zu verfallen, werden im Folgenden zentrale Aspekte des Narrationsbegriffs herausgearbeitet. Da sich die vielfältigen Facetten narrativer Ansätze nur aus ihrer Tradition heraus verstehen lassen, wird zuvor ein kurzer Abriss über die Geschichte narrativer Analysen in unterschiedlichen Disziplinen gegeben und einige.
4.1.
Eine kurze Geschichte der Narration
Die Beschäftigung mit Narrationen hat eine weitreichende, mehr als zweitausendjährige Tradition. Bereits Aristoteles, der als bis heute einflussreicher Vorvater der Narrationsanalyse gilt, hat in seiner Poetik, die auf etwa 335 v. Chr. (vgl. Fuhrmann 1987: 152) datiert werden kann, die unterschiedlichen Gattungen und Eigenschaften erzählender Dichtkunst, »welche Wirkung eine jede hat und wie man die Handlungen zusammenfügen muß, wenn die Dichtung gut sein soll« (Aristoteles 1987: 6), beschrieben. Aristoteles setzt Poetik mit mimesis, der »Nachahmung von Handlung« (Aristoteles 1987: 19) gleich, welche »das in der Realität Verborgene als Möglichkeit hervortreten läßt« (Ueding 1994: 22). Ereignisse müssen seiner Ansicht nach so kombiniert werden, dass »sie dramatisch sind und sich auf eine einzige, ganze und in sich geschlossene Handlung mit Anfang, Mitte und Ende beziehen« (Aristoteles 1987: 77). In Aristoteles’ Nachfolge haben narrative Ansätze der Gegenwart zunächst in den Literatur- sowie Sprachwissenschaften besondere Beachtung gefunden. Als Ausgangspunkt für die Entstehung einer systematischen literaturwissenschaftlichen Narrationsanalyse gilt insbesondere der russischen Formalismus, allen voran Vladimir Propp, der 1928 seine Studie Morphology of the Folktale veröffentlichte, welche starken Einfluss auf die anschließenden strukturalistischen Ansätze ausüben sollte (vgl. Czarniawska 2004a:
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
648f.; Hermann 2007a: 13ff.). Der russische Formalismus wandte sich von der reinen Betrachtung der Inhalte literarischer Kunstwerke ab und richtete sein Augenmerk stattdessen auf »the study of forms« (Propp 1968: 16), d.h. auf die Verfahren, mit denen literarische Texte und Erzählungen hergestellt wurden (vgl. Kim 2002: 7f.). In den darauffolgenden Jahren erwiesen sich zwei Strömungen in der theoretischen Ausarbeitung narrativer Ansätze als besonders einflussreich und übten auch auf die sozialwissenschaftliche Forschung Einfluss aus: Zum einen der Strukturalismus sowie zum anderen die Hermeneutik, die sich als Gegenpol des Strukturalismus verstand (vgl. u.a. Meyer 1991: 90ff.).
4.1.1.
Zwischen Struktur und Bedeutung – Strukturalismus und Hermeneutik
Die strukturalistische Tradition Ferdinand de Saussure, der als Gründervater des Strukturalismus gilt und auf den sich »in der einen oder anderen Weise alle bezogen [haben]« (Stetter 1996: 421), unterschied zwischen langue als überindividuellem, abstraktem System sprachlicher Regeln und Zeichen sowie parole, welche den individuellen und praktischen Vollzug des Sprechens durch die Realisierung des in einer Gesellschaft gültigen Sprachsystems darstellt (vgl. de Saussure 1967: 9ff.). Entscheidend ist, dass es sich bei langue um ein statisches Zeichensystem mit allgemeiner sozialer Gültigkeit handelt, das sich aus invarianten Elementen und Regeln zusammensetzt und somit Strukturen ausbildet, die nicht durch individuelle Erfahrungen beeinflusst werden können: »Indem man die Sprache vom Sprechen scheidet, scheidet man zugleich: 1. das Soziale vom Individuellen; 2. das Wesentliche vom Akzessorischen und mehr oder weniger Zufälligen« (de Saussure 1967: 16). Mit der Loslösung des sprachlichen Zeichensystems vom sprechenden Individuum sowie der Betonung seiner invarianten und kollektiven Strukturen wird es zu einem »Objekt, das man gesondert erforschen kann« (de Saussure 1967: 17) und damit zum »Gegenstand der empirischen Wissenschaft erklärt« (Meyer 1991: 90). Davon ausgehend, dass Strukturen nicht nur in einem einzigen Text wirksam sind, sondern vielen Texten in gleicher Form zugrunde liegen, besteht das vorrangige Ziel des Strukturalismus darin, Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Texten herauszuarbeiten, um auf diese Weise literarische Genres zu beschreiben »in much the same way that a zoologist describes a new genus« (Landau 2001: 106). Obwohl de Saussure seinen Ansatz selbst nicht als Strukturalismus bezeichnete (vgl. Plumpe 1998: 342), sollte sein Konzept unter diesem Namen als »pilot-science« (Herman 2007a: 14) einen weitreichenden Einfluss auf Gegenstand und Methoden der Narratologie ausüben. Insbesondere Claude Lévi-Strauss erweiterte de Saussures linguistischen Ansatz im Rahmen seiner strukturalen Anthropologie und vermutete nicht nur hinter Texten, sondern auch hinter Handlungen Strukturzusammenhänge, die dem einzelnen Individuum zwar unbewusst seien, jedoch den konkreten Vollzug seines Handelns bestimmen. All culture, although not simply reducible to language, shares the same fundamental characteristics, or at the very least, a series of striking homologies: different aspects
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Die multiple Identität der Technik
of human culture, such as kin relations, exchange systems, art, myth, ritual, culinary practices etc., are structured like a language (Tilley 1990: 5f.). So arbeitet Lévi-Strauss am Beispiel von Verwandtschaftssystemen heraus, dass »die Verwandtschaftserscheinungen […] in einer anderen Ordnung der Wirklichkeit Phänomene vom gleichen Typus wie die sprachlichen [sind] [alle Hervorheb. im Orig.]« (Lévi-Strauss 1967: 46)2 und zeigt auf, wie sich die Erforschung von Verwandtschaftsproblemen formal denen der Linguisten ähnelt.3 In der weiteren Folge des französischen Strukturalismus entwickelte Algirdas Julien Greimas die narrative Semiotik. Ähnlich wie Lévi-Strauss weitet auch Greimas den Gegenstand seiner Analyse aus und visiert eine universelle narrative Semiotik an: We first must admit that narrative structures can be found elsewhere than in manifestations of meaning effected through the natural languages. They can be found in cinematographic and oniric languages, in figurative painting, and so forth (Greimas 1987: 64). Ausschlaggebend für Greimas ist die Frage nach dem Zustandekommen von Bedeutung. Aus diesem Grund ist sein »project of a fundamental semantics« (vgl. Greimas 1987: 65) »one that focuses on the nature of meaning or signification rather than on the function of communication« (Schleifer 1987: xviii).4 Narrativität kommt in diesem Zusammenhang die Rolle eines übergeordneten Organisationsprinzips zu, das allen Diskursen zugrunde liegt (vgl. Greimas/Courtés 1982: 210). Zur semiotischen Analyse dieser grundlegenden Struktur entwirft Greimas ein Aktantenmodell. Aktanten werden als syntaktische Einheiten verstanden, die als abstrakte Agenten unterschiedliche
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Lévi-Strauss beschreibt die Analogie zwischen der Arbeit von Soziologen und Linguisten wie folgt: »Wie die Phoneme sind die Verwandtschaftsbezeichnungen Bedeutungselemente, wie diese bekommen sie ihre Bedeutung nur unter der Bedingung, daß sie sich in Systeme eingliedern; die ›Verwandtschaftssysteme‹ werden wie die ›phonologischen Systeme‹ durch den Geist auf der Stufe des unbewußten Denkens gebildet; schließlich läßt die Wiederholung von Verwandtschaftsformen, Heiratsregeln und gleichermaßen vorgeschriebenen Verhaltensweisen bei bestimmten Verwandtschaftstypen usw. in weit auseinanderliegenden Gebieten und sehr unterschiedlichen Gesellschaften vermuten, daß die beobachteten Phänomene sich in dem einen wie in dem anderen Falle aus dem Spiel allgemeiner, aber verborgener Gesetze ergeben« (Lévi-Strauss 1967: 46). Darüber hinaus beschäftigte sich Lévi-Strauss – ähnlich wie zuvor Propp, mit dem er sich intensiv auseinandergesetzt hat (vgl. Lévi-Strauss 1975: 135ff.) – mit Struktur und Funktion von Mythen. Da es seiner Ansicht »vollkommen unmöglich [ist], Bedeutung ohne Ordnung zu konzipieren« (LéviStrauss 1980: 24), vermutet er, dass den Mythen eine überindividuelle, strukturierende Logik zugrunde liegt, die sich nur aus den Beziehungen zu anderen Mythen erschließen lässt (vgl. LèviStrauss 1971: 11f.; Tilley 1990: 10). Diese grundlegende Struktur ist in der Gedankenwelt der Erzähler und Zuhörer verortet, »so that in studying a body of myth one is looking less at its narrative content than at the universal mental operations that structure it« (Polkinghorne 1988: 83). Ähnlich wie zuvor Lèvi-Strauss betont auch Greimas im Rahmen seiner narrativen Semiotik, dass in Narrationen den Handlungen zugrunde liegende mentale Repräsentationen zum Ausdruck kommen: »Narrative semiotics does not study actions as such, but actions ›on Paper‹, i.e., descriptions of actions. The analysis of narrated actions enables us to recognize stereotypes of human activities and to construct typological and syntagmatic models which take account of them« (Greimas/Courtés 1982: 7).
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
Rollen in Narrationen einnehmen und damit unterschiedliche Funktionen erfüllen können (vgl. Greimas/Courtés 1982: 5ff.). Auf diese Weise entsteht aus der Beziehung der Aktanten und ihrer Rollen untereinander eine »grammar or structure of agency-effects [Hervorheb. im Orig.]« (Schleifer 1987: 84), mit deren Hilfe sich Narrationen hinsichtlich ihrer grundlegenden Struktur analysieren lassen. Ende der vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts lernt Greimas an der Universität in Alexandria Roland Barthes kennen, der wie er dort als Lektor tätig war (vgl. RöttgerDenker 2004: 166). Barthes hat für die Narrationsforschung eine besondere Bedeutung, nicht zuletzt deshalb, weil er kaum einer bestimmten Richtung zuzuordnen ist und keinen eigenen ›Barthesian approach‹ vertritt, sondern sein Name mit verschiedenen Ansätzen wie beispielsweise der Semiologie, dem Strukturalismus, aber auch dem Poststrukturalismus verbunden ist (vgl. Olsen 1990: 4). Zwei Aspekte seines Ansatzes sind für die Narrationsanalyse besonders entscheidend: Zum einen Barthes’ Narrationsverständnis und zum anderen sein Wechsel von einer strukturalistischen hin zu einer poststrukturalistischen Betrachtungsweise. Narrationen, so Barthes, beziehen sich keineswegs nur auf die gesprochene oder geschriebene Sprache, sondern ebenso auf »fixed or moving images, gestures, and the ordered mixture of all these substances« (Barthes 1977a: 79). Damit vertritt Barthes einen weit gefassten Narrationsbegriff, denn ein Narrativ ist für ihn »international, transhistorical, transcultural: it is simply there, like life itself« (Barthes 1977a: 79). Während Barthes in seiner frühen Phase seinen Vorgängern in der strukturellen Analyse von Texten und Narrationen folgt (vgl. Barthes 1988: 102ff.), wendet er sich in seinen späteren Werken einem poststrukturalistischen »Denken zu, das nicht mehr von einer rekonstruierbaren stabilen Struktur der Bedeutung ausgeht, sondern jedes Sinngebilde als plurales und unabschließbares Verweissystem von Zeichen betrachtet« (Quadflieg 2006: 18).5 Gemeinsam ist strukturalistischen Ansätzen die Auffassung, Texte und Narrationen als autonome Objekte aufzufassen, denen eine innere Dynamik innewohnt (vgl. Landau 2001: 106), während individuelle Interpretationen des Lesers weitgehend ausgeklammert bleiben. Das Interesse der Analyse liegt »in texts as such, not in the author’s intentions or the circumstances of the text’s production« (Czarniawska 2004a: 649f.).
Die hermeneutische Tradition Die Beschäftigung des Strukturalismus mit formal-strukturellen Aspekten von Texten und Narrationen stieß nicht nur auf Zustimmung. So kritisiert Paul Ricoeur, einer der einflussreichsten Vertreter der Hermeneutik, unter anderem die übergeordnete Rolle, die der langue in strukturalistischen Ansätzen eingeräumt wird, während das Sprechen selbst eine untergeordnete Rolle spielt und auf Nachbardisziplinen wie beispielsweise Psychologie und Soziologie verteilt wird (vgl. Ricoeur 1973a: 104).6 Diese »strukturalisti5
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Damit kehrt Barthes sich von »einem starren und allumfassenden Strukturbegriff, der keinen Raum für Abweichungen, Verschiebungen und Brüche lässt« (Stäheli 2000: 15) ab und hält Sinnbrüche und Unwägbarkeiten für wahrscheinlicher, als eine vorhersehbare und alles ordnende Kraft. In diesem Sinne betont Barthes: »Sinn gibt es, doch dieser Sinn lässt sich nicht ›fassen‹; er bleibt fließend, in einem leichten Sieden erbebend [Hervheb. im Orig.]« (Barthes 1978: 107). Ricoeurs Kritik wendet sich darüber hinaus auch an Lévi-Strauss Mytheninterpretation, denn zum einen sei eine strukturale Analyse nicht ausreichend, um den Inhalt und Symbolgehalt von Mythen
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Die multiple Identität der Technik
sche Ideologie« (Ricoeur 1981b: 96) führe zu einer »antipsychologischen Haltung« (Meyer 1991: 91), denn durch die Unterordnung des Sprechens unter das Codesystem »wird nicht nur der äußere Vollzug, die individuelle Leistung ausgeschlossen, sondern auch die freie Kombination, die Erzeugung noch unbekannter Aussagen« (Ricoeur 1973a: 107). Vor diesem Hintgergrund geht die Hermeneutik von der Frage aus, wie die Bedeutung eines Textes über eine lexikalische Ebene hinausgehend entsteht und welche Bedingungen und Mechanismen dieser Bedeutungskonstitution zugrunde liegen (vgl. Margolin 1981: 178): »Rather than dissect a text to discover general structural principles, the hermeneutic reader subjectively interprets – indeed, animates – a text to find its individual meaning« (Landau 2001: 106). In der von Ricoeur ausgearbeiteten ›neuen Hermeneutik‹ sind für die vorliegende Arbeit vor allem zwei Themenbereiche von Bedeutung: Erstens die Konzeption von Handlung als Text sowie zweitens das Konzept der narrativen Identität.7 Ricoeur versteht unter Text nicht nur Schriftdokumente oder Inhalte von Diskursen, sondern erweitert den Textbegriff im Zuge seiner ›neuen Hermeneutik‹ auf den Akt des Sprechens sowie jede bedeutungsvolle Aktivität (meaningful action): »My claim is that action itself, action as meaningful, may become an object of science, without losing its character of meaningfulness, through a kind of objectification similar to the fixation which occurs in writing« (Ricoeur 1971: 538). Durch diese Form der Vergegenständlichung (objectification) stellen meaningful actions von den Akteuren losgelöste Entitäten dar, die über die aktuelle Situation hinaus eine eigene Relevanz besitzen (vgl. Ricoeur 1971: 541ff.). In diesem Sinne kann meaningful action als »open work« (Ricoeur 1971: 544) betrachtet werden, deren Bedeutung immer ungewiss ist und in der gegenwärtigen Praxis immer wieder neu ausgehandelt und hergestellt werden muss. Die semantische Mehrdeutigkeit ist auch Ausgangspunkt für Ricoeurs Beschäftigung mit dem Identitätsbegriff. Identität könne demnach zum einen verstanden werden im Sinne des lateinischen idem, d.h. im Sinne einer Gleichheit bzw. Gleichartigkeit, die auch eine »Form von Unveränderlichkeit in der Zeit« (Ricoeur 2005c: 111) enthält, und zum anderen im Sinne von ipse, d.h. einer Selbstheit, die das identisch sein mit sich selbst zum Ausdruck bringt und keine Permanenz in der Zeit impliziert.8 Diese
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zu erfassen. Man könne einen Mythos auf diese Weise zwar erklären, aber keinesfalls interpretieren (vgl. Ricoeur 1971: 556). Zum anderen ließe sich eine aus der Analyse von Mythen gewonnene Struktur nicht auf soziale Zusammenhänge übertragen: »Symbole und Mythen lassen sich nicht auf Arrangements zurückführen, die man den sozialen Arrangements gleichsetzen könnte« (Ricoeur 1973a: 62). Darüber hinaus greift Ricoeur auch den bereits bei Aristoteles angelegten Begriff der mimesis auf (vgl. Ricoeur 1988: 87ff.). Indem der Leser den Konfigurationsprozess der Erzählung aufnimmt, weiterführt und schließlich vollendet, kann eine Erzählung einer Erfahrung »Modellcharakter« (Ricoeur 1988: 121) verleihen. Oder kurz gesagt: »Eine Geschichte mitvollziehen heißt, sie lesend zu aktualisieren« (Ricoeur 1988: 121). Diese Differenz spiegelt sich auch in der bereits dargestellten Unterscheidung von Kontinuität (= Stabilität der Einheit einer Person über einen längeren Zeitraum hinweg) und Kohärenz (= innere Stimmigkeit der Einheit einer Person) (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 48).
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
Antinomie zwischen Stabilität sowie potentieller Veränderlichkeit der eigenen Identität versucht Ricoeur durch eine narrative Vermittlung aufzulösen, die in dem Konzept der narrativen Identität mündet. According to my thesis, the narrative constructs the durable character of an individual, which one can call his or her narrative identity, in construction the sort of dynamic identity proper to the plot […] which creates the identity of the protagonist in the story (Ricoeur 1991a: 77).9 Indem der Leser sich mit der Erzählfigur identifiziert, refiguriert er auch sich selbst: »Sich eine Figur durch Identifikation aneignen bedeutet, sich selbst einem Spiel imaginativer Variationen zu unterwerfen, die so zu imaginativen Variationen des Selbst werden« (Ricoeur 2005c: 222f.). Besonders deutlich tritt die narrative Identität hervor, wenn das Erzählen der eigenen Lebensgeschichte in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt. So figuriert sich das Selbst zwar ständig neu, aber »[b]ei allen Veränderungen, denen ein Mensch im Laufe seines Lebens ausgesetzt ist, bleibt er doch immer der eine, dem all diese Veränderungen geschehen und der seine Lebensgeschichte erzählen kann« (Haas 2002: 82f.). Während der Strukturalismus sich auf den Text und seine Form konzentriert und subjektive Interpretationen möglichst zu vermeiden sucht, greift die Hermeneutik diesen Aspekt auf, indem sie sich auf die Bedeutungskonstitution des Textes durch den aktiven Leser konzentriert.
4.1.2.
Der narrative turn in den Sozialwissenschaften
Narrative Ansätze entpuppten sich als »successful traveller« (Hyvärinen 2006a: 5) und wurden in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts im Zuge des sogenannten ›narrative turn in social science‹ (vgl. Hyvärinen 2006a: 3) von unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Disziplinen aufgegriffen und auf ihre eigenen Gegenstandsbereiche übertragen. Dieser Erfolg lässt sich nach Czarniawska erstens dadurch erklären, dass Narrationen bzw. narratives Wissen als »main bearer of knowledge in our societies« (Czarniawska 2004a: 650) fungieren. Zweitens spielte der von MacIntyre in Bezug auf den Helden-Epos herausgearbeitete Gedanke, dass es sich bei sozialen Strukturen um »enacted narrative« (MacIntyre 2008: 29) handelt, eine entscheidende Rolle, denn »[…] life might or might not be an enacted narrative, but conceiving of it as such provides a rich source of insight« (Czarniawska 2004a: 650). Drittens schließlich stellen Narrationen eine verbreitete Kommunikationsform dar. Indem Menschen sich Geschichten erzählen, unterhalten sie sich gegenseitig, vermitteln ihr Wissen in Geschichten und tauschen auf diese Weise sich und ihre Sicht auf die Welt aus (vgl. Czarniawska 2004a: 650). Diese Punkte greift auch Jerome Bruner auf, dessen Forschung entscheidend zu dem Erfolg narrativer Ansätze in den Sozialwissenschaften beitrug. Bruner unterscheidet 9
Der hier zitierte Aufsatz ›Narrative Identity‹ ist nicht identisch ist mit dem erstmals 1987 erschienenen und 2005 in einem Sammelband erneut auf deutsch abgedruckten Aufsatz ›Narrative Identität‹.
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zwischen zwei Arten des Wissens, nämlich dem paradigmatischen oder logisch-wissenschaftlichen Wissen (dem auch das technische Wissen zugeordnet wird) auf der einen Seite, sowie dem narrativen Wissen auf der anderen Seite (vgl. Bruner 1986: 11ff.; 2003: 43ff.). Während das logisch-wissenschaftliche Wissen sich an einem »formal, mathematical system of description and explanation« (Bruner 1986: 12) orientiert und dieses zu verwirklichen sucht, dient das narrative Wissen der Organisation von Erfahrung. Es spiegelt menschliche Intentionen sowie ihre Handlungen wider, verortet sie in Zeit und Raum (vgl. Czarniawska, 2004a: 651) und trägt auf diese Weise dazu bei, dem eigenen Erleben einen ordnenden Rahmen zu geben. Entsprechend betont Bruner, dass es sich bei Narrationen um »[t]he typical form of framing experience (and our memory of it)« (Bruner 1990: 56) handelt: […] we organize our experience and our memory of human happenings mainly in the form of narrative – stories, excurses, myths, reasons for doing and not doing, and so on. Narrative is a conventional form, transmitted culturally and constrained by each individual’s level of mastery and by his conglomerate of prosthetic devises, colleagues and mentors (Bruner 2003: 44). Narrationen erfüllen eine wichtige Koordinationsfunktion im menschlichen Zusammenleben, denn sie helfen nicht nur, dem eigenen Erleben Struktur und Sinn zu verleihen, sondern auch im Austausch mit anderen geteilte Wahrnehmungsschemata zu erzeugen. In diesem Sinne stellen Geschichten, so Bruner, »especially viable instruments for social negotiation« (Bruner 1990: 53) dar. Bedeutungen werden mit Hilfe der Vermittlung narrativ erzeugter Interpretationen in Interaktionen zwischen verschiedenen Akteuren ausgehandelt (vgl. Bruner 2003: 47f., 55f.). Durch diese narrative Organisation von Erfahrung entsteht ein gemeinsam geteilter Bezugsrahmen, der einerseits einen breiten Raum möglicher Deutungsweisen eröffnet, aber zugleich auch die Kontingenz aller möglichen Interpretationen begrenzt. Vor allem Ende der 1970er Jahre etablierten sich narrative Ansätze in den Sozialwissenschaften zunehmend und – wie Czarniawska treffend formuliert: »[T]he trickle became a stream« (Czarniawska 2004b: 3). Aufgrund der Vielfältigkeit der in den Sozialwissenschaften untersuchten Beobachtungsgegenstände sowie Erkenntnisinteressen und der dadurch bedingten notwendigen Offenheit für verschiedene Sachverhalte, sind strenge Verortungen zu den zuvor dargestellten linguistischen Ansätzen häufig nicht von Bedeutung. Stattdessen lassen sich Mischformen beobachten, die sich sowohl aus der Tradition des Strukturalismus mit seiner Fokussierung auf den Text sowie der textuellen Struktur speisen als auch aus der hermeneutischen Tradition mit ihrer Fokussierung auf die Rezeption durch den Leser. In den Sozialwissenschaften vorgenommene Positionierungen sind eher vage formuliert, wie beispielsweise der von Czarniawska vertretene narrative Ansatz, der sich »closer to the poststructuralist edge of the spectrum of narratology« (Czarniawska 2004a: 651) verortet. Such an analysis does not look for chains of causes and effects but for frequent (›usual‹) connections between various elements of a narrative. It does not search for laws, but for patterns and regularities, which do not reveal a deep structure – either
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
of the world or of the mind – but which are affixed to text by the writer and the reader alike (Czarniawska 2004a: 651). Dieser Ansatz bietet erstens den Vorteil, dass strukturelle Besonderheiten des Textes zwar in den Blick kommen, eine linguistische Analyse der Tiefenstruktur aber vermieden wird. Zweitens wird die kombinierte Sichtweise auf Text und Leser betont und ermöglicht drittens durch die Hinwendung zu einer poststrukturalistischen Sichtweise eine Analyse des prozesshaften und letztlich unabschließbaren Charakters der Entstehung narrativer Strukturen und Bedeutungen. Aus diesen Gründen stellt die von Czarniawska vorgenommene Verortung eine fruchtbare Basis für den im Rahmen dieser Arbeit vertretenen narrativen Ansatz dar. Was dieser kleine Ausflug in die Geschichte des Narrationsbegriffs sowie des theoretisch-methodischen Spektrums narrativer Analysen zeigt, ist vor allem eins: Es handelt sich um einen Begriff mit einer langen und voraussetzungsvollen Denktradition, der geprägt ist durch unterschiedliche Strömungen und einen breiten Gegenstandsbereich, welcher zum Teil sehr unterschiedliche Fragestellungen umfasst. Durch den Ansatz von Czarniawska wurde bereits eine erste Präzisierung des narrativen Ansatzes vorgenommen. Eine weitere Präzisierung des Narrationsbegriffs ist von der Frage abhängig, was man im Zuge einer narrativen Analyse zu finden hofft (vgl. Czarniawska 2004a: 663). Die Vielfalt der möglichen Antworten auf diese Frage spiegelt sich in den unterschiedlichen Facetten und Definitionsmöglichkeiten des Narrationsbegriffs wider, die im Folgenden kurz dargestellt werden.
4.2.
Narration – Facetten eines vielseitigen Begriffs [N]arrative permits ambiguity and enjoys paradoxes. Barbara Czarniawska10
Die Möglichkeiten, Narrationen zu definieren, sind so vielfältig, dass Abbott im Hinblick auf den Narrationsbegriff von einem »vexed issue« spricht: »[A]nd as with many issues in the study of narrative there is no definitive test that can tell us to what degree narrativity is present« (Abbott 2002: 22). Vor allem die Verbreitung des Narrationsbegriffs im Zuge des ›narrative turn‹ trug zu einer Begriffsverwässerung bei (vgl. Hyvärinen 2006b: 5ff.). Nicht nur einzelne Publikationen, sondern gleich ganze Monographien und Sammelbände widmen sich daher der Frage nach einer begrifflichen Präzision des Narrationsbegriffs (vgl. u.a. Abbott 2002; Bal 1997; Herman 2007a). Im Folgenden werden einige Grundüberlegungen, die bei der Definition des Narrationsbegriffs sowie der Ausrichtung narrativer Analysen eine Rolle spielen, aufgegriffen und hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten skizziert.
10
Czarniawska 1995: 15
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Die multiple Identität der Technik
4.2.1.
Das Spektrum möglicher Definitionen
Analysiert man die Definitionen, die sich der begrifflichen Präzisierung von Narrationen widmen, so unterscheiden sich diese zunächst erheblich hinsichtlich ihrer Komplexität. Während einige Definitionen kurz und prägnant das Wesen einer Narration zu fassen suchen, ziehen andere eine Vielzahl von Kriterien zu ihrer Bestimmung heran. Als das »bare minimum« einer Narration definiert beispielsweise Abbott »the representation of an event or a series of events [Hervorheb. im Orig.] (Abbott 2002:13). Auch Todorov bezieht sich auf einen Minimalplot zur Identifikation von Narrationen, denn diese bestehen seiner Meinung nach »in the passage from one equilibrium to another« (Todorov 1977: 111). Demgegenüber stehen Definitionen, die dezidiert beschreiben, wann etwas als Narration beispielsweise im Unterschied zu einer reinen Beschreibung gelten kann. So schlägt Herman vor, that core or prototypical instances of narrative represent or simulate (i) a structured time-course of particularized events which introduces (ii) disruption or disequlibrium into storytellers’ and interpreters’ mental model of the world evoked by the narrative (whether that world is presented as actual, imagined, dreamed etc.), conveying (iii) what it’s like to live through that disruption, that is, the ›qualia‹ (or felt, subjective awareness) of real or imagined consciousness and undergoing the disruptive experience (Hermann 2007a: 9). Während die vorangegangenen Ansätze sich primär struktureller Merkmale zur Bestimmung des Narrationsbegriffs bedienen, rücken bei dieser Definition auch die Erfahrungen des Lesers in Form mentaler Modelle mit in den Fokus der Betrachtung. Darüber hinaus unterscheiden sich die Definitionen auch hinsichtlich ihrer Weite, d.h. hinsichtlich der Frage, welche expressiven Formen als Narration verstanden werden können. Ein besonders weit gefasstes Verständnis von Narration findet sich bei Roland Barthes: Narrative is first and foremost a prodigious variety of genres, themselves distributed amongst different substances – as though any material were fit to receive man’s stories. Able to be carried by articulated language, spoken or written, fixed or moving images, gestures, and the ordered mixture of all these substances; narrative is present in myth, legend, fable, tale, novella, epic, history, tragedy, drama, comedy, mime, painting […] stained glass windows, cinema, comics, new item, conversation. Moreover under this almost infinite diversity of forms, narrative is present in every age, in every place, in every society; it begins with the very history of mankind and there nowhere is nor has been a people without narrative. (Barthes 1977b: 79). Diese Definition ist derart breit angelegt, dass – wie Czarniawska zu recht bemerkt – »practically all human forms of expression are narratives or at least can be treated as such« (Czarniawska 2004a: 649). Demgegenüber steht Czarniawskas eigener Definitionsansatz, der eine wesentlich engere Vorstellung dessen beinhaltet, was unter einer Narration zu verstehen ist: »Usually, however, a narrative is understood as a spoken or
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
written text giving an account of an event or series of events, chronologically connected« (Czarniawska 2004a: 652). Für die Konzeption einer narrativen Identität der Technik liegt es nahe, von einem weit gefassten Narrationsverständnis auszugehen, denn »it allows us to look at the full range of the most interesting and vital aspect of the field: the complex transaction that involves events, their manner of representation (whether it be by narrator, actor, paint or some other means), and the audience« (Abbott 2002:13). Anstatt sich an einer einzelnen Definition zu orientieren, die kaum in der Lage wäre, »a complete and selfsufficient definition of narrative« (Ryan 2007: 24) zu liefern, wird das hier vertretene Narrationsverständnis anhand zentraler Charakteristika präzisiert, die einen pragmatischen Ausgangspunkt für die weitere Analyse darstellen.
4.2.2.
Narration zwischen Repräsentation und Performanz
Eine der grundlegendsten Fragen im Hinblick auf Narrationen betrifft die Überlegung, worüber die Narration eigentlich Auskunft gibt bzw. welche Informationen man bei der Narrationsanalyse zu finden hofft. Hier stehen sich verschiedene Positionen gegenüber. Ein repräsentationales Verständnis von Narration geht davon aus, dass Narrationen die Realität repräsentieren und man nur hinter den Text blicken muss, um zu einer »true story of events« (Czarniawska 2004a: 663) zu gelangen. Bereits Aristoteles begriff Narrationen als mimesis, d.h. als Nachahmung, wenngleich er darin auch einen schöpferischen Aspekt einschloss. Insbesondere Historiker, aber auch Geistes- und Sozialwissenschaftler griffen dieses repräsentationale Verständnis auf und versuchten, anhand von Erzählungen Rückschlüsse auf tatsächlich stattgefundene Ereignisse zu ziehen (vgl. Czarniawska 2004a; Somers 1992; Somers 1994). Bereits in den philosophischen Debatten Ende der 1960er, verstärkt jedoch mit der Etablierung narrativer Ansätze in den 1970er und 1980er Jahren in den Sozialwissenschaften11 , entbrannte eine breite Debatte über die Angemessenheit eines repräsentationalen Verständnisses, die schließlich zu einem »shift from a focus on representational to ontological [Hervorheb. im Orig.] narrativity« (Somers 1994: 613; vgl. auch Bruner 2003: 45) führte und in einem linguistic turn der Kulturwissenschaften mündete. Dieser geht »davon aus, dass kein Zugang zu einer ›authentischen‹ Wirklichkeit möglich ist. Mit Sprache werde keine von ihr unabhängige, darunter liegende Wirklichkeit beschrieben« (Bachmann-Medick 2009: 35).12 11 12
Bruner datiert diesen ›paradigm shift‹ für die Psychologie etwas später auf das Erscheinen des 1981 veröffentlichten Werkes ›On Narravite‹ von Mitchel (vgl. Bruner 2003: 45). Die Zurückweisung eines repräsentationalen Ansatzes bezog sich in der Folge auch auf wissenschaftliche Texte selbst. Neben der ›Writing Culture-Debatte‹ in den Kulturwissenschaften bildete sich auch in anderen Disziplinen die Erkenntnis heraus, dass die für den Umgang mit in Texten und Erzählungen enthaltenen Informationen geforderte Reflexivität sich auch auf die eigenen, wissenschaftlichen Darstellungsformen beziehen müsse: »Diese Rückwendung der Reflexion auf die eigenen Texte bedeutet eine strikte Abkehr vom Empirismus der (Feld-)forschung und ist Kennzeichen einer umfassenderen postmodernen Wende« (Bachmann-Medick 2009: 144). Dieses Umdenken markiert eine weitere Wende, die auch aufgrund der proklamierten Selbstreflexion in den Wissenschaften als literary, narrative oder reflexive turn bezeichnet wird. Auch in der ›Sociology of Scientific Knowledge‹ (SSK) sowie den ›Science and Technology Studies‹ (STS) wurde die Selbstreflexion wissenschaftlicher Darstellungen sowie die Aussagekraft wissenschaftlichen Wis-
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In den Sozialwissenschaften kristallisierte sich im Zuge des sogenannten interpretative turn ein neues Verständnis heraus, das nun die gesamte Welt bzw. Kultur als Text begriff. Bereits bei Ricoeur wurde der Textbegriff auf ›meaningful action‹ ausgeweitet.13 Barthes dehnt nun den Textbegriff auf die gesamte Welt aus, und Geertz, als einer der bedeutendsten Vertreter der interpretativen Kulturanthropologie, spricht in diesem Zusammenhang von Kultur als einem ›öffentlichen Dokument‹ (vgl. Geertz 1987: 16). Die Welt wird verstanden als ein Komplex von Bedeutungen mit unterschiedlichen »symbolischen (Ausdrucks-, Darstellungs- und Objekt-)Formen [zu verstehen], mit dessen Hilfe die Menschen miteinander kommunizieren und ihre Erfahrungen, Überzeugungen und Vorstellungen teilen« (Hörning 1995: 135). Auch Objekte und Handlungen werden nach diesem Verständnis »textanalog, betrachtet und entsprechend gelesen […]« (Bachmann-Medick 2009: 72).14 Dieser von Reckwitz auch als Textualismus (vgl. Reckwitz 2003; 2008) bezeichnete Ansatz wurde insbesondere aufgrund der »Überspitzung der Kulturanalyse als (vermeintlich) bloße Textlektüre« (Bachmann-Medick 2009: 76) kritisiert. Das Verständnis von ›Kultur als Text‹ blende nicht nur »die Herstellungsbedingungen von Texten« aus, sondern auch »Überschüsse des Kulturellen (Sinneswahrnehmungen, Geräusche, Gerüche, Stimmen) sowie die erheblichen materiellen Anteile von Kultur« (Bachmann-Medick 2009: 78). Vor diesem Hintergrund hat sich sowohl in Abgrenzung zu dem von Reckwitz auch als Mentalismus bezeichneten Repräsentationsverständnis sowie zu dem Textualismus in der Theoriediskussion der letzten Jahre eine weitere Wende in Form eines practice turn (vgl. Reckwitz 2003: 282) vollzogen: »Die Praxistheorie begreift die kollektiven Wissensordnungen der Kultur nicht als ein geistiges ›knowing that‹ […], sondern als ein praktisches Wissen, ein Können, ein know how«, (Reckwitz 2003: 288).15 Texte und
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15
sens aufgegriffen, wie u.a. die zwischen Collins und Yearly auf der einen sowie Callon und Latour auf der anderen Seite entbrannte ›Chicken-Debate‹ eindrucksvoll demonstriert (vgl.insbesondere Collins/Yearley 1992 sowie Callon/Latour 1992; für eine vermittelnde Position vgl. Pickering 1993). Dieses Verständnis schließt bei Ricoeur auch Handlungen ein: »Human action, too, is opened to anybody who can read [Hervorheb. im Orig.]« (Riceour 1971: 544). Semiotische Ansätze finden sich auch innerhalb der Science and Technology Studies (STS), so vor allem bei Bruno Latour. Insbesondere in der frühen Phase der von ihm und Michel Callon begründeten Akteur-Netzwerk-Theorie verfolgte Latour das Ziel einer Erweiterung des semiotic turn (vgl. Latour 1996a: 374) und legte seinen Schwerpunkt auf ein semiotisches Verständnis von Technik, im Zuge dessen die »Maschinen mit Texten [verglichen wurden]« (Latour 1996b: 73). Auf der Basis eines semiotischen Vokabulars entwickelte Latour eine eigene Infrasprache, »[which] simply opens, against [Hervorheb. im Orig.] all a priori reductions, the possiblity of describing irreductions« (Latour 1996a : 375; ein Glossar dieser semiotischen Infrasprache findet sich u.a. bei Latour 2000: 372ff.; Akrich/Latour 2006: 399ff). In den späteren Jahren betonen Latour sowie andere Vertreter der Akteur-Netzwerk-Theorie den performativen Charakter dieses Ansatzes (vgl. bspw. Law 2007), was einige Autoren auch als Wechsel von einer textual semiotic zu einer social semiotic bezeichnen (vgl. Deuten/Rip 2000: 75). Soziale Aggregate sind nun nicht länger »Gegenstand einer ostensiven Definition […], sondern nur einer performativen [alle Hervorheb. im Orig.] Definition. Sie werden auf die vielfältigen Arten und Weisen geschaffen, in denen man von ihnen sagt, daß sie existieren« (Latour 2007: 62). Auch wenn Reckwitz seinen Ansatz an einigen Stellen als Paradigmenwechsel (vgl. Reckwitz 1999) bezeichnet, weist Bachmann-Medick darauf hin, dass bei den Entwicklungen der Kulturwissenschaft eher von turn anstatt von Paradigmenwechsel zu sprechen ist. Ein Paradigma nämlich –
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
Praktiken werden im Zuge dieses Ansatze nicht gegeneinander ausgespielt, sondern »als zwei aneinander gekoppelte Aggregatzustände der materialen Existenz von kulturellen Wissensordnungen« (Reckwitz 2008: 202) begriffen. Reckwitz hat überzeugend herausgearbeitet, dass sowohl reine Text- und Diskursanalysen als auch eine isolierte praxistheoretische Betrachtungsweise an ihre Grenzen stoßen: Erstere aufgrund ihrer methodischen Schwierigkeit, Codes angemessen zu rekonstruieren sowie den gesellschaftlichen Status von Texten und Diskursen adäquat zu bestimmen (vgl. Reckwitz 2008: 199). Letztere, da der Forscher (insbesondere im Zuge teilnehmender Beobachtung) »auf einen ›Rückschluss‹ vom Expliziten aufs Implizite, von den Bewegungen auf den ›sozialen Sinn‹ angewiesen« (Reckwitz 2008: 196) ist. Das Problem der Zugänglichkeit stellt sich vor allem bei der Analyse bereits vergangener Praktiken, denn »[d]ie Materialität der Körperbewegungen ist hier bereits verschwunden, die Beobachtung kommt zu spät« (Reckwitz 2008: 196). Einen Ausweg bietet nach Reckwitz hier ein ›praxeologisch-kulturtheoretischer Ansatz‹: Diskurse und Narrationen stellen nach diesem Verständnis eine spezifische Form von Praktiken dar. Zum einen enthalten Narrationen als »Praktiken der Repräsentation [Hervorheb. im Orig.]« (Reckwitz 2008: 203) Hinweise auf Aspekte, die in ihnen repräsentiert werden (knowing that). Zum anderen werden durch sie Sachverhalte erst als sinnhafte Entitäten produziert, das heißt, sie haben einen performativen Charakter (knowing how) (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2000: 201f.; 2004a: 23).16 Für die Konzeption einer narrativen Identität der Technik wird im Folgenden zum einen von einem weit gefassten Narrationsbegriff ausgegangen, der auch Handlungen umfasst. Zum anderen werden in Anlehnung an Reckwitz Narrationen als Praktiken verstanden, die sowohl Aufschluss über in ihnen repräsentierte Inhalte geben als auch diese erst produzieren. Handlungen lassen sich somit ebenso wie andere Erzählungen als narrative Praktiken analysieren. Dieses Verständnis von Narration folgt damit Deuten und Rip sowie Van Lente und Rip, die zum einen Narrationen in einem ›weiteren Sinne‹ verstehen und zum anderen einen besonderen Fokus sowohl auf verbale als auch in Handlung enthaltene Positionierung setzen: »Furthermore, narrative is not limited to the content of the spoken or written word; it refers to emerging plots in positioning and interaction« (Deuten/Rip 2000: 73; vgl. auch Van Lente 1993: 219f.). Der performative Charakter von Narrationen wird an späterer Stelle erneut aufgegriffen und im Hinblick auf die identitätsrelevanten narrativen Praktiken präzisiert (vgl. Kapitel 4.3.1, 4.3.2 sowie 4.5.2). Zuvor jedoch werden zwei weitere Aspekte skizziert, die für ein fundiertes Narrationsverständnis von Bedeutung sind.
16
so Kuhn – »ist das, was den Mitgliedern einer wissenschaftlichen Gemeinschaft, und nur ihnen, gemeinsam ist. Umgekehrt macht der Besitz eines gemeinsamen Paradigmas aus einer Gruppe sonst unverbundener Menschen eine wissenschaftliche Gemeinschaft« (Kuhn 1977: 390). Anders als ein Paradigma, das sich auf eine Scientific Community bezieht, werden die Annahmen der kulturwissenschaftlichen Theoriewende disziplinübergreifend von unterschiedlichen Scientific Communities aufgegriffen (vgl. Bachmann-Medick 2008: 16ff.). Wie an noch gezeigt wird, können Diskurse und Narrationen nicht nur als Repräsentations-, sondern auch als Positionierungspraktiken verstanden werden, mit deren Hilfe narrative Identitäten maßgeblich konstituiert werden (vgl. in dieser Arbeit Kapitel 4.3.2).
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4.2.3.
Emplotment – Ereignisse in Beziehung setzen
Mit der Klärung der Frage, in welchem Verhältnis Narrationen zu der in ihnen dargestellten Welt stehen, ob sie diese lediglich repräsentieren oder aber mitgestalten, ist ein wichtiger Schritt im Hinblick auf eine nähere Bestimmung des Narrationsbegriffs vollzogen. Um Narrationen als solche von nicht narrativen Äußerungen unterscheiden zu können, bedarf es jedoch einer weiteren Präzisierung, welche die Struktur narrativer Äußerungen in Form ihres Plots, verstanden als »schemes used for tying together actions and events through time and space« (Czarniawska 1995: 15), betrifft. Es ist naheliegend, dass eine rein chronologische Aufzählung von Fakten nicht ausreichend ist, um eine Erzählung zu konzipieren (vgl. Czarniawska 2004a: 657). Entscheidend ist stattdessen, in welcher Weise einzelne narrative Elemente miteinander verbunden bzw. zueinander in Beziehung gesetzt werden. The significance of emplotment for narrative understanding is often the most misunderstood aspect of narratitivity. Without attention to emplotment, narrativity can be misperceived as a non-theoretical representation of events. Yet it is emplotment that permits us to distinguish between narrative on the one hand and, and chronicle or annals, on the other. In fact it is emplotment that allows us to construct a significant [Hervorheb. im Orig.] network or configuration of relatiosnhips (Somers 1994: 617). Während eine Storyline, verstanden als Sequenz von Ereignissen, linear sein muss, kann die narrative Darstellung von der Reihenfolge der Ereignisse durchaus abweichen (vgl. Abbott 2002: 31) und dennoch »aus Ereignissen etc. eine bedeutungsvolle Konfiguration [machen]« (Viehhöver 2001: 189). Wie bereits erwähnt, bestand für Aristoteles die typische Sequenzfolge einer Narration aus einem Anfang, einer Mitte sowie einem Ende, während hingegen Todorov im Rahmen seiner Definition eines Plots auch den Wandel, der innerhalb einer Geschichte von einem Ausgangs- hin zu einem Endzustand vollzogen werden muss, betont (vgl. in dieser Arbeit Kapitel 4.2.1). Auch wenn, wie Czarniawska herausstellt, ein Plot in der Regel umfassender ist und »chains of actions and events, oscillating states of affairs, apparent actions, and wrongly interpreted events, as in suspense or mystery [Hervorheb. im Orig.]« (Czarniawska 2004b: 19) enthält, besteht für die meisten Autoren Einigkeit darüber, dass der von Todorov beschriebene Minimalplot ausreichend ist, um eine Narration als solche zu identifizieren. Während diese Ansätze versuchen, Narrationen sowie die ihnen zugrunde liegenden Plots als opus operatum, d.h. »im Hinblick auf ihre Strukturen und Inhalte (deren Differenzen und Veränderungen)« (Viehöver 2006: 181) zu identifizieren und zu beschreiben, richten insbesondere relationale Ansätze ihr Forschungsinteresse zusätzlich auf Narrativisierung als modus operandi, d.h. auf den prozeduralen und damit transformativen Charakter von Narrationen (vgl. Viehöver 2006: 181). Mit dieser Perspektive wird der im vorangegangenen Kapitel herausgearbeitete performative Aspekt von Erzählungen als kommunikative Praxis aufgegriffen: »Narrativisierung umfasst dabei die Arbeit der Kategorisierung und Identifikation, die Positionierung des Erzählers selbst und anderer Personen, Ereignisse und ›Objekte‹ in einem Netz von Beziehungen und in einem Handlungsablauf (Plot)« (Viehöver 2006: 184). Narrationen werden in diesem Sinne als »strukturierte und strukturierende Struktur [verstanden], die im Rahmen von
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
Diskursen wohl Moment der Reproduktion (Integration, Distinktion, Mobilisierung) als auch der Transformation und Kritik sein können« (Viehöver 2006: 181). Somers nennt vier Eigenschaften, die eine in diesem Sinne relational verstandene »reframed narrativity« auszeichnen, nämlich erstens die Beziehung der Teile untereinander, zweitens die kausale Einbindung in einen Handlungsstrang (emplotment), drittens die selektive Aneignung sowie viertens Zeit, Sequenz und Ort (vgl. Somers 1994: 616): »Together, these dimensions suggest narratives are constellations of relationships (connected parts) embedded in time and space, constituted by causal emplotment« (Somers 1994: 616). Insbesondere dem emplotment kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu, denn hier einzelne Ereignisse und Handlungen zu Episoden und Episodensequenzen verbunden und zeitlich und räumlich zueinander in Relation gesetzt, wodurch die Narration ihren spezifischen Charakter erhält: »Plot can thus be seen as the logic or syntax of narrative« (Somers 1994: 617). Durch dieses relational setting erhalten einzelne, zunächst voneinander unabhängige Ereignisse eine Bedeutung, die über eine chronologische Darstellung des Geschehens hinausgeht: Narrativity demands that we discern the meaning of any single event only in temporal and spatial relationship to other events. Indeed, the chief characteristic of narrative is that it renders understanding only by connecting […] parts to a constructed configuration or a social network of relationships […] composed of symbolic, institutional, and material practices (Somers 1994: 616). Ein auf diese Weise verstandenes emplotment steht in engem Zusammenhang zu den im vorangegangenen Kapitel bereits angesprochenen Positionierungs- und Repräsentationspraktiken sowie der praktischen Herstellung von Bedeutungs- und Sinnzusweisungen. Durch die Art und Weise, wie einzelne Elemente in sequentielle Konfigurationen eingebettet und im Verhältnis zu anderen Elementen (sowohl in Handlungen als auch verbal) positioniert und counter-positioniert werden, wird ihnen eine Bedeutungsstruktur zugewiesen und sie werden damit als sinnhafte Entitäten konstituiert (vgl. Bruner 1990: 43).
4.2.4.
Narratives Personal – humans und non-humans in action
Mit dem Verweis auf einen weiten, Handlungen einschließenden, Narrationsbegriff sowie der Umstellung auf ein praxeologisch-relationales Narrationsverständnis, das darüber hinaus die Herstellung einer narrativen Syntax im Zuge des emplotments betont, sind drei wichtige Kennzeichen für den dieser Arbeit zugrunde liegenden Narrationsbegriff herausgearbeitet worden. Ein vierter, für die Präzisierung von Narrationen wichtiger Aspekt betrifft die Frage nach dem narrativen Personal einer Erzählung. Bereits Greimas betonte im Rahmen seines Aktantenmodells die herausragende Bedeutung von Aktanten für die Struktur der Gesamtnarration. Die in Beziehungsnetze eingebundenen Charaktere erfüllen aber nicht nur eine wichtige Funktion für die narrative Syntax einer Erzählung, sondern »[z]udem repräsentieren die jeweiligen Aktanten auch die Wertstruktur der Narration« (Viehöver 2006: 188). Entsprechend wird die Beschäftigung mit dem narrativen Personal einer Erzählung übereinstimmend von den meisten
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Die multiple Identität der Technik
Autoren als »one of the necessary elements of every narrative« (Czarniawska 2004a: 657) angesehen. Es stellt sich die Frage, welche Akteure als narratives Personal für Erzählungen in Frage kommen. Diese Frage wurde lange Zeit eher konservativ beantwortet. So betont beispielsweise MacIntyre, dass nur »[h]uman beings can be held to account for that of which they are the authors; other beings cannot« (MacIntyre 2008: 209; vgl. auch Gülich/Quasthoff 1985: 170ff.). Wie zuvor erwähnt, treten in den letzten Jahren jedoch auch zunehmend nicht-menschliche Akteure als potentielle narrative Aktanten in das Bewusstsein vieler Autoren (vgl. auch in dieser Arbeit Kapitel 2.2.4). Insbesondere in Anlehnung an die Akteur-Netzwerk-Theorie wird eine symmetrische Betrachtung (vgl. exemplarisch Latour 1998; 2001; 2008.) von humans und non-humans in unterschiedlichen Abstufungen auch für die Analyse von Narrationen übernommen (vgl. beispielsweise Czarniawska 2004a; Deuten 2000 sowie Michael 1996). Besonders anschaulich beschreibt Deuten am Beispiel eines Produktentwicklungsprozesses, wie non-humans – in diesem Fall unter anderem das Enzym Gemmase – einen Akteurstatus innehaben und den Gesamtprozess maßgeblich beeinflussen. Non-human actors participate in the narrative in the same way. Gemmase-to-be is part of the cast from the very beginning. Genes of Aspergillus and the possibility of modifying them in particular ways turn out to play a role in acceptability of the process. Properties of the enzyme are translated into functionalities, cost-effective production in the lab and then upscaling – these are part of the standard story of a product development process, and the non-human actors are assumed to accommodate to the roles assigned to them. Again, rather than allies and subsidiary heroes, they may turn out to be untrustworthy, confusing or even act as opponents in a battle that the project team might not win (Deuten/Rip 2000: 88). Einen ähnlichen Einfluss sieht auch Michael. Für ihn sind natural non-humans »technological artefacts that impact upon humans, thereby ordering, albeit contingently, their actions« (Michael 1996: 73). Bezug nehmend auf die bereits dargestellte Klassifizierung Michaels sind in gesprochenen und geschriebenen Texten folgende Möglichkeiten denkbar: 1) humans als Subjekt (I) oder 2) als Objekt (me) sowie 3) non-humans als Subjekt (Thou) oder 4) als Objekt (it). So können sowohl Menschen als auch nichtmenschliche Artefakte oder natürliche Objekte in Texten einerseits als Urheber einer Handlung oder aber als Objekte, denen etwas widerfährt, dargestellt werden (vgl. Michael 1996: 138ff.).17 Narrative Praktiken – beispielsweise in Form von Positionierung – finden jedoch nicht nur auf Textebene, sondern auch auf Ebene des praktischen Umgangs und Handelns mit technischen Artefakten statt, weshalb im Rahmen der hier angestrebten nar17
Ähnlich unterscheidet Schwabe zwischen einer aktiven und einer passiven Handlungsträgerschaft, wobei die aktive Handlungsträgerschaft die Darstellung einer Person als handelndes Subjekt in Erscheinung treten lässt, während sie sich in der passiven Form »durch das Aufrufen nichtagentiver Subjektrollen für den Sprecher« (Schwabe 2006: 213) auszeichnet. Im Unterschied zu Michael bleibt dieser Ansatz jedoch auf menschliche Akteure beschränkt und bezieht sich insbesondere auf die Selbstthematisierung der sprechenden Person, während die Zuschreibungen von Handlungsträgerschaft durch andere Personen nur marginal betrachtet werden.
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
rativen Analyse auch Artefakte als ›Urheber‹ dieser Handlungen berücksichtigt werden. Eine derartige Konzeption ist nicht unproblematisch, denn die Frage, ob auch non-humans ein Akteurstatus oder gar Handlungsträgerschaft zugeschrieben werden kann, wird in der Soziologie kontrovers diskutiert. Diese Arbeit verfolgt nicht das Ziel, diese Debatte aufzugreifen und neu zu führen. Stattdessen soll die Frage nach nicht-menschlicher Handlungsträgerschaft im Folgenden pragmatisch und ausgerichtet auf das Ziel dieser Arbeit beantwortet werden. Wie in Kapitel 4.2.2 gezeigt, spricht viel dafür, dass Handlungsträgerschaft im Allgemeinen sowie im Hinblick auf technische Artefakte im Besonderen zu großen Teilen auf Handlungszuschreibungen beruht. Die Eigenaktivität der Technik zeigt sich in medias res, das heißt, im aktuellen Vollzug, als Ergebnis beobachtbarer Ereignisse sowie Zuschreibungen (vgl. Rammert/Schulz-Schaeffer 2002a: 39ff.). Ob sich auf dieser Basis dann ein allgemeines Verständnis von Handlungsträgerschaft etabliert, wird dadurch bestimmt, inwiefern es »in gesellschaftlich konsertierter, institutionalisierter und im Alltagswissen sedimentierter Form« (Rammert/SchulzSchaeffer 2002a: 57) vorliegt. Mit anderen Worten: Je weiter verbreitet das Verständnis von Handlungsträgerschaft in Bezug auf eine bestimmte Technik ist, desto weniger wird es als ein Produkt von Zuschreibung, sondern als beobachtbare Eigenschaft dieser Technik wahrgenommen. Fasst man die bisherigen Überlegungen zusammen, so lässt sich festhalten, dass non-humans als narratives Personal durchaus im Rahmen der hier angestrebten narrativen Analyse in Frage kommen: Auf der Ebene gesprochener und geschriebener Narrationen, indem ihnen ein Subjektstatus (Thou) oder aber ein Objektstatus (it) zugeschrieben wird, sowie auf der Ebene des praktischen Umgangs mit ihnen, indem ihnen die Urheberschaft für unterschiedliche Aktivitäten zugesprochen wird. Mit diesem Verständnis ist weder eine semiotische Symmetrisierung im Sinne Latours noch eine generelle Gleichsetzung menschlicher Akteure und technischer Artefakte hinsichtlich ihres Akteurstatus sowie ihrer Handlungsträgerschaft verbunden. Stattdessen geht es Rammert folgend lediglich um ein »analytisches Vokabular, mit dem sich die beobachteten Aktivitäten symmetrisch beschreiben und nach Niveau und Grad ordnen lassen, ohne metaphysische Annahmen darüber machen zu müssen, was Menschen können und Maschinen nicht können« (Rammert 2008: 357). Die vorangegangenen Ausführungen zeigen, dass es sich bei dem Narrationsbegriff um einen überaus heterogenen Begriff handelt, so dass eine theoretisch strenge Bestimmung von Narration nicht möglich und auch nicht erstrebenswert ist, denn wie Czarniawska betont: »Rather than striving for a rigorous narrative analysis or for purity of a genre, reading and writing of narratives will remain a creative activity, based on bisociations and hybridizing« (Czarniawska 2004a: 664). Aus diesem Grund wurde der Fokus auf zentrale Aspekte von Narrationen gelegt und herausgearbeitet, wie sich diese für das Konzept einer narrativen Identität der Technik gewinnbringend nutzen lassen. Im Folgenden wird das Konzept einer narrativen Identität der Technik in Auseinandersetzung mit narrativen Ansätzen aus der Identitäts- sowie der Technik- und Innovationsforschung präzisiert, um so die Grundlagen für eine empirische Analyse technischer Identitäten zu ermöglichen.
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4.3.
Narrationen in der Identitätsforschung – die Narrative Identität
Narrative Ansätze haben in den letzten Jahren im Zuge des narrative turn in den Sozialwissenschaften eine verstärkte Bedeutung erfahren. Dies gilt insbesondere auch für die Identitätsforschung, welche die Gedanken Ricoeurs aufgreifend Identität als das Ergebnis von Erzählungen konzipiert (vgl. Ricoeur 1991a; 2005c). Mittlerweile ist die Idee einer narrativen Identität in zahlreichen Ansätzen sowohl theoretisch als auch methodisch aufgenommen und weiter ausgearbeitet worden (vgl. bspw. Gergen/Gergen 1988; 2001; Kraus 1996; Lucius-Hoene/Deppermann 2000; 2004a+b; Meuter 1993; Somers 1992; 1994; Somers/Gibson 1993). Im Folgenden werden zunächst die zentralen Annahmen narrativer Ansätze in der Identitätsforschung kurz skizziert und sodann das für die Zielsetzung dieser Arbeit besonders relevante Konzept der Positionierung herausgearbeitet. Angesichts der Tatsache, dass sich der Ansatz einer narrativen Identität nicht nur aus der hermeneutischen Tradition Paul Ricoeurs speist, sondern zudem insbesondere auf Fritz Schützes Überlegungen zum Einsatz narrativer Interviews in der Biographie- und Identitätsforschung stützt, werden die Ausführungen durch einen Exkurs über die dem narrativen Interview zugrunde liegenden theoretischen Annahmen ergänzt.
4.3.1.
Doing identity – die praktische Herstellung von Identität in Narrationen
Doing identity – narrativ und relational Während in der sozialwissenschaftlichen Forschung ›Identität‹ lange Zeit als stabile Entität betrachtet und der Identitätsbegriff selbst normativ als soziale Kategorie verwendet wurde (vgl. Gergen/Gergen 2001: 161; Lucius-Hoene/Deppermann 2000: 201f.; Somers 1994: 620ff.), hat sich das Verständnis von Identität in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend gewandelt. Es rücken Betrachtungsweisen, welche Identität als sozialen, ständig in Veränderung begriffenen Prozess betrachten, in den Fokus der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung. Es stellt sich allerdings die Frage, wie sich dieser Prozess der Identitätskonstitution praktisch vollzieht und vor allem, auf welche Weise er empirisch erschlossen werden kann. Einen möglichen Zugang zur Beantwortung dieser Fragen bieten Ansätze an, die Identität »als ständig in Veränderung und in Arbeit begriffene sprachlich-symbolische Struktur begreifen, mit der wir uns in unseren verschiedenen Lebensbereichen selbst zu verstehen und zu verständigen suchen, um handlungs- und orientierungsfähig zu sein« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 51). Dahinter steckt die Grundannahme, dass Sprache im Allgemeinen sowie Erzählungen im Besonderen als Medien fungieren, mit deren Hilfe Kohärenz und Kontinuität in der Identitätsbildung erreicht werden (vgl. Kraus 1996: 159). Interessant ist, dass in diesem Zusammenhang zum einen auch kurze Interaktionssequenzen, die im ›klassischen‹ Sinne nicht als Narration, sondern eben als Interaktion verstanden werden, und zum anderen auch Fremdnarrationen eine Rolle spielen, nämlich dann, wenn sie entweder identitätskonstituierende Positionierungen enthalten oder aber in Form von Gegenpositionierungen die erzählte Identität evaluieren, d.h. entweder bestätigen oder ablehnen (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 23f., 61ff.; Kraus 1996: 164ff.). Entscheidend ist, dass Narrationen in dem hier verstan-
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denen Sinne einen Doppelbezug aufweisen, denn zu den zuvor beschriebenen »grundlegenden Bestimmungsstücken der Erzählung – die zeitliche Wandlung, der Plot, die Personen und das Setting, also ihrem Was – tritt das Wie ihrer Darstellung, die rhetorische Gestaltung« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004: 23). Im Mittelpunkt der Untersuchungen zur narrativen Identität steht folglich nicht allein die Frage nach der Repräsentation der Inhalte, also was passiert ist und welche Identitätskonstruktionen sich unter welchen Umständen ausbilden, sondern – in enger Anlehnung an vorangegangene praxistheoretische Überlegungen, welche die Performanz von Handlungen betonen – vor allem, wie, d.h. mit Hilfe welcher rhetorischer Mittel, diese in der sozialen Praxis des Erzählens hergestellt und wozu sie in der konkreten Situation gerade so dargestellt werden. Mit dieser Perspektive eröffnet sich zugleich ein empirischer Zugang sowohl zum ›Inhalt‹ von Identität im Sinne einer symbolischen Struktur als auch zu ihrer Herstellung, denn »[d]er Erzähltext kann somit als Protokoll einer Identitätsdarstellung wie einer Identitätsherstellung verstanden werden [alle Hervorheb. im Orig.]« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 56; vgl. auch Lucius-Hoene/Deppermann 2004b: 168). Die Auffassung, dass Erzählungen als Kommunikationsprozesse verstanden werden, durch welche die Identität nicht nur dargestellt, sondern selbst auch narrativ mit der Umwelt ausgehandelt und hergestellt wird (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 23), impliziert, dass es sich bei der im Erzählvorgang konstituierten Identität immer um Konstruktionen handelt, denn selten sind die Erzählzeit sowie die erzählte Zeit samt ihrer jeweiligen Inhalte deckungsgleich. (Auto-)biographisches Erzählen ist vielmehr ein vielschichtiger Vorgang, der sich erstens aus dem Erleben von Ereignissen, zweitens dem Erinnern dieser Ereignisse und drittens der Darstellung dieser Ereignisse in einer spezifischen Situation konstituiert: Aufgrund dieser doppelten Zeitperspektive hat der Erzähler also idealtypisch zwei Darstellungsmodi zur Verfügung: die Perspektive der erzählten Zeit (der Zeit, in der die Geschichte sich abspielt) mit ihrem damaligen Orientierungszentrum und die Perspektive der Erzählzeit (die Zeit, in der erzählt wird, Hier und Jetzt des Erzählens) als aktuellem Orientierungszentrum (Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 25). Im Unterschied zu Aristoteles’ mimesis-Begriff, der zwar schöpferische Aspekte enthält, jedoch einen starken Fokus auf den Nachahmungscharakter von Erzählungen legt, tritt mit der Fokussierung auf die Herstellung von Narrationen und das dadurch implizierte Auseinanderfallen von Erzählzeit sowie erzählter Zeit im Zuge narrativer Ansätze in der Identitätsforschung der konstruktive Charakter von Erzählungen besonders deutlich hervor. Zugleich entfaltet sich auch die Problematik der retrospektiven Validität identitätsbezogener Narrationen. Hierunter verstanden wird die Tatsache, dass Identitätsund Biographieforschung auf individuelle (Selbst-)auskünfte angewiesen sind, die – so die Kritiker – subjektiv seien und dementsprechend keinen angemessenen Zugang zur ›Realität‹ liefern können.18 So stellt sich die Frage, über was die Forschung denn
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Osterland spricht beispielsweise von einer »Mythologisierung des Lebenslaufs« (Osterland 1983) und verweist darauf, dass sich die Lebensgeschichte der eigenen Person »solipsistisch unablässig um die eigene Person und was ihr widerfahren ist« (Osterland 1983: 287) kreist, während gesellschaftliche Ereignisse weitgehend ausgeblendet blieben. Bekräftigt wird dieser Kritikpunkt durch
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eigentlich Auskunft gibt – tatsächlich über die Deutung und das Erleben über den vergangenen, interessierenden Zeitraum oder vielleicht doch nur über den gegenwärtigen Zeitpunkt der Erhebungssituation. Fasst man diese Punkte zusammen, so ergeben sich insgesamt drei Problemlagen: a) das Problem der Validität der Retrospektion, b) das Problem der Subjektivität sowie c) das Problem des Untersuchungsgegenstandes. Die Graphik in Abbildung 3 veranschaulicht die der Biographieforschung zugrunde liegende Problematik:
Abbildung 3: Biographische Untersuchungsgegenstände und Zeithorizont
Die Darstellung verdeutlicht, dass erstens zwischen dem tatsächlichen Geschehen und dem Erleben dieses Geschehens unterschieden werden muss (Untersuchungsgegenstand). Darüber hinaus sind zweitens die unterschiedlichen Zeithorizonte – d.h. einerseits der Zeitpunkt des Geschehens bzw. Erlebens und andererseits der Zeitpunkt der Erzählung – zu beachten. Angesichts der Tatsache, dass nur selten teilnehmende Studien durchgeführt, sondern stattdessen retrospektive Erhebungen vorgenommen werden, ist davon auszugehen, dass die Erzählungen subjektive Züge tragen (Problem der Subjektivität) und das tatsächliche Geschehen bzw. Erleben nicht unmittelbar aus der Erzählung geschlossen werden kann (Problem der Validität der Retrospektion).
Bourdieu, der die Ansätze der gegenwärtigen Biographieforschung als »biographische Illusion« (Bourdieu 2000: 51ff.) bezeichnet und bemängelt, »[d]en Versuch zu unternehmen, ein Leben als eine einzigartige und für sich selbst ausreichende Abfolge aufeinander folgender Ereignisse zu begreifen, ohne andere Bindung als die an ein Subjekt, […], ist beinahe genauso absurd wie zu versuchen, eine Metro-Strecke zu erklären, ohne das Streckennetz in Rechnung zu stellen, also die Matrix der objektiven Beziehungen zwischen den verschiedenen Stationen« (Bourdieu 2000: 58).
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Auch wenn es Ansätzen der narrativen Identität nicht primär um die Validität der retrospektiv dargestellten Inhalte, sondern eben auch um »die Funktion der biografischen Selbstdarstellung im Dienste der aktuellen Identitätsherstellung und der Selbstvergewisserung, des Selbstwerterhalts und der Bewältigung des Erlebten [Hervorheb. getilgt, K.L.]« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 10f.) geht, ist die Frage nach der retrospektiven Validität von Narrationen keineswegs bedeutungslos, sondern wurde insbesondere im Zuge der theoretischen Implikationen narrativer Interviews intensiv diskutiert. Analog zu Schatzman und Strauss unterscheidet Schütze hinsichtlich der Analyse von Erzählungen folgende Ebenen: 1. die formale Ebene der Darbietung, d.h. die Art und Weise, in welcher der Erzähler seine Geschichte darstellt, 2. die Ebene des inhaltlichen Bildes, d.h. was der Erzähler sagt, 3. die Struktur des faktischen Handelns, d.h. der faktische Ereignisablauf, vor dessen Hintergrund die Geschichte des Erzählers spielt sowie 4. die Ebene des kommunikativen Austausches über das dargestellte Bild des Ereignisablaufes, d.h. die Interaktionssituation, in der die Geschichte erzählt wird (vgl. Schütze 1976: 178ff).
Schütze geht davon aus, dass zwischen den einzelnen Ebenen Wechselbeziehungen bestehen und zwar dergestalt, dass 1. die formale Ebene (1) der inhaltlichen (2) entspricht, 2. die ›retrospektiv-narrative Erfahrungsaufbereitung‹ (Ebene 1 und Ebene 2) mit der Ebene des kommunikativen Austausches (4) korrespondiert und 3. darüber hinaus eine Entsprechung zwischen der ›retrospektiv-narrativen Erfahrungsaufbereitung‹ (Ebenen 1+2) und den außerhalb der Erzählsituation ablaufenden faktischen Ereignissen (Ebene 3) besteht (vgl. Schütze 1976: 189ff.).
Durch die Annahme einer Entsprechung zwischen der retrospektiv-narrativen Darstellung mit den tatsächlichen Erfahrungen des Biographieträgers auf der einen sowie mit der faktischen Ereigniskette auf der anderen Seite wird die problematische Differenz zwischen den Ereignissen, dem Erleben dieser Ereignisse sowie den Erzählungen forschungslogisch und methodisch im Rahmen der narrativen Verfahren aufgefangen, indem erstens die faktischen Ereignisse, zweitens die formale Darstellung der Erzählung und drittens die darin zum Ausdruck kommenden Erfahrungen und Erlebnisse rekonstruiert und wechselseitig aufeinander bezogen werden, so dass in einer Erzählung »sowohl der reflexive als auch der strukturelle Aspekt des Lebens zum Ausdruck [kommt]« (Brüsemeister 2008: 300). Die vorangegangenen Ausführungen machen deutlich, dass Ansätze der narrativen Identität sich eindeutig von einem normativ-kategorischen Verständnis von Identität im Sinne einer starren Entität abwenden und stattdessen den situativen und relationalen Charakter von Identität betonen. Identitäten können demnach nicht losgelöst von den ihr zugrunde liegenden und sie konstituierenden [narrativen] Praktiken betrachtet werden, sondern the »notion of social being and social identity is, willy-nilly, incorpo-
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rated into each and every knowledge-statement about action, agency, and behaviour« (Somers 1994: 615). Sie stehen in einem »context of relational and cultural matrices« (Somers 1994: 622) und konstituieren sich im Verhältnis bzw. in Abgrenzung zu anderen Identitäten.19 Um Identitäten empirisch fassen zu können, müssen die konkreten Situationen ihrer Manifestierung aufgesucht und »die Art und Weise, wie ein Mensch in konkreten Interaktionen Identitätsarbeit als narrative Darstellung und Herstellung von jeweils situativ relevanten Aspekten seiner Identität leistet« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004: 75), untersucht werden. Mit dieser Form des doing identity in der narrativen Arbeit stehen die dargestellten Ansätze zum einen in engem Verhältnis zu den bereits angesprochenen narrativen Praktiken (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 55f.) und zum anderen zu Ansätzen, die mit Begriffen wie ›Narrativisierung‹ sowie emplotment den relationalen Charakter von Narrationen betonen (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 22f.).
Drei Dimensionen narrativer Identität Für eine systematische Analyse zeigen Lucius-Hoene und Deppermann drei Dimensionen auf, anhand derer sich narrative Identitäten beschreiben und empirisch untersuchen lassen, nämlich erstens eine temporale, zweitens eine soziale sowie drittens eine selbstbezügliche Dimension. Diese Dimensionen werden im Folgenden anhand ihrer zentralen Aspekte kurz beschrieben, wobei der Fokus insbesondere auf die für diese Arbeit relevante zeitliche und soziale Dimension gelegt wird. Ähnlich wie zuvor Somers, betonen auch Lucius-Hoene und Deppermann die besondere Bedeutung der temporalen Ebene für die Analyse von Erzählungen. Auf dieser Ebene stellt sich die Frage, welche lebensgeschichtlichen Veränderungen das Erleben beeinflussen und auf welche Weise strukturelle Aspekte wie Kontinuität (d.h. Einheit einer Person über die Zeit hinweg) sowie Kohärenz (d.h. innere Stimmigkeit der Identität) narrativ konstituiert werden. Es wird davon ausgegangen, dass es sich hierbei um Prozesse handelt, die durch Sprache und Handeln vermittelt werden. In diesem Zusammenhang kommt dem emplotment, also der »Überführung einer Ereignisabfolge in die Handlung einer Geschichte« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 22) eine entscheidende Rolle zu. Indem einzelne Ereignisse zeitlich und räumlich zueinander in
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An dieser Stelle zeigt sich die enge Beziehung narrativer Identitätsansätze zur Netzwerkanalyse nach Harrison White (White 1992; 2008), auf die sich insbesondere amerikanische Vertreter narrativer Identitätskonzepte wie beispielsweise Somers (vgl. Somers 1994: 621) berufen. Identitäten konstituieren sich nach White vor allem durch die Beziehungen, die sie zu anderen Identitäten in sogenannten netdoms (einem Kunstwort, das sich aus ›network relations‹ und ›domain of topics‹ zusammensetzt, vgl. White 2008: 7) unterhalten. Entscheidend für Konstitution und Erhalt von Identitäten ist ihr Streben nach Kontrolle: »Identities trigger out of events – that is to say, out of switches in surroundings – seeking control over uncertainty and thus over fellow identities« (White 2008: 2). Das in dieser Arbeit angestrebte Konzept einer narrativen Identiät der Technik geht ebenfalls von einer relationalen Beziehung zwischen unterschiedlichen Identitäten aus, greift zur Erklärung und Analyse dieses Konstitutionsprozesses jedoch nicht primär auf das Streben nach Kontrolle, sondern auf Mechanismen der wechselseitigen Positionierung, wie sie bei van Langenhove/Bertolink (1999) sowie van Langenhove/Harré (1999) beschrieben sind, zurück.
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Beziehung gesetzt werden, entsteht nicht nur die spezifische Bedeutungsstruktur einer Narration (vgl. Somers 1994: 616f.), sondern das emplotment hat zugleich eine Kohärenz stiftende Funktion für die narrative Identität (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 22). Kohärenz ist somit »zum einen Produkt eines Diskursgeschehens und sie ist zum anderen eine Strukturierungsleistung, die das Selbst im alltäglichen Handeln erbringt und erfährt« (Kraus 1996: 167). Gleichzeitig wird in Narrationen nicht nur die innere Stimmigkeit der eigenen Identität hergestellt, sondern indem »[d]ie Veränderungen, die der Erzähler im Fluss der Zeit an sich und um sich herum erfährt, […] in der erzählten Geschichte kausal oder final [Hervorheb. im Orig.] aufeinander bezogen werden […]« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004: 57), wird auch die Kontinuität der Identität über die Zeit konstituiert. Entscheidend ist, dass diese Identität in diesem Sinne nie abgeschlossen ist, sondern immer wieder situativ neu hergestellt werden muss und sich in den sozialen Aushandlungsprozessen, in die sie eingebettet ist, verändert. Identität wird somit zu einer »Metapher für ein Prozessgeschehen« (Kraus 1996: 163), das als Identitätsarbeit bezeichnet werden kann. Identitäten in diesem Sinne sind immer nur »(Zwischen-)Ergebnisse in einer Lebensgeschichte« (Kraus 1996: 165), die ständigen Veränderungen unterworfen sind. Es wäre allerdings falsch, Identitäten als willkürliches Ergebnis narrativer Praktiken zu begreifen. Stattdessen lassen sich Identitätsprojekte identifizieren, die auf Zukunftsvorstellungen und -erwartungen basieren und auf einer mittleren Reichweite die Spielräume der Identitätsentwicklung abstecken, die Identitätsarbeit strukturieren und somit von dem Verdacht der reinen Willkür befreien (vgl. Kraus 1996: 165). Entscheidend ist, dass Sprache auch hier als Medium der Identitätsarbeit fungiert (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 49) und die Formulierung sowie die Aushandlung von Identitätsprojekten mit der Umwelt sich primär in Narrationen vollzieht (vgl. Kraus 1996: 168). Durch die narrative Formulierung von Ereignissen werden diese sozial sichtbar und dienen als Erwartungshorizont für zukünftiges Handeln (vgl. Gergen/Gergen 1988: 18), wodurch »Anschlussmöglichkeiten für [dessen] narrative Gestaltung und Ausschreibung« (Meuter 1995: 144) produziert werden. Auf diese Weise werden Narrationen zu einem »vehicle through which the reality of life is generated. In a significant sense, then, we live by stories – both in the telling and the doing of self« (Gergen/Gergen 1988: 18). In der Regel bildet sich nicht nur eine identitätskonstituierende Erzählung heraus, sondern stattdessen existieren »vielfältige[…] Formen von Identitätskonstruktionen […] in den unterschiedlichen Domänen der Lebenswelt« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 49), die als Teilidentitäten in verschiedenen Identitätsprojekten entworfen werden. Aufgrund der mit der Individualisierung einhergehenden Auflösung tradierter ›soziokulturellen Schnittmuster‹ können sich diese Narrationen in der reflexiven Moderne immer weniger auf ›Metaerzählungen‹ berufen, sondern müssen individuell geschaffen werden (vgl. Keupp et al. 2002: 251), wodurch die Kohärenzlast für das einzelne Individuum enorm ansteigt (vgl. Kraus 1996: 168). Neben diesen Teilidentitäten kristallisieren sich aber auch biographische Kernnarrationen heraus, in denen die unterschiedlichen Teil-Konstruktionen zu einer Art Kernidentität verdichtet werden. Entscheidend ist, dass es sich auch bei Kernnarrationen nicht um »die unverrückbaren Ereignisse von Identitätsarbeit« (Keupp et al. 2002: 234) handelt, sondern auch sie sich über die Zeit verändern, immer wieder neu im Zuge der Identitätsarbeit konstituiert werden müssen und dabei auch mit an-
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deren biographischen Kernnarrationen in Konkurrenz stehen können. Angesichts dieser Identitätsarbeit vor dem Hintergrund unterschiedlicher Zeithorizonte lässt sich mit Carspecken auch von einem ›Being, Doing, Becoming Identity‹ (vgl. Carspecken 1995) sprechen. Auch wenn im Zuge der Individualisierung der Druck zur (narrativen) Selbstgestaltung auf den Einzelnen wächst, bedeutet dies keineswegs, dass die in den unterschiedlichen Identitätsprojekten und social settings generierten Kern- und Teilnarrationen unabhängig von sozialen Faktoren erfolgen. Zwar kann immer weniger auf eindeutige, tradierte soziale und kulturelle biographische Vorlagen zurückgegriffen werden, jedoch ist die narrative Identitätsarbeit »[…] keine Eigenschöpfung des Individuums, sondern im sozialen Kontext verankert und von ihm beeinflußt, so daß ihre Genese und ihre Veränderung in einem komplexen Prozeß der Konstruktion sozialer Wirklichkeit stattfinden (Keupp et al. 2002: 208). Auf der sozialen Ebene narrativer Identität geraten somit Fragen in den Blick, wie diese Identitätskonstruktionen in soziale Kontexte eingebunden werden und somit sowohl die Genese als auch der Verlauf narrativer Identitäten als Resultat gesellschaftlicher Prozesse begriffen werden können. Als Ergebnis sozialer Aushandlungsprozesse über Bedeutungen zwischen dem Einzelnen und seiner Umwelt bedürfen narrative Identitätskonstruktionen zudem der sozialen Bewertung und Anerkennung durch andere, damit sie aufrechterhalten werden und sozial wirksam werden können (vgl. Kraus 1996: 163ff.). Dabei hängt die soziale Akzeptanz narrativer Konstruktionen »wesentlich von der Fähigkeit des Individuums ab, über die gegenseitige Bedeutung von Ereignissen mit anderen erfolgreich zu verhandeln« (Kraus 1996: 180) und setzt zudem voraus, dass die Narrationen allgemein akzeptierten Regeln folgen und Kriterien für »well-formed narratives« (Gergen/Gergen 1988: 20) beinhalten. Aufgrund der Einbettung in soziale Kontexte und bestehende narrative Strukturen wie beispielsweise Diskurskoalitionen (Viehöver 2006: 187ff.), narrative Infrastrukturen (Deuten/Rip 2000) oder narrative Felder (Haraway 1995) stehen eine Reihe von narrativen »›Ready-Made‹Verständlichkeiten oder Identitätshülsen« (Keupp et al. 2002: 104) zur Verfügung, auf deren Basis narrative Identitätskonstruktionen erfolgen. Dementsprechend sind Identitätsprojekte und -konstruktionen »nicht die Kopfgeburten von einzelnen, sondern sie gründen im sozialen Austausch und verwenden Erzählformen und Erzählinhalte über individuelle Zukunft, die sozial vermittelt sind« (Kraus 1996: 170). Die soziale Dimension der Identität umfasst neben der Einbettung narrativer Identitätskonstruktionen in soziale und kulturelle Kontexte in Anlehnung an ein interaktionistisches Identitätsverständnis auch die Aushandlungsprozesse, in denen Identität diskursiv mit Hilfe von Positionierungspraktiken hergestellt und aufrechterhalten wird. Da diese Praktiken sowohl für die Zuweisung narrativer Identität im Allgemeinen als auch im Zuge dieser Arbeit für die Herstellung technischer Identitäten im Besonderen eine zentrale Rolle spielen, werden sie in einem eigenen Kapitel gesondert behandelt (vgl. in dieser Arbeit Kapitel 4.3.2). Die selbstbezügliche Ebene als dritte Dimension narrativer Identität schließlich verweist auf Selbstaussagen in den Narrationen, die u.a. der Selbstvergewisserung und Selbstreflexion dienen, sowie auf verschiedene Ebenen der Identitätsherstellung wie beispielsweise der dargestellten im Gegensatz zur hergestellten Identität (vgl. Lucius-
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
Hoene/Deppermann 2004a: 56ff.), die im Zuge der Frage nach der ›retrospektiven Validität‹ in diesem Kapitel bereits angesprochen wurde.
Identität als empirisch zugängliches Phänomen Narrative Identität lässt sich vor dem Hintergrund der vorangegangenen Überlegungen im Sinn einer symbolischen Struktur verstehen, die »bestimmbar [ist] als die Art und Weise, wie ein Mensch in konkreten Interaktionen Identitätsarbeit als narrative Darstellung und Herstellung von jeweils situativ relevanten Aspekten seiner Identität leistet« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004: 75). Indem sprachlich-kommunikative Leistungen hinsichtlich der genannten Dimensionen analysiert werden, wird Identität für die Forschung zu einem empirisch zugänglichen Phänomen, das »die diachrone, auf einen Plot hin orientierte Perspektive des Erzählens mit den alltäglichen oder institutionellen sprachlichen Praktiken der Identitätsherstellung und -darstellung« (LuciusHoene/Deppermann 2004b: 167) vereint. Dabei spielen insbesondere autobiographische Narrationen eine Rolle, die als Medium der Selbstpräsentation betrachtet [werden], indem sie zum einen als chronologische Leitlinie [dienen], zum anderen durch ihren Zeit-, Handlungs- und Ereignisbezug ein »narratives Reflexionsmilieu« [schaffen]: die eigene Person kann so in ihren geschichtlich entfalteten Handlungs-, Ereignis- und Erlebensbezügen dargestellt werden (Lucius-Hoene/Deppermann 2004: 10). Fokussiert werden bei der Analyse insbesondere die Mechanismen der Herstellung von Identität sowie die Funktionen, die mit Hilfe von Narrationen geleistet werden. Biographische Erzählungen erfüllen demnach keinen Selbstzweck, sondern bilden die Grundlage für die Analyse von Identität, indem sie das entsprechende Datenmaterial bereitstellen (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 10). Da Ansätze narrativer Identität in enger Tradition zu linguistischen Ansätzen stehen, weisen sie ein breites Spektrum an Untersuchungsmöglichkeiten auf, die von strukturellen Aspekten der Gesamterzählung wie Thema, Zeit, und Gliederung über die Analyse von Textsorten bis hin zu interaktiven Praktiken auf der Mikroebene wie beispielsweise unterschiedlichen Formen der Positionierung reichen. Da letztere für die narrative Konstitution sowohl menschlicher als auch technischer Identitäten von besonderer Bedeutung sind, werden sie im Folgenden gesondert behandelt.
4.3.2.
Identitätszuweisung durch Positionierung
Sowohl das in dieser Arbeit vertretene performative Verständnis von Narration als auch der Ansatz eines narrativen doing identity verweisen auf die konstitutive Bedeutung narrativer sowie diskursiver Praktiken und hier vor allem auf soziale Positionierungen, die im Zuge der Positioning Theory herausgearbeitet wurden und für die Herstellung von Identität in besonderem Maße relevant sind (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 61). Die Positioning Theory wurde ursprünglich als dynamische Alternative zum Rollenkonzept entwickelt, welches nach Meinung der Autoren zu statisch war, um Aspekte der Identität angemessen erfassen zu können (vgl. Van Langenhove/Harré 1999a: 14). Sie steht in engem Zusammenhang mit narrativen bzw. diskursanalytischen Ansätzen und
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betrachtet Psychologie im Allgemeinen sowie Identität im Besonderen als Ergebnis diskursiver Praktiken (Van Langenhove/Harré 1999a: 15), wobei der Diskurs-Begriff im Sinne eines institutionalisierten Gebrauchs der Sprache bzw. des Sprachsystems verwendet wird, während ›diskursive Praktiken »all the ways in which people actively produce social and psychological realities« (Davies/Harré 1990: 45) bezeichnen. Mit der Fokussierung auf Konversationen (vgl. Davies/Harré 1990: 48) geht die Positioning Theory über ein enges Verständnis von Narrationen hinaus und bezieht wie zuvor die Ansätze narrativer Identität auch kurze Interaktionssequenzen ein, wenn diese eine über die aktuelle Situation hinausreichende, identitätskonstituierende Bedeutung haben. Ihren Ausgang nehmen die Überlegungen der Positioning Theory in der Annahme, dass »everything in the human world is, in some measure, indeterminate« (Van Langenhove/Harré 1999a: 16) – ein Aspekt, dem auch die Identitätsforschung u.a. durch die Betonung situationsabhängiger Teilidentitäten an Stelle eines starren, kategorialen Identitätsverständnisses Rechnung trägt. Um dennoch als sozial bestimmbare Person an Interaktionen teilnehmen zu können, müssen die Interaktionsteilnehmer Positionen einnehmen, mit denen sie zum Ausdruck bringen, welchen Standpunkt sie einnehmen, wie sie sich selber sehen sowie von anderen gerne gesehen werden möchten (Selbstpositionierung). Zugleich positionieren sie mit jeder sprachlichen (sowie auch nicht-sprachlichen20 ) Handlung nicht nur sich selbst, sondern auch die anderen Interaktionsteilnehmer und drücken somit aus, wie sie diese wahrnehmen und welchen (sozialen) Status sie ihnen zuschreiben (Fremdpositionierung) (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004: 62). Positionierung kann demnach verstanden als »discursive construction of personal stories that make a person’s actions intelligible and relatively determinate as social acts and within the members of the conversation have specific locations« (Van Langenhove/Harré 1999a: 16). Indem man sich in einem Diskurs selber positioniert und in Relation zu anderen Gesprächsteilnehmern und ihren Positionen setzt, wird man für andere sozial sichtbar und erscheint als eine mit sich identische Person: In speaking and acting from a position people are bringing to the particular situation their history as a subjective being, that is the history of one who has been in multiple positions and engaged in different forms of discourse (Davies/Harré 1990: 48). Entscheidend ist, dass es hierbei um einen wechselseitigen Prozess des mutual positioning (vgl. Van Langenhove/Harré 1999a: 17) handelt. Die im Zuge der Positionierung angetragenen bzw. bereits etablierten Identitätsansprüche können entweder von den anderen Interaktionsteilnehmern geteilt oder aber auch zurückgewiesen und counterpositioniert werden. Zugleich reagieren die Interaktionsteilnehmer nicht nur auf Identitätsansprüche anderer, sondern positionieren mit jeder Äußerung erneut auch sich selbst und setzen sich in Relation zu den anderen Teilnehmern, so dass in jeder Äußerung gleichsam Selbst- und Fremdpositionierungen enthalten sind. In diesem Sinne
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Nonverbale Positionierungspraktiken sind ursprünglich nicht Teil des Konzepts einer narrativen Identität, wie es in Anlehnung an die hier aufgeführten Autoren vertreten wird. Da jedoch auch nonverbalen Handlungen eine identitätszuweisende Funktion innewohnt, wird das das hier vorgestellte Konzept um den Aspekt nonverbaler Positionierung erweitert.
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zeigt sich Positionierung als »conversational phenomenon« (Davies/Harré 1990: 45), das zur Herausbildung von Identität im Diskurs beiträgt. Die auf diese Weise ausgehandelten Identitäten sind keineswegs starr. Stattdessen können die eingenommenen Positionen jederzeit wechseln und gegen andere Positionen eingetauscht werden. Es entstehen temporäre, d.h. »für diesen Stand der Interaktion gültige Identitäten« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004b: 172). Auch wenn diese Form der Identitätsbildung niemals gänzlich abgeschlossen ist, sondern in diskursiven Praktiken immer wieder situativ abhängig neu konstituiert werden muss (vgl. Davies/Harré 1990: 46), handelt es sich bei diesem ›fluid positioning‹ (vgl. Van Langenhove/Harré 1999a: 17) von Interaktionsteilnehmern keineswegs »um absichtliche und strategisch motivierte Manöver oder um den pathologischen Befund gravierender Inkohärenzen ihrer Selbstsicht« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004b: 181). Stattdessen verweisen situationsabhängige sowie wechselnde Positionierungsaktivitäten auf die bereits angesprochenen verschiedenen Teilidentitäten einer Person, d.h. auf die »Heterogenität und situative Flexibilität von Selbsterfahrungen und Präsentationen« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004b: 181), die in unterschiedlichen sozialen Situationen und (auto-)biographischen Erzählungen ausgebildet werden. Es ist allerdings anzumerken, dass »the instability of subject positions does not necessarily mean to assume that everybody can take up every position at any time« (Tschuggnall 1997: 216). Stattdessen erfolgt auch die Identitätszuweisung durch Positionierung keineswegs unabhängig von dem jeweiligen sozialen Kontext, sondern wird durch ihre Einbettung in bereits bestehende Konversationen und ›story lines‹ organisiert sowie durch moralische, persönliche und soziale Erwartungen limitiert und greift somit auf bestehende soziale und kulturelle Schemata zurück (vgl. Langehove/Harré 1999: 19f.; Davies/Harré 1990: 50).
Positionierungspraktiken Es lassen sich eine Vielzahl von Positionierungspraktiken beobachten, die je nach Komplexitäts- und Differenzierungsgrad unterschiedlich klassifiziert werden können. Im Folgenden werden die grundlegenden Basisstrategien der Positionierung vorgestellt, die insbesondere auch für das angestrebte Konzept einer narrativen Identität der Technik von Bedeutung sind. Positionierung in Erzählsituation und erzählter Situation Erzählungen und häufig auch Interaktionen weisen in der Regel eine doppelte Zeitperspektive auf, die zum einen die gegenwärtige Erzählsituation (Erzählzeit) als auch erzählte Situation (erzählte Zeit) umfasst. Vor diesem Hintergrund lassen sich zum einen aktuelle Positionierungen, d.h. Positionierungsaktivitäten erzählender Akteure (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 63) sowie zum anderen geschichtliche Positionierungen, d.h. Positionierungsaktivitäten erzählter Akteure, »die den damaligen Personen in der erzählten Zeit zugeschrieben werden« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004b: 174) unterscheiden. Zu beachten ist, dass es sich bei der geschichtlichen Positionierung nicht einfach um eine Repräsentation, d.h. eine Abbildung vergangener Positionierungsaktivitäten handelt, sondern um eine Konstruktion in der gegenwärtigen Erzählsituation, in der vergangene Ereignisse re-konstruiert und somit neu konstituiert werden.
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Mit anderen Worten: Die dargestellten Akteure haben nicht einfach so gehandelt wie erzählt, sondern es ist der Erzähler selbst, der sie in einer bestimmten Weise auftreten lässt, der ihre früheren Äußerungen und Handlungen so selegiert, gestaltet, in Zusammenhang setzt und interpretiert wie sie schließlich als Elemente der Erzählung erscheinen (Lucius-Hoene/Deppermann 2004b: 174f.). Angesichts dieser »Re-Inszenierungsmöglichkeiten des Erzählens« (Lucius-Hoene/Depperman 2004b: 172) tritt der performative Charakter identitätszuweisender Positionierungspraktiken im Sinne eines doing how in den Vordergrund, ohne deshalb das Erzählte als Protokoll der Identitätsdarstellung (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004b: 168) aufgeben zu müssen. Stattdessen lassen sich sowohl aktuelle als auch geschichtliche Positionierungen als »empirisch nachweisbare[r] und erzähl- und gesprächsanalytisch rekonstruierbare[r] Teil narrativer Identitätsarbeit betrachten« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004b: 172). Selbst- und Fremdpositionierung Im Zuge narrativer Positionierung kann man sowohl sich selbst auch auch anderen Interaktionsteilnehmern einen bestimmten Status zuweisen bzw. sie mit bestimmten Attributen versehen. Angesichts der Tatsache, dass es sich bei Positionierung um eine diskursive Praxis handelt (vgl. Van Langenhove/Harré 1999a: 22), sind beide Formen der Positionierung nur analytisch, nicht aber empirisch voneinander zu trennen. Das bedeutet für die Praxis, dass in jeder Äußerung in der Regel zugleich sowohl Selbst-, als auch Fremdpositionierungen enthalten sind. Darüber hinaus tragen auch Fremdpositionierungen, also Aussagen über andere Teilnehmer, wiederum zu der Konstitution der eigenen Identität bei. Dies gilt nicht nur für Positionierungen der Akteure in der gegenwärtigen Interaktion (Erzählzeit), sondern auch für Selbst- und Fremdpositionierungen der erzählten und somit bereits vergangenen Zeit, denn »[d]urch die Art und Weise, wie [der Erzähler] von den vergangenen Ereignissen und Personen berichtet und wie er aus dem Hier und Jetzt des Erzählens zu ihnen Stellung nimmt, kann er ein Licht auf seine eigene Identität im Akt des Erzählens werfen (Lucius-Hoene/Deppermann 2004b: 176). Die eigene Identität wird aber nicht nur in den Aussagen über andere mit konstituiert, sondern umgekehrt weist man anderen in den Aussagen über sich selbst zugleich ebenfalls einen bestimmten Status zu, so dass auf diese Weise Selbst- und Fremdpositionierungen immer einen Bedeutungsüberschuss über das Gesagte hinaus transportieren (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004b: 172). Positionierungen erster, zweiter und dritter Ordnung (performative und accountive positioning) Identitätszuweisungen durch Selbst- oder Fremdpositionierungen werden als Positionierung erster Ordnung (first order positioning; vgl. Van Langenhove/Harré 1999a: 20) bezeichnet. In der Regel bleiben Positionierungen – insbesondere in Interaktionen – aber nicht ohne Erwiderung, sondern werden von anderen Interaktionsteilnehmern aufgegriffen und mit eigenen Positionierungsversuchen beantwortet. Im Zuge dieser Erwiderung können die vorangegangenen Positionierungsaktivitäten anerkannt, zurückgewiesen oder teilweise anerkannt bzw. zurückgewiesen werden (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004b: 170). Wird der Positionierungsversuch anerkannt, kann er einen per-
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
lokutionären Effekt haben (beispielsweise wenn ein Interaktionsteilnehmer die ihm im Zuge eines Befehls zugewiesene Position als Befehlsempfänger einnimmt und die ihm aufgetragene Handlung ausführt), weshalb man auch von performative positioning (vgl. Van Langenhove/Harré 1999a: 21) spricht. Wird die Positionierung hingegen innerhalb der gleichen Interaktion zurückgewiesen und counter-positioniert, so spricht man von Positionierung zweiter Ordnung (second order positioning; vgl. Van Langenhove/Harré 1999a: 20). Erfolgen Zurückweisung und Gegenpositionierung hingegen in einer anderen Konversation über die erste Konversation (etwa wenn man sich in einem Gespräch über Dritte beschwert), so wird dies auch als Positionierung dritter Ordnung (third order Positionierung; vgl. Van Langenhove/Harré 1999a: 21) bezeichnet (da sowohl Positionierungen zweiter als auch dritter Ordnung ›Gespräche über Gespräche‹ beinhalten, spricht man in Abgrenzung zur performativer Positionierung in diesen Fällen auch von accountive positioning; vgl. Van Langenhove/Harré 1999a: 21). Auf die Gegenpositionierungen kann nun wiederum der erste Sprecher reagieren, indem er entweder nachgibt oder aber versucht seinen Positionierungsanspruch aufrecht zu erhalten (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004b: 170), so dass ein Prozess des wechselseitigen Positionierens (mutual positioning) in Gang kommt, im Zuge dessen die zugewiesenen Identitäten ausgehandelt werden. Direkte und indirekte Positionierung Auch wenn es den Anschein hat, als handele es sich bei Positionierungen um strategische Praktiken der Identitätszuweisungen, so erfolgen zumindest Positionierungen erster Ordnung in der Regel implizit, unintendiert und informell (indirekte Positionierung) »durch die Art und Weise seines Erzählens und seiner Haltungen gegenüber den Figuren und Ereignissen der erzählten Geschichte« (Lucius-Hoene/Deppermann 2004b: 177) oder aber durch implizite sprachliche Gestaltungs- und Darstellungsmittel. Nur in wenigen Ausnahmefällen – beispielsweise um Macht zu demonstrieren oder in besonders kalkulierten Situationen – erfolgen auch Positionierungen erster Ordnung bewusst und intendiert (vgl. auch Van Langenhove/Harré 1999a: 22), beispielswiese durch Metakommunikation oder narrationsgenerierende Fragen (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004b: 178). Bei ›Gesprächen über Gespräche‹, d.h. Positionierungen zweiter und dritter Ordnung, hingegen handelt es sich immer um direkte Positionierungen, das heißt um intendierte und explizite oder zumindest leicht explizierbare Aktivitäten (vgl. Van Langenhove/Harré 1999a: 22). Diese können entweder freiwillig und vorsätzlich erfolgen (deliberate positioning) oder aber ›erzwungen‹ (forced positioning), d.h. initiiert durch andere Gesprächsteilnehmer (beispielsweise in Form von Fragen, die eine Rechtfertigung herausfordern; vgl. Van Langenhove/Harré 1999a: 23ff.). Persönliche und moralische Positionierung Die bislang genannten Basisstrategien der Positionierung beziehen sich primär auf die Art der beobachtbaren Positionierungen. Darüber hinaus lässt sich auch zwischen den Referenzen differenzieren, auf die sich die Positionierungsaktivitäten beziehen. Während sich moralische Positionierungen auf die Rolle einer Person im Hinblick auf eine bestehende moralische Ordnung oder innerhalb einer Institution stützen (Beispiel: ›Sie als geschäftsführender Direktor dieses Instituts.‹), referieren persönliche Positionierun-
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gen auf die persönlichen Eigenschaften und Besonderheiten einer Person (Beispiel: ›Sie als netter Mensch…‹) (vgl. Van Langenhove/Harré 1999a: 21f.). Auch hier ist zu beachten, dass es sich primär um analytische Trennungen handelt, da in der Regel sowohl persönliche als auch moralische Positionierungen in einzelnen Äußerungen vorhanden sind und darüber hinaus auch die Motivlagen für beide Formen der Positionierung bei Bedarf ausgetauscht und instrumentalisiert werden: »The more a person’s actions cannot be made intelligible by references to roles, the more prominent personal positioning will be« (Van Langenhove/Harré 1999a: 22). Nonverbale Positionierung Im Rahmen der Positioning Theory werden primär verbale Praktiken der Positionierung analysiert und dargestellt. Es ist jedoch anzumerken, dass Positionierungen auch nonverbal vorgenommen werden.21 Dies betrifft einerseits die konkrete Positionierung von Dingen sowie andererseits Handlungen in sozialen Beziehungen. Man stelle sich vor, jemand steht einem im Wege. Man könnte den Betreffenden zum einen verbal anweisen, aus dem Weg zu gehen und positioniert sich damit verbal als jemand, der anderen Befehle erteilen kann bzw. das Gegenüber als jemanden, der Befehlen zu gehorchen hat (diese Positionierungsaktivität ist zunächst unabhängig davon, ob sie auch anerkannt und befolgt wird). Man könnte die im Wege stehende Person aber auch einfach kommentarlos zur Seite schieben – auch in diesem Fall positioniert man sich als jemanden, der das Vorrecht auf einen freien Weg hat und sein Gegenüber als jemanden, der den Weg räumen muss. Auch nonverbalen Positionierungen kann widersprochen werden, jedoch schaffen sie – wie das Beispiel zeigt – häufig schneller eine neue soziale Situation und sind damit in ihren Konsequenzen eindrücklicher. Es lassen sich sowohl im Alltag als auch der Berufswelt zahlreiche Beispiele finden, wie diese Formen der Positionierung zum Einsatz kommt.22 Nonverbale Positionierungen können wiederum Eingang in Narrationen finden und dort als zuvor beschriebene geschichtliche Positionierung thematisiert werden (Beispiel: ›Da habe ich dem mal gezeigt, wer hier
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Insbesondere Argyle hat in seinen Untersuchungen zur nonverbalen Kommunikation und Körpersprache herausgearbeitet, wie mit Hilfe der Körpersprache nicht nur Gefühle geäußert und Mitteilungen über die eigene Persönlichkeit gemacht werden, sondern wie mit Hilfe nonverbaler Handlungen auch interpersonale Einstellungen vermittelt werden (vgl. Argyle 1979). Auch wenn Argyle in diesem Zusammenhang nicht von Positionierung spricht, werden mittels dieser körpersprachlichen Handlungen Identitätsansprüche geltend gemacht, angenommen oder aber zurückgewiesen. So geht beispielsweise das sogenannte ›Symbolische Führen‹ davon aus, dass Führung nicht nur verbal erfolgt, sondern sich auch ›unsichtbar‹ über Symbole wie Statussymbole, Regeln, Artefakte etc. vollzieht, indem diese eine dahinter stehende Bedeutung vermitteln: »Was Führende tun, ist nie eindeutig – es muss interpretiert werden – und diese Interpretation wird nicht dem Zufall überlassen, sondern gesteuert. Führungskräfte handeln nicht einfach, sie inszenieren ihr Handeln und versehen es mit Deutungs- und Regieanweisungen« (Neuberger 2002: 644). Durch den Einsatz symbolträchtiger Artefakte wie beispielsweise eines besonders teuren und großen Firmenwagens für den Chef sowie einfache Kleinwagen für die Mitarbeiter positionieren sich die beteiligten Akteure und machen somit ihre Identitätsansprüche geltend. Argyle hat darüber hinaus herausgearbeitet, dass symbolisches Handeln nicht nur im Bereich der Führung, sondern auch in anderen Bereichen wie beispielsweise Politik und Werbung zu beobachten ist (vgl. Argyle 1979: 185ff.).
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das Sagen hat und den einfach zur Seite geschoben!‹). Nonverbale Positionierungspraktiken wurden in den bislang vorgestellten Ansätzen gar nicht oder allenfalls am Rande bei ›indirekter Positionierung‹ (beispielswiese in Form von Positionierung durch die ›Art und Weise des Erzählens‹, vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004b: 177) mit thematisiert, dürfen aber keineswegs mit indirekten und somit in der Regel unintendierten Positionierungen gleichgesetzt werden. Stattdessen gibt es auch durchaus intendierte, nonverbale Positionierungen (man denke hier zum Beispiel an ritualisierte Positionierungsaktivitäten wie den Ritterschlag, mit dem man jemanden die Position des Ritters zuweist bzw. das demütige Knien, mit dem man den Ritterschlag entgegennimmt). Nonverbale Positionierungen spielen insbesondere im praktischen Umgang mit menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren eine wichtige Rolle, denn sie ›erzählen‹ gleichsam wie verbale Positionierungen etwas über die Identität der beteiligten Akteure. Es lässt sich festhalten, dass Identität sich nicht länger als ein diffuses und wenig greifbares Gebilde darstellt, sondern im Zuge der Konzeption als narrative Identität durch das Aufsuchen entsprechender Situationen, Texte, Interaktionen und die hier beobachtbaren Positionierungen empirisch fassbar wird. Insbesondere die Analyse identitätszuweisender Positionierungspraktiken ermöglicht es, die Mechanismen der Identitätsherstellung empirisch aufzudecken und zugleich die vielschichtigen symbolischen Dimensionen einer Identität in unterschiedlichen Zeitdimensionen und sozialen Kontexten zu erfassen.
4.3.3.
Exkurs: Leben erzählen – theoretische und methodische Ansätze in der narrativen Biographieforschung am Beispiel des narrativen Interviews
Vor dem Hintergrund des Ziels dieser Arbeit liegt es nahe, nicht nur einen Blick in die theoretischen Grundüberlegungen, sondern auch in das methodische Instrumentarium der Biographieforschung zu werfen und in Anlehnung hieran das eigene methodische Vorgehen zu entwickeln. In der Biographie- und Identitätsforschung kommen vor allem drei methodische Ansätze zum Einsatz: Erstens die objektive Hermeneutik (vgl. Oevermann 1979; 1988; 1990; 1993; 1999; Oevermann et al. 1979; 1980 sowie Reichertz 1991; 1997), zweitens die in ihren Grundzügen auf die dokumentarische Interpretation Karl Mannheims (vgl. Mannheim 1964a: 91ff. sowie 1980) zurückgehende und von Ralf Bohnsack ausgearbeitete dokumentarische Methode (vgl. Bohnsack 1997; 1998; 1999; 2001; Bohnsack et al. 2001 sowie Nohl 2005; 2006) sowie drittens das narrative Interview nach Fritz Schütze (vgl. Schütze 1976; 1977; 1981; 1983; 1984). Zur Untersuchung der narrativen Identität der AR-Technologie bietet es sich an, ein Verfahren zu wählen, das sich erstens genuin als narratives Verfahren versteht, zweitens bereits zur Analyse narrativer Identitäten eingesetzt wurde (vgl. hierzu vor allem Lucius-Hoene/Deppermann 2000; 2004a sowie 2004b) und drittens in seiner methodischen Handhabung pragmatisch genug ist, um auch auf neue Anwendungsbereiche angewandt werden zu können. Das narrative Interview nach Fritz Schütze erfüllt diese Bedingungen und bildet somit
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die Basis für das im Rahmen der Fallstudie vorgestellte methodische Instrumentarium, weshalb es im Folgenden ausführlicher betrachtet werden soll.23 Im Zentrum dieses Ansatzes stehen lebensgeschichtliche, autobiographische Erzählungen, anhand derer biographische Aspekte rekonstruiert werden. Die ersten Arbeiten von Fritz Schütze stammen aus den 70er Jahren und haben die Erforschung kommunaler Machtstrukturen zum Gegenstand (vgl. Schütze 1976: 159ff.; Schütze 1977). Ausgehend von Schatzmans und Strauss’ Arbeiten zum klassenabhängigen Kommunikationsverhalten (vgl. Schatzman/Strauss 1955) entwarf Schütze die Grundlagen für seine narrativen Interaktionsfeldstudien. Im weiteren Verlauf seiner Forschung bezog Schütze diese erzähltheoretischen Prämissen auf den Gegenstand der Biographieforschung. Erzählungen stellen nach Schütze in Abgrenzung zu Argumentationen und Bewertungen die geeignete Form zur Thematisierung von Lebensgeschichten dar, anhand derer »sich Prozesse der Identitätsbildung und -veränderung im Zusammenhang mit biographischen Erfahrungen herausarbeiten [lassen]« (Jakob 2003: 445). Mit diesem Schritt der Verbindung von Erzähltheorie und Biographieforschung gelingt es Schütze, die Frage nach den Inhalten der Lebensgeschichte mit denen nach den Umständen ihrer Hervorbringung (doing biography) in Einklang zu bringen und aufeinander zu beziehen. Als Datenmaterial weisen Erzählungen gegenüber anderen Textgenres die Besonderheit auf, dass der Erzähler die Möglichkeit hat, seine »autobiographische Darstellung ausgehend von den eigenen Relevanzsetzungen [Hervorheb. v. Verf., K.L.]« (Jakob 2003: 448) auszuführen und damit die Bedeutung bestimmter Ereignisse wie beispielsweise Statuspassagen oder ganzer Lebenssequenzen herauszustellen. Insbesondere die Nähe zwischen Erzählstrom auf der einen sowie den faktischen Erfahrungs- und Ereignisabläufen auf der anderen Seite spielen hierbei eine entscheidende Rolle, denn die Ordnungsprinzipien der Erfahrungsaufschichtung im Rahmen der Lebensgeschichte manifestieren sich auch in den Erzählstrukturen des Erzählers. Vor allem bei Stegreiferzählungen lassen sich darüber hinaus Zugzwänge wie beispielsweise Gestaltschließungszwänge, Relevanzfestlegungs- und Kondensierungs- sowie Detaillierungszwänge (vgl. Bohnsack 1999: 109) beobachten, die den Erzähler veranlassen, »auch über Ereignisse und Handlungsorientierungen zu sprechen, über die er es aus Schuld- bzw. Schambewusstsein oder auf Grund seiner Interessenverflechtung in normalen Gesprächen und konventionellen Interviews vorzieht zu schweigen« (Schütze 1976: 225). Bei diesen Zugzwängen handelt es sich um eine den Stegreiferzählungen eigene Eigendynamik, »in dessen Folge sich der Erzähler mehr und mehr in die früheren Ereignis- und Erfahrungsabläufe verstrickt und eine autobiographische Darstellung hervorbringt« (Jakob 2003: 449). Diese Eigendynamik basiert auf der von Schütze als »analoge Wiedergabeweise« bezeichneten Besonderheit von Erzählungen, im Rahmen
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Ähnliche Vorgehensweisen und theoretische Prämissen liegen auch der Narrativen Fallrekonstruktion (vgl. Fischer-Rosenthal 1997 und 1999; Rosenthal 1995 sowie Rosenthal/Fischer-Rosenthal 2004) sowie der Narrativen Lebensrekonstruktion (vgl. Bude 1984; 1998) zu Grunde. Diese sind in ihrer Konzeption jedoch zu komplex, um auf technische Gegenstände übertragen zu werden. Aus diesem Grund bezieht sich die Entwicklung eines methodischen Instrumentariums zur Analyse der narrativen Identität der AR-Technologie auf das Narrative Interview nach Fritz Schütze.
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
derer der Betroffene noch einmal seine Erfahrungen und Ereignisse gedanklich durchläuft und sich diese im reflexiven Erzählprozess vergegenwärtigt (vgl. Schütze 1984: 79). Davon ausgehend, dass der Erzähler um eine verständliche und stringente Gesamterzählung bemüht ist, kann angenommen werden, dass die o.g. Zwänge den Erzähler im Rahmen autobiographischer Stegreiferzählungen zu einer relativ vollständigen und umfassenden Darstellung seiner Erlebnisse und Erfahrungen veranlassen. Mit dem gewählten Ausgangspunkt der Erzählung ist auch zugleich das sequentielle Vorgehen des narrativen Interviews vorgegeben. Die im Rahmen des narrativen Interviews gewonnenen Daten ermöglichen es, Verläufe über einen längeren Zeitraum zu rekonstruieren und dabei auch prozedurale Aspekte wie beispielsweise Wandlungsprozesse, Identitätstransformationen und Umdeutungen zu erfassen. Entsprechend ist der »Gegenstand von narrativen Interviews […] immer ein zusammenhängendes Geschehen, die Abfolge von Ereignissen, die die Geschichte (oder einen Teil der Geschichte) eines ›Ereignisträgers‹ ausmacht« (Hermanns 1995: 183). Mit der Berücksichtigung faktischer Daten schlägt Schütze die Brücke zwischen inneren Vorgängen wie beispielsweise der Entwicklung und Veränderung von Identitätsentwürfen und subjektiven Deutungen auf der einen sowie äußeren Vorgängen auf der anderen Seite (vgl. Jakob 2003: 447). Erst unter Berücksichtigung der tatsächlich stattgefundenen Ereignisse lassen sich nach Schütze die Aussagen des Biographieträgers interpretieren und bewerten (vgl. Schütze 1983: 284). Biographie wird im Rahmen dieses Ansatzes als sozialer Prozess betrachtet, »der als Ergebnis von Interaktionen innerhalb gesellschaftlicher und institutioneller Rahmenbedingungen abläuft« (Jakob 2003: 447). Mit der rekonstruktiven Berücksichtigung faktischer Ereignisabläufe entkräftet Schütze die Kritik der einseitigen Fokussierung auf subjektive Erfahrungen und gibt somit eine zweite Antwort auf das zuvor angesprochene Problem der retrospektiven Validität narrativer Darstellungen. Schützes Forschungsinteresse richtet sich keineswegs nur auf die individuelle Rekonstruktion von Einzelfällen. Sein Interesse liegt stattdessen auf der Analyse elementarer Formen von übergreifenden Prozessstrukturen, die in einer Vielzahl von Lebensläufen beobachtet werden können (vgl. Schütze 1983: 284). Hierbei handelt es sich um »systematische[…] elementare[…] Aggregatzustände der Verknüpfungen von Ereigniserfahrungen, die in der Erzählkette berücksichtigt werden [Hervorheb. getilgt, K.L.]« (Schütze 1984: 93). Mit diesem Punkt schafft Schütze die Verbindung zwischen individueller Einzelfallanalyse und der Analyse sozialer Strukturen. Es stellt sich darüber hinaus die Frage, was »die erstaunliche Geordnetheit der formalen (und nicht nur der inhaltlichen) Verrichtung des autobiographischen Stegreiferzählens« verbürgt (Schütze 1984: 80). Nach Schützes Hypothese orientiert sich die Ordnung der Darstellung an »grundlegenden kognitiven Figuren der Erfahrungsrekapitulation« (Schütze 1984: 80) – sogenannten kognitiven Figuren des Stegreiferzählens – die den retrospektiven Erzähl- und Erinnerungsstrom systematisch ordnen. Diese Gestaltungs- und Ordnungsprinzipien bilden den übergreifenden Rahmen des Forschungsgegenstandes narrativer Interviews. Angesichts der Tatsache, dass sich kognitive Figuren in Kommunikationsschemata manifestieren, sorgen sie zusammen mit den bereits erwähnten narrativen Zugzwängen autobiographischer Stegreiferzählungen für eine formale Ordnung, die sich auch in unterschiedlichen Darstellungsweisen der Erzählung widerspiegelt (vgl. Schütze 1984: 108f.).
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Bei der Durchführung narrativer Interviews lassen sich folgende Phasen der Datenerhebung unterscheiden (vgl. hier und im Folgenden Jakob 2003: 449f. sowie Schütze 1983: 285): •
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Autobiographisch orientierte Erzählaufforderung: Der Erzähler wird aufgefordert, seine Lebensgeschichte (entweder ganz oder phasen-bezogen) mit eigenen Worten und gemäß eigener Relevanzsetzung darzulegen. Autobiographische Haupterzählung: Der Biographieträger rekonstruiert seine Lebensgeschichte und stellt sie gemäß seiner eigenen Relevanzsetzung dar. In dieser Phase werden auch die bereits erwähnten Zugzwänge des Erzählens wirksam, die eine Eigendynamik im Erzählvorgang auslösen. Narrative Nachfragen: Der Interviewer hat die Möglichkeit, durch narrative Nachfragen sein Verständnis zu vertiefen und noch offene Fragen zu klären.
Anhand dieses Datenmaterials können sowohl innere als auch äußere Vorgänge des Biographieträgers sowie dahinterliegende Deutungsmuster herausgearbeitet werden. Das hierzu von Schütze vorgeschlagene Auswertungsverfahren gliedert sich in insgesamt fünf Schritte: Im ersten Schritt der formalen Textanalyse werden alle nicht-narrativen Teile aus dem Gesamttext entfernt. Daraufhin erfolgt im zweiten Schritt eine strukturelle, inhaltliche Beschreibung der einzelnen Erzählpassagen, die durch formale Elemente voneinander abgegrenzt sind. Im dritten Schritt erfolgt eine Abstraktion der Inhalte, so dass die auf diese Weise entstehenden Strukturaussagen aufeinander bezogen und einzelne Prozessstrukturen wie beispielsweise die erwähnten biographischen Schemata, institutionalisierten Ablaufmuster, Verlaufskurven sowie die biographischen Wandlungsprozesse herausgearbeitet werden können. Im vierten Teil der Wissensanalyse werden daraufhin »die eigentheoretischen, argumentativen Einlassungen des Informanten zu seiner Lebensgeschichte und zu seiner Identität« (Schütze 1983: 286) herausgestellt und im Abgleich mit den ermittelten Prozessstrukturen »auf ihre Orientierungs-, Verarbeitungs-, Deutungs-, Selbstdefinitions-, Legitimations-, Ausblendungs- und Verdrängungsfunktion hin« (Schütze 1983: 287) interpretiert. Dieser Abgleich zwischen den eigenen Sichtweisen des Erzählers auf der einen sowie den herausgearbeiteten Ereignisabfolgen auf der anderen Seite wird als Prinzip der pragmatischen Brechung bezeichnet (vgl. Jakob 2003: 452). Während die pragmatische Brechung auf einen Vergleich innerhalb einer Lebensgeschichte abzielt, erfolgt im fünften Teil ein kontrastiver Vergleich unterschiedlicher Interviewtexte, wobei im Rahmen der Strategie des minimalen Vergleichs Interviewtexte mit einer hohen Ähnlichkeit verglichen werden, während die Strategie des maximalen Vergleichs »Interviewtexte maximaler Verschiedenheit« (Schütze 1983: 287) heranzieht. Das narrative Interview wird im Rahmen der anschließenden Fallstudie zur Analyse der Identitätskonstitution der AR-Technologie eingesetzt und hinsichtlich seiner Übertragbarkeit auf dieses neue Untersuchungsfeld erprobt.
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
4.4.
Technik erzählen – Narrationen in der Technikund Innovationsforschung
Narrative Ansätze spielen nicht nur in der Identitätsforschung eine wichtige Rolle, sondern wurden in den letzten Jahrzenten auch auf andere Forschungsbereiche wie beispielsweise Wissenschafts- und Organisationsforschung sowie die Entstehung und Entwicklung neuer Technologien übertragen. Im Folgenden werden exemplarisch besonders relevante Ansätze aus den einzelnen Bereichen herausgegriffen und im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Konzeption einer ›Narrativen Identität der Technik‹ skizziert.
4.4.1.
Geschichten zwischen Bedeutungskonstitution und Selbstreflektion – Der ›narrative turn‹ in der Organisations- und Wissenschaftsforschung
In der Organisationsforschung hat insbesondere Czarniawska auf die Bedeutung von Narrationen hingewiesen (Czarniawska 1995; 1997; 1998). Sie spricht in diesem Zusammenhang von einem »Narrating the Organization« im Sinne einer Organisationsforschung, die erstens selbst ihre wissenschaftlichen Darstellungen in einem »storylike way« verfasst, zweitens Geschichten aus Organisationen sammelt und verarbeitet und drittens das organisationale Geschehen selbst als ein »story making« sowie die Organisationstheorie als ein »story reading« begreift (Czarniawska 1997: 26; vgl. auch Czarniawska 1995: 16ff. sowie 1998: 65). Mit dieser Betrachtungsweise schlägt Czarniawska eine Brücke zwischen Organisationsforschung (im Sinne der Betrachtung organisationaler Narrationen und ihrer bedeutungskonstituierenden Funktion) auf der einen sowie Wissenschaftsforschung (im Sinne der Thematisierung narrativer Elemente und somit der Reflexion der eigenen Disziplin) auf der anderen Seite. In methodischer Hinsicht ergänzt werden diese Perspektiven in der Organisationsforschung durch Ansätze, die versuchen, explizit narrative Methoden aus der Biographieforschung in einem engeren Sinne auf Organisationen zu übertragen. So greift Holtgrewe beispielsweise auf das zuvor beschriebene narrative Interview zurück, um ›Organisationen erzählen zu lassen‹ und untersucht mit Hilfe biographischer Interviews, wie Mitarbeiter der Telekom den durch die Privatisierung des Unternehmens bedingten Wechsel von Berufsbeamtentum mit einem erwartbaren Normalarbeitsverhältnis hin zu flexibilisierten Arbeitsverhältnissen subjektiv verarbeiten (vgl. Holtgrewe 2002). Ähnlich bezieht sich auch in der Wissenschaftsforschung die Thematisierung narrativer Verfahren zum einen auf die Analyse von Narrationen hinsichtlich ihrer bedeutungskonstituierenden Funktion zu spezifischen wissenschaftlichen Themen sowie zum anderen auf die Analyse der wissenschaftlichen Darstellungen selbst, wobei die Grenze zwischen beiden Anliegen häufig keineswegs trennscharf zu ziehen ist. So untersucht beispielsweise Misa Landau – ausgehend von der strukturalistischen Annahme, dass (wissenschaftliches) Wissen und Erfahrung durch »basic stories, or deep structures« (Landau 2001: 105) organisiert werden – am Beispiel der Paläoanthropologie, welche narrativen Muster den Evolutionsdarstellungen verschiedener britischer und amerikanischer Wissenschaftler zugrunde liegen. Sie identifiziert zunächst vier Phasen (1. Übergang vom Baum zum Boden, 2. aufrechter Gang, 3. Entwicklung von
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Gehirn, Intelligenz und Sprache sowie 4. Entwicklung von Technologie, Moral, Gesellschaft, vgl. Landau 2001: 110f.), die ein weitgehend geteiltes narratives Muster für die Erklärung der menschlichen Evolution bereitstellen (vgl. Landau 2001: 108ff.). Die Identifikation einer narrativen Tiefenstruktur wissenschaftlicher Darstellungen sowie die Analyse der Abweichungen einzelner Darstellungen vom Gesamtmuster stellt nach Landau eine Basis dar, um narrativ konstitutierte, konzeptuelle Unterschiede zwischen einzelnen Theorien herauszuarbeiten und dient somit gleichzeitig der konstruktiven (Selbst-)Reflektion für die Wissenschaftler (vgl. Landau 2001: 115): »When applied to scientific writing, such an approach can make us aware of a simple fact: scientists tell stories« (Landau 2001: 108). Mit einem ähnlichen Themenfeld, aber unter dem Blickwinkel einer feministischen Theorie, beschäftigt sich Donna Haraway in ihrer Analyse der Geschichte der Primatologie. Von der Annahme ausgehend, dass wissenschaftliche Fakten immer von dem Interpretationsrahmen, in den sie eingebettet sind, abhängen, untersucht sie, inwiefern »feministische Praxis als Form der narrativen Praxis oder des Erzählens von Geschichten« (Haraway 1995: 141) das narrative Feld der Primatologie – definiert als »[d]ie ganze in sich zusammenhängende Reihe von Geschichten« (Haraway 1995: 141) – beeinflusst. Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, dass feministische Perspektiven und narrative Praktiken sowie die daraus resultierende Neuaufteilung des narrativen Feldes der Primatologie zu neuen Bedeutungskonstitutionen innerhalb dieses Feldes führen und die Ursprungsgeschichten, in denen jedes autonome Selbst ein Mann war (vgl. Haraway 1995: 148), verändert werden. Angesichts der Tatsache, dass insbesondere die Primatologie für die »Debatten über die menschliche, möglicherweise insbesondere weibliche Natur« (Haraway 1995: 136) von hoher Relevanz sind, stellt sie heraus, dass Primatologie – und damit auch das Geschichten erzählen im narrativen Feld der Primatologie – »Politik mit anderen Mitteln« (Haraway 1995: 144) ist. Die beiden Beispiele verdeutlichen das Spektrum narrativer Analysen sowie die Bedeutung, die Erzählungen in der Wissenschaftsforschung beigemessen wird. Während bei Landau die narrative Analyse wissenschaftlicher Darstellungen primär der Identifikation konzeptueller theoretischer Unterschiede dient und als Basis für wissenschaftliche Selbstreflektion fungiert, bekommen Geschichten in Haraways Untersuchungen darüber hinaus den Status eines politischen Instruments. Stärker noch als bei Landau und Haraway treten bei Harré (1990) die Mechanismen der durch eine Disziplin hervorgebrachten und als Narrationen analysierbaren wissenschaftlichen Darstellungen in den Vordergrund. Basierend auf der Annahme, dass eine Scientific Community durch ein Netzwerk aus Vertrauen zusammengehalten wird (vgl. Harré 1990: 86) und es für jeden Wissenschaftler eine zwingende Notwendigkeit darstellt, als »good guy« (Harré 1990: 86) anerkannt und damit in die wissenschaftliche Gemeinschaft aufgenommen zu werden, stellt sich die Frage, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Neben einem entsprechenden Verhalten, das dazu angetan ist, »to illustrate their qualities of character« (Harré 1990: 86), verweist Harré auf die besondere Bedeutung von Geschichten über die alltägliche Arbeit sowie die erzielten Erfolge: »The good guys present themselves as the followers and even the friends of a saintly future I shall call ›Big Ell‹ – logic. Accordingly their ancedotes are laid out in a quite definite and universal narrative form« (Harré 1990: 86). Anhand wissenschaftlicher Darstellungen arbeitet Harré nun ›narrative Konventionen‹ heraus, an denen sich die wissenschaftlichen
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Darstellungen orientieren müssen, um in der Forschungsgemeinschaft als seriös und vertrauensvoll und somit sozial anerkannt zu werden. Hierzu gehören neben der häufig zu beobachtenden Verwendung von Personalpronomen im Plural (wir statt ich) zur Bezeichnung der eigenen Person, die anzeigt, »that ego is a member of the spokesman for a larger corporation« (Harré 1990: 85; vgl. auch Van Langenhove/Harré 1999b: 107), vor allem die Bearbeitung des Inhalts sowie der story line, d.h. der Abfolge dargestellter Ergebnisse, so dass »the order of the scenes of the research drama as it is restaged in the narrative is determined by the Rule of Big Ell« (Harré 1990: 88). So wäre es beispielsweise undenkbar, in einer wissenschaftlichen Publikation zuzugeben, dass man die zu überprüfenden Hypothesen erst aufgrund der Ergebnisse der bereits durchgeführten und ausgewerteten Studie aufgestellt hat – auch wenn dies bekanntlicherweise ein in der wissenschaftlichen Praxis beliebtes Vorgehen ist – oder aber dezidiert von den Fehlschlägen und Misserfolgen zu berichten. Stattdessen werden der Ablauf sowie die Ergebnisse der eigenen Forschungstätigkeit narrativ ›geschönt‹, so dass man am Ende eine »›smiling face‹ presentation« (Harré 1999: 87) erhält, die einen selbst als ›good guy‹ und somit als »followers of Big Ell« (Harré 1990: 96) präsentiert. Wissenschaft in diesem Sinne »is a tale, a piece of fiction. The real-life unfolding of a piece of scientific research bears little resemblance to this bit of theatre« (Harré 1990: 86). Interessant ist, dass Van Langehove und Harré in einer weiteren Ausarbeitung narrativer Spielregeln im Wissenschaftsbetrieb explizit auf die Bedeutung der bereits im Zuge der narrativen Identität dargestellten Positionierungspraktiken rekurrieren. Vor dem Hintergrund, dass »[e]very scientific statement is a statement by somebody to somebody else« (Van Langenhove/Harré 1999b: 106), können wissenschaftliche Darstellungen als Formen intentionaler sowie impliziter Positionierungen verstanden werden, die durch die Publikationen von Kollegen entweder akzeptiert oder counter-positioniert werden, so dass das vielzitierte »›publish or perish‹ might well be reformulated as ›be positioned, or do not exist‹« (Van Langenhove/Harré 1999a: 31). Die narrative Analyse eines doing science im Sinne Van Langenhoves und Harrés ergänzt die zuvor dargestellten narrativen Ansätze in der Wissenschaftsforschung um einen methodischen Aspekt und verweist darüber hinaus auf die vielfältigen und fruchtbaren Analyse- und Transfermöglichkeiten des zuvor dargestellten Positionierungsansatzes.
4.4.2.
Telling Future – Technikantizipation und Narration
Narrationen spielen nicht nur für die wissenschaftliche Praxis, sondern auch in der Antizipation zukünftiger Technologien sowie der Entwicklung von Leitbildern für zukünftige Handlungen eine entscheidende Rolle (vgl. Czarniawska 1995: 17). Grundsätzlich lassen sich (mindestens) drei Arten technikbezogener Geschichten unterscheiden: Erstens Stories im Rahmen der Science Fiction-Literatur bzw. des Science Fiction-Films, zweitens Narrationen in populärwissenschaftlicher Futurologie24 sowie drittens Ge-
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Der Ausdruck ›populärwissenschaftliche Futurologie‹ wird verwendet, um Zukunftsvorhersagen aus diesem Bereich von wissenschaftlich fundierteren und deutlich methodischer operierenden Ansätzen der Zukunftsforschung sowie des Technology Assessment abzugrenzen.
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schichten in der Technologieentwicklung25 selbst, beispielsweise im Rahmen narrativer Darstellungen technischer Szenarien und Leitbilder. Insbesondere in der Science Fiction-Literatur und Science Fiction-Filmen sowie angrenzenden Genres erfreuen sich Geschichten über brilliante Technologien großer Beliebtheit. Kaum einer, der nicht die Bücher Stanislaw Lems mit ihren zukunftsweisenden Technologievisionen kennt oder Arthur C. Clarkes Film ›2001: Odyssee im Weltraum‹ unter der Regie Stanley Kubricks gesehen hat, in dem der neurotische Computer HAL 900026 nach und nach ein Eigenleben entwickelt und anfängt, die Besatzung seines Raumschiffs zu töten. Auch James Bond-Fans dürften einen Teil ihrer Begeisterung aus den futuristischen Technologien ziehen, die auch aus waghalsigsten Situationen souverän einen Ausweg ermöglichen. Obwohl diese Formen der Populärkultur primär der Unterhaltung dienen, wäre es ein Fehler, ihre Funktion hierauf zu beschränken. Stattdessen lässt sich aufgrund ihres Modellcharakters ein nicht zu unterschätzender Einfluss auf die Antizipation sowie die Entwicklung zukünftiger Technologien aufzeigen. So finden sich im Internet nicht nur zahlreiche Listen mit James-Bond-Gadgets und Videos zu entsprechenden Technologien sowie Bücher, die die realen technischen Hintergründe der James Bond-Technologie zu ergründen suchen (vgl. Gresh/Weinberg 2006), sondern viele neue Technologien – sei es die technische Ausstattung von Polizeiautos im James-Bond-Stil (N.N. 2009d) oder aber den an 1997 erschienenen Bond-Film ›Tomorrow Never Dies‹ erinnernde Software für das iPhone, mit der es möglich ist, ein Fahrzeug direkt vom iPhone aus zu steuern (vgl. Schwan 2009) – werden unmittelbar als James-Bond-Technologien vermarktet. Dass der Rekurs auf Technologien aus Science-Fiction- und Action-Stories nicht nur medial wirksam ist, sondern darüber hinaus großen Einfluss auf die mit einer technologischen Entwicklung beschäftige Technoscientific Community selbst ausübt, zeigt Bloomfields Analyse des zuvor erwähnten Computers HAL 9000. Nicht nur, dass HALs offizieller Geburtstag am 12. Januar 1997 sowohl unter Fans des Films als auch unter Wissenschaftlern ausgiebig gefeiert (vgl. Bloomfield 2003: 201) und ihm zu Ehren 1997 sogar eine Geburtstagsgala veranstaltet wurde, an der »Wissenschaftler, Computerfreaks und etliche Leute, die damals an dem Film mitgewirkt haben« (Schmiederer 1997: 1) teilnahmen, oder dass die Geschichte des Computers HAL namhafte Wissenschaftler veranlasste, die ›realen Hintergründe‹ HALs in dem mittlerweile legendären Sammelband ›Hal’s Legacy: 2001’s Computer as Dream and Reality‹ (Stork 1997) sowie
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Hier steht man vor dem Problem, wie dieser Bereich exakt zu bezeichnen ist, denn einerseits handelt es sich um ein Wissenschaftsfeld, allerdings um eines, das sich der Entwicklung neuer Technologien widmet, so dass die Bezeichnung ›Wissenschaft‹ insbesondere in Abgrenzung zum Wissenschaftsfeld aus dem vorangegangenen Kapitel uneindeutig wäre, andererseits wird der Begriff ›Technologie‹ häufig auf bereits angewandtes technisches Wissen bezogen. Um diesen Bereich von dem im vorangegangenen Wissenschaftsfeld abzugrenzen, ihn auf bereits angewandte Technologien zu referieren, wird in Anlehnung an Bloomfields Vorschlag (Bloomfied 2003: 194) im Folgenden entweder der von Latour verwandte Begriff Technoscience (Latour 2003) bzw. in Analogie hieran Technoscientific Community oder aber der Begriff Technologieentwicklung verwendet. Bis heute herrscht Uneinigkeit darüber, ob die Bezeichnung HAL tatsächlich – wie vom Autor beteuert – für ›Heuristic Algorithmic‹ steht, oder aber eine Anspielung auf IBM darstellt, da die Buchstaben H-A-L im Alphabet jeweils links der Buchstaben I-B-M stehen.
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
in Radiosendungen zu diskutieren (vgl. Bloomfield 2003: 203ff.), sondern vor allem, dass »HAL has come to serve as a leitmotif in the understanding of intelligent machines and the dangers associated with them« (Bloomfield 2003: 194) ist eindrucksvoller Beweis der Wirkmächtigkeit fiktionaler Geschichten auch in der Entwicklung neuer Technologien. HAL als Hauptakteur fungierte in ›2001‹ »as a sort of benchmark for an assessment of extant and future technological developments in machine intelligence« (Bloomfield 2003: 195) und formte somit die Erwartungen in diesem Bereich. Andersherum zeigte der erzählte HAL auch die Grenzen möglicher Entwicklungen im Bereich mit künstlicher Intelligenz ausgestatteter Maschinen auf: »HAL couldn’t be built but his fictional presence has helped scientists to clarify why not« (Bloomfield 2003: 206). Der narrative Akteur HAL stand sowohl bei der Entwicklung mit künstlicher Intelligenz ausgestatteter Maschinen als auch bei der Thematisierung der Beziehung von Mensch und ›intelligenter‹ Maschine innerhalb der Technoscientific Community als »ready-made storyline« zur Verfügung, »through which developments in computing or instances of computers going wrong could be related« (Bloomfield 2003: 211). Aber nicht nur in Science-fiction- und Action-Stories werden zukünftige Technologien antizipiert, sondern vor allem auch in einem Bereich, der hier als populärwissenschaftliche Futurologie bezeichnet werden soll. Gemeint sind Technikantizipationen, die zwar häufig narrativ, aber nicht im Stil des Science-fiction- oder Action-Genres versuchen, anstehende Zukunftstechnologien vorherzusehen. Beispiele hierzu finden sich in den letzten Jahren zahlreich: So versuchen Gregory Benford und Elisabeth Malartre zu ergründen, was ›Beyond Human‹ (Benford/Malartre 2007) in einer Gesellschaft mit Robotern und Cyborgs auf uns zukommen wird, ähnlich wie Andy Clark, der die gesellschaftlichen Akteure der Zukunft bereits als ›Natural-Born Cyborgs‹ (Clark 2003) bezeichnet. Insbesondere Ray Kurzweil (nebenbei bemerkt einer der Hauptgratulanten auf HALs Geburtstagsgala im Jahr 1997, vgl. Schmiederer 1997) und Rodney Brooks (bis 2007 Direktor des ›Artificial Intelligence Lab‹ am Massachusetts Institute of Technology (MIT)), haben mit ihren Büchern ›Homo s@piens‹ (Kurzweil 2000) und ›Menschmaschinen‹ (Brooks 2005), in denen sie zum Teil bis ins Jahr 2099 visionär die technologischen Entwicklungen sowie ihren Einfluss auf die Menschheit zu vorwegnehmen zu versuchen, in verschiedenen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Bereichen besondere Aufmerksamkeit erfahren. Auch wenn einige dieser Autoren ursprünglich aus der Wissenschaft kommen, bewegen sie sich doch an der Grenze zwischen Populärkultur und Wissenschaft, und es haftet ihnen häufig der Vorwurf eines unseriösen Charakters an, da sie weder inhaltlich noch methodisch ähnlich systematisch wie beispielsweise die Zukunftsforschung oder das Technology Assessment vorgehen und zudem ihre Form der Darstellung auch weniger der Logik ›Big Ells‹ (vgl. Harré 1990) als der populärwissenschaftlicher Bücher folgt. Während das Science-Fiction- und Action-Genre zunächst keinen weiteren Anspruch als den der Unterhaltung erhebt, versuchen Vertreter der populärwissenschaftlichen Futurologie, zukünftige, meist technische Entwicklungen zu vorherzusehen oder zumindest Perspektiven auf eine mögliche Zukunft zu eröffnen. Eines der bekanntesten Beispiele ist sicherlich Stanislaw Lem, der sich nicht nur als Vertreter des Science-Fiction-Genres, sondern auch insbesondere mit seiner bereits 1964 erstmals veröffentlichten ›Summa technologiae‹ als ernst zu nehmender Futurologe einen
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Die multiple Identität der Technik
Namen gemacht hat. Der studierte Mediziner, der sich privat mit Kybernetik und Mathematik beschäftigte, grenzt sich 1976 in seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe allerdings von dem klassischen Vorgehen der Futurologie, die »als Muster die bisherigen Errungenschaften sowie die aktuellen Zustände der irdischen Politik, Wissenschaft, Ökonomie und Technik [wählte]« (Lem 1981: IV), ab, und lehnt stattdessen seine Technikantizipation an die Prinzipien der Evolution an, indem er versucht, ihr nicht nur »die konstruktiven Erkenntnisse, sondern das Verfahren abzuschauen, nachdem sie diese Erkenntnisse gesammelt hat« (Lem 1981: V). In der Tat gelang es Lem, bereits vor mehr als 40 Jahren technologische Ideen wie beispielsweise die Virtual Reality, welche er damals noch ›Phantomatik‹ nennt, vorwegzunehmen (vgl. Lem 1981: 321ff.), auch wenn er seine Vorhersagen später in der 1996 zunächst auf polnisch und 2000 auf deutsch erschienenen ›Technologiefalle‹ kritisch bewertet (vgl. Lem 2002: 41ff.). Vor allem aber scheint sich Lem hinsichtlich der Annahme, dass sein von vielen als philosophisch angesehenes Werk lediglich eine technikantizipative Funktion erfüllt, getäuscht zu haben. Stattdessen scheinen seine Technikvisionen vor allem auch eine technikgestaltende Rolle in den Technosciences gespielt zu haben, wie sowohl die nach wie vor starke Rezeption seiner Werke auch unter Wissenschaftlern sowie wiederkehrende Aussagen in den geführten Experteninterviews nahelegen. Sowohl Narrationen aus Science Fiction als auch aus der populärwissenschaftlichen Futurologie erfüllen aber noch eine weitere, über die Antizipation neuer Technologien hinausegehende Funktion, denn sie formen nicht nur den Erwartungshorizont der Wissenschaftler, sondern bereiten zugleich den Weg für eine gesellschaftliche Aktzeptanz neuer Technologien in der Öffentlichkeit: »In the popular imagination today’s science fiction is expected to become tomorrow’s science fact« (Bloomfield 2003: 199). Die häufig als selbstverständlich genommene Freiheit der Wissenschaft ist somit keine a priori gesetzte, sondern eine erworbene, weshalb es sich eher um eine Freistellung der Wissenschaft handelt, die von der Akzeptanz vieler unterschiedlicher Akteure abhängt und maßgeblich durch Narrationen beeinflusst wird. Insbesondere aufgrund ihrer Zugänglichkeit und Verständlichkeit spielen technikantizipierende Geschichten in der Populärkultur eine maßgebliche Rolle bezüglich der öffentlichen Meinungsbildung im Hinblick auf neue Technologien. Auf diese Weise erfüllen sie die Doppelfunktion »to structure a field’s own self-understanding, as well as the variants circulated among its enveloping culture influence both the organization of the field and popular responses to it« (Bloomfield 2003: 209). Es wäre allerdings ein Irrtum zu glauben, dass technikbezogene Narrationen primär im fiktionalen oder populärwissenschaftlichen Bereich angesiedelt sind. Auch in Entwicklung und Wissenschaft selbst spielen Technikgeschichten in Form technischer Szenarien und Leitbilder eine große Rolle, wie Beispiele aus unterschiedlichen Bereichen zeigen. So formulierte beispielsweise Clynes, Experte für Biokybernetik und Leiter der wissenschaftlichen Forschung am Rockland State Hospital in New York, und Kline, ebenfalls am Rockland State als Experte für psychiatrische Drogen und wissenschaftlicher Direktor tätig, bereits 1960 im Rahmen eines Papers anlässlich des von der ›Air Force School of Aviation Medicine gesponserten Space Flight Symposiums‹ in San Antonio die Vision, dass Menschen »in the not too distant future« (Clynes/Kline 1995 [1960]: 30) in der Lage sein werden, nicht nur den Weltraum zu bereisen, sondern sich
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
mit Hilfe in den menschlichen Körper integrierter, technischer Unterstützung dergestalt an diese neue Umgebung anzupassen, dass sie dort problemlos leben können. Für die Idee dieses menschlich-technischen Komplexes prägten sie den Begriff des Cyborg: »The Cyborg deliberately incorporates exogenous components extending the self-regulatory control function of the organism in order to adapt it to new environments« (Clynes/Kline 1995 [1960]: 31). Die Darstellung dieser Cyborg-Technologie war offensichtlich in der Lage, nicht nur in der Öffentlichkeit bildliche Vorstellungen und Szenarien im Weltraum lebender Menschen hervorzurufen27 , sondern auch Einfluss auf wissenschaftspolitische Entscheidungen wie beispielsweise die Initiierung der ›NASA Cyborg Studie‹28 im Jahr 1962, die sich ausdrücklich auf das Papier von Clynes und Kline bezog, auszuüben. Auch wenn dieses Projekt sich nicht als erfolgreich erwies, sondern bereits 1964 gestoppt wurde, verdeutlicht es, welchen Einfluss technikbezogene Narrationen nicht nur auf die mediale Verbreitung, sondern die Scientific Community selbst ausüben können. Einen ähnlichen Einfluss – diesmal auf die Technikentwicklung im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie – sollte der 1991 erschienene Aufsatz ›The Computer of the 21st Century‹ von Mark Weiser, bis zu seinem Tod 1999 als technischer Direktor am Xerox Palo Alto Research Centre (PARC) in Kalifornien tätig, nehmen. Weiser entwirft in seinem Paper anhand narrativ formulierter Szenarien erstmalig die Vision einer Computertechnologie, die zum einen völlig in unseren Alltag integriert und somit allgegenwärtig ist, zum anderen aber ›unsichtbar‹ in dem Sinne ist, dass sie »weave into the fabric of everyday life until they are indistinguishable from it« (Weiser 1991: 1). Angesichts der Tatsache, dass »[n]either an explication of the principles of ubiquitious computing nor a list of the technologies involved really gives a sense of what it would be like to live in a world full of invisible widgets« (Weiser 1991: 6), erzählt Weiser zur Illustration der Ubiquitious Computing-Technologie die Geschichte eines typischen Tagesablaufs der fiktiven Akteurin Sal in einem durch unsichtbar vernetzte Computertechnologie geprägten Alltag. Auch diese Vision weist eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte auf und hat im Laufe der Zeit Einfluss auf unterschiedliche Bereiche der Informations- und Kommunikationstechnologie genommen (vgl. Mattern 2005: 39ff.). Wie insbesondere die Leitbildforschung im Rahmen der Techniksoziologie herausgearbeitet hat, fungieren auch diese in der Wissenschaft üblichen visionären Narrationen als Orientierung für die an einer Technikentwicklung beteiligten Akteure, denn »Leitbilder markieren somit als analytisches Instrument einen Sinnzusammenhang und weisen auf diese Weise kollektive Präge- und Bündelungsfunktionen aus« (Knie 1998: 45). Diese Form der Strukturierung bezieht sich einerseits auf die Aktivitäten innerhalb der Scientific Community selbst, andererseits jedoch auch auf die »Verständigung zwischen Herstellern und Nutzern sowie gegebenenfalls von Akteuren […], die […] den Funktionsraum sicherstellen« (Knie 1998: 45). Angesichts der zunehmenden 27
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So zeigt beispielsweise Ronald Kline auf, wie das Cyborg-Konzept bereits 1960 von dem LIFE Magazin aufgegriffen und in eine Illustration der futuristischen Vision umgesetzt wurde, was zu teilweise drastischen Reaktionen der Leser führte (vgl. Kline 2009: 341f.). Der Vorschlag für die Studie wurde von der ›United Aircraft Corporation‹ (UAC) eingereicht und in Zusammenarbeit mit der neu eingerichteten Abteilung für ›Biotechnology and Human Research‹ (OART) der NASA mit dem Ziel begonnen, eine Machbarbeitsstudie unterschiedlicher Aspekte des Cyborg-Konzepts durchzuführen (vgl. Kline 2009: 342ff.).
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Komplexität insbesondere verteilter Innovationsprozesse (vgl. Rammert 2000b: 157ff.) sowie der damit verbundenen Vielzahl von Akteuren, die nicht zwangsläufig aus der gleichen wissenschaftichen Disziplin oder überhaupt aus der Wissenschaft stammen müssen, erfüllen Narrationen dieser Art noch eine weitere Funktion, denn sie vermitteln und übersetzen zwischen den beteiligten Akteuren aus unterschiedlichen Bereichen, wie folgende Aussage eines Interviewexperten verdeutlicht: Wenn ich ins BMBF gehe und mich dort mit einem Juristen unterhalte, ist der hochmotiviert und interessiert, aber der kann das nicht im Detail. Und deswegen muss ich dem eine Geschichte erzählen, was man, wenn man die Technik entwickelt hat, mit dieser Technik machen kann. Und so wird die NOTWENDIGKEIT des GeschichteErzählens an dieser Stelle immer wichtiger in einer Zeit, wo das Ganze vernetzt ist (IP-11, Turn 8). Durch diese Form der Vermittlung wird es möglich, Akteure aus unterschiedlichen Bereichen und ohne technisches Detailwissen nicht nur für ein gemeinsames Projekt zu interessieren, sondern auch auf ein gemeinsames Ziel hin zu koordinieren, denn »[t]exts in various forms shape our understanding of technology, what counts as technology, what it is for, how we ought to use it, and also what lies ahead in the future« (Bloomfield 2003: 197). Wurden zuvor im Zuge des narrative turn in der Wissenschaftsforschung bereits die Inhalt-konstituierende Bedeutung von Narrationen (Was) sowie die zugrunde liegenden narrativen Praktiken (Wie) als Analysedimensionen herausgearbeitet, so lassen sich diese jetzt durch die Frage nach den unterschiedlichen Funktionen von Narrationen (Wozu) – im Fall der Technikforschung beispielsweise die Leitbildfunktion, die Schaffung von Akzeptanz in der Öffentlichkeit sowie die Koordination von Akteuren aus unterschiedlichen Disziplinen – ergänzen. Offen bleibt allerdings die Frage, wie aus den zahlreichen Visionen konkrete Technisierungsprojekte werden, d.h. wie diese zunächst rein programmatischen Entitäten in Form einer prospektiven Struktur »[are] filled in, modified, reshuffled – and become[…] social structure, in its various forms, i.e. emphatically including new technological artifacts« (Van Lente/Rip 1998b: 225). Auf die Frage, wie die Lücke zwischen narrativer Vision auf der einen sowie der Entstehung sozialer Strukturen auf der anderen Seite sich schließen lässt, gehen insbesondere die Niederländer Harro Van Lente und Arie Rip mit ihrer Analyse narrativer Erwartungs- sowie Jasper Deuten und Arie Rip mit ihrem Konzept narrativer Infrastrukturen ein, die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen.
4.4.3.
It’s a visional thing – Technik als Ergebnis von Erwartungs- und narrativen Infrastrukturen
Besonders gut ausgearbeitet ist in der Technik- und Innovationsforschung der Ansatz der Promising Technologies bzw. Expectation Structures von Van Lente und Rip, der die Entstehung neuer technologischer Felder u.a. als Ergebnis narrativer Strategien analysiert (vgl. Van Lente/Rip 1998a; 1998b). Auch hier spielen sowohl Narrationen als auch das Konzept der Positionierung eine zentrale Rolle. Da dieser Ansatz bereits zuvor Erwähnung gefunden hat (vgl. u.a. in dieser Arbeit Kapitel 3.1.1), wird an dieser Stelle nur
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
kurz hierauf eingegangen. Anhand der bereits darstellten Beispiels der Membrantechnologien zeigen Van Lente und Rip, wie sich unter Bezugnahme auf eine strategische Rhetorik der beteiligten Akteure Strukturen, die zunächst nur auf einem narrativen Level existieren, nach und nach zu relativ unabhängigen sozialen Strukturen verfestigen und den Prozess der Technikentwicklung beeinflussen. Für das vorliegende Konzept interessant ist vor allem die Tatsache, dass in dem Ansatz von Van Lente und Rip zentrale Aspekte der Identitäts- und Biographieforschung nicht nur aufgegriffen, sondern auch auf Technik übertragen werden, so dass dieser aus techniksoziologischer Perspektive ein Pendant zu den zuvor genannten Ansätzen aus der Identitätsforschung darstellt. One can transpose the analysis of trajectories of personal lives and identities to analysis of the ›life‹ of a technology. The scenario-like character of technological promises, which we have emphasized, supplements this tradition: The allocation of roles to actors in scenarios/stories, and the way these actors react (accepting their roles, contesting them, or exiting from the emerging world) contribute to the filling in of a shared scenario. Evolving social life can be studied in the same way (Van Lente/Rip 1998b: 221). Besonders mit der Verwendung des Konzepts der Positionierung nehmen van Lente und Rip in ihrem Ansatz ausdrücklich Bezug auf die Identitätsforschug. Wechselseitige Positionierungen spielen bei van Lente und Rip vor allem im Hinblick auf die Entstehung einer sozial verbindlichen Agenda im Prozess der Technikentwicklung eine Rolle (vgl. Van Lente/Rip 1998b: 218f.): The key phenomen is the way in which actors position themselves and others in relation to a future technology. When mutual positioning and the concomitant strategies interlock, some coordination occurs, including reputation, visibility strategies, and ›unwritten rules‹ (Van Lente/Rip 1998a: 244). Dabei erweitern sie den ursprünglichen Ansatz von Harré und Van Langenhove um drei Aspekte: Erstens, indem sie Positionierung nicht auf Interaktionen beschränken, sondern auch in Handlungen untersuchen; zweitens, indem Akte der Positionierung nicht nur die Gegenwart betreffen, sondern sich auch auf zukünftige Räume beziehen können und drittens, indem »in expectation statements about technology not only selves and others are located, but ›things‹ (future artefacts, systems) as well« (Van Lente/Rip 1998b: 221) in die Positionierung mit einbezogen werden können. Auch der Ansatz von Deuten und Rip, der sich mit Entstehung und Funktion narrativer Infrastrukturen beschäftigt, basiert auf der Analyse von Narrationen. Ausgehend von der Frage, wie Kontingenzen in fortlaufenden Interaktionen »a shape, in fact a variety of shapes, through the stories told […]« (Deuten/Rip 2000: 73) erhalten und welche Implikationen dies für das Innovationsmanagent hat (vgl. Deuten/Rip 2000: 70), fokussieren die Autoren zunächst die im Innovationsprozess beobachtbaren Interaktionsstrategien einzelner Akteure, die sich dann zu einem »overall effect of interacting stories« (Deuten/Rip 2000: 71) in Form narrativer Infrastrukturen verdichten. Hierbei handelt es sich um »the evolving aggregation of actors/narratives in their material and social settings that enables and constrains the possible stories, actions and interactions by actors« (Deuten/Rip 2000: 74). Dabei wird insbesondere die Funktion narrati-
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ver Infrastrukturen im Hinblick auf die Stiftung von Kohärenz in multidimensionalen, heterogenen Entwicklungsprozessen herausgearbeitet. Zu Beginn eines Entwicklungsund Innovationsprozesses werden zunächst – ähnlich wie Van Lente und Rip aufgezeigt haben – Geschichten über die künftige Technologie erzählt. Diese treffen auf eine Zuhörerschaft, welche die Geschichten weitergeben, so dass aus den Zuhörern wiederum Erzähler zukünftiger Geschichten werden. Allerdings verändern die Erzähler die Geschichten im Zuge dieses Prozesses, indem sie unterschiedliche materielle und soziale Aspekte und Erfahrungen berücksichtigen und in ihre Erzählungen einfließen lassen. Durch diese »ongoing interactions« (Deuten/Rip 2000: 74) entsteht ein heterogenes »mosaic of stories« (Deuten/Rip 2000: 74), bei dem sich manchmal auch die Herausbildung einer »master story« (Deuten/Rip 2000: 74) beobachten lässt. Unabhängig davon, ob die Geschichte im Ganzen weitererzählt wird oder nur in Teilen und ob sich so etwas wie eine Kernnarration herausbildet oder nicht, werden immer bestimmte »building blocks« (Deuten/Rip 2000: 74) mitgenommen, die weiterhin akzeptiert werden und in die neue Erzählung einfließen. Auf diese Weise entsteht eine narrative Infrastruktur, die in der Folge weitere Handlungen und Interaktionen formt, ohne dass einzelnen Akteuren eine Verantwortlichkeit hierfür zugschrieben werden kann: »Analytically, the important point about such infrastructure is that they help to explain how coherence can emerge in multi-actor, multi-level processes, without any one actor specifically being responsible for it« (Deuten/Rip 2000: 71). Deuten und Rip verdeutlichen dies am Beispiel eines Projekts, das in einem niederländischen Biotechnologie-Unternehmen durchgeführt wurde und die Entwicklung eines neuen Enzyms (das in Deuten und Rips Ausführungen den fiktiven Namen ›Gemmase‹ erhält) zum Ziel hatte. Zu Beginn bestand das Projekt aus einer »promising idea or a ›lead‹« (Deuten/Rip 2000: 77), die als Szenario in einer Anfangsgeschichte skizziert wurde und nun »into a clear concept of the technology, the functions, the applications, and with expectations about cost of production and potential market« (Deuten/Rip 2000: 78) transformiert werden musste. Diese Anfangsgeschichte wurde übersetzt in einen Projektplan, der als »prospective« bzw. »stylized story, with various characters and a minimal plot« (Deuten/Rip 2000:79) dem Projektteam als road map diente und zugleich ein wichtiges Verbindungselement in der Kommunikation mit externen Akteuren darstellte (vgl. Deuten/Rip 2000: 79). Im Verlauf des Projektes wurden die Geschichten an die Projektumstände wie beispielsweise Rückschläge und Verzögerungen angepasst und entsprechend durch die alternativen Szenarien modifiziert, ohne dass die Ausgangsstory als road map und Leitlinie ihre Gültigkeit verlor (vgl. Deuten/Rip 2000: 82). Trotz zahlreicher Rückschläge ermöglichten es die im Zuge des Projektes mitgeführten Narrationen auf diese Weise »[to] create inertia for a project team in a protected niche« (Deuten/Rip 2000: 82). Die entstandene narrative Infrastruktur formte die Projektaktivitäten und half, ein Muster für das gesamte Projektgeschehen herauszubilden. Im Hinblick auf Entstehung und Funktion narrativer Infrastrukturen spielt auch hier das Konzept der Positionierung eine zentrale Rolle, denn erst durch die wechselseitigen Positionierungsaktivitäten der beteiltigen Akteure werden aus singulären Geschichten narrative Infrastrukturen, im Zuge derer »the complexities of the plot reflect the criss-crossing linkages between actors trying to position others, and being positioned by them« (Deuten/Rip 2000: 88). Darüber hinaus werden im Laufe der Entstehung
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
narrativer Infrastrukturen aus den beteiligten Akteuren »characters that cannot easily change their identity and role by their own initiative« (Deuten/Rip 2000: 74). Dabei finden auch nicht-menschliche Akteure als narratives Personal in diesen Geschichten Erwähnung (vgl. Deuten/Rip 2000: 88) und erhalten wie die menschlichen Partizipanten eine eigene Identität. So wurde im Falle des oben genannten Projekts dem zu entwickelnden Enzym ›Gemmase‹ die Rolle eines ›Helden‹ zugeschrieben: »A narrative infrastructure emerges in which another hero is born: gemmase itself, which will stand triumphant in the end« (Deuten/Rip 2000: 88). Dies findet auch seine Entsprechung in einem weit gefassten Verständnis von Narration, im Zuge dessen zum einen auch nicht-menschliche Akteure ›zugelassen‹ werden und das sich zum anderen nicht allein auf Interaktionen sowie mündliche und schriftliche Erzählungen beschränkt, sondern das auch Handlungen mit einschließt: »[T]here is more to ›story‹ than words and a receptive listener/reader, then one can (and should) take ›story‹ in a broader sense as a setting, in the broad sense, and the actions and interactions played out in and with it (Deuten/Rip 2000: 74). Beide Ansätze halten mit dem Verständnis von Narrationen in einem weiteren Sinne interessante Ansatzpunkte bereit. Performative Akte – beispielsweise in Form narrativer Positionierungen – sind nämlich nicht »limited to explicitely persuasive speech, nor even to speaking and writing. There are rhetorics of presentation involved in behaviour, in the set-up of a poster session, in the choices of illustrations and covers of brochures« (Van Lente/Rip 1998: 225). Entsprechend können neben schriftlichen und mündlichen Texten auch bildliche Darstellungen, Präsentationen und sowie Handlungen der Akteure als Datenbasis herangezogen werden, in denen sie sich positionieren und etwas von sich preisgeben (vgl. Deuten/Rip 2000:74; Van Lente/Rip 1998a: 221; 225). Note that in the world of membranes (and in general), information is not only read in texts, but also in acts. If an actor does something (or avoids doing something), she inevitably takes a position, and this positioning is recognized by others. By acting, you ›say‹ something (Van Lente/Rip 1998a: 242). Dementsprechend muss nicht nur die Narration selbst analysiert werden, sondern darüber hinaus das material setting der Story sowie die soziale Situation, in die sie eingebettet ist (vgl. Deuten/Rip 2000: 73). Mit diesen Überlegungen ist die theoretische Bestandsaufnahme der für das Konzept einer narrativen Identität der Technik relevanten Ansätze der Narrationsforschung abgeschlossen. Insbesondere durch den Rekurs auf den Narrationsbegriff in o.g. Weise sowie die Herausarbeitung der Bedeutung wechselseitiger Positionierung für Entstehung und Entwicklung neuer Technologien bieten die dargestellten Technikansätze interessante Ansatzpunkte, die im Folgenden aufgegriffen und für das vorliegende Konzept einer narrativen Identität der Technik nutzbar gemacht werden.
4.5.
Konzept einer narrativen Identität der Technik
Nun ist es Zeit, um – mit Latour gesprochen – die zuvor in die verschiedenen Felder der Narrationsforschung delegierten menschlichen und nicht-menschlichen Aktanten,
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die dem Leser einen umfassenden Blick auf die verschiedenen Facetten narrativer Analysen ermöglichten, wieder ›einzufangen‹ und »to bring the delegated characters back [Hervorheb. im Orig.]« (Latour 1988: 9). Betrachtet man die vorangegangenen Darstellungen narrativer Ansätze in der Technik- und Identitätsforschung, so handelt es sich hierbei um einen fruchtbaren analytischen und methodischen Zugang zur Erforschung sozialer Vorgänge. Aus diesem Grund wird im Folgenden überprüft, inwiefern narrative Ansätze zur Analyse technischer Entwicklungsprozesse im Allgemeinen sowie technischer Identitäten im Besonderen geeignet sind und welche Fragen sich hieraus ergeben mit dem Ziel, auf Basis der zuvor erarbeiteten unterschiedlichen narrativen Perspektiven das Konzept einer narrativen Identität der Technik zu entwickeln. Zu diesem Zweck werden in einem ersten Schritt die Grundannahmen, die sich aus einer narrativen Betrachtungsweise ergeben, zusammengeführt und ihre Relevanz für eine Analyse technischer Identitäten herausgearbeitet. In einem zweiten Schritt wird insbesondere das Konzept narrativer Positionierung auf Technik übertragen, so dass es als Analysefokus für die nachfolgende Fallstudie dienen kann. Abschließend werden in einem dritten Schritt die in Kapitel 2 dargestellten Facetten einer Identität der Technik in Bezug zu den Aspekten narrativer Identitätsherstellung gesetzt.
4.5.1.
Grundannahmen
Eine grundlegende Frage im Hinblick auf das Konzept einer narrativen Identität der Technik besteht darin, welche expressiven Formen im Rahmen dieses Konzeptes überhaupt als Narrationen gelten sollen. Wie gezeigt ist es naheliegend, im Hinblick auf Technik von einem weit gefassten Narrationsbegriff auszugehen. Damit folgt der hier vorgestellte Ansatz verschiedenen Autoren wie beispielsweise Barthes (1977a, 1977b), der neben gesprochener und geschriebener Sprache auch Bilder, Gesten oder eine Kombination dieser verschiedenen Ausdrucksformen als Narrationen gelten lässt sowie Lucius-Hoene und Deppermann (2000; 2004a; 2004b), welche die identitätsrelevante Funktion narrativer Positionierungspraktiken herausarbeiten. Van Lente (1993), Van Lente und Rip (1998a; 1998b) sowie Deuten und Rip (2000) betonen zudem die Bedeutung von Positionierungspraktiken auch in Bezug auf Technik, die hier eine identitätszuweisende Funktion ausüben und sich analog zu sprachlichen Äußerungen narrativ analysieren lassen. Dabei erweitern sie das Konzept um nonverbale, handlungsbezogene Positionierungen und stellen heraus, »positioning is not necessary through conversation and immediate interaction, but also through statements and (public) acts« (Van Lente/Rip 1998b: 221). Die Idee, dass man auch durch Handlungen und sogar ›mit Dingen‹ selbst etwas erzählen kann, folgt einer pragmatischen Perspektive. So stellt in jüngerer Zeit inbesondere Rammert in Analogie zu Austins Sprechakttheorie im Hinblick auf Technik heraus, dass wir eben nicht nur – wie es in Austins Werk »How to do things with words« heißt – »etwas tun, dadurch daß wir etwas sagen oder indem wir etwas sagen [alle Hervorheb. im Orig.]« (Austin 1994: 3), sondern umgekehrt wir auch »[m]it den Dingen etwas sagen [Hervorheb. im Orig.]« (Rammert 2010: 43) können (›How to to words with things‹):
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
›Mit den Dingen etwas sagen‹ soll heißen, wann immer Dinge gemacht oder mit Dingen etwas getan wird, werden Worte gemacht, Aussagen getroffen und wird Bedeutung gestiftet. Ähnlich wie durch die Sprechakte entsteht durch die Technikakte ein Universum technischer Ausdrucksformen, eine Sprache mit eigenen grammatischen Regeln, einer eigenen Semantik der Funktionalitäten und einer eigenen Syntaktitk funktionierender technischer Kombinationen [alle Hervorheb. im Orig.] (Rammert 2010: 43). Folgt man Rammert weiter, so eröffnet sich [m]it dieser parallelen Modellierung sprachlichen und technischen Handelns […] ein Forschungsprogramm, mit dem Technik analog zur Sprache unter den Gesichtspunkten der Semantik, Pragmatik und Syntaktik verfeinert und systematisch untersucht werden kann. Besonders die Pragmatik als Programm macht die einzelnen ›Technikakte‹ im Rahmen technischen Handelns zur kleinsten Untersuchungseinheit, lässt einen präzisen Blick auf das Machen von Technik, das Machen mit Technik und das Mitmachen der Technik in den jeweiligen Situationen zu (Rammert 2010: 45). Mit der Betonung des ›Mitmachens der Technik‹ werden narrativ zu analysierende Handlungen nicht allein auf menschliche Handlungen beschränkt, sondern es geraten darüber hinaus auch die bereits beschriebenen Eigenaktivitäten der Technik selbst in den Mittelpunkt (insbesondere dann, wenn ihnen Eigenmächtigkeiten und auch von außen stehenden Akteuren ein Status als ›Handlung‹ zugeschrieben wird). Damit wird das Spektrum eines ›weit‹ gefassten Narrationsbegriffs um einen weiteren Aspekt erweitert, nämlich um die Eigenaktivität der Dinge selbst. Auch wenn man ihnen sicherlich kein strategisches Handlungskalkül zuschreiben wird, wirken die Dinge doch an der Entstehung ihrer Geschichte mit, sie ›erzählen‹ mit, wie insbesondere im Zusammenhang mit den nachfolgenden Ausführungen über narrative Positionierung der Technik noch gezeigt wird. Der weit gefasste Narrationsbegriff betont zudem, dass Narrationen nicht auf eine bestimmte Länge oder Form der Erzählung beschränkt sind, sondern es kommen wie insbesondere Lucius-Hoene und Deppermann (2004a+b), Kraus (1996) sowie Davies und Harré (1990) gezeigt haben, unter bestimmten Umständen auch kurze Interaktionsoder Handlungssequenzen in den Fokus einer narrativen Analyse rücken. Darüber hinaus werden, wie die genannten Autoren weiter zeigen, Identitäten nicht allein durch Selbstnarration des Identitätsträgers, sondern ebenso durch Fremdnarrationen konstituiert, beispielsweise in Form von Positionierungen und Counter-Positionierungen. Für das Konzept einer narrativen Identität der Technik bedeutet dies, dass technische Identitäten auf vielfältige Weisen narrativ hergestellt werden können. Erstens sind hier orale und schriftliche Geschichten anderer, für die Technik relevanter Akteure – beispielsweise Forscher, Geldgeber und Produzenten – über die betreffende Technik sowie die darin enthaltenen Positionierungen zu nennen. Diese finden sich in schriftlicher Form in Publikationen, Projektberichten und Forschungsanträgen, sowie in mündlicher Form in Präsentationen über die Technik, Konferenzbeiträgen, Marketing-Kampagnien, Fachgesprächen aber auch in technikbezogenen Alltagsinteraktionen. Darüber hinaus werden technische Identitäten zweitens auch narrativ über Handlungen anderer relevanter Akteure hergestellt, welche die betreffende Technik in bestimmter Form positionieren.
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Die multiple Identität der Technik
Zu denken ist hier an den praktischen Umgang mit der Technik sowie ihre räumliche Positionierung etwa im Rahmen einer spezifischen Versuchsanordnung oder auch ihre zeitliche Positionierung, zum Beispiel wann sie am Markt in Erscheinung tritt bzw. als Produkt für den Nutzer verfügbar gemacht wird. Drittens ›spricht‹ die Technik – wie gezeigt – selber mit, indem sie durch etwaige Widerständigkeiten oder auch Optionen das Geschehen mit beeinflusst und somit aktiv an ihrer Identität in Form ihrer symbolischen Bedeutungsstruktur mitwirkt. So werden Bedeutungszuschreibungen, Erwartungen, aber auch ganze identitätsbezogene Narrationen und narrative Infrastrukturen, die sich seitens unterschiedlicher Akteure bilden und von außen an die Technik herangetragen werden, schnell zunichte gemacht, wenn die Technik selbst nicht in geplanter Weise funktioniert. Mit dem hier vertretenen weiten Narrationsbegriff – und insbesondere mit der Erweiterung um die Eigenaktivität nicht-menschlicher Artefakte – geht auch ein breit gefächertes Verständnis des ›zulässigen‹ narrativen Personals einher. Es kommen naheliegender Weise nicht nur menschliche, sondern eben auch nicht-menschliche, beispielsweise technische, Akteure als narratives Personal bzw. Handlungsträger in Betracht. Angelegt sind diese Überlegungen bereits im Zuge der Akteur-Netzwerk-Theorie (vgl. insbesondere Latour 1996a; 1996b; 1998; 2001; 2003; 2007; 2008), den Ausführungen zu den unterschiedlichen Aktivitätsgraden technischer Artefakte und der Zuschreibung ihrer Handlungsträgerschaft von Rammert und Schulz-Schaeffer (2002a; 2002b) sowie der expliziten Erwähnung von Artefakten als narrativem Personal bei Deuten und Rip (2000). Diesen Ansätzen folgend wird im Weiteren davon ausgegangen, dass die Technik selbst bei der Herausbildung iher Identität ›mitspricht‹, d.h., dass die narrative Identität der Technik durch Geschichten konstituiert wird, in denen nicht nur menschliche, sondern gleichermaßen nicht-menschliche Akteure partizipieren und mitwirken. Unter welchen Umständen aber lassen sich menschliche und nicht-menschliche Akteure als narratives Personal sowie Handlungen, Interaktions- sowie Konversationssequenzen als Narrationen analysieren? Wie zuvor herausgestellt, müssen Letztere für die Identität der Technik eine identitätskonstituierende Bedeutung haben. Eine entsprechende Bedeutung erhalten sie nicht durch ihre singuläre Existenz an sich, sondern erst im Zuge des bereits erwähnten emplotment bzw. relational setting, also der Einbettung einzelner Elemente in eine sequentielle Konfiguration im Zuge von Narration. Sie gewährleistet, dass einzelne, voneinander unabhängige Ereignisse nicht allein aufgelistet, sondern stattdessen zeitlich und räumlich zueinander in Bezug gesetzt werden. Weder stellen Erzählungen oder Handlungen von Akteuren noch die Eigenaktivitäten der Technik selbst an sich bereits Narrationen dar. Werden sie jedoch aufeinander bezogen und in einen gemeinsamen Kontext gestellt, so lassen sie sich sequentiell als Narrationen analysieren. Besonders deutlich wird dies am o.g. Beispiel der Positionierungspraktiken. Im Wechselspiel zwischen Erwartungen an die Technik, der Eigenaktivität der Technik sowie den Reaktionen der beteiligten Akteure entstehen hier fortlaufende interaktive Zusammenhänge (ongoing interactions, vgl. Deuten/Rip 2000), die wechselseitige Positionierungen enthalten. Aus ihnen wird eine Geschichte mit einer spezifischen Bedeutungsstruktur oder eben sogar ein ganzes Mosaik von Geschichten in Form einer narrativen Infrastruktur (vgl. Deuten/Rip 2000) gewoben, durch die u.a. narrativ situative technische Identitäten konstituiert werden. Mit dem Verweis auf ›si-
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
tuative‹ Identitäten wird zugleich deutlich, dass es sich hierbei keineswegs um einmalig starr fixierte, stabile symbolische Strukturen handelt, sondern stattdessen um ein System unterschiedlicher Bedeutungen und Zeichen, die wechselseitig aufeinander verweisen. Identität muss immer auch als Identitätsarbeit verstanden werden, die durch die Hervorbringung unterschiedlicher, pluraler Bedeutungen gekennzeichnet ist. Damit ist der hier vertretene Ansatz Czarniawska (vgl. 2004a) folgend eher am poststrukturalistischen Ende des möglichen Spektrums narrativer Ansätze zu verorten. Worüber aber geben Narrationen im o.g. Sinne eigentlich Aufschluss? Wie gezeigt, wurden bislang verschiedene Ansätze in der Narrationsforschung diskutiert. Dem ersten Ansatz nach handelt es sich bei Narrationen um Repräsentationen unterschiedlicher Inhalte. Hiernach ließen sich mit Hilfe narrationsanalytischer Verfahren Rückschlüsse auf die ›Welt‹ an sich ziehen (vgl. beispielsweise Aristoteles 1987). Der zweite Ansatz wiederum versteht die Welt selbst sowie die Kultur als ›Text‹, den es ›auszulesen‹ und zu entschlüsseln gilt (vgl. beispielsweise Barthes 1977a, 1977b sowie Geertz 1987). Demgegenüber betont der dritte Ansatz den performativen Charakter von Narrationen. Narrationen – verstanden als narrative Praktiken – stellen diesem Verständnis nach selbst die ›Welt‹ im weit gefassten Sinne erst her, ohne – wie insbesondere Reckwitz betont – dabei die in den Praktiken implizit enthaltenen Wissensordnungen zu vernachlässigen. Denn neben den zuvor erwähnten Schwächen einer reinen Text- bzw. Narrationsanalyse (vgl. Reckwitz 2003) steht auch die isolierte Betrachtung von Praktiken vor Problemen (vgl. hier und im Folgenden Reckwitz 2008), denn zum einen gilt es ja, von den Praktiken selbst Rückschlüsse beispielsweise auf den ›sozialen Sinn‹ zu ziehen. Zum anderen ergeben sich vor allem aber methodische Probleme der Zugänglichkeit, insbesondere dann, wenn es sich um bereits vergangene Praktiken handelt oder wenn der zu untersuchende Gegenstand aus zeitlichen und räumlichen Gründen eine teilnehmende Beobachtung unmöglich macht. Vor diesem Problem steht insbesondere die Rekonstruktion technischer Identitäten. Eine rein praxisorientierte Analyse würde voraussetzen, dass der Forscher über eine Zeitspanne von Jahrzehnten die technikbezogenen Aktivitäten gleichzeitig an verschiedenen Orten dokumentiert und analysiert, wodurch ein immenser personeller, zeitlicher und finanzieller Aufwand entstünde. Angesichts der Tatsache, dass diese Ressourcen in der Forschung in der Regel nicht gegeben sind, bietet sich zur Rekonstruktion technischer Identitäten der von Reckwitz proklamierte Ausweg eines ›praxeologisch-kulturtheoretischen Ansatzes‹ an. Dieser ermöglicht zum einen, den performativen Charakter narrativer Praktiken zu berücksichtigen, zum anderen aber auch, auf Texte und Narrationen als ›Praktiken der Repräsentation‹ zurück zu greifen und die darin enthaltenen impliziten Wissensbestände unter Berücksichtigung ihres narrativ konstituierten Charakters zu rekonstruieren. Dieses Verständnis korrespondiert mit dem von Lucius-Hoene und Deppermann (2000; 2004a+b) vertretenen narrativen Ansatz, welcher im Hinblick auf die Konstitution sowie die Analyse von Identität ebenfalls einen Doppelbezug aufweisen. Narrationen sind einerseits Zeugnis der Darstellung von Identität, während sie andererseits gleichzeitig Identitäten als sinnhafte Entitäten im Sinne eines doing identity erst herstellen. Diese gleichzeitige Betrachtung von knowing that und knowing how weist interessante Implikationen für das vorliegende Konzept narrativer technischer Identitäten auf: Zum einen repräsentieren Narrationen die symbolische Struktur technischer Artefakte in ihrem Wandel. Zum an-
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Die multiple Identität der Technik
derem stellen Narrationen den modus operandi dar, durch welchen technische Identitäten erst konstituiert werden. Durch die Möglichkeit ihrer Analyse mit Hilfe narrativer Verfahren eröffnen sie somit einen empirischen Zugang sowohl zu den konstituierenden Herstellungsmechanismen technischer Identität (hier vor allem die Identitätszuweisung durch Positionierung) als auch zu der Analyse ihres sozialen Sinns sowie ihrer symbolischen Struktur selbst.
4.5.2.
Technik und Positionierung
Bislang wurde das Konzept der Positionierung sowohl im Hinblick auf narrative Identitäten im Allgemeinen als auch im Hinblick auf Technik im Besonderen primär auf menschliche Akteure als Subjekte der Positionierung bezogen. Als Objekt der Positionierung kamen dabei neben anderen menschlichen Akteuren auch technische Artefakte in Betracht. So wurde die Überlegung, dass nicht nur menschliche Akteure, sondern gleichfalls natürliche, nicht-menschliche Entitäten ebenso wie Artefakte positioniert werden können, bereits von Van Lente und Rip in ihrer Erweiterung des von Harré, Davies und Van Langenhove (1998a; 1998b) vertretenen Ansatzes der Positioning Theory dargelegt. Technische Artefakte sind aber keineswegs unbeteiligte Entitäten, sondern gestalten als nicht-menschliche Akteure auf unterschiedlichen Aktivitätsniveaus das Handlungsgeschehen mit. Während die Positionierung menschlicher Akteure sowie technischer Artekfakte durch Menschen damit schon Eingang in verschiedene techniksoziologische Diskurse gefunden hat, steht eine systematische Betrachtung der Positionierung unterschiedlicher menschlicher und nicht-menschlicher Akteure durch Technik noch gänzlich aus. Vor diesem Hintergrund ergeben sich die folgenden vier Möglichkeiten der Positionerung im Hinblick auf ihren Subjekt- bzw. Objekt-Status (vgl. Tab. 3): Tabelle 3: Kreuztabellierung der Mensch-Technik-Positionierungsmöglichkeiten Objekt Mensch
Objekt Technik
Subjekt Mensch
(1) Mensch Mensch
(2) Mensch Technik
Subjekt Technik
(3) Technik Mensch
(4) Technik Technik
Im Folgenden sollen diese Überlegungen im Hinblick auf unterschiedliche technikbezogene Positionierungspraktiken näher betrachtet und untersucht werden, inwiefern sich das Konzept der Positionierung auch auf technische Artefakte als Subjekt der Positionierung ausweiten lässt. In Bezug auf nicht-menschliche Akteure soll dabei jedoch nicht von Positionierungspraktiken die Rede sein. Zwar widmet sich Reckwitz in Ausarbeitung seiner Praxistheorie durchaus auch Artefakten, betont aber, dass diese »Teilelement von sozialen Praktiken« (Reckwitz 2003: 291) sind, nicht aber selbst der ausführende Träger dieser Praktiken. Dennoch müssen sie in vielen Fällen vorhanden sein, »damit eine Praktik entstehen konnte und damit sie vollzogen und reproduziert werden kann« (Reckwitz 2003: 291). Aus diesem Grund wird hier – in Anlehnung an die von Rammert/Schulz-Schaeffer zuvor herausgearbeiteten unterschiedlichen Aktivi-
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
tätsgrade, die von Technik übernommen werden können – im Hinblick auf technische Artefakte die Rede von Positionierungsaktivitäten (statt Positionierungspraktiken) sein.
Positionierung durch menschliche Akteure In ihren Studien zur Membrantechnologie sowie eines Projekts, das mit der Entwicklung eines neuen Enzyms betraut war, haben sowohl Van Lente und Rip (1998a; 1998b) als auch Deuten und Rip (2000) gezeigt, dass Positionierung von Menschen und durch Menschen (Mensch Mensch) keineswegs auf das Feld der psychologischen Identitätsforschung beschränkt ist, sondern Positionierungen in den unterschiedlichsten Kontexten und so auch im Zuge technischer Entwicklungen eine entscheidende Rolle spielen. Dabei stehen den betroffenen Akteuren innerhalb des technologischen Felds die gleichen Positionierungs-Mechanismen zur Verfügung, die zuvor insbesondere in Anlehnung an Lucius-Hoene und Deppermann (2004 a+b) sowie Langenhove und Harré (1999) bereits herausgearbeitet wurden, nämlich: Selbst- und Fremdpositionierung, Positionierungen erster, zweiter und dritter Ordnung (performative und accountive positioning), direkte und indirekte Positionierung, persönliche und moralische Positionierung sowie in Ergänzung zu den genannten Autoren vor allem auch nonverbale Positionierung. Diese Idee, dass »positioning is not necessarily through conversation and immediate interaction, but also through statements and (public) acts« (Van Lente/Rip 1998b: 220) stellt eine Erweiterung des ursprünglichen Konzeptes dar. Anzumerken ist hierbei, dass Positionierung nicht nur dann stattfindet, wenn die Akteure aktiv etwas verbal oder nonverbal tun, sondern auch dann, wenn sie nichts tun, eine Handlung vermeiden o.ä. (vgl. Van Lente/Rip 1998a: 242). Dieser Punkt hält insbesondere für die weiterführenden Überlegungen zur Positionierung durch Technik interessante Anknüpfungspunkte bereit, die an späterer Stelle näher ausgeführt werden. Entscheidend ist, dass Positionierung in den genannten Konzepten nicht primär zur Analyse der Herausbildung von Identitäten herangezogen wird, sondern zur Klärung der Stabilisierungsmechanismen innerhalb eines technologischen Feldes. So positionieren sich in der Studie von Deuten und Rip die beteiligten Akteure in Bezug auf neue Technologien und deren Entwicklung beispielsweise als ›innovator‹ oder als ›hero‹ (vgl. Deuten/Rip 2000: 88) und erhalten entsprechende, ebenfalls technikbezogene Gegenpositionierungen anderer Akteure. Auf der Basis dieser wechselseitigen Positionierungen entstehen eine gemeinsame Agenda (vgl. Van Lente/Rip 1998a+b) sowie narrative Infrastrukturen (vgl. Deuten/Rip 2000), die für den Verlauf des Innovationsprozesses handlungsleitend sind. Innerhalb eines technologischen Feldes positionieren sich aber nicht nur die beteiligten Akteure gegenseitig, sondern es werden gleichermaßen die im Mittelpunkt der Aktivitäten stehenden Technologien durch menschliche Akteure positioniert (Mensch Technik). Hierbei kann es sich einerseits um Positionierungen der aktuellen Technologien handeln, andererseits können sich die Positionierungsaktivitäten aber auch auf zukünftige Technologien beziehen. In beiden Fällen nehmen die Akteure Stellung im Hinblick auf die Technologie und weisen ihr zugleich eine bestimmte Position im Geschehen zu – im Falle des Enzyms ›Gemmase‹ beispielsweise ebenfalls die Position als ›Held‹, der das zuvor ebenso positionierte Projektteam in dieser Funktion ablöst und fortan das Projektgeschehen bestimmt (vgl. Deuten/Rip 2000: 88). Auf diese Weise werden die techno-
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Die multiple Identität der Technik
logischen Artefakte in das Agenda-Buildung sowie die narrativen Infrastrukturen aktiv eingebunden und erhalten ihre Rolle als ›narratives Personal‹ im Verlauf der Geschichte – entweder als aktueller oder aber künftiger Akteur, wie in dem genannten Beispiel als »gemmase-to-be« (Deuten/Rip 2000: 88). Gleichzeitig fungieren die positionierten Artefakte als Referenz- und Knotenpunkte für weitere (zustimmende oder ablehnende) Positionierungen der beteiligten Akteure und werden somit Teil eines Netzes von Verbindungen und Abhängigkeiten (vgl. Van Lente/Rip 1998a: 235). Um das Wohlwollen sowie die Unterstützung relevanter Akteure aufrecht zu erhalten, kann es darüber hinaus erforderlich sein, die Positionierungen an sich ändernde Gegebenheiten anzupassen und die Technologie entsprechend zu re-positionieren (vgl. Deuten/Rip 2000: 79). Auch im Fall der Positionierung technologischer Artefakte durch menschliche Akteure stehen grundsätzlich alle zuvor genannten Positionierungsaktivitäten zur Verfügung: Ebenso ergibt sich hier eine Differenz zwischen der Positionierung in der Erzählsituation sowie der erzählten Situation (beispielsweise in Geschichten über die betreffende Technologie und ihre damalige Positionierung). Darüber hinaus können die Akteure zum einen ihre Haltung gegenüber der Technologie zum Ausdruck bringen (Selbstpositionierung), aber auch dem Artefakt selbst eine bestimmte Position (beispielswiese eben als ›Held‹) zuweisen (Fremdpositionierung). Die Positionierung kann dabei etwas über die ›persönlichen‹ Eigenschaften der Technologie (persönliche Positionierung) aussagen (beispielsweise, wenn Apple sein MacBook Air als »leistungsstarkes« Gerät mit »unglaublicher Leistung« positioniert, das »bereit für alles« ist29 ), oder aber über die ›moralische‹ Funktion der Technologie (moralische Positionierung), beispielsweise als ›lebensrettende‹ Technologie (vgl. Opitz 2007). Die Positionierungsaktivitäten gegenüber der Technologie können sowohl verbal (beispielsweise mündlich im Rahmen von Vorträgen sowie schriftlich innerhalb eines Projektplans) oder aber nonverbal (beispielsweise, indem der Technologie im Rahmen einer Versuchsanordnung eine bestimmte Position zugewiesen wird) erfolgen. Neben diesen Positionierungen erster Ordnung antworten die Akteure ihrerseits auch auf Positionierungsaktivitäten seitens der Technik. Entweder, indem sie diese annehmen (zum Beispiel, indem weitere Entwicklungsanstrengungen aufgegeben werden, sobald die Technik sich als widerständig erweist und den Entwickler als ›gescheitert‹ positioniert; perlokutiver Effekt), ihrerseits die Technik neu positionieren (dies wäre unter anderem der Fall, wenn im o.g. Beispiel der Entwickler die Entwicklungsarbeit fortsetzt und der Technik im Zuge dessen eine neue Position zuweist; counter positioning, Positionierung zweiter Ordnung) oder in Gesprächen mit anderen die Technik neu positioniert (zu denken ist hierbei beispielsweise an Gespräche unter Kollegen über die Technik; accountive positioning).
Positionierungsaktivitäten nicht-menschlicher Akteure Es stellt sich nun die nicht ganz einfache Frage, ob sich die bisherigen Überlegungen zur Positionierung auch auf Technik ausweiten lassen. Während Positionierungen erster Ordnung häufig unintendiert und unbewusst vorgenommen werden, ist zumindest bei Gegenpositionierungen davon auszugehen, dass die Akteure sich bewusst und auf der Basis strategischer Überlegungen positionieren. Legt man dieses Kriterium zugrunde, 29
URL: www.apple.com/de/macbook-air/, Zugriff: 06.02.17
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
hätten sich die weiteren Überlegungen bereits an der Stelle erübrigt, denn man wird mit Recht wohl kaum davon ausgehen können, dass Technik sich und andere absichtlich und auch noch mit Kalkül in einer bestimmten Weise positioniert. Allerdings wurde auch erwähnt, dass man sich und andere auch durch Nicht-handeln positionieren kann. Dies birgt einen interessanten Gedanken, der das Positionierungskonzept in die Nähe zu Paul Watzlawicks mittlerweile schon proklamatischen Aussagen »Man kann sich nicht nicht verhalten [Hervorheb. im Orig.]« (Watzlawick 1996: 51) rückt: »Wenn man also akzeptiert, daß alles Verhalten in einer zwischenpersönlichen Situation Mitteilungscharakter hat, d.h. Kommunikation ist, so folgt daraus, daß man, wie immer man es auch versuchen mag, nicht nicht [Hervorheb. im Orig.] kommunizieren kann« (Watzlawick 1996: 51). Daraus folgernd, dass man nicht nur durch aktives Handeln, sondern ebenso durch das Vermeiden von Handlungen sich und andere positioniert, ist es naheliegend, dass man nicht nur durch geplante, beabsichtigte Handlungen oder deren Unterlassung eine Positionierung durchführt, sondern auch dadurch, dass man sich einfach überhaupt (nicht) verhält. Es besteht nämlich durchaus die Möglichkeit, dass Ego zwar keine bestimmte Positionierung beabsichtigt, das Alter Ego dies jedoch als eine bestimmte Form der Positionierung versteht und entsprechend darauf mit einer zustimmenden oder aber einer Gegen-Positionierung reagiert. Getreu Luhmanns Kommunikationsverständnis, dass Kommunikation dann stattfindet, wenn das Gegenüber etwas als Kommunikation versteht, wobei dieses »Verstehen mehr oder weniger weitgehende Mißverständnisse als normal ein[schließt]« (Luhmann 1987: 196), ließe sich sagen, dass Positionierung dann stattfindet, wenn sie als solche von anderen Akteuren aufgenommen wird. So mag es beispielsweise keineswegs als bestimmte Form der Positionierung beabsichtigt sein, wenn eine Person A eine Person B bittet, das Fenster zu schließen.30 Person B mag dies aber durchaus so auffassen, als sei ihr nun die Position eines ›ausführenden Organs‹ zugewiesen worden und reagiert ihrerseits nun mit der entsprechenden Gegen-Positionierung ›Was fällt Ihnen ein, mich zu kommandieren? Ich bin nicht Ihr Lakei‹.31 Hieraus ließe sich dann in Anlehnung an Watzlawick folgern: ›Man kann nicht nicht positionieren‹. Dieser Aspekt hat nicht nur für menschliche Positionierungen weitreichende Konsequenzen, sondern insbesondere auch für die Ausweitung der Überlegungen zur Positionierung auf nicht-menschliche Akteure, denn wenn davon auszugehen ist, dass Positionierungen keineswegs einer strategischen Logik folgen müssen, um als solche verstanden und sozial wirksam zu werden, dann kommen auch nicht-menschliche Akteure als potentielle Urheber von Positionierungen in Betracht. Allerdings – und hierauf soll an dieser Stelle nachdrücklich hingewiesen werden – soll die Analogiebildung zwischen den Positionierungspraktiken menschlicher sowie den Positionierungsaktivitäten nicht-menschlicher Akteure nicht überstrapaziert werden. Um mögliche Einwände vorweg zu nehmen, sei deshalb an dieser Stelle betont, 30 31
Das anschließene Beispiel folgt frei einem Beispiel von Lucius-Hoene und Deppermann (2004b: 170). An dieser Stelle wird die Nähe des Positionierungskonzeptes zu anderen – vor allem kommunikationsbezogenen – psychologischen Konzepten wie beispielsweise den unterschiedlichen Ebenen einer Nachricht (hier allen voran der Beziehungs- sowie der Selbstoffenbarungsebene), wie sie Schulz von Thun (1995) herausgearbeitet hat, deutlich.
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dass von Positionierungsaktivitäten durch technische Artefakte in gleichem Ausmaß wie bei menschlichen Akteuren keine Rede sein kann (schon gar nicht im Sinne strategischer Positionierung). Jedoch – und auch dieser Aspekt soll an dieser Stelle in ausreichendem Maße Berücksichtigung finden – ähneln einige technische Aktivitäten in verblüffender Weise den zuvor genannten Positionierungspraktiken menschlicher Akteure, vor allem aber erfüllen sie eine ähnliche (soziale) Funktion. Es stellt sich nun die Frage, wie nicht-menschliche Artefakte menschliche Akteure (Technik Mensch) positionieren bzw. counter-positionieren. Zur Veranschaulichung sei das Beispiel der Positionsbestimmung via A-GPS (›Assisted Global Positioning System‹) herangezogen. Hierbei handelt es sich um eine Positionsbestimmungstechnologie auf Basis eines ›Global Positioning Systems‹ (GPS), die zusätzlich Ortungsinformationen aus dem Mobilfunknetz (beispielsweise UMTS, WLAN oder GSM) erhält, wodurch sich Ortungen schneller und präziser durchführen lassen sollen. Vor diesem Hintergrund beschreibt die Siemens AG (Corporate Communications) als einer der ersten Anbieter für standardisierte AGPS-Systeme in einer Pressemitteilung vom 13.05.2005 auf ihrer Homepage die neue Technologie wie folgt: In addition, in areas with many tall buildings, the satellites’ signals are often so weak that GPS does not work reliably. With A-GPS, the mobile device receives information about the satellites’ orbit, frequencies and functionality over the wireless network. As a result, it can detect and analyze even weak satellite signals at lightning speed.32 Positioniert wird die A-GPS in diesem kurzen Statement als eine Technologie, die in der Lage ist, insbesondere auch in Gebieten mit hoher Bebauung schwache Signale schnell zu empfangen und somit die aktuelle Position zu orten (first order positioning). Im praktischen Einsatz wiederum zeigt sich, welche Position die A-GPS-Technologie selbst einnimmt: Funktioniert sie in der gewünschten Weise und erfüllt somit die an sie herangetragenen Erwartungen, lässt sich von einer Positionierung ähnlich dem bereits dargestellten performative positioning (die zugewiesene Positionierung wird angenommen und die gewünschte Aktivität von der Technologie ausgeführt) sprechen. Erfüllt die A-GPS-Technologie diese Erwartungen jedoch nicht und erweist sich im zuvor genannten Sinne als widerständig, entspräche dies einer Positionierung zweiter Ordnung, auf die die beteiligten Akteure (hier die Siemens AG) wiederum reagieren können (indem entweder die Positionierungen der Technologie oder aber die Technologie selbst angepasst werden). Im Falle von A-GPS zeigt sich, dass die Technologie die in sie gesetzten Erwartungen offensichtlich nicht zu erfüllen vermochte und somit die ihr zugewiesene Positionierung als besonders präzise und schnelle Ortungstechnologie zurückwies. So ergab eine von dem Konkurrenzunternehmen TruePosition Inc. in Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsunternehmen ABI Research durchgeführte Untersuchung, dass A-GPS »performs poorly or completely fails to perform in dense urban areas (urban canyons) and indoor environments« (Bonte/Burdon 2011: 4). Damit wurde die von Siemens lancierte Positionierung als Technologie, die insbesondere »in
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Siemens-Pressemitteilung vom 13.05.2005 [URL: www.siemens.com/corp/apps/search/en/index. php, Zugriff: 19.08.11].
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areas with many tall buildings« (s.o.) funktioniert, von der Technologie selbst zurückgewiesen und die Siemens AG indirekt selbst als Akteur positioniert, der sich ›geirrt‹ hat.33 Technik positioniert menschliche Akteure aber nicht nur, indem sie gewünschte Aktivitäten vermissen lässt (was einer Positionierung durch Nicht-handeln entspräche, vgl. Van Lente/Rip 1998a: 242), sondern auch, indem sie pro-aktiv Aktivitäten zeigt und sich eigenmächtig in den Handlungsstrom einklinkt. Ein Beispiel hierfür stellt die sogenannte Sicherheitstechnik dar, die zunehmend in moderne Fahrzeuge integriert wird. Das Spektrum reicht hier von visuellen und akustischen Rückmeldungen, sofern ein Fahrzeuginsasse nicht angeschnallt ist über Nachtsichtassistenten, welche die Fahrbahn mit Infrarotlicht ausleuchten und auf diese Weise beispielsweise Fußgänger besser erkennen können bis hin zu Aufmerksamkeitsassisten (attention assist), die auf Basis eines Sensors, der das Lenkverhalten erfasst sowie weiterer Paramter analysieren, ob sich im Fahrverhalten des Fahrzeuglenkers Müdigkeitserscheinungen zeigen und diesen gegebenenfalls durch akustische Signale sowie Warnhinweise im Display auffordern, die Fahrt zu unterbrechen und eine Pause einzulegen. Besonders eindrucksvoll gestaltet sich ein Abstandsregelsystem der Handelsmarke Mercedes-Benz (Daimler AG), welches einen Abstandsregeltempomat, einen Bremsassistenten sowie eine Sicherheitsbremse integriert und im Falle einer als hochkritisch eingestuften Fahrsituation, bei der keine Reaktion des Fahrers erfolgt, eine automatische Vollbremsung veranlasst.34 Gemeinsam ist diesen Sicherheitssystemen, dass ihnen zum einen offenbar mehr Kompetenz in Sachen Gefahrenerkennung und -vermeidung zugeschrieben wird als dem Fahrer des Automobils und zum anderen, dass sie darüber hinaus im Zweifelsfall zum Teil sogar die ›Handlungs‹hoheit über das Geschehen haben. Der menschliche Akteur erhält dadurch den Status einer Person, die einen ›Fehler‹ macht, nicht alles 33
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Kritiker mögen im Hinblick auf das genannte Beispiel A-GPS einwenden, dass die herangezogene Studie von einem Konkurrenzunternehmen durchgeführt wurde, welches das Interesse verfolgt, die Vorteile der eigenen, nicht aber die der Konkurrenzprodukte (in diesem Fall A-GPS) hervorzuheben. Dieser Einwand ist durchaus ernst zu nehmen und verweist auf ein später noch zu erörterndes Problem, nämlich das des methodischen Zugangs. Um sicher zu gehen, dass tatsächlich auch die (Positionierungs-)aktivitäten der Technik, nicht aber die strategischen Statements beteiligter Akteure erfasst werden, wäre es in der Tat sinnvoll, die Technik ›in Aktion‹ – beispielsweise im Zuge einer Feldstudie – zu erfassen. Da dies jedoch, wie bereits erwähnt, in den meisten Fällen die zeitlichen, finanziellen und personellen Ressourcen der Forscher sprengen würde, ist die Forschung zum Teil auf wissenschaftliche Darstellungen über die Aktivitäten einzelner Technologien angewiesen. Um dennoch eine methodische Distanz zu wahren, ist ein quellenkritischer Umgang mit dem herangezogenen Datenmaterial unerlässlich. Im Rahmen der nachfolgend durchgeführten Fallstudie zur AR-Technologie steht eine ausreichende Anzahl unterschiedlicher Dokumente mit heterogener Urheberschaft zur Verfügung, die es ermöglicht, die dargestellten, der Technik zugeschriebenen Aktivitäten mit ausreichender Distanz zu beurteilen. Für Einzelbeispiele wie in diesem Fall der A-GPS-Technologie, ist dies deutlich schwieriger. Anzumerken ist jedoch, dass das herangezogene Einzelbeispiel hier der Verdeutlichung eines grundsätzlichen Prinzips – nämlich dem der Positionierung durch Technik – nicht aber der tatsächlichen Beurteilung der A-GPS-Technolgie dient, weshalb es – mit Verweis auf die Notwendigkeit eines quellenkritischen Umgangs mit den herangezogenen Daten – als legitim erscheint. URL: www.mercedes-benz.de/content/germany/mpc/mpc_germany_website/de/home_mpc/passengercars/home/new_cars/models/s-class/w222/facts_/comfort/safety.html; Zugriff: 06.02.17
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ausreichend unter Kontrolle hat, nicht länger autonom handeln darf und durch das technische System ›geschützt‹ werden muss.35 Man muss allerdings noch nicht eimal auf moderne Hochtechnologien verweisen, um die Positionierungsaktivitäten technischer Artefakte herauszustellen. Auch das im Zusammenhang mit der Kontroverse um die ›beste‹ Fahrradbereifung sowie Reifengröße von Pinch und Bijker herangezogene Beispiel des Fahrradrennens zeigt, wie menschliche Akteure durch technische Artefakte positioniert werden. In diesem Fall positionierte ein luftbereiftes Niedrigrad durch den Gewinn des Fahrradrennens sowohl die Fahrer der Hochräder als auch andere relevante Akteure, die in Fahrrädern mit Luftbereifung und Niedrigrad allenfalls Fortbewegungsmittel für ältere Personen sowie Frauen sahen, als ›Verlierer‹ bzw. ›sich Irrende‹, während es gleichzeitig die Fahrer dieser Fahrräder sowie die Akteure, die an luftbereifte Niedrigräder glaubten, als ›Gewinner‹ bzw. ›Recht habende‹ positionierte. Das gleiche gilt selbstverständlich auch für moderne Rennen, beispielsweise in der Formel 1. Auch hier positionieren sich nicht nur die Rennfahrer gegenseitig als Gewinner und Verlierer, sondern sie werden auch durch die von ihnen benutzten Fahrzeuge, ohne die kein Rennfahrer ein Rennen gewinnen würde, positioniert. Gleichzeitig erfolgt, wie das Beispiel eines Autorennens verdeutlicht, auch eine Positionierung der anderen technischen Artefakte (Technik Technik). So werden nämich die übrigen an einem Rennen beteiligten Fahrräder oder Rennwagen ebenfalls positioniert, nämlich als ›besser‹ oder ›schlechter‹. Der Fall, dass auch technische Artefakte sich gegenseitig positionieren, betrifft nicht nur Rennen, sondern darüber hinaus auch andere Konkurrenzsituationen, in denen unterschiedliche Technologien beispielsweise um die Durchsetzung am Markt wetteifern, wie dies in Innovationsprozessen der Fall ist. Hier werden die wetteifernden Technologien im Laufe des Innovationsprozesses entweder als ›besser oder aber als ›überholt positioniert – Letzteres vor allem in Fällen, in denen sich die innovative, neue Technologie wider Erwarten als schlechter gegenüber den bereits bestehenden Produkten erweist. Noch deutlicher wird die wechselseitige Positionierung der technischen Artefakte am Beispiel der sogenannten ›RoboCups‹. Hierbei handelt es sich um Fußballturniere zwischen Robotern, die regelmäßig in verschiedenen Ligen ausgetragen werden. Nun liegt die Vermutung nahe, dass die Positionierung menschlicher Akteure durch technische Artefakte allenfalls non-verbal, d.h. durch die beschreibbare Aktivität, die die Technik in einer bestimmten Situation an den Tag legt, erfolgt. Moderne Technik greift aber immer mehr auch auf integrierte Sprachsysteme zurück, wie das Beispiel des Schachprogramms ›Fritz‹ der Firma ChessBase GmbH zeigt. Hier erfolgt die Positionierung der Akteure durch das System nicht mehr länger non-verbal und implizit, sondern verbal und explizit durch die Stimme des Kabarettisten Matthias Deutschmann. Vergleichbar sind Stimmen für Navigationsgeräte, die einen beispielsweise mit der deutschen Stimme von Bruce Willis als ›Schweinebacke‹ positionieren (vgl. Schwartz 2010).
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Kritiker mögen einwenden, dass sich keineswegs jeder bevormundet fühlt, sofern das automatische Bremssystem aktiviert wird. Das ist sicherlich richtig, trifft gleichermaßen jedoch auch auf die Positionierung menschlicher Akteure durch menschliche Akteure zu. Auch hier hängt es von der Psychodynamik des einzelnen sowie des kommunikativen Systems ab, ob sich jemand durch die Aufforderung, das Fenster zu schließen, als ›Befehlsempfänger‹ positioniert fühlt.
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
Die Beispiele verdeutlichen, dass die Positionierung durch Technik auf vielfältige Weise möglich ist: Sei es dadurch, dass Technik aktiv etwas ›tut‹ (z.B. ein Sicherheitssystem, das in das Fahrverhalten eingreift) oder aber etwas unterlässt (z.B. die A-GPSTechnologie, die schwache Signale in urbanen Gebieten eben nicht empfängt und somit keine präzise Ortung gewährleistet), sei es, dass sie auf eine Positionierung seitens menschlicher Akteure reagiert und diese counter-positioniert (vgl. Widerständigkeit der Technik) oder aber von sich aus neue Optionen anbietet (vgl. unerwartete Optionen der Technik). Im praktischen Umgang mit der Technik erfahren nicht nur menschliche Akteure eine bestimmte Positionierung, sondern auch die Technik selbst, was besonders deutlich wird, wenn sie dem Nutzer überraschend neue Nutzungsmöglichkeiten eröffnet und dadurch eine neue Position einnimmt. Dabei findet sich die Idee, dass Technik dem Nutzer bestimmte Verhaltens- und Verwendungsweisen vorgibt bzw. andere wiederum ausschließt, ähnlich auch bei anderen Autoren, so bereits bei Linde (1972; 1982), der die von der Technik ausgehenden Sachzwänge sowie die technikinhärenten Anweisungen betont oder bei Degele, die etwas lakonisch konstatiert: »Eine Uhr kann man zum Wecken wie auch zum Zeit messen benutzen, nicht aber zum Zähneputzen« (Degele 2002: 120). Die Technik weist hierbei beispielsweise aufgrund ihres Designs sowie ihres Technisierungsschemas den Technikverwendern nicht nur im wörtlichen Sinne räumliche und zeitliche Positionen zu, die eingenommen werden müssen, um die Technik im gewünschten Sinne zu verwenden36 , sondern unter Umständen auch soziale Positionen wie die des ›Gewinners‹ oder ›Verlierers‹ oder gar des ›Unmündigen‹, der nicht länger durchgängig autonom agieren kann. Diese Positionszuweisungen durch die Technik können von dem Verwender entweder akzeptiert (performative Positionierung durch Technik) oder aber abgelehnt bzw. modifiziert und somit counter-positioniert werden (vgl. hierzu auch Linde 1972; 1982). Es ist darauf hinzuweisen, dass hinter den Positionierungsaktivitäten technischer Artefakte natürlich immer menschliche Akteure wie beispielsweise Entwickler und Hersteller stehen, die durch die Wahl eines bestimmten Designs, Materials und Technisierungsschemas die von der Technik an den Tag gelegten Aktivitäten quasi in diese ›eingebaut‹ haben. Allerdings – und auch dies sei betont – zeigen technische Artefakte dennoch nicht immer die ursprüngliche intendierte Wirkung, sondern ›agieren‹ mit einer gewissen Eigenmächtigkeit (so dürften beispielsweise die wenigsten Automobilingenieure intendieren, dass ihr Auto langsamer ist als die Konkurrenzfahrzeuge, die bei der Formel 1 teilnehmen). Noch entscheidender ist jedoch, dass die ursprüngliche Beteiligung menschlicher Akteure in der gegenwärtigen Situation, in der diese Akteure nicht mehr anwesend sind, keine Rolle mehr spielt. Nun nämlich tritt die Technik stattdessen den gegenwärtigen Nutzern quasi als ›Eigen-Wesen‹ gegenüber und übt kraft ihrer Eigenaktivität bzw. der
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Ein insbesondere Skifahrern bekanntes Beispiel stellen in den Ski-Pass integrierte RFID-Chips dar. Damit diese an der Absperrung zum Skilift ausgelesen werden und anschließend den Zugang freigeben können, müssen sie in einem bestimmten Abstand und Winkel zu dem entsprechenden Lesegerät positioniert werden, was wiederum den Inhaber des Skipasses zu teilweise akrobatisch anmutenden Bewegungen zwingt, insbesondere dann, wenn der Skipass körpernah in einer Tasche der Bekleidung getragen wird und somit nicht nur der Skipass selbst, sondern der den Skipass tragende Körper entsprechend vor dem Lesegerät positioniert werden muss.
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Wahrnehmung ihrer Eigenaktivität eine den menschlichen Akteuren vergleichbare soziale Funktion aus. Mit diesem Verständnis soll keineswegs einer Symmetrisierung von Mensch und Technik im Sinne Latours Vorschub geleistet werden, sondern die Überlegungen folgen stattdessen auch in diesem Fall dem bereits dargestellten pragmatischen Verständnis technischer Aktivität im Sinne Rammerts und Schulz-Schaeffers.
4.5.3.
Die Narrative Identität der Technik
Damit ist es an der Zeit, abschließend die Verbindung zwischen narrativer Identitätskonstitution und dem Konzept einer Identität der Technik herzustellen. Insbesondere die soziale Identität der Technik – verstanden als die Zuschreibungen, Erwartungen und Deutungen, die an eine Technologie herangetragen werden – wird zu großen Teilen im Modus von Narrationen nicht nur hergestellt, sondern auch geteilt und verbreitet. So analysierten im Hinblick auf die Wissenschaft beispielsweise Landau (2001) und Haraway (1995), wie wissenschaftliche Darstellungen aufeinander basieren und somit geteilte narrative Muster im Form kollektiver Annahmen und Erwartungen erzeugen, die an einen wissenschaftlichen Gegenstand herangetragen werden und im weiteren Verlauf seine soziale Identität bestimmen. Im Hinblick auf die Technik konstituieren zum einen Science-Fiction-Erzählungen und zum anderen Darstellungen im Rahmen populärwissenschaftlicher Futurologie für noch zu entwickelnde Technologien bereits im Vorfeld eine soziale Identität, indem sie den Lesern Geschichten über die zu erwartenden technischen Möglichkeiten sowie die damit einhergehenden bahnbrechenden Anwendungsmöglichkeiten erzählen. Auch die Akteure, die sich mit realen technologischen Entwicklungen befassen, konstituieren – wie insbesondere die Beispiele der Membrantechnologie (vgl. Van Lente (1993); Van Lente/Rip 1998a; 1998b) sowie die Entwicklung des Enzyms ›Gemmase‹ (vgl. Deuten/Rip 2000) zeigen – eine soziale Identität sowohl um die antizipierte als auch um die gegenwärtige Technologie. Dabei bedienen sie sich unterschiedlicher narrativer Formen wie beispielsweise wissenschaftlicher Konferenzbeiträge, Publikationen, Projektanträgen und -berichten sowie auch Handlungen, beispielsweise in Form spezifischer Positionierungsaktivitäten. Gemeinsam ist diesen Narrationen in den unterschiedlichen Feldern, dass sie Statements, Erwartungen, Annahmen, Versprechen sowie Positionierungen enthalten, die von außen an die Technik herangetragen werden und somit ihre soziale Identität konstituieren. Um sozial akzeptiert zu werden, müssen diese Geschichten über die Technik »well-formed« (Gergen/Gergen 1988: 20) sein und – wie insbesondere Harré (1990) zeigte – bestimmten Spielregeln folgen. Vor diesem Hintergrund müssen sich offenbar nicht nur Wissenschaftler und Entwickler selbst als »good guy« (Harré 1990: 86) positionieren, auch das technische Artefakt selbst bedarf einer entsprechenden Positionierung beispielsweise als besonders ›gewinnbringend‹ oder ›innovativ‹. Auch hier stehen jedoch, ähnlich wie bei der narrativen Konstitution menschlicher Identitäten, narrative Vorlagen (›ReadyMade-Verständlichkeiten‹ oder ›Identitätshülsen‹, vgl. Keupp et al. 2002: 104) zur Verfügung, auf die zurückgegriffen werden kann. Beispiele finden sich in Form bereits bestehender Diskurse (vgl. hierzu etwa die von Landau identifizierte Tiefenstruktur wissenschaftlicher Darstellungen, an die im weiteren Verlauf angeknüpft wird), Formalia der Antragstellung von Projekten (hier werden in der Regel mit der Projektaus-
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
schreibung auch gleich die buzzwords genannt, die sich idealerweise dann später in dem fertigen Antrag wiederfinden lassen) oder aber Konventionen wissenschaftlicher Darstellungen, wie sie beispielsweise von Harré (1990) erarbeitet wurden. Narrationen, die die soziale Identität der Technik konstituieren, erfüllen über ihre identitätskonstituierende Eigenschaft hinaus ein Anzahl weiterer, wichtiger Funktionen: Bereits in einem frühen Entwicklungsstadium einer Technologie entwickeln sie eine Vision ihrer späteren Identität und stellen insbesondere über die mediale Verbreitung entsprechender Geschichten bereits frühzeitig eine soziale Akzeptanz in der Öffentlichkeit für die antizipierte Technologie her: Von den Massenmedien verstärkt, können die Erzählungen den Kontext von öffentlichen Debatten und politischen Verhandlungssituationen so verändern, dass sich die Präferenzstrukturen und Interaktionsorientierungen der konkurrierenden Diskurskoalitionen ändern oder andern müssen (Viehöver 2006: 190). In dem Innovationsprozess selbst fungiert die narrativ hergestellte soziale Identität der Technik als Leitbild, das die zu entwickelnde Technologie in einen kohärenten Sinnzusammenhang stellt, die Koordination relevanter Akteure untereinander ermöglicht und somit die Richtung der weiteren Entwicklung maßgeblich beeinflusst. Wird die proklamierte narrative Struktur einer sozialen Identität der Technik schließlich ›mit Leben‹ gefüllt, entsteht hieraus eine gefestigte soziale Entität. Die Identität der Technik ist jedoch nicht nur das Produkt der Zuschreibungen von außen oder der Aushandlung zwischen relevanten Akteuren über die symbolische Struktur der Technik, sondern gleichermaßen ein Aushandlungsprozess der Außenwelt mit der Technik. Vor dem Hintergrund eines weit gefassten Narrationsbegriffs, der zum einen nicht nur menschliche Akteure, sondern auch technische Artefakte als narratives Personal zulässt und zum anderen nicht nur sprachliche Äußerungen, sondern auch Handlungen umfasst (vorausgesetzt, diese werden relational aufeinander bezogen und stehen in einem gemeinsamen Kontext), werden die Eigenaktivitäten der Technik selbst zum Teil einer Geschichte, die ihren eigenen semantischen und syntaktischen Regeln folgt (vgl. Rammert 2010: 43). Auch wenn man in diesem Zusammenhang nicht wie bei menschlichen Akteuren von Selbstaussagen im Sinne von Selbstvergewisserung und Selbstreflexion sprechen kann (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004a: 56ff.), ›spricht‹ die Technik dennoch mit und bringt schon aufgrund der aus ihrer materiellen Basis resultierenden Eigenschaften wie Material und Design eigene Aspekte in den Aushandlungsprozess um ihre Identität ein (materiell-konzeptuelle Identität der Technik). Nicht umsonst sind beispielsweise iPhone und iMac nicht nur lediglich funktionelle Gebrauchsgegenstände, sondern Kraft ihres Designs auch Kultobjekte, die – wie die ›Ausstellung über die Entwicklung des industriellen Elektrodesigns im kulturwissenschaftlichen Kontext am Beispiel des Unternehmens Apple‹ im Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) Hamburg titelt – auch ›Geschichte schreibt‹.37 Darüber hinaus verfügt Technik auch auf der Basis von Material, Design und vor allem auch dem ihr inhärenten Technisierungsschema in unterschiedlichen Graden über Eigenaktivität, seien
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URL: www.mkg-hamburg.de/de/ausstellungen/archiv/2011/stylectrical.html, Zugriff: 01.09.17
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Die multiple Identität der Technik
es Widerständigkeiten, die sie dem Nutzer entgegensetzt oder aber bislang ungeahnte Optionen, die den Anwender (und gelegentlich auch Entwickler) überraschen. Aufgrund dieser Aktivitäten lässt sie sich nicht allein von außen eine bestimmte Position zuweisen, sondern positioniert umgekehrt auch ihre Umwelt und ›beteiligt‹ sich an der narrativen Aushandlung hinsichtlich ihrer Identität. Oder um es mit Daston zu formulieren: »Things communicate by what they are as well as by how they mean« (Daston 2004a: 15). Die Erfahrungen, die aufgrund von bzw. mit der Technik gemacht werden, fließen wiederum in die Geschichten über sie ein und verändern sie (ongoing interaction, vgl. Deuten/Rip 2000: 74), beispielsweise indem technische Widerständigkeiten nicht dauerhaft ignoriert werden können, sondern die ursprünglichen Erwartungen und Versprechen an die realen Erfahrungen mit der Technik angepasst werden müssen. Diese Aushandlungsprozesse und vor allem die Eigenaktivitäten der Technik sowie ihr Einfluss auf die Gesamtgeschichte lassen sich zum einen ethnographisch im Feld beobachten (was unter Umständen, wie bereits erwähnt, allerdings einen immensen personellen, zeitlichen und finanziellen Aufwand darstellt), spiegeln sich aber auch in den (veränderten) Geschichten selbst sowie der Art und Weise, wie von unterschiedlichen Akteuren über die Technik berichtet wird, wider. Im Zuge dieses narrativen Aushandlungsprozesses in Form der wechselseitigen (Positionierungs-)aktivitäten menschlicher Akteure sowie technischer Artefakte entsteht ein Gewebe von Geschichten mit dem Resultat einer mehr oder minder stabilen Gesamtidentität der Technik, deren Struktur im Laufe der Identitätsarbeit immer wieder modifiziert und an die sozialen sowie die technischen Gegebenheiten angepasst wird. Vor diesem Hintergrund lässt sich die zuvor dargestellte Klassifizierung in Anlehnung an Michael (1996: 138ff.) noch einmal erweitern und abschließend wie folgt vervollständigen (vgl. Tab. 4):
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
Tabelle 4: Abschließendes Klassifizierungsschema zur Rollenanalyse von Mensch/Natur, menschlicher und technischer Identitätskonstruktion sowie narrativer Identitätszuweisung durch Positionierung
human
nonhuman
Objektperspektive
Subjektperspektive
me
I
Identität des Menschen
Mensch als Objekt (Michael 1996) Haltung anderer einem gegenüber (vgl. Mead 1973) >> Mensch als Objekt, an das von außen Erwartungen herangetragen werden
Mensch als Subjekt (Michael 1996) Eigene Stellungnahme auf Haltung anderer (vgl. Mead 1973) >> Mensch als Subjekt, das auf die Erwartungen anderer reagiert (Eigenanteil, Response)
Narrative Identität des Menschen
Menschlicher Akteur wird in Narrationen von der Außenwelt verbal und nonverbal als Akteur mit bestimmten Eigenschaften positioniert (Objekt)
Menschlicher Akteur positioniert sich (und andere) in Narrationen verbal und nonverbal als Akteur mit bestimmten Eigenschaften oder reagiert auf eine Positionierung von außen mit einer Gegenpositionierung (Subjekt)
Identität natürlicher, nichtmenschlicher Identitäten
natürliche, nicht-menschliche Entitäten als Objekt (Michael 1996)
natürliche, nicht-menschliche Entitäten als Subjekt (Michael 1996)
Identität der Technik
Haltung anderer der Technik gegenüber Technik als Objekt, an das von außen Erwartungen herangetragen werden (= was es sein soll)
(in der Praxis beobachtbare) ›Reaktion‹ der Technik auf die Haltung anderer (kann sie z.B. bestätigen oder konterkarieren) Technik als ›Subjekt‹, das mit Eigenmächtigkeit (z.B. Widerständigkeit; Optionen…) auf die Erwartungen von außen ›reagiert‹ (= was es selber ›sagt‹)
Narrative Identität der Technik
Technik wird in Narrationen verbal oder durch Handlungen von der Außenwelt als Entität mit spezifischen Eigenschaften positioniert (Objekt)
Technik positioniert aufgrund ihrer Eigenaktivität sich (und andere) in Narrationen als Akteur mit spezifischen Eigenschaften oder reagiert auf eine Positionierung von außen mit Gegenpositionierung (Subjekt)
it
Thou
Objektperspektive
Subjektperspektive
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Die multiple Identität der Technik
Die narrative Aushandlung technischer Identitäten vollzieht sich hierbei auf verschiedenen Ebenen: Erstens zwischen menschlichen Akteuren, die – beispielsweise in Diskursen, Publikationen oder auf Projektebene – untereinander aushandeln, um was für eine Technik es sich handelt bzw. handeln soll (soziale Identität der Technik). Zweitens treffen im praktischen Umgang menschliche Akteure mit ihren Erwartungen (soziale Identität) auf der einen und technische Artefakte mit ihren Eigenaktivitäten (materiell-konzeptuelle Identität) auf der anderen Seite aufeinander und konstituieren im Zuge ihrer gemeinsamen Geschichte (narrative Praxis) durch wechselseitige Anpassung eine mehr oder minder stabile symbolische Struktur der Technik (Gesamtidentität). Drittens lassen sich Narrationen dritter Ordnung zwischen menschlichen Akteuren beobachten, in denen nicht nur die soziale Identität der Technik durch wechselseitigen Austausch sowie den hierin enthaltenen Positionierungen ausgehandelt wird, sondern die zugleich eine Re-Konstruktion früherer Geschichten über die Technik sowie die damit verbundenen Positionierungen (Positionierung in Erzählsituation und erzählter Situation; vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004a+b) darstellen und als narrationsanalytisch rekonstruierbares Protokoll konstruktiver Identitätsarbeit gelesen werden können. Der Körper tritt in Erzählungen – wie Dausien (1999) am Beispiel der Rekonstruktion des Körpers in narrativen Interviews für menschliche Akteure gezeigt hat – in zweifacher Hinsicht in Erscheinung: Zum einen wird mit dem Körper gesprochen. Davon ausgehend, dass Sprache immer »leiblich fundiert« (Dausien 1990: 185) ist und »Sprechen [Hervorheb. im Orig.] mit all seinen parasprachlichen, nonverbalen und sozialkommunikativen Aspekten« als »produzierende Handlung« (Dausien 1990: 185) verstanden werden kann, »ist der Körper/Leib immer dabei und hinterläßt – je nach gewähltem Kommunikationsformat – mehr oder weniger deutliche Spuren im Text« (Dausien 1990: 185). Zum anderen wird aber auch über den Körper gesprochen. Vor dem Hintergrund der bereits angesprochenen Zugzwänge des Erzählens (Schütze 1976) gehen Erzählungen »mit einer Lockerung reflexiver Kontrollstrategien einher zugunsten eines Eintauchens in den Strom des autobiographischen Erinnerns und Nach-Erlebens, das immer auch emotionales und leibliches Erinnern und Reinszenieren einschließt« (Dausien 1990: 184). Nach Dausien liegt nun genau »[i]n dieser Eigenart narrativer Vergegenwärtigung […] ein methodischer Schlüssel für die Rekonstruktion emotionaler und leiblicher Aspekte biographischen Handelns und Erlebens« (Dausien 1990: 185). Bezogen auf den Körper der Technik bedeutet dies, dass er erstens ebenfalls ›mitspricht‹, nämlich indem er die aus Material, Design und Technisierungsschema resultierenden materiell-konzeptuellen Identitätsanteile bereitstellt, die als Eigenaktivität der Technik in die gemeinsame Geschichte von Akteur und Technik mit eingehen. Zweitens wird in Geschichten relevanter Akteure nicht nur über die mögliche Identität der Technik, sondern auch über den Körper der Technik selbst gesprochen, d.h. er wird in Erzählungen geplant und sogar symbolisch repräsentiert. Vor diesem Hintergrund ist der Körper der Technik sowohl als Teil als auch als Ergebnis narrativer Aushandlungsprozesse zu betrachten. Der Name einer Technik wiederum ermöglicht es, Technik in unterschiedlichen Geschichten als narratives Personal, d.h. »durch seinen Namen bezeichnete Subjekt der Handlung« (Ricoeur 1991b: 395) einzuführen und über äußerst unterschiedliche
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
Handlungs- und Anwendungsbezüge hinweg zu identifizieren. Neben dieser appellativen Funktion stellt das Label einer Technik aber nicht nur den Verweis auf einen spezifischen Akteur dar, sondern hat eine weit darüber hinausgehende, symbolische Funktion. Einerseits dient der Name einer Technik als ›Aufhänger‹ für weitere, hieran anschließende Geschichten, andererseits lässt er sich aufgrund der mit ihm verbunden Bilder und Vorstellungen selbst schon als eine Geschichte lesen, wie die häufig recht illustren Beispiele technischen Labelings anschaulich zeigen. Weiterhin dient er als ›Platzhalter‹ in Geschichten, beispielsweise wenn er einen rhetorischen Raum in Geschichten eröffnet, der erst zu einem späteren Zeitpunkt von einem tatsächlichen Akteur (in diesem Fall der konkreten Realisierung der Membrantechnologie) ausgefüllt wird (vgl. Van Lente 1993; Van Lente/Rip 1998a+b). Darüber hinaus vermag das Label einer Technik aber auch verschiedene, zunächst voneinander unabhängige Akteure und ihre Geschichten unter einem Schirmbegriff zusammenzuführen, so dass sich diese Geschichten quasi ineinander zu narrativen Infrastrukturen ›verweben‹ und für Kohärenz innerhalb eines narrativen Feldes sorgen. Schließlich wird ein Artefakt mit dem ihm zugeteilten Label gleichzeitig als ein bestimmtes Artefakt mit spezifischen Eigenschaften positioniert – wenngleich auch nicht immer ganz im gewünschten Sinne, wie das Beispiel des Phaetons zeigt (es ist zu vermuten, dass die für das Labeling verantwortlichen Akteure nicht beabsichtigten, ihr Automobil als einen dem Göttersohn Phaeton vergleichbaren Versager am Markt zu positionieren). Die Positionierung eines Artefaktes zu einem bestimmten Label hat darüber hinaus weitreichende Folgen für die Kernidentität der Technik (ferner auch für ihre Kontinuität und Kohärenz). Die Kernidentität einer Technik wird nämlich keineswegs – wie man vielleicht annehmen könnte – allein durch Material, Design und Technisierungsschema einer Technik hergestellt, sondern häufig dadurch, dass das technische Artefakt mit einem bestimmten Label etikettiert wird. In diesen Fällen verleiht das Label der Technik selbst auch bei unterschiedlichen technologischen Realisierungen und Anwendungsmöglichkeiten so etwas wie einen mehr oder minder stabilen Kern, mit dem bestimmte Identitätsvorstellungen und -erwartungen verknüpft werden. Dabei kann es vorkommen, dass die Technik eigentlich keineswegs den mit diesem Label verbundenen Vorstellungen und Merkmalen entspricht, jedoch dennoch hierunter subsummiert wird. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der AR-Technologie: Häufig ist zu beobachten, dass Technologien als Augmented Reality bezeichnet werden, ohne jedoch den mit dieser Technologie verbundenen Kriterien und Anforderungen einer ›Realitätserweiterung‹ zu entsprechen (stattdessen entsprächen sie beispielsweise den Prämissen einer rein virtuellen Realität). Umgekehrt gibt es technologische Realisierungen, die durchaus dem mit dem Label Augmented Reality verbundenen Technisierungsschema entsprechen würden, jedoch unter einem anderen Label firmieren (so finden sich ARRealisierungen häufig integriert in Fahrerassistenzsysteme, ohne jedoch als Augmented Reality gekennzeichnet oder besonders hervorgehoben zu werden). Deutlich wird an diesem Beispiel, dass insbesondere bei Hoch- und Querschnittstechnologien der Kern der Technik im Sinne dessen, was über verschiedene Realisierungs- und Anwendungsoptionen hinweg als beständig gilt, zum einen immer schwieriger zu identifizieren ist und es zum anderen häufig gar nicht mehr um einen wirklichen, sondern lediglich einen ›angenommenen‹, quasi ›erzählten‹ Kern geht, der narrativ hergestellt und in den
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Die multiple Identität der Technik
unterschiedlichsten Geschichten mitgeführt wird. Neben der Positionierung zu einem Label wird die Kernidentität der Technik durch die Dominanz einzelner Teilidentitäten (vgl. Straus/Höfer 1997) hergestellt. Auch in diesem Zusammenhang spielen Narrationen eine entscheidende Rolle, denn erst indem bestimmte Teilidentitäten der Technik in Geschichten immer wieder aufgegriffen, ausgebaut und weitergeführt werden, wird die (narrative) Dominanz einer Teilidentität innerhalb eines technologischen Feldes hergestellt, die nachfolgend den Kern der Technik für dieses Feld symbolisiert. Im Zuge der Ausbildung narrativer Infrastrukturen werden prototypische Merkmale der Technik generalisiert, die ebenfalls als Kern der Technik fungieren können. In vielen Fällen bilden sich darüber hinaus biographische Kernnarrationen der Technik heraus. Hierbei handelt es sich um Meta-Erzählungen, auf die innerhalb eines technologischen Feldes immer wieder verwiesen wird. Ein Beispiel hierfür stellen Definitionen als ›kleine Geschichten der Identität‹ dar, mit denen das Typische einer Technologie beschrieben werden soll, sowie das bereits erläuterte Label als kleinster gemeinsamer Nenner. Schließlich erfolgt die Ausbildung technischer Kernidentitäten in alltäglichen Interaktionssituationen, in denen durch die Interaktion zwischen den beteiligten, relevanten Akteuren »kohärente Identitätsfiguren« (Straus/Höfer 1997: 297) der Technik hergestellt und verfestigt werden. Nicht nur der Kern der Technik, sondern auch ihre »Vielfalt der Selbste« (Bilden 1997: 238) im Sinne der Teilidentitäten der Technik wird narrativ hergestellt. So entstehen gleichsam im Zuge unterschiedlicher Geschichten über eine Technologie im Laufe ihrer Biographie auch unterschiedliche Teilgeschichten, die vielfältige Facetten einer Technologie zum einen widerspiegeln und zum anderen erst mit konstituieren. Die Teilidentitäten-konstituierenden Geschichten einer Technologie verändern sich aber nicht nur im biographischen Verlauf (Längsschnitt), sondern auch mit den unterschiedlichen Anwendungsfeldern, ihren Realisierungsmöglichkeiten und Akteuren, die in unterschiedliche narrative Infrastrukturen eingebunden sind (Querschnitt). Neben den tatsächlichen Realisierungen einer Technologie gibt es auch eine Vielzahl »möglicher Selbste« (Bilden 1997), beispielsweise in Form von Technikentwürfen, Leitbildern, Visionen sowie narrativen Antizipationen. Schließlich lassen sich neben vielversprechenden künftigen Entwicklungen auch immer wieder weniger erwünschte, gleichsam ›abgelegte‹ Identitätsfacetten der Technik beobachten. Zu nennen wären hier alte Geschichten, beispielsweise Geschichten über Innovationen, die später scheiterten und die innerhalb des entsprechenden technologischen Feldes nur noch ungern erzählt und gehört werden. Alle diese teils vergangenen, teils gegenwärtigen, teils künftigen Teilidentitäten bilden ein »Mosaik an Erfahrungsbausteinen« (Keupp et al. 2002: 210) und werden in Patchwork-Geschichten hergestellt bzw. spiegeln sich in diesen wider. Die identitätskonstituierenden Geschichten einer Technologie müssen sich dabei zwischen einem Kontinuum von Entwicklung und Kontinuität über die Zeit auf der einen sowie Flexibilität und Kohärenz innerhalb eines technologischen Feldes auf der anderen Seite aufspannen (vgl. Straus/Höfer 1997: 286). Sie müssen sich zum einen im Laufe der Zeit entwickeln können, um auf Veränderungen zu reagieren, und gleichzeitig eine gewisse Kontinuität bewahren, die es ermöglicht, die Technik trotz aller Entwicklungen als eine Beständige zu erfahren. Zum anderen müssen die Geschichten der mit den unterschiedlichen Anwendungsfeldern und technischen Realisierun-
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
gen verbundenen flexiblen symbolischen Struktur der Technik Rechnung tragen und dennoch den relevanten Akteuren eines technologischen Feldes ermöglichen, die Technik trotz aller Unterschiede als eine Einheitliche zu erfahren. Während Kontinuität und Kohärenz als »Produkt des Diskursgeschehens« (Kraus 1996: 167) primär durch die bereits erwähnten Kernnarrationen gewährleistet werden, die unterschiedliche Ereignisse über unterschiedliche Zeitpunkte und Anwendungskontexte hinweg zueinander in Beziehung setzen und auf diese Weise eine symbolische Kernstruktur der Technik gewährleisten, werden die Geschichten gleichzeitig situativ an unterschiedliche Kontexte und Entwicklungsstufen angepasst, so dass sie Entwicklung und Flexibilität der Technik widerspiegeln und narrativ konstituieren. Die Gewährleistung von Kontinuität und Kohärenz bei gleichzeitiger Flexibilität und Entwicklungsmöglichkeiten einer Identität der Technik setzt eine fortwährende narrative Identitätsarbeit voraus. Genauso wenig, wie die Identität der Technik jemals als abgeschlossen betrachtet werden kann, sind die Narrationen, die sie konstituieren, jemals beendet. Vielmehr stellt jede identitätskonstituierende Geschichte über eine Technik immer nur ein Zwischenergebnis eines fortwährenden Aushandlungsprozesses zwischen verschiedenen Akteuren um die soziale Identität der Technik, aber auch zwischen Mensch und Technik dar. In diesen Geschichten werden vor dem Hintergrund sozialer, gesellschaftlicher und institutioneller Vorgaben fortwährend neue Identitätsentwürfe – beispielsweise in Form von Science-Fiction-Darstellungen und TechnikVisionen – gebildet, von denen sich einige zu Identitätsprojekten mit Beschlusscharakter verdichten. Der Übergang von Identitätsentwürfen zu -projekten ist hierbei in der Regel nicht willkürlich, sondern wird – wie im Fall der Membrantechnologie – häufig strategisch gefördert. Im Zuge narrativer Identitätsprojekte werden einige Identitätsoptionen für die Technik ausgewählt, die den Beteiligten eine richtungsweisende Orientierung bieten, während andere Optionen gleichzeitig ausgeschlossen werden. Zugleich wird eine Brücke geschlagen zwischen vergangenen und zukünftigen Entwicklungen. Entscheidend für das Gelingen dieser Projekte ist, dass sie sozial anerkannt werden. In diesem Zusammenhang spielen Techniknarrationen eine entscheidende Rolle: Insbesondere Fachpublikationen schaffen entsprechende Akzeptanz innerhalb einer Scientific Community, aber auch populärwissenschaftliche, vor allem medial vermittelte Darstellungen tragen dazu bei, die Öffentlichkeit auf neue Innovationen vorzubereiten. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass die Identitätsprojekte immer einvernehmlich Zustimmung finden. Stattdessen konkurrieren unterschiedliche identitätsrelevante Geschichten um die soziale Anerkennung relevanter Akteure. Aber auch die Technik selbst wirkt bei der Gestaltung ihrer Identitätsentwürfe und -projekte mit. Zum einen lässt sie keineswegs jede Option zu; es bedarf stattdessen eines narrativen Matchings zwischen Mensch und Technik, welche Identitätsprojekte sich realisieren lassen. Zum anderen setzt die Technik menschlicher Planung nicht nur ihre Widerständigkeit entgegen, sondern spricht aktiv mit – beispielsweise, indem sie neue, bislang unbedachte Optionen anbietet – und führt auf diese Weise unter Umständen erst zu neuen, narrativen Identitätsprojekten. Auf diese Weise beeinflussen und steuern Technikgeschichten auch den Innovationsverlauf, sei es, dass sie erst einen (rhetorischen) Raum für zu entwickelnde Technologien schaffen oder aber den Verlauf aktiv steuern, indem sie beispielsweise die Technologie
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Die multiple Identität der Technik
strategisch positionieren und ihren Idealverlauf in Form einer Road Map prognostizieren. Gleichzeitig lassen sich Technikgeschichten nicht nur als Medium der Steuerung und Beeinflussung verstehen, sondern auch als Spiegel des technischen Verlaufs. Sowohl der geplante Idealverlauf, als auch der tatsächliche Verlauf der technischen Entwicklung lassen sich anhand technikbezogener Narrationen rekonstruieren und miteinander kontrastieren. Eingebunden werden die identitätskonstituierenden Technikgeschichten in das technologische Regime, das sich – wie anhand unterschiedlicher Beispiele aus Wissenschaft, Organisation und technischer Entwicklung gezeigt – ebenfalls narrativer Strukturen bedient, um Einfluss auf den Verlauf der Technik als auch ihrer Identität zu nehmen und auf diese Weise einerseits für den Erhalt des Status Quo sowie andererseits für eine Neurausrichtung zu sorgen. Insbesondere durch die Vermittlung der Massenmedien stellen Narrationen ein machtvolles Instrument zur Einflussnahme innerhalb der eigenen Forschungs- und Entwicklungsgemeinschaft sowie auch auf politischer Ebene dar, wie Viehöver am Beispiel von Problemnarrationen verdeutlicht: Wenn eine von einer Diskurskoalition neu definierte Problemdefinition (öffentliche) Resonanz erzielt, bspw. von den Massenmedien verstärkt wird, können die Erzählungen den Kontext von öffentlichen Debatten und politischen Verhandlungssituationen so verändern, dass sich die Präferenzstrukturen und Interaktionsorientierungen der konkurrierenden Diskurskoalitionen ändern oder ändern müssen. Damit wird angenommen, dass Problemnarrationen politische und soziale Struktureffekte haben können, aber durchaus nicht haben müssen (Viehöver 2006: 190). Nicht nur die Identität der Technik selbst, sondern vor allem auch ihre Innovationsbiographie – verstanden als Ort ihrer Entstehung – lassen sich somit als narratives Geschehen begreifen, im Zuge dessen identitätskonstituierende Ereignisse aufeinander bezogen und subjektiv verarbeitet werden.
4.6.
Zwischenfazit III
Folgten narrative Ansätze lange Zeit entweder einer strukturalistischen oder aber hermeneutischen Betrachtungsweise, lösten sich diese strengen Zuordnungen im Zuge des narrative turn in den Sozialwissenschaften zunehmend auf, so dass sich Mischformen etablierten. Der hier verwendete Narrationsbegriff folgt dieser Entwicklung und orientiert sich in Anlehnung an Czarniawska an einer eher poststrukturalistischen Betrachtungsweise, welche sowohl die textuelle Struktur als auch die Rezeption durch den Leser in die Betrachtung einbezieht, sich dabei aber von der Annahme einer rekonstruierbaren stabilen Struktur verabschiedet und stattdessen die Entstehung narrativer Strukturen und Bedeutungen als einen nicht endgültig abschließbaren Prozess betont. Dabei wird in Anlehnung an Barthes von einem weit gefassten Narrationsverständnis ausgegangen, das zunächst sehr unterschiedliche materielle und immaterielle Ausdrucksformen berücksichtigt, wobei eine potentielle Beliebigkeit hinsichtlich der Begriffsverwendung durch weitere Präzisierungen vermieden wird. Dies betrifft vor allem die Frage nach der Aussagekraft von Narrationen. Während Narrationen zunächst als reine Repräsentationen der Welt und sodann die Welt selbst als Text verstanden wurden, folgt
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
das hier vertretene Narrationsverständnis einer praxistheoretischen Betrachtung, die den performativen Charakter von Narrationen in den Vordergrund rückt: Die Welt wird nicht länger in Narrationen abgebildet, sondern »through narrativity […]we come to know, understand, and make sense of the social world, and it is through narratives and narrrativity that we constitute our social identities« (Somers 1994: 606). Entsprechend wird die Struktur (Plot) einer Narration nicht als opus operatum im Sinne einer auf bestimmte Weise gefertigten, abgeschlossenen Struktur, sondern stattdessen relational als modus operandi verstanden. Narrationen erhalten ihren spezifischen Charakter nicht durch die Einhaltung spezifischer struktureller Regeln (z.B. in dem sie lediglich einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben, vgl. Aristoteles 1987: 77), sondern dadurch, dass Ereignisse und Handlungen in Relation zueinander gesetzt werden und somit eine Bedeutung erhalten, die über eine chronologische Darstellung des Geschehens hinausgeht. In Anbetracht der Tatsache, dass auch nicht-menschliche Entitäten Einfluss auf das Geschehen haben (vgl. u.a. Michael 1996: 73), kommen auch sie als narrative Aktanten in Frage, ohne dass ihnen per se in einem symmetrischen Verständnis Latours ein Akteurstatus zugestanden wird. Stattdessen ist ihre Rolle als narratives Personal als Ergebnis einer Zuschreibung von Handlungsträgerschaft im praktischen Vollzug zu verstehen, wobei sich gemäß der Komplexität einer am Handlungsstrom beteiligten Technolgie sowie ihrer gesellschaftlichen Institutionalisierung unterschiedliche Grade zugeschriebener Handlungsträgerschaft beobachten lassen, die mehr oder minder bewusst sein können (vgl. Rammert/Schulz-Schaeffer 2002a). Ein entsprechend pragmatisches Narrationsverständnis spiegelt sich auch in der Identitäts- sowie der Technikforschung wider. So begreifen neuere Ansätze der Identitätsforschung Identität im Sinne eines doing identity ebenfalls als narrativ konstituiert und heben ihren relationalen Charakter hervor. Identität wird nicht länger als normative Kategorie, sondern als unabgeschlossener, sich stetig verändernder Prozess verstanden. Narrationen fungieren in diesem Zusammenhang als Medium, durch welches im Strom sich stetig wandelnder Identitätsentwürfe Kontinutität und Kohärenz in der Identitätsbildung hergestellt werden. Sie repräsentieren nicht nur Identitäten – verstanden als symbolische Strukturen – in ihrem Wandel, sondern sind vor allem aufgrund der in ihnen enthaltenen identitätszuweisenden Positionierungen ganz im Sinne eines performativen Narrationsverständnisses maßgeblich an ihrer Herstellung beteiligt. Narrationen sind somit sowohl als Prototoll der Identitätsdarstellung (knowing that) als auch der Identitätsherstellung (knowing how) zu lesen. Identität wird – verstanden als narrative Identität – somit zu einem empirisch zugänglichen Phänomen, das mit Hilfe narrativer Verfahren wie beispielsweise dem narrativen Interview nach Fritz Schütze erschlossen werden kann. Auch die Technik- und Innovationsforschung verweist seit einigen Jahren auf die Bedeutung von Erzählungen und Geschichten und greift dabei zum Teil Ansätze der narrativen Identitätsforschung explizit auf. Geschichten über neue Technologien fungieren hierbei nicht nur als gesellschaftliche Leitbilder und Visionen, die einen Sinnzusammenhang innerhalb einer Forscher- und Entwicklergemeinschaft herstellen und gesellschaftliche Akzeptanz für neue Entwicklungen schaffen, sondern tragen maßgeblich dazu bei, dass die in ihnen repräsentierten Ideen auch in konkrete Technisierungsprojekte und -entwicklungen übersetzt werden. Eine Schlüsselrolle spielen in diesem Zusammenhang wiederum in den Narrationen
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Die multiple Identität der Technik
enthaltene wechselseitige Positionierungen, welche zur Herausbildung erstaunlich beständiger Erwartungs- und narrativer Infrastrukturen und infolgedessen zur Entwicklung neuer Technologien führen (vgl. Deuten/Rip 2000 sowie Van Lente/Rip 1998a+b). Wurde in Kapitel II die Identität der Technik zunächst als theoretisches Konstrukt herausgearbeitet, so wird es unter Bezugnahme neuerer Ansätze der Identitäts- und Technikforschung mit dem Rekurs auf Narrativität nun möglich, technische Identitäten nicht allein theoretisch zu konzipieren, sondern die Mechanismen ihrer Herstellung im Sinne eines doing identity zu untersuchen. Die Identität der Technik wird in diesem Zusammenhang als eine narrativ hergestellte symbolische Struktur begriffen, wobei Narrationen nicht nur den Inhalt der technischen Identitäten abbilden, sondern zugleich den modus operandi ihrer Herstellung darstellen und somit überhaupt erst den empirischen und methodischen Zugang zur Analyse der Herstellung von Identität im Allgemeinen sowie technischer Identität im Besonderen ermöglichen. Der weit gefasste Narrationsbegriff ermöglicht es, nicht nur Menschen und ihre Handlungen, sondern ebenso Artefakte und ihre Eigenaktivität sowohl in kurzen als auch ausführlichen Interaktions- und Handlungssequenzen im Hinblick auf ihre identitätskonstituierenden Funktionen zu untersuchen. Eine besondere Bedeutung für die Identitätskonstitution spielen hierbei die sowohl in Selbst- als auch Fremdnarrationen enthaltenen wechselseitigen Positionierungsaktivitäten (mutual positioning). Angesichts der Erweiterung des narrativen Personals um nicht-menschliche Entitäten stehen für die Analyse technischer Identitäten insgesamt vier Positionierungskonstellationen zur Verfügung, die es hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit zu prüfen galt: 1. Mensch Mensch, 2. Mensch Technik, 3. Technik Mensch sowie 4. Technik Technik. Durch die analytische sowie begriffliche Umstellung von Praktiken auf Aktivitäten lassen sich auch Eigenaktivitäten technischer Artefakte als Teil wechselseitiger Positionierungen im narrativen Geschehen lesen und hinsichtlich ihrer identitätskonstituierenden Funktion analysieren. Technische Identitäten werden somit narrativ konstituiert – und das nicht nur in Geschichten über sie, sondern in Geschichten mit ihnen, denn ihre Eigenaktivität ist selbst Teil des narrativen Geschehens. Indirekt wird somit auch der Körper der Technik Teil der Geschichten, da die Eigenaktivitäten einerseits auf seine Materialität, sein Design sowie das ihm inhärente Technisierungsschema zurückzuführen sind, er andererseits aber auch Gegenstand der Geschichten wird – beispielsweise im Zuge von Technisierungsprojekten und zwar selbst dann, wenn der Körper der Technik noch gar nicht existiert. In diesem Fall fungiert das Label der Technik als Platzhalter, der einen ›rhetorischen Raum‹ in Geschichten eröffnet, die Technologie symbolisch repräsentiert und als Aufhänger für weitere Geschichten dient. Durch die Positionierung eines Artefakts zu einem Label oder aber auch durch als Metaerzählungen fungierende, wiederkehrende Definitionen entstehen biographische Kernnarrationen, welche der Identität der Technik Kohärenz verleihen. Gleichzeitig sorgt die situative Anpassung der Geschichten an unterschiedliche Anwendungskontexte und Entwicklungsstufen für ausreichend Kontinuität, um eine Technik auch über einen längeren Zeitraum und trotz ihrer unterschiedlichen Teilidentitäten als beständig zu erfahren. Eingebettet ist diese narrative Identitätsarbeit in ein Innovationsregime, das sich narrativer Strukturen bedient und unterschiedliche Identitätsentwürfe in Projekte übersetzt, um den Verlauf der Technologie sowie ihrer Identität zu beeinflussen.
4. Die narrative Herstellung technischer Identitäten
Um das Konzept der narrativen Identität der Technik in die Praxis zu übersetzen und auf seine Anwendbarkeit zu prüfen, werden die getroffenen Annahmen im Rahmen einer Fallstudie auf die AR-Technologie übertragen und die unterschiedlichen Facetten ihrer Identität, die Mechanismen ihrer Herstellung sowie die daraus resultierende symbolische Struktur im Laufe ihrer innovationsbiographischen Entwicklung exemplarisch untersucht.
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5. Fallstudie Die innovationsbiographische Identitätsrekonstruktion der Augmented Reality-Technologie
Nachdem zuvor die theoretischen Grundlagen für die Konzeption einer Identität der Technik gelegt wurden, werden die damit verbundenen Annahmen an dieser Stelle aufgegriffen und im Folgenden am Beispiel der AR-Technologie untersucht, wie sich die Identität dieser Technologie herausgebildet und institutionalisiert hat. Obwohl es sich bei der AR-Technologie um eine noch junge Technologie handelt, ist ihre bisherige Entwicklung bereits zu diesem Zeitpunkt zu umfangreich, um eine erschöpfende Innovationsbiographie zu zeichnen. Aus diesem Grund werden im Rahmen der folgenden Fallstudie einzelne Aspekte exemplarisch herausgegriffen, anhand derer die Mechanismen der Identitätskonstitution der AR-Technologie verdeutlicht werden.
5.1. 5.1.1.
Fragestellung, Untersuchungsgegenstand und methodisches Vorgehen Annahmen und Fragestellung zu einer narrativen Identität der Technik
Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Überlegungen wird die Identität der Technik als eine symbolische Struktur konzipiert, die vorrangig in Narrationen hergestellt und somit als narrative Identität der Technik zu einem empirisch zugänglichen Phänomen wird. Narrationen werden hier in Anlehnung an Van Lente und Rip ebenfalls in einem weiteren Sinne verstanden, was sowohl die Handlungen der Akteure als auch die Technik als ›erzählenden‹ und mitgestaltenden Faktor einschließt. Zugespitzt läßt sich die diese Fallstudie leitende Fragestellung wie folgt formulieren: Wie (mittels welcher Mechanismen; doing how) wird welche (doing that) Identität der Technik im Sinne ihrer symbolischen Struktur narrativ hergestellt? Der dieser Fragestellung zugrunde liegende inhaltliche Rahmen sowie die daraus resultierenden Annahmen sind durch die Überlegungen zur Identität der Technik im Allgemeinen sowie der narrativen Identität der Technik im Besonderen bereits skizziert
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worden und können jetzt aufgegriffen und hinsichtlich ihrer empirischen Zugänglichkeit für die AR-Technologie präzisiert werden. Nehmen wir also an, dass Narrationen einen vielversprechenden Zugang zu den zuvor genannten Aspekten liefern, so stellt sich zunächst die Frage, wie die soziale Identität der AR-Technologie in Form von Erwartungen, Deutungen und Anwendungsszenarien sowie Zukunftsvisionen in unterschiedlichen Narrationen – das können im Fall der AR-Technologie Publikationen, Präsentationen und Projekte, besonders aber auch Konferenzbände sein – (re-)präsentiert wird und welche soziale Funktion sie innerhalb eines technologischen Feldes erfüllt. Betrachtet wird in diesem Zusammenhang vor allem, welche organisierten Haltungen von wem (von welchen relevanten Akteuren im Feld) narrativ an die Technologie herangetragen werden und wo (in welchen Identitätsprojekten) sowie vor allem wie (mit Hilfe welcher Positionierungsaktivitäten) diese Aspekte in Narrationen dargestellt und ausgehandelt werden. In diesem Zusammenhang ist auch die Funktion des Labeling als identitätskonstituierendes Element zu diskutieren. Ein besonderer Fokus wird auf die Positionierung der Technologie in den Narrationen gelegt und gefragt, wie die AR-Technologie implizit und explizit positioniert wird, wie im Vergleich dazu andere Technologien positioniert werden, welche Positionierungen von unterschiedlichen Akteuren geteilt und welche zurückgewiesen werden etc. (zu den unterschiedlichen Positionierungsstrategien im Einzelnen siehe LuciusHoene/Deppermann 2004a: 196ff., Van Langenhove/Harré 1999: 20ff.). Als Datenbasis stehen neben narrativen Interviews, die sich auf die Gesamtentwicklung der Technologie beziehen, auch ›zeitgenössische‹ Darstellungen zur Verfügung, so z.B. Publikationen, Internetauftritte, Präsentationen, Konferenzberichte, aber auch Tätigkeiten im Feld wie die Organisation von Konferenzen und Durchführung von Projekten. Im Hinblick auf die Rolle der materiell-konzeptuellen Identität der Technik ist zu untersuchen, ob sich auch die Mitwirkung der Technik selbst sowie Aushandlungsprozesse zwischen Entwickler und Technik anhand dieser Narrationen beobachten lassen. Dabei wird vor allem der Frage nachgegangen, wie Eigenschaften, die auf der Materialisierung der Technik beruhen, in Form von Widerständigkeiten aber auch unerwarteten Optionen, ›mitreden‹ und somit die Bedeutungskonstitution der Technik beeinflussen. Eine besondere Bedeutung kommt an dieser Stelle der identitätsrelevanten Rolle des Körpers der Technik zu, der neben seiner ermöglichenden Funktion als Ressource für technische Identitätsentwürfe und kohärenz-konstituierende Konstante sich auch restriktiv auf die Bandbreite der Identitätsentwürfe auswirkt und als Auslöser für Modifikationen technischer Identität fungieren kann. Es ist in diesem Zusammenhang nicht nur von Interesse, welche Eigenschaften die Technik in den Prozess mit einbringt, sondern auch wie der Aushandlungsprozess zwischen den Vorstellungen der Entwickler (soziale Identität) und den Widerständigkeiten und Optionen (materiell-konzeptuelle Identität) stattfindet und im Wechselspiel zwischen Deutungsänderungen und Änderungen von technischem Design, Material und Technisierungsschema (Körper) sowie Namen der Technik (Label) am Ende zu einer (vorläufigen) Synthese von Vorstellung und Realisation (d.h. Gesamtidentität der Technik) führt. Im Hinblick auf die AR-Technologie lässt sich beispielsweise beobachten, dass sie zu Beginn vor allem als Display-Technologie wahrgenommen wurde und sich ein großer Teil der Forschung auf diesen Bereich konzentrierte. Später rückte Augmented Rea-
5. Fallstudie
lity zusätzlich als eine Technologie mit besonderen Anforderungen an die TrackingVerfahren ins Blickfeld. Es ist zu vermuten, dass dieser Wechsel in den Forschungsund Publikationsaktivitäten keineswegs zufällig ist, sondern einen Deutungswechsel anzeigt, der maßgeblich durch die Technik selbst bzw. ihre Möglichkeiten (insbesondere durch die Umstellung auf Smartphones als Ausgabemedium scheint das lang diskutierte Display-Problem nicht länger die gleiche Relevanz zu haben wie in früheren Jahren) und Beschränkungen (die genaue Positionserfassung von Objekten stellt nach wie vor eine enorme Herausforderung dar) bedingt ist. Wie zuvor erwähnt, lässt sich die Mitwirkung der Technik nur im Rahmen teilnehmender Beobachtungen quasi in actu unmittelbar beobachten. Aus zeitlichen und finanziellen Gründen ist eine mehrjährige ethnographische Feldstudie der AR-Technologie jedoch kaum zu realisieren. Es ist allerdings zu erwarten, dass sich die Eigenaktivität der Technik auch anhand von Narrationen, in denen beispielsweise die Widerständigkeit der Technik thematisiert wird, erschließen lässt. In Frage kommen hier vor allem projektbezogene Dokumentationen wie beispielsweise Projektberichte, Pflichten- und Lastenhefte, Expertenaussagen in narrativen Interviews, Publikationen sowie Fach- und Konferenzbeiträge. Insbesondere bei Aspekten der ›materiell-konzeptuellen Identität sowie der Aushandlung zwischen Technik und Umfeld ist zu beachten, dass es sich häufig lediglich [um] ›Spuren‹ solcher Geschichten und temporal konstituierter Bedeutungen – z.B. in Gestalt narrativer Abbreviaturen – [handelt], die Prozesse der Identitätsbildung im narrativen Modus ›anzeigen‹. Das gilt für bestimmte Metaphern oder Symbole, aber auch für zahllose andere Zeichen und bedeutungsstrukturierte Dinge – etwa ›geliebte Objekte‹ –, die in identitätstheoretischer Perspektive bisweilen nur dann angemessen verstanden werden, wenn sie als derartige Abbreviaturen – ›gelesen‹ werden (Straub 2004: 286). Insofern gestaltet sich die Narrationsanalyse hier im Gegensatz zur Suche nach den sozialen Bedeutungen der Technik als ›Spurensuche‹. Ähnlich jedoch wie bei biographischen Narrationen ist mit Bude zu vermuten, dass man »am Handeln des einzelnen ganz genau mitbekommt, was daran der allgemeinen kulturellen Normalform entspricht und was der besonderen Individualitätsform dieses Individuums entspricht« (Bude 1998: 250). Diese durch die Technik selbst bedingten Aspekte lassen sich am ehesten mit der ›selbst‹bezüglichen Ebene narrativer Identität fassen, wobei sich das ›Selbst‹ hier auf die Technologie und nicht etwa auf die Entwickler bezieht. Spannend ist darüber hinaus die Frage, welche Teilidentitäten wie konstituiert werden, wie sich trotzdem eine Kernidentität herauskristallisiert, wie Kontinuität und Kohärenz der Technik hergestellt werden und vor allem, welche Auswirkung diese Multiperspektivität der Technik auf das Feld hat. So lässt sich für die AR-Technologie nachzeichnen, welche Teilidentitäten als situative, kontextabhängige Problemlösungen im Laufe der Zeit in den Narrationen ›erzählt‹ wurden bzw. noch immer werden und welche weiter qualifizierenden Eigenschaften (innovativ, neu, Killer-App etc.) ihnen zugeschrieben werden. Es wird darüber hinaus vermutet, dass ähnlich wie in biographischen Kernnarrationen auch die Kernidentität – also das, was die AR-Technologie ausmacht und ihr ein gewisses Maß an Kohärenz und Kontinuität verleiht – ›erzählt‹ wird.
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Die multiple Identität der Technik
Gerahmt werden die genannten Fragestellungen durch die Bezugnahme zum faktischen Geschehen, das die AR-Technologie durchlaufen hat (Innovationsverlauf ) sowie die beteiligten Akteure und Institutionen (Innovationsregime), so dass sich am Ende die Entwicklung der Identität der AR-Technologie unter Berücksichtigung aller sie konstituierender Fakten sowie im Kontext struktureller Gegebenheiten als Gesamtprozess (Innovationsbiographie) analysieren lässt.
5.1.2.
Untersuchungsgegenstand Augmented Reality
Die AR-Technologie stellt einen Teilbereich der Virtual Reality dar und kann ohne sie nicht verstanden werden. Virtual Reality-Anwendungen ermöglichen es, in künstlich erzeugte Umgebungen einzutauchen (immersion), sich in ihnen zu bewegen und in ihnen Handlungen auszuführen. Nach Rheingold lässt sich Virtual Reality gar verstehen »als magisches Fenster […], das den Blick auf andere Welten freigibt, von der Welt der Moleküle bis in unsere innersten Träume« (Rheingold 1995: 17). Etwas weniger poetisch, dafür aus ingenieurwissenschaftlicher Perspektive beschreibt Milgram diese Technologie: The conventionally held view of a Virtual Reality (VR) environment is one in which the participant-observer ist totally immersed in, and able to interact with, a completely synthetic world. Such a world may mimic the properties of some real-world environments, either existing or fictional; however, it can also exceed the bounds of physical reality by creating a world in which the physical laws ordinarily governing space, time, mechanics, material properties etc. no longer hold (Milgram 1994: 2). Auch wenn diese Beschreibung sowie die Kriterien des Eintauchens (immersion) und der Interaktivität mit der synthetischen Welt auf den ersten Blick überaus einleuchtend erscheinen und in der Tat auch weite Verbreitung gefunden haben, weist sie gravierende Mängel auf, denn sie berücksichtigen nicht, dass Virtual Reality keineswegs immer als rein künstliche Welt, sondern vielmehr häufig »im Zusammenhang mit einer Bandbreite anderer Umgebungen vorkommt, wobei die zuvor beschriebenen Merkmale der ›synthetischen Welt‹ sowie die des Eintauchens in diese Welt (immersion) nicht zwangsweise erfüllt sein müssen« (Lenzen 2001: 36). Wie aber lassen sich Welten beschreiben, die sich sowohl aus realen als auch aus künstlichen Elementen zusammensetzen? Ein in diesem Zusammenhang häufig zitierter Beschreibungs- und Klassifikationsversuch stammt von Paul Milgram und Fumio Kishino, die 1994 ein sogenanntes ›Virtualitäts-Kontinuum‹ (bei dem es sich genau genommen um ein ›RealitätsVirtualitäts-Kontinuum‹ handelt) skizzierten, welches zwischen den beiden Polen einer ›realen‹ sowie einer rein virtuellen und damit ›künstlichen‹ Umgebung aufgespannt ist und dazwischen eine große Spannbreite gradueller Abstufungen ermöglicht (vgl. Milgram/Kishino 1994 sowie in dieser Arbeit Kapitel 5.2.2 und Abbildung 13). Die Mixed Reality stellt den Mittelpunkt innerhalb dieses Kontinuums dar. Überwiegt die Anzahl künstlicher Elemente in der jeweiligen Umgebung, spricht man von Augmented Virtuality (AV), während Augmented Reality (AR) wiederum eine Umgebung bezeichnet, in der reale Objekte überwiegen und lediglich kontextabhängig mittels einer Datenbrille oder eines anderen Ausgabemediums durch virtuelle Informationen
5. Fallstudie
›angereichert‹ (augmentiert) werden (vgl. Azuma 1997: 356). Während wir unsere reale Umwelt in der Regel direkt mit unseren Sinnesorganen erfassen, lassen sich Umgebungen, in denen neben realen Objekten auch virtuelle Elemente und Informationen vorhanden sind, lediglich non-direkt, d.h. in unterschiedlicher Weise technisch vermittelt, erfassen. Obwohl Augmented Reality gelegentlich nur als ›Variante‹ virtueller Umgebung bzw. virtueller Realität verstanden wird (vgl. Azuma 1997: 355), unterscheidet sie sich hiervon deutlich, denn aufgrund der Kombination direkter sowie nondirekter Wahrnehmung ermöglicht sie dem Nutzer die gleichzeitige Wahrnehmung realer sowie virtueller Objekte. Augmented Reality lässt sich jedoch nicht nur visuell, sondern ebenso auch auditiv, taktil, haptisch und sogar olfaktorisch realisieren (vgl. Azuma et al. 2001: 34; Milgram/Kishino 1994: 6), was zu einer Vielzahl denkbarer technologischer Konfigurationen führt. Das bedeutet in der Konsequenz, dass – auch wenn in Bezug auf Augmented Reality oftmals die visuelle Realisierung mittels Head-Mounted Displays im Vordergrund steht – sich Augmented Reality nicht an einem bestimmten technischen Artefakt festmachen lässt. Als typische Hoch- und Querschnittstechnologie kommt Augmented Reality zudem in einer Vielzahl von Einsatzgebieten zum Tragen (vgl. Azuma 1997: 356ff.), so dass sie auch nicht über eine spezifische Anwendung charakterisiert werden kann. Folglich müssen andere Merkmale herangezogen werden, um das Charakteristische dieser Technologie im Kern zu erfassen. Aus diesem Grund hat Azuma im Rahmen einer viel beachteten Definition versucht, das Typische der AR-Technologie anhand von drei Eigenschaften zu identifizieren: Eines dieser für die AR-Technologie typische Merkmal – nämlich die Möglichkeit, reale und virtuelle Objekte gleichzeitig wahrzunehmen – wurde bereits hervorgehoben. Ergänzt wird es durch die Mensch-Technik-Interaktion in Echtzeit sowie die dreidimensionale Darstellungsform der virtuellen Objekte (vgl. Azuma 1997: 356; eine ausführliche Diskussion der Bedeutung dieser Definition findet sich in dieser Arbeit in Kapitel 5.2.2 sowie 5.2.4). Die bisherigen Überlegungen verdeutlichen bereits das Problem einer nicht eindeutigen Bestimmbarkeit der AR-Technologie sowie der Frage nach ihrer Identität. Auch wenn Azumas Beschreibung auf den ersten Blick einleuchtend erscheint und – unter anderem vermutlich aufgrund ihrer prägnanten Einfachheit – bis heute zur Charakterisierung herangezogen wird, ist sie keineswegs ausreichend, um die Komplexität dieser Technologie zu erfassen und die daraus resultierenden Fragen nach der Identität dieser Technologie zu beantworten. Lenzen et al. (2007) haben eine Vielzahl von Definitionen im Hinblick auf ihre Tauglichkeit zur Erfassung der AR-Technologie untersucht und darauf hingewiesen, dass sie entweder sehr speziell sind und sich nur auf spezielle Funktionsbereiche sowie konkrete technologische Konfigurationen beziehen […] oder aber so allgemein gehalten werden, dass sie für die Beschreibung situationsspezifischer Anwendungen nicht geeignet sind […] (Lenzen et al. 2007: 456). Gefordert wird stattdessen eine Prozessbeschreibung, »die als Ausgangspunkt der nicht im Vorfeld bestimmbaren technischen Konstellationen und anwendungsbezogenen Funktionen dienen kann« (Lenzen et al. 2007: 456). Vor diesem Hintergrund muss eine Definition der Augmented Reality nach Meinung der Autoren
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Die multiple Identität der Technik
eine Technikoffenheit für verschiedene denkbare Realisierungen bieten, wobei die Definition einerseits offen genug sein muss, um prinzipiell alle möglichen ARRealisationen beschreiben zu können, andererseits muss aber auch die Verortung der sich aus einem spezifischen Anwendungskontext ergebenden technischen Elemente zur Beschreibung von speziellen AR-Systemen möglich sein (Lenzen et al. 2007: 456). Neben der Offenheit für unterschiedliche technische Realisationen (= Technikoffenheit) muss sie auch in der Lage sein, verschiedene Teilfunktionen integrieren zu können (= Funktionsoffenheit). Als Basis für eine Definition, die zum einen in der Lage ist, das Typische der AR-Technologie zu erfassen und zum anderen offen ist für alle denkbaren technischen Realisierungen sowie Anwendungen, identifizieren die Autoren vier Ebenen der Beschreibung, die Berücksichtigung finden müssen (vgl. Tab. 5): Tabelle 5: Beschreibungs-Ebenen der AR-Technologie (in Anlehnung an Lenzen et al. 2007: 457 ) Ebene 1: Input-OutputModell
Input
Pre-Prozess
Prozess
Output
Ebene 3: Technische Elemente
Hardware Software
Hardware Software
Hardware Software
Hardware Software
Ebene 4: Funktion (anwendungsabhängig)
Teilfunktion z.B. Aufnahme visueller Informationen
Teilfunktion Teilfunktion z.B. Erfassen von z.B. BildüberPositionen lagerung
Ebene 2: AR-spezifische Prozessbeschreibung
Teilfunktion z.B. Ausgabe der überlagerten Bilder
Anwendungsbezogene Gesamtfunktion z.B. Unterstützung chirurgischer Eingriffe durch die Einblendung einer optimalen Schnittlinie
Das Problem besteht nun darin, dass sich weder die einzelnen verwendeten technischen Elemente noch die unterschiedlichen Funktionen im Vorfeld ohne Anwendungsbezug bestimmen lassen. So werden sich sowohl die technische Realisierung als auch die Teilfunktionen wie beispielsweise die Positionserfassung von Objekten oder die Bildüberlagerung bei einem durch Augmented Reality unterstützten chirurgischen Eingriff deutlich von einem AR-Spiel auf dem Smartphone oder Tablet-PC unterscheiden. Und dennoch muss es einen Kernprozess geben, der das Spezifische dieser Technologie beschreibt und auf diese Weise die unterschiedlichen Konfigurationen miteinander verbindet und sie als Augmented Reality erkennbar werden lässt (dieser Kernprozess entspricht der noch offenen, grau unterlegten Ebene 2 in Tabelle 5). Gesucht wird also eine Beschreibungsebene, […] die einerseits allgemein genug ist, um alle denkbaren technischen Realisierungen und anwendungsbezogenen Funktionen verorten zu können, andererseits aber spezifisch genug ist, um die Identität der AR-Technologie herausstellen zu können. Weder die technischen Elemente noch die einzelnen Funktionen lassen sich im Vorfeld ohne
5. Fallstudie
Anwendungsbezug angeben. Lediglich die Prozessschritte lassen sich anwendungsunabhängig beschreiben, sodass sie den Bezugspunkt für die weiteren Ebenen bilden (Lenzen et al. 2007: 457). Als Ergebnis ihrer Überlegungen entwickeln die Autoren ein Prozessmodell, das erstens den typischen Prozess der Augmentierung abbildet, zweitens Anknüpfungspunkte für unterschiedliche technische Realisierungen (Technikoffenheit) bietet, drittens Bezug auf die unterschiedlichen Teilfunktionen nimmt und viertens auf jede anwendungsbezogene Gesamtfunktion angewandt werden kann (vgl. Abb. 4).
Abbildung 4: Prozessorientiertes Beschreibungsmodell der AR-Technologie
(in Anlehnung an Lenzen et al. 2007: 458)
Dieses Beschreibungsmodell arbeitet das der Augmented Reality zugrunde liegende Technisierungsschema heruas, welches sowohl die einzelnen Elemente als auch wiederholbar Ursache und Wirkung zueinander in Beziehung setzt. Ohne auf technische Einzelheiten einzugehen, wird deutlich, dass es sich bei diesem Modell um eine hochkomplexe technologische Konfiguration mit fluidem Profil (vgl. Dolata/Werle 2007: 35) handelt, in welchem verschiedene Komponenten auf unterschiedliche Weise miteinander in Beziehung gesetzt werden.
5.1.3.
Methodisches Vorgehen
Den Ausgangspunkt für das dieser Fallstudie zugrunde liegende methodische Vorgehen bildet das narrative Interview nach Fritz Schütze, welches für den Untersuchungsgegenstand einer Identität der AR-Technologie adaptiert und entsprechend modifiziert wurde. Um eine möglichst umfassende Analyse zu gewährleisten und unterschiedliche Teilaspekte in den Blick zu nehmen, kamen zusätzlich Leitfadeninterviews mit Experten sowie Dokumentenanalysen zum Einsatz. In Anlehnung an Keller (2004) geht es mit der Triangulation dieser Methoden »dann darum, unterschiedliche methodische
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Perspektivierungen des Gegenstandsbereichs in Beziehung zu setzen«, wobei sich methodisch »an die sozialwissenschaftliche Tradition umfassender Fallstudien anschließen [lässt]« (Keller 2004: 77). Dabei wird Triangulation »weniger als Strategie der Validierung in der qualitativen Forschung, sondern als Strategie, Erkenntnisse durch die Gewinnung weiterer Erkenntnisse zu begründen und abzusichern« (Flick 2004: 311) verstanden. Die Darstellung der Methoden erfolgt in zwei Schritten: Zunächst werden die mit Experten geführten narrativen Interviews sowie die Leitfadeninterviews beschrieben. Im Anschluss wird das methodische Vorgehen der durchgeführten Narrationsanalyse unterschiedlicher Dokumente dargestellt.
Durchführung der Experteninterviews Sowohl die narrativen Interviews als auch die Leitfadeninterviews wurden mit unterschiedlichen Experten geführt, wobei in diesem Zusammenhang unter Experten Menschen verstanden werden, »die ein besonderes Wissen über soziale Sachverhalte besitzen, und Experteninterviews sind eine Methode, dieses Wissen zu erschließen [Hervorheb. getilgt, K.L.]« (Gläser/Laudel 2004: 10). Bei den im Rahmen dieser Fallstudie befragten Experten handelte es sich sowohl um Interviewpartner, die umfassende Kenntnisse des Gesamtfelds der AR-Technologie besitzen als auch um Experten, die insbesondere in das ARVIKA-Projekt, eines der größten und vermutlich für die Entwicklung der AR-Technologie bedeutendsten Projekte, involviert waren. Die Anzahl der befragten Experten wurde durch den Einsatz der relativ aufwändigen narrativen Interviews begrenzt, was eine sorgfältige Auswahl der Interviewpartner bedingte. Im Vorfeld wurde das Feld der AR-Technologie zunächst intensiv recherchiert und potentielle Interviewpartner identifiziert. Im Anschluss daran wurden weiterführende Informationen hinsichtlich Arbeits- und Aufenthaltsort, derzeitiger Tätigkeit sowie früherer Aktivitäten im Feld über die Interviewpartner eingeholt. In organisatorischer Hinsicht waren in diesem Stadium die folgenden, von Gläser und Laudel formulierten Fragen zur Auswahl von Interviewpartnern leitend: 1. Wer verfügt über die relvanten Informationen? 2. Wer ist am ehesten in der Lage, präzise Informationen zu geben? 3. Wer ist am ehesten bereit, Informationen zu geben? 4. Wer von den Informanten ist verfügbar? (Gläser/Laudel 2004: 113) Auf dieser Basis wurden weiterführende inhaltliche Auswahlkriterien formuliert und die potentiellen Interviewpartner selektiert. Die endgültige Auswahl der Experten wurde zusätzlich zu den oben genannten Leitfragen anhand folgender Kriterien getroffen: • •
• •
namhafte Autoren themenbezogener Beiträge in Fachzeitschriften und Konferenzbänden, Personen, die aufgrund ihrer beruflichen Position (beispielsweise Geschäftsführer eines Start-Up-Unternehmens im Bereich der AR-Technologie oder Professor für den Bereich Augmented Reality) über hohe Sachkenntnisse verfügen, Personen, die sich in ihrer freiberuflichen Tätigkeit mit der AR-Technologie beschäftigen, zentrale Ansprechpartner im Projekt ARVIKA,
5. Fallstudie
• •
Experten, die sich durch die Förderung von oder Mitarbeit in Augmented RealityProjekten mit der AR-Technologie beschäftigt haben, Experten, die von anderen Experten als solche bezeichnet wurden (Schneeballverfahren).
Ausschlaggebend war bei der Wahl der Experten zu diesem Zeitpunkt die Überlegung, die Identitätskonstitution der AR-Technologie sowohl auf der Feldebene, als auch auf Ebene des Projekts ARVIKA, eines der größten jemals durchgeführten AR-Projekte, dezidiert nachzuvollziehen. Es zeigte sich jedoch im Laufe der empirischen Datenerhebung, dass diese Zielsetzung zu groß gewählt war und sowohl aufgrund des Umfangs der theoretischen Konzeption einer Identität der Technik mit ihren unterschiedlichen Einzelfacetten als auch aufgrund des Umfangs des Untersuchungsgegenstandes sowie der zur Verfügung stehenden Datenmenge im Rahmen dieses Forschungsvorhabens aus zeitlichen, personellen und finanziellen Gründen in diesem Umfang nicht realisiert werden konnte. Aus diesem Grund wurde zu einem späteren Zeitpunkt der Fokus auf die Feldebene der AR-Technologie gelegt und die identitätskonstituierenden Entwicklungen im Zuge des Projekts ARVIKA punktuell mitberücksichtigt. Die ausgewählten Experten wurden zunächst schriftlich kontaktiert. Im Rahmen eines kurzen Anschreibens wurden die Interviewpartner über meine Person, die anstehende Fallstudie, mein Interesse an ihnen als Interviewpartner sowie die organisatorischen Bedingungen des Interviews informiert und ein Interviewtermin angefragt. Bewusst wurde auf eine detaillierte Darstellung der zum Einsatz kommenden Interviewformen sowie der Inhalte und Fragestellungen verzichtet, um zu vermeiden, dass sich die Interviewpartner auf das Interview – hier insbesondere auf die Geschichte der AR-Technologie – vorbereiten, lediglich Fakten auswendig lernen und/oder im vermeindlich ›erwünschten‹ Sinne (soziale Erwünschtheit) antworten. Alle angefragen Experten erklärten sich zu dem Interview bereit, so dass im Folgenden Zeit und Ort der Interviews vereinbart wurden. Im Zeitraum von April 2008 bis Mail 2009 wurden mit insgesamt zwölf Experten aus folgenden Bereichen zunächst narrative Interviews und im Anschluss daran Leitfadeninterviews geführt: •
Universitäre Forschung – – –
•
Industrie und industrielle Forschung – –
•
TU München – Fakultät für Informatik Universität Koblenz-Landau/Campus Koblenz – Fachbereich Informatik RWTH Aachen – Institut für Arbeitswissenschaft (IAW)
Siemens AG Automation and Drives (A&D), Nürnberg Volkswagen AG – Konzernforschung Virtuelle Techniken, Wolfsburg
Förderinstitutionen –
European Commission, DG INFSO – ICT Programme, Brüssel
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– •
Wissenschaftliche Forschungsinstitute – –
•
Deutsches Forschungsinstitut für künstliche Intelligenz (DFKI) GmbH – Forschungsgruppe ›Erweiterte Realität‹, Kaiserslautern Fraunhofer Institut für Graphische Datenverarbeitung (IGD), Darmstadt
Start-up-Unternehmen im Bereich Augmented Reality –
•
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Berlin
Metaio GmbH, München
Technologische Beratungsunternehmen – –
Hainich und Partner – Unternehmens- und Technologieberatung, Berlin VDI Technologiezentrum – Abteilung Zukünftige Technologien Consulting (ZTC), Düsseldorf
Ein Interview wurde mittels Skype realisiert, die anderen Interviews wurden persönlich vor Ort am Arbeitsplatz der ausgewählten Experten geführt. Elf Interviews wurden auf deutsch, ein Interview auf englisch geführt. Die Interviews dauerten zwischen einer und zweieinhalb Stunden. Rechnet man die narrativen sowie die Leitfadeninterviews zusammen, liegen somit insgesamt 21 Stunden und 31 Minuten transkribiertes Datenmaterial aus den Experteninterviews vor. Elf der zwölf Interviews wurden nach Einverständnis der Interviewpartner mit dem digitalen Voicerecorder WS-300M von Olympus aufgenommen, bei dem Telefoninterview wurde das Gespräch via Skype aufgezeichnet. Im Anschluss hieran wurden die Interviews vollständig mit Hilfe der Audiotranskriptionssoftware ›f4‹1 transkribiert. Dabei wurde neben der Standardorthographie auch die literarische Umschrift (vgl. Gläser/Laudel 2004: 188) umgangssprachlicher sowie dialektaler Besonderheiten berücksichtigt (beispielsweise ›gibt’s‹ statt ›gibt es‹). Lediglich auf die vollständige Notation paraverbaler, prosodischer Merkmale wie beispielsweise Intonation, Lautstärke, Sprechtempo, Akzentuierung, Sprechtempo und -rhythmus sowie Pausen und nonverbaler Merkmale wie Gesten und Bewegungen wurde weitgehend verzichtet, da diese für die Zielsetzung der vorliegenden Fallstudie nicht von Bedeutung waren. Non- und paraverbale Äußerungen wurden nur dann berücksichtigt, wenn sie inhaltlich oder auswertungstechnisch für die Fragestellung von besonderer Relevanz waren. Für die Transkription galten folgende Regeln: •
• 1
wörtliche Transkription unter Verwendung von Standardorthographie und literarischer Umschrift umgangssprachlicher und dialektaler Besonderheiten (z.B. ›haste‹, ›was für’n‹) Notation von Silbenwiederholungen (z.B. ›ü-, ü-, über-, über-, überlegt‹) Für weitere Informationen siehe: www.audiotranskription.de; Zugriff: 07.02.17.
5. Fallstudie
• •
• •
• •
•
Notation von Füll- und Verzögerungslauten (z.B. ›-eh-, -ehm-, -eh, eh, ehm‹) Transkription von Pausen, wenn sie entweder sehr lang oder für die Fragestellung von besonderer Bedeutung sind; in diesen Fällen werden sie in eckige Klammern gesetzt (z.B. [überlegt]) systematische Transkription von Interjektionen wie beispielsweise Symptominterjektionen (z.B. ›ach‹) oder Apellinterjektionen (z.B. ›he‹, ›na‹) auffällige und für die Fragestellung relevante nonverbale Äußerungen wie beispielsweise lachen oder gestikulieren; diese werden in eckige Klammern gesetzt (z.B. [lacht]) Worte, die nicht verstanden wurden, werden mit Fragezeichen in eckige Klammern gesetzt (z.B. ›Was [???] ja Quatsch ist‹) Worte, die nur halb verstanden wurden (oder bei denen nicht sicher ist, dass sie richtig verstanden wurden) werden durch in eckige Klammern gesetzte Fragezeichen markiert (z.B. ›ECRC [???]‹) auffällige Überschneidungen werden mit einer Anmerkung in eckigen Klammern markiert (z.B. ›also ich hab’ natürlich auch nicht alle Unterlagen [überschneidet sich mit dem nachfolgenden Beitrag]‹)
Um entsprechende Passagen in den Transkripten auffinden zu können, wurden die Sprecherwechsel (Turn) innerhalb eines Interviews durchnummeriert. Wörtlich verwendete Interviewaussagen werden im Rahmen dieser Fallstudie entweder unter namentlicher Angabe des Interviewpartners oder im Falle der Anonymisierung unter Angabe einer durchnummerierten Abkürzung (IP-XX) in Verbindung mit der Nummer für den Turn, welchem die entsprechende Aussage entnommen wurde, gekennzeichnet (Beispiel: IP-XX: ›[wörtliche Aussage]‹ (Turn 15)). Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Aussage auch unabhängig von unterschiedlichen Dokument-, Darstellungsund Formatierungsformen des Transkriptes wiedergefunden werden kann.
Anonymität und Datenschutz Ein besonderes Augenmerk wurde auf die Frage nach der Anonymität der Interviewpartner sowie der von ihnen getätigten Aussagen gelegt. Dabei steht – wie Gläser (1999) ausführlich dargestellt hat – die Frage nach der Anonymisierung sowohl der Interviewpartner als auch der Institutionen, an die sie angebunden sind, vor dem Problem, dass die Ergebnisse häufig nicht dargestellt werden können, ohne gleichzeitig Anhaltspunkte für die Identifizierung der Interviewpartner preiszugeben. Für die Zielsetzung der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Fallstudie waren personen- und institutionenbezogene Daten zu den Interviewpartnern zwar aufschlussreich, standen aber nicht im Mittelpunkt des Interesses, so dass hierauf bei den Interviewpartnern, die eine Anonymisierung wünschten, verzichtet werden konnte. Auch wenn Gläser in Anlehnung an Bortz (1984) darauf hinweist, »die beste Strategie [scheine] darin zu bestehen, bestimmte Untersuchungen [die Probleme bei der Anomyisierung aufweisen, Anm. v. Verf., K.L.] gar nicht erst zu beginnen« (Gläser 1999: 43), stellt naheliegender Weise die Vermeidung empirischer Untersuchungen nicht wirklich die Lösung des Problems dar. Um dennoch sowohl den datenschutzrechtlichen als auch den ethischen Ansprüchen ei-
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ner seriösen wissenschaftlichen Praxis gerecht zu werden und dem Spannungsfeld von gewünschter Anonymität einerseits sowie der Verwendung relevanter Aussagen und Daten andererseits angemessen begegnen zu können, wurde wie folgt vorgegangen: Zu Beginn der Interviews wurde zunächst die Zustimmung zu einer digitalen Tonaufzeichnung (bzw. im Falle des Telefoninterviews zu der Aufzeichnung via Skype) eingeholt. Alle Interviewpartner erklärten sich mit der Aufzeichnung des Interviews einverstanden. Als nächstes wurden die Interviewpartner befragt, ob das Interview sowie die hieraus entnommenen Aussagen anonymisiert werden sollen oder die Interviewpartner als Urheber genannt werden dürfen. Neun Experten gaben ihre mündliche Einwilligung, dass das Interview nicht anonym behandelt werden muss, ein Interviewpartner bat um Anonymisierung und zwei weitere Experten baten um Vorlage der verwendeten Aussagen, um ihre Autorisierung von Inhalt und Kontext der Aussagen abhängig zu machen. In den Fällen, in denen abschließend keine Einwilligung vorlag, wurden sowohl personenbezogene Daten als auch inhaltliche Aussagen, die auf Person oder Institution schließen ließen, anonymisiert, auch wenn hierdurch für die Fragestellung relevante Informationen zurückgehalten werden mussten.
Narratives Interview Das in der Biographie- und Identitätsforschung häufig eingesetzte narrative Interview nach Fritz Schütze (1976; 1977; 1981; 1983; 1984) wurde für die Analyse technischer Identität adaptiert. Dieses Vorgehen ist keineswegs unproblematisch und stellt die methodische Ausweitung auf neue Untersuchungsgegenstände vor besondere Herausforderungen. Insbesondere die folgenden Punkte stehen im Allgemeinen, aber insbesondere auch im Rahmen dieser Fallstudie im Mittelpunkt der Diskussionen: 1. 2. 3. 4.
Untersuchungsgegenstand (Biographie vs. Organisation und Technik) Methoden›reinheit‹ vs. Methodenmix Eignung der Interviewpartner Auswertungsvorgehen
Damit ist der Einsatz narrativer Interviews in neuen Untersuchungsfeldern zwar sehr anspruchsvoll, aber keineswegs unmöglich. So lassen sich durchaus Versuche beobachten, sich über diese engen methodischen Grenzen hinwegzusetzen und das narrative Interview auf neue Gegenstandsbereiche wie beispielsweise Organisationen (vgl. Holtgrewe 2002) oder Innovationen (vgl. Butzin 2012) auszuweiten und an diese zu adaptieren. Der Einsatz des narrativen Interviews in anderen Anwendungsfeldern hat sich dabei in vielen Fällen als erfolgreich herausgestellt. Neben Schützes Interaktionsfeldstudien (vgl. Schütze 1977) sind auch Anwendungen im Bereich der Migrationsforschung oder der Gesundheits- und Pflegeforschung zu nennen (vgl. Küsters 2006: 182ff.). Insbesondere der Einsatz des narrativen Interviews im organisationalen Kontext durch Ursula Holtgrewe verdeutlicht, dass entsprechende Übertragungen und Modifikationen möglich sind, ohne den typischen Charakter dieser Methode in Frage zu stellen. So wurde für den Einsatz im Bereich der Organisationsforschung teilweise auf die Rekonstruktion einer individuellen Perspektive verzichtet. (vgl. Küsters 2006: 184). Holtgrewe weist
5. Fallstudie
darauf hin, dass bei dem Einsatz des narrativen Interviews im organisatorischen Kontext nicht unbedingt die Untersuchungsebene subjektiver Erfahrung, »sondern die Organisation (oder: das Projekt, das Netzwerk usw.)« (Holtgrewe 2002: 96) im Fokus des Interesses stehen kann. Ähnlich verhält es sich im vorliegenden Fall der AR-Technologie: Nicht die Rekonstruktion der subjektiven Erfahrung der beteiligten Akteure steht hier im Vordergrund, sondern vielmehr die Identität und Biographie der Technik selbst. Die Akteure fungieren lediglich als Fürsprecher für die AR-Technologie. Ihre subjektive Erfahrung ist nur insofern von Interesse, als dass aus ihnen die Identitätszuweisungen und Positionierungen hervorgehen, durch welche die AR-Technologie ihre technische Identität erhält. Besonders eignet sich das narrative Interview außerhalb biographischer Untersuchungskontexte dann für Fragestellungen, in denen es auf »erzählenswerte Ereignisse ankommt« (Holtgrewe 2002: 72): Geeignet sind im phänomenologischen Sinn ›problematische‹ Ereignisse, an denen die Befragten beteiligt sind: wahrnehmbare Transformationsprozesse, Projekte mit einem Anfang und einem Ende oder Krisen, die Brüche und Rekonstruktionen der Erfahrung anstoßen (Holtgrewe 2002: 72). Bezogen auf die Fragestellung dieser Fallstudie ist dieser Punkt von besonderem Interesse. Vergegenwärtigt man sich nämlich die bisherigen theoretischen Ausführungen zu der Konzeption einer Identität der Technik, so zeichnet sich die Entstehung technischer Identitäten vor allem durch ihre Prozesshaftigkeit sowie ihre Wandlungsfähigkeit – angestoßen unter anderem durch kritische Ereignisse und Rekontextualisierungsprozesse – aus. Entscheidend ist, dass das Erzählenswerte »aus der Routine [hervortritt] und sich der Erzählerin und ihrem Gesprächspartner als Ereignis(-kette)« (Holtgrewe 2002: 72) präsentiert. Fraglich ist allerdings, ob das narrative Interview als alleiniger methodischer Zugang in der Lage ist, Untersuchungsgegenstände, die sich außerhalb einer subjektivbiographischen Erfahrungsebene befinden, umfassend zu analysieren. Nach Holtgrewe ist es in diesen Fällen ratsam, das narrative Interview in einen »Methodenmix« (Holtgrewe 2002: 96) zu integrieren und [d]ie Kontexte der Ereignisse in der Organisation [oder eben im technologischen Feld, Anm. v. Verf., K.L.] und die organisationellen Strukturen, Strategien, Ablaufmuster und Umwelten […] zunächst einmal über andere Verfahren in Erfahrung [zu] bringen (Experteninterviews, Dokumentenanalyse usw.), schon um relevante und erzählbare Ereignisse zu identifizieren und die zu generierenden Erzählungen nicht mit Erklärungen und Rückfragen überfrachten zu müssen (Holtgrewe 2002: 96). Diesem Beispiel folgend wurde auch im Rahmen dieser Fallstudie das narrative Interview mit Experteninterviews sowie einer umfassenden Dokumentenanalyse trianguliert. Auf diese Weise wurde zum einen sichergestellt, dass bereits im Vorfeld die geeigneten Experten als Interviewpartner ausgewählt wurden und entsprechende Kenntnisse der AR-Technologie sowie des Feldes vorhanden waren, die eine reibungslose Interviewführung ermöglichten. Zum anderen dienten die zusätzlich eingesetzten Methoden der Nachbereitung, sie halfen, Aussagen in ihren zeitlichen Kontext einzubetten, Detailfragen zu klären, Beziehungskonstellationen herauszuarbeiten und zu visua-
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lisieren. Vor allem die zusätzlich herangezogenen Dokumente selbst enthielten narrative Identitätszuweisungen, welche die Aussagen der Experten aus den narrativen Interviews teils ergänzten, teils aber auch diese kontrastierend eine zusätzliche Hintergrundfolie darstellten, die zu der Auswertung der narrativen Interviews herangezogen wurde. Durch dieses Vorgehen bietet nach Holtgrewe »das narrative Interview die Möglichkeit, Beschreibungen, Legitimationen und retrospektive Deutungen des Geschehens, die man aus anderen Datenquellen bezieht, aus der Perspektive des narrativ rekonstruierten Erlebens und Handelns der Befragten zu beleuchten« (Holtgrewe 2002: 96). Fasst man die bisherigen Ausführungen zusammen, so ist nicht nur – wie Holtgrewe herausstellt – in der Organisationsforschung, sondern ebenso im Hinblick auf technische Innovationsbiographien »eine gewissermaßen punktuelle [Hervorheb. v. Verf., K.L.] Anwendungsweise narrativer Interviews durchaus möglich und aussichtsreich« (Holtgrewe 2002: 96). Einen wichtigen Faktor für die Qualität der narrativen Interviews stellt allerdings die Auswahl geeigneter Gesprächspartner dar. Das oberste Kriterium hierfür stellt – sowohl in der Biographieforschung als auch bei dem Einsatz in anderen Anwendungsfeldern – die Involviertheit der Interviewpersonen in das Geschehen dar (vgl. Küsters 2006: 30). Dies gilt für die Erhebung auf Ebene der subjektiven Erfahrungen gleichermaßen wie bei dem Einsatz im organisatorischen Kontext oder bei der Ausweitung des Gegenstandsbereichs auf die Rekonstruktion technischer Identität im innovationsbiographischen Verlauf. Mit anderen Worten: Geht es um bestimmte Prozesse, Ereignisse oder Projekte, so liegt es nahe, die Akteure auszuwählen, die an diesen gestaltend und/oder betroffen beteiligt waren. […] Geht es […] darum, was die Befragten als relevant und erzählenswert betrachten, wird man theoretical sampling [Hervorheb. im Orig.] betreiben: Interviewpartner mit erwartbar unterschiedlichen oder/und ähnlichen Erfahrungen auswählen […] (Holtgrewe 2002: 74). Im Hinblick auf die Fragestellung nach der Identitätskonstitution der AR-Technologie mag man nun einwenden, dass hier die Technologie selbst und gerade nicht das Erleben der befragten Akteure im Fokus der Untersuchung steht. Hierzu ist anzumerken, dass die Interviewpartner zwar über die AR-Technologie berichten und deren Geschichte erzählen sollen, aber natürlich ist jeder der ausgewählten Interviewpartner gleichzeitig Teil dieser Geschichte, die er miterlebt und mitgestaltet hat. Aus diesem Grund hat sich auch »in ihm eine kognitive Repräsentation des Handlungsablaufs gebildet, die er aktualisieren und als Narration reproduzieren kann« (Küsters 2006: 30). Dies erklärt auch, weshalb die von Schütze als Vorteil des narrativen Interviews hervogehobenen und zuvor im Rahmen dieser Arbeit bereits dargestellten ›Zugzwänge des Erzählens‹ auch in diesem Fall, in dem die befragten Akteure nicht in ihre eigene Geschichte, sondern die Geschichte der AR-Technologie eintauchen, erstaunlich schnell und intensiv zu beobachten waren. Weitaus größer waren die Bedenken hinsichtlich zwei weiterer Punkte, welche potentielle Interviewpartner als ungeeignet erscheinen lassen. So verweist Küsters erstens darauf, dass viele Interviewpartner eher zu Argumentationen als zu Erzählungen neigen. Da die Interviews im Rahmen der vorliegenden Fallstudie vorwiegend mit Exper-
5. Fallstudie
ten aus den Ingenieur- und Naturwissenschaften geführt wurden, bei denen zu vermuten ist, dass sie sich in ihrem täglichen Arbeitsumfeld in der Regel weniger weit gefasster Erzählungen als vielmehr einer eher kurz gefassten Beschreibungs- und Argumentationssprache bedienen, lag die Befürchtung nahe, dass sie sich mit der Aufforderung zu einer Erzählung schwer tun und eine geringe Erzählbereitschaft oder sogar eine Erzählhemmung zu beobachten sein würden. In der Folge wäre zu erwarten gewesen, dass sie an Stelle von Erzählungen Textgenres produzierten, die ihrer üblichen Arbeitsweise näher lagen. In der Tat waren in einigen Fällen nach der Erzählaufforderung anfängliche Irritationen zu beobachten. Im weiteren Verlauf des narrativen Interviews fielen dann aber alle Gesprächspartner zumindest in Teilen, häufig aber in überwiegendem Maße in einen Erzählmodus, so dass die Interviewtexte als Narrationen ausgewertet werden konnten. Da es sich bei den ausgewählten Interviewpartnern um Experten mit akademischer Ausbildung und zu großen Teilen auch einem weiterführenden akademischen Berufskontext wie beispielsweise Universität oder Forschungsinstitut handelte, die einerseits über ein hohes Bildungsnivau verfügen und sich zum anderen durch eine hohe sprachliche Eloquenz auszeichnen, war in Anlehnung an Küsters zu befürchten, dass sie es gewohnt waren, ihre Antworten »marktabhängig auszugestalten« (Küsters 2006: 32). Darüber hinaus verfügen sie »auch über die rhetorischen Mittel und die Selbstkontrolle, erzählerische Zugzwänge zumindest teilweise nicht wirksam werden zu lassen« (Küsters 2006: 32). Insbesondere zu Beginn der Interviews, wenn die Zugzwänge des Erzählens noch nicht griffen, waren entsprechende Textpassagen zu beobachten, die im Rahmen der Auswertung entsprechend kritisch behandelt wurden. In allen Fällen zeigte sich jedoch, dass in den fortschreitenden Interviews die Experten zunehmend ihre Mechanismen der Selbstkontrolle aufgaben und zu einer authentischeren Erzählweise wechselten. In der Regel ist bereits die Auswertung einzelner narrativer Interviews mit einem hohen zeitlichen Aufwand verbunden. Führt man eine Vielzahl narrativer Interviews, ist eine vollständige sequentielle Auswertung aufgrund des damit verbundenen Aufwands nahezu unmöglich (vgl. Holtgrewe 2002: 80f.). Stattdessen muss sich die Auswertung pragmatisch an forschungspraktische Gegebenheiten anpassen: »Mit welchem Aufwand, auf welcher zentralen ›Ebene‹ und in welcher ›Tiefe‹ man interpretiert, wird stark auf die Situation und den Kontext der jeweiligen Forschung ankommen« (Holtgrewe 2002: 80). Bezogen auf die vorliegende Fallstudie bedeutet dies, dass aufgrund des Umfangs des entstandenen Datenmaterials ein pragmatischer Umgang im Hinblick auf die Auswertung notwendig ist. Das von Schütze (1983), aber auch Fischer-Rosenthal (Fischer-Rosenthal/Rosenthal 1997; Rosenthal 1995; Rosenthal/Fischer-Rosenthal 2004) vorgeschlagene Vorgehen zur Auswertung narrativer Interviews scheint in Anbetracht des umfangreichen Datenmaterials an dieser Stelle aufgrund seines aufwendigen Vorgehens nur bedingt geeignet. Aus diesem Grund wird die Sequenzanalyse im Zuge der Auswertung selektiv für die Analyse ausgewählter Passagen eingesetzt, um in Anlehnung an Holtgrewe »besonders interessant, gewichtig oder problematisch erscheinende Textstellen und Erzählpasssagen auf diesem Wege zu entschlüsseln oder anderweitig rekonstruierte Fallstrukturhypothesen durch eine Sequenzanaylse ausgewählter Passagen zu validieren« (Holtgrewe 2002: 81). Entsprechend wurde im Rahmen dieser Fallstudie bei der sequenziellen Auswertung der narrativen Passagen der Fokus der
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Auswertung auf den Plot der Narration, die einzelnen Aktanten als »narratives Personal« (Viehöver 2006: 198f.) sowie insbesondere auf die Zuweisung (technischer) Identität durch Positionierung (vgl. Davies/Harré 1990; Lucius-Hoene/Deppermann 2004a+b; Van Langenhove/Harré 1999) gelegt. Ein besonderer Vorteil dieses methodischen Vorgehens liegt darin, dass es aufgrund der Vielzahl der durchgeführten narrativen Interviews zudem möglich ist, »den Gang der erzählten Ereignisse aus den Sichten mehrerer Beteiligter zu rekonstruieren« (Holtgrewe 2002: 80). Die vorangegangenen Überlegungen zeigen, dass trotz der genannten kritischen Punkte »das Erhebungsinstrument narratives Interview bzw. das gesamte narrative Verfahren nicht als ›fertiges Instrument‹ betrachtet werden, sondern beim Einsatz in anderen Forschungsfeldern weiterentwickelt und angepasst werden [sollte]« (Küsters 2006: 185). Das gilt insbesondere auch für den Einsatz zur Rekonstruktion technischer Identitäten im Rahmen von Innovationsbiographien: Dem von Holtgrewe vorgeschlagenen Vorgehen, die Ereignisse »von verschiedenen Gesprächspartnern erzählen [zu] lassen« (Holtgrewe 2002: 96) folgend, wurden insgesamt zwölf Experten gebeten, im Rahmen eines narrativen Interviews die Geschichte der AR-Technologie zu erzählen. Die narrativen Interviews stellten den ersten Teil der Experteninterviews dar. Um eine Vorbereitung auf das Gespräch im Sinne der zuvor beschriebenen, unerwünschten Selbstdarstellung zu vermeiden, wurde den Interviewpartnern im Vorfeld mitgeteilt, dass ich meine Dissertation über die AR-Technologie schreibe und im Rahmen dessen Experteninterviews mit unterschiedlichen Experten aus dem AR-Feld durchführe, ›um mehr über dieses Feld zu erfahren‹. Zu Beginn des Gesprächs wurde den Experten die Aufteilung des Interviews in einen narrativen Teil sowie einen Teil für weiterführende Fragen (Leitfadeninterview) erklärt. Da die Technik nicht selbst – wie sonst im Rahmen des narrativen Interviews üblich – ihre eigene Geschichte erzählen kann, wurden die Experten gebeten, quasi stellvertretend für die AR-Technologie deren Biographie zu erzählen. Hierbei wurde sichergestellt, dass der Erzählstimulus »geeignet ist, die Generierung von Ereignis- und Handlungsabläufen zu sichern« (Südmersen 1983: 296). Es wurde deutlich gemacht, dass dem Interviewpartner das Sprechmonopol (vgl. Südmersen 1983: 295) zusteht und er im Laufe seiner Erzählung der AR-Technologie nicht unterbrochen wird, woraus folgt, dass Verständnisfragen erst im Anschluss an den narrativen Teil des Interviews gestellt wurden (dies entspricht der geforderten eindeutigen Trennung in einen Nachfrage- sowie einen Erzählteil). Dieser Teil der Interviews stellte einen kritischen Punkt dar, da die Experten in der Regel nicht auf eine solche Gesprächsaufforderung gefasst waren. Es zeigte sich jedoch, dass die Aufforderung nach kurzem Zögern problemlos aufgenommen wurde. Auf diese Weise entstanden Erzählungen über die AR-Technologie, bei denen auch insbesondere die von Schütze beschriebenen Zugzwänge des Erzählens zu beobachten waren. Die Gesamtzeit der narrativen Interviews betrug 6 Stunden und 17 Minuten. Die narrativen Interviews wurden wie zuvor beschrieben vollständig transkripiert und dann punktuell sequenzanalytisch gemäß der zuvor genannten Darstellung narrativer Interviews ausgewertet. Da die Geschichte der AR-Technologie von verschiedenen Akteuren aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt wurde, welche sowohl Übereinstimmungen als auch interessante Brüche aufwiesen, ergab sich sowohl ein umfassendes Gesamtbild der Entwicklung als auch subjektive Perspektiven auf diese Technologie.
5. Fallstudie
Leitfaden-Interview Im Anschluss an die narrativen Interviews wurden im zweiten Teil der Experteninterviews ausführliche Leitfadeninterviews mit den Interviewpartnern geführt. Im Unterschied zu offenen Interviews, die sich zwar an einem Oberthema orientieren, aber ohne Leitfragen arbeiten und sich daher natürlichen Gesprächssituationen annähern (vgl. Gläser/Laudel 2004: 40) sowie zu den zuvor dargestellten narrativen Interviews, welche die Interviewpartner zu der Produktion längerer Erzählungen anregen sollen, zeichnet sich das Leitfragen-Interview durch eine höhere Strukturierung aus, ohne dabei jedoch seinen Charakter als nicht-standardisiertes Interview zu verlieren. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass mit Hilfe von Leitfadeninterviews wichtige Themenbereiche systematisch angesprochen werden können, ohne dass die zuvor hergestellte Offenheit der Gesprächssituation unterbrochen wird. Leitfragen sind somit »auf das Untersuchungsfeld gerichtet und versuchen die Informationen zu benennen, die erhoben werden müssen« (Gläser/Laudel 2004: 88). Hierbei handelt es »sich typischerweise um Fragen nach Beziehungen und Vorgängen im Untersuchungsfeld, nach Merkmalen von Individuen, Gruppen, Organisationen usw.« (Gläser/Laudel 2004: 89). Während die narrativen Interviews die Geschichte der AR-Technologie sowie ihre Prozessstruktur im Gesamten zum Ziel hatten, konzentrierten sich die Leitfadeninterviews auf die aus der zuvor beschriebenen Theorie abgeleiteten identitätskonstituierenden Aspekte. Diese bildeten die Basis für die Unterteilung des Leitfadens in unterschiedliche Bereiche. Den Interviewpartnern wurden im Verlauf des Gesprächs Fragen zu den folgenden Bereichen gestellt, wobei die Reihenfolge der Fragen flexibel an die Gesprächssituation und die sich hieraus ergebenden Themen angepasst wurde: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
Frageteil Verlauf Frageteil Technologie Frageteil Soziale Identität der Technik Frageteil Materiell-konzeptuelle Identität der Technik Frageteil Aushandlungsprozess Frageteil Kern-/Teilidentität Frageteil Regime Frageteil Koordination Zukunftsausblick Frageteil Feld Persönlich
Im Frageteil zu dem Verlauf der AR-Technologie interessierten insbesondere Entwicklung und Verlauf der Technologie auf Feld- und Projektebene, kritische Ereignisse, Umbrüche etc. Der Frageteil Technologie bezog sich auf die Aspekte, die zuvor im Rahmen der Theorie als Körper der Technik im Sinne von Design, Material und Technisierungsschema bezeichnet wurden. Die Fragen zur sozialen Identität der Technik umfasste vor allem Fragen zu den unterschiedlichen Erwartungen an die Technologie, frühe Visionen, identitätszuweisende Positionierungen der AR-Technologie, Deutungsstrukturen und Umdeutungsprozesse. Im Gegensatz zu den Fragen nach der Technologie und ihrem Körper beinhaltete der Fragekomplex zur materiell-konzeptuellen Identität der Tech-
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nik insbesondere Fragen zur Eigenaktivität der AR-Technologie im Verlaufe ihrer Entwicklungen wie beispielsweise Widerständigkeiten, aber auch neue, bislang ungeahnte Optionen und Verwendungsweisen. Im Hinblick auf den Aushandlungsprozess interessierten Fragen zur (alltäglichen) Entwicklungsarbeit der Ingenieure, den wechselseitigen Anpassungsprozessen zwischen den Erwartungen der beteiligten Akteure auf der einen sowie den aus der Technik selbst resultierenden Eigenschaften von der Entwicklung der Prototypen bis zum marktfähigen Produkt auf der anderen Seite. Dabei war vor allem auch von Interesse, welche Kernidentitäten im Sinne stabiler, überdauernder Entwürfe sowie welche Teilidentitäten im Sinne anwendungs- und kontextspezifischer Realisierungen sich im Verlaufe der Entwicklung herauskristallisierten. Der Fragekomplex zu dem Regime fokussierte vor allem Informationen zu den beteiligten Akteuren und Institutionen sowie der Beziehungskonstellationen, in die sie eingebettet waren. Dabei interessierten auch die Mechanismen der Koordination, die sich im Zuge des Entwicklungsprozesses etablierten. Schließlich wurden die Interviewpartner gebeten, einen Blick in die ›Glaskugel‹ zu werfen, das heißt eine Prognose über Zukunft und weitere Entwicklung der AR-Technologie zu wagen. Abschließend wurden die Interviewpartner in einem persönlichen Frageteil zu ihrem eigenen Verhältnis zur AR-Technologie befragt, zu der Bedeutung dieser Technologie für sie persönlich und wie sich diese Bedeutung im Laufe der Zeit für sie gewandelt hat, zu den eigenen Erwartungen an die Technologie sowie ihrer persönlichen Einbettung in das Gesamtfeld. Da sehr heterogene Experten befragt wurden, wurde der Leitfaden für jede Akteurgruppe neu angepasst. Auf diese Weise konnten die spezifischen Expertisen der Interviewpartner – beispielsweise im Unternehmenskontext, als Projektförderer oder im wissenschaftlichen Umfeld – erhoben werden. Allen Gesprächspartnern wurden als Ausgangsbasis Fragen zu dem Gesamtfeld der AR-Technologie vorgelegt. Experten, die in spezifische Projekte eingebunden waren, wurden zusätzlich nach ihren Erfahrungen im Hinblick auf die zuvor dargelegten Punkte innerhalb des Projekts befragt. Die Gesamtzeit der Leitfadeninterviews betrug 15 Stunden und 14 Minuten. Alle Leitfadeninterviews wurden ebenfalls vollständig nach den eingangs dargelegten Regeln transkribiert. Im Anschluss daran wurden die Transkripte im Rahmen der computergestützten Textanalyse mit der Software MAXQDA 2007 codiert, wobei unter Codierung »ganz allgemein die Zuordnung von Kategorien zu relevanten Textpassagen bzw. die Klassifikation von Textmerkmalen verstanden [wird]« (Kuckartz 1999: 75). Das verwendete Kategoriensystem stellt ein Suchraster dar, das »ausgehend von den theoretischen Vorüberlegungen konstruiert [wurde]« (Gläser/Laudel 2004: 194) und die Extraktion, d.h. die gezielte Entnahme von Textinformationen, ermöglicht. Auf diese Weise »wird sichergestellt, dass die theoretischen Vorüberlegungen die Extraktion anleiten. Außerdem entspricht die Struktur der Informationsbasis den theoretischen Vorüberlegungen und gestattet es deshalb, die Untersuchungsfrage zu beantworten« (Gläser/Laudel 2004: 195). Gleichzeitig zeichnet sich das Kategoriensystem durch Offenheit aus, was bedeutet, dass die Kategorien im Laufe des Codierungsverfahrens verändert bzw. ergänzt werden können (vgl. Gläser/Laudel 2004: 195). Entscheidend ist, dass der konstruierte Kategorienkatalog ausreichend differenziert ist und eine brauchbare Systematik aufweist (vgl. VERBI 2007: 101). Vor diesem Hintergrund entstand im Rahmen der Auswertung der Leitfadeninterviews ein Kategoriensystem, das sich aus 14 Oberkategorien,
5. Fallstudie
73 Subkategorien sowie 102 weiter differenzierenden Kategorien zusammensetzt. Den Kategorien wurden die entsprechenden Textpassagen aus den transkribierten Leitfadeninterviews zugewiesen, was eine vorherige Interpretation der Texpassagen voraussetzt (vgl. Gläser/Laudel 2004: 195). Im Anschluss daran wurden die extrahierten Rohdaten aufbereitet (d.h. verstreute und bedeutungsgleiche Informationen zusammengefasst, Fehler korrigiert, Redundanzen beseitigt, vgl. Gläser/Laudel 2004: 219ff.) und auf diese Weise das Rohmaterial reduziert. Für die anschließende Auswertung ist nach Gläser und Laudel [b]ei der Kausalanalyse im Prozess der Auswertung […] zunächst zwischen Kausalzusammenhängen (die A als Ursache von B – der Wirkung – definieren) und Kausalmechanismen (den Prozessen, die B hervorrufen, wenn A gegeben ist) zu unterscheiden. Letzeres aufzuklären ist das Ziel der Auswertung (Gläser/Laudel 2004: 241). Für die Analyse der Entstehung und Institutionalisierung technischer Identitäten im Rahmen der vorliegenden Fallstudie bedeutet dies vor allem, die Mechanismen identitätszuweisender Positionierungen zu identifizieren und in ihren spezifischen Kontext einzuordnen. Die Auswertung ist von der anschließenden Interpretation nur analytisch zu trennen (vgl. Gläser/Laudel 2004: 253), faktisch gehen beide ineinander über. Im Zuge der Interpretation werden die aufbereiteten und ausgewerteten empirischen Daten an die vorangegangenen theoretischen Überlegungen zurückgebunden, mit dem Ziel, die eingangs gestellte Forschungsfrage zu beantworten. Für die vorliegende Fallstudie bedeutet dies, einerseits die (narrativen) Mechanismen, welche die Identität der ARTechnologie im Sinne ihrer symbolischen Struktur konstituieren (doing how) zu identifizieren und andererseits auch die so entstandene Identität bzw. die Identitäten (doing that) in ihrem Verlauf sowie ihrem Kontext zu rekonstruieren.
Narrationsanalyse von Dokumenten Zusätzlich zu den narrativen Interviews wurde eine narrative Dokumentenanalyse durchgeführt, wobei in Anlehnung an Wolff Dokumente als »schriftliche Texte, die als Aufzeichnung oder Beleg für einen Vorgang oder Sachverhalt dienen« (Wolff 2004: 503) verstanden werden. In diesem Sinne stellen Dokumente standardisierte Artefakte [dar], insoweit sie typischerweise in bestimmten Formaten auftreten: als Aktennotizen, Fallberichte, Verträge, Entwürfe, Totenscheine, Vermerke, Tagebücher, Statistiken, Jahresberichte, Zeugnisse, Urteile, Briefe oder Gutachten [alle Hervorheb. im Orig.] (Wolff 2004: 503). Neben den genannten Beispielen finden auch »Dokumente[…], die auf einen institutionellen Kommunikationszusammenhang hin verfasst werden, wie wissenschaftliche[…] Aufsätze« (Wolff 2004: 508) Beachtung, so dass wissenschaftliche Publikationen eine weitere Quelle für die narrative Dokumentenanalyse darstellen. Es stellt sich nun die Frage, wie diese Dokumente zu analysieren sind bzw. welcher Informationsgehalt ihnen entnommen werden kann. Wie bereits in Kapitel 4.2.2 angesprochen, ist ein rein repräsentationales Text- und Narrationsverständnis, das davon ausgeht, dass die Texte als Repräsentationen »für etwas anderes [Hervorheb. im Orig.]« (Wolff 2004: 504) stehen, wenig zielführend. Stattdessen muss vielmehr zusätzlich der
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performative Charakter der Dokumente berücksichtigt werden. Auch wenn »die Hintergründe ihrer Produziertheit« (Wolff 2004: 505) in den Texten selbst nicht mehr sichtbar werden, müssen »Dokumente als eigenständige methodische und situativ eingegbettete Leistungen ihrer Verfasser (bei der Rezeption, auch ihrer Leser) [anerkannt] und als solche zum Gegenstand der Untersuchung [alle Hervorheb. im Orig.]« (Wolff 2004: 504) gemacht werden. Aus diesem Grund sollten die in den Dokumenten enthaltenen Informationen keineswegs nur als Hintergrundinformationen, d.h. »sozusagen als zweite Front hinter den Beobachtungs- und verbalen Daten« (Wolff 2004: 511) verstanden werden, sondern sie stellen stattdessen eine eigenständige Datenebene mit entsprechender Eigendynamik dar (vgl. Wolff 2004: 511). Hieraus folgt, dass »Dokumente […] grundsätzlich als methodisch gestaltete Kommunikationsbezüge [Hervorheb. im Orig.] behandelt und analysiert werden [müssen]« (Wolff 2004: 511) Diesen Überlegungen folgend wurden die im Rahmen dieser Fallstudie herangezogenen Dokumente quellenkritisch als eigenständige Datenebene behandelt und analysiert. Folgende Dokumente wurden dabei im Hinblick auf das Gesamtfeld der AR-Technologie berücksichtigt: Ebene des Gesamtfeldes •
• • • • • • •
Proceedings und Konferenzbände zu AR-Workshops und -Konferenzen seit der ersten eigenständigen AR-Konferenz ›International Workshop on Augmented Reality‹ (IWAR) 19982 Artikel in Fachzeitschriften seit der Prägung des Terminus Augmented Reality im Jahr 1992 Buchpublikationen Präsentationen über Augmented Reality aus Forschung und Industrie Literatur über Virtuelle Realität als ›Vorläufer‹ der AR-Technologie Literatur zu benachbarten Disziplinen wie beispielsweise ›Graphische Datenverarbeitung‹ Literatur zu unterschiedlichen Projekten im Bereich Augmented Reality Videofilme zu Demonstrations- und Werbezwecken unterschiedlicher Hersteller u.w.
Projektebene (ARVIKA) •
Vollständige Dokumentation des vom Institut für Arbeitswissenschaft (IAW) geleiteten ARVIKA-Teilprojekts ›Benutzerzentrierte Systemgestaltung‹, das als Querschnittsprojekt enge Schnittstellen zu allen anderen ARVIKA-Teilprojekten aufwies; hierunter fallen beispielsweise – –
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Projektanträge Projektberichte (Zwischen- und Abschlussberichte)
Seit 1999 firmierte diese Konferenz unter dem Namen ›International Symposium on Mixed Reality‹ (ISMR) und wurde später in ›International Symposium on Mixed and Augmented Reality‹ (ISMAR) umbenannt.
5. Fallstudie
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Korrespondenz Lasten- und Pflichtenhefte Protokolle und Besprechungsunterlagen Präsentationen Evaluationen
Publikationen über ARVIKA Projektinformationen weiterer Akteure aus anderen Teilprojekten und Förderinstitutionen Publikationen und Informationsmaterial zu Folgeprojekten
Zu beachten ist, dass ähnlich wie bei der Wahl der Experten auch im Zuge der Dokumentenanalyse zunächst von einer Zweiteilung der Identitätskonstitution der ARTechnologie a) auf Feld- und b) auf Projektebene ausgegangen wurde. Wie die Aufzählung der genannten Dokumente bereits erahnen lässt, erwies sich auch hier die Datenmenge – insbesondere in Zusammenschau mit den umfangreichen Einzelaspekten der theoretischen Konzeption einer Identität der Technik – als viel zu umfangreich, um diese doppelte Perspektive in der zunächst geplanten Ausführlichkeit durchzuhalten. Darüber hinaus stellte sich das gesammelte Datenmaterial auch als zu umfassend für eine vollständige Analyse heraus. Aus diesen Gründen wurden die Informationen auf der Ebene des Projekts ARVIKA der Ebene des Feldes der AR-Technologie untergeordnet und nur punktuell herangezogen. Darüber hinaus wurden die Dokumente aufgrund ihres großen Umfangs partiell narrationsanalytisch ausgewertet. Dabei wurde ein besonderer Fokus darauf gelegt, den Doppelaspekt von Narrationen im Sinne eines modus operandi der Herstellung technischer Identität auf der einen sowie des empirischen Zugangs zu den sie konstituierenden Herstellungsmechanismen (beispielsweise in Form identitätszuweisender Positionierungen) und ihrer symbolischen Struktur auf der anderen Seite aufzugreifen und für die Analyse der AR-Technologie nutzbar zu machen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die empirische Analyse der narrativen Identität der Technik sowohl in Anlehnung an die Methoden der Erforschung narrativer Identitäten als auch an bereits bestehende Ansätze der Technik- und Innovationsforschung (wie beispielsweise von Deuten/Rip 2000; Van Lente 1993; Van Lente/Rip 1998a+b) erfolgte, die auf Narrationen und Stories sowie auf das Konzept der Positionierung von Harré und Van Langenhove (1999) zurückgreifen und dabei das Konzept dahingehend erweitern, dass neben menschlichen Akteuren auch Dinge Gegenstand von Positionierungen werden können und unter Umständen sogar sich und ihre Umwelt mit positionieren. Vor dem Hintergrund der theoretischen Konzeption einer Identität der Technik stand im Fokus der Untersuchung gemäß der vorangegangenen Überlegungen die Frage, wie die technische Identität der AR-Technologie in Form welcher symbolischer Strukturierung narrativ – insbesondere durch Positionierungsstrategien – hergestellt wird. Die Auswertung legte hierbei den Fokus auf verschiedene Strategien der Identitätszuweisung durch Positionierung, das narrative Personal sowie den Plot der Erzählung. Der Vorteil einer zusätzlichen narrativen Analyse unterschiedlicher Dokumente bestand darin, dass auf diese Weise Entwicklungen in der narrativen Darstellung der AR-Technologie in den Blick kommen, mit den Aussagen der Experten kontrastiert
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werden konnten und somit zu einer retrospektiven Validierung beitrugen (auch wenn dabei berücksichtigt werden muss, dass es sich bei wissenschaftlichen Publikationen selbst um bereits an die Adressaten angepasste Darstellungen handelt, deren Inhalte wiederum sozial konstruiert sind). Ursprünglich war eine Rekonstruktion der Entwicklung der AR-Technologie sowie der narrativen Herstellung ihrer technischen Identität sowohl auf Feldebene (Makroebene) als auch auf Projektebene (Mikroebene) geplant, da auf diese Weise unterschiedliche Strategien der narrativen Herstellung technischer Identität in den Blick genommen werden können. Die Identität der AR-Technologie kann auf Feldebene primär als eine Form der Bedeutungsherstellung durch Positionierung innerhalb einzelner Disziplinen, Anwendungsfelder und Akteurgruppen betrachtet werden (hier stellt sich beispielsweise die Frage, wann etwas als Augmented Reality gilt und ob es sich bei dem betrachteten Gegenstand eher um ein ›Spiel‹ oder aber ein ›medizinisches Präzisionsinstrument‹ handeln soll). Auf Projektebene lassen sich insbesondere die Aushandlungsprozesse hinsichtlich der symbolischen Struktur der AR-Technologie zwischen den Projektbeteiligten (interessant sind hier beispielsweise Fragen der symbolischen Repräsentation) auf der einen sowie zwischen Mensch und Technik (hier geht es unter anderem um Fragen der Handlungsträgerschaft von Technik und ihren Einfluss auf ihre Bedeutungszuschreibungen) auf der anderen Seite beobachten. Es zeigte sich im Laufe der Datenerhebung und –auswertung jedoch, dass eine umfassende Analyse in beiden Bereichen zu umfangreich ist. Aus diesem Grund wurde das ARVIKA-Projekt jetzt als entscheidende Statuspassage im Gesamtverlauf der AR-Technologie thematisiert und das entsprechende Datenmaterial nur in relevanten Teilen ausgewertet.
5. Fallstudie
5.2.
What’s the story? – Die Geschichte der Augmented Reality-Technologie und ihrer technischen Identität Selbst wenn wir fleißig arbeiten, werden die Dinge nicht besser, denn nach ein paar Monaten ertrinken wir in einer Flut von Daten, Berichten, Transkripten, Tabellen, Statistiken und Artikeln. Wie soll man sich einen Reim auf dieses Durcheinander machen, während es sich auf unserem Schreibtisch stapelt und unzählige Speichermedien mit Daten füllt? Leider bleibt [Hervorheb. im Orig.] es meist noch zu schreiben und wird gewöhnlich aufgeschoben. Es modert dort vor sich hin, während Betreuer, Sponsoren und Auftraggeber nach einem rufen und Geliebte, Ehefrauen und Kinder wütend sind, weil man in diesem dunklen Datenschlamm herumwatet, um der Welt Licht zu bringen. Und wenn man, endlich mit sich zufrieden, ernsthaft zu schreiben anfängt, muß man riesige Datenmengen opfern, die nicht in die wenigen bewilligten Seiten hineinpassen. Wie frustrierend ist doch das ganze Forschungsgeschäft! Bruno Latour3
Gemeinhin wird in historischen Überblicken über die AR-Technologie deren Geburtsstunde auf das Jahr 1992 datiert, in welchem Caudell und Mizell in einem bahnbrechenden Artikel (vgl. Caudell/Mizell 1992) einen von ihnen konstruierten Prototypen zur Unterstützung der Montage von Kabelbündeln im Rahmen des ›Boeing’s Wire Bundle Assembly Project‹ (vgl. Mizell 2001) beschrieben und ihm das Label Augmented Reality verliehen. Tatsächlich hatte die von Caudell und Mizell vorgestellte Technologie zu diesem Zeitpunkt bereits einen relativ klar umrissenen, symbolisch repräsentierten technischen Körper, eine von Visionen und Versprechen getragene soziale Identität sowie vor allem ein eindeutiges Label – drei Aspekte, die den nachfolgenden Forschungen als Leitbild dienen sollten. Wirft man jedoch einen genaueren Blick in die Entwicklungsgeschichte der AR-Technologie, begann alles schon viel früher.4
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Aus: Latour 2007: 214f. Die nachfolgende Historie der AR-Technologie seit den 1960er Jahren kann aufgrund des Umfangs des Datenmaterials verständlicherweise keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Stattdessen werden einige besonders relevante Akteure, Institutionen, Projekte und Ereignisse im Folgenden exemplarisch herausgegriffen und ihre Bedeutung für das Konzept der Identität der ARTechnologie skizziert.
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5.2.1.
Vorläufer: Von der Erweiterung des gesellschaftlichen IQs und virtuellen Welten (1960er Jahre bis 1991)
Hughes Aircraft & Co.: Die Erfindung des Electroculars Versucht man heute, die Anfänge der AR-Technologie nachzuvollziehen, so stößt man nur auf eingeschränktes Datenmaterial, was die Recherche, aber auch das Nachzeichnen von Verbindungslinien zwischen einzelnen Entwicklungssträngen erschwert. Fest steht, dass die Idee der erweiterten Realität bereits Anfang der 1960er Jahre erste Entwicklungen beeinflusste, wie das Beispiel des von Hughes Aircraft & Co. entwickelten ›Electroculars‹ verdeutlicht (vgl. N.N. 1962)5 . In einem kleinen Artikel, der 1962 in der Zeitschrift ›Science and Mechanics‹ erschien, wurde der Prototyp einer Technologie zur Erweiterung der Realität vorgestellt, der zu dem damaligen Zeitpunkt allerdings noch nicht das Label Augmented Reality trug, sondern unter dem Begriff ›Electrocular‹ firmierte. Der gerade mal fünfzehn Zeilen lange Artikel enthält bereits eine detaillierte Beschreibung des Körpers der neuen Technologie: Sie besteht aus einer Bildröhre, einem Umlenkspiegel, einer Fokussierlinse sowie einem Spektralfilter (vgl. N.N. 1962). In dieser technologischen Konfiguration sind nach Dr. Werner Schreiber, Leiter der Abteilung Forschung Virtuelle Techniken im Volkswagen Konzern, bereits die zentralen Elemente eines potentiellen AR-Systems vorhanden: IP-12: […] Ehm, das da waren damals schon die ganzen Hauptelemente, wie wir sie heute kennen – das heißt also bildgebende Systeme, das Ganze vorm Auge, durchsichtfähig – das war alles da drin schon beschrieben. Es war auch darin beschrieben, dass wir eine Kamera haben müssen. Das Ganze ist wohl anscheinend gescheitert an der fehlenden Miniaturisierung der Bauelemente, die damals zur Verfügung standen. […] (IP-12, Turn 1). Das Technisierungsschema besteht darin, dass einer Person ein Bild in das Electrocular eingeblendet wird – hierbei handelt es sich also quasi um das Kernprinzip der ARTechnologie, das später weiter differenziert wurde (vgl. beispielsweise Azuma 1997 oder Lenzen et al. 2007). Das neue System wird im Rahmen des Artikels nicht nur beschrieben, sondern es werden die Ausführungen durch zwei Photos des Prototypen illustriert, welche deutlich mehr Platz als die Textbeschreibung einnehmen, so dass der Eindruck entsteht, dass die Beschreibung durch sie noch einmal untermauert und die reale Existenz einer neuen funktionierenden und bereits im Einsatz befindlichen Technologie betont werden soll (vgl. Abb. 5). Mitgeliefert wird sowohl durch die Beschreibung als auch die Bilder zugleich die neue soziale Identität der Technik in Form von zwei möglichen Anwendungsszenarien: Zum einen wird das Electrocular als Technologie zur Unterstützung von Mechanikern in Instandhaltungsprozessen und zum anderen als Hilfsinstrument zur Unterstützung des Flugverkehrs positioniert, indem dem Piloten in seinem Cockpit während des Fluges aktuelle Informationen über den Flugverkehr sowie die Bodenverhältnisse einge5
Mein Dank gilt an dieser Stelle Dr. Werner Schreiber aus der Konzernforschung der Volkswagen AG, der mir im Rahmen eines Experteninterviews den entscheidenden Hinweis auf die frühe Entwicklung des Electroculars gab.
5. Fallstudie
Abbildung 5: Beispiele für technische Realisierung und Anwendungen des Electroculars (Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des SchoolArts Magazine, Davis Publications, Inc.)
(N.N. 1962)
blendet werden. Wie später noch gezeigt wird, handelt es sich hierbei um Szenarien, die lange Zeit die Vorstellungs- und Erwartungswelt der mit der Augmented Reality befassten Scientific Community prägten.
Douglas Engelbart und die Erweiterung der menschlichen Intelligenz Ebenfalls in den 1960er Jahren beschäftigte sich Douglas Engelbart – zeitlebens ein großer Visionär, der am 03.07.2013 verstarb – mit den Anfängen der Realitätserweiterung. Engelbart wurde allerdings vor allem als Erfinder der Computermaus bekannt, die er 1968 auf einer Konferenz in San Francisco als ›X-Y Positionsindikator für ein Bildschirmsystem‹ vorstellte und deren Patent später an die Firma Apple verkauft wurde, welche 1983 die Maus zusammen mit Apples erstem Computer ›The Lisa‹ dann auf den Markt brachte (vgl. N.N. 2013). Engelbart war aber nicht nur – und vor allem: nicht primär – der Erfinder der Computermaus, sondern einer der relevanten Akteure bei der Entwicklung neuer Informations- und Computertechnologien. Im Jahr 1962 erschien seine visionäre Abhandlung ›AUGMENTING HUMAN INTELLECT: A Conceptual Framework‹ (Engelbart 1962) und 1963 gründete er das von der US-amerikanischen Forschungsbehörde ›Advanced Research Projects Agency‹ (ARPA)6 geförderte ›Augmentation Research C enter‹, das am ›Stanford Research Institute‹ – einem Forschungsinstitut der Stanford University in Menlo Park, Kalifornien – angesiedelt war. Durch Querverbindungen zur ARPA sowie dem ›Palo Alto Research Center‹ (PARC) in Kalifornien war Engelbart in den 1960er Jahren in ein innovatives Regime der Computer- und Virtual Reality-Technologie eingebunden. Im Folgenden wird exemplarisch der bereits erwähnte Aufsatz ›Augmenting Human Intellect‹ herausgegriffen und als eine visionäre Geschichte der AR-Technologie näher betrachtet.
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Die ›Advanced Research Projects Agency‹ (ARPA) wurde später in ›Defense Advanced Research Projects Agency‹ (DARPA) umbenannt.
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Der Report untergliedert sich in vier Teile: Nach einer Einleitung (1) folgt der ›Conceptual Framework‹ (2), in welchem Visionen und Möglichkeiten der Augmentierung beschrieben werden. Im Anschluss daran werden im Kapitel ›Exampels and Discussion‹ (3) die Visionen weiterentwickelt, aber auch konkrete, technische Identitätsprojekte entwickelt. Diese werden schließlich im Rahmen der ›Research Recommendations‹ (4) in Agenden mit konkreten Erwartungsstrukturen übersetzt. Anzumerken ist, dass Augmentierung in dem hier verstandenen Sinne nicht ausschließlich die Überlagerung realer Elemente mit virtuellen Informationen meint, sondern sich vielmehr auf ein generelles Programm zur Bereicherung der menschlichen Fähigkeiten bezieht: By ›augmenting human intellect‹ we mean increasing the capability of a man to approach a complex problem situation, to gain comprehension to suit his particular needs, and to derive solutions to problems. Increased capability in this respect is taken to mean a mixture of the following: more-rapid comprehension, better comprehension, the possibility of gaining a useful degree of comprehension in a situation that previously was too complex, speedier solutions, better solutions, and the possibility of finding solutions to problems that before seemed insoluble. And by ›complex situations‹ we include the professional problems of diplomats, executives, social scientists, life scientists, physical scientists, attorneys, designers – whether the problem situation exists for twenty minutes or twenty years. We do not speak of isolated clever tricks that help in particular situations. We refer to a way of life in an integrated domain where hunches, cut-and-try, intangibles, and the human ›feel for a situation‹ usefully co-exist with powerful concepts, streamlined terminology and notation, sophisticated methods, and high-powered electronic aids (Engelbart 1962: 4). Dementsprechend verfolgt der Report das Ziel, »the first phase of a program aimed at developing means to augment the human intellect« (Engelbart 1062: 4) zu entwickeln. Mit der Vision, die menschlichen Fähigkeiten zu erweitern, geht Engelbart über das spätere, recht enge Verständnis der AR-Technologie hinaus. Die konkrete Anreicherung der realen Welt durch virtuelle Objekte ist bei Engelbart nur eins von vielen Mitteln, um das höhere Ziel der Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten zu erreichen. Während sich die Entwicklung der AR-Technologie in den späteren Jahren primär mit den technischen Realisierungen beschäftigte, stellen Artefakte bei Engelbart neben der Sprache und ihrer mentalen Repräsentation, der Methodologie im Sinne der Prozesse und Strategien, welche Individuen für ihre lösungsorientierten Aktivitäten entwickeln sowie des Trainings, das für den Gebrauch der Artefakte, Sprache und Methodologie nötig ist, nur eine von vier Klassen der Augmentierung dar (vgl. Engelbart 1962: 9). Obwohl Engelbarts Vorstellung der Augmentierung des menschlichen Intellekts zugleich eine Positionierung des Menschen als verbesserungsbedürftig bzw. komplexen Situationen nicht gewachsen enthält (vgl. Engelbart 1962: 4), scheint zu dem Zeitpunkt der Mensch mit seinen Fähigkeiten zugleich stärker in die Idee eines Augmentierungskonzepts eingebunden zu sein, als dies später im Zuge der AR-Technologie der Fall ist. Entsprechend formuliert Engelbart: »The system we want to improve can thus be visualized as a trained human being together with his artifacts, language and methodology« (Engelbart 1962: 10). In der weiteren Entwicklung der AR-Technologie indes erhält man zunehmend den Eindruck, dass weniger der Mensch, sondern vielmehr das technische
5. Fallstudie
Artefakt an sich im Vordergrund steht und das Training des Umgangs mit dem Artefakt mehr oder weniger ein notwendiges Übel darstellt. Obwohl das Label der Augmentierung bei Engelbart also bereits vorhanden ist, unterscheidet sich dessen inhaltliche Auslegung doch von den Realisierungen, die später unter dem Label der AR-Technologie firmieren. Anders formuliert: Unter dem gleichen bzw. einem sehr ähnlichen Label verbergen sich graduell unterschiedliche soziale Identitäten. Der Körper der von Engelbart dargestellten Vision der Augmentierung wird vor allem symbolisch in Form einer Zeichnung des H-LAM/T-Systems (vgl. Engelbart 1962: 15) repräsentiert, jedoch auch – ähnlich wie bei Marc Weiser (1991) – am Beispiel eines computerisierten Schreibgeräts (Engelbart 1962: 35ff.) detailliert ›erzählt‹. Insgesamt sind Material und Design der Augmentierungstechnologie von Engelbart noch relativ unbestimmt und bewegem sich in einem breiten Feld technischer Realisierungsmöglichkeiten. Entsprechend weit gefasst ist auch noch das dieser Idee zugrunde liegende Technisierungsschema: Während sich das Schema der AR-Technologie in den späteren Jahren als ›Überlagerung der realen Welt mit virtuellen Informationen‹ beschreiben lässt, könnte man bei Engelbart eher von einer ›Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten durch Artefakte, Sprache, Methodologie und Training ›sprechen‹. Da es sich bei Engelbarts Report um ein visionäres Papier handelt, lassen sich naheliegenderweise noch kaum Aussagen über die materiell-konzeptuelle Identität der Augmentierung in Form von aus Material und Design resultierenden Widerständigkeiten und Optionen sowie den Aushandlungsprozess und die Gesamtidentität machen. Wie Rheingold jedoch anmerkt, konnten die visionären technischen Geräte in den 1960er Jahren noch nicht preiswert genug hergestellt werden – dieses Ziel geriet erst mit der »Miniaturisierungsrevolution« (Rheingold 1995: 99) in den 1970er Jahren in greifbare Nähe (wenngleich sich die Diskussionen um die Miniaturisierung auch im Hinblick auf die ARTechnologie bis in die jüngste Zeit zieht). Engelbarts Report liest sich trotz seiner eindeutigen wissenschaftlichen Ausrichtung wie eine visionäre Geschichte mit einem vollständigen Plot von der Idee bis zur Umsetzung. Aufgrund der anschaulichen Sprache sowie der häufig persönlichen Darstellungen wird der Leser gleichsam in die Story gezogen, was eine Identifikation des Lesers mit dem Autor zur Folge hat. Die Ausführungen lassen sich als Identitätsprojekt und somit als Teil der Identitätsarbeit für die Idee der Augmentierung im weiteren Sinne begreifen. Aufgezeigt werden Visionen und Möglichkeiten, aber auch Ansatzpunkte für die konkrete Identitätsarbeit in Form eines Rahmenprogramms sowie einer Agenda. Interessant ist, dass der Begriff der AR-Technologie sich nicht anhand der relativ konkret ausgearbeiteten Konzeption von Douglas Engelbart etabliert zu haben scheint, sondern – wie noch gezeigt wird – auf spätere Forscher zurückgeführt wird.
Ivan Sutherlands Head-Mounted Display Deutlich präsenter in der Wahrnehmung der Scientific Community der AR-Technologie ist Ivan Sutherland, der bei Claude Shannon promovierte und 1965 sowie 1968 zwei Aufsätze schrieb, welche die Biographie der AR-Technologie nachhaltig beeinflussen sollten. In seinem 1965 erschienen Aufsatz ›The Ultimate Display‹ (Sutherland 1965) greift er die bereits von Engelbart formulierte Idee, Menschen in unvorhergesehenen Situatio-
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nen technisch zu unterstützen, auf und entwirft vor diesem Hintergrund die Idee eines »display connected to a digital computer gives us a chance to gain familiarity with concepts not realizable in the physical world. It is a looking glass into a mathematical wonderland« (Sutherland 1965: 506). Im Vordergrund steht aber nicht mehr primär wie noch bei Engelbart die Idee der generellen Erweiterung menschlicher Fähigkeiten, sondern stattdessen rücken nun mehr oder weniger konkrete technische Realisierungsmöglichkeiten mit Hilfe eines Displays in den Vordergrund. Noch deutlicher wird dies in dem drei Jahre später erschienenen Aufsatz ›A head-mounted three dimensional display‹ (Sutherland 1968), der im Zuge eines unter anderem von der ›Advanced Research Projects Agency‹ (ARPA) geförderten und an der Harvard University durchgeführten Projekts entstand. Hier wird die Grundintention bereits im ersten Satz beschrieben: »The fundamental idea behind the three-dimensional display of the present the user with a perspective image which changes as he moves« (Sutherland 1968: 757). Unmittelbar daran anschließend folgen bereits technische Ausführungen zur Realisierung dieser Technologie. Die bei Engelbart noch vorhandene soziale Identität dieser Technik als ein Hilfsmittel (neben anderen) zur Erweiterung der menschlichen Intelligenz tritt hier in den Hintergrund zugunsten einer technischen Sichtweise. Positioniert wird die neue Technologie nun nicht mehr als Hilfsmittel für den Menschen, sondern als – noch nicht ganz ausgereifte – eigenständige technische Lösung. Anzumerken ist, dass die bei Sutherland vorgestellte technologische Konfiguration auch keineswegs das Label Augmented Reality trägt, sondern als Head-Mounted Display (HMD), also als ein ›am Kopf befestigtes Display‹, bezeichnet wird. An dieser Stelle zeigt sich vor allem die identitätsstiftende Funktion des technischen Körpers, denn das Head-mounted Display stellt prototypisch lediglich einen technischen Körper – bestehend aus Material, Design und Funktionsprinzip – dar, der zunächst keineswegs zwingend den Einsatz in der AR-Technologie nahe legt, sondern gleichermaßen im Zuge anderer technologischer Anwendungen – beispielsweise der Virtual Reality-Technologie – eingesetzt werden kann. Dennoch identifizierte die Scientific Community um die AR-Technologie selbige so sehr mit der Idee eines Displays, dass sie im Laufe der Jahre immer wieder auch als Display-Technologie bezeichnet wurde und lange Zeit die von Sutherland angestrebte Datenbrille trotz einer Vielzahl möglicher anderer Realisierungsformen (weder müssen Displays am Kopf befestigt werden, noch stellt die visuelle Realisierung der AR-Technologie mittels Displays die einzige Möglichkeit zur Anreicherung und Erweiterung der Realität dar) als Vorlage für die Entwicklung der AR-Technologie galt – was sich bis heute beispielsweise auch in der von Google im Jahr 2012 vorgestellten (Daten-)brille ›Google Glass‹ zeigt. Ebenfalls überraschend ist auch die ›körperliche‹ Nähe zu dem zuvor beschriebenen Electrocular, ohne dass letzteres jedoch großen Nachhall in der Entwicklung der AR-Technologie gefunden zu haben scheint. Man könnte sagen, dass der technische Körper in Form des Head-Mounted Displays der doch recht diffusen AR-Technologie so etwas wie Kohärenz und Kontinuität im Laufe ihrer Entwicklung verlieh. Abbildung 6 zeigt die symbolische Repräsentation des technischen Körpers der Head-Mounted Display-Technologie sowie das ihr inhärente Funktionsprinzip, aus welchem so etwas wie der Identitätskern resultiert: Ohne auf technische Details näher einzugehen, zeigt die symbolische Repräsentation dieses Systems dessen Einzelteile sowie ihr Zusammenspiel untereinander mit dem
5. Fallstudie
Abbildung 6: Die technologische Konfiguration des dreidimensionalen DisplaySystems nach Sutherland
(vgl. Sutherland 1968: 758)
Ziel, »to surround the user with displayed three-dimensional information« (Sutherland 1968: 757). Sutherlands Entwicklungsarbeit geht jedoch noch weiter und mündet in einer konkreten technischen Realisierung des Head-Mounted Display-Systems. Man könnte auch sagen: Der Körper dieser Technologie erhält nun eine konkrete Gestalt. Abbildung 7 zeigt eine konkrete Realisierungsmöglichkeit dieses Systems zur Einblendung virtueller Informationen in das Sichtfeld. Während bei Engelbart und Hughes Aircraft & Co. noch wenig von den Eigenheiten der neuen Technologie sowie ihrem Eigenanteil an ihrer Identitätskonstitution zu spüren war zeigt sich bei Sutherland nun auch die materiell-konzeptuelle Identität der Head-Mounted Display-Technologie: Offensichtlich war die neue Technologie keineswegs gewillt, die ihr zugeschriebene Identität einer technischen Lösung ohne weiteres anzunehmen. Stattdessen begann sie, sich zu wehren, sorgte auf der anderen Seite aber auch für überraschende Momente, die so nicht erwartet und zuvor nicht eingeplant wurden. Die von Sutherland beschriebenen technischen Probleme, die er im Rahmen seines Projekts zu lösen versucht, erinnern an die von Pickering beschriebene Mangle of Practice – einen Aushandlungsprozess, im Rahmen dessen sich die Erwartungen der Entwickler auf der einen sowie die techischen Realisierungen auf der anderen Seite wechselseitig so lange ›in die Mangel‹ nehmen, bis am Ende ein beidseitiger Kompro-
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Abbildung 7: Design des von Sutherland entwickelten Head-Mounted Displays
(Sutherland 1968: 759)
miss gefunden wird. Neben dem sogenannten »hidden line problem« (Sutherland 1968: 757) – einem Darstellungsproblem bei der realitätsgetreuen, dreidimensionalen Darstellung hinter- bzw. voreinander liegender Objekte – sowie der Problematik, dass die in den 1960er Jahren erhältlichen Computer keineswegs schnell genug waren, um flimmerfreie, dynamische Bilder zur Verfügung zu stellen (vgl. Sutherland 1968: 757) und Echtzeitberechnungen durchzuführen (vgl. Sutherland 1968: 759), bereiteten vor allem die Sensoren, welche die exakte Kopfposition des Nutzers bestimmen, große Probleme. Die Aufgabe der Kopfpositionssensoren besteht darin, Position und Orientierung des Kopfes eines Nutzers zu messen und an den Computer zurückzumelden (vgl. Sutherland 1968: 759; dies ist unter anderem notwendig, um dem Nutzer positionsabhängig die entsprechenden Informationen in dessen Sichtfeld einblenden zu können). Idealerweise besitzt der Nutzer bei der Anwendung des Head-Mounted Display-Systems volle Bewegungsfreiheit, damit er sich entsprechend im Raum bewegen und seine Arbeit verrichten kann (denn wie bereits erwähnt, besteht die Kernidee dieses Systems darin, dass sich die eingeblendeten Bilder ändern, sobald sich der Nutzer bewegt; vgl. Suthlerland 1968: 757). Das erste Problem bestand nun darin, dass die entsprechende Technologie zur Bestimmung der Kopfposition nur eine Bewegungsfreiheit von umgerechnet knapp 1,80 m im Durchmesser sowie 0,90 m in der Höhe erlaubte (vgl. Sutherland 1968: 760). Darüber hinaus bereitete die Genauigkeit der Sensoren Schwierigkeiten, denn die Abweichungen betrugen bis zu 3 Prozent, was wiederum dazu führte, dass sich die in das Sichtfeld eingeblendeten Informationen um mehrere Millimenter verschoben (vgl. Sutherland 1968: 760). Es mögen Anwendungen denkbar sein, bei denen eine derartige Verschiebung zu vernachlässigen ist – bei dem Einsatz in der Mikro-
5. Fallstudie
chirurgie beispielsweise, bei der dem Operateur die Lage der Organe oder die optimale Schnittlinie eingeblendet werden, können diese Verschiebungen jedoch zwischen Leben und Tod entscheiden. Sutherland testete im Rahmen seines Projekts zwei verschiedene Kopfpositionssensoren, einen mechanischen mit einem über dem Nutzer befindlichen mechanischen Arm (vgl. Abb. 8 links) sowie einen mit Ultraschallsensor (vgl. Abb. 8 rechts).
Abbildung 8: Mechanischer Kopfpositionssensor (links) sowie Ulltraschallsensor (rechts)
(Sutherland 1968: 760)
Beide Sensoren zur Erfassung der Kopfposition zeigten jedoch Widerständigkeiten: Der mechanische Sensor war unter anderem aufgrund seines mechanischen Arms schwer und unbequem, während der Ulltraschallsensor frequenzabhängige Messungenauigkeiten aufwies (vgl. Sutherland 1968: 760f.). Man könnte auch sagen, dass in diesem Fall die Technik den Nutzer positioniert – und zwar in einem wörtlichen Sinne, führt doch zumindest das mechanische Kopfpositionierungssystem zu einer Fixierung des Nutzers auf einen äußerst beschränkten Bewegungsraum. Neben diesen Schwierigkeiten überraschte die materiell-konzeptuelle Identität der Head-Mounted Displays in Experimenten jedoch auch mit einer unerwartet guten Stereo-Darstellung, die bei den potentiellen Nutzern auf äußerst positive Resonanz stieß (vgl. Sutherland 1968: 763). Insgesamt können Sutherlands Forschungs- und Projektarbeiten als Identitätsprojekt verstanden werden, im Rahmen dessen zwar diverse technische Modifikationen vorgenommen wurden, während die soziale Identität der Technik als technische Lösung zur Einblendung perspektivischer Bilder in Abhängigkeit der Bewegung des Nutzers unberührt blieb. An Stelle einer Neuorientierung in der sozialen Zuschreibung der Technik wurde versucht, die ohnehin sehr weit gefasste soziale Identität der HeadMounted Display-Technologie zu erhalten. Insbesondere im Vergleich zu den zuvor
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beschriebenen Ausführungen Engelbarts fällt der deutlich technischere und unprosaischere Sprachstil in den Aufsätzen Sutherlands auf. Nichtsdestotrotz lässt sich auch seine Darstellung als eine Geschichte verstehen, in der die Identität der neuen Technologie quasi ›erzählt‹ wird.
Cyberspace und virtuelle Welten Das Head-Mounted Display stellte nicht nur eine interessante technologische Weiterentwicklung an sich dar, sondern spielte auch bei der Entwicklung einer weiteren Technologie eine entscheidende Rolle, welche als unmittelbarer Vorgänger der ARTechnologie verstanden werden kann: nämlich der Virtual Reality-Technologie, mit deren Hilfe künstliche Welten zum Leben erweckt werden sollten. Eingebettet waren die ersten Entwicklungsschritte dieser neuen Technologie in ein kleines Regime aus Forschern im Fachbereich Informatik an der University of North Carolina (UNC) in Chapel Hill, das sich als »geistige[s] Zentrum der VR-Forschung« (Rheingold 1995: 19) etablierte. Insbesondere Frederick Phillips Brooks, der zuvor bei International Business Machines (IBM) tätig war und sich als Autor des Buches ›The Mythical Man-Month. Essays on Software Engineering‹ kritisch mit dem ›Mann-Monat‹ als »technisch-bürokratisches Produktivitätsmaß« (Rheingold 1995: 20) auseinandersetzte, bevor er 1965 zur UNC wechselte und dort zwanzig Jahre lang den Fachbereich Informatik leitete, gilt als »der große alte Mann der VR« (Rheingold 1995: 20). Die Forschung unter Brooks galt als anwendungs- und lösungsorientiert. Brooks selbst prägte den Begriff der »treibende[n] Probleme« (Rheingold 1995: 30), worunter er »Anwendungsweisen [verstand], die den Fortschritt in Wissenschaft und Technik vorantreiben« (Rheingold 1995: 20). Auf die Identität der Technik bezogen könnte man sagen, dass die soziale Identität der Technik – ähnlich wie die von Van Lente und Rip am Beispiel der Entwicklung der Membrantechnologie beschriebenen Erwartungsstrukturen (vgl. Van Lente/Rip 1998a; 1998b) – als Motor fungierte. Der Virtual Reality-Technologie wurde dementsprechend primär die soziale Identiät eines Problemlösers zugeschrieben, welche sich wiederum in unterschiedliche Teilidentitäten ausdifferenzierte. So wurde ihr beispielsweise eine wichtige Rolle als technische Lösung in medizinischen Anwendungsfeldern zugesprochen. Bereits 1971 entwickelte Sutherlands Forschungsgruppe in Zusammenarbeit mit einem Ärzteteam eine Operationsmethode zum chirurgischen Eingriff an virtuellen Arterien (vgl. Rheingold 1995: 126), die kurz darauf von Frederick Brooks und seinen Kollegen an der University of North Carolina (UNC) aufgegriffen und weiterentwickelt wurde. Darüber hinaus wurde ihr Einsatz als »didaktische[s] Instrument« in Form eines »computeranimierte[n] ›Handbuchs« (Rheingold 1995: 52) auf einer Datenbrille für Monteuere in der Instandhaltung diskutiert – ein Anwendungsszenario, das sehr an das bereits beschriebene Electrocular erinnert und später auch für ARVIKA, eines der größten AR-Projekte leitend sein sollte. Schließlich sah Frederick Brooks – ähnlich wie sein Kollege Engelbart – ein großes Potential in der Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten durch die Virtual Reality-Technologie. Wie Gudrun Klinker, die als Professorin für Augmented Reality an der Technischen Universität München (TUM) tätig ist, darlegt, ließ sich Brooks Philosophie in dem Satz »IA is larger than AI.« (IP-3, Turn 3) zusammenfassen – in der Idee also, dass die Erweiterung der mensch-
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lichen Intelligenz (Intelligence Amplification, IA) der künstlichen Intelligenz (Artificial Intelligence, AI) bei weitem vorzuziehen sei. Diese drei Teilidentiäten sollten nicht nur für die Virtual Reality-Technologie prägend, sondern einige Jahre später auch für die Entwicklung der AR-Technologie leitend sein. Wirft man zunächst einen Blick auf den Entwicklungsverlauf der Virtual Reality-Technologie, lässt sie sich retrospektiv in drei Generationen einteilen, die der von verschiedenen Experten einer im Hinblick auf technologische Entwicklungen häufig beschriebenen ›Hip-Hype-Hop‹-Kurve entsprechen (vgl. Abb. 9).7
Abbildung 9: Virtual Reality – Generationen und Verlauf
Auch wenn bereits seit den 1970er Jahren erste Forschungen in Richtung Virtual Reality unternommen wurden, beginnt der eigentliche Boom der Virtual Reality erst zu Beginn der 1990er. Dementsprechend datiert Professor Stefan Müller – Leiter der Arbeitsgruppe Müller am ›Institut für Computervisualistik‹ der Universität KoblenzLandau – die erste echte Generation der Virtual Reality-Technologie auf einen Zeitraum von 1991 bis 1995. In diesem Zeitraum etablierten sich Forschung und Entwicklung der Virtual Reality-Technologie zunehmend auch in Deutschland. Interessant ist, dass Professor Müller diese erste Generation keineswegs wie zuvor als problem- und anwendungs-, sondern stattdessen als technologiegetrieben beschreibt. Typisch für diese Generation war nach Aussage von Professor Müller, dass getreu dem Motto »Hier ist die Technik – wo ist die Anwendung?« (IP-4, Turn 1) bereits einzelne technische Komponenten sowie erste technologische Konfigurationen vorhanden waren, jedoch kaum Anwendungsfelder. Zwar spürte man insbesondere in der Graphik-Community 7
Entstanden ist diese Graphik in Anlehnung an eine Skizze aus dem Interview mit Professor Müller im Rahmen eines Experteninterviews vom 16.04.2008.
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Die multiple Identität der Technik
so etwas wie einen ›Spirit‹, der die Entwickler antrieb, jedoch beschränkten sich die tatsächlichen Entwicklungen auf einige wenige Pionierarbeiten sowie erste kleinere Anwendungen in der Bauindustrie. Dies ist insofern interessant, als dass hier der Körper der Technologie in Form von Materialität, Design und Technisierungsschema im Vergleich zu anderen Technologien – deren Entwicklung zwar im Hinblick auf ihre soziale Identität von großen Anwendungsszenarien begleitet, die auf ›körperlicher‹ Ebene aber allenfalls symbolisch repräsentiert waren – zumindest in der Scientific Community eine größere Bedeutung gehabt zu haben schien als seine soziale Identität. Erklärbar mag dies unter anderem durch die Begeisterung der Forscher über die durch die bereits erwähnte »Miniaturisierungsrevolution« (Rheingold 1995: 99) zunehmende Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit der einzelnen technischen Komponenten wie beispielsweise schneller Graphikkarten sein, so dass die Identitätsrelevanz des ›Körpers‹ dieser neuen Technologie zunehmend größer wurde und deren soziale Identität in Form von Anwendungsszenarien und -visionen zumindest vorübergehend verdrängte. Professor Didier Stricker, der den Forschungsbereich ›Erweiterte Realität/Augmented Vision‹ am ›Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH‹ (DFKI) in Kaiserslautern leitet, fasst diese Phase rückblickend folgendermaßen zusammen: »Wir konnten schön 3D darstellen – aber was konnte man damit machen?« (IP-7, Turn 83). Die Medien hingegen hatten durchaus bereits Ideen, in welchen Bereichen die neue Technologie Einsatz finden könnte und skizzierten unter dem Begriff des ›Cyperspace‹ begeistert Geschichten wahrer Wunderwelten. So beginnt ein bereits 1991 im GEO Magazin erschienener Artikel über ›Die Welt, die wir uns selber machen‹, mit den folgenden Worten: Die zurückgekommen sind und davon Zeugnis ablegen, haben Glanz in den Augen. Er rührt von einem Traum, den wahrzumachen sie sich im Begriffe wähnen, einem Traum, der so alt ist wie der Mensch selbst, der einen unendlichen Geist in einen endlichen Körper eingesperrt weiß (Haffner 1991: 131). Eingeleitet wird mit diesen Worten, deren poetischer Anklang eher an Erlösungsphantasien als an die Beschreibung einer neuen technologischen Entwicklung denken lässt, eine Geschichte über das schier Unmögliche: Skizziert werden Anwendungsszenarien, in denen körperliche Grenzen durch das selbstverständliche Tragen spezieller Bekleidungen und Datenbrillen überwunden sowie menschliche Simulationen zu medizinischen Zwecken erschaffen werden und Häuser begehbar erscheinen, die nicht real existieren. Eine besondere Faszination scheint hierbei die Überwindung der eigenen spatio-temporalen Begrenztheit auszuüben: Die Kontrolle über Zeit und Raum – das Gefängnis, dessen gewahr zu sein uns vom Tier nicht minder unterscheidet wie das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit – wird immer umfassender. Menschen, die längst nicht mehr leben, reden und bewegen sich auf der Leinwand in einer Art von Gegenwart, die in deren eigener Weise wirklich ist. Nicht mehr fern scheint die Zeit zu sein, in der man seine verstorbene Großmutter aus dem Massenspeicher des Computers abruft, um, virtuell zum Kind geschrumpft, noch einmal eines ihrer Märchen zu hören (Haffner 1991: 136).
5. Fallstudie
Positioniert wird die neue Technologie in diesen Geschichten als wahrer Heilsbringer, der nicht nur Medizin und Wissenschaft reformiert, sondern auch den Menschen, indem er ihn seiner körperlichen und zeitlichen Beschränktheit entreißt und eintauchen lässt in wunderbare Welten und regressive Rückzugsphantasien. Zugleich werden Identitätsprojekte in Form von Leitbildern und Anwendungsszenarien skizziert, welche die neue Technologie durch eine frühzeitige Verbreitung in den Medien gesellschaftlich etablieren und den Weg zu ihrer Akzeptanz bereiten soll (vgl. Bloomfield 2003: 199). Die zweite Generation der Virtual Reality-Technologie wird von Professor Müller auf den Zeitraum von 1995 bis 2000 datiert. In dieser Phase entstanden zunehmend Anwendungskontexte – insbesondere im Maschinenbau und der Automobilindustrie. Getrieben wurden die Entwickler vor allem von der Idee, mit Hilfe der Virtual RealityTechnologie das Bauen von Mock-ups8 und Prototypen vermeiden zu können und stattdessen künftig alle technischen Entwicklungsentscheidungen an digitalen Mock-ups zu treffen. In dieser Hype-Phase der Virtual Reality-Technologie verbreiteten sich Visionen und Anwendungsszenarien, wie sie bereits wenige Jahre zuvor in den Medien aufgeworfen wurden, auch in Forscher- und Entwicklerkreisen. Auch die dritte Generation der Virtual Reality-Technolgoie von ca. 2000 bis ca. 2005 wurde zunächst noch entwicklungstechnisch stark angetrieben – allerdings primär in der Spieleindustrie, so dass »virtuelle Welten omnipräsent für jeden zu Hause möglich waren« (IP-4, Turn 1). In der Industrie hingegen stellte man fest, dass die Arbeit an digitalen Modellen nicht nur Vorteile, sondern auch Probleme mit sich brachte, wie folgendes von Frau Professor Klinker dargestellte Anwendungsszenario verdeutlicht: Wir hab’n einen Roboter, der so weit weg ist von der Erde, dass eben die Übertragung von Daten zu lange dauert – sei es zum Beispiel auf dem Mond oder sonstwie. Dann können wir einfach nicht in Echtzeit diesen Roboter kontrollieren, weil das zu lang dauert mit dem Feedback. Und dann musste man auf der Erde eben eine Simulationsumgebung haben, quasi parallel zu dem, was der Roboter hoffentlich auf dem Mond oder Mars oder wo auch immer macht. […] Und dann kommt ja irgendwann das Bild herüber, und dann kann man ja abgleichen, ob’s dann auch so ist. […] Und da ist dann wieder diese Mischung, dass dieses reale Bild vermischt werden muss mit dem Virtuellen und vielleicht augmentiert werden muss, und dann stellt man vielleicht auch manchmal fest, dass der Roboter jetzt leider inzwischen in irgendein Loch gefahren ist, dass man nicht mit simuliert hatte oder von dem man nichts wusste (IP-3, Turn 9). Versuchte man nämlich, anhand eines virtuellen Modells (in diesem Fall der simulierten Mondlandschaft) auf die Realität (nämlich die tatsächliche Mondlandschaft) zu schließen, war nicht nur ein enormer Rechenaufwand, sondern auch ein permanenter Abgleich zwischen der Realität auf der einen sowie der Virtuellen Welt auf der anderen Seite nötig. Nicht selten kam es dabei zu Abweichungen (wie in diesem Fall der Roboter, der in der virtuellen Simulation zwar einwandfrei seine Bahnen zieht, in der 8
Bei einem Mock-up handelt es sich um ein maßstäbliches Modell, welches eine neue Technologie in der Planung und Entwicklung symbolisch repräsentiert, und auf dessen Basis später funktionsfähige Prototypen gefertigt werden.
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Realität jedoch längst in einem Loch versunken ist), so dass erneuter Arbeitsaufwand in die Anpassung der Simulation an die Realität investiert werden musste. Auch wenn sich die Virtual Reality-Technologie durch die Verfügbarkeit schneller Graphikkarten in der Spielebranche weiterentwickelte, nahm die Begeisterung für reine Simulationen in der Universitäts- und Industrieforschung ab. Dieser Umschwung bildete eine fruchtbare Grundlage für die Geburtsstunde einer neuen Technologie, die der Realität wieder einen größeren Stellenwert einräumt – der AR-Technologie.
5.2.2.
›Hip‹: »Es lag in der Luft!« (1992 – 1997)9 Der Mensch ist sozusagen ein Prothesengott geworden, recht großartig, wenn er alle seine Hilfsorgane anlegt, aber sie sind nicht mit ihm verwachsen und machen ihm gelegentlich noch viel zu schaffen. Sigmund Freud10
Back to the Real World11 Wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, erwies sich die Virtual RealityTechnologie aufgrund der genannten Widerständigkeiten nicht als die alle Probleme lösende Technologie, die man zunächst in ihr sehen wollte: Zu viele technische Komponenten waren noch nicht ausgereift, zu groß war der Aufwand für die Simulationen künstlicher Welten und letztendlich stellte die Schaffung virtueller Welten keine zufriedenstellende Alternative zur realen Welt dar, denn the artificial world is much simpler than the real world; it has lower resolution, leaves out details, and is limited in its behavior and extent. For certain kinds of entertainment, and for tasks such as learning to land an airplane in a blizzard, the VR approach is invaluable. But for helping us with everyday tasks, VR – even more than the workstation – cuts us off and excludes us from the world in which we live, work and play (Wellner/Mackay/Gold 1993: 26). Nicht nur in der Forschungslandschaft, sondern auch in den Medien, die noch ein Jahrzehnt zuvor die Virtual Reality-Technologie als Tor zu einer neuen Welt gepriesen hatte, machte sich zunehmend Skepsis breit. Im Jahr 2003 – zwölf Jahre nach Erscheinen des ersten Artikels – erschien erneut ein Artikel über die Virtual Reality-Technologie im GEO Magazin, diesmal unter dem Titel ›Visionen: Wenn das Taschentuch zum Bildschirm wird‹ (N.N. 2003). Entstand in dem Artikel aus dem Jahr 1991 der Eindruck, dass die schöne neue Welt sich in unmittelbarer Reichweite befand, klingen die Visionen nun deutlich verhaltener: zwar werden auch hier potentielle Anwendungsszenarien
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Diese Überschrift lehnt sich an entsprechende Aussagen aus einem Interview mit einem Experten vom Fraunhofer IGD vom 15.09.2008 an. Freud 2010: 57 Diese Überschrift wurde aus dem Aufsatztitel ›Computer Augmented Environments: Back to the real world‹ von Pierre Wellner, Wendy Mackay und Rich Gold (1993) übernommen.
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skizziert – vorzugsweise in Medizin, Archäologie und Industrie – jedoch wird die Verfügbarkeit der neuen Technologie deutlich in die Zukunft verlagert, die Technologie wird als noch »nicht ausgereift« bezeichnet, die zunächst »deutlich billiger werden« müsse und mit ihren benötigten Datenkapazitäten derzeit die Netzwerke überfordere. Stattdessen wurden nun neue Alternativen ins Spiel gebracht, in denen »sich künstliche und reale Welt nahtlos miteinander vermischen« (N.N. 2003). Die soziale Identität der Virtual Reality-Technologie als Möglichkeit, durch künstliche Welten »die vom Körper gesetzten Grenzen der Sinne zu überschreiten« (Haffner 1991: 136) hat sich aufgrund ihrer Widerständigkeiten nun in die Identität einer zwar nicht hoffnungslosen, aber doch mit einiger Skepsis betrachteten Identität gewandelt. Um diesen Problemen begegnen zu können, ging man in Forscherkreisen einen Schritt zurück in Richtung ›real world‹ und reagierte auf den Bedarf, »etwas Simuliertes, Virtuelles zu verbinden mit etwas Realem«, so Frau Professor Gudrun Klinker (IP-3, Turn 3). Statt der Schaffung virtueller Welten strebt man nun Mixed Reality in Form der Vermischung künstlicher und realer Elemente an. Ähnlich wie die Virtual Reality-Technologie, die aus der Konvergenz verschiedener anderer Technologien entstand, so dass sie »eher eine sich rasch entwickelnde Kombination aus einer Reihe älterer Technologien war, von denen niemand gedacht hatte, daß man sie eines Tages unter dem Dach eines gemeinsamen Forschungsgebietes zusammenfassen würde« (Rheingold 1995: 73), entstanden auch durch Computerelemente erweiterte Umgebungen aus Konvergenzen verschiedener Forschungsdisziplinen (vgl. Wellner/Mackay/Gold 1993: 26). Dabei lässt sich bei der Entwicklung der AR-Technologie keineswegs von einer Invention oder gar einer ›Revolution‹ sprechen. Stattdessen beschreibt ein bekannter Fürsprecher ihre Entstehung als ›Evolution‹: Ich persönlich habe diese Entwicklung SEHR pragmatisch gesehen. Wie gesagt, ich glaube nicht, ich würde IMMER widersprechen, dass das eine INVENTION war, das war eine EVOLUTION. Lag in der Luft, viele Leute haben dran gearbeitet und jeder hat’s auf seine Weise zu einem Fortschritt gebracht und ›Bubbs‹ – war Augmented Reality da (IP-10, Turn 82). Anders als bei der Virtual Reality-Technologie, die primär technologiegetrieben war und zunächst Einsatzbereiche vermissen ließ, sollten nun zunächst Anwendungsszenarien entwickelt werden, in denen die neue Technologie Einsatz finden sollte (IP-7, Turn 83). An dieser Stelle könnte der Eindruck entstehen, die AR-Technologie sei erst während der letzten Phase der Virtual Reality-Technologie entstanden und habe diese abgelöst. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Stattdessen setzen Entstehung und Entwicklung bereits deutlich früher ein. Wie Professor Müller darlegt, lässt sich für die AR-Technologie eine ähnliche ›Hip-Hype-Hop‹-Kurve skizzieren wie zuvor für die Virtual Reality-Technologie – nur um ca. fünf Jahre versetzt (vgl. Abb. 10).12 So erschien beispielsweise auch der zuvor erwähnte programmatische Sonderband ›Back tot he Real World‹, in welchem sich der gleichnamige Artikel von Wellner, Mackay und Gold befindet, bereits im Jahr 1993 – zu einem Zeitpunkt also, in dem sich die 12
Entstanden ist diese Graphik in Anlehnung an eine Skizze aus dem Interview mit Professor Müller im Rahmen eines Experteninterviews vom 16.04.2008.
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Abbildung 10: Virtual Reality und Augmented Reality – Generationen und Verlauf
Virtual Reality-Technologie noch in ihrer Aufschwungphase befand. Die folgenden Ausführungen folgen weitgehend der o.g. Einteilung von Professor Müller in eine ›HipHype-Hop‹-Entwicklungskurve, wobei die Zeiträume allerdings auf der Basis eigener Recherchen modifiziert wurden.
Happy Birthday! – Die Anfänge der Augmented Reality-Technologie Auch wenn die zuvor dargestellte ›Hip-Hype-Hop‹-Kurve nahelegt, dass die ARTechnologie erst um ca. 1995 entstand, fand der Geburtstag der AR-Technologie bereits einige Jahre zuvor statt. Im Jahr 1992 veröffentlichten Thomas P. Caudell und David W. Mizell einen Aufsatz, in welchem erstmalig eine neue Technologie beschrieben wurde, die unter dem Label Augmented Reality firmierte (vgl. Caudell/Mizell 1992). Entwickelt wurde diese Technologie im Rahmen des sogenannten Boeing-Projekts, das am 24.01.1990 startete und ursprünglich das Ziel hatte, die Montageprozesse – allen voran die Kabelmontage – für die Boeing 747 mit Hilfe der Virtual Reality-Technologie zu unterstützen (Mizell 2001: 449). Der Hintergrund war der ausgesprochen große Fertigungs- und Instandhaltungsaufwand der Boeing 747 aufgrund der unüberschaubaren Vielzahl von Einzelelementen – ein Umstand, der jemanden zu der Bemerkung veranlasste, die Boeing 747 sei »not really an airplane, but five million parts flying in close formation« (Caudell/Mizell 1992: 659). Die Vision dieses Projekts bestand nun darin, die Arbeiter in der Montage mit digitalen CAD-Daten unmittelbar während der Fertigungs- und Instandhaltungstätigkeit zu versorgen, so dass Fehler und damit verbundene Kosten minimiert werden könnten (vgl. Caudell/Mizell 1992: 660). Wie der Einsatz der Virtual Reality-Technologie praktisch bei der Lösung dieser Aufgabe helfen
5. Fallstudie
sollte, schien indes keineswegs von Anfang an klar zu sein. So schreibt Mizell fast zehn Jahre später in einem retrospektiven Aufsatz über das Boeing-Projekt: I could not imagine how virtual reality (VR) could help with an assembly job in the factory. Before I could say so to Tom, he said: ›Hey, you know what we could do – we could use a see-through head-mounted display with a head tracker, and mathematically project the bundle diagram on a blank formboard‹ (Mizell 2001: 449). Mit dieser Idee waren zum einen die Grundsteine für die AR-Technologie als einer Technologie gelegt, welche im Gegensatz zur Virtual Reality-Technologie nur einen Teil der Informationen digital bereitstellt und in die reale Szenerie einblendet und durch die zum anderen das Label Augmented Reality Verbreitung gefunden hat: This technology is used to ›augment‹ the visual field of the user with information necessary in the performance of the current task, and therefore we refer to the technology as augmented reality (AR) (Caudell/Mizell 1992: 660). Entsprechend verschob sich auch der anfängliche Fokus des Boeing-Projekts, nämlich die Fertigung durch Virtual Reality zu unterstützen, hin zu der Entwicklung und Erprobung der neuen Technologie, welche die Realität nicht länger vollständig simulierte, sondern lediglich erweiterte, und zwar bis zu dem Punkt, »at which the use of AR in manufacturing applications is practical« (Caudell/Mizell 1992: 663). Im Kern bestand diese Technologie aus einem durchlässigen, am Kopf des Nutzers befestigten Display, welches es dem Arbeiter ermöglichte, auf seinen realen Arbeitsplatz zu schauen und gleichzeitig kontextabhängig virtuelle Informationen, die zur Verrichtung seiner Arbeit hilfreich sind, in das Display eingeblendet zu bekommen (vgl. Caudell/Mizell 1992: 660). Mit der Idee, nicht alle Daten zu simulieren, sondern die reale Welt lediglich durch virtuelle Informationen zu erweitern, wurde fortan eine neue Geschichte erzählt: Die Geschichte der AR-Technologie. Durch diese Umorientierung wurde gleichzeitig die angedachte Virtual Reality-Technologie neu positioniert: Galt diese zuvor als probate Lösung der Fertigungs- und Wartungsprobleme, so ist sie nun eine teure und komplexe Technologie, zu der die AR-Technologie eine günstigere Alternative darstellt, welche mit Hilfe einfacherer Elemente sowie günstigerer Standardprozessoren betrieben werden kann und bei der vor allem nicht alle Elemente künstlich generiert werden müssen (vgl. Caudell/Mizell 1992: 660). Gleichzeitig jedoch stellt die Erweiterung der Realität im Vergleich zur vollständigen Simulation die Forscher auch vor neue Herausforderungen, denn anders als bei der Erschaffung virtueller Welten benötigt die AR-Technolgie eine deutlich präzisere Registrierung der physischen Welt sowie eine exakte Positionierung des Head-Mounted Displays am Kopf des Nutzers, damit die benötigten Informationen auch kontextgenau eingeblendet werden können (vgl. Caudell/Mizell 1992: 660). Im Rahmen des Boeing-Projekts sollte die neue Technologie zunächst so etwas wie einen eigenen ›Körper‹ erhalten. Den Kern der AR-Technologie bildete ein Head-Up Display, welches Caudell und Mizell wie folgt in ihrem Aufsatz symbolisch repräsentierten (vgl. Abb. 11): Die Ähnlichkeit zu dem von Hughes Aircraft entwickelten und bereits zuvor beschriebenen Electrocular sowie zu Sutherlands Head-Mounted-Display ist unverkennbar. Noch deutlicher wird die Nähe zu dem Electrocular – das in den Ausführungen von
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Die multiple Identität der Technik
Abbildung 11: Symbolische Repräsentation der Elemente eines HeadUp Display-Systems
(Caudell/Mizell 1992: 663)
Caudell und Mizell übrigens keinerlei Erwähnung findet –, wenn man sich den Einsatz in dem geplanten Anwendungsfeld anschaut (vgl. Abb. 12):
Abbildung 12: Beispiel für die Einblendung von Bohrlöchern in einem Flugzeugrumpf via Head-Up-Display
(Caudell/Mizell 1992: 660)
5. Fallstudie
Ebenso wie das Electrocular dient nun auch die ›neue‹ AR-Technologie dazu, Arbeiter aus der Flugzeugindustrie beim Einsatz in Fertigung und Instandhaltung zu unterstützen. An dieser Stelle ist ein kurzer Rückgriff auf die Bedeutung des Labels für eine Technologie interessant: Während das Electrocular weder als Artefakt noch als Label eine besonders erfolgreiche Karriere machte, war mit dem Begriff Augmented Reality offenbar gelungen, was zuvor fehlschlug: Er wurde zum Schirmbegriff und dient bis heute als Oberbegriff für eine Vielzahl von Technologien, auch wenn diese sich häufig erheblich voneinander unterscheiden. Gleichwohl blieb dieses eher zufällige Label keineswegs kritiklos, wie die Aussage von Professor Müller zeigt: So ist aber AR als Begriff den Menschen da draußen nicht zu erklären, das ist Marketing-technisch absoluter Unfug. Augmented Reality ist auch noch so ein Wort, das keiner übersetzen kann, und wenn man’s dann mit erweiterter Realität übersetzt, das ist dann auch so’n Paradoxum, das keiner hören will (IP-4, Turn 67). Dennoch hatte das Label offenbar das Potential, sich gegenüber anderen Entwürfen zu behaupten und dieser Technologie über einen langen Zeitraum eine gewisse Kontinuität zu verleihen. Auch wenn das Label sicherlich nur ein Faktor neben verschiedenen anderen ist, verdeutlicht dieses Beispiel sehr gut, wie unterschiedlich sich zwei zunächst relativ gleich erscheinende Technologien unter verschiedenen Labels behaupten können. Die oben dargestellten symbolischen Repräsentationen wurden schließlich im Rahmen des Boeing-Projekts in Demo-Versionen umgesetzt, so dass der Körper der AR-Technologie an Kontur gewann und Sponsoren für die weitere Forschung gefunden werden konnten (vgl. Mizell 2001: 450f.). Das Boeing-Projekt diente jedoch nicht nur als Gestaltungsort für den neuen Körper der AR-Technologie, sondern ebenso als Raum für die Identitätsarbeit, die im Hinblick auf die neue Technologie zu leisten war. Die Erwartungen, die an diese neue Technologie herangetragen wurden und ihre soziale Identität prägten, waren immens. Ausgehend von dem geplanten Einsatzgebiet wurde primär ihre Teilidentität als technische Lösung und Unterstützung für die Arbeit in Fertigung und Instandhaltung angesprochen. Es wurden verschiedene Anwendungsszenarien entwickelt (vgl. Caudell/Mizell 1992: 665) und man erwartete »an increasing number of manufacturing applications to become feasible as both position sensing range and diagram positioning accuracy continue to improve« (Caudell/Mizell 1992: 667). Kurzum: Man ging davon aus, dass »many near term applications are possible« (Caudell/Mizell 1992: 668). Diese Erwartung wurde auch dann nicht geschmälert, als sich herauskristallisierte, dass die neue Technologie nicht in allen Bereichen bereitwillig die an sie herangetragenen Erwartungen erfüllte, sondern die Entwickler durch Widerständigkeiten zum Umdenken aufforderte. Die erstellte Demoversion überzeugte zunächst genug Leute vom Potential dieser neuen Technologie, so dass die Forschungsfinanzierung für einige Jahre garantiert war (vgl. Mizell 2001: 451). Dann aber zeigten sich erste Widerstände: »As useful as this work was, however, we felt that we were about to ›hit a wall‹. We were not in a position to develop any hardware« (Mizell 2001: 454). Darüber hinaus stellte die Größe des BoeingKonzerns ein Problem dar, denn selbst wenn ein richtiger Prototyp vorhanden gewesen wäre, wäre die Entwicklung eines einzelnen Prototypen für den praktischen Einsatz in einem Unternehmen, in dem mehrere hundert Mitarbeiter an Kabelbündeln arbeite-
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ten, zunächst irrelevant gewesen (vgl. Mizell 2001: 454). Um die AR-Technologie in einem Unternehmen der Größe Boeings einsetzen zu können, musste ein gut aufgestellter Investor gefunden werden. Erneut sprang die ›Defense Advanced Research Projects Agency‹ (DARPA) mit dem ›DARPA’s Technology Reinvestment Project‹ (TRP) (Mizell 2001: 454) ein und bildete einen Teil des neuen Innovationsregimes. Betrachtet man die Schilderungen der Widerständigkeiten insgesamt, so lässt sich beobachten, dass schon in dem ersten Aufsatz von 1992 auf Widerständigkeiten vor allem im Bereich der Positionsbestimmung, welche »currently beyond the state of the art« (Caudell/Mizell 1992: 667) sei, sowie Limitierungen durch die Tracking-Technologie (vgl. Caudell/Mizell 1992: 669) hingewiesen wurde. In Caudells Publikation aus dem Jahr 1994 wird bereits im Abstract auf die Widerständigkeiten eingegangen, die im Rahmen des Papers weiter ausgeführt werden: »Many research issues must be addressed before this technology can be widely used, including tracking and registration, human 3D perception and reasoning, and human task performance issues« (Caudell 1994: 272). Der Tenor der Ausführungen ist insgesamt kritischer als noch in der Erstpublikation 1992 und der Autor kommt zu dem Fazit, dass »[i]n reality, no such system exists today for commercial consumption« (Caudell 1994: 277). Die Widerständigkeiten schienen die Forscher derart zu beschäftigen, dass 1998 ein weiterer Aufsatz erschien, der den Titel ›Several Devils in the Details: Making an AR Application Work in the Airplane Factory‹ (Curtis et al. 1998) trägt und nicht nur die AR-Technologie als solche diskutiert, sondern auch »all the unexpected technical problems and many of the non-technical problems we have had to solve in the process of implementing and testing this application« (Curtis et al. 1998: 47). In dieser Publikation sowie in Mizells retrospektivem Aufsatz aus dem Jahr 2001 wird neben den genannten Widerständigkeiten ein weiterer, unmittelbar aus dem Körper der neuen Technologie resultierender Faktor erwähnt, welcher die Identität der AR-Technologie maßgeblich beeinflussen sollte. Mizells Beschreibungen lesen sich dabei selbst wie eine kleine Geschichte mit eigenem Plot: Women almost unanimously refused to wear the system. We concluded that there was probably another type of discomfort, rather than physical discomfort, at work: First, the HMD, especially after being worn for an hour or two, causes a terminal case of ›hat hair‹. Second, although the TriSen HMD was lighter and better balanced than most designs we AR researchers had worn before, it looked boxy and clunky. Users could expect lots of comments from passers-by about having been ›assimilated by the Borg‹. Third, we created ample opportunity for such comments. The place where our pilot project was in operation was right next to the wire shop and mockup shop’s break room. Participants could expect lots of their friends and coworkers to pass by on their way to a break or to lunch and see them wearing the ›geek gear‹ (Mizell 2001:464). Kurzum: Das eingesetzte Head-Mounted Display »is not a fashion statement, and it is not hairdo-friendly« (Curtis et al. 1998: 47). Die aus Material, Design und Technisierungsschema des eingesetzten Prototyps resultierenden Eigenschaften positionierten
5. Fallstudie
den Anwender vielmehr als ›Borg‹13 , führten aufgrund des geringen Tragekomforts zu körperlichem Unwohlsein (ein Umstand, der auch in eigenen Untersuchungen bestätigt wurde, vgl. Lenzen 2001: 110f.), verursachten Frisurprobleme und diskreditierten einen bei den Arbeitskollegen. Man kann sich unschwer vorstellen, dass die hier beschriebene materiell-konzeptionelle Identität der Technik nur schwer mit der von den Forschern und Entwicklern angedachten sozialen Identität als hoffnungsvolle Zukunftstechnologie in Einklang zu bringen war. Auch Mizell zog nach zehnjährigem Aushandlungs- und Entwicklungsprozess im Rahmen des Boeing-Projekts die Konsequenz, dass wohl noch einige Zeit »before any possible production use of the technology« (Mizell 2001: 465) vergehen würde. Er sah die Widerständigkeiten hierfür allerdings weniger in der Technik selbst, sondern vielmehr in der Finanzierung begründet. Angesichts der Tatsache, dass in den Folgejahren Millionen in AR-Projekte investiert wurden, die Technik selbst aber immer wiederkehrende Schwierigkeiten, insbesondere im Bereich des Trackings und der Positionsbestimmung, aber auch im praktischen Umgang aufwies, darf allerdings angenommen werden, dass die Finanzierung keineswegs das Hauptproblem darstellte. Das änderte jedoch nichts daran, dass sich in den darauf folgenden Jahren so etwas wie ein Kern der AR-Technologie herauskristallisierte, der sich über viele Jahre als erstaunlich beständig erwies.
Kleine Geschichten der Identität Ein Grund für die Herausbildung eines wahrgenommenen Identitätskerns lag in dem Label Augmented Reality selber begründet, welches der Technologie eine gewisse Beständigkeit verlieh. Für die Kontinuität und Kohärenz der AR-Technologie besonders entscheidend war jedoch die wiederkehrende Berufung der Scientific Community auf einige wenige Definitionen. Auch wenn es sich bei diesen Definitionen keineswegs um Narrationen im engeren Sinne handelt, fungierten sie im weiteren Sinne als ›kleine Geschichten der Identität‹, die als biographische Kernnarrationen eine Art Kernidentität der AR-Technologie bilden. In diesem Zusammenhang sind vor allem zwei Definitionen von besonderer Relevanz. Bereits 1994 – zwei Jahre also nach Erscheinen des bahnbrechenden Artikels von Caudell und Mizell – entwickelten Paul Milgram und Fumio Kishino das zuvor erwähnte Realitäts-Virtualitäts-Kontinuum zur Klassifizierung von »Mixed Reality Visual Displays« (Milgram/Kishino 1994), in welchem die AR-Technologie erstmalig eindeutig zu ähnlichen Technologien positioniert und somit von ihnen abgegrenzt wurde (vgl. Abb. 13). Das Kontinuum spannt sich zwischen der realen, nicht-modellierten Umwelt sowie virtuellen, vollständig modellierten Umwelten auf (vgl. Milgram/Kishino 1994: 9) und erlaubt nach Aussage der Autoren »an ordered classification, according to which theoretical discussions can be focused, developments evaluated, research conducted, and 13
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Bei den ›Borg‹ handelt es sich um eine Gesellschaftsform in den Star Trek-Serien und -Filmen. Die Körper der Borg zeichnen sich durch die Vermischung organischer und mechanischer Elemente wie beispielsweise technischer Implantate aus und lassen sich daher am besten als ›TechnoKörper‹ beschreiben. Da es sich bei dem zitierten Aufsatz um die Online-Publikation der Autoren handelt, entsprechen die Seitenangaben dieser Publikation hier und im Folgenden der Nummerierung des Ausdrucks und können von Print-Publikationen abweichen.
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Abbildung 13: Realitäts-Virtualitäts-Kontinuum
(in Anlehnung an Milgram/Kishino 1994: 3)14
data meaningfully compared« (Milgram/Kishino 1994: 5). Betont werden muss an dieser Stelle, dass sich diese Klassifizierung in der Tat nur auf visuelle Displays bezieht und keineswegs auf mögliche andere AR-Realisierungen (vgl. Milgram/Kishino 1994: 5) – ein Umstand, der in den folgenden Jahren leicht in Vergessenheit geriet. Die zweite Definition stammt von Ronald T. Azuma, der wie einige seiner bedeutendsten Vorgänger und Forschungskollegen seine Wurzeln ebenfalls an der University of North Carolina (UNC) hat und drei Jahre später ebenfalls den Versuch unternahm, Augmented Reality unabhängig von ihrer technologischen Realisierung und vor allem von der Beschränkung auf Displays wie folgt zu definieren: To avoid limiting AR to specific technologies, this survey defines AR as any system that has the following three characteristics: 1. Combines real and virtual 2. Is interactive in real time 3. Is registered in three dimensions (Azuma 1997: 356). Die Unterschiede zu der zuvor genannten Definition liegen auf der Hand: Während sich die AR-Technologie in Milgrams und Kishinos Realitäts-Virtualitäts-Kontinuum lediglich durch die Überlagerung der anteilig größeren realen Umgebung durch wenige virtuelle Elemente sowie die Beschränkung auf visuelle Displays auszeichnete, präzisiert Azuma auf diesem Kontinuum aufbauend die Anforderungen an die neue Technologie.15 Beide Definitionen wurden lange Zeit entweder direkt als Referenz für Augmented Reality angegeben oder dienten als Basis für ähnliche Definitionen.16 Abgesehen von Rekursion auf diese Definitionen in unzähligen Publikationen, erwähnten auch dreiviertel der interviewten Experten Milgram und/oder Azuma und beriefen sich bei der
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Einige Jahre später lösten Azuma et al. sich auch noch von der Begrenzung auf visuelle Anwendungen und weiteten das Spektrum möglicher AR-Realisierungen auch auf taktile, auditive und olfaktorische Anwendungen aus (vgl. Azuma et al. 2001: 34). Ein Vergleich unterschiedlicher AR-Definitionen findet sich bei Lenzen et al. 2007.
5. Fallstudie
Beantwortung der Frage, was den Kern der AR-Technologie ausmache, direkt oder indirekt (in diesem Fall wurden nicht die Urheber, wohl aber die Inhalte herangezogen) auf diese Definitionen. An diesen Beispielen zeigt sich, dass sowohl das AR-Label als auch die erwähnten Definitionen als bioraphische Kernnarrationen der AR-Technologie offenbar eine außerordentlich stabilisierende und integrative Funktion besitzen, welche die Kohärenz und Kontinuität dieser Technologie gewährleisten und so etwas wie ihren Kern bilden. Allein durch die Verwendung des AR-Begriffs in Narrationen erfolgt auch eine Positionierung dahingehend, ob sich jemand dem AR-Feld zugehörig fühlt oder nicht. So lange etwas als AR-Technologie bezeichnet wird, ist es eine AR-Technologie. Dass es bei dieser Form der Positionierung keineswegs alleine um die Technik an sich ging, sondern durchaus strategische und monetäre Überlegungen bei der Positionierung zu diesem Forschungsfeld eine Rolle spielten, verdeutlicht Frau Professor Klinker anschaulich: Ja, also ich seh’ da eigentlich zwei Richtungen: [A]lso als dann das Wort AR attraktiv geworden ist und dann auch diese Hypekurve startete, und wer auch immer beschloss, da müsste man vielleicht hinein investieren, gab’s natürlich extrem viele Trittbrettfahrer. […] Und gerade wenn man mal sieht, was für Projekte es gibt – zum Beispiel auf EU-Ebene, die haben ja riesige Linien zu dem Thema gestartet – da sind natürlich auch sehr viel sehr findige Leute, die das, was sie eigentlich immer schon gemacht haben, eben ein bisschen umbenennen. Dann kommen diese neuen Wörter, diese magischen, die irgendwie die Türen zu Geldern öffnen, die kommen dann da mit hinein. Und dann wird das halt unter dem Titel gemacht. Und dadurch geht’s natürlich viel in die Breite, weil dann dort eventuell an sehr guten Themen gearbeitet wird, aber die haben gar nichts so sehr mit AR zu tun, nur so ganz am Rande so’n bisschen […] Aber, aber mich ärgert’s dann manchmal ein bisschen, weil man dann natürlich denkt: Wir haben da uns jetzt irgendwie gefunden und wollen das hier machen und plötzlich sind alle auf dem Esel drauf, und das arme Tier wird dann in so viel Teile geteilt und jeder macht da irgendwas und – letztendlich wir kriegen überhaupt nichts davon (IP-3, Turn 68). Das gleiche gilt für die Berufung auf eine der oben genannten Definitionen: So lange man sich direkt oder indirekt auf die Definitionen von Milgram und Kishino oder Azuma beruft, handelt es sich auch um Augmented Reality. Das ist insofern erstaunlich, als dass diese Definitionen zwar einige grobe Orientierungspunkte anbieten, aber – zumindest wenn sie einzeln gelesen werden – Spielräume für eine ganze Reihe von Technologien offen lassen. So könnte Azumas Definition sich beispielsweise genauso gut auf Augmented Virtuality beziehen. Trotzdem scheint die Verwendung dieser Definitionen ein Garant für die Kohärenz der AR-Technologie sowie für die Zugehörigkeit zum AR-Feld seitens der Akteure zu sein. Zwar sind die Grenzen dessen, was dann tatsächlich erforscht wird, nicht endlos ausdehnbar, jedoch viel durchlässiger, als zunächst zu vermuten ist. An dieser Stelle kommen erneut die narrativen Positionierungsstrategien zum Einsatz. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass Azuma selbst ARRealisierungen, welche die reale Umgebung lediglich durch zweidimensionale virtuelle Elemente überlagern, in seiner Publikation konsequenterweise ausschließt (vgl. Azuma 1994: 356). In späteren Jahren – und vor allem in aktuellen Anwendungen auf Smartpho-
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nes oder Tablet-PCs, aber auch bei Fahrerassistenzsystemen – wurde jedoch die Überlagerung mit zweidimensionalen Elementen durchaus üblich und man positionierte sich dabei dennoch zur AR-Technologie. Kurzum: Die neueren AR-Realisierungen lösten sich irgendwann von den Inhalten und überlebten nun in einfacher, abgeschwächter ›2D-Variante‹, wobei sie jedoch noch immer das von Milgram und Kishino aufgestellte Kriterium der Überlagerung der realen Welt durch virtuelle Elemente erfüllten. Dieser Umstand verdeutlicht einmal mehr die Einheit-stiftende Funktion dieser Definition auch unabhängig von ihren tatsächlichen Inhalten. Alleine, dass man sich auf eine oder sogar beide ›kleine Geschichten der Identität‹ beruft, reichte aus, um einer Technologie die Identität der AR-Technologie zu verleihen und beispielsweise entsprechende Fördergelder zu akquirieren. Umgekehrt ist jedoch auch das Weglassen entsprechender Positionierungsstrategien spannend, denn es gibt tatsächlich in einigen Feldern – beispielsweise bei Fahrerassistenzsystemen oder im Ubiquitous Computing – funktionierende AR-Applikationen wie die Projektion virtueller Informationen auf die Windschutzscheibe, ohne dass diese notwendigerweise als solche dargestellt und entsprechend wahrgenommen werden. Azuma hat jedoch noch in anderer Hinsicht als im Hinblick auf die Kernidentität Einfluss auf die weitere Entwicklung dieser Technologie genommen, indem er nämlich verschiedene soziale Teilidentitäten im Sinne potentieller Anwendungsfelder skizzierte: 1. Medizin, 2. Fertigung und Instandhaltung, 3. Robotik, 4. Unterhaltung, 5. Kommentierung und Visualisierung sowie 6. Militär (vgl. Azuma 1997: 356ff.). In der Tat sollten sich in den nächsten Jahren vor allem diese Teilidentitäten im Feld der AR-Technologie herauskristallisieren, wobei vor allem die Bereiche ›Fertigung und Instandhaltung‹ sowie ›Medizin‹ eine besondere Rolle spielen sollten.
5.2.3.
Aus ›Hip‹ wird ›Hype‹: »Was für ein enormes Potential!«17 (1998 – 2003)
Bislang existierte die AR-Technologie primär in Form von Begriffen, Definitionen, Geschichten und symbolischen Repräsentationen. In den folgenden Jahren entstand ein wahrer ›Hype‹ um diese neue Technologie: Aus ihrer sozialen Identität, den Versprechen und Erwartungen, wurden –ähnlich, wie Van Lente und Rip dies für die Entstehung der Membrantechnologie beschrieben haben – dank intensiver rhetorischer Arbeit relevanter Fürsprecher und einer dadurch entstehenden, stabilen Zuhörerschaft aus der bis dato primär rhetorischen Entität nun eine soziale Realität mit verschiedenen Szenarien, welche im Sinne Van Lente und Rip als Skript mit erfolgversprechenden Forschungs- und Entwicklungsaussichten fungierten (vgl. Van Lente/Rip 1998a: 234). Die AR-Technologie löste sich infolge dessen zunehmend von ihren Sprechern und versammelte unterschiedliche Akteure aus heterogenen sozialen Strukturen um sich, so dass sich ein eigenes Feld konstituierte, in welchem Augmented Reality zunehmend an Kontur (und im materiellen Sinne auch Körper) gewann. Verantwortlich dafür sind neben verschiedenen relevanten Akteuren und Institutionen, die in der Biographie der AR-Technologie als Türhüter fungierten, auch markante relevante Ereignisse, die als
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Zitat aus einem Experteninterview (IP-4, Turn 1).
5. Fallstudie
Statuspassagen neue Akzente setzten und den weiteren Verlauf entscheidend beeinflussten.
USA und Japan Eines der ersten und größten Projekte, welches den aktuellen Hype um die ARTechnologie aufgriff und ihre weitere Entwicklung maßgeblich beeinflusste, wurde in Japan gestartet. Von 1997 bis 2001 förderte die japanische Regierung zusammen mit Canon Inc. das ›Key Technology Research Project on Mixed Reality Systems‹ (MR Project) (vgl. Tamura 2000: xii; sowie 2001: 97), das nach eigenen Aussagen das erste Forschungsprojekt war, das ernsthaft an der Entwicklung der Mixed RealityTechnologie arbeitete (vgl. Tamura 2001: 97) und mit der University of Tokyo, der University of Tsukuba sowie der Hokkaido University kooperierte. Im Zentrum des Projekts stand das sogenannte ›Mixed Reality System Laboratory Inc‹. (MR Lab), das für die Projektleitung etabliert wurde (vgl. Satoh et al. 1998: 3). Im Fokus der Forschungsarbeiten stand nicht allein die AR-Technologie, sondern in Anlehnung an das bereits vorgestellte Realitäts-Virtualitäts-Kontinuum gleichermaßen die Mixed Reality, welche sowohl die Anreicherung der realen Welt durch virtuelle Elemente (Augmented Reality), als auch die Erweiterung virtueller Welten durch reale Informationen umfasste (vgl. Satoh et a. 1998: 2). Die Erwartungen an das Projekt waren von Anfang an groß, man strebte an »to produce an innovative information technology that could be pragmatically utilized in the first decade of the 21st century while breaking a limitation on the traditional virtual reality (VR) technology« (Tamura 2000: xii). Die Forschungsbemühungen konzentrierten sich hierbei auf zwei Schwerpunkte: einerseits auf die Entwicklung von Technologien zur Überlagerung realer und virtueller Welten und andererseits auf die Weiterentwicklung der Display-Technologie selber (vgl. Tamura 2001: 98), wobei die gesamte Projektstrategie von einem pragmatischen Ansatz geleitet wurde: »The basic policy we maintained throughout this project was to emphasize a pragmatic system development rather than a theory and to make such a system always available to people« (Tamura et al. 2001: 64). Gerade durch diese Ausrichtung unterschied sich die japanische Forschungskultur nach Meinung von Dr. Erique Badiqué, der bei der EU-Kommission im Rahmen der Förderung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien für die Mixed Reality-Technologien betraut war, deutlich von den europäischen Forschungsstrategien: They […] believed in this and, as usual, they take things, they just go for it. You know? In France, in Germany you would go first for: ›Okay, let’s have a theory right and let’s make sure that we understand the human factors and let’s do this and that and then we’ll, then we’ll implement it.‹ The Japanese they just have this vision, this idea. And they do it. And if it doesn’t work it doesn’t matter. But they have learned something. And if it looks like there will never be any application they don’t care either. So, they are much more, much more enthusiastic about this new technologies. And I think […] the developments in Japan, in particular, were very important (IP-8, Turn 14). Der aufgeschlossene und pragmatische Umgang mit der neuen Technologie zeigte sich auch in den unterschiedlichen Anwendungsszenarien, durch welche die AR-Technologie im Rahmen dieses Projekts verschiedene Teilidentitäten erhielt. Während sich spätere
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Projekte vor allem in Deutschland primär auf konkrete Anwendungsszenarien in der Industrie konzentrierten, waren die Anwendungsszenarien im Zuge des MR Projects eher an Visionen orientiert. Um das Kontinuum zwischen Augmented Virtuality (AV) und Augmented Reality (AR) zu verdeutlichen, entwickelten die Projektbeteiligten in zahlreichen Aushandlungsprozessen zwischen den an die neue Technologie herangetragenen Visionen und den ihr inhärenten technologischen Möglichkeiten unterschiedliche Systeme, die auf dem selben Schema aufbauten, jedoch auf ganz unterschiedlichen Anwendungsszenarien basierten (vgl. Tamura et al. 2001: 65) und der AR-Technologie damit ganz verschiedene Körper und Teilidentitäten verliehen. So wurden für die ARAnwendungen im Rahmen dieses Projekts beispielweise verschiedene »multi-player entertainments« (Tamura 2001: 99) entwickelt, deren erste Version ›AR Hockey‹ hieß und der im Rahmen des praktischen Aushandlungsprozesses zwei Erweiterungen folgten. Auch im Umgang mit den verschiedenen Facetten der materiell-konzeptuellen Identität, vor allem den zwangsläufig auftretenden Widerständigkeiten wie beispielsweise den immer wieder auftauchenden Problemen mit Tracking und Registration, zeigte sich die pragmatische Orientierung der Projektbeteiligten. So resümieren Tamura et al. (2001) am Ende des Projekts: »To satisfy all the requirements and requests on such demands, we have a lot of things to study not only in theory but also in experimentals« (Tamura et al. 2001: 70). Ungeachtet der Widerstände war die Bedeutung dieses Projekts »not insignificant«: »The MR Project has vitalized this field of research and acted as the mainspring for some similar derivative projects« (Tamura 2001: 97). So fand 1999 in Yokohama (Japan) das ›First International Symposium on Mixed Reality‹ (ISMR) statt, welches in den darauf folgenden Jahren mit dem ›International Symposium on Augmented Reality‹ (ISAR) fusionierte und zur führenden internationalen Konferenz in den Forschungsfeldern ›Augmented und Mixed Reality‹ avancierte. Die ›vitalisierenden‹ Auswirkungen des MR-Projekts beschränkten sich dabei keineswesgs auf andere Institutionen innerhalb Japans selbst, sondern zeigten sich auch anhand der verstärkten Forschungsbemühungen seitens Unternehmen und Forschungseinrichtungen in Europa und hier vor allem Deutschland, die aus einer gewissen »Beunruhigung« – so Frau Professor Klinker – über die massiven Aktivitäten in Japan heraus resultierten (IP-3, Turn 9). Bevor auf die Auswirkungen im europäischen Raum näher eingegangen werden kann, muss zunächst ein weiterer Meilenstein im Verlauf der Augmented Reality erwähnt werden. Als »mit die größte Explosion« (IP-3, Turn 100) bezeichnet Frau Professor Klinker von der LMU München die Entwicklung des sogenannten ›ARToolkit‹, das von Hirokazu Kato von der Hiroshima City University in Japan und Mark Billinghurst vom ›Human Interface Technology Laboratory‹ (HIT Lab) der University of Washington in den USA entwickelt wurde. Auf dem ›2nd IEEE and ACM International Workshop on Augmented Reality‹, der vom 20. bis 21. Oktober 1999 in San Francisco stattfand, präsentierten Kato und Billinghurst ihr System anhand eines video-basierten AR-Systems (vgl. Kato/Billinghurst 1999). Die Grundidee des ARToolkit besteht darin, eines der schwierigsten Probleme der Entwicklung einer AR-Anwendung – bestehend in »precisely calculating the user’s viewpoint in real time so that the virtual images are exactly aligned with real
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world objects«18 – zu lösen. Bei der Open-Source-Software für das ARToolkit, welche einfach aus dem Internet heruntergeladen werden kann, handelt es sich um ein Software-Development-Kit, mit dem man sehr, sehr leicht eine AR-basierte Applikation bauen konnte. Das gab den Universitäten und den Forschern auch eine sehr einfache Möglichkeit, mal Interaktion auszuprobieren. Also zum Beispiel ein Buch, das man aufschlägt, und da sieht man halt […] wie diese Umgebung, die man erzählt, einfach so praktisch – dreidimensional rauskommt [macht eine entsprechende Handbewegung], aus dem Bild (IP-9, Turn 2). Die Vorhersage der Entwickler, das »ARToolKit should enable the rapid development of many new and interesting AR applications«19 schien sich zu bewahrheiten. Die Entwicklung einer AR-Anwendung war nicht länger auf Informatiker beschränkt, sondern ermöglichte auch einem Laien, mit Hilfe der zur Verfügung gestellten Software und einer einfachen, überall verfügbaren Hardware, die reale Welt mit virtuellen Elementen zu überlagern – benötigt wurden lediglich ein Computer und eine Webcam. Diese leichte Verfügbarkeit der technischen Komponenten führte zu einer rasanten Verbreitung der AR-Technologie: [D]as ist also, denk’ ich der Zeitpunkt, an dem in der Entwicklung ein kritischer Punkt war, wo es weggegangen ist von den wirklichen Liebhaber-Labors hin zu einer wahrnehmbaren Größe, die wirklich auch dazu führt, dass man mal dann irgendwo nicht nur in den Kuriositäten- und Fernsehbeiträgen, sondern bisschen allgemeiner vielleicht über AR was hört (IP-3, Turn13). Einfluss und Bedeutung des ARToolkit zeigen sich auch in dessen weiterem Verlauf: Am 29. September 2002 fand der ›First IEEE International Augmented Reality Toolkit Workshop‹ in Darmstadt statt, der es Entwicklern und Anwendern aus unterschiedlichen Forschungsdisziplinen ermöglichte, sich über die theoretischen und praktischen Erfahrungen mit dem ARToolkit auszutauschen. Bis heute wird die Software für das ARToolkit vom ›Human Interface Technology Laboratory‹ (HIT Lab) der University of Washington in Zusammenarbeit mit dem ›HIT Lab NZ‹ an der University of Canterbury (Neuseeland) sowie der Firma ARToolworks Inc. in Seatte weiterentwickelt.20 Die Entwicklung und Bereitstellung dieser Software kann als einer der entscheidenden Türöffner für den Verlauf der AR-Technologie betrachtet werden, mit deren Hilfe sich die Technologie nicht nur schnell in unterschiedlichen Communities verbreitete, sondern die ihr auch maßgeblich zu einem Körper verhalf, so dass sich die zuvor primär rhetorische Einheit zunehmend materialisierte und aufgrund ihres Einsatzes in verschiedenen Anwendungskontexten nahezu multiple soziale Identitäten ausbildete.
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Die Informationen über das ARToolkit hier und im folgenden berufen sich in weiten Teilen auf die Homepage des ARToolkit (URL: www.hitl.washington.edu/artoolkit; Zugriff: 08.01.14). URL: www.hitl.washington.edu/artoolkit/documentation/userintro.htm; Zugriff: 17.07.17. URL: www.hitl.washington.edu/artoolkit; Zugriff: 17.07.17.
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Deutschland und Europa Die Auswirkungen der zuvor genannten Aktivitäten beschränkten sich aber keineswegs auf Japan und die USA, sondern beeinflussten auch die Forschungsbemühungen um die AR-Technologie in Europa, allen voran in Deutschland. Offensichtlich bestand als Reaktion auf die Forschungen in Japan und den USA das Gefühl »Europa muss was dagegenhalten!« (IP-3, Turn 9). Dieses Gefühl mag ein Auslöser dafür gewesen sein, weshalb das bereits 1984 als Telekommunikationsunternehmen gegründete ›European Computer Industry Research Centre GmbH‹ (ECRC) als Antwort auf die Forschungsaktivitäten in den USA und Japan ebenfalls Forschungsbemühungen hinsichtlich der AR-Technologie aufnahm. Bei dem ECRC handelt es sich um ein Forschungslabor mit Sitz in München, das von drei europäischen Unternehmen gegründet wurde: dem deutschen Technologiekonzern Siemens sowie dem Computerhersteller International Computers Limited (ICL) aus Großbritannien und dem Computerhersteller und Informationssystemanbieter Bull aus Frankreich. Das Ziel des ECRC bestand darin, »to enhance the future competitive ability of the European Information Technology industry and thus complement the work of national and international bodies.«21 Als »breeding ground for those ideas, techniques and products which are essential for the future use of electronic information processing«22 verstand sich das ECRC selbst als Vorreiter in der Entwicklung neuer Technologien und als wichtiger Akteur in der europäischen Scientific Community der Informationstechnologie. In der Tat war das ECRC nicht nur einer der größten Internet-Provider Deutschlands (vgl. Weitholz 1999: 140), sondern auch Vorreiter im Hinblick auf die AR-Technologie (vgl. Ahlers et al. 1995). Insbesondere die Forschungsgruppe ›User Interaction and Visualization‹ (UI&V) bildete den Ausgangspunkt für führende Forscher der AR-Technologie, wie beispielsweise Frau Professor Klinker von der TU-München, die von 1995 bis 1996 am ECRC forschte. Eine der Visionen, die im Rahmen des Projektes ›Collaborative Integrated Communications for Construction‹ (CICC) bearbeitet wurden, bestand in der Anwendung der AR-Technologie im Bereich der Stadtplanung. Das Projekt hatte sich die Erforschung sehr anwendungsnaher, pragmatischer Ansätze zum Ziel gesetzt, »which are closely related to the he requirements of rather realistic application pilots in the exterior construction« (Klinker/Stricker/Reiners 1998: 275). Mit Hilfe dieser Anwendungen sollten nicht nur Simulationen geplanter Bauten wie beispielsweise neuer Brücken bereits im Vorfeld in die reale Umgebung eingeblendet und so hinsichtlich ihrer praktischen und ästhetischen Funktion beurteilt werden, sondern auch mögliche Schatten oder Lichtreflektionen, die von dem neuen Bauwerk ausgehen würden, simuliert werden (vgl. Klinker/Stricker/Reiners 1998: 282f.). Man versprach sich von diesen Simulationen nicht nur Unterstützung in Planung und Design neuer Gebäude und Bauwerke, sondern auch 21
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Da das ECRC 1996 aufgelöst wurde und die Original-Internetseiten des ECRC nicht mehr zur Verfügung stehen, wurde an dieser Stelle auf eine Selbstbeschreibung des ECRC zurückgegriffen, die sich im Wortlaut übereinstimmend und unter Angabe der Kontaktdaten des ehemaligen ECR auf verschiedenen Informationsportalen findet (vgl. beispielsweise http://encyclopedia2. thefreedictionary.com/European+Computer-Industry+Research+Centre+GmbH, http://dictionary. reference.com/browse/european+computer-industry+research+centre+gmbh sowie http:// foldoc.org/European+Computer-Industry+Research+Centre+GmbH; Zugriff: 11.02.2014). Für den Quellennachweis vgl. vorangegangene Fußnote.
5. Fallstudie
ein verbessertes Marketing, da sich der Kunde mit Hilfe der Simulationen die geplanten Objekte in der Umgebung besser vorstellen kann (vgl. Klinker/Stricker/Reiners 1998: 281). Auch wenn diese Ideen und ihre Ausführungen bereits recht ausgereift klingen, darf nicht übersehen werden, dass es sich bei der Arbeit des ECRC um Pionierarbeit in Sachen Augmented Reality handelte, die Frau Professor Klinker wie folgt beschreibt: »wir wär’n da mehr so auf der akademischen Ebene gewesen, hab’n da quasi die Technologie hier im kleinen Kreis so weit zusammengefrimelt, dass sie jetzt plötzlich gezeigt werden kann an diesem einen Beispiel…« (IP-3, Turn 114), was jedoch noch fehlte, waren »eben die, die dann auch gut Sachen vermitteln können an potentielle Nutzer und das so übersetzen in eine Sprache, dass die Nutzer sagen: JA…« (IP-3, Turn 114). Während die Forscher im ECRC also in einer Praxis des ›Mangelns‹ (vgl. Pickering 1993) die technologischen Grundlagen entwickelten und die AR-Technologie zu diesem Zeitpunkt vorrangig die soziale Identität eines akademischen Nischen-Forschungsobjekts hatte, fehlten noch die Fürsprecher, welche die neue Technologie vermittelten und einen rhetorischen Raum schafften, innerhalb dessen sich die AR-Technologie entfalten konnte. Der Einsatz entsprechender Promotoren sollte allerdings nicht lange auf sich warten lassen. Im Jahr 1996 wurde das ECRC geschlossen, da sich einige Unternehmen aus der Finanzierung zurückzogen. In diesem Moment kamen das ›Zentrum für Graphische Datenverarbeitung‹ (ZGDV)23 sowie das ›Fraunhofer Institut für Graphische Datenverarbeitung‹ (IGD) und mit Ihnen Professor em. José Luis Encarnação, der 1987 das Fraunhofer IGD in Darmstadt gegründet hatte und ihm bis 2006 als Direktor vorstand, ins Spiel. Professor Encarnação sollte sich im Verlauf der weiteren Entwicklung der AR-Technologie neben dem Fachbereich Informatik an der UNC sowie der ›Defense Advanced Research Projects Agency‹ (DARPA) als einer ihrer wichtigsten Förderer und Promotoren insbesondere im deutschsprachigen Raum entpuppen. Er übernahm die Projekte des ECRC sowie einen Teil seiner Mitarbeiter und integrierte sie strategisch in das ZGDV sowie das IGD. Die Projektgruppe des ehemaligen ECRC in München – die nun nur noch aus Gudrun Klinker, Dirk Reiners und Didier Stricker bestand – arbeitete fortan als Außenstelle des Fraunhofer IGD in Form der ›FG Augmented Reality‹, die von Professor Stefan Müller (zum damaligen Zeitpunkt Leiter der Abteilung ›Visualisierung und Virtuelle Realität beim Fraunhofer‹ IGD) aufgebaut wurde. Die EUProjekte – darunter auch das bereits erwähnte CICC-Projekt, das nun von Gudrun Klinker geleitet wurde – wurden weiterhin von den o.g. Leuten in Kooperation von ZVGD, IGD und ECRC (aus der später die ECRC Network Services Gmbh hervorging) durchgeführt. Während das ECRC also die »Keimzelle« (IP-4, Turn 1) der Entwicklung der ARTechnologie in Deutschland war, wurde Professor Encarnação zu ihrem strategischen Promotor, der sich sowohl auf politischer Ebene in wichtigen Gremien beim ›Bundesministerium für Forschung und Entwicklung‹ (BMBF) sowie der Europäischen Union
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Bei dem ZGDV handelte es sich um einen 1984 von der TU Darmstadt in Kooperation mit unterschiedlichen Industriepartnern gegründeten gemeinnützigen Verein, der Forschungsaufträge übernahm. Im Jahr 2009 ging der Forschungsbereich des ZGDV an das Fraunhofer IGD über. Mittlerweile wurde das ZGDV in ›Zentrum für Foren in der graphischen Datenverarbeitung e.V.‹ umfirmiert.
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(EU), als auch auf Seiten der Industrie bei großen Unternehmen für die neue Technologie verwendete. Die soziale Identität der AR-Technologie verschob sich zunehmend von der ›Bastlerforschung‹ zu einer rhetorischen Identität, die aus Visionen und Zukunftsversprechen bestand. Der Körper der AR-Technologie hingegen – ihre Hard- und Software-Komponenten sowie ihr Design – schienen zu diesem Zeitpunkt zweitrangig und wenig identitätsrelevant zu sein. Insbesondere die guten Industriekontakte – Fraunhofer Institute finanzieren sich zu einem Großteil aus Industrieaufträgen24 und fungieren als Vermittler zwischen akademischen Partnern und Industrie – entlasteten und beschleunigten die Forschung erheblich, so dass die Forscher »jetzt viel mehr politische oder wissenschaftliche Power eigentlich mit dem ganzen IGD im Hintergrund« (IP-3, Turn 9) hatten. Mit der Anbindung an das Fraunhofer IGD verschob sich auch der Fokus der Anwendungsszenarien von dem Baugewerbe zunehmend in Richtung Industrieanwendungen. Vor allem die guten Beziehungen des IGD zur Automobilbranche führten dazu, dass sich die Forschung der AR-Technologie nun zunehmend an den Bedürfnissen der Automobilindustrie orientierte. Ein besonders entscheidendes Ereignis, das übereinstimmend als Durchbruch bewertet wird, stellte die ›Hannover-Messe Industrie‹ (HMI) im Jahr 1998 dar. In Zusammenarbeit mit dem Automobilhersteller BMW präsentierten die Mitarbeiter des ehemaligen ECRC zusammen mit Stefan Müller vom Fraunhofer IGD auf der Hannover-Messe die Demo-Version eines Head-Mounted Display-basierten AR-Systems, das potentielle Anwender bei dem Einbau eines Türschlosss in eine BMW-Autotür unterstützen sollte – eine Aufgabe, die üblicherweise einigen Planungsaufwand sowie Geschicklicheit erfordert (vgl. Reiners et al. 1998: 33). Auf einem durchlässigen Head-Mounted Display, welches die Sicht auf die reale Autotür ermöglicht, wurden dem Nutzer virtuelle Informationen eingeblendet, an welchen Stellen er die einzelnen Bauteile zu montieren hat, mit dem Ziel, auch ungeübten Anwendern den Einbau zu ermöglichen. Bei dieser Demonstration handelte es sich um die erste Präsention einer AR-Anwendung für ein weit gefächertes Publikum aus der Industrie in Deutschland (vgl. Reiners et al. 1998: 41). Interessierten Besuchern stand die Möglichkeit offen, das System auszuprobieren – ein Angebot, dem auch die damalige Bildungsministerin Edelgard Bulmahn nicht widerstehen konnte, wie einer der Beteiligten rückblickend beschreibt: Wir haben die technologischen Sachen gemacht und ich kann mich erinnern, dass wir die erste Tür-Demo Frau Buhlmann mal gezeigt haben, auf einer Pressekonferenz […], und sie wollte es auch dummerweise [schmunzelt] versuchen, und da hat sie gesehen, dass wir noch Forschungsbedarf haben [lacht] […] (IP-7, Turn 59). Zwar wurde die Demonstration des AR-Systems offenbar überwiegend positiv aufgenommen, allerdings wurde die der neuen Technologie zugeschriebene Identität als eine Anwendung, die es ermöglicht »to train and instruct personnel in novel ways that are more direct and more intuitive than written instructions or even electronic hypertext manuals (Reiners et al. 1998: 32) durch die von der Technik selbst ausgehenden Widerständigkeiten getrübt. Neben Problemen mit der Kallibrierung sowie dem Tracking
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URL: www.bmbf.de/de/231.php; Zugriff: 17.03.14
5. Fallstudie
stellten auch die Außengeräusche ein größeres Problem dar, als gedacht (vgl. Reiners et al. 1998: 42f.). Nichtsdestotrotz wurde die AR-Technologie, die im Rahmen der Demonstration einen neuen Körper erhalten und nun eng mit Anwendungen im Bereich der Montage verknüpft war, als eine für die Industrie vielversprechende, neue Technologie positioniert: »Industrial partners have been interested enough to start concrete project planning negotiations, so there seems to be a bright light on the horizon for industrial applications fo augmented reality« (Reiners et al. 1998: 43). Auch hier spielte Professor Encarnação eine entscheidende Rolle: Er nutzte die Hannover Messe nicht nur dazu, potentiellen Interessenten seine Geschichten und Visionen dieser neuen Technologie zu verkaufen, sondern kündigte auf der zuvor erwähnten Pressekonferenz auch zusammen mit Frau Bulmahn die Ausschreibung eines neuen Projekts an, das die Forschungslandschaft der AR-Technologie nicht nur in Deutschland entscheidend prägen sollte.
»Jetzt machen wir ARVIKA!«25 Bereits zuvor hatte Professor Encarnação in seiner Rolle als promise champion (vgl. Van Lente/Rip 1998a) beim ›Bundesministerium für Bildung und Forschung‹ (BMBF) den Schirmbegriff ›Mensch-Maschine-Interfaces‹ ins Spiel gebracht und schaffte damit einen rhetorischen Raum (rhetorical space; vgl. Van Lente/Rip 1998a), den das BMBF aufgriff und Ende 1997 einen Ideenwettbewerb zum Thema ›Mensch-Technik-Interaktion in der Wissensgesellschaft‹ ausschrieb. Auf diesen bewarben sich unter anderem das Fraunhofer IGD mit der eher anwendungsbezogenen Antragskizze ›AUGRE – Herstellung und Wartung komplexer technischer Geräte mit Augmented Reality Technologien‹ sowie das ›Institut für Arbeitswissenschaft‹ (IAW) der RWTH Aachen mit der primär technologisch ausgerichteten Skizze ›ASSIST – Multimodale Unterstützungssysteme für Facharbeiter der Zukunft‹. Beide Skizzen kamen in die engere Auswahl, und aufgrund der thematischen und inhaltlichen Berührungspunkte entstand in dem Gutachtergremium, in welchem unter anderem das ›Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V.‹ (DLR) mitwirkte, die Idee, beide Antragskizzen in einem Projekt zusammenzufassen, wobei die Industrie einen führenden Part übernehmen sollte (vgl. IP-5, 127). An dieser Stelle betrat ein weiterer wichtiger Spieler das Feld, nämlich die ›Siemens Automation and Drives‹ (A&D) in Nürnberg, die bis Ende 2007 einen Unternehmensbereich der Siemens AG darstellte und auf die verantwortliche Jury mit einem Vorschlag zur Zusammenfassung der Projekte zukam (vgl. IP-5, Turn 118 + 128). Am 02. März 1999 schließlich wurde das Projekt ›ARVIKA – Augmented Reality für Entwicklung, Produktion und Service‹ als Synthese beider Projektskizzen mit einer Laufzeit von vier Jahren (Juli 1999 bis Juni 2003) und einem Fördervolumen von 10,8 Mio. Euro bewilligt. Der Gesamtmitteleinsatz einschließlich der Eigenmittel der Industrie sollte nach Abschluss des nach einer schwedischen Stadt benannten Projekts26 mit 21,2 Mio. Euro (vgl. Fried-
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Diese Überschrift wurde einem Experteninterview mit Gudrun Klinker am 02.04.2008 entnommen (Turn 9). Nach Aussagen eines Interview-Experten entstand die Projektbezeichnung ARVIKA vor dem Hintergrund, dass in der Entstehungsphase zwei Projekte zusammengelegt werden sollten und ver-
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Die multiple Identität der Technik
rich 2004: 6) das ohnehin schon großzügige Fördervolumen allerdings noch bei weitem übersteigen. Getrieben von dem Anspruch, technologische Entwicklung mit einem konkreten Anwendungsbezug zu verbinden, kamen die beteiligten Projektpartner aus drei Kompetenzfeldern: 1. Forschung und Entwicklung (F&E), 2. Anwendung, 3. Systemintegration (vgl. hier und im Folgenden Friedrich 2004: 18). Während die Aufgabe der Projektpartner aus dem F&E-Bereich in der Entwicklung technologischer Lösungen sowie der Gestaltung benutzerzentrierter Systeme lag, stellten die Anwendungspartner »ihr eigenes, geschäftsspezifisches Arbeitsprozesswissen« (Friedrich 2004: 18) sowie »spezifische Testumgebungen bereit, in denen innovative AR-Lösungen unter systemtechnischen und marktwirtschaftlichen Perspektiven bewertet wurden« (Friedrich 2004: 18). Die Integrationspartner wiederum sorgten dafür, die erzielten Ergebnisse in »marktfähige, profitable Produkte bzw. Lösungen umzusetzen« (Friedrich 2004: 6). Konkret bestand das Konsortium aus den folgenden branchenspezifischen Projektpartnern, von denen 18 aus der Industrie sowie 5 aus dem Bereich Forschung und Entwicklung kamen (vgl. Friedrich 2004: 18): Automobilbau: Audi AG, BMW AG, DaimlerChrysler AG, Ford Werke GmbH, Volkswagen AG Flugzeugbau: Airbus Deutschland GmbH, EADS Deutschland GmbH Werkzeugmaschinenbau: DS Technologie, Ex-Cell-O GmbH, Gottlieb Gühring KG, Hüller Hille GmbH, INDEX Werke Anlagenbau: Framatome ANP GmbH Automatisierungstechnik: Siemens AG Systementwicklung und –integration, Gerätetechnik: Advanced Realtime Tracking GmbH (A.R.T.), Siemens AG, User Interface Design GmbH (UID), vrcom, Carl Zeiss Forschung & Entwicklung: Institut für Arbeitswissenschaft (IAW)/RWTH Aachen, Fraunhofer IGD/Darmstadt, TU München, Werkzeugmaschinenlabor (WZL)/RWTH Aachen, Zentrum für Graphische Datenverarbeitung (ZGDV)/Darmstadt Die Siemens AG A&D übernahm unter der Leitung von Wolfgang Friedrich das Projektmanagement und stellte somit das Bindeglied zwischen den Projektpartnern auf der einen sowie BMBF, DLR, Lenkungskreis und Beirat auf der anderen Seite dar. Entsprechend des Projektziels, nämlich der »benutzerzentrierte[n] und anwendungsgetriebene[n] Entwicklung von Augmented Reality-Technologien zur Unterstützung von Arbeitsprozessen in Entwicklung, Produktion und Service für komplexe technische Produkte und Anlagen« (Friedrich 2004: 13) wurden drei thematische Schwerpunkte gesetzt: 1. die Anforderungserhebung anhand von Szenarien, 2. die Erforschung von ARBasistechnologien sowie die prototypische Entwicklung von AR-Systemen und 3. die pilothafte Integration in die Wertschöpfungskette der beteiligten Unternehmen (vgl. Friedrich 2004: 13). Um dem Anspruch einer engen Zusammenarbeit von Industrie und
geblich ein entsprechendes Akronym zur Bezeichnung des neuen Gesamtprojekts gesucht wurde. Der Name ARVIKA soll schließlich aufgrund der Tatsache gewählt worden sein, dass ein am Projekt beteiligter Mitarbeiter des Fraunhofer Instituts seinen Urlaub in der schwedischen Stadt Arvika verbracht hat (vgl. IP-7, Turn 79).
5. Fallstudie
Forschung (vgl. Friedrich 2004: 20) gerecht zu werden, fanden die genannten Schwerpunkte in drei Feldern Anwendung: Erstens in der Entwicklung (Branchen: Automobil, Flugzeug), zweitens in der Produktion (Branchen: Automobil, Flugzeug) sowie drittens im Service (Branchen: Kraftwerk, Automobil, Flugzeug, Produktionsmaschinen). Durch die Positionierung der AR-Technologie zu den unterschiedlichen Teilbereichen wurden gleichzeitig die ›offiziellen‹ sozialen Teilidentitäten vorgegeben, welche die AR-Technologie im Rahmen des Projekts erhalten sollte. Man könnte beinahe von multiplen Identitäten sprechen, betrachtet man die Bandbreite der direkten Verwertungsinteressen, die auf Seiten der Industrie von der Verbesserung der Arbeitsprozesse (Automobilbereich), der Unterstützung »hochkomplexe[r] und sicherheitskritische[r] Montageprozesse« (Friedrich 2004: 25) (Flugzeugbau) über die Optimierung von Service und Dienstleistung (Werkzeugmaschinenbau), der Erleichterung von Wartung und Dokumentation (Anlagenbau) bis hin zur Erzielung von Fortschritten und neuen Erkenntnissen (Gerätehersteller) reicht, während die AR-Technologie für die F&EEinrichtungen wiederum primär ein interessantes, neues Forschungsobjekt darstellte. Das Spektrum der Bedeutungszuschreibungen spiegelte sich auch in unterschiedlichen Anwendungsszenarien wider, die zu Beginn des Projekts skizziert wurden. Denn vor allem anderen sollten bei der neuen Technologie »nicht die Anfangsfehler in der Erforschung der Virtuellen Realität wiederholt werden, indem zunächst Technologien entwickelt wurden und man sich danach auf die Suche nach Anwendungsgebieten machte (Hier ist die Lösung, hat jemand ein geeignetes Problem dafür?)« (Friedrich 2004: 5). Aus diesem Grund wurden zunächst für die unterschiedlichen Bereiche Anwendungsszenarien entwickelt, die als eine Art ›Skript‹ (vgl. Van Lente/Rip 1998a) fungierten. Hieraus wurden Spezifikationen für die weitere Projekt- und Entwicklungsarbeit abgeleitet, die den Projektpartnern im Folgenden als Agenden für die unterschiedlichen Bereiche dienten (vgl. IP-7, Turn 83). Neben diesen ›offiziellen‹ Bedeutungszuschreibungen und Positionierungen hatten die beteiligten Projektpartner aber noch ihre ganz eigenen, häufig unausgesprochenen Erwartungen an die neue, vielversprechende Technologie. Neben Forschungsinteressen auf Seite der F&E-Einrichtungen sowie der Suche nach Problemlösungen seitens der Anwender ging es auch um strategische Ziele, wie der Positionierung der neuen Technologie in unterschiedlichen Anwendungsbereichen, um Marktführung (insbesondere unter den Partnern aus der Automobilindustrie bestand offensichtlich die Sorge, der Konkurrenz zu viele Einblicke in die eigenen Unternehmens- und Forschungsprozesse zu liefern, vgl. IP-5, Turn 164) sowie um Prestige und Macht – was sich beispielsweise in der umkämpften Sicherung von Rechten sowie der Jagd nach Patenten widerspiegelte. Geeint wurden die vielschichtigen Teilidentitäten in Form unterschiedlichster Interessen und Bedeutungszuschreibungen durch die ›offizielle‹ Erwartung, dass »[d]urch ARTechnologie […] ein erheblicher Effektivitäts-, Produktivitäts- und Flexibilitätsgewinn für die Arbeitsprozesse in den Anwenderunternehmen zu erwarten [ist]« (Friedrich 2004: 25). Auf einer übergeordneten Ebene hegte man darüber hinaus die Hoffnung, »dass sich der Markt für AR-Technologien von einer sehr spezialisierten Sichtweise (z.B. militärische Anwendung) hin zu einem offenen Markt mit breiten Anwendungsfeldern für Industrie und Verbraucher entwickelt« (Friedrich 2004: 23). Die »große Vision« war bei allen dieselbe: »Ich habe eine Brille, ich steh’ vor der Maschine und ich sehe auto-
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matisch alles – eh – was ich tun muss. Also das war, was alle, was jeden motiviert hat« (IP-7, Turn 153). Wie aber sah neben den ganzen Bedeutungszuschreibungen und Erwartungen nun der Körper dieser neuen Technologie aus? Relativ unstrittig war offenbar das der neuen Technologie inhärente Technisierungsschema – hier handelte es sich gemäß der bereits erwähnten, gängigen Definitionen der AR-Technologie um die Überlagerung der realen Welt mit virtuellen Informationen. Wie sich dies jedoch konkret umsetzen ließ und welche Materialien und Designs sich dafür am besten eigneten, war hingegen offenbar alles andere als eindeutig. Besonders interessant ist ein Blick auf die symbolischen Repräsentationen, mit deren Hilfe der noch im Entstehen begriffenen Technologie ein Körper verliehen wurde und die im Laufe der Entwicklungs- und Projektgeschichte für interessante Wendepunkte sorgten. Bereits zu Anfang des Projekts wurde die neue Technologie durch eine futuristisch anmutende Abbildung symbolisch repräsentiert, die sich quasi als Logo auf den Internetseiten von ARVIKA sowie in ähnlicher Form auch noch am Ende auf der Titelseite des Abschlussbandes fand (vgl. Abb. 14).
Abbildung 14: Symbolische Repräsentation der AR-Technologie im Rahmen des ARVIKA-Projekts
(Friedrich 2004)
Mit dieser Darstellung wurde bereits zu Beginn des Projekts die Augmented Reality als moderne, zukunftsorientierte Erfolgstechnologie positioniert – wer auf ihrer Seite stand, befand sich ganz offensichtlich auf der Seite der Zukunft. Zugleich repräsentiert die Darstellung bereits den angestrebten Körper der neuen Technologie in Form eines Head-Mounted Displays – einen Körper, den bereits die Vorläufer der AR-Technologie in ähnlicher Form antizipiert hatten (vgl. beispielsweise das Electrocular von Hughes Aircraft oder das Head-Mounted Display von Ivan Sutherland) und der der neuen Technologie später beinah zum Verhängnis werden sollte. Im Laufe des Projekts folgten diverse Mock-ups, in denen die AR-Technologie verkörpert wurde und die der Repräsentation der geplanten Technologie dienten. Besonders eindrucksvoll war schließlich offenbar die symbolische Repräsentation in Form des sogenannten ›Siemens-Koffers‹.
5. Fallstudie
Hierbei handelte es sich um einen ca. 10 kg schweren und 46 x 36 x 17cm großen Koffer, in dem sich der Frequenzumrichter Micromaster 420 von Siemens befand. Mit Hilfe der AR-Technologie sollten die Nutzer in der Konfiguration dieses Gerätes geschult werden. Der innerhalb des ersten Projektjahres entwickelte Siemens-Koffer diente als Testobjekt sowie zu Demonstrationszwecken und war dabei so erfolgreich, dass er die geplante Technologie nicht nur nach außen repräsentierte, sondern auch noch zweifelnde Projektpartner innerhalb ARVIKAS überzeugte, für die die Augmented Reality zuvor allenfalls ein nettes Add-on war und die nach der Demonstration mit dem SiemensKoffer die AR-Technologie in den Mittelpunkt ihres Forschungsinteresses rückten (vgl. IP-7, Turn 83 + 85). Trotz dieses frühen Erfolges sollte sich die Entwicklung des technischen Körpers der AR-Technologie alles andere als einfach gestalten. Stattdessen entwickelte sich ein mühsamer Prozess, in dessen Verlauf Material, Design und Funktionsprinzip der Technologie auf der einen sowie die Bedeutungszuschreibungen seitens der Projektpartner auf der anderen Seite wechselseitig ›in die Mangel‹ (vgl. Pickering 1993) genommen wurden. Auf ›körperlicher‹ Ebene zeichneten sich vor allem drei Problembereiche ab, die hier nur in Ansätzen und ohne Berücksichtigung ihrer eigentlichen Komplexität angerissen werden können: 1. die Hardware, 2. das Tracking sowie 3. die Inhaltsgenerierung und Wissensbereitstellung. So beschrieb im Bereich der Hardware ein Interviewpartner den Einsatz der Geräte als »zusammengeschustert« (vgl. IP-9, Turn 6). Die zur Projektlaufzeit erhältlichen Computer verfügten nicht über ausreichend Rechnerkapazität, um die aufwendigen Berechnungen durchzuführen. Darüber hinaus waren tragbare Computer (Wearables) weder verbreitet noch technisch ausgereift, was insbesondere den mobilen Einsatz im Servicebereich vor große Probleme stellte. Vor allem aber die Displays zusammen mit der Kamera stellten die Entwickler vor große Herausforderungen. Bereits an anderer Stelle wurde auf die Gleichsetzung der AR-Technologie als Display-Technologie hingewiesen. Auch im Rahmen von ARVIKA wurde auf HeadMounted Displays zurückgegriffen, die fortan die Identität der neuen Technologie entscheidend mitbestimmten sollten. Da es kein integriertes Kamera-Display-System gab, wurde zunächst eine Kamera auf einem Bauhelm befestigt und das Display separat getragen. Diese Konstellation wies offenbar weniger Ähnlichkeit mit der in Abbildung 14 dargstellten, futuristischen symbolischen Repräsentation auf, sondern weckte mehr die von Mizell beschriebenen Cyborg-Assoziationen (vgl. Mizell 2001). Es überrascht nicht, dass es sich hierbei um keine tragfähige Lösung handelte. Die Versuche der Projektpartner, die Industrie von der Entwicklung eines geeigneten AR-Systems zu überzeugen, scheiterte an dem ›Henne-Ei-Problem‹: Die Firmen wollten wissen, welche Stückzahlen geplant waren, bevor sie die Kosten für das zu entwickelnde AR-System nennen könnten. Die Projektpartner von ARVIKA wiederum konnten keine Stückzahlen nennen, da ohne Prototyp keine Usability-Tests gemacht werden und dementsprechend die Stückzahlen nicht ermittelt werden konnten (vgl. IP-9, Turn 6). Schließlich fand sich eine Firma, die eigentlich Nachtsichtgeräte herstellte und auf dieser Basis einen Prototypen konstruierte, der im Interview wie folgt beschrieben wurde: Das ist so eine Brille, die hat eine Kamera vorne und ein paar starke Infrarot-LEDS, und die hat man aufgesetzt, und man sieht durch die Displays […] praktisch die Realität
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in diesem Display. Und man ist blind damit, man sollte es jetzt nicht aufsetzen und durch die Gegend laufen – wenn da ein paar Säulen in der Nähe sind […]. [D]ie haben damals gesagt: ›O.K., wir nehmen DIESES Display, und wir bauen’s einfach um…, ja, …und machen daraus ein AR-SYSTEM.‹ Sie haben da eine Kamera plaziert […] und ein Mikrofon eingebaut! Und das Mikrofon war eigentlich plaziert am Nasenbein, das heißt, wenn man spricht, dann wird man aufgenommen von dieser Brille, man hat kein Mikrofon oder so vor dem Auge, sondern nur diese Brille. […]. Und da haben wir gesagt: ›O.K., das ist eine super Firma! Das ist die erste Firma, die uns verstanden hat!‹ (IP-9, 6). Hierbei handelte es sich um sogenanntes Video-See-Through Display (VST), das mit Hilfe von Kameras die Arbeitsumgebung aufnimmt und dem Nutzer zusammen mit den virtuellen Informationen in das Display einblendet. An dieser Stelle ist interessant, dass es sich bei dieser technischen Realisierung gar nicht um Augmented Reality im engeren Sinne (beispielsweise nach der Definition von Azuma) handelt – ein Film stellt allenfalls eine Abbildung der Realität dar, nicht aber die Realität selbst. Dennoch wurde auch diese Realisierung als Augmented Reality positioniert und erhielt eine entsprechende soziale Identität. Allerdings war die Arbeit mit dem Video-See-Through Display ermüdend und verursachte Kopfschmerzen sowie Irritationen, da ein Teil des Sichtfeldes (beispielsweise ein Auge) durch die Videoprojektion verdeckt und somit in diesem Bereich kein direkter Blick auf die Realität möglich war: »[D]as eine Auge sieht die Welt ganz normal, das andere Auge […], zum Beispiel das linke, sieht etwas, was das rechte nicht sieht, und auch noch VERKLEINERT. Also es ist eine Mehrdeutigkeit, die verwirrend ist für’s Gehirn« (IP-9, Turn 2). Aus diesem Grund wandte man sich halbdurchlässigen OpticalSee-Through Displays (OST) zu, bei denen die reale Umgebung durch halbdurchlässige Spiegel, in welche auch die virtuellen Informationen eingeblendet wurden, unmittelbar wahrgenommen werden konnte. Eine andere Alternative bestand darin, mit Hilfe eines Virtual-Retina Displays die virtuellen Bildinformationen direkt auf die menschliche Netzhaut zu projizieren. Mit dieser Umorientierung hinsichtlich des Körpers der AR-Technologie ging auch ein Bedeutungswandel im Hinblick auf die neue Technologie einher, denn fortan galt nur die Arbeit im Optical-See-Through-Modus als »RICHTIGE Augmented Reality. Das RICHTIGE Augmented Reality ist, wenn man See-Through arbeitet, alles andere Käse« (IP-9, Turn 2). Problemlos waren aber auch die Optical-SeeThrough Displays nicht, denn nun gab es Probleme mit der See-Through-Kalibrierung, vereinfacht gesagt also mit der Größenabstimmung zwischen der Realität und auf dem Display erscheinenden Elementen. Abgesehen davon, dass nicht alle Nutzer von dem Gedanken angetan waren, dass ihnen mittels Laser die virtuellen Informationen direkt auf die Netzhaut projiziert werden und insbesondere die Laser-Displays überaus teuer waren, waren die Displays nach wie vor recht klobig und vor allem schwer, so dass kein Arbeiter sie mehrere Stunden am Tag hätte tragen können (vgl. IP-9, Turn 6). Ein ähnlicher Wandel war im Hinblick auf die Positionsbestimmung der Objekte in der Umgebung sowie des Nutzers selbst, dem sogenannten Tracking, zu beobachten, welches für die exakte Einblendung der virtuellen Elemente in Abhängigkeit von der Perspektive des Nutzers in die Umgebung unabdingbar war. Zu diesem Zweck wurde zunächst auf ein Tracking mit Hilfe von Markern zurückgegriffen. Hierbei handelt
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es sich um spezielle Bildmarker, die auf Papier gedruckt in der Umgebung befestigt und von dem AR-System erkannt werden. Schnell wurde jedoch klar, dass das Kleben von Markern insbesondere im industriellen Kontext keine brauchbare Lösung darstellte: Abgesehen davon, dass es nicht möglich war, eine komplette Produktion mit Markern zu versehen, konnten diese auch verschmutzen oder herunterfallen. Folglich zeichnete sich neben dem Wechsel von Video-See-Through hin zu Optical-See-Through Displays nun ein weiterer Wechsel von Marker-basiertem hin zu Marker-losem Tracking ab. Stattdessen wurden nun sogenannte ›Feature‹, also Eigenschaften aus der Umgebung selbst zur Positionierung genutzt. Dies jedoch stellte die Entwickler vor neue Probleme, denn um eindeutig identifiziert werden zu können, mussten diese Eigenschaften unverwechselbar sein und durften sich nicht wiederholen – Bedingungen, die in Arbeitsumgebungen oder im Outdoor-Bereich nur selten gegeben sind. Ein dritter, zunächst offenbar unterschätzter Problembereich stellte die Bereitstellung und Strukturierung der Inhalte (Authoring) für die AR-Technologie dar. Eine der Visionen bestand beispielsweise darin, dass Service-Mitarbeiter künftig keine umfassenden technischen Dokumentationen mehr lesen müssen, um Reparatur- und Instandhaltungstätigkeiten auszuführen, sondern mit Hilfe der AR-Technologie kontextabhängig angeleitet werden. Ähnlich wie bei den Vorläufern der AR-Technologie sollte auch hier der Mensch im Vordergrund stehen und seine Fähigkeiten mit Hilfe der neuen Technologie erweitert werden.27 Um dieses Szenario zu realisieren, mussten die entsprechenden Informationen aber zum einen in dem System hinterlegt und zum anderen musste sichergestellt werden, dass sie auch schnell in Abhängigkeit von der vorliegenden Situation und in Reaktion auf die Interaktion des Nutzers abgerufen werden können. Mit anderen Worten: Alle Informationen, die sich zuvor in »zwei Meter Order[n], die neben der Maschine [stehen]« (IP-9, Turn 6), befanden, mussten nun aufbereitet und strukturiert in das AR-System eingespeist werden, um »wirklich in DEM Augenblick […] sehr, sehr schnell raus[zu]kommen, und nur der Abschnitt, der gebraucht wird« (IP-9, Turn 6). Hierbei handelte es sich um einen Aufgabenkomplex, der im Rahmen von ARVIKA nicht zufriedenstellend bearbeitet werden konnte und daher in dem 2008 gestarteten Folgeprojekt AVILUSplus einen eigenen Themenschwerpunkt darstellte.28 Mit den körperlichen Wandlungen in diesem Prozess des wechselseitigen ›Mangelns‹ änderten sich auch die Bedeutungszuschreibungen der AR-Technologie seitens der Projektpartner: Die Vision der vielversprechenden Zukunftstechnologie, welche im Produktions-, Entwicklungs- und Servicebereich quasi die Fachkompetenz der Arbeiter ersetzt und es auch einem Ungelernten ermöglicht, komplexe Wartungs- und Installationsarbeiten durchzuführen, ließ sich am Ende von ARVIKA so nicht mehr halten. Stattdessen schien die technologische Basis ständig hinter den Erwartungen und Visionen zurück zu bleiben. Entsprechend kommt das AVIKA-Konsortium in dem publizierten
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Zu diesem Zeitpunkt offenbar wenig beachtet war der Umstand, dass die Bereitstellung von Informationen seitens der AR-Technologie menschliche Fähigkeiten nicht nur unterstützt und erweitert, sondern auch zu einer Entwertung der Kompetenzen, beispielsweise von Facharbeitern, führt und diese unter Umständen überflüssig und ersetzbar werden. Vgl. www.avilusplus.de/themen.html, Zugriff: 15.04.14.
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Abschlussbericht zu dem Fazit: »Verschiedene Problemfelder wurden erkannt und untersucht. Mittelfristig besteht Aussicht auf eine Lösung der gravierendsten Probleme, die bisher einen Durchbruch auf dem Markt verhinderten« (Friedrich 2004: 25). Bedeutungslos war ARVIKA aber keineswegs. Neben insgesamt 37 Patentanmeldungen (vgl. Friedrich 2004: 6) hatte das Projekt einen enormen Einfluss auf die Etablierung der Augmented Reality vor allem in der Industrie. Zum einen verstanden Vertreter unterschiedlicher Industriebereiche nun erstmalig, worum es sich bei der neuen Technologie handelte und welches Potential sie barg, zum anderen stellte ARVIKA aber auch für die Projektpartner selbst einen großen Sprung dar – insbesondere für die Vertreter aus den mittelständischen Unternehmen, was ein Interviewpartner folgendermaßen formulierte: In der ganzen Firma hatten nur Schlüsselpersonen eine Email-Adresse […]. Also, das ist für DIE ein WAHNSINNIGER SPRUNG! Also, als wenn man Fahrrad fährt sein ganzes Leben, und dann kriegt [man] praktisch die Schlüssel eines Porsches oder so was in die Hand gedrückt, also das ist schon ’n wahnsinniger Sprung für die (IP-9, Turn 2). Fasst man die Einschätzungen der befragten Projektpartner zusammen, so wird ARVIKA von ihnen in technologischer Hinsicht zwar durchaus kritisch betrachtet, hinsichtlich des strategischen Einflusses nicht nur im europäischen Raum, sondern auch darüber hinaus jedoch als überaus erfolgreich beschrieben. Schienen im Hinblick auf die soziale Identität der AR-Technologie zunächst unzählige Anwendungen möglich zu sein, trug ARVIKA maßgeblich dazu bei, dass sich die Anwendungsszenarien in den folgenden Jahren zu einem großen Teil auf den industriellen Kontext konzentrierten, wenngleich auch nicht ausschließlich darauf beschränkten.
Die Konferenzen (ab 1998) Im Jahr 1998 – dem Jahr, in dem auf der Industriemesse in Hannover die erste ARAnwendung einem breiten Publikum präsentiert wurde und ein Jahr, bevor das Projekt ARVIKA startete – kam noch ein weiterer, wichtiger Impuls, der zur Etablierung eines internationalen technologischen Felds der AR-Technologie maßgeblich beitragen sollte. Im Oktober 1998 fand auf Initiative von Reinhold Behringer, Gudrun Klinker und David W. Mizell der erste ›International Workshop on Augmented Reality‹ (IWAR) in San Francisco statt (vgl. Behringer/Klinker/Mizell 1998). Zuvor waren die Forscher und Entwickler um die AR-Technologie auf Konferenzen aus angrenzenden Disziplinen angewiesen, um ihre Ergebnisse zu präsentieren. Mit der IWAR stand ihnen nun erstmalig ein eigener Workshop zur Verfügung, der eine »platform for the exchange of research results and an opportunity for the AR researchers to form a community« (Behringer/Klinker/Mizell 1998: xii) zur Verfügung stellte. Notwendig war die Etablierung einer eigenen Konferenz nach Meinung der Veranstalter aufgrund der ständig wachsenden AR-Community geworden. Entsprechend euphorisch wurde die neue Technologie dann auch in der Einleitung zu den Proceedings der ersten IWAR-Konferenz als eine interdisziplinäre Technologie, die dennoch mehr war als a simple integration of existing technologies, however, although several techniques of various research fields, such as computer vision, virtual reality, sound, AI, and er-
5. Fallstudie
gonomics, are integrated into AR applications, AR has generated a few new research areas – for example, affine projection (Behringer/Klinker/Mizell 1998: xii). Erwartet wurde, dass die besonderen Anforderungen der AR-Technologie wie beispielsweise das Tracking oder die Interaktion zwischen den Nutzern und Objekten »trigger new research efforts in those ›integration‹ fields, greatly expanding the scope of those fields« (Behringer/Klinker/Mizell 1998: xii). Die Themengebiete der Konferenz lasen sich indes noch recht konservativ und orientierten sich primär an den technischen und Anwendungs-bezogenen Problemstellungen der neuen Technologie: 1. Applications of Augmented Reality […] 2. AR applications and novel user interface paradigms […] 3. Registration through Computer Vision […] 4. Registration for AR […] (Behringer/Klinker/Mizell 1998: xiv). Fand diese erste Konferenz in Zusammenarbeit mit der elften Konferenz für ›User Interface Software and Technology‹ (UIST 98) statt (vgl. Behringer/Klinker/Mizell 1998: v), so arbeitete die IWAR ein Jahr später mit dem dritten ›International Symposium on Wearable Computing‹ (ISCW) zusammen (vgl. IEEE Computer Society 1999c), eine Kombination, die es den Teilnehmern nach Aussage der Veranstalter ermöglichte, sich über Themenfelder in den Nachbarschaftsdisziplinen zu informieren (vgl. IEEE Computer Society 1999b: vii). Es darf allerdings vermutet werden, dass auch der Einfluss der Partner-Konferenzen eine nicht unbedeutende Rolle spielte – im Gegensatz zur IWAR handelte es sich zumindest bei der UIST um eine langjährig etablierte und erfolgreiche Größe in der Forscher- und Entwicklergemeinde, so dass mit zahlreichen Teilnehmern gerechnet werden durfte. Im Jahr 2000, dem dritten Jahr der AR-Konferenz, wurde der Workshop in ein Symposium ›aufgewertet‹ und firmierte fortan unter ›International Symposium on Augmented Reality‹ (ISAR) (vgl. IEEE Computer Society 2000: viii). Der Veranstaltungsort wurde zur Unterstreichung des internationalen Charakters nach Europa, genauer genommen in das für die Entwicklung der AR-Technologie so bedeutsame München, verlagert (vgl. IEEE Computer Society 2000: viii). Noch immer standen die bereits bekannten Themen wie Kalibrierung und Video-basierte Technologien im Fokus des Interesses, allerdings ließ sich nun auch die Entwicklung mobiler und tragbarer AR-Konfigurationen sowie die Entstehung von »exiting new HMD technologies« (IEEE Computer Society 2000: ISAR 2000: viii) beobachten. Dieser Trend und der damit einhergehende Wandel in den sozialen (Teil-)Identitäten sowie der materiell-konzeptionellen Identität der neuen Technologie sollte sich auch in den darauf folgenden Jahren ungebrochen fortsetzen (vgl. IEEE Computer Society 2000; 2001; 2002; 2003b; 2004; 2005; 2006; 2007; Livingston/Bimber/Saito 2008; Klinger/Saito/Höllerer 2009; Höllerer/Lepetit/Park 2010). Weitere zwei Jahre später wurde die ISAR mit dem 1999 ins Leben gerufenen japanischen ›International Symposium on Mixed Reality‹ (ISMR) (vgl. Ohta/Tamura 1999)zusammengelegt und nannte sich fortan ›International Symposium on Mixed and Augmented Reality‹ (ISMAR) (vgl. IEEE Computer Society 2002). Ein weiteres Mal wurde es in Deutschland abgehalten – diesmal am Standort des Fraunhofer IGD in Darm-
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stadt – und in diesem Zusammenhang fand auch das Projekt ARVIKA als »probably the largest national R&-D activity in the AR field« (IEEE Computer Society 2002: x) Erwähnung. Von nun an handelte es sich nicht mehr um eine reine AR-Konferenz, sondern stattdessen fanden auch alle anderen Technologien, die sich dem Bereich Mixed Reality zuordnen ließen, Beachtung: By its very nature, MR and AR are highly interdisciplinary fields involving signal processing, computer vision, computer graphics, user interfaces, human factors, wearable computing, mobile computing, computer networks, distributed computing, information access, information visualization, and hardware design for new displays and sensors, MR/AR concepts are applicable to a wide range of applications (IEEE Computer Society 2002: x). Wiederum wurden einmal mehr der interdisziplinäre Charakter der Augmented Reality und nun auch der Mixed Reality herausgestellt, sowie die Bedeutung einer nun mehr »maturing conference« als Möglichkeit für Wissensschaft und Industrie, sich in einer »informal atmosphere« (IEEE Computer Society 2002: x) zu treffen, betont. In den folgenden Jahren sollten sich die Konferenzen als ›International Symposium on Mixed and Augmented Reality‹ (ISMAR) etablieren und zu einem jährlichen Anlaufpunkt für die Akteure im Feld der Augmented Reality werden. Sie stellte vor allem einen Ort für die narrative Identitätsarbeit bereit, im Rahmen dessen die sozialen Bedeutungen der neuen Technologie ausgehandelt wurden. Indem die Konferenzen die Erwartungen und Ambitionen der beteiligten Akteure bündelten, bildeten sich geteilte Erwartungen und Forschungsschwerpunkte heraus, die im Sinne Van Lentes und Rip als Agenden mit Spezifikationen für die weitere Entwicklungsarbeit fungierten (vgl. Van Lente/Rip 1998a: 240). Auf Basis dieser Agenden schärfte sich nicht nur der Körper der AR-Technologie in Form unterschiedlicher technologischer Realisierungen, sondern auch ihre soziale Identität in Form von Teilidentitäten für unterschiedliche Anwendungsfelder.
5.2.4.
›Hop‹: »Iii, ist das alles?« (2004 – 2008)29 [D]as Neue ist selten das Gute; weil das Gute nur kurze Zeit das Neue ist. Arthur Schopenhauer30
Betrachtet man den bisherigen Verlauf der AR-Technologie unter Berücksichtigung ihrer Identitätskonstitution, so klang bis zu diesem Zeitpunkt alles sehr vielversprechend, fast wie aus dem Lehrbuch: Mit der Prägung des Begriffs Augmented Reality wurde zunächst ein Schirmbegriff geschaffen, der im Folgenden die weiteren Forschungsbemühungen umspannte. Die Definitionen von Azuma und Mizell fungierten hierbei als biographische Kernnarrationen. Sie definierten den gemeinsamen Bezugspunkt der Forschungen und verliehen der vorläufigen Identität der AR-Technologie Kontinuität und
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Zitat aus einem Experteninterview (IP-4, Turn 1). Schopenhauer 1991:447
5. Fallstudie
Kohärenz. Mit dem Boeing-Projekt begann die Identitätsarbeit der neuen Technologie, erste symbolische Repräsentationen in Form von Graphiken und Anwendungsskizzen wurden geschaffen und unter anderem dazu genutzt, Geldgeber für die Finanzierung der Forschung zu finden. Auf internationaler Ebene stellte die Entwicklung des ARToolkits eine wichtige Statuspassage dar, die den Zugang zu weiteren Forschungsaktivitäten erleichterte. Vor allem im deutschsprachigen Raum fungierte Professor Encarnação als Fürsprecher und Promoter im Sinne von Van Lente und Rip (1998a+b) und eröffnete in seiner Funktion als Gründer und Leiter des ›Zentrums für Graphische Datenverarbeitung‹ (ZDGV) sowie des ›Fraunhofer Instituts für Graphische Datenverarbeitung‹ (IGD) einen rhetorischen Raum, in welchem er seine Geschichten, Visionen, Versprechen und Szenarien vermarktete. Weitere Statuspassagen wie beispielsweise die HannoverMesse im Jahr 1998 sowie symbolische Repräsentationen wie die Demonstration einer Türschlossmontage mit Hilfe der AR-Technologie stabilisierten diesen Raum. Neben weiteren Projekten wie ARVIKA, im Zuge dessen die Identitätsarbeit voran getrieben wurde, verhalfen auch die ab 1998 stattfindenden Konferenzen der neuen Technologie zu einer stabilen Zuhörerschaft, die ihre Erwartungen formulierte, teilte und Allianzen zur Verfolgung ihrer Strategien bildete, so dass sich im Folgenden Agenden mit Spezifikationen für die durchaus optimistische weitere Forschung herausbildeten, zu denen sich die Akteure des technologischen Felds positionierten. Soziale Teilidentitäten in Form verschiedener Anwendungsszenarien kristallisierten sich heraus und die ›körperlichen‹ Herausforderungen der neuen Technologie in Form einer materiellen Basis schienen trotz erster erkennbarer Widerständigkeiten lösbar, zumal mit den biographischen Kernnarrationen in Form der von Azuma und Mizell vorgegebenen Definitionen das Technisierungsschema klar zu sein schien. Trotz unterschiedlicher sozialer Teilidentitäten in Gestalt verschiedener Anwendungsszenarien etablierte sich die ARTechnologie neben potentieller Anwendungen im medizinischen Bereich vor allem als eine Technologie mit industriellem Anwendungsbezug. Würde man die Geschichte der Augmented Reality an dieser Stelle beenden, könnte man wohl von einer Erfolgsgeschichte sprechen, die alle Beteiligten hoffnungsvoll in die Zukunft blicken ließ. Aber dann entwickelte sich alles anders: In den nächsten Jahren waren keine weiteren Erfolge zu verbuchen, die Entwicklungs- und Forschungsgemeinschaft um die AR-Technologie wirkte desillusioniert, Anwendungen kamen nicht zum Einsatz und man suchte vergeblich nach einer Killer-Applikation, die der neuen Technologie zum erwünschten Durchbruch verhelfen sollte. Zwar folgten auf ARVIKA noch neue Projekte, diese wurden jedoch nicht mehr mit der gleichen Euphorie durchgeführt. Überblickt man die Jahre 2004 bis 2009, so zeigt sich insgesamt deutlich weniger Fortschritt in Entwicklung und Durchsetzung der neuen Technologie als in den Jahren zuvor, und auch die Begeisterung innerhalb der mit der AR-Technologie befassten Gemeinschaft schien abgekühlt: »Man ist vorsichtig mit dem ›Wir sind hier und gleich geht’s los und das Potential ist riesig!‹ Sondern man ist sich eher der Probleme bewusst und arbeitet problemorientiert, anwendungsbezogen natürlich, und redet halt eher über Probleme […]« (IP-4, Turn 49). Was war passiert? Während sich in den ersten Jahren die soziale Identität der ARTechnologie ziemlich erfolgreich vor allem als Industrie-Anwendung und – in etwas geringerem Ausmaß – auch im medizinischen Bereich herausgebildet und manifestiert
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hatte, schienen sich in den darauf folgenden Jahren vornehmlich ihre Widerständigkeiten zu zeigen – und zwar in einer Dimension, die nicht mehr ohne weiteres durch die von Pickering beschriebenen wechselseitigen Anpassungsprozesse des ›Mangelns‹ zu bewältigen war. Kurzum: die AR-Technologie wollte einfach nicht das sein, was sie seitens der beteiligten Forscher, Entwickler und Anwender sein sollte. Stattdessen zeichnete sich im Folgenden ein eher heterogener Verlauf ab, was sich in den Forschungsarbeiten und Projekten, aber auch auf den erwähnten Konferenzen widerspiegelte. Um die Gründe für diese Stagnation in der Entwicklung der neuen Technologie näher zu ergründen, bietet es sich an, sich die einzelnen Elemente des identitätskonstituierenden Aushandlungsprozesses – allen voran den Anteil der Technik selbst sowie die an die Technik herangetragenen Erwartungen – noch einmal näher anzuschauen.
Wenn Technik streikt – der technische Körper und seine Eigenschaften Ein Grund für die stagnierende Entwicklung scheint in der Technik selbst begründet zu sein. Um zu verstehen, wie die Technik selbst ihre materiell-konzeptuelle Identität – beispielsweise in Form von Widerständigkeiten, aber auch Optionen – mitgestaltet, lohnt es sich, zunächst einen Blick auf den Körper der Technik zu werfen, der zwar nicht mit den Eigenschaften der Technik gleichgesetzt werden kann, diese jedoch maßgeblich mitbestimmt. Wie also sah der Körper der AR-Technologie zu Beginn ihrer Entwicklung aus und wovon sprechen wir in den Jahren 2004 bis 2009 – den Jahren also, in denen die Entwicklung der neuen Technologie auf einmal stagnierte? Wie zuvor in Kapitel 3.1.2 ausgeführt, lässt sich der Körper der Technik anhand seiner Materialien, seines Designs sowie des ihm inhärenten Technisierungsschemas beschreiben. Ausgehend von dem seit den Anfängen der AR-Technologie weitgehend gleich gebliebenem Technisierungsschema der Überlagerung realer Welten mit virtuellen Informationen war für die Konfiguration eines AR-Systems – vereinfacht dargestellt – ein Rechner nötig, der über eine ausreichende Leistung verfügte, ein Eingabemedium (beispielsweise eine Kamera) für die Aufnahme der Realität, Sensoren zur Positionsbestimmung, ein Ausgabemedium, auf dem die überlagerten Informationen dargestellt werden konnten sowie diverse Software-Prozesse, welche die Positionsbestimmung der Objekte in der Umgebung (Tracking), die Abstimmung der Größe der realen und virtuellen Elemente (Kalibrierung) sowie die korrekte Überlagerung virtueller und realer Objekte selbst (Registration) ermöglichten. Während ein großer Teil dieser Hardund Software-Elemente eher beiläufig als Enabling-Technologien31 zum Einsatz kam und weitgehend im Hintergrund blieb, erlangten vor allem das Display als Ausgabemedium sowie das Tracking eine herausragende Bedeutung, so dass die AR-Technologie oft auch synonym als Display- oder Tracking-Technologie bezeichnet wurde (vgl. bspw. Caudell/Mizell 1992). Blickt man auf die Anfänge der AR-Technologie zurück und betrachtet ihre symbolischen Repräsentationen sowie prototypischen Umsetzungen, so fällt auf, dass sich zwar die Materialien des technischen Körpers geändert haben, die grundlegende Design-Idee des Ausgabemediums (nämlich die Verwendung eines am Kopf befestigten Displays) – 31
Bei Enabling-Technologien handelt es sich um Technologien, welche in Kombination mit anderen Technologien eine bestimmte Funktionsweise erst ermöglichen.
5. Fallstudie
abgesehen von Unterschieden in der faktischen Ausgestaltung des Designs – aber gleich geblieben ist (Abbildung 15 zeigt die zuvor beschriebenen Prototypen und Repräsentationen im direkten Vergleich).
Abbildung 15: Symbolische Repräsentationen und Prototypen der AR-Technologie von 1968 bis 200: (links) Prototyp nach Sutherland (Sutherland 1968: 760); (mitte) Symbolische Repräsentation nach Caudell und Mizell (Caudell/Mizell 1992: 663); (rechts) Symbolische Repräsentation im Rahmen des ARVIKA-Projekts (Friedrich 2004 )
Zwar hatten sich – wie unter anderem die Arbeit im Rahmen des ARVIKA-Projekts zeigt – die Funktionsprinzipien der Displays geändert: Aus dem Video-basierten VideoSee-Through Display war zunächst ein halbdurchlässiges Optical-See-Through Display und schließlich ein Virtual-Retina-Display geworden, das nun auch die menschliche Netzhaut als Projektionsfläche mit einbezog. Die grundlegende Idee jedoch war gleich geblieben: In 35 Jahren Forschung und Entwicklung galt immer noch das HMD, also das am Kopf befestigte Display, als das angestrebte Medium, um Ausschnitte der realen Welt mit virtuellen Informationen zu überlagern. Das Tracking stellte ebenfalls nach wie vor ein zentrales Element dar – allerdings hatte es sich mittlerweile von einem Marker-basierten zu einem Marker-losen Tracking weiterentwickelt. Interessanterweise waren – ähnlich wie schon in den 1990er Jahren bei Caudell und Mizell – auch viele Gesamtsysteme immer noch in weiten Teilen von Forschung und Entwicklung auf Industrieanwendungen (hier v.a. Fertigung und Instandhaltung) sowie den medizinischen Bereich ausgelegt. Diesen beiden Bereichen war gemeinsam, dass sie wiederkehrende, mechanisierte Abläufe optimieren und den Anwender hierbei unterstützten sollten. Während dem Techniker mit Hilfe der ARTechnologie in der Fertigung beispielsweise erklärt werden sollte, an welchen Stellen er welche Schrauben einzudrehen hatte, sollten dem Chirurgen die optimalen, auf dem vor ihm liegenden Körper abgestimmten Schnittlinien während einer Herzoperation via Display eingeblendet werden. Es stellt sich die Frage, welche materiell-konzeptuellen Eigenschaften nun aus diesen technischen Körpern der AR-Technologie resultierten und ihre Identität in Form ihrer symbolischen Struktur beeinflussten. Bereits im Rahmen des ARVIKAProjektes zeigten sich erste Probleme: Sowohl die Displays als auch das Tracking bereiteten Schwierigkeiten und die Bereitstellung sowie Strukturierung der für die Augmentierung erforderlichen Informationen stellte sich als zusätzlicher Problembereich heraus. Wirft man einen Blick über ARVIKA hinaus auf die Forschungs- und Entwicklungslandschaft der neuen Technologie, so lässt sich feststellen, dass es sich
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bei diesen Problemen keineswegs um projektspezifische Phänomene handelte. In dem 2008 erschienenen Artikel ›Trends in Augmented Reality Tracking, Interaction and Display: A Review of Ten Years of ISMAR‹ wurden die Themen und Trends, welche im Laufe von zehn Jahren seit dem ersten ›International Workshop on Augmented Reality‹ (IWAR) behandelt wurden, näher untersucht (Zhou/Been-Lirn Duh/Billinghurst 2008). Es zeigte sich, dass neben dem Bereich der Interaktionstechniken32 auch hier die Bereiche Tracking und Display sowohl im Hinblick auf die Anzahl der zu den jeweiligen Forschungsbereichen erschienenen Publikationen sowie der behandelten Forschungsthemen als auch der auf sie verwendeten Forschungsaktivitäten und – entwicklungen die bedeutendste Rolle spielten (vgl. Zhou/Been-Lirn Duh/Billinghurst 2008: 195). Gleichzeitig mussten die Autoren feststellen, dass trotz der intensiven Forschungsbemühungen in diesen Bereichen nach wie vor zum Teil erhebliche Schwierigkeiten zu verzeichnen waren. Insgesamt kommen die Autoren zu dem Fazit, dass die Ausbreitung der AR-Forschung »from laboratories to industry and widespread use is still challenging […]« (Zhou/Been-Lirn Duh/Billinghurst 2008: 200). Ähnlich äußerten sich die im Rahmen dieser Fallstudie befragten Experten. Ihre Geschichten über Entwicklung und Stand der AR-Technologie in den Jahren 2004 bis 2009 zeugen von einer zunehmenden Entäuschung über die zuvor so hoch gepriesene neue Technologie. Die von ihnen identifizierten Problembereiche bestätigten die bereits erwähnten, unmittelbar von der Hardware sowie der Software der AR-Technologie ausgehenden materiell-konzeptuellen Widerstände. Entsprechend resümmiert Dr. Werner Schreiber, zum Zeitpunkt des Interviews Abteilungsleiter der VW-Konzernforschung im Bereich Virtuelle Techniken: Wir sind damit sehr euphorisch herangegangen, haben also die tollsten Ideen gehabt, was man damit machen kann, ich muss allerdings in wirklich harscher Kritik sagen: Die GRUNDLAGEN für das Gesamtsystem AR sind leider nicht in DEM Sinne erforscht worden, wie es hätte gemacht werden müssen (IP-12, Turn 1). Dabei stellten die zu dem Zeitpunkt verfügbaren Rechnerkapazitäten noch eines der kleinsten Probleme dar. Um mobil – beispielsweise in einer Werkhalle zu Zwecken der Instandhaltung – einsetzbar zu sein, wurden entsprechende Kapazitäten und Batterielaufzeiten benötigt, die damalige Rechner nicht zur Verfügung stellen konnten und die Entwickler zum umdenken zwangen, wie ein Experte schmunzelnd beschreibt: Und da haben wir schon ein bisschen umdenken müssen. Also Daimler hat sich sogar alles auf so ein Wägelchen gepackt, um da durch die Halle zu gehen, also [schmunzelt] das ist, das ist wirklich, also da [lachend] haben die stark umdenken müssen. Ja, also […] es war immer noch experimentell (IP-7, Turn 161). Allerdings ließ sich – so die Meinung der Experten mit Verweis auf das Moorsche Gesetz – dieses Problem in absehbarer Zeit lösen, da die Rechner immer kleiner und leistungsfähiger würden. Problematischer stellten sich die von den Displays ausgehenden, 32
Unter Interaktionstechniken werden Techniken verstanden, welche den Informationsaustausch zwischen Nutzer und System ermöglichen. Klassiche Beispiele stellen Maus, Tastatur und Touchscreen dar.
5. Fallstudie
materiell-konzeptuellen Widerstände dar. So wurden in dem zuvor genannten Review verschiedene Kriterien beschrieben, denen das Display-Design genügen müsse, um sich erfolgreich durchzusetzen. Vor allem sollte es »not burden the users with special apparatus« (vgl. Zhou/Been-Lirn Duh/Billinghurst 2008: 199), was sich in der Umsetzung als besonders schwierig erweisen sollte. Entsprechend beschreibt eine Expertin die zu diesem Zeitpunkt auf dem Markt befindlichen AR-Lösungen – bestehend aus »HeadMounted Display am Kopf, Kamera am Kopf und dann Marker in der Welt« vorsichtig als »zu eingeschränkt« für ernsthafte Anwendungen (IP-3, Turn 17). Andere Experten werden deutlicher: Die Helme seien »phantasielos zusammengetrümmert« (IP-2, Turn 29): Die Geräte, die wir hatten in dem Projekt, waren, sag’ ich mal, zusammengeschustert. Ja, also man hat einen MicroOptical-Display genommen, wir haben’s einfach befestigt an so einem Bauhelm, und an diesem Bauhelm haben wir eine Kamera befestigt, aber wir haben niemand gefunden, der alles in einem kompakten Gerät aufbaut. Und das existiert heute immer noch nicht, ja (IP-9, Turn 6). Es scheint unnötig, zu erwähnen, dass diese Konstrukte weder dem zuvor genannten Kriterium des ›not burden the user‹ genügten, noch eine ernsthafte Verbesserung gegenüber den bereits Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts bestehenden und schon damals von Mizell als problematisch positionierten Displays darstellten (vgl. Mizell 2001: 464). Zudem waren auch die bereits geschilderten Probleme mit den VideoSee-Through Displays (VST) sowie den Optical-See-Through Displays (OST) nach wie vor ungelöst. Kurzum: Die Displays konterkarierten die der AR-Technologie zugedachten Identität als Display-Technologie immer wieder und positionierten die Entwickler als ›gescheitert‹, so dass der Begriff des Head-Mounted Displays (HMD) nach Aussage einer Expertin für manche Leute regelrecht zum ›Schimpfwort‹ wurde (vgl. IP-3, Turn 88). Ähnlich verhielt es sich mit dem für die Augmented Reality so wesentlichen Tracking-Verfahren. Das zunächst verwendete Marker-basierte Verfahren funktionierte zwar gut, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass in der zu augmentierenden Umgebung ausreichend Marker befestigt wurden. In kleinen und vor allem geschützten Räumlichkeiten stellte dies kein Problem dar. Wie die Erfahrungen aus dem ARVIKAProjekt zeigten, geriet das Marker-basierte Tracking jedoch in großen Werkhallen oder gar Fabriken, in denen die AR-Technologie zur Instandhaltung eingesetzt werden sollte, nach wie vor schnell an seine Grenzen: Zum einen war es unmöglich, ausreichend viele Marker anzubringen (und sich später auch noch zu erinnern, wo sich die einzelnen Marker befanden), zum anderen hielten die Marker aufgrund der Verschmutzungen in den Hallen oft nicht, so dass ein gesichertes Tracking nicht mehr möglich war. Schließlich wurden Fälle bekannt, in denen die Kleber der Marker den Untergrund, auf dem sie befestigt waren, angriffen, so dass in der Folge Korrosionen entstanden, was zu Störfällen führen und insbesondere in sensiblen Einsatzgebieten wie beispielsweise Kraftwerken zum Gefährdungspotential werden konnte (vgl. u.a. IP-9, Turn 2). Noch komplizierter stellte sich das Marker-basierte Tracking im Outdoor-Bereich, der neben den industriellen Anwendungen zunehmend in das Blickfeld der Entwickler geriet, dar: Wie sollte man einen weitläufigen Raum mit seinen unterschiedlichen Unter-
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gründen und Witterungsverhältnissen dauerhaft und in ausreichendem Maße mit Papier-Markern versehen? Wie bei ARVIKA angedacht, entschied man sich aus diesen Gründen, fortan Forschung und Entwicklung auf das Marker-lose Tracking zu lenken. Bei dieser Form des Trackings handelte es sich um ein Feature-basiertes Verfahren, das sich an den Eigenschaften der Umgebung orientierte. Damit hatte man zwar das Problem der Anbringung von Markern gelöst und konnte auch im Outdoor-Bereich ein einigermaßen stabiles Tracking sicher stellen, allerdings mussten ausreichend viele und kontrastreiche Merkmale vorhanden sein (einfarbige Flächen – beispielsweise Sand in der Wüste oder weiße Wände ließen sich damit keineswegs erfassen), die Eigenschaften durften sich nicht unmittelbar wiederholen und mussten eindeutig identifizierbar sein (eine Werkhalle mit mehreren baugleichen Schaltschränken machte das Alleinstellungsmerkmal unmöglich), die Eigenschaften der Umgebung durften sich nicht ändern und vor allem war es nicht möglich, bei schlechten Lichtverhältnissen oder gar im Dunkeln zu tracken (vgl. u.a. IP-9, Turn 2). Auch der dritte Problembereich, der sich zu Ende des ARVIKA-Projekts herauskristallisierte, nämlich die Bereitstellung der für die Augmentierung notwendigen Informationen, sollte sich nicht ohne weiteres lösen lassen. Ein Experte veranschaulicht dies am Beispiel eines Automobilherstellers wie folgt: Ja, wenn BMW sein Diagnosesystem mit AR anreichern will, was bedeutet das? Das bedeutet wahrscheinlich mehrere Millionen, wenn nicht also [schmunzelt] also fünfzig Millionen oder, ich weiß es nicht. Also, da arbeiten nicht mehr drei, vier Leute dran, aber das sind riesige Datenbanken, die updated werden müssen. Und bis das alles stimmig ist und funktioniert, reibungslos, dass da wirklich dann zum Schluss der Pfeil in die richtige Richtung sich dreht [schmunzelt] und diese Reparaturanleitung zu diesem Auto passt, […] das bedeutet wirklich eine extrem transparente oder abgestimmte Datenstruktur in dem ganzen Unternehmen, sozusagen von der Entwicklung und CAD bis zu Diagnosesystem, Reparaturanleitung und dann haben es also Servicetechniker in den Filialen oder in den Garagen da (IP-7, Turn 127). An dieser Darstellung wird deutlich, dass es sich bei Augmented Reality keineswegs länger um eine Stand-alone-Technologie33 handelte, die einfach eingekauft und eingesetzt werden konnte, sondern dass aufgrund des dieser Technologie inhärenten Technisierungsschemas vor allem im industriellen Kontext eine komplette Umstrukturierung der Informations- und Datenflüsse eines Unternehmens erforderlich war. Eine entsprechende Umstrukturierung mit dem Ziel der Bereitstellung einer für die AR-Technologie geeigneten Wissensbasis war aber nicht nur zeit-, sondern vor allem auch äußerst kostenintensiv, so dass allen voran auch wirtschaftliche Überlegungen eine entscheidende Rolle spielten. Die Investition in eine noch in der Erprobung befindliche Technologie stellte ein enormes Risiko dar, welches das Überleben eines Unternehmens durchaus gefährden konnte. Während sich all diese Probleme bereits im Rahmen von ARVIKA andeuteten, hier jedoch noch lösbar schienen, breitete sich in der Folgezeit zunehmend Desillusion unter den relevanten Akteuren aus, wie ein Experte resümiert:
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Bei einer Stand-alone-Technologie handelt es sich um eine allein operierende Einzel-Technologie.
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Also ich muss sagen, ich hab’ mich nach ARVIKA auch ein bisschen amüsiert, weil die gesagt haben: ›AR ist toll, aber es müssen drei Punkte bearbeitet werden: Marker-loses Tracking, Head-Mounted Display und Informationsaufbereitung.‹ Was bleibt übrig? [lacht] Klar, es muss alles neu gemacht werden [beide lachen] Also das war ’n bisschen so […] das Ende der Euphorie […] Am Ende von ARVIKA man hat schon ein bisschen gemerkt, dass das ist, wie ich vorher gesagt habe: Die einfachen Sachen, die kriegt man relativ schnell hin […] Aber dann haben die Leute das Potential gesehen und dann haben sie gemerkt, ja, dieser große, letzte Schritt ist doch schwieriger, als man denkt. […] Zweitausenddrei, zweitausendvier, man konnte diese Marker nicht mehr sehen und diese ARToolkit-Anwendungen nicht mehr sehen. Und ich denk’, es war ein bisschen so […] das Ende von dem Hype (IP-7, Turn 131). Entsprechend fallen auch die Urteile anderer Experten Endes des ersten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts aus: So ist die Rede von »wahnsinnige[n] technologische[n] Hürden«, welche »diese ganz klare und einfache Vision von Augmented Realtity […] einschränken« (IP-6, Turn 1) und von »großen Brocken«, die »den großen Durchbruch für die GLOBALE Lösung« verhindern, so dass keiner mehr »von bahnbrechenden Lösungen« spricht (IP-4, Turn 3). Kurzum: Die Widerständigkeiten der neuen Technologie, die sich aus ihrem Körper – den verwendeten Materialien, den gewählten Designs und den für diese Technologie typischen Technisierungsschemata und ihrer spezifischen Umsetzung – stellten die Entwickler vor scheinbar unüberwindbare Hürden und wollten auch in den langjährigen Aushandlungsprozessen einfach nicht zu der Identität einer aufstrebenden und erfolgversprechenden Technologie passen.
Erwartungen im Wandel Wurde bislang die Rolle der Technik sowie ihrer Eigenschaften in dem Aushandlungsprozess um die Identität der AR-Technologie betrachtet, ist es lohnenswert, auch die andere Seite – nämlich die der Entwickler mit ihren Erwartungen und Visionen, aber auch die der Nutzer mit ihren Anwendungsvorstellungen – näher zu betrachten. Wie nicht anders zu erwarten, waren die an die neue Technologie herangetragenen Erwartungen vielversprechend: Von ›großen Visionen‹ war die Rede, von Firmen, die man auskoppeln und von Produkten und Serviceleistungen, die man verkaufen und implementieren wollte (vgl. IP-4, Turn 1). Naturgemäß wandeln sich auch die an ein Artefakt oder eine Technologie herangetragenen Ideen und Vorstellungen im Laufe des Umgangs mit der neuen Technologie, sie werden von ihr beeinflusst und ebenso ›in die Mangel genommen‹, wie umgekehrt die Technik selbst modifiziert und an die Bedürfnisse ihrer Nutzer sowie ihrer potentiellen Einsatzgebiete angepasst wird (vgl. Pickering 1993). Im Hinblick auf die AR-Technologie kristallisieren sich dabei einige zentrale Kernvorstellungen heraus, welche die soziale Identität der neuen Technologie maßgeblich geprägt haben und anhand derer sich die Konstruktion der sozialen Identität der AR-Technologie sowie ihres Wandel nachvollziehen lässt. Jedermann, jederzeit und überall: Eine der ganz großen Visionen, welche die Entwicklung der AR-Technologie lange Zeit begleiten sollte, bestand darin, alle Informationen »für jeden, zu jeder Zeit, an jedem Ort« (IP-4, Turn 51) verfügbar zu machen. Praktisch formuliert lautete die Idee: »Ich setz die Brille auf und ich sehe zusätzliche Dinge ge-
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nau da, wo ich sie brauche, genau wann ich sie brauche und eigentlich alles passt.« (IP-3, Turn 83). Um diese Vision technisch umsetzen zu können, müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein: Alle potentiell benötigten Informationen müssen verfügbar sein (Authoring), das System muss wissen, wo es sich in der Realität befindet und an welcher Stelle die virtuellen Informationen eingeblendet werden sollen (Tracking), der Nutzer muss ein Ausgabemedium zur Verfügung haben, auf dem er den augmentierten Weltausschnitt sehen kann und die Technologie muss so preisgünstig sein, dass sie zumindest für einen großen Teil der Anwender erschwinglich ist. Vergegenwärtigt man sich die zuvor dargestellten Widerständigkeiten der AR-Technologie, lässt sich unschwer erkennen, dass diese Vision nicht annähernd erreicht werden konnte. Stattdessen behielt trotz aller Aushandlungsversuche die materiell-konzeptuelle Identität die Oberhand und positionierte die Entwickler mit ihrem »ultimativen Traum von den Informationen, die wirklich immer perfekt an der Stelle schweben, wo sie interessant sind und das am besten auch mobil und günstig« (IP-6, Turn 1) am Ende als »illusorisch« (vgl. IP-3, Turn 83). Der Traum von der Revolutionierung der Industrie: Bereits in den Anfängen der ARTechnologie spielte die Industrie – allen voran die Bereiche Instandhaltung und Fertigung – eine herausragende Rolle. Anwendungen, wie sie bereits 1992 von Caudell und Mizell im Rahmen des Boeing-Projekts beschrieben worden waren (vgl. Caudell/Mizell 1992), stellten in den nächsten zwanzig Jahren das »Big Picture« (IP-9, Turn 24) der AR-Community dar. Dieses prägte die an die neue Technologie herangetragenen Erwartungen und wurde zum Zugpferd für die Akquise von Fördermitteln. Obwohl das von Caudell und Mizell skizzierte Montage- und Instandhaltungsszenario bereits von Beginn an große Schwierigkeiten vermuten ließ, wurde es 1999 beinahe unverändert als Leitvision für das ARVIKA-Projekt übernommen und mobilisierte zahlreiche namhafte Unternehmen aus unterschiedlichen Industrie-Bereichen, die für die weitere Entwicklung eine »Lokomotivfunktion« (IP-12, Turn 1) übernahmen. Jedoch auch hier machte die materiell-konzeptuelle Identität der Technik den zugeschriebenen Deutungen als Industrie-Technologie aus den bereits genannten Gründen einen Strich durch die Rechnung, so dass Professor Müller 2008 resümiert, es gäbe »keine wirklich gute Lösung, […] die über ein lokales Szenario hinausgeht« (IP-4, Turn 3). Nachdem die Vision eines bahnbrechenden, industriellen Einsatzes samt ihrer zahlreichen Szenarien (vgl. Navab 2004) leitend für die Entwicklung der AR-Technologie waren, war nun in den Erzählungen der Experten nicht nur Ernüchterung zu spüren, sondern es machte sich auch Skepsis breit, ob man im Bereich der industriellen Anwendung nicht auf dem »Holzweg« sei und nun »von diesen industriellen Applikationen wegkommen […] und sich eher dem ›Fun-Bereich‹ zuwenden solle« (IP-12, Turn 1). Für andere Experten steht zu diesem Zeitpunkt bereits fest, dass es sich bei der langjährigen Konzentration auf den industriellen Bereich um einen Fehler gehandelt hat: [Z]umindest was jetzt diese offizielle Forschungsförderung hier angeht, die war so angelegt, dass man sagt, man könnte das Ganze nur in einem professionellen Umfeld einsetzen. Also die haben alles, alles gemacht, was irgendwie geht, aber nur für industrielle, im besten Fall noch für Medizinanwendung und das heißt, sie haben sich eigentlich so positioniert, als wenn das für den Privatanwender oder für die Consumer-
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Elektronik überhaupt nicht relevant wäre. Was zur Folge hat, dass sie sich über die Hardware keine Gedanken gemacht haben […]. Das heißt, sie haben also Anwendung gemacht und haben einfach irgendwelche ziemlich klobigen Display-Helme genommen, die sich jeder Gelegenheitsbastler so zusammenbauen könnte…. (IP-2, Turn 27). Nachdem sich in der Industrie die Suche nach einer Killer-Applikation, die der ARTechnologie zu einem bahnbrechenden Erfolg hätte verhelfen können, auch nach hartnäckiger Suche als erfolglos erwiesen hatte, stand nach über zwanzig Jahren Forschung und Entwicklung die soziale Identität der AR-Technologie vor neuen Herausforderungen.34 Von der Display-Technologie zum Monitor: Auch hinsichtlich der Beschaffenheit des Körpers der AR-Technologie existierten in der Entwicklungs- und Forschungsgemeinschaft klare Vorstellungen: Es sollte eine Display-Technologie sein! Die Idee eines HeadMounted Displays prägte von Beginn an die Entwicklung der neuen Technologie. Zwar änderten sich Material und Design im Laufe der Jahre von sehr klobigen, prototypischen Realisationen hin zu der Vorstellung einer Brille, ›die man trägt, […] wo man seine Korrekturgläser reintut, also so ’ne PERSÖNLICHE BRILLE‹ (IP-9, Turn 6), die Grundidee jedoch blieb erhalten. Erzählungen visionärer technologischer Entwicklungen trugen ihren Teil zu den Vorstellungen der Entwickler von einem Körper der AR-Technologie bei und fungierten als Leitbild, so beispielsweise die legendäre ›Visco-Brille‹ aus dem später verfilmten Science-Fiction-Roman ›Mission: Impossible‹: Der Rahmen der Visco-Brille war ein wenig größer als üblich, aber nicht übertrieben in Anbetracht der komplexen Mikroelektronik, die darin eingebettet war. Sie übermittelte audiovisuelle Informationen über eine Linse und ein Mikrofon von beinahe mikroskopischer Größe. Auch konnten die Signale über eine Entfernung von bis zu einer Meile übermittelt werden, ohne komplizierte, manchmal auffällige Signalwiederholungen (Barsocchini 1996: 30f.). Es zeigte sich jedoch, dass diese Visionen trotz aller Forschungsbemühungen nicht realisierbar waren. Stattdessen waren die entwickelten Brillen SO klobig, das war […] unnatürlich, ja, und das Gewicht, […] war, ich glaub’, hundertzwanzig oder hundertfünfzig Gramm, und das ist […] eine Belastung für ein Nasenbein, die […] man nicht SO akzeptieren kann als USER, wenn man halt mehrere Stunden pro Tag damit arbeiten will. […] Also das ist eigentlich, was wir eher gemacht haben in ARVIKA: Also es MUSS eine Brille sein. Aber technologisch ging es nicht (IP-9, Turn 6). Der Vergleich der beiden Schilderungen verdeutlicht, wie weit Vision und Realität zu diesem Zeitpunkt auseinander lagen. Die Geschichte der Displays war geprägt von 34
An dieser Stelle sei angemerkt, dass es neben dem industriellen Einsatz selbstverständlich auch andere Forschungs- und Entwicklungsfelder und somit soziale Teilidentitäten der AR-Technologie gibt (beispielsweise das Forschungsfeld Medizin, Architektur sowie die Bereiche Bildung und Kultur). Da ein Großteil der Ressourcen für Forschung und Entwicklung jedoch auf Forschung und Entwicklung in der Industrie verwendet wurde, hat diese die soziale Identität der AR-Technologie maßgeblich beeinflusst.
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Rückschritten, nur wenige Firmen trauten sich überhaupt an ihre Entwicklung und stellten ihre Bemühungen in der Regel schnell ein, so dass auch nach ARVIKA »nur so Spielereien als Displays« (IP-6, Turn 1) existierten. Dementsprechend setzte auch hier langsam ein Umdenken ein. Man zog zunehmend in Erwägung, sich auf monitorbasierte Systeme zu konzentrieren und auf Tablet-PCs umzusteigen, die im Jahr 2008 allerdings noch auf ihren großen Durchbruch warteten. Von stand-alone zu invisible AR: Die zuvor beschriebenen Entwicklungen und Wandlungen hatten auch Auswirkungen auf eine weitere Facette der sozialen Identität der AR-Technologie, nämlich der Idee, dass es sich bei dieser Technologie um eine unabhängige Stand-alone-Technologie handelt, die sich – schnell zusammenbaubar – als eigenes Produkt am Markt etablieren könne. Entsprechend wurde Augmented Reality als Begriff etabliert und nahm – aufgeladen mit zahlreichen Versprechen und Erwartungen – eine bis zu diesem Zeitpunkt in der Tat beeindruckende Karriere vom rhetorischen Raum über verschiedene symbolische Repräsentationen hin zu materiellen technologischen Konfigurationen. An dieser Stelle jedoch erwies sich die neue Technologie wiederum als überaus widerspenstig, so dass die Hoffnungen, Augmented Reality als eigenständiges Produkt (am besten mit einer der bereits erwähnten Killerapplikationen) vermarkten zu können, zunehmend enttäuscht wurden. Stattdessen wandelte sich nun Idee von Augmented Reality als Stand-alone-Technologie hin zu »invisible AR« (IP-3, Turn 17). Man ging nun davon aus, dass Augmented Reality nur »ein kleiner Teil von dieser Gesamtlösung« sei und künftig »man AR gar nicht als AR mehr erkennen« würde (IP-3, Turn 17). Peter Meier, Gründer des Start-up metaio GmbH, fasst die Wandlung wie folgt zusammen: Und weil es eine Technologie ist, wird es auf Dauer so sein, dass Augmented Reality Einzug halten wird in alle Informationssysteme, die mit räumlichen Informationen zu tun haben, aber sie wird […] da nicht für eine große Revolution sorgen oder ganz neue Dienste anbieten, sondern sie wird das Ganze intuitiver machen. D.h., alle Systeme, Navigationssysteme, ja Geoinformationssysteme, all diese Dinge gibt’s schon und Augmented Reality wird da jetzt nicht was komplett Neues schaffen, aber diese Systeme werden mittels Augmented Reality einfach 10 % besser. So und […], da sehe ich jetzt die Zukunft von Augmented Reality. Genau. (IP-6, Turn 1). Diese Entwicklung spiegelt sich auch in dem vom BMBF geförderten Projekt ›AVILUSplus – Angewandte Virtuelle Technologien mit Langfristfokus auf den Produkt- und Produktionsmittel-Lebenszyklus‹ (Laufzeit: 01.05.08 – 28.02.11), an dem viele Projektpartner von ARVIKA beteiligt waren und das einige der in ARVIKA als problematisch identifizierten Themenstellungen – beispielsweise das Informationsmanagement im Unternehmen (Authoring) sowie das Tracking – aufgriff.35 Augmented Reality teilte sich nun offiziell die Aufmerksamkeit mit Virtual Reality – inoffziell sprachen die befragten Experten jedoch davon, dass Augmented Reality im Rahmen dieses Projekts »wirklich in den Hintergrund getreten« (IP-7, Turn 139) sei und lediglich noch eine Art »Nebenrolle« (IP-9, Turn 8) spielte.
35
Vgl. www.avilusplus.de/, Zugriff: 04.08.16.
5. Fallstudie
Augmented Reality for the masses: Augmented Reality sollte jedoch nicht nur zu einer Stand-alone-Technologie ausgebaut werden, sondern eine weitere Vision bestand darin, die neue Technologie »SO REIF zu entwickeln und aufzubauen, dass […] DIESE Technologie […] zu einem Produkt, zu einem, sag’ ich mal, MASSENPRODUKT weiterentwickelt werden kann (IP-9, Turn 18). Auch diese Erwartung musste sich zwangsläufig wandeln und im Zuge des Aushandlungsprozesses modifiziert werden. Abgesehen von den erwähnten grundsätzlichen Schwierigkeiten in der technischen Umsetzung ließ sich ein AR-System weder schnell zusammenbauen noch günstig konfigurieren. So kommt Frau Professor Klinker zu dem Schluss, dass »die Erwartung, dass alles einfach so funktioniert, wenn ich mir nur einen billigen Rechner für fünfhundert Euro kaufe und irgendwas für zwanzig Euro darauf installiere und dann noch so ’ne Brille für dreihundert Euro dazu mir aufsetze, […], anfangs sehr hoch gegriffen [war]« (IP-3, Turn 83). Kurzum: Man fand einfach »nie den richtigen Punkt hin, wo die Technologie so billig ist, dass die Leute sie wirklich kaufen, aber auch gleichzeitig so gut ist, dass die Leute sie kaufen« (IP-3, Turn 17). Stattdessen fristete die AR-Technologie weiterhin ein kostspieliges Nischen-Dasein in wissenschaftlicher sowie industrieller Forschung und Entwicklung. Von der »absolut fancy technology«36 zur Problemlösung mit Mehrwert: Zu Beginn der Entwicklung der AR-Technologie reichten allein die Idee der neuen Technologie sowie die damit potentiell verbundenen Anwendungsszenarien aus, um die Forscher und Entwickler in Begeisterung zu versetzen. Ein Interviewexperte beschreibt die anfängliche Euphorie zu Beginn des ARVIKA-Projekts folgendermaßen: »Ich sag mal am Anfang, […] war es einfach die Begeisterung für die Technologie. Ist klar – neue Technologie, müssen wir alle machen! Und dann haben wir da tollste Spinnereien gemacht (IP-12, Turn 149). Allein durch die Erwartungen an die neue Technologie wurden enorme finanzielle, zeitliche sowie personelle Ressourcen mobilisiert, man sah das große Potential und dachte: »Das wird jetzt die Welt retten!« (IP-3, Turn 13). Im Laufe der Zeit stellte sich jedoch Ernüchterung ein, und insbesondere in der Industrie stellte sich die Frage nach dem Nutzen sowie dem Mehrwert der neuen Technologie. Betriebswirtschaftliche Überlegungen traten zunehmend in den Vordergrund und beeinflussten die Erwartungen an die AR-Technologie. Je mehr sich im Laufe des Entwicklungsprozesses abzeichnete, dass sich die Entfernung zur Nutzbarkeit der neuen Technologie eher vergrößert als verringert hat, desto desillusionierter und ungeduldiger wurden insbesondere die Akteure aus der Industrie, die zusätzlich zu den Förderungen im Rahmen des ARVIKAProjekts einen hohen Eigenanteil an Ressourcen in die Entwicklung investiert hatten. Erwartet wurde nun ein Nutzen sowohl für das Unternehmen als auch für die Kunden, welche »sich überhaupt nicht dafür interessieren, ob das jetzt ’ne coole Technologie ist« (IP-6, Turn 1). Augmented Reality sollte nicht länger einfach nur eine »absolut fancy Technology« (IP-12, Turn 151) sein, sondern viel mehr eine Technologie, die zur Lösung bestehender Probleme beitrug, Einsparungen realisierte und wertschöpfende Anwendungen ermöglichte.
36
Mit diesem Begriff beschrieb ein Interviewexperte die Einstellung, die der neuen AR-Technologie zu Beginn entgegengebracht wurde (vgl. IP-12, Turn 151).
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Der ›Faktor Mensch‹: Insbesondere in den Anfängen der AR-Technologie, als Caudell und Mizell die ersten Anwendungsszenarien im Rahmen des Boeing-Projekts entwarfen, schien selbstverständlich, dass die Anwender die Technologie benutzen und die Head-Mounted Displays tragen würden (und das am liebsten gerne und den ganzen Tag lang). Genau dieser Aspekt sollte jeoch einen großen Einfluss darauf haben, dass die neue und vielversprechende Technologie nicht den gewünschten Erfolg aufwies. Die Nutzer fühlten sich zum einen »in ihrem Outfit total entstellt« (IP-4, Turn 3) und empfanden zum anderen das Tragen des Displays als überaus anstrengend. Auch neuen Alternativen – wie beispielsweise den im Rahmen des ARVIKA-Projekts eingesetzten Laser-basierten Displays – gegenüber zeigte sich der Nutzer skeptisch. Auch wenn es sich bei dem Laser-basierten Display aus Sicht der Entwickler um eine vielversprechende Weiterentwicklung handelte, reagierten die Anwender ablehnend und mit oft entsetzten Statements wie beispielsweise: »WAS? Einen Laser praktisch auf meine Netzhaut beamen lassen – das will ich nicht!« (IP-9, Turn 2). Angesichts dieser Entwicklung kommt ein Interviewpartner rückblickend zu dem Schluss, das Boeing-Projekt sei »am Faktor Mensch durchgefallen« (IP-4, Turn 3). Obwohl diese Problematik zumindest in wissenschaftlichen Kreisen bekannt war und in ARVIKA selbst arbeitswissenschaftlich ausgerichtete Institute involviert waren, lag auch hier der Fokus eindeutig auf der Technologie. Entsprechend resümiert ein Projektbeteiligter: »Das ganze Thema ›medizinische Beeinträchtigung des Menschen‹ – da hat sich niemand Gedanken drüber gemacht« (IP-12, Turn 1). Erst als sich im weiteren Verlauf unterschiedliche Schwierigkeiten bei der Nutzung der entwickelten Prototypen und Konfigurationen herausstellten, trat die Herausforderung ›Mensch‹ zunehmend in den Fokus. Man stellte fest, dass die Brille an sich schwer zu tragen [ist], sie ist auch nicht akzeptiert von den Benutzern […] – und das sollte man auch niemandem sagen, dass er das die ganze Zeit machen soll, […] sondern, man muss ganz genau die Punkte kennen, wo diese Brille plötzlich nützlich ist (IP-3, Turn 83). Die Vorstellung, dass es sich bei Augmented Reality um eine Technologie handelt, die der Anwender selbstverständlich gerne ganztägig trägt, wandelte sich zugunsten der Erwartung, dass es sich um ein technisches Hilfsmittel handelt, das problem- und kontextabhängig punktuell eingesetzt werden kann. Insgesamt lässt sich festhalten, dass das Vertrauen in die vielversprechende neue Technologie zum Interviewzeitpunkt deutlich geschwunden war und einer zunehmenden Desillusionierung Platz machte. Die Identität der AR-Technologie war brüchig geworden.
Der Affentopf und die Identitätssuche Es kursiert eine Geschichte darüber, wie man in Afrika und Indien am besten einen Affen fängt: Zu diesem Zwecke nimmt man ein Gefäß, dessen Öffnung gerade groß genug für die gestreckte Hand eines Affen ist (der sogenannte Affentopf), und füllt etwas hinein, das der Affe gerne mag und haben möchte. Nähert dieser sich nun dem Gefäß und steckt seine Hand hinein, um nach dem Gewünschten zu greifen, wird er unweigerlich seine Hand zur Faust ballen. Da einerseits die Öffnung des Gefäßes für eine geballte Faust zu klein ist, andererseits der Affe aber nicht willens sein wird, das begehrte Objekt wieder loszulassen, sitzt er mithin in der Falle. Das Entscheidende an
5. Fallstudie
dieser Fangmethode ist, dass der Affe theoretisch jederzeit die Falle verlassen könnte. Dafür müsste er nur eines tun: Loslassen. Der dieser Geschichte zugrunde liegende Mechanismus ist symptomatisch für Situationen, in denen die Entwicklung ihren Lauf allein aufgrund der Tatsache nimmt, dass die beteiligten Akteure einen einmal gefundenen Modus nicht mehr ändern können oder wollen. Betrachtet man die Entwicklung der AR-Technologie sowie die Suche nach ihrer Identität bis zu diesem Zeitpunkt, kann man zu dem Schluss kommen, dass auch die Entwickler lange Zeit in den Affentopf gefasst und schlichtweg nicht mehr losgelassen haben – sie wurden zum »Opfer eigener Erwartungen« (Brüsemeister 2008: 225). Trotz unterschiedlicher technologischer Konfigurationen und Anwendungsszenarien hielt ein Großteil der AR-Community vor allem an zwei Dingen fest: An einer Brille als Körper sowie der Vision einer industriellen Anwendung. In diese beiden Bereiche floss ein Großteil der Projekt- und Fördergelder, und sie bestimmten trotz unterschiedlicher Alternativen die Forschungs- und Entwicklungslandschaft. Vergegenwärtigt man sich nun die zuvor geschilderte Entwicklung der neuen Technologie sowie den langwierigen Aushandlungsprozess aus materiell-konzeptueller sowie seitens der Akteure herangetragener sozialer Identität der Technik, kommt man zu diesem Zeitpunkt unweigerlich zu dem Schluss, dass das wechselseitige ›in die Mangel nehmen‹ von Widerständigkeit und Zuschreibung zu keiner Gesamtidentität der AR-Technologie im Sinne einer dauerhaften symbolischen Struktur führte. Zu unterschiedlich waren die Vorstellungen der Entwickler und die technischen Möglichkeiten. Die Forscher, Förderer und Entwickler positionierten die Technik samt ihrer Widerständigkeiten als die ›Schuldige‹, welche die an sie herangetragenen Vorstellungen und Entwicklungen boykottierte und letztendlich ausbremste: Ich glaube in ARVIKA hatten die Ideen und Vorschläge […], die von dem DAMALIGEN Entwicklungsstand der Hardware noch NICHT unterstützt werden konnten. Die waren also SO WEIT mit ihren Vorstellungen, Ideen und möglichen Szenarien, dass die Hardware am Rande ihrer Möglichkeiten lief […]. Es bestand die Beschränkung darin, dass DIE Ziele, die NICHT im Fokus standen – die technische Entwicklung der Headsets oder der Wearables […] prototypisch voranzutreiben – dass die im gewissen Sinne das Projekt GEBREMST haben, ja (IP-5, Turn 210). Zugleich hielt man jedoch an einer Stand-alone-Technologie mit Brille als Körper fest und zog nur zögerlich alternative Ausgabemedien sowie die Integration in bestehende technologische Systeme in Erwägung. Konfrontiert wurde dieser technologische Körper schwerpunktmäßig mit Anwendungsszenarien aus der Industrie, die ihn systematisch überforderten. Der technische Körper samt seiner materiell-konzeptionellen Identität wollte einfach nicht zu der ihm zugedachten sozialen Identität passen – oder umgekehrt: Die soziale Identität überforderte den technischen Körper bei weitem. Nichtsdestotrotz erfüllte die soziale Identität der AR-Technologie in Form langjähriger, weitgehend geteilter Erwartungen auch wichtige Funktionen: Sie sorgte – zusammen mit den erwähnten ›kleinen Geschichten der Identität‹ in Form gemeinsam geteilter Definitionen – nicht nur im Entwicklungsstadium für eine frühzeitige Herstellung sozialer Akzeptanz in Forschung und Entwicklung sowie die Mobilisierung von Fördergeldern, sondern stellte die neue Technologie auch über lange Jahre trotz divergierender For-
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schungsbestrebungen in einen kohärenten Sinnzusammenhang, verlieh ihr eine gewisse Kontinuität und ermöglichte eine Koordination relevanter Akteure. Aufgrund des mangelnden Matchings von sozialer Identität auf der einen sowie dazu passender technischer Realisierungen auf der anderen Seite, entstand ein sogenanntes ›Henne-Ei-Problem‹ (vgl. IP-9, Turn 6). Die technologischen Konfigurationen waren prototypisch, in weiten Teilen selbst zusammengebastelt. Um sie für die angedachten Anwendungsszenarien weiter zu entwickeln, hätten entsprechende Firmen – beispielsweise aus dem Bereich der Display-Technologie – systematisch in ihre Entwicklung investieren müssen. Da es sich aufgrund der noch fehlenden, wertschöpfenden Anwendungen – beispielsweise in der Industrie – jedoch nur sehr kleine Stückzahlen handelte, ließ sich kein Markt erzeugen […], so dass also die GERÄTEindustrie für AR NICHT NACHZIEHEN konnte. Die kann nur nachziehen, wenn sie eben im Prinzip Geräte produzieren und verkaufen können. Das generiert ihnen den Umsatz, um wieder in die Forschung reinzugehen. Das ist das Riesenproblem, was sich aus dem ganzen Thema ergeben hat (IP-12, Turn 1). Mit anderen Worten: Der noch nicht ausgereifte technologische Körper verhinderte wertschöpfende Anwendungen mit einer rentablen Stückzahl, während gleichzeitig die fehlenden wertschöpfenden Anwendungen weitere Investionen in die Technologie unterbanden. An dieser Stelle hätte die Geschichte der AR-Technologie mit der Gesamtidentität im Sinne einer weitgehend geteilten, symbolischen Struktur als ›gescheiterte Technologie‹ enden können. Eine Lösung der Probleme schien unmöglich, und es breitete sich unter den relevanten Akteuren zunehmend Desillusion und Enttäuschung aus. Kurzum: Die geballte Faust steckt im Affentopf fest und hielt Forscher, Entwickler und Technik gleichermaßen gefangen. Dann jedoch geschah etwas, das die Geschichte der AR-Technologie maßgeblich verändern sollte.
5.2.5.
›Hype reloaded‹: Pokémon GO! (ab 2009) Viele Entwicklungen der IuK-Technologie, die in der Vergangenheit zunächst für den Einsatz im industriellen Bereich entwickelt wurden, fanden Jahre später Einzug in den Alltag. Dies wird auch in Zukunft der Fall sein, der Alltag wird von noch viel mehr IuK-Technologien und darauf aufbauend Anwendungen und Diensten durchdrungen werden [Hervorheb. getilgt, K.L.]. Friedemann Mattern37
37
Aus: Mattern 2007a: 12.
5. Fallstudie
Wie Phönix aus der Asche: Ein neuer Körper Am 09. Januar 2007 betrat ein Mann mittleren Alters mit Dreitagebart, randloser Nickelbrille, schwarzem Rolli, Jeans und weißen Turnschuhen die Bühne der Macworld Conference & Expo in San Francisco. Nach einem kurzen Überblick über die Entwicklungen seines Unternehmens in den vergangenen Monaten kündigte er nach knapp 22 Minuten drei neue technologische Geräte an: Erstens einen »Widescreen iPod with touch controls«, zweitens ein »Revolutionary mobile Phone« und drittens einen »Breakthrough Internet communicator«. Und – so fügte er ruhig hinzu – »This is one device. And we are calling it: iPhone«.38 Bei dem Mann handelte es sich um Steve Jobs – Mitbegründer und späterer Geschäftsführer von Apple Inc. Und das als ›iPhone‹ betitelte Gerät, welches er an diesem Tag vorstellte, sollte den Smartphone-Markt revolutionieren. Dabei war das iPhone keineswegs das erste Smartphone. Bereits 1996 stellte Nokia auf der CeBit in Hannover seinen fast 400 Gramm schweren ›Nokia 9000 Communicator‹ vor, der mit Hilfe eines Internet-Zugangs SMS und Emails senden und empfangen konnte und sogar Zugriff auf Webseiten hatte, »wenn auch quälend langsam« (Busse 2016). Von einem Durchbruch konnte mit diesem Gerät allerdings noch keine Rede sein. Das ab Juni 2007 verkaufte iPhone hingegen – obwohl es im Vergleich zu heutigen Geräten über ein langsames Internet (EDGE statt UMTS)39 sowie schwache Rechenund Graphikleistung verfügte und zudem noch kein App Store vorhanden war – stellte einen Wendepunkt dar. Ausgestattet war das im Vergleich zum Nokia Communicator mit 135 Gramm leichte und vor allem schlanke Gerät mit einer Kamera, einem Touchscreen, welcher eine intuitive Bedienung mittels Fingergesten ermöglichte sowie einer virtuellen Software-Tastatur, die nur bei Bedarf eingeblendet wurde und somit einem größeren Bildschirm Platz machte. Ein Jahr nach Verkaufsstart des ersten iPhones stellte Apple im Juni 2008 den Nachfolger vor: Das iPhone 3G. Das bereits einen Monat später verkaufte Gerät unterstützte nicht nur den Mobilfunkstandard UMTS, wodurch ein dreimal schnellerer Internetzugriff möglich wurde, sondern war zusätzlich mit dem Satellitenortungssystem GPS, einer Navigationssoftware sowie mehr Leistung ausgestattet, wodurch es für den Massenmarkt interessant wurde (vgl. Dowideit 2008). Das wirklich entscheidende war jedoch die ab März 2008 praktizierte »neue Strategie der offenen Plattform« (Dowideit 2008). Im Zuge dessen stellte Apple ein Software-Development-Kit (SDK) für das iPhone bereit, das zahlreiche Software-Programmierschnittstellen (APIs) bereitstellte und mit dessen Hilfe nun auch unternehmensfremde Entwickler Anwendungen (Applikationen, kurz: Apps) für das iPhone anbieten konnten. Diese Freigabe stellte eine entscheidende Statuspassage dar und entpuppte sich als ›Killerargument‹ für das neue iPhone. Am 12. März 2008 gab Apple im Rahmen einer Pressemeldung bekannt, dass bereits innerhalb der ersten vier Tage das neue SDK über 100.000 mal heruntergeladen wurde (vgl. Apple
38 39
Die Informationen entstammen einer Video-Aufzeichnung der iPhone-Keynote vom 09.01.07 (URL: https://www.youtube.com/watch?v=e7EfxMOElBE; Zugriff: 16.08.16). Das Akronym EDGE steht für das seit 2006 ausgebaute ›Enhanced Data Rates for GSM Evolution‹, während das Akronym UMTS für das deutlich schnellere Mobilfunksystem ›Universal Mobile Telecommunications System‹ steht.
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2008). Kurz darauf nahm im Juli 2008 der App Store offiziell seinen Betrieb auf. Fortan war eine Vielzahl günstiger Apps für nahezu alle Lebensbereiche erhältlich. Der Erfolg von Apple mobilisierte auch die Konkurrenz. Im Herbst 2008 präsentierten Google, der taiwanische Mobilfunkhersteller High Tech Computer Corporation (HTC) und T-Mobile ein eigenes Smartphone, das bereits kurz darauf unter den Namen HTC Dream sowie T-Mobile G1 in den USA und Großbritannien sowie ab Anfang 2009 auch im Rest Europas verkauft wurde. Google stellte in diesem Verbund sein HandyBetriebssystem Android bereit, HTC produzierte die Hardware und T-Mobile war für den Vertrieb zuständig. Neben einer klassischen, ausziehbaren Tastatur verfügte es wie das iPhone ebenfalls über einen Touch-Screen und eine offene Entwicklerplattform, konnte jedoch weder an das Design des iPhone heranreichen noch die gleiche Begeisterung am Markt auslösen. Und dennoch hatte es das iPhone 3G für kurze Zeit in einem insbesondere für die AR-Technologie bedeutsamen Punkt überholt: Es verfügte nämlich nicht nur wie das iPhone über ein GPS-Ortungssystem, sondern darüber hinaus über einen digitalen Kompass sowie zusätzliche Lage- und Beschleunigungssensoren, so dass nicht nur der Standort des Smartphones ermittelt werden konnte, sondern auch dessen ›Blickrichtung‹, d.h. die Richtung, in welche die integrierte Kamera blickte. Damit waren die Voraussetzungen für die erste AR-Anwendung auf einem Smartphone geschaffen. Im Oktober 2008 veröffentlichte das österreichische Unternehmen Mobilizy GmbH (seit Juni 2011 Wikitude GmbH) den ersten AR-Browser namens Wikitude. Im Unterschied zu den zuvor beschriebenen Tracking-Verfahren wird hier ein standortbezogener Ansatz verfolgt: Mit Hilfe des GPS-Systems werden hierbei der Standort und mittels Kompass sowie entsprechender Sensoren die Lage (Blickrichtung der Kamera) des Smartphones erfasst. Die Internetverbindung greift dann auf eine entsprechende Geo-Datenbank zurück, anhand dessen der gerade betrachtete ›Point of Interest‹ – hierbei kann es sich um Sehenswürdigkeiten genauso wie Landschaften handeln – ermittelt wird. Dementsprechend können nun – ebenfalls wieder mittels Internetzugriff auf weitere Datenbanken – virtuelle Informationen in das auf das entsprechende Objekt gerichtete Smartphone-Display eingeblendet werden, so dass der reale Bildausschnitt durch virtuelle Elemente erweitert wird. Auf diese Weise erfährt der Nutzer beispielsweise, wo er die nächste McDonalds-Filiale findet, um welche Kirche es sich in seinem Sichtfeld handelt oder auf welchen Berg er gerade schaut. Die Inhalte für die Erkennung der betrachteten Objekte sowie für die zur Augmentierung benötigten Informationen speisen sich hierbei zum einen »auf offene verfügbare Geo-Datenbanken« sowie »eine emsige Community, die ihre Umgebung nach dem Wiki-Prinzip mit Namensschildchen bestücken soll« (Barczok/Himmelein/König 2009: 123). Ergänzt werden die Informationen durch Wikipedia-Einträge und im Internet verfügbare Referenzen mit dem Ziel, »ein offenes, umfangreiches Geo-Lexikon à la Wikipedia« (Barczok/Himmelein/König 2009: 123) zu generieren. Im Sommer 2009 holte Apple diesen Vorsprung jedoch bereits wieder auf. Mit dem iPhone 3GS wurde ein Smartphone präsentiert, das im Vergleich zum VorgängerModell viermal schneller und mit einer drei Megapixel-Kamera ausgestattet war, mit deren Hilfe Videos aufgenommen werden konnten und das vor allem nun ebenfalls über einen Kompass und Sensoren verfügte, so dass nicht nur der Standort, sondern ebenso die Blickrichtung der Kamera erfasst werden konnte. Damit war der Weg nun
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auch für Augmented Reality auf dem iPhone geebnet und schon im August 2009 stellte das französische Entwicklerstudio Presselite die erste Anwendung namens ›Metro Paris Subway‹ vor. Mit dem Wechsel zum Smartphone hatte die AR-Technologie einen neuen Körper und eine neue materiell-konzeptuelle Identität bekommen. Um die Bedeutung dieses neuen Körpers und seiner Identität zu erfassen, ist es hilfreich, sich noch einmal die bislang bestehenden, vorderrangigen ›körperlichen‹ Schwierigkeiten – nämlich das Display, das Tracking und das Bereitstellen von Inhalten – zu vergegenwärtigen. Während lange Zeit das Head-Mounted Display als das geeignete Ausgabemedium angesehen wurde, stand mit dem Display des Smartphone nun eine neue Option zur Verfügung, die bereits entwickelt war, sich erfolgreich im Einsatz befand und über einige Vorzüge verfügte: »Handheld displays are a good alternative to HMD and HMPD systems for AR applications, particularly because they are minimally intrusive, socially acceptable, readily available and highly mobile« (Zhou/Been-Lirn Duh/Billinghurst 2008: 198).40 Vor allem aber löste das Handheld-Display das Problem, das bisherige Ausgabemedien mit sich brachten: Es belastete den Nutzer nicht wie ein Head-Mounted Display und war stattdessen bereits gut in den Alltag integriert, so dass es nicht nur »a promising platform for mobile AR applications« bot, sondern darüber hinaus »an interesting research area for AR interaction metaphors and techniques, which are quite different from HMDs« (Zhou/Been-Lirn Duh/Billinghurst 2008: 200) darstellte. Mit dem Erscheinen des iPhones hatte sich nicht nur das Material des Körpers, sondern auch dessen Design grundlegend gewandelt. Das Technisierungsschema –die Überlagerung der Realität mit virtuellen Informationen – war zwar im Kern gleich geblieben, jedoch hatten sich mit dem neuen Körper auch neue Möglichkeiten ihrer Umsetzung ergeben, wie insbesondere das Tracking und das Authoring verdeutlichen. Um zu verstehen, welche Möglichkeiten der Objekterfassung sowie der Generierung der für die Augmentierung zur Verfügung stehenden Inhalte AR-Anwendungen nun boten, ist es sinnvoll, einen kurzen Blick auf die Arten der Anwendungen zu werfen. Unterschieden wird hier zwischen AR-Browsern sowie nativen AR-Anwendungen. Bei einem AR-Browser handelt es sich um eine offene, Internet-basierte Plattform, bei der nahezu jeder (als Entwickler oder Nutzer) mitmachen kann und die es ermöglicht, zu einem bestimmten Ort oder Gegenstand Informationen aus dem Internet abzurufen. Typische Beispiele für AR-Browser sind das bereits erwähnte Wikitude (2008), Layer (2009), junaio (2009), aurasma (2011) sowie blippar (2011). Demgegenüber handelt es sich bei einer nativen AR-Anwendung um ein geschlossenes System, das von Entwicklern für einen bestimmten Zweck programmiert wurde, mit oder ohne Internet funktionieren und neben dem Abrufen von Informationen auch Spiele u.ä. einbinden kann. Im Gegensatz zu AR-Browsern stellen sie individuelle, innovative und von AR-Browsern unabhängige Lösungen mit einer gut entwickelten Benutzerführung dar, sind in der Entwicklung jedoch teurer und haben häufig einen geringeren Bekanntheitsgrad als die für jeden zugänglichen Browser. Sowohl für die Browser als auch die nativen Anwendungen stehen zwei unterschiedliche Möglichkeiten der Objekterfassung zur Verfügung: Erstens
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Das Akronym HMPD steht für ›Head-mounted projection display technology‹.
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mittels Marker- oder Bilderkennung (diese Verfahren entsprechen den bislang praktizierten Tracking-Verfahren) sowie zweitens durch sogenannte Location Based Services (LBS). Hierbei werden mittels GPS-Ortung der Standort und mittels Kompass und entsprechender Lagesensoren die Kamerablickrichtung erfasst und mit einer GeoDatenbank abgeglichen. Diese standortbezogenen Verfahren zur Erfassung der Objekte stellen gegenüber den bisherigen Tracking-Verfahren eine entscheidende Neuerung dar, da sie auf bereits im Smartphone implementierte Technologien zurückgreifen und mobil sowie unabhängig von entsprechenden Markern einsetzbar sind. Hinsichtlich der Bereitstellung der Augmentierungs-Inhalte hingegen unterscheiden sich AR-Browser und native Anwendungen. Während ein AR-Browser seine Inhalte aus dem Internet abruft, wo sie Dank der offenen Plattform von einer Vielzahl von Entwicklern in großen Mengen bereitgestellt werden, sind native AR-Anwendung nicht zwingend auf das Internet angewiesen, sondern können – wie im Zuge der AR-Realisationen in der Industrie – die Inhalte auch geschlossen innerhalb der Anwendung zur Verfügung stellen. Mit der Option der internetbasierten Generierung der Inhalte konnte nun auf eine große Datenbasis zugegriffen werden, die sich aus einer Vielzahl von Quellen speiste. Zusammen mit dem Appstore ergaben sich aus dem gewandelten Körper eine Vielzahl neuer Optionen, welche die materiell-konzeptuelle Identität der AR-Technologie fortan prägten. Diese Entwicklung kam nicht ganz überraschend, sondern wurde von einigen Experten bereits vorhergesehen: [D]as Handy zum Beispiel ist ja […] ein wunderbares Augmented Reality-System […]. Die Kamera schaut hinten raus, beim Monitor kann man vorne reinschauen, kann das in die Welt halten, es ist mobil und damit erfüllt’s eigentlich sehr, sehr viele Eigenschaften, die man für Augmented Reality braucht. Teilweise haben sie GPS noch drin, es kommen dann demnächst welche mit Kompaß raus, also da kann man sich dann auch schon vorstellen, dass sich in dem Umfeld in den nächsten Jahren wirklich viel entwickelt und dass man immer mehr Leute in der Stadt sehen wird, die halt ein Handy in der Hand halten [lacht] und da irgendwie so blöd draufschauen und man sich fragt, was machen die eigentlich? (IP-6, Turn 1). Durch den Wandel des Körpers und der materiell-konzeptuellen Identität änderten sich auch die Anwendungsvisionen und Erwartungen an die neue Technologie und es bildeten sich neue soziale Teilidentitäten heraus.
Von der Industrie zum Consumer: Eine neue Identität Nachdem die AR-Technologie als massentaugliche Industrieanwendung – zu der sich die Entwickler lange Jahre positionierten – sich nicht hatte durchsetzen können, wandelten sich mit den Optionen des neuen Körpers die Visionen und Anwendungsvorstellungen. In den nächsten Jahren wurden verschiedene AR-Browser und -Anwendungen von Entwickler-Studios wie Qualcomm Inc., metaio GmbH und Total Immersion S.A. entwickelt, die die wieder entdeckte Technologie aufgriffen und sich zu ihr positionierten. Dabei ließen sich vor allem zwei Anwendungsfelder unterscheiden: Zum einen Anwendungen, die der Unterhaltung dienten und Spaß machten – hierzu gehörten beispielsweise Spiele und Gimmicks wie ›Virtual Santa‹ von metaio, das die Einblendung virtueller Weihnachtsmänner in die reale Umgebung ermöglichte. Zum anderen wur-
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den Anwendungen entwickelt, die der Erleichterung des Alltags dienten, sei es, dass sich mit ihrer Hilfe die Probleme des Alltags besser lösen ließen (zum Beispiel, indem man sich mit Hilfe der App ›iLiving‹ ein Sofa probehalber ins Wohnzimmer einblenden ließ, um sich so die anstehende Kaufentscheidung zu erleichtern) oder man aber Wissenslücken schließen konnte (zum Beispiel die Frage nach der nächsten McDonaldsFiliale oder der Benennung eines Sternbildes durch Einblendung einer entsprechenden Information in die reale Umgebung). Das weit verbreitete geflügelte Wort »There’s an app for that« (N.N. 2015a) sollte sich auch in diesem Kontext bewahrheiten. Eines der besonders erfolgreichen Entwickler-Studios war die metaio GmbH, ein bereits 2003 in München von Thomas Alt und Peter Meier – beide ehemals wissenschaftliche Mitarbeiter an der TU München – gegründetes Softwareunternehmen, das sich auf AR-Lösungen spezialisiert hatte. Das als Spin-Off des Projekts ARVIKA zunächst unter dem Namen ›Augmented Solutions GmbH‹ firmierende Unternehmen konnte schon zu einem Zeitpunkt Erfolge verbuchen, als die AR-Technologie in der Industrie bereits zum Scheitern verurteilt schien. Grundlegend hierfür war eine besondere Vorstellung von der neuen Technologie, die sich von der Erwartung der Entwickler zur damaligen Zeit deutlich unterschied: Also, wir haben als Firma immer kämpfen müssen, weil wir natürlich versuchen, nicht nur irgendwelche Forschungsprojekte oder Vorfeldentwicklungen zu machen, sondern – das ist auch Teil unserer Vision – ganz explizit Dinge zu schaffen, die dem Kunden auch einen wirklichen Nutzen bringen. Und da kann man nun mal nicht mit irgendwelchen prototypischen angeklebten Helmen oder sowas rumlaufen, sondern da muss man halt tatsächlich mit einer Hardware arbeiten, die irgendwo ansprechend ist (IP-6, Turn 1). Bereits frühzeitig hatte die AR-Technologie für metaio eine soziale Identität, die an Stelle großer Visionen primär an den Bedürfnissen der Nutzer sowie der Lösung ihrer Probleme orientiert war. Anstatt auf kostspielige Industrieanwendungen mit hohen Anforderungen zu setzen, im Zuge dessen »AR remained no more than a technology curiosity with few tangible benefit« (Yu 2016), entschied sich metaio bewusst für ›Low Level‹ und die ›Consumer-Schiene‹. Augmented Reality sollte ein System sein, bei dem nicht irgendwie zehn Experten nötig sind, um es am Laufen zu erhalten, sondern es muss etwas sein, das allgemein zugänglich ist. Und deswegen haben wir diese Consumer-Sparte immer weiterverfolgt. […] Das war für uns ganz, ganz wichtig, also die Rechnung muss aufgehen (IP- 6, Turn 7). Positioniert wurde die Technologie als alltagstaugliches Instrument zur Problemlösung für den Konsumenten und Dank des neuen Körpers hatte Augmented Reality dem offenbar wenig entgegenzusetzen. Diese Einstellung sollte metaio nun zugutekommen. Es schrieb mit zahlreichen AR-Browsern und nativen Anwendungen eine Erfolgsgeschichte, verhalf dem Magazin der Süddeutschen Zeitung 2010 als »erstem Magazin weltweit [zu] Augmented Reality, um das Heft zu ›beleben‹« (Schmidt 2012), ermöglichte 2013 IKEA-Kunden mittels einer entsprechenden App, Billy & Co. vor dem Kauf virtuell in ihren Räumen anzuordnen (vgl. Jüngling 2013) und gründete mit der InsideAR eine der größten AR-Konferenzen, die weltweit großen Einfluss hatte. Im Mai 2015
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allerdings endete diese Erfolgsgeschichte abrupt, denn der Apple-Konzern kaufte zur Überraschung der ganzen Community die metaio GmbH auf, die daraufhin innerhalb kurzer Zeit ihren Betrieb einstellte (vgl. N.N. 2015 b). Auch wenn diese Entwicklungen durchaus erfolgreich waren und sich neue soziale Teilidentitäten für die AR-Technologie herausbildeten, schienen die Erwartungen des Telegraph, bei Augmented Reality handele es sich um »a technology whose time has come« (Beaumont 2009), überzogen. Stattdessen hatte Augmented Reality Zugang zu Smartphone und Appstore gefunden – im kollektiven Bewusstsein angekommen war es keineswegs. Das sollte sich am 06.07.2016 ändern. An diesem Tag erschien in Australien, Neuseeland41 und den USA das AR-Spiel ›Pokémon GO‹ – Nachfolger der in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts äußerst beliebten Videospiele von Nintendo. Entwickelt wurde das Spiel von dem amerikanischen Entwickler-Studio Niantic Labs, das 2010 als Start-up innerhalb des Google-Konzerns von John Hanke mit dem Ziel der Entwicklung neuartiger Computerspiele gegründet wurde (vgl. hier und im Folgenden Dowideit 2016 sowie Schmieder 2016). Niantic Labs hatte bereits ab 2012 das AR-Spiel ›Ingress‹ entwickelt, in dem zwei Fraktionen um die Ausbreitung einer fiktiven Energie kämpfen. Die Spielelemente werden dabei mit Hilfe einer auf Geo-Daten von Google Maps basierenden Karte mit der Realität verknüpft. Als Aprilscherz für den 01. April 2014 hatte sich John Hanke dann etwas Besonderes ausgedacht: Eine Pokémon-Challenge auf Google Maps mit dem Versprechen, der Sieger erhalte »eine Anstellung als Pokémon Master im Unternehmen« (Schmieder 2016). Der Aprilscherz war derart erfolgreich, dass Hanke daraufhin der Pokémon Company – einem Unternehmen des japanischen NintendoKonzerns – eine Kooperation für ein neues AR-Spiel vorschlug: Eine Weiterentwicklung des Ingress-Konzepts verbunden mit dem Pokémon-Thema. Der Begriff ›Pokémon‹ leitet sich von ›Pocket Monster‹ (Taschenmonster) ab (vgl. N.N. 2016a). Hierbei handelt es sich um kleine, gut- oder bösartige Monster, die in den realen Kamera-Ausschnitt auf dem Display eingeblendet werden. Der Spieler hat die Aufgabe, die Pokémon zu fangen und für den Kampf in Arenen zu trainieren. Die Idee begeisterte und die Kooperation zwischen dem seit Oktober 2015 mittlerweile eigenständigen und von Google unabhängigen Unternehmen Niantic Labs und der Pokémon Company unter Nintendo kam zustande. Das neue Spiel entpuppte sich als unerwartet erfolgreich. Bereits kurz darauf häuften sich in den Medien die Geschichten von zusammengebrochenen Servern (N.N. 2016b), von Handyspielern, die im Kölner Dom auf Monsterjagd gehen (N.N. 2016c) sowie von einem Amerikaner, der »für 145 Pokémons um die Welt [flog]« (N.N. 2016d). Obwohl Augmented Reality bereits spätestens mit der Implementierung des Smartphones Einzug in den Alltag der Nutzer gefunden hatte, schien erst Pokémon GO die entscheidende Statuspassage für den Durchbruch in den Massenmarkt darzustellen, was Scientific American folgendermaßen erklärt: Pokémon Go’s popularity is really important because […] is using a very major commercial brand that people know and love to make augmented reality […] accessible to anyone with a smartphone […] Some technological innovation happens and early
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In Deutschland ist das Spiel für Android und iOS eine Woche später (13.07.16) erschienen.
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adopters get all excited, but it’s not until some large brand gets involved that the technology grabs the attention of hundreds of millions people (Greenemeier 2016). Und der Tagesspiegel resümiert, dass [d]ie Revolution dieser Tage […] nicht darin [besteht], dass Augmented Reality reif für private Nutzer geworden ist, sondern dass die Menschen jetzt offenbar bereit sind für Augmented Reality. Millionen Menschen nutzen das Programm. Und das verändert alles (Gennies 2016). Fraglos hatte durch Pokémon GO das Label Augmented Reality eine weite Verbreitung gefunden und war – als ›Star‹ gefeiert – Teil einer kollektiv geteilten Wahrnehmung geworden.
Positionierungsspiele Die mit dem neuen Körper sowie den Anwendungen einhergehende neue soziale Identität der AR-Technologie wurde jedoch nicht von allen geteilt. Die Kritik kulminierte schließlich in der Frage, ob es sich hierbei denn überhaupt noch um Augmented Reality handele (vgl. Greenemeier 2016; Oh 2009). Um den Hintergrund dieser Kritik zu verstehen, muss an dieser Stelle noch einmal der zuvor beschriebene Körper-Wandel aufgegriffen werden, denn die grundlegende und bereits im Rahmen von Wikitude gestellte Frage lautet zunächst, ob es sich bei dem neuen Körper denn überhaupt noch um einen AR-Körper handelt. Der Hauptpunkt der Kritik richtet sich dabei auf die Substitution der klassischen Tracking-Verfahren durch eine rein standortbezogene Erfassung der zu augmentierenden Objekte. Dieses Verfahren sei »einfach unzureichend genau« resümiert Dieter Schmalstieg, Professor am ›Institute for Computer Graphics and Vision‹ der Universität Graz in einem Interview (Barczok/Himmelein/König 2009: 127). Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Registrierung im Sinne der korrekten Überlagerung virtueller und realer Objekte. Standortbezogene Verfahren können die Lokalisierung der Objekte aber allenfalls schätzen, so dass von einer präszisen Überlagerung nicht die Rede sein kann. Vor dem Hintergrund dieser beiden Kritikpunkte kommt Greenemeier zu dem Schluss, dass es sich an Stelle von Augmented Reality um »location-based entertainment« (Greenemeier 2016) handele, denn »[t]here is a fundamental difference between just slapping a label in front of something because I’m there and actually altering our perception of reality« […]« (Greenemeier 2016).Darüber hinaus stellen schließlich die zur Erweiterung der Realität verwendeten Objekte selbst ein Problem dar. Erstens handelt es sich hierbei oftmals – wie bespielsweise bei der Bezeichnung einer Sehenswürdigkeit – nicht um dreidimensionale Objekte und falls doch, ist ihre Einbettung nicht vollständig kontextabhängig (vgl. Mason 2016). Stattdessen fallen die »reingerechnete[n] 3D-Objekte […] sofort auf – etwa weil das Licht nicht passt oder virtuelle und reale Gegenstände keinen Schatten aufeinander werfen« (Barczok/Himmelein/König 2009: 128). Im Fall von Pokémon GO bedeutet das beispielsweise auch, dass die kleinen Monster nicht wirklich in der Lage sind, sich hinter einem Busch oder ähnlichem zu verstecken, sondern in der
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Darstellung immer auf die Realität ›draufgesetzt‹ werden (vgl. Mason 2016).42 Zweitens ist keine Interaktion der eingeblendeten Daten mit dem Bildausschnitt der Realität auf dem Display möglich, so dass wechselseitige Beeinflussungen ausgeschlossen sind. Für die Wahrnehmung bedeutet das einen fundamentalen Unterschied »between our brains integrating objects into reality and simply being told that something is part of reality« (Greenemeier 2016). Das Entscheidende ist, dass diese Punkte nicht nur funktionale oder ästhetische Bereiche betreffen, sondern fundamentaler greifen, indem sie die über viele Jahre als biographische Kernnarration der AR-Technologie fungierenden Definitionen in Frage stellen (vgl. Oh 2009). Denn vor dem Hintergrund der Identitätsrelevanz des Körpers ergaben sich aus dem Zweifel am Körper der AR-Technologie auch Zweifel an ihrer Identität. Vergegenwärtigt man sich noch einmal die über viele Jahre als biographische Kernnarration fungierende und von vielen Forschern und Entwicklern aufgegriffene Definition von Azuma, so geht es bei Augmented Reality nicht nur um die Kombination realer und virtueller Elemente, sondern auch um ihre Interaktivität in Echtzeit sowie die dreidimensionale Registrierung (vgl. Azuma 1997: 356). Entsprechend schließt Azuma Fälle aus, die zwar auf den ersten Blick wie Augmented Reality aussehen, es aber nach seiner Definition nicht sind und positioniert sie somit als nicht zugehörig: For example, it does not include film or 2-D overlays. Films like ›Jurassic Park‹ feature photorealistic virtual objects seamlessly blended with a real environment in 3-D, but they are not interactive media. 2-D virtual overlays on top of live video can be done at interactive rates, but the overlays are not combined with the real world in 3-D (Azuma 1997: 356). Aus dieser Perspektive positionieren sich die Entwickler der neuen Verfahren somit nur zur AR-Technologie, ohne sie – gemäß der in der Community verbreiteten und geteilten Definitionen – auch umzusetzen. Blickt man zurück auf die Entwicklung der Technologie, so zeigt sich, dass die Forscher und Entwickler in der Community sich zwar lange Zeit zu der Definition von Azuma positionierten, sie jedoch keineswegs immer voll umfänglich auf ihre eigene Forschung und Entwicklung anwendeten. Teilweise erfolgte die Darstellung der eingeblendeten Elemente nur in zwei Dimensionen und selbst wenn die Darstellung dreidimensional war, fehlte häufig das Element der Interaktivität.43 Ähnliche Beispiele finden sich auch in den Anwendungen der letzten Jahre. So nutzen Fahrerassistenzsysteme bereits seit längerer Zeit die Einblendung virtueller Informationen in eine entsprechend 42
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Dies allerdings könnte sich in Kürze ändern, denn Niantic plant einer Meldung zufolge eine Weiterentwicklung des Systems, so dass die Pokémon-Monster künftig mit der Realität in Echtzeit agieren und sich beispielsweise hinter Objekten verstecken können. Beispiele stellen die vor allem im Rahmen des Projekts ARIVKA immer wieder verwendeten Montagearbeiten an einer Autotür dar. So wurden bei einer im Rahmen des Projekts ARVIKA durchgeführten Versuchsanordnung lediglich zweidimensionale Elemente (Kreise) in den Bildausschnitt (die Autotür) eingeblendet, um dem Monteur anzuzeigen, wo er ein bestimmtes Bauteil einsetzen soll (vgl. Lenzen 2001/2012). Und auch bei der 1998 auf der Hannovermesse verwendeten Demonstrationstür handelte es sich zwar um Pfleile in dreidimensionaler Darstellung, die jedoch das Element der Interaktivität vermissen ließen.
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ausgestattete Windschutzscheibe, die als Head-Up Display (HUD) bezeichnet wird. Eingeblendet werden unter anderem Tempolimits, Geschwindigkeit sowie Fahr- und Navigationshinweise – zweidimensionale, nicht kontextabhängige und sowie nicht interaktive Elemente also, die der Definition von Azuma sicher nicht genügen würden. Darüber hinaus werden allerdings auch Fahrlinien und Abstände zu anderen Fahrzeugen in perspektivischer Darstellung kontextabhängig eingeblendet, so dass zumindest ein dreidimensionaler Eindruck entsteht. Die Interaktivität sei – so heißt es in einer im Juli 2014 auf der offiziellen Homepage erschienenen Pressemitteilung des Unternehmens Continental, das mit seinem 2014 vorgestellten AR-HUD eine große Vision beschreibt – dadurch gegeben, dass sich die eingeblendeten Inhalte an dem orientieren, was der Fahrer durch das Head-Up Display gerade sieht (Continental 2014). Inwieweit sich diese Vision umsetzen lässt und ob es sich wirklich um Augmented Reality in vollem Umfang handelt, bleibt allerdings abzuwarten. Besonders eindrucksvoll demonstrierte Google die Macht der Positionierung: Die 2012 vorgestellte (und bereits Anfang 2015 wieder eingestellte) Datenbrille ›Google Glass‹ wurde als AR-Brille positioniert. Allerdings bestand ihre Funktion vor allem darin, Emails abzurufen, ins Internet zu gehen und Photos zu machen – Eigenschaften, die den Anforderungen an Augmented Reality keineswegs entsprachen. Ganz anders verhielt es sich mit der Anfang 2015 vorgestellten Datenbrille ›HoloLens‹ von Microsoft: Sie wird auf der offiziellen Microsoft-Homepage ganz klar als Mixed Reality positioniert44 , während die dazugehörige Technologie aufgrund der Tatsache, dass »Holograms enhance the real world«45 das Label ›Holographic computing‹ erhält.46 Dabei hat es der Selbstbeschreibung von Microsoft auf der Homepage nach den Anschein, als könne die neue Datenbrille durchaus als eine der ersten Anwärter für eine fast vollständige Realisierung von Augmented Reality gelten: Mixed reality blends 3D holographic content into your physical world, giving your holograms real-world context and scale, allowing you to interact with both digital content and the world around you.47 Vor dem Hintergrund dieser Selbstpositionierung von Microsoft ist derzeit auch in den Medien eine Debatte darüber zu beobachten, wann es sich den um Virtual und wann um Augmented Reality handelt – mit recht unterschiedlichen Ergebnissen (vgl. DeMichele 2016; McHardy 2016; N.N. 2015c; The Foundry 2016). Erwies sich zuvor die Technik in ihren Gegenpositionierungen als widerständig und wollte die ihr zugedachte Rolle einfach nicht einnehmen, scheint nun innerhalb der Entwicklungs- und Forschungsgemeinschaft selbst ein heftiger Diskurs mit entsprechenden Positionierungen und ablehnenden Gegen- und Neupositionierungen über die Identitäsfrage entbrannt. Diese Debatte ist insofern spannend, als dass sie eine weitere, langjährig in der ARCommunity als biographische Kernnarration fungiende Definition in Frage stellt. Im Jahr 1994 hatten Milgram und Kishino ihr Realitäts-Virtualitäts-Kontinuum vorgestellt, welches Augmented Reality eindeutig als einen Teilbereich der Mixed Reality versteht
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URL: https://www.microsoft.com/microsoft-hololens/en-us/why-hololens; Zugriff: 21.08.16 URL: https://www.microsoft.com/microsoft-hololens/en-us/why-hololens; Zugriff: 21.08.16 URL: https://www.microsoft.com/microsoft-hololens/en-us; Zugriff: 21.08.16 URL: https://www.microsoft.com/microsoft-hololens/en-us/why-hololens; Zugriff: 21.08.16
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(vgl. an Milgram/Kishino 1994: 3). Diese langjährig von einem Großteil des Feldes geteilte Auffassung scheint mit der Positionierung von HoloLens und der daran anschließenden Debatte ihre für die AR-Technologie identiätsrelevante Bedeutung verloren zu haben.48 Kehrt man zurück zu der Frage, ob es sich wirklich um Augmented Reality – beispielsweise im Sinne der ursprünglichen Definition von Azuma – handelt, ist interessant, dass Azuma zusammen mit anderen Autoren vier Jahre nach Veröffentlichung des Aufsatzes mit seiner berühmt gewordenen Definition selbst die Grenzen deutlich weiter zieht und nun auch Linieneinblendungen im Sport als AR-Anwendungen gelten lässt (vgl. Azuma et al. 2001: 42f.). Offensichtlich bestehen Interpretations- und Deutungsspielräume bei der Beantwortung der Frage, ab wann es sich um welche Technologie handelt oder – um es in den Worten der bereits erwähnten Prototypentheorie zu formulieren: Ab wann es sich um einen mehr oder weniger typischen Vertreter einer Klasse handelt (vgl. Kapitel 3.1.4). Die Antwort auf diese Frage ist zum einen davon abhängig, welche Anforderungen man an die technische Realisierung als Augmented Reality stellt und zum anderen, ob sich die Akteure selbst zu dem Label Augmented Reality positionieren oder nicht. Im Zuge dieser Positionierungsspiele lassen sich unterschiedliche Varianten beobachten: Die Technologie kann somit zum Label Augmented Reality positioniert bzw. nicht positioniert werden und die technische Realisierung kann bestimmten Anforderungen genügen oder nicht genügen. Aus diesen Möglichkeiten ergeben sich vier Felder, denen die einzelnen AR-Anwendungen zugeordnet werden können. Abbildung 16 zeigt mögliche Realisierungsbeispiele und ihre Zuordnung vor dem Hintergrund, dass man Azumas frühe Definition, auf die sich lange Zeit andere Forscher und Entwickler beriefen, der Umsetzung als Augmented Reality zugrunde legt: Es zeigt sich, dass die Möglichkeiten zu einer vollständigen Umsetzung im Sinne Azumas begrenzt sind und sich nur mit Mühe Anwendungen finden lassen, die den in der Definition enthaltenen Anforderungen genügen. Lockert man hingegen – wie Azuma et al. es 2001 selbst taten – die Anforderungen und fasst den Begriff der Augmented Reality weiter, ergeben sich neue Möglichkeiten. Abhängig davon, wie weit man nun kategoriale und sensorische Merkmale fasst, kann nun beinahe jede Anwendung, welche die Mindestanforderung der Überlagerung der realen Welt mit virtuellen Elementen erfüllt, als Augmented Reality klassfiziert werden, so dass Zuordnungen zum Feld B unwahrscheinlicher werden (vgl. Abb. 17). Beobachtet man nun den aktuellen Verlauf, so scheint sich zunehmend ein breiter gefasstes Verständnis der Anforderungen an AR-Realisierungen durchzusetzen. Es müssen nicht mehr alle in den Definitionen enthaltenen sensorischen und kategorialen Merkmale erfüllt sein, um eine Anwendung als Augmented Reality klassifizieren zu können. Je stärker die sensorischen (d.h. Technik-körperlichen) Eigenschaften der
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Es ist allerdings zu vermuten, dass Microsoft keineswegs primär definitorische Ambitionen bei der Positionierung zu Mixed Reality hatte, sondern sich aus Marketing-Gründen unter Umständen auch bewusst gegenüber dem als AR-Brille gescheiterten Google Glass positionieren wolle, denn »[d]eren Flop wiegt gar so schwer, dass Microsofts Marketing sich offenbar dazu gezwungen sieht, die Augmented Reality-Brille Hololens als ›Mixed-Reality-Gerät‹ zu vermarkten« (Bastian 2016).
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Abbildung 16: Positionierung zu und Umsetzung von Augmented Reality in Abhängigkeit von Azumas früher Definition aus dem Jahr 1997
Abbildung 17: Positionierung zu und Umsetzung von Augmented Reality in Abhängigkeit von Azumas späterer Definition aus dem Jahr 2001
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AR-Technologie ins Wanken geraten, desto stärker muss auf kategoriale, d.h. abstrakte Merkmale zurückgegriffen werden. Erfüllten in den vergangenen Jahren die genannten Definitionen als biographische Kernnarrationen der Identität die Funktion dieser kategorialen Merkmale, weichen sie nun zunehmend auf und sind – wie das RealitätsVirtualitäts-Kontinuum von Milgram und Kishino, aber auch die Definition von Azum zeigen – weniger bedeutsam als früher. Unabhängig davon, ob man tatsächlich Augmented Reality in vollem Umfang realisiert, positioniert man sich heute nicht mehr unbedingt zu diesen Definitionen. An Stelle der Definitionen erhält das Label Augmented Reality, das bereits in der Anfangsphase als Schirmbegriff eine einheitsstiftende Funktion hatte, wieder eine stärkere Bedeutung. Zunächst hatte es nach der anfänglichen Begeisterung so ausgesehen, als habe der Begriff Augmented Reality insbesondere mit der Neuorientierung, wie sie beispielsweise von metaio vorgenommen wurde, an Zugkraft verloren: Und da gibt’s dann dieses Schlagwort: Augmented Reality, Hey, da müssen wir dabei sein usw. Ja, da schieben wir mal ein bisschen Geld rein. […] [U]nd da war der Begriff Augmented Reality wichtig. Bei unseren Kunden, die wir jetzt immer stärker gewinnen, da ist denen das egal, ob das Augmented Reality heißt, die wollen Ziele erreichen, die wollen ihre Produkte attraktiver machen, die wollen einfach Dinge lösen (IP-6, Turn 43). Nun aber scheint sich das Label mit Eintritt in den Consumer- und Massenmarkt nach dem Bedeutungsverlust der Definitionen erneut als das kategoriale Merkmal herauszukristallisieren, anhand dessen die Identität der AR-Technologie bestimmt wird. Entscheidend ist, wie die neue Technologie in den Narrationen der Akteure positioniert wird: Je nachdem, ob man sie zu dem Label Augmented Reality positioniert oder nicht, erhält die Technologie auch ihre soziale Identiät als Augmented Reality – oder eben nicht. Entsprechend der oben genannten Entwicklungen kommt auch Mason hinsichtlich der Frage, ob den neuen Smartphone-Anwendungen die Identität der Augmented Reality zugesprochen werden kann oder ob es sich um eine andere Art Technik handelt, zu dem pragmatischen Fazit: Is Pokemon [sic!] Go representative of fully realized potential of AR as a technology? No. But that does not mean it is not augmented reality. A christmas tree without the star on top is still a Christmas tree, and we don’t need all the pieces in place to declare something augmented reality (Mason 2016). Pokémon GO fungiert für ihn dabei als »the world’s welcoming party for augmented reality« (Mason 2016) und betont, dass die neue Technologie ihr endgültiges Ziel dabei noch lange nicht erreicht hat: »If a journey of a thousand miles starts with a single stop, then Pokemon Go is the first leap« (Mason: 2016).
Identitätswechsel Welche Identität aber hatte nun die ›neue‹ AR-Technology? Betrachtet man die Entwicklungen in den Jahren 2009 bis 2016, so lassen sich vier Kernelemente identifizieren, die den Wandel ihrer sozialen Identität kennzeichnen.
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Von der Industrie zum Consumer: Bereits am Ende der vorangegangenen, in weiten Teilen von Entmutigung geprägten Entwicklungsphase, deutete sich – zunächst noch zaghaft – ein Umdenken in der AR-Community an. Auch wenn für einzelne Entwickler und Unternehmen wie metaio die Orientierung am Konsumenten schon früh »Teil der Vision« (IP-6, Turn 33) war, blieb lange Zeit ein Großteil der Entwicklungs- und damit der Identitätsarbeit auf industrielle Anwendungen gerichtet. Vor diesem Hintergrund blieb Augmented Reality »no more than a technology curiosity with few tangible benefits. Most research was conducted by independent hobbyists at universities« (Yu 2016). Mit Entwicklung und Einzug der Smartphones in den Alltag, sollte sich das grundlegend ändern. Ein anderes Regime als die bislang hauptsächlich involvierten Forscher und Entwickler beanspruchte Augmented Reality nun für sich: AR-Browser ermöglichten nämlich beinahe jedem –Entwickler-Studios oder privaten Bastlern – eine AR-Anwendung für das Smartphone zu entwickeln und Dank Appstore konnte jeder Nutzer diese Anwendung für wenig Geld erwerben. Dementsprechend orientierten sich die Anwendungen auch an den Bedürfnissen der Konsumenten, sei es, dass sie zu ihrer Unterhaltung beitrugen oder aber bei der Lösung alltäglicher Probleme wie der Schließung von Wissenslücken behilflich waren. Augmented Reality war zu einem Konsumprodukt mit unterschiedlichen Teilidentitäten wie ›Spaß‹, ›Problemlösung‹ und ›Wissensbereitstellung‹ geworden, und die Gemeinschaft um die Technologie hatte sich beträchtlich erweitert. Von der individualisierten Speziallösung (zurück) in den Massenmarkt: Mit der Verfügbarkeit des ›neuen Körpers‹ in Form von Smartphone & Co., der sich als deutlich weniger widerständig als die hochkomplizierten technologischen Konfigurationen im industriellen Bereich erwies, sowie der Verfügbakeit von Anwendungen im Appstore, erfüllte sich eine Vision, welche die Forscher und Entwickler 2008 beinahe schon aufgegeben hatten: Augmented Reality war zum Massenprodukt geworden. Damit erhielt die Technologie einen Teil ihrer alten sozialen Identität zurück, die lange in der Entwicklungsund Forschungsgemeinschaft anvisiert, jedoch bis dato immer wieder von der Technik selbst konterkariert worden war, denn »erst mit der Verbreitung von Smartphones, die über Kameras und GPS-Ortung verfügen, ist das Outernet [gemeint ist die Verknüpfung internetbasierter Daten mit realen Bildausschnitten, Anm. v. Verf., K.L.] reif für den Massenmarkt geworden« (Schmundt 2011). Pokémon GO verschärft diesen Trend – Augmented Reality ist längst nicht mehr nur technikaffinen Entwicklern und Nutzern ein Begriff, sondern erfährt durch Pokémon GO eine neue Popularität und Verbreitung. Mit dem Eintritt in den Massenmarkt wird auch das ›Henne-Ei-Problem‹ gelöst: Die steigende Verbreitung von Augmented Reality animiert auch Unternehmen zu neuen Investitionen. So wird Tim Cook, derzeitiger CEO des Unternehmens Apple, in verschiedenen Meldungen mit den Worten zitiert, Augmented Reality »werde ein Riesending« (Becker 2016). Investitionen wie beispielsweise der Kauf des erfolgreichen ARUnternehmens metaio GmbH im Mai 2015 lassen vermuten, dass es sich hierbei nicht nur um Worte handelt. Auch eine im Mai 2016 veröffentlichte Studie des ›Fraunhofer Instituts für Angewandte Informationstechnik‹ (FIT) in Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsdienstleister Deloitte Deutschland und dem ›Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V.‹ (Bitkom) kommt zu dem Ergebnis, dass »[b]is zum Ende des Jahrzehnts […] Unternehmen in Deutschland rund 840 Millio-
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nen Euro in Virtual, Augmented oder Mixed Reality investieren [werden]« (Fraunhofer Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT) et al. 2016: 1). Entsprechend lässt Facebook im April 2017 im Rahmen der Entwicklerkonferenz ›F8‹ vermelden, künftig ebenfalls verstärkt auf die neue Technologie setzen zu wollen. Dabei hält das Unternehmen jedoch an dem ›alten‹ Körper der AR-Technologie in Form einer Datenbrille fest. Bereits im März 2014 hatte Facebook das Unternehmen Oculus VR, welches sich auf die Entwicklung von Head-Mounted Displays spezialisiert hat, übernommen (vgl. N.N. 2017). Der Teufelskreis aus sich wechselseitig bedingender geringer Stückzahl und niedrigen Investitionen scheint damit vorerst durchbrochen zu sein. Vom Nischenprodukt zum Star: Nachdem die AR-Technologie lange Zeit eine Art Nischendasein als individuelle Speziallösung vorwiegend im industriellen Bereich führte und in der öffentlichen Wahrnehmung relativ unbekannt war, avancierte sie für die Medien mit der Einführung von Pokémon GO zum neuen Technologie-Star und wurde entsprechend frenetisch gefeiert. So verkündet Heise online am 23.07.16, »Pokémon Go knackt App-Store-Rekord« (Kramer 2016) und am 26.07.16 meldet die Frankfurter Allgemeine, »[j]eder fünfte Deutsche hat schon Pokémon Go gespielt« (N.N. 2016e). Der Telegraph sieht in Augmented Reality »a powerful tool for business« (Rossi 2016) und Computerwoche titelt gar: »Pokémon Go ist erst der Anfang. Augmented Reality verändert die Logistik« (Gorter 2016). Auch wenn es sich diesen Geschichten zum Teil um eine »über Jahre eingeübte[…] Reaktion auf Apps, die zum Hit werden« (Beuth 2016) handelt, sei die »zeitliche Verdichtung« (Beuth 2016) dieser Meldungen neu. Vier Gründe führt Beuth für diese Entwicklung an: Erstens die einmalige »Kombination aus Augmented Reality-Spiel und einer weltweit bekannten Marke« (Beuth 2016), zweitens die aktuelle gesellschaftliche und politische Lage in der Welt, die ein Abtauchen in andere Realitäten attraktiv mache, drittens die warme Jahreszeit49 und viertens sei das Spiel unter Umständen nur so lange attraktiv, bis sich auf höheren Spielleveln Frustration einstelle. Diese Argumente mögen zutreffend sein oder nicht – unbestritten bleibt, dass Augmented Reality mit Pokémon GO beinahe über Nacht einen bislang unerreichten Bekanntheitsgrad erlangte und neue Visionen und Erwartungen weckte. Mit dieser Wandlung scheint auch das sonst in seinen Technologie-Prognosen meist treffsichere amerikanische Martkforschungsunternehmen Gartner nicht gerechnet zu haben. Denn in seinem jährlich erscheinenden ›Hype-Cycle‹ – einem Diagramm, das (ähnlich wie die in dieser Arbeit verwendete ›Hip-Hype-Hop‹-Kurve, vgl. Kapitel 5.2.1) Technologien einer bestimmten Marktphase zuordnet – wird die AR-Technologie im ›Hype Cycle‹ für das Jahr 2016 als »critical« eingestuft und im ›Trough of disillusionment‹ – dem ›Tal der Enttäuschung‹ (vgl. Gartner 2016) plaziert, welches von Gartner folgendermaßen definiert wird:
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Zum Verständnis dieses Arguments ist anzumerken, dass Pokémon Go seinen großen Erfolg im Sommer 2016 feierte. Die warmen Temperaturen mögen das Outdoor-Spiel durchaus attraktiver erscheinen lassen und somit zu einer größeren Verbreitung des Spiels beigetragen haben als dies beispielsweise in einem kalten Winter der Fall gewesen wäre.
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Trough of Disillusionment: Interest wanes as experiments and implementations fail to deliver. Producers of the technology shake out or fail. Investments continue only if the surviving providers improve their products to the satisfaction of early adopters.50 Diese Prognose mag so gar nicht mit den aktuellen Ereignissen, aber auch den Entwicklungen der letzten Jahre seit Markteintritt des Smartphones einhergehen und wird offensichtlich auch keineswegs durchweg geteilt, wie aktuelle Studien belegen (vgl. Fraunhofer Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT)). Ungeachtet dieser Prognosen und Plazierungen hat Augmented Reality in der öffentlichen Wahrnehmung offensichtlich eine andere Wandlung vollzogen und mutierte mit Pokémon GO vom Nischenprodukt zur vielversprechenden Technologie. Von großen Anforderungen zur pragmatischen Umsetzung: Mit dem Eintritt in den Consumer- und Massenmarkt änderten sich auch die Erwartungen an die neue Technologie. Strebte man – zumindest theoretisch – lange Zeit nach einer vollständigen Umsetzung der AR-Technologie und berief sich dabei meist auf die grundlegenden Definitionen von Azuma sowie Milgram, so scheinen diese Definitionen als Kohärenz-stiftende biographische Kernnarrationen an Bedeutung eingebüßt zu haben. Entweder positioniert man die Technologie nun – zumindest im Konsumentenund Massenmarktbereich – pragmatisch zu dem Label Augmented Reality sowie dem grundlegenden Technisierungsschema der Überlagerung realer Ausschnitte mit virtuellen Elementen. Oder aber es öffnen sich neue Debatten um das Verhältnis von Augmented und Mixed Reality – Diskurse, die in den Jahren zuvor durch den Verweis auf das Realitäts-Virtualitäts-Kontinuum bereits geschlossen schienen. Nicht nur der Körper, sondern auch die Identität der AR-Technologie hatte sich gewandelt. Entsprechend resümiert Michael Zöllner vom Fraunhofer IGD bereits 2009 in einem Interview: »Das ist nicht die Augmented Reality, an der wir seit zehn Jahren forschen« (Barczok/Himmelein/König 2009: 128). Augmented Reality war nicht länger eine anforderungsreiche Hochtechnologie für die Industrie, sondern hatte sich zur »Low Level-Technologie« für die »Consumer-Schiene« (IP-6, Turn 7) gewandelt. Nun wäre es anmaßend zu behaupten, die beschriebenen Entwicklungen – angefangen von dem Wandel des technischen Körpers, der Neuorientierung der sozialen Identität sowie der Veränderung in der Scientific Community – hätten die bisherigen Realisierungen, Visionen sowie das Regime ersetzt. Weder sind das Head-Mounted Display oder die Datenbrille abgeschafft, noch die Anwendungsvorstellungen für die Industrie aufgegeben, und auch die bisherigen Forscher und Entwickler sind nach wie vor Teil des Regimes. Die veränderte Wahrnehmung der AR-Technologie verhilft den alten Ideen stattdessen vielmehr zu neuer Popularität, indem diese im Zuge des PokémonHype medial erneut aufgegriffen und verbreitet werden. Entsprechend bewirbt der Automobilhersteller Audi im Juli 2018 Augmented Reality mit einer Anzeige, auf der unter der Überschrift »Some call it work. I call it: science fiction« ein Monteur abgebildet ist, der durch eine Datenbrille in einen offenen Motorraum blickt.51 Die AR-Technologie wird hier erneut durch ein Szenario repräsentiert, welches die anfänglichen Visionen
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URL: www.gartner.com/technology/research/methodologies/hype-cycle.jsp#; Zugriff: 22.08.16 Diese Werbung findet sich in der c´t-Ausgabe 16/2018 vom 20.07.208, S. 2.
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der 1990er Jahre fortführt. Auch die Studie des Fraunhofer Instituts und seiner Partner geht davon aus, dass »Virtual, Augmented und Mixed Reality […] sich in Deutschland innerhalb der kommenden fünf Jahre zu einem signifikanten Markt mit Zuwachsraten von jährlich 37 Prozent [entwickeln]« (Fraunhofer Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT) et al. 2016: 10). Allerdings sieht sie insbesondere technologische Realisierungen mit Datenbrille auf den B2B-Markt beschränkt, denn »[n]icht zuletzt die gewöhnungsbedürftige Optik der Brillen sowie die öffentliche Diskussion über Datenschutzaspekte werden absehbar einen Erfolg im Konsumentenmarkt verhindern« (Fraunhofer Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT) et al. 2016: 12).52 Anstatt sie zu ersetzen, ergänzen die neuen Entwicklungen die bisherige Geschichte und bereichern sie um einen entscheidenden Punkt: Sie verleihen der AR-Technologie eine neue, symbolische Struktur – nicht länger nur als etwas ›kränkelnde‹, spezialisierte Hochtechnologie, sondern als ›funktionierende‹, vielversprechende Alltagstechnologie, die im Bewusstsein der Nutzer und der Öffentlichkeit angekommen ist.
5.3.
Die Innovationsbiographie der Augmented Reality-Technologie Wir sehen nicht, daß das, was wir sind, eine Konstellation sich schnell verändernder Elemente ist. Das Leben ist ein Prozeß des Werdens, von Zuständen, die aufsteigen und vorüberziehen; es geschieht nicht irgend jemandem [Hervorheb. im Orig.]. Es gibt kein Wesen dahinter, dem es geschieht. Joseph Goldstein53
Auch wenn die Geschichte der AR-Technologie noch nicht zu Ende geschrieben ist und auf eine sicherlich erfolgreiche Zukunft hoffen darf, soll sie zumindest im Rahmen dieses Buches an dieser Stelle ein vorläufiges Ende finden. Resümiert man die Entwicklungen dieser neuen Technologie bis zum heutigen Zeitpunkt, so zeigt sich, dass die Innovationsbiographie der AR-Technologie weit mehr ist, als die chronologische Aneinanderreihung von Ereignissen, wie Lebensläufe sie darzustellen pflegen. Viel mehr handelt es sich um eine Geschichte, die Höhen und Tiefen kennt und die durch das emplotment – die Verbindung von zunächst unabhängigen Handlungen und Ereignissen zu Episoden – eine über ihren chronologischen Verlauf hinausgehende Bedeutungsstruktur erhält. Eine Geschichte, die sich aus Haupt- und Nebensträngen zusammensetzt, welche mal zielführend sind und sich ein anderes Mal als Sackgasse erweisen. Es ist zugleich die Geschichte der Identität der AR-Technologie, ihrer symbolischen Struktur, 52
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Wie sehr die Vorstellung von Augmented Reality als Display-Technologie noch immer in Industrie und Industrie-naher Forschung verankert ist, zeigt auch der Titel dieser Studie (›Head Mounted Displays in deutschen Unternehmen. Ein Virtual, Augmented und Mixed Reality Check‹): Das Head-Mounted Display steht hier quasi noch immer prototypisch synonym für die Technologien Virtual, Augmented und Mixed Reality. Goldstein 2012: 147
5. Fallstudie
die sich im Laufe der Jahre über unterschiedliche Kontexte hinweg herausbildete und auf die sich die beteiligten Akteure bezogen. Diese Geschichte beschreibt die Mechanismen der narrativen Herstellung dieser Identität, bestehend aus den unterschiedlichen Positionierungsversuchen seitens der an der Entwicklung beteiligten Akteure, den eigensinnigen Gegenpositionierungen seitens der Technik und dem wechselseitigen Aushandlungsprozess in Form eines mutual positioning. Sie zeigt die Einbettung in ein durch narrative Erwartungsstrukturen miteinander verflochtenes Innovationsregime, beschreibt die Suche nach Balance zwischen Kontinuität und Entwicklung auf der einen sowie Kohärenz und Flexibilität auf der anderen Seite. Sie handelt von Euphorie sowie vom Scheitern, von Um- und Neurorientierungen und dem, was die an dieser Geschichte Mitwirkenden daraus gelernt haben. Die dieser Narration zugrunde liegende Frage lautet: Wovon sprechen wir denn eigentlich, wenn wir den Begriff Augmented Reality verwenden? Diese Frage führt unweigerlich zu der Frage nach der Identität dieser Technologie und geht über ihre technologische Entwicklung sowie ihre Durchsetzung am Markt als Innovation hinaus. Die Identität der AR-Technologie bestand zunächst selbst nur aus Geschichten und symbolischen Repräsentationen in Form von Bildern, wie beispielsweise dem 15 Zeilen langen Artikel über das Electrocular von Hughes Aircraft & Co. oder dem ausführlicheren, dafür aber unbebilderten Report von Douglas Engelbart. Sie bestand zu diesem Zeitpunkt lediglich aus einer vagen Idee, hatte nur eine soziale Identität, ohne in ein größeres Regime eingebettet oder mit einem technologischen Körper ausgestattet zu sein. Beides erhielt sie erst mit Ivan Sutherlands Forschungen zum Head-Mounted Display, ohne zu diesem Zeitpunkt schon ihren Namen erhalten zu haben. Eingebettet in ein Forschungsprojekt wurde sie nun mit einem technologischen Körper in Form eines Displays konfrontiert. Aus den Geschichten über die AR-Technologie wurde im Zuge der Forschungsarbeiten erstmalig eine Geschichte mit der AR-Technologie, denn durch ihren technologischen Körper sowie den daraus resultierenden Eigenschaften hatte die neue Technologie nun ihrerseits Gelegenheit, an der Geschichte mitzuwirken und auf die Positionierungsaktivitäten der Forscher zu reagieren. Zu diesem Zeitpunkt kristallisierten sich zwei Faktoren heraus, die für die Identität der AR-Technologie lange Zeit prägend sein sollten: Ihre Zuschreibung als Display-Technologie sowie das hieraus resultierende Spannungsverhältnis zwischen ihrer sozialen Identität in Form von Zuschreibungen, Visionen und Erwartungen auf der einen, sowie ihrer materiell-konzeptuellen Identität – primär in Form von aus dem technologischen Körper resultierenden Widerständigkeiten – auf der anderen Seite. Im Jahr 1992 sollte eine weitere wichtige Facette hinzukommen: die Taufe auf den Namen Augmented Reality im Zuge der Forschungsarbeiten von Thomas P. Caudell sowie David Mizell. Mit dem Schritt ›Back to the real world‹ erhoffte man sich mit der erweiterten Realität eine günstige Alternative für die als zu teuer und komplex erachtete virtuelle Realität, wodurch die AR-Technologie eine weitere Identitätsfacette als vielversprechende Problemlösung vor allem für den industriellen Kontext erhielt. Es entwickelte sich langsam eine über das Boeing-Projekt hinausgehende, durch gemeinsame Erwartungen verbundene Gemeinschaft von Akteuren, die sich für die neue Technologie interessierte. Vor allem die Beschreibung des Realitäts-Virtualitäts-Kontinuums von Milgram und Kishino im Jahr 1994 sowie die Definition von Augmented Reality
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durch Ronald Azuma im Jahr 1997 sollten sich in dieser Zeit für die Identität der ARTechnologie bis heute in zweierlei Hinsicht als richtungsweisend herausstellen. Zum einen positionierten Milgram und Kishino sie gegenüber anderen Technologien, während Azuma in seiner Definition das Technisierungsschema der AR-Technologie beschrieb, wodurch der Kern der neuen Technologie herauskristallisiert wurde. Zum anderen hatten beide Definitionen eine über die technologische Realisierung hinausgehende Funktion, denn in der Frage, was Augmented Reality ist, beriefen sich Forscher und Entwickler in den Folgejahren (und zum Teil bis heute) auf diese Definitionen. Zusammen mit dem Label Augmented Reality bildeten diese Definitionen als ›kleine Geschichten der Identität‹ biographische Kernnarrationen, die über Jahre hinweg für Kontinuität und Kohärenz der Identität der AR-Technologie sorgten: Positionierte man eine Technologie zu dem Label Augmented Reality oder eine der Definitionen, dann war diese Technologie eine AR-Technologie – und zwar unabhängig davon, ob die technologische Realisierung auch tatsächlich dieser Definition entsprach. Der narrative Aushandlungsprozess fand fortan auf mehreren Ebenen statt: Zum einen zwischen den beteiligten Akteuren, die sich einerseits selbst gegenseitig in Diskursen und ersten Publikationen zu der neuen Technologie positionierten und andererseits zugleich über die neue Technologie diskutierten und zum anderen zwischen Mensch und Technik selbst, wenn die Ideen und Erwartungen in ersten Forschungsvorhaben an den technologischen Körper im praktischen Umgang konkret herangetragen und mit ihm ›ausdiskutiert‹ wurden. Auch wenn das Innovationsregime um die neue Technologie zunehmend größer und ihre Entwicklung durch neue Projekte vorangetrieben wurde, fristete die AR-Technologie zumindest in Deutschland noch immer ein Dasein als akademisches Nischen-Forschungsprojekt. Das änderte sich, als sie mit Professor Encarnação vom Fraunhofer IGD einen neuen Fürsprecher erhielt. Durch die Geschichten, die er einflussreichen Akteuren aus Politik und Wirtschaft über Augmented Reality erzählte, schrieb er selbst an der Geschichte der AR-Technologie und ihrer Identität mit. Er war nicht nur der Erzähler dieser visionären Geschichten, sondern wurde zu einer der Hauptfiguren des narrativen Personals und somit selber Teil der Geschichte. Auch wenn in den Jahren zuvor bereits erste Prototypen entstanden, bestand die Identität der Augmented Reality zu diesem Zeitpunkt doch in vielerlei Hinsicht aus Versprechungen, Erwartungen, Visionen und Zuschreibungen. Professor Encarnação gestaltete diese rhetorische Identität narrativ weiter aus, so dass sich das Innovationsregime um die AR-Technologie kontinuierlich erweiterte. Spätestens mit dem Projektstart von ARVIKA im Jahr 1999 löste sich die Augmented Reality von ihrem Fürsprecher und materialisierte sich in unterschiedlichen technologischen Konfigurationen, so dass aus der rhetorischen schließlich eine soziale Entität wurde, die in der Lage war, unterschiedliche Akteure in einer Scientific Community zu vereinen. Neben der Aushandlung im praktischen Umgang entstand mit den eigens für die Augmented Reality ins Leben gerufenen Konferenzen ab 1998 ein weiterer Ort der narrativen Aushandlung. In den Geschichten über die neue Technologie wurde diese von den Forschern und Entwicklern auf unterschiedliche Weise positioniert und gegenpositioniert. Gleichzeitig wurden die von der Technik selbst ausgehenden Positionierungskativitäten entweder angenommen (dies zeigt sich vor allem in der Thematisierung von Widerständigkeiten in den Publikationen) oder aber zurückgewiesen (beispielsweise dann, wenn trotz aller
5. Fallstudie
Widerständigkeit auf dem enormen Potential der neuen Technologie beharrt wurde). Zu diesem Zeitpunkt hatte die AR-Technologie durch die Berufung auf das Label sowie die Definitionen eine relativ stabile Kernidentität, eine soziale Identität als vielversprechende Problemlösung vor allem für den industriellen Kontext, zahlreiche aus diesem Kontext resultierende Teilidentitäten in Form unterschiedlicher Anwendungsszenarien sowie einen Körper, der vor allem auf einem Display basierte. Leider ergaben sich aus diesem Körper auch recht eigensinnige Eigenschaften, die sich zwar schon früh abzeichneten, in den Folgejahren jedoch die narrative Aushandlung der symbolischen Struktur der AR-Technologie maßgeblich beeinflussen sollten. Man könnte sagen, dass die anfängliche Spannung nachließ und die Geschichte der AR-Technologie sowie ihrer Identität sich nicht mehr weiterentwickelte. Die Technik streikte, aber die beteiligten Akteure waren nicht willens, ihre Faust nach dem Griff in den Affentopf zu lösen und von ihren langjährigen Visionen hinsichtlich Anwendungskontext sowie technischer Realisierung Abstand zu nehmen. Man bemühte sich vergeblich um die wechselseitige Anpassung zwischen Vorstellungen der Akteure auf der einen sowie den Gegebenheiten der Technik auf der anderen Seite, und erste Stimmen, die in der einst so aussichtsreichen Technologie nun eine gescheiterte Technologie sahen, wurden laut. Nur zögerlich ließ man innerhalb des Innovationsregimes die Ideen von einer AR-Technologie, die als auf einem Display basierende Stand-alone-Technologie jedem jederzeit zur Verfügung stand, die Industrie revolutionierte und den Massenmarkt eroberte, fallen. An die Stelle einer Gesamtidentität der AR-Technologie trat ein Vakuum – weder wusste man, was man von der widerspenstigen Technologie halten, noch was man von ihr in Zukunft erwarten sollte. Die unklare Identität der AR-Technologie hatte auch konkrete Folgen für das Feld: Es wurde nur noch wenig in Forschung und Entwicklung investiert und Folgeprojekte erhielten eine andere Ausrichtung, bei der Augmented Reality nur noch eine Nebenrolle spielte. An dieser Stelle zeigt sich besonders deutlich, dass die Identität einer Technik allenfalls in der Phase ihrer Entstehung allein auf sozialen Zuschreibungen beruht. Im Zuge ihrer weiteren Entwicklung gewinnen zunehmend die aus der Technik selbst resultierenden Eigenschaften an Einfluss, so dass die Technik selbst zum zentralen Akteur in der Geschichte ihrer Identitätskonstitution wird. Umgekehrt reicht jedoch auch der Körper der Technik alleine nicht aus, um zu bestimmen, worum es sich bei einer Technologie handelt und wie sie verstanden werden kann. Stattdessen entsteht nicht nur die Technologie selbst, sondern vor allem auch ihre symbolische Bedeutung im Zuge eines auf wechselseitigen Positionierungen beruhenden Aushandlungsprozesses zwischen Mensch und Technik. Mit der Entwicklung des Smartphones nahm die Geschichte der Augmented Reality sowie ihrer Identität schließlich ab 2009 eine neue Wendung. Die beteiligten Akteure lösten ihren Griff aus dem Affentopf, so dass sich nicht nur der Körper der ARTechnologie in neuer Gestalt präsentierte, sondern auch die von ihm ausgehenden Optionen genutzt und neue Anwendungsszenarien skizziert und umgesetzt wurden. Vor allem die Umorientierung von Augmented Reality als hochspezialisierte Problemlösung für die Industrie zum alltagstauglichen Hilfs- und Unterhaltungsmedium für den Massenmarkt trug zu einem neuen Gesamtverständnis bei. Statt hoher Ansprüche stand nun eine pragmatische Umsetzung im Vordergrund, an der sich mit Hilfe offener, Internet-basierter Plattformen nicht nur Entwickler, sondern auch Nutzer beteiligen konn-
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ten, wodurch das Innovationsregime um die AR-Technologie ein weiteres Mal erweitert wurde. Auch Unternehmen wie Apple und Facebook wurden auf die neue Technologie aufmerksam und investierten in ihre Entwicklung. Durch das Smartphone-Spiel Pokémon Go wurde im Jahr 2016 aus dem ehemaligen Nischenprodukt schließlich ein Star, dessen Bedeutung nun vor allem medial diskutiert wird, wobei narrative Positionierungspraktiken nach wie vor eine entscheidende Rolle spielen. In diesen Diskursen stellt sich erneut die Frage nach der ›Echtheit‹ der AR-Technologie, und noch immer bezieht sie ihre Kernidentität aus der Positionierung zu ihrem Label sowie den langjährigen biographischen Kernnarrationen. Ihre Gesamtidentität, ihre symbolische Struktur mit den vielen, unterschiedlichen Teilidentitäten hingegen wird sich jedoch auch weiterhin in unterschiedlichen Geschichten und narrativen Aushandlungsprozessen zwischen Mensch und Technik als Hauptakteuren konstituieren.
6. Zusammenfassende Betrachtungen Konzeption, Praxis und Zukunft technischer Identitäten
Betrachtet man die aktuelle Repräsentation der AR-Technologie in den Medien, dann fällt es schwer, zu glauben, dass diese Technologie lange Zeit ein Schattendasein führte und allenfalls in Expertenkreisen wahrgenommen wurde. Der Weg in die Öffentlichkeit war für diese Technologie ein langer Weg, flankiert von kontinuierlichen Bemühungen um ihre technische Entwicklung, aber auch gekennzeichnet durch eine intensive Identitätsarbeit. Diesen Weg nachzuzeichnen und dabei nicht nur die unterschiedlichen Stadien der technologischen Entwicklung sowie des Innovationsverlaufs der ARTechnologie, sondern auch die Arbeit an ihrer Identität zu berücksichtigen und miteinander in Beziehung zu setzen, war Gegenstand dieser Arbeit.
6.1.
Die Identität der Technik – Knowing that and knowing how
Bevor die AR-Technologie und ihre Entwicklung in den unterschiedlichen Dimensionen jedoch tatsächlich selbst in den Fokus der Betrachtung rücken konnte, galt es, theoretische Basisarbeit zu leisten. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Beobachtung, dass insbesondere Hoch- und Querschnittstechnologien einerseits durch eine Heterogenität verschiedener Entwicklungsstränge geprägt sind und andererseits aufgrund der Vielzahl ihrer Anwendungskontexte und stofflichen Realisierungen über eine äußerst unsichere Identität verfügen. Sowohl der komplexe Innovationsverlauf als auch die unsichere Identität – so die Annahme – prägen auch die Entwicklung der AR-Technologie in besonderem Maße. Es stellt sich die Frage: Wovon sprechen wir denn eigentlich, wenn wir den Begriff Augmented Reality verwenden? Diese Frage führt unweigerlich zu der Frage nach der Identität dieser Technologie und geht über ihre technologische Entwicklung sowie ihre Durchsetzung am Markt als Innovation hinaus. Während die technik- und innovationssoziologische Forschung sich mit der Veränderung von Innovationsverläufen in den letzten Jahren zunehmend auseinandergesetzt hat, liegt für die Identität der Technik bislang weder ein überzeugendes theoretisches Konzept, noch ein methodisches Instrumentarium zu ihrer Analyse vor. Stattdessen bleiben die Fragen
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Die multiple Identität der Technik
offen, was unter der Identität einer Technik verstanden sowie mittels welcher Herstellungsmechanismen sie konstitutiert wird. Diese Forschungslücke aufgreifend, wurde im Rahmen dieses Buches am Beispiel der AR-Technologie ein Vorschlag erarbeitet, wie die Identität der Technik unter Rückgriff auf die Identitätsforschung theoretisch konzipiert, als narrative Identität der Technik empirisch zugänglich gemacht und somit innovationsbiographisch beschrieben werden kann. Dabei zeigt sich, dass die Beantwortung der Frage nach der Identität einer Technik im Allgemeinen sowie der AR-Technologie im Besonderen offenbar komplexer ist, als die bisherige Literaturlage unter Berufung auf Materialität, Anwendungskontext sowie Innovationsverlauf nahelegen möchte. Weder der Technikbegriff selbst noch die materielle Basis der Technik oder ihr geplanter Einsatzbereich sind aufgrund ihrer Heterogenitäten offenkundig in der Lage, die Identität einer Technik zu klären, denn trotz vergleichbarer Materialität und geichem Anwendungsfeld kann bereits ein einfaches technisches Artefakt unterschiedliche symbolische Strukturen aufweisen. Noch komplexer gestaltet sich dies unweigerlich im Falle moderner Hochtechnologien. Auch Blumenbergs relationaler Ansatz der Technisierung (vgl. Blumenberg 1981b), in Anlehnung an Husserl verstanden als formalisierter Prozess, der zuverlässig und wiederholbar Ursache und Wirkung miteinander verbindet, ohne dass sich dieser Zusammenhang dem Nutzer zwangsläufig erschließt, bietet zwar einen interessanten Ansatzpunkt, um den Kern einer Technologie zu bestimmen, bleibt eine erschöpfende Antwort auf die Frage nach der Identität einer Technik allerdings schuldig. Das Typische einer Technik, das, was sie für andere identifizierbar macht, besteht offensichtlich nicht allein in ihrem Aussehen, den verwendeten Materialien oder dem Design. Augmented Reality ist nicht nur einfach eine Datenbrille (diese ließe sich ebenso für andere Einsatzzwecke wie beispielsweise Virtual Reality verwenden; umgekehrt gibt es neben der Datenbrille eine Vielzahl anderer Realisierungsmöglichkeiten für Augmented Reality). Genauso wenig erschöpft sie sich in der Beschreibung ihrer Kernfunktion als Überlagerung von Realität und Virtualität oder in der Festlegung auf ein Hilfsmittel für einen spezifischen Einsatzbereich – sie ist mehr, und dieses ›mehr‹ gilt es zu klären, wenn man verstehen möchte, wie sich ein technologisches Feld um eine neue Technologie konstituiert. Um sich dem Wesen der Technik sowie ihrer sozialen Bedeutung zu nähern, wurden mit der Vergegenständlichungsperspektive, dem Sozialkonstruktivismus, der Praxistheorie sowie der Mangle of Practice für die Techniksoziologie zentrale Ansätze aufgegriffen und hinsichtlich ihres konzeptionellen Beitrags für eine Identität der Technik näher untersucht. Dabei zeigte sich, dass die einzelnen Ansätze für sich genommen Wesen und Konstitution technischer Identitäten aufgrund der Einseitigkeit ihrer jeweiligen Perspektive zwar nicht hinreichend und umfassend zu erklären vermögen, jedoch hilfreiche Kerngedanken beinhalten, welche in die nachfolgende Konzeption einer Identität der Technik eingeflossen sind. Auch wenn die auf Linde (1972) zurückgehende Vergegenständlichungsperspektive aufgrund unterschiedlicher Schwachstellen, welche u.a von Schulz-Schaeffer (2000) dezidiert herausgearbeitet wurden, zu Recht einer häufigen Kritik unterzogen wurde und in ihrer Normativität einer Sachdominanz der Technik so nicht haltbar scheint, verweist sie dennoch auch auf die soziale Vorstrukturierung von Artefakten, welche dem Nutzer in der Praxis als eigenständige En-
6. Zusammenfassende Betrachtungen
tität gegenübertreten und somit nahelegen, Artefakte in ihrer Materialität und Funktion ernst zu nehmen. Zwar ist der Anwender einer Technik keineswegs einem Sachzwang im Sinne Lindes ausgesetzt, allerdings ist der Möglichkeitsraum im Umgang mit der Technik aufgrund ihrer Vorstrukturierung durchaus eingeschränkt. Quasi in ›Opposition‹ zu diesem Ansatz betrachten Vertreter des Sozialkonstruktivismus die soziale Bedeutung technischer Artefakte als ›interpretativ flexibel‹ – eine Festlegung kann (muss aber nicht) aufgrund sozialer Schließungsmechanismen am Ende eines Aushandlungsprozesses zwischen den relevanten Akteuren erfolgen. Ungeachtet der Schwachstellen, die auch dieser Ansatz aufweist (vgl. u.a. Meyer/Schulz-Schaeffer 2006 sowie SchulzSchaeffer 2000), verweist er doch auf die Rolle von Bedeutungszuschreibungen, aber auch Erwartungen und Versprechungen (vgl. Van Lente/Rip 1998a+b), die von außen an ein Artefakt herangetragen werden und seine Identität als eben dieses technische Artefakt durchaus beeinflussen. Die Praxistheorie ergänzt diesen Blick um eine weitere Perspektive, indem sie die konkrete Auseinandersetzung mit der Technik im praktischen Umgang betont und sich somit gegen den Vorwurf ›kulturalistischer Vereinseitigung‹ aufgrund von Bedeutungszuschreibung wehrt (vgl. Hörning 1995). Vor allem die Idee, dass Subjekte (aber auch Artefakte) nicht als feste Entitäten existieren, sondern in der Praxis im Sinne eines doing identity immer wieder neu konstituiert und ausgehandelt werden, bietet spannende Ansatzpunkte für das weiterführende Verständis einer Identität der Technik. Allerdings läuft auch die Praxistheorie Gefahr, eine zu einseitige Perspektive einzunehmen und ihrerseits einer ›praxistheoretischen Vereinseitigungung‹ in die Falle zu gehen. Ansätze wie die Mangel of practice (vgl. Pickering 1993) betonen sozusagen die andere Seite der Praxis, indem sie darauf verweisen, dass die Bedeutung von Artefakten nicht nur durch den Umgang mit ihnen entsteht, sondern diese selber – zumindest graduell (vgl. Rammert/Schulz-Schaeffer 2002a) – über material agency verfügen und ihrerseits den Nutzer beeinflussen. In einem fortlaufenden Aushandlungsprozess von Widerständigkeiten der Technik auf der einen sowie Erwartungen der Anwender und Entwickler auf der anderen Seite kristallisiert sich die soziale Bedeutung der Technik heraus. An diesem Punkt der Überlegungen stellte sich die Frage, wie sich die als hilfreich identifizierten, jedoch unverbunden nebeneinanderstehenden Teilaspekte in ein Gesamtkonzept integrieren lassen, das die Einseitigkeiten der Perspektiven überwindet und die Identität einer Technik multiperspektivisch zu erklären vermag. Zu diesem Zweck wurde ein Perspektivwechsel vorgenommen und der Blick auf die Nachbardisziplinen der Identitäts- und Biographieforschung sowie der Körpersoziologie gerichtet. Ausgehend von der Annahme, dass die diesen Disziplinen zugrunde liegende Wissensbasis hinsichtlich Konstitution und Entwicklung von Identität sowie die Bedeutung identitätsrelevanter Faktoren auch Anregungen für das Konzept einer Identität bieten kann, wurden die zuvor identifizierten Ansatzpunkte aus der Technik- und Innovationssoziologie aufgegriffen und zu bestehenden Konzepten der Identitäts- und Biographieforschung in Beziehung gesetzt. Herausgearbeitet wurden unterschiedliche Facetten einer Identität der Technik, welche als Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen Zuschreibungen und Erwartungen von außen (soziale Identität) sowie ihren Eigenanteilen (materiell-konzeptuelle Identität) einerseits kontextabhängig unterschiedliche Ausprägungen (Teilidentitäten) aufweist, andererseits aber auch durch unveränder-
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Die multiple Identität der Technik
lich stabile Eigenschaften (Kernidentität) Kontinuität und Kohärenz garantiert, so dass sie als eine überdauernde Technologie wahrgenommen und als Ausgangspunkt für die Etablierung eines technologischen Feldes (Regime) fungieren kann. Unter Berücksichtigung identitätsrelevanter Faktoren wie den Körper der Technik sowie das Label, unter dem sie firmiert, wurden die einzelnen Facetten aufeinander bezogen und zu den bisherigen Erfahrungen aus der Technik- und Innovationsforschung in Beziehung gesetzt. Verstanden werden kann die Identität der Technik vor diesem Hintergrund in einer ersten Fassung als eine symbolische Struktur, die sowohl auf vorstrukturierten Eigenschaften der Technik selbst als auch Zuschreibungen der Umwelt beruht und in praktischen Aushandlungsprozessen fortwährend hergestellt wird (Identitätsarbeit und -projekte). Während die technische Entwicklung samt ihrer kritischen Ereignisse und Brüche analog zum Lebenslauf faktisch beschrieben werden kann, lassen sich Identitätskonstitution und -wandel einer als neuartig wahrgenommenen Technik im Zuge einer Innovationsbiographie nachzeichnen. Wie aber lässt sich die symbolische Struktur im Rahmen einer Innovationsbiographie empirisch erschließen? Um diese Frage zu beantworten, wurde mit Rekurs auf die Narrationsforschung eine weitere Nachbardisziplin hinzugezogen, die sowohl Bezüge zur Technik- und Innovationsforschung, als auch zur Identitäts- und Biographieforschung herstellt. Vor dem Hintergrund eines kurzen Abrisses über die Geschichte der Narration löst sich der hier vertretene Narrationsansatz aus der Strenge der strukturalistischen sowie hermeneutischen Tradition und verortet sich in Anlehnung an Czarniawska (2004a) in der Nähe des poststrukturalistischen Endes des narrativen Spektrums. Anders als Czarniawska wird hierbei jedoch ein weiter Narrationsbegriff vertreten, der ähnlich wie Barthes (1977b) vielfältige Ausdrucksformen – darunter neben gesprochenen und geschriebenen Narrationen auch Handlungen und Praktiken – umfasst. Auch hinsichtlich der Frage, wer als narratives Personal in Frage kommt, wird das Narrationsverständnis weit gefasst. Das Konzept des verteilten Handelns von Rammert und Schulz-Schaeffer (2002a) aufgreifend, kann auch nicht-menschlichen Akteuren im praktischen Umgang mit ihnen Handlungsträgerschaft als Ergebnis beobachtbarer Ereignisse zugeschrieben werden. Für die vorliegende Arbeit bedeutet dies, dass auch der praktische Umgang mit Technik als narrative Praxis, an der sowohl menschliche als auch nicht-menschliche Akteure beteiligt sind, ›gelesen‹ werden kann (wobei aus analytischen Gründen im Falle nicht-menschlicher Akteure eine begriffliche Umstellung auf ›narrative Aktivität‹ geboten zu sein scheint). Hinsichtlich der Frage nach Repräsentation und Performanz einer Narration wird in Anlehnung an Reckwitz (2008) ein praxeologisch-kulturtheoretischer Ansatz vertreten: Einerseits enthalten Narrationen Informationen über die in ihnen repräsentierten Sachverhalte (knowing that), andererseits werden Narrationen als narrative Praktiken verstanden, durch welche Sachverhalte sowie sinnhafte Entitäten erst produziert werden (knowing how). Der performative Charakter narrativer Praktiken umfasst somit zum einen die Art und Weise, in der Inhalte repräsentiert werden (Repräsentationspraktiken) sowie zum anderen die Herstellungsmechanismen, mit deren Hilfe sinnhafte Entitäten (im Rahmen dieser Arbeit als Identitäten bezeichnet) im Zuge narrativer (Positionierungs-)Praktiken konstituiert werden. Indem Entitäten zueinander in Relation gesetzt und Ereignisse sowie Handlungen zu Episoden verbunden werden (emplotment), werden den einzelnen Entitäten
6. Zusammenfassende Betrachtungen
Bedeutungsstrukturen zugewiesen und eine Narration erhält einen spezifischen, über die Aneinanderreihung chronologischer Ereignisse hinausgehenden Charakter. Dieses relationale Narrationsverständnis wurde auch von der Identitätsforschung aufgegriffen. An die Stelle einer Vorstellung von Identität als fester sozialer Kategorie rücken nun ihr Prozesscharakter sowie ihre Konstitutionsmechanismen in den Fokus der Betrachtung. Hieran anschließend lassen sich auch technische Identitäten in einer zweiten Fassung als sprachlich-symbolische Strukturen verstehen, welche fortlaufend mittels Positionierungen und Gegenpositionierungen (mutual positioning) in Selbst- und Fremdnarrationen, Interaktions- und Handlungssequenzen durch menschliche sowie nichtmenschliche Akteure konstitutiert werden. Durch die Analyse dieser narrativen Positionierungsaktivitäten eröffnet sich ein empirischer Zugang, mit dessen Hilfe unter Rückgriff auf Verfahren wie das narrative Interview nach Fritz Schütze (1976; 1977; 1981; 1983; 1984), aber auch Dokumentenanalysen sich nicht nur die Identität einer Technik in Form ihrer sprachlich-symbolischen Struktur an sich, sondern auch die Mechanismen ihrer Identitätskonstitution nachvollziehen lassen. Mit diesem theoretisch-konzeptionellen sowie methodischen ›Rüstzeug im Gepäck‹ konnte nun erneut die Ausgangsfrage aufgegriffen werden, worin das Typische der ARTechnologie besteht, das sie für andere wiedererkennbar und identifizierbar macht und somit Entstehung sowie Koordination eines technologischen Feldes um diese Technologie herum ermöglicht.
6.2.
Lessons Learned – Von der Instandhaltung zum Monsterjäger
Da es sich bei der vorliegenden Arbeit sowohl in theoretischer als auch empirischer Hinsicht um Pionierarbeit handelt, mit der immer auch ein gewisses Wagnis verbunden ist, stellte die Fallstudie zur Identität der AR-Technologie einen Prüfstein in mehrfacher Hinsicht dar: Abgesehen von der Frage, welchen Beitrag eine Analyse der Identität der AR-Technologie sowie ihrer Konstitutionsmechanismen für ein besseres Verständnis der Genese sowie des Innovationsverlaufs dieser Technologie leistet, stellte sich auch die Frage, inwiefern sowohl das erarbeitete theoretische Konzept einer Identität der Technik als auch Aufbau sowie gewähltes Vorgehen der Fallstudie überhaupt geeignet sind, die Identität einer Technologie zu rekonstruieren und zu neuen Erkenntnissen zu gelangen, die über den bisherigen Wissensstand hinausgehen. Leitend für die vorliegende Fallstudie zur Identität der AR-Technologie war auf der empirischen Ebene die vor dem Hintergrund der vorangegangenen Überlegungen formulierte Frage, wie (d.h. mit Hilfe welcher Mechanismen) welche Identität der ARTechnologie im Sinne ihrer symbolischen Struktur narrativ hergestellt wird. Präzisiert wurde die Frage durch Rekurs auf die im Rahmen der theoretischen Konzeption einer Identität der Technik identifizierten Teilbereiche: der sozialen und materiell-konzeptionellen Identität sowie des Aushandlungsprozesses zwischen den beiden Anteilen; der Kern- und Teilidentität sowie ihrer Kontinuität und Kohärenz und schließlich Innovationsbiographie und -verlauf, welche in ein Innovationsregime eingebettet sind. Die in einer ersten Planung angedachte ausführliche Analyse dieser Teilbereiche sowohl auf Feld- als auch Projektebene (Projekt ARVIKA) musste jedoch zugunsten einer Fokus-
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sierung auf die Feld-Ebene der AR-Technologie mit punktueller Berücksichtigung der Entwicklungen in dem Projekt ARVIKA aufgegeben werden. Sowohl die Zielsetzung, als auch der Umfang des Untersuchungsgegenstandes und vor allem die generierte Datenmenge erwiesen sich als zu groß, um im Rahmen dieses Vorhabens wie angedacht umgesetzt werden zu können. Es zeigte sich im Verlauf der Auswertung jedoch, dass die stattdessen verfolgte wechselseitige, punktuelle Berücksichtigung von Feld- und Projektebene sich als äußerst fruchtbar erwies und ein umfassendes Gesamtbild der Innovationsbiographie der AR-Technologie lieferte. Für das methodische Vorgehen wurde eine Methoden-Triangulation aus narrativem sowie Leitfaden-gestütztem Experteninterview und Dokumentenanalyse gewählt. Wie bereits zuvor in anderen Anwendungskontexten (vgl. Butzin 2012; Holtgrewe 2002) musste das narrative Interview nach Fritz Schütze für die Anwendung auf Technik dahin gehend adaptiert werden, dass die Technik als Biographieträger nicht selbst befragt werden konnte, sondern als Fürsprecher fungierende, relevante Akteure (in diesem Fall die befragten Experten), welche mit der AR-Technologie sowie ihrer Geschichte sehr vertraut sind und über entsprechende kognitive Repräsentationen (vgl. Küsters 2006) verfügen, diese Aufgabe übernehmen. Da es sich bei dem narrativen Interview um ein äußerst komplexes methodisches Vorgehen handelt, lagen an dieser Stelle Befürchtungen wie beispielsweise eine ablehnende Haltung gegenüber einer offenen Erzählaufforderung, eine geringe Erzählbereitschaft, Wechsel in andere Textgenres, starke Selbstkontrolle sowie geschönte, marktkonforme Antworten seitens der Interviewpartner nahe. Es zeigte sich jedoch, dass diese Befürchtungen nur in einigen Interviews in den ersten Minuten begründet waren (und bei der Auswertung entsprechend kritisch behandelt wurden). Im weiteren Verlauf griffen in allen Fällen die Zugzwänge des Erzählens, so dass aus Narrationen auswertbare Interviewtexte generiert wurden. Die Voraussetzung hierfür bestand in der geeigneten Auswahl der Interviewpartner, die als relevante Akteure in das Feld um die AR-Technologie sowie die Entwicklung ihres Innovationsverlaufs involviert waren. Trotz dieser überraschend positiv verlaufenden Adaption des narrativen Interviews für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Durchführung und Aufarbeitung in Form der vollständigen Transkription und Codierung bereits von zwölf narrativen Interviews in Kombination mit dem anschließenden Leitfadengestützten Interviewteil sowie den darüber hinaus herangezogenen Dokumenten sowohl einen immensen Arbeitsaufwand darstellen als auch eine enorme Datenmenge generieren. Aus diesem Grund musste von einer vollständigen, sequenzanalytischen Auswertung im Sinne Schützes abgesehen und stattdessen auf eine partiell narrationsanalytische Auswertung ausgesuchter Passagen zurückgegriffen werden. An dieser Stelle ist für die weitere Forschung abzuwägen, ob die Zahl der narrativen Interviews für die Erstellung zukünftiger Innovationsbiographien begrenzt und somit eine vollständige Auswertung ermöglicht werden sollte, oder ob gerade die Vielzahl der narrativen Interviews zu einer multiperspektiven Darstellung der Beteiligten und somit zu einem umfassenderen Gesamtbild führt. Festzuhalten bleibt, dass eine Adpation sowie eine zumindest punktuelle Anwendung des narrativen Interviews auf den Bereich der Technik gewinnbringend möglich ist. In Kombination mit dem anschließenden, narrativ ausgewerteten Leitfaden-Interview, welches die zuvor identifizierten Teilbereiche technischer Identitäten aufgreift sowie einer ebenfalls narrativen Dokumentenanalyse
6. Zusammenfassende Betrachtungen
steht ein methodischer Zugang zur Verfügung, der sowohl Aufschluss über den Verlauf der AR-Technologie und ihrer repräsentierten Identitätsvorstellungen (knwowing that) als auch die narrativen Mechanismen ihrer Herstellung (knowing how) gibt. Auf der theoretisch-konzeptionellen Ebene zeigte sich, dass das erarbeitete Konzept einer Identität der Technik der empirischen Überprüfung standhielt und in der Lage war, die narrative Identitätsarbeit zu rekonstruieren und somit technische Identitäten als narrativ hergestellte symbolische Strukturen zu verstehen. Es ließen sich sowohl die aus der Identitäts- und Biographieforschung übernommenen Annahmen hinsichtlich einer Identität der Technik bestätigen als auch ihre Konstitutionsmechanismen in Form narrativer (Positionierungs-)praktiken nachvollziehen. Die komplementäre Betrachtung von Innovationsbiographie, Technikverlauf sowie Innovationsregime erlaubt, das Zusammenspiel der identitätskonstituierenden Faktoren zu klären und die wechselseitige Beeinflussung von Ereignissen und Statuspassagen, Technik in ihrer Materialität, unterschiedlichen Identitätskonstruktionen sowie relevanten Akteuren und gatekeepern heraus zu arbeiten. Durch die Integration unterschiedlicher identitätsrelevanter Faktoren geht das Konzept einer Identität der Technik über bestehende Ansätze hinaus und erweitert die Perspektive auf neue Zusammenhänge. Mit dem Blick auf die Identität der Technik liegt eine alternative Betrachtungsweise vor, die in ihrer Vielschichtigkeit in der Lage ist, die Komplexität moderner Hochtechnologien abzubilden und durch die Berücksichtigung ihrer Identität sowie ihres Identitätswandels neue Erklärungsansätze für Höhen und Tiefen, Brüche, Scheitern und Erfolge dieser Technologien anzubieten. Allerdings stellt die Fokussierung auf einen Teilbereich der überaus heterogenen Biographieforschung (in diesem Fall die Identität der Technik) auch eine unabdingbare Voraussetzung für Analyse und Rekonstruktion einer Innovationsbiographie dar. Eine ursprünglich angedachte, über die Identität der Technik hinausgehende Betrachtungsweise mit dem Anspruch, das ›ganze Leben‹ (vgl. Fischer/Kohli 1987) der AR-Technologie hinsichtlich Sinn-, Funktions- und Strukturperspektive (vgl. FischerRosenthal 1991) im Rahmen der Innovationsbiographie zu thematisieren und in Anlehnung an die Zwillingsforschung zudem noch möglichst unterschiedliche Biographieverläufe miteinander zu vergleichen sowie Typen und Varianten (vgl. Fuchs-Heinritz 1998) herauszuarbeiten, musste aus Gründen der Komplexität zugunsten der Fokussierung auf die Rekonstruktion der Identität der AR-Technologie bereits im Zuge der theoretischen Konzeption aufgegeben werden. Was lässt sich aus der durchgeführten Fallstudie nun im Hinblick auf die ARTechnologie selbst sowie ihre Entwicklung lernen? Ausgehend von der Beobachtung, dass die AR-Technologie als technologische Konfiguration mit sehr unterschiedlichen Realisierungs- und Anwendungsmöglichkeiten nur schwer eindeutig identifizierbar ist, stellte sich die Frage, wie sie dennoch als eben diese Technologie wiedererkannt werden und als Ausgangspunkt für die Etablierung sowie den Erhalt eines technologischen Feldes fungieren kann. Wurde im Vorfeld der Studie bereits auf die praktische Relevanz technischer Identitäten für Genese und Verlauf neuer Technologien hingewiesen, verdeutlicht die Geschichte der AR-Technologie besonders eindrücklich, wie relevant die Identität für eine Technologie im Allgemeinen sowie für die ARTechnologie im Besonderen ist. Dies zeigt sich vor allem daran, dass diese Technologie mehr als dreißig Jahre lang erstmal über keinerlei Identität zu verfügen schien. Weder
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im Umfeld des Electroculars noch der visionären Geschichten von Douglas Engelbart etablierte sich so etwas wie eine symbolische Struktur dieser Technologie, die in der Lage gewesen wäre, ein technologisches Feld zu konstituieren. Auch die Forschungen Ivan Sutherlands zum Head-Mounted Display in den 1960er Jahren wurden später zwar retrospektiv der AR-Forschung zugeordnet, zum aktuellen Zeitpunkt handelte es sich jedoch zunächst um die Entwicklung eines am Kopf getragenen Displays. Im Gegensatz zu den Entwürfen von Hughes Aircraft sowie Douglas Engelbart entwickelten die symbolischen Repräsentationen dieses Head-Mounted Displays einige Jahre später jedoch eine nicht zu unterschätzende identitätsrelevante Funktion für die AR-Technologie, denn für die entstehende Scientific Community repräsentierten sie in unterschiedlichen Geschichten so etwas wie den Körper der neuen Technologie, an dem sich nachfolgende Forschungsbemühungen orientierten. Erst mit der Prägung des Labels Augmented Reality im Jahr 1992 durch Thomas P. Caudell und David W. Mizell entwickelte sich durch neue Erwartungen und Anwendungsszenarien langsam so etwas wie eine erste symbolische Struktur der AR-Technologie. Hergestellt wurde diese Struktur vornehmlich narrativ mittels Positionierungen in Publikationen, Konferenzbeiträgen sowie Forschungsanträgen und -berichten. Die Entwicklung in den frühen Jahren erinnert an die Entstehung der von Van Lente und Rip im Hinblick auf die Membrantechnologie beschriebenen Erwartungsstrukturen. Allerdings geht das Konzept einer Identität der Technik darüber hinaus, indem es weitere identitätsrelevante Faktoren mit in den Blick nimmt und auf den Aushandlungs- und Passungsprozess zwischen diesen Faktoren verweist. Tatsächlich war die Identität der AR-Technologie als Display-Technologie mit dem Ziel der Überlagerung realer sowie virtueller Elemente vornehmlich für den industriellen Bereich einige Jahre in der Lage, relevante Akteure aus Forschung und Anwendung für sich zu interessieren, ein technologisches Feld zu etablieren sowie hohe Fördergelder zu mobilisieren und trotz unterschiedlicher Teilidentitäten mit Berufung auf das der Technologie zugrunde liegende Technisierungsschema sowie auf biographische Kernnarrationen eine gewisse Kontinuität und Kohärenz zu garantieren. Mit der Zeit erwies sich diese Identität jedoch zunehmend als brüchig. Erwartete Erfolge blieben aus und der angedachte Körper der neuen Technologie schien einfach nicht zu den herangetragenen Vorstellungen passen zu wollen. Die Geschichte dieser Identität ließ sich so nicht länger aufrechterhalten. An dieser Stelle zeigt sich, dass die Identität einer Technologie im Sinne ihrer symbolischen Struktur nicht nur zu Etablierung eines neuen technologischen Feldes unabdingbar ist, sondern sich auch im weiteren Entwicklungsverlauf im Zuge wechselseitiger Positionierungen zwischen Mensch und Technik entweder bestätigen oder aber verändern muss. Das Festhalten an den Vorstellungen auf der einen sowie den materiellen Realisierungen auf der anderen Seite hätte beinahe zu einem zwangsweisen Identitätswechsel in Richtung ›gescheiterte Identität‹ geführt. Erst eine pragmatische Umstellung des technischen Körpers auf mobile Smartphones und Tablets sowie ein Wechsel der Anwendungsszenarien von dem industriellen in den Consumer-Bereich ließen Augmented Reality nicht zuletzt Dank des Erfolges von Pokémon GO als ›Monsterjäger‹ wie Phönix aus der Asche steigen und Eingang in den Massenmarkt und damit in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit finden.
6. Zusammenfassende Betrachtungen
6.3.
Quo Vadis?
Jede Geschichte wirft unweigerlich die Frage nach einer Weiterführung, einer Fortsetzung auf. So auch die Geschichte dieser Arbeit. Wie aber könnte es weitergehen? Auch diese Frage lässt sich auf unterschiedlichen Ebenen im Hinblick auf die weiterführende Forschung sowie den weiteren Verlauf der Geschichte der AR-Technologie selbst stellen. Einige inhaltliche sowie methodische Optionen für die weiterführende Forschung wurden bereits angedeutet. Das äußerst heterogene Feld der Biographieforschung bietet eine Vielzahl von Ansatzpunkten, die auch für die Analyse technischer Entwicklungen gewinnbringend genutzt werden können. Grundsätzlich können im Rahmen von Innovationsbiographien alle Themen aufgegriffen werden, deren Ziel darin besteht, die einer technischen Entwicklung zugrunde liegenden Erfahrungs-, Sinn- und Handlungszusammenhänge qualitativ zu erschließen. Erste Ansatzpunkte hierzu finden sich in den bereits erwähnten Studien zur individuell interpretierten Geschichte der Windenergie (vgl. Bruns et al. 2008) sowie zur Analyse der Wissensdynamiken in Innovationsverläufen (vgl. Butzin et al. 2012a). Dabei müssen keineswegs immer ganze Verläufe rekonstruiert werden, sondern es lassen sich auch Ausschnitte, beispielsweise bestimmte Entwicklungsphasen, herausgreifen und ihre Bedeutung für den Gesamtverlauf analysieren. Im Rahmen größerer Forschungsprojekte wiederum lassen sich in Anlehnung an die Zwillingsforschung die Innovationsbiographien einer Technologie in unterschiedlichen soziokulturellen Kontexten oder aber mehrere Technologien miteinander vergleichen und die Gemeinsamkeiten sowie Besonderheiten herausarbeiten. Auch bezogen auf die Identität der Technik selbst lassen sich die Fragestellungen beliebig enger oder weiter wählen. Da es sich bei der vorliegenden Konzeption einer Identität der Technik um einen neuen Ansatz handelt, lag das primäre Ziel darin, möglichst alle Teilbereiche technischer Identität in den Blick zu nehmen und zueinander in Beziehung zu setzen. Zukünftig ist es gerade aber auch im Rahmen kleinerer Studien möglich, einzelne Teilbereiche in den Mittelpunkt der Analyse zu stellen und beispielsweise die Rolle entscheidender Akteure (gatekeeper) zu fokussieren, Statuspassagen zu analysieren, das Innovationsregime in den Blick zu nehmen, die Aushandlungsprozesse zwischen materiell-konzeptuellen sowie sozialen Anteilen näher zu beleuchten, den Fokus auf narrative Praktiken und Herstellungsmechanismen zu richten, das Verhältnis von Teilund Kernidentitäten zu untersuchen oder aber die Herstellung von Kontinuität und Kohärenz sowie die Wechselwirkung von biographischen Aspekten und Lebenslauf in den Fokus zu nehmen. Darüber hinaus lassen sich auch hier konkurrierende Identitäten innerhalb eines Entwicklungsverlaufs oder aber zwischen unterschiedlichen Technologien kontrastieren und hinsichtlich ihrer Funktion für den Gesamtverlauf betrachten. Vor allem im Zuge kleinerer Studien mit zeitlich und personell begrenzten Ressourcen ist jedoch sowohl für die Innovationsbiographie im Allgemeinen als auch die Fokussierung auf technische Identität im Besonderen eine Einschränkung des Untersuchungsgegenstandes unabdingbar. Dies betrifft nicht nur inhaltliche Überlegungen, sondern gilt auch für die Auswahl einer geeigneten Methode. Theoretisch sind sowohl für die Untersuchung technischer Identitäten als auch die Rekonstruktion von Innovationsbiographien mit anderen Schwerpunktsetzungen weitere biographische Methoden wie beispielsweise die dokumentarische Methode nach Bohnsack (vgl. Bohnsack 1997; 1998;
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1999; 2001; Bohnsack et al. 2001) oder die objektive Hermeneutik nach Oevermann (vgl. Oevermann 1979; 1988; 1990; 1993; 1999; Oevermann et al. 1979) denkbar. Eine Auseinandersetzung mit diesen methodischen Zugängen fand auch im Vorfeld der vorliegenden Arbeit statt. Auch wenn es sich nach Meinung mancher Autoren bei der objektiven Hermeneutik um einen der ›reflektiertesten‹ Ansätze der qualitativen Sozialforschung (vgl. Reichertz 1997: 51) handelt, erschienen die ihr zugrunde liegenden Rekonstruktionen von Fallstrukturen jedoch wenig praktikabel, da es sich um ein Verfahren handelt, das einerseits schwer zu erlernen und andererseits sehr aufwendig in seiner Anwendung ist (vgl. auch Reichertz 1991). Insbesondere in Fällen, in denen nicht nur ein einzelner Text, sondern Narrationen unterschiedlicher Akteure über einen längeren Zeitraum berücksichtigt werden sollen, scheint dieses Verfahren wenig geeignet zu sein. Die auf Karl Mannheim (vgl. Mannheim 1964a; 1980) zurückgehende dokumentarische Methode wiederum unterscheidet zwischen kommunikativen, d.h. offensichtlichen und damit jedermann zugänglichen Wissensbeständen, deren Bedeutungssinn wörtlich zu nehmen ist (vgl. Bohnsack 1998) sowie konjunktiven Wissensbeständen, bei denen es sich um implizite, atheoretische Sinngehalte wie beispielsweise nicht ohne weiteres explizierbare gemeinsame Deutungs- und Orientierungschemata handelt (vgl. Bohnsack 2001). Davon ausgehend, dass nicht die Realität an sich beobachtbar ist, sondern lediglich »die Prozesse der Herstellung von Welt und Realität« (Bohnsack 2001: 334), rücken die diesen Herstellungsprozessen sowie der alltäglichen Handlungspraxis zugrunde liegenden Prozessstrukturen in den Fokus der Analyse. Auch wenn dieser Ansatz mit der Fokussierung auf den modus operandi nahe liegt, wurde auch dieser Ansatz verworfen, da er ebenfalls methodisch sehr aufwendig ist und sich zudem auf primär kollektive biographische Erfahrungen der Angehörigen einer Generation oder eines Milieus bezieht. Grundsätzlich scheint eine Anwendung dieser Methoden im Zuge von Innovationsbiographien nicht ausgeschlossen, jedoch sollte berücksichtigt werden, dass die genannten Methoden nicht nur ein äußerst umfassendes Datenmaterial produzieren, sondern auch einer komplexen Auswertung bedürfen, so dass eine pragmatische Anpassung an den Untersuchungsgegenstand sowie die zur Verfügung stehenden Ressourcen unerlässlich ist. Und wie geht es weiter mit der AR-Technologie selbst? Experten, denen diese Frage vor zehn Jahren gestellt wurde mit der Bitte, einen ›Blick in die Glaskugel‹ zu werfen und die weitere Entwicklung dieser Technologie vorauszusehen, reagierten ernüchtert. Unter anderem angesichts der Erfahrungen im Projekt ARVIKA stellten sie fest, »dass die Entfernung bis zu dem Punkt, wo’s nutzbar wird, sich nur wenig verringert oder vielleicht sogar verlängert hat, weil man jetzt viel besser weiß, was alles noch schwierig sein könnte« (IP-3, Turn 13). Gleichzeitig gab es aber auch vorsichtig optimistische Stimmen, die zwar nicht von einem großen Durchbruch sprachen, aber immerhin Chancen im Bereich einer Datenbrille oder einer Handy-Anwendung mit »RIESEN Gadget-Faktor« (IP-4, Turn 65) sahen – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass es »irgendwie so etwas Zentrales gäbe wie die Telekom, die überall Sende-Empfang und eben auch einen Tracking-Dienst anbietet« (IP-4, Turn 65). Irgendwie sollten beide Stimmen Recht behalten. Wie gezeigt, blieb der große Durchbruch im industriellen Bereich aufgrund der zuvor genannten Probleme zunächst aus. Zugleich eröffneten sich unter anderem durch die Einführung des Smartphones sowie dem damit einherge-
6. Zusammenfassende Betrachtungen
henden Ausbau des mobilen Internets und der Integration von Ortungssystemen ganz neue Optionen für den Consumer-Markt, die in der Tat einen hohen Gadget-Faktor aufwiesen und nicht nur eine rasante Entwicklung unterschiedlicher Anwendungen nach sich zogen. Mit dem Körper der AR-Technologie wandelte sich auch ihre Identität ›von der Instandhaltung zum Monsterjäger‹. Die neuen Entwicklungen zogen im Folgenden auch die Aufmerksamkeit großer Konzerne im Bereich der Informationstechnologie wie beispielsweise Google, Microsoft und Apple auf sich. Zwar verfolgen alle drei Konzerne aktuell unterschiedliche Schwerpunkte und technologische Realisationen – Microsoft setzt auf die bereits erwähnte HoloLens, Google fokussiert mit seinem Projekt Tango auf »kommerzielle Shop-Systeme« (Gieselmann 2017: 36), während Apple mit seinem AR-Kit die Entwicklung neuer AR-Apps unterstützt. Gleichzeitig greifen sie jedoch alle auf die Spiele-Engine Unity des US-amerikanischen Unternehmens Unity Technologies zurück, so dass Spiele und Anwendungen Hardware- und Unternehmens-übergreifend programmiert werden können. Diese Standardisierung im Hintergrund erlaubt es Programmentwicklern, auf die gleiche Schnittstelle zurückzugreifen, wodurch sich der Entwicklungsaufwand erheblich verringert und neue Programme schneller und Hardware-übergreifend entwickelt werden können. Dies wiederum dürfte weitere Forschungs- und Entwicklungsbemühungen, vor allem aber auch hohe Investitionen nach sich ziehen, so dass das lange bestehende ›Henne-Ei-Problem‹ endgültig gelöst zu sein scheint. Es ist zu vermuten, dass sich der aktuelle Trend auch branchenübergreifend in anderen Bereichen bemerkbar macht und zu neuen Investionen auch im industriellen Bereich führt. Damit könnte sich die Identität der ARTechnologie ein weiteres Mal verschieben und zurück zu ihrem Ursprung finden.
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Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Klassifizierungsschema zur Rollenanalyse von Mensch und Natur bei Identitätskonstruktionen (in Anlehnung an Michael 1996: 138ff ).............................................................. 64 Abbildung 1: Technische Realisierung des Tischbildtelefons mit Webcam, Beamer und Mikrofon (links); Beispiel für die Realisierung virtuell-realer Gestik (rechts) ..................................... 75 Tabelle 2: Erweitertes Klassifizierungsschema zur Rollenanalyse von Mensch/Natur sowie Mensch/Technik bei Identitätskonstruktionen (Erweiterung in Anlehnung an Michael 1996: 138ff ) ........................................................................................................................ 77 Abbildung 2: Zweidimensionales Schema von Kohärenz und Kontinuität ................................. 101 Abbildung 3: Biographische Untersuchungsgegenstände und Zeithorizont...............................144 Tabelle 3: Kreuztabellierung der Mensch-Technik-Positionierungsmöglichkeiten ...................... 174 Tabelle 4: Abschließendes Klassifizierungsschema zur Rollenanalyse von Mensch/Natur, menschlicher und technischer Identitätskonstruktion sowie narrativer Identitätszuweisung durch Positionierung................................................................................................... 185 Tabelle 5: Beschreibungs-Ebenen der AR-Technologie (in Anlehnung an Lenzen et al. 2007: 457 ) 200 Abbildung 4: Prozessorientiertes Beschreibungsmodell der AR-Technologie ........................... 201 Abbildung 5: Beispiele für technische Realisierung und Anwendungen des Electroculars (Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des SchoolArts Magazine, Davis Publications, Inc.) .. 219 Abbildung 6: Die technologische Konfiguration des dreidimensionalen Display-Systems nach Sutherland ............................................................................................................... 223 Abbildung 7: Design des von Sutherland entwickelten Head-Mounted Displays ........................ 224 Abbildung 8: Mechanischer Kopfpositionssensor (links) sowie Ulltraschallsensor (rechts) .......... 225 Abbildung 9: Virtual Reality – Generationen und Verlauf ...................................................... 227 Abbildung 10: Virtual Reality und Augmented Reality – Generationen und Verlauf ..................... 232 Abbildung 11: Symbolische Repräsentation der Elemente eines Head-Up Display-Systems ........ 234 Abbildung 12: Beispiel für die Einblendung von Bohrlöchern in einem Flugzeugrumpf via HeadUp-Display ................................................................................................................ 234 Abbildung 13: Realitäts-Virtualitäts-Kontinuum ................................................................. 238 Abbildung 14: Symbolische Repräsentation der AR-Technologie im Rahmen des ARVIKA-Projekts.250
340
Die multiple Identität der Technik
Abbildung 15: Symbolische Repräsentationen und Prototypen der AR-Technologie von 1968 bis 200: (links) Prototyp nach Sutherland (Sutherland 1968: 760); (mitte) Symbolische Repräsentation nach Caudell und Mizell (Caudell/Mizell 1992: 663); (rechts) Symbolische Repräsentation im Rahmen des ARVIKA-Projekts (Friedrich 2004 ) ............................................................. 259 Abbildung 16: Positionierung zu und Umsetzung von Augmented Reality in Abhängigkeit von Azumas früher Definition aus dem Jahr 1997.....................................................................281 Abbildung 17: Positionierung zu und Umsetzung von Augmented Reality in Abhängigkeit von Azumas späterer Definition aus dem Jahr 2001..................................................................281
Danksagung
George Leonard beschreibt in seinem Buch »Der längere Atem« den ständigen Wechsel zwischen Fortschritten auf der einen sowie Phasen auf einem Plateau auf der anderen Seite. Um eine Fähigkeit zu erlernen oder ein Projekt zu vollenden, muss man das Plateau ebenso lieben lernen, wie die Phasen des Fortschritts und der Weiterentwicklung: »Das Plateau lieben heißt, das ewige Jetzt zu lieben, die unausweichlichen Vorwärtssprünge zu genießen und die Früchte der Anstrengung zu ernten, um dann still das neue Plateu zu akzeptieren, das bereits auf uns wartet.«1 Auch diese Arbeit unterlag dem Wechsel zwischen Phasen des Durchbruchs und des Erfolgs sowie Phasen des Stillstands. Während des gesamten Weges haben mich viele Menschen begleitet und unterstützt, denen ich an dieser Stelle meinen aufrichtigen Dank aussprechen möchte: Prof. Werner Rammert für seine fachliche Unterstützung und seine Aufgeschlossenheit neuen Ideen gegenüber; den Interviewpartnern, die ihr Wissen bereitwillig mit mir geteilt und wertvolle Informationen gegeben haben; den vielen Gesprächspartnern, die mit mir nachgedacht und mich durch neue Ideen inspiriert haben; all denjenigen, die die Arbeit zum Teil mehrfach mit viel Hingabe korrigiert und mir wertvolle Anregungen gegeben haben; meinen Eltern und Schwiegereltern, die gleich mehrere der genannten Aufgaben erfüllten und allen voran meinem Mann, der mich während der gesamten Zeit mit seiner Liebe, seiner Geduld und seiner Zeit unterstützt und zusammen mit mir auf Vieles verzichtet hat. Ohne ihn wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen.
1
Leonard 2006: 55
Soziologie Naika Foroutan
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Maria Björkman (Hg.)
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