Die Materialwirtschaft industrieller Unternehmungen: Kennzeichnung ihrer Aufgaben, Ziele und Rahmenbedingungen [1 ed.] 9783428477807, 9783428077809


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German Pages 335 Year 1993

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Die Materialwirtschaft industrieller Unternehmungen: Kennzeichnung ihrer Aufgaben, Ziele und Rahmenbedingungen [1 ed.]
 9783428477807, 9783428077809

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Abhandlungen aus dem Industrieseminar der Universität Mannheim

Heft 39

Die Materialwirtschaft industrieller Unternehmungen Kennzeichnung ihrer Aufgaben, Ziele und Rahmenbedingungen Von

Ulrich Brecht

Duncker & Humblot · Berlin

ULRICH BRECHT Die Materialwirtschaft industrieller Unternehmungen

Abhandlungen aus dem Industrieseminar der Universität Mannheim früher unter dem Titel Abhandlungen aus dem Industrieseminar der Universität zu Köln begründet von Prof. Dr. Dr. h. c. Theodor Beste

Herausgegeben von Prof. Dr. Gert v. Kortzfleisch, Prof. Dr. Heinz Bergner und Prof. Dr. Peter Milling Heft 39

Die Materialwirtschaft industrieller Unternehmungen Kennzeichnung ihrer Aufgaben, Ziele und Rahmenbedingungen

Von

Ulrich Brecht

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Brecht, Ulrich: Die Materialwirtschaft industrieller Unternehmungen : Kennzeichnung ihrer Aufgaben, Ziele und Rahmenbedingungen / von Ulrich Brecht. — Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Abhandlungen aus dem Industrieseminar der Universität Mannheim ; H. 39) Zugl.: Mannheim, Univ., Diss., 1992 ISBN 3-428-07780-6 NE: Universität (Mannheim) / Seminar für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre der Industrie: Abhandlungen aus dem . . .

Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-38IX ISBN 3-428-07780-6

Vorwort Die hier veröffentlichte Arbeit lag im Wintersemester 1992/1993 der Fakultät für Betriebswirtschaftslehre der Universität Mannheim als Dissertation vor. Dem Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Industriebetriebslehre II, Herrn Professor Dr. Heinz Bergner, möchte ich an dieser Stelle dafür danken, daß er mir diese Arbeit ermöglichte und sie in vielfältiger Weise unterstützte. Als sein Doktorand durfte ich erleben, welche tiefere Bedeutung das Wort 'Doktorvater' hat. Sehr verbunden bin ich auch Herrn Professor Dr. Peter Milling für seine freundliche Unterstützung. Weiterhin danke ich auch Herrn Professor Dr. Gert von Kortzfleisch, als dem Mitherausgeber, für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Schriftenreihe. Den Kollegen während meiner Zeit am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Industriebetriebslehre II danke ich insbesondere für ihre Freundschaft und Kollegialität, wie ich sie an "unserem" Lehrstuhl erleben konnte. Hierzu zählen die Herren Doktoren Thomas Brittinger, Gerhard Kloos, Edmund Link und Gerhard Moroff sowie die Herren Diplomkaufleute Thomas Hänichen, Ralf Krieger, Michael Schehl und Ulrich Schwarzmaier. Danken möchte ich auch den Sekretärinnen der beiden Lehrstühle für Industriebetriebslehre, Frau Gisela Wismann und Frau Irmgard Stefani. Besonderen Dank verdient Herr Dipl.-Kfm. Wolfgang Stölzle für die kritische und unerbittliche Durchsicht des Manuskripts. Ihm und Herrn Dipl.-Kfm. Michael Schehl bin ich auch für manche ermutigenden Worte verbunden. Frau Hannelore Saggu-Rothfuß schulde ich ebenfalls Dank für ihre Unterstützung. Weiterhin möchte ich Frau Brigitta Lutz danken, die viel Geduld und Einfühlungsvermögen für die letztendliche Gestaltung dieser Arbeit aufgewendet hat. Zu großem Dank bin ich auch mehreren Generationen von Famulanten verpflichtet, deren Arbeit für mich unentbehrlich gewesen ist. Einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum Gelingen dieser Arbeit leistete Frau Silvia Böcherer, die in der ganzen Zeit für mich und meine Arbeit Verständnis aufgebracht hat und die einfühlsam die einzelnen Phasen der Fertigstellung begleitete. - Ihr sei diese Arbeit gewidmet.

Mannheim, im Februar 1993

Ulrich Brecht

Inhalt Α. Grundlagen der Materialwirtschaft I. Die Materialwirtschaft als Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre 1. Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit 2. Gang der Untersuchung II. Der Objekt- und Funktionsumfang der industriellen Materialwirtschaft

13 13 13 17 19

1. Die Bedeutung des Suffixes '-Wirtschaft' für eine Untersuchung der Materialwirtschaft

19

2.

Das Material als Objekt der Materialwirtschaft

23

3.

Der Objektbereich als Bestimmungsfaktor des funktionalen Umfanges der Materialwirtschaft

31

4.

Die Materialwirtschaft als Unternehmensfunktion

36

5. Abgrenzung der Materialwirtschaft zu Beschaffung, Einkauf und Logistik..

B. Die Aufgaben der Materialwirtschaft I. Die Materialbeschaffung als Teilbereich der Materialwirtschaft 1. Die Beschaffung in der betriebswirtschaftlichen Literatur als Ausgangspunkt der materialwirtschaftlichen Beschaffung 2. Der Aufgabenbereich der Materialbeschaffung a) Allgemeine Beschreibung der Beschaffungsaufgabe b) Die Objekte der Materialbeschaffung c) Die Phasen der Materialbeschaffung d) Die Dimensionen des Beschaffungsvorganges II. Das innerbetriebliche Transportwesen

37

40 40 40 42 42 44 47 53 56

1. Begriffliche Grundlagen 2. Die Bedeutung des innerbetrieblichen Transportwesens

59

56

3.

Die Aufgaben des innerbetrieblichen Transportwesens

60

4.

Die Bestimmungsgrößen der Gestaltung des innerbetrieblichen Transportwesens

63

a) Die Transportaufgabe

64

b) Die Transportleistung

67

8

Inhalt 5.

Das ökonomische Prinzip als Grundlage der Gestaltung des innerbetrieblichen Transportwesens

69

a) Die wirtschaftliche Gestaltung der Transportaufgabe

70

b) Die wirtschaftliche Erstellung der Transportleistung

72

III. Das Lagerwesen 1. Begriffliche Grundlagen 2. Die Aufgaben der betrieblichen Lagerhaltung

3.

77 77 78

a) Die Motive der Lagerhaltung b) Die Funktionen der Lagerhaltung als Ansatzpunkt einer wirtschaftlichen Lagerhaltung

82

Die Ausgestaltung der Lagerhaltung im Rahmen der Materialwirtschaft

83

a) Die Einteilung des Lagerwesens nach den Lagerobjekten b) Die Einteilung des Lagerwesens nach der Stellung des Lagers im betrieblichen Leistungserstellungsprozeß

84 86

c) Die Einteilung des Lagerwesens nach der räumlichen und sachlichen Zentralisierung d) Die Einteilung des Lagerwesens nach der Lagerordnung e) Die Einteilung des Lagerwesens nach der Lagerbauart

88 89 91

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft I. Der grundlegende Aufbau eines Zielsystems II. Die Erfassung und Ordnung betriebswirtschaftlicher Ziele 1. Die Anforderungen an die Formulierung von Zielen 2. Das Zielsystem als Ausdruck einer Ordnung von Zielen III. Der Aufbau eines materialwirtschaftlichen Zielsystems

78

94 94 97 97 101 105

1. Die betrieblichen Oberziele und die Materialwirtschaft

105

2. Die langfristigen Ziele der Materialwirtschaft

108

a) Das materialwirtschaftliche Erfolgspotential als Grundlage einer Formulierung der Bereichsziele b) Die langfristigen Bereichsziele der Materialwirtschaft.... aa) Die langfristigen Ziele des Beschaffungswesens

3.

bb) Die langfristigen Ziele des innerbetrieblichen Transportwesens cc) Die langfristigen Ziele des Lagerwesens Die kurzfristigen Ziele der Materialwirtschaft

108 112 113 115 116 117

a) Das materialwirtschaftliche Optimum als kurzfristiges Ziel

117

b) Die kurzfristigen Bereichsziele der Materialwirtschaft

118

aa) Die kurzfristigen Ziele des Beschaffungswesens bb) Die kurzfristigen Ziele des innerbetrieblichen Transportwesens cc) Die kurzfristigen Ziele des Lagerwesens

118 120 122

Inhalt IV. Die Zielkonflikte in der Materialwirtschaft

123

1. Das Entstehen von Zielkonflikten

123

2. 3.

Interfunktionale Zielkonflikte Intrafunktionale Zielkonflikte

126 127

4. 5.

Hierarchiebedingte Zielkonflikte Zeitlich bedingte Zielkonflikte

128 131

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft I. Die Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns 1.

2.

3.

133 133

Die externen Rahmenbedingungen als Ausdruck der Beziehungen zwischen Unternehmung und Umwelt a) Die Unternehmung als Teil der Wirtschaft

134 134

b) Die Abgrenzung der Umwelt einer Unternehmung

135

c) Die Umwelt und das Umsystem einer Unternehmung

137

Die internen Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns

139

a) Die Abgrenzung der unternehmensinternen Rahmenbedingungen

139

b) Die Komponenten der internen Rahmenbedingungen

140

Die Struktur der Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

141

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

143

1. Das ökonomische Umsystem der Materialwirtschaft

143

a) Die Bedeutung der ökonomischen Komponente

143

2.

b) Der Beschaffungsmarktraum

144

c) Die Struktur des Beschaffungsmarktes aa) Mikroökonomische Grundlagen der Beschaffungsmarktstruktur.... bb) Die Beschaffungsmarktstruktur für Rohstoffe

148 148 153

cc) Die Beschaffungsmarktstruktur bei Fertigstoffen dd) Konzernrechtliche Probleme der einsatzsynchronen Beschaffung... d) Das Angebot an Materialien aa) Die quantitative Dimension bb) Die wertmäßige Dimension cc) Die qualitative Dimension e) Der Absatzmarkt

157 161 164 164 166 167 170

Das technologische Umsystem der Materialwirtschaft a) Der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien im Rahmen des Beschaffungswesens

171

b) Der Einsatz von Technologien bei der Durchführung des innerbetrieblichen Transportes aa) Die Transportmittel

172 174 174

a ) Die Merkmale

174

b ) Die Merkmalsausprägungen

175

10

Inhalt bb) Die Transporthilfsmittel

179

c) Der Einsatz von Technologien bei der Lagerung von Materialien aa) Die Lagermittel

181

bb) Die Lagerhilfsmittel d) Der Einsatz von Technologien an den Schnittstellen der Materialwirtschaft

184

aa) Grundlegende Ausführungen zu den Handhabungseinrichtungen... bb) Die Kommissioniereinrichtungen cc) Die Umschlagseinrichtungen e) Der Einsatz von Technologien bei der Transport- und Lagerverwaltung aa) Die Datenerfassung

186 188 191

bb) Die Datenübertragung 3.

185

194 194 198

Das rechtlich-politische Umsystem der Materialwirtschaft

201

a) Das rechtlich-politische Umsystem des Beschaffungswesens

202

aa) Das Außenwirtschaftsrecht als Rahmenbedingung einer internationalen Beschaffung

204

bb) Die Bedeutung von Regelwerken für die Ausgestaltung der Lieferungsbedingungen

209

a^ Nationale Regelwerke

209

b ^ Internationale Regelwerke

214

c^ Handelsbräuche

217

cc) Die Zahlungsbedingungen im Rahmen der Materialbeschaffung b) Das- rechtlich-politische Umsystem des innerbetrieblichen Transportund Lagerwesens aa) Die hoheitlich vorgegebenen Rahmenbedingungen des innerbetrieblichen Transport- und Lagerwesens a^ Die Arbeitssicherheit als zentrale gesetzliche Forderung

222 224 225 225

b ^ Die Arbeitsstättenverordnung

226

c^ Die Gefahrstoffverordnung

229

d ^ Das Gerätesicherheitsgesetz bb) Die rechtlich-politischen Komponenten des innerbetrieblichen Transport- und Lagerwesens basierend auf nichtstaatlichen Institutionen a^ Die Berufsgenossenschaften aa^ Die VBG-Vorschriften bb^ Die ZH-Richtlinien b ^ Die Normungsträger 4.

181

230

232 232 234 235 238

Das soziokulturelle Umsystem der Materialwirtschaft

241

a) Die betriebswirtschaftliche stems

241

Bedeutung des soziokulturellen Umsy-

b) Soziokulturelle Faktoren der Materialwirtschaft

241

Inhalt 5.

Das ökologische Umsystem und seine Bedeutung für die Materialwirtschaft

243

a) Ökologieorientiertes Unternehmensverhalten im Rahmen des betrieblichen Zielsystems

244

b) Die ökologische Dimension der Materialwirtschaft

245

c) Die Möglichkeiten einer ökologieorientierten Materialwirtschaft

246

III. Die internen Einflußgrößen der Gestaltung der Materialwirtschaft 1. Die Unternehmensgröße a) Die Bestimmung der Unternehmensgröße b) Die organisatorische Handhabung der Materialwirtschaft als Funktion der Unternehmensgröße 2. Das industrielle Leistungsprogramm a) Die Bestimmung des Leistungsprogrammes b) Die Produkteigenschaften als Bestimmungsgröße der Materialwirtschaft c) Die Programmeigenschaften als Bestimmungsgröße der Materialwirtschaft

250 250 250 252 260 260 262 266

aa) Die Anzahl der Produktarten

267

bb) Der Verwandtschaftsgrad der Produkte als Einflußfaktor der Materialwirtschaft

268

cc) Die Wiederholungshäufigkeit der Produkte als Einflußfaktor der Materialwirtschaft

271

a^ Die Einzelfertigung

271

b ^ Die Serienfertigung

273

c^ Die Sortenfertigung d ^ Die Massenfertigung 3. Die industrielle Leistungserstellung als Einflußfaktor der Materialwirtschaft a) Die Bestimmung der verschiedenen Organisationsformen der Fertigung b) Die materialwirtschaftlichen Aspekte der Organisationsformen der Fertigung

274 275 277 277 279

aa) Die externe Baustellenfertigung

279

bb) Die interne Baustellenfertigung cc) Die Werkstattfertigung dd) Die Fließfertigung

281 282 283

IV. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft als Einflußfaktor auf ihre Leistungsmerkmale 1. Die Kapazität der Materialwirtschaft

286 286

a) Das Wesen der Kapazität

286

b) Die Kapazität des Beschaffungswesens

288

c) Die Kapazität des innerbetrieblichen Transportwesens

288

d) Die Kapazität des Lagerwesens

290

12

Inhalt 2.

Die Flexibilität der Materialwirtschaft

292

a) Das Wesen der Flexibilität

292

b) Die Flexibilität des Beschaffungswesens

294

c) Die Flexibilität des innerbetrieblichen Transportwesens

295

d) Die Flexibilität des Lagerwesens

298

E. Schlußbemerkung

300

Literatur

301

Α. Grundlagen der Materialwirtschaft

I. Die Materialwirtschaft als Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre

1. Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit

Die Betriebswirtschaftslehre als angewandte Wissenschaft strebt danach, Informationen über die tatsächlichen oder die möglichen Eigenschaften von realen Objekten oder Sachverhalten zu gewinnen. Diese Informationen dienen dazu, Aussagen zu entwickeln, die zur Beschreibung, Erklärung und zielorientierten Gestaltung betriebswirtschaftlicher Sachverhalte heranzuziehen sind." Dieser Anspruch der Betriebswirtschaftslehre als Realwissenschaft läßt sich auf ihre einzelnen Teilbereiche übertragen. Im Rahmen der Industriebetriebslehre kann die Materialwirtschaft nach Objekten und Funktionen abgegrenzt werden, wobei der Objektumfang den bestimmenden Faktor für die Abgrenzung des Funktionsumfanges darstellt. Der hierdurch bestimmte Teilbereich der Industriebetriebslehre befaßt sich mit Aussagen, die materialwirtschaftliche Sachverhalte und Wirkungszusammenhänge erklären und eine Grundlage für deren zielorientierte Gestaltung bilden. Die industrielle Materialwirtschaft erfährt in der letzten Zeit einen Bedeutungszuwachs, der sich darauf begründet, daß die Rationalisierungsmöglichkeiten in der Produktion teilweise ausgeschöpft sind und sich die Rationalisierungsmaßnahmen von den Objekten des Leistungserstellungsprozesses, wie beispielsweise Werkzeugmaschinen, hin zu ablauforganisatorischen Fragestellungen bewegen.3 Als Ansatzpunkte einer ablauforganisatorischen Rationalisierung der industriellen Leistungserstellungsprozesse lassen sich Vgl. Schanz, G.: Einführung in die Methodologie der Betriebswirtschaftslehre, Köln 1975, S. 26. 2 Vgl. Ulrich, P.//////, W.: Wissenschaftstheoretische Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, in: Wissenschaftstheoretische Grundfragen der Wirtschaftswissenschaften, hrsg. von H. Raffée, und B. Abel, München 1979, S. 163 f. 3 Vgl. hierzu auch Grün, O.: Bausteine zu einer betriebswirtschaftlichen Theorie der Materialwirtschaft, in: Journal für Betriebswirtschaft, 26. Jg. 1976, S. 193.

14

.

u a e n der Materialwirtschaft

die Entwicklungen im Rahmen der Produktionsplanungs- und -steuerungssysteme und der Materialwirtschaft anführen. Diese Orientierung von Rationalisierungsmaßnahmen hin zu ablauforganisatorischen Fragestellungen4 spiegelt sich auch in der Forderung wider, alle betrieblichen Prozesse, die sich mit Fragen der art- und mengenmäßig abgestimmten Raum- und Zeitüberbrückung beschäftigen, in einer Disziplin Logistik zusammenzufassen.5 Die Logistik als Unternehmensfunktion ist ein Einflußfaktor auf die Bedeutung der industriellen Materialwirtschaft. Durch eine Erweiterung des materialwirtschaftlichen Objekt- und Funktionsumfanges im Zuge der verschiedenen Formen einer integrierten Materialwirtschaft wird einerseits versucht, dieselbe auf diesem Wege an die Logistikkonzeption anzunähern.6 Andererseits wird die industrielle Materialwirtschaft in den Bereich der industriellen Logistik in der Weise eingebunden, daß beide Unternehmensbereiche miteinander verschmelzen und die Materialwirtschaft ihre Eigenschaft als eigenständiger Unternehmensbereich verliert. 7 Das Zusammenwirken von materialwirtschaftlichen und logistischen Unternehmensfunktionen stellt nicht so sehr eine Frage der Integration einer dieser beiden Unternehmensfunktionen in die jeweils andere dar, sondern vielmehr der Abgrenzung voneinander. Merkmale, anhand derer diese Abgrenzung vorgenommen werden kann, sind beispielsweise der Objekt- und der Funktionsumfang.

Die Bedeutung ablauforganisatorischer Rationalisierungsmaßnahmen zeigt sich darin, daß, gemessen an der gesamten Durchlaufzeit 'von Werktor zu Werktor', die Bearbeitungszeiten einschließlich der Rüstzeiten lediglich 10 % der Durchlaufzeit ausmachen. Den Hauptanteil hierbei verursachen arbeitsablaufbedingte Liegezeiten (70 - 75 %) und Lagerungszeiten (5 - 8 %). Vgl. Weber, R.: Zeitgemäße Materialwirtschaft mit Lagerhaltung - Flexibilität, Lieferbereitschaft, Bestandsreduzierung, Kostensenkung - Das deutsche Kanban, 2., verbesserte Aufl., Ehningen bei Böblingen 1989, S. 197. 5 Vgl. hierzu Ihde, G.B.: Transport, Verkehr, Logistik - Gesamtwirtschaftliche Aspekte und einzelwirtschaftliche Handhabung, 2., völlig überarbeitete und erweiterte Aufl., München 1991, S. 30; Pfohl, H.-Ch.: Logistiksysteme - Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 3., erweiterte und überarbeitete Aufl., Berlin u.a. 1988, S. 7 ff. sowie Kirsch, W. et al.: Betriebswirtschaftliche Logistik - Systeme, Entscheidungen, Methoden, Wiesbaden 1973, S. 85 ff. 6 Vgl. hierzu Grochla, E.: Organisatorische Grundkonzepte für die Materialwirtschaft, in: Angewandte Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensführung Festschrift zum 65. Geburtstag von Hans Blohm, hrsg. von L.J. Heinrich und K. Lüder, Herne/Berlin 1985, S. 174 ff. Ihde bezeichnet den Begriff Materialwirtschaft als Ausdruck der Praxis. Vgl. Ihde, G.B.: Transport, Verkehr, Logistik - Gesamtwirtschaftliche Aspekte und einzelwirtschaftliche Handhabung, München 1984, S. 196. In der zweiten Auflage wird in diesem Zusammenhang der Terminus Materialwirtschaft überhaupt nicht mehr verwendet. Vgl. Ihde, Logistik, S. 215 f.

I. Die Materialwirtschaft als Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre ο

15

In vielen Veröffentlichungen zur Materialwirtschaft werden der Objektund Funktionsumfang in einer Weise erweitert, daß eine terminologische Übereinstimmung zwischen dem in diesen Untersuchungen zugrundegelegten Materialbegriff und der sprachwissenschaftlichen Bedeutung von "Material" teilweise nicht gegeben ist. Neben dem Objektumfang wird hierbei auch der Funktionsumfang in unterschiedlichster Weise abgegrenzt, ohne auf die wechselseitigen Beziehungen zwischen Objekt- und Funktionsumfang einzugehen, so daß eine zweifelsfreie Begriffsbestimmung und Abgrenzung verwandter Begriffe wie Beschaffung und Logistik Schwierigkeiten bereitet. In der vorliegenden Untersuchung wird daher versucht, die industrielle Materialwirtschaft, aufbauend auf einer sprachwissenschaftlichen Betrachtungsweise, als Unternehmensfunktion mit ihren Aufgaben, Zielen und Rahmenbedingungen darzustellen. Infolge dieses Ansatzes wird deutlich, daß die Entwicklungen, wie beispielsweise ökologische Problemkreise, für die Materialwirtschaft nicht in der Weise Bedeutung haben, daß eine Erweiterung des Objekt- oder Funktionsumfanges gerechtfertigt ist. Der Handlungsbedarf richtet sich vielmehr an andere Unternehmensfunktionen oder beeinflußt die Materialwirtschaft auf einer anderen als in diesen Veröffentlichungen beschrieben Weise. Die Ableitung eines materialwirtschaftlichen Zielsystems bringt dabei zum Ausdruck, wie der Unternehmensbereich Materialwirtschaft in das Unternehmenszielsystem eingebettet werden kann, um einen Beitrag zur Verwirklichung der betrieblichen Ziele zu leisten. Das materialwirtschaftliche Zielsystem umfaßt dabei nicht nur die Versorgungsfunktion, sondern auch Aspekte, die auf einer unternehmenspolitischen Ebene wie die Motivation der Mitarbeiter oder die Zusammenarbeit mit den Lieferanten zu sehen sind. Zum anderen werden auch die Beziehungen zu anderen Unternehmensbereichen wie der Fertigungswirtschaft und der Forschung und Entwicklung beschrieben. Die Materialwirtschaft ist von ihrem Grundcharakter her sehr eng mit dem industriellen Leistungserstellungsprozeß verbunden, denn eine Aufgabe der Materialwirtschaft besteht in der Versorgung des Leistungserstellungsprozesses mit Materialien. Diese Verbundenheit hat zur Folge, daß Vgl. hierzu Heuer, M.F.: Kontrolle und Steuerung der Materialwirtschaft, Wiesbaden 1988, zugleich Diss., Göttingen 1988 unter dem Titel: Die Kontrolle der Materialwirtschaft, S. 30 f.; Pekayvac, B.: Strategische Planung in der Materialwirtschaft, Diss., Frankfurt am Main 1985, S. 6; Kupsch, P.U./Lindner, Th.: Materialwirtschaft, in: Industriebetriebslehre Entscheidungen im Industriebetrieb, hrsg. von E. Heinen, 7., vollständig überarbeitete und erweiterte Aufl., Wiesbaden 1983, S. 274; Franken, R.: Materialwirtschaft - Planung und Steuerung des betrieblichen Materialflusses, Diss., Stuttgart u.a. 1984, S. 16 f. sowie Harlander, Ν ./Platz, G.: Beschaffungsmarketing und Materialwirtschaft - Einkaufsmärkte erforschen und gestalten, Stuttgart 1978, S. 14 ff.

16

.

u a e n der Materialwirtschaft

Veränderungen, die den Produktionsprozeß betreffen, auch Auswirkungen auf die Gestaltung der Materialwirtschaft haben. Neben dem Produktionsprozeß bestehen noch weitere materialwirtschaftlich bedeutsame unternehmensinterne Rahmenbedingungen, wie beispielsweise die Unternehmensgröße. Die Veränderungen, die eine Bedeutung für die Materialwirtschaft aufweisen, lassen sich nicht nur auf innerbetriebliche Faktoren zurückführen. Die industrielle Materialwirtschaft ist in ihrem Grundcharakter nicht als ein von der Umwelt isolierter Unternehmensbereich aufzufassen, sondern vielmehr bestehen vielfältige Wirkungszusammenhänge mit dem betrieblichen Umsystem. Die Bedeutung von außerbetrieblichen Einflußfaktoren auf die Gestaltung der Materialwirtschaft beruht zum einen in der nach außen gerichteten Beschaffungsfunktion und zum anderen in Entwicklungen, die die materialwirtschaftliche Aufgabenerfüllung betreffen wie Technologien für das innerbetriebliche Transportwesen oder das Kommissionieren. Die Gestaltungsaussagen für den Bereich der industriellen Materialwirtschaft sind somit in Abhängigkeit von den materialwirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu formulieren. Neue Entwicklungen wie die Berücksichtigung von ökologischen Gesichtspunkten in der industriellen Leistungserstellung oder die Unterstützung materialwirtschaftlicher Aufgaben mittels Technologien finden als Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft ebenso Beachtung wie die Unternehmensgröße oder die verschiedenen Organisationstypen der Fertigung. Die Strukturierung und Analyse der materialwirtschaftlichen Rahmenbedingungen bringt zum Ausdruck, ob und inwieweit die Materialwirtschaft auf eine Veränderung ihrer Rahmenbedingungen reagieren kann. Die Formulierung von Aussagen zur Gestaltung der Materialwirtschaft ist vor dem Hintergrund des Zielsystems einer Unternehmung9 zu sehen. Eine zielorientierte Gestaltung der industriellen Materialwirtschaft stützt sich auf die Ableitung und Einbindung materialwirtschaftlicher Ziele in das Unternehmenszielsystem. Ein Zielsystem für die industrielle Materialwirtschaft muß dabei sowohl kurz- als auch langfristige Zielvorstellungen, die sich jeweils auf ihre verschiedenen Teilbereiche beziehen, umfassen. Das Untersuchungsziel der vorliegenden Arbeit besteht in der Gewinnung von Aussagen, die die zum Bereich der industriellen Materialwirtschaft gehörenden Sachverhalte und Wirkungszusammenhänge darstellen und analysieren. Weiterhin werden, auf dieser Analyse aufbauend, Aussagen formuliert, die unter dem Aspekt einer zielorientierten Gestaltung der induDie Begriffe 'Unternehmung' und 'Unternehmen' werden im folgenden als Synonyme verwendet. Vgl. hierzu Kosiol, E.: Unternehmung, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. von H. Seischab und K. Schwantag, 3., völlig neu bearbeitete Aufl., Stuttgart 1962, Sp. 5540.

I. Die Materialwirtschaft als Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre

17

striellen Materialwirtschaft zu sehen sind. Die Umsetzung des Untersuchungszieles geschieht in der Weise, daß die industrielle Materialwirtschaft in bezug auf ihre Aufgaben, Ziele und Rahmenbedingungen analysiert wird. Die Ableitung von Aussagen zur Materialwirtschaft geschieht vor dem Hintergrund dieser Analyse.

2. Gang der Untersuchung

Der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist die industrielle Materialwirtschaft. Für die Analyse der industriellen Materialwirtschaft und die Ableitung von Gestaltungsaussagen ist es notwendig, zunächst eine Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes in den Dimensionen Objekt- und Funktionsumfang durchzuführen. In diesem Hauptteil A wird auch der Frage nachgegangen, ob Abgrenzungszusammenhänge zwischen den beiden Dimensionen gegeben sind. Der Darlegung des Objekt- und Funktionsumfanges der industriellen Materialwirtschaft wird relativ viel Platz eingeräumt, um den teilweise sehr unterschiedlichen Abgrenzungen in der Literatur auch unter Betrachtung sprachwissenschaftlicher Aspekte entgegenzutreten. Da die industrielle Materialwirtschaft bereits in ihrer begrifflichen Kennzeichnung eine Zweckorientierung durch das Suffix "-Wirtschaft" erkennen läßt, wird zu Beginn der Ausführungen das 'Wirtschaften mit Material' auf ein betriebswirtschaftlich-theoretisches Fundament gestellt. Die begriffliche Kennzeichnung schließt auch eine Abgrenzung der industriellen Materialwirtschaft in bezug auf solche Begriffe mit ein, die teilweise als synonyme oder als übergeordnete Bezeichnungen verwendet werden. Hierzu zählen der Einkauf, die Beschaffung oder die Logistik. Der folgende Hauptteil Β hat zum Inhalt, die industrielle Materialwirtschaft in bezug auf ihre Teilbereiche zu analysieren. Die Analyse der materialwirtschaftlichen Teilbereiche geschieht dabei gemäß dem in Hauptteil A zugrundegelegten Materialwirtschaftsbegriff. Die Ausführungen in diesem Hauptteil beziehen sich auf das Beschaffungswesen sowie das innerbetriebliche Transport- und Lagerwesen im Rahmen der industriellen Materialwirtschaft. Die einzelnen Teilfunktionen der industriellen Materialwirtschaft werden im Hinblick auf ihren Aufgabenumfang untersucht. Das innerbetriebliche Transportwesen wird in diesem Zusammenhang unter dem Aspekt einer wirtschaftlichen Erstellung der Transportleistung betrachtet. Das Lagerwesen erfährt in der Weise eine Konkretisierung, daß zum einen die Aufgabe des Lagerns von Materialien im Hinblick auf die zugrundeliegenden Faktoren analysiert wird. Zum anderen erfolgt eine Ableitung von 2 Brecht

18

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u a e n der Materialwirtschaft

Lagerarten durch Zugrundelegung von verschiedenen Merkmalen wie Lagerobjekte oder Lagerordnung. Im Mittelpunkt des Hauptteils C steht die Ableitung eines materialwirtschaftlichen Zielsystems, um der Anforderung einer Zielorientierung von Gestaltungsaussagen Rechnung zu tragen. Zu diesem Zweck wird zunächst eine theoretische Grundlage für die Ableitung und den Aufbau eines betrieblichen Zielsystems gelegt, wobei der Zweck-Mittel-Gedanke das Merkmal darstellt, anhand dessen eine hierarchische Ordnung von Zielen geschieht. Anschließend werden diese Ausführungen auf den Bereich der industriellen Materialwirtschaft angewandt. Das Zielsystem für den Bereich der Materialwirtschaft ist in formaler Hinsicht in lang- und kurzfristige Zielformulierungen aufgeteilt, wobei diese auf die einzelnen materialwirtschaftlichen Teilbereiche bezogen werden. Ausgehend von den betrieblichen Oberzielen werden Zielvorstellungen entwickelt, die in ihrem kurzfristigen Zeithorizont dazu dienen, das Handeln einzelner Mitarbeiter an dem relativ abstrakten betrieblichen Oberziel auszurichten. Die Ableitung eines materialwirtschaftlichen Zielsystems schließt auch die Darstellung von Zielkonflikten im Rahmen eines solchen Zielsystems mit ein, wobei das Entstehen von Zielkonflikten eine Eigenschaft von Zielsystemen ist, die nicht unbedingt immer dem Interesse der Entscheidungsträger des Industriebetriebes zuwiderläuft. Die Kennzeichnung der Rahmenbedingungen, die für die industrielle Materialwirtschaft Bedeutung haben, ist Gegenstand des darauffolgenden Hauptteils D. Nach grundlegenden Überlegungen zur Bestimmung eines Systems von Rahmenbedingungen für die industrielle Materialwirtschaft werden - jeweils getrennt nach externem und internem Bezugsrahmen - die einzelnen Komponenten des außer- und innerbetrieblichen Umsystems untersucht. Im Rahmen des externen Umsystems erfahren Komponenten wie beispielsweise das gesetzliche oder das technologische Umsystem Beachtung. Die Bedeutung für die industrielle Materialwirtschaft wird dabei getrennt nach Umsystemkomponenten erörtert, wobei in Zusammenhang mit der Darstellung der Komponenten in ihrer Gesamtheit eine Ableitung der Gestaltungsmöglichkeiten der Materialwirtschaft erfolgt. Die Gestaltungsmöglichkeiten geben Aufschluß über die Anpassungsfähigkeit der industriellen Materialwirtschaft an geänderte unternehmensexterne und -interne Rahmenbedingungen. Da die Materialwirtschaft einen Teilbereich industrieller Unternehmen darstellt, ist sie über Wirkungszusammenhänge mit anderen betrieblichen Teilbereichen oder gesamtunternehmensbezogenen Aspekten verbunden. Gesichtspunkte, die hierbei eine Konkretisierung erfahren, sind

II. Der Objekt- und Funktionsumfang der industriellen Materialwirtschaft

19

zum Beispiel fertigungswirtschaftliche Aspekte oder die Unternehmensgröße.

II. Der Objekt- und Funktionsumfang der industriellen Materialwirtschaft

Im Jahre 1905 führt der erste Jahrgang der "Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung" als Unterpunkt des Kapitels IV "Kaufmännische Betriebslehre der Fabriken" unter anderem "Die Versorgung mit Material, Waren und Fremdleistungen und sonstiger Lieferantenverkehr" an. 10 Für diesen Themenbereich wird ab dem 11. Jahrgang die Überschrift "MaterialWirtschaft und Lieferantenverkehr" gewählt. In Anlehnung an den Doppelbegriff der "Material-Wirtschaft" sollen im folgenden die beiden Termini 'Wirtschaft' und 'Material' als dem Objekt des Wirtschaftens einer Begriffsbestimmung unterzogen werden, um daran anschließend aufzu zeigen, welcher begriffliche Inhalt der Materialwirtschaft aufgrund dieser beiden Teilsphären zukommt.

1. Die Bedeutung des Suffixes '-Wirtschaft' für eine Untersuchung der Materialwirtschaft 1

Das wirtschaftliche Handeln kann nach Jung-Stilling allgemein als "die Summe aller Bemühungen (verstanden werden; A. d. V.), welche ein Erwerber anwendet, um seine Bedürfnisse zu befriedigen und sein Vermögen zu vergrößern." Diese "Summe aller Bemühungen" (Jung-Stilling) kann in der Weise konkretisiert werden, daß der Tätigkeit 'Wirtschaften' unter anderem 10

Vgl. Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung, 1. Jg. 1905, S. IV. Vgl. Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung, 11. Jg. 1916/17, S. IV. 12 An dieser Stelle sei angemerkt, "daß der ökonomische Begriffsapparat im Grunde genommen auf sehr allgemeine Merkmale menschlichen Verhaltens zugeschnitten ist, so daß man ihn in seiner Anwendung keineswegs auf den sogenannten wirtschaftlichen Bereich einschränken muß, der ... überaus schwer abgrenzbar istAlbert, H.: Der Gesetzesbegriff im ökonomischen Denken, in: Macht und ökonomisches Gesetz, Erster Halbband, hrsg. von K. Schneider und Ch. Wartin, Berlin 1973, S. 154. 13 Jung-Stilling, J.H.: Sachgerechtes Wirtschaften - sechs Vorlesungen, neu hrsg. von G. Merk, Berlin 1988, S. 18. Hinweise auf ältere Aussagen zur Wirtschaftlichkeit finden sich bei Castan, E.: Wirtschaftlichkeit und Wirtschaftlichkeitsrechnung, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. von H. Seischab und K. Schwantag, 3., völlig neu bearbeitete Aufl., Stuttgart 1962, Sp. 6366. 11

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20

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u a e n der Materialwirtschaft

das Kriterium des planvollen Handelns zugrundegelegt wird. 14 "Unter wirtschaftlichem Handeln ... sind (somit; A. d. V.) diejenigen Dispositionen des Menschen zu verstehen, deren Wirkung in der planmäßigen Bedarfsdeckung liegt."15 Der Grund für das Bestreben, die Bedürfnisbefriedigung um ein planerisches Element zu ergänzen, liegt darin, daß die zur Zielerreichung geeigneten Mittel "im Verhältnis zum Begehr der Menschen selten"16 sind. Amonn formuliert diesen Spannungszustand dergestalt, daß nun versucht werden muß, "mit einem Minimum von Mitteln einen gegebenen Zweck zu erreichen, oder mit gegebenen Mitteln möglichst viele Zwecke zu erreichen."17 Aus diesem Sachverhalt folgernd ergibt sich eine Unterordnung des wirtschaftlichen Handelns unter das Rationalprinzip, 18 da dieses rein formaler Natur ist, während das Wirtschaftlichkeitsprinzip "eine spezifische Maxime für das wirtschaftliche Handeln"19 darstellen soll. 20 Pack beschreibt diesen Zusammenhang durch die Gültigkeit des Rationalprinzips" für alles zielstrebige Handeln," 1 während das Wirtschaftliçhkeitsprinzip nichts anderes ist, als der "Versuch, das Rationalprinzip für wirtschaftliches Handeln zu formulieren." 22 Damit das Wirtschaftlichkeitsprinzip für ein Unternehmen einen Aussagegehalt besitzt, muß es in ökonomischen Begriffen ausgedrückt werden. "Das Problem der inhaltlichen Bestimmung des Wirtschaftlichkeitsprinzips besteht darin, den Umfang des Bedarfsdeckungseffektes und des Mitteleinsatzes durch solche Maßstabsgrößen auszudrücken, die Gegenstand der unternehmerischen Disposition sind."23 14

Vgl. Bergner, H.: Zur betrieblichen Planung und ihrer frühen literarischen Behandlung, in: Betriebswirtschaftliche Unternehmensführung - Gedächtnisschrift für Theodor Beste, hrsg. von G. von Kortzfleisch und H. Bergner, Berlin 1975, S. 1. 15 Koch, H.: Das Wirtschaftlichkeitsprinzip als betriebswirtschaftliche Maxime, in: Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung, Neue Folge, 3. Jg. 1951, S. 161. "Wirtschaftlich" soll im Rahmen dieser Arbeit als ein Werturteil über Handlungen von Wirtschaftssubjekten und nicht als 'der Wirtschaft eigen' (im Gegensatz zu außerwirtschaftlich) verstanden werden. Vgl. Castan, E., Sp. 6268 und Walther , Α.: Einführung in die Wirtschaftslehre der Unternehmung, 1. Band, Der Betrieb, Zürich 1947, S. 306 f. 16 Bergner, H.: Versuch einer Filmwirtschaftslehre, Band 1/1, Berlin 1962, S. 76. 17 Amonn, Α.: Volkswirtschaftliche Grundbegriffe und Grundprobleme, 2. Aufl., Bern 1944, S. 18. 18 Vgl. Winter, Α.: Das wirtschaftliche Prinzip - ein Vorurteil, Jena 1931, S. 15. Zum Begriff der Rationalität vgl. Eckel, D.: Rationales Handeln in der Ökonomie - Maximierung und Optimierung als Entscheidungskriterien in der MikroÖkonomie, Berlin 1970, S. 9 ff. 19 Koch, S. 161. 20 Vgl. Pack, L.: Rationalprinzip Gewinnmaximierungsprinzip (II), in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 31. Jg. 1961, S. 284. 21 Pack, L.: Rationalprinzip und Gewinnmaximierungsprinzip (I), in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 31. Jg. 1961, S. 210. 22 Pack, Rationalprinzip, S. 284. 23 ÄocA,S.163.

II. Der Objekt- und Funktionsumfang der industriellen Materialwirtschaft

21

Als Bedarfsdeckung werden in allgemeiner Form die von einem Unternehmen an die Abnehmer herangetragenen Leistungen an gesehen. Die Leistungen selbst können materieller oder immaterieller Natur sein.24 Die Mittel, die eingesetzt werden, um die Bedarfsdeckung zu realisieren, sind nach Gutenberg die Produktionsfaktoren. 25 Das Wirtschaftlichkeitsprinzip wird dadurch ausgedrückt, daß eine der beiden Größen (Mitteleinsatz oder Bedarfsdeckung) als gegeben angesehen wird, während die andere variiert werden kann. Die Definition des Wirtschaftlichkeitsprinzips kann dabei in mehreren Dimensionen geschehen,26 um zu genaueren Aussa gen über das Maß seiner Realisierung in einem Betrieb zu gelangen. Die Bedarfsdeckung und der Mitteleinsatz lassen sich in ihrer Mengenkomponente betrachten, so daß die Wirtschaftlichkeit "das Maß der mengenmäßigen Sparsamkeit oder Ergiebigkeit beim Einsatz von Vermögensgegenständen"27 ist. Hertlein ordnet der "mengenmäßigen Wirtschaftlichkeit" lediglich den Rang einer Hilfsgröße zu, da sie nur einen Vergleichswert liefert, "wenn der gleichen Menge der gleiche Wert entspricht." 28 Die Auffassung, die Wirtschaftlichkeit lediglich in ihrer mengenmäßigen Dimension zu bestimmen, führt zu einem Nichtberücksichtigen der Knappheit von Gütern, obwohl durch diesen Sachverhalt das Wirtschaftlichkeitsprinzip begründet wird. 29 Das "Prinzip der Knappheit" als wichtigster Bestimmungsgrund der Wirtschaft 31 wird durch eine Einbeziehung der Güterpreise zum Ausdruck gebracht, denn "Menge und Preise bilden .. zusammen die Grundlage für die ökonomischen Dispositionen aller Wirtschaftssubjekte." 32 Von dieser Basis ausgehend sind zwei mögliche Ausprägungsformen eines wertmäßigen (kostenmäßigen) Wirtschaftlichkeitsbegriffes denkbar. 24

Vgl. Kosiol, E.: Erkenntnisgegenstand und methodologischer Standort der Betriebswirtschaftslehre, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 31. Jg. 1961, S. 130. 25 Gutenberg spricht im Original von den produktiven Faktoren. Vgl. Gutenberg, E.: Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre. Erster Band, Die Produktion, 23., unveränderte Aufl., 2 6Berlin/Heidelberg/New York 1979, S. 3. Ein Überblick bezüglich verschiedener Maßgrößen für die Wirtschaftlichkeit findet sich bei Castan, Sp. 6368 ff. 27 Castan, Sp. 6368. 28

Hertlein , Α.: Die Kapital- und Erfolgsrechnung als Grundlage der Wirtschaftlichkeitsmessung, Diss., Stuttgart 1929, S. 139. 29 Vgl. hierzu auch Schanz, G.: Das Knappheitsargument in der ökonomischen Theorie, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 31. Jg. 1979, S. 435. 30 Cassel, G.: Theoretische Sozialökonomie, 6., unveränderte Aufl., Darmstadt 1968, S.3. 31 Vgl. Cassel, S. 152. 32

Koch, S. 165. Vgl. hierzu auch von Stackelberg, H.: Grundlagen einer reinen Kostentheorie, Diss., Wien 1932, S. 15, der der Meinung ist, daß "unser Begriff der Kosten dem ökonomischen Prinzip entspricht", da hierbei "ein gegebener Zweck mit ... dem niedrigstmöglichen Aufwand an ökonomischen Werten erreicht" werden soll.

22

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u a e n der Materialwirtschaft

Zum einen kann unter kostenmäßiger Wirtschaftlichkeit verstanden werden, "daß ein Betrieb um so wirtschaftlicher arbeitet, je niedriger die Kosten sind, mit denen er produziert." 33 Als Maßstab hierzu dienen die Kosten je Leistungseinheit.34 IC

Die Zugrundelegung des erwerbswirtschaftlichen Prinzips bedeutet, daß "das Streben nach dem höchstmöglichen Gewinn ... ein Streben nach der Erreichung einer größtmöglichen Differenz zwischen Ertrag und Kosten"36 wird. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip ist somit dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip untergeordnet. Dies begründet sich darauf, daß zwischen dem Wirtschaftlichkeitsprinzip und dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip eine Mittel-Zweck-Beziehung besteht.37 Einer Begriffsbestimmung kann zum anderen auch die Auffassung von Walther zugrundegelegt werden, der als Wirtschaftlichkeitsmaßstab die Plankosten heranzieht. Konkretisiert wird diese Aussage durch Bestimmung eines Wirtschaftlichkeitsgrades, der als Quotient aus Plan- und Istkosten gebildet wird. 38 Weitere Ausprägungsformen der Wirtschaftlichkeit sind rentabilitätsorientierte, gemeinwirtschaftliche, volkswirtschaftliche und ethische Fassun_

39

gen.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die Wirtschaft als Ausdruck des wirtschaftlichen Handelns die Bedarfsbefriedigung in quantitativer, qualitativer und zeitlicher Hinsicht zum Sachziel hat. Vom Inhalt des Sachziels unabhängig resultiert das Formalziel aus dem Vernunftsprinzip und bringt die Rationalität des wirtschaftlichen Handelns zum Ausdruck. 33 34

Gutenberg, Produktion, S. 470. Vgl. Säbel, H.: Die Grundlagen der Wirtschaftlichkeitsrechnungen, Diss., Berlin 1965,

S. 25. 35

Zum erwerbswirtschaftlichen Prinzip vgl. Euchen, W.: Die Grundlagen der Nationalökonomie, 6., durchgesehene Aufl., Berlin/Göttingen/Heidelberg 1950, S. 206 ff. 36 von Stackelberg, S. 16. 37 Gutenberg formuliert diesen Zusammenhang dergestalt, daß "Unternehmen .. nicht 'wirtschaftlich' (arbeiten; A.d.V.), um lediglich das Prinzip der Wirtschaftlichkeit zu praktizieren, sondern deshalb, weil der Gewinn um so höher ist, je wirtschaftlicher, das heißt rationeller in einem Unternehmen gearbeitet wird." Gutenberg, Produktion, S. 470. Vgl. hierzu auch Söllheim, F.: Zur Methodologie und Systematik der Einzelwirtschaftslehre, in: Archiv der Fortschritte betriebswirtschaftlicher Forschung und Lehre, 4. Jg. 1927, S. 40. 38 Vgl. Walther, S. 332. 39

Vgl. hierzu Castan, Sp. 6368 ff. unu die dort angegebene Literatur. Vgl. Kosiol, E.: Die Unternehmung als wirtschaftliches Aktionszentrum - Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, Reinbek bei Hamburg 1972, S. 223. 40

II. Der Objekt- und Funktionsumfang der industriellen Materialwirtschaft

23

Das Wirtschaftlichkeitsprinzip kann sowohl als Maximal- als auch Minimalprinzip beschrieben werden. Rational handeln bedeutet somit die Entscheidung für einen Extremwert (Minimum oder Maximum).41 Für die industrielle Materialwirtschaft, deren Aufgabenbereich das 'Wirtschaften mit Material' darstellt, hat sowohl das Minimal- als auch das Maximalprinzip Bedeutung. Die Anwendung des Minimalprinzips im Rahmen der industriellen Materialwirtschaft läßt darauf schließen, daß der Materialwirtschaft lediglich die Versorgung der Bedarfsträger mit Materialien zukommt. Die Materialwirtschaft orientiert sich hierbei an anderen Unternehmensbereichen, ohne einen aktiven Beitrag zum Unternehmensgeschehen zu leisten. Die Versorgung der Bedarfsträger stellt das gegebene Ziel dar, das durch einen minimalen wert- oder mengenmäßigen Aufwand erreicht werden soll. Der materialwirtschaftliche Aufgabenbereich wird dadurch auf solche Tätigkeiten beschränkt, die beispielsweise dazu dienen, die Einkaufspreise zu senken. Das Maximalprinzip geht im Unterschied dazu davon aus, daß eine möglichst große Zielerfüllung mit einem gegebenen Aufwand erreicht wird. Dies bedeutet für die Materialwirtschaft, daß sich ihre Gestaltung auch an weiteren Zielen orientieren kann, die durch Wirkungszusammenhänge mit der Materialwirtschaft verbunden sind. Neben der Versorgung der Bedarfsträger lassen sich somit auch weitere monetäre und nichtmonetäre unternehmerische Zielvorstellungen verfolgen. Die Versorgung der Bedarfsträger kann in einem solchen Zielsystem ihren Charakter als eigenständiges Ziel verlieren, womit sie als strenge Nebenbedingung aufgefaßt werden kann. Diese Ausführungen bilden den Hintergrund, vor dem die Darstellung und die Analyse des materialwirtschaftlichen Aufgaben- und Zielsystems sowie der Rahmenbedingungen zu sehen sind.

2. Das Material als Objekt der Materialwirtschaft

Der Begriff des Materials wird in der betriebswirtschaftlichen Literatur nicht einheitlich definiert. 42 Während Beste Werkstoffe, Hilfsstoffe, Betriebsstoffe sowie Zwischen- und Fertigerzeugnisse unter den Materialbegriff faßt, 43 dehnt Franken den Objektumfang auch auf nichtmaterielle Fak41

Vgl Schneider, D.: Zielvorstellungen und innerbetriebliche Lenkungspreise in privaten und öffentlichen Unternehmen, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 18. Jg. 1966, 42 S. 262. Vgl. hierzu Kutzelnigg, Α.: Terminologie der Warenkategorien, Frankfurt am Main 1965, 43 S. 21 ff. Vgl. Beste, Th.: Fertigungswirtschaft und Beschaffungswesen, in: Handbuch der Wirtschaftswissenschaften, Band I, Betriebswirtschaft, hrsg. von K. Hax und Th. Wessels, 2. überarbeitete und erweiterte Aufl., Köln/Opladen 1966, S. 184.

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toren wie Dienstleistungen, Informationen und Rechte aus.44 Abfälle werden von Frank in den Objektumfang der industriellen Materialwirtschaft eingebunden.45 Neben dieser uneinheitlichen Begriffsbestimmung werden in diesem Zusammenhang die Benennungen 'Stoff, 'Werkstoff und 'Material' häufig als Synonyme verwendet.46 Die Ursache hierfür ist darin zu sehen, daß zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Terminus 'Werkstoff als Verdeutschung des Ausdruckes Material gebraucht wurde, 47 obwohl beide Begriffe durchaus unterschiedliche Inhalte aufweisen können.48 Der Ausdruck 'Werkstoff ist eine genauere Bestimmung der für einen bestimmten Zweck benötigten Stoffe. Ein Werkstoff ist somit "bestimmter als der Stoff." 49 Gutenberg rechnet zu den Werkstoffen "alle Rohstoffe, Halb- und Fertigerzeugnisse, .. die als Ausgangs- und Grundstoff für die Herstellung von Erzeugnissen" dienen. Hilfs- und Betriebsstoffe zählen nach Gutenberg zu den Betriebsmitteln, da sie "notwendig sind, um den Betrieb arbeitsfähig zu machen und zu erhalten." 51 Diese Abgrenzung kann insofern nicht überzeugen, da Hilfsstoffe ex definitione in das Erzeugnis eingehen und nur ein gradueller Unterschied zu den Rohstoffen besteht. Eine gemeinsame Basis für die Begriffsbestimmung bildet die lateinische Wortwurzel 'materia', die das Inhaltliche an einer Gegebenheit unter einer 44

45

Vgl. Franken, S. 17.

Vgl. Frank, W.: Die Abfallwirtschaft als Teil der Rohstoffwirtschaft - Eine Untersuchung über den ökonomischen und empirischen Einfluß auf die unternehmerischen Entscheidungen in der betrieblichen Rohstoffwirtschaft, im Recycling sowie in der Umwelterhaltung als Funktionen der Materialwirtschaft, Diss., Düsseldorf/Stuttgart 1990, S. 11. 46 Beispielsweise kann ein Blechwarenhersteller das Blech als Rohstoff, Grundstoff, Werkstoff, Halbfabrikat, Halbzeug, Material, Rohmaterial, Einsatzstoff, Fertigungsstoff, Halbfabrikat, Halbzeug, Material, Rohmaterial, Einsatzstoff, Fertigungsstoff, Verarbeitungsstoff oder Beschaffungsstoff bezeichnen. Vgl. Kutzelnigg, S. 14. 47 Vgl. Bauer, M.H: Die Materialwirtschaft - Ihre Anwendung und Auswirkung in der Maschinen und Geräte bauenden Industrie, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1949, S. 7 und Sanders, D.: Handwörterbuch der deutschen Sprache, 8., neubearbeitete und vermehrte Aufl. von J.E. Wülfing, Leipzig/Wien 1912, S. 829. Schottelius schreibt bereits 1663: "Stoff ist eines Teutsches Stammwort, heißet Materia." Schottelius, J.G.: Ausführliche Arbeit Von der Teutschen HauptSprache, hrsg. von W. Hecht, II. Teil, Tübingen 1967, S. 1027. 48 Vgl. Kutzelnigg, S. 71 f. 49 Campe, J.H.: Wörterbuch der Deutschen Sprache, 5. Teil, Braunschweig 1811, S. 686. 50 Gutenberg, Produktion, S. 122. 51 Gutenberg, Produktion, S. 4. Gutenberg relativiert diese Aussage durch den Zusatz "diejenigen Hilfs- und Betriebsstoffe".

II. Der Objekt- und Funktionsumfang der industriellen Materialwirtschaft

25

52

stofflichen Betrachtungsweise in den Vordergrund stellt. Auf dieser relativ allgemeinen Ebene sind die Begriffe 'Material' und 'Stoff als Synonyme aufzufassen. Unterschiede ergeben sich, wenn in zusammengesetzten Bezeichnungen mit 'Material' als Grundwort diese über die Bedeutung von 'Stoff hinausgehen. Erzeugnisse wie Nägel und Schrauben werden zwar als Kleinmaterial, aber nicht als Kleinstoffe bezeichnet. Der Terminus 'Material' weist hierbei eine begriffliche Übereinstimmung mit Hilfsstoffen auf. Erkennbar wird dieser Zusammenhang dadurch, daß eine Ersetzung von "-material" durch "-Stoff' nicht möglich ist. 53 Der Ausdruck 'Materialwaren' gebraucht Material als Bestimmungswort, um die stoffliche Beschaffenheit in den Vordergrund zu stellen. Die damit zusammenhängenden Materialsubstantive werden häufig mit 'Ware' umschrieben, wobei auf die geometrische Form oder die Herstellungsart Bezug genommen wird. 54 Übertragen auf die Betriebswirtschaftslehre bezieht sich der Begriff 'Material' zum einen auf reale Sachgüter als Ausdruck der stofflichen Betrachtungsweise und zum anderen auf den Betriebsprozeß als Konkretisierung der Verwendung von Materialien. 55 Als Betriebsprozeß können nicht nur Produktionsprozesse im eigentlichen Sinne, sondern auch Leistungserstellungsprozesse anderer Wirtschaftszweige zugrundegelegt werden. Verkehrsbetriebe benötigen zur Leistungserstellung Treibstoffe, Wasser oder Öle, während Dienstleistungsunternehmen oder Verwaltungsabteilungen von Fertigungsbetrieben auf Büromaterialien angewiesen sind.56 Materialien lassen sich somit dadurch charakterisieren, 57 daß sie naturgegebene oder bereits verarbeitete 58 bewegliche Sachgüter sind. Durch ihren Einsatz oder Verbrauch in produktiven Prozessen 52

Vgl. Schmidt, H.: Philosophisches Wörterbuch, 11. Aufl., völlig neu bearbeitet von J. Streller, Stuttgart 1951, S. 438. Vgl. hierzu auch die Auffassung von Aristoteles, der der Meinung ist, daß das Stoffliche "das Substrat (ist; A.d.V.), woraus ein Ding gemacht wird." Aristoteles: Politik, 3. Aufl., neu übersetzt und mit einer Einleitung und erklärenden Anmerkungen versehen von E. Rolfes, Leipzig 1922, S. 14. 53 Vgl. Kutzelnigg, S. 30. 54 Als Beispiele seien Holzpaletten, Metallbarren und Kunstharzpreßlinge genannt. Vgl. Kutzelnigg, S. 59. 55 Vgl. Grochla, E.: Grundlagen der Materialwirtschaft - Das materialwirtschaftliche Optimum im Betrieb, 3., gründlich durchgesehene Aufl., Wiesbaden 1978, S. 13 und Berger, K.-H.: Festlegung von Materialstandards, in: Industrielle Produktion, hrsg. von K. Agthe, H. Blohm und E. Schnaufer, Baden-Baden/Bad Homburg vor der Höhe 1967, S. 503. 56 Vgl. Mellerowicz, K.: Kosten und Kostenrechnung, Band 1, Theorie der Kosten, 4., durchgesehene Aufl., Berlin 1963, S. 62. 57 Vgl. Hummel, S.: Material: Arten und Eignungskriterien, in: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft, hrsg. von W. Kern, Stuttgart 1979, Sp. 1183. 58 Es ist unerheblich, ob die Vorbearbeitung durch den Betrieb oder durch den Zulieferer erfolgt.

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als weiterem Merkmal verlieren sie die Fähigkeit, in anderen produktiven Prozessen alternativ verwendet zu werden. 59 Bei Material handelt es sich somit um einen Repetierfaktor im Sinne Heinens.60 Der Materialbegriff umfaßt Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie unfertige Erzeugnisse, da diese Objekte die Merkmale von Materialien erfüllen. Rohstoffe, die als wesentlicher Bestandteil in das Erzeugnis eingehen,61 sind noch nicht be- oder verarbeitet. 62 Hilfsstoffe sind ein "zusätzlicher und deshalb nicht wesentlicher Bestandteil des neuen Erzeugnisses" und erfüllen hierbei eine bestimmte Funktion (Verbinden, Verstärken, Umhüllen etc.).64 Die Betriebsstoffe 65 dienen zur "Unterhaltung und Inganghaltung betrieblicher Anlagen und Maschinen",66 ohne selbst in das Erzeugnis einzugehen. Eine weitere Materialart stellen die unfertigen Erzeugnisse dar. Die Bezeichnung 'unfertiges Erzeugnis' kann sich zum einen auf Erzeugnisse einer Zwischenfabrikationsstufe, die bereits Gegenstand des Handelswaren, und zum anderen auf im Betrieb be- oder verarbeitete Stoffe, die sich noch im ProduktionsprozeP befinden und noch nicht Gegenstand des Handels waren, erstrecken. Zur Unterscheidung kann im ersten Falle von Halbfabrikaten und im zweiten Falle von Halbfertigfabrikaten gesprochen werden. 67 59

Vgl. Mellerowicz, S. 4. Vgl. Heinen, E.: Betriebswirtschaftliche Kostenlehre - Kostentheorie und Kostenentscheidungen, 6., verbesserte und erweiterte Aufl., Wiesbaden 1983, S. 247. 61 An dieser Stelle sei vermerkt, daß einige Autoren die Begriffe Rohstoff und Werkstoff als Synonyme verwenden. Vgl. Beste, Fertigungswirtschaft, S. 184 und Kutzelnigg, S. 65. 62 Vgl. Grochla, Grundlagen, S. 15 sowie Grünsteidel, E.: Über die Begriffe "Rohstoff', "Zwischenprodukt" und "Fertigware", in: Beiträge zur Begriffsbildung und Methode der Betriebswirtschaftslehre - Festschrift für Willy Bouffier zur Vollendung seines 60. Lebensjahres, hrsg. von R. Bratschitsch und K. Vodrazka, Wien 1965, S. 10 ff. 63 Findeisen, C./Großmann, H.: Grundriß der Betriebswirtschaft, 38. Aufl. von W. Löbner, Bad Homburg von der Höhe/Berlin/Zürich 1959, S. 162. 64 Vgl. Kosiol, E.: Rechnungswesen - Kostenrechnung und Betriebsbuchhaltung, in: Handbuch der Wirtschaftswissenschaften, Band I, Betriebswirtschaft, hrsg. von K. Hax und Th. Wessels, 2., überarbeitete und erweiterte Aufl., Köln/Opladen 1966, S. 632. 65 Hennig spricht in diesem Zusammenhang von Betriebsmaterialien. Vgl. Hennig, K.W.: Betriebswirtschaftslehre der industriellen Fertigung, Braunschweig 1946, S. 145. Als Ergänzung sei angemerkt, daß Lohmann Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe als sogenannte Werkgüter zusammenfaßt. Vgl. Lohmann, M.: Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, 2., neubearbeitete und vermehrte Aufl., Tübingen 1955, S. 43 f. 66 Findeisen/Großmann, S. 162. 67 Vgl. Kutzelnigg, S. 75. Die Bezeichnung Halbfabrikat ist insofern ungeau, als es aus Sicht des Zulieferers durchaus ein Enderzeugnis sein kann. Es handelt sich hierbei nach Rogowsky um "Individualausdrücke der einzelnen Werke." Rogowsky, B.: Materialbewirtschaftung, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. von H. Nicklisch, Stuttgart 1927, Sp. 1376. Weitere in diesem Zusammenhang auftretende Bezeichnungen sind 'Zwischenprodukte" '-fabrikate', 'Vorerzeugnisse' oder 'Vorprodukte'. Vgl. Kutzelnigg, S. 79 f. 60

II. Der Objekt- und Funktionsumfang der industriellen Materialwirtschaft

27

Die Objekte der Materialwirtschaft (Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie unfertige Erzeugnisse) können mit Hilfe des Merkmals 'Beziehung zum Betriebserzeugnis' weiter unterteilt werden, je nachdem, ob die eingesetzten Materialien unmittelbar als Bestandteile in das Enderzeugnis eingehen oder zur Aufrechterhaltung des Leistungserstellungsprozesses dienen. Die Materialien lassen sich unter Zugrundelegung dieses Merkmals in Erzeugnisund Betriebsstoffe unterteilen. Durch Heranziehen des Kriteriums 'wesentlicher Bestandteil des Enderzeugnisses' ergeben sich als Ausprägungen im Rahmen der Erzeugnisstoffe die Erzeugnishaupt- und Erzeugnishilfsstoffe, die sich wiederum in Rohund Fertigstoffe unterteilen lassen. Eine Gleichsetzung der Termini Rohstoff und Erzeugnishauptstoff ist nicht zweckmäßig, um eine Unterscheidung zwischen Materialien, die unmittelbar der Natur entnommen und denen, die bereits vorbearbeitet sind, zu treffen. 69 Die Unterscheidung von Rohstoffen und Hilfsstoffen setzt am Endprodukt und hierbei an dem mengenmäßigen Anteil der beiden Materialarten an. Für den Bereich der industriellen Materialwirtschaft ist dieses Unterscheidungsmerkmal nicht zweckmäßig, da Hilfsstoffe auch Rohstoffcharakter haben können. Zusätzlich wird bei den Rohstoffen ein weiteres Merkmal - nicht oder kaum be-/verarbeitet - hinzugezogen, das keine Entsprechung bei den Hilfsstoffen findet. In gleicher Weise sind die Betriebsstoffe entweder Rohstoffe wie Öl oder Fertigstoffe, wie Reinigungsmittel oder Schreibmaterialien. 70 In Abb. 1 werden diese Zusammenhänge graphisch dargestellt:

68

Vgl. Grochla, Grundlagen, S. 14. Eine geringfügige, oftmals am Gewinnungsort vorgenommene Tätigkeit ändert nichts am Rohstoffcharakter des Materials, da diese Arbeiten durchgeführt werden, um den Rohstoff haltbar sowie transport- und marktfähig zu machen. Vgl. Kutzelnigg, S. 65. 69

70

Vgl. Grochla, Grundlagen, S. 15.

28

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u a e n der Materialwirtschaft

Erceugmsstoffe

||

Betriebsstoffe

|

Erzeugnishflfsstoffe

Erzeugnishauptstoffe I

Fertigstoffe

Rohstoffe

Abb. 1. Materialarten Quelle: Grochla, Grundlagen, S. 15.

In der Literatur finden sich verschiedene Abgrenzungen des Objektumfanges der industriellen Materialwirtschaft, die im folgenden näher betrachtet werden. Einer Einbeziehung von Betriebsmitteln in den Objektbereich der Materialwirtschaft steht entgegen, daß sich die beiden Termini Material und Betriebsmittel auch auf die bilanzielle Trennung von Umlauf- und Anlagevermögen beziehen.72 Obwohl die Zuordnung von Vermögensgegenständen zum Anlage- oder Umlaufvermögen nach § 247 HGB 7 3 neben der Art des Vermögensgegenstandes auch vom Willen des Betriebes abhängt, sind unter anderem Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie unfertige und fertige Erzeug71

Vgl. Harlander/Platz, S. 17. Vgl. hierzu auch die Abgrenzung von Potential- und Repetierfaktoren bei Heilten, Kostenlehre, S. 247. 73 Handelsgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Mai 1897, in: RGBl. I, S. 219 mit allen späteren Änderungen, künftig zitiert als HGB. Zum Beispiel bei Sicherheitsteilen, von deren fehlerfreiem Funktionieren das Leben und die Gesundheit von Menschen abhängen. 72

II. Der Objekt- und Funktionsumfang der industriellen Materialwirtschaft

29

74

nisse generell dem Umlaufvermögen zuzuordnen. Mit dieser Zuordnung wird auch die Art des Werteverzehrs zum Ausdruck gebracht. Während bei den Betriebsmitteln ein meßbarer Werteverzehr nicht beobachtet werden kann und sich lediglich das Potential von Leistungsabgaben im Zeitablauf verringert, 75 setzt beim Material ex definitione "mit dem Einsatz ein weitere Verwendungszwecke ausschließender Verbrauch ein."76 Dem Material entsprechen somit die Vorräte und die unfertigen Erzeugnisse in der Bilanzierung. 77

7R

Dienstleistungen und Informationen fallen ebenfalls nicht unter den Materialbegriff, da ihnen als grundlegendes Merkmal der stoffliche Bezug fehlt. Informationen, die auf materialwirtschaftlichen Sachverhalten basieren, wie zum Beispiel bei der Angebotseinholung im Rahmen des Einkaufs oder bei der Beschaffungsmarktforschung, stellen durchaus Untersuchungsgebiete der industriellen Materialwirtschaft dar. Die Ausgrenzung von Informationen bezieht sich vielmehr auf ihre generelle Einbeziehung in den Objektbereich der Materialwirtschaft. In diesem Sinne stehen Informationen, die sich zum Beispiel auf die Beschaffung von Kapital oder Personal beziehen, nicht im Blickfeld der Materialwirtschaft. 7Q

Gegen eine Einbeziehung von Rechten in den Objektbereich der Materialwirtschaft kann eingewendet werden, daß bei Rechten, neben dem Fehlen einer stofflichen Dimension, die Möglichkeit eines alternativen Einsatzes während einer Nutzung besteht. Weiterhin sind Rechte immer untrennbar mit dem zugrundeliegenden Objekt verbunden.80 Analog den Ausführungen 74

Vgl. Reinhard, Herbert: § 247 - Inhalt der Bilanz, in: Handbuch der Rechnungslegung - Kommentar zur Bilanzierung und Prüfung, hrsg. von K. Küting und C.-P. Weber, 3., grundlegend überarbeitete und wesentlich erweiterte Aufl., Stuttgart 1990, § 247, Rdn. 82 f. 75 Vgl. Moroff, G.: Werkzeugmaschinen in der industriellen Produktion - Kennzeichnung, Planung und Einsatz moderner Fertigungskonzepte aus betriebswirtschaftlicher Sicht, Diss., Mannheim 1992, S. 444 ff. 76 Grochla, Grundlagen, S. 14 sowie Kosiol, E.: Kritische Analyse der Wesensmerkmale des Kostenbegriffs, in: Betriebsökonomisierung durch Kostenanalyse, Absatzrationalisierung und Nachwuchserziehung, hrsg. von E. Kosiol und F. Schlieper, Köln/Opladen 1958, S. 16 ff. 77 Vgl. Pekayvaz, S. 6. 78 Vgl. Franken, S. 17 und Pfohl, H.-Ch.: Produktionsfaktor Information in der Logistik, in: Informationssysteme in der Logistik, Reihe Fachtagungen, Band 1, hrsg. vom Institut für Logistik der Deutschen Gesellschaft für Logistik e.V., Dortmund 1985, S. 3 f. 79 Vgl Franken, SΑΊ. 80

Rechte sind nach Böhm-Bawerk keine Güter im eigentlichen Sinne, sondern Ausdruck der Beziehungen von Wirtschaftssubjekten zu bestimmten Gütern oder Güterkomplexen. Böhm-Bawerk spricht in diesem Zusammenhang von sogenannten 'Pseudogütern'. Vgl. BöhmBawerk, E. von: Rechte und Verhältnisse vom Standpunkte der volkswirtschaftlichen Güterlehre, Innsbruck 1881, S. 147 f.

30

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u a e n der Materialwirtschaft

zur Einbeziehung von Informationen ist der Erwerb von Eigentumsrechten an den zu beschaffenden Materialien ein Bestandteil der materialwirtschaftlichen Aufgabenstellung im Rahmen des Einkaufs. Ol

wie Abfälle, Abwasser und Abluft das Obwohl Produktionsrückstände Kriterium 'bewegliche Sachgüter'erfüllen, kann nicht von Material im eigentlichen Sinne gesprochen werden. Diese Aussage begründet sich darauf, daß sie nicht in einem Produktionsprozeß eingesetzt werden, sondern vielmehr ein Endprodukt dieses Prozesses darstellen. 82 Auch sind sie kein Produktionsfaktor, da diese für den Produktionsprozeß notwendig sind, während Abfälle gerade vermieden werden sollen. In einer nachgelagerten Phase können Entsorgungsgüter durchaus den Charakter von Einsatzgütern annehmen.83 Bei Waren 84 handelt es sich wie bei Material um bewegliche Sachgüter. Unterschiede ergeben sich daraus, daß Waren ebenfalls wie Handelswaren nicht in den eigentlichen betrieblichen Leistungserstellungsprozeß einfließen, sondern zur Vervollständigung des Sortiments zugekauft werden. 85 Sie stellen zugekaufte Erzeugnisse dar, die ohne Be- oder Verarbeitung in das Produktsortiment aufgenommen werden. Die Waren verlieren hierdurch nicht die Fähigkeit, in anderen Prozessen alternativ eingesetzt zu werden. 86 Waren sind nach Pöschl reine "Gegenstände des Handels,"87 und stellen insofern keine Materialien dar, als sie die Kriterien zur Bestimmung von Materialien (Einsatz/Verbrauch in Produktionsprozessen sowie damit zusammenhängender Verlust der Fähigkeit, in anderen Produktionsprozessen eingesetzt zu werden) nicht aufweisen. 81

Vgl. Steinbrüchel, M.: Die Materialwirtschaft der Unternehmung, Diss., Bern/Stuttgart 1970, S. 15 sowie Pfohl, H.-Ch./Stölzle, W.: Entsorgungslogistik, in: Handbuch des Umweltmanagements - Anforderungs- und Leistungsprofile von Unternehmen und Gesellschaft,hrsg. von U. Steger, München 1992, S. 574. 82 Vgl. Riebet, P.: Die Kuppelproduktion - Betriebs- und Marktprobleme, Köln/Opladen 1955, S. 124 ff. 83

Für diesen Problemkreis wirde bereits in den 20er Jahren der Terminus 'Abfallwirtschaft' eingeführt. Vgl. Rogowsky, B.: Abfallwirtschaft, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. von H. Nicklisch, Stuttgart 1926, Sp. 2 ff. In neueren Veröffentlichungen wird der Bereich der betrieblichen Abfallwirtschaft in die sogenannte Entsorgungslogistik einbezogen, die Abfälle, Abwasser und Abluft sowie Wertstoffe umfaßt. Vgl. hierzu Pfohl/Stölzle, S. 572 ff. 84 Vgl. Heuer, S. 31. 85

Vgl. Hartmann, H.: Begriff und Objekte der Materialwirtschaft, in: Der Betriebswirt, Heft863, 26. Jg. 1985, S. 4. Zur 'Warenwirtschaftslehre' und 'Warenlehre' vgl. Knoblich, H.: Betriebswirtschaftliche Warentypologie - Grundlagen und Anwendung, Köln/Opladen 1969, S. 20. 87 Pöschl , V.: Allgemeine Warenkunde, Stuttgart 1912, S. 2.

II. Der Objekt- und Funktionsumfang der industriellen Materialwirtschaft

31

Analog den Ausführungen in bezug auf Waren als Objekt der industriellen Materialwirtschaft werden Fertigerzeugnisse 88 ebenfalls nicht als Material bezeichnet. Selbsterstellten Fertigerzeugnissen und Waren fehlt das Kriterium 'Einsatz/Verbrauch im betrieblichen Leistungserstellungsprozeß\ Sie stellen keine Einsatzgüter, sondern vielmehr Endprodukte eines Leistungserstellungsprozesses dar. Die Problemkreise, die mit ihnen zusammenhängen, sind eher Gegenstand der Absatzwirtschaft als der Fertigungs- oder Materialwirtschaft. 9

3. Der Objektbereich als Bestimmungsfaktor des funktionalen Umfanges der Materialwirtschaft

Die funktionale Betrachtungsweise der Wirtschaft faßt einen Betrieb als eine Funktionseinheit der Volkswirtschaft auf und sieht seine Aufgabe darin, Mittel zur menschlichen Bedürfnisbefriedigung bereitzustellen.90 Diese eher gesamtwirtschaftliche Auffassung kann durch eine Analyse des Gesamtprozesses in verschiedene Grundfunktionen verfeinert werden. 91 Eine Funktion bezeichnet dabei eine vom Aufgabenträger abstrahierte, nicht personenbezogene, gleichartige, betriebliche Tätigkeit.92 Als Grundfunktionen kommen Beschaffung, Lagerung, Erzeugung, Gestaltung, Transport, Absatz sowie Verwaltung und Geschäftsleitung in Frage. Als Unterscheidungsmerkmal innerhalb der Grundfunktionen dient die Orientierung an verschiedenen Objekten wie zum Beispiel Finanzmittel, Personal, betriebliches Zahlenmaterial (Rechnungswesen), Anlagen oder Material 93 Im folgenden stehen die betrieblichen Grundfunktionen in bezug auf das Objekt 'Material' im Mittelpunkt der Betrachtungen. Analog dem Objektumfang des Materialbegriffes kann der Umfang des betrieblichen Teilbereiches Materialwirtschaft in funktionaler Sichtweise unterschiedlich abgegrenzt werden. Die Materialwirtschaft stellt eine objektge88 89

90

Vgl. Beste, Fertigungswirtschaft, S. 184. Vgl. Knoblich, S. 16.

Vgl. Bratschitsch, R.: Funktionen, betriebliche, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. von E. Grochla und W. Wittmann, 4., völlig neu gestaltete Aufl., Stuttgart 1974, Sp. 1597 f. 91 Vgl. Rößle, K.: Funktionen, betriebswirtschaftliche, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. von H. Seischab und K. Schwantag, 3., völlig neu bearbeitete Aufl., Stuttgart 1958, Sp. 2091 und Bellinger, B.: Versuch eines Gliederungssystems betrieblicher Funktionen, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 25. Jg. 1955, S. 229. 92 Vgl. Huisinga, H.: Die funktionale Betrachtungsweise in der Betriebswirtschaftslehre, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, 13. Jg. 1961, S. 389. 93 Vgl. Bellinger, S. 238 f.

32

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u a e n der Materialwirtschaft

richtete betriebliche Funktion dar, wobei der Objektumfang des Materialbegriffes als Bestimmungsfaktor für den Funktionsumfang dient. Kalveram vertritt die Ansicht, daß lediglich die Bereiche Beschaffung und Lagerung als Bestandteile der Materialwirtschaft gelten.94 Im Unterschied zu dieser Auffassung engt Beste den Funktionsumfang der industriellen Materialwirtschaft auf "das im Betrieb sich befindliche Material in jeglieher Form" ein. Er schließt hierdurch den Bereich der industriellen Beschaffung aus den Betrachtungen aus.96 Umfassender legt der Dr. Krähe Arbeitskreis der Schmalenbach-Gesellschaft den Funktionsumfang der Materialwirtschaft fest. Auf einer ersten Ebene werden die Bereiche Beschaffung und Lagerwesen einbezogen. Die zweite Ebene ist dadurch gekennzeichnet, daß die Beschaffung auch auf innerbetriebliche Tätigkeiten, die zur Bereitstellung der beschafften Materialien erforderlich sind, ausgedehnt wird. 97 Der größte Aufgabenumfang für die Materialwirtschaft findet sich bei Grochla, der sowohl die Bereiche Beschaffung, Lager, Transport als auch die Entsorgung, Fertigungssteuerung und -programmplanung sowie Distribution als Bestandteile der industriellen Materialwirtschaft auffaßt. 98 Da das Material den alleinigen Bezugspunkt der faktororientierten betrieblichen Teilfunktion Materialwirtschaft darstellt, werden zur Materialwirtschaft alle Bereiche gezählt, die sich mit dem Faktor Material befassen, so daß die Teilbereiche der industriellen Materialwirtschaft die Beschaffung der Materialien, die Materiallagerung sowie die Bereitstellung der Materialien an den Bedarfsorten mittels des innerbetrieblichen Transportwesens sind. Diese Sichtweise der funktionalen Abgrenzung der Materialwirtschaft hebt sich von anderen Ansätzen ab, die den Funktionsumfang wesentlich weiter fassen. Im folgenden werden daher diese Ansätze einer genaueren Betrachtung unterzogen. Wird das Hauptaugenmerk der Materialwirtschaft - wie beschrieben auf die Bereiche Materialbeschaffung, Lagerwesen und innerbetrieblichen Transport gerichtet,"endet der Aufgabenbereich der Materialwirtschaft bei der Bereitstellung der Einsatzstoffe für die verschiedenen Verbrauchsorte 94

95

Vgl. Kalveram, W.: Industriebetriebslehre, 7. Aufl., Wiesbaden 1960, S. 129.

Beste, Fertigungswirtschaft, S. 194. Grochla schreibt in der ersten Auflage der 'Grundlagen der Materialwirtschaft', daß die Materialwirtschaft "abzugrenzen (ist; A.d.V.) von den Bereichen Beschaffung (Einkauf) und Fertigung." In späteren Auflagen wird diese Auffassung nicht mehr vertreten. Grochla, E.: Materialwirtschaft, Wiesbaden 1958, S. 9. 96

97

Vgl. Dr. Krähe Arbeitskreis der Schmalenbach-Gesellschaft: Unternehmensorganisation - Aufgaben und Abteilungsgliederung in der industriellen Unternehmung, 4. überarbeitete Aufl., 9 8 Köln/Opladen 1963, S. 46. Vgl. Grochla, Grundkonzepte, S. 176.

II. Der Objekt- und Funktionsumfang der industriellen Materialwirtschaft

33

99

der Erzeugung." Diese Sichtweise bezieht sich nicht nur auf die Bereitstellung an der ersten Fertigungsstelle, sondern auch auf die Transport- und Lagervorgänge zwischen den einzelnen Fertigungsstellen. Die Objekte hierbei sind die im Betrieb erstellten unfertigen Erzeugnisse. wird von manchen Autoren in den FunktionsDie Entsorgungsfiinktion umfang der Materialwirtschaft einbezogen.100 Bei einer Betrachtung der Aufgaben, die im Rahmen der Entsorgung anfallen wie Sammeln, Separieren, Aufarbeiten, Sichern oder die Suche nach eventuellen Abnehmern fällt auf, daß solche Tätigkeiten zu keinem oder kaum einem Aufgabenbereich der Materialwirtschaft Überschneidungen aufweisen. Aus diesem Grunde und dem Nichteinbeziehen der Entsorgungsgüter in den Objektbereich der Materialwirtschaft empfiehlt es sich, in Anlehnung an Rogowsky einen getrennten Bereich 'Abfall-' oder 'Entsorgungswirtschaft' zu schaffen. 101 Dieser Bereich kann danach unterteilt werden, ob die Güter endgültig aus dem einzel- oder gesamtwirtschaftlichen Güterkreislauf ausscheiden oder nach Aufarbeitungsprozessen wiederum in Leistungserstellungsprozessen eingesetzt werden.1 2 Der Bereich der Abfall- oder Entsorgungswirtschaft kann gemeinsam mit der Materialwirtschaft einem übergeordneten Unternehmensbereich zugeordnet werden, um den Informationsfluß zu verbessern. Der Ansicht, den Bereich der Entsorgungswirtschaft in die Teilbereiche dispositive und technische Aspekte 103 einzuteilen und den dispositiven Teilbereich zur Materialwirtschaft zuzurechnen, kann hier nicht gefolgt werden, denn diese Tätigkeiten sind immer im Zusammenhang mit den dazu notwendigen Verarbeitungsprozessen und eventuellen Verkaufsbemühungen zu sehen. Nicht zu den Entsorgungsgütern in diesem Sinne zählen nicht mehr benötigte Materialien an den Verbrauchsorten, die zum Beispiel wieder eingelagert werden.

99 100

Grochla, Grundlagen, S. 16.

Vgl. Stahlmann , V.: Umweltorientierte Materialwirtschaft - Das Optimierungskonzept für Ressourcen, Recycling, Rendite, Wiedsbaden 1988, S. 25 ff.; Grochla, E.: Grundlagen der organisatorischen Gestaltung, Stuttgart 1982, S. 200 sowie Grochla, E.: Integrierte Materialwirtschaft als Herausforderung an die Unternehmensführung, in: Instrumente zur Steuerung der Materialwirtschaft, Fachseminar am 7. und 8. Oktober 1982 in Köln, hrsg. vom Betriebswirtschaftlichen Institut für Organisation und Automation (BIFOA), o.O., o.J., S. 4. 101 Vgl. Rogowsky, Abfallwirtschaft, Sp. 2 ff. sowie Matschke, M.J./Lemser, B.: Entsorgung als betriebliche Grundfunktion, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, 44. Jg. 1992, S. 85 ff. 102

Vgl. zu diesem Problemkreis Staudt, E.: Recycling, betriebliches, in: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft, hrsg. von W. Kern, Stuttgart 1979, Sp. 1800 ff. 103 Vgl. Schwab, H.: Materialwirtschaft - Aufgaben und Definitionen, Schriftenreihe "wissen und beraten", hrsg. vom Bundesverband Materialwirtschaft und Einkauf e.V., Heft 6, Frankfurt am Main 1978, S. 13. 3 Brecht

34

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u a e n der Materialwirtschaft

Die Materialwirtschaft wird teilweise nicht nur um den Bereich der Abfall- oder Entsorgungswirtschaft erweitert, sondern auch zusätzlich um die Fertigungssteuerung und -programmplanung. Dieser Ansatz wird in der Literatur als 'erweitert integrierte Materialwirtschaft' bezeichnet.104 Gegen eine Einbeziehung des Fertigungsbereiches in den Funktionsumfang der Materialwirtschaft 5 spricht, daß das in diesem Zusammenhang angeführte Argument der "Harmonisierung von Materialfluß und Fertigungsrhythmus"106 sich in erster Linie auf informationelle Aspekte dieser Verknüpfung und nicht so sehr auf eine Zusammenfassung beider Bereiche bezieht. Eine informationstechnische Vernetzung von Materialwirtschaft und Fertigungswirtschaft kann dazu beitragen, beide Unternehmensbereiche intensitätsmäßig aufeinander abzustimmen. Eine weitere Begriffsfassung gibt Steinbrüchel, der materialwirtschaftliche Aspekte der Produktion und des Absatzes in den Funktionsumfang der industriellen Materialwirtschaft miteinbezieht. Er beschreibt dies als "Verteilung des Materials an Elemente 1Π7

innerhalb und außerhalb der Unternehmung." Begründet wird diese umfassendere Sichtweise durch die Notwendigkeit einer "ganzheitlichen Sicht aller Material- und Informationsströme." 108 Wie oben bereits beschrieben, stellt die Fertigungswirtschaft keinen Bereich der Materialwirtschaft dar. Infolgedessen ergeben sich auch keine Schnittpunkte der Distribution mit der Materialwirtschaft. Dies ist auch unter dem Aspekt zu sehen, daß selbsterstellte Fertigerzeugnisse kein Objekt der Materialwirtschaft sind. Die physische Warenverteilung und damit zusammenhängend die Distribution von Fertigerzeugnissen wirft andere Fragen wie die Art der Werbestrategie oder die Wahl der Absatzmittler auf. Die Materialwirtschaft ist im Unterschied hierzu zum großen Teil innerbetrieblich zu sehen. Das Konzept, die Distribution in den Funktionsumfang der Materialwirtschaft einzubeziehen, wird als 'total integrierte Materialwirtschaft' oder 'Versorgungsmanagement' bezeichnet.109 Den Konzepten der 'erweitert' oder 'total integrierten Materialwirtschaft' soll im weiteren nicht gefolgt werden, da sie sich, wie gezeigt, vom eigentlichen Kern der Materialwirtschaft weit entfernen. Der in dieser Arbeit zugrundegelegte Ansatz umfaßt diejenigen betrieblichen Funktionen, 104

Vgl. Grochla, Grundkonzepte, S. 176. Vgl· hierzu Hahn, D.: Industrielle Fertigungswirtschaft in entscheidungs- und systemtheoretischer Sicht, in: Zeitschrift für Organisation, 41. Jg. 1972, S. 271 f., der das innerbetriebliche Transport- und Lagerwesen in die Fertigungswirtschaft miteinbezieht. 106 Grochla, Grundkonzepte, S. 176. 107 Steinbrüchel, S. 12. 105

108

109

Grochla, Grundkonzepte, S. 178. Vgl. Grochla, Grundkonzepte, S. 178.

II. Der Objekt- und Funktionsumfang der industriellen Materialwirtschaft

35

die sich unter der Bezeichnung 'Wirtschaften mit Material' anführen lassen. In funktionaler Hinsicht sind dies die Materialbeschaffung, der innerbetriebliche Materialtransport und die Materiallagerung. Der Objektumfang dieser neueren Konzepte 0 entspricht teilweise nicht mehr dem Begriffsinhalt des Wortes Material. Es stellt sich auch die Frage, auf welche Weise diese neueren Konzepte und hierbei insbesondere das der 'erweitert integrierten Materialwirtschaft' noch Unterschiede zur industriellen Logistik aufweisen. 111 Als letzter Aspekt soll die sprachlich etwas ungeschickte Art der Bezeichnung der neueren Konzepte angeführt werden. Begriffe sollten nicht durch Ergänzungen verändert werden, da hierdurch teilweise die Verständlichkeit leidet.1 Generell kann die Frage aufgeworfen werden, ob durch eine Erweiterung des Materialwirtschaftsbegriffes vor allem im Hinblick auf den Funktionsumfang Schnittstellenprobleme gelöst werden können. Schnittstellen bezeichnen die Übergänge zwischen verschiedenen Unternehmensbereichen, 113 wie zum Beispiel zwischen innerbetrieblichem Transportwesen und der Fertigungswirtschaft. Sichtbar werden Schnittstellen oftmals durch Bestände, da bei den Übergangspunkten zwischen zwei Unternehmensbereichen Handhabungstätigkeiten wie Umladen oder Umlagern Bedeutung erlangen. Schnittstellenproblemen, die in der Regel durch unvollkommene Informationen entstehen, kann durch eine Verbesserung des betrieblichen Informationsflusses entgegengewirkt werden. Ansatzpunkte hierzu ergeben sich aus Entwicklungen im Rahmen der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, die sich innerbetrieblich nutzen lassen.114 Auch kann durch eine Normung zum Beispiel von Transport- und Lagereinheiten sowie 110 111

Vgl. hierzu Bäck, H.: Erfolgsstrategie Logistik, München 1984, S. 153 ff. Zur Abgrenzung zwischen der Materialwirtschaft und Logistik vgl. S. 7 ff. dieser Ar-

beit.

112

Die Begriffsvielfalt zeigt sich auch in Ausdrücken wie 'klassische' und 'traditionelle Materialwirtschaft' sowie einer Beschaffung im engeren und weiteren Sinn. Die Logistik wird von manchen Autoren auch in einer engeren und weiteren Form interpretiert. Vgl. Grochla, Grundkonzepte, S. 175 ff. und Flattert, U.: Controlling in der Materialwirtschaft - Eine explorative in der deutschen Automobilindustrie, Diss., Bergisch Gladbach/Köln 1986, S. 46. 1 1Studie 3 Vgl. Feierabend, R.: Beitrag zur Abstimmung und Gestaltung unternehmensübergreifender logistischer Schnittstellen, Bremen 1980, S. 56 ff. 114

Vgl. zu kommunikativen Beziehungen in Organisationen Kosiol, E.: Organisation der Unternehmung, 2., durchgesehene Aufl., Wiesbaden 1976, S. 178 sowie allgemein zum Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien in Unternehmen Hermanns , Α.: Neue Kommunikationstechniken und ihre betriebswirtschaftliche Bedeutung - eine Einführung, in: Neue Kommunikationstechniken - Grundlagen und betriebswirtschaftliche Perspektiven, hrsg. von A. Hermanns, München 1986, S. 3 f. 3*

36

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u a e n der Materialwirtschaft

durch die Synchronisation von Kapazitäten oder Durchlaufzeiten ein Bestandsaufbau an der Schnittstelle vermieden werden. 115 Die Forderung, die Materialwirtschaft in bezug auf ihren Objekt- und Funktionsumfang mit dem Argument auszudehnen, daß durch eine horizontale Integration die Überwindung von Schnittstellenproblemen gewährleistet ist und daß damit zusammenhängend auch die oftmals unzureichende Abstimmung der einzelnen Bereiche untereinander abgebaut wird, 116 ist vor allem vor dem Hintergrund informationstechnischer Probleme zu sehen. Die Trennung von Material-, Fertigungs- und Absatzwirtschaft bleibt davon unberührt. Eine Einbindung in ein übergeordnetes Bezugssystem, wie zum Beispiel die Mikrologistik, 117 umfaßt die genannten Bereiche, ohne dabei die trennenden Elemente zu vernachlässigen. Sie stellt auch deswegen einen Rahmen dar, da sie zusätzliche Elemente wie Informationen oder Personal in den Betrachtungshorizont einschließt.

4. Die Materialwirtschaft als Unternehmensfunktion

Basierend auf den Ausführungen des vorhergehenden Kapitels ergeben sich folgende Gesamt- und Teilfunktionen der industriellen Materialwirtschaft: Die Funktion Materialwirtschaft umfaßt alle Aufgaben in einem Unternehmen, die sich unter Beachtung des ökonomischen Prinzips mit Materialien befassen. Das 'Wirtschaften mit Materialien' kann durch die Teilfunktionen Materialbeschaffung, innerbetrieblicher Materialtransport und Materiallagerung beschrieben werden. Die Beschaffungsfunktion der Materialwirtschaft bezieht sich auf die wirtschaftliche Beschaffung von Materialien in artmäßiger, mengenmäßiger, zeitlicher und räumlicher Hinsicht. Andere Beschaffungsobjekte werden aus den Betrachtungen ausgeschlossen. Das innerbetriebliche Transport- und Lagerwesen hat die Aufgabe, die Materialien an den Bedarfspunkten bereitzustellen bzw. sie zu lagern, wobei zusätzlich artmäßige, mengenmäßige und zeitliche Aspekte berücksichtigt werden. In Anlehnung an Beste schafft die Materialwirtschaft neben der innerbetrieblichen Standortwahl, den Fabrikbauten, der Arbeitsplatzgestaltung, der Werkzeugwirtschaft und anderen Aspekten die Voraussetzungen für die 115 Vgl. Arlitt, G./Kitzinger, G.: Schnittstellenprobleme in der Logistik, in: Logistik im Unternehmen, Heft 4, 2. Jg. 1988, S. 36 f. 116 Vgl. Ihde, G.B.: Stand und Entwicklung der Logistik, in: Die Betriebswirtschaft, 47.Jg. 1987, S. 706. 117 Vgl. hierzu S. 38 f. dieser Arbeit.

II. Der Objekt- und Funktionsumfang der industriellen Materialwirtschaft 11R

37

Produktion. An die Materialwirtschaft schließt sich unmittelbar die Fertigungswirtschaft an, die die Produktion durchführt. 119 Als innerbetriebliche Abnehmer der Fertigungswirtschaft gelten die Absatzwirtschaft und die Abfallwirtschaft. Falls die Abfälle innerbetrieblich wieder- oder weiterverwendet werden, stellen sie Objekte der Materialwirtschaft dar, nachdem sie gegebenenfalls aufbereitet worden sind. Die Abfälle verlieren dadurch ihren Charakter als Endprodukt und fließen als Einsatzfaktor wiederum in den Produktionsprozeß ein. Der Vorgang der Aufbereitung der Abfälle ist keine Tätigkeit der Materialwirtschaft im Sinne der Untersuchung. 5. Abgrenzung der Materialwirtschaft zu Beschaffung, Einkauf und Logistik

Die zur Abgrenzung des Untersuchungsbereiches erforderliche begriffliche Konkretisierung des Ausdrucks 'Material' trägt auch dazu bei, den Bereich der industriellen Materialwirtschaft von anderen verwandten Begriffen wie Beschaffung, Einkauf und Logistik zu unterscheiden. Ausgehend vom Objekt kann der Bereich des Beschaffungswesens in der Weise von dem der Materialwirtschaft abgegrenzt werden, daß sich die Beschaffung generell auf alle von der Unternehmung benötigten, aber nicht selbsterstellten Einsatzfaktoren bezieht.120 Die Frage der Selbsterstellung von Einsatzfaktoren in einem Unternehmen ist abhängig vom Bedarf (Höhe, Regelmäßigkeit), der qualitativen und quantitativen Produktionskapazität, dem Lieferangebot, den Kosten, dem Kapitalbedarf sowie einer Entscheidung darüber, ob und inwieweit ein Unternehmen die industrielle Arbeitsteilung betreiben möchte, denn mit dem Fremdbezug der Einsatzfaktoren ist eine Einbuße an Autonomie verbunden. 121 Die Beschaffung stellt auf die Erfüllung einer Verrichtung ab, während die Materialwirtschaft als eine objekt- oder fakt or orientierte Unterneh118 Vgl. ff. Vgl.Beste, Beste,Fertigungswirtschaft, Fertigungswirtschaft,S.S.152 194. Vgl. Theisen, P.: Beschaffung und Beschaffungslehre, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. von E. Grochla und W. Wittmann, 4., völlig neu gestaltete Aufl., Stuttgart 1974, Sp. 494. Zum Objekt- und Funktionsumfang des Beschaffungswesens vgl. Grochla, E./Kubicek, H.: Zur Zweckmäßigkeit und Möglichkeit einer umfassenden betriebswirtschaftlichen Beschaffungslehre, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 28. J^1976, S. 257 ff. Vgl. Grün, O.: Industrielle Materialwirtschaft, in: Industriebetriebslehre - Das Wirtschaften in Industrieunternehmungen, hrsg. von M. Schweitzer, München 1990, S. 493 f. und Männel y W.: Eigenfertigung oder Fremdbezug - Theoretische Grundlagen, praktische Fälle, 2., überarbeitete und erweiterte Aufl., Stuttgart 1981, S. 35 ff. 119

120

38

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u a e n der Materialwirtschaft

mensfunktion kennzeichenbar ist. Eine Überschneidung beider Begriffsinhalte stellt die Beschaffung von Materialien dar. Der Einkauf ist der konkrete Aufgabenvollzug, der sich innerhalb der Beschaffungsfunktion ergibt. Der Aufgabenvollzug im Rahmen des Einkaufs ist die Umsetzung der von anderen Bereichen wie der Bedarfsermittlung festgestellten einzukaufenden Einsatzfaktoren. Der Einkauf hat Tätigkeiten wie die Angebotsprüfung, die Einkaufsverhandlungen oder Bestellung als Aufgabeninhalt, während die Beschaffung darüber hinaus planerische Aspekte einbezieht.122 In einer engen Begriffsauffassung wird der Begriff des Einkaufs nur auf Güter des Umlaufvermögens bezogen.123 Die Logistik ist "eine Führungskonzeption, die durch die übergreifende Betrachtung der gesamten unternehmerischen Wertschöpfungskette und ... die Zuständigkeit für alle damit verbundenen Güterbewegungen und -bestände"124 gekennzeichnet ist. Auf der betrieblichen Ebene 2 5 können unter dem Logistikaspekt die Beschaffung, die Produktion und die Distribution betrachtet werden. Zusätzlich werden logistische Aspekte der Abfallwirtschaft im Rahmen der Entsorgungslogistik betrachtet. In ihrer Gesamtheit werden die Beschaffungs-, Produktions- und Distributionslogistik sowie Entsorgungslogistik als Mikrologistik bezeichnet,126 was ihren einzelwirtschaftlichen Bezug zum Ausdruck bringen soll. Das gemeinsame Merkmal dieser betrieblichen Teilbereiche stellen die Güterbewegungen und -bestände dar, die in allen vier Bereichen Bedeutung haben. Der Unterschied zur Materialwirtschaft ergibt sich durch die Einbeziehung des Produktions- und Distributionsbereiches. Während die Produktion eng mit der Materialwirtschaft aufgrund der gemeinsamen Schnittstelle verbunden ist, lassen sich unter Heranziehung des Objektes 'Material· keine Gemeinsamkeiten zwischen der Materialwirtschaft und der Distribution feststellen. Materialien, mit denen sich die Materialwirtschaft ausschließlich befaßt, sind keine Objekte der Distribution. 122 Vgl. Biergans, B.: Zur Entwicklung eines marketingadäquaten Ansatzes und Instru123 mentariums die Beschaffung, Diss., 2. Aufl., Vgl.fürTheisen, Beschaffungslehre, Sp. Köln 494. 1986, S. 25. 124 Ihde, Stand, S. 703. 125

Neben den betrieblichen Problemkreisen stehen aufgrund des allgemeinen Ansatzes der Logistik - der Güterbewegungen und -bestände - sogenannte logistische Betriebe im Mittelpunkt der Betrachtungen. Logistische Betriebe sind in der Regel Verkehrsbetriebe wie die Binnen- oder Seeschiffahrt, die Luftfahrt, der Straßengüterverkehr, die Eisenbahn oder die Leitungsverkehre. Solche Betriebe erbringen Leistungen für andere Unternehmen, wobei die Raumüberbrückung nur eine davon darstellt. Vgl. Ihde, Logistik, S. 35 ff. 126 Vgl. Ihde, Logistik, S. 40 f.

II. Der Objekt- und Funktionsumfang der industriellen Materialwirtschaft

39

Aufbauend auf dem Objekt ist die Beschaffungslogistik nicht in ihrer Gesamtheit der Materialwirtschaft zuzurechnen, da sie neben Materialien auch 197

Betriebsmittel und Handelswaren umfaßt. Beschaffungs- und Produktionslogistik werden teilweise auch als Materiallogistik bezeichnet.128 Aufgrund des Objekt- und Funktionsumfangs der Logistik kann die Materialwirtschaft eine Teilfunktion derselben darstellen.1 9 Es bleibt festzuhalten, daß die Logistik eine umfassendere Sichtweise darstellt, da sie die Güterbewegungen und -bestände auf allen Stufen des Wertschöpfungsprozesses betrachtet. 130 Nachdem mit den Ausführungen zum Objekt- und Funktionsumfang die Materialwirtschaft in ihren Dimensionen beschrieben ist, stehen im folgenden Hauptteil die Aufgaben der materialwirtschaftlichen Teilfunktionen Materialbeschaffung sowie der innerbetriebliche Materialtransport und die Materiallagerung im Mittelpunkt der Untersuchungen.

127

Vgl. Pfohl, Logistiksysteme, S. 15. Vgl. ähnlich Berg, C.C.: Beschaffung und Logistik - Zur Abgrenzung von Aufgaben und Zielen, in: Zeitschrift für Logistik, Heft 1,1. Jg. 1980, S. 13. 128

129

Vgl. die gegenteilige Auffassung bei Fieten, R.: Management der Materialwirtschaft im Wandel - Zur Integration der Logistik in die Materialwirtschaft, in: Journal für Betriebswirtschaft, 36. Jg. 1986, S. 179. 130 Vgl. Ihde, Stand, S. 706 f.

Β. Die Aufgaben der Materialwirtschaft Aufbauend auf den vorangehenden Ausführungen soll im folgenden der Aufgabenumfang für die Bereiche Materialbeschaffung, innerbetriebliches Transport- und Lagerwesen beschrieben werden. Eine Aufgabe stellt dabei ein zu erfüllendes Handlungsziel dar, das durch physische oder psychische Tätigkeiten von einem zu erreichenden Sollzustand in einen Istzustand gebracht werden soll.1

I. Die Materialbeschaffung als Teilbereich der Materialwirtschaft 1. Die Beschaffung in der betriebswirtschaftlichen Literatur als Ausgangspunkt der materialwirtschaftlichen Beschaffung Λ

Prozessual gesehen liegt die Beschaffung vor der Produktion und dem Absatz.3 Die Beschaffung umfaßt "die Gesamtheit aller Tätigkeiten eines Betriebes ... durch die dem Betrieb alle von ihm benötigten, aber nicht selbst erzeugten Güter, seien es Sachgüter, Dienste oder Rechte zur Verfügung gestellt werden." Ähnlich sieht es Sandig, der die Zurverfügungstellung als Gewinnung bezeichnet, was streng genommen auch innerbetrieblich gesehen werden kann.5 Vgl. Hoffmann, F.: Aufgabe, in: Handwörterbuch der Organisation, hrsg. von E. Grochla, 2., völlig neu gestaltete Aufl., Sutttgart 1980, Sp. 200. 2 Eingeführt wird der Begriff 'Beschaffung' in die Betriebswirtschaftslehre durch Nicklisch, der an die Stelle des juristischen Terminus' 'Einkauf einen ökonomischen Begriff setzt. Vgl. Nicklisch, H.: Allgemeine kaufmännische Betriebslehre als Privatwirtschaftslehre des Handels (und der Industrie), Band 1, Leipzig 1912, S. 103. Zur Entwicklungsgeschichte der Beschaffung vgl. Ernst, D.: Die Beschaffung des Industriebetriebes in entwicklungsgeschichtlicher und typologischer Betrachtung, dargestellt am Beispiel der Maschinenindustrie und chemischen Industrie, Diss., Erlangen-Nürnberg 1962, S. 13 ff. 3 Eine Ausnahme stellt die Produktion auf Bestellung dar, bei der der Absatz (Bestelleingang) zeitlich der Beschaffung und der Produktion vorangeht. 4 Münz, M.: Beschaffung, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. von H. Seischab und K. Schwantag, 3., völlig neu bearbeitete Aufl., Stuttgart 1956, Sp. 671. 5 Vgl. Sandig, C.: Grundriß der Beschaffung, in: Die Betriebswirtschaft, 28. Jg. 1935, S. 176 und Heddench, R.: Die Beschaffung als Aufgabenbereich der Möbeleinzelhandlung, Diss., Mannheim 1961, S. 2.

I. Die Materialbeschaffung als Teilbereich der Materialwirtschaft

41

Das Beschaffungswesen eines Unternehmens kann allgemein dadurch beschrieben werden, daß sich die Beschaffung zum einen auf alle Einsatzfaktoren bezieht, und sie zum anderen vom Unternehmen aus gesehen nach außen gerichtet ist.6 In der Literatur lassen sich zahlreiche Ansätze finden, die den Umfang der Beschaffungsobjekte unterschiedlich abgrenzen.7 Die Unterschiede in den Begriffsauffassungen verschiedener Autoren ergeben sich durch die Abgrenzung des Funktionsumfanges innerhalb der Beschaffung und vor allem der Beschaffungsobjekte. 8 Findeisen faßt unter die Beschaffung den Eingang von Waren und Rechten. Gegenstände des Anlagevermögens klammert er aus seinen Betrachtungen des betrieblichen Beschaffungswesens aus und ordnet diese der Anschaffung zu. An- und Beschaffung zusammen ergeben nach Findeisen den Eingang. Umfassender sieht es Sandig, der als Beschaffungsobjekte sogenannte Kräfte und Stoffe aufführt, worunter konkret Arbeitskräfte, Waren, Roh- und Hilfsstoffe sowie Maschinen und Kapital fallen. 10 Da die Beschaffung dazu dienen soll, die Unternehmung mit allen nicht selbsterstellten Gütern und Dienstleistungen zu versorgen, kommen als Beschaffungsobjekte Sachgüter (Materialien, Waren, Betriebsmittel), Informationen, Energie, Rechte, Dienstleistungen sowie Kapital und Nominalgüter in Betracht.1 Üblicherweise werden Informationen, soweit es betriebliche Daten betrifft, dem Bereich des betrieblichen Rechnungswesens, die Beschaffung von Personal dem Personalwesen und von Kapital der Finanzwirtschaft einer Unternehmung zugeordnet. Diese Aufteilung zeigt sich auch in der Benennung des Beschaffungsvorganges in den einzelnen Abteilungen. In diesem Sinne wird die Beschaffung von Personal als Einstellung, die Beschaffung von Kapital als Finanzierung und die Beschaffung von Gütern des Anlagevermögens als Anschaffung bezeichnet.12 In den siebziger Jahren fordern Grochla und Kubicek eine eigene Beschaffungslehre als Teilgebiet der Betriebswirtschaftslehre, statt wie bis heute üblich, die Beschaffung nach ihVgl. Arnold, U.: Betriebliche Personalbeschaffung - Grundzüge einer marktorientierten Beschaffungspolitik, Diss., Berlin 1975, S. 8 7 Vgl. hierzu Banse, K.: Beschaffung, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. von H. Nicklisch, 2. Aufl., Stuttgart 1938, Sp. 732 und Kosiol, Unternehmung, S. 108 ff. 8 Vgl. hierzu die Übersicht bei Arnold, Personalbeschaffung, S. 266 ff. 9 Vgl. Findeisen, F.: Beschaffungstheorie, in: Archiv der Fortschritte betriebswirtschaftlicher Forschung und Lehre, 2. Jg. 1924, S. 4. 10 Vgl. Sandig, Beschaffung, S. 176 f. 11 Vgl. Arbeitskreis Hax der Schmalenbach-Gesellschaft: Unternehmerische Entscheidungen im Einkaufsbereich und ihre Bedeutung für die Unternehmens-Struktur, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 24. Jg. Neue Folge, 1972, S. 769. 12 Vgl. hierzu Theisen, Beschaffungslehre, Sp. 494 f.

42

Β. Die Aufgaben der Materialwirtschaft

ren Objekten zu gliedern und entsprechenden Funktionen zuzuordnen. Eine solch umfassende Beschaffungslehre stellt bei Abstraktion von den zugrundeliegenden Objekten die Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Verrichtung 'Beschaffung' in den Vordergrund. 13 Dieser Auffassung steht entgegen, daß Beschaffungsobjekte eine zu heterogene Struktur aufweisen, als daß sie gemeinsame Merkmalsausprägungen in bezug auf den Beschaffungsvorgang besitzen. Als Objekte der Beschaffung im Rahmen der industriellen Materialwirtschaft sollen diejenigen Güter verstanden werden, die unter dem Oberbegriff 'Material' aufzuzählen sind. Dies sind Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie unfertige Erzeugnisse. In bezug auf den Funktionsumfang der Beschaffung soll der Auffassung Bestes gefolgt werden, der der Meinung ist, daß die Beschaffung ihre Aufgabe dann erfüllt hat, wenn "die Güter in den Bereich des Betriebes gelangen."14

2. Der Aufgabenbereich der Materialbeschaffung

a) Allgemeine Beschreibung der Beschaffungsaufgabe Die Aufgabe der Materialbeschaffung besteht darin, die Versorgung des Unternehmens mit Materialien sicherzustellen. Der Aufgabenvollzug richtet sich im Interesse möglichst geringer Kapitalbindungskosten sowie Lagerrisiken danach, die zu beschaffende Menge und den Zeitpunkt der Beschaffung so zu wählen, daß sie "den Durchlauf der Werte durch den Betrieb und den Absatz nicht.. stören." 15 Die Materialbeschaffung kann in Anlehnung an Grochla/Schönbohm in einen langfristig-dynamischen und einen kurzfristig-statischen Aspekt unterteilt werden. Bei der langfristig-dynamischen Betrachtungsweise, die auch als Beschaffungspolitik bezeichnet werden kann, wird versucht, die Beschaffung in das betriebliche Zielsystem einzubinden.16 Die Beschaffungspolitik soll in der Weise gestaltet werden, daß sie in der Lage ist, Chancen und Risiken, die mit der Materialbeschaffung verbunden sind, zu erkennen und entsprechend auf Veränderungen zu reagieren. Chancen ergeben sich unter 13

Vgl. Grochla/Kubicek, S. 260 ff. und Grochla, E.: Der Weg zu einer umfassenden betriebswirtschaftlichen Beschaffungslehre, in: Die Betriebswirtschaft, 37. Jg. 1977, S. 181 ff. 14 Beste, Fertigungswirtschaft, S. 260. Für Beste ist die Beschaffung kein Teilgebiet der Materialwirtschaft. 15 Banse, Sp. 735. 16 Vgl. Grochla , E ./Schönbohm, P;: Beschaffung in der Unternehmung - Einführung in eine umfassende Beschaffungslehre, Stuttgart 1980, S. 34 ff.

I. Die Materialbeschaffung als Teilbereich der Materialwirtschaft

43

anderem aus einer intensiven Beobachtung des Beschaffungsmarktes, um hierdurch Erfolgspotentiale zu erschließen, während es gilt, Risiken, die die Versorgung des Unternehmens mit Materialien gefährden könnten, abzuwenden.17 Der kurzfristig-statische Aufgabenbereich der Materialbeschaffung besteht darin, bei Vorliegen einer konkreten Beschaffungsaufgabe unter Berücksichtigung des ökonomischen Prinzips die Materialien in der Weise zu beschaffen, daß eine Unterbrechung des Produktionsprozesses vermieden wird. 18 Nach Kosiol kann jede Aufgabe und somit auch die Beschaffungsaufgabe durch folgende Merkmale beschrieben werden: 19 -

Vorliegen eines Objektes, an dem ein Verrichtungsvorgang (Arbeitsprozeß) unter Zuhilfenahme von Hilfsmitteln stattfindet. Bestimmung einer Zeitspanne, innerhalb derer sich der Vorgang abspielt sowie Festlegen eines Raumes, in dem sich der Vorgang abspielt.

Die Art der Leistung als Merkmal des Verrichtungsvorgangs bezieht sich im Rahmen der Materialbeschaffung primär auf die Ortsveränderung, die am Material als dem Objekt der Beschaffung ansetzt. Der zeitliche Aspekt der Beschaffungsaufgabe hat zum Inhalt, die Zeitspanne zwischen der Feststellung eines Bedarfes und dem Zeitpunkt, an dem das zu beschaffende Material in den räumlichen Verfügungsbereich der Unternehmung gelangt, zu bestimmen. Die weitere Handhabung des Materials obliegt der Bereitstellung an den Bedarfsorten. Räumlich gesehen vollzieht sich die Beschaffungsaufgabe auf dem Beschaffungsmarkt, der alle Anbieter und Nachfrager nach bestimmten Materialien vereint. 20 Je nachdem, welche Materialien als Beschaffungsobjekte zugrundegelegt werden, ergeben sich unterschiedliche Beschaffungsmärkte. Für ein Unternehmen besteht somit nicht nur ein Beschaffungsmarkt. Ausgehend von den zu beschaffenden Materialien kann der Beschaffungsmarkt regional, national oder international sein.21 Die 17

Vgl. Krycha, K.-Th.: Materialwirtschaft, München 1986, S. 97. Vgl. Koppelmann, U.: Strategien zur Vorbeugung beschaffungsbedingter Betriebsunterbrechnungen, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, 32. Jg. 1980, S. 426 f. und Kollerer, H.: Die betriebliche Problematik von Betriebsunterbrechnungen - Planungsgrundlagen zur Berücksichtigung von Betriebsunterbrechnungen im Rahmen der Unternehmenspolitik, Berlin 1978, S. 44 ff. 18

19

Vgl. Kosiol, Organisation, S. 43. Zum Begriff Beschaffungsmarkt vgl. Hedderich, S 9 f. Vgl. Grochla, E./Fieten, R.: Beschaffungspolitik, internationale, in: Handwörterbuch Export und Internationale Unternehmung, hrsg. von K. Macharzina und M. Welge, Stuttgart 1989, Sp. 203 ff. 20 21

44

Β. Die Aufgaben der Materialwirtschaft

Durchführung der Beschaffung kann im Rahmen eines eigenen Fuhrparks als Werkverkehr oder durch logistische Betriebe wie Spediteure als gewerblicher Güterverkehr durchgeführt werden.

b) Die Objekte der Materialbeschaffung Die Beschaffungsobjekte im Rahmen der Aufgabenerfüllung der Materialwirtschaft sind Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie die unfertigen Erzeugnisse. Um zu genaueren Aussagen für die Beschaffungsaufgabe zu gelangen, ist es sinnvoll, die Materialien nicht nur durch ihre Art, sondern zusätzlich durch weitere ökonomische Untersuchungskriterien zu spezifizieren. 22 Das Artmengen-Wert-Verhältnis von Materialien soll Informationen darüber liefern, "welche Anteile am Gesamtwert der verbrauchten (und eingesetzten; A. d. V.) Materialien auf einzelne Materialarten oder -gruppen bzw. deren prozentualen Anteil an der Gesamtzahl der Materialien entfallen." 23 Als Verfahren, das hierüber Auskunft geben soll, kann die ABC-Analyse herangezogen werden, 24 wobei in diesem Falle Α-Materialien einen hohen wertmäßigen Verbrauchswert (besonders teuer und/oder große Mengen), B-Materialien einen mittleren und C-Materialien einen geringen wertmäßigen Verbrauch (besonders billig und/oder kleine Mengen) aufweisen. Der Mengenanteil der Α-Materialien an der Materialgesamtmenge ist relativ gering, während C-Materialien einen relativ hohen mengenmäßigen Anteil aufweisen. 25 Für unternehmenspolitische Entscheidungen kann die ABC-Analyse in der Weise herangezogen werden, daß zum Beispiel der Bedeutung von AMaterialien durch eine intensive Marktbeobachtung, auch im Sinne einer gezielten Lieferantenauswahl und dem Abschluß von Rahmenverträgen Rechnung getragen wird. Eine Senkung von Lagerbeständen sowie eine sorgfältige Bedarfsprognose wird ebenfalls besonders für Α-Materialien angestrebt. 6 22

Vgl. Grochla, Grundlagen, S. 29. Grochla, Grundlagen, S. 29. 24 Zur Durchführung der ABC-Analyse vgl. Franken, S. 19 f. Der Begriff der ABC-Analyse geht zurück auf Dickie , H.F.: ABC Inventory analysis Shoot for Dollars, not Pennies, in: Factory Management and Maintenance, Vol. 109,1951, S. 92 ff. 25 Vgl. Grochla, Grundlagen, S. 30. 26 Vgl. Bloech, J./Rottenbacher, S.: Materialwirtschaft - Kostenanalyse, Ergebnisdarstellung und Planungsansätze - Eine komplexe Aufgabenstellung, Stuttgart 1986, S. 12. 23

I. Die Materialbeschaffung als Teilbereich der Materialwirtschaft

45

Eine weitere Möglichkeit, die Beschaffungsmaterialien ein zuteilen, stellt die Analyse ihrer Verbrauchsstruktur dar. 27 Unter Zugrundelegung dieses Merkmals lassen sich sogenannte R-Materialen (regelmäßiger Verbrauch), S-Materialien (saisonaler oder trendartiger Verbrauch) und U-Materialien (wnregelmäßiger Verbrauch) unterscheiden.28 Ausgehend vom Unterscheidungsmerkmal 'Verbrauchsstruktur' ergeben sich folgende Anhaltspunkte für die Beschaffung von Materialien. Für R-Materialien wird eine einsatzsynchrone Anlieferung vorgesehen, da hier der Verbrauch quasi deterministisch anfällt und somit genau planbar ist. Bei diesem Prinzip der einsatzsynchronen Anlieferung kann in Form von bestimmten Lieferverträgen 29 zwischen Lieferant und Abnehmer vereinbart werden, daß "die Lieferanten an festen, durch den Ablauf der Erzeugung des beschaffenden Betriebes bestimmten Terminen die jeweils erforderlichen Materialmengen liefern." 30 Obwohl hierdurch eine Abwälzung der mit einer Lagerhaltung verbundenen Kosten auf die Lieferanten geschieht, kann dieser Effekt durch gestiegene Selbstkosten infolge von erhöhten Lagerkosten beim Lieferanten zunichte gemacht werden, wenn die gestiegenen Selbstkosten marktwirksam werden. Das Prinzip einer einsatzsynchronen Anlieferung ist dann von Vorteil, wenn bei allen beteiligten Marktpartnern eine Lagerhaltung vermieden werden kann.31 Eine Kostensenkung stellt sich für alle Marktteilnehmer dann ein, wenn das Prinzip der einsatzsynchronen Anlieferung von der betriebsindividuellen Ebene auf eine eher gesamtwirtschaftliche, zumindest aber eine wertschöpfungsbezogene Betrachtungsweise gehoben wird. Bei S-Materialien kann nach dem Prinzip der Vorratshaltung verfahren werden. Hierbei werden die Materialien in bestimmten Mengen auf Abruf eingelagert. Eine Politik der einsatzsynchronen Anlieferung eignet sich für die S-Materialien dann, wenn der hohe und mittlere Verbrauchswert der Abzw. B-Materialien in die Betrachtungen miteinbezogen wird. Dem Risiko des schwankenden Verbrauchs oder, anders ausgedrückt, einer mittleren 27 Vgl. hierzu auch Münz, Sp. 674 f., der die Verbrauchsstruktur allgemein bei Beschaffung^ütern (Material, Maschinen, Waren oder Grundstücke) untersucht. Vgl. Groll, G.: Das Bestellwesen als Teilaufgabe einer Integration der Datenverarbeitung in einem Unternehmen der Grundstoffindustrie, in: Bürotechnik und Organisation, 15. Jg. 1967, S. 4. Zur Ausgestaltung von Lieferverträgen bei einsatzsynchroner Anlieferung vgl. Hartmann, H.: Vertragsmuster zur lagerlosen Versorgung - ein Praxisbeispiel, in: Der Betriebswirt, Heft 2, 31. Jg. 1990, S. 19 f. sowie Zibell, R.M.: Die Just-in-Time-Philosophie - Grundsätze und Wirtschaftlichkeit, Diss., Berlin 1989, S. 113 ff. 30 Grochla, E.: Materialwirtschaft, in: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft, hrsg. von W. Kern, Stuttgart 1979, Sp. 1261. 31 Vgl. Grochla, Materialwirtschaft, Sp. 1261.

46

Β. Die Aufgaben der Materialwirtschaft

Vorhersagegenauigkeit stehen auf der anderen Seite die Kostenersparnisse durch Wegfall der Vorratshaltung gegenüber.32 Das Prinzip der Einzelbeschaffung im Bedarfsfall hat zum Inhalt, Materialien erst dann zu beschaffen, wenn ein spezifischer Bedarf vorliegt. Neben dem Vorteil der geringen Lager- und, damit zusammenhängend, geringen Kapitalbindungskosten, sowohl in ihrer Höhe als auch ihrer Dauer, treten unter Umständen infolge geringerer Bestellmengen und höherem Zeitdruck höhere Beschaffungskosten auf. 3 Als Ausbaumöglichkeit für die beiden dargestellten Analyseinstrumente bietet es sich an, sie miteinander zu vereinen. Hierdurch ergibt sich folgende Matrix, die als Grundlage beschaffungspolitischer Entscheidungen dienen kann: A

R

C

hoher Verbrauchswert

mittlerer Verbrauchswert

hoher Verbrauchswert

regelmäßiger Verbrauch

regelmäßiger Verbrauch

regelmäßiger Verbrauch

hoher Verbrauchswert

mittlerer Verbrauchswert

hoher Verbrauchswert

schwankender Verbrauch

schwankender Verbrauch

schwankender Verbrauch

hoher Verbrauchswert

mittlerer Verbrauchswert

hoher Verbrauchswert

unregelmäßiger Verbrauch

unregelmäßiger Verbrauch

s

u

B

unregelmäßiger Verbrauch

Abb. 2. Kombination der ABC-Analyse mit der Unterteilung von Materialien nach ihrer Verbrauchsstruktur Quelle: Grochla, Grundlagen, S. 32.

Von dieser Matrix ausgehend, kann zum Beispiel versucht werden, die Beschaffungsabwicklung aller R- und S-Materialien EDV-technisch zu un32 33

Vgl. Braun , V.: Blinder Doppelpaß, in: Beschaffung aktuell, Heft 11,1991, S. 37. Vgl. Grochla, Grundlagen, S. 31.

I. Die Materialbeschaffung als Teilbereich der Materialwirtschaft

47

terstützen, während bei den U-Materialien eine manuelle Bearbeitung sinnvoll ist. 34 Eine weitere Anwendungsmöglichkeit der Kombination von ABC- und RSU-Analyse besteht darin, bei AR-, BR- und AS-Materialien verstärkt Kennzahlen zum Einsatz zu bringen, um Informationen zu gewinnen, die einem Sicherheits- und Kontrollaspekt Rechnung tragen. Mögliche anzuwendende Kennzahlen sind zum Beispiel die durchschnittliche Lieferzeitverzögerung, die Anzahl verspäteter Bedarfsmeldungen, die durchschnittliche Wiederbeschaffungszeit oder die Beanstandungsquote bei den einzelnen Materialien oder Lieferanten. Bei den anderen Materialien haben Kennzahlen ebenfalls Bedeutung, aber sie stehen nicht so sehr im Mittelpunkt des Interesses, da es sich hierbei um Materialien mit geringem Wert und/oder unregelmäßigem Verbrauch handelt.35 Eine einsatzsynchrone Beschaffung kann insbesondere im Rahmen der AR-Materialien und einem Teil der BR-Materialien angeführt werden. Ebenfalls eignen sich diejenigen AS-Materialien für eine einsatzsynchrone Beschaffung, bei denen ein fast regelmäßiger Verbrauch festzustellen ist. Die wertmäßige Komponente dieser Α-Materialien kompensiert die für eine einsatzsynchrone Beschaffung nicht gegebene regelmäßige Verbrauchsstruktur über. 36

c) Die Phasen der Materialbeschaffung Die Materialbeschaffung kann als ein Ablauf nacheinander zu vollziehender Tätigkeiten, die arbeitsteilig organisiert sind, interpretiert werden. 37 Die Beschaffung umfaßt allgemein ausgedrückt alle Tätigkeiten, die zur Durchführung des Überganges von Materialien aus der unternehmensexternen Sphäre in die Unternehmung notwendig sind.38 Unter den Begriff 'Durchführung' fallen auch die dem Beschaffungsvollzug vorgelagerten dispositiven Aufgaben, wie zum Beispiel die Bedarfsermittlung. Ebenfalls zur Beschaffungsaufgabe zählt die Durchführung des außerbetrieblichen Transportes der Materialien, falls die Unternehmung über einen eigenen Fuhr34

Vgl. Grochla, Grundlagen, S. 32. Vgl. Grochla, E. et al.: Erfolgsorientierte Materialwirtschaft durch Kennzahlen - Leitfaden zur Steuerung und Analyse der Materialwirtschaft, Baden-Baden 1983, S. 81 f. 36 Vgl. Welker, C.B.: Anforderungen an logistische Dienstleistungen der Speditionsbetriebe unter Berücksichtigung eines geänderten Bestellverhaltens industrieller Unternehmungen, Düsseldorf 1988, S. 23. 37 Vgl. Schwarz, H.: Materialbeschaffung, in: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft, hrsg. von W. Kern, Stuttgart 1979, Sp. 1216. 38 Vgl. Beste, Fertigungswirtschaft, S. 286. 35

48

Β. Die Aufgaben der Materialwirtschaft

park verfügt. Der Transport wird in diesem Falle mit dem sogenannten Werkverkehr durchgeführt. In ihrer Gesamtheit umfaßt die Beschaffung von Materialien die in folgender Graphik angeführten Aufgaben:

Beschaffungsmarktforschung

Bedarfsermittlung und -prüfung

Einkauf

Materialannahme

Materialprüfung

Abb. 3. Die Phasen der Materialbeschaffung

1. Die Beschaffungsvorbereitung Die Beschaffungsvorbereitung besteht aus den beiden Teilbereichen 'Beschaffungsmarktforschung' und 'Bedarfsermittlung und -prüfung'. 40 Die Beschaffungsmarktforschung hat zum Inhalt, die potentiellen und die in Anspruch genommenen Beschaffungsmärkte systematisch und methodisch zu analysieren und zu beobachten. In erster Linie sollen Informationen über die Marktgegebenheiten beschafft werden. Hierzu zählen Informationen über Lieferanten, Rahmenbedingungen bestimmter Beschaffungsmärkte sowie Prognosen über Änderungen der Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel Wechselkursentwicklungen und politische Veränderungen in Staaten, die als Beschaffungsmärkte in Betracht kommen.41 Die 39 40 41

Vgl. Fischer, G.: Betriebliche Marktlehre, Heidelberg 1953, S. 77. Vgl. Schwarz, Sp. 1217. Vgl. Pekayvac, S. 67 ff.

I. Die Materialbeschaffung als Teilbereich der Materialwirtschaft

49

Beschaffungsmarktforschung dient somit dazu, Risiken und Chancen frühzeitig zu entdecken, um sie entsprechend in der Unternehmensplanung berücksichtigen zu können.42 Die Bedarfsermittlung und -prüfung bezieht sich anders als die Beschaffungsmarktforschung auf konkret vorliegende Beschaffungsfälle. Die Bedarfsfeststellung kann den Unternehmensbereichen Lagerwesen, Arbeitsvorbereitung sowie übergeordnete Abteilungen zugeordnet werden. 43 Übergeordnete Abteilungen treten besonders dann als Bedarfsauslöser auf, wenn die Beschaffung aufgrund spekulativer Aspekte geschehen soll. Als Beispiel dient das Ausnutzen von Wechselkurs- oder Preisschwankungen auf bestimmten Beschaffungsmärkten. 44 In diesem Falle liegt kein mengenmäßiger Bedarf der Beschaffung zugrunde. Die Beschaffung von Materialien in größeren Mengen ist sinnvoll, wenn den Wechselkurs- oder Preisschwankungen keine höheren Transport- und Lagerkosten gegenüberstehen. Die Planung des Bedarfes durch das Lager oder die Arbeitsvorbereitung stützt sich auf die im folgenden beschriebenen zwei Methoden.45 Zum einen kann die Bedarfsplanung programmgebunden aus dem geplanten Produktionsprogramm mittels Stücklisten und Rezepturen abgeleitet werden. Zum anderen greifen die verbrauchsgebundenen Verfahren auf Vergangenheitswerte oder aktuelle Verbrauchsdaten für die Materialbedarfsmengenplanung zurück. Ein Beispiel für Beschaffungsmaterialien bei programmgebundenen Verfahren sind die Erzeugnishauptstoffe. Erzeugnishilfsstoffe und Betriebsstoffe stellen oftmals generelle Einsatzfaktoren für mehrere Erzeugnisse dar, so daß bei diesen eher verbrauchsgebundene Verfahren zum Zuge kommen. Insbesondere bei den Betriebsstoffen ist dies sinnvoll, da diese nicht aus den Stücklisten oder Rezepturen ableitbar sind. Nach Feststellung eines Bedarfs wird dieser mit den Lagerbeständen und eventuell ausstehenden Lieferungen abgeglichen. Die Bestellmengenrechnung dient weiterhin dazu, die durch Bedarfsplanung und -feststellung ermittelten Bestellmengen unter dem Aspekt der daraus entstehenden Kosten, wie Beschaffungs-, Bestell- oder Lagerhaltungskosten zu betrachten. Diese Kosten lassen sich beispielsweise durch Stückelung der Bestellmenge beeinflussen. Als Folge davon variieren das Bestellos sowie die Transportfre42

Vgl. Seggewiß, K.-H.: Die Organisation der Materialbeschaffung in Großunternehmen - Eine 4 3 branchenbezogene empirisch-explorative Studie, Diss., Frankfurt am Main 1985, S. 27. Vgl. Beste, Fertigungswirtschaft, S. 286. 44 Auf den Problemkreis spekulativer Beschaffungsvorgänge soll im Rahmen der Lagerhaltungsmotive näher eingegangen werden. Vgl. Kapitel B.III.2.a. dieser Arbeit. 45 Vgl. hierzu Tempelmeier, H.: Material-Logistik - Quantitative Grundlagen der Materialbedarfs· und Losgrößenplanung, Berlin u.a. 1988, S. 32 ff. 4 Brecht

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Β. Die Aufgaben der Materialwirtschaft

quenz und damit die bestellmengenabhängigen Lager- und Transportkosten. Eine Bestellmengenstückelung führt langfristig auch zu einem Abbau der fixen Lagerkosten, wie beispielsweise Raumkosten, da der durchschnittliche Lagerbestand und damit das Erfordernis an Lagerraumkapazität bei einer Bestellmengenstückelung geringer ist als bei größeren Bestellintervallen. Die Bedarfsermittlung und -prüfung legt neben der Mengenkomponente der Beschaffung auch die zeitliche Aufteilung der Materialmengen fest. Im Rahmen einer retrograden Rechnung wird ausgehend vom Zeitpunkt des geplanten Einsatzes unter Berücksichtigung der Materialprüfungen und der Zeit für den innerbetrieblichen Transport - bei sofortigem Einsatz im Leistungserstellungsprozeß - der gewünschte Liefertermin und davon ausgehend nach Abzug der Lieferzeit der Bestelltermin festgelegt. Die Durchführung der Bestellung bleibt dem Einkauf vorbehalten, wobei bei der zeitlichen Verteilung der Bestellmengen eine Zusammenarbeit mit der Bedarfsermittlung und -prüfung und der Arbeitsvorbereitung erfolgen sollte, um beschaffungsbedingte Produktionsunterbrechungen zu vermeiden. Der Einkauf hat zwar die gesetzten Vorgaben zu erfüllen, besitzt aber den nötigen Marktüberblick, um absehen zu können, ob und inwieweit die Mengen zu den gewünschten Zeitpunkten auf den Beschaffungsmärkten verfügbar sind. 2. Der Einkauf Im Rahmen des Einkaufes geschehen die Beschaffungsanbahnung und der -abschluß. Hierzu zählen Aufgaben wie Lieferantenauswahl, Angebotseinholung und -analyse sowie Einkaufsverhandlungen und Vertragsabschlüsse.46 Insbesondere bei der Beschaffungsanbahnung kann sich der Einkauf auf Erkenntnisse der Beschaffungsmarktforschung stützen. Die Aufgabenerfüllung des Einkaufs setzt an der derivativen ökonomischen Aufgabe der industriellen Materialwirtschaft 47 an. Dies bedeutet, daß für den Einkauf das Formalziel der Wirtschaftlichkeit eine größere Bedeutung hat als beispielsweise für die Bedarfsermittlung, die eher einen sachzielbezogenen Charakter aufweist. Als Maßstab der Zielerfüllung gilt die Minimierung der Kosten unter Beibehaltung der verlangten Leistung. Die Handlungsparameter, die 46 Vgl. Puhlmann, M.: Die organisatorische Gestaltung der integrierten Materialwirtschaft in industriellen Mittelbetrieben - Konzeptionelle und empirische Grundlagen, Diss., Bergisch Gladbach/Köln 1985, S. 38. Vgl. Grochla, Grundlagen, S. 18 und Kosiol, E.: Einkaufsplanung und Produktionsumfang - Erhebungen und Studien zur Einkaufspolitik industrieller Unternehmungen, Berlin 1956, S. 13.

I. Die Materialbeschaffung als Teilbereich der Materialwirtschaft

51 48

unter dieser Zielsetzung beeinflußt werden, sind die Einkaufspreise. Diese wiederum sind unter anderem abhängig von der Bestellmenge sowie der gewünschten Teilevielfalt und den Qualitätsansprüchen der Fertigung und des Absatzes. Hilfsmittel, die hierbei eingesetzt werden, sind die ABC-Analyse49 und die Wertanalyse.50 Bei beiden Vorgehensweisen lassen sich als Analyseobjekte sowohl die Lieferanten als auch die Materialien heranziehen. 3. Die Materialannahme und -prüfung In dieser Phase des Beschaffungsvorganges wird das eingehende Material hinsichtlich Menge und Güte geprüft, um hierdurch bereits auf dieser relativ frühen Stufe des industriellen Leistungserstellungsprozesses Fertigungsstörungen aufgrund von fehlerhaften oder fehlenden Materialien auszuschließen. 1 Je später ein bereits bei der Beschaffung vorhandener Fehler im Leistungserstellungsprozeß entdeckt wird, desto höher sind die damit verbundenen Kosten, die infolge von Nachbearbeitungen oder dem Rückruf von bereits verkauften Endprodukten entstehen. Neben diesen quantifizierbaren Kostenwirkungen ist auch der dadurch entstehende Imageverlust für das Unternehmen zu beachten. Die Fehler beziehen sich sowohl auf falsch gelieferte Materialien als auch auf zugesicherte physikalische und chemische Eigenschaften. Nach der Identitäts- und Mengenprüfung anhand der Begleitpapiere und der Bestellaufträge des Einkaufs werden die Materialqualitäten ebenfalls getrennt nach Lieferanten geprüft. Die Qualitätsprüfung wird im Anschluß an die Anlieferung durchgeführt, damit rechtliche Ansprüche gegen den 48

Bei festen Verrechnungspreisen für Materialien ergeben sich zunächst keine Auswirkungen auf die Materialkosten. Langfristig werden die Verrechnungspreise den dauerhaft gesunkenen Einkaufspreisen angepaßt. Vgl. Kilger, W.: Flexible Plankostenrechnung und Deckungsbeitragsrechnung, 9., verbesserte Aufl., Wiesbaden 1988, S. 234. 49 Vgl. Benz, H.: ABC-Analyse, in: Lehrwerk Industrielle Beschaffung, hrsg. vom Bundesverband Industrieller Einkauf e.V. (BIE), Heft 11, Frankfurt am Main 1970, S. 113 ff. 50 Vgl. Bornemann, H.: Die Wertanalyse für Kaufteile - ein Kostensenkungsinstrument im Einkauf, in: Beschaffung aktuell, Sonderheft Materialmanagement und Logistik - Konzepte, Strategien, Verfahren, 2. Aufl., Leinfelden-Echterdingen 1990, S. 39 f. und Emmerling, G.: Wertanalyse mit Geschäftspartnern, in: Beschaffung aktuell, Sonderheft Materialmanagement und Logistik - Konzepte, Strategien, Verfahren, 2. Aufl., Leinfelden-Echterdingen 1990, S. 41 ff. Zur grundlegenden Vorgehensweise bei der Wertanalyse vgl. Stange, J.: Wertsteigerung durch Wertanalyse - Grundsätzliche Betrachtungen aus betriebswirtschaftlicher Sicht, Diss., Mannheim 1979, S. 165 ff. 51 Vgl. Grochla, Grundlagen, S. 182. Zu den Aktivitäten der Materialprüfung vgl. Dreger, W.: Das Produkt im Qualitätskreis, in: Beschaffung aktuell, Heft 9, 1991, S. 47. A*

Β. Die Aufgaben der Materialwirtschaft

52

Lieferanten gemäß § 377 HGB geltend gemacht werden können. Die Materialqualitätsprüfung hat zum Inhalt, das Material hinsichtlich seiner Eignung für festgelegte oder vorausgesetzte Erfordernisse zu überprüfen. In der industriellen Praxis wird selten eine Prüfung der gesamten angelieferten Materialmenge durchgeführt. Mit Hilfe von geeigneten statistischen Verfahren kann auf eine solche Vollprüfung verzichtet werden, denn von der Qualität der Stichprobe kann auf die Qualität der gesamten Lieferung geschlossen werden. Eine Vollprüfung geschieht bei solchen Materialien, die für das Endprodukt zum Beispiel in funktionaler Hinsicht eine herausragende Bedeutung aufweisen. 52 Ein weiterer Grund für eine Vollprüfung ist dann gegeben, wenn es möglich ist, die Prüfungen vollautomatisch durchzuführen, wie zum Beispiel in der Chip-Produktion. 53 Bei Durchführen einer Stichprobenprüfung wird versucht, aus dem Ergebnis der Stichprobe Rückschlüsse auf die Qualitätsausprägungen der Grundgesamtheit zu ziehen.54 Ein wichtiges dabei zu berücksichtigendes Merkmal ist die Toleranzgrenze, das heißt die maximal erlaubten Schlechtstücke einer Stichprobe, bei der das Material an den Lieferanten zurückgeschickt wird. Neben der Toleranzgrenze stellt die Prüfschärfe ein weiteres Untersuchungsmerkmal dar. Eine vertragliche Übereinkunft zwischen Abnehmer und Lieferant bezüglich des anzuwendenden statistischen Verfahrens und der Toleranzgrenze sowie des Stichprobenumfanges vermeidet Auslegungsstreitigkeiten zwischen dem Abnehmer und dem Lieferanten. 55 Die Materialprüfung kann auch beim Lieferanten oder während des Transportes zum Beispiel auf Hochseeschiffen durchgeführt werden. Die Prüfung der Materialien bereits beim Lieferanten wird durch Mitarbeiter 52

Vgl. Link, E.: Betriebsdatenerfassung - Grundlegende Kennzeichnung und Gestaltungsmerkmale im Rahmen der zeitlichen und qualitativen Lenkung der industriellen Produktion,5 Diss., Pfaffenweiler 1990, S. 358. 3 Vgl. Link, S. 358. 54

Statistische Verfahren zur Qualitätsprüfung, die hierbei angewendet werden können, sind zum Beispiel das AQL(Acceptable Quality Limit)-System, das Dodge-Romig-System oder das Philips-Standard-Stichprobensystem (SSS). Das AQL-System, welches die beiden anderen Verfahren weitgehend abgelöst hat, findet sich auch in nationalen (DIN 40080) und internationalen (ISO-STD 23859 sowie IEC-STD 410) Verbandsnormen. In diesem Zusammenhang sei auch die Normenreihe DIN ISO 9000 erwähnt, die unter anderem Art und Umfang der Eingangsprüfungen zum Inhalt hat. Vgl. Arnolds, H./Heege, F./Tussing, W.: Materialwirtschaft und Einkauf - Praktische Einführung und Entscheidungshilfe, Wiesbaden 1978, S. 290 und Junghans, W.: Verantwortung des Kunden für fehlerhafte Belieferung, in: Qualität und Zuverlässigkeit, 37. Jg. 1992, S. 18 f. 55 Zu Fragen der Qualitätssicherung und damit zusammenhängend der Qualitätsplanung, -lenkung und -prüfung vgl. Link, S. 317 ff.

I. Die Materialbeschaffung als Teilbereich der Materialwirtschaft

53

der beschaffenden Unternehmung überwacht. Diese überwachen die Maßnahmen beim Lieferanten hinsichtlich der Materialprüfung und geben entsprechende Anweisungen.56 Mit der Materialannahme und -prüfung ist der Beschaffungsvorgang als solcher abgeschlossen. Anschließend geht das beschaffte Material in den Verantwortungsbereich des innerbetrieblichen Lager- und Transportwesens über. d) Die Dimensionen des Beschaffungsvorganges Die Materialbeschaffung vollzieht sich in zwei Dimensionen. Die immaterielle Dimension stellt die rechtliche Seite eines Beschaffungsvorganges in den Vordergrund, während die materielle Dimension sich darauf erstreckt, die Materialien art- und mengenmäßig sowie räumlich und zeitlich so zu beschaffen, daß die Durchführung des Leistungserstellungsprozesses und dessen Wirtschaftlichkeit gewährleistet sind.57 Die immaterielle Dimension der Beschaffung von Materialien stellt die Klärung der Frage des Eigentums an den Materialien in den Mittelpunkt, was in den Aufgabenbereich des Einkaufes fällt. Die materielle Dimension der Materialbeschaffung wird hauptsächlich im Rahmen der Beschaffungsvorbereitung konkretisiert. Die Art der zu beschaffenden Materialien wird einerseits durch das industrielle Leistungsprogramm und andererseits durch das Leistungsangebot der (potentiellen) Zulieferer bestimmt. Hieraus ergibt sich ein Koordinationsbedarf bezüglich einer Normierung von Materialien. Die Normung kann sich auf Maße, Gewichte, technische Eigenschaften und auf Verpackungen der Materialien beziehen. Im Zuge einer EDV-technischen Anbindung von Lieferanten an die Abnehmer können auch Materialnummern, Formulare usw. genormt werden. Weitere Ansatzpunkte einer Anbindung stellen Stücklisten, Rezepturen oder Verbrauchsmeldungen über die zu liefernden Materialien dar. Darauf aufbauend kann die Bereitschaft eines Lieferanten, sich in eine EDV-technische Integration zu begeben, die Bedeutung eines Auswahlkriteriums bei der Lieferantensuche erlangen.58 Der Zweck einer solchen Verständigung über bestimmte Sachverhalte ist unter anderem darin zu sehen, beim Abnehmer der Materialien Nachbesserungen überflüssig zu machen und dem Lieferanten einen Wettbewerbsvorteil ge56

Vgl. Grochla, Grundlagen, S. 198. Vgl. Ihde, Logistik, S. 198. 58 Vgl. hierzu o.V.: Wettbewerb erzwingt neue Formen der Kooperation, in: Handelsblatt, 42. Jg., Nr. 193 vom 6. Oktober 1988, S. 20. Weitere Auswahlkriterien bei der Lieferantensuche sind zum Beispiel Produktqualität, Lieferkonditionen, Lieferzuverlässigkeit und -flexibilität sowie Image. 57

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Β. Die Aufgaben der Materialwirtschaft

genüber seinen Konkurrenten zu sichern. Petzold betont in diesem Zusammenhang die gegenseitige Abhängigkeit beider Interessengruppen. 59 Der Entscheidungskomplex des Mengen- und Zeitaspektes der Beschaffung von Materialien hat als Zielsetzung, diese Materialien ohne Abriß oder Stauung - als Folge für den Fertigungsbereich - in der "richtigen" Menge und zur "richtigen" Zeit zu beschaffen. 60 Die Frage der richtigen Menge knüpft unmittelbar an die Bestellmengenrechnung an. Da betriebliche Entscheidungen in der Regel auf unvollkommenen Informationen beruhen, ergeben sich hieraus Auswirkungen auf die Bestellmenge. Neben der reinen Versorgung des Fertigungsprozesses mit Materialien hat die Materialbeschaffung auch einem Sicherheitsaspekt Rechnung zu tragen. Dieser begründet sich auf unvollkommenen Informationen über das Verhalten der Marktpartner auf den Absatz- und Beschaffungsmärkten. 61 Nach Galbraith bestehen in dieser Situation für ein Unternehmen zwei Reaktionsmöglichkeiten:62 Einerseits kann versucht werden, die Unsicherheit durch eine erhöhte Bestellmenge zu berücksichtigen. Diese Politik hat als negativen Aspekt unter anderem erhöhte Kapitalbindungskosten zur Folge. Andererseits besteht die Möglichkeit, durch Investitionen in Systeme zur Erweiterung der Informationsbeschaffungs- und -Verarbeitungskapazitäten die Unsicherheit über das Verhalten der Marktpartner abzubauen. Einen Ansatzpunkt hierbei bildet die Beschaffungsmarktforschung. In diesem Zusammenhang kann somit von einer Substitution von Beständen durch Informationen gesprochen werden. 63 Durch eine solche Vorgehensweise können Abrisse oder Stauungen in der Materialversorgung ohne zeitliche Verzögerung an voroder nachgelagerte Stufen nicht nur innerhalb der Materialwirtschaft sondern auch der Fertigungs- oder Absatzwirtschaft im Sinne von Gutenbergs

59

Vgl. Dreger, S. 42. Vgl. Petzold , I.: Die Zulieferindustrie - Eine betriebswirtschaftliche Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der industriellen Zulieferbetriebe zur Automobilindustrie, Diss., Berlin 1968, S. 46 und Schmidt, N.: Lagerbestände durch Informationen 6 0 ersetzen, in: Materialfluß, Heft 4,17. Jg. 1990, S. 21 f. Bei diesem Ansatz bleibt allerdings offen, was unter dem Terminus "richtig" zu verstehen ist. Vgl. Fußnote 110 auf S. 117 dieser Arbeit. 61 Vgl. Ihde, G.B.: Bestandsmanagement, in: Bestandssenkung in Produktions- und Zulieferunternehmen, Schriftenreihe der Bundesvereinigung Logistik e.V., Band 11, hrsg. von H. Baumgarten und C. Schwarting, Bremen 1984, S. 4 f. 62 Vgl. Galbraith, J.R.: Organization Desing, Reading/Massachusetts 1977, S. 49 ff. 63 Vgl. Ihde, Bestandsmanagement, S. 6 und Heinz, W.: Informationen ersetzen Bestände - eine Aufgabe für Empfängerwerke und Zulieferbetriebe, in: Zukunftsorientiertes Materialmanagement - Vorsprung im Wettbewerb, hrsg. vom Bundesverband für Materialwirtschaft und Einkauf e.V., 2. Aufl., München 1989, S. 190 ff.

I. Die Materialbeschaffung als Teilbereich der Materialwirtschaft

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64

Ausgleichsgesetz der Planung weitergeben werden. Die wirtschaftliche Bestellmenge und damit die Kapitalbindungskosten sinken als Folge dieser Politik. Werden die vielfältigen Veränderungen im Bereich der Fertigungswirtschaft, die zu einer Herabsetzung der Sortenwechselkosten führen, in die Betrachtungen miteinbezogen, kann festgehalten werden, daß die Verminderung der Sortenwechselkosten die Produktion kleinerer Lose erlaubt. Hierdurch "verlieren große Auflegungszahlen standardisierter Produkte ihren strategischen Vorteil." 66 Vor diesem eher fertigungstechnischen Hintergrund ist die Forderung nach einer einsatzsynchronen Anlieferung der Materialien zu sehen, die zu einer Veränderung der beiden zentralen Parameter der Beschaffung, dem Transportlos und der Transportfrequenz, führt. In der Tendenz korrespondiert als Folge einer einsatzsynchronen Beschaffung eine erhöhte Transportfrequenz mit einer Abnahme der Transportlose. 67 Die räumliche Dimension eines Beschaffungsvorganges erstreckt sich auf die Realisation möglicher Bezugsquellen. Hierbei können die Spezialisierungsvorteile der internationalen Arbeitsteilung genutzt werden. Solche Vorteile bestehen zum Beispiel in einer Ausnutzung von regionalen Preisunterschieden oder der Möglichkeit, bestimmte Zulieferprodukte auf internationalen Beschaffungsmärkten zu erwerben.In diesem Sinne können für Norm- und Standardteile, technisch anspruchsvolle Teile sowie qualitätsbestimmende Teile sowohl inländische als auch ausländische Beschaffungsquellen genutzt werden. Entscheidungskriterien einer solchen Aufteilung des Beschaffungsvolumens auf verschiedene Teilmärkte sind hierbei besonders Lieferzuverlässigkeit und die von den Lieferanten zu erfüllenden Qualitätsnormen.68

64

Vgl. Gutenberg, Produktion, S. 163 ff. Vgl. hierzu Bergner, H.: Vorbereitung der Produktion, physische, in: Handwörterbuch der Produktion, hrsg. von W. Kern, Stuttgart 1979, Sp. 2180 ff. 66 Ihde, G.B.: Wirtschaftlicher Strukturwandel und industrielle Betriebsgrößen, in: Industrielles Management, hrsg. von J. Bloech, Göttingen 1986, S. 8. Die Vorteile großer Auflagengrößen sind zum Beispiel in einer Fixkostendegression oder einer höheren Auslastung von Betriebsmitteln zu sehen. 67 Vgl. Ihde, Bestandsmanagement, S. 13 f. 68 Vgl. hierzu Fieten, R.: Die Beschaffung in einem veränderten europäischen Umfeld stellt hohe Anforderungen an das Marketing, in: Handelsblatt, 44. Jg., Nr. 36 vom 20. Februar 1990, S. 6. 65

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Β. Die Aufgaben der Materialwirtschaft

II. Das innerbetriebliche Transportwesen

Grundsätzlich lassen sich beim Transportwesen zwei Perspektiven unterscheiden. Je nachdem, ob sich die Transporte zwischen Lieferanten und abnehmender Unternehmung oder lediglich innerhalb der räumlichen Ausdehnung der Unternehmung abspielen, handelt es sich um außer- bzw. innerbetriebliche Transporte. Das auPerbetriebliche Transportwesen kann durch eigene Fahrzeuge (Werkverkehr) durchgeführt oder fremdvergeben (gewerblicher Güterverkehr) werden. 69 Da die Materialwirtschaft im Rahmen dieser Untersuchung außer im Beschaffungsbereich eine innerbetriebliche Funktion darstellt, soll der Bereich des außerbetrieblichen Transportwesens im folgenden ausgegrenzt werden. 1. Begriffliche Grundlagen

Eng verwandt mit dem Begriff 'Transportieren' ist das Wort 'Fördern'. Der Unterschied besteht darin, daß das Fördern, ausgehend von seinem bergmännischen Ursprung, zusätzlich auf das Gewinnen der Erze Bezug nimmt und vornehmlich eine Bewegung in senkrechter Richtung, anders als fre-fördern, zum Ausdruck bringt. 70 Beim Transportwesen ist der Zusatz 'inner-' oder 'außerbetrieblich' notwendig, während sich das Förderwesen nur auf innerbetriebliche Sachverhalte bezieht. In Anlehnung an Le Coutre, der unter Förderwesen "alle Maßnahmen zur Bewegung von Personen, Gütern und Nachrichten" 71 versteht, bezieht Ulrich das Förderwesen auf die Gesamtheit aller möglichen Bewegungsvorgänge, das heißt es umfaßt neben der innerbetrieblichen Komponente sowohl den Beschaffungs- als auch den Absatzbereich.72 Schäfer sieht neben den Lagervorgängen in den Transportvorgängen in einem Industriebetrieb 69

·

Zum Themenbereich Eigen- oder Fremddurchführung von außerbetrieblichen Transporten vgl. Winter, D.: Werkverkehr - Störfaktor der Verkehrsmarktordnung in der Bundesrepublik Deutschland?, in: Zeitschrift für Verkehrswissenschaft, 49. Jg. 1978, S. 135 ff. Vgl. Grimm, J./Grimm, W.: Deutsches Wörterbuch, Band 3, Photomechanischer Nachdruck der Erstausgabe von 1862, München 1984, Sp. 1893 und Heiner, H.-A.: Fördereinrichtungen, in: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft, hrsg. von W. Kern, Stuttgart 1979, Sp. 618. 71 Le Coutre, W. (Hrsg.): Organisations-Lexikon - Kurzgefaßtes Auskunftswerk für die gesamte Betriebsorganisation, Berlin 1930, S. 176. 72 Vgl. Ulrich, H.: Die Unternehmung als produktives soziales System - Grundlagen der allgemeinen Unternehmenslehre, 2., überarbeitete Aufl., Bern/Stuttgart 1970, S. 315.

II. Das innerbetriebliche Transportwesen 7«!

57

eine Hilfsfunktion für die eigentliche Fertigung. Der Unterschied von Transport- und Verkehrswesen ist in einem erweiterten Leistungsumfang zu sehen. Während das Transportwesen die reine Ortsveränderung von Gütern zum Inhalt hat, bezieht das Verkehrswesen weitere Leistungskomponenten wie Umschlags- oder Verpackungsvorgänge mit ein. 74 Folgende Graphik soll einen Überblick bezüglich der Abgren zung verschiedener Teilbereiche des Transportwesens vermitteln: 75

innerbetriebliches Transportwesen

Abb. 4. Abgrenzungen im Rahmen des Transportwesens Quelle: Günther, R.: Prinzipien des Transport- und Lagerwesens im Industriebetrieb unter besonderer Berücksichtigung der Fertigungssysteme, Diss., Erlangen-Nümberg 1968, S. 30 sowie StiU, T.: Betriebswirtschaftliche Fragen des Fördeiwesens, Diss., Düsseldorf 1962, S. 13.

Bei den Begriffen "Materialfluß" und "Materialbewegung" kann eine Unterscheidung dergestalt getroffen werden, daß der Materialfluß als Oberbegriff angesehen wird, der sowohl technische als auch organisatorische Fragestellungen betrifft. Dies sind zum Beispiel Fragen der innerbetrieblichen Standortwahl oder der zeitlichen und mengenmäßigen Fertigungssteuerung über den Materialfluß, während die innerbetriebliche Materialbewegung

Vgl. Schäfer, E.: Der Industriebetrieb - Betriebswirtschaftslehre der Industrie auf typologischer Grundlage, 2., erweiterte Aufl., Wiesbaden 1978, S. 244. Vgl. Ihde, Logistik, S. 10. 75 Vgl. zur Begriffsabgrenzung o.K: Klärung von Grundbegriffen auf dem Gebiet des Transportwesens, in: Beilage zur Zeitschrift "Rationalisierung" der Monatsschrift des Rationalisierungs-Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft (RKW), Dezember 1952,. S. 1 f.

58

Β. Die Aufgaben der Materialwirtschaft

sich auf die mit technischen Hilfsmitteln durchgeführte Raumveränderung bezieht. Nach der VDI-Richtlinie 3300 bezieht sich der Materialfluß auf "die Verkettung aller Vorgänge beim Gewinnen, Be- und Verarbeiten sowie bei der Verteilung von stofflichen Gütern innerhalb festgelegter Bereiche."76 Henzel versteht unter dem Materialfluß sowohl die Materialbewegung als auch die Materialruhe. 77 Davon ausgehend kann der Materialfluß die Vorgänge Transportieren, Handhaben, Aufenthalt und Lagerung umfassen. Aufenthalt und Lagerung unterscheiden sich in der Weise, daß es sich bei einem Aufenthalt um einen kurzfristigen Stillstand des Materialtransports handelt, während eine Lagerung in einem festgelegten Lagerbereich er folgt. 78 Die Unterschiede zwischen dem Materialfluß und dem innerbetrieblichen Transportwesen im Bereich der Materialwirtschaft ergeben sich auch aufgrund des Objektumfanges. Während als Objekte des innerbetrieblichen Transportwesens im Rahmen der industriellen Materialwirtschaft Materialien in Frage kommen, wird der Objektumfang beim Materialfluß selbst auf Objekte ausgedehnt, die keine Materialien darstellen. Der Materialfluß bezieht sich allgemein auf stoffliche Güter in ihrer Gesamtheit, das heißt auch auf Handelswaren, Werkzeuge, Vorrichtungen, Modelle oder Abfälle. 79 Als Synonym zum Begriff der innerbetrieblichen Materialbewegung ist der innerbetriebliche Materialtransport aufzufassen. 80 Nach Fackelmeyer werden unter innerbetrieblichem Transportwesen alle Materialbewegungen verstanden, die innerhalb einer umgrenzten Betriebseinheit in ihrer räumlichen, zeitlichen und organisatorischen Verkettung mit dem Betriebsgeschehen anfallen. 81

76

Verein Deutscher Ingenieure: VDI-Richtlinie 3300 - Materialfluß-Untersuchungen, Düsseldorf 1973, S. 2. 77 Henzel interpretiert die Lagerung als Materialtransport, bei dem die Transportgeschwindigkeit und damit die Transportstrecke gleich Null sind. Vgl. Henzel, F.: Die Wechselwirkungen zwischen Materialfluß und Wertebewegung, in: Industrielle Organisation, 23. Jg. 1954, S. 45. 78

Vgl. Dolezalek, CM./Warnecke, H.-J.: Planung von Fabrikanlagen, 2., neubearbeitete und 7erweiterte Aufl., Berlin/Heidelberg/New York 1981, S. 80. 9 Vgl. Dolezalek/Warnecke, S. 79. 80 Ebenfalls synonym zum Begriff des innerbetrieblichen Transportwesens sind die Ausdrücke "Innentransport" und "Innenförderung". Vgl. Köhler, D.: Organisation der innerbetrieblichen Materialbewegung, Berlin 1959, S. 13 f. 81 Vgl. Fackelmeyer , Α.: Materialfluß - Planung und Gestaltung, Düsseldorf 1966, S. 13.

II. Das innerbetriebliche Transportwesen

59

2. Die Bedeutung des innerbetrieblichen Transportwesens

Das innerbetriebliche Transportwesen erlangt seine Bedeutung dadurch, daß Industriebetriebe in der Regel arbeitsteilig organisiert sind. Handwerksbetriebe lassen sich durch eine Zusammenfassung von Arbeitsverrichtungen und Erzeugungsstufen in der Person des Arbeiters kennzeichnen.82 Geschieht eine Zerlegung der zu erfüllenden Aufgabe in verschiedene Komponenten und eine Aufteilung dieser auf Personen, Betriebe oder auch Räume, handelt es sich um Arbeitsteilung. 83 Aus ökonomischer Sicht kann die Arbeitsteilung auf zwei Ursachen zurückgeführt werden. Eine Ursache ist erstens darin zu sehen, daß die menschliche Leistungsfähigkeit sowohl in quantitaiver als auch qualitativer Hinsicht beschränkt ist und somit die Notwendigkeit besteht, die betriebliche Aufgabe in Teilaufgaben zu zerlegen, die von einem Menschen mit den ihm zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln erfüllt werden können. Zweitens schafft die Arbeitsteilung erst die Voraussetzungen dafür, eine Spezialisierung der Tätigkeiten durchzuführen und damit eine ökonomische Leistungserstellung zu gewährleisten.84 Das Vorliegen einer Arbeitsteilung hat unmittelbare Auswirkungen auf die räumliche Strukturierung der Produktion, da diese nicht dem Ideal der Punktförmigkeit entsprechen kann.85 Das innerbetriebliche Transportwesen dient somit dazu, die aus der Arbeitsteilung resultierende räumliche Aufteilung des Produktionsprozesses zu überbrücken, um hierdurch die betriebliche Leistungserstellung überhaupt erst zu ermöglichen.86 Obwohl das Vorhandensein eines innerbetrieblichen Transportwesens somit eine notwendige Bedingung für die betriebliche Leistungserstellung darstellt, wird teilweise behauptet, daß es sich hierbei um eine "unproduktive" Leistung handelt, denn es werden lediglich die Kosten und nicht der Wert eines transportierten Objektes erhöht. 87 Dieser Sichtweise kann entgegengehalten werden, 82

Vgl. Gutenberg, Produktion, S. 96. Vgl. Anzuck, B.: Raumstrukturelle Faktoren der interregionalen Arbeitsteilung, Diss., Frankfurt am Main 1982, S. 5. 83

84

Vgl. Brönimann, C: Aufbau und Beurteilung des Kommunikationssystems von Unternehmungen, Diss., Bern/Stuttgart 1970, S. 41. 85 Vgl. Voitl, W.: Der innerbetriebliche Transport, Diss., Wien 1958, S. 27. 86 Vgl. Heiner, H.-A.: Die Rationalisierung des Förderwesens in Industriebetrieben, Diss., Berlin 1961, S. 18. 87

Vgl. Mellerowicz, K.: Betriebswirtschaftslehre der Industrie, Band 1, Grundfragen und Führungsprobleme industrieller Betriebe, 7., neubearbeitete Aufl., Freiburg im Breisgau 1981, S. 312 f. Es stellt sich die Frage, was unter "Wert" in diesem Zusammenhang zu verstehen ist, denn der Wert eines Werkstückes, das nach seiner Bearbeitung nicht an die nächste Fertigungsstufe weitergeleitet wird, dürfte gleich Null sein.

60

Β. Die Aufgaben der Materialwirtschaft QQ

daß der Transportvorgang, wenn er unproduktiv wäre, für die Produktion die Bedeutung hätte, daß sie ohne ihn möglich wäre. Der Transportvorgang stellt somit einen Bestandteil der betrieblichen Wertschöpfung 89 dar. Die dargelegten unter schiedlichen Sichtweisen begründen sich zum Teil auf einem Abgrenzungsproblem, denn je umfassender der Transportvorgang im Rahmen der Produktion gesehen wird, desto bedeutsamer wird er eingestuft. Einerseits wird nur der isolierte Transportvorgang betrachtet, während andererseits der innerbetriebliche Transport als Bestandteil der Produktion angesehen wird. 3. Die Aufgaben des innerbetrieblichen Transportwesens

Nach von Kortzfleisch kann der Leistungserstellungsprozeß horizontal in provitive Elemente (Beschaffen, Lagern, Transportieren und Bereitstellen) und operative Elemente (Gewinnen, Trennen, Verändern, Zusammenfügen und Verkaufen) eingeteilt werden. Das innerbetriebliche Transportwesen umfaßt in dieser Einteilung die provitiven Elemente Transportieren und Bereitstellen. Diese werden an die operativen Elemente angepaßt.90 Unter Beachtung des ökonomischen Prinzips soll die Bereitstellung der richtigen Güter nach von Kortzfleisch am richtigen Platz, in der richtigen Menge und zum richtigen Zeitpunkt geschehen. Je mehr der innerbetriebliche Transport in dieser Weise durchgeführt wird, desto wirtschaftlicher wird der Leistungserstellungsprozeß durchgeführt. Stellt das innerbetriebliche Transportwesen einen Engpaßfaktor im Sinne Gutenbergs92 dar, so daß zum Beispiel durch Transportverzögerungen die Maschinen auslastung sinkt, führt dies unmittelbar zu höheren Durchlaufzeiten mit allen damit zusammenhängenden Nachteilen, wie höheren Kapitalbindungskosten oder der Nichteinhaltung von Lieferzusagen. Das innerbetriebliche Transportwesen versorgt auch Stellen, die keine Fertigungsstellen sind. Eine solche einzubeziehende Stelle ist das innerbe88

Vgl. Heiner, Rationalisierung, S. 18. Die betriebliche Wertschöpfung kann als Differenz zwischen den Roherträgen und den Vorleistungskosten definiert werden. Vgl. Weber , H.K.: Wertschöpfung, betriebliche, in: Handwörterbuch des Rechnungswesens, hrsg. von E. Kosiol, K. Chmielewicz und M. Schweitzer, 2., völlig neu gestaltete Aufl., Stuttgart 1981, Sp. 1788. 90 Vgl. von Kortzfleisch, G.: Wirtschaftliche Produktion durch plangerechten Materialfluß, in: VDI/AWF-Fachgruppe Förderwesen: Planung und Steuerung des Materialflusses in Fertigungsbetrieben, Beiträge der VDI/AWF-Fachgruppe Förderwesen im Programm der VDI-Hauptversammlung in Hamburg vom 16. bis 20. Mai 1960, Hamburg 1960, S. 4. 91 Vgl. von Kortzfleisch, Produktion, S. 4. 92 Vgl. Gutenberg, Produktion, S. 164 f. 89

II. Das innerbetriebliche Transportwesen

61

triebliche Lagerwesen. Somit kann das Aufgabenfeld des innerbetrieblichen Transportwesens um die an den Fertigungsstellen zur Zeit nicht benötigten Materialien erweitert werden. Das innerbetriebliche Transportwesen versorgt die Fertigungsstellen mit Materialien und übernimmt den Abtransport bearbeiteter oder nicht mehr benötigter Teile. Die Versorgung der Fertigungsstellen kann in die (Teil)Aufgaben Transportieren und Handhaben der Materialien aufgeteilt werden. Es ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung, ob diese Teile unmittelbar weiterverarbeitet oder eingelagert werden sollen. Das fertige Produkt ist somit im engeren Sinn das Ergebnis des eigentlichen Produktionsprozesses und des innerbetrieblichen Lager- und Transportwesens. 93 Die Leistungserstellung bezieht sich darauf aufbauend in ihrer Gesamtheit auf die Leistungserstellung sämtlicher Unternehmensbereiche, wie beispielsweise des Beschaffungs-, des Lager-, des Transport-, des Produktionsoder des Verkaufs- und des Verwaltungsbereiches. 94 Eine weitere mit der Raumüberbrückung zusammenhängende Aufgabe stellt das Handhaben der Materialien dar. Handhabungsvorgänge beziehen sich auf das Einleiten oder das Beenden von Vorgängen, wie beispielsweise das Be- und Entladen oder das Umladen im Rahmen der Transportdurchführung, 95 und umfassen somit die physischen Schnittstellen im Industriebetrieb. 9 ^ Analog dem Prinzip der Ausschaltung der Handförderung 97 kommen bei Handhabungsvorgängen Hilfsmittel wie Winden, Gabelstapler, Hebebühnen oder Drehkräne zum Einsatz.98 Die Funktion Umladen oder das Synonym Umschlagen schließen als Nebenfunktionen Sortieren, Vereinzeln und Sammeln ein. Die Grenzziehung zwischen dem Transportwesen und dem Bearbeiten der Materialien kann insbesondere bei neueren Fertigungskonzepten teilweise nicht ganz zweifelsfrei durchgeführt werden, denn die Umlade93

94

Vgl. Günther, S. 11.

Vgl. Henzel, F.: Die Funktionsteilung in der Unternehmung (Analyse als Mittel betriebswirtschaftlicher Erkenntnis), in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 9. Jg. 1932, S. 199. 95 Vgl. Grün, Materialwirtschaft, S. 512. 96 In bezug auf das Übertragungsobjekt treten Schnittstellen bei Materialien und Fertigerzeugnissen (physische Schnittstellen) sowie Informationen (Informationsschnittstellen) auf. Vgl. Feierabend, S. 57 f. 97

Zum Prinzip der Ausschaltung der Handförderung vgl. S. 72 f. dieser Arbeit. Ein Überblick verschiedener Umschlagseinrichtungen findet sich bei Teller, K.-J.: Logistische Funktionen Transportieren, Umschlagen, Lagern, in: RKW-Handbuch Logistik, Berlin 1981, Kennzahl 2050, S. 18. 99 Vgl. Teller, S. 16. 98

62

Β. Die Aufgaben der Materialwirtschaft

Vorgänge werden teilweise durch Handhabungseinrichtungen getätigt, die Bestandteil der Fertigungseinrichtungen sind. Auch die Abgrenzung zur Materialprüfung im Rahmen des Beschaffungsvorgangs oder während der Fertigung ist mitunter problematisch, wenn zum Beispiel die Prüfung während des Transportes geschieht.100 Während sich das Be- und Entladen auf die Anfangs- bzw. Endpunkte der Transportdurchführung beziehen, resultieren Umladevorgänge aus dem Bestimmungsort des Materials und den Gegebenheiten des betriebsindividuellen innerbetrieblichen Transportwesens, die eine Bereitstellung an allen potentiellen Bedarfspunkten nicht gewährleisten. Dieser Zusammenhang hat seinen Ursprung in der zum Teil begrenzten räumlichen Flexibilität der Transportmittel, mit denen der Transport durchgeführt wird. Besonders bei schienengebundenen Transportmitteln stellt dies ein Problem dar, während gleislose, flurgebundene Transportmittel Freiheitsgrade in dieser Beziehung aufweisen. Ein weiterer Grund für Umladevorgänge stellt das Sammeln, Vereinzeln oder Sortieren der Transportobjekte dar. Entladen und anschließendes Beladen eines Transportmittels unterscheiden sich vom Umladen in der Weise, daß sich zum einen Be- und Entladevorgänge auf das gesamte Transportmittel mit den geladenen Transportobjekten beziehen und zum anderen Beund Entladepunkte den Beginn bzw. das Ende eines Transportes bezeichnen, während das Umladen sich oftmals nur auf einen Teil der sich auf einem Transportmittel befindlichen, zu transportierenden Objekte beschränkt und der Ort des Umladevorganges nicht identisch ist mit dem Bereitstellungsort. Folgendes Schaubild faßt die Aufgaben des innerbetrieblichen Transportwesens zusammen:

100

Vgl. Grün, Materialwirtschaft, S. 512.

II. Das innerbetriebliche Transportwesen

63

Abb. 5. Die Aufgaben des innerbetrieblichen Transportwesens

Die Aufgaben des innerbetrieblichen Transportwesens werden im folgenden hinsichtlich ihrer Bestimmungsgrößen untersucht, wobei die Transportaufgabe als Oberbegriff für die zuvor dargestellten Aufgaben wie Transportieren, Be- und Entladen sowie Umladen anzusehen ist.

4. Die Bestimmungsgrößen der Gestaltung des innerbetrieblichen Transportwesens

In Industriebetrieben erbringt das innerbetriebliche Transportwesen eine Dienstleistung für die eigentliche Produktion. Den Anstoß zu einer Transportleistung gibt das Transportbedürfnis, das unter Einbeziehung der Anforderungen und Bedingungen des innerbetrieblichen Transportwesens in der Transportaufgabe seinen konkreten Inhalt findet. 101 Ein Transportbedürfnis kann innerhalb einer Abteilung, zwischen Abteilungen, zwischen verschiedenen Stockwerken eines Gebäudes oder auch zwischen verschiedenen Gebäuden bestehen. Das innerbetriebliche Transportwesen strebt durch «IM

Transportvorgänge einen räumlichen Ausgleich an. Die Formulierung der Transportaufgabe bringt zum Ausdruck, welche Leistung der Transportvorgang erbringen soll, so daß die wirtschaftliche Gestaltung des innerbetrieblichen Transportwesens bereits bei der Formulierung der Transportaufgabe ansetzt. Im folgenden werden zunächst die Bestimmungsfaktoren der Transportaufgabe und anschließend die Komponenten der Transportleistung erörtert. 101

Heiner, Rationalisierung, S. 21. Er verwendet im Original das Präfix 'Förder-'. Vgl. Bezdecka, H.: Die Materialbewegung im Industriebetrieb unter dem Gesichtspunkt ihrer kostenoptimalen Gestaltung, Diss., Frankfurt am Main 1960, S. 96. 102

64

Β. Die Aufgaben der Materialwirtschaft

a) Die Transportaufgabe Als Bestimmungsgrößen der Transportaufgabe lassen sich in Anlehnung an Heiner das zu transportierende Objekt, die zu überwindende Strecke und die dabei gezeigte Intensität sowie zeitliche und gesetzliche Rahmenbedingungen anführen. 103 Ein Transportobjekt kann allgemein ausgedrückt alles sein, "was von einem zu einem anderen Ort bewegt werden soll." 104 Im Rahmen der industriellen Materialwirtschaft kommen als Transportobjekte Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie unfertige Erzeugnisse in Frage. Die Transportobjekte im Rahmen der industriellen Materialwirtschaft stellen für das innerbetriebliche Transportwesen unterschiedliche Anforderungen dar. 105 Die physikalischen Eigenschaften von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen sowie Halbfabrikaten beziehen sich auf ihren festen, flüssigen oder gasförmigen Zustand. Ebenfalls zu den physikalischen Eigenschaften der Transportobjekte zählen das Gewicht, der Umfang oder auch die Wärme-, Druck- und Stoßempfindlichkeit. Neben den physikalischen Eigenschaften sind auch die chemischen Eigenschaften wie explosiv, säurehaltig oder ätzend bedeutsam.106 Insbesondere bei den unfertigen Erzeugnissen muß bei der Entscheidung für ein bestimmtes Transportmittel der Grad der Be- oder Verarbeitung berücksichtigt werden, da oftmals mit zunehmendem Fertigstellungsgrad die Empfindlichkeit in bezug auf Transportschäden wächst.107 Das Zusammenwirken von Transport objekt und Transportmittel ist auch in der Weise zu sehen, daß im Rahmen der Möglichkeiten einer Transportobjektgestaltung darauf zu achten ist, das Objekt durch seine Form vor Beschädigungen zu schützen und die Handhabung zu erleichtern. 108 Neben dem Vorliegen eines Transport objekt es gilt das Vorhandensein einer zu überwindenden Transportstrecke als weitere notwendige Bedingung für das Entstehen eines Transportbedürfnisses und darauf aufbauend einer Transportaufgabe. Als Transportstrecke gilt die Entfernung zwischen Ausgangsund Zielort. Heiner spricht in diesem Zusammenhang von einem Nützlich-

103

Vgl. Heiner, Rationalisierung, S. 23 sowie Beste, Fertigungswirtschaft, S. 178. Heiner, Rationalisierung, S. 22. 105 Vgl. Kokeisl, W.: Das innerbetriebliche Transportwesen - Systemansatz, Diss., Zürich 1976, S. 117 f. 104

106 107 108

Vgl. Mellerowicz, Grundfragen, S. 314. Vgl. Heiner, Rationalisierung, S. 23 f. Vgl. Grün, Materialwirtschaft, S. 523.

II. Das innerbetriebliche Transportwesen

65

10Q

keitsgefälle zwischen diesen beiden Orten. In bezug auf das Zusammenwirken verschiedener Transportstrecken lassen sich folgende Grundstrukturen anführen: In der Regel handelt es sich bei der Transportstrecke nicht um die räumlich kürzeste Entfernung. Betriebliche Gegebenheiten wie zum Beispiel Betriebsmittelaufstellungen oder bauliche Faktoren beeinflussen die Länge der Transportstrecke. Der kürzeste Transportweg ist in diesem Zusammenhang derjenige, bei dem die durch ihn beeinflußten Kosten minimal sind. 110 Analog den Indices zur Messung der Verkehrsinfrastrukturausstattung kann ein Ausstattungsindex dergestalt abgeleitet werden, daß die innerbetriebliche Ausstattung mit zu nutzenden Transportstrecken in einer qualitativen Dimension veranschaulicht wird. Dies kann durch das Verhältnis von effektiv zurückzulegender Entfernung und Luftlinienentfernung zum Ausdruck gebracht werden. 111 Formal entspricht dies folgendem Quotienten: ^

effektive Entfernung Luftlinienentfernung

Als Maßzahl für die Güte des innerbetrieblichen Transportwesens kann sich dieser Quotient sowohl auf die infrastrukturelle Ausstattung innerhalb eines Gebäudes als auch auf das ganze Betriebsgelände beziehen. Zusätzlich zur Angabe des zu transportierenden Objektes und der zu überwindenden Transportstrecke im Rahmen der Bestimmung von Transportaufgaben ist die Mengenkomponente des Transportobjektes mit der Zeit zu kombinieren, um hierdurch Informationen zu erhalten, in welchem Zeitraum welche Mengen eines Objektes über eine bestimmte Strecke zu transportieren sind. Dieser Zusammenhang wird durch die Transportintensität als Quotient aus Transportmenge und Zeiteinheit ausgedrückt:

Transportintensität

=

Transportmenge Zeiteinheit

109 Vgl. Heiner, Rationalisierung, S. 22. Dieser Ausdruck ist insofern ungenau, da es sich nicht um ein Nützlichkeitsge/ä//e - ausgehend vom Ausgangsort - handelt, sondern eher von einer Nützlichkeitstfe/gerurtg gesprochen werden kann, da es vom Zielort aus weiterver- oder bearbeitet werden kann. 110 Vgl. Brittinger, Th.: Betriebswirtschaftliche Aspekte des Industriebaues - Eine ökonomische Analyse der baulichen Gestaltung industrieller Fertigungsstätten, Diss., Berlin 1992, S. 241. 111 Zu Verkehrsinfrastrukturindices vgl. Ihde, Logistik, S. 165.

5 Brecht

66

. Die

der Materialwirtschaft

Für die Bestimmung der Transportintensität ist es bedeutsam, wie oft ein Transportakt wiederholt wird. Somit kann die Formel zur Transportintensität dahingehend erweitert werden, daß die Anzahl der Transportakte pro Zeiteinheit hinzugezogen wird. Hierbei bedeutet ein Transportlos die in einem Transportakt zu bewegende Materialmenge. Als Zwischenergebnis kann folgende Gleichung festgehalten werden: Transportintensität

=

Transportlos

χ

Anzahl der Transportlose Zeiteinheit

Der Ausdruck Anzahl der Transportlose Zeiteinheit

kann als Transportfrequenz bezeichnet werden, so daß sich als neue Formel für die Transportintensität die Beziehung Transportintensität = Transportlos χ Transportfrequenz

ergibt.

112

Da das innerbetriebliche Transportwesen insbesonders eine Dienstleistung für den eigentlichen Fertigungsprozeß erbringt, muß sich die zeitliche Ausrichtung der Erfüllung der Transportleistung nach den zeitlichen Anforderungen der Fertigung richten. Der zeitliche Ablauf der Fertigung ist demnach der wesentliche Bestimmungsfaktor der Anlieferung der Materialien an die Fertigungsstellen.113 Zur exakten Bestimmung des Transporttermins muß die Zeitspanne, die für die Durchführung des Transportes notwendig ist, berücksichtigt werden. 114 Geschieht die Anlieferung der Materialien einsatzsynchron, kann eine Stockung im Transport zu einem Fertigungsstillstand führen. Die gesetzlichen Bestimmungen, Verordnungen der Berufsgenossenschaften oder auch betriebliche Anweisungen im Bereich des innerbetrieblichen Transportwesens 115 haben vor allem zum Inhalt, die in diesem Bereich arbeitenden Menschen zu schützen. Weitere Ansatzpunkte sind umweltschutzbezogene Bestimmungen insbesondere bei feuer- oder explosionsgefährlichen sowie umweltgefährdenden Materialien. Die Unfallgefahr kann durch Hinweisschilder an gefährlichen Wegstellen, wie zum Bespiel durch spezielle Kennzeichung der Transportstrecke, oder eine auffallende Markierung der Transportwegengpässe herabgesetzt werden. 116 112 113 114

115 116

Vgl. Heiner, Rationalisierung, S. 28. Vgl. Heiner, Rationalisierung, S. 30 f. Vgl. Bezdecka, S. 102. Vgl. hierzu Kapitel D.II.3.b. dieser Arbeit. Vgl. Heiner, Rationalisierung, S. 84.

II. Das innerbetriebliche Transportwesen

67

b) Die Transportleistung Die durch das Transportbedürfnis hervorgerufene Transportaufgabe wird realisiert durch die Transportleistung. Zu ihrer Erstellung ist eine Transportbereitschaft erforderlich, mit der die Transportleistung vollzogen wird. Die Transportbereitschaft ist eine notwendige Voraussetzung für die Durchführung eines Transportes und bezieht sich auf das Vorhandensein von Transportträgern, der Nutzung von Wegen und Transporthilfsmitteln sowie einer übergeordneten Transportverwaltung, die den Ablauf der Transporte plant und steuert. 117 Ein Transportträger "ist das aktive Element bei der Erstellung einer Transportleistung." 118 Als Transportträger können Menschen, technische Objekte und - weitgehend zurückgedrängt - Tiere in Betracht kommen. Beim Menschen kann dahingehend unterschieden werden, ob eine direkte oder indirekte Beziehung zum Transportobjekt besteht. Eine direkte Beziehung liegt dann vor, wenn er die Bewegung des Transportobjektes durch eigene Kraft bewirkt wie zum Beispiel beim Tragen einer Last. Von einer indirekten Beziehung wird dann gesprochen, wenn der Mensch beim Transportvorgang steuernde und überwachende Funktionen innehat, wie dies zum Beispiel bei Gabelstaplern oder Flurfördermitteln der Fall ist. Die Trennungslinie zwischen einer direkten und einer indirekten Beziehung kann als fließend angesehen werden. 119 Ist der Transportträger ein technisches Objekt oder eine technische Installation, handelt es sich um ein Transportmittel. Transportmittel sind technische Einrichtungen, die der Ortsveränderung von Gütern dienen. Als Beispiele lassen sich Gabelstapler, Rutschen oder Bandförderer anführen. In der industriellen Praxis orientieren sich die eingesetzten Transportmittel sehr stark an betriebsindividuellen Gegebenheiten, so daß die Erscheinungsvielfalt in diesem Bereich als sehr hoch zu kennzeichnen ist. 120 Der Transportweg kann als die nach den Erfordernissen des Transportmittels ausgestaltete Transportstrecke verstanden werden. Die Kriterien für die Wahl eines geeigneten Transportweges sind somit identisch mit den Rahmenbedingungen der Bestimmung der Transportstrecke wie zum Beispiel der Betriebsmittelaufstellung oder den baulichen Gegebenheiten.121 Zusätzlich hat noch eine Berücksichtigung des Transportmittels zu erfolgen. Da sich Transportmittel und -weg gegenseitig bedingen, sind sie oftmals 117

Vgl. Heiner, Rationalisierung, S. 33 ff. Heiner, Rationalisierung, S. 35. 119 Vgl. Heiner, Rationalisierung, S. 36. Als Beispiel läßt sich die Mithilfe eines Gabelstaplerfahrers beim Beladen einer Palette anführen. 118

120

Vgl. Kapitel D.II.2.b.aa. dieser Arbeit. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Weber, U.: Planung von Anlagen mit rechnerdisponierten Flurförderzeugen, Diss., Gräfelfing 1990, S. 31 ff. 121



. Die

68

der Materialwirtschaft

nicht exakt zu trennen. Fließbänder sind zugleich Transportmittel und -weg. Bei Leitungsverkehren wie Röhrensystemen in chemischen Betrieben tritt der Fall auf, daß Transportweg, -behälter und -mittel eine Einheit bilden. 122 Ebenfalls Eingang in die Planung des Transportweges müssen die transportwegbedeutsamen Charakteristika der zu transportierenden Güter finden. In diesem Zusammenhang interessieren zum Beispiel Anforderungen der Güter an Transportweg und -mittel sowohl in bezug auf ihre Abmessungen und ihr Gewicht als auch bestimmte physikalische und chemische Eigenschaften. Transportwege können unterschiedliche Merkmale aufweisen. Von der Art (Straße, Schiene, Rutsche etc.), Beschaffenheit (Tragfestigkeit, Beanspruchung etc.) und der Dimension (Länge, Breite etc.) hängen Querschnittsund Periodenkapazität des Transportweges und damit zusammenhängend des Transportmittels ab. 123 Transporthilfsmittel dienen dazu, den Einsatz der Transportmittel und die Nutzung der Transportwege rationell zu gestalten. Beispiele für Transporthilfsmittel sind Paletten, Transportbehälter wie Kisten, Körbe oder Fässer aber auch Haken, Seile oder Bänder zum Festhalten der Transportgüter. 1 2 4 Die rationellere Gestaltung der Transportleistung setzt an einer Reduzierung der Handhabungsvorgänge oder auch einer intensiveren Nutzung der Transportmittel an. Eine Reduzierung der Handhabungsvorgänge kann zum Beispiel durch die Normung von Paletten erreicht werden. Eine intensivere Transportmittelnutzung kann dadurch erzielt werden, daß die Transportbehälter auf die Transportmittel mit ihren Abmessungen abgestimmt sind. Durch den Einsatz geeigneter Transporthilfsmittel wird nicht nur ein unmittelbarer Rationalisierungseffekt infolge der Auslastungserhöhung (basierend auf dem Volumen des Transportmittels) und eine Kapazitätserhöhung (resultierend aus dem Vergleich genormte/ungenormte Transporthilfsmittel) erreicht, sondern auch eine mittelbare Rationalisierung dergestalt, daß Transportschäden beim Einsatz von geeigneten Transporthilfsmitteln zurückgehen. Weiterhin können Transporthilfsmittel auch als Informationsträger genutzt werden. 125 Einem Grundsatz der Planung - dem Grundsatz der Flexibilität der Planung - ist im Bereich des innerbetrieblichen Transportwesens besonders Rechnung zu tragen. Der Grund ist darin zu sehen, daß sich in diesem Un122

Vgl. Ihde, Logistik, S. 76. Vgl. Grün, Materialwirtschaft, S. 513. Zur Bestimmung der Kapazität eines Transportmittels vgl. Kapitel D.III.I.e. dieser Arbeit. 124 Ein Überblick über verschiedene Transporthilfsmittel findet sich bei Heiner, Fördereinrichtungen, Sp. 624. 125 Vgl. Kettner, H./Schmidt, J./Greim, H.-R.: Leitfaden systematischer Fabrikplanung, München/Wien 1984, S. 180. 123

II. Das innerbetriebliche Transportwesen

69

ternehmensbereich die Planung sehr stark an andere Unternehmensteile anzulehnen hat. Änderungen im Auftrags- oder Produktionsprogramm können dazu führen, daß die Transporteinrichtungen, das heißt die Gesamtheit aller technischen Anlagen und Hilfsmittel zur Lösung der Transportaufgaben, 126 nicht mehr den Anforderungen eines geänderten Produktionsprogrammes genügen können. Das innerbetriebliche Transportwesen kann als eine gestaltbare Größe im betrieblichen Geschehen interpretiert werden, die sich der Formulierung der Transportaufgabe und seiner Umsetzung in die Transportleistung unter Beachtung der Transportbereitschaft zuwendet. Im folgenden steht die Frage im Mittelpunkt, nach welchen Kriterien sich die Gestaltung des innerbetrieblichen Transportwesens richtet, um die Forderung einer wirtschaftlichen Leistungserstellung zu erfüllen.

5. Das ökonomische Prinzip als Grundlage der Gestaltung des innerbetrieblichen Transportwesens

Das innerbetriebliche Transportwesen hat in bezug auf die Fertigung einen Dienstleistungscharakter. Aus diesem Grunde kann die Anwendung des ökonomischen Prinzips für diesen Unternehmensbereich nicht in beiden Ausprägungen als Maximal- und Minimalprinzip erfolgen. Die zu erbringende Leistung wird vielmehr vom Fertigungsbereich vorgegeben und kann bei Zugrundelegung des Maximalprinzips nicht maximiert werden. Das ökonomische Prinzip findet somit nur mit seiner Ausprägung als Minimalprinzip im Bereich des innerbetrieblichen Transportwesens Anwendung. Heiner formuliert das Minimalprinzip in diesem Sinne dergestalt, daß versucht werden muß, zunächst die Transportaufgabe so zu formulieren, daß sie mit einem geringen Aufwand zu lösen ist und sie dann in die Transportleistung zu überführen. Hierbei ist auf die Minimierung des Verzehrs von Gütern und Dienstleistungen zu achten. Dies bezieht sich auf die Transporteinrichtungen als Elemente der Transportleistung (Transportträger, -weg, -hilfsmittel) sowie der Transportverwaltung. Auf dieser Definition basierend sollen zunächst Prinzipien dargestellt werden, die sich auf die Formulierung der Transportaufgabe beziehen, um anschließend Prinzipien für eine wirtschaftliche Erstellung der Transportleistung zu untersuchen. Dabei wird von einzelnen realen Erscheinungsformen des innerbetrieblichen Transportwesens abstrahiert, um eine weitestgehende Allgemeingültigkeit zu erreichen. 127 126 127

Vgl. Heiner, Fördereinrichtungen, Sp. 620. Vgl. hierzu Heiner, Rationalisierung, S. 65 und derselbe, Fördereinrichtungen, Sp. 620.

70

Β. Die Aufgaben der Materialwirtschaft

a) Die wirtschaftliche

Gestaltung der Transportaufgabe

Die Bestimmungsgrößen- der Transportaufgabe - Transportobjekt, Transportstrecke und -intensität sowie die zeitliche Ausrichtung und die gesetzlichen Bestimmungen - dienen als Ausgangspunkte einer Ableitung von Prinzipien, die die Transportaufgabe zum Inhalt haben. 1ΛΟ

setzt daran an, TransportDas Prinzip der geringsten Transportaufgabe objekt, -strecke oder -intensität zu variieren, um hierdurch ein geringeres Transportbedürfnis abzuleiten. Die zeitliche Ausrichtung schlägt sich implizit in der Ableitung der Tranportintensität nieder. Den Kernpunkt bei dieser Vorgehensweise stellt die Variation der Transportstrecke dar. Dies führt unmittelbar zum Problemkreis der innerbetrieblichen Standortwahl. Die innerbetriebliche Standortwahl wird hierbei in der Weise beeinflußt. daß die Bewegung der Materialien mit den geringsten Kosten geschieht, in diesem Falle durch Minimierung der zu überwindenden Strecke. Bei Vorliegen nur eines Transportbedürfnisses dürfte sich dies relativ einfach verhalten, während bei mehreren Transportbedürfnissen eine Abwägung zwischen verschiedenen Standortlösungen erfolgen muß. Dies begründet sich darauf, daß bei mehreren Transportbedürfnissen jeweils unterschiedliche optimale innerbetriebliche Standortstrukturen die Folge sind, wobei das Kriterium für die Optimierung die Minimierung der Transportstrecke darstellt. 130 Die zusätzliche Berücksichtigung des Gewichtes der Materialien und damit die Transportgüter hat die Forderung zur Folge, daß Transportstrecke und Gewicht des Transportobjektes negativ korreliert sein sollten. Der Rationalisierungseffekt dürfte bei Gewichtsverlustmaterialien im Sinne Webers 131 am größten sein, so daß sich als Folgerung ergibt, insbesondere Rohstoffe, die in der Regel Gewichtsverlustmaterialien sind, auf kurzen Strecken zu transportieren. Dies bedeutet, die Anlagen für die Verarbeitung von Rohstoffen in der Nähe des Ortes der Rohstoffanlieferung und damit zusammenhängend des Rohstofflagers anzusiedeln. Bei einer Berücksichti128

Heiner, Rationalisierung, S. 68, spricht im Original vom Prinzip der geringsten Förderaufgabe. 129 Der Umkehrschluß, daß die Materialien nicht bewegt werden sollen, sondern die Fertigungsanlagen, wie im Falle der Baustellenfertigung, darf nicht gezogen werden, denn das innerbetriebliche Transportrwesen erfüllt eine Dienstleistungsfunktion für die industrielle Fertigung und nicht umgekehrt. Vgl. Heiner, Rationalisierung, S. 68 f. 131 Zum Begriff des Gewichtsverlustmaterials vgl. Weber, Α.: Über den Standort der Industrien, Erster Teil, Reine Theorie des Standorts, 2., photomechanisch gedruckte Aufl., Tübingen 1922, S. 51.

II. Das innerbetriebliche Transportwesen

71

gung der Transportintensität muß die obige Schlußfolgerung dahingehend modifiziert werden, daß die Transportaufgabe mit der höchsten Transportintensität die geringste Transportstrecke zu überwinden haben sollte. Das Prinzip der ungebrochenen Linearität wendet sich der Transportstrecke im besonderen zu. Aufbauend auf dem Prinzip der geringsten Transportaufgabe verlangt es die Durchführung eines Transportes auf kürzestem, direktem Weg. Unter der Annahme, daß sich die Kosten für den Transportvorgang auf einer Strecke proportional zu deren Länge verhalten, ist ein gerader Transportweg einem gekrümmten vorzuziehen. Weiterhin kann gefolgert werden, daß sich auf einer geradlinigen Strecke eine höhere Transportgeschwindigkeit als bei einer gekrümmten realisieren läßt, was zu einer Senkung der Durchlaufzeit führen kann. 132 Eine Verlängerung der Transportwege - abweichend vom direktem Weg - ist dann vertretbar, wenn dadurch der Transportvorgang übersichtlicher, sicherer oder transporttechnisch einfacher wird. 133 Die Forderung, den Transport auf dem kürzesten Weg durchzuführen, wird durch den Terminus "direkt" ergänzt. Dadurch wird zum Ausdruck gebracht, daß der Transport unter einer Vermeidung von Umladevorgängen und einer Inanspruchnahme von Lagerungsvorgängen zu geschehen hat. Die Forderung einer ungebrochenen Linearität hat somit auch zum Inhalt, die Umladevorgänge einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Die Forderung Heiners, Umladevorgänge unveränderter Güter nach Möglichkeit zu vermeiden, 134 kann in der Weise erweitert werden, da es gelingen sollte, generell ohne Umladevorgänge die Leistungserstellung zu organisieren, wobei als Schnittstellen nicht nur die zwischen verschiedenen Transportmitteln in Frage kommen, sondern auch die zwischen Transportmittel und Fertigungsstelle. Ein Abbau der physischen Schnittstellen zwischen Transportmittel und Fertigungsstelle kann zum Beispiel dadurch erfolgen, daß zum einen die Transporteinheit identisch ist mit der Fertigungseinheit und zum anderen der Fertigungsvorgang auf dem Transportmittel oder Transporthilfsmittel stattfindet. Eine ungebrochene Linearität kann somit erreicht werden, indem neben einer Gestaltung der Transportstrecke unter dem Aspekt des kürzesten Weges eine Normung der verschiedenen Transportmittel und -hilfsmittel sowie der Transportmittel und -hilfsmittel und den Fertigungsstellen angestrebt wird, wobei die Schnittstelle auf der Seite der Fertigungsstelle die Zuführ132

Vgl. Heiner, Rationalisierung, S. 72. Vgl. Grün, Materialwirtschaft, S. 523. Vgl. hierzu auch das Prinzip der geringsten Störung auf S. 76 dieser Arbeit. Vgl. Heiner, Rationalisierung, S. 66. 133

72

. Die

der Materialwirtschaft

einrichtungen an dem betreffenden Betriebsmittel sind. Ansatzpunkte einer Normung sind beispielsweise die Kapazitäten und die Abmessungen der Transportmittel und der dazugehörenden Transporthilfsmitteln. Die Forderung einer ungebrochenen Linearität kann auch auf den Übergang von außerbetrieblichem zu innerbetrieblichem Transport bezogen werden. Durch eine entsprechende Anglei chung von Transporthilfsmitteln wie Paletten, Kisten oder auch der Ausrichtung der Laderampe an den Erfordernissen der Transportmittel und -hilfsmittel der Lieferanten kann dieser Forderung Rechnung getragen werden. 135 Die Normung der Transporthifsmittel vermeidet Umladetätigkeiten bei der Anlieferung der Materialien. Der Normungsgedanke kann auch auf den Produktions- und Lagerbereich ausgedehnt werden. Unter Beachtung nationaler und internationaler Normen gilt somit die Forderung, daß inner- und außerbetriebliche Transport-, Lager- und Fertigungseinheiten vereinheitlicht werden sollten, um hierdurch unter anderem dem Prinzip der ungebrochenen Linearität Rechnung zu tragen und zu einem Rationalisierungseffekt zu gelangen.136 Im folgenden wird erörtert, auf welche Weise die Transportaufgabe in die Transportleistung überführt wird, wobei das ökonomische Prinzip die Handlungsvorschrift darstellt.

b) Die wirtschaftliche

Erstellung der Transportleistung

Die Transportaufgabe wird mittels der Transportmittel und -hilfsmittel unter Nutzung der Transportwege in die Transportleistung umgesetzt. Ebenso wie bei der Formulierung der Transportaufgabe lassen sich auch hier Prinzipien anführen, die auf eine Transportleistungserstellung unter möglichst geringem Aufwand abzielen. Die Mechanisierung und Automatisierung des innerbetrieblichen Transportes und der Handhabungsvorgänge wie zum Beispiel das manuelle Beund Entladen von Transportmitteln bedeutet in diesem Zusammenhang, daß "von einer arbeitsintensiven Methode auf eine mehr anlagenintensive 135

Vgl. Teller, S. 15 und Voitl, S. 81. Vgl. Kurrle, St.: Integration von Informations- und Produktionstechnologien im Industriebetrieb - Unter besonderer Berücksichtigung der Problematik in der Elektroindustrie, Diss., Pfaffenweiler 1988, S. 344 und zur Rationalisierung vgl. Beste. Th.: Rationalisierung durch Vereinheitlichung, in: Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung, Neue Folge, 8. Jg. 1956, S. 301 ff. 136

II. Das innerbetriebliche Transportwesen

1 γι

73

Durchführungsart des innerbetrieblichen Materialtransportes" übergegangen wird. Dies hat zur Folge, daß sich eine Verschiebung von variablen Kosten wie Lohnkosten hin zu den fixen Kosten wie Abschreibungen bei nicht leistungsabhängiger Abschreibungsmethode ergibt. 138 Infolgedessen entscheidet die Transportmenge über die Wahl des Transportmittels, denn aufgrund des höheren Fixkostenanteils an den Gesamtkosten des Transportmittels tritt bei mechanisierten Transportmitteln bei steigender Transportmenge eine Degression der fixen Kostenanteile auf. Bei geringen Transportmengen ist die Handförderung unter Umständen geeigneter als eine Mechanisierung des Transportwesens. Bei größeren Transportmengen kann sich dies genau umgekehrt verhalten. 139 Da prinzipiell ein Rationalisierungseffekt durch Vereinheitlichung besteht, kann dies auch auf den Bereich des innerbetrieblichen Transportwesens angewendet werden. 140 Durch das Prinzip der Vereinheitlichung 4 1 wird die Forderung erhoben, "Einheitlichkeit in der Erstellung der Gesamtleistung oder zumindest in Teilleistungen anzustreben."142 Es muß zum Beispiel versucht werden, verschiedene Transport aufgaben durch vereinheitlichte Transportmittel zusammenzufassen oder Transportobjekt, Transportmittel und Transporthilfsmittel mit dem Ziel einer Kapazitätsauslastungserhöhung sinnvoll miteinander zu kombinieren. 143 Als Folge einer Vereinheitlichung von Transportmitteln kann eine Vereinheitlichung der Transportwege angeführt werden, da Transportmittel und Transportweg in einer sehr engen Verbindung zueinander stehen. Ansatzpunkte stellen einheitliche Transportmittel dar, die unterschiedliche Transportobjekte aufnehmen können oder auch die Vereinheitlichung von Transporthilfsmitteln wie Paletten oder Kisten. Eine Vereinheitlichung kann sich 137

138

Voitl, S. 52.

Da es sich bei Investitionen in die Ausgestaltung des innerbetrieblichen Transportwesens um längerfristige Entscheidungen handelt, kann der Sachverhalt, daß Lohnkosten durchaus fixen Charakter infolge von gesetzlichen Restriktionen oder unternehmenspolitischen Erwägungen annehmen können, hier vernachlässigt werden. Zum Wachstum fixer Kosten vgl. Bergner, H.: Der Ersatz fixer Kosten durch variable Kosten, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 19. Jg. der Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung, Neue Folge, 1 3 91967, S. 141 f. Vgl. Void, S. 52 ff. 140

Beste, Vereinheitlichung, S. 315, bemerkt in diesem Zusammenhang, daß "auch das innerbetriebliche Transportwesen .. seinen Nutzen von der Vereinheitlichung" hat. 141 Vgl. Stocker , H.E. Materials Handling - Principles, Equipment and Methods, 2nd Edition, New York 1951, S. 37 ff. 142 Heiner, Rationalisierung, S. 78. 143 Vgl. Heiner, Fördereinrichtungen, Sp. 625 f.

74

. Die

der Materialwirtschaft

hierbei auch auf eine Normierung von Reifen, Radsätzen oder Kupplungen beziehen.144 Bedeutung erlangt die Vereinheitlichung auch durch die zunehmende EDV-technische Unterstützung des innerbetrieblichen Transportwesens, so daß versucht werden muß, in diesem Unternehmensbereich die Steuerung EDV-gestützt zu handhaben.145 Das Prinzip der Vereinheitlichung kann auch den Rahmen eines rein innerbetrieblichen Sachverhaltes verlassen, um dadurch den Vernetzungen eines Betriebes mit seiner Umwelt Rechnung zu tragen. In diesem Sinne lassen sich als Beispiel die weltweit anerkannte Normung von Paletten oder die Einbeziehung von Lieferanten und gewerblichen Abnehmern in das betriebliche EDV-Netz anführen. Wird das Prinzip der Vereinheitlichung als alleinige Maxime zur Gestaltung der Transporteinrichtungen betrachtet, gilt es zu beachten, daß ein stark vereinheitlichtes und damit spezialisiertes innerbetriebliches Transportwesen gegenüber veränderten Transportaufgaben inflexibel sein kann. 146 Die Forderung Gutenbergs, daß ein Unternehmen seine fertigungstechnischen Anlagen beweglich halten muß, um mit demselben Betriebsmittelbestand mehrere Produktionsprogramme zu erfüllen, 147 kann auf das Gebiet des innerbetrieblichen Transportwesens ohne Einschränkungen übertragen werden. Die Forderung nach einer Umstellungsfähigkeit des innerbetrieblichen Transportwesens auf veränderte Bedingungen wird als Prinzip der Flexibilität bezeichnet.148 Das innerbetriebliche Transportwesen erfüllt eine Dienstleistungsfunktion für den Fertigungsbereich, so daß sich die Flexibilitätsanforderungen auf Änderungen des Produktionsprogramms sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht beziehen, wobei die qualitative Dimension des Produktionsprogrammes auch im Hinblick auf eine räumliche Flexibilität der Transportmittel zu sehen ist. Qualitative Produktionsprogrammänderungen haben veränderte Transportbedürfnisse und damit auch veränderte Transportaufgaben zur Folge. Da das innerbetriebliche Transportwesen in der Regel längerfristig ausgerichtet ist, sind auch Daten der langfristigen Produktionsprogrammplanung einzubeziehen.

144

Vgl. Heiner, Rationalisierung, S. 78 ff. Vgl. hierzu Meinberg, U.: Steuerung von fahrerlosen Transportsystemen - Regelwerk zum rechnergestützten Entwurf, Köln 1989, S. 5 ff. 145

146

Vgl. Heiner, Rationalisierung, S. 80. Vgl. Gutenberg, Produktion, S. 81. Heiner, Rationalisierung, S. 80, spricht im Original vom Prinzip der Elastizität. Da der Terminus Elastizität hauptsächlich in mathematisch-technischen Formeln verwendet wird, soll er im folgenden durch die Bezeichnung Flexibilität ersetzt werden. Vgl. Moroff\ S. 30. 147

II. Das innerbetriebliche Transportwesen

75

Von den Planungsdaten ausgehend besteht die Notwendigkeit, dies in Größen des innerbetrieblichen Transportwesens umzusetzen. Solche Größen sind zum Beispiel innerbetriebliche, räumliche und zeitliche Aspekte der Fertigung sowie Fragen der benötigten Transportmittelkapazitäten bei einem verändertem Produktionsprogramm. 149 Die Frage der Flexibilität knüpft unmittelbar an der zur Verfügung stehenden Transportbereitschaft an. Bei der Planung der Transportbereitschaft muß im Bereich der Transportmittel eine Entscheidung zwischen Einzweck- oder Mehrzwecktransportmittel getroffen werden, wobei als Zweck die Transportaufgabe zu nennen ist. Das Bestreben, die Transportmittel auszulasten, steht unter Umständen der Forderung einer Minimierung der Durchlaufzeiten für das Material entgegen. Dies kann sich darin äußern, daß Einzwecktransportmittel, da sie auf bestimmte Transportvorgänge spezialisiert sind, geringere Durchlaufzeiten erlauben, aber dann nicht voll ausgelastet sind. Auf den ersten Blick kann das Dilemma der Ablaufplanung im Fertigungsbereich auf den Bereich des innerbetrieblichen Transportwesens übertragen werden. 150 Da das innerbetriebliche Transportwesen eine Dienstleistungsfunktion für die eigentliche Fertigung erfüllt, steht die rechtzeitige Versorgung der Fertigungsstellen mit den benötigten Materialien im Vordergrund. Streng genommen ergibt sich somit für den Bereich des innerbetrieblichen Transportwesens kein Dilemma der Ablaufplanung. Ein Ansatzpunkt, die Durchlaufzeit des Materials beim innerbetrieblichen Transportwesen zu verkürzen, besteht in einer entsprechenden Ausgestaltung der Transporthilfsmittel, indem deren Flexibilität erhöht wird. Als Beispiel lassen sich die unterschiedlichen Arten von Paletten anführen (Gitter- oder Flachpaletten), die jeweils die gleiche Grundfläche auf einem flachen Transportmittel beanspruchen. Förderwege können in gewissen Grenzen zum Beispiel bei Vorliegen von unterschiedlich breiten Transportmitteln mit entsprechenden Spurbreiten durch bauliche Maßnahmen flexibel gestaltet werden. 151 Für den Bereich des innerbetrieblichen Transportwesens gilt das Prinzip der Flexibilität dann als verwirklicht, wenn es im Zusammenwirken mit dem Prinzip der Vereinheitlichung dazu führt, daß die Transportbereitschaft mit geringstmöglichen Kosten alle im Betriebsablauf zu erwartenden Transportaufgaben erfüllen kann.

149

Vgl. Männel, W.: Produktionsanlagen, Eignung von, in: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft, hrsg. von W. Kern, Stuttgart 1979, Sp. 1469 ff. 150 Vgl. Grün, Materialwirtschaft, S. 523. 151 Vgl. Heiner, Rationalisierung, S. 82.

76

Β. Die Aufgaben der Materialwirtschaft 1

Die Berücksichtigung des Prinzips der geringsten Störung bedeutet, daß ein Transportvorgang in einer Weise durchgeführt wird, daß zum einen andere Transportvorgänge und zum anderen der gesamte betriebliche Fertigungsprozeß nicht beeinträchtigt werden. Das Prinzip der geringsten Störung hat die Vermeidung von Behinderungen in den genannten Bereichen zum Inhalt. Als Behinderungen sind unter anderem Engpässe in der Transportwegekapazität oder auch die Beeinträchtigung der Umwelt durch Geräusche, Erschütterungen, Staubentwicklungen sowie als potentielle Gefahrenquellen Brand-, Explosions- und Unfallgefahren zu nennen.153 Durch geeignete Maßnahmen wie der Vermeidung von Transportwegeüberschneidungen oder eine sicherheitstechnische Auslegung der Transporthilfsmittel kann diesem Prinzip Rechnung getragen werden. Die Vermeidung von Transportwegeüberschneidungen oder -kreuzungen steht als Prinzip der geringsten Störung teilweise dem Prinzip der ungebrochenen Linearität gegenüber. Sicherheitsvorschriften finden über das Prinzip der geringsten Störung Eingang in den Bereich des innerbetrieblichen Transportwesens, denn Betriebsunfälle bedingen den Ausfall von Arbeitskräften und Transporteinrichtungen und können zu Unterbrechungen im Fertigungsablauf führen, 154 was besonders bei Vorliegen einer einsatzsynchronen Fertigung der Fall sein kann. Die aufgeführten Prinzipien für die wirtschaftliche Gestaltung von Transportaufgabe und -leistung bilden den Hintergrund, vor dem die technologischen Entwicklungen im Bereich des innerbetrieblichen Transportwesens zu sehen sind.

152

Vgl. hierzu Hundhausen, der diesen Zusammenhang als Prinzip der kleinsten Störung bezeichnet. Vgl. Hundhausen, C.: Innerbetriebliche Standortsfragen, in: Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung, 20. Jg. 1926, S. 42. Vgl. ebenfalls Troske, L.: Fabrikanlagen, in: "Hütte" des Ingenieurs Taschenbuch, III. Band, hrsg. von Akademischer Verein Hütte e.V., 24. Aufl., 1 5 3 Berlin 1924, S. 457. Vgl. Heiner, Fördereinrichtungen, Sp. 625. 154 Vgl. Kollerer, S. 39 ff.

III. Das Lagerwesen

77

I I I . Das Lagerwesen 1. Begriffliche Grundlagen

Der Terminus 'Lager' umfaßt in einer weiten Fassung die Gesamtheit aller Tätigkeiten, Objekte, Einrichtungen, Gegenstände und Arbeitskräfte, die dem Zweck der Aufbewahrung materieller Güter dienen.155 Mit dieser Begriffsauffassung wird unter Lager sowohl der Vorgang des Lagerns als auch das Resultat, das Lager als O t der Aufbewahrung, umrissen. Deutlich wird dies, wenn der Terminus Lager durch das Synonym Lagerung ersetzt wird, denn hier wird zum einen der Geschehensablauf und zum anderen das Ergebnis des Geschehens beschrieben. 156 Durch den Zweck des Lagers wird hervorgehoben, daß die eingelagerten Objekte zum Zeitpunkt der Betrachtung nicht am Fertigungs- oder Absatzprozeß teilnehmen. Die mit dem Lagern oder der Lagerung verbundenen Tätigkeiten beziehen sich zum einen auf den zeitlichen Vorgang des Lagerns und zum anderen auf eher ablauforganisatorische Problemkreise wie das Ein-, Um- oder Auslagern sowie den damit zusammenhängenden Bereich der Lagerdisposition.1 Hierbei fallen Tätigkeiten wie Auspacken, Ordnen und Einsortieren der Objekte in das Lager nach bestimmten Kriterien, Führen und Fortschreiben der Verzeichnisse, Bereitstellen und Ausgeben der Lagerobjekte oder Annehmen von Rücklieferungen an. 158 Ebenfalls zu den Aufgaben der Lagerdisposition gehören die Ermittlung von Lagerkennzahlen wie zum Beispiel die Umschlagshäufigkeiten und Maßnahmen zur Standardisierung von Teilen sowie die Pflege von Behördenkontakten wie zum Beispiel bei Zolloder Einfuhrlägern. 1 Diese eher ausführenden Tätigkeiten werden um die Ziele, die mit der Lagerung erreicht werden sollen und die damit zusammenhängenden Entscheidungsprobleme erweitert. Die Betrachtung der Tätigkeiten und der Ziele wird als Lagerhaltung bezeichnet.160 155

Vgl. Jacob, W.: Grundfragen der erfolgswirtschaftlichen Dimensionierung von Zwischenlagern, Diss., Dortmund 1987, S. 14 f. 156 "Viele Verbalsubstantive auf -ung bezeichnen nicht nur den Geschehensablauf (als nomen actionis), sondern auch den Abschluß oder das Ergebnis eines Geschehens (als nomen acti)." Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.): Duden Band 4 - Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, 3., neu bearbeitete und erweiterte Aufl., Mannheim/Wien/ Zürich 1973, S. 378. 157

Vgl. Göldner, J.: Ablauforganisation der industriellen Lagerwirtschaft, Berlin 1964, S. 91ff. 58 159

Vgl. Kalveram, S. 187.

Vgl. Grün, Materialwirtschaft, S. 526. Vgl. Reichmann, T.: Lagerhaltungspolitik, in: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft, hrsg. von W. Kern, Stuttgart 1979, S. 1061. 160

78

. Die

der Materialwirtschaft

Die physischen Tätigkeiten, die mit der Lagerung zusammenhängen, werden im folgenden Schaubild zusammengefaßt:

Abb. 6. Die physischen Tätigkeiten im Rahmen der betrieblichen Lagerhaltung

2. Die Aufgaben der betrieblichen Lagerhaltung

Die Abstimmung unterschiedlich dimensionierter Güterströme ist die grundlegende Aufgabe eines Lagers. 161 Im folgenden wird untersucht, auf welchen Ursachen und Motiven die unterschiedliche Dimensionierung der Lagerzu- und -abgänge beruht. Weiterhin werden die verschiedenen Erscheinungsformen des Lagerwesens unter Zuhilfenahme von bestimmten Merkmalen geordnet und den Motiven der Lagerhaltung gegenübergestellt. a) Die Motive der Lagerhaltung Da Lager Kapital binden, ist es die Frage, ob sie nicht generell zu vermeiden sind. Diese Frage kann nur vor dem Hintergrund der Motive ihrer Bildung beantwortet werden, da die Lagerhaltung nicht auf monokausale Entstehungsursachen zurückzuführen ist, sondern vielmehr ein polykausales 161

Vgl. Kupsch, P.U.: Lager, in: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft, hrsg. von W. Kern, Stuttgart 1979, Sp. 1029.

III. Das Lagerwesen

79

Ursachengefüge vorliegt. Erst wenn geklärt ist, welche Ursachen für das Entstehen der Lagerbestände verantwortlich sind, können Rationalisierungsmaßnahmen angeregt werden, um die Lagerhaltung wirtschaftlich zu gestalten.162 Die Ausgleichsfunktion hat zum Inhalt, den Materialzugang und den Materialbedarf, die sowohl in mengenmäßiger als auch in zeitlicher Hinsicht unterschiedlich sein können, zu harmonisieren. Die diesem Sachverhalt zugrundeliegende Ursache ist in nicht abgestimmten oder aus bestimmten Gründen 6 3 nicht besser abstimmbaren, leistungsmäßig verbundenen Kapazitäten zu sehen. Die Aufgabe des Lagers besteht somit in einem zeitlichen oder auch mengenmäßigen Ausgleich. Ein Lager muß den Anforderungen der zu beliefernden Stellen in diesen beiden Dimensionen gerecht werden. Schmalenbach sieht in dieser Aufgabe den Hauptwesenszug eines Lagers. 164 Der Überbrückungsbedarf resultiert unter anderem daraus, daß die Anlieferung der Materialien in das Lager in größeren Mengen geschieht als sie im weiteren Verlauf des Produktionsprozesses eingesetzt werden. Hieraus folgt, daß die zeit- und mengenmäßige Überbrückungsfunktion von ihrer Ursache her betrachtet, sich auf dasselbe Grundproblem zurückführen läßt, der termingerechten Bereitstellung der Materialien an den Bedarfspunkten in der Fertigung. Ein Lager, basierend auf dieser Funktion, ist somit überflüssig, "wenn das Material, das ein Betrieb für die ersten Fertigungsstufen braucht, immer genau in den Lieferzeiten, Sorten und Mengen hereinkommt, wie er es gerade braucht " 1 6 5 und die Transportkapazitäten mit den Fertigungskapazitäten übereinstimmen. Die Ausgleichsfunktion, die ein Lager erfüllt, dient somit dazu, alle Schwankungen, die in der Produktion zu Abrissen oder Stauungen führen, abzufangen. Mögliche Ursachen solcher Schwankungen liegen sowohl auf der Beschaffungs- und Absatzseite als auch innerhalb der Fertigung. 166 Die Hauptaufgabe eines Materiallagers besteht nach Schmalenbach darin, die 162

Vgl. Ihde, Bestandsmanagement, S. 2. Gründe hierfür bestehen beispielsweise im Vorliegen einer Partiefertigung oder einer Unteilbarkeit von Prozessen. Ebenfalls kann es im Hinblick auf die Kosten nicht angebracht sein, die Unstimmigkeiten bei den Kapazitäten durch Beschäftigungsänderungen anzupassen. Vgl. Kupsch, Lager, Sp. 1029 f. und Ihde, Bestandsmanagement, S. 4. 164 Vgl. Schmalenbach, E.: Die Lagerverwaltung unter dem Gesichtspunkt der Dienststellengliederung - Referat für die Krähe-Kommission und eine etwa zu bildende Lagerkommission, O.O., o.J., S. 1. 165 Schmalenbach, Lagerverwaltung, S. 1 f. 166 Vgl. Göldner, J.: Aufbauorganisation der industriellen Lagerwirtschaft, Diss., Berlin 1960, S. 27. 163

80

. Die

der Materialwirtschaft

Mängel der Lieferbereitschaft der vorgelagerten Produktionsprozeßstufen abzugleichen.167 Die Sicherungsfunktion als ein weiterer Zweck der Lagerhaltung von Materialien knüpft an dem Sachverhalt an, daß dem Unternehmen nicht immer sichere Informationen für die Lagerdisposition vorliegen. Hierbei fallen besonders Unsicherheiten über Entwicklungen auf den Beschaffungs- und/ oder Absatzmärkten ins Gewicht. In diesem Zusammenhang lassen sich Unsicherheiten über die Lieferfähigkeit von Lieferanten oder Nachfrageentwicklungen auf den Absatzmärkten anführen. 168 Auch unvorhergesehene Störungen im betrieblichen Ablauf, die die Materialwirtschaft betreffen, können sich auf den Leistungserstellungsprozeß auswirken, wenn nicht die Möglichkeit gegeben ist, dies über Bestände abzumildern. Als Beispiel sei angeführt, daß bei Vorliegen der Organisationsform 'Fließfertigung' der Ausfall einer Fertigungsstelle unmittelbare Auswirkungen auf die nachfolgenden Fertigungsstellen hat, wenn keine entsprechenden Zwischenlager vorhanden sind. Die Lagerobjekte sind in diesem Falle unfertige Erzeugnisse, die die ausgefallene Fertigungsstelle bereits durchlaufen haben. Ein weiteres Erfordernis für eine Lagerhaltung von Materialien ist in der Assortierungs- oder Kommissionierungsfunktion zu sehen, die ihre Ursachen in naturwissenschaftlich-technischen und ökonomischen Gegebenheiten findet. Neben der Sortimentsbildung bei Handelsbetrieben kann für Industriebetriebe die Assortierung an Bedeutung gewinnen, "wenn bestimmte Materialien in handelsüblichen Dimensionen und Qualitäten beschafft werden, bei denen eine betriebsindividuelle Sortenbildung entsprechend der fertigungstechnischen Anforderungen ... notwendig ist." 169 Anders als bei der Assortierungsfunktion treten bei der Spekulationsfunktion von Beständen ökonomische und technische Faktoren in den Hintergrund. 'Bedarfsauslösende Motive' sind in Erwartungen über Markt- und damit zusammenhängend Preis- oder Qualitätsentwicklungen zu sehen. Da solche Bestände ihre Ursache nicht im Fertigungsgeschehen haben, besteht die Möglichkeit, sie durch Unterlassen von Ersatzbeschaffungen und Hinzuziehung des geplanten Bedarfes zukünftiger Perioden in ein Sicherheitsoder Ausgleichslager zu überführen. 170 167

Vgl. Schmalenbach, Lagerverwaltung, S. 1. Vgl. Ihde, Bestandsmanagement, S. 4. 169 Kupsch, Lager, Sp. 1030 und auch Göldner, Aufbauorganisation, S. 28. 170 Vgl. Göldner, Aufbauorganisation, S. 28 und Grün, Materialwirtschaft, S. 526. Zum Spekulationslager vgl. auch Findeisen, Franz: Der Lagerprozeß, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 2. Jg. 1925, S. 326 f. 168

III. Das Lagerwesen

81

Im Rahmen der Veredelungsfunktion wird das Lager Bestandteil des Fertigungsprozesses. Hierbei verändern sich die gelagerten Materialien in qualitativer Hinsicht. 171 Die Lagerzeit richtet sich dabei nach der benötigten Dauer des Veredelungsvorganges, der unter Umständen sehr lange sein kann, 172 während die Lagerhöhe durch naturwissenschaftlich-technische Faktoren wie zum Beispiel das zu berücksichtigende Diffundieren und Verdunsten von Flüssigkeiten während der Veredelungsdauer und durch den Produktionsumfang bestimmt wird. 173 Bestände, die aufgrund der Veredelungsfunktion aufgebaut werden, werden auch als Produktivlager bezeichnet. Als Beispiele seien das Lagern von Wein und Käse aber auch das Lagern von gegossenen Werkstücken zwecks Abkühlung genannt.174 Der Vollständigkeit halber sei als letzte Bestandsfunktion die Akquisitionsfunktion angeführt. Sie stellt einen Bestandteil der Absatzpolitik dar und betrifft die Notwendigkeit, Bevorratungen von Fertigerzeugnissen an Verkaufspunkten durchzuführen, um durch Präsenz und Präsentation der Produkte Käufe auszulösen, zum Beispiel bei Impulskäufen. 175 Lager stellen für industrielle Unternehmen teilweise eine Notwendigkeit dar, um sich unter anderem gegenüber Unsicherheiten sowohl in der Unternehmensumwelt als auch innerhalb des Betriebes abzusichern. Im Falle der Veredelungsfunktion besteht sogar der Zwang zur Bildung eines Lagers, da ohne dieses die Leistungserstellung nicht gewährleistet ist. Weigmann bezeichnet die Forderung nach einem lagerlosen Betrieb sogar als "eine gefährliche und wirklichkeitsferne Abstraktion," 176 und Henzel sieht in Lagern "Träger wichtiger wirtschaftlicher Funktionen, ohne die in der Regel ein reibungsloser Wirtschaftsablauf nicht möglich ist." 177 Die Möglichkeiten, Bestände im Rahmen der industriellen Materialwirtschaft abzubauen, um hierdurch die Kapitalbindung durch die Materialien zu senken, muß vor dem Hintergrund der Funktionen der Lagerhaltung gesehen werden. Die Materialwirtschaft hat keinen Einfluß auf Bestände resultierend aus der Spekulations- oder Akquisitionsfunktion. Sie sind eher auf unternehmenspolitische Erwägungen zurückzuführen. Veredelungslager 171

Vgl. Göldner, Aufbauorganisation, S. 28. Vgl. Kupsch, Lager, Sp. 1031. 173 Vgl. Ihde, Bestandsmanagement, S. 3. 174 Vgl. Nordsieck, F.: Die schaubildliche Erfassung und Untersuchung der Betriebsorganisation, 4., unveränderte Aufl., Stuttgart 1951, S. 37. 175 Vgl. Ihde, Bestandsmanagement, S. 4. 176 Weigmann, W.: Die Problematik betriebswirtschaftlicher Disposition, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 11. Jg. 1934, S. 46. 177 Henzel, F.: Lagerwirtschaft, Essen 1950, S. 8. 172

6 Brecht

82

Β. Die Aufgaben der Materialwirtschaft 17R

ergeben sich zwangsläufig aus dem Produktionsprozeß. Somit kommen als zentrale Ansatzpunkte einer Bestandsreduktion die Ausgleichs-, Sicherungs- und die Assortierungsfunktion in Frage.

b) Die Funktionen der Lagerhaltung als Ansatzpunkt einer wirtschaftlichen Lagerhaltung Die Bestände, die sich aufgrund der Ausgleichsfunktion ergeben, lassen sich dadurch beeinflussen, daß unnötige Stillstandszeiten an den Fertigungsstellen vermieden werden. Neben den nicht harmonisierten Kapazitäten kommen hierbei auch produktionsprogrammpolitische Sachverhalte zum tragen. Je heterogener das Produktionsprogramm ist, desto größer ist die Zahl der Erzeugniswechsel, die Stillstandszeiten an der Maschine begründen. Die Stillstandszeiten lassen sich zum einen durch eine Verminderung der absoluten Anzahl der Erzeugniswechsel und zum anderen durch eine Verminderung der Schwere des Erzeugniswechsels senken. Maßnahmen hierzu stellen die Fremdvergabe von Teilprozessen zur Leistungserstellung, eine Spezialisierung des Produktionsprogrammes bzw. der Einsatz von rüstflexiblen Betriebsmitteln und die Wahl der geeigneten Form der Fertigungsorganisation dar. 179 Bestände, die aufgrund der Sicherungsfunktion gebildet werden, finden ihre Ursache in unsicheren Informationen sowohl bezüglich unternehmensexterner Faktoren wie dem Beschaffungsmarkt als auch unternehmensinterner Aspekte. Auf unternehmensinterner Ebene lassen sich beispielsweise Unsicherheiten über den Ausfall von Maschinen anführen. Dieser Gesichtspunkt ist um so bedeutsamer, je mehr die Fertigung in Form der Fließfertigung organisiert wird. Ein Unternehmen kann unsichere Informationen in der Weise berücksichtigen, daß Bestände zwischen den einzelnen Wertschöpfungsstufen aufgebaut werden, die es erlauben, einen eventuell auftretenden Minimumsektor zu überbrücken. Diese Vorgehensweise ist mit einem Ansteigen der Kapitalbindungskosten verbunden. Es besteht auch die Möglichkeit, die Unsicherheit der Informationen abzubauen, um damit den 178

Die Möglichkeit, im Rahmen der Verringerung der Fertigungstiefe bestimmte Produktionsteilprozesse an sogenannte Veredelungsbetriebe abzugeben (vgl. hierzu Bergner, Kosten, S. 151 f.), kann in diesem Zusammenhang insofern nicht überzeugen, da der Veredelungsprozeß oftmals einen wichtigen Teil des Produktionsprozesses darstellt. Die Qualität des Fertigproduktes ist dabei eine ausschlaggebende Produkteigenschaft. Man denke hierbei besonders an Hersteller von Getränken wie Cognac oder Whiskey. Wenn es sich bei dem Veredelungsprozeß um eine Nebensächlichkeit handelt, kann eine Ausgliederung des Veredelungsvorganges durchaus in Betracht gezogen werden. 179 Vgl. Bergner, Vorbereitung, Sp. 2177 ff.

III. Das Lagerwesen

83

Grund für den Bestandsaufbau gegenstandslos zu machen. Dies geschieht durch den Auf- und Ausbau der Informationsbeschaffungs- und -Verarbeitungsmöglichkeiten. In außerbetrieblicher Hinsicht werden Lieferverzögerungen und Beschaffungsmarktentwicklungen frühzeitig erkannt. Innerbetrieblich werden zeitliche Verzögerungen im Leistungserstellungsprozeß beizeiten ersichtlich, und vor- und nachgelagerte Fertigungsstellen lassen sich auf Basis dieser Informationen in ihrer Beschäftigung anpassen, so daß sich keine Bestände bilden bzw. die freiwerdenden Kapazitäten anderweitig genutzt werden. 180 Eine weitere Möglichkeit, Sicherheitsbestände abzubauen, besteht darin, diese räumlich zu zentralisieren. Aufgrund der Zentralisierung ergeben sich statistische Ausgleichseffekte, da die Bestandshöhe der zentralisierten Sicherheitsbestände einer Materialart geringer ist als die Summe der einzelnen Sicherheitsbestände.181 Die Zentralisierung der Sicherheitsbestände einer Materialart ist dann vorteilhaft, wenn die kostenmäPigen Vorteile der Zentralisation nicht durch Nachteile in Form von erhöhten Transportkosten kompensiert werden. Dies begründet sich darauf, daß sich infolge der Zentralisation die Transportwege in ihrer durchschnittlichen Länge erhöhen. kann in der Weise bei einer Bestandssenkung beDie Assortieriingsfunktion rücksichtigt werden, daß die zugrundeliegende Produktionsfunktion hinsichtlich des Zulassens von Qualitätschwankungen geändert wird. Weitere Ansatzpunkte stellen eine Normung von Einsatzmaterialien oder die Bildung von Gleichteilen dar. 182 Der Abbau von Beständen aufgrund der Assortierungfunktion liegt nicht als Ganzes im Aufgabenfeld der industriellen Materialwirtschaft, sondern in Zusammenarbeit mit der Fertigungswirtschaft und der Konstruktion, da diese Aspekte Fragen der Produktgestaltung betreffen.

3. Die Ausgestaltung der Lagerhaltung im Rahmen der Materialwirtschaft

Unter Hinzuziehung von Merkmalen lassen sich die vielfältigen realen Erscheinungsformen von Lagern in eine gedankliche Ordnung bringen. Bei der Auswahl der Merkmale werden im Rahmen der Untersuchung nur solche berücksichtigt, die keinen Bezug zu außerbetrieblichen Faktoren wie den Absatzmarkt aufweisen, da die Planung und Ausgestaltung dieser Lager 180

181

Vgl. Galbraith, S. 6.

Vgl. Merkel, H.H.: Simulationsmodelle für die Optimierung interdependenter logistischer Prozesse, Diss., Bremen 1981, S. 147 ff. 182 Vgl. Ihde, Bestandsmanagement, S. 11. 6*

84

. Die

der Materialwirtschaft

nicht der Materialwirtschaft zugeordnet werden. Daher sollen im folgenden Lagerarten nach den Merkmalen des Lagerobjekts und der Stellung des Lagers im betrieblichen Leistungserstellungsprozeß, der räumlichen und sachlichen Lagerzentralisierung sowie nach der Lagerordnung, der Lagerbauart, der Lagereinrichtung und der Lagerhilfsgeräte unterschieden werden.

a) Die Einteilung des Lagerwesens nach den Lagerobjekten Als Lagerobjekte kommen grundsätzlich alle beweglichen Sachgüter in Frage. Hierzu zählen unter anderem Teile des Anlagevermögens, Materialien, Werkzeuge sowie Fertigerzeugnisse und Handelswaren. 183 Güter des Anlagevermögens und Werkzeuge stellen insofern Sonderfälle der Lagerung dar, weil sie nicht der Forderung nach einem möglichst hohen Lagerumschlag unterworfen sind. 184 Vielmehr ist insbesondere bei Gütern des Anlagevermögens, die als Reserve für den Fall eines Ausfalls der genutzten Anlagen gehalten werden, Ziel, sie überhaupt nicht einsetzen zu müssen.185 Die Unterscheidung von Lagerarten nach dem Merkmal der Lagerobjekte kann sich im Rahmen der industriellen Materialwirtschaft auf die Objekte Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie unfertige Erzeugnisse erstrecken. Da sich die Bezeichnungen Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe auf ihren Bezug zum späteren Fertigerzeugnis beziehen und bei Betrachtung der gesamten Erzeugnisbreite eines Unternehmens bestimmte Materialien bei einem Leistungserstellungsprozeß ihren Einsatz als Rohstoff finden, kann dieselbe Rohstoffart bei einem anderen Leistungserstellungsprozeß im Unternehmen als Hilfsstoff verwendet werden. Weiterhin können Materialien beider Kategorien die gleichen Anforderungen an das Lager stellen, die zum Beispiel auf ihren chemischen oder physikalischen Eigenschaften beruhen, so daß eine getrennte Lagerung einzig aufgrund der unterschiedlichen Bezeichnung in einem Rohstoff- und einem Hilfsstofflager nicht sinnvoll ist. Aus diesem Grunde werden Roh-, Hilfs- und auch Betriebsstoffe im Hinblick auf ihre Anforderungen an die Lageraus gestaltung als Lagerobjekte für ein bestimmtes Lager zusammengefaßt. In gleicher Weise kann die 183

Vgl. Göldner, Aufbauorganisation, S. 31 ff. Von immateriellen Lagerobjekten wie Rechte oder Zahlungsmittel sei hier abgesehen. Vgl. hierzu Findeisen, Lagerprozeß, S. 313. Ebenfalls nicht berücksichtigt werden Sachgüter, die für andere Unternehmensbereiche gelagert werden, wie zum Beispiel Schreibwaren für die Verwaltung oder Vorräte der Werkskantine. Vj*l. Göldner, Aufbauorganisation, S. 26. Zur Lagerung von Werkzeugen vgl. Mostafa, Sanaul: Die industrielle Werkzeugwirtschaft, Diss., Witzenhausen 1990, S. 98 ff. Zur Lagerung von Fertigerzeugnissen und Handelswaren vgl. Kalveram. S. 189 ff. 185

Vgl. Göldner, Aufbauorganisation, S. 26.

III. Das Lagerwesen

85

Lagerung von unfertigen Erzeugnissen, die in der Regel Stückgüter darstellen, zusammen mit den Fertigerzeugnissen geschehen, obwohl diese nicht zum Objektumfang der betrieblichen Materialwirtschaft gehören. Werden die Lagerobjekte den Lagerfunktionen gegenübergestellt, ergibt sich folgendes Schaubild: ^^^Funktion Ausgleichs- Sicherungs- Assortierungs- SpekulationsObjekt ^ ^

1)

Rohstoffe

X

X

X

Hilfsstoffe

X

X

X

Betriebsstoffe

X

X

Halbfabrikate

X

X

X

Halbfertigfabrikate

X

X

X

Veredelungs-

X

X X

Vgl. S. 26 dieser Arbeit

Abb. 7. Die Funktionen der objektbezogenen Lagerhaltung Quelle: In Anlehnung an Kupsch, Lager, Sp. 1033 f.

Die Ausgleichs- und Sicherungsfunktion kann bei allen Materialarten als Motiv der Lagerhaltung angeführt werden, denn die Gründe, die zu ihrer Lagerhaltung führen, stellen fertigungsbezogene oder informationelle Aspekte dar, die die industrielle Materialwirtschaft als Ganzes betreffen. Eine Lagerhaltung von Betriebstoffen aufgrund der Assortierungsfunktion ist deswegen nicht gegeben, da die Assortierungsfunktion solche Materialien betrifft, die in das Produkt eingehen. Die spekulative Lagerhaltung ist nur bei solchen Materialien sinnvoll, bei denen die Mengen- und/oder die Wertkomponente bedeutsam im Vergleich zu anderen Materialarten sind. Da Hilfsstoffe in der Regel B- oder C-Materialien sind und Halbfertigfabrikate im Unternehmen erstellt werden und es für sie unter Umständen keinen Beschaffungsmarkt gibt, beschränkt sich die Spekulationsfunktion auf Rohstoffe und Halbfabrikate. Betriebsstoffe wie Öle und Schmierstoffe sind ebenfalls als C-Materialien charakterisierbar und lassen sich darüber hinaus mittels Recyclingverfahren im Unternehmen wiedergewinnen, so daß sich die zu beschaffenden Mengen an Betriebsstoffen senken lassen. Die Veredelungsfunktion als Motiv der Lagerhaltung bestimmter Materialarten kann hauptsächlich bei Halbfertigfabrikaten beschrieben werden. Dies begründet sich darauf, daß alle anderen Materialarten in der Regel bereits mit den Eigenschaften beschafft werden, die die Produktionsfunktion vorgibt. Unter Abstraktion von Veredelungslagern, die sich unmittelbar an die Beschaffung

86

. Die

der Materialwirtschaft

anschließen, um kleinere qualitative Mängel zu beheben, stellen die Halbfertigfabrikate die bestimmende Materialart bei dieser Lagerfunktion dar, da die Halbfertigfabrikate im Unternehmen erstellt werden und vor der nächsten Fertigungstufe das Unternehmen nicht verlassen.

b) Die Einteilung des Lagerwesens nach der Stellung des Lagers im betrieblichen Leistungserstellungsprozeß Die Stellung des innerbetrieblichen Lagerwesens richtet sich nach dem betrieblichen Leistungserstellungsprozeß, der ablauforganisatorisch grob mit Beschaffung, Fertigung und Absatz umrissen werden kann. Die Verwaltung ist diesen Bereichen bei- und übergeordnet. Ein Lager kann hierbei sowohl zwischen den Bereichen Beschaffung und Fertigung, Fertigung und Absatz als auch zwischen Beschaffung und Absatz und Beschaffung und Verwaltung sowie innerhalb der Fertigung eingerichtet werden (vgl. Abb. 8). Lagerung 3 ) Verwaltung

Lagerung 2>

Beschaffung

Fertigung

LagerungLagerung 5 )

Absatz

Lagerungυ

Abb. 8. Die Einordnung des Lagerwesens in einen Industriebetrieb Quelle: Kroeber-Riel,

W.: Beschaffung und Lagerung - Betriebswirtschaftliche Grundfragen der Materialwirtschaft, Wiesbaden 1966, S. 78.

Der Fall eines Lagers zwischen Fertigimg und Absatz (Lagerung1) soll im weiteren nicht behandelt werden, da es sich bei den Lagerobjekten um

III. Das Lagerwesen

87

Fertigerzeugnisse und damit nicht um Objekte der industriellen Materialwirtschaft handelt. Ebenfalls findet die Lagerung zwischen Beschaffung und Absatz (Lagerung2) keine Beachtung, da solche Lager Problemfelder von Handelsbetrieben darstellen. In Industriebetrieben sind diese Lager Gegenstand der industriellen Warenwirtschaft. Die Lagerung von Gütern, mit der die Verwaltung eines Industriebetriebes versorgt werden soll (Lagerung3) tritt in ihrer betriebswirtschaftlichen Bedeutung hinter die der anderen Lager zurück. Die Lagerung bei der Versorgung der Verwaltung mit Materialien wie zum Beispiel Schreibmaterialien kann von anderen Lagern zusätzlich durchgeführt werden und soll nicht weiter beachtet werden. 8 6 Eine Lagerhaltung zwischen Beschaffung und Fertigung (Lagerung4) in Beschaffungs- (oder Eingangs-)lagern hat die Aufgabe, die Fertigung mit den von ihr benötigten Materialien zu versorgen. Solche Lager stellen gewissermaßen einen Ausgleich zwischen der Nachfrage der ersten zu versorgenden Fertigungsstelle nach Materialien und dem Angebot der Beschaffungsmärkte in zeitlicher und mengenmäßiger Hinsicht her. Die Ausgleichsfunktion führt somit eine mengenmäßige und zeitliche Abstimmung zwischen unterschiedlich strukturierten Beschaffungs- und Fertigungsprozessen herbei. Zusätzlich werden auch unvorhersehbare Bedarfsschwankungen durch die Einrichtung von Sicherheitsbeständen berücksichtigt. Die Fertigung wird auf diese Weise von Unsicherheiten auf den Beschaffungsmärkten unabhängiger. 187 Die Beschaffungslager erfüllen die Spekulationsfunktion in der Weise, daß sie zum Beispiel auf erwartete Preiserhöhungen mit einer erhöhten Bestellmenge reagieren. Hierbei muß noch eine Abwägung dergestalt durchgeführt werden, daß den Vorteilen der Antizipation von Bestellpreis und -menge die Nachteile in Form der erhöhten Lager- und Zinskosten gegenübergestellt werden. Zusätzlich kann ein Beschaffungslager auch die Assortierungsfunktion erfüllen. 188 Lager, die aufgrund der Veredelungsfunktion gebildet werden, sind strenggenommen bereits Bestandteil des Produktionsprozesses. Das Lager (Lagerung1 u n d 5 ) hat somit die Bedeutung einer Fertigungsstufe. Die Lager, die innerhalb des Fertigungsbereiches eingerichtet werden (Lagerung ), sind die Zwischenlager. Sie sind zwischen zwei Fertigungsstufen angesiedelt und nehmen als Lagerobjekte unfertige Erzeugnisse auf. Ein weiteres Kriterium ist, daß die Objekte weiterverarbeitet werden. Somit sind unfertige Erzeugnisse, die als Ersatzteile verkauft werden sollen, nicht Objekte der Zwischenlager, sondern der Absatzlager. 189 Die Aufgabe der Zwi186

Vgl. hierzu Kroeber-Riel, S. 80. Vgl. Kroeber-Riel, S. 78. 188 Vgl. Kupsch, Lager, Sp. 1031. 189 Vgl. Beste, Th.: Das Zwischenlager, in: Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung, 37. Jg. 1943, S. 83. 187

88

. Die

der Materialwirtschaft

schenlager besteht hauptsächlich darin, unterschiedlich dimensionierte, aber leistungsmäßig verbundene Fertigungsstellen aufeinander abzustimmen. Die Ausgleichsfunktion kann als die Hauptaufgabe der Zwischenlager bezeichnet werden. 190 Ebenfalls von Bedeutung sind die Sicherungsfunktion, die durch Reservelager abgedeckt wird, und die Veredelungsfunktion. Die Assortierungsfunktion wird insofern erfüllt, als der Fertigungsprozeß Anforderungen an die Materialien in bezug auf ihre Zusammensetzung oder Zerlegung sowie ihre Reihenfolge stellt. 191 Kaum Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Spekulationsfunktion, da die Zwischenlager keinen Bezug zum Beschaffungsmarkt aufweisen. 192 Zusammenfassend werden in Abb. 9 den Beschaffungs- und Zwischenlagern die von ihnen zu erfüllenden Lagerfunktionen gegenübergestellt:

^^^Junktion Ausgleichs- Sicherungs- Assortierungs- SpekulationsLagerart n ^ Beschaffungslager

X

X

X

Zwischenlager

X

X

X

Veredelungs-

X X

Abb. 9. Die Funktionen von Beschaffungs- und Zwischenlagern Quelle: In Anlehnung an Kupsch, Lager, Sp. 1031 ff und Pfohl, Logistiksysteme, S. 96 f.

c) Die Einteilung des Lagerwesens nach der räumlichen und sachlichen Zentralisierung Bei Zugrundelegung des Merkmals 'räumliche Zentralisierung' wird unterschieden, ob als Ausprägungsform eine Zentralisierung von Lagern und damit von Materialien in einem Zentrallager in Frage kommt, oder ob eine räumliche Dezentralisierung in mehreren Lagerorten vorzuziehen ist. Eine sachliche Zentralisierung von Materialien bezieht sich darauf, ein bestimmtes Material nur noch in einem bestimmten Lager einzulagern. Eine sachliche Dezentralisierung hat zum Inhalt, ein bestimmtes Material inner190 191 192

Vgl. Kroeber-Riel, S. 79. Vgl. Pfohl, Logistiksysteme, S. 97. Vgl. Kupsch, Lager, Sp. 1031.

III. Das Lagerwesen

89

halb einer Unternehmung an mehreren dezentralen und damit räumlich getrennten Lager orten vorrätig zu halten. 193 Im Unterschied zur räumlichen Zentralisierung sind bei der Dezentralisierung noch andere Lager vorhanden, da sich diese Betrachtungsweise jeweils nur auf ein bestimmtes Material bezieht, während die räumliche Zentralisierung alle Materialien gleichzeitig betrachtet. Bei Zentralisation von Materialien sind die Größeneffekte zu berücksichtigen, die mit einer Lagerzentralisierung verbunden sind wie zum Beispiel die Errichtung, Ausgestaltung und Unterhaltung nur noch eines Zentrallagers. Ein weiterer Vorteil eines Zentrallagers ist in einem geringeren durchschnittlichen Lagerbestand zu sehen.194 Dies begründet sich auf statistische Ausgleichseffekte infolge der räumlichen Zusammenfassung bisher dezentral gelagerter Bestände. 9 5 Damit zusammenhängend lassen sich geringere Kapitalbindungskosten durch den geringeren durchschnittlichen Lagerbestand anführen. Ferner bietet eine Zentralisierung bessere Mechanisierungs- und Automatisierungsmöglichkeiten. Eine Zusammenfassung von Materialien in einem Zentrallager gewährleistet infolge der konzentrierten Lagerung die Übersichtlichkeit des Lagers und erleichtert die Bestandsüberwachung. Als Nachteil können bei einer Zentralisierung von Beständen unter Umständen höhere Kosten für den innerbetrieblichen Transport der ausgelagerten Materialien zu ihren Bedarfsorten hin auftreten, da die durchschnittlich zurückzulegende Wegstrecke länger ist. Dies schlägt sich auch in einer längeren Anlieferungszeit nieder, so daß zum Beispiel der Umtausch falsch gelieferter Materialien mehr Zeit in Anspruch nehmen wird. 196

d) Die Einteilung des Lagerwesens nach der Lagerordnung Die Zuordnung von Materialart und Lagerort innerhalb eines Lagers wird als Lagerordnung bezeichnet.197 Ablauforganisatorisch gesehen tritt dieser Sachverhalt bei der Einlagerung von Materialien auf. Hierbei lassen sich unter der Zielsetzung einer Minimierung der Transportkosten in einem Lager zwei mögliche Zuordnungen von Lagerobjekt und Lagerort anführen. 193

Vgl. Göldner, Aufbauorganisation, S. 34 f. Vgl. Kroeber-Riel, S. 89. Vgl. hierzu Merkel, S. 147 ff. 196 Vgl. Teller, S. 33 f.

194

195

197

Vgl. Horvarth, P.: Materialwirtschaft, in: Handbuch der neuen Techniken des Industrial Engineering, hrsg. von K.-H. Engel, München 1972, S. 1152.

90

. Die

der Materialwirtschaft

Bei der starren Zuordnung erfolgt die Einlagerung der Materialien an die Lagerorte in einem Lager nach einem bestimmten System. Diese systematische Lagerung ordnet jeder Materialart im voraus einen bestimmten Lagerort zu. Die Vorabbestimmung des Lagerortes kann zum Beispiel mit Hilfe einer ABC-Analyse durchgeführt werden, die denjenigen Materialien einen transportgünstigen festen Lagerplatz zuordnet, bei denen eine hohe Umschlagshäufigkeit zu beobachten ist. Der Vorteil einer solchen systematischen Lagerung ist, daß der Lagerort der Materialien bekannt ist, was insbesondere eine manuelle Ein- und Auslagerung erleichtert. Nachteilig wirkt sich bei dieser Lagerordnung der Sachverhalt aus, daß die Lagerraumkapazität so bemessen sein muß, daß die maximale Menge einer Materialart an diesem Lagerort eingelagert werden kann. Dies bedeutet in der Konsequenz, daß der Lagerraum durchschnittlich nur zur Hälfte genutzt wird. 198 Besonders bei Bestandserhöhungen infolge der Sicherungs- und Spekulationsfunktion kann die Lagerraumkapazität für ein bestimmtes Material an ihre Grenzen gelangen. Diese Nachteile treten bei einer flexiblen Lagerordnung nicht auf. Die Ursache liegt darin begründet, daß bei dieser Vorgehensweise den Materialien nicht mehr vorab feste Lagerorte zugewiesen werden, sondern die Einlagerung dergestalt erfolgt, daß den Materialien die nächstliegenden freien Lagerorte zugeordnet werden. Die eingelagerte Gesamtmenge einer Materialart ist somit auf mehrere Lagerorte verteilt. Durch diese Aufteilung der Gesamtmenge einer Materialart sinkt der insgesamt benötigte Lagerraum. Die Materialentnahme aus dem Lager erfolgt unter dem Aspekt der Transportkostenminimierung aus dem nächstgelegenen Lagerrort. Die flexible Lagerordnung wird auch als chaotische Lagerung bezeichnet.199 Es ist ersichtlich, daß bei einer solchen Lagerordnung infolge der anfallenden Datenmengen keine oder nur beschränkt eine manuelle Handhabung erfolgen kann. Die Ein- und Auslagerung wird durch mechanisierte und computergesteuerte automatische Lagersysteme unterstützt. Die Lagerverwaltung greift ebenfalls auf eine EDV-Unterstützung zurück, 200 denn es ist ersichtlich, daß dem Lagersystem jederzeit bekannt sein muß, welche Lagerorte zur Zeit frei sind und welcher davon die geringsten Transportkosten verursacht. Bei der Einlagerung wird zusätzlich berücksichtigt, welche Anforderungen das zu lagernde Material an das Lager stellt. Hierbei ergibt sich der geeignete Lagerort für ein bestimmtes Material zunächst aus einer Betrachtung der Lagerungsart wie Palette oder Lagerfach. Diese Entscheidung legt den Lagerbereich fest, wie sogenannte Kleinteilelager oder Stück198 199 200

Vgl. Krycha, S. 156. Vgl. Hotvarth, S. 1152. Vgl. Ihde, Logistik, S. 249.

III. Das Lagerwesen

91

gutlager. An einem Lagerort mit der Dimensionierung "1 Palette" werden auch mehrere Materialarten eingelagert, um die Lagerkapazitätsauslastung in diesem Lagerort zu erhöhen und damit die benötigte Gesamtlagerkapazität zu senken. Die Auslagerung erfolgt nicht nur unter dem Kriterium Transportkostenminimierung, sondern das EDV-gestützte Lagerverwaltungssystem kann je nach Bedarf andere Prioritätsregeln in den Lageralgorithmus einbeziehen. In diesem Sinne werden zum Beispiel verderbliche Materialien dergestalt berücksichtigt, daß das jeweils älteste Material ohne Berücksichtigung der Transportwege zuerst ausgelagert wird, um Materialschäden im Sinne eines Verlustes physikalischer oder chemischer Eigenschaften infolge der Lagerung vorzubeugen. Um dies zu gewährleisten, ist es notwendig, Herstellungsdaten, Einlagerungstermine und Verfalltermine der einzelnen Materialien zu überwachen. Infolge der großen dabei zu bewältigenden Datenmenge erscheint eine EDV-Unterstützung sinnvoll. Der besseren Lagerraumausnutzung bei einer flexiblen Lagerordnung stehen höhere Investitionen in das Lagersystem wie zum Beispiel in Regalund Transportsysteme sowie die EDV-technische Unterstützung der Lagerverwaltung gegenüber. Die endgültige Ausgestaltung der Lagerordnung, ob als systematische oder chaotische Lagerung, wird in der Regel in Form eines Kompromisses erfolgen. 201 Aspekte der starren oder systematische Lagerordnung werden in der Weise berücksichtigt, daß Lagerbereiche gebildet oder eine ABC-Analyse über die Umschlagshäufigkeit der Materialien durchgeführt werden. Elemente einer flexiblen oder chaotischen Lagerung wie der EDV-technischen Zuordnung von Lagergut und Lagerort nach dem Prinzip des nächstgelegenen freien Lagerortes lassen sich hierbei ebenfalls verwirklichen. 202

e) Die Einteilung des Lagerwesens nach der Lagerbauart Nach der Lagerbauart lassen sich offene, halboffene und geschlossene Lager sowie Speziallager unterscheiden. 203 201 Vgl. hierzu Zoller, K.: Zur Bereitstellung und Nutzung von Lagerraum: Kosten- und Kapazitätseffekte der Einlagerungsorganisation, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 34. Jg. 1982, S. 83 ff., der anhand eines Rechenbeispiels den Kapazitätsbedarf, die Auslastung und die Lagerkosten für eine systematische, chaotische und gemischte Lagerung gegenüberstellt und dabei unter anderem zu dem Ergebnis gelangt, daß die chaotische Lagerung in bezug auf den Kapazitätsbedarf den niedrigsten Wert und bei der Auslastung und den Lagerkosten pro Jahr den höchsten Wert im Vergleich aufweist (vgl. Zoller, S. 99). 202 Vgl. Ihde, Logistik, S. 219. 203 Vgl. Chmielewski, W.: Lagerwirtschaft, Berlin 1959, S. 26 ff.

92

. Die

der Materialwirtschaft

Eingezäunte Lagerflächen ohne Überdachung werden als offene Lager bezeichnet. Wird die Lagerfläche überdacht, handelt es sich um halboffene Lager. Gebäude wie Hallen sind in dieser Terminologie geschlossene Lager. Sonderformen wie Silos oder Tanklager werden als Speziallager bezeichnet. 204 Bei einer Lagerung in Gebäuden kommen als Formen unter anderem Flachlager, Stockwerkslager sowie Hochregallager und Traglufthallen in Frage. Flachlager befinden sich in nichtunterkellerten, einstöckigen Hallen. Im Unterschied dazu sind Stockwerkslager im Prinzip übereinander angeordnete Flachlager. Die Hochregallager weisen eine sehr große Höhe bei eingeschossiger Bauweise auf. Eine Sonderform stellen die Traglufthallen dar, denn diese sind für kurz- bis mittel fristige Lagerungen konzipierte provisorische Lösungen zur Überbrückung von Lagerengpässen.205 Die Lagerung in offenen oder halboffenen Lagern wird als Außenlagerung bezeichnet, während die Lagerung in Gebäuden eine Innenlagerung darstellt. 206 Die Entscheidung für eine bestimmte Lagerbauart ist davon abhängig, welche Materialien als Lagerobjekte in Frage kommen. Es muß durch die Lagerbauart gewährleistet sein, daß die Materialien infolge der Lagerung keine unerwünschten Qualitäts- oder Quantitätsveränderungen erfahren. Die Außenlagerung ist in bezug auf die unmittelbaren Kosten der Lagerung vorteilhafter als eine Innenlagerung, aber infolge von Witterungseinflüssen relativ ungeschützt, so daß eine Qualitätsminderung der Materialien die Folge sein kann. Quantitätsverluste entstehen bei der Außenlagerung durch Verdampfen und Diffundieren von Flüssigkeiten oder auch durch Schwund infolge von Diebstahl. Dies um so mehr, als sich Außenlager oftmals am Rand von Betriebsgeländen befinden oder teilweise ihren Standort außerhalb des eigentlichen Betriebsgeländes haben. Durch die Entscheidung für eine Innnenlagerung kann diesen Nachteilen der Außenlagerung Rechnung getragen werden. Obwohl kostenintensiver, ist für die Lagerung von Materialien eine Innenlagerung vorzuziehen. Eine Außenlagerung eignet sich für Massengüter, die entweder witterungsunempfindlich oder bei denen Qualitäts- oder Quantitätsveränderungen von untergeordneter Bedeutung sind wie zum Beispiel bei schrottverarbeitenden Industrien, die die beschafften Materialien (Metalle) unter freim Himmel lagern. Auch kann eine Außenlagerung für eine kurzfristige Überbrückung von Lagerraumengpässen in Frage kommen. 207 204

Vgl. Grochla, Grundlagen, S. 128. Vgl. Kettner/Schmidt/Greim, S. 304. Abschreibungstechnisch gesehen gilt ein Hochregallager als Maschine, wobei als Abschreibungsdauer durchschnittlich 10 Jahre angenommen werden. Vgl. Czeguhn, K.: Probleme und Tendenzen in der Förder- und Lagertechnik, in: fördern und heben, 29. Jg. 1979, S. 297. 206 Vgl. Kroeber-Riel, S. 86. 207 Vgl. Kroeber-Riel, S. 86. 205

III. Das Lagerwesen

93

Mit den Ausführungen zum innerbetrieblichen Lagerwesen ist die Materialwirtschaft in ihrem Aufgabenumfang vollständig beschrieben. Im folgenden wird ein materialwirtschaftliches Zielsystem entwickelt und in seinen Beziehungen zu den materialwirtschaftlichen Aufgaben beschrieben.

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft Das Verhältnis zwischen materialwirtschaftlichen Aufgaben und Zielen ist darin zu sehen, daß ein Ziel das gewünschte Ergebnis ausdrückt, während die Aufgabe den Weg zur Zielerreichung beschreibt. Ein materialwirtschaftliches Zielsystem als Ordnungschema von einzelnen Zielen1 stellt für die materialwirtschaftlichen Aufgaben einen übergeordneten Bezugsrahmen dar. Die industrielle Materialwirtschaft wird überwiegend in einem Bereich kurzfristiger, dispositiver Entscheidungen und damit zusammenhängend kurzfristiger Zielvorstellungen gesehen. Es gilt aber, langfristige, markt- und betriebsbezogene Zielvorstellungen für die Materialwirtschaft zu entwickeln, in die die kurzfristigen Ziele eingebettet sind.2 Der Grund für die Entwicklung eines materialwirtschaftlichen Zielsystems ist darin zu sehen, daß die Materialwirtschaft ein nicht zu vernachlässigendes Potential an Rationalisierungsmöglichkeiten bietet, wenn beachtet wird, daß der Anteil der Materialkosten an den Herstellkosten bis zu 50% betragen kann und der Anteil der Vorräte am Umlaufvermögen sich im Bereich von 28,7% (chemische Industrie) und 58,6% (Leder- und Textilindustrie) bewegt.3 Im folgenden soll daher ein Zielsystem für die Materialwirtschaft entwickelt werden, das dem oben beschriebenen Handlungsbedarf Rechnung trägt.

I. Der grundlegende Aufbau eines Zielsystems

Die Erörterungen in bezug auf den grundlegenden Aufbau eines Zielsystems haben zum Inhalt, die Entwicklung eines materialwirtschaftlichen Zielsystems auf eine theoretische Basis zu stellen. Für die Formulierung materialwirtschaftlicher Ziele und die Einordnung in ein Zielsystem ist es notwendig, zunächst zu klären, welche Anforderungen an die ZielformulieVgl. Hauschildt, J.: Zielsysteme, in: Handwörterbuch der Organisation, 2., völlig neu gestaltete Aufl., hrsg. von E. Grochla, Stuttgart 1980, Sp. 2420. 2 Vgl. Grochla, Unternehmensführung, S. 2. 3 In der betreffenden Untersuchung wird der Begriff auf Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, Halb- und Fertigerzeugnisse sowie Handelswaren ausgedehnt. Vgl. Grochla et al., S. 119.

I. Der grundlegende Aufbau eines Zielsystems

95

rung gestellt werden, und welche Beziehungen zwischen einzelnen Zielen die Einordnung dieser in ein Zielsystem begründen. Dem Aufbau eines unternehmerischen Zielsystems liegt die Auffassung zugrunde, daß innerhalb eines Unternehmens versucht werden muß, das Handeln aller Mitarbeiter an gemeinsamen Zielen auszurichten. Ein Zielsystem weist hierdurch den Charakter eines Führungsinstrumentes auf 4 und dient dadurch der Verhaltenslenkung der Mitarbeiter. Die Führung durch Zielsetzung verfolgt als grundlegende Annahmen zum einen eine Vorstellung dergestalt, daß das erzielte Arbeitsergebnis um so zweckmäßiger erreicht wird, je genauer dem einzelnen Mitarbeiter das gewünschte Ergebnis mitgeteilt wird und er seine Tätigkeit in den Rahmen der betrieblichen Leistungserstellung einordnen kann. Zum anderen wird sich neben dem Rationalisierungseffekt eine Motivationssteigerung ergeben.5 Durch eine solche zielgesteuerte Unternehmensführung werden die Aufgaben der einzelnen Mitarbeiter aufeinander abgestimmt und tragen zur Verwirklichung übergeordneter Zielvorstellungen bei, die sich nicht auf einzelne Mitarbeiter beschränken lassen.6 Die Ziele sind somit aufgabenbezogen zu verstehen.7 Dies bedeutet für die Formulierung eines materialwirtschaftlichen Zielsystems, daß die einzelnen Ziele vor dem Hintergrund der Aufgaben der Materialwirtschaft wie zum Beispiel Bedarfsermittlung, Einkauf, Lagerung oder innerbetrieblichem Transport zu formulieren sind.8 Im allgemeinen tragen Ziele dazu bei, die Umsetzung von Plänen zu kontrollieren und zu steuern. Ziele stellen somit die Maßgröße dar, anhand derer die Verwirklichung der Pläne überwacht wird. 9 Ein Zielsystem kann als Ausdruck der Ordnung von Zielen anhand eines bestimmten Kriteriums 10 interpretiert werden. Es gibt nicht das unternehVgl. Häusler, J.: Führungsstile und Führungsverhalten, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. von E. Grochla und W. Wittmann, 4., völlig neu gestaltete Aufl.. Stuttgart 1979., Sp. 1578. 5 Vgl. Lattmann, C.: Führung durch Zielsetzung, Bern/Stuttgart 1977, S. 12 und Schmalenbach, E.: Pretiale Wirtschaftslenkung, Band 2, Pretiale Lenkung des Betriebes, Bremen-Horn 1948, S. 8 ff. 6 Vgl. ähnlich Bidlingmaier, J.: Zielkonflikte und Zielkompromisse im unternehmerischen Entscheidungsprozeß, Wiesbaden 1968, zugleich Diss., Berlin 1962 unter dem Titel: Grundlagen einer betriebswirtschaftlichen Theorie vom Unternehmerverhalten, S. 37. 7 Vgl. Heuer, S. 129. 8 Vgl. hierzu auch Grochla et al., S. 24. 9

Vgl. Szyperski, N.: Das Setzen von Zielen - Primäre Aufgabe der Unternehmungsleitung,1 0in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 41. Jg. 1971, S. 650 f. Zu den Kriterien vgl. Strebel, H.: Zielsysteme und Zielforschung, in: Die Betriebswirtschaft, 41. Jg. 1981, S. 459 f.

96

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft

merische Zielsystem, sondern in einem Unternehmen lassen sich entsprechend der betrieblichen Gegebenheiten mehrere Zielsysteme für ganze Unternehmensfunktionen, einzelne Abteilungen oder einzelne Mitarbeiter beschreiben. In diesem Falle erfolgt die Ableitung des Zielsystems anhand der Zuordnung von Zielen zu verschiedenen Unternehmensbereichen. Ein Kriterium, anhand dessen die Strukturierung und Ordnung innerhalb eines unternehmerischen Zielsystems erfolgt, ist die ZweckMittel-Beziehung zwischen einzelnen Zielen und (Teil-)Zielsystemen.11 Ebenfalls zur Ableitung von Zielsystemen dienen beispielsweise die Kriterien Präferenz oder Planungshorizont.12 Die Instrumentalbeziehungen zwischen einzelnen Zielen führen zu einer Über- und Unterordung von Zielen, die sich anhand einer Zielpyramide als Ausdruck der Zielhierarchie darstellen lassen13 (vgl. Abb. 10). Zweck-Mittel-Beziehungen bestehen nicht nur zwischen über- und untergeordneten Zielen, sondern auch zwischen Zielen gleicher Hierarchiestufe.

Abb. 10. Zielpyramide als Ausdruck der Zielhierarchie Quelle: In Anlehnung an Heuer, S. 130.

11

Zur Kritik an der Zweck-Mittel-Beziehung als Ordnungsfaktor von Zielen vgl. Eisenführ, F./Weber, M.: Zielstrukturierung: ein kritischer Schritt im Entscheidungsprozeß, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 38. Jg. 1986, S. 910 f. und Schreyögg, G.: Unternehmensstrategie - Grundfragen einer Theorie strategischer Unternehmensführung, Berlin/New York 1984, S. 245 ff. 12 Vgl. Strebel, S. 459 f. 13 Vgl. Bidlingmaier, J./Schneider, D.J.G.: Ziele, Zielsysteme und Zielkonflikte, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. von E. Grochla und W. Wittmann, 4., völlig neu gestaltete Aufl., Stuttgart 1976, Sp. 4734. 14 Vgl. Pfohl, H.-Ch.: Planung und Kontrolle, Stuttgart u.a. 1981, S. 77.

II. Die Erfassung und die Ordnung betriebswirtschaftlicher Ziele

97

In der Formulierung und der Einbindung der Zielsysteme von Unternehmensbereichen in das gesamte Unternehmenszielsystem zeigt sich der Stellenwert, der diesem Unternehmensbereich zugestanden wird. Es ergibt sich auch die Notwendigkeit, das für einen spezifischen Unternehmensteil formulierte Zielsystem in Einklang sowohl mit den anderen Zielen und Zielsystemen von anderen Unternehmensbereichen, als auch den gesamtunternehmensbezogenen Zielen zu bringen. 15

II. Die Erfassung und die Ordnung betriebswirtschaftlicher Ziele 1. Anforderungen an die Formulierung von Zielen

Unter einem Ziel wird ein anzustrebender zukünftiger Zustand verstanden, der nach drei Richtungen präzisiert werden muß, "und zwar hinsichtlich des Inhaltes, des angestrebten Ausmaßes und des zeitlichen Bezugs der einzelnen Ziele."16 Wird das Rangverhältnis zwischen einzelnen Zielen in den Vordergrund gestellt, lassen sich Ober- und Unterziele ableiten.17 Die Anforderungen, die an ein unternehmerisches Zielsystem gestellt werden, beziehen sich in formaler Hinsicht auf den Zielinhalt und den zeitlichen Bezugsrahmen. Auf materieller Seite lassen sich die Kompatibilität, die Operationalität und die Rangfolge der Ziele untereinander sowie die Operationalität der einzelnen Ziele anführen. 18 Als Funktion von Zielen kann angeführt werden, daß sie zum Ausdruck bringen, "mit welchem (gütermäßigen oder monetären) Ergebnis der Aufgabenerfüllung gerechnet wird. 19 Ziele dienen somit als Basis für die Ableitung des Aufgabeninhaltes. Neben dieser Funktion steuern Ziele den Mitteleinsatz in einer Unternehmung. Ein Ziel stellt im Rahmen des ökonomischen Prinzips den gewünschten Ertrag oder das gewünschte Ergebnis dar. Die Steuerung des Mitteleinsatzes im Hinblick auf das ökonomische Prinzip ist nur bei Kenntnis des angestrebten Ergebnisses möglich.20 Der Terminus 15

Vgl. Pfohl, Planung, S. 254 f. Heitien, E.: Grundlagen betriebswirtschaftlicher Entscheidungen - Das Zielsystem der Unternehmung, 3., durchgesehene Aufl., Wiesbaden 1976, S. 45. Vgl. ebenfalls Wittstock, J.: Elemente eines allgemeinen Zielsystems der Unternehmung, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 40. Jg. 1970, S. 834. 17 Vgl. Heinen, Zielsystem, S. 102 f. 18 Vgl. Schmidt-Sudhoff, U.: Unternehmerziele und unternehmerisches Zielsystem, Wiesbaden 1967, S. 111 ff. 19 Berthel, J.: Zielorientierte Unternehmenssteuerung - Die Formulierung operationaler Zielsvsteme, Stuttgart 1973, S. 5. Vgl. Berthel, S. 5. 16

7 Brecht

98

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft

"gewünschtes Ergebnis" bezieht sich auf die Dimensionen eines Zieles - den Inhalt, das Ausmaß und den zeitlichen Bezug. Damit Ziele und damit zusammenhängend Zielsysteme als Ausdruck der Ordnung einzelner Ziele unter dem Aspekt der Mittel-Zweck-Beziehung eine Steuerungsfunktion erfüllen können, ist es notwendig, dem handlungsgestaltenden Einfluß von Zielen Rechnung zu tragen, indem die Formulierung der Ziele in einer Weise erfolgt, daß die Zielerfüllung eindeutig nachgeprüft werden kann.21 Damit eine Überprüfung der Zielerreichung gewährleistet ist, muß der Zielinhalt konkretisiert werden. Das Kriterium der Eindeutigkeit hat zur Folge, daß der Begriff, der im Mittelpunkt der Zielformulierung steht, für alle Beteiligten in bezug auf seine gesamten Merkmale gekennzeichnet wird. 22 Der Begriff selbst kann sowohl ökonomischer als auch außerökonomischer Natur sein. Betriebs- und volkswirtschaftliche Aspekte, die sich als Zielinhalt unterlegen lassen, sind beispielsweise Gewinn und Rentabilität, Umsatz oder Marktanteile. Außerökonomische Zielinhalte beziehen sie zum Beispiel auf Prestige, Familientradition oder politischen Einfluß." Die Abgrenzung zwischen ökonomischen und außerökonomischen Zielinhalten gestaltet sich relativ schwierig, da zwischen den einzelnen Zielinhalten vielfältige Beziehungen bestehen, so daß beispielsweise eine Prestigesteigerung oder die werbewirksame Vermittlung der Familientradition durchaus umsatzsteigernde Wirkungen haben können.24 Das gewünschte Ausmaß, mit dem der Zielinhalt unterlegt wird, kann allgemein durch drei Grundkonzeptionen - Extremierung, Limitierung und Fixierung - beschrieben werden. Die Limitierung bringt zum Ausdruck, welchen konkreten Zustand es mindestens oder höchstens bei der Zielerfüllung zu erreichen gilt. Die Fixierung legt die gewünschten Ergebnisse im Sinne einer Zustandsbeschreibung genau fest. Es existiert bei der Fixierung somit ein konkreter Zustand, der erreicht werden muß, damit dieses Ziel als erfüllt gilt. Die Extremierung als Zielvorstellung ist abhängig vom Informationsstand der Beteiligten. Extremale Zielformulierungen stellen eine Handlungsanweisung dergestalt dar, daß unter allen bekannten Alternativen, die eine Zielerfüllung gewährleisten, bei Einhaltung gegebener Randbedingungen diejenige gewählt wird, die den wünschenswertesten Zustand zu erreichen verspricht. Bei Zugundelegung dieser Entscheidungsregel ist die Extre21

Vgl. Andrà, B.O.: Die Zielhierarchie eines Betriebes - Versuch einer Darstellung der Eigenschaften eines rationellen Zielsystems erwerbswirtschaftlich orientierter Betriebe, Diss., Bern/Stuttgart 1975, S. 103. 22 Vgl Andrà, S. 104. 23 Vgl. Heinen, Zielsystem, S. 59 ff. 24 Vgl. Bidlingmaier/Schneider, Sp. 4737 f.

II. Die Erfassung und die Ordnung betriebswirtschaftlicher Ziele

99

mierung mit der Fixierung gleichzusetzen, da bei beiden ein bestimmter Zu stand als zu erreichen gilt.

Bei Vorliegen von unvollkommenen Informationen ist eine Überprüfung der Zielerreichung von extremalen Zielformulierungen nicht gewährleistet, da es nicht nachvollziehbar ist, ob es nicht noch eine weitere Alternative gibt, die dem Aspekt der Extremierung gerechter wird. Es ergibt sich auch die Frage, ob die Extremierung eine eindeutige Zielformulierung darstellt, deren Ausmaß von allen Beteiligten gleich eingeschätzt wird. Als Lösungsansatz bietet sich an, Anspruchsniveaus für das Zielausmaß festzulegen. Die Anspruchsniveaus werden iterativ erhöht, bis ein Zustand, der einer "Verbesserung des Status quo oder des Übertreffens des Status alii" 26 gleichkomm durch keine Handlungsalternative erreicht werden kann.27 Die Extremierung als Zielvorstellung kann bei unvollkommenen Informationen nicht als Zielausmaß unterlegt werden. Bei vollkommenen Informationen, das heißt bei Kenntnis aller Handlungsalternativen und der damit erzielbaren Ergebnisse, ist sie mit der Fixierung gleichzusetzen. Da ein Ziel einen zu erreichenden Zustand beschreibt, stellt sich die Frage, ob und inwieweit Zielerreichungsgrade, zum Beispiel als Prozentangabe der Zielerfüllung, als Maßgröße sinnvoll sind. Der Grund liegt darin, daß im Sinne der Zieldimensionen ein Ziel nur dann erreicht ist, wenn der vorgebene, konkret zu erreichende Zustand verwirklicht ist. Ein Zielerreichungsgrad kann somit nicht bestimmt werden, da das Problem der quantitativen Messung des Zielerreichungsgrades nicht befriedigend gelöst werden kann. Bei quantifizierbaren Zielen wie beispielsweise 10 % mehr Umsatz in der nächsten Periode ist ein Alternativenvergleich unter der Maßgabe des Zielerreichungsgrades nicht sinnvoll, da eine Alternative, die 9 % mehr Umsatz verspricht, ökonomisch sinnvoller ist als eine, die - ceteris paribus - eine Umsatzsteigerung von nur 6 % erreicht. In beiden Fällen wird das gesteckte Ziel von 10 % nicht erreicht, und deshalb sind beide Alternativen im strengen Sinn gar keine Handlungsalternativen, da sie theoretisch das Ziel von 10 % auf jeden Fall erreichen müssen. Die Untersuchungen im Rahmen von Zielerreichungsgraden werden meistens als eine Art Soll-Ist-Vergleich dargestellt.28

25

Vgl. Andrà, S. 109 ff. Hauschildt, J.: Die Struktur von Zielen in Entscheidungsprozessen - Bericht aus einem empirischen Forschungsprojekt, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 25. Jg. 1973, S. 717. Vgl. Heinen, Zielsystem, S. 82 ff. 28 W.: Unternehmungsführungslehre, 2., überarbeitete Vgl. zum Beispiel Korndörfer, Aufl., Wiesbaden 1979, S. 42. 26

7*

100

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft

Der Zeitaspekt bei der Formulierung von Zielen legt den Zeitpunkt oder den Zeitraum fest, an dem bzw. in dem es gilt, die Ziele zu verwirklichen. Ziele lassen sich in ihrem zeitlichen Bezugsrahmen Zeitpunkt- oder zeitraumbezogen formulieren. Je nachdem, welcher Zeithorizont zugrundegelegt wird, lassen sich kurz-, mittel- und langfristige Ziele unterscheiden.29 Selbst bei Vorliegen von Zielinhalt und gewünschtem Ausmaß kann nicht von einem Ziel gesprochen werden, da unklar bleibt, wann die Verwirklichung eines Zieles abgeschlossen sein soll. Dies bedeutet, daß es auch unklar bleiben muß, wann mit der Überprüfung der Zielerreichung angefangen werden kann. Der letztgenannte Aspekt bringt implizit den Zusammenhang zwischen dem Zeitbezug von Zielen und ihrer Steuerungsfunktion zum Ausdruck. 30 Die Wahl eines geeigneten Zeithorizontes sowohl in bezug auf Zeitpunkte als auch Zeiträume sollte sich auf einen überschaubaren Rahmen erstrecken. Der Zeitraum darf zum einen nicht zu kurzfristig bemessen sein, damit das Treffen von Entscheidungen, die die Zielerreichung gewährleisten sollen, auch möglich ist. Zum anderen dürfen der Zeitpunkt oder der Zeitraum nicht zu sehr in der Zukunft liegen. Wird dem letztgenannten Aspekt nicht Rechnung getragen, besteht die Gefahr, daß die Ziele ihre Steuerungsfunktion verlieren und von den mit der Zielerfüllung betrauten Mitarbeitern als "unverbindliche Wunschvorstellungen" (Andrä) angesehen werden. 31 Als Einflußfaktoren auf die Festlegung des Zeitbezuges eines Zieles lassen sich der Zielinhalt und unternehmensspezifische Aspekte wie die Branchenzugehörigkeit anführen. 32 Der Zielinhalt hat hierbei dahingehend Auswirkungen, daß bei Sachverhalten, die für das Bestehen eines Unternehmens besonders wichtig sind, kurze Zeithorizonte gewählt werden, damit eine - im Extremfall - tägliche Überprüfung gewährleistet ist, wodurch sie teilweise ihren Charakter als Ziel verlieren und eher als Nebenbedingung unternehmerischen Handelns kennzeichenbar sind. Als Beispiel kann das Postulat der Liquidität herangezogen werden. Unternehmensspezifische Gegebenheiten haben zur Konsequenz, daß die Formulierung von Zielen beispielsweise für den Produktionsbereich einer Unternehmung nicht ohne Abstimmung mit produktionstech29

Im allgemeinen weisen kurzfristige Zielvorstellungen einen Zeithorizont von bis zu einem Jahr, mittelfristige einen von ein bis fünf Jahren und langfristige einen darüberliegenden Zeithorizont auf. Vgl. Heinen, Zielsystem, S. 119 ff. Die Unterlegung der Ausdrücke lang-, mittel- und kurzfristig mit konkreten Zahlenangaben ist vor dem Hintergrund unternehmensSp. 4738 f. und 3branchenspezifischer Gesichtspunkte zu sehen. Vgl. Bidlingmaier/Schneider, 0 Vgl. Berthel, S. 45. 31 Vgl. Andrä, S. 113 ff. 32

Vgl. Drucker, P.F.: Praxis des Management - Ein Leitfaden für die Führungs-Aufgaben in der modernen Wirtschaft, Düsseldorf 1956, S. 109 ff.

II. Die Erfassung und die Ordnung betriebswirtschaftlicher Ziele

101

nischen Gegegebenheiten (Durchlaufzeiten, Maschinenlaufzeiten etc.) erfolgt 3 3 Im Rahmen eines Zielsystems kommt dem Zeitaspekt von Zielen eine besondere Bedeutung zu. Der zeitliche Rahmen eines Zieles kann nicht unabhängig von der Einordnung dieses Zieles in ein hierarchisches Zielsystem gesehen werden. Die betrieblichen Oberziele legen die maximale zeitliche Erstreckung der untergeordneten Ziele fest. Falls die zeitliche Staffelung innerhalb eines Zielsystems nicht gegeben ist, könnte ein untergeordnetes Ziel über die Geltungsdauer des Oberzieles hinausreichen. Anders ausgedrückt, würde das untergeordnete Ziel als Mittel zur Erreichung des Oberzieles über den vom Oberziel verkörperten Zweck zeitlich gesehen hinausreichen. Der Zeithorizont der Oberziele ist somit der maximale zeitliche Rahmen für die jeweiligen untergeordneten Ziele. 34 Die Unterteilung von Zielen in bezug auf ihre Rangfolge in Unter- und Oberziele kann somit mit der Dimensionierung von Zielen bezüglich ihrer Zeiteinteilung kombiniert werden, da langfristige Ziele in der Regel Oberziele und kurzfristige Ziele Unterziele darstellen. Der Fall, daß die abgeleiteten Unterziele zeitlich über das Oberziel hinausreichen, kann aus Gründen der Logik ausgeschlossen werden.

2. Das Zielsystem als Ausdruck einer Ordnung von Zielen

Die Erstellung eines unternehmensspezifischen Zielsystems hat zum Inhalt, die einzelnen Ziele in eine Ordnung zu überführen, wobei das Zielsystem als Ausdruck einer logischen und in der Regel widerspruchsfreien Ordnung verstanden wird. Die Feststellung von Zweck-Mittel-Beziehungen zwischen einzelnen unternehmerischen Zielvorstellungen führt zu einer Ordnung betrieblicher Ziele dergestalt, daß die einzelnen Ziele nunmehr in eine hierarchische Ordnung von unter- und übergeordneten Zielen überführt werden, wobei durch die mit der Erfüllung eines untergeordneten Zieles einhergehenden Ergebnisse die Ursache für die Realisierung eines übergeordneten Ziels darstellen.35 Graphisch kann dieser Sachverhalt folgendermaßen dargestellt werden:

33 34

35

Vgl. Berthel, S. 46 f. Vgl. Berthel, S. 45.

Vgl. Wild, J.: Grundlagen der Unternehmensplanung, Reinbek bei Hamburg 1974, S. 59 und Luhmann, N.: Zweckbegriff und Systemrationalität - Über die Funktion von Zwekken in sozialen Systemen, Tübingen 1968, S. 188.

102

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft

Ziel 4 Ziel 3 Ziel 2 Ziel 1

Mittel

Mittel

Mittel

Ziel 1 :

ζ. B. Produktivität

Ziel 2 :

ζ. B. Kostensenkung

Ziel 3 :

ζ. B. Gewinn

Ziel 4 :

ζ. B. Eigenkapitalrentabilität

Abb. 11. Ziel-Mittel-Verhältnis Quelle: Vgl. Hopfenbeck, W.: Allgemeine Betriebswirtschafts- und Management lehre - Das Unternehmen im Spannungsfeld zwischen ökonomischen, sozialen und ökologischen Interessen, Landsberg am Lech 1989, S. 472.

Die Beziehungen, die innerhalb des Zielsystems zwischen den einzelnen Zielen herrschen, sind komplementärer, konfliktärer und indifferenter Art. Der Einwand, daß ein auf Zweck-Mittel-Beziehungen aufgebautes Zielsystem lediglich komplementäre Zielbeziehungen enthalten darf, 36 muß relativiert werden. Es kann durchaus sinnvoll sein, in einem Zielsystem Ziele zu berücksichtigen, die untereinander in einer konfliktären Beziehung stehen. Der Grund hierfür liegt darin, daß solche institutionalisierten Konflikte führungspolitische Wirkungen aufweisen. Die Notwendigkeit der Operationalisierung von Zielen besteht dadurch, daß erstens die konkrete Zielvorgabe für den Ausführenden eine Handlungsanweisung impliziert und ein motivatorischer Effekt ausgelöst wird. Operationalisierung bedeutet hierbei, daß eine Meßvorschrift der Zielformulierung unterlegt wird, die eine Überprüfung des Zielerreichungsgrades gewährleistet.37 Durch die alleinige Vorgabe eines betrieblichen Oberzieles (zum Beispiel Gewinnsteigerung in der nächsten Periode um 10%) kann der mit einer solchen Zielformulierung betraute Mitarbeiter keine konkrete

Vgl. Heinen, Zielsystem, S. 103 f. Vgl. Albach, H.: Entscheidungsprozeß und Informationsfluß in der Unternehmensorganisation, in: Organisation, Erster Band, hrsg. von E. Schnaufer, und K. Agthe, Berlin/Baden-Baden 1961, S. 357. 37

II. Die Erfassung und die Ordnung betriebswirtschaftlicher Ziele

103

Handlungsvorschrift ableiten. Zweitens dient der Grad der Zielerreichung als Maßstab für die Entlohnung.38 Die Zielhierarchie und damit die als Leistungsziele formulierten ZweckMittel-Beziehungen werden der unternehmensspezifischen Aufbauorganisation unterlegt, um hierdurch ein gesamtunternehmensbezogenes Zielsystem zu erhalten. Die auf diese Weise gebildete Zielhierarchie kann als Zusammenfassung und vorhergehende Abstimmung aller Aufgaben und Ziele der Organisationseinheiten einer Unternehmung verstanden werden. 39 Das Leitungssystem eines Unternehmens, welches die hierarchische Über- und Unterordnung der einzelnen Organisationseinheiten festlegt, 40 wird somit um das Zielsystem ergänzt. Dieses Zusammenwirken von Leitungs- und Zielsystem bringt den Führungscharakter von Zielen zum Ausdruck, da die hierarchische Stellung der einzelnen Ziele der hierarchischen Stellung der Organisationseinheiten entspricht. Den Ausgangspunkt zur Konzipierung eines Zielsystems stellen die betrieblichen Oberziele dar, die in Sektoral- 41 oder Bereichsziele42 überführt werden, wobei diese Zielformulierungen wiederum den Ausgangspunkt für weitere Konkretisierungen darstellen. Der Endpunkt einer solchen Vorgehensweise ist eine Ordnung von Sektoralzielen, deren Zielerreichung durch die Aufgabenerfüllung gewährleistet wird. Ein Ziel, das ex definitione einen wünschenswerten Zustand beschreibt, bildet somit die Basis für die Inhaltsbestimmung einer Aufgabe. 43 Während ein Ziel durch die Merkmale Zielinhalt, Zeitbezug und angestrebtes Ausmaß gekennzeichnet ist, 44 wird eine Aufgabe durch den Verrichtungsvorgang, das Objekt, den Zeitraum und den Ort beschrieben.45 Durch die Ableitung eines Zielsystems soll versucht werden, das oder die betriebliche(n) Oberziel(e) in Teilziele und Aufgaben für einzelne Mitarbeiter zu überführen, die der beschränkten menschlichen Leistungsfähigkeit so38

Vgl. Mellerowicz, Grundfragen, S. 94 ff. Vgl. Hauschildt, J.: Zielhierarchien in innovativen Entscheidungsprozessen, in: Unternehmensplanung - Bericht von der wissenschaftlichen Tagung der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft in Augsburg vom 12.6. bis 16.6.1973, hrsg. von H. Ulrich, Wiesbaden 1975, S. 114. 39

40

Vgl. Kreikebaum, H.: Industrielle Unternehmensorganisation, in: Industriebetriebslehre - Das Wirtschaften in Industrieunternehmungen, hrsg. von M. Schweitzer, München 1990, 4 1S. 172. Vgl. Berthel, S. 4. 42 Vgl. Heinen, Zielsystem, S. 119. 43 Vgl. Berthel, S. 5. 44 Vgl. Heinen, Zielsystem, S. 59. 45 Vgl. Kosiol, Organisation, S. 43.

104

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft

wohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht unter Zuhilfenahme technischer Hilfsmittel Rechnung tragen. 46 Anders formuliert, wird dem Zielsystem einer Unternehmung ein Aufgabensystem beigeordnen, das den Stelleninhabern einer Unternehmung ihre Aufgaben zuweist. Als Endpunkt dieser Vorgehensweise kann festgehalten werden, daß insbesondere die kurzfristigen Ziele zum einen als Vorgaben für die einzelnen betrieblichen Teilbereiche dienen und zum anderen zur Kontrolle des Aufgabenvollzugs herangezogen werden können.47 Es zeigt sich, daß das betriebliche Ziel- und Aufgabensystem und die Organisationsstruktur einer Unternehmung miteinander verwoben sind. Für die industrielle Materialwirtschaft bedeutet dies, daß die kurzfristigen Ziele auf die Aufgaben des Beschaffungs- und des innerbetrieblichen Lager- und Transportwesens anzuwenden sind und hierbei die Funktion einer Leistungsvorgabe erfüllen. Im Rahmen der Formulierung von Zielen im Bereich der Materialwirtschaft kann der Umstand auftreten, daß die Ziele untereinander in einer konfliktären Beziehung stehen. Dies um so mehr, je kurzfristiger der Zeithorizont gewählt wird. Um diesem Sachverhalt Rechnung zu tragen, empfiehlt es sich, die Ziele zu gewichten und sie dadurch mit verschiedenen Prioritäten zu unterlegen, um auftretenden Konfliktsituationen entgegenwirken zu können.48

46

Vgl. Brönimann, S. 41; Budäus, D.: Probleme und Grundelemente der Unternehmensorganisation, in: Handbuch Organisation, hrsg. von P. Linnert, Gernsbach 1975, S. 79 sowie Kieser, A./Kubicek, H.: Organisation, 2., neubearbeitete und erweiterte Aufl., Berlin/New York471983, S. 246. Vgl. Puhlmann, S. 137. Zur Kontrolle und Steuerung der Unternehmenstätigkeit mittels 4Zielvorgaben vgl. Berthel, S. 5. 8 Vgl. Puhlmann, S. 137.

III. Der Aufbau eines materialwirtschaftlichen Zielsystems

105

I I I . Der Aufbau eines materialwirtschaftlichen Zielsystems

Ein Zielsystem für die industrielle Materialwirtschaft kann sich auf kurzsowie auf langfristige Betrachtungsweisen beziehen. Das Unterscheidungsmerkmal für Ziele im Rahmen ihres Zeitbezugs soll darin bestehen, ob eine Beziehung zu einem konkreten Bedarfsfall vorliegt. Langfristige Zielvorstellungen sind somit unabhängig von einzelnen Bedarfsfällen zu sehen, während kurzfristige eine direkte Abhängigkeit aufweisen. 49 Die betrieblichen Oberziele verkörpern in der Regel langfristige Zielvorstellungen, da beiden das Merkmal "grundsätzliche und dauerhafte Gültigkeit" zugrundeliegt,50 so daß, ausgehend von den betrieblichen Oberzielen, das materialwirtschaftliche Zielsystem gebildet wird. I* Die betrieblichen Oberziele und die Materialwirtschaft

Die an der Spitze einer Zielpyramide stehenden Ziele werden als Primär·, 51 Haupt- 52 oder Oberziele bezeichnet. Diese Zielvorstellungen bilden die ranghöchsten Ziele, die ein Unternehmen verfolgt. Die Bezeichnungen Primär- und Hauptziele bringen ebenso wie Oberziele die hierarchische Stellung der Ziele in einem Zielsystem zum Ausdruck. Der inhaltliche Unterschied der Formulierungen liegt darin, daß die beiden ersten Termini die Bedeutung widerspiegeln, die der unternehmerische Entscheidungsträger ihnen beimißt, ohne wie im Falle der Oberziele auf Zweck-Mittel-Beziehungen einzugehen.54 Aus diesem Grunde wird im folgenden auf die Bezeichnung Oberziele für die ranghöchsten Unternehmensziele zurückgegriffen. Ausgehend vom ökonomischen Prinzip führt das erwerbswirtschaftliche Prinzip zur Gewinnerzielung als oberstem Unternehmensziel.55 Dies begründet sich darauf, daß das Rationalprinzip neben der Handlungsvorschrift auch eine Wertung enthält, was ein bestimmtes Ziel voraussetzt.56 Denn, 4Q

Vgl. Bloech/Rottenbacher, S. 73. Schmidt spricht im Original von Fernzielkonzeptionen. Vgl. Schmidt, R.-B.: Wirtschaftslehre der Unternehmung, Band I, Grundlagen und Zielsetzungen, 2., überarbeitete Aufl., Stuttgart 1977, s. 143. 51 Vgl. Bidlingmaier/Schneider, Sp. 4734. 52 Vgl. Heinen, Zielsystem, S. 107 ff. 53 Vgl. Mellerowicz, Grundfragen, S. 92. 54 Vgl. Mellerowicz, Grundfragen, S. 92. 55 Es soll im folgenden von der Gewinnerzielung als einem Oberziel von Unternehmen die Rede sein, da der Formulierung Gewinnmaximierung das Merkmal "angestrebtes Ausmaß" fehlt und somit kein Ziel im theoretischen Sinne darstellt. 56 Vgl. Kupsch, P.: Unternehmensziele, Stuttgart/New York 1979, S. 41. 50

106

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft

falls kein Ziel übergeordnet ist, kann nicht auf einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang oder auf eine Zweck-Mittel-Beziehung57 geschlossen werden, in deren Zusammenhang das ökonomische Prinzip zu sehen ist. Die Verwirklichung des ökonomischen Prinzips ist nicht das Ziel des unternehmerischen Handelns, sondern das ökonomische Prinzip selbst trägt zur Verwirklichung des erwerbswirtschaftlichen Prinzips bei.5 Es kann zusätzlich davon ausgegangen werden, daß das Streben nach Gewinn nicht das alleinige und dominierende Ziel einer Unternehmung sein kann,59 denn eine solche absolute Zielformulierung vernachlässigt die Situationsabhängigkeit bei der Formulierung und Stellung der Ziele durch die beteiligten Interessengruppen. Gegen die alleinige Verfolgung des Gewinnstrebens als unternehmerischem Oberziel kann eingewendet werden, daß eine solche Sichtweise nicht genügt, "um die Mannigfaltigkeit unternehmerischen Verhaltens ausreichend zu erfassen." 60 Es existieren somit zusätzlich zum Gewinnstreben noch andere Oberzielinhalte, die ein Unternehmen ebenfalls heranzieht. Neben den Marktleistungs- (beispielsweise Produktqualität oder Produktinnovation) und den Marktstellungszielen wie Umsatz oder Marktanteil stellen Rentabilitätsziele in bezug auf das Kapital oder den Umsatz sowie Kreditwürdigkeit und Selbstfinanzierung als finanzwirtschaftliche Ziele unternehmerische Zielvorstellungen dar. 61

57

Vgl. hierzu auch Myrdal, der darauf hinweist, daß die alleinige Betrachtung von Zweck und Mittel zu eng ist, um alle "Elemente des Verlaufes zwischen beiden Situationen" (nämlich dem Anfangs- und dem Endzustand) abzubilden. Er betrachtet daher zusätzlich erwünschte und unerwünschte Nebenwirkungen. Vgl. Myrdal, G.: Das Zweck-Mittel-Denken in der Nationalökonomie, in: Zeitschrift für Nationalökonomie, Band IV, 3. Jg. 1933, S. 305. 58

Vgl. Gäfgen, G.: Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung - Untersuchungen zur Logik und Bedeutung des rationalen Handelns, 3. Aufl., Tübingen 1974, S. 103. Vgl. hierzu auch das Zitat von E. Gutenberg in Fußnote 37 auf S. 22 dieser Arbeit. 59 Zur Kritik an der Gewinnerzielung als alleinigem betrieblichen Oberziel vgl. Koller, H.: Zur Kritik der Gewinnmaximierung als Unternehmungsziel in der betriebswirtschaftlichen Theorie, in: Probleme der Unternehmensführung - Festschrift zum 70. Geburtstag von Eugen Hermann Sieber, hrsg. von H. Koller und H.-P. Kicherer, München 1971, S. 77 ff. Zur Beibehaltung der Gewinnmaximierung als unternehmerischem Oberziel vgl. Theisen, P.: Grundzüge einer Theorie der Beschaffungspolitik, Berlin 1970, S. 12 f. Schneider, E.: Bemerkungen zu einigen neueren Entwicklungen der Theorie der Unternehmung, in: Weltwirtschaftliches Archiv, 83. Jg. 1959, S. 96. Vgl. hierzu auch Gutenberg, der schreibt, daß "die ursprüngliche einseitige Bindung der Analyse betriebswirtschaftlicher Phänomene an die Voraussetzung der Gewinnmaximierung .. heute aufgegeben" ist. Gutenberg, E.: Über einige Fragen der neueren Betriebswirtschaftslehre, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 1. Ergänzungsheft, 36. Jg. 1966, S. 4. 61 Vgl. Ulrich , Ρ./Fluri, E.: Management - Eine konzentrierte Einführung, 3., neu bearbeitete Aufl., Bern/Stuttgart 1985, S. 81 f.

III. Der Aufbau eines materialwirtschaftlichen Zielsystems

107

Weiterhin zählen zum Beispiel das Streben nach Macht und Prestige sowie ethische und soziale Bestrebungen zu den betrieblichen Oberzielen.6~ Als Ganzes gesehen lassen sich die betrieblichen Oberziele somit als Leistungs-, Erfolgs- und Liquiditätsziele kennzeichnen.63 Die Materialwirtschaft hat wie jeder betriebliche Teilbereich zur Zielerreichung in der Gesamtunternehmung beizutragen.64 Daraus folgt, daß, ausgehend von den obersten Unternehmenszielen, ein Zielsystem für die Materialwirtschaft entwickelt werden muß, das in einer komplementären Beziehung zu den betrieblichen Oberzielen steht. Da die betrieblichen Oberziele für die Materialwirtschaft zu globale Ziele darstellen, besteht die Notwendigkeit, diese Zielvorstellungen in Größen der Materialwirtschaft umsetzen, um damit ein materialwirtschaftliches Zielsystem aufzubauen. 65 Damit wird der Materialwirtschaft ein aktiver Beitrag zur Verwirklichung der betrieblichen Gesamtaufgabe zugeteilt, der über die Ansicht, daß die Materialwirtschaft lediglich "die für die Produktion benötigten Einsatzfaktoren so bereitzustellen (hat; A. d. V.), daß keine Engpässe in der Versorgung entstehen,"66 hinausgeht. Diese Beschreibung des Zieles der industriellen Materialwirtschaft spiegelt auch die bisherige Dominanz des Produktionsbereiches wider, die als bestimmende Aufgabe der Materialwirtschaft die Sicherstellung einer möglichst hohen Kapazitätsauslastung in der Produktion in den Vordergrund rückt. 67 Die Materialwirtschaft kann bei der Bestimmung des betrieblichen Leistungsprogrammes als gleichberechtigter Unternehmensteil zusammen mit der Forschung und Entwicklung, dem Absatz und der Produktion bei der Formulierung der Tiefe und Breite des Absatz- und Produktionsprogrammes einbezogen werden. In diesem Sinne werden die Kapazitäten im Fertigungsbereich unter Beachtung der materialwirtschaftlichen Kapazität festgelegt. 68 Dies begründet sich darauf, daß die Kapazität einer Fertigungsstelle auch abhängig ist von der Kapazität der sie versorgenden Einrichtungen, 62

Vgl. Gabele, E./Kretschmer, H.: Unternehmensgrundsätze - Empirische und praktische Erfahrungsberichte zur Konzeption, Einrichtung und Wirkungsweise eines modernen Führungsinstrumentes, Frankfurt am Main/Bern/New York 1985, S. 83 f. 63 Vgl. Kupsch, Unternehmensziele, S. 80 ff. 64 Vgl. Grochla, E.: Materialwirtschaft, betriebliche, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften, hrsg. von W. Albers et al., Stuttgart u.a. 1980, S. 200. 65 Vgl. Grochla, E.: Materialwirtschaft, Führung der, in: Handwörterbuch der Führung, hrsg. von A. Kieser, G. Reber und R. Wunderer, Stuttgart 1987, Sp. 1405 und Heinen, Zielsystem, S. 134 ff. 66 Grochla, Weg, S. 182. 67 Vgl. Bichler, K.: Veränderte Anforderungen, in: Industrieanzeiger, Heft 27, 110, Jg. 1988, S. 43. 68 Vgl. Schwab, S. 15 f.

108

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft

hier des innerbetrieblichen Lager- und Transportwesens sowie des Beschaffungswesens. 69 Da ein Zielsystem für die Materialwirtschaft vor dem Hintergrund des gesamten betrieblichen Zielsystems zu sehen ist, stellt sich somit die Aufgabe, die materialwirtschaftlichen Ziele in das System der Unternehmensziele einzubetten. Dieses erweiterte Zielsystem ist ebenso wie andere Zielsysteme eine "bewußte Ordnung von mehreren, darunter konfliktären Zielen." 0

2. Die langfristigen Ziele der Materialwirtschaft

Erfolgspotential als Grundlage a) Das materialwirtschaftliche einer Formulierung der Bereichsziele Langfristig gesehen haben die verschiedenen Unternehmensbereiche und damit auch die Materialwirtschaft die Aufgabe, "einen möglichst großen Beitrag zur Sicherung bestehender oder der Erschließung neuer Erfolgspotentiale der Unternehmung zu leisten."71 Unter Erfolgspotential 72 ist "das Vermögen und die Fähigkeit der Unternehmung, auf den Erfolg einen positiven Einfluß nehmen zu können"73 zu verstehen. Der Aufbau von Erfolgspotentialen leitet sich aus dem betrieblichen Oberziel 'Existenzerhaltung und -Sicherung der Unternehmung' ab. 74 Die Erfolgspotentiale bilden somit den Hintergrund, vor dem die Formulierung des materialwirtschaftlichen Zielsystems geschieht, wobei, ausgehend von den betrieblichen Oberzielen, sich diese auf eine Kostensenkung und Leistungssteigerung, Liquiditäts- und Imageverbesserung beziehen.75 In der Literatur wird die Sicherstellung der Versorgung des Unternehmens, insbesondere der Fertigungsstellen mit Materialien, als dominantes

Vgl. in diesem Zusammenhang von Kortzfleisch, der davon ausgeht, daß Produktion und Materialfluß unlösbar miteinander verbunden sind und ihre Gestaltung und Steuerung simultan erfolgen soll. Vgl. von Kortzfleisch, G.: Materialfluß-Rationalisierung - aktueller denn je, in: Die Betriebsorganisation im Spiegel der Konjunktur - Vorträge der Tagung in Stuttgart-Bad Cannstadt vom 28. bis 30. Mai 1963, hrsg. von der Deutschen Gesellschaft für Betriebswirtschaft, Berlin 1963, S. 120. 70 Hauschildt, Zielsysteme, Sp. 2420. 71 Puhlmann, S. 134. 72

Zum Begriff des Erfolgspotentials vgl. Reichert, R.: Entwurf und Bewertung von Strategien, 73 München 1984, S. 118 f. Heuer, S. 141. 74

75

Vgl. Kupsch, Unternehmensziele, S. 86 f. Vgl. Eschenbach, F.: Erfolgspotential Materialwirtschaft, Wien/München 1990, S. 44.

III. Der Aufbau eines materialwirtschaftlichen Zielsystems

109

7f\

Ziel der Materialwirtschaft genannt. Die Gewährleistung der jederzeitigen Bereitstellung von Materialien an den Fertigungstellen ist aber eher als strenge Nebenbedingung zu verstehen. Analog der Formulierung einer finanzwirtschaftlichen Liquidität kann in diesem Zusammenhang von einer materialwirtschaftlichen Liquidität gesprochen werden. 77 Mit dem Kostensenkungs- und dem Leistungssteigerungspotential der Materialwirtschaft hängt der Umstand eng zusammen, daß viele Aufwands- und Ertragspositionen der Gewinn- und Verlustrechnung durch die Materialwirtschaft beeinflußbar sind.78 Bei den Aufwandspositionen lassen sich beim Gesamtkostenverfahren der Material- und Personalaufwand sowie Abschreibungen auf Lager- und Transporteinrichtungen oder auch Zinsen für Kredite zur Finanzierung von Lager- und Transporteinrichtungen anführen. Die Umsatzerlöse lassen sich dadurch beeinflussen, daß durch eine gezielte Beschaffungspolitik die Qualität des Endproduktes mittels der beschafften Materialien verbessert wird, um Wettbewerbsvorteile zu realisieren. Das betriebliche Oberziel 'Rentabilität' kann mittels des Dupont-Systemes durch eine Hierarchie von absoluten und relativen Kennzahlen ausgedrückt werden, wobei die einzelnen Kennzahlen den Charakter von Vorgabewerten haben. 79 Das Dupont-System verwendet als Basisgrößen den Umsatz und die Gesamtkosten sowie das Anlage- und Umlaufvermögen. Die Kosten des innerbetrieblichen Transport- und Lagerwesens beeinflussen die Gesamtkosten. Materialbestände und Transport- und Lagereinrichtungen sind bilanziell dem Umlauf- bzw. dem Anlagevermögen zuzuordnen. Abb. 12 zeigt, wie ein solches Kennzahlensystem durch die Materialwirtschaft beeinflußbar ist.

76

Vgl. Pekayvac, S. 69; Seggewiß, S. 81 ff. und Berg, C.C.: Materialwirtschaft, Stuttgart/ New York 1979, S. 5. 77 Steinbrüchel, S. 23, spricht im Original von "materieller Liquidität". 78 Von Zusatzkosten und neutralem Aufwand sei in diesem Zusammenhang abgesehen, so daß es sich um aufwandsgleiche Kosten oder kostengleichem Aufwand und damit um Grundkosten bzw. Zweckaufwand handelt. Vgl. hierzu Kosiol, E.: Aufwand und Kosten, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. von E. Grochla und W. Wittmann, 4., völlig neu gestaltete Aufl., Stuttgart 1974, Sp. 312. 79 Vgl. Puhlmann, S. 135 und Grochla, E.: Der Beitrag der Beschaffungspolitik zur Unternehmenssicherung, in: Jahrbuch für Betriebswirte, hrsg. von W. Krese und W. Alt, 8. Jg. 1983, S. 173 ff.

110

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft

Abb. 12. Die Beeinflußbarkeit des 'Return-on-Investment' durch die Materialwirtschaft

III. Der Aufbau eines materialwirtschaftlichen Zielsystems

111

on

bewirkt die Materialwirtschaft durch BeEine Liquiditätsverbesserung einflussung des Vorrats- und Sachanlagevermögens sowie der Skontierungspolitik. 81 Die Vorratspolitik hat Auswirkungen auf die Liquidität eines Unternehmens in der Weise, daß in Materialien und in Sachanlageinvestitionen im Bereich der Materialwirtschaft liquide Mittel gebunden werden. Somit wird über die mit den Lieferanten ausgehandelten Beschaffungskonditionen wie Preis, Zahlungstermine und Rabatte unmittelbar Einfluß auf die Unternehmensliquidität genommen. Es ergeben sich auch Auswirkungen dergestalt, daß die geleisteten Aufwendungen zum Erwerb der Materialien und Sachanlagen den Wertansätzen in der Bilanzierung von Sachanlagen zugrundegelegt werden. 82 Die Kapitalbindungskosten können durch Maßnahmen in der Vorratspolitik und dem Bereich des innerbetrieblichen Transportwesens in ihrer Höhe und Dauer beeinflußt werden, wobei die Dauer der Kapitalbindung nicht in erster Linie durch eine geringere Transportzeit, sondern eher durch Maßnahmen zur Verringerung der Liegezeit von Materialien an den Fertigungsstellen und einer generellen Senkung der Bestandshöhe bei gleichbleibendem innerbetrieblichen Lieferservice gesenkt werden kann. Die Verminderung der arbeitsablaufbedingten Liegezeiten, die teilweise bis zu 75 % der gesamten Durchlaufzeit der Produkte darstellen, 83 ist in erster Linie fertigungswirtschaftlich, das heißt, in bezug auf die Arbeitsvorbereitung zu sehen. Eine Imageverbesserung hat zum Inhalt, auf die Vorstellung Dritter von einem Unternehmen Einfluß zu nehmen. Dabei kommen als Ansatzpunkte das Unternehmen als Ganzes sowie die Produkte oder Mitarbeiter in Fra-

Die Liquidität stellt kein Unternehmensziel, sondern vielmehr eine unabdingbare Voraussetzung für einen Betrieb dar, denn ihre Nichterfüllung führt zum Auscheiden aus dem Wirtschaftsprozeß. Dieser Zusammenhang wird als "Postulat der Liquidität" bezeichnet. Vgl. Witte, E.: Liquidität, betriebswirtschaftliche, in: Handwörterbuch der Finanzwirtschaft, hrsg. von H. Büschgen, Stuttgart 1976, Sp. 1284. Zum Begriff der Liquidität vgl. von Kortzfleisch, G.: Die Grundlagen der Finanzplanung, Diss., Berlin 1957, S. 33 ff. 81 Vgl. Eschenbach, S. 46 f. 82

Die Anschaffungskosten der Legaldefinition des § 255 Abs. 1 HGB beruhen im Grundsatz auf Ausgaben (pagatorische Werte), wobei die Preisnachlässe von den Anschaffungskosten abzuziehen sind. Vgl. Adler t/Düring/ Schmaltz: Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen - Kommentar zum HGB, AktG, GmbHG, PublG nach den Vorschriften des Bilanzrichtlinien-Gesetzes, 5., völlig neu bearbeitete Aufl., 7. Teillieferung, Stuttgart 1987, § 255 HGB, 8 3 Tz. 11 bzw. Tz. 56 ff. Vgl. Weber, S. 197. 84 Eine Verkürzung der Durchlaufzeit kann im Bereich der Materialwirtschaft beispielsweise durch automatische Kommissionier- und Verteilsysteme erreicht werden. Vgl. Schmidt, G.: Transport und Lagerung, in: Rechnerintegrierter automatisierter Betrieb, hrsg. von P. Ulrich, München/Wien 1990, S. 101 ff.

112

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft

oc

ge. Die Notwendigkeit von Maßnahmen, um das Image oder auch den Ruf einer Unternehmung 86 in der für sie relevanten Umwelt zu verbessern, läßt sich aus dem betrieblichen Oberziel "Existenzerhaltung und -Sicherung" ab-

leiten. Insbesondere Dienstleistungsunternehmen wie zum Beispiel Unternehmensberater messen dem Erfolgspotential des "guten Rufes" eine große Bedeutung bei. Die Materialwirtschaft beeinflußt zum einen über die Mitarbeiter und ihre Kontaktpersonen das Image der Unternehmung als Ganzem. Zum anderen wird das Image einer Unternehmung durch das Verhältnis zu seinen Lieferanten beeinflußt. Einerseits wird durch eine entsprechende Beschaffungsmarktpflege wie zum Beispiel durch günstige Lieferkonditionen oder einer zuverlässigen Zahlungsabwicklung ein positives Image auf- und ausgebaut. Anderseits verschafft ein bereits vorhandenes positives Image dem Unternehmern im Bereich des Beschaffungswesens 87 Wettbewerbsvorteile, da ein Lieferant versuchen wird, sein eigenes Image durch Belieferung eines Unternehmens mit einem positiven Image aufzubessern und dies als Wettbewerbsargument zu nutzen. Umgekehrt veranlaßt ein negatives Image ein Unternehmen dazu, den Zulieferern weitgehende Zugeständnisse, insbesondere bei den Preisverhandlungen, zu machen.88 Die dargestellten Erfolgspotentiale der Materialwirtschaft in den Bereichen Kostensenkung und Leistungssteigerung, Liquiditätsverbesserung sowie Imageverbesserung werden im folgenden in langfristige Zielvorstellungen für die einzelnen materialwirtschaftlichen Teilbereiche überführt. b) Die langfristigen

Bereichsziele der Materialwirtschaft

Das Verhältnis zwischen den betrieblichen Oberzielen und den langfristigen Zielen der Materialwirtschaft kann als Mittel-Zweck-Beziehung gekennzeichnet werden. 89 Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, inwieweit die einzelnen Bereiche der Materialwirtschaft hierzu einen Beitrag leisten können. Die langfristigen Bereichsziele der Materialwirtschaft sind als von einem konkreten Bedarfsfall losgelöste Zielvorstellungen zu verstehen. Gemäß der Aufteilung der Materialwirtschaft in die Teilbereiche Materialbe85

86

Vgl. Eschenbach, S. 48.

Vgl. Sandig, G: Der Ruf der Unternehmung - Wesen und betriebswirtschaftliche Bedeutung, Stuttgart 1962, S. 10 ff. 87 Sandig spricht hierbei vom "Ruf als Beschaffer". Vgl. Sandig, Beschaffung, S. 180 f. 88 Vgl. Eschenbach, S.48. 89 Vgl. Heinen, Zielsystem, S. 102 ff.

III. Der Aufbau eines materialwirtschaftlichen Zielsystems

113

Schaffung sowie innerbetriebliches Lager- und Transportwesen werden im folgenden für diese Teilbereiche langfristige Zielvorstellungen formuliert.

aa) Die langfristigen Ziele des Beschaffungswesens Die langfristigen Ziele des Beschaffungswesens leiten sich aus dem betrieblichen Oberziel 'Existenzerhaltung und -Sicherung der Unternehmung' ab. 90 Das Beschaffungswesen kann dieser Zielvorstellung durch eine Sicherung der Beschaffungsmärkte, einer Sicherung und Verbesserung der Materialqualität und einer Erschließung von Kostensenkungspotentialen dienen.91 Die Sicherung der Beschaffungsmärkte ist im Hinblick auf eine Beobachtung und eine Beeinflussung der Beschaffungsmärkte zu sehen. Um die Anpassungsfähigkeit an Veränderungen des Beschaffungsmarktes zu erhöhen,92 sind Informationen über die Beschaffungsmärkte als Datenbasis für die Entscheidungen notwendig, wobei Veränderungen wie eine Produktionsprogrammänderung auch auf Seiten der Unternehmung auftreten können. Die systematische und methodische Untersuchung der Beschaffungsmärkte wird als Beschaffungsmarktforschung bezeichnet,93 wobei der Beschaffungsmarktraum in bezug auf verschiedene Materialarten und Lieferantenstrukturen untersucht wird. 94 Die Vorstellung einer gezielten Beobachtung und Beeinflussung der Beschaffungsmärkte ist dahingehend zu verstehen, daß zum einen die Verfügbarkeit der zu beschaffenden Materialien gesichert95 und zum anderen sowohl neue Lieferanten als auch Substitutionsmöglichkeiten für die Materialien erschlossen und genutzt werden. 96 Bei der Sicherung der Verfügbarkeit bestimmter Materialien ist dem Umstand Rechnung zu tragen, daß das Unternehmen nicht in Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten gerät 97 und somit Freiheitsgrade bei der Ausgestal90 91 92 93

94

Vgl. Grochla, Beitrag, S. 173. Vgl. Puhlmann, S. 135 f. Vgl. Grochla, Gestaltung, S. 198. Vgl. Blom, F.: Beschaffungsmarktforschung, Wiesbaden 1982, S. 13.

Die Informationen lassen zum Beispiel durch Nutzung von Sekundärquellen, wie beispielsweise Einkaufsführern, gewinnen, die Lieferanten nach verschiedenen Kriterien, wie beispielsweise dem Lieferprogramm, zusammenstellen. Vgl. Pernsteiner, R.: Online-Datenbanken im Einkauf - Informationsversorgung weltweit, in: Beschaffung aktuell, Heft 3, 1990, S. 62 und Lohrberg, W.: Grundprobleme der Beschaffungsmarktforschung, Bochum 1978, S. 39. 95 Vgl. Grochla et al., S. 38. 96 Vgl. Puhlmann, S. 136 und Pekayvac, S. 172. 97 Vgl. auch Fieten, R.: Beschaffung und integrierte Materialwirtschaft in der Fertigungsindustrie, in: Beschaffung aktuell, Heft 10,1982, S. 28. 8 Brecht

114

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft go

tung der Beschaffungsmärkte verloren gehen. Eine solche Abhängigkeit steht auch dem betrieblichen Oberziel "Erhaltung der Selbständigkeit des Unternehmens" entgegen. Durch den Aufbau eines beschaffungsmarktorientierten Informationssystems" können frühzeitig Daten auf den Betrachtungsebenen Preise, Lieferanten oder Produkte gewonnen werden. 100 Zu den Aufgabenfeldern eines beschaffungsorientierten Informationssystems gehört auch die laufende Informationssammlung über Beschaffungsmarktstrukturen, potentielle Lieferanten oder auch Beschaffungswege. 1 Die Beschaffungsmarktforschung stellt Informationen bezüglich der Ausgestaltung der langfristigen Versorgungssicherung der Unternehmumg mit Materialien zur Verfügung. 102 Langfristig hat das Beschaffungswesen dafür Sorge zu tragen, daß das Lieferantenpotential erhalten bleibt und ein Lieferantenwechsel erfolgen kann, ohne daß störende Begleiterscheinungen wie Lieferstockungen oder Qualitätseinbußen auftreten. Es ist für ein Unternehmen auch von Bedeutung zu wissen, ob und inwieweit die Beschaffungsmärkte die geforderten Materialien in quantitativer und qualitativer Hinsicht zu liefern in Zukunft in der Lage sind. Dies bedeutet, daß eine Zusammenarbeit mit der Forschungs- und Entwicklungs-, der Konstruktionsabteilung sowie der Arbeitsvorbereitung zu geschehen hat. Die Sicherung und Verbesserung der Materialqualität stellt eine weitere langfristige Zielvorstellung für das Beschaffungswesens dar. Die Materialqualität beeinflußt die Qualität des Endproduktes, 103 so daß zum einen durch eine Zusammenarbeit mit den Lieferanten die Qualitätsanforderungen erfüllt werden. Zum anderen dient die Beschaffungsmarktforschung dazu, detaillierte Qualitätsanalysen möglicher Lieferanten durchzuführen. Die 98

Vgl. Winand, U./Welters, K.: Beschaffung und strategische Unternehmensführung Ergebnisse einer Delphi-Studie, in: Beschaffung und Unternehmensführung - Bericht des Arbeitskreises "Beschaffung, Vorrats- und Verkehrswirtschaft", hrsg. von N. Szyperski und P. Roth, 9 9 Stuttgart 1982, S. 57. Vgl. Winand/Welters, S. 57. Zu den Möglichkeiten einer EDV-technischen Ausgestaltung der Beschaffungsmarktforschung vgl. Hubmann, H.-E.: Elektronisierung von Beschaffungsmärkten und Beschaffungshierarchien - Informationsverarbeitung im Beschaffungsmanagement unter dem Einfluß neuer Informations- und Kommunikationstechniken, Diss., München 1989, S. 115 ff. 100 Vgl. hierzu auch Arnold, U.: Strategische Beschaffungspolitik - Steuerung und Kontrolle strategischer Beschaffungssubsysteme von Unternehmen, Frankfurt am Main/Bern 1982, S. 205. 101 Vgl. Lohrberg, S. 136 ff. 102 Vgl. Grochla et al., S. 38. 103 Dies ist zum Beispiel bei der analytischen Stoffverwertung der Fall. Vgl. Schäfer, S. 29.

III. Der Aufbau eines materialwirtschaftlichen Zielsystems

115

Beschaffungsmarktforschung ist somit nicht nur ein Instrument, Daten zu erheben, sondern sie bereitet auch beschaffungspolitische Entscheidungen wie einen Lieferantenwechsel vor. 104 Die Erschließung von Kostensenkungspotentialen im Beschaffungswesen leistet einen Beitrag zur Verbesserung der Unternehmensrentabilität. Kostensenkungspotentiale bestehen bei Materialien neben der Nutzung von Materialsubstituten in einer Verwendung von genormten Materialien, 105 wobei dies in Zusammenarbeit mit der Konstruktion und der Arbeitsvorbereitung erfolgt. Die Beschaffungsmarktforschung kann Analysen der Lieferanten durchführen, um Kooperationsmöglichkeiten im Rahmen der Fremdvergabe von Fertigungsaufträgen zu erkunden oder auch das technische Wissen der Lieferanten mit ihren Fertigungsstrukturen für die eigene Fertigung nutzbar zu machen.106

bb) Die langfristigen Ziele des innerbetrieblichen Transportwesens Ein langfristiges Ziel für den Bereich des innerbetrieblichen Transportwesens ist in der Sicherstellung der Ver- und Entsorgung der Fertigungsstellen mit bzw. von Materialien zu sehen. Der Aspekt der Sicherstellung kann in der Weise konkretisiert werden, daß damit zum einen auf die Dimensionen eines Bedarfes, der Menge, der Ort, der Art und der Zeitpunkt des Bedarfs, abgestellt wird. Dies bedeutet, daß das innerbetriebliche Transportwesen in der Lage sein muß - losgelöst von einem konkreten Bedarfsfall - alle möglichen Ausprägungen der Dimensionen eines Bedarfes zu erfüllen. Der Sicherstellung der Ver- und Entsorgung der Bedarfsstellen ist das für diesen Unternehmensbereich erhobene Prinzip der Flexibilität zugrunde zu legen. Die Anforderung der Sicherstellung der Ver- und Entsorgung von Bedarfsstellen unter Berücksichtigung des Prinzips der Flexibilität hat damit zum Inhalt, mengen-, zeit-, art- und qualitätsbedingte Störungen des Fertigungsprozesses durch eine entsprechende Ausgestaltung des innerbetrieblichen Transportwesens vorzubeugen. Dies bezieht sich sowohl auf die Querschnitts- und die Periodenkapazität als auch auf die räumliche Flexibilität der eingesetzten Transportmittel. Die Erschließung von Kostensenkungspotentialen erfolgt durch den Aufbau eines bereichsübergreifenden Informations- und Steuerungssystems. Durch ein solches System lassen sich die Transportvorgänge mit den Ferti104 105 106



Vgl. Grochla, Beitrag, S. 175. Vgl. Puhlmann, S. 136. Vgl. Fieten, Fertigungsindustrie, S. 29.

116

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft

gungsprozessen abgleichen. Konkret bedeutet dies, daß zum einen die Planung der Fertigungskapazitäten unter Berücksichtigung der Transport- und Lagerkapazitäten erfolgt, wobei als künftig benötigte Kapazitäten im Transport- und Lagerbereich die betreffenden Querschnitts- und Periodenkapazitäten den Planungen zu unterlegen sind. Dies ist auch vor dem Hintergrund einer Vermeidung von Leerfahrten zu sehen. Kostensenkungspotentiale bestehen auch in einer Normung der Transporthilfsmittel, um hierdurch den Übergang zur Fertigung rationeller zu gestalten.

cc) Die langfristigen Ziele des Lagerwesens das heißt der bedarfsgeDie Sicherstellung der internen Lieferbereitschaft, rechten Bereitstellung der Materialien an der Schnittstelle zum innerbetrieblichen Transportwesen, stellt für das Lagerwesen eine langfristige Zielvorstellung dar. Diese Zielvorstellung bringt zum Ausdruck, daß Querschnitts- und Periodenkapazitäten der Lager mit den Fertigungskapazitäten und denen des innerbetrieblichen Transportwesens abzugleichen sind. Die Querschnittskapazität stellt dabei die maximal einzulagernde Menge an Materialien zu einem bestimmten Zeitpunkt dar. Durch Beachtung eines dynamischen Aspektes, wie beispielsweise der Lagerumschlagshäufigkeit, kann die Querschnittskapazität in die Periodenkapazität des Lagers überführt werden. Anders formuliert findet bei gleichbleibender Anzahl der in einer Periode durchgesetzten Materialien, gemessen als Lagereinheiten wie Palette oder Kiste, eine Substitution von Lagerraum durch Umschlagsaktivitäten statt. 107 Durch eine entsprechende Handhabung der Größen ' Q u e r s c h n i t t s - ' und 'Periodenkapazität' unter Berücksichtigung von Kapazitätsreserven ist das Lagerwesen in der Lage, saisonal- , konjunkturell- und unternehmenspolitisch bedingte Schwankungen in bezug auf die Menge zu beachten.108 Mit dieser Substitution von Lagerraum durch Umschlagsaktivitäten ist auch eine Erschließung von Kostensenkungspotentialen verbunden. Weitere Kostensenkungspotentiale bestehen in einer Senkung der durchschnittlichen Lagerbestände wie im Falle der Zentralisierung, so daß langfristig auf einige Lagergebäude verzichtet werden kann.

107

Vgl. Zoller, Nutzung, S. 85. Vgl. Büttiker, G.: Das innerbetriebliche Förderwesen im Industriebetrieb - Vom Systemansatz zur Systemkontrolle, Diss., Zürich 1976, S. 23. 108

III. Der Aufbau eines materialwirtschaftlichen Zielsystems

117

3. Die kurzfristigen Ziele der Materialwirtschaft

Das Zielsystem der industriellen Materialwirtschaft als Teilsystem des Unternehmenszielsystems wird im folgenden um die kurzfristigen Ziele ergänzt. Der Charakter von kurzfristigen Zielen der Materialwirtschaft äußert sich darin, daß bei ihnen eine direkte Abhängigkeit von einem konkreten Bedarfsfall festzustellen ist.

Optimum a) Das materialwirtschaftliche als kurzfristiges Ziel In der Literatur findet sich die Auffassung, daß das Verwirklichen des materialwirtschaftlichen Optimums das oberste und somit langfristige Ziel der Materialwirtschaft ist. 9 Im folgenden wird gezeigt, daß das materialwirtschaftliche Optimum eher dazu geeignet ist, als kurzfristige Zielvorstellung zu dienen. Das materialwirtschaftliche Optimum, das die Bereitstellung des benötigten Materials in der erforderlichen Menge und Qualität sowie am richtigen Ort zur richtigen Zeit unter geringstmöglichem Einsatz von Mitteln fordert, 110 bezieht sich, wie Grochla selbst einräumt, auf die Bereitstellung der täglich benötigten Güter. 111 Das materialwirtschaftliche Optimum beschränkt sich somit auf konkrete Bedarfsfälle, während die langfristigen Ziele der Materialwirtschaft keine direkte Beziehung zu solchen Problemkreisen aufweisen. Weiterhin liegt durch die Formulierung des materialwirtschaftlichen Optimums ein gut strukturiertes Entscheidungsproblem vor, was sich unter anderem in den klar formulierten Zielvorstellungen äußert. 112 Gerade langfristige Zielvorstellungen sind in der Regel schlecht strukturierbar, da Unsicherheiten in bezug auf Alternativen und Konsequenzen der Handlungen bestehen.

i n

Aus diesen Ausführungen folgt, daß das materialwirtschaftliche Optimum nicht geeignet ist, als langfristige Zielvorstellung zu dienen und somit 100

Vgl. Flauen, S. 45; Fieten, Fertigungsindustrie, S. 29 und Schwab, S. 18. Vgl. Grochla, Grundlagen, S. 18. Zur Problematik der Konkretisierung des Adjektives "richtig" vgl. Zibell, S. 9 ff. l l f Vgl. Grochla/Schönbohm, S. 36. 112 Vgl. Heinen, E.: Industriebetriebslehre als Entscheidungsproblem, in: Industriebetriebslehre - Entscheidungen im Industriebetrieb, 7., vollständig überarbeitete und erweiterte Aufl., Wiesbaden 1983, S. 44. 113 Dies bedeutet nicht, daß eine schlechte Strukturierbarkeit eines Entscheidungsproblems die notwendige Voraussetzung für einen langfristigen Charakter ist. 110

118

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft

auf einer kurzfristigen Ebene anzusiedeln ist. 114 Im folgenden wird daher versucht, ein kurzfristiges Zielsystem für die industrielle Materialwirtschaft zu entwickeln, wobei getrennt nach ihren Teilbereichen vorgegangen wird.

b) Die kurzfristigen

Bereichsziele der Materialwirtschaft

aa) Die kurzfristigen Ziele des Beschaffungswesens In kurzfristiger Hinsicht kann der betriebliche Beschaffungsbereich in die Phasen Bedarfsermittlung und -prüfung, den Einkauf sowie die Materialannahme und -prüfung eingeteilt werden. 115 Die einzelnen Phasen der Materialbeschaffung sollen im folgenden durch ein Zielsystem ergänzt werden, um die Aufgabenerfüllung durch eine übergeordnete Handlungsvorschrift zu ergänzen. Die Bedarfsermittlung und -prüfung hat als Aufgabe, den Bedarf für die betrieblichen Bedarfsträger in bezug auf die benötigten Materialien festzustellen. Zu diesem Zweck ist es notwendig, die durch Verbrauchs- oder programmgebundene Verfahren festgestellten benötigten Mengen mit den Lagerbeständen und ausstehenden Lieferungen abzugleichen. In diesem Zusammenhang gewinnt das sogenannte 'materialwirtschaftliche Optimum' als Zielvorstellung an Bedeutung. Die Bedarfsermittlung und -prüfung kann als die planerische Umsetzung des materialwirtschaftlichen Optimums interpretiert werden, wobei nicht nur dem gegenwärtigen Bedarf Rechnung getragen wird. Der Einkauf stützt sich unter anderem auf Erkenntnisse der Beschaffungsmarktforschung und nutzt sie zum Beispiel für die Eingebotseinholung und -analyse. Die durch die Bedarfsermittlung und -prüfung festgestellten Materialmengen werden im Rahmen des Einkaufs auf die Lieferanten verteilt. Während bei der Bedarfsermittlung und -prüfung die originäre, technische Aufgabe des materialwirtschaftlichen Optimums im Mittelpunkt steht, hat für den Einkauf die derivative, ökonomische Aufgabe eine größere Bedeutung. Der Einkauf kann dem ökonomischen Prinzip in der Weise gerecht werden, daß die Einkaufspreise zum Beispiel über Preisverhandlungen, aber auch Rabatte oder Skonti, beeinflußt werden. Unter dem Ziel einer Mini114 Vgl. Heuer, S. 153; Bahlmann, A.R.: Informationsanalyse für das Beschaffungsmanagement, Diss., Gelsenkirchen 1982, S. 266 f. und Grochla/Schönbohm, S. 36. 115 Vgl. Schwarz, Sp. 1217. Die Beschaffungsmarktforschung gehört insofern nicht zu den Phasen der Materialbeschaffung, da sie losgelöst von konkreten Bedarfsfällen langfristige Betrachtungen anstellt. Phasen lassen sich dann einteilen, wenn der Bedarfsfall als Merkmal zugrundegelegt wird.

III. Der Aufbau eines materialwirtschaftlichen Zielsystems

119

mierung der Kosten, die durch den Einkauf beeinflußt werden, erfolgt der Aufgabenvollzug im Rahmen des Einkaufs. Hierzu zählt auch die Zusammenfassung verschiedenen Bedarfs zu größeren Bestellmengen, um Mengenrabatte zu erzielen. Die Bestellabwicklung kann somit durch eine Verringerung der Kleinbestellungen und die Einführung eines Termin- und Mahnwesens zur Verbesserung der Termin- und Mengentreue in ein kurzfristiges Zielsystem eingebunden werden. 116 Eine weitere Zielformulierung für den Einkauf besteht darin, durch eine Vorgabe von Kennzahlen, die im Verantwortungsbereich des Einkaufs liegen, zum einen den Einkauf zu steuern und zum anderen eine Basis für eine leistungsgerechte Entlohnung zu schaffen. Beispielsweise erfolgt dies durch die Vorgabe einer prozentual formulierten Einkaufspreissenkung in einer Periode. 117 Zusätzlich kann durch eine Reduktion des Materialsortimentes mittels der Nutzung von Materialsubstituten, die mehrere Eigenschaften erfüllen, ein rationalisierender Effekt für die Materialwirtschaft erzielt werden. 118 Zusammenfassend lassen sich als kurzfristige Ziele für den Einkauf Kostensenkung und die Verbesserung der Lieferbereitschaft der Lieferanten anführen. Die Materialannahme und -prüfung hat die Aufgabe, das eingehende Material anzunehmen und hinsichtlich Menge und Güte zu prüfen. Als Zielvorstellung dienen Steigerung der Effizienz der Prüfungsdurchführung durch die Auswahl geeigneter statistischer Verfahren 119 und die Senkung der Durchlaufzeiten in diesem Bereich. Die Auswahl von Prüfungsmethoden geschieht dabei im Hinblick auf die beschafften Materialien, so daß bei C- Materialien eine Stichprobenprüfung geeignet, während bei Α-Materialien unter Umständen eine Einzelprüfung sinnvoll ist. 116

Vgl. Grochla et al., S. 38. Vgl. hierzu Schnepper, St.: Leistungsorientierte Entlohnung im Einkauf, in: Beschaffung aktuell, Heft 1,1992, S. 20 f. 118 Auf Rationalisierungseffekte für die Bereiche 'innerbetriebliches Lager- und Transportwesen' durch solche Maßnahmen sei in diesem Zusammenhang lediglich hingewiesen. Vgl. 1Beste, Fertigungswirtschaft, S. 195 und Beste. Vereinheitlichung, S. 301 ff. 19 Als Beispiele mögen das AQL-System, das Dodge-Roming-System oder das PhilipsStandard-Stichprobensystem (SSS) dienen. Vgl. Arnolds/Heege/Tussing, S. 290 ff.; Deutsche Gesellschaft für Qualität e.V. (Hrsg.): Stichprobentabellen zur Attributprüfung (nach DIN 40080 - Erläuterungen und Handhabung, 5. Aufl., Berlin/Köln/Frankfurt am Main 1973, S. 7 ff.; Verband der Automobilindustrie e.V. (Hrsg.): Qualitätskontrolle in der Automobilindustrie, Sicherung der Qualität von Lieferungen in der Automobilindustrie, Lieferantenbewertung, Erstmusterprüfung, Frankfurt am Main 1975, S. 7 ff. 117

120

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft

Die Zielvorstellung für die Materialwirtschaft besteht somit darin, Materialfehler frühzeitig zu erkennen, um die Fehlerfolgekosten zu senken. Zusätzlich sollen die mit der Prüfung verbundenen Kosten gesenkt werden. Hierzu zählen die Prüfkosten, das heißt die Kosten, die durch die Prüfvorgänge und die Beurteilung der Ergebnisse verursacht werden. Prüfkosten umfassen zum Beispiel Gerätekosten wie Abschreibungen oder Instandhaltungskosten oder auch Personalkosten. Als Fehlerfolgekosten lassen sich unter anderem Kosten für Nachbesserungen oder Kosten für eine Rücksendung der fehlerhaften Materialien anführen. 120 Für die betriebliche Materialwirtschaft bedeutet die Materialprüfung eine Unterbrechung der Bereitstellung der Materialien an den Bedarfsstellen. Die Durchführung der Materialprüfung sollte auch unter dem Ziel einer Minimierung der Durchlaufzeiten erfolgen, 121 um qualitätsmindernde Liegezeiten zu vermeiden. Konkret bedeutet dies, daß zum Beispiel beim innerbetrieblichen Transportwesen keine Wartezeiten infolge von Umladevorgängen entstehen. Bei einer Stichprobenprüfung kann durch eine Anlehnung des Stichprobenumfanges an die Ladeeinheiten (Kisten, Kartons etc.) ein aufwendiges Neuverpacken der geprüften und durch die Prüfung nicht untauglich gewordenen Materialien vermieden werden.

bb) Die kurzfristigen Ziele des innerbetrieblichen Transportwesens Bei Vorliegen eines konkreten Bedarfsfalles ist es das kurzfristige Ziel des innerbetrieblichen Transportwesens, eine wirtschaftliche Raumüberbrückung zu gewährleisten. Das Ziel einer wirtschaftlichen Raumüberbrükkung wird im folgenden als Zielvorstellung für die einzelnen Aufgaben des innerbetrieblichen Transportwesens formuliert. der Transportobjekte soll in einer Weise durchgeDas Transportieren führt werden, daß ein geringer Betriebsstoffverbrauch und keine Beschädigung des Transportgutes erfolgen. 122 Eine hohe Auslastung der Transportkapazitäten im Sinne einer Erhöhung der Leistungsabgabe kann insofern nicht als eigenständiges Ziel des innerbetrieblichen Transportwesens angeführt werden, 123 da das innerbetriebliche Transportwesen eine Dienstleistungsfunktion für den Fertigungsbereich erfüllt und somit die Transportan120 121 122

123

Vgl. S. 355Grundlagen, sowie die dort Literatur. Vgl.Link, Grochla, S. angegebene 197. Vgl. Büttiker, S. 23 f.

Vgl. die gegenteilige Auffassung bei Puhlmann, S. 138 und Grochla, E./Fieten, R./ Puhlmann, M.: Aktive Materialwirtschaft in mittelständischen Unternehmen - Ein Leitfaden zur Verbesserung des Unternehmensergebnisses, Köln 1984, S. 16.

III. Der Aufbau eines materialwirtschaftlichen Zielsystems

121

fälle nicht im Entscheidungsbereich des innerbetrieblichen Transportwesens liegen. Wenn die Entscheidung über die Transportanfälle nicht in ihrem Kompetenzbereich liegt, hat es auch keinen Sinn, dies als Zielvorstellung an das innerbetriebliche Transportwesen heranzutragen. Das Ziel einer hohen Kapazitätsauslastung kann somit nicht im Sinne einer Erhöhung der Leistungsabgabe bei gleichbleibender Kapazität formuliert werden, sondern als Kapazitätsabbau bei gleichbleibender Leistungsabgabe. Die Verwirklichung des Zieles Erhöhung der Transportkapazitätsauslastung erfolgt somit durch eine Variation der Transportkapazitäten. Die Minimierung der Durchlaufzeit als Zeitdauer der Erstellung der Transportleistung kann als Zielvorstellung angeführt werden, denn diese wird durch eine entsprechende Ausgestaltung der Transporteinrichtungen beeinflußt. Die Handhabungsvorgänge bei der Durchführung eines Transportes beziehen sich auf die physischen Schnittstellen in einem Betrieb. Oftmals sind die Handhabungsvorgänge aufwendiger als die eigentliche Transportdurchführung. 124 Als Hilfsmittel zur Unterstützung der menschlichen Arbeit bei den Handhabungsvorgängen kommen zum Beispiel Stapler, Kräne oder Hebebühnen in Frage. Die Unterstüzung der menschlichen Arbeit durch Hilfsmittel geschieht auch, um die mit dem Be- und Entladen sowie dem Umladen verbundenen schweren körperlichen Arbeiten zu mildern. 125 Das Be- und Entladen der Transportmittel verursacht eine Unterbrechung des Leistungserstellungsprozesses. Diese Stillstandszeiten gilt es zu minimieren, um der Vorstellung einer wirtschaftlichen Raumüberbrückung Rechnung zu tragen. 126 Maßnahmen, die eine Minimierung der Stillstandzeiten bewirken, sind eine Vereinheitlichung der Transportmittel und -hilfsmittel sowie der Einsatz von automatischen Ladeeinrichtungen. Das Ziel einer Minimierung der Stillstandszeiten beim Entladen der Transportmittel an den Fertigungs stellen kann auch im Hinblick auf die Einbindung des Transportwesens in das Werkstückflußsystem an den Fertigungsstellen gesehen werden. 127 Durch eine Normung der Transport- und Fertigungseinheiten ist ein Entladen der Transportmittel an den Fertigungsstellen teilweise nicht mehr notwendig, wie beispielsweise beim Durchlauf eines Stetigförderers durch ein chemisches Bad oder dem Lackieren von Werkstücken während des Transportes. 124

Vgl. Krippendorf, H.: Materialflußgestaltung, Praxis, der, in: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft, hrsg. von W. Kern, Stuttgart 1979, Sp. 1238. 125 Vgl. Merbach, H.: Zu Fragen des innerbetrieblichen Transportes, Berlin 1957, S. 37 f. 126 Vgl. Merbach, S. 38. 177

Vgl. Moroff; S. 85 ff. und Kief H.B.: Flexible Fertigungssysteme '89/90 - Das Handbuch der flexiblen Automation, Michelstadt o.J., S. 9.1 ff.

122

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft

Das Ziel einer Senkung der Durchlaufzeiten bedeutet für Umladevorgänge wie Sortieren, Vereinzeln, Sammeln diese zu minimieren. Die Minimierung der Umladevorgänge trägt auch dem Prinzip der ungebrochenen Linearität Rechnung. Bei den Umladevorgängen besteht auch die Gefahr der Materialbeschädigung, der durch den Einsatz automatischer Palettier- und Depalettieranlagen begegnet wird. 128 Die kurzfristigen Ziele des innerbetrieblichen Transportwesens umfassen in ihrer Gesamtheit somit Kostensenkungsziele und die Verbesserung des Materialbereitstellung. cc) Die kurzfristigen Ziele des Lagerwesens Während beim innerbetrieblichen Transportwesen eine wirtschaftliche Raumüberbrückung als Zielvorstellung im Vordergrund steht, erfolgt der eigentliche Lagervorgang unter dem Aspekt einer wirtschaftlichen Zeitüberbrückung. Die Lagerung soll hierbei die quantitativen und qualitativen Eigenschaften der Materialien als Lagerobjekte nicht verändern. 1 9 Ein Ziel der Materiallagerung ist somit in der Erhaltung der Materialqualität zu sehen. Als kurzfristige Zielvorstellungen kann den Ein- und Auslagerungsvorgängen ein fehlerfreier und schneller Zugriff auf die Materialien unterlegt werden. 130 Die zu minimierende Zugriffszeit auf die eingelagerten Materialien ist abhängig von dem Lagerort, der Lagerordnung, der Wegstrecke und der Störanfälligkeit des Systems. Eine wirtschaftliche Zeitüberbrückung bedeutet auch eine Vermeidung von Umlagerungsvorgängen. Technologisch bedingte Umlagerungen 131 wie das Umschichten von Materialien, um Qualitätsverlusten vorzubeugen, werden durch einen Erhöhung des Lagerumschlages vermindert. Organisatorisch bedingte Umlagerungen in andere Lager sollten ganz vermieden werden. Die Vermeidung von Umlagerungen begründet sich auf dem Prinzip der ungebrochenen Linearität, das vom Transportwesen auf das Lagerwesen übertragen werden kann. Die einzelnen Ziele der Materialwirtschaft in lang- und kurzfristiger Hinsicht sind in ihren Beziehungen zueinander nicht als konfliktfrei anzuse128

Vgl. zur Automatisierung im Bereich der betrieblichen Materialwirtschaft Broom , H.N.:1 2Production Management, Revised Edition, Homewood (Illinois) 1967, S. 402 ff. 9 Von der Veredelungsfunktion als Motiv der Lagerhaltung sei an dieser Stelle abgesehen. 130 Vgl. Büttiker, S. 23. ιαι Vgl. Har lander /Platz, S. 241.

IV. Die Zielkonflikte in der Materialwirtschaft

123

hen. Nach der Darstellung der Bestandteile eines materialwirtschaftlichen Zielsystems stehen im folgenden die möglichen Zielkonflikte im Mittelpunkt der Betrachtungen.

IV. Die Zielkonflikte in der Materialwirtschaft 1. Das Entstehen von Zielkonflikten

Der Aufbau eines Zielsystems hat in einer Weise zu erfolgen, daß sich die einzelnen Ziele nicht widersprechen. Ein Zielsystem soll demnach ein logisch widerspruchsfreies System darstellen. 132 Dieser Auffassung kann entgegengehalten werden, daß eine solche Sichtweise die Problematik bei der Zielsystemfindung zu eng und zu einseitig betrachtet. Die Konfliktfreiheit von Zielsystemen ist nicht nur eine Frage der logischen Widerspruchsfreiheit zwischen den einzelnen Zielen, sondern auch ein Resultat der prak1

tischen Umsetzung des Zielsystems im betrieblichen Geschehen. Konflikte in einem unternehmerischen Zielsystem resultieren zum einen aus einer sachlogischen Verbundenheit von Zielen mit unterschiedlichem Zielinhalt und zum anderen aus den mit der Umsetzung der Zielvorstellungen verbundenen Entscheidungen, deren Konsequenzen die Erreichung anderer Ziele beeinträchtigen oder im Extremfall sogar ausschließen.134 Das Entstehen von Konflikten in einem Zielsystem unterliegt keiner Zwangsläufigkeit, sondern ist vielmehr Ausdruck einer möglichen Verbundenheit von einzelnen Zielen, die sich in konfliktären Beziehungen und Kompatibilitätsbeziehungen äußern kann. Einzelne Ziele weisen eine völlige Unabhängigkeit von anderen Zielvorstellungen, die ebenfalls in einem Unternehmen verfolgt werden, teilweise nur zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines begrenzten Unternehmensbereiches auf 135 . Die Beziehungen zwischen verschiedenen Zielen führen nicht unbedingt zu Zielkonflikten, sondern es können sich auch Beziehungen herausbilden, bei denen sich die Ziele ein- oder wechselseitig in 132

Vgl. Strasser, H.: Zielbildung und Steuerung der Unternehmen, Diss., Wiesbaden 1966,133S. 13 f. Vgl. Berthel, S. 67 sowie Myrdals Unterscheidung in Zwecke sowie erwünschte und unerwünschte Nebenwirkungen bei der Umsetzung von Zielen. Vgl. Myrdal, S. 305. 134 Vgl. Andrà, S. 130. 135

Vgl. hierzu auch Giersch, der der Meinung ist, daß es in einem Zielsystem kein Ziel geben wird, "das nicht zu irgendeinem anderen (Ziel; A.d.V.) in irgendeiner Beziehung steht." Giersch, H.: Allgemeine Wirtschaftspolitik, 1. Band, Grundlagen, Wiesbaden 1960, S. 52.

124

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft 1 "Vi

bezug auf ihre Zielerreichungsgrade positiv beeinflussen. Solchen komplementären Beziehungen wird durch eine Über- und Unterordnung der Ziele Rechnung getragen. Das untergeordnete Ziel ist dabei das Mittel zum Zweck der Erreichung der übergeordneten Zielvorstellung. 137 Neben dieser eher statischen Sichtweise bilden sich Zielkonflikte auch erst im Zeitablauf 1

bei veränderten Datenkonstellationen heraus, wenn die Mitglieder von Unternehmen, die für ihren Bereich Zielvorstellungen verfolgen, mit anderen Unternehmensbereichen knappe Mittel teilen müssen. Somit kann als eine Ursache für das Entstehen von Zielkonflikten die Konkurrenz von Unternehmensbereichen und der Mitarbeiter um - im Sinne der beiden Zielvorstellungen - knappe Mittel angeführt werden. Der Zielkonflikt ist somit Resultat von Maßnahmen, die ergriffen werden, um das Ziel zu erreichen, obwohl die einzelnen Ziele - theoretisch -einen komplementären Charakter aufweisen. Zielkonflikte entstehen auch durch die Fixierung auf ein bestimmtes Ziel und die dadurch bedingte Vernachlässigung anderer Ziele. 139 Die Zielkonflikte zwischen Zielen, die sich auf unterschiedliche Teilbereiche oder Individuen beziehen,140 äußern sich in Zielkonkurrenz oder im Extremfall in Zielantinomien. Zielkonkurrenz bedeutet, daß sich Ziele in bezug auf die Möglichkeit ihrer Verwirklichung gegenseitig negativ beeinflussen. 141 Als Extremfall der Zielkonkurrenz ist die Zielantinomie zu sehen, die aus dem Verhältnis solcher Ziele resultiert, die sich im Verhältnis der Zielerreichungsgrade zueinander gegenseitig ausschließen. Eine Zielantinomie kann zum einen aus der gleichzeitigen Verfolgung von Zielen mit gleichem Zielinhalt aber sich gegenseitig ausschließenden Zielausmaßen14 und zum anderen aus der sachlogischen Beziehung zwischen Zielen mit unterschiedlichen Zielinhalten, wie beispielsweise die Erhöhung der Kapazitätsauslastung einer Maschine und die Senkung des Betriebsmittelverbrauchs dieser Maschine, resultieren. Folgendes Schaubild gibt einen Überblick über die verschiedenen Arten von Zielbeziehungen:143 136

Vgl. Bidlingmaier, J.: Unternehmerziele und Unternehmerstrategien, Wiesbaden 1964,1 3S. 7 45. Vgl. Myrdal, S. 305. 138 Vgl. Berthel, S. 47. 139

Im Rahmen dieser Arbeit sollen Zielkonflikte zwischen persönlichen und betrieblichen1 Zielen außer acht gelassen werden. Vgl. hierzu Bidlingmaier/Scheider, Sp. 4732 f. 40 Vgl. Szyperski, N./Tilemann, T.: Ziele, produktionswirtschaftliche, in: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft, hrsg. von W. Kern, Stuttgart 1979, Sp. 2314. 141 Vgl. hierzu auch Steffens, F.E.: Praxeologie in der Betriebswirtschaft - Prolegomena zur meta-betriebswirtschaftlichen Theorie, Diss. Köln 1965, S. 38 ff. 142 Vgl. Berthel, S. 48. 143 Vgl. hierzu auch Gäfgen, S. 119 ff.

I . Die

enflkte

der Materialwirtschaft

125

Zielbeziehungen

Indifferenzbeziehungen

Komplementärbeziehungen

Konkurrenzbeziehungen

Antinomiebeziehungen

Abb. 13. Erscheinungsformen von Zielbeziehungen Quelle: Andrà, S. 131.

Einzelne Ziele in einem Teilsystem des unternehmerischen Zielsystems können sowohl zu den Zielen anderer Unternehmensbereiche (interfunktional) als auch untereinander (intrafunktional) in einer konfliktären Beziehung stehen. Weiterhin entstehen Zielkonflikte in hierarchischer und zeitlicher Hinsicht. Das Entstehen von Zielkonflikten in einem Unternehmenszielsystem kann nicht generell als zu vermeidender Effekt bezeichnet werden. Der Grund liegt darin, daP Zielkonflikte durchaus positive Aspekte aufweisen können, wenn die Konflikte produktiv genutzt werden. Wenn zum Beispiel zwei Unternehmensbereiche Ziele aufweisen, die in einer konfliktären Beziehung zueinander stehen, und beide Bereiche erstens auf die gleichen Mittel angewiesen sind und zweitens die beiden Ziele in einer inneren Beziehung zueinander stehen, führt das dem Konflikt zugrundeliegende Dilemma zu einer Lösung dergestalt, daß sich entweder ein Ziel und damit ein Unternehmensbereich durchsetzt oder es zu einem Kompromiß kommt. In diesem Sinne dienen Konflikte der Führungsschulung von Mitarbeitern. 144 Ein konfliktfreies Zielsystem kann und soll nicht der Idealfall der Entwicklung eines betriebsindividuellen Zielsystems sein. In diesem Zusammenhang hat Schmalenbach darauf hingewiesen, daß "harmonische Betriebsorganismen" nicht als Voraussetzung des wirtschaftlichen Erfolgs einer Unternehmung gelten müssen.145 144

Ob und inwieweit für die Materialwirtschaft institutionalisierte Konflikte sinnvoll erscheinen, soll nicht Gegenstand der Erörterungen sein. Die Institutionalisierung von Konflikten kann sowohl innerhalb des Zielsystems der betrieblichen Materialwirtschaft als auch im Verhältnis zu anderen Unternehmenszielen erfolgen. Zur Institutionalisierung von Konflikten vgl. Krüger, W.: Konfliktsteuerung als Führungsaufgabe - Positive und negative Aspekte von Konfliktsituationen, München 1973, S. 19. 145 Vgl. Schmalenbach, Wirtschaftslenkung, S. 5 f.

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft

126

2. Interfunktionale Zielkonflikte

Interfunktionale Zielkonflikte ergeben sich aus der sachlichen Verbindung zwischen einzelnen Teilbereichen der Unternehmung, so daß die Zielverwirklichung in einem Unternehmensbereich durch Maßnahmen in anderen Unternehmensbereichen behindert wird. Die Verbindung kann zum Beispiel über ein gemeinsames Objekt wie Erzeugnisse oder Materialien oder einen gemeinsamen Verrichtungsvorgang bestehen. Churchman spricht in diesem Zusammenhang sogar davon, daß sich interfunktionale Zielkonflikte geradezu zwangsläufig ergeben. Den Grund hierfür sieht er darin, daß ein Erfolg in einem Unternehmensbereich vielfach einen Erfolgsrückgang in anderen Unternehmensbereichen bewirkt. 146 Die Materialwirtschaft verfolgt als Ziel unter anderem eine Verminderung der Teilevielfalt der Beschaffungsmaterialien, um Größeneffekte in Form von Mengenrabatten zu erreichen. Ein wenig spezialisiertes Materialsortiment ruft in bezug auf das innerbetriebliche Transport- und Lagerwesen wenig Umrüstvorgänge hervor. Analog dem Produktionsbereich versucht die Materialwirtschaft unter Beachtung der Stückliste, Rationalisierungseffekte durch eine Vereinheitlichung zu erzielen, 147 so daß produktions- und materialwirtschaftliche Ziele eher eine komplementäre Beziehung aufweisen. Ein Zielkonflikt zu absatzwirtschaftlichen Zielen entsteht dadurch, daß ein vereinheitlichtes Materialsortiment oft nicht ausreicht, um eine genügende Produktvariation zu begründen. Auch steht ein vereinheitlichtes Materialsortiment einer kundenspezifischeren Fertigung im Wege. Sonderwünschen von Kunden kann somit nur unter Inkaufnahme höherer Produktionskosten Rechnung getragen werden. Andere Unternehmen, die kundenspezifischer fertigen, erzielen in diesem Bereich Wettbewerbsvorteile. Die Finanzwirtschaft einer Unternehmung verfolgt unter anderem 148 eine Verbesserung des Liquiditätsstatus als Zielvorstellung. 149 Zu einer Verbesserung des Liquiditätsstatus kann die industrielle Materialwirtschaft in der Weise beitragen, daß die Kapitalbindung in den Lagerbeständen 146

Vgl. Churchman , W.C.: Prediction and Optimal Decision - Philosophical Issues of a Science of Values, Englewood Cliffs/New Jersey 1961, S. 314 und Fürstenberg, F.: Grundfragen der 1 4 7 Betriebssoziologie, Köln/Opladen 1964, S. 128 ff. Vgl. hierzu Beste, Vereinheitlichung, S. 301 ff. 148 Zu finanzwirtschaftlichen Zielen vgl. Schneider, D.: Ziele, finanzwirtschaftliche, in: Handwörterbuch der Finanzwirtschaft, hrsg. von H.E. Büschgen, Stuttgart 1976, Sp. 1917 ff. 149 Vgl. Höhn, S.: Materialwirtschaft als Teil der Unternehmensstrategie - dargestellt am Beispiel der Automobilindustrie, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 34. Jg. der Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung, Neue Folge, 1982, S. 55.

I . Die

enflkte

der Materialwirtschaft

127

durch eine Erhöhung der Lagerumschlagshäufigkeit oder einer Senkung der durchschnittlichen Bestandshöhe verringert wird. Zielkonflikte ergeben sich dadurch, daß die Höhe der Sicherheitsbestände unter Umständen von den Leitern der Finanzabteilung und der Materialwirtschaft unterschiedlich eingeschätzt werden. Die Materialwirtschaft hat als Ziel die Sicherung der Versorgung der betrieblichen Bedarfsträger mit Materialien. Dieses Ziel kann durch den Aufbau von Sicherheitsbeständen erreicht werden. Interfunktionale Zielkonflikte zwischen den Zielvorstellungen der Materialwirtschaft und denen anderer Unternehmensbereiche finden ihren gemeinsamen Kern oftmals bei der Bestandspolitik. Die Bestandsverursachung kann sowohl bei der Materialwirtschaft als auch bei den anderen Unternehmensbereichen liegen. Die Materialwirtschaft muß folglich den Maßnahmen anderer Bereiche entgegenwirken, um deren Folgen, das heißt die Bestandserhöhungen, abzumildern. Die Materialwirtschaft stellt somit eine Korrekturinstanz für andere Bereiche dar. Aus dieser Formulierung wird der Zielkonflikt deutlich, da die Materialwirtschaft den bestandsmäßigen Folgen von Sektoralzielen entgegentreten muß, während die Unternehmensbereiche die bestandsmäßigen Konsequenzen nicht bei der Formulierung ihrer Sektoralziele einbeziehen. Beispielsweise besteht bei der Forschungs- und Entwicklungsabteilung unter anderem die Vorstellung, daß ein Produkt ausreifen muß. Dies umfaßt auch ein teilweise mehrmaliges Ändern der Produktgestaltung. Für die Materialwirtschaft bedeuten Veränderungen des Produktes zum einen eine mögliche Bestandserhöhung, da das neue Produkt unter Umständen eine größere Teilevielfalt erfordert, was die Zahl der Lagerobjekte erhöht. Zusätzlich werden die Lagerbestände an Materialien, die keine Verwendung mehr finden, für die Leistungserstellung wertlos. Die Veränderungen des Produktes sollten sich zum anderen im Rahmen der Flexibilitätsgrenzen des innerbetrieblichen Lager- und Transportwesens bewegen. Die Flexibilitätsgrenzen werden hierbei durch Gewicht, Abmessungen oder physikalische und chemische Eigenschaften der Materialien bestimmt.

3. Intrafunktionale Zielkonflikte

Intrafunktionale Zielkonflikte in einem Zielsystem entstehen infolge der Beziehungen zwischen Zielvorstellungen, die sich in ihrem Zielinhalt auf eine Unternehmensfunktion beschränken. Zum einen treten intrafunktionale Zielkonflikte in Form der Konkurrenz zwischen einzelnen aufwands- oder kostenminimierenden Zielvorstellungen und zum anderen zwischen auf-

128

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft

wands- oder kostenminimierenden Vorstellungen einerseits und leistungserhöhenden Zielvorstellungen andererseits, auf. 0 Die Untersuchung der intrafunktionalen, materialwirtschaftlichen Zielkonflikte stellt die Ziele der einzelnen Teilfunktionen der Materialwirtschaft in den Mittelpunkt. Intrafunktionale Zielkonflikte im Rahmen der aufwands- oder kostenminimierenden Einzelziele enstehen zum Beispiel zwischen den Zielen des Beschaffungswesens und des Lagerwesens. Während das Beschaffungswesen die Bestellmengen im Hinblick auf die Erzielung von Mengenrabatten optimiert, verfolgt das Lagerwesen das Ziel, die Kapitalbindungskosten mittels einer Bestandssenkung zu vermindern. 151 Ein Zielkonflikt zwischen aufwands- oder kostenminimierenden Zielen und leistungserhöhenden Zielen besteht zum Beispiel darin, den Lagerumschlag zu erhöhen, um hierdurch Lagerraum einzusparen und die durchschnitliche Bestandshöhe zu senken und gleichzeitig in Abstimmung mit der Arbeitsvorbereitung die Transportfrequenz zu senken, um die Transportmittel besser auszulasten. Der Zielkonflikt besteht in diesem Falle darin, daß die Lagerbestände im Lager zwar abgebaut werden, es aber zu einer Bestandszunahme an der Schnittstelle zwischen Lager- und Transportwesen kommt. Im Rahmen der Materialbeschaffung kann sich ein Zielkonflikt zwischen dem Ziel einer 'Einkaufspreissenkung' und der 'Erhöhung der Qualität der beschafften Materialien' einstellen.15 Einen Lösungsansatz zur Abmilderung oder gar Behebung intrafunktionaler Zielkonflikte stellt ein simultaner Abgleich der einzelnen Ziele während der Erstellung des Zielsystems dar.

4. Hierarchiebedingte Zielkonflikte

Neben den bisher dargestellten Zielkonflikten, die sich auf Beziehungen zwischen Zielvorstellungen horizontaler Art beziehen, können auch Zielkonflikte dergestalt auftreten, daß in vertikaler Hinsicht innerhalb eines Zielsystems konfliktäre Situationen auftreten. Vertikale Zielkonflikte äußern sich dadurch, daß die Bereichsentscheidungen, die getroffen werden, nicht geeignet sind, den Zielerreichungsgrad der übergeordneten Zielvorstellungen zu erhöhen. 153 150

Vgl. Szyperski/Tilemann, Sp. 2315. Vgl. Korndörfer, S. 45. 152 Vgl. Busch, H.F.: Materialmanagement in Theorie und Praxis - Mit computerunterstützten Materialwirtschaftskonzepten zu steigendem Unternehmenserfolg, Lage/Lippe 1984, S. 132. 153 Vgl. Bidlingmaier, Zielkompromisse, S. 114 f. 151

I . Die

enflkte

der Materialwirtschaft

129

Eine Ursache für hierarchiebedingte Zielkonflikte liegt darin, daß ebenfalls wie bei den interfunktionalen Zielkonflikten durch eine mangelnde Informationsversorgung der innere Zusammenhang des Zielsystems den einzelnen Entscheidungsträgern nicht bekannt ist. 15 Ebenso wie bei den interfunktionalen Zielkonflikten wird dieser negative Aspekt noch dadurch verstärkt, daß die einzelnen Unternehmensbereiche über gemeisame Objekte oder Verrichtungen eng miteinander verknüpft sind, so daß sich Entscheidungen in einem Unternehmensbereich auch auf andere Unternehmensteile auswirken können. Die vertikale Betrachtungsweise hat zum Inhalt, die Zielvorstellungen der Materialwirtschaft und der übergeordneten Unternehmensziele sowie zwischen den materialwirtschaftlichen Oberzielen und den Ober- 155 und Unterzielen der Teilbereiche der Materialwirtschaft transparent zu machen. Vertikale Zielkonflikte entstehen auch dadurch, daß die Entscheidungsträger untergeordneter Unternehmensteile aufgrund der Sicherung ihrer Existenz oder der Wahrung ihrer Karriereinteressen sich eher auf die Verwirklichung der untergeordneten Ziele konzentrieren, als daß sie sich den übergeordneten Zielen verbunden fühlen. "Die Abteilungsloyalität steht (somit; A. d. V.) über der Unternehmungsloyalität."156 Eine weitere Ursache für hierarchiebedingte Zielkonflikte liegt in einer ungenügenden Ableitung und Operationalisierung der untergeordneten Zielvorstellungen. Es besteht hierbei ein Konfliktpotential dergestalt, daß unklar bleibt, welche Zielerreichung am besten geeignet ist, das übergeordnete Ziel zu verwirklichen. 157 Im Rahmen der Materialwirtschaft treten hierarchiebedingte Zielkonflikte zwischen den Vorstellungen für die Materialwirtschaft und den betrieblichen Oberzielen auf. Beispielsweise steht das langfristige Bereichsziel für das Beschaffungswesen - Intensivierung der Zusammenarbeit mit den Lieferanten - in Konflikt zum betrieblichen Oberziel Erhaltung der Selbständigkeit und damit der Vermeidung von Abhängigkeiten. Eine Verbesserung der Materialqualität hat oftmals eine Erhöhung der Einkaufspreise zur Folge, so daß die Materialwirtschaft dem betrieblichen Oberziel einer Rentabilitätserhöhung entgegenwirkt. Die Rentabilität wird auch dadurch gesenkt, daß im Rahmen der Verbesserung des innerbetrieblichen Lieferservices Investitionen in automatische Transport- und Lagereinrichtungen getätigt werden, wobei die Abschreibungen auf diese Einrichtungen die Gesamtkosten des Unternehmens erhöhen. 154

Vgl. Szyperski/Tilemann, Sp. 2316. Oberziele der einzelnen Teilbereiche der betrieblichen Materialwirtschaft sind gleichzeiti^Mittelziele in bezug auf die Materialwirtschaft als Ganzes. 56 Bidlingmaier, Zielkompromisse, S. 116. 157 Vgl. Bidlingmaier, Zielkompromisse, S. 118. 155

9 Brecht

130

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft

Innerhalb der Materialwirtschaft treten vertikale Zielkonflikte bei den einzelnen materialwirtschaftlichen Teilfunktionen auf. Vertikale Zielkonflikte im Beschaffungswesen werden beispielsweise dadurch verursacht, daß die Verminderung der Einkaufspreise die langfristig angestrebte partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Lieferanten beeinträchtigt.1 Im Bereich des Lagerwesens treten solche Zielkonflikte zwischen der Senkung der Lagerbestände und der Sicherstellung der innerbetrieblichen Lieferbereitschaft auf. 159 Die Verbesserung der Flexibilität des innerbetrieblichen Transportwesens steht in vertikaler Hinsicht dem Ziel einer Senkung der Transportkosten entgegen, da die Flexibilität des Transportwesens in räumlicher und zeitlicher sowie art- und mengenmäßiger Hinsicht mit Leer kosten verbunden ist. Die Leerkosten werden durch die bereitgehaltenen Kapazitätsreserven verursacht. Bei Betrachtung der Ziele, die in einem vertikalen Zielkonflikt stehen, wird deutlich, daß die Bestimmung des Zielausmaßes, wie zum Beipiel "Erhöhung", "Senkung", "Minimierung" oder "Maximierung", ein Konfliktpotential aufgrund der offenen Formulierung in sich bergen. Ein Ansatz, das Konfliktpotential abzubauen, beruht darauf, Anspruchsniveaus festzulegen, die erreicht werden sollen wie beispielsweise eine 10 %-ige Senkung der Einkaufspreise. Wird das Ziel verwirklicht, kann das Anspruchsniveau anschließend wiederum geändert werden. Die Zielverwirklichung wird auf den einzelnen Anspruchsniveaus mit übergeordnetem Ziel abgeglichen, damit Informationen darüber gewonnen werden, welcher Zustand es gewährleistet, beide Ziele möglichst zu verwirklichen. Es wird dabei von der Vorstellung ausgegangen, daß die Ziele dann als erfüllt gelten, wenn es keine weitere Handlungsalternative gibt, die einen höheren Zielerreichungsgrad bei beiden Zielen verspricht. Auf diese Weise werden die extremalen Zielformulierungen in sogenannte Satisfaktionsziele überführt. 160 Eine weitere Möglichkeit, vertikale Zielkonflikte zu lösen, bietet das Organisationsprinzip der pretialen Lenkung. Der grundlegende Ansatz der pretialen Betriebslenkung besteht darin, den untergeordneten Abteilungen weitgehende Selbständigkeit im Sinne von Kompetenz und Verantwortung zu überlassen und sich als übergeordnete Abteilung nur bei wesentlichen Entscheidungen einzuschalten.1

158

159

Vgl. Busch, S. 132.

Vgl. Grochla, Unternehmensführung, S. 4. Vgl. hierzu Hauschildt, Struktur, S. 716 f. Vgl. Schmalenbach, Wirtschaftslenkung, S. 8. Zur pretialen Lenkung in den Bereichen Beschaffung und Vorratswirtschaft vgl. Schmalenbach, Wirtschaftslenkung, S. 23 f. und S. 36 ff. 160 161

IV. Die Zielkonflikte in der Materialwirtschaft

131

5. Zeitlich bedingte Zielkonflikte

Neben dem Zielinhalt und dem Zielausmaß kann der zeitliche Aspekt der Formulierung von Zielen zu Zielkonflikten führen. Oberziele determinieren die maximale zeitliche Entfernung oder Ausdehnung für Sektoralziele, die aus ihnen abgeleitet werden." 16 Zielkonflikte aufgrund des zeitlichen Horizontes von Zielen entstehen zum einen dadurch, daß die aus den Oberzielen abgeleiteten, kurzfristigen Unterziele in ihrer Geltungsdauer über die zeitliche Erstreckung der übergeordneten Ziele hinausreichen. Bei diesem eher theoretischen Fall stellt sich das Problem, den eigentlich abgeleiteten kurzfristigen Zielen einen Zielinhalt zu geben, der auch zu geänderten langfristigen Zielen noch in einer komplementären Beziehung steht. Als Beispiele lassen sich die geänderten Oberziele bei Umgründungen von Unternehmen anführen. 163 Ein weiteres Konfliktpotential besteht darin, daß in bezug auf die "Gegenwarts-Ressourcen" (Gälweiler) kurz- und langfristige Ziele konfliktär zueinander stehen.164 Die Gegenwarts-Ressourcen stellen nichts anderes als die Mittel, die zur Zielerreichung benötigt werden, dar. Falls die Mittel knapp werden, stellt sich das Problem, ob und inwieweit kurzfristige im Verhältnis zu langfristigen Zielvorstellungen zurückgestellt oder bevorzugt werden sollen.16 So kann zum Beispiel der 'Aufbau eines EDV-gestützten Informations· und Steuerungssystems' für das innerbetriebliche Transportwesen dem Ziel einer 'wirtschaftlichen Raumüberbrückung' für einzelne Bedarfsfälle mittels einer Investition in die Vereinheitlichung von Transportmitteln und -hilfsmitteln entgegegenstehen. Die Verwirklichung beider Ziele stützt sich in diesem Falle auf ein begrenztes Investitionsbudget. Die Verwirklichung des zeitlich näherliegenden Zieles und damit der notwendigen Investitionen zur Vereinheitlichung kann zwar entsprochen werden, aber dadurch steht der Verwirklichung des langfristigen Zieles nur noch ein begrenztes Budget zur Verfügung. Einen Ausweg aus einer solchen Konfliktsituation bietet eine Bewertung der Investitionsprojekte mittels Prioritätskennziffern. Erst wenn das Investitionsprojekt mit der Prioritätsziffer 1 in bezug auf die Finanzierung gesi162 163

164

Berthel, S. 45. Vgl Andrà, S. 210 f.

Gälweiler führt in diesem Zusammenhang noch mittelfristige Ziele an, die aber im Rahmen dieser Untersuchung außer acht gelassen werden, da das hier gewählte Unterscheidungsmerkmal - Bezug zu einem konkreten Bedarfsfall - zur Abgrenzung der mittelfristigen Ziele keine brauchbaren Ergebnisse liefert. Vgl. Gälweiler , Α.: Unternehmensplanung Grundlagen und Praxis, Frankfurt am Main/New York 1974, S. 126. 165 Vgl. Gälweiler, S. 126. 9*

132

C. Das Zielsystem der Materialwirtschaft

chert ist, wird das Projekt mit der Prioritätsziffer 2 bearbeitet usw. Der Zielkonflikt wird hierdurch zwar nicht gelöst, aber zumindest praktikabel gemacht. Ein Zielkonflikt zwischen kurz- und langfristigen Zielen beruht nicht immer auf begrenzten Gegenwarts-Ressourcen. So kann sich beipielsweise ein Konflikt zwischen dem kurzfristigen Ziel 'Minimierung oder Senkung der Einkaufspreise' und der langfristigen Zielvorstellung der 'Intensivierung der Zusammenarbeit mit den Lieferanten' einstellen, wenn einzelne Lieferanten aufgrund einer restriktiven Handhabung des kurzfristigen Zieles bezüglich einer engeren Zusammenarbeit dem Unternehmen gegenüber nicht sehr aufgeschlossen sind. Die Konkurrenz von Zielen mit unterschiedlichen zeitlichen Bezugsrahmen erfährt dann einen Bedeutungszuwachs, wenn sich das Unternehmen in einer Krisensituation, wie zum Beispiel eine Unternehmenssanierung, befindet. In diesem Falle werden kurzfristige Zielvorstellungen zugunsten künftiger Zielperioden zurückgestellt. 166 Der Aspekt der 'künftigen Zielperioden' wird auch in der Weise verstanden, daß sich zeitlich bedingte Zielkonflikte nicht nur zwischen kurz- und langfristigen Zielen innerhalb eines Zielsystems einstellen, sondern auch zwischen verschiedenen Zielsystemen - und hier zum Beispiel zwischen den kurzfristigen Zielen unterschiedlicher Planungshorizonte. In diesem Falle treten alle anderen Arten von Zielkonflikten ebenfalls auf. So kann der Zustand auftreten, daß das kurzfristige Ziel 'Senkung der Einkaufspreise um χ %' in späteren Perioden nicht verwirklicht wird, falls sich die Lieferanten darauf berufen, daß sie dem Unternehmen eine weitere Preissenkung nicht mehr zubilligen, da sie bereits in Vorperioden der damaligen Preissenkung zugestimmt haben und eine weitere aus Gründen der gewünschten Gewinnspanne nicht mehr akzeptiert wird. Ein Lösungsansatz besteht in einer solchen Situation darin, mittels einer revolvierenden Planung das kurzfristige Ziel der Einkaufspreissenkung in der folgenden Periode unter Berücksichtigung der Zielerreichung in dieser Periode festzulegen. Die Verwirklichung von Zielen ist neben betriebsindviduellen Gegebenheiten auch von Faktoren abhängig, die aus der Verbundenheit eines Unternehmens mit der sie umgebenden Umwelt resultieren. Im folgenden werden daher die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft erörtert. Es wird dabei aufgezeigt, welche Rahmenbedingungen für die Materialwirtschaft existieren und auf welche Weise sie die Materialwirtschaft beeinflussen.

166

Vgl. Gälweiler, S. 127.

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft Die Ziele und die Aufgaben eines Unternehmens oder einzelner Teilbereiche müssen im Hinblick auf das sie umgebende Umfeld betrachtet werden, denn dieses eröffnet sowohl Chancen als auch Risiken für das Unternehmen. Die Rahmenbedingungen stellen zum einen Daten für das Unternehmen, und zum anderen Variablen, die im Sinne des betrieblichen Zielsystems gestaltet werden können, dar. 1 Im folgenden sollen daher die Rahmenbedingungen für die betriebliche Materialwirtschaft betrachtet werden, wobei nach grundlegenden, theoretischen Ausführungen zunächst die unternehmensexternen und dann die unternehmensinternen Rahmenbedingungen dargestellt werden. Den Abschluß dieses Hauptteils bildet eine Beschreibung der Leistungsmerkmale der Materialwirtschaft, die sich auf diese Rahmenbedingungen stützen.

I. Die Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns

Die Unterscheidung in externe und interne Rahmenbedingungen spiegelt auch die Möglichkeit der Beeinflussung der Rahmenbedingungen wider. Während interne Bedingungen von der Unternehmung selbst gewählt werden, entziehen sich die externen Bedingungen oftmals der Beeinflussung durch ein einzelnes Unternehmen. Die internen Bedingungen sind somit Eigenschaften der Unternehmung, während die externen Bedingungen Eigenschaften der Umwelt darstellen.2

Vgl. Sandig, C.: Die Führung des Betriebes - Betriebswirtschaftspolitik, Stuttgart 1953, S. 20 f.; Mellerowicz, K.: Unternehmenspolitik, Band 1, 2. Aufl., Freiburg im Breisgau 1963, S. 37; Krüger, W.: Umweltwandel und Unternehmungsverhalten, in: Zeitschrift für Organisation, 43. Jg. 1974, S. 65 ff.; Wollnik, M.: Einflußgrößen der Organisation, in: Handwörterbuch der Organisation, hrsg. von E. Grochla, 2., völlig neu gestaltete Aufl., Stuttgart 1980, Sp. 593 und Grochla, E.: Einführung in die Organisationstheorie, Stuttgart 1978, S. 18 f. 2 Vgl. Kieser/Kubicek, S. 222.

134

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

1. Die externen Rahmenbedingungen als Ausdruck der Beziehungen zwischen Unternehmung und Umwelt

a) Die Unternehmung als Teil der Wirtschaft Unternehmen sind auf vielfältige Weise mit außerhalb des Unternehmens stehenden Personen, Personengruppen oder Institutionen verbunden. Diese Verbundenheit resultiert nicht nur aus einem der grundlegenden Wesensmerkmale eines Unternehmens - der Fremdbedarfsdeckung - sondern auch aus dem Interesse, das bestimmte Personen oder Personenpruppen sowie Institutionen an das Unternehmen herantragen. 4 Die Beziehungen eines Unternehmens zu anderen Wirtschaftseinheiten sind in bezug auf die Leistungserstellung von großer Bedeutung. Der Grund hierfür liegt darin, daß für die unternehmerische Leistungserstellung nicht nur die unternehmensinternen Transformationsprozesse bedeutsam sind, sondern auch die Gestaltung der Transaktionsprozesse zum einen mit den Wirtschafteinheiten, von denen die Produktionsfaktoren bezogen werden, und zum anderen mit den Wirtschaftseinheiten, an die die erstellten Güter abgegeben werden.5 Die Verbundenheit eines Unternehmens mit seiner Umwelt kommt bei der Beschaffung von Produktionsfaktoren und der Abgabe der erstellten Leistungen an die Abnehmer als Beschaffungs- bzw. Absatzmarktbeziehungen zum Ausdruck. Bei den Beschaffungs- und Absatzmarktbeziehungen ist die Unternehmung als gestaltender Teil einbezogen, während auch Beziehungen denkbar sind, die für ein Unternehmen Bedeutung haben, aber in denen sie nicht als einzelner Aktionspartner in Erscheinung tritt 6 wie zum Beispiel die Gesetzgebung. In diesem Falle kann eine Unternehmung die Gesetzgebung nicht unmittelbar beeinflussen, aber zumindest Anregungen oder Impulse geben.7 Das gemeinsame Merkmal der BeziehungszusammenWeitere Merkmale eines Unternehmens sind die wirtschaftliche Selbständigkeit im Rahmen der arbeitsteiligen Beziehungen zu anderen Wirtschaftssubjekten und als Folge davon das wirtschaftliche Risiko. Vgl. Kosiol, Unternehmung, S. 28 ff. 4 Vgl. Man, R.: Betrieb und Umwelt, in: Vahlens Kompendium der Betriebswirtschaftslehre, Band 1, München 1984, S. 83. 5 Vgl. Kubicek, H./Thom, N.: Umsystem, betriebliches, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. von E. Grochla und W. Wittmann, 4., völlig neu gestaltete Aufl., Stuttgart 1974, Sp. 3979. 6 Die einzelne Unternehmung tritt als Aktionspartner in den Hintergrund und überträgt diese Funktion im Rahmen einer überbetrieblichen Kooperation auf einen industriellen Interessenverband wie beispielsweise der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) oder der Arbeitgebeiverband. 7 Vgl. Hill, W./Fehlbaum, R./Ulrich, P.: Organisationslehre 1 - Ziele, Instrumente und Bedingungen der Organisation sozialer Systeme, 4., durchgesehene Aufl., Bern/Stuttgart 1989, S. 319.

I. Die Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns

135

hänge liegt darin, daß durch sie ein Rahmen für das unternehmerische Handeln geschaffen wird, der nicht in seiner Gesamtheit beeinflußt oder vorausgesehen werden kann. Ihre Bedeutung erlangen diese Einflußfaktoren dadurch, daß sie für ein Unternehmen Chancen und Risiken darstellen, die für die Erreichung der betrieblichen Ziele bedeutsam sind. "Die Kenntnis der Komponenten und Eigenschaften des betrieblichen Umsystems, seiner Auswirkungen auf die Unternehmung und der möglichen Verhaltensweisen" ist für Kubicek und Thom "eine zentrale Frage der Betriebswirtschaftslehre." 9 Die Bestimmung des Umsystems ist keine Frage, die für alle Unternehmen gleich beantwortet werden kann, sondern sie ist vielmehr von betriebsindividuellen Aspekten abhängig. Selbst innerhalb eines Unternehmens existieren für die betrieblichen Teilbereiche unterschiedliche Umsystemabgrenzungen, so daß für verschiedene Unternehmensteile zum einen unterschiedliche Umwelten Bedeutung haben und zum anderen ein bestimmtes Umsystem unterschiedliche Schwerpunkte für verschiedene Unternehmensteile aufweisen kann.10 Im folgenden wird der Frage nachgegangen, welche konkreten unternehmensexternen Bedingungen für ein Unternehmen als Ganzes Geltung haben und ob und inwieweit diese externen Rahmenbedingungen Bedeutung für die Materialwirtschaft haben.

b) Die Abgrenzung der Umwelt einer Unternehmung Die Abgrenzung eines Unternehmens zu seiner Umwelt ist keine Frage, die pauschal beantwortet werden kann. Ein Unternehmen läßt sich durch Heranziehen von verschiedenen Kriterien unterschiedlich von seiner Umwelt abgrenzen. In bezug auf unterschiedliche Fragestellungen kann die Abgrenzung mehr oder weniger eng gefaßt werden, so daß auch im Extremfall auf eine Trennung in Unternehmen und Umwelt verzichtet werden kann.11 Die Trennung in Umwelt oder Umsystem und Unternehmen erfolgt im Hinblick auf das Vorliegen von rechtlichen Beziehungen wie zum Beispiel in Form von Arbeitsverträgen zwischen dem Unternehmen und anderen Wirtschaftssubjekten. 12 Das Kriterium des 'rechtlichen Verhältnisses' bringt auch zum Ausdruck, daß die Bezugseinheit das Unternehmen bildet und 8

Vgl. Kubicek/Thom, Sp. 3980. Kubicek/Thom, Sp. 3980. 10 Vgl. Ansoff, H.l./Leontiades, per 76-16, Brüssel May 1976, S. 3 ff. 11 Vgl. Kubicek/Thom, Sp. 3981. 12 Vgl. Man, S. 69. 9

J.C.: Strategie Portfolio Management, Working Pa-

136

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft 1^

nicht die einzelnen Mitglieder. Zu einem Unternehmen zählen somit alle Wirtschaftseinheiten, mit denen die Unternehmung in einem arbeitsrechtlichen Verhältnis steht. Im Anschluß an das Problem der Grenzziehung zwischen Unternehmen und Umwelt stellt sich die Frage, ob die gesamte Struktur der Unternehmensumwelt als Rahmenbedingung des unternehmerischen Handelns miteinbezogen werden soll. Die Unternehmensumwelt besteht aus einer Vielzahl von Elementen und Beziehungen zwischen den einzelnen Elementen, so daß eine Unterscheidung im Rahmen eines Auswahlprinzips getroffen werden muß. Als Elemente der Unternehmensumwelt kommen Einzelpersonen, Personengruppen und Institutionen eines solchen Systems in Betracht. Zum Zweck der Abgrenzung verschiedener Teile der Unternehmensumwelt wird das Sachziel des Unternehmens als Kriterium herangezogen. "Relevant ist demnach, was für die Aufgabenerfüllung des Betriebes von Bedeutung ist." 14 Anders als die Frage der Grenzziehung, die eher als Dichotomie zu sehen ist, ist die Bestimmung der relevanten Umwelt eine eher graduelle Einteilung, da Umweltbedingungen wie zum Beispiel die Konjunkturlage zum einen allgemeiner Natur sind oder aufgabenspezifischen Charakter aufweisen wie beispielsweise die Beschaffungsmarktstruktur. Zum anderen beeinflussen die Umweltbedingungen das betriebliche Handeln direkt oder indirekt und können sich bei Hinzuziehung eines dynamischen Aspektes in ihrer faktischen und potentiellen Bedeutung verändern. 15 Die Bedeutung der Umwelt oder ihrer Teile für ein Unternehmen ist somit eine Frage der Komplexität und der Dynamik der Umwelt. Während die Komplexität der Umwelt eine Funktion der Anzahl der die betriebliche Aufgabenerfüllung beeinflussenden Elemente der Umwelt darstellt, zeigt sich die Dynamik der Umwelt als Ergebnis der Häufigkeit und Stärke der Veränderungen im Rahmen einzelner Umweltausschnitte.16 Die Untersuchung des Verhältnisses zwischen der Unternehmung und ihrer sie umgebenden Umwelt gestaltet sich sowohl in bezug auf die Grenzziehung als auch hinsichtlich der Bedeutung der einzelnen Elemente der Umwelt für das Unternehmen schwierig. Die Frage der Grenzziehung kann anhand des Kriteriums 'rechtliche Zugehörigkeit' relativ leicht, aber etwas ungenau bestimmt werden, da es von Zwischenstufen absieht. Die Forde13

Zu dieser Forderung vgl. Kubicek/Thom, Sp. 3982 f. Vgl. Man, S. 69. 15 Vgl. hierzu Kubicek/Thom, Sp. 3985. 16 Vgl. Kieser , Α.: Der Einfluß der Umwelt auf die Organisationsstruktur der Unternehmung, in: Zeitschrift für Organisation, 43. Jg. 1974, S. 302 und Bergner, Planung, S. 1. 14

I. Die Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns

137

rung einer 'Grenzziehung' ist durchaus zu eng, als daß sie die Realität abbildet. Von diesen Unwägbarkeiten ausgehend soll eine Unternehmung zweckmäßigerweise als potentiell abgrenzbares System17 angesehen werden, ohne die Schwierigkeiten einer eindeutigen Grenzziehung zu verneinen. Die Untersuchung der Relevanz verschiedener Umweltausschnitte gestaltet sich deshalb problematisch, da es meßtechnisch schwierig ist, Kriterien zu finden, die die Bedeutung der verschiedenen Umweltteile erkennbar machen. Die Frage der Bedeutung für das betriebliche Sachziel ist abhängig von den Informationen, die insbesondere über die Verbindungen zwischen den Elementen der Umwelt vorhanden sind und von den Veränderungen, die sich im Zeitablauf einstellen. Im folgenden soll darauf eingegangen werden, welche Umweltausschnitte unter dem Kriterium der Relevanz für die Erfüllung des betrieblichen Sachzieles abgeleitet werden können.

c) Die Umwelt und das Umsystem einer Unternehmung Ausgehend von der Grenzziehung zwischen Unternehmen und der umgebenden Umwelt stellt sich die Frage, ob und inwieweit innerhalb der Unternehmensumwelt verschiedene Umweltausschnitte oder -segmente gebildet werden können, die sich in bezug auf ihre grundlegenden Bedingungen für das betriebliche Geschehen unterscheiden. Die Unternehmensumwelt unterscheidet sich von dem Unternehmensumsystem dadurch, daß das erstere die Summe aller Umweltausschnitte ist, während sich ein Umsystem auf diejenigen Umweltausschnitte bezieht, die für das betrachtete Unternehmen eine Bedeutung haben.19 Für die Bestimmung und Abgrenzung von Umweltsegmenten lassen sich mehrere Ansätze finden, die sich teilweise ergänzen: Die Unterscheidung in eine allgemeine und aufgabenspezifische Umwelt hat zum Inhalt, solche Umweltsegmente zu bilden, die durch einen mittelbaren bzw. unmittelbaren Zusammenhang mit der Unternehmensaufgabe gekennzeichnet sind.20 17 Vgl. Höfer, R.: Organisationen und ihre Umwelten - Struktur-, Konflikt- und Effizienzprobleme der Umweltanpassung sozialer Systeme, Diss., Frankfurt am Main/Bern/Las Vegas 1977, S. 53.

18

Vgl. hierzu auch Terzidis, K.: Die Anpassung der Organisation griechischer Industrieunternehmungen an Umweltveränderungen - Eine Untersuchung im Zusammenhang mit dem Beitritt 1 9 Griechenlands zur EG, Diss., Spardorf 1984, S. 62 f. Vgl. ähnlich Kubicek/Thom, Sp. 3987. 20 Vgl. Hall , R.H.: Organizations - Structure and process, Englewood Cliffs/New Jersey 1972, S. 298.

138

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

In einem mittelbaren Zusammenhang stehen gesamtwirtschaftliche Aspekte,21 die technologische Situation, die politische und kulturelle Lage, demographische Entwicklungen oder auch die Gesetzgebung.22 Der Zusammenhang dieser Faktoren mit dem unternehmerischen Sachziel ist nicht klar erkennbar, so daß diese Gesichtspunkte eher einen umfassenden Charakter aufweisen, da sie nicht nur für ein Unternehmen Bedeutung haben, sondern für alle Unternehmen in einer Region 2 3 Die gemeinsame Region ist in diesem Zusammenhang der verbindende Sachverhalt, da er diese Größen bestimmt. Je nachdem, wie die Region abgegrenzt wird, ergeben sich unterschiedliche gesamtwirtschaftliche Daten oder unterschiedlich wirksame Gesetze. In ihrer Gesamtheit lassen sich die globalen24 oder generellen25 Umsystembedingungen in die ökonomische, die technologische, die rechtlichpolitische, die soziokulturelle und die physische oder auch ökologische26 Komponente unterteilen. 27 Die unmittelbaren Beziehungen zwischen einem Unternehmen und seinem Umsystem werden durch das aufgabenspezifische Umsystem beschrieben. Das aufgabenspezifische Umsystem übt einen stärkeren Einfluß auf das unternehmerische Handeln aus als das generelle Umsystem.28 Der Grund hierfür liegt darin, daß es im Unterschied zum generellen Umsystem solche Elemente umfaßt, "mit denen eine Unternehmung zur Erreichung ihrer Sachziele interagiert, interagieren kann oder aufgrund verbindlicher Vorschriften interagieren muß." Elemente eines solchen aufgabenspezifischen Umsystems sind beispielsweise Kunden, Lieferanten, Hersteller von Betriebsmitteln oder auch staatliche Institutionen.30 Die Kunden und Lieferanten eines Unternehmens zählen zum ökonomischen Umsystem, während die Hierauf hat bereits Beste hingewiesen, als er schrieb, "daß die Unternehmen sich noch anderen Tatsachen als dem Konjunkturverlauf gegenüber elastisch erweisen müssen." Beste, Elastizität, S. 80. 22 Vgl. Kotler, Ph.: Marketing-Management - Analyse, Planung und Kontrolle, 4., völlig neubearbeitete Aufl., Stuttgart 1982, S. 105 ff. sowie Hall, S. 298 ff. 23 Vgl. Kubicek/Thom, Sp. 3985. 24 Vgl. Kubicek/Thom, Sp. 3988. 25 Vgl. Terzidis, S. 67. 26 Vgl. Ulrich, H.: Unternehmenspolitik, Bern/Stuttgart 1978, S. 67. 27 Vgl. Kubicek/Thom, Sp. 3986 f.; Ulrich , H ./Krieg, W.: Das St. Galler ManagementModell, Bern/Stuttgart 1972, S. 19 f. und Aurich, W./Schröder, H.-U.: System der Wachstumsplanung im Unternehmen, München 1972, S. 48 ff. 28 Vgl. hierzu die empirische Untersuchung bei Dill, W.R.: Environment as an Influence on Managerial Autonomy, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 2,1957, S. 424 ff. 29 Kubicek/Thom, Sp. 3992. Sandig formuliert dies als Verantwortlichkeit des Unternehmens gegenüber bestimmten Gruppen. Vgl. Sandig, Führung, S. 53 ff. 30 Vgl. Dill, S. 424 ff. und Kubicek/Thom, Sp. 3992.

I. Die Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns

139

Hersteller von Betriebsmitteln und die staatlichen Institutionen dem technologischen bzw. rechtlich-politischen Umsystem zuzuordnen sind. Die Zuordnung eines Elementes zu einem der Umsystembereiche ist somit keine festbleibende Eigenschaft eines Elementes oder einer Komponente per se, sondern ist abhängig von der Beziehung zwischen unternehmerischem Sachziel und der Situation und der Veränderung der Komponente.31 Im Rahmen des aufgabenspezifischen Umsystems werden somit solche Elemente beschrieben, von denen ein relativ starker Einfluß auf das unternehmerische Handeln ausgeht, während sich das generelle Umsystem auf Faktoren bezieht, die einen geringeren Einfluß ausüben. Die Zuordnung zu einem Umsystem kann nicht generell für eine bestimmte Komponente erfolgen, sondern vielmehr in Abhängigkeit der 'Relevanz' oder 'Bedeutsamkeit' für das Unternehmen. Verschiedene Elemente einer Umsystemkomponente können Bestandteil des generellen oder des aufgabenspezifischen Umsystems sein. Das Interesse der betrieblichen Entscheidungsträger im Bereich der Fertigungstechnologien wird beispielsweise stark beeinflußt von der eigenen Unternehmensgröße und der damit zusammenhängenden finanziellen Leistungsfähigkeit. Je größer - im Sinne von Anzahl der Produktarten und der gefertigten Produkte - ein Unternehmen ist, desto mehr verlagert sich das Augenmerk hin zu komplexeren und investitionsintensiveren Fertigungstechnologien. Der Bereich all dessen, was nicht dem Unternehmen zuzurechnen ist, wird gewissermaßen in das aufgabenspezifische Umsystem, das generelle Umsystem und die Umwelt dreigeteilt, wobei die Zuordnung eines Elementes zu einem der beiden Umsysteme oder der Umwelt auch eine Funktion der Zeit darstellt.

2. Die internen Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns

a) Die Abgrenzung der unternehmensinternen Rahmenbedingungen Die internen Rahmenbedingungen einer Unternehmung umfassen in ihrer Gesamtheit alle Aspekte, " die innerhalb der Grenzen einer Institution liegen."32 Der unternehmensinterne Charakter äußert sich darin, daß sie 31

Vgl. Baumann, E.: Das System Unternehmung - Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, Stuttgart u.a. 1978, S. 27. 32 Wollnik, Sp. 595.

140

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

durch die betrieblichen Entscheidungsträger frei wählbar und direkt beeinflußbar sind.33 Im Unterschied dazu sind die unternehmensexternen Rahmenbedingungen durch das Handeln Dritter, wie zum Beispiel hoheitliche Entscheidungsträger oder andere Unternehmen, vorgegeben, und die Beeinflußbarkeit durch das Unternehmen ist eher indirekter Natur. Der Gesichtspunkt der 'freien Wählbarkeit' ist in der Weise zu relativieren, daß durchaus Beziehungen zwischen einzelnen Komponenten der internen Rahmenbedingungen denkbar sind, die als ein- oder wechselseitig kennzeichenbar sind. Diese ein- und wechselseitigen Beziehungen haben zur Folge, daß die durch dies Beziehungszusammenhänge beeinflußten Komponenten nicht mehr vollständig frei wählbar sind. In diesem Sinne lassen sich die Bestimmung des Produktionsprogrammes und der Produktionsverfahren anführen.

b) Die Komponenten der internen Rahmenbedingungen Die beiden Kriterien zur Bestimmung der internen Rahmenbedingungen - die freie Wählbarkeit und die direkte Beeinflußbarkeit - bedeuten für die Abgrenzung der unternehmensinternen Rahmenbedingungen, daß neben dem Produktionsprogramm und den Produktionsverfahren als weitere unternehmensinterne Komponenten die Unternehmensgröße, die Personalstruktur, die Unternehmenstradition und die Unternehmenspolitik in Frage kommen.34 Die Auswahl der unternehmensinternen Komponenten kann beliebig erweitert werden, so daß sich keine allgemeingültigen Systematisierungen der internen Rahmenbedingungen aufstellen lassen. 5 Unter dem Gesichtspunkt materialwirtschaftlicher Fragestellungen ist es sinnvoll, solche Aspekte in die Untersuchungen einzubeziehen, die, analog der Abgrenzung der externen Rahmenbedingungen, eine Bedeutung für die betriebliche Materialwirtschaft aufweisen. Da die Materialwirtschaft eng mit der Fertigung verbunden ist, ergibt sich die Schlußfolgerung, diejenigen Aspekte näher zu betrachen, die die Materialwirtschaft zum einen aufgrund ihres Objektumfanges und zum anderen hinsichtlich des Funktionsumfanges betreffen.

33

Vgl. Wollnik, Sp. 545. Vgl. hierzu und zu weiteren unternehmensinternen Komponenten Wollnik, Sp. 545. 35 Vgl. Frese, E.: Grundlagen der Organisation - Die Organisationsstruktur der Unternehmung, 4., durchgesehene Aufl., Wiesbaden 1988, S. 317 f. 34

I. Die Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns

141

3. Die Struktur der Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Die Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns lassen sich unter dem Aspekt des aufgabenspezifischen Umsystems auf die Abgrenzung der einzelnen materialwirtschaftlichen Umsystemkomponenten übertragen. Die materialwirtschaftlichen Rahmenbedingungen lehnen sich somit an die einzelnen Komponenten des betrieblichen Umsystems an, wobei hierdurch Elemente in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt werden, die eine starke Beziehung zur Materialwirtschaft aufweisen und nicht mehr zum Unternehmen als Ganzem. Ein weiterer Aspekt, der hierbei Beachtung findet, ist, daß die Rahmenbedingungen in Verbindung mit dem Zielsystem der Materialwirtschaft zu sehen sind.36 Insbesondere die externen Rahmenbedingungen bilden für die Materialwirtschaft das Erfolgspotential, vor dem die Zielerreichung zu sehen ist. Wie bereits gezeigt,3 ist das Erfolgspotential in der Weise zu verstehen, daß es Möglichkeiten aufzeigt, die Zielsetzungen im Rahmen der Materialwirtschaft zu erfüllen. Die internen und externen Rahmenbedingungen sind nicht als unabhängig voneinander anzusehen. Vielmehr beeinflussen sie sich auf unterschiedliche Weise gegenseitig. In diesem Sinne wirkt sich beispielsweise das ökologische Umsystem auf die Festlegung des betrieblichen Produktionsprogrammes und den Leistungeserstellungsprozeß aus. Das Produktionsprogramm hat für die externen Rahmenbedingungen wiederum dahingehend Bedeutung, daß es in Form der zu beschaffenden Materialien den Beschaffungsmarktraum festlegt. Beziehungen lassen sich nicht nur zwischen den einzelnen Komponenten der Rahmenbedingungen feststellen, sondern auch zwischen den Rahmenbedingungen und den materialwirtschaftlichen Zielen. In diesem Zusammenhang kann als Beispiel angeführt werden, daß die Erfüllung des Zieles 'Minimierung der Stillstandszeiten bei der Be- und Entladung der Transport mittel' unter Berücksichtigung der Elemente des technologischen Umsystems der Materialwirtschaft erfolgt. Der Grund hierfür liegt darin, daß der zielgerichtete Einsatz von entsprechenden Lager- und/oder Transporttechnologien dazu dienen kann, dieses Ziel effizient zu erreichen. Nicht nur die externen Rahmenbedingungen stellen einen Einflußfaktor auf die Gestaltung der Materialwirtschaft dar, sondern es ist auch notwendig, die unternehmensinternen Faktoren zu berücksichtigen. Dies begründet 36

Vgl. Kupsch, Unternehmungsziele, S. 70; Welge , M.K.: Unternehmensführung, Band 1: Planung, Stuttgart 1985, S. 212 und Staehle, W.H.: Management - Eine verhaltenswissenschaftliche Einführung, 2., neubearbeitete und erweiterte Aufl., München 1985, S. 93. 37 Vgl. Kapitel C.III.2.a. dieser Arbeit.

142

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

sich darauf, daß im folgenden nicht mehr von den Rahmenbedingungen eines Unternehmens die Rede sein soll, sondern der Blickwinkel verlagert sich auf den Unternehmenbereich Materialwirtschaft. Infolge dieser Sichtweise werden andere Unternehmensbereiche wie beispielsweise die Konstruktion oder die Fertigung zu materialwirtschaftsexternen, aberin ihrer Grundstruktur trotzdem noch unternehmensinternen Rahmenbedingungen.38 Die Konstruktion von Produkten beispielsweise ist ein unternehmensinterner Aspekt, da die dort festgelegten Bestandteile eines Erzeugnisses in Form einer Stückliste oder Rezeptur den Ausgangspunkt für die Ermittlung der Materialbedarfslisten darstellen. Eine Unterscheidung bezüglich generellem und aufgabenspezifischem Umsystem unter Zugrundelegung einer Unternehmung soll im folgenden in der Weise getroffen werden, daß sich das Kriterium 'aufgabenspezifisch' auf die Aufgaben und Ziele der Materialwirtschaft bezieht. Als Bestandteile des generellen Umsystems der Materialwirtschaft lassen sich beispielsweise im Rahmen der technologischen Komponente verschiedene Fertigungstechnologien wie NC-Maschinen oder flexible Fertigungseinrichtungen anführen. Das aufgabenspezifische Umsystem umfaßt hierbei zum Beispiel Lager- und Transporttechnologien. Die im Unternehmen eingesetzten Fertigungstechnologien sind auch Bestandteil der internen Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft, da sie den Leistungserstellungsprozeß betreffen. Das aufgabenspezifische Umsystem der Materialwirtschaft auf unternehmensexterner und -interner Ebene bezieht sich auf das Beschaffungs- sowie das innerbetriebliche Lager- und Transportwesen. Die Frage der Zuordnung eines Elementes zu einem der beiden Umsysteme erfolgt aufgrund der Bedeutung dieses Elementes für die Erfüllung der materialwirtschaftlichen Aufgaben. Im folgenden werden die einzelnen Komponenten der unternehmensexternen und -internen Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft dargestellt.

38

Vgl. ähnlich Lindner, Th.: Strategische Entscheidungen im Beschaffungsbereich, Diss., München 1983, S. 55.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

143

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft 1. Das ökonomische Umsystem der Materialwirtschaft

Das ökonomische Umsystem umfaßt zum einen die generelle wirtschaftliche Situation innerhalb eines bestimmten geographischen Raumes, der sich nach betriebsindividuellen Aspekten richtet, und zum anderen die ökonomischen Gegebenheiten der bedeutsamen Beschaffungs- und Absatzmärkte. 39 Die ökonomische Komponente hat zum Inhalt, die wirtschaftlichen Zusammenhänge, die für eine Unternehmung bedeutsam sind, zu betrachten. Hierbei wird zunächst auf Sachverhalte eingegangen, die die marktlichen Beziehungen eines Unternehmens berücksichtigen. a) Die Bedeutung der ökonomischen Komponente In ihrer Gesamtheit bezieht sich die ökonomische Komponente auf die Aspekte Bevölkerungssituation und -entwicklung, volkswirtschaftliche Gesamtleistung (Bruttosozialprodukt, Investitionen etc.), Geldwert (Inflationsrate, Preisindices wie beispielsweise Rohstoffpreisindex), Beschäftigung und Löhne (Zahl der offenen Stellen, Arbeitslosenquote, wöchentliche Arbeitszeiten, Lohnindices etc.), Außenhandel (Import- und Exportwerte, Wechselkurse etc.) sowie die öffentlichen Finanzen. 0 Zusätzlich werden im Rahmen der ökonomischen Komponente auch die Infrastruktureinrichtungen innerhalb eines geographischen Raumes sowohl in bezug auf das Transport- als auch das Nachrichtenverkehrswesen verstanden, da sie wichtige Aspekte besonders im Hinblick auf die Standortstruktur 41 eines Unternehmens darstellen. 42 Die Absatz- und Beschaffungsmärkte werden als Art Querschnitt bezüglich aller Umsystemkomponenten einer Unternehmung aufgefaßt, da sie solche Elemente umfassen, mit der eine Unternehmung in marktlichen Beziehungen steht.43 Die unmittelbaren Beziehungen eines Umsystemelemen39

40

Vgl. Terzidis,

S. 66.

Vgl. Ulrich, Unternehmenspolitik, S. 79. Zur Standortstruktur vgl. Sälzer, B.E.: Standortdynamik von Industriebetrieben Eine theoretische und empirische Analyse von Standortstrukturänderungen unter besonderer Berücksichtigung der verkehrswirtschaftlichen Konsequenzen, Diss., Frankfurt am Main/ Bern/New York 1985, S. 18 ff. Zum Zusammenhang zwischen betrieblichem Standort und Verkehrsinfrastruktureinrichtungen vgl. Ihde, Logistik, S. 142 ff. 43 Vgl. hierzu Ulrich, der zum Inhalt des aufgabenspezifischen Umsystems in bezug auf die Umsystemkomponenten, folgendes bemerkt: "Wie weit innerhalb dieser Kategorien Teilmärkte unterschieden werden müssen, kann konkret nicht generell gesagt werden." Ulrich, Unternehmenspolitik, S. 81. 41

144

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

tes werden durch seine Bedeutung für den Beschaffungs- und/oder Absatzmarkt zum Ausdruck gebracht. Die generelle Zuordnung sowohl des Beschaffungs- als auch des Absatzmarktes zum ökonomischen Umsystem44 ist zu pauschal, als daß sie der mehrdimensionalen Struktur des Unternehmensumsystems gerecht wird. Der Grund hierfür liegt darin, daß sich die Beschaffungs- und Absatzmärkte nicht zweifelsfrei in bezug auf die anderen Umsystemkomponenten abgrenzen lassen. Die Beschaffung von Betriebsmitteln im Rahmen der Lagertechnologien beispielsweise bezieht sich in ihrer Objekt dimension auf das technologische Umsystem. Die Objekte, das heißt das Angebot an Betriebsmitteln und deren technologischen Eigenschaften sowie die Entwicklungen auf diesem Gebiet, sind Bestandteile der technologischen Komponente, während Fragen wie die Struktur des Anbietermarktes (Monopol, Polypol etc.), Angebotspreise oder räumliche Verteilung der Anbieter eher der ökonomischen Komponente zuzuordnen sind. Im Rahmen des ökonomischen Umsystems werden der Beschaffungsund der Absatzmarkt dahingehend untersucht, daß sie Einfluß auf die Gestaltung der Materialwirtschaft haben. Im Rahmen dieser Untersuchungen soll der Beschaffungsmarkt als Aspekt der ökonomischen Umsystemkomponente Beachtung finden, da sich die Ausführungen hierzu größtenteils auf wirtschaftliche Sachverhalte beziehen. In bezug auf ökologische oder soziokulturelle Fragen des Beschaffungsmarktes wird in den diesbezüglichen Kapiteln eingegangen.45 In diesem Zusammenhang ist es auch notwendig, von einer Betrachtung des innerbetrieblichen Transport- und Lagerwesens abzusehen, da beide Bereiche aufgrund ihrer Aufgabenstruktur keinen direkten Bezug zur ökonomischen Komponente des betrieblichen Umsystems aufweisen. Im folgenden soll daher untersucht werden, auf welche Weise die ökonomische Komponente die betriebliche Materialwirtschaft, insbesondere das Beschaffungswesen, beeinflußt. Der Beschaffungsmarkt eines Unternehmens kann in bezug auf räumliche und strukturelle Aspekte beschrieben werden, die im folgenden näher beschrieben werden. b) Der Beschaffungsmarktraum Der Beschaffungsmarktraum hat für die Materialwirtschaft in der Hinsicht Bedeutung, als er ein Ausdruck der Unternehmensorientierung ist. Die 44 Vgl. hierzu Kreikebaum, H.: Strategische Unternehmensplanung, 3., erweiterte Aufl., Stuttprt/Berlin/Köln 1989, S. 35 ff. Vgl. hierzu die Kapitel D.II.5. und D.II.4. dieser Arbeit.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

145

Abgrenzung eines geographischen Raumes ist somit abhängig von den betriebsindividuellen Gegebenheiten. Für ein Kleinunternehmen wird der geographische Raum infolge einer regionalen oder nationalen Sichtweise festgelegt, während bei Großunternehmen eine Hinwendung zu nationalen und internationalen Aspekten der ökonomischen Komponente angeführt werden kann. Bei einer internationalen Ausrichtung der Geschäftstätigkeit erfahren Gesichtspunkte wie die wirtschaftliche Entwicklung in den Ländern, die als Beschaffungs- oder Absatzmärkte in Betracht kommen, Bedeutung.46 Die räumlichen Aspekte des Beschaffungsmarktes werden zum einen durch Veränderungen in bezug auf die internationale Arbeitsteilung und zum anderen in bezug auf die Entwicklungen im Bereich des Verkehrswesens beeinflußt. 47 Der Güter- und der Nachrichtenverkehr als Ausprägungsformen des Verkehrswesens beeinflussen die Materialwirtschaft in der Weise, daß es ökonomisch sinnvoll sein kann, selbst weltweite Bezugsquellen für Materialien zu nutzen. In diesem Falle können Spezialisierungsvorteile der internationalen Arbeitsteilung in die Betrachtungen einbezogen werden. Solche Spezialisierungsvorteile 48 bestehen darin, daß sich eine Region auf die Erstellung derjenigen Güter und Dienstleistungen spezialisiert, für die sie am besten mit Produktionsfaktoren ausgestattet ist. 49 Die Entwicklungen im Güterverkehr lassen sich dahingehend beschreiben, daß die Liberalisierung der aufgrund übergeordneter Interessen regulierten Verkehrsmärkte 50 zu sinkenden Tarifen im Verkehrsgewerbe führen wird. Im Zusammenhang mit der Liberalisierung und dem damit verbundenen Wegfall der Wettbewerbshindernisse 51 verändert sich nicht nur das Tarifgefüge auf den Verkehrsmärkten, sondern auch das Angebotsverhalten. Neben Veränderungen bezüglich der eingestetzten Transport- und Trans46

Vgl. Pekayvac, S. 79. Vgl. Ulrich, Unternehmenspolitik, S. 82. 48 Vgl. hierzu auch Ricardos 'Gesetz der komparativen Kostenvorteile im Außenhandel1. Vgl. Ricardo, D.: Grundsätze der Volkswirtschaft und Besteuerung, 3. Aufl., Jena 1923, S. 119 ff. 47

49

Vgl. Meyer-Lindemann, H.U.: Typologie der Theorie des Industriestandortes, Diss., Bremen 1951, S. 97. 50 Vgl. van Suntum, U.: Verkehrspolitik, München 1986, S. 61 ff. 51 Ein solches Wettbewerbshindernis bestand zum Beispiel darin, daß das in der Zeit von 1960 bis 1984 um ca. 47 % ausgebaute Straßennetz nicht zu einem Rückgang der Tarife im Straßengüterverkehr führte. Die Tarife im Straßengüterverkehr berechnen sich zwar nach der Formel Tarifsatz χ Tarifentfernung χ Menge, aber als Entfernungsangabe dient nicht die tatsächlich gefahrene Strecke. Als Entfernungen werden vielmehr die Eisenbahnentfernungen zugrundegelegt, um der Bundesbahn einen preispolitischen Schutz zu gewähren. Die Umstellung auf Straßenentfernungen erfolgte erst 1986. Vgl. hierzu Dengler, F.: Die Transportentfernung als Bestimmungsgröße für die Frachtenbildung auf einem freien Verkehrsmarkt, in: Zeitschrift für Verkehrswissenschaft, 58. Jg. 1987, S. 111 f. 10 Brecht

146

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

porthilfsmittel (Container, Paletten etc.) entwickelten sich auch neue Verkehrsangebote wie beispielsweise Expreß- und Terminverkehre. 52 Die Terminverkehre beziehen sich nicht nur auf einen eher nationalen Rahmen, sondern auch auf eine weltweite Organisation derselben zum Beispiel im Rahmen der sogenannten Ro-and-the-world-Verkehre. Der Seeverkehr stellt insbesondere für die Materialwirtschaft einen wichtigen Aspekt dar, da der größte Teil des Welthandels über den Seeverkehr stattfindet. 53 Der Nachrichtenverkehr hat für ein Unternehmen in der Weise Bedeutung, daß er dazu dient, die aufgrund der Arbeitsteilung entstehenden industriellen Teilprozesse sowohl auf inner- als auch auf außerbetrieblicher Ebene zeitlich und sachlich aufeinander abzustimmen.54 Analog zu den Transportkosten im Rahmen des Güterverkehrs sind beim Nachrichtenverkehr die Transaktionskosten zu berücksichtigen. Die Transaktionskosten setzen sich zusammen aus den Anbahnungskosten (Kosten für die Informationsbeschaffung über mögliche Transaktionspartner und deren Konditionen), den Vereinbarungskosten (Intensität und zeitliche Ausdehnung von Verhandlungen, Vertragsformulierung und Einigung), den Kontrollkosten (Sicherstellung der Einhaltung von Termin-, Mengen-, Qualitäts-, Preis und gegebenenfalls Geheimhaltungsvereinbarungen) sowie den Anpassungskosten (Durchsetzung von Änderungen der Vereinbarungen). 55 Die Transaktionskosten sind somit nichts anderes als "die Kosten der Koordination ökonomischer Aktivitäten."56 Ansatzpunkte für den Bereich des betrieblichen Beschaffungswesens bilden die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien wie beispielsweise Telekommunikationsnetze und -dienste (ISDN, BIGFON, BIGFERN, Satellitenübertragung sowie Telex, Teletex, Datex L/Datex P, Computer Mail und Videokonferenzen). 57 Ihren Einsatz finden diese Technologien insbesondere im Rahmen der Beschaffungsmarktforschung und des Einkaufs. Dies zeigt sich auch dann, wenn die Bestandteile der Transak52

Vgl. Ihde, G.B.: Die relative Betriebstiefe als strategischer Erfolgsfaktor, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 58. Jg. 1988, S. 18 f. 53 Vgl. Ihde, Logistik, S. 49. 54 Vgl. Picot, Α.: Transaktionskostenansatz in der Organisationstheorie: Stand der Diskussion und Aussagewert, in: Die Betriebswirtschaft, 42. Jg. 1982, S. 269. 55 Vgl. Picot, S. 270. 56 Bössmann, E.: Unternehmungen, Märkte, Transaktionen: Die Koordination ökonomischer Aktivitäten, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 12. Jg. 1983, S. 107. 57 Zu den Telekommunikationsnetzen vgl. Hermanns , Α.: Zur Zukunft der Kommunikationstechniken, in: Neue Kommunikationstechniken - Grundlagen und betriebswirtschaftliche Perspektiven, hrsg. von A. Hermanns, München 1986, S. 78 f. Zum Zusammenhang zwischen Telekommunikationsnetzen und -diensten vgl. Picot, A./Anders, W.: Telekommunikationsnetze als Infrastruktur neuerer Entwicklungen der geschäftlichen Kommunikation, in: Neue Kommunikationstechniken - Grundlagen und betriebswirtschaftliche Perspektiven, hrsg. von A. Hermanns, München 1986, S. 12 ff.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

147

tionskosten herangezogen werden. Die Tätigkeiten und Vorgänge, die diesen Kosten zugrundeliegen, lassen sich den beiden Teilbereichen des Beschaffungswesens zuordnen. Die Informations- und Kommunikationstechnologien beschleunigen generell die Klärungsprozesse, 58 so daß eine Kostensenkung im Rahmen der laufenden Kosten im Vergleich zu herkömmlichen Abstimmungsmethoden (Telefon, Briefe sowie persönliches Treffen der Vertragspartner) erwartet werden kann.59 Insgesamt läßt sich feststellen, daß einer zunehmenden Verflechtung eines Unternehmens - auch im Sinne einer Internationalisierung - keine transport- und transaktionskostenbedingten60 Beschränkungen entgegenstehen. Der räumliche Aspekt des Beschaffungsmarktes ist somit nicht in erster Linie von Transport- oder Transaktionskostenüberlegungen abhängig, sondern von Anforderungen des Unternehmens hinsichtlich qualitativer und preislicher Aspekte. Die Beschaffung von Materialien wird in der Weise beeinflußt, daß internationale Bezugsquellen genutzt werden können, um hierdurch Erfolgspotentiale für das Unternehmen zu erschließen. Dies kann dadurch geschehen, daß infolge gesunkener Transport- und Transaktionskosten sowohl ausländische Produzenten von Materialien als auch ursprünglich inländische Unternehmen, die ihre Produktion in das Ausland, beispielsweise aufgrund der geringeren Lohnkosten, verlagert haben,61 als Lieferanten in Betracht kommen. Die Standortstruktur ist im Rahmen der zunehmenden Internationalisierung der Unternehmenstätigkeit für die Materialwirtschaft bedeutsam. Ein Unternehmen kann in seiner räumlichen Struktur die Standorteinheit, die (Ό

Spaltung, -teilung oder die -diversifikation annehmen. In bezug aufin bezug auf die Materialwirtschaft stellt die Standortteilung, bei der ein Unternehmen in funktions- oder fertigungsstufenorientierter Hinsicht auf verschiedene Standorte verteilt wird, hohe Anforderungen an die Gestaltung der Materialwirtschaft. Die funktionsorientierte Standortteilung beläßt den 58

59

Vgl. Picot, S. 271.

Vgl. hierzu auch Kilger, der mit Hilfe einer Kostenanalyse nachweist, daß neben qualitativen Verbesserungen "die Einführung von Fernschreibgeräten in Großbetrieben zu einer spürbaren Verbilligung des Nachrichtenverkehrs gegenüber dem Telefonverkehr führen muß." Kilger, W.: Betriebswirtschaftliche Probleme bei der Einführung von Fernschreibgeräten, 6in: 0 Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 27. Jg. 1957, S. 520. Vgl. hierzu auch Gutenberg, der den dispositiven Faktor nicht als begrenzenden Faktor einer Betriebsgrößenvariation ansieht. Vgl. Gutenberg, Produktion, S. 434 ff. 61 Vgl. Fieten, R.: Internationalisierung als Herausforderung, in: Beschaffung aktuell, Heft 3,1991, S. 60. 62 Zu den einzelnen Standortstrukturen vgl. Sälzer, S. 16 ff. 1*

148

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Produktionsprozeß als Einheit und verursacht dementsprechend keine Transportvorgänge zwischen den einzelnen Standorten. Bei der fertigungsstufenorientierten Standortteilung werden im Rahmen des Produktionsprozesses einzelne vor-, nach-, zwischen- oder nebengeschaltete Fertigungsstufen räumlich getrennt. Die Verringerung der Produktionstiefe im Unternehmen wird in diesem Falle nicht auf das gesamte Unternehmen bezogen, sondern auf seine einzelnen Standorte. Die dabei anfallenden vermehrten zwischenbetrieblichen Verkehre bezüglich der ablaufbedingten Materialtransporte - insbesondere unfertige Erzeugnisse - und der Nachrichtenverkehre werden durch das Vorhandensein einer leistungsfähigen Verkehrs- und Kommunikationsinfrastrukur unterstützt. Die Beschaffung von Materialien wird in diesem Falle nicht nur als nach außen gerichtete Unternehmensfunktion betrachtet, sondern bezieht sich auch auf die Koordination und die Durchführung der Transporte von unfertigen Erzeugnissen zwischen den einzelnen Standorten.

c) Die Struktur des Beschaffungsmarktes aa) Mikroökonomische Grundlagen der Beschaffungsmarktstruktur Der Markt als Gesamtheit der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Anbietern und Nachfragern kann in bezug auf ein Objekt oder eine Objektkategorie und in zeitlicher und räumlicher Hinsicht beschrieben werden. 63 In diesem Sinne wird zum Beispiel vom 'internationalen Kupfermarkt im Jahre 1990' oder vom 'europäischen Markt für Halbleiter im Jahre 1989' gesprochen. Die Beschaffungsmarktstruktur bringt zum Ausdruck, wie die Beziehungen der einzelnen Elemente der Angebots- und der Nachfrageseite geartet sind. Denn es ist für das Beschaffungswesen eines Unternehmens von Bedeutung, über die Anzahl der Lieferanten sowie ihre Zusammenschlüsse oder auch Monopolstellungen einzelner Lieferanten informiert zu sein.64 Die Monopolstellung einzelner Lieferanten ist auch im Sinne von Staatsmonopolen zu sehen. In diesem Falle hat ein ganzes Land eine Monopolstellung bezüglich einzelner Materialien inne. Die Beschaffungsmarktstruktur stellt nicht nur eine Funktion der Anbieterseite im Rahmen des Beschaffung dar, sondern sie wird von beiden Seiten des Marktes, den Anbietern und den Nachfragern nach Materialien be-

63 64

Vgl. Grochla/Schönbohm, S. 51. Vgl. Ulrich, Unternehmungspolitik, S. 82.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

149

65

stimmt. Die Handlungsmöglichkeiten der Marktteilnehmer auf beiden Marktseiten werden in der Weise von der Beschaffungsmarktstruktur beeinflußt, daß die Entwicklung des Angebotspreises von der Konkurrenzsituation und damit der Marktstruktur abhängt.66 Wird von unterschiedlichen Betriebsgrößen 67 der Marktteilnehmer einer Marktseite abgesehen, kann eine Unterscheidung verschiedener Marktformen anhand der Kriterien ein, einige und viele Marktteilnehmer geschehen, wobei sich diese Merkmale sowohl auf die Anbieter als auch auf die Nachfragerseite beziehen. Mit dieser sogenannten "Symmetrieannahme" (Ott) ist nicht der Schluß verbunden, daß alle Marktteilnehmer die gleiche Größe aufweisen. Vielmehr wird im Falle eines einzigen Anbieters oder Nachfragers dieser das gesamte Angebot bzw. die gesamte Nachfrage auf dem Markt umfassen. Wenige Marktteilnehmer weisen somit mittlere und viele Marktteilnehmer geringe Betriebsgrößen auf. 68 Die verschiedenen Marktformen ergeben sich durch die Gegenüberstellung der Gruppen von Marktteilnehmern auf der Angebots- und der Nachfrageseite, so daß sich neun mögliche Marktformen ergeben: ^"s.

Nachfrager

Anbieter"*-«,,.

ein Großer

wenige Mittelgroße

viele Kleine

ein Großer

bilaterales Monopol

beschränktes Angebotsmonopol

Angebotsmonopol

wenige Mittelgroße

beschränktes Nachfragemonopol

viele Kleine

Nachfragemonopol (Monopson)

bilaterales Oligopol Nachfrageoligopol (Oligopson)

Angebotsoligopol bilaterales Polypol

Abb. 14. Marktformen Quelle: Vgl. Ott, S. 39 und Möller, H.: Mariti, Markt forme η und Marktverhaltensweisen, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. von E. Grochla und W. Wittmann, 4., völlig neu gestaltete Aufl., Stuttgart 1974, Sp. 2605.

65

Vgl. Grochla/Schönbohm, S. 51. Vgl. Pekayvac, S. 114. 67 Ou versteht unter der Größe eines Betriebes den relativen Anteil des Betriebes am Gesamtangebot oder der Gesamtnachfrage. Vgl. Ott , A.E.: Grundzüge der Preistheorie, 2. Aufl., Göttingen 1979, S. 38. 68 Vgl.Or4S.39. 66

150

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Die verschiedenen Marktformen lassen sich auf den Beschaffungsmarkt übertragen, so daß die einzelnen Marktformen die horizontale Beschaffungsmarktstruktur beschreiben. Die vertikale Marktstruktur stellt im Unterschied zu dieser Sichtweise nicht die Beziehungen zu den Konkurrenten, sondern das Verhältnis zur "Marktgegenseite" (Theisen) in den Vordergrund. Ebenso wie bei den Marktformen als Ausdruck der Konkurrenzverhältnisse betrachten die Marktseitenverhältnisse auch die Anzahl und den Marktanteil der Marktpartner. 69 Wenn die Zahl der Anbieter im Verhältnis zu den Nachfragern klein und damit der einzelne Marktanteil relativ groß ist, dann beachtet der Anbieter die Reaktionen der Nachfrager nur in ihrer Gesamtheit. Die Reaktion von einzelnen Nachfragern übt kaum einen Einfluß auf den Anbieter aus. Der umgekehrte Fall hat zur Folge, daß der Nachfrager bei Verhandlungen mit den Anbietern eine Machtposition innehat.70 Bei der dritten Form der Marktseitenverhältnisse ist eine gewisse Übereinstimmung der Anzahl und dem Verhältnis der Marktanteile auf den beiden Marktseiten gegeben. In diesem Fall kann von einer "gegenseitigen singulären Betrachtung der Marktpartner" 71 gesprochen werden, während die beiden anderen Verhältnisse eine "kollektive Betrachtung der Nachfrager durch die Anbieter" 72 et vice versa darstellen. Die kollektive Betrachtung bezieht sich auf die Anzahl und den damit zusammenhängenden Marktanteil der einzelnen Unternehmen. Im Falle der "vielen kleinen" Unternehmen werden diese von der Marktgegenseite als Kollektiv betrachtet, da die Reaktionen eines einzelnen Unternehmens für die Marktgegenseite nicht bedeutsam sind. Diese Ausführungen lassen sich in das obige Schaubild der Marktformen in der Weise einbauen, daß im Vergleich zu Abb. 14 ersichtlich wird, auf welche Marktformen sich die Marktseitenverhältnisse beziehen (vgl. Abb. 15).

69 70 71 72

Vgl. Theisen, Grundzüge, S. 38 ff. Vgl. Heuer, S. 188. Theisen, Grundzüge, S. 43. Theisen, Grundzüge, S. 43.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

151

Nachfrager AnbieterV^

ein Großer

ein Großer

viele Kleine

wenige Mittelgroße

kollektive

gegenseitige singuläre

Betrachtung der

Betrachtung der Marktpartner

Nachfrager

wenige Mittelgroße

durch die 1 viele Kleine

Anbieter

kollektive Betrachtung der Anbieter dufch die Nachfrager 1

Abb. 15. Marktseitenverhältnisse Quelle: In Anlehnung an Theisen, Grundzüge, S. S3.

Eine kollektive Betrachtung der Nachfrager durch die Anbieter (Fall 1) erfolgt im Rahmen des Angebotsmonopols, -oligopois und des bilateralen Polypols. Die kollektive Betrachtung der Anbieter durch die Nachfrager (Fall 2) kann im Rahmen des bilateralen Polypols sowie des Nachfragemonopols und des Nachfrageoligopols festgestellt werden. Eine gegenseitige singuläre Betrachtung der Marktpartner läßt sich beim bilateralen Monopol, den beschränkten Angebots- und Nachfragemonopolen und dem bilateralen Oligopol feststellen (Fall 3). Für die Handhabung und Gestaltung der Beschaffung in einem Industriebetrieb ergeben sich auf der Grundlage dieser theoretischen Erkenntnisse folgende Verhaltensweisen:73 Bei Fall i , der kollektiven Betrachtung der Nachfrager durch die Anbieter, werden die Preise für die zu beschaffenden Materialien durch die Anbieter festgesetzt. Der Anbieter bestimmt einen Preis, bei dem es dem Nachfrager überlassen bleibt, diejenige Menge zu wählen, die er zu diesem Preis abnehmen möchte.74 Der Nachfrager kann diesen Preis im Rahmen von Verhandlungen nicht beeinflussen, ihm bleibt es lediglich überlassen, seine Bestellmenge anzupassen. Das Beschaffungswesen in einem Industrie73 74

Zu den theoretischen Schlußfolgerungen vgl. Theisen, Grundzüge, S. 69 ff. Vgl. Theisen, Grundzüge, S. 70.

152

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

betrieb wird sich, um sich aus dieser Zwangslage zu befreien, nach neuen Materialien, die die gleichen Anforderungen physikalischer und chemischer Natur erfüllen (Substitute), umsehen und neue Beschaffungsquellen erschließen.75 In diesem Fall ist insbesondere die Beschaffungsmarktforschung gefragt, auf deren Informationen beruhend für das Unternehmen Erfolgspotentiale erschlossen werden können. Betriebswirtschaftlich betrachtet kann bei einer Substitution von Materialien untereinander oder der Entwicklung neuer Einsatzmaterialien von einer Abfolge von Produktlebenszyklen der einzelnen Materialien gesprochen werden. 6 Der umgekehrte Fall 2, bei dem die Anbieter einer kollektiven Betrachtung durch die Nachfrager unterworfen sind, hat für die beiden Marktseiten die Konsequenz, daß in diesem Fall der Preis für die Materialien durch den Nachfrager festgelegt wird und es in der Hand der Anbieter liegt, welche Mengen sie zu diesem Preis anbieten. Die zu beschaffenden Mengen werden für den Einkauf in der Regel von der Bedarfsermittlung und -prüfung mittels programm- oder verbrauchsgebundener Verfahren vorgegeben. Die Preisfestsetzung des Nachfragers erfolgt in der Weise, daß derjenige Preis gewählt wird, bei dem die zu beschaffende Menge von den Anbietern angeboten wird. Es existiert für den Nachfrager eine Preis-Mengen-Funktion dergestalt, daß durch Erfahrungswerte zum Beispiel infolge einer Vorgabe von unterschiedlichen Preisen für verschiedene Anbieter die Preise bekannt 77

sind, bei denen die zu beschaffenden Mengen eingekauft werden können. Auf den ersten Blick stellt ein solches Marktseitenverhältnis für den Nachfrager eine als ideal zu bezeichnende Marktstruktur dar. Es kann sich aber die Situation ergeben, daß leistungsschwächere Lieferanten aus dem Markt ausscheiden und eine Konzentration auf der Anbieterseite die Folge ist. Das Marktseitenverhältnis wandelt sich somit in eine der anderen Formen, wenn sich durch das Ausscheiden von Lieferanten eine Konzentration von "vielen Kleinen" hin zu "wenigen Mittelgroßen" ergibt (vgl. Abb. 15). Die beiden dargelegten Fälle der kollektiven Betrachtungs weisen haben als gemeinsames Merkmal, daß von einer Marktseite die Preise vorgegeben werden und sich die jeweils andere lediglich über die Menge anpassen kann. Verhandlungen über Preise finden ebenfalls wie bei staatlichen Festpreisen78 somit nicht statt. 75

VgLPekayvac,S. 117. Vgl. von Pilgrim , E.: Wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte des rohstoffsparenden technischen Fortschrittes und abfallarmer Produktionsprozesse in der westdeutschen Wirtschaft, in: Neue Technologien und ihre Auswirkungen auf Automatisierung, Arbeitswelt und Rohstoffeinsatz, ifo-Studien zur Ostforschung, Band 3, hrsg. von K.H. Oppenländer, München 1989, S. 159. 77 Vgl. Theisen, Grundzüge, S. 79 f. 78 Vgl. Möller, Sp. 2611. 76

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

153

Beim Fall 3, bei dem die Anbieter und die Nachfrager eine relativ gleichstarke Position in bezug auf die Durchsetzbarkeit von Preis- und Mengenvorstellungen haben, zwingt keine der beiden Marktseiten der anderen ihre Vorstellungen bezüglich der gewünschten Preise oder Mengen auf. Die Einigung über diese beiden Größen vollzieht sich über Verhandlungen.79 Die mikroökonomischen Ausführungen über die Beschaffungsmarktstrukturen werden im folgenden hinsichtlich der Beschaffungsobjekte auf Rohstoffe und Fertigstoffe 0 übertragen.

bb) Die Beschaffungsmarktstruktur für Rohstoffe Ol

Der Beschaffungsmarkt für Rohstoffe kann bezüglich der Gewinnung und der Verwendung der Rohstoffe unterteilt werden. Die Gewinnung der Rohstoffe kann zum einen auf tierischem oder pflanzlichem Ursprung basieren oder durch den Abbau von Lagerstätten erfolgen. Die Verwendung der Rohstoffe bezieht sich auf eine Weiterver- oder -bearbeitung im Rahmen der Industrie- oder Ernährungsgüterproduktion 82 (vgl. Abb. 16). Zu den Agrarrohstoffen zählen beispielsweise Baumwolle, Kautschuk oder Tropenhölzer, zu den metallischen Rohstoffen Bauxit, Kupfer, Eisenerz,, Mangan oder Zinn. Als minerali sehe Rohstoffe lassen sich die Phosphate oder Energieträger wie Erdöl anführen. 83

79

Vgl. Theisen, Grundzüge, S. 81 f. Der Terminus Fertigstoff bezieht sich auf die Sichtweise des zuliefernden Unternehmens, so daß ein Fertigstoff im Sinne des belieferten Unternehmens ein unfertiges Erzeugnis oder einen Hilfsstoff darstellt. 81 Neben der Bezeichnung Rohstoff finden sich auch die Termini Rohware und Rohprodukte, die nicht oder nur in einem sehr geringen Ausmaß für den Transport oder die Lagerung be- oder verarbeitet sind. Vgl. Senti, R.: Monopolisierung im internationalen Rohwarenhandel - Vorschläge zur Neugestaltung der Welthandelsordnung, Diessenhofen 1975, S. 3. Auf die Problematik der Suffixe -Stoff, -ware und -produkt sei in diesem Zusammenhang hingewiesen, da mit den beiden letzten Suffixen eine weitergehende Be- oder Verarbeitung verbunden ist. Die Abgrenzung zu den unfertigen Erzeugnissen ist hierbei etwas problematisch. 82 Vgl. Pelikahn, H.-M.: Internationale Rohstoffabkommen, Diss., Baden-Baden 1990, S. 43. 83 Vgl. Pelikahn, S. 44. 80

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

154

Gewinnung Landwirtschaft Verwendung^».

Lagerstättenabbau

Forstbetrieb Fischerei

Nahrungsmittel Ernährungsgüter Genuß mittel

Metallische Rohstoffe Industrierohstoffe

Agrarrohstoffe sonstige mineralische Rohstoffe

Abb. 16. Differenzierungen des Rohstoffbegriffes Quelle: PtUkahn, S. 44

Im Bereich des Handelns mit Rohstoffen haben sich im Laufe der Zeit mehrere Entwicklungen abgezeichnet, die für das Beschaffungswesen eines Industriebetriebes Bedeutung haben.84 Auf privatwirtschaftlicher Ebene bilden die Rohstoffkartelle den Zusammenschluß von verschiedenen Anbietern. Eine Übereinkunft bezüglich des internationalen Handels mit Rohstoffen kann auch zwischen zwei oder mehreren Staaten getroffen werden. 85 Die bilateralen Vereinbarungen wie beispielsweise das Abkommen zwischen der europäischen Gemeinschaft und anderen Nationen betreffen in der Regel Agrarprodukte, während solche bezüglich Materialien eher auf multilateraler Ebene zu finden sind. 86 Auf 84

Zum geschichtlichen Hintergrund vgl. Fleischer, J.: Internationale Rohstoffabkommen als weltwirtschaftliches Ordnungsproblem, Diss., Duisburg 1976, S. 14 ff. und Schraden, J.: Internationale und supranationale Rohstoffverwaltung, Diss., Berlin 1982, S. 17 ff. 85 Vgl. Senti, R.: Internationale Rohprodukteabkommen, Diessenhofen 1978, S. 131. Zu den multilateralen Abkommen der Europäischen Gemeinschaft vgl. Fundstellennachweis des geltenden Gemeinschaftgsrechts, in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Band 1 (Stand 1. Juni 1991), Brüssel/Luxemburg 1991, S. 548 f. 86 Zu den bilateralen Abkommen der europäischen Gemeinschaft vgl. Fundstellennachweis des geltenden Gemeinschaftsrechts, S. 570 ff.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

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multilateraler Ebene lassen sich Übereinkünfte finden, die lediglich eine Marktseite einbeziehen und solche, die zwischen Anbietern und Nachfragern ausgehandelt sind. Im ersten Fall handelt es sich um Abkommen auf der Produzenten- oder Konsumentenseite. Die Vereinbarungen zwischen einzelnen Produzentenländern betreffen bei den Rohstoffen beispielsweise Bauxit (International Bauxite Association), Naturkautschuk (Association of Natural Rubber Producing Countries, ANRPC) oder Erdöl (Organization of Petrol Exporting Countries, OPEC). 87 Eine weiteres Übereinkommen besteht im Falle der Eisenerze (Organization of Iron Ore Exporting Countries, OIEC). 88 Im Bereich der Abkommen zwischen Konsumentenländern kann die Internationale Energieagentur angeführt werden, die als Reaktion auf die Erdölkrise im Jahre 1975 gegründet wurde. 89 Als Objekte, über die im Rahmen von Abkommen zwischen Produzenten- und Konsumentenländern eine Regelung getroffen wird, kommen beispielweise Zinn, Zucker, Kaffee, oder Kakao in Frage. 90 Neben den Abkommen, die sich auf eine Abstimmung des Angebotsund/oder Nachfrage Verhaltens beziehen, werden auf internationalen Foren Probleme einzelner Rohstoffe beraten. Der Aspekt der gemeinsamen Beratung kann sich auch auf Forschung und Entwicklung oder gemeinsame Werbemaßnahmen beziehen. Als Beispiele für solche internationalen Foren seien im Rahmen der Food Agriculture Organization of the United Nations (FAO) die FAO Intergovernmental Group on Hard Fibres und die FAO Intergovernmental Group on Jute, Kenaf Allied Fibres genannt.91 Für ein Industrieunternehmen haben diese internationalen Regelwerke in der Weise Bedeutung, daß sie nicht wie im Falle der Fertigstoffe Marktzugangsregelungen begründen, sondern die Interessen einer oder beider Marktseiten aufeinander abstimmen. Auf den ersten Blick kann aus der Vielzahl der internationalen Regelungen geschlossen werden, daß sich ein Industriebetrieb im Bereich der Beschaffung von Rohstoffen monopol- oder oligopolartigen Angebotsmarktstrukturen gegenübersieht.92 Weltweit gesehen treten in diesem Falle die Anbieter von Rohstoffen den Nachfragern als ein Kartell entgegen und betrachten diese als Kollektiv. Der Ansicht, daß aufgrund der zahlreichen Abkommen eine "zunehmende Kartellisierung von 87

Vgl. hierzu die Auflistung bei Pelikahn, S. 33 f. Vgl. Fröhlich, O./Stankiewicz, M.: Beschaffungs- und Materialmanagement, München 1976, S. 106. 88

89

90 91 92

Vgl. hierzu Senti , Rohprodukteabkommen, S. 113 ff. Vgl. Senti , Rohprodukteabkommen, S. 19 ff. Vgl. Pelikahn, S. 35. Vgl. Fröhlich/Stankiewicz, S. 106.

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D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Rohstoffen" zu beobachten ist, kann, wie im folgenden gezeigt wird, nicht zugestimmt werden. Trotz erheblicher Anstrengung seitens der Anbieter konnten zum einen nicht alle Rohstoffarten und zum anderen nicht alle Anbieter im Rahmen einer Rohstoffart in solche Marktstrukturen eingebunden werden, sei es, daß die Abkommen nicht mehr verlängert wurden oder erst gar nicht in Kraft getreten sind wie beispielsweise bei Blei, Zink, Kautschuk oder Kaffee. 94 Ein weiterer Gesichtspunkt stellt die Begrenzung eines Abkommens hinsichtlich der zeitlichen Dauer dar. Um durch eine kurze Laufzeit 95 flexibel in bezug auf Mengen- oder Preisänderungen zu sein, dauerten die Verhandlungen für die Übereinkunft unter Umständen länger als die Gültigkeitsdauer des dann abgeschlossenenen Vertrages. Gegen eine längere Gültigkeitsdauer aber spricht, daß das Abkommen hierdurch einen statischen Charakter erhält und auf Marktänderungen nicht reagieren kann. Die Verträge sind sehr oft nur als allgemeine Empfehlungen abgefaßt, so daß bei Nichteinhalten der Vertragsbestimmungen durch ein Mitglied keine wirksamen Sanktionen durch die anderen Mitglieder ergriffen werden können.96 Die weltweite Verteilung der Lagerstätten und die Vielzahl der privaten und staatlichen Anbieter wirken ebenfalls diesen Abkommen entgegen, so daß das Entstehen von Rohstoffkartellen eher als unwahrscheinlich zu bezeich. 97 nen ist. In bezug auf den Beschaffungsmarkt für Rohstoffe kann somit festgehalten werden, daß in der Regel keine Strukturen, bei denen eine kollektive Betrachtung der einen Marktseite durch die andere erfolgt, vorliegen. Die Beschaffung von Rohstoffen vollzieht sich vielmehr durch direkte Lieferverträge mit den Anbietern oder indirekt über die Einschaltung von Warenbörsen.98 Die Beschaffung von Rohstoffen vollzieht sich somit in einer "gegenseitigen singulären Betrachtung der Marktpartner" (Theisen). Die Ausgestaltung der Lieferverträge kann in Einzellieferungsverträgen oder in Form von zeitlich befristeten Rahmenlieferungsverträgen gescheFröhlich/Stankiewicz, S. 106. Vgl. Senti , Monopolisierung, S. 59. 95 Beispielsweise wurde das internationale Zinnabkommen in den Jahren 1956 - 1976 im Durchschnitt alle 5 Jahre überarbeitet. Vgl. Senti , Rohprodukteabkommen, S. 31 ff. 96 Vgl. Senti, Monopolisierung, S. 60. 97 Vgl. Bundesministerium ßr Wirtschaft (Hrsg.): Bericht über die Versorgung der Bundesrepublik Deutschland mit mineralischen Rohstoffen, Bonn 1980, S. 3. Vgl. hierzu Gibson-Jarvie, R.: Die Londoner Metallbörse - ein Warenmarkt, Frankfurt am Main 1978, S. 9 ff. 94

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

157

hen." Im Rahmen der in der Regel langfristigen Rohstofflieferungsverträge werden durch das Vertragswerk neben den Mengen- und Preisabmachungen auch Vereinbarungen über finanzielle oder technologische Sachverhalte einbezogen.100 Zusammenfassend kann die Beschaffung von Rohstoffen in direkter Abmachung zwischen dem Anbieter und dem Nachfrager in Form einer einzelnen Lieferung oder eines langfristigen Liefervertrages erfolgen. 101 Die indirekte Beschaffung vollzieht sich über die Rohstoffwarenbörsen. 102 Eine weitere Form der Beschaffung von Rohstoffen kann in der Einschaltung von Handelshäusern gesehen werden. 103 cc) Die Beschaffungsmarktstruktur bei Fertigstoffen Die Beschaffung von Fertigstoffen wie unfertigen Erzeugnissen vollzieht sich in der Regel in einer Marktstruktur, die durch eine "gegenseitige singuläre Betrachtung der Marktpartner" (Theisen) gekennzeichnet ist. Internationale Abkommen auf staatlicher Ebene sind in diesem Zusammenhang relativ selten.104 Dies begründet sich auch darauf, daß die Voraussetzungen zum Entstehen einer Angebotskonzentration nicht gegeben sind. Solche Voraussetzungen für das Entstehen von Angebotskonzentrationen liegen zum Beispiel in der Homogenität der Produkte, den fehlenden Substitutionsmöglichkeiten oder einer unelastischen Nachfrage, da es sich um existenznotwendige Produkte 105 handelt. 106 Eine Nachfragekonzentration kann zum Beispiel aufgrund der unterschiedlichen Bestellsortimente der Abnehmer ausgeschlossen werden. Die "gegenseitige singuläre Betrachtung der Marktpartner" kommt in den verschiedenen Möglichkeiten der Liefervertrags ausgestaltung zum Aus99

Vgl. Träger, U.C.: Probleme der gesamtwirtschaftlichen Versorgung mit und der einzelwirtschaftlichen Beschaffung von industriellen Rohstoffen - dargestellt am Beispiel von metallischen Rohstoffen, Diss., Mannheim 1976, S. 109. 100 Vgl. Träger, S. 113. 101 Vgl. hierzu auch Beste, Fertigungswirtschaft, S. 138 f. 102 Vgl. Träger, S. 109. 103 Vgl. Demes, H.: Die pyramidenförmige Struktur der japanischen Automobilindustrie und die Zusammenarbeit zwischen Endherstellern und Zulieferern, in: Systemische Rationalisierung und Zulieferindustrie - Sozialwissenschaftliche Aspekte zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung, hrsg. von N. Altmann und D. Sauer, Frankfurt am Main/New York 1989, S. 269. Ein Beispiel hierzu stellt das Welttextilabkommen dar. Vgl. Pelikahn, S. 35. 105 Eine Ausnahme hierzu sind zum Beispiel hochtechnologische Produkte wie Mikrochips, die für eine hochindustrialisierte Volkswirtschaft eine sehr große Bedeutung haben. 106 Zu den Voraussetzungen der Angebotskonzentration vgl. Senti, Monopolisierung, S. 18 ff.

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D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

druck. Als Grundformen für die Handhabung der vertraglichen Seite der Beschaffung bestehen folgende Vertragsformen: Die Ausgestaltung von Lieferverträgen bei einer einsatzsynchronen Beschaffung erfolgt in der Weise, daß zunächst Rahmenvereinbarungen geschlossen werden, die als Grundlage weiterer Verträge dienen. Den Gegenstand der Rahmenverträge bilden Absprachen bezüglich Kapazitätsvorhaltungen beim Zulieferer, unverbindliche Zeit und Mengenvorstellungen der einzelnen Lieferungen oder auch Qualitätsaspekte. Außer der Rahmenvereinbarung werden Rahmenverträge geschlossen, die sich auf Materialbeschaffungen und Vorfertigungen beziehen. Die Lieferabrufe als eigentliche Bestellung legen die zu liefernden Materialien in bezug auf Art, Menge, Zeit und Ort der Anlieferung beispielsweise direkt an die Fertigungsstellen fest. Die Bestellung und Belieferung erfolgt nicht im Rahmen von Eingebotseinholung, -prüfung und anschließender Lieferantenauswahl sondern auf Abruf. 107 Die Einholung und Prüfung verschiedener Angebote bezieht sich bei der einsatzsynchronen Beschaffung nicht auf einzelne Aufträge, sondern auf die Lieferanten selbst. Hierbei wird geprüft, ob und inwieweit sich diese als Lieferanten für eine einsatzsynchrone Beschaffung eignen. Kriterien, die hierbei eine Rolle spielen, sind die Lieferflexibilität und die generelle Lieferzuverlässigkeit in mengen- und qualitätsmäßiger sowie in zeitlicher Hinsicht. Auswirkungen auf die Beschaffungsmarktstruktur ergeben sich dadurch, daß infolge der Vertragsausgestaltung 108 die Zulieferer in einer Weise an das Unternehmen gebunden werden, daß sie in ein Abhängigkeitsverhältnis geraten. 109 Die Marktstruktur wird bei der einsatzsynchronen Beschaffung nicht über kartellrechtliche Aspekte beeinflußt wie beispielsweise bei multilatera107

Vgl. ihde, Logistik, S. 211 sowie Beste, Fertigungswirtschaft, S. 138 f. Vielfach werden die Just-in-Time-Rahmenverträge individuell und lediglich in mündlicher Form abgeschlossen, so daß das Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) nicht angewendet werden kann. Vgl. § 1 Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Dezember 1976, in: BGBl. I, S. 3317 mit allen späteren Änderungen, künftig zitiert als AGB. Vgl. hierzu auch Graf von Westphalen, F.: Qualitätssicherungsvereinbarungen: Rechtsprobleme des "Just-in-Time-Delivery", in: Festschrift "40 Jahre DER BETRIEB", Stuttgart 1988, S. 224 ff. 108

109

Es stellt sich auch die Frage, wo die Grenze zwischen 'noch selbständig' und 'schon abhängig' im Sinne des Grenzproblems bei der Abgrenzung Unternehmen und Umsystem zu ziehen ist. Vgl. Koppensteiner, H.-G., in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, hrsg. von W. Zöllner, 2., neubearbeitete Aufl., Köln u.a. 1988, § 17 Rdn. 60 sowie Däubler, W.: Informationstechnische Unternehmensverkettung und Arbeitsrecht, in: Computer und Recht, 4. Jg. 1988, S. 837.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

159

len Rohstoffabkommen. Vielmehr liegen, basierend auf der vertraglichen Ausgestaltung, konzernrechtliche Strukturen vor, da nicht nur die marktlichen Aspekte des Beschaffungswesens, sondern auch die Unternehmen als selbständiges Wirtschaftssubjekt betroffen sind. 110 Die enge Anbindung zeigt sich zum Beispiel darin, daß die Zulieferer unter Umständen einen Standort in der Nähe des Abnehmers wählen und sich in ihrer Arbeitszeitregelung dem Abnehmer der Materialien anpassen, um eine zeitlich und sachlich abgestimmte Produktion und Lieferung zu gewährleisten. 111 Die Zulieferbetriebe stellen infolge der Produktions- und Arbeitsorganisation räumlich ausgelagerte Teilabschnitte oder Betriebsabteilungen mit eigenem Unternehmensrisiko dar. 112 Die enge Anlehnung der Arbeitszeitregelungen beim Zulieferer an die des Abnehmersist die Konsequenz aus dem gemeinsamen Fabrikationsrhythmus. "Mehrarbeit beim Hersteller (bedeutet; A.d.V.) automatisch auch Mehrarbeit beim Zulieferer," 113 denn das Ausbleiben von Lieferungen hat vertraglich festgelegte Konventionalstrafen zur Folge, die mittelständische Zulieferer unter Umständen in ihrer Existenz gefährden können. Es liegt in der Hand des Zulieferers, auf welche Weise er sich der geänderten Auftragslage anpaßt. Als Möglichkeiten stehen ihm die intensitätsmäßige, die zeitliche sowie die quantitative und selektive Anpassung zu Wahl.1 4 Die sachliche Abstimmung des Produktionsprogrammes mit dem Abnehmer hat zur Folge, daß dieser für die Bedürfnisse eines einzigen Kunden ausgerichtet wird, und somit von einer wirtschaftlichen Abhängigkeit gesprochen werden kann. 115 Die Abstimmungsprozesse erfolgen hierbei in der Regel über eine informationstechnologische Anbindung des Zulieferers an den Abnehmer. Im Rahmen der Abstimmungsprozesse wird auch eine Normung zum Beispiel von Gewichten, Maßen, technischer Eigenschaften oder hinsichtlich der 110

Zur Begründung konzernrechtlicher Strukturen aufgrund von Lieferverhältnissen vgl. die gegenteiligen Auffassungen hierzu bei Nagel, B./Riess, Β./Theis, G.: Der faktische Just-inTime-Konzern - Unternehmensübergreifende Rationalisierungskonzepte und Konzernrecht am Beispiel der Automobilindustrie, in: Der Betrieb, 42. Jg. 1989, S. 1507 f. und Däubler. S. 838 f. 111 Vgl. Mayer-List, I.: Der Computer befiehlt - Mittelständische Betriebe sind der Großindustrie ausgeliefert, in: Die Zeit, 45. Jg., Nr. 15 vom 6. April 1990, S. 36. 112 Vgl. Doleschal, R.: Just-in-time-Strategien und betriebliche Interessenvertretung in Automobilzulieferbetrieben, in: Systemische Rationalisierung und Zulieferindustrie - Sozialwissenschaftliche Aspekte zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung, hrsg. von N. Altmann und D. Sauer, Frankfurt am Main/New York 1989, S. 181. 113

Wagner, J.: Die "Just-in-Time"-Produktion - Anlaß zum Uberdenken des Arbeitgeber und 1des 1 4 Betriebsbegriffs, in: Arbeit und Recht, 38. Jg. 1990, S. 246. Zu den einzelnen Anpassungsformen vgl. Gutenberg, Produktion, S. 361 ff. 115 Vgl. Koppensteiner, § 17 Rdn. 50.

160

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Verpackung der Materialien durchgeführt. 116 Diese Abstimmungen lassen sich im Rahmen einer Hierarchie betrachten, so daß als Abstimmungspartner auch die Lieferantenbeziehungen der Zulieferer in Frage kommen. Während eine Abstimmung einzelner Komponenten in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen die Lieferanten vornehmen, die, prozentual gesehen, die meisten benötigten Teile liefern, arbeiten die Zulieferer dieser Hauptlieferanten bezüglich einer Abstimmung der Entwicklung und Produktion von Unterkomponenten nur mit dem Unternehmen zusammen, mit dem sie in einer direkten Vertragsbeziehung stehen. Aus der Sicht des Endabnehmers der Teile stellen diese Lieferanten Sublieferanten dar, 117 mit denen sie in der Regel in keiner vertraglichen Beziehung stehen. Die Abstimmung zwischen den Zulieferern und den Abnehmern kann soweit reichen, daß nicht nur von einem einseitigen Abhängigkeitsverhältnis gesprochen werden kann. 118 Je weiter sich Zulieferer und Abnehmer aufeinander einstellen, desto schwieriger wird für ein Unternehmen ein Wechsel der Hauptlieferanten. Die Gründe für einen Lieferantenwechsel liegen in Anforderungen des Abnehmers bezüglich technischer Fähigkeiten, Qualitätsanforderungen, Lieferterminzuverläßlichkeit oder auch preislichen Vorstellungen. Falls die gegenseitige Abhängigkeit sehr groß ist, zum Beispiel infolge gemeinsamer Forschungs- und Entwicklungsvorhaben oder infolge des völligen Überlassens der Entwicklung und der Konstruktion der bezogenen Teile, 1 1 9 kann von einem bilateralen Monopol gesprochen werden. Dieses zeigt sich darin, daß der Abnehmer nicht mehr mit allen Lieferanten selbst in Verbindung tritt, sondern einen Lieferanten auswählt, der als sogenannter Modullieferant zum einen mit den anderen Lieferanten in Verbindung tritt und zum anderen eine Vormontage bezüglich der einzelnen Komponenten durchführt. Aus der Sicht des Unternehmens stellt dies eine Ausgliederung von Fertigungsteilprozessen dar. 120 Diese Form der Einschränkung der Produktionstiefe eines Unternehmens hat zur Folge, daß es seine Flexibilität erhöht, da es "sich den wech116

Vgl. hierzu auch Hess, J.: Mittelständler stöhnen unter den harten Auflagen der Autohersteller, in: Handelsblatt, 41. Jg., Nr. 179 vom 16./17. September 1988, S. 18. 117 Vgl. Hess, J.: Hersteller und Zulieferer müssen die Japaner gemeinsam kontern, in: Handelsblatt, 45. Jg., Nr. 41 vom 27. Februar 1992, S. 15. 118 Vgl. Petzold, S. 46. 119 Vgl. Bergner, Kosten, S. 150. 120 Vgl. Bergner, Kosten, S. 150 sowie Ihde, Logistik, S. 212 f. und von Eicke, H./Femerling, Ch.: Modular sourcing - Ein innovatives Konzept zur Gestaltung der Beschaffungslogistik, München 1991, S. 28 ff.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft 121

161

selnden Lagen der Wirtschaft besser anpassen" kann. Dies begründet sich darauf, daß zum einen die Fixkosten infolge der Verminderung der Betriebsbereitschaft abgebaut und durch variable Kosten ersetzt werden, 122 und zum anderen eine Änderung des Produktionsprogrammes in horizontaler Richtung leichter durchzuführen ist, da im Extremfall der Abnehmer keine Fertigungsanlagen mehr besitzt und sich nur noch auf die Forschung und Entwicklung sowie die Konstruktion und den Verkauf der Erzeugnisse beschränkt und die Produkte als Ganzes zukauft. 123 Die Verringerung der Fertigungstiefe hat in bezug auf die Produktionsmenge die Auswirkung, daß bei einer Produktionsmenge innerhalb der Kapazitätsgrenzen eines Betriebes diese unter Umständen zu geringeren Kosten hergestellt werden kann, da der Zulieferer seinerseits bestrebt ist, noch Aufträge, die dasselbe Zwischenprodukt betreffen, von anderen Unternehmen zu übernehmen. Der Zulieferer produziert die vereinheitlichten Teile in größeren Mengen und damit zusammenhängend auch zu geringeren Stückkosten als es jedem einzelnen der Abnehmer möglich sein würde. Im Falle der Überbeschäftigung beim Abnehmer wird durch die Verringerung der Produktionstiefe der Montagebetrieb eine Beschäftigung realisieren, die seine Kapazitätsgrenze überschreitet, aber nicht mit progressiven Kosten verbunden ist. 124

dd) Konzernrechtliche Probleme der einsatzsynchronen Beschaffung Die enge Anbindung der Zulieferer im Rahmen der einsatzsynchronen Beschaffung kann im Sinne des § 17 AktG nicht nur als wirtschaftliche Abhängigkeit, sondern auch als beherrschender Einfluß interpretiert werden. Der beherrschende Einfluß eines Unternehmens auf seine(n) Zulieferer im Rahmen der einsatzsynchronen Beschaffung muß sich auf wesentli1

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197

che Unternehmensbereiche des Zulieferers erstrecken. Als wesentliche Unternehmensbereiche kommen beispielsweise die Produktion, der Absatz oder unternehmenspolitische Entscheidungen in Frage. 128 121

Beste, Fertigungswirtschaft, S. 139. Vgl. Bergner, Kosten, S. 150 und Beste, Fertigungswirtschaft, S. 138 ff. Vgl. Bergner, Kosten, S. 150 f. 124 Vgl. Beste, Fertigungswirtschaft, S. 138 f. 125 Vgl. § 17 Aktiengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. September 1965, in: BGBl. 1, S. 1089 ff. mit allen späteren Änderungen, künftig zitiert als AktG. 126 Vgl. Koppensteiner, § 17 Rdn. 24 f. und Nagel/Riess/Theis, S. 1507. 127 Vgl. die gegenteilige Auffassung bei Koppensteiner, § 17 Rdn. 24. 128 Vgl. Koppensteiner, § 17 Rdn. 25. 122 123

11 Brecht

162

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Die mit der Durchführung einer einsatzsynchronen Beschaffung verbundenen Maßnahmen erstrecken sich auf wesentliche Unternehmensbereiche wie das Produkt- und Einkaufssortiment sowie die Beeinflussung und Anpassung der unternehmenspolitischen Entscheidungen des Zulieferers. Solche Entscheidungen betreffen die Standortwahl, die Wahl der Fertigungstechnologien, die Synchronisierung der Fertigung in zeitlicher und sachlicher Hinsicht sowie die Durchführung und Kontrolle der Qualitätssicherung beim Zulieferer durch den Abnehmer. 129 Wenn ein Zulieferer sich in diesem Rahmen dem Abnehmer anpaßt, kann davon ausgegangen werden, daß dies zu einem Zustand führt, in dem das abhängige Unternehmen einer umfassenden Beeinflussung unterliegt. 130 Eine einheitliche Leitung liegt vor, wenn das abhängige Unternehmen den Vorstellungen des herrschenden Unternehmens untergeordnet ist. Das herrschende Unternehmen bestimmt die Geschäftstätigkeit des abhängigen Unternehmens. Das Vorliegen eines Beherrschungsvertrages ist keine Voraussetzung für das Entstehen eines Beherrschungsverhältnisses. 131 Es kann festgehalten werden, daß bei Vorliegen der Politik einer einsatzsynchronen Beschaffung (Just-in-Time) ein Abhängigkeits- und ein Beherrschungsverhältnis im Sinne des § 17 AktG vorliegen können, die beide durch die Vertragsausgestaltung zwischen den Vertretern der Marktseiten verursacht werden. Aufgrund der individuellen Möglichkeiten der Vertragsausgestaltung kann keine allgemeingültige Aussage getroffen werden. Der Einwand, daß die wirtschaftliche Abhängigkeit und das Beherrschungsverhältnis durch eine freie Willenentscheidung aufhebbar ist und dem Verhältnis daher die Dauerhaftigkeit fehlt, kann entgegengehalten werden, daß der Zeitfaktor nach herrschender Meinung kein Bestandteil des Abhängigkeitsbe129 Vgl. Nagel/Riess/Theis, S. 1508 ff. Die Einflußnahme auf unternehmenspolitische Entscheidungen kann sich auch darauf erstrecken, daß, um am Markt preiswerter anbieten zu können, die Zulieferer kategorisch aufgefordert werden, Preisnachlässe zu gewähren. Die Anpassung an die verschlechterte Wettbewerbsposition führt in diesem Falle dann nicht mehr das betroffene Unternehmen durch, sondern die Zulieferer. Vgl. Layer, G.B.: Vertrauen und gerechtes Teilen, in: Beschaffung aktuell, Heft 10, 1991, S. 18. Großabnehmer haben vielfach sogar das Recht, unangemeldet das Zulieferwerk zu betreten, um sich bezüglich der Einhaltung bestimmter Abmachungen zu versichern. Vgl. Hess, Mittelständler, S. 18 und Kern, W.: Qualitätssicherung als eine Voraussetzung zwischenbetrieblicher produktionssynchroner Anlieferungen, in: Die Betriebswirtschaft, 49. Jg. 1989, S. 287 ff. 130 Zum Abhängigkeitsbegriff wird überwiegend die Meinung vertreten, daß als Beherrschungsmittel anzusehen ist, was individuell gesehen zu einem solchen Zustand führt. Der Ansicht von Koppensteiner, daß ein Lieferantenverhältnis nicht zu einem als abhängig zu bezeichnenden Zustand führt, kann gemäß den obigen Ausführungen nicht gefolgt werden. Vgl. Koppensteiner, § 17 Rdn. 24, 26 und 50. Vgl. Deilmann, B.: Die Entstehung des qualifizierten faktischen Konzerns, Diss., Berlin 1990, S. 36 und 47.

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II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft 1Ύ) . . . .

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griffs ist. Die Betrachtung der Funktions- und Risikoübertragungen sowie der Laufzeit und der Beendigungsmodalitäten der Rahmenverträge führt zu dem Schluß, daß sich der Lieferant der Leitungsmacht des abnehmenden Unternehmens unterstellt. 133 Da die Zulieferer und das belieferte Unternehmen nicht im Rahmen einer einheitlichen Leitung 134 gemäß § 18 AktG zusammengefaßt sind, bilden sie keinen Konzern im Sinne des Aktiengesetzes. Ein solcher Konzern ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, daß die Einflußnahme auf rechtlichen Vorschriften beruht, die sich als Recht auf Erteilung von Weisungen und die Pflicht, diese zu befolgen, charakterisieren lassen.135 Im Falle der einsatzsynchronen Beschaffung erfolgt die Beeinflussung nicht aufgrund rechtlicher Aspekte, sondern durch faktische Leitungsmacht, so daß von einem faktischen Konzern gesprochen werden kann.13 Wenn die Zulieferindustrie mittelständisch strukturiert ist, kann von der Annahme ausgegangen werden, daß diese in der Rechtsform einer GmbH auftreten. Somit kann § 311 AktG nicht angewendet werden, der dem Einfluß des herrschenden Unternehmens auf die abhängigen Unternehmen im Falle des Vorliegens einer Aktiengesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien Schranken auferlegt (Nachteilsausgleich). Es handelt sich bei den beschriebenen Abhängigkeitsverhältnissen um faktische GmbH137

Konzerne. Die Rechtsfolgen bei einem faktischen Konzern sind in der Bildung von Konzernbetriebsräten und der Unternehmensmitbestimmung im Rahmen des Konzerns zu sehen.138 Die weiteren aktienrechtlichen Vorschriften in 132

Zur Begründung vgl. Koppensteiner, § 17 Rdn. 23 und Henn, G.: Handbuch des Aktienrechts, 4., völlig neubearbeitete Aufl., Heidelberg 1991, S. 95. 133 Vgl. Nagel, B.: Der Lieferant On Line - Unternehmensrechtliche Probleme der Justin-Time-Produktion am Beispiel der Automobilindustrie, in: Der Betrieb, 41. Jg. 1988, S. 2294. 134

1 3 5 Zur einheitlichen Leitung vgl. Wagner, S. 250. Vgl. Gessler, E.: Leitungsmacht und Verantwortlichkeit im faktischen Konzern, in: Festschrift für Harry Westermann zum 65. Geburtstag, hrsg. von W. Hefermehl, W. Gmür und H. Brox, Karlsruhe 1974, S. 150 f. 136 Dieses Konzernverhältnis wird von Nagel/Riess/Theis als faktischer Just-in-TimeKonzern bezeichnet. Vgl. Nagel/Riess/Theis, S. 1505. 137 "Als GmbH-Konzerne bezeichnet man sämtliche Unternehmensverbindungen, an denen in der Rolle der abhängigen Gesellschaft (u.a.) Gesellschaften mbH beteiligt sind." Emmerich , V./Sonnenschein, J.: Konzernrecht - Das Recht der verbundenen Unternehmen bei Aktiengesellschaft, GmbH, Personengesellschaften und Genossenschaft, 4., völlig neubearbeitete Aufl., München 1992, S. 365. Vgl. auch Theisen, M.R.: Der Konzern - Betriebswirtschaftliche und rechtliche Grundlagen der Konzernunternehmung, Stuttgart 1991, S. 94 ff. 138 Vgl. Nagel, S. 2293.

11*

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D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

bezug auf die Verlustübernahme (§ 302 AktG) und den Gläubigerschutz (§ 303 AktG) lassen sich analog als rechtliche Konsequenzen des Enstehens eines faktischen GmbH-Konzerns anführen. 139

d) Das Angebot an Materialien Der Beschaffungsmarkt eines Unternehmens stellt neben dem Marktraum und der Marktstruktur auch bezüglich der Materialien eine Rahmenbedingung für die Materialwirtschaft dar. An die originäre, technische Aufgabe der Materialwirtschaft anknüpfend müssen die beschafften Materialien Quantitäts- und Qualitätsanforderungen sowie zeitliche Aspekte berücksichtigen, während die Preise für die Materialen die derivative, ökonomische Aufgabe der Materialwirtschaft betreffen.

aa) Die quantitative Dimension Rohstoffe stehen aufgrund ihrer Nichtproduzierbarkeit in bezug auf die quantitive Dimension in einem begrenzten Ausmaß zur Verfügung. 140 Die Zeitdauer, in der sie abbaubar und industriell verwertbar sind, wird von verschiedenen Untersuchungen unterschiedlich beurteilt. 141 Es kann als Übereinstimmung festgehalten werden, daß in absehbarer Zukunft kein physischer Rohstoffmangel herrschen wird. 142 Die Unterschiede in den Untersuchungen ergeben sich aufgrund der zugrundegelegten Zeitpunkte der Datenermittlung und insbesondere der Prognose der weltweiten Rohstoffreserven und -ressourcen sowie dem unterstellten Verlauf des Verbrauchs. 143 Der Rohstoffverbrauch wird auch davon beeinflußt, ob und inwieweit es möglich ist, andere Materialien im Produktionsprozeß einzusetzen, die mindestens die gleichen Anforderungen erfül139

140

Vgl. Theisen, S. 98.

Vgl. Bender, F.: Metall-Rohstoffvorräte aus theoretischer und wirtschaftlicher Sicht, in: Die Versorgung der Weltwirtschaft mit Rohstoffen - Bericht über den wissenschaftlichen Teil der 39. Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e.V. in Bonn-Bad Godesberg am 6. und 7. Mai 1976, Berlin 1976,1 4S. 1 23. Vgl. hierzu Kaiser, R. (Hrsg. der deutschen Übersetzung): Global 2000 - Der Bericht an den Präsidenten, 39. Aufl., Frankfurt am Main 1981, S. 68 f. und Meadows , D.: Die Grenzen des Wachstums - Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, 14. Aufl., Stuttgart 1987, S. 45 ff. sowie die Übersicht bei Pelikahn, S. 49. 142 Vgl. Pekay\>ac, S. 82. 143 Vgl. Pekaywc, S. 82.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

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len, oder ob der Verbrauch durch Änderungen in der Erzeugnisstruktur beeinflußt werden kann. Neben diesen Faktoren wird der Rohstoffverbrauch in einem Unternehmen auch von den eingesetzten Fertigungsverfahren bestimmt. 144 Die mineralischen Rohstoffe lassen sich bezüglich der geologischen Gewißheit in gesicherte und unentdeckte Vorkommen und bezüglich der Wirtschaftlichkeit des Abbaus in ökonomisch sinnvolle und nicht-sinnvolle unterteilen. 145 Diejenigen Ressourcen, deren Vorkommen gesichert und bei denen ein Abbau wirtschaftlich sinnvoll ist, stellen die Reserven dar. 146 Die zeitliche Reichweite der Rohstoffreserven hängt somit auch von der Wirtschaftlichkeit des Abbaus ab. 147 Die Frage des wirtschaftlichen Abbaus der Rohstoffreserven ist nicht nur vor dem Hintergrund der zur Verfügung stehenden Fördertechnologien zu sehen, sondern es muß auch berücksichtigt werden, ob es wirtschaftlich ist, die Materialien unter Zuhilfenahme von Verkehrsträgern (Eisenbahnverkehr, Binnen- und Seeschiffahrt, Straßengüter- und Luftverkehr sowie Rohrleitungsverkehre) weiterzutransportieren. Die Wirtschaftlichkeit der Förderung von Materialien bezieht sich sowohl auf die Urförderung als auch den Weitertransport und anschließende Weiterverarbeitung der Materialien. Ein zusätzlicher Einflußfaktor des mengenmäßigen Angebots an Materialien stellen die Möglichkeiten dar, die Rohstoffe nach ihrem Einsatz oder Verbrauch für betriebliche Leistungserstellungsprozesse wiederzugewinnen. Hierbei ist es unerheblich, ob die Rohstoffe wieder in denselben Prozeß eingehen (Wiederverwendung) oder in einen anderen (Weiterverwendung). 148 Die Berechnung der zeitlichen Reichweite von Rohstoffvorräten ist an zahlreiche Faktoren gebunden, die wiederum selbst beeinflußt werden (Rohstoffpreise, Zinsen, Technologiefortschritte etc.), so daß die berechneten Tabellen allenfalls Hinweise darauf geben, auf welchen Gebieten Investitionen getätigt werden sollen, und bei welchen Rohstoffen am ehesten Versorgungsengpässe auftreten. 149

144

Vgl. Mikeseil, R.F.: New Patterns of World Mineral Development, London/Washington/Montreal 1979, S. 79. 145 Vgl. Kaiser, S. 477. 146 Vgl. Bender, S. 19 ff. 147 Vgl. Berg, C.C.: Beschaffungsmarketing, Würzburg/Wien 1981, S. 50. 148 Vgl. Staudt, Sp. 1804 ff. 149

Beispielsweise verlängerte sich die prognostizierte Lebensdauer des Rohstoffs Nickel aufgrund neuer Reserven und einer veränderten Verbrauchsgrundlage 1986 im Vergleich zu 1977 von 92 auf 57033 Jahre. Vgl. Pelikahn, S. 49.

166

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

bb) Die wertmäßige Dimension Die wertmäßige Dimension des Angebots an Materialien hängt von den Preisen ab, die für die Rohstoffe gezahlt werden. Bei Zugrundelegung verschiedener Indices kann eine durchschnittliche jährliche Steigerung des Rohstoffpreisniveaus zwischen 1970 und 1983 um ca. 6 - 15 % festgestellt werden.1 0 Der Preisindex für Materialien weist ab dem Jahr 1985 zum Teil erhebliche Schwankungen auf, die auf eine Instabilität der Märkte schließen lassen.151 Trotz der Schwankungen der Preisindices kann für Rohstoffe und unfertige Erzeugnisse eine steigende Tendenz festgestellt werden. 152 Auf der einen Seite steigen infolge höherer Rohstoffpreise die Anschaffungskosten für die Abnehmer, 153 während es auf der anderen Seite für die Anbieter lohnender wird, selbst räumlich weit entfernte Explorationsgebiete für einen Rohstoffabbau zu nutzen. Gemäß der Einteilung der Rohstoffvorkommen in Ressourcen und Reserven, die sich in der Wirtschaftlichkeit des Abbaus unterscheiden, steigen mit zunehmendem erzielbarem Preis für die Rohstoffe die Rohstoffreserven. 154 Für ein Industrieunternehmen bietet es sich an, um die Auswirkungen der instabilen Rohstoffmärkte, die sich in steigenden Rohstoffpreisen und starken Schwankungen derselben zeigen, zu umgehen, eine sogenannte Rückwärtsintegration zu betreiben. Das bedeutet, eigene Anstrengungen in Richtung Erforschung und Exploration von Rohstoffvorkommen zu unternehmen. Die Aufteilung des Beschaffungsvolumens erfolgt mengenmäßig beispielsweise dann zu je einem Drittel auf die Bezugsquellen eigene Explo150 Der Preisniveauanstieg beträgt beim Reuter-Index (Handelsblatt) 5,7 %, beim UNCTAD-Index 5,9 % und beim HWWA-Index 15,5 %. Auf den gesamten Untersuchungszeitraum bezogen, beträgt die Preissteigerung beim Reuter-Index 323 %, beim UNCTAD-Index 112 % und beim HWWA-Index 553 §. Vgl. Timm, H.-J.: Der HWWA-Index der Rohstoffpreise - Methodik, Wirtschafts- und entwicklungspolitische Bedeutung, Berichte aus dem Weltwirtschaftlichen Colloquium der Universität Bremen, Bremen 1987, S. 47. 151 Vgl. Pelikahn, S. 52. Zur Instabilität der internationalen Rohstoffpreise vgl. Hoffmeyer, M.: Entwicklung und Gestaltung der internationalen Rohstoffpolitik, in: Internationale Rohstoffabkommen - Ziele, Ansatzpunkte, Wirkungen, hrsg. von M. Hoffmeyer, J.-V. Schräder und T. Tewes, Kiel 1988, S. 15 ff.

152

Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch 1991 für das vereinigte Deutschland, Wiesbaden 1991, S. 589 f. und 613 ff. 153 Es wird hierbei unterstellt, daß beim Vorliegen von festen Verrechnungspreisen diese auf längere Sicht den gestiegenen Preisen angepaßt werden. Vgl. hierzu auch Kilger, W.: Die Berücksichtigung von Rohstoffpreis- und Lohnsatzschwankungen in der Plankalkulation, in: Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung, Neue Folge, 9. Jg. 1957, S. 619 ff. 154 Beispielsweise verdoppelten sich Ende der 60er Jahre die Weltkupferreserven infolge des Preisanstieges. Vgl. hierzu Bender, S. 22 ff.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

167

ration und Gewinnung, langfristige Abnahmeverträge und kurzfristige Eindeckung über die Rohstoffbörsen. 155 Neben den Rohstoffpreisen beeinflussen die Anschaffungsnebenkosten die Anschaffungskosten. Hierzu zählen Versicherungsgebühren oder auch Transportkosten.Infolge der gestiegenen Konkurrenz auf den Verkehrsmärkten lassen sich hier teilweise sinkende Tarife feststellen. Im internationalen Seeverkehr, über den der größte Teil des mengenmäßigen Welthandels stattfindet, wird das traditionelle Kartellsystem15 zum einen durch den 1S7

1S8

steigenden Anteil von Reinmaterialien am Welthandel und zum anderen durch das Auftreten leistungsfähiger Laderaumanbieter, die nicht den Konferenzen angehören -sogenannte Outsider'-, einem verstärkten Wettbewerb ausgesetzt, der zu sinkenden Tarifen im Seeverkehr führt. 159 cc) Die qualitative Dimension Die Qualität des Materialangebots stellt dahingehend eine Rahmenbedingung für die Materialwirtschaft dar, daß die Materialqualität die Qualität des Endproduktes beeinflußt. Die Materialqualität wird von der Qualität des Rohstoffes und den auf sie einwirkenden Verarbeitungstechnologien beeinflußt. Im Falle der Rohstoffe, die kaum einer Vorverarbeitung unterworfen sind, ist die bestimmende Größe die Rohstoffqualität, während bei unfertigen Erzeugnissen der Einfluß der Verfahrens- und Produkttechnologien zunimmt. Ein Industriebetrieb legt durch das zu beschaffende Material bezüglich der Menge und der Eigenschaften sowie der Qualität die Anzahl der mögli155

Vgl. Fröhlich/Stankiewicz, S. 74. In der Seeschiffahrt werden Kartelle als Konferenzen bezeichnet, deren Interessengebiet sich auf den Seeverkehr zwischen zwei geographischen Regionen bezieht. Vgl. Ihde, Logistik, S. 51. 157 Reinmaterialien gehen mit ihrem gesamten Gewicht in ein Erzeugnis ein, während Gewichtsverlustmaterialien im Falle der Energieträger nicht in das Erzeugnis eingehen oder wie bei den Erzen nur zu einem Teil. Vgl. Weber, S. 53. 156

158

Dies begründet sich darauf, daß infolge der Industrialisierung der Schwellen- und Entwicklungsländer diese in der Lage sind, die Rohstoffe, die früher exportiert wurden, selber weiterzuverarbeiten und als Vorprodukte auszuführen. In diesem Zusammenhang lassen sich auch dirigistische staatliche Eingriffe, wie zum Beispiel nationale Wertschöpfungsvorbehalte, anführen. Vgl. Ihde, G.B.: Standortdynamik als strategische Antwort auf wirtschaftliche Strukturveränderungen, in: Strategische Unternehmensführung und Rechnungslegung, hrsg. von E. Gauger et al., Stuttgart 1984, S. 93. Vgl. O.V.: Interner Wettbewerb in der Konferenz läßt Bäume nicht in den Himmel wachsen, in: Handelsblatt, 41. Jg., Nr. 232 vom 3. Dezember 1987, S. 19 und Statistisches Bundesamt (Hrsg.), S. 619.

168

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

chen Lieferanten fest. 160 Je nachdem, ob die Anforderungen an die Materialien als Teil- oder Vollnormen formuliert sind, ergeben sich unterschiedliche Schlußfolgerungen. Im Falle der Teilnorm, die einzelne Anforderungen bewußt unschärfer faßt, ist es möglich, Lieferanten von Materialsubstituten hinzuzuziehen oder in Zusammenarbeit mit den Lieferanten neue Materialien zu erforschen. 161 Die Vollnorm läßt solche Überlegungen nicht zu, ohne daß die zugrundeliegende Norm bei einem Einsatz dieser Materialien, die nicht der Vollnorm entsprechen, geändert werden muß. 162 Ansatzpunkte für eine Entwicklung von neuen Materialien bestehen darin, physikalische und chemische Eigenschaften der Materialien zu beeinflussen, wie beispielsweise die Reiß- oder Bruchfestigkeit zu erhöhen, den Materialverschleiß zu vermindern, das Gewicht der Materialien zu senken oder die Temperaturgrenzen zu verändern. Das Angebot an Materialien kann in der qualitativen Dimension und der Unterscheidung der Materialien, ob sie Norm- oder Standardteile, technisch anspruchsvolle Teile, einfache Baugruppen, wie zum Beispiel bei einem Modullieferanten, oder hochwertige, für das Endprodukt qualitätsbestimmende Teile darstellen, mit dem Marktraum in der Weise verknüpft werden, daß gefragt wird, welche Beschaffungsquellen für die einzelnen Materialien in Frage kommen (vgl. Abb. 17): 164

160

Vgl. Grochla, E.: Beschaffungspolitik, in: Die Führung des Betriebes - Herrn Professor Dr. Dr.h.c. Curt Sandig zu seinem 80. Geburtstag gewidmet, hrsg. von M.N. Geist und R. Köhler, Stuttgart 1981, S. 250. 161 Vgl Heuer, S. 191. 162 Relativ einfach gestaltet sich die Änderung einer Vollnorm im Falle der autonomen Normen oder auch Werksnormen. Bei einem größeren Kreis von Normungsträgern wie bei den nationalen oder internationalen Normen treten Abstimmungs- und Umsetzungsschwierigkeiten auf. Zum Normenwesen vgl. Berger, K.-H.: Normung und Typung, in: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft, hrsg. von W. Kern, Stuttgart 1979, Sp. 1356 ff. 163 Vgl. Streck, W.-R.: Neue Werkstoffe - Entwicklungstendenzen, Wettbewerbspositionen, Aktivitäten der bayerischen Industrie, in: Ifo-Schnelldienst, 39. Jg., Nr. 25 vom 8. September 1986, S. 10. 164 Die Ergebnisse basieren auf einer Studie des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. aus dem Jahre 1989. Diese untersuchte das Beschaffungsverhalten von deutschen Unternehmen des produzierenden Gewerbes in bezug auf den EG-Binnenmarkt im Jahre 1993. Vgl. hierzu Fieten, Beschaffung, S. 6.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

169

Gruppe 1

Gruppe 2

Gruppe 3

Gruppe 4

vorwiegend inländische Bezugsquellen

43%

94%

49%

81%

in- und ausländische Bezugsquellen

36%

14%

40%

16%

vorwiegend ausländische Bezugsgruppen

21%

2%

11%

3%

Gruppe 1: Norm- und Standard teile Gruppe 2: technisch anspruchsvolle Teile Gruppe 3: einfache Komponenten/Baugruppen Gruppe 4: qualitätsbestimmende Teile

Abb. 17. Beschaffungsquellen für Zulieferprodukte Quelle: In Anlehnung an Fieten, Beschaffung, S. 6.

Die Tabelle bringt zum Ausdruck, daß für solche Materialien, die technisch anspruchsvoll und für das Endprodukt ein qualitätsbestimmendes Teil sind, sich die deutschen Unternehmen eher auf inländische Bezugsquellen stützen, als daß ausländische herangezogen werden. Ausländische Lieferanten werden verstärkt bei Norm- und Standardteilen als Lieferanten ge16 S

.

.

.

.

wählt. Der Grund hierfür liegt darin, daß sich das Unternehmen, insbesondere im Falle der Normteile, auf Erfüllung bestimmter Mindestanforderungen verlassen kann, und daß die ausländischen Zulieferer diese Teile oftmals zu geringeren Stückkosten, insbesondere in bezug auf die Personalkosten, produzieren können. Die Heranziehung von ausländischen Zulieferern erfolgt unter dem Blickwinkel der Knappheitsrelationen der Produktionsfaktoren. Dies bedeutet konkret, daß unter Beachtung des ökonomischen Prinzips derjenige Zulieferer den Zuschlag bekommt, der eine geforderte Leistung, die beispielsweise durch Normen verbürgt wird, zu den geringsten Kosten anbieten kann, wozu auch die Transportkosten zählen. Die Kosten des Anbieters sind auch vor dem Hintergrund der volkswirtschaftlichen Zusammenhänge zu sehen. Der Zulieferer eines lohnintensiven Teiles hat dann einen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Mitkonkurrenten, wenn er in einem Umfeld produzieren kann, bei dem die Lohnkosten relativ gering sind. 165

Vgl. ebenso Fieten, Internationalisierung, S. 57.

170

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Infolge ihrer Entwicklung haben die Schwellen- und Entwicklungsländer im Zuge eines Technologietransfers 166 im Laufe der Zeit auch in bezug auf technisch anspruchsvollere Zulieferteile eine bessere Wettbewerbschance. Die Ausrichtung der Materialbeschaffung auf internationale Bezugsquellen kann auch als erster Schritt hin zu einer Internationalisierung des gesamten Unternehmens dienen. 167

e) Der Absatzmarkt Der Absatzmarkt umfaßt die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Unternehmen und den Nachfragern in bezug auf ein vom Unternehmen angebotenes Gut innerhalb eines gegebenen Raumes und zu einem bestimmten Zeitpunkt. 168 Der Absatzmarkt eines Unternehmens stellt ebenfalls wie der Beschaffungsmarkt einen Querschnitt durch die einzelnen Um· systemkomponenten dar. Als Bestandteile des Absatzmarktes kommen somit nicht nur die Kunden für die Produkte eines Unternehmens in Frage, sondern es sind auch die Einflüsse bedeutsam, die nicht von den Kunden ausgehen. In diesem Sinne finden auch die Konkurrenzverhältnisse oder Maßnahmen des Gesetzgebers Beachtung.169 Das Hauptaugenmerk in bezug auf Veränderungen der unternehmerischen Absatzmärkte liegt in der Frage, ob und inwieweit sich das Unternehmen den geänderten Absatzbedingungen anpassen kann. Ein Anpassungsbedarf ergibt sich beispielsweise aus gestiegenen Ansprüchen an die Produktqualität und den kürzer werdenden Produktlebenszyklen.170 Für die Materialwirtschaft ergeben sich aus den Qualitätsansprüchen und der Verkürzung der Produktlebenszyklen folgende Konsequenzen. Auf das Beschaffungswesen haben gestiegene Anforderungen an die Produktqualität Auswirkungen dergestalt, daß verstärkt auf die Qualität der in das Produkt eingehenden Materialien geachtet wird. Neben dem Preis 166

Zum Technologietransfer aus Industrieländern in Entwicklungsländer vgl. von Kortzfleisch. G.: Technologietransfer, in: Handwörterbuch Export und Internationale Unternehmun^hrsg. von K. Macharzina und M.K. Welge, Stuttgart 1989, Sp. 2056 f. Vgl. Arnold, U.: Versorgungsstrategie international ausrichten, in: Beschaffung aktuell, Heft 3,1991, S. 68. 168 Vgl. Fröhlich/Stankiewicz, S. 63. 169 Vgl. Terzidis, S. 70. Auf die anderen Komponenten soll an späterer Stelle eingegangen werden, so daß in diesem Kapitel die ökonomischen Rahmenbedingungen in bezug auf den Absatzmarkt hervorgehoben werden. 170 Zu den Ursachen sich verkürzender Produktlebensdauern vgl. Grosche, K.: Das Produktionsprogramm, seine Änderungen und Ergänzungen, Diss., Berlin 1967, S. 147 ff.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

171

und der Zusammenarbeit mit dem Unternehmen erlangt die "qualitative Leistungsfähigkeit" (Grochla) die Bedeutung eines Auswahlkriteriums für die Lieferanten. 171 Das Lagerwesen trägt dem gestiegenen Qualitätsbewußtsein der Verbraucher in der Weise Rechnung, daß zum einen qualitätsschädigende Umlagerungsvorgänge vermieden werden, sofern sie nicht technologisch bedingt sind. Zum anderen wird durch einen hohen Lagerumschlag eine Senkung der durchschnittlichen Lagerdauer erreicht, so daß keine zeitlich bedingten Qualitätsverluste entstehen. Solche Verluste bestehen auch in einer Verschlechterung absatzpolitischer Eigenschaften wie Farbintensität oder Glanz. Die Verkürzung der Produktlebenszyklen hat insofern für die Materialwirtschaft Bedeutung, daß die Entwicklung neuer Produkte sich auch auf Erkenntnisse der Beschaffungsmarktforschung stützen sollte. Die Produktentwicklung erfolgt vor dem Hintergrund des quantitativen, wertmäßigen und qualitativen Angebots an Materialien. Für das innerbetriebliche Transport- und Lagerwesen stellen verkürzte Produktlebenszyklen Anforderungen in bezug auf die Flexibilität der Transport- und Lagereinrichtungen im Hinblick auf die Transportbedürfnisse bzw. die Art der eingelagerten Materialien dar.

2. Das technologische Umystem der Materialwirtschaft

Das technologische Umsystem umfaßt solche Elemente, die die Durchführung und Beherrschung von Prozessen mittels technischer Ausrüstungen gewährleisten.172 Im Rahmen einer industriellen Unternehmung und der sie umgebenden Umsysteme lassen sich technologische Entwicklungen auf Materialien und Fertigerzeugnisse sowie auf einzusetzende technische Anlagen, Einrichtungen und Werkzeuge feststellen. Ebenfalls zählen hierzu technologische Entwicklungen bei den Herstellungsverfahren 173 und den Informations- und Kommunikationstechnologien, wobei die Innovationszeiten sich tendenziell verkürzen. 174 Die Technologien, die in der Materialwirtschaft eingesetzt werden, erstrecken sich auf Mechanisierungs- und Automatisierungstechniken im La171 Vgl. S. und 172. Produktion, in: Handwörterbuch der BetriebswirtVgl.Grochla, Steffens,Grundkonzepte, F.: Technologie schaft, hrsg. von E. Grochla und W. Wittmann, 4., völlig neu gestaltete Aufl., Stuttgart 1976, Sp. 3853 f. 173 Vgl. Ulrich, Unternehmungspolitik, S. 75. 174 Vgl. Dubach, P.: Neue Unternehmensstrategien für eine veränderte Welt, in: Industrielle Organisation, 44. Jg. 1975, S. 510. 172

172

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

ger- und Transportwesen, die als Transportsysteme, Informations- und Kommunikationssysteme sowie Lagersysteme ihren Niederschlag finden. 175 Informations- und Kommunikationstechnologien haben insbesondere für den Bereich der Beschaffung Bedeutung. Für die Materialwirtschaft sind unmittelbar als unternehmensexterne Rahmenbedingung die technologischen Standards und Entwicklungen in den Bereichen Transport- und Lagersysteme sowie Informations- und Kommunikationstechnologien bedeutsam, wobei die im Unternehmen eingesetzten Fertigungstechnologien als interne Rahmenbedingungen einzuordnen sind. Im folgenden wird das technologische Umsystem im Hinblick auf die Eignung der einzelnen Technologien für die materialwirtschaftlichen Teilfunktionen untersucht. Die betriebswirtschaftliche Würdigung der Technologien erfolgt an späterer Stelle im Rahmen der Leistungsmerkmale der Materialwirtschaft. 176

a) Der Einsatz von Informations - und Kommunikationstechnologien im Rahmen des Beschaffungswesens Bei der Beschaffung der Materialien sind die Informations- und Kommunikationstechnologien bedeutsam, da sie Abstimmungsprozesse zwischen den Lieferanten und dem Unternehmen erleichtern. Der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien im Bereich des Einkaufs erfährt seine betriebswirtschatliche Bedeutung dadurch, daß die Kommunikationsvorgänge wesentlich schneller abgewickelt werden können. Der Kommunikationsvorgang umfaßt die zeitliche Spanne zwischen Informationsbedarf und Informationsübermittlung, Informationserstellung beim Sender, der Informationsübertragung und dem Informationseingang der Reaktion des Empfängers. Eine Verkürzung dieser Zeitspanne hat eine Erhöhung der Flexibiltät des Beschaffungswesens zur Folge, da die Entscheidungsfähigkeit und -qualität zum einen durch die aktuellere Informationsversorgung und zum anderen durch die Einbeziehung größerer Teilnehmergrupen verbessert wird. 177 Der Informationsaustausch vollzieht sich über die Telekommunikations178

.

.

netze, unter Nutzung von Telekommunikationsdiensten. Als Netze kommen zum Beispiel die schmal- und breitbandigen öffentlichen Vermittlungsnetze wie das Fernsprechwählnetz oder das dienstintegrierte digitale Netz 175 176 177

178

Vgl. Grochla/Schönbohm, S. 61. Vgl. Kapitel D.IV. dieser Arbeit. Vgl. Hermanns, Kommunikationstechniken, S. 4.

Der Präfix Tele- bezieht sich darauf, daß der Kommunikationsprozeß über größere Distanzen stattfindet und von innerbetrieblichen Netzen wie Hauspost oder Aktentransportbandnetz zu unterscheiden ist.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

173

(ISDN) in Frage. Breitbandige Netze sind BIGFON und BIGFERN sowie die Satellitenübertragung. 179 Die Kommunikationsnetze bilden die Infrastruktur, in deren Rahmen der Informationsaustaustausch in verschiedenen Formen unter Beachtung von meist internationalen Normen stattfindet. Solche Telekommunikationsdienste stellen beispielsweise Telex, Telefax oder computerunterstützte Kommunikationssysteme wie Datex L und Datex Ρ oder Computer Mail dar. 180 Für das Beschaffungswesen bedeutsam ist die Frage der Reichweite der verschiedenen Telekommunikationsnetze, denn diese bilden den begrenzenden Faktor des Einsatzes der Telekommunikationsdienste. Es gibt Bestrebungen auf internationaler Ebene, sowohl die verschiedenen Netze zu einem Universalnetz auszubauen als auch die Integration verschiedener Dienste und der Endgeräte zu einem Multifunktionsendgerät anzustreben. 181 Die Tendenzen im Telekommunikationsbereich sind im Zusammenhang mit der zunehmenden internationalen Handelsverflechtung 182 und der Internationalisierung der unternehmerischen Aktivitäten zu sehen. Diese beiden Entwicklungen bedeuten für ein Unternehmen einen Anstieg seines Kommunikationsbedarfs, 183 so daß die Anwendung der Informations- und Kommunikationstechnologien für ein Unternehmen einen wettbewerbspolitischen Aspekt darstellt. Die Bedeutung der Telekommunikationstechnologien für das Beschaffungswesen ist darin zu sehen, daß sich die Beschaffungsmärkte infolge der gesunkenen Transaktionskosten räumlich gesehen ausdehnen. Der Grund hierfür liegt darin, daß die Transaktions- und die Transportkosten die begrenzenden Faktoren des Beschaffungsmarktes darstellen. Die Bedeutung des Kommunikationsaspektes bei der Beschaffung kann auch dahingehend interpretiert werden, daß infolge der gesunkenen Transaktionskosten Zulieferer und Unternehmen informatorisch zusammenrücken und somit Abstimmungsprozesse hinsichtlich Lieferterminen oder Bestelländerungen erleichtert werden. Der Einsatz von Kommunikations- und Informationstechnologien wird durch eine Normung im Beschaffungswesen unterstützt. 179

Vgl. Picot/Anders, S. 9. Vgl. Liebler, N.: Informationstechnologie und Kommunikation in der internationalen Unternehmung, in: Handwörterbuch Export und Internationale Unternehmung, hrsg. von K. Macharzina und M.K. Welge, Stuttgart 1989, Sp. 843 ff. und Picot/Anders, S. 12 ff. 181 Vgl. Hermanns, Zukunft, S. 78 ff. 182 Vgl. Wilde, K.-D.: Langfristige Marktpotentialprognosen in der strategischen Planung, 183 Düsseldorf 1981, S. 472. Vgl. Fischer, E.: Auswirkungen neuer Telekommunikationsmedien auf unternehmerische Kommunikationsentscheidungen, Diss., Mannheim 1985, S. 34 f. 180

174

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Konkret werden beispielsweise Stammdaten wie Materialschlüssel vereinheitlicht, so daß ein bestimmtes Material bei verschiedenen Unternehmen die gleiche alphanumerische Kennzeichnung besitzt. Der Schlüssel kann sich neben der Bestimmung des Materials als Roh-, Hilfs- und Betriebsstoff sowie unfertiges Erzeugnis auch auf eine Vereinheitlichung der Maßeinheiten beziehen.1 Ein weiterer Aspekt des Einsatzes von Informations- und Kommunikationstechnologien ist in der Unterstützung der Beschaffungsmarktforschung zu sehen, denn sie setzen an der grundlegenden Aufgabe, der Informationsgewinnung, an. 185

b) Der Einsatz von Technologien bei der Durchßhrung des innerbetrieblichen Transportes Die Aufgaben des innerbetrieblichen Transportwesens sind - wie beschrieben - die Durchführung des Transportes und der vor-, nach- und zwischengelagerten Tätigkeiten wie Be-, Um- und Entladen sowie die Transportverwaltung. Im folgendem werden die technologischen Möglichkeiten im Rahmen der Transportdurchführung und anschließend die der Handhabungstätigkeiten betrachtet. Weiterhin wird untersucht werden, inwieweit ein Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien beim innerbetrieblichen Transportwesen stattfindet .Den Ansatzpunkt für die Informations- und Kommunikationstechnologien bildet die Transportverwaltung. aa) Die Transportmittel a x ) Merkmale Als Transportmittel sind alle technischen Einrichtungen zu verstehen, die unter Benutzung ejlnes Transportweges der Ortsveränderung von Gütern, Personen und Nachrichten Nachrichten dienen.186 Als übergeordnetes Unterscheidungsmerkmal der folgenden Übersicht wird die Arbeitsweise den verschiedenen Transportmitteln zugrundegelegt.187 184

Vgl. Zeigermann, J.R.: Elektronische Datenverarbeitung in der Materialwirtschaft, Stuttgart/Zürich 1970, S. 29 ff. Zur Gestaltung eines Systems zur Vereinheitlichung von Benennungen vgl. Bolkenius, F. et al.: Warennummerung in der Materialwirtschaft, Berlin/Köln 1976,185S. 54 ff. 186 Vgl. hierzu Pernsteiner, S. 62 ff. 1 8 7 Vgl. Heiner, Fördereinrichtungen, Sp. 621. Vgl. Teller, S. 16 und Scheffler, M.: Einführung in die Fördertechnik: Fördermittel Funktion und Einsatz, 2. Aufl., Darmstadt 1973, S. 16.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

175

In bezug auf das Transportmittel kann danach unterschieden werden, ob das Transportmittel während des Transportes beweglich oder ortsgebunden ist. Ein ortsgebundenes Transportmittel stellt beispielsweise eine Rollenbahn oder einen Bandförderer dar. Die Durchführung des Transportes erfolgt hierbei sowohl kontinuierlich wie bei Rollenbahnen oder Rutschen als auch diskontinuierlich bei Staplern oder automatischen Flurförderzeu188

gen.

Eine Unterscheidung der Transportmittel unter Beachtung des Transportweges führt zu flurgebundenen und flurfreien Transportmitteln. Eine Zwischenstellung nehmen hierbei die aufgeständerten Transportmittel wie Rutschen, Bandförderer oder Aufzüge wahr, wobei sich das Transportgut sowohl ober- als auch unterhalb des Transportmittels wie im Fall der Schau189

·

. . .

kelförderer befinden kann. Die Flexibilität der Transportmittel hinsichtlich des Transportweges wird nicht durch das Kriterium der Flurverbundenheit zum Ausdruck gebracht. Dies begründet sich darauf, daß dieses Merkmal auf die Frage Bezug nimmt, auf welcher Ebene der Transport durchgeführt wird und ob eine Verbundenheit mit dem Hallenboden benötigt wird. In bezug auf die Transportwegeplanung weisen die flurfreien Transportmittel unabhängig von der Schienengebundenheit die meisten Freiheitsgrade auf, 190 da die Planung der Transportwege im Anschluß an die Planung der Maschinenstandorte erfolgt und nicht wie bei den flurgebundenen Transportmitteln in Abstimmung. Dies ist auch vor dem Hintergrund bautechnischer Aspekte wie der Tragfähigkeit der Hallendecken und -böden und der flächenmäßigen Kapazität der Werkshalle zu sehen.191

bΛ Die Merkmalsausprägungen Die Betrachtung der Merkmalsausprägungen hat zur Folge, daß die Entscheidung für ein bestimmtes Transportmittel unter Abstimmung mit den Transportwegen' zu treffen ist, denn die Transportwege umfassen alle technischen Einrichtungen wie Auflageflächen oder Führungshilfen, die den Einsatz der Transportmittel erleichtern oder unter Umständen sogar erst ermöglichen. 192 Eine exakte Trennung zwischen Transportmittel und Trans188

Vgl. Heiner, Rationalisierung, S. 39 ff. und Heiner, Fördereinrichtungen, Sp. 621 ff. Vgl. hierzu auch Jünemann, R. et al.: Materialfluß und Logistik - Systemtechnische Grundlagen mit Praxisbeispielen, Berlin u.a. 1989, S. 195. 190 Vgl. hierzu die Tabelle bei Heiner, Fördereinrichtungen, Sp. 622. 191 Zu den baulichen Aspekten vgl. Brittinger, S. 239 ff. 192 Vgl. Heiner, Fördereinrichtungen, Sp. 621. 189

176

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

portweg ist aufgrund dieser gegenseitigen Beeinflussung oftmals nur sehr schwer durchzuführen. Das Transportband beispielsweise schließt aufgrund seiner Konstruktion den Transportweg mit ein. 193 Die Beachtung des zur Durchführung des Transportes notwendigen Transportweges ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß die Verkehrsfläche in einer Werkshalle unter Umständen 50 % der gesamten Fläche ausmachen kann. 194 Unter Zugrundelegung der obigen Merkmale lassen sich folgende ausgewählte Ausprägungen von Transportmitteln 195 ableiten: Auf einer ersten Stufe kann zwischen Stetig- und Unstetigförderern unterschieden werden. Stetigförderer sind dadurch chrakterisierbar, daß sie ortsfest sind und Transportmittel und -objekt sich auf einer festgelegten Transportstrecke kontinuierlich bewegen. Im Unterschied dazu arbeiten Unstetigförderer intermittierend und können ortsfest, fahrbar oder auch selbst fahrend sein. Die Transportstrecke ist nicht als Fixum - außer im Falle der ortsfesten Unstetigförderer - vorgegeben.196 Stetigförderer sind durch einen kontinuierlichen oder diskret kontinuierlichen Transportgutstrom charakterisierbar. 197 Die Transportgeschwindigkeit kann stetig oder wechselnd sein. Das Transportmittel kann auch im Takt bewegt werden. 198 Ein kontinuierlicher Transportgutstrom läßt sich im Rahmen der Materialwirtschaft bei Rohstoffen feststellen, während unfertige Erzeugnisse, je nach Organisationstyp der Fertigung, einen diskret kontinuierlichen Transportgutstrom wie im Falle der Fließfertigung oder einen diskret diskontinuierlichen wie bei der Baustellen oder der Werkstattfertigung verursachen. Die Be- und Entladungsvorgänge bei Stetigförderern erfolgen während des Betriebes des Transportmittels, da die Stetigförderer nahezu immer aufnähme· oder abgabebereit sind. Stetigförderer stellen oftmals eine Behinderung des Arbeitsablaufs dar, da sie meistens ortsfest sind und zu ihrem Betrieb zusätzliche ortsfeste Einrichtungen wie Schienen oder Ständer erforderlich sind. Insbesondere bei veränderten Betriebsmittelstandorten treten in der Weise Probleme auf, daß diese eine veränderte Transportstrecke zur 193

Vgl. Heiner, Rationalisierung, S. 45 Vgl. Fackelmeyer, S. 62. Zur Systematisierung von Transportmitteln vgl. Heiner, Rationalisierung, S. 41 f. und die dort angegebene Literatur sowie Jünemann et al., S. 192. 196 Vgl. Heiner, Rationalisierung, S. 41 und Köhler, S. 16 f. 197 Vgl. Jünemann et al. t S. 192. 194

195

198

DIN 15201 - Stetigförderer: Benennungen, Bildbeispiele, Bildzeichen, Teil 1, in: Aufzüge, Flurförderzeuge, Stetigförderer - Normen, Fördertechnik 3, hrsg. von DIN Deutsches Institut für Normung e.V., 3. Aufl., Berlin/Köln 1988, S. 202.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

177

199

Folge haben und dieflurgebundenen oder aufgeständerten Stetigförderer keine hohe Flexibilität in dieser Richtung aufweisen. Etwas einfacher gestaltet sich dies im Falle der flurfreien Stetigförderer, die den Transport zum Beispiel an der Hallendecke durchführen, wie beispielsweise die Kreisförderer oder Schleppkreisförderer. 200 Folgende Aufzählung soll einen Überblick in bezug auf verschiedene Ausprägungsformen von Stetigförderern vermitteln: 20 1. flurgebundene Stetigförderer Unterflurschleppkettenförderer 2. aufgeständerte Stetigförderer Rollenbahn Schwingförderer Hydraulikförderer Pneumatikförderer Kugelbahn Rutsche Fallrohr Röllchenbahn

Bandförderer Gliederbandförderer Wandertisch Kippschalenförderer Paternoster Z-förderer Schaukelförderer Tragkettenförderer

3. flurfreie Stetigförderer Kreisförderer Schleppkreisförderer Im Unterschied zu den Stetigförderern weisen die Unstetigförderer einen unterbrochenen Transportgutstrom auf, der sich darauf begründet, daß das Transportmittel konstruktionsbedingt Be- und Entladevorgänge nur während der Stillstandszeiten des Transportmittels erlaubt. Anders als bei den Stetigförderern, bei denen die Antriebe im stationären Dauerbetrieb laufen, laufen bei den Unstetigförderern die Antriebe im Aussetz- oder Kurzzeitbetrieb. Die in der Regel permanente Be- und Entladbarkeit der Stetigförderer kann nicht auf die Unstetigförderer übertragen werden. Diese sind nur an bestimmten Stellen, wie beispielsweise die Flurförderzeuge, 202 oder zu bestimmten Zeiten wie im Fall der Aufzüge 203 be- oder entladbar. 199

Vgl. Jünemann et al, S. 201. Vgl. Jünemann et al., S. 195. Vgl. Teller, S. 13; Jünemann et al., S. 192 und DIN 15201 - Stetigförderer - Benennungen, Bildbeispiele, Bildzeichen, Teil 1, S. 202 ff. 202 Vgl. Jünemann et al, S. 192 f. 200

201

203

Vgl. hierzu auch Gießmann, R./Beckmann, H.: Aufzüge in der Materialversorgung, in: Jahrbuch der Logistik 1990, hrsg. von C. Bonny, Düsseldorf/Frankfurt am Main 1989, S. 251 f. 12 Brecht

178

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Analog den Stetigförderern kann eine Unterscheidung verschiedener Stetigförderer anhand der Merkmalsausprägungen flurgebunden, aufgeständert und flurfrei erfolgen: 204 1. flurgebundene Unstetigförderer manuell bedienbar Regalbediengeräte Wagen 205 Stapler 206 Betriebsbahn automatisiert Regalbediengeräte Betriebsbahn automatisierte Flurförderzeuge 207 2. aufgeständerte Unstetigförderer Aufzug Verteilfahrzeug 3. flurfreie Unstetigförderer manuell bedienbar Trolleybahn Rohrbahn Brückenkran Hängekran automatisiert automatischer Kran Kleinbehältertransportsystem 204

Schlepper Gabelhubwagen Luftfilmtransporter

Umsetzer Verschiebewaagen

Kanalfahrzeug

Stapelkran Konsolkran Drehkran Portalkran Elektrohängebahn

Vgl. Teller, S. 13 und Jünemann et al, S. 192. Die Bezeichnung 'Wagen' steht stellvertretend auch für mögliche Sonderformen wie Wagen mit Hubtisch, mit Rollenbahn oder mit Drehvorrichtung. Vgl. hierzu DIN 15140 Flurförderzeuge - Begriffe, Kurzzeichen, in: Aufzüge, Flurförderzeuge, Stetigförderer - Normen, Fördertechnik 3, hrsg. von DIN Deutsches Institut für Normung e.V., 3. Aufl., Berlin/Köln 1988, S. 116. 206 Hierzu zählen auch Schubgabelstapler, Schubmaststapler, Seitenstapler, Vierwegestapler, Portalstapler und Kommissionierstapler, Vgl. hierzu DIN 15140 - Flurförderzeuge Begriffe, Kurzzeichen, in: Aufzüge, Flurförderzeuge, Stetigförderer - Normen, Fördertechnik 3, hrsg. von DIN Deutsches Institut für Normung e.V., 3. Aufl., Berlin/Köln 1988, S. 116. 207 Zu den automatisierten, fahrerlosen Fahrzeugsystemen zählen lichtoptisch, induktiv und sensorgelenkte Fahrzeugsysteme. Vgl. Müller, T.: Innerbetriebliche Transportsysteme Anforderungskriterien und Einsatzmöglichkeiten, in: RKW-Handbuch Logistik, Berlin 1981, Kennzahl 2870, S. 9. 205

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

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Manuell bedienbare und automatisierte Transportmittel unterscheiden sich dadurch, daß im ersten Fall die Fahrzeugführung manuell geschieht, während im zweiten Fall die Fahrzeugführung von einem Rechner gehandhabt wird. Der Rechner trifft in diesem Fall zum Beispiel Entscheidungen darüber, welcher Weg für ein schienenungebundenes Transportmittel gewählt werden soll, um ein Hindernis zu umfahren. Hierbei werden insbesondere Sensoriksysteme eingesetzt. Neben diesen beiden Ausprägungsformen lassen sich infolge einer feineren Betrachtungsweise neben den manuell bedienbaren noch teil- und vollmechanisierte sowie teil- und vollautomatisierte Transportmittel aufzeigen, die sich graduell im Einwirken des Menschen unterscheiden, wobei sich die automatisierten von den mechanisierten Konzepten dadurch abgrenzen, daß die Steuerung teilweise oder ganz von einem Rechner übernommen wird. 209

bb) Die Transporthilfsmittel

Transporthilfsmittel dienen dazu, die Erfüllung der Transportaufgabe rationeller zu gestalten. Die Rationalisierung umfaßt auch, ob und inwieweit ein Transporthilfsmittel zur Erfüllung mehrerer Transportaufgaben herangezogen werden kann. Unter Transporthilfsmitteln sollen Einrichtungen, Vorrichtungen oder Werkzeuge zusammengefaßt werden, die diesem Zwecke dienen. Eine Unterscheidung verschiedener Transporthilfsmittel kann danach erfolgen, in welchem Zusammenhang sie mit dem Transportgut stehen. Die Beziehungen zwischen Transportobjekt und Transporthilfsmittel lassen sich als umhüllend, aufnehmend oder dosierend kennzeich_ 210 nen. Eine umhüllende Funktion erfüllen Transporthilfsmittel, wenn sie das Transportobjekt während des Transportes in sich aufnehmen. Beispiele hierzu sind Flach- und Boxpaletten, Transportkästen, -mulden, Fässer, Behälter und Verpackungen. Im Rahmen der umhüllenden Funktion von Transporthilfsmitteln kommt den Behältern und Paletten wie Gitterboxpa208

Vgl. Jünemann et al., S. 196 f. Zum Einsatz von Sensoren im innerbetrieblichen Transportwesen vgl. Wevelsiep, K.: Sensoren für Handhabungstechnik und Materialflußsysteme, in: Sensorgeführte Handhabungssysteme im Materialfluß, hrsg. von VDI-Gesellschaft Materialfluß und Fördertechnik, Düsseldorf 1985, S. 25 ff. 209 Vgl. Gudehus, T.: Mechanisierung und Automatisierung in Transportsystemen, in: Industrielle Organisation, 45. Jg. 1976, S. 80 f. 210

Vgl. Heiner, Fördereinrichtungen, Sp. 624. 12*

180

2i ι

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

letten einen besondere Bedeutung zu. Der umhüllende Charakter von Transporthilfsmitteln erfüllt zusätzlich eine Schutzfunktion sowohl für die Materialien selbst als auch für die sie umgebende Umwelt, wie beispielsweise bei feuer- oder explosionsgefährlichen Materialien. Anforderungen, die an die Gestaltung von Behältern gerichtet werden, lassen sich auf die Einheitlichkeit der Abmessungen, die Abstimmung der Abmessungen mit unternehmensinternen oder -externen Transportmitteln und -hilfsmitteln beziehen. Weiterhin stellen die Lager-, Stapel- und Verkehrsfähigkeit sowie die Erfüllung einer Verpackungsfunktion zum Schutz gegen Außeneinflüsse Anforderungen an die Behältergestaltung dar. Die gleichen Kriterien sind an die Gestaltung von Paletten zu richten, 1 2 wobei die Erfüllung einer Ver packungsfunktion nur den Boxpaletten zukommt. Die Aufnahme eines Transportgutes erfolgt unter Zuhilfenahme von Greifern, Zangen, Haken, Seilen oder Bändern. Eine weitere Funktion, die Transporthilfsmittel erfüllen, ist in der Dosierung von Materialien zu sehen. Hierzu zählen Schieber, Ventile, Stau- und Abschlußkappen sowie Zuteilund Wiegeeinrichtungen. Insbesondere zur Absicherung der Transportobjekte während des Transportvorganges dienen Werkzeuge wie Keile, Stangen oder Rollen. Ebenfalls lassen sich in diesem Zusammenhang Vorrichtungen anführen, die den Transport nicht aktiv absichern, sondern eine Warn- und Signalfunktion erfüllen wie Licht- und Formsignale oder Signalhörner und -pfeifen. Die Absicherung der Durchführung des Transportes kann auch dadurch erfolgen, daß Sensoren wie Lichtschranken die Gefahrenbereiche überwachen. Insbesondere bei sich schnell bewegenden Hebe- und Transportmitteln wie den Flurförderzeugen im Bereich von Hochregallagern, ergibt sich eine Unfallgefährdung für das Personal, das sich in ihrem Arbeitsbereich befindet. Der Einsatz von Sensoren kann hierbei in der Weise genutzt werden, daß ein Auslösen eines Kontaktes zum Stillstand der Anlage führt, um Unfällen vorzubeugen 213

211

Zu den verschiedenen Erscheinungsformen von Paletten vgl. DIN 15145 - Paletten Systematik und Begriffe für Paletten und Einfahröffnungen, in: Aufzüge, Flurförderzeuge, Stetigförderer - Normen, Fördertechnik 3, hrsg. von DIN Deutsches Institut für Normung e.V., 3. Aufl., Berlin/Köln 1988, S. 129 ff. 212 Vgl. Heiner, Rationalisierung, S. 50. 213 Vgl. Krieg, B.: Opto-elektronische Sensoren im Materialfluß, in: fördern und heben, 41. Jg. 1991, S. 379 f.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

181

c) Der Einsatz von Technologien bei der Lagerung von Materialien Die sachliche Lagerausstattung mit Lagermitteln und Lagerhilfsmitteln ist von einer Vielzahl von Faktoren wie Materialumschlag, Materialverpackung oer Materialmenge abhängig.214 In erster Linie wird die Lagerausstattung aber von den physikalischen und chemischen Eigenschaften der einzulagernden Materialien bestimmt.215 Als Lagermittel sind solche Betriebsmittel zu bezeichnen, die unmittelbar dem Lagern dienen, während Lagerhilfsmittel Tätigkeiten unterstützen, die der Lagerung ablauforganisatorisch vor- oder nachgelagert sind.

aa) Die Lagermittel Die Einrichtung eines Lagers mit Lagermitteln kann nach drei Prinzipien erfolgen, und zwar als Lagerung ohne Lagergestelle, als Lagerung auf Fördermitteln wie Stetig- oder Unstetigförderern oder als Lagerung in Lagergestellen.216 Die Lagerung auf Lagergestellen erfolgt in der Regel unter Einsatz von Regalen, die im Bereich des Lagers als Universaleinrichtung anzusehen sind.2 7 Eine Lagerung ohne Lagergestelle eignet sich insbesondere für Schüttgüter und Stückgüter, die infolge ihrer Abmessungen nicht für eine Lagereinrichtung in Frage kommen. Die Bodenlagerung findet in Form der Blockoder Zeilenlagerung statt. Bei beiden Formen wird die Lagerung in gestapelter oder ungestapelter Weise durchgeführt. Bei einer Lagerung ohne Lagergestelle ist zu berücksichtigen, daß sich erstens die Lagereinrichtungen auf Markierungen für Lagerflächen oder Fahrwege beschränken und daß sich insbesondere bei Schüttgütern Auswirkungen auf die Handhabung der Entnahmeregeln ergibt. Die Materialentnahme nach dem fifo-Prinzip kann unter Umständen nicht mehr angewandt werden. 218 setzt daran an, daß die Eine Lagerung in Stetig- und Unstetigförderern Materialien zum Zwecke der Lagerung die Transporteinrichtungen nicht 214

216 217

218

Vgl. Krycha, S. 158. Vgl. Grochla, Materialwirtschaft, S. 128. Vgl. Teller, S. 27. Vgl. Chmielewski, S. 103 ff.

Vgl. Teller, S. 27. Ein Lösungsansatz hierzu stellt die Lagerung der Schüttgüter gehäuft in einer Reihe dar. Hierbei tritt aber das Problem des erhöhten Raumbedarfes auf, da sich die Güter nicht mehr platzsparend auf einem großen, sondern auf mehreren kleineren Haufen befinden.

182

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

verlassen. Dies eignet sich besonders dann, wenn die Lagerdauer relativ kurz sein soll, oder eine Lagerung nur deshalb nötig ist, um bei unabgestimmten, aber leistungsmäßig verbundenen Fertigungsstellen einen zeitlichen Ausgleich herzustellen. Bei einer Lagerung mit Lagergestellen als der in der Praxis am weitesten verbreiteten Lagerungsart, werden die Materialien in statischen oder dynamischen Lagermitteln gelagert. Statisch und dynamisch bedeutet in diesem Zusammenhang, daß im ersten Fall die Materialien bis zur Auslagerung mit dem Lager in Ruhe verbleiben, während eine dynamische Lagerung eine Bewegung der Mater alien und/oder der Lagermittel vorsieht. Die Ortsveränderung ergibt sich daraus, daß sich das gelagerte Material als Lagereinheit im Lagermittel bewegt, wie beispielsweise bei einem Durchlaufregal, oder daß das Lagermittel und damit auch die gelagerten Materialien insgesamt fahrbar sind, wie im Falle der Verschieberegale. Als dritte Form der Bewegung sei die Lagerung von Materialien auf den Transportmitteln angeführt/ 1 9 Die Lagerung mit Lagerstellen in Form von Regalen kann nach dem Baukastenprinzip hinsichtlich Höhe, Breite und Tiefe variiert werden, so daß sich je nach Anforderungen der zu lagernden Materialien unterschiedliche Ausprägungsformen, wie zum Beispiel Fachboden-, Paletten-, Einfahr-, Durchlauf- oder Hochregale, ergeben.2 0 Die Regale erfüllen hierbei neben der reinen Lagerung der Materialien auch zusätzliche Funktionen wie Sichern, Bereitstellen oder Informieren. 221 Die Lagerung mittels Regalen kann in folgenden Ausprägungsformen erfolgen: 2 1. Statische Lagerung Blocklagerung Einfahrregal Durchfahrregal Zeilenlagerung Fachbodenregal Palettenregal

Wabenregal

Schubladenregal Hochregal

219 Vgl. et al.,vgl. S. 147. Zu Jünemann den Regalformen Teller, S. 28 ff. und Lahde, H./Fein, E./Müller, ?.. Handbuch der modernen Lagerorganisation und Lagertechnik, München 1962, S. 342 ff. 221 Vgl. Baumgarten, H.: Technisch-wirtschaftliche Aspekte der Bewegungs- und Lagerungsvorgänge bei der betrieblichen Vorratshaltung, in: Rationelle Vorratshaltung - betriebswirtschaftliche Aspekte, hrsg. von H. Baumgarten et al., Berlin/Köln 1975, S. 148 f. 222 Vgl. Jünemann et al., S. 147 ff. 220

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

Behälterregal Regal mit beweglichen Kragarmen

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Kragarmregal

2. Dynamische Lagerung Feststehende Regale und bewegte Lagereinheiten Durchlaufregal mit Rollenbahn Durchlaufregal mit Rolluntersatz Durchlaufregal mit Röllchenbahn Durchlaufregal mit Pneumatikförderer Einschubregal mit Rollenbahn Einschubregal mit Rolluntersatz Einschubregal mit Röllchenbahn Kanalregal mit Satellit Bewegte Regale mit feststehenden Lagereinheiten horizontales Umlaufregal Verschiebeumlaufregal vertikales Umlaufregal Verschieberegal (Tische) Regal auf Flurförderzeug Verschieberegal (Zeilen)

Während die Regale universell auch im Hinblick auf verschiedene zu lagernde Materialien - mit oder ohne Zuhilfenahme von Lagerhilfsmitteln einsetzbar sind, zeigt sich die Abhängigkeit der Lagereinrichtung von den zu lagernden Materialien am deutlichsten bei den Spezialeinrichtungen, die oftmals nur ein bestimmtes Material einlagern können. 223 Bei Silos oder Tanks wird den Materialien ein bestimmtes Silo oder Tanklager auf Dauer zugeordnet, das selbst bei einer völligen Auslagerung der Materialien aufgrund der unter schiedlichen chemischen Eigenschaften der Materialien beibehalten wird. Die Lagermittel bei der dynamischen Lagerung lassen sich oftmals nicht zweifelsfrei von den Transportmitteln abgrenzen, da, je nach Blickwinkel, entweder die Raum- oder Zeitüberbrückung im Vordergrund stehen, die eine Zuordnung zu den Lager- oder Transportmitteln bestimmen.

223

Vgl. Chmielewski, S. 113 ff.

184

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

bb) Die Lagerhilfsmittel Nach der Tätigkeit, die sie unterstützen sollen, umfassen die Lagerhilfsmittel Zähl- und Meßgeräte, Sicherungsausrüstungen, Transportmittel 224 und Transporthilfsmittel sowie Packmittel und Packhilfsmittel. 2 Sicherungsausrüstungen dienen dazu, das Personal und die Materialien zu schützen. Insbesondere bei leicht entzündbaren und gesundheitsschädlichen Materialien finden Sicherungsausrüstungen zum Beispiel als automatische Alarmanlagen, die bei kritischen Werten wie Temperaturen, Drücken oder Konzentrationen entweder deren Weiterleitung veranlassen oder selbständig Maßnahmen wie Kühlung, Druckausgleich oder Frischluftzufuhr ergreifen, Verwendung. 226 Ebenfalls in diesem Zusammenhang lassen sich Fluchtwegeeinrichtungen wie Leitern oder Schilder anführen. Im Rahmen der Sicherung des Lagers werden auch Videokamerasysteme eingebaut, die kritische Lagerbereiche wie Ein- und Auslagerungszonen bei vollautomatisierten Lagersystemen erfassen. 227 Transportmittel als Lagerhilfsmittel finden sich an der Schnittstelle des Lagers mit dem innerbetrieblichen Transportwesen. Neben einer manuellen Bedienung und einer mittels Stetigförderern kann die Ein- oder Auslagerung der Materialien durch regalabhängige, wie beispielsweise Regalförderzeuge, oder regalunabhängige Lagerhilfsmittel wie Stapelkran oder Gabelstapler erfolgen. 228 Im Falle der regalabhängigen Regalbediengeräte werden oftmals nur sehr schmale Transportwege benötigt. Das verfügbare Lagerraumvolumen wird durch die festinstallierten Regalbediengeräte in hohem Maße ausgenutzt, da bei diesen Regalbediengeräten die Lagerplatzvergabe rechnergestützt im Hinblick auf Fahrwege, Gewichte oder Artikelgruppen stattfindet. 229 Der Einsatz von Transporthilfsmitteln bezieht sich auf die Verwendung von Paletten, die dazu dienen, für eine bestimmte Zeitspanne die Materialien zu einer Lagereinheit zusammenzufassen. Dies kann in tragender, umschließender oder abschließender Form geschehen. Beispiele hierzu sind Flachpaletten, Gitterboxpaletten oder Tankpaletten.230

224 225

226 227

Vgl. Grochla, Grundlagen, S. 130. Vgl. Pfohl, Logistiksysteme, S. 139. Vgl. Grochla, Grundlagen, S. 130. Vgl. o.V.: Ein Hochregallager wird automatisiert, in: fördern und heben, 37. Jg. 1987,

S. 853. 228

229

Vgl. Teller, S. 30.

Vgl. Kühn, F.M. et al: Neue Technologien im innerbetrieblichen Materialfluß - Arbeitssicherheit und Arbeitsgestaltung, Köln 1990, S. 52. 230 Vgl. Jünemann et al, S. 128.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

185

Packmittel finden als Lagerhilfsmittel dahingehend Verwendung, daß sie insbesondere Schütt- und Fließgüter künstlich zu Stückgütern werden lassen, um die Lagerung oder den Transport zu erleichtern. Im Rahmen der Materialwirtschaft werden Packmittel bei Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen eingesetzt, da diese oftmals relativ klein sind und in sehr großen Stückzahlen im Betrieb verbraucht werden. Der Einsatz von Fässern, Kisten, Schachteln oder Kästen ist auch darin zu sehen, daß hierdurch die Materialbereitstellung an den Fertigungsstellen vereinfacht wird. Bei der Planung der Lagermittel und der Lagerhilfsmittel sowie der Transportmittel und Transporthilfsmittel und der Packmittel wird einer Abstimmung zwischen Transport-, Lager- und Produktionsprozessen in der Weise Rechnung getragen, daß die Ladeeinheit und damit zusammenhängend auch die Bestelleinheit sich entsprechen sollten, um dem Prinzip der ungebrochenen Linearität Folge zu leisten. Somit ergibt sich als Forderung die Normung von Bestelleinheit, Ladeeinheit, Transporteinheit (inner- und außerbetrieblich), Lagereinheit sowie Fertigungseinheit. Die Lagerverwaltung wird durch die Verwendung von Packhilfsmitteln unterstützt, die insbesondere die Datenerfassung erleichtern. Die Daten bezüglich der Materialien lassen sich auf Etiketten, Banderolen oder magnetischen Datenträgern anbringen. Als Packhilfsmittel werden neben den Datenträgern auch Sicherungsmittel wie Warnzettel oder Plomben, Oxidationsschutz- und Trockenmittel sowie Polstermittel wie Schaumstoffe, Papier, Pappe oder Styropor verwendet. 231

d) Der Einsatz von Technologien an den Schnittstellen der Materialwirtschaft Die Schnittstellen sowohl innerhalb der Materialwirtschaft als auch mit anderen Bereichen stellen Punkte im betrieblichen Ablauf dar, bei denen ein gemeinsamer Weg von Materialien in transporttechnischer Hinsicht endet oder ein Übergang von einem Unternehmensteil in einen anderen erfolgt. Schnittstellen im Rahmen der Materialwirtschaft lassen sich somit zwischen Beschaffung und innerbetrieblichem Transport- und Lagerwesen sowie bei einem Aufspalten und Neuzusammenstellen von Transport- und Lagereinheiten feststellen. Weitere physische Schnittstellen ergeben sich auch zwischen der Materialwirtschaft und anderen Unternehmensbereichen wie Fertigung oder Absatz. Neben den physischen Schnittstellen sind als eine weitere Erscheinungsform die Informationssschnittstellen zu beachten. Diese beziehen sich auf 231

Vgl. zu den einzelnen Packhilfsmitteln Jünemann et al., S. 128 ff.

186

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

das Übertragungsobjekt Information. Solche informatorischen Schnittstellen finden sich zum Beispiel bei der Abstimmung von Produktionsplänen, Lagerbeständen und der Bedarfsermittlung sowie der Einkaufsplanung. 232 Im folgenden sollen die physischen Schnittstellen sowohl innerhalb der betrieblichen Materialwirtschaft als auch mit angrenzenden Unternehmensbereichen in bezug auf die Handhabung mittels Technologien untersucht werden. Die Gestaltung der informatorischen Schnittstellen stellt eher einen Bestandteil der Lager- und Transportverwaltung dar und wird daher in diesem Zusammenhang betrachtet. 233 Unter Beachtung des Prinzips der Ausschaltung der Handförderung dient der Einsatz von Technologien somit dazu, Unterbrechungen, die sich in Umlagern oder Umladen äußern, rationeller zu gestalten. Hierbei wird versucht, die zeitliche Unterbrechung zu vermeiden oder sie zumindest zu verkürzen. 234

aa) Grundlegende Ausführungen zu den Handhabungseinrichtungen Die Handhabungseinrichtungen setzen daran an, die Fähigkeiten der menschlichen Hand durch eine technische Vorrichtung zu ersetzen. 235 Die Ausführungen zu den Handhabungseinrichtungen haben grundlegenden Charakter für die Darstellung der Kommissionier- und Umschlagseinrichtungen, denn diese Einrichtungen stellen nichts anders als Handhabungseinrichtungen bezogen auf einen bestimmten Tätigkeitsausschnitt dar. In bezug auf das festgelegte Tätigkeitsfeld lassen sich bei den Handhabungseinrichtungen Einzweck- und Mehrzweckgeräte unterscheiden. Einzweckmaschinen im Bereich der Materialwirtschaft sind in der Regel ortsfest. Ihr Aufgabengebiet erstreckt sich auf genau festgelegte Bereiche, die oftmals vor- oder nachbereitende Tätigkeiten beim Transport oder der Lagerung von Materialien darstellen. In diesem Sinne lassen sich Palettierund Depalettiermaschinen, Signier-, Verpackungs-, Ladungssicherungsmaschinen sowie Maschinen zur Ladungsumsetzung anführen. 236 Als Mehrzweckmaschinen finden Roboter sowohl in stationärer als auch in mobiler Hinsicht Verwendung. Sie sind dadurch gekennzeichnet, daß mehrere Be232

233

Vgl. Feierabend, S. 57 ff.

Zum Einsatz von Technologien im Bereich der Lager- und Transportverwaltung vgl. Kapitel 2 3 4 D.II.2.e. dieser Arbeit. Vgl. Feierabend, S. 70. 235 Vgl. Jünemann et al, S. 339. Vgl. Jünemann et al, S. 354.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

187

wegungsachsen programmierbar hinsichtlich der Bewegungsfolge und des Weges im Falle der mobilen Roboter sind. Weiterhin sind sie mit Zusatzgeräten wie Greifern oder Werkzeugen ausgestattet, die Handhabungs- und Fertigungsaufgaben erfüllen. Generell lassen sich die Roboter nicht den Mehrzweckmaschinen zuordnen, denn die Entwicklungen auf dem Gebiet der Industrieroboter haben zur Folge, daß einige Robotertypen für bestimmte Tätigkeiten geeigneter erscheinen, so daß ihr Einsatz auf diese Bereiche beschränkt bleibt, was sich auch in einem bewußten Verzicht auf die Mobilität äußert. 237 Die Hauptkomponenten von mobilen Robotern sind die Handhabungseinheit, die Transporteinheit, die Steuerung und Sensorik sowie die Energieversorgung. 238 Das Zusammenwirken von Handhabungs- und Transporteinheit hat zur Folge, daß mobile Roboter im Rahmen der Materialwirtschaft mehrere Aufgaben erfüllen können. Infolge ihrer Mobilität stellen sie ein Transportmittel dar. Die Ausstattung mit bewegbaren Armen wird dahingehend genutzt, daß der Roboter innerhalb gewisser Grenzen selbständig eine Regalbedienung vornimmt, ohne daß vorher ein Umladen auf ein Lagerhilfsmittel erfolgt. Weiterhin wird ein mobiler Roboter als Produktionsmittel eingesetzt, um zum Beispiel Montagearbeiten vorzunehmen. Eine Lagerung von Materialien in entsprechenden Magazinen findet während des Transportes statt. In diesem Fall erfüllt der mobile Roboter die Kriterien einer dynamischen Lagerung. Die Steuerung der mobilen Roboter erfolgt auf verschiedene Arten. Neben dem abgespeicherten Arbeitsprogramm wird der mobile Roboter mittels Datenfunkverbindungen gesteuert. Der mobile Roboter beeinflußt selbst seine Bewegungsabläufe über das Erkennen und Interpretieren von Objekten und der unmittelbaren Umwelt mittels eingebauter Kameras und Rechner. 239 Hierbei erweist es sich vor allem in zeitlicher Hinsicht als großer Vorteil, wenn die Objekte im Arbeitsbereich des Roboters einer Normung unterworfen werden, um das Erkennen zu erleichtern. Auch kann sich die Normung auf die Festlegung von Punkten beziehen, an denen sich Informationen bezüglich des Materials befinden. Solche Punkte sind beispielsweise geometrisch genau definierte Anbringungsorte für die Datenträger, wie beispielsweise eine der Flächen von Kisten. Im folgenden soll dargestellt werden, wie sich der Einsatz von Handhabungseinrichtungen im Bereich der Materialwirtschaft gestaltet. Die Tätig237 238 239

Vgl. hierzu die Beispiele bei Kühn et alS. 53 f. Vgl. Jünemann et al, S. 366. Vgl. Jünemann et alS. 359.

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D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

keiten, die den Ausführungen zugrundegelegt werden, sind das Kommissionieren und das Umschlagen der Materialien.

bb) Die Kommissioniereinrichtungen Die Tätigkeit des Kommissionierens setzt daran an, Materialien aus den Lagern nach den Bedarfsinformationen (Aufträge) zusammenzustellen. Hierbei werden die Lagereinheiten teilweise aufgelöst, um die Materialien aus verschiedenen Lagereinheiten zu Transporteinheiten zusammenzufassen. Das Kriterium, unter dem die Materialien zusammengestellt werden, sind die Aufträge der zu versorgenden Fertigungsstellen. Die Bereitstellung an den Fertigungsstellen erfolgt auftragsbezogen mehrmals täglich oder durch Zusammenfassung des Materialbedarfs für eine Fertigungsstelle jeweils für einen bestimmten Zeitraum, beispielsweise für einen ganzen Tag oder eine Schicht. In diesem Fall findet auch eine Bestandserhöhung an den Fertigungsstellen durch die Einrichtung kleiner Handlager statt, damit auf Materialbedarfsschwankungen reagiert werden kann, ohne eine zusätzliche Materialbereitstellung notwendig zu machen.240 Die Tätigkeiten im Rahmen des Kommissionierens lassen sich auf folgende vier Teiltätigkeiten beziehen: Erstens werden die sich im Lager befindlichen Materialien zum Ort des Kommissionierens gebracht. Dies stellt die Auslagerungs- oder Kommissionierzone eines Lagers dar. Es kann auch ein sogenanntes Kommissionierlager eingerichtet werden. Das Kommissionierlager dient somit lediglich der Assortierungs- und damit zusammenhängend der Sortierungsfunktion von Lagern. Die ausgelagerten Lagereinheiten werden beispielsweise mit den Paletten auf dem Boden abgestellt oder in Durchlaufregalen bereitgestellt, wobei zusätzliche Umladevorgänge zu vermeiden sind. Das Bereitstellen von Lagereinheiten erfolgt nicht nur auftragsbezogen. 241 Es kann auch in der Weise gehandhabt werden, daß sich die Bereitstellung der einzelnen Materialarten nicht nach bestimmten Bedarfsmeldungen der Fertigungsstellen richtet, sondern nach dem Verbrauch im Kommissionierlager. Bei Unterschreiten eines Meldebestandes wird das betreffende Material aus dem 240

Vgl. Ihde, G.B.: Materialbereitstellung, in: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft, 2 4 1hrsg. von W. Kern, Stuttgart 1979, Sp. 1215. Zu den Möglichkeiten der Reihenfolgegestaltung bei den Auslagerungsvorgängen im Rahmen der Kommissionierung vgl. Schaab, W.: Der Material- und Informationsfluß in einem on-line-gesteuerten Hochregallager, in: VWI-Zeitschrift des Verbandes Deutscher Wirtschaftsingenieure e.V. Nr. 4, 20. Jg. 1971, S. 66.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

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Lagerbestand ergänzt. Hierbei finden insbesondere Durchlaufregale Verwendung. Zweitens werden Materialien aus verschiedenen Lagereinheiten nach auftragsspezifischen Kriterien neu zusammengefaßt. Drittens werden die zusammengestellten Transporteinheiten zu den Bedarfspunkten gebracht und viertens findet eine erneute Einlagerung der Lagereinheiten statt. Die Kommissionierung erfolgt in diesem Falle nach dem 'Schubladenprinzip'. 242 Die Lagereinheit kann auch im Kommissionierlager verbleiben, wo sie dann sukzessive geleert wird. Der Rücktransport der Lagereinheiten zu ihren Lagerorten findet somit nicht statt, wodurch im Unterschied zur auftragsbezogenen Kommissionierung die Anzahl der Regalbedienungsvorgänge geringer ist. Der Verzicht auf einen Rücktransport der Lagereinheiten zu den Lagerorten hat auch dahingehend Auswirkungen, daß sich die manuellen Tätigkeiten auf das Zusammenstellen der Kommissioniereinheiten beschränken, da ein Mitfahren zu den Lagerorten entfällt 243 und dadurch zusätzlich höhere Geschwindigkeiten in der Regalbedienung gefahren werden können. Das Mitfahren von Personal zu den Lagerorten und die dortige Entnahme der Materalien aus den Lagereinheiten kann als "Mann zur Ware"-Prinzip 244 bezeichnet werden, während die Bereitstellung der Lagereinheiten im Kommissionierlager dem "Ware-zum-Mann"-Prinzip folgt. Bei der Betrachtung der Teiltätigkeiten wird deutlich, daß der Einsatz von speziellen Technologien im Rahmen der Kommissionierung 245 sich auf das Zusammenstellen der Kommissioniereinheiten beschränkt, da die anderen Teiltätigkeiten zum einen von den Lagerhilfsmitteln wie Regalbediengeräten und zum anderen von den Transportmitteln erfüllt werden. Die Kommissionierung erfolgt in der Regel manuell, da eine automatisierte Kommissionierung mittels stationärer oder mobiler Roboter aufgrund der Sensorik nicht sinnvoll ist. Dies begründet sich nicht nur auf dem noch nicht zufriedenstellenden Erkennen, Ergreifen und Hintransportieren der Materialien zu der Transporteinheit in einem vertretbaren Zeit- und Kostenrahmen, sondern auch auf der Notwendigkeit, die Kommissioniereinheit 242

Vgl. Miebach, J.R.: Die Grundlagen einer systembezogenen Planung von Stückgutlagern,2 4dargestellt am Beispiel des Kommissionierlagers, Diss., Berlin 1971, S. 64. 3 Vgl. Kühn et al, S. 57. 244

Korrekterweise müßte vom "Mann-zum-Materiar'-Prinzip et vice versa gesprochen werden. Da Kommissioniertätigkeiten sehr häufig in Handelsunternehmen durchgeführt werden, hat sich die Bezeichnung Ware für Materialien in diesem Falle auch in Industriebetrieben durchgesetzt. Vgl. ähnlich Jünemann et al., S. 388. 245 Vgl. hierzu auch Schulte, K.: EDV im Lager - Möglichkeiten computerunterstützter Lagerorganisations- und -Informationssysteme, hrsg. von der Rationalisierungs-Gemeinschaft des Handels beim RKW e.V., Köln 1980, S. 85 ff.

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D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

im Zusammenspiel mit dem Transportmittel und den Transporthilfsmitteln zu dimensionieren, damit eine Gefährdung des Materials während des Transportes zum Beispiel durch Herunterfallen ausgeschlossen werden kann. Hierin ist der große Vorteil der manuellen Kommissionierung zu sehen, da solche Aspekte aufgrund der Erfahrungen des Kommissionierpersonals besser gehandhabt werden. Ein Einsatz von Robotern im Rahmen der Kommissionierung hängt somit mit der Entwicklung der Sensorik 246 und der Möglichkeit, Informationen bezüglich früherer Kommissionierungen abzulegen, zusammmen, um sie bei Bedarf abrufen und nutzen zu können. 247 Die Sensorik stellt deswegen einen Engpaß für den Einsatz von Handhabungseinrichtungen dar, weil das Ergreifen der Materalien bisher nicht zufriedenstellend gewährleistet ist, so daß eine manuelle Handhabung einer Automatisierung in diesem Bereich vorzuziehen ist. 248 In bezug auf die Software lassen sich die mobilen Roboter dahingehend erweitern, daß mit der Regalbedienung eine parallele Kommissionierung mehrerer Aufträge, ein gleichzeitiges Auffüllen leerer Lagerplätze und eine Durchführung von Wiege-, Zähl- und Meßvorgängen stattfindet. 249 Der Einsatz von Technologien im Bereich der Kommissionierung erstreckt sich auf die Unterstützung der manuellen Kommissioniertätigkeit mit Transport- und Lagerhilfsmitteln wie Regalförderzeuge, Rollenbahnen, induktiv gesteuerte Systeme oder Kreisförderer 250 und einer informationstechnischen Unterstützung der Kommissionierung mittels Informations- und Kommunikationstechnologien. Die Technologien ermöglichen zum Beispiel eine informationstechnische Verknüpfung von Arbeitsvorbereitung, Fertigungsstellen, Lager und Kommissionierung mittels mobiler Datenerfassungssysteme und Funk- oder Infrarotdatenübertragung. 251 Eine weitere Möglichkeit, die Kommissionierung mit Hilfe von Technologien zu rationalisieren, besteht darin, den Kommissioniervorgang nicht als 246

Vgl. Baumeister, K.: Sensorik als Schlüsselfunktion, in: Materialfluß, Heft 11, 19. Jg. 1988, 247S. 46 ff. Vgl. Piepel, IJ./Schwinning, St.: Mobile Roboter: Systematik, technische Alternativen, in: Logistische Systeme - Automation als Erfolgsfaktor, hrsg. von R. Jünemann, Köln 1988, S. 130. 248 Vgl. Hahn, H.: Des Menschen Hand als Teil des Systems, in: Lagertechnik, 12. Jg. 1988, S. 36 und Kapoun, J.: Stand der Technik bei intelligenten Robotern, in: fördern und heben,249 40. Jg. 1990, S. 723 ff. Vgl. Scheid, W.-M.: An der Schwelle zur vollen Automation, in: fördermittel-journal, Heft 4, 18. Jg. 1986, S. 22 ff. und Scheid, W.-M.: Nur wenige Schritte zur Vollautomation, in: fördermittel-journal, Heft 5,18. Jg. 1986, S. 44 ff. 250 Vgl. Fröhlich/Stankiewicz, S. 92. 251 Vgl Kühn et al., S. 61.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

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Stillstandszeit hinzunehmen, sondern ihn in das Transportwesen einzubauen. Beidseitig einer Teilstrecke des innerbetrieblichen Transportwesens werden Schächte eingerichtet, in denen sich die für die Kommissionierung benötigten Materialien befinden. Beim Passieren eines Sensors vor diesen Materialschächten werden die sich auf den Transporthilfsmitteln befindlichen Datenträger eingelesen, und entsprechende Materialschächte werden beim Vorbeifahren des Transportmittels oder des Transporthilfsmittels im Falle der Stetigförderer freigegeben. Solche automatischen Schachtkommissionierer lassen sich auf bis zu 80 Meter Wegstrecke aufstellen, wobei bis zu 1500 Kommissioniervorgänge pro Stunde bearbeitet werden können. 252

cc) Die Umschlagseinrichtungen Das Umschlagen von Materialien kann als Überwechseln der Materialien von einem Arbeitsmittel auf ein anderes interpretiert werden. Dabei kommen als Arbeitsmittel Transportmittel, Lagermittel, Handhabungsmittel sowie Produktionsmittel in Frage. 253 Je nach der zeitlichen Beziehung zur eigentlichen Funktion des Arbeitsmittels wird das Umschlagen als Beladen, Umladen, Entladen, Einlagern, Umlagern oder Auslagern bezeichnet. Werden die umzuschlagenden Güter betrachtet, handelt es sich um Transporteinheiten, Lagereinheiten, Handhabungseinheiten wie beispielsweise Kommissioniereinheiten und Fertigungseinheiten. Eine Abstimmung der einzelnen Einheiten aufeinander kann dem Gedanken der Vereinheitlichung als Mittel zur Rationalisierung 254 Rechnung tragen, um somit insbesondere die physischen Schnittstellen abzubauen. Umschlagvorgänge in einem Industriebetrieb können zum einen zwischen außer- und innerbetrieblichen Arbeitsmitteln und zum anderen rein innerbetrieblich geschehen. Der Umschlag zwischen außer- und innerbetrieblich zuzuordnenden Arbeitsmitteln bezieht sich auf die physische Schnittstelle zwischen außer- und innerbetrieblichem Transport. Die konkrete Schnittstelle ist hierbei die Beund Entladezone des Unternehmens, wobei als außerbetriebliche Transportmittel Lastkraftwagen oder Bahnwaggons Verwendung finden. Die Anlieferung der Materialien erfolgt in der Regel unter Verwendung von Transport- und Lagerhilfsmitteln wie Paletten oder Containern. Insbesondere die252

Vgl. Den, W.: Automatisierung im Kommissionierlager, in: Fördertechnik, Heft 4, 57. Jg^l988, S. 28 ff. 3 Vgl. Jünemann et al., S. 418. 254 Vgl. hierzu Beste, Vereinheitlichung, S. 301 ff.

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D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

se Hilfsmittel erlauben eine Verwendung von Technologien in diesem Bereich. Die einfachste Form des Technologieneinsatzes stellt die Verwendung von Unstetigförderern wie Gabelstapler dar. Der Umschlag der Paletten und Behälter kann auch durch Rollenbahnen oder Hubkettenförderer unterstützt werden. Rollen-, Röllchen- und Bandförderer eignen sich insbesondere dann für Entladetätigkeiten an der Rampe, wenn auf eine Verwendung von Transporthilfsmitteln wie Paletten verzichtet wird. Die Durchführung der Entladung erfolgt in diesem Falle manuell. Der Umschlag von Containern findet in Abweichung davon eher mittels Kränen oder durch den Einsatz von Containerstaplern statt. 255 Beim Materialumschlag zwischen außer- und innerbetrieblichem Transportwesen ist die Infrastruktur von großer Bedeutung. Die Handhabung der Umschlagvorgänge ist somit vor dem Hintergrund der zur Verfügung stehenden Rampen zu sehen. Mögliche Rampenformen sind hierbei die Seiten-, Kopf- und Dockrampen sowie die Rampen in Sägezahnform. Eventuelle Niveauunterschiede zwischen außerbetrieblichem Transportmittel und Rampe werden durch Tieframpen, Überladebleche, Überladebrücken oder Hebebühnen ausgeglichen.256 Innerbetrieblich lassen sich Umschlagsvorgänge zum einen innerhalb der Materialwirtschaft, wie beispielsweise zwischen Lager- und Transportwesen, und zum anderen mit angrenzenden Funktionsbereichen wie der Fertigung feststellen. Da auch innerbetrieblich die Palette als universell einsetzbares Transport- und Lagerhilfsmittel genutzt wird, lassen sich die im folgenden dargestellten Technologien einsetzen, um Ein- und Auslagerungsvorgänge sowie Palettier- und Depalettiervorgänge zu unterstützen. Ein- und Auslagerungsvorgänge beziehen sich auf die Schnittstelle zwischen innerbetrieblichem Transport- und Lagerwesen, während die Palettier- und Depalettiervorgänge sowohl innerhalb der Materialwirtschaft als auch an den Schnittstellen zur Fertigung auftreten. Eine Unterstützung der Ein- und Auslagerung mit Technologien findet neben dem Einsatz von Regalbediengeräten auch durch Roboter wie automatische Stapelkräne und automatische Stapler statt. Ausschlaggebend für den Robotereinsatz sind die Entwicklungen der Sensorik und insbesondere 255

Vgl. o.V.: Neue Container-Stapler, in: f+h Report, Sonderausgabe der Zeitschrift fördern2 und 5 6 heben, 1991, S. 10 f. Vgl. Verein Deutscher Ingenieure: VDI 2360 - Güterumschlagszonen und Verladetechniken mit Flurförderzeugen für Stückgutverkehr, Düsseldorf 1992, S. 7 ff.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

193

der Greiftechniken, die auch eine Bewegung in die Tiefe im Falle der Entnahme aus den Lagerorten ermöglichen sollen. 257 kommen bei einem Wechsel des Die Palettier- und Depalettiertätigkeiten Transporthilfsmittels zum Tragen, wobei dieser Vorgang mittels Einzweckoder Mehrzweckmaschinen unterstützt wird. Ein Wechsel des Transporthilfsmittels wird zum Beispiel dann notwendig, wenn unterschiedliche Palettengrößen in einem Industriebetrieb verwendet werden. 258 Im Rahmen der Mehrzweckmaschinen kommen auch insbesondere stationäre Roboter zum Einsatz. Im Unterschied zu den Einzweckpalettiermaschinen ermöglichen Palettierroboter die gleichzeitige Palettierung von mehreren Objektarten. Neben der Palettierung oder Depalettierung von schweren Objekten kann eine Rationalisierung der Umschlagsvorgänge durch die Verwendung von Palettierrobotern erreicht werden. Je nach Anlagenkonzept und Greiftechnik liegt die Palettierleistung bei verschiedenen Ausführungsformen zwischen 300 und 450 Zyklen pro Stunde, die durch ein gleichzeitiges Greifen mehrerer Einheiten entsprechend erhöht wird. Bei Palettierrobotern können in bezug auf die Anordnung der verschiedenen zu palettierenden Objekte im Rechner Muster hinterlegt werden, die bei Bedarf aufgerufen werden. 259 Die Palettierung erfolgt unter dem Aspekt einer Maximierung der Flächenausnutzung pro Lage. Durch die Maximierung der Flächenausnutzung pro Palettenlage wird bei gleicher Palettierleistung eine Minimierung der Palettenhöhe erreicht. Dies kann auch dahingehend Auswirkungen haben, daß sich bei einer maximalen Ladehöhe pro Palette die Anzahl der benötigten Paletten und damit die Transportanfälle verringern. Eine Grundvoraussetzung für den Einsatz von Palettierrobotern ist das Greifen der Objekte, was in der Regel durch mechanische Greifer oder Vakuumgreifer erfolgt. Das Greifen der Objekte ist davon abhängig, ob und inwieweit der Roboter sie in ihrer räumlichen Positionierung erkennt. Ist dies nicht der Fall, muß eine geometrisch exakte Bereitstellung der Objekte stattfinden. Ebenfalls wie bei einem Einsatz von Robotern im Rahmen der Kommissionierung und der Ein- und Auslagerung kann eine höhere Flexibilität der Palettierungsanlage dadurch erreicht werden, daß die Sensorik ein 257

258

Vgl. Jünemann et al., S. 368 f.

Zu den unterschiedlichen Ausführungsformen von Paletten vgl. DIN 15141 - Teil 1Paletten: Formen und Hauptmaße von Flachpaletten, in: Aufzüge, Flurförderzeuge, Stetigförderer - Normen (Fördertechnik 3), hrsg. von DIN Deutsches Institut für Normung e.V., 3. Aufl., 259 Berlin/Köln 1988, S. 121 f. Vgl. Lietz, J.: Palettieren mit Industrierobotern, in: fördern und heben, 41. Jg. 1991, S. 1000 f. 13 Brecht

194

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

selbständiges Erkennen der Objekte ermöglicht, um Freiheitsgrade in der Bereitstellung der Objekte zu erreichen. Der Einsatz von Technologien im Bereich der Materialwirtschaft vollzieht sich nicht nur auf einer physischen Ebene, sondern setzt auch an einer Be- und Verarbeitung sowie Weiterleitung von Informationen an. Im folgenden steht daher der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien in der Transport- und Lagerverwaltung im Mittelpunkt der Untersuchungen.

e) Der Einsatz von Technologien bei der Transportund Lagerverwaltung Die Transportverwaltung hat unter anderem die Aufgabe, die Transportleistung zu planen, zu organisieren und zu kontrollieren. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, werden umfangreiche Informationen benötigt. Diese Informationen betreffen Stamm- und Auftragsdaten sowie Betriebsdaten für Werkstücke, Maschinen, Transport- und Handhabungsgeräte.260 Das technologische Umsystem erfährt im Rahmen der Transportverwaltung seine Bedeutung dadurch, daß es Technologien bereitstellt, die dazu dienen, Daten zu erfassen, zu übertragen, aufzuarbeiten und auszuwerten sowie sie auszugeben.261 Da die Datenverarbeitung und -auswertung sowie die Datenausgabe mittels Hard- und Software herkömmliche Fragenkreise betreffen, wird im folgenden nicht darauf eingegangen, da Aussagen hierzu nicht als spezifisch für die Materialwirtschaft aufzufassen sind. Für die Materialwirtschaft sind insbesondere solche Informations- und Kommunikationstechnologien bedeutsam, die Daten erfassen und weiterleiten.

aa) Die Datenerfassung Die Datenerfassung nimmt Daten unter Zuhilfenahme von Datenerfassungsgeräten auf. Das Vorliegen eines Datenträgers, das heißt einem materiellen Träger der Daten wie Belege, ist keine unabdingbare Vorraussetzung zur Datenerfassung. 262 Eine solche direkte Datenerfassung erfolgt durch 260 Vgl. Tüchelmann, Y.: Materialfluß und Leittechnik automatisiert, in: Jahrbuch der Logistik 1990, hrsg. von C. Bonny, Düsseldorf/Frankfurt am Main 1989, S. 117. 261 Vgl. Jünemann et al., S. 472. 262 Vgl. Heinrich, L.J.: Planung des Datenerfassungssystems - Entscheidungsmodell zur Verfahrensauswahl und Geräteauswahl, Köln-Braunsfeld 1975, S. 114 ff.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

195

das Personal mittels Tastaturen oder der noch wenig verbreiteten Spracheingabe.263 Die Verwendung von Sensoren dient dazu, physikalische Größen wie Abmessungen, Gewicht, Temperatur der Materialien zu erfas264

sen. Im Rahmen des innerbetrieblichen Transportwesens kann eine direkte Datenerfassung insbesondere zur Durchführung der Transportvorgänge herangezogen werden. Die direkte Datenerfassung erlangt dadurch Bedeutung, daß die Sensoren dazu dienen, den Status der Materialien während des Transportes zu erfahren. Beispielsweise kann vor den Fertigungsstellen durch Sensoren, die die Temperatur oder die Feuchtigkeit von Materialien erfassen können, sichergestellt werden, daß nur solche Materialien weiterbe- oder -verarbeitet werden, die nicht die Qualität des Enderzeugnisses durch die mangelnde Eignung zur Be- oder Verarbeitung beeinträchtigen. Neben diesem qualitativen Aspekt dienen Sensoren auch dazu, die quantitative Seite des Transportes von Materialien zu überwachen. Hierbei finden Meß- oder Zählgeräte Verwendung. 265 Die Datenerfassung unter Nutzung von Datenträgern erfolgt durch Barcode-, Klarschrift-, Markierungs- und Magnetbelege sowie Etiketten. 266 Die Speicherung der Informationen ist abhängig vom gewählten Datenträger. Wird ein Datenträger gewählt, der nicht ohne Benutzung von Hilfsmitteln wie Lesestiften gelesen werden kann, liegt eine Codierung von Informationen vor, bei der den Zeichen einer Zeichenkette eindeutig Zeichen einer anderen Zeichenkette zugeordnet werden. 267 Die Datenträger lassen sich in bezug auf die gewählte Form der Codierung als mechanisch, magnetisch und optisch kennzeichnen.268 Eine mechanische Codierung liegt vor, wenn die Daten durch Markieren auf dem Datenträger zum Beispiel unter Berücksichtigen von bestimmten Feldern und einer bestimmten Form der Markierung mittels Schreibgeräten wie Bleistifte oder Kugelschreibern hinterlegt werden. 269 Während die mechanischen Codierungen auch ohne Zuhilfenahme von Datenerfassungsgeräten lesbar sind, sind bei den magnetischen Codierungen die Daten nicht unmittelbar ohne Lesegerät einsehbar, denn als Datenträger wird ein Magnetstreifen be263

Vgl. Müller, B.G.: Stand der Entwicklung elektronischer Spracherkennungssysteme und deren Anwendungsmöglichkeiten in logistischen Funktionen, Diss., München 1988, S. 17. 264 Vgl. Link, S. 139 f. 265 Vgl. Link, S. 150. 266 Vgl. Link, S. 84. 267 Vgl. DIN 44300, Teil 2- Informationsverarbeitung: Begriffe, Informationsdarstellung, Berlin 1988, S. 6. 268 Vgl. Jünemann et al., S. 498. 269 Vgl. Heinrich, S. 106. 1

196

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft 970

nutzt. Bei einer optischen Codierung werden neben Strichcodes auch alphanumerische Zeichenketten verwendet. Die Codierung findet bei der optischen Codierung auf mehrere Arten statt. Neben Ziffern und Zahlen lassen sich Informationen auch durch Buchstaben speichern. Hierbei wird als Schrifttyp das sogenannte OCR-System (Optical Character Recognition) zugrundegelegt. Die Normung von Schriftzeichen sowohl handschriftlichen als auch maschinenschriftlichen Ursprungs 271 erlaubt ebenfalls eine optische Codierung. Weiterhin lassen sich zur optischen Codierung von Informationen Strich- und Farbcodes sowie geometrische Figuren heranziehen. 272 Die Datenträger werden nicht an den einzelnen Materialien direkt angebracht, sondern an Transport- oder Lagerhilfsmitteln wie Paletten, Kisten oder Schachteln. Der Datenträger und damit das Hilfsmittel werden mit den Materialien mitbewegt. Es besteht somit eine enge Verbindung zwischen Material und Transport- oder Lagerhilfsmittel, da bei einer Trennung von Material und Hilfsmittel die Informationen bezüglich des Materials verloren gehen. Die Bedeutung von Datenträgern für die Materialwirtschaft begründet sich darauf, daß durch die Verwendung von Lager- und Transporttechnologien die Notwendigkeit besteht, Informationen über ein bestimmtes Material mit seinem Transport- oder Lagerhilfsmittel zu verknüpfen. 273 Die Hilfsmittel wie Behälter und Paletten übernehmen somit neben ihrer umhüllenden, aufnehmenden und dosierenden Funktion noch eine informatorische Funktion. Diese informatorische Funktion von Transport- und Lagerhilfsmitteln kann in der Weise genutzt werden, daß die Daten, die sich an den Hilfsmitteln befinden, im Rahmen der Kommissionierung, Palettierung oder der Steuerung des Transportwesens genutzt werden. Eine weitere Anwendung der informatorischen Funktion von Lager- und Transporthilfsmitteln besteht darin, im Zuge einer Inventur die Datenerfassung zu erleichtern. Datenerfassungsgeräte, die sich auf Regalbediengeräten befinden, lassen sich zur Bestandsaufnahme heranziehen. Ein Mitfahren von Personal ist ebenfalls möglich, so daß dem Aspekt der körperlichen Aufnahme bei der Inventur Rechnung getragen wird. Es ist auch denkbar, den Materialien im Zuge der Numerierung beim Einsatz von Technologien im Bereich der Materialwirtschaft alphanumerische Zeichenketten zuzuordnen, die Aufschlüsse bezüglich der Bilanzierung geben. Beispielsweise kann ein Zusatz in 270

Vgl. Virnich , M ./Posten, K.: Handbuch der maschinell lesbaren Belege und Ausweise Codierte Datenträger als Voraussetzung für eine fortschrittliche Betriebsdatenerfassung in Produktion und Verwaltung, Köln 1986, S. 187. 271 2 7 2 Vgl. hierzu Link, S. 102 f. und die dort gezeigten Beispiele. Zu den einzelnen Möglichkeiten der Codierung vgl. Link, S. 84 ff. 273 Vgl. Hesser, P.: Codier- und Erkennungssysteme, in: Identifikationstechniken für den Materialfluß - Tagung in München am 22. und 23. November 1984, hrsg. von der VDI-Gesellschaft Materialfluß und Fördertechnik, Düsseldorf 1984, S. 2 f.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

197

Form eines Buchstabens oder einer Ziffer die Zuordnung zu einer Bilanzposition kennzeichnen. Ein gemeinsames Merkmal der bisher dargestellten Datenträger liegt darin, daß sie in der Regel nur einmal verwendbar sind. Liegt eine Datenänderung vor und soll dies auf dem Datenträger kenntlich gemacht werden, ist eine erneute Codierung notwendig. Der alte Datenträger muß daraufhin entfernt und durch einen neuen Datenträger ersetzt werden. Statusänderungen eines Materials, wie beispielsweise Be- oder Verarbeitungszustände, müssen somit nach jeder Fertigungsstufe neu codiert und angebracht werden. Um bei Statusveränderungen von Materialien den anschließenden Austausch von Datenträgern zu umgehen, werden programmierbare Datenträger eingesetzt. Sie unterscheiden sich von den bisher betracheteten Datenträgern dadurch, daß sie zum einen während der Durchlaufzeit des Materials beschreibbar und zum anderen nach dem Ende der Durchlaufzeit des Materials wiederverwendbar sind. Der Einsatz von programmierbaren Datenträgern erfolgt nicht zur Protokollierung von Daten, sondern dient auch zur Steuerung der Erstellung der Transportleistung. 274 Beispielsweise beeinflussen die auf dem Datenträger hinterlegten Informationen über Leseeinrichtungen einzelne Betriebsmittel wie Werkzeuge oder Lager- und Transportmittel direkt. Eine solche Beeinflussung von Betriebsmitteln ist im Rahmen der Kommissionierung oder der Einlagerung von Materialien denkbar. Eine Voraussetzung hierfür stellt die vorherige Programmierung der Technologien mit diesbezüglichen Informationen, beispielsweise über die Reihenfolge der Kommissioniereinheiten und die Anordnung der Kommissioniereinheit im Hinblick auf das Transporthilfsmittel, dar. Programmierbare Datenträger haben für die Materialwirtschaft auch dahingehend Bedeutung, daß die Steuerung des innerbetrieblichen Transportwesens nicht mehr nur über einen zentralen Rechner bei der Transportverwaltung, sondern eher dezentral erfolgt. Unter Nutzung von Datenerfassungsgeräten werden die sich im Transportwesen befindlichen Transportmittel den jeweiligen Fertigungsstellen zugeleitet. Die Datenerfassung im Bereich der Materialwirtschaft dient insbesondere dazu, durch die programmierbaren Datenträger eine Kopplung des Informationsflusses mit dem physischen Transport der Materialien zu erreichen. Informationen stehen somit nicht mehr mit einer Zeitverzögerung zur Verfügung, sondern zum Zeitpunkt des Anfalls und damit auch des Bedarfs an diesen Informationen. Bedeutung erlangt die Datenerfassung auch durch

274

Vgl. Jünemann et alS. 499 f.

198

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

die Möglichkeit, die Qualität im Rahmen der industriellen Leistungserstellung zu überwachen.275 Die Datenerfassung stellt die Aufnahme der Daten von den Datenträgern unter Nutzung von Datenerfassungsgeräten dar. Neben der bereits beschriebenen Form der direkten Datenerfassung mittels Tastaturen oder Sensoren werden die codierten Daten unter Zuhilfenahme von Datenerfassungsgeräten abgelesen. Die Datenerfassungsgeräte lassen sich in der Weise unterteilen, daß die zugrundegelegte Codierung herangezogen wird. Die Erfassung von mechanischen Datenträgern erfolgt beispielsweise durch Lochstreifenleser. Die magnetisch codierten Daten lassen sich mittels Magnetstreifenleser erfassen. Bei der optischen Codierung von Daten finden als Datenerfassungsgeräte Lesestifte, Lesepistolen, Laserscanner, Zeilenkameras und Flächenkameras Verwendung.2 6 Die Durchführung der Datenerfassung kann stationär oder mobil stattfinden. Bei der stationären Datenerfassung bleiben die Datenerfassungsgeräte unbeweglich, während die zu erfassenden Materialien mit ihren Transport- und Lagerhilfsmitteln bewegt werden. Bei der mobilen Datenerfassung verhält sich dies gerade umgekehrt. Die Anbindung der mobilen Datenerfassung an einen übergeordneten Rechner kann sowohl on-line als auch offline erfolgen. 277 Insbesondere die mobile off-line Datenerfassung findet bei der Inventur Anwendung.

bb) Die Datenübertragung Im Anschluß an die Datenerfasssung ergibt sich die Notwendigkeit, die Daten zur Weiterverarbeitung an zentrale Recheneinheiten zu übermitteln. Die verschiedenen Formen der Datenübermittlung setzen an den benutzten Übertragungsmedien an. So kann zwischen leitungsgebundener und leitungsungebundener Datenübertragung unterschieden werden. 278 Die leitungsgebundene Form der Datenübertragung eignet sich nur bei der stationären Datenerfassung, da sonst Schleif- oder Schleppleitungen gelegt werden müßten. Die Entscheidung über die Ausgestaltung der Übertragungstechnik als elektrische oder optische Übertragung ist abhängig von der zu erwartenden Datenübertragungsmenge pro Zeiteinheit. 275 276 277

278

Vgl. Link, S. 317 ff. Vgl. hierzu Jünemann et al., S. 504 ff. und Krieg, S. 379 f. Vgl. Jünemann et al., S. 511 f.

Zur technischen Ausgestaltung der Datenübertragungstechniken vgl. Jünemann et al., S. 514 ff.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

199

Leitungsungebundene Datenübertragungstechnologien lassen sich als elektromagnetische wie Funkverkehr oder optische, wie beispielsweise Infrarotlicht, Übertragungstechniken in einem Industriebetrieb einsetzen. Während die Datenübertragung mittels Infrarotlicht einen Sichtkontakt zwischen Sender und Empfänger notwendig macht, ist dies bei Funkanlagen nicht der Fall. Einsatzmöglichkeiten von optischen Datenübertragungstechnologien bestehen im Bereich der Materialwirtschaft darin, eine mobile Datenerfassung beim Materialeingang, beispielsweise auf manuell verschiebbaren Wagen, im Lagerwesen zur Steuerung der Regalbedienfahrzeuge und im innerbetrieblichen Transportwesen zur Steuerung der Transportmittel einzurichten. 279 Einen Schwerpunkt der Anwendung von Infrarotübertragungstechnologien bildet das Kommissionieren, bei dem durch den Einsatz dieser Datenübertragungstechnologie und einem Terminal der Kommissioniervorgang zum einen ohne das Erstellen von Belegen gehandhabt wird und zum anderen die Versorgung der Kommissionierzone mit Materialien aufgrund der vereinfachten Steuerung der Transportmittel in kürzerer Zeit als bei einer Ausgestaltung der Kommissionierung mit herkömmlichen Techniken, die zum Beispiel auf das Erstellen von Belegen zurückgreifen müssen, erfolgt. Der Kommissionierer gibt lediglich das gewünschte Material in das Terminal ein. Der zentrale Lagerverwaltungsrechner beauftragt daraufhin ein für diesen Transport im Hinblick auf Tragfähigkeit, Transportzeit und Verfügbarkeit geeignetes Transportmittel. Die gesamte Datenübertragung findet hierbei mittels Infrarot statt. 280 Die Einrichtung von Datenübermittlungsanlagen hat für einen Industriebetrieb auch dahingehend Auswirkungen, daß er hierdurch zu einem Betreiber von Fernmeldeanlagen im Sinne des § 1 FAG wird. 281 Es besteht nach § 2 FAG für die deutsche Bundespost als Träger des Fernmeldemonopols die Möglichkeit, das Recht, Fernmeldeanlagen zu betreiben, an Private zu vergeben, wobei sich der private Charakter darin äußert, daß solche Fernmeldeanlagen nicht zum öffentlichen Fernmeldenetz der Deutschen BunΛΟΛ

despost gehören. Ohne die Ausnahmeregelung des § 2 FAG in Anspruch zu nehmen, lassen sich gemäß § 3 FAG Fernmeldeanlagen innerhalb des Betriebsgrundstückes oder zwischen Teilen davon, die nicht mehr als 25 Ki279

S. 135. 280

Vgl. Bode, W. et al., Logistikoptimierung mit Infrarotdatenübertragung, Köln 1989,

Zum Einsatz von Infrarotdatenübertragungstechnologien vgl. Bode et al., S. 90 ff. "Das Recht, Fernmeldeanlagen ... für die Vermittlung von Nachrichten, Fernsprechanlagen und Funkanlagen zu errichten und zu betreiben, steht ausschließlich dem Bund zu." § 1 Gesetz über Fernmeldeanlagen in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. März 1977, in: BGBl. I, S. 459 ff., künftig zitiert als FAG. 281

282

Vgl. § 2 FAG sowie § 43 Fernmeldeordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Mai 1981, in: BGBl. I, S. 541 ff.

200

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

lometer Luftlinie voneinander entfernt sind, betreiben. gelung sind Funkanlagen ausgenommen.284

Von dieser Re-

Für die Einrichtung von Datenübermittlungsanlagen hat die rechtliche Seite dahingehend Bedeutung, daß zum einen leitungsgebundene Datenübertragungstechnologien nicht durch die Deutsche Bundespost genehmigungspflichtig sind und daß zum anderen die leitungsungebundenen Datenübermittlungstechnologien mittels elektromagnetischer Übertragungstechnik ebenfalls genehmigungspflichtig sind. 285 Die Datenübertragung mittels Geräten, die auf Infrarotbasis arbeiten, ist ebenfalls genehmigungspflichtig, da es sich bei Infrarotanlagen um Fernmeldeanlagen im Sinne des Fernmeldeanlagengesetzes handelt. 286 Bei der Einrichtung von Datenübertragungstechnologien stellt ihre Reichweite ein Einsatzkriterium dar. Geräte auf Infrarotbasis haben mit ca. 40 - 100 Metern die geringste Reichweite. Die Reichweite von leitungsgebundenen Technologien richtet sich allein nach den verlegten Leitungen. Beim Datenfunk beträgt die Reichweite im Innenbereich 500 Meter und kann im Außenbereich bis auf 10 Kilometer ausgedehnt werden. Die Unabhängigkeit der leitungsungebundenen Technologien gegenüber einer Veränderung der Datenübertragungstransportaufgabe macht die leitungsungebundenen Technologien in bezug auf die Transportstrecke flexibler. In bezug auf die Übertragungsmengen pro Zeiteinheit haben die elektromagnetischen Technologien einen eindeutigen Nachteil. Nur die Infrarottechnologien erreichen annähernd die Datenmengen, die durch leitungsgebundene Technologien in einem bestimmten Zeitraum übermittelt werden kön287

nen. Die Datenübertragungstechnologien werden neben der Steuerung von Regalbediengeräten dazu eingesetzt, die Informationsübertragung zu den Unstetigförderern zu verbessern. Die Informationsübertragung zwischen der Lager- und Transportverwaltung und dem Personal der Unstetigförderer wie Stapler oder Hubwagen erfolgt im herkömmlichen Sinn akustisch 283 284

285

Vgl. §3 Abs. 1 Punkt 3 FAG. Vgl. § 3 Abs. 1 Punkt 3b FAG.

Die Genehmigung hierzu erteilt das fernmeldetechnische Zentralamt in Darmstadt. Vgl. hierzu Monopolkommission'. Die Rolle der Deutschen Bundespost im Fernmeldewesen, Baden-Baden 1981, S. 47 ff. 286 Dies ergibt sich analog aus den Bestimmungen bezüglich Infrarotanlagen in der Unterhaltungselektronik, wie beispielsweise Fernbedienungen. Vgl. zur allgemeinen Genehmigungspflicht von Infrarotanlagen die Verfügung Nr. 28 in: Amtsblatt des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation, hrsg. von: Der Bundesminister für Post und Telekommunikation, 2 8 7Nr. 4 vom 19. Februar 1992, S. 78 f. Vgl. Bode et al., S. 5.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

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oder beim Anfahren bestimmter Sammelpunkte. Durch die Datenübertragungstechnologien kann dies in der Weise rationeller gestaltet werden, daß durch die Einrichtung eines lokalen Netzwerkes, sei es auf Datenfunk- oder Infrarotbasis, die Unstetigförderer ohne Unterbrechung erreichbar sind. Die permanente Erreichbarkeit des Unstetigförderers kann dahingehend genutzt werden, den Einsatz der Unstetigförderer zu automatisieren. Hierbei lassen sich als Transportmittel automatische Stapler wie beispielsweise Kommissionierstapler, automatische Flurförderzeuge und mobile Roboter anführen. Die Steuerung der automatischen Transportmittel kann sowohl leitungsgebunden als auch leitungsungebunden organisiert werden. Die leitungsgebundenen Flurförderzeuge werden dabei mittels Induktionsschleifen gesteuert. Einige der automatischen Transportmittel wie die automatischen Flurförderzeuge oder die mobilen Roboter verfügen zusätzlich noch über eigene Be- und Entladeeinrichtungen, so daß sie neben der Transportfunktion noch eine Umschlagfunktion erfüllen. Zusammenfassend haben die Entwicklungen des technologischen Umsystems für die Materialwirtschaft dahingehend Bedeutung, daß es gelingt, die materialwirtschaftlichen Aufgaben wie Transportieren, Lagern, Kommissionieren oder Umschlagen in Zusammenarbeit mit der Lager- und Transportverwaltung rationeller zu gestalten.288 Die rationellere Gestaltung bezieht sich in ihrer Gesamtheit darauf, daß materialwirtschaftliche Vorgänge wie Transportieren, Lagern oder Kommissionieren gezielt gesteuert werden können. Da die Materialwirtschaft eine Dienstleistungsfunktion gegenüber der Fertigung zu erfüllen hat, erfolgt zum einen der Informationsaustausch zwischen der Materialwirtschaft und der Fertigung auf schnellerem Wege, und zum anderen werden die einzelnen materialwirtschaftlichen Teilbereiche untereinander informatorisch verbunden. Neben der verbesserten Informationshandhabung dient der Einsatz von Technologien in der Materialwirtschaft auch dazu, den Menschen von bestimmten Tätigkeiten zu entlasten. In diesem Sinne kann der Einsatz von Kommissioniertechnologien angeführt werden, die die manuelle Kommissionierung zum Beispiel als Transport- oder Lagerhilfsmittel unterstützen.

3. Das rechtlich-politische Umsystem der Materialwirtschaft

Die Betrachtung des rechtlich-politischen Umsystems hat zum Inhalt, die Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns aufgrund des Einflusses 288

Zu Anwendungsbeispielen in der betrieblichen Praxis vgl. Heiner, H.: Kommunikationstechniken sorgen für flexible Logistik - Fallbeispiele zu innerbetrieblichen Transportproblemen, in: Blick durch die Wirtschaft, 26. Jg., Nr. 165 vom 29. August 1983, S. 3.

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

202

von staatlichen oder institutionellen Regelungen zu verdeutlichen. Analog den Ausführungen zum ökonomischen Umsystem ist der geographische Raum der begrenzende Faktor der unternehmerischen Tätigkeit. Die Abgrenzung des geographischen Raumes hat dahingehend Bedeutung, daß in Abhängigkeit von der Ausrichtung der Geschäftstätigkeit - national oder international - sich die zu berücksichtigenden Gesetze und Verordnungen nach den betroffenen Regionen richten. Neben allgemeinen Regelwerken wie den Wettbewerbsvorschriften, dem Arbeits- und Sozialrecht oder Umweltschutzgesetzen finden auch als punktuell zu bezeichnende Regelungen, wie zum Beispel für den Umgang mit besonders giftigen oder gefährlichen Materialien, 2 9 Beachtung.29 Als Träger der rechtlich-politischen Komponente kommen neben den Gesetzgebungsorganen des Bundes und der Länder auch Handwerkskammern, Bundesverbände, technische Überwachungsvereine oder Berufsgenossenschaften in Betracht. Neben diesen nationalen Aspekten beeinflußt das rechtlich-politische Umsystem in anderen Staaten ebenfalls die betriebliche Materialwirtschaft. In diesem Sinne lassen sich beispielsweise nationale Wertschöpfungsvorbehalte oder Exportgesetze anführen. In seiner Gesamtheit wirkt das rechtlich-politische Umsystem auf die Unternehmung handlungsbedingend, -beschränkend oder -empfehlend. 291 Im folgenden werden die Elemente des rechtlich-politischen Umsystems zunächst für die Materialbeschaffung und anschließend für das innerbetriebliche Transport- und Lagerwesen erörtert.

a) Das rechtlich-politische

Umsystem des Beschaffungswesens

Der Einfluß von Informations- und Kommunikationstechnologien sowie die Entwicklungen auf dem Verkehrssektor in den Dimensionen Verkehrsinfrastruktur und Verkehrträger lassen es sinnvoll erscheinen, neben nationalen Lieferanten zunehmend auch Zulieferer im Ausland in die Beschaf289

Vgl. hierzu §§ 14 ff. Verordnung über gefährliche Stoffe (Gefahrstoffverordnung GefStoffV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. September 1991, in: BGBl. I, S. 1470 mit allen 2 9 0 späteren Änderungen, künftig zitiert als GefStoffV. Vgl. Pfeiffer, W. /Randolph, R.: Einflußgrößen und Entscheidungsrechnungen für die Einsatzplanung von Handlinggeräten - ihre theoretische Untersuchung und empirische Erhebung zur Bildung von Indikatoren für den Marktzyklusverlauf von Technologien der Werkstückhandhabung, hrsg. vom Betriebswirtschaftlichen Institut der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Arbeitspapiere, Heft 36. Erlangen-Nürnberg 1977, S. 150 ff. 291 Vgl. Schienstock, G.: Organisation innovativer Rollenkomplexe, Diss., Meisenheim am Glan 1975, S. 79 f.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

203

fungsentscheidungen miteinzubeziehen. Zulieferbeziehungen liegen dann vor, wenn ein Unternehmen Teile seines Produktionsprogrammes oder Produktionsprozesses durch andere Unternehmen ausführen läßt. 292 Diese Ausgliederung insbesondere in vertikaler Hinsicht führt auf internationaler Ebene dazu, daß für die Beschaffung von Rohstoffen und Fertigstoffen ausländische Zulieferer herangezogen werden. Die Beschaffung von Rohstoffen wird in der Regel durch Einschaltung von Handelshäusern oder Rohstoffbörsen gehandhabt. Eine direkte Vertragsbeziehung zwischen Unternehmen und Rohstoffproduzent liegt somit nicht vor. Im folgenden wird von einer Unternehmensstruktur ausgegangen, bei der sich die Fertigungstätten im Inland befinden und die Beschaffung unter Berücksichtigung ausländischer Zulieferer erfolgt. Die Materialbeschaffung und die Leistungserstellung sollen hierbei nicht im Rahmen der Lohnveredelung293 stattfinden, bei der sich die Materialien im Besitz eines Gebietsfremden befinden. Es wird im folgenden unterstellt, daß das Eigentum an den Materialien auf das inländische Unternehmen übergeht und die Leistungserstellung unter dem Aspekt des unternehmerischen Risikos erfolgt. Abbildung 18 gibt einen Überblick bezüglich der rechtlich-politischen Rahmenbedingungen des Beschaffungswesens, die im folgenden auf ihre Bedeutung für das Beschaffungswesen untersucht werden:

292

Vgl. ähnlich Halbach , Α.: Zulieferindustrien, internationale, in: Handwörterbuch Export und Internationale Unternehmung, hrsg. von K. Macharzina und M.K. Welge, Stuttgart 1989, Sp. 2353. 293 Vgl. hierzu § 15 Satz 1 AWG sowie §§ 33 - 33b Verordnung zur Durchführung des Außenwirtschaftsgesetzes (Außenwirtschaftsverordnung - AWV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. August 1961, in: BGBl. I, S. 1381 mit allen späteren Änderungen, künftig zitiert als AWV.

204

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft Elemente des rechtlich-politischen Umsystems: auf nationaler Ebene Individualvertrag HGB BGB Außenwirtschaftsrecht Produkthaftungsgesetz auf internationaler Ebene vertragliche Einbeziehung nationaler Regelungen Internationales Privatrecht Haager Kaufrechtübereinkommen United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL) ECE-Lieferbedingungen Handelsbräuche Incoterms American Foreign Trade Definitions (AFTD) Trade Terms Platzusancen Abb. 18. Die Elemente des rechtlich-politischen Umsystems der Materialbeschaffung

aa) Das Außenwirtschaftsrecht als Rahmenbedingung einer internationalen Beschaffung Das Außenwirtschaftsrecht regelt den Wirtschaftverkehr der Bundesrepublik mit dem Ausland. Der Terminus Außenwirtschaftsrecht soll als Sammelbegriff für die Vorschriften im Bereich des Außenwirtschaftsverkehrs verstanden werden, wobei dem Außenwirtschaftsgesetz hierbei die größte Bedeutung zukommt. Andere Teile sind die Außenwirtschaftsverordnung, die Zuständigkeitsverordnung sowie als Hilfsmittel die Runderlasse Außenwirtschaft des Bundesministers für Wirtschaft, die Mitteilungen der Deutschen Bundesbank und die Rechtsprechung.294 Neben den nationalen Regelwerken finden im Bereich des Außenwirtschaftsrechts auch Regelungen im Bereich der Europäischen Gemeinschaften und die Übereinkommen auf 70S

bi- oder multilateraler Ebene Beachtung. Das Außenwirtschaftsgesetz der Bundesrepublik Deutschland regelt gemäß § 1 Absatz 1 AWG den Waren-, Dienstleistungs-, Kapital-, Zahlungs294

Vgl. Schulz, H.F., in: Außenwirtschaftsrecht - Kommentar, hrsg. von H.F. Schulz, 1. Lieferung, Köln u.a. 1965, Erster Teil: Einführung, Rdn. 32 und Putzier, E.: Die Ermächtigungen 2des 9 5 Außenwirtschaftsgesetzes, Diss., Stuttgart 1987, S. 5. Vgl. Putzier, S. 5. Streng genommen lassen sich im Sinne des § 1 Absatz 2 AWG auch die Vereinbarungen auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaften als zwischenstaatliche Abkommen bezeichnen. Die Unterscheidung in die beiden Ausprägungsformen (EG-Ebene und international) wird im Interesse einer besseren Abgrenzung beibehalten.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

205

und sonstigen Wirtschaftsverkehr mit fremden Wirtschaftsgebieten sowie den Verkehr mit Auslandswerten und Gold zwischen Gebietsansässigen. Die Bedeutung des Außenwirtschaftsgesetzes liegt darin, den internationalen Handelspartnern ein Regelwerk bereitzustellen, das die Funktionsfähigkeit des internationalen Handels dadurch fördert, daß es ihn auf eine gesetzliche Basis stellt. 296 Neben den allgemeinen Vorschriften, die auf alle Gebiete des Außenwirtschaftsrechtes angewendet werden (§§ 5 -7 AWG), beziehen sich die weiteren Regelungen auf die einzelnen Teilbereiche des Außenwirtschaftsverkehrs wie den Warenverkehr (§§ 8 - 14 AWG), den Dienstleistungsverkehr (§§ 15 - 22 AWG), den Kapitalverkehr (§§ 22, 23 AWG) und den Verkehr mit Gold (§ 24 AWG). Die genaue Regelung für bestimmte Objekte des Wirtschaftsverkehrs findet sich in den Einfuhr- und Ausfuhrbestimmun997

gen. Weitere Bestandteile des Außenwirtschaftsrechtes sind unter anderem die Verfahrens- und Meldebestimmungen (§ 26 AWG) oder die Strafund Bußgeldvorschriften (§§ 33 - 46 AWG). Während die Einfuhrbestimmungen von wirtschaftspolitischen Erwägungen wie dem Schutz der heimischen Industrie getragen werden, dominiert bei den Ausfuhrbestimmungen die sicherheitspolitische Komponente.298 Für die Materialbeschaffung sind die im Außenwirtschaftsrecht kodifizierten Einfuhrbestimmungen bedeutsam. Gemäß § 10 Absatz 1 AWG ist die Einfuhr von Waren und damit auch von Materialien grundsätzlich frei. Beschränkungen ergeben sich "nach Maßgabe der Einfuhrliste," 299 die im Bundesanzeiger veröffentlicht wird. Hierbei wird für jede Ware angegeben, ob und inwieweit die Einfuhr dieser Ware einer Genehmigung bedarf. Die Einfuhrgenehmigungen erteilt das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft, bei Agrarerzeugnissen ist das Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft zuständig.30 Die Genehmigungsfreiheit oder -pflicht ergibt sich aus der Verbindung von Warenliste, Länderlisten und den Anwendungsvorschriften. Somit ist aus der Einfuhrliste ersichtlich, ob die Einfuhr von Waren aus den einzelnen Ländern genehmigungsbedürftig ist. 296

Vgl. von Fürstenwerth, Diss., Köln u.a. 1985, S. 7.

F.: Ermessungsentscheidungen im Außenwirtschaftsrecht,

297

Vgl. Deutsche Bank AG (Hrsg.): Außenwirtschafts-Alphabet, Frankfurt am Main 1986, 298S. 51 ff. Vgl. Sandrock, O.: Außenwirtschaftsrecht, in: Handwörterbuch Export und Internationale 2 9 9 Unternehmung, hrsg. von K. Macharzina und M.K. Welge, Stuttgart 1989, Sp. 159. § 19 Absatz 1 Satz 1 AWG. 300 Vgl. §10 Absatz 1 AWG. 301 Zu den Einfuhrbestimmungen vgl. Deutsche Bank AG (Hrsg.), S. 113 ff. 302 Vgl. Deutsche Bank AG (Hrsg.), S. 117 und S. 361 ff.

206

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Für die Materialwirtschaft stellt die Einfuhrliste insofern ein Problem dar, als daß ihre Änderungen im Zuge von Rechtsverordnungen gemäß § 10 Absatz 2 AWG überaus zahlreich sind und somit eine längerfristige Beschaffungsplanung erschwert wird. Eine Möglichkeit, um über Ungewißheiten in bezug auf die Notwendigkeit einer Genehmigung für die Einfuhr bestimmter Materialien hinwegzuhelfen, besteht darin, von den zuständigen Behörden eine Bescheinigung einzuholen, daß die Einfuhr des Materials nicht genehmigungspflichtig ist. Diese Bestätigung stellt zwar keine rechtsverbindliche Regelung dar, kann aber bei der Einfuhrabfertigung gemäß § 28 AWV für die Zollstelle maßgeblich sein. 303 Die Einfuhrliste stellt ein unhandliches Instrumentarium dar, da sie nicht zweckmäßiger in Form einer Negativliste aufgebaut ist, sondern sie umfaßt alle Postiionen des Warenverzeichnisses für die Außenhandelsstatistik. Hierdurch wird jeder mögliche Einfuhrvorgang erfaßt. Damit ist bei einem Vergleich verschiedener Einfuhrlisten ersichtlich, welche Waren zu welchem Zeitpunkt oder in welchem Zeitraum genehmigungspflichtig oder genehmigungsfrei sind. 304 Die Einfuhrliste erfährt gemäß § 10 AWG ihre Bedeutung dadurch, nationale Wirtschaftszweige zu schützen, oder sie wird aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und gesundheitspolitischen Erwägungen als Instrument zur Regelung der Einfuhren benutzt. Der Abschluß von Einfuhrverträgen zwischen einem inländischen Unternehmen und einem gebietsfremden Anbieter von Materialien ist ohne Vorliegen einer deutschen Einfuhrgenehmigung unwirksam. Um Schadensersatzforderungen des gebietsfremden Anbieters vorzubeugen, empfiehlt es sich, den Liefervertrag mit dem Zusatz "unter Vorbehalt der Genehmigung" abzuschließen.305 Neben den nationalen Regelungen im Außenwirtschaftsgesetz sind in bezug auf die Einfuhr von Materialien auch die Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaften zu beachten. Bedeutung für den Bereich der Außenwirtschaft hat beispielsweise Art. 30 EWGV, 6 der die mengenmäßig unbeschränkte Einfuhr von Gütern regelt. 307 Die internationale Ausrichtung 303

304

Vgl. Grämlich, L.: Außenwirtschaftsrecht - Ein Grundriß, Köln u.a. 1991, S. 132 f.

Vgl. Hornung, E.: Die Zulässigkeit von Einfuhrbeschränkungen nach dem Außenwirtschaftsgesetz und ihre Vereinbarkeit mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht, Diss., Augsburg31982, S. 96 f. Vgl. Krempl , Α.: Importbestimmungen und -verfahren, in: Handwörterbuch Export und Internationale Unternehmung, hrsg. von K. Macharzina und M.K. Welge, Stuttgart 1989, Sp. 821 f. 306 Vgl. Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. März 1957, in: BGBl. II, S. 766 mit allen späteren Änderungen, künftig zitiert als EWGV. Vgl. hierzu Vedder, Ch.: Art. 113, in: Kommentar zum EWG-Vertrag, hrsg. von E. Grabitz, 2. Ergänzungslieferung November 1988, München 1984, Rdn. 106 ff.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

207

des Außenwirtschaftsrechts schlägt sich auch in bi- oder multilateralen Regelwerken nieder. Hierzu zählen beispielsweise das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) oder das Abkommen über den Internationalen Währungsfonds (IWF). Beschränkungen, die das Außenwirtschaftsrecht auf europäischer Ebene den Unternehmen auferlegt, bestehen zum Beispiel in der Beachtung von mengenmäßigen Kontingenten für bestimmte Länder und Materialien, um europäischen Unternehmen einen Schutz zu gewähren. 309 Das Außenwirtschaftsrecht stellt einen Teilbereich der von der Bundesrepublik betriebenen Außenwirtschaftspolitik dar, die die politische Ausgestaltung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen umfaßt. Hierzu zählen handelspolitische (tarifäre und nicht-tarifäre Handelshemmnisse, Handelsabkommen, Kooperations- und Doppelbesteuerungsabkommen), währungspolitische (Auf- und Abwertung von Währungen sowie Kapitalverkehrsregelungen) Maßnahmen, Aktivitäten in internationalen Wirtschaftsorganisationen und die Gewährung von Entwicklungshilfen. 310 Die Materialwirtschaft ist insofern von den angeführten Regelwerken betroffen, daß sie den Rahmen vorgeben, in dem sich die Beschaffungsmaßnahmen eines Betriebes entfalten. Die Außenwirtschaftspolitik kann beispielsweise durch währungspolitische Maßnahmen die wertmäßige Seite der Materialbeschaffung betreffen, in dem sich durch Auf- oder Abwertungen von Währungen der Preis für die Materialien ändert. 311 Die Entwicklungspolitik fördert zum Beispiel die industrielle Entwicklung in Entwicklungsoder Schwellenländern, so daß diese in Zukunft als Zulieferer zur Verfügung stehen. Auch kann durch gezielte entwicklungspolitische Maßnahmen, wie beispielsweise Explorationszuschüsse, die Rohstoffgewinnung in den betreffenden Ländern durch die Unternehmen angeregt werden. Die Beschaffung von nicht-liberalisierten Beschaffungsobjekten richtet sich nach den zugewiesenen Kontingenten des Bundesamtes für gewerbliche Wirtschaft oder des Bundesamtes für Ernährung und Forstwirtschaft. Die Vergabe der Kontingente ist abhängig vom Eingang der Anträge und wird 308

309

Vgl. Putzier, S. 6.

Zu den Verordnungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaften und mit Drittländern v^l. Sandrock, Außenwirtschaftsrecht, Sp. 163 ff. Vgl. Harbrecht, W.: Außenwirtschaftspolitik, in: Handwörterbuch Export und Internationale Unternehmung, hrsg. von K. Macharzina und M.K. Welge, Stuttgart 1989, Sp. 134. 311 Zur Absicherung bei Währungsrisiken im Importgeschäft vgl. Becker, W.: Besonderheiten der Kalkulation von Außenhandelsaufträgen, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 61. Jg. 1991, S. 1257 f.

208

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

im Rahmen eines Quotenverfahrens gehandhabt. Eine freie Auswahl des Lieferanten ist somit nicht gegeben. Für die Materialwirtschaft ergibt sich auch die Aufgabe, Kontakte zu den betreffenden Stellen zu pflegen und auszubauen, um über Änderungen im Bereich der Einfuhrliste informiert zu

Für den Bereich der Materialeinfuhr existieren keine gesetzlichen Vorschriften, die ausländische Exporteure für ihre Materialien an bestimmte Einfuhrkanäle binden. 313 Die Einfuhr der Materialien kann grundsätzlich auf zwei Arten erfolgen, wobei weitere Unterformen denkbar sind. 314 Bei der direkten Einfuhr tritt das Unternehmen an die ausländischen Anbieter heran und bezieht die Materialien auf diesem Wege von den Herstellern. Solche Direktimporte werden von Industrie- und Handelsunternehmen sowie von Einkaufsgemeinschaften des Handels getätigt. Die indirekte Einfuhr ist dadurch gekennzeichnet, daß ein Importhändler 315 die Materialien im Ausland einkauft und sie für eigene Rechnung im Inland weiterveräußert. In bezug auf das abnehmende Unternehmen und den Importhändler handelt es sich um ein Geschäft zwischen Inländern. Der Vorteil der Einschaltung von Importhändlern liegt darin, daß sich das abnehmende Unternehmen nicht um die Einfuhrabwicklung, beispielsweise der Zollangelegenheiten oder der Einholung der Einfuhrgenehmigung zu kümmern braucht. 1 6 Während das Außenwirtschaftsrecht als "ein handelspolitisches Grundgesetz"317 auf nationaler Ebene zu kennzeichnen ist, regelt im internationalen Wirtschaftsverkehr das internationale Privatrecht die Frage, welches na-310

.

tionale Recht anzuwenden ist. Neben der Regelungen des internationalen Privatrechtes sind für eine internationale Ausrichtung des Beschaffungswe312

S. 104. Vgl. Fröhlich/Stankiewicz, Vgl. Bundesstelle für Außenhandelsinformation (Hrsg.): Exportieren in die Bundesrepublik Deutschland - Hinweise für ausländische Exporteure, 4. Aufl., Köln 1982, S. 12. 314 Zu den einzelnen Ausprägungsformen vgl. Bundesstelle für Außenhandelsinformationen 3(Hrsg.), S. 12 ff. Eine Auflistung einzelner Importeure getrennt nach Warengruppen findet sich bei Handelskammer Hamburg (Hrsg.): Verbandsverzeichnis, Hamburg 1992, S. 4 ff. 316 Vgl. Krempl, Sp. 825 f. Zu den Formen der internationalen Beschaffung vgl. Pfohl, H.Ch./Large, R.: Einflußfaktor Logistik, in: Beschaffung aktuell, Heft 6,1991, S. 23. 317 Fikentscher, W.: Wirtschaftsrecht, Band II, Deutsches Wirtschaftsrecht, München 1983, S. 450. 313

318

Die deutsche Fassung des internationalen Privatrechtes findet sich im Rahmen des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. August 1896, in: RGBl. I, S. 604 mit allen späteren Änderungen. Das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechtes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Juli 1986, in: BGBl. I, S. 1142 umfaßt die Artikel 3 - 38 EGBGB..

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

sens noch internationale Gerichtsstandsvereinbarungen le Schiedsgerichtsvereinbarungen von Bedeutung.32

209

und internationa-

Im folgenden soll dargelegt werden, wie im Bereich der Beschaffung die Lieferungs- und Zahlungsbedingungen ausgestaltet werden können. Bei der Darstellung der Lieferungs- und Zahlungsbedingungen wird auch darauf Bezug genommen, ob und inwieweit ausländische Zulieferer in die betrieblichen Überlegungen einbezogen werden.

bb) Die Bedeutung von Regelwerken für die Ausgestaltung der Lieferungsbedingungen Die Festlegung der Lieferungs- und Zahlungsbedingungen erfolgt im Hinblick auf Sachverhalte wie Lieferpflicht, Lieferfristen, Gefahrenübergang, Eigentumsvorbehalt, Haftung für Mängel der Lieferung, Schadensersatzansprüche, Rücktrittsrechte, Gerichtsstand sowie Preisfestsetzung und Ausgestaltung der Zahlungskonditionen.321 Die Ausgestaltung der Lieferungsbedingungen als Bestandteil des Liefervertrages richtet sich zum einen nach nationalen rechtlichen Gesichtspunkten, die die Vertragsgestaltung beeinflussen, und internationalen Rechtsordnungen. Zum anderen haben sich zum Teil aufgrund fehlender gesetzlicher Regelungen Handelsbräuche herausgebildet, die diese Lücken schließen.

a^ Nationale Regelwerke Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet der Vertrag "als das zentrale rechtliche Institut der Marktwirtschaft." 322 In bezug auf die Vertragsausgestaltung herrscht Vertragsfreiheit, sofern der Vertrag nicht gegen ge319

Vgl. Jung, H./Sandrock, O.: Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, in: Handbuch der Internationalen Vertragsgestaltung - Ein Leitfaden für den Abschluß von Verträgen im internationalen Wirtschaftsverkehr, hrsg. von O. Sandrock, Band 1, Heidelberg 1980, S. 757 320 ff. sowie 1021 ff. Vgl. Kornmeier, \J./Sandrock, O.: Internationale Schiedsgerichtsvereinbarungen, in: Handbuch der Internationalen Vertragsgestaltung - Ein Leitfaden für den Abschluß von Verträgen im internationalen Wirtschaftsverkehr, hrsg. von O. Sandrock, Band 2, Heidelberg 1980, S. 885 ff. sowie 1049 ff. 321 Vgl. Marschner, H.: Lieferungs- und Zahlungsbedingungen, in: Handwörterbuch Export und Internationale Unternehmung, hrsg. von K. Macharzina und M.K. Welge, Stuttgart 1989, 322Sp. 1312. Braga , S.: Geschäftsbedingungen, Allgemeine, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. von E. Grochla und W. Wittmann, 4., völlig neu gestaltete Aufl., Stuttgart 1979, Sp. 1633. 14 Brecht

210

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

setzliche Verbote gemäß § 134 BGB und die guten Sitten (§ 138 BGB) verstößt. Der Individualvertrag wird ergänzt durch das dispositive Recht, wie es im BGB oder HGB zu finden ist, um eventuelle Lücken im Individualvertrag zu schließen. Dieses dispositive Recht findet somit dann Beachtung, wenn nichts anderes im Individualvertrag vereinbart wurde. Im nationalen Rahmen, bei dem beide Vertragspartner Inländer sind, richten sich die Lieferungs- und Zahlungsbedingungen nach dem Individualvertrag und den sogenannten Allgemeinen Geschäftsbedingungen sowie Regelungen, die auf dem HGB, dem BGB oder anderen Gesetzen, wie zum Beispiel dem Produkthaftungsgesetz, beruhen. Allgemeine Geschäftsbedingungen entstehen dadurch, daß bestimmte vorformulierte, verbreitete und einheitliche Regelungen allen Geschäftsabschlüssen eines Unternehmens oder einer Branche zugrundegelegt werden, wobei die Einbeziehung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in einen Vertrag im AGB-Gesetz geregelt ist. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Unternehmens oder einer Branche werden rechtlich dann wirksam, wenn sie im Vertrag anerkannt (Unterwerfungsvertrag) und die Voraussetzungen des § 2 AGBG gegeben sind. 323 Als Bestandteile der Allgemeinen Geschäftsbedingungen lassen sich beispielsweise Übereinkünfte bezüglich der Sachmängelhaftung, des Eigentumvorbehaltes oder der Festlegung des Gerichtsstandes anführen. Im Rahmen der Lieferbedingungen erfolgt zwischen Lieferant und Abnehmer eine Absprache über die Verpackung der zu liefernden Materialien, deren Aufmachung oder auch des Liefertermins. Während die Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf breiter und allgemeiner Ebene eine Rahmenbedingung für den Liefervertrag bilden, werden in den Lieferungsbedingungen Abmachungen getroffen, die sich speziell auf das Objekt des Vertrages beziehen. Der Unterschied zwischen Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Lieferungsbedingungen zeigt sich auch darin, daß erstere den Charakter von vereinheitlichten und vorformulierten Bestimmungen haben. Ihre Bedeutung für das materialwirtschaftliche Beschaffungswesen erlangen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen und die Lieferungsbedingungen dadurch, daß sie den Hintergrund bilden, vor dem die Materialprüfung im Rahmen der Wareneingangskontrolle stattfindet. Gemäß den §§ 377 Absatz 1, 378 (Falschlieferung) HGB hat der Käufer einer Ware diese unverzüglich nach der Ablieferung durch den Verkäufer zu untersuchen und eventuelle Mängel dem Verkäufer unverzüglich anzuzeigen. Geschieht dies nicht, gilt die Ware gemäß § 377 Absatz 2 HGB als genehmigt. Der Zweck einer Materialprüfung besteht rechtlich darin, im Falle von festgestellten 323

Vgl. Braga, Sp. 1633.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

211

Materialmängeln den Kaufvertrag rückgängig zu machen (Wandlung), den Kaufpreis herabzusetzen (Minderung) oder im Falle des Gattungskaufes eine Ersatzlieferung zu fordern. Behält sich der Abnehmer vor, die eingehenden Materialien nicht unverzüglich zu untersuchen und wird dies ohne Bezug auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Rahmen eines Individualvertrages geregelt, bestehen dagegen keine rechtlichen Bedenken,324 da diese Regelung weder sittenwidrig im Sinne des § 138 BGB 3 2 5 ist, noch gegen ein gesetzliches Verbot gemäß § 134 BGB 3 2 6 verstößt. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn dem Liefervertrag die Allgemeinen Geschäftsbedingungen zugrundegelegt werden. Ein genereller Abschluß der unverzüglichen Untersuchung der eingehenden Materialien durch den Käufer steht der Auffassung des Gesetzgebers entgegen, möglichst schnell darüber Klarheit zu schaffen, ob ein Rechtsgeschäft ordnungsgemäß vonstatten ging. 327 Diese Auffassung schlägt sich in der Forderung der unverzüglichen Durchführung der Untersuchung und der ebenfalls unverzüglichen Mängelrüge nieder. Hierbei ist zu beachten, daß die Durchführung keiner gesetzlichen Pflicht unterliegt. Der Gesetzgeber trifft in diesem Zusammenhang die Regelung, daß, wenn eine Untersuchung durchgeführt wird, diese unverzüglich zu erfolgen hat. 328 Das Kriterium der "Unverzüglichkeit" wird im Gesetz noch dahingehend bestimmt, daß auf einen "ordnungsmäßigen Geschäftsgang" Bezug genommen wird. Gemäß § 121 Absatz 1 Satz 1 BGB ist "unverzüglich" als "ohne schuldhaftes Verzögern" zu verstehen. Neben der unverzüglichen Untersuchung muß die Anzeige des Mangels gemäß § 377 Absatz 1 HGB ebenfalls unverzüglich erfolgen. Durch die Anbindung der Unverzüglichkeit an einen ordnungsmäßigen Geschäftsgang wird ein Zusammenhang zwischen der Art 324

Vgl. Baumbach, Α.: Handelsgesetzbuch mit Nebengesetzen ohne Seerecht, begründet von A. Baumbach, fortgeführt von K. Duden und K.J. Hopt, 24., überarbeitete Aufl., München3 21980, §§ 377, 378, Anmerkung E, S. 775. 5 Ein Verstoß gegen die guten Sitten kann vorliegen, wenn der Ausschluß der unverzüglichen Untersuchungspflicht und der unverzüglichen Mängelrüge aufgrund eines Diktates des abnehmenden Unternehmens zustande gekommen ist. 326 Ein Verstoß gegen § 134 BGB liegt deswegen nicht vor, da dort Rechtsgeschäfte betrachtet werden, die gegen gesetzliche Verbote verstoßen, während die Forderung der Unverzüglichkeit gemäß § 377 HGB ein Gebot darstellt. Das Gebot in § 377 HGB besteht im Rahmen der Unverzüglichkeit und nicht in bezug auf die Durchführung der Warenuntersuchung oder der Mängelanzeige. 327 Vgl. das Urteil des Achten Senats des Bundesgerichtshofs vom 19. Juni 1991 (VIII ZR 149/90), in: Betriebs-Berater, 46. Jg. 1991, S. 1732 und Der Betrieb, 44. Jg. 1991, S. 2333. 328 Vgl. hierzu Quittnat, J.: Qualitätssicherungsvereinbarungen und Produkthaftung, in: Betriebs-Berater, 44. Jg. 1989, S. 572. 1

212

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

des Rechtsgeschäftes, der Materialart und den in der Branche üblichen Gewohnheiten hergestellt. 329 Da es bisher noch keine höchstrichterliche Entscheidung bezüglich einer einheitlichen Festlegung dieser Zeiträume gibt, kann von 5 - 8 Tagen 330 ab dem Zeitpunkt der Anlieferung ausgegangen werden, innerhalb derer die Anzeige des Mangels beim Verkäufer eingehen sollte. Eine über diesen Zeitraum hinausgehende Regelung kann nicht im Rahmen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen getroffen werden, sondern erfolgt in einem Individualvertrag. Die Durchführung der Materialprüfung im Rahmen des Beschaffungswesens muß nicht unbedingt beim abnehmenden Unternehmen erfolgen, sondern kann auch beim Zulieferer stattfinden, wie zum Beispiel bei sogenannten Just-in-Time-Verträgen. 331 In diesem Falle sind die Voraussetzungen der §§ 377, 378 HGB nicht mehr erfüllt. Da es keine gesetzliche Pflicht zur Untersuchung der Materialien gibt, kann sie auch nicht auf den Zulieferer übertragen werden, um sich auf diesem Wege von Schadensersatzansprüchen Dritter (Kunden des abnehmenden Unternehmens) frei zu halten. Die in das Produkt eingehenden Materialien haben großen Einfluß auf die Qualität der Endprodukte, so daß es sinnvoll ist, Qualitätssicherungsvereinbarungen zwischen Zulieferer und Unternehmen zu treffen. Dies kann entweder als Zusatz zum Liefervertrag oder als generelle Rahmenvereinbarung gehandhabt werden. Der Zulieferer kann somit durch eine umfangreiche Dokumentation nachweisen, daß keine mangelhafte Erfüllung der Qualitätsvereinbarungen stattgefunden hat. Der Sinn einer solchen Dokumentation seitens des Zulieferers ist darin zu sehen, daß den Zulieferer eine Mithaftung für fehlerhafte Endprodukte infolge der Ausdehnung des Herstellerbegriffes gemäß § 4 ProdHaftG 332 trifft. Hersteller im Sinne des § 4 Absatz 1 ProdHaftG sind der Hersteller des Endproduktes und die Hersteller der Grundstoffe und der Teilprodukte. 329

Vgl. Schmid , K.-H.: Keine Freizeichnung von der unverzüglichen Untersuchungs- und Rüge^flicht in AGB, in: Beschaffung aktuell, 1992, Heft 4, S. 16. Zu den Zeiträumen vgl. Schmid , S. 16 f. und Graf von Westphalen, F.: Allgemeine Einkaufsbedingungen, München 1990, S. 5. 331 Vgl. hierzu das Beispiel bei Hartmann, Versorgung, S. 19 f. sowie die grundlegenden Ausführungen bei Grunwald, H.: Vorteilhafte Verträge im Einkauf - Vertragsmuster und Verhandlungsbeispiele für Ein- und Verkäufer, 2., aktualisierte Aufl., Freiburg im Breisgau 1988, S. 63 ff. 332

Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz ProdHaftG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1989, in: BGBl. I, S. 2198, künftig zitiert als ProdHaftG.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

213

Ein Zulieferer haftet somit, wenn das von ihm gelieferte Teil fehlerhaft im Sinne des § 3 ProdHaftG ist. Die Haftung des Zulieferers für fehlerhafte, gelieferte Teile ist nur dann nicht gegeben, wenn er gemäß § 1 Absatz 3 ProdHaftG nachweisen kann, daß der Fehler durch die Konstruktion des Endproduktes oder durch die Anleitungen des Endproduktherstellers hervorgerufen wurde. 334 Der Endprodukthersteller kann sich der Haftung im Falle von fehlerhaften Produkten nicht durch entsprechende Abmachungen mit seinen Lieferanten entziehen (§ 14 ProdHaftG). Die Hersteller im Sinne des ProdHaftG haften gemäß § 5 ProdHaftG gesamtschuldnerisch.335 Vor dem Hintergrund des Produkthaftungsgesetzes wird das Augenmerk des Einkaufes nicht mehr nur auf preisliche Aspekte und Zusagen bezüglich Liefertermin, 336 -bereitschaft oder -flexibilität 3 gerichtet. Die Auswahl von Lieferanten ist vor allem in bezug auf Materialien, die Bedeutung für die Qualität oder die Sicherheit des Endproduktes haben, sehr schwierig, da hierzu eine Einsichtnahme in die Qualitätsfähigkeit des Zulieferers erforderlich ist. Um die Lieferanten hinsichtlich der Materialqualität beurteilen zu können, empfiehlt sich bei neuen Lieferanten eine Besichtigung der Herstellungsprozesse und eine Beurteilung der Qualitätssicherungsmaßnahmen. Eine Einteilung der Lieferanten bezüglich der Qualitätsfähigkeit kann auch durch eine ABC-Analyse geschehen, wobei sich die Bewertung eines Lieferanten als A-, B- oder C-Lieferant nach Qualitätswertzahlen richtet. 338 Kriterien, nach denen Lieferanten beurteilt werden, werden auch von Verbänden wie dem Verband der Automobilindustrie herausgegeben.339

333

Unter einem Teil sind in diesem Zusammenhang Rohstoffe und unfertige Erzeugnisse zu-»Xi verstehen. Vgl. hierzu auch Quittnat, S. 573. 335 Vgl. Quittnat, S. 575. 336 Vgl. Zinkann, R.Ch.: Die Reduzierung von Produkthaftungsrisiken - Eine technischbetriebswirtschaftliche Gestaltungsaufgabe, Diss., Berlin 1989, S. 111. 337 Die Lieferbereitschaft hat zum Inhalt zu verdeutlichen, ob und inwieweit aus einem bestimmten Lieferprogramm einzelne Teile abrufbereit sind. Die Zusicherung einer bestimmten Lieferflexibilität bedeutet, daß die Abnehmer bis zu bestimmten Zeitpunkten Änderungen bezüglich der Bestellung vornehmen können und sich hierdurch keine Lieferverzögerungen ergeben. 338

Vgl. Franke, H.: Qualitätssicherungen bei Zulieferungen, in: Handbuch der Qualitätssicherung, hrsg. von W. Masing, München/Wien 1980, S. 528. f. 339 Vgl. Verband der Automobilindustrie e.V. (Hrsg.): Sicherung der Qualität von Lieferungen in der Automobilindustrie - Lieferantenbewertung, Erstmusterprüfung, Frankfurt am Main 1975, S. 9 ff.

214

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Die Anbindung von Lieferanten an das Unternehmen im Zuge des Produkthaftungsgesetzes wird enger, da Informationen darüber ausgetauscht werden, wie die gelieferten Materialien weiterver- oder -bearbeitet werden. Der Lieferant ist hierbei insofern gefragt, daß er aus seinen Erfahrungen anderen Abnehmern und anderen Einsatzprozessen Informationen, insbesondere auf fertigungstechnischem Gebiet, bereitstellt. Bei einer international ausgerichteten Beschaffung wirft die Überprüfung bezüglich ihrer Qualitätsfähigkeit der Zulieferer Probleme auf, denn hierbei bilden die Transaktionskosten einen begrenzenden Faktor. 340 Im folgenden wird darauf eingegangen, ob und inwieweit internationale Regelwerke den Anforderungen international tätiger Unternehmen im Hinblick auf die Liefervertragsgestaltung gerecht werden.

b ^ Internationale Regelwerke Auf internationaler Ebene bestehen Ansätze, den Kauf von Waren durch weltweit anerkannte Regelwerke auf eine einheitliche gesetzliche Basis zu stellen, um nationale Besonderheiten beim Kaufrecht auszuschalten. Die "allgemeinen Lieferbedingungen für den Export von Maschinen und Anlagen" von 1953, die sogenannten ECE-Lieferbedingungen, beziehen sich 1 auf Maschinen, Anlagen und langlebige Konsumgüter, wobei eine analoge Anwendung auf andere Güter möglich ist. Die ECE-Lieferbedingungen sind weltweit anerkannt und umfassen Regelungen bezüglich des Vertragsabschlusses, der benötigten Pläne und Unterlagen, der Verpackung, der Kontrolle und Abnahmeprüfung sowie Bestimmungen in bezug auf Lieferfristen, Zahlungsbedingungen und Gewährleistungen.342 Die ECE-Lieferbedingungen finden insbesondere im Bereich des Exportes von Maschinen und Anlagen von Industrieländern in Entwicklungsländer Beachtung, so daß für das betriebliche Beschaffungswesen die "Allgemeinen Liefer- und Montagebedingungen für den Import und Export von Maschi340

Zu den Problemkreisen einer weltweiten Abstimmung von Unternehmen und Zulieferern in bezug auf die Qualitätsaspekte bei der Fertigung industrieller Erzeugnisse vgl. Shimizu, T.: Qualitätssicherung, weltweite, in: Handwörterbuch Export und Internationale Unternehmung, hrsg. von K. Macharzina und M.K. Welge, Stuttgart 1989, Sp. 1776 ff. 341 Zu den einzelnen Bestimmungen vgl. Herber, K./Czerwenka, B.: Internationales Kaufrecht - Kommentar zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 11. April 1980 über Verträge über den internationalen Warenkauf, München 1991, S. 582 ff. 342

Vgl. hierzu Marschner, Sp. 1316 f.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

215

nen und Anlagen" sowie die "ECE-Lieferbedingungen für langlebige Konsumgüter" infolge einer analogen Anwendung auf Objekte der Materialwirtschaft in Frage kommen. Die Bedeutung der ECE-Lieferbedingungen für materialwirtschaftliche Sachverhalte ist als relativ gering einzustufen, da die ECE-Lieferbedingungen ihren Schwerpunkt auf Exportfragen haben und hierbei Maschinen und Anlagegüter in den Mittelpunkt stellen,343 so daß Übereinkünfte auf internationaler Ebene getroffen wurden, um Handelsgeschäfte zwischen Wirtschaftssubjekten verschiedener Rechtsordnungen zu erfassen. Eine international ausgerichtete Beschaffung hat dem Umstand Rechnung zu tragen, daß mehrere Rechtsordnungen zu berücksichtigen sind. Anders als bei einem Vertrag, bei dem nur nationales Recht betroffen ist, ergibt sich bei internationalen Verträgen 344 die Frage, welches nationale Recht Anwendung findet. Ein erster Ansatz zur Schaffung eines internationalen Kaufrechts stellt das Haager Kaufrechtübereinkommen von 1964 dar. Im Zuge dieser Übereinkunft ist 1973 für die Bundesrepublik eine nationale Vorschrift geschaffen worden, die die internationale Regelung in geltendes nationales Recht überführen sollte. 345 Aufgrund des relativ geringen Verbreitungsgrades dieses Übereinkommens34^ wurde 1980 das UNCITRAL-Kaufrech? 47 (United National Com343

Vgl. hierzu Sandrock, O./Steinschulte, F.P.: Grundfragen des Internationalen Vertragsrechts: Die kollissionsrechtliche Anknüpfung von Schuldverträgen, in: Handbuch der Internationalen Vertragsgestaltung - Ein Leitfaden für den Abschluß von Verträgen im internationalen 3 4 4 Wirtschaftsverkehr, Band 1, hrsg. von O. Sandrock,, Heidelberg 1980, S. 100. Zu den Erfordernissen des Vorliegens eines "internationalen" Vertrages vgl. Sandrock/Steinschulte, S. 47 ff. sowie Sandrock, O.: Die Bedeutung des Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Privatrechtes für die Unternehmenspraxis, in: Recht der Internationalen Unternehmung, 32. Jg. 1986, S. 846 f. 345 Vgl. hierzu Einheitliches Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Juli 1973, in: BGBl. I, S. 856 sowie als Ergänzung: Einheitliches Gesetz über den Abschluß von internationalen Kaufverträgen über bewegliche Sachen in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Juli 1973, in: BGBl. I, S. 868. 346 Vgl. hierzu auch Padovini, F.: Der internationale Kauf: Von den Haager Konventionen zur Wiener Konvention - Erfahrungen und Aussichten, in: Zeitschrift für Rechtsvergleichung,28. Jg. 1987, S. 87 ff. In bezug auf die Abkürzung dieser Übereinkunft gibt es mehrere, in der Literatur vorzufindende Möglichkeiten, so zum Beispiel CIS, CISG sowie UN- oder VN-Kaufrecht. Zu den einzelnen Abkürzungen vgl. Herber/Czerwenka, S. XXXI.

216

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

mission on International Trade Law) geschaffen, das sich auf den internationalen Kauf beweglicher Sachen bezieht.348 Im Falle der Annahme der Konvention durch einzelne Nationen wird dies unmittelbar geltendes nationales Recht 349 und tritt an die Stelle der im Zuge der Haager Übereinkunft erlassenen Gesetze. Die Schaffung eines internationalen Kaufrechtes hat zur Folge, daß hierdurch die Bedeutung des internationalen Privatrechtes zurückgeht. 350 Dies begründet sich darauf, daß im Rahmen des internationalen Privatrechtes geregelt wird, welches nationale Recht bei einem Auslandsbezug anzuwenden ist, denn nationale Gerichte wenden in der Regel nationales Recht an, so daß derselbe Tatbestand unterschiedlich beurteilt werden kann. Die Entscheidung für ein bestimmtes nationales Recht wird im Vertrag durch die Festlegung des Gerichtsstandes zum Ausdruck gebracht. Hierbei kann sich der Gerichtssstand in einem der beiden nationalen Gebiete der Vertragspartner oder in einem Drittland 351 befinden. Rechtlich begründet sich diese Vorgehensweise auf den Regelungen des Art. 27 EGBGB, der die Vereinbarung bezüglich des später anzuwendenden Rechtes zum Inhalt hat. Im Falle des UNCITRAL-Kaufrechtes erfolgt eine Vereinheitlichung der nationalen Rechte, 352 so daß die Frage des Gerichtsstandes an Bedeutung verliert. Infolge der fortschreitenden Ratifizierung des UNCITRAL-Kaufrech348 Zum UNCITRAL-Kaufrecht vgl. Herber, R.: Die Abweichungen des UNCITRALKaufrechts gegenüber dem geltenden Recht, in: Berichte und Dokumente zum ausländischen Wirtschafts- und Steuerrecht, hrsg von der Bundesstelle für Außenhandelsinformation, Nr. 179, Zur Vertragsgestaltung im Auslandsgeschäft nach UNCITRAL-Kaufrecht, Köln 1984, S. 4 ff. sowie Dorait , P.: UNCITRAL-Kaufrecht, in: Handwörterbuch Export und Internationale Unternehmung, hrsg. von K. Macharzina und M.K. Welge, Stuttgart 1989, Sp. 2112 f. 349 In der Bundesrepublik Deutschland ist das UN-Kaufrecht seit dem 1. Januar 1991 geltendes Recht. Vgl. hierzu Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. April 1980, in: BGBl. II, 1989, S. 588, berichtigt in: BGBl. II, 1990, S. 1699. Zum Stand der Ratifikationsverfahren des UNCITRAL-Kaufrechts in verschiedenen Nationen vgl. Will, M.R.: Internationale Bibliographie zum UN-Kaufrecht, 3., erweiterte Aufl., hrsg. von der Bundesstelle für Außenhandelsinformation, Köln 1990, S. V. 350 Vgl. hierzu auch Ebenroth, C.Th.: Internationale Vertragsgestaltung im Spannungsfeld zwischen ABGB, IPR-Gesetz und UN-Kaufrecht, in: Juristische Blätter, 108. Jg. 1986, S. 681 ff. 351 Es ist nicht von Bedeutung, ob zur Rechtsordnung des Drittlandes irgendwelche faktischen Anknüpfungspunkte bestehen oder nicht. Erforderlich für die Festlegung des Gerichtsstandes in einem Drittland ist nur, daß ein anerkennenswertes Interesse an dieser Wahl besteht. Vgl. hierzu Sandrock/Steinschulte, S. 56. 352 Vgl. hierzu Dorait , P.: Handelsrecht, internationales, in: Handwörterbuch Export und Internationale Unternehmung, hrsg. von K. Macharzina und M.K. Welge, Stuttgart 1989, Sp. 805.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

217

tes durch die einzelnen Nationen erlangt es die Bedeutung eines Weltkaufrechtes. 353 Die Schaffung eines internationalen Kaufrechtes stellt für die Materialbeschaffung eine Reduzierung der Unsicherheiten über die rechtliche Seite des Außenhandelsgeschäftes dar. Eine international ausgerichtete Beschaffung kann allen Vertragsabschlüssen das gleiche Kaufrecht zugrtindelegen, so daß im Sinne der Transaktionskosten die Anbahnungs- und die Vereinbarungskosten sinken. Das internationale Kaufrecht stellt durch seinen Normungscharakter weltweit alle Lieferanten gleich, da nationale Besonderheiten im Kaufrecht nicht mehr bestehen.

c^ Handelsbräuche Die Vereinheitlichung auf internationaler Ebene zeigt sich neben dem Bestreben, die nationalen Rechte, wie im Falle des UNCITRAL-Kaufrechtes, anzugleichen, in einer Verständigung darüber, welche Rechte und Pflichten im Sinne von Kosten und Gefahren der Käufer und der Verkäufer wahrzunehmen haben. Neben die nationalen und internationalen Rechtsordnungen treten somit zur Regel gewordene Verhaltensweisen, die sogenannten Handelsbräuche.354 Die Handelsbräuche stellen keine Rechtsquellen im dogmatischen Sinne dar. Sie sind auch nicht dem Gewohnheitsrecht zuzuordnen, da zum einen das Gewohnheitsrecht zwingendes Recht brechen kann und zum anderen das Gewohnheitsrecht eine bestimmte Rechtsüberzeugung voraussetzt, die bei den Handelsbräuchen fehlt. Ein weiterer Unterschied zum Gewohnheitsrecht besteht darin, daß sich dieses auf das gesamte Rechtsgebiet erstreckt, während die Handelsbräuche regional oder branchenmäßig begrenzt sein können. Rechtliche Bedeutung erlangen die Handelsbräuche dadurch, daß sie fehlende gesetzliche Regelungen ergänzen. Handelsbräuche haben somit einen wirtschaftlichen und konventionellen, aber keinen rechtliocc

chen Charakter. Zu den Handelsbräuchen zählen insbesondere die "Internationalen Regeln für die Auslegung der handelsüblichen Vertragsformeln", die von der Internationalen Handelskammer in Paris aufgestellt werden. Diese sogenannten Incoterms (International Commercial Terms) haben zum Ziel, dem 353

Zu dieser Auffassung vgl. Herber/Czerwenka, S. XXXI. Die Begriffe Handelsbrauch, Handelsgewohnheit und Usance sollen im folgenden synonym verwendet werden. Vgl. Henzler, R.: Außenhandel - Betriebswirtschaftliche Hauptfragen von Export und Import, Wiesbaden 1961, S. 90. 355 Vgl. Henzler, S. 96 f. 354

218

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

internationalen Handel einheitliche Regeln zugrundezulegen, um somit unterschiedlichen nationalen Auffassungen derselben Formel entgegenzutreten. Unsicherheiten für die Vertragspartner begründen sich darauf, daß Unterschiede in der Interpretation des Handelsbrauches oftmals im voraus nicht bekannt sind. 356 Die Incoterms beziehen sich auf alle möglichen Abwicklungsarten einer internationalen Beschaffung, so daß sie Anwendung in der Schiffahrt, dem Luftverkehr und dem Straßengüterverkehr finden. Die Handelsbräuche, die die Incoterms beschreiben, stellen die Inhalte der Handelsklauseln dar, die den Verträgen zugrundegelegt werden. In diesem Sinne bedeutet die Handelsklausel "ab Werk", daß mit der Bereitstellung der Ware im Werk des Verkäufers der Zeitpunkt und der Ort verbunden sind, bei dem zum einen der Übergang der Kostenlast und zum anderen der Gefahrenübergang stattfindet. Die Aufgabe der Incoterms ist in bezug auf ihre Ordnungsund Sicherungsfunktion darin zu sehen, daß Aussagen darüber getroffen werden, wie zum einen der Übergang der Transportkosten und des Risikos im Rahmen der Transportdurchführung gehandhabt werden. Zum anderen wird die Sorgfaltspflicht geregelt, die Verkäufer und Käufer walten lassen sollen, wie beispielsweise bei der Dokumentenbeschaffung oder der Schiffsorder. Keinen Bestandteil der Incoterms stellen der Eigentumsübergang, die Mängelrüge, die Zahlungsbedingungen oder die Wahl des Gerichtsstandes dar. Abb. 19 gibt einen Überblick der gebräuchlichsten Incoterms auch in bezug auf die zu tragende Kostenlast und den Gefahrenübergang. 359 Die Unterscheidung in Einpunkt- und Zweipunktklauseln bringt zum Ausdruck, ob sich der Zeitpunkt des Gefahrenüberganges mit dem des Kostenüberganges deckt. Im Falle der Zweipunktklauseln trägt der Verkäufer noch nach dem Zeitpunkt des Gefahrenüberganges die mit dem Gut zusammenhängenden Kosten.

356

Vgl. Internationale Handelskammer (Hrsg.): Incoterms - Internationale Regeln für die Auslegung der handelsüblichen Vertragsformeln, Köln 1980, S. 7. 357 Vgl. Kortiim, B.: Handelsklauseln, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. von E. Grochla und W. Wittmann, 4., völlig neu gestaltete Aufl., Stuttgart 1975, Sp. 1761. 358 Falls nichts anderes vereinbart ist, gilt als Gerichtsstand der Ort des Gefahrenüberganges, der hierbei den Ort der fiktiven Aushändigung der Ware darstellt. Vgl. Jahrmann, F.-U.: Außenhandel, 5., überarbeitete und verbesserte Aufl., Ludwigshafen (Rhein) 1988, S. 171. 359

Zu den einzelnen Incoterms vgl. Internationale Handelskammer (Hrsg.): Incoterms 1990, Köln 1990, S. 20 ff. sowie Eisemann, F.: Die Incoterms Heute und Morgen - Zur Klauselpraxis des internationalen Warenhandels, 2., neubearbeitete und erweiterte Aufl., Wien 1980, S. 89 ff.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

219

EinpunktZweipunkt< tausein

Abkürzung

Klauseln



EXW

» Ab Werk « (ex works) mit Bereitstellung der Ware ( Konkretisierung ) im Werk des Verkäufers



FCA

» Frei Frachtführer « ( free carrier )

wenn die Ware dem Frachtführer am benannten Ort übergeben wird



FAS

» Frei Längsseite Seeschiff« ( free alongside ship )

wenn die Ware übemahmQbereit längsseits des Seeschiffes im vereinbarten Verschiffungshafen liegt



FOB

» Frei an Bord « ( free on board )

wenn die Ware die Refing des Seeschiffes im vereinbarten Verschiffungshafen überschritten hat

CFR

wenn tie Ware die Reling » Kosten und Fracht « nach Ankunft des See(cost and freight) schiffes im Bestimmungs- des Seeschiffes im verhafen (fob-Verschiffung einbarten Verschiffungshafen überschritten hat einschließlich Seefracht)

CIF

» Kosten .Versicherung nach Ankunft des Seeschiffes im BestimmungsFracht« (cost, hafen ( fob - Verschiffung insurance and freight ) einschließlich Seefracht und Seeversicherung )

wenn die Ware die Reling des Seeschiffes im vereinbarten Verschiffungshafen überschritten hat

CPT

» Frachtfrei « (carriage paid to )

mit Übergabe der Ware an den ersten Frachtführer arr vereinbarton Abgangsort

CIP

» Frachtfrei versichert « nach Ankunft der Ware ( carnage and insurance am Bestimmungsort. paid to) zusätzlich muß der Verkäufer eine Transportversicherung abschließen



DAF

» Geliefert Grenze « ( delivered at frontier )

wenn die Ware an der vereinbarten Grenze (vorder Zollgrenze) zur Verfügung gestellt ist



OES

» Geliefert ab Schiff « ( delivered ex ship )

wenn das Schiff löschbereit im Bestimmungshafen liegt



DEQ

» Geliefert ab Kai (ver zollt ) « ( delivered ex quay [duty paid ] )

wenn die Ware verzotti auf dem Kai des vereinbarten Bestimmungshafens zur Verfügung steht



DDU

» Geliefert unverzollt « wenn die Ware am benannten Ort unverzollt zur Ver( delivered duty unpaid ) fügung gestellt wird



DDP

»Geliefert Verzollt« (delivered duty paid)

··

··

·· ··

Ubergang der Kostenlast Verkäufer - > Käufer

nach Ankunft der Ware am Bestimmungsort

Ubergang der Gefahren Verkäufer —> Käufer

mit Übergabe der Ware an den ersten Frachtführer anvereinbarten Abgangsort

wenn die Ware am benannten Ort verzotti zur Verfügung gestellt wird

Abb. 19. Incoterms 1990

Die Incoterms von 1980 sind in den Incoterms von 1990 inhaltlich in vier Gruppen zusammengefaßt worden, wobei einzelne Incoterms ihre Bedeu-

220

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft ozrrj

tung verloren haben und neue hinzugekommen sind. Die Benennung der einzelnen Gruppen richtet sich nach dem Anfangsbuchstaben der Handelsklauseln. Die Gruppe E umfaßt als sogenannte Abholklausel die Bereitstellung der Ware auf dem Gelände des Verkäuers (EXW ex works - ab Werk). Die F-Klauseln beschreiben solche Handelsbräuche, bei denen der Verkäufer verpflichtet ist, die Ware an einen vom Käufer bestimmten Frachtführer zu übergeben. Die Zahlungslast beim Haupttransport wird somit nicht vom Verkäufer übernommen. Handelsbräuche, bei denen der Haupttransport vom Verkäufer bezahlt wird, ohne das Risiko eines Verlustes oder Beschädigung zu tragen, werden in der C-Gruppe zusammengefaßt. Als letzte Gruppe lassen sich die D-Klauseln, die sogenannten Ankunftsklauseln, anführen, bei denen der Verkäufer alle Risiken und Kosten übernimmt, bis die Ware im benannten Bestimmungsland eintrifft. Da die Incoterms kein geltendes Recht darstellen, sind sie nicht automatisch Vertragsbestandteil. Sie müssen vielmehr ausdrücklich in den Vertrag aufgenommen werden. 361 Gemäß § 346 HGB haben Kaufleute "auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und GEbräuche Rücksicht zu nehmen", wozu die Incoterms zu rechnen sind. Das UNCITRAL-Kaufrecht faßt diesen Sachverhalt noch enger auf, so daß die Vertragsparteien gemäß Art. 9 UNCITRAL-Kaufrecht an solche Gebräuche gebunden sind, auf die im Vertrag Bezug genommen wird. Hierbei ist eine stillschweigende Zugrundelegung ("sich stillschweigend auf Gebräuche bezogen haben, die sie kennen oder kennen mußten",3 2 möglich. Der Ort des Gefahrenüberganges kann sowohl das Zulieferwerk (ex works - ab Werk) als auch das Werk des abnehmenden Unternehmens sein (delivered duty paid - geliefert verzollt). Die Wahl des Ortes bei den Einpunktklauseln ist nicht nur in bezug auf den Zeitpunkt der Leistung der Zahlung von Bedeutung, sondern ist auch wegen der mit einer internationalen Beschaffung zusammenhängenden Kosten bedeutsam.363 Die Incoterms haben für die Materialbeschaffung eine zentrale Bedeutung, an die andere Lieferungsbedingungen, wie zum Beispiel die American 360

Vgl. zur Überarbeitung der Incoterms Internationale Handelskammer (Hrsg.), Incoterms, 3 6 1S. 7. Vgl. Marschner, Sp. 1314. 4 Vgl. Art. 9 Absatz 2 UNCITRAL-Kaufrecht 363 Vgl. zum Zusammenhang zwischen Klausel und Kalkulation am Beispiel von 'free on board' (frei an Bord im benannten Bestimmungshafen) und 'cost, insurance and freight' (Kosten, Versicherung, Fracht bei benanntem Bestimmungshafen) bereits Winkler, H.: Das CifGeschäft, Diss., Frankfurt am Main 1930, S. 84 f.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

221

Foreign Trade Definitions (AFTD), nicht heranreichen, so daß US-Vereinigungen364 die Beachtung und Benutzung der Incoterms empfehlen. 365 Die Lieferklauseln im Rahmen der vertraglichen Ausgestaltung des Beschaffungswesens brauchen nicht auf den Incoterms oder den AFTD beruhen. Wenn dem Vertrag nicht ersichtlich ist, auf welchen Handelsbräuchen die Handelsklauseln beruhen, werden zur Interpretation die Trade Terms 366 zugrundegelegt.367 Die Trade Terms stellen eine Sammlung von Handelsklauseln dar, die von der Internationalen Handelskammer in Paris für verl/ro

schiedene Nationen zusammengestellt werden. In Anlehnung an das Internationale Privatrecht wird das im Vertrag bestimmte nationale Recht oder die in dieser Nation gepflegte Auffassung des Handelsbrauches herangezogen.369 Die Möglichkeit der Bestimmung des Gerichtsstandes in einem Drittland bleibt dabei bestehen. Handelsbräuche, die nur in einer bestimmten Region oder einem bestimmten Ort, zum Beispiel einem Seehafen, Gültigkeit haben, werden Platzusancen genannt. Bedeutung erfahren die Platzusancen durch die Einrichtung von Warenbörsen an solchen Orten, die sich durch Geschichte oder geographische Lage zu einer Warenbörse entwickelt haben. Insbesondere die Beschaffung von Rohstoffen vollzieht sich über solche Börsen. Im Rahmen von Platzusancen bilden sich Handelsbräuche bezüglich Tarabegriffen, Dokumentenhandhabung oder der Abwicklung von Lieferung und Abnahme. 370 Die Handelsbräuche tragen wie die Schaffung eines internationalen Kaufrechts zu einer Verminderung der Risiken der internationalen Beschaffung bei. Individuelle Regelungen werden zugunsten von allgemein anerkannten Abmachungen zurückgedrängt. Die Risiken im Außenhandel werden verringert, was die Vertragsverhandlungen vereinfacht, die Abwicklung desselben erleichtert und die Vergleichbarkeit von alternativen Vertragsangeboten verbessert. Handelsbräuche erfüllen eine Ordnungs- und Sicherungsfunktion im nationalen und internationalen Handel und dienen auch 364 Hierzu zählen unter anderem die American Importers Association, die US Chamber of Commerce oder der Council on International Bankers. 365 Vgl. Marschner, Sp. 1314.

366

Zum Unterschied zwischen Incoterms und Trade Terms vgl. Beyer, H.: "Trade Terms" - "Incoterms" - Ihre rechtliche Bedeutung und Abgrenzung, in: Recht der internationalen Wirtschaft, 1. Jg. 1954, S. 20 f. 367 Vgl. hierzu Haager, H.: Die Vertragsklauseln cif, fob, ab Kai unter Berücksichtigung der Trade Terms, Heidelberg 1956, S. 7. 368

369 370

Zu den deutschen Trade Terms vgl. Grunwald, S. 278 f. Vgl. Marschner, Sp. 1315. Vgl. Meissner, H.G.: Außenwirtschaft, Stuttgart 1970, S. 57.

222

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

als Rationalisierungsmittel, da hierdurch die Anbahnungs- und Vereinbarungskosten als Bestandteile der Transaktionskosten gesenkt werden. 371

cc) Die Zahlungsbedingungen im Rahmen der Materialbeschaffung Die Zahlungsbedingungen haben zum Inhalt, den Zahlungsort und den Zahlungszeitpunkt für das zugrundeliegende Rechtsgeschäft festzulegen. Die Aushandlung der Zahlungsbedingungen ist eng mit den Liefervereinbarungen verbunden, da sich beide Sachverhalte auf dasselbe Rechtsgeschäft beziehen. Im folgenden werden die Arten von Zahlungsbedingungen dargestellt, da sie für das Beschaffungswesen den Charakter von Handelsbräuchen haben und somit dem rechtlich-politischen Umsystem zuzuordnen sind. Die Ausgestaltung der Zahlungsbedingungen wird nicht von gesetzlichen Rahmenbedingungen beeinflußt, sondern wird als individualvertragliche Vereinbarung gehandhabt. Während die Ausgestaltung der Zahlungsbedingungen sich nicht nach gesetzlichen Maßstäben richtet, besteht eine gesetzliche Regelung insofern, als die Pflicht zur Zahlung des vereinbarten Kaufpreises gesetzlich auf nationaler und internationaler Ebene verankert wird (§ 433 Absatz 2 BGB bzw. Art. 53 UNCITRAL-Kaufrecht). Im Rahmen der Materialwirtschaft kommt der Ausgestaltung der Zahlungsbedingungen insofern eine Bedeutung zu, daß sie dazu dienen, für den Verkäufer von Materialien das Zahlungseingangsrisiko und für den Käufer das Lieferungseingangsrisiko zu verringern. Die Aushandlung der Zahlungsbedingungen ist bei Beachtung dieser Zielsetzungen zusätzlich von folgenden Faktoren abhängig: Zum einen erfahren bei der Aushandlung der Zahlungsbedingungen als individuell zu kennzeichnende Kriterien wie die Finanzkraft von Käufer und Verkäufer oder die Dauer der Geschäftsverbindung, die sich in gegenseitigem Vertrauen äußert, Beachtung. Die Marktstellung der einzelnen Vertragspartner erlaubt unter Umständen, sich gegenseitig Zugeständnisse, zum Beispiel in der Festlegung des Zahlungszeitpunktes, zu machen. Zum anderen beeinflussen auch als gesamtwirtschaftlich zu bezeichnende Kriterien wie die branchenüblichen Zahlungsgewohnheiten oder die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere bei internationalen Rechtsgeschäften, die Zahlungsvereinbarungen. 372 371

372

Vgl. Henzler, S. 94. Vgl. hierzu Jahrmann, S. 265.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

223

Auf nationaler Ebene bestehen zur Gestaltung der Zahlungsbedingungen die Möglichkeiten zur Vorauszahlung, zur Übergabe gegen Bezahlung und zur Zahlung nach Übergabe, wobei die Zahlung unmittelbar nach Erhalt der Lieferung erfolgen kann oder nach Einräumung eines Zahlungszieles, wobei auch Kombinationen der einzelnen Zahlungsbedingungen denkbar sind. Unter Hinzuziehung der dargelegten Einflußfaktoren der Wahl der Zahlungsbedingungen wird ersichtlich, daß sich individuelle Aspekte insofern auf die Ausgestaltung der Zahlungsbedingungen niederschlagen, daß bei den beiden erstgenannten Zahlungsbedingungen der Verkäufer eine relativ starke Marktstellung inne hat, während sich dies bei den letztgenannten vice versa verhält. Auf internationaler Ebene sind noch weitere Möglichkeiten der Ausgestaltung von Zahlungsbedingungen denkbar. Eine besondere Bedeutung haben bei internationalen Beschaffungsverträgen die Dokumente, die im Rahmen von Außenhandelsgeschäften bei ordnungsgemäßem Besitz das Recht verbriefen, das versendete Gut in Empfang zu nehmen. Die Bestandteile eines solchen Dokumentes sind die Rechnung, der Versicherungsschein, der Ausfuhr- oder Einfuhrschein, das Konsulatsfaktura 373 und das Konnossement 374 sowie Bescheinigungen der Transportunternehmen. Je nachdem, ob die Zahlung an diese Dokumente geknüpft wird, lassen sich auf internationaler Ebene die "Zahlungsbedingungen ohne Dokumente" und die "Zahlungsbedingungen mit Dokumenten" anführen. 375 Die Zahlungsbedingungen ohne Dokumente basieren auf den nationalen Zahlungsbedingungen, die im Hinblick auf den internationalen Handel ergänzt sind. So ist zum Beispiel bei der Zahlung vor Lieferung zu beachten, daß in einigen Ländern Vorauszahlungen teilweise verboten oder genehmigungspflichtig sind. Die Möglichkeit des Zug-um-Zug-Geschäftes im Falle der Zahlung bei Lieferung hat aufgrund der Entfernungen und damit der Zeitverzögerung bei internationalen Finanztransaktionen und der Transportzeit der Materialien die Wirkung, daß das finanzielle Risiko der Verkäufer trägt. Das finanzielle Risiko ist für den Verkäufer im Falle der Zah373 Das Konsulatsfaktura stellt eine beglaubigte Faktur (Rechnung) dar, die zur Einfuihr in bestimmte Länder wie einigen amerikanischen oder arabischen Nationen erforderlich ist.

374

Ein Konnossement ist eine auf Verlangen des Abladers im Seeverkehr vom Verfrachter ausgestellte Bescheinigung, in der er den Empfang der Güter bescheinigt (Empfangsbestätigung) und deren Ablieferung an den als Empfänger angegebenen Berechtigten (Inhaber des Konnossementes) verspricht. Vgl. hierzu Walldorf., E.G.: Frachtbedingungen, internationale, in: Handwörterbuch Export und Internationale Unternehmung, hrsg. von K. Macharzina und M.K.3 7Welge, Stuttgart 1989, Sp. 709. 5 Vgl. hierzu und im folgenden Marschner, Sp. 1317 ff.

224

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

lung nach Lieferung am größten. Zur Verringerung des finanziellen Risikos besteht die Möglichkeit, vom Käufer einen Wechsel im Rahmen eines Akzeptkredites zu verlangen, wobei Kenntnisse über das jeweilige nationale Wechselrecht notwendig sind. 376 Eine Vereinheitlichung der nationalen Wechselgesetze trägt somit dazu bei, die Zahlungsbedingungen ohne Dokumente für die internationale Beschaffung anzuwenden. Um dem großen Nachteil der Zahlungsbedingungen ohne Dokumente abzuhelfen, haben sich im internationalen Handel Zahlungsbedingungen herausgebildet, die in den Mittelpunkt des Interesses nicht nur die Waren stellen, sondern auch die mit dem Warenhandel verbundenen Unterlagen. Die Zahlungsbedingungen mit Dokumenten basieren darauf, die Zahlung gegen die Dokumente zu leisten, wodurch der Verkäufer die Verfügungsgewalt in bezug auf die zugrundeliegenden Waren an den Käufer abtritt. Zahlungsbedingungen, die sich hierbei herausgebildet haben, sind beispielsweise das Dokumenteninkasso oder das Dokumentenakkreditiv. 377 Ihre Bedeutung erlangen die Zahlungsbedingungen mit Dokumenten dadurch, daß sie die Sicherheiten im internationalen Handel verbessern und somit das finanzielle Risiko für die Vertragspartner senken. Ohne diese Sicherheitsverbesserung werden die Risiken über Zuschläge auf den Verkaufspreisen abgedeckt, auf die bei langjährigen Lieferverträgen und damit gegenseitigem Vertrauen unter Umständen verzichtet werden kann. Die Hinzuziehung neuer Lieferanten führt, ohne die Zahlungsbedingungen mit Dokumenten, infolge der fehlenden Vertrauensbasis und den damit verbundenen Risikozuschlägen zu höheren Anschaffungskosten für das abnehmende Unternehmen. Je besser die Zahlungsbedingungen mit Dokumenten auf internationaler Ebene dazu beitragen, das finanzielle Risiko der Vertragspartner zu verringern, desto flexibler wird ein Unternehmen in bezug auf einen internationalen Lieferantenwechsel, da die "Lieferantenwechselkosten" in Form von Preisaufschlägen wegfallen.

b) Das rechtlich-politische Umsystem des innerbetrieblichen Transport- und Lagerwesens Im Rahmen dieses Kapitels soll das rechtlich-politische Umsystem für die materialwirtschaftlichen Teilbereiche innerbetriebliches Transport- und Lagerwesen dargestellt werden. Die gleichzeitige Erörterung ist deswegen sinnvoll, da mehrere Bestandteile dieses Umsystems für beide Bereiche bedeutsam sind. 376 377

Zum Wechselkredit auf internationaler Ebene vgl. Jahrmann, S. 304. Zu den einzelnen Formen vgl. Jahrmann, S. 269 ff.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

225

Das rechtlich-politische Umsystem des innerbetrieblichen Transportlaid Lagerwesens findet seinen Niederschlag in Regelungen, die sich auf das Personal, die Anlagen und die Arbeitsmittel des innerbetrieblichen Lagerund Transportwesens beziehen. Das Hauptaugenmerk dieser Regelungen liegt auf Bestimmungen hinsichtlich der Arbeitssicherheit und damit des Arbeitsschutzes. Die Sicherheitsmaßnahmen betreffen als Arbeitsanweisungen das Personal und in .

070

Form von Anforderungen die Anlagen und die Arbeitsmittel. Als Anlagen kommen hierbei die Lager- und Transportmittel sowie die Handhabungs·, Kommissionier- und Umschlagseinrichtungen in Frage. Die Arbeitsmittel in diesen Bereichen sind beispielsweise die Lager- und Transporthilfsmittel. Ein weiterer Ansatzpunkt für Regelungen hinsichtlich der Arbeitssicherheit stellen die Materialien selbst dar. Hierunter fallen zum Beispiel Materialien, die explosionsgefährlich oder gesundheitsgefährdend sind. In bezug auf den Arbeitsschutz bestehen in der Bundesrepublik Deutschland zwei Arten von Vorschriften. Zum einen beziehen sich die Regelungen auf staatliche Erlasse und zum anderen auf Regelungen, die von nicht-staatlichen Organisationen herausgegeben werden.3 9 Zu den staatlichen Regelungen zählen zum Beispiel Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften. Als nicht-staatliche Träger des rechtlich-politischen Umsystems des innerbetrieblichen Lager- und Transportwesens finden Organisationen wie Berufsgenossenschaften, Normungsausschüsse oder Verbände wie beispielsweise der Verband Deutscher Ingenieure Beachtung. Im folgenden werden zunächst die hoheitlich vorgebenen rechtlich-politische Rahmenbedingungen erörtert, um anschließend die Verordnungen der nicht-staatlichen Träger darzustellen.

aa) Die hoheitlich vorgegebenen Rahmenbedingungen des innerbetrieblichen Transport- und Lagerwesens a x ) Die Arbeitssicherheit als zentrale gesetzliche Forderung Die staatlichen Regelungen setzen daran an, daß ein Unternehmen aufgrund von § 120a Gewerbeordnung 380 verpflichtet ist, "die Arbeitsräume, Betriebsvorrichtungen, Maschinen und Gerätschaften so zu regeln, daß die 378 379

380

Vgl. Aß/w er α/., S. 89. Vgl. ähnlich Kühn et al., S. 92.

Gewerbeordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Januar 1987, in: BGBl. I, S. 425 mit allen späteren Änderungen, künftig zitiert als GewO. 15 Brecht

226

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leben und Gesundheit so weit geschützt sind, wie es die Natur des Betriebes gestattet." Diese generelle Pflicht des Arbeitgebers wird durch Arbeitschutzverordnungen konkretisiert. Das innerbetriebliche Transport- und Lagerwesen hat dem Gesichtspunkt des Arbeitsschutzes insofern Rechnung zu tragen, als der Arbeitsschutz in bezug auf die Arbeitsstätten als dem Ort des Arbeitsvollzuges, die eingesetzten Transport- und Lagermittel und die Materialien gewährleistet sein muß. Die Arbeitssicherheit als einer zentralen Anforderung des Gesetzgebers an die Unternehmen versteht sich als eine Qualität der Arbeitsbedingungen, die sich in einem Nichtvorhandensein von Gefährdungen für die Arbeitnehmer äußert. 381 Der Gesetzgeber nimmt zur Arbeitssicherheit in zahlreichen Gesetzen und Verordnungen Stellung. Hierzu zählen unter anderem die Gewerbeordnung, das Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit 382 sowie die Verordnung über besondere Arbeitsschutzanforderungen bei Arbeiten im Freien in der Zeit vom 1. November bis 31. März. 383 Für die Materialwirtschaft und hierbei im besonderen für das innerbetriebliche Lager- und Transportwesen sind die Arbeitsstättenverordnung, die Arbeitsstättenrichtlinien und die Verordnung über gefährliche Arbeitsstoffe bedeutsam. Die technischen Anlagen im Bereich der Materialwirtschaft werden durch das Gesetz über technische Arbeitsmittel (Gerätesicherheitsgesetz) und den Verordnungen für Überwachungspflichtige Anlagen betroffen.

bj) Die Arbeitsstättenverordnung Die Arbeitsstätten im Bereich des innerbetrieblichen Transport- und Lagerwesens umfassen die Arbeitsräume zur Durchführung der Tätigkeiten wie Kommissionieren, Lagern oder Umschlagen und die Verkehrswege. 384 381

Vgl. Compes, P.C.: Arbeitssicherheit, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg.3 von 8 2 E. Grochla und W. Wittmann, 4., völlig neu gestaltete Aufl., Stuttgart 1974, Sp. 238. Vgl. Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 1973, in: BGBl. I, S. 1885 mit allen späteren Änderungen. 383 Vgl. Verordnung über besondere Arbeitsschutzanforderungen bei Arbeiten im Freien in der Zeit vom 1. November bis 31. März in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. August 1968, in: BGBl. I, S. 901 mit allen späteren Änderungen. 384 Von anderen Ansatzpunkten der Arbeitsstättenverordnung wie Pausen-, Bereitschafts- und Liegeräume sei in diesem Zusammenhang abgesehen.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

227

Die Ausgestaltung der Arbeitsstätten richtet sich zum einen nach relativ allgemeinen Verordnungen bezüglich der Lüftung, der Raumtemperaturen, der Beleuchtung, der Fußböden, der Wände, der Decken und Dächer, der Fenster und Oberlichter sowie der Türen und Tore. 385 Die Einbeziehung der Verkehrswege in den Objektbereich der Arbeitsstätten hat insbesondere für das innerbetriebliche Transportwesen Bedeutung. Gemäß § 17 Absatz 2 ArbStättV müssen Verkehrswege so beschaffen sein, daß ein Transport mit einem Transportmittel unter Einhaltung eines Mindestabstandes von 0,5 m beidseitig zwischen den Begrenzungen des Transportmittels und den Grenzen des Verkehrsweges durchgeführt werden kann. Der tatsächlich einzuhaltende Abstand richtet sich nach den Geschwindigkeiten der Transportmittel. 386 Die Regelungen bezüglich der Verkehrswege betreffen zum einen das innerbetriebliche Transportwesen in seiner Gesamtheit und zum anderen das Lagerwesen, wenn die Regalbedienwege zu den Verkehrswegen im Sinne des § 17 ArbStättV gezählt werden. Da das Hauptanliegen der Arbeitsstättenverordnung im Falle der Verkehrswege gemäß § 17 Absatz 1 ArbStättV auf der Sicherheit der neben den Verkehrswegen beschäftigten Arbeitnehmern liegt, braucht bei geschlossenen Lagern, in denen keine Arbeitnehmer beschäftigt sind, wie zum Beispiel bei Hochregallagern, dieser Mindestabstand nicht eingehalten zu werden. 387 Es stellt sich an dieser Stelle auch die Frage, ob die bauliche Konzeption eines Hochregallagers die Einhaltung eines solchen Mindestabstandes überhaupt zuläßt. In diesem Falle kann gemäß § 4 Absatz 1 ArbStättV eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden, die sich auf dann notwendige Ersatzmaßnahmen bezieht. Der Terminus der 'kraftbetriebenen Beförderungsmittel· in § 17 Absatz 2 ArbStättV bezieht sich auf schienenungebundene Transportmittel wie zum Beispiel Gabelstapler oder auch fahrerlose Transportsysteme und mobile Roboter. Während bei Gabelstaplern eine manuelle Bedienung vorliegt 385

Vgl. hierzu die §§ 5 - 11 der Verordnung über Arbeitsstätten (Arbeitsstättenverordnung - ArbStättV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. März 1975, in: BGBl. I, S. 729 mit allen 3 8 6 späteren Änderungen, künftig zitiert als ArbStättV. Zu den vorgeschriebenen Breiten der Verkehrswege bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten vgl. Nöthlichs, M.: Arbeitsstätten - Arbeitsstättenverordnungen und Unfallverhütungsvorschriften - Ergänzender Kommentar, Berlin 1969, Lieferung 3/84, Nr. 4216, § 17 Verkehrswege, S. 3. 387

Gemäß den Richtlinien für Geräte und Anlagen zur Regalbedienung, die vom Hauptverband der gewerblichens Berufsgenossenschaften herausgegeben sind, besteht die Forderung, daß der Zugang von Personen in ein solches geschlossenes Lager zu einem Anlagenstillstand führt. Vgl. Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften- Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitsmedizin (Hrsg.): ZH-1/361 - Richtlinien für Geräte und Anlagen zur Regalbedienung, Ausgabe 1968/1978, S. 33. 15*

228

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

und somit eine gewisse Arbeitssicherheit für die neben den Verkehrswegen beschäftigten Arbeitnehmer besteht, stellt sich bei den fahrerlosen Transportsystemen und den mobilen Robotern das Problem der Einhaltung der gesetzlich geforderten Sicherheitsabstände, die eine Unfallgefährdung der Arbeitnehmer ausschließen sollen. Die Arbeitssicherheit kann im Bereich der fahrerlosen Transportsysteme dadurch verbessert werden, daß an den Transportmitteln Warnanlagen angebracht werden, die den Fahrbetrieb akustisch oder optisch durch Signalhörner bzw. Signalleuchten begleiten. Ebenfalls die Arbeitssicherheit erhöhen Fahrtrichtungsanzeiger, Sensoren für Notstops oder Auffahrschutzbügel. 388 Mobile Roboter als Kombination von fahrerlosem Transportsystem und Roboter stellen an die Gewährleistung der Arbeitssicherheit in bezug auf die Verkehrswege sehr hohe Anforderungen. Dies begründet sich darauf, daß die spezifischen Eigenschaften, insbesondere die gleichzeitige Bewegbarkeit der Bearbeitungs- und Bewegungsachsen und der im Vergleich zum Volumen große Bewegungsraum ein arbeitssicherheitsgefährdendes Potential darstellen. Um diesem Aspekt Rechnung zu tragen, muß zum Beispiel die Einrichtung eines Not-Stop-Schalters zu einem kontrollierten Stillstand der Anlage führen, ohne daß das Arbeitssystem Schaden nimmt. Neben Möglichkeiten wie Not-Stop-Schalter oder umzäunte Fahrwege, kann die Arbeitssicherheit dadurch erhöht werden, daß während des Transportvorganges Bearbeitungstätigkeiten bei mobilen Robotern unterbleiben et vice 389

versa. Der Einsatz von Industrierobotern und insbesondere mobilen Robotern hat auch zur Folge, daß aufgrund der im Vergleich zum Gerätevolumen großen Bewegungsfreiheit eine Überschneidung mit anderen Arbeitssystemen stattfindet, so daß hierdurch eine Gefährdung von Arbeitnehmern vorliegen kann. Die Kommissionierung von Materialien erfolgt teilweise unter Einsatz von mobilen Robotern, die sich selbständig mit den benötigten Materialien versorgen. Zur Gewährleistung der Arbeitssicherheit müßte der gesamte Kommissionierraum und der angrenzende Lagerbereich von den übrigen Arbeitsplätzen, beispielsweise durch Zäune oder Lichtschranken, abgetrennt werden. Die Möglichkeiten zur Sicherstellung der Arbeitssicherheit zeigen, daß der Einsatz von neueren Technologien im Bereich der industriellen Materialwirtschaft nicht nur vor dem Hintergrund des Aspektes 'Wirtschaftlichkeit' des Betriebsmittels als solchem zu sehen ist, sondern auch in bezug auf 388

389

Vgl. Kühn et al., S. 111.

Vgl. hierzu o.VArbeitsschutz hält den Roboter im Zaun, in: VDI-Nachrichten, 40. Jg., Nr. 41 vom 9. Oktober 1987, S. 24 sowie Kühn et al., S. 115 ff.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

229

die damit verbundenen Investitionen in die Arbeitssicherheit. Die Wirtschaftlichkeit von neuen Technologien wird somit zum einen durch die notwendigen Arbeitsschutzinvestitionen und zum anderen durch die Auswirkungen möglicher Betriebsunfälle, die sich zum Beispiel in Produktionsstörungen und -Unterbrechungen zeigen, relativiert. Gemäß § 3 Absatz 2 ArbStättV werden in die Arbeitsstättenrichtlininien 390 in Absprache mit den Spitzenorganisationen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern Regelungen aufgenommen, die die Umsetzung der Arbeitsstättenverordnung zum Inhalt haben. Die Arbeitsstättenrichtlinien beziehen sich auf einzelne Regelungen im Rahmen der Arbeitsstättenverordnung und erläutern diese genauer. Neben den Richtlinien bezüglich der Lüftung, Raumtemperaturen oder der Beleuchtung, die für das Lagerwesen und die Räume für Kommissionier- oder Umschlagtätigkeiten Bedeutung haben, stellt die Richtlinie ASR 17/1,2, die die Regelungen des § 17 ArbStättV näher erläutert, eine wichtige Rahmenbedingung für das innerbetriebliche Transportwesen dar. In der ASR 17/1,2 wird die generelle Anforderung des § 17 ArbStättV, daß die Verkehrswege "sicher begangen oder befahren werden können," in konkrete Zahlenwerte umgesetzt. 9 1

c^ Die Gefahrstoffverordnung Eine weitere Komponente des rechtlich-politischen Umsystems für das innerbetriebliche Lager- und Transportwesen stellt die Verordnung über gefährliche Stoffe dar, die dazu dient, zum einen das Inverkehrbringen der Gefahrstoffe und zum anderen den Umgang in einem Betrieb sicher zu gestalten. 392 Um den Anspruch des Schutzes von Mensch und Umwelt in § 1 1 IQO

.

.

.

ChemG gerecht zu werden, konkretisiert die Gefahrstoffverordnung dies in § 1 GefStoffV für Arbeitnehmer und Verbraucher. Die GefStoffV hat für die Materialwirtschaft dahingehend Bedeutung, daß sie in den §§ 14 ff. 390

391

Vgl. hierzu auch § 24 ArbStättV.

Vgl. Opfermann, R./Streit, W. (Hrsg.): Arbeitsstätten - Arbeitsstättenverordnung und Arbeitsstätten-Richtlinien mit ausführlicher Kommentierung, sonstige für Arbeitsstätten wichtige Vorschriften, Regeln, Normen und umfassendes Stichwortverzeichnis, Band 1, 39. Ergänzungslieferung, Wiesbaden 1992,, A 1.1., S. 6 f. 392 Vgl. Spinnarke, J.: Sicherheitstechnik, Arbeitsmedizin, Arbeitsplatzgestaltung - Eine Einführung in das Recht der Arbeitssicherheit, 2., neubearbeitete Aufl., München 1990, S. 142. 393

Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz - ChemG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. März 1990, in: BGBl. I, S. 521 mit allen späteren Änderungen, künftig zitiert als ChemG.

230

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

GefStoffV das Umgehen und damit das Transportieren und Lagern von gefährlichen Materialien 394 regelt. Hierzu zählen Aspekte wie Verpackung und Kennzeichnung (§ 23 GefStoffV) oder die Aufbewahrung (§ 24 GefStoffV) sowie die notwendigen Schutzmaßnahnmen zur Gefahrenabwehr (§ 16 Absatz 4 GefStoffV). Der Materialbegriff der GefStoffV umfaßt bei mechanischen Technologien insbesondere Hilfs- und Betriebsstoffe, während sich bei chemischen Technologien der Anwendungsbereich eher auf Rohstoffe und unfertige Erzeugnisse erstreckt. In den bisher beschriebenen rechtlich-politischen Rahmenbedingungen stehen die im Bereich der Materialwirtschaft beschäftigten Arbeitnehmer und die Materialien als Ansatzpunkt der Gewährleistung des Arbeitsschutzes im Mittelpunkt. Im folgenden werden die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die sich auf die im innerbetrieblichen Transport- und Lagerwesen eingesetzten Betriebsmittel beziehen, betrachtet.

d^ Das Gerätesicherheitsgesetz Das Gerätesicherheitsgesetz versteht unter technischen Arbeitsmitteln unter anderem Arbeits- und Kraftmaschinen, Hebe- und Fördereinrichtun•ÎQC

gen sowie Beförderungsmittel, die von einem Hersteller oder Einführer in den wirtschaftlichen Verkehr gebracht werden. 396 Das Gerätesicherheitsgesetz bezieht sich gemäß § 2 Absatz 1 Gerätesicherheitsgesetz auf Betriebsmittel, die verwendungsfertig in den wirtschaftlichen Verkehr gebracht werden. Die Beeinflussung der Materialwirtschaft ist somit eher als indirekt einzustufen, da sie eine Rahmenbedingung für die Anbieter dieser Betriebsmittel darstellt. Ein Industriebetrieb, der von einem Hersteller oder Einführer technische Arbeitsmittel im Sinne dieses Gesetzes erwirbt, kann sich darauf verlassen, daß die Betriebsmittel gemäß § 3 Absatz 1 Gerätesicherheitsgesetz "den allgemein anerkannten Regeln der Technik sowie den Ar394

Zu den gefährlichen Materialien im Sinne der GefStoffV sind beispielsweise Lösemittel, Blei, Anstrichstoffe oder Druckfarben zu zählen, wobei das Kriterium 'gefährlich' gemäß § 3a ChemG daran ansetzt, ob die Materialien explosionsgefährlich, brandfördernd, giftig oder3 umweltgefährlich sind. 95 Der Terminus 'Einführer' bezeichnet diejenigen Wirtschaftssubjekte, die technische Arbeitsmittel von außerhalb des Geltungsbereiches des Gesetzes - der Bundesrepublik - in das Wirtschaftsgebiet einführen. Vgl. Peine, F.-J.: Gesetz über technische Arbeitsmittel (Gerätesicherheitsgesetz) - Kommentar, Köln u.a. 1986, §§ 1, 2 Rdn. 61 ff. 396 Vgl. §§ 1 Absatz 1, 2 Absatz 1 Gesetz über technische Arbeitsmittel (Gerätesicherheitsgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Juni 1968, in: BGBl. I, S. 717 mit allen späteren Änderungen, künftig zitiert als Gerätesicherheitsgesetz.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft OQ7

231

beitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften" entsprechen. Außeres Zeichen hierfür ist gemäß § 3 Absatz 4 Gerätesicherheitsgesetz das Zeichen "GS = geprüfte Sicherheit". Das Zeichen GS stellt gewissermaßen eine 'conditio sine qua non' dar, da ohne ihr Vorliegen das betreffende technische Arbeitsmittel gemäß § 3 Absatz 1 Gerätesicherheitsgesetz einem Verkehrsverbot unterliegt. Die Anfertigung oder die Einfuhr eines den Vorstellungen des Abnehmers entsprechenden technischen Arbeitsmittels hat zur Folge, daß gemäß § 3 Absatz 2 Gerätesicherheitsgesetz die Vorschriften des § 3 Absatz 1 Gerätesicherheitsgesetz nicht gelten. Im Falle einer solchen Sonderanfertigung werden die Hersteller oder Einführer haftungsmäßig entlastet. Da § 3 Absatz 2 Gerätesicherheitsgesetz generell die Regelungen des § 3 Absatz 1 Gerätesicherheitsgesetz ausschließt, gelten in diesem Falle nicht die Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften, so daß keine Haftung des Herstellers oder Einführers vorliegt. Bei einer Sonderanfertigung haftet der Besteller, das heißt das Unternehmen, das das technische Arbeitsmittel einsetzen möchte. Dies begründet sich darauf, daß im Falle einer Sonderanfertigung der generelle Haftungsausschluß nicht für das bestellende Unternehmen gilt. Gemäß § 1 Absatz 3 Gerätesicherheitsgesetz bleiben Vorschriften, die der Arbeitssicherheit dienen und den Arbeitgeber verpflichten, davon unberührt. 398 Zur Bestimmung der Haftung muß hierbei auch das Produkthaftungsgesetz einbezogen werden, 399 da dieses insbesondere die Hersteller einer Sache in den Mittelpunkt der Überlegungen bezüglich der Haftung rückt. 400 Das innerbetriebliche Transport- und Lagerwesen hat Regelungen insofern zu berücksichtigen, als sie zum einen darauf einwirken, daß solche technischen Arbeitsmittel, wie beispielsweise Kommissionieranlagen, Umschlagseinrichtungen, Transport- und Lagermittel sowie die Transport- und Lagerhilfsmittel, beschafft werden, die den Vorschriften des Gerätesicherheitsgesetzes genüge tun. Die Einwirkung begründet sich darauf, daß die Beschaffung der technischen Arbeitsmittel keine Aufgabe im Rahmen der Materialwirtschaft darstellt, da solche technischen Arbeitsmittel nicht zu den Materialien zählen. Die Beschaffung obliegt in diesem Falle der Anla-

397

Von diesen Regelungen kann gemäß § 3 Absatz 1 Satz 2 Gerätesicherheitsgesetz abgewichen werden, wenn die gleiche Arbeitssicherheit auf eine andere Weise herbeigeführt werden 3 9 8 kann. Vgl. Peine, § 3, Rdn. 92. 399 Vgl. § 4 ProdHaftG. 400 Vgl. Peine, § 3, Rdn. 158.

232

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft 401

genwirtschaft und der Werkzeugwirtschaft. 402 Das innerbetriebliche Transport- und Lagerwesen kann hierbei eine beratende Funktion einnehmen. Zum anderen muß dafür Sorge getragen werden, daß im Falle der Sonderanfertigung einer Anlage, die im Bereich des innerbetrieblichen Transport- und Lagerwesens eingesetzt werden soll, entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, um die Arbeitssicherheit zu gewährleisten. Eine letzte, staatlich bedingte rechtlich-politische Rahmenbedingung für das innerbetriebliche Transport- und Lagerwesen stellen die Verordnungen für Überwachungspflichtige Anlagen dar. Die Bedeutung dieser Verordnungen, die sich auf § 24 GewO bezieht, ist in diesem Zusammenhang als relativ bedeutungslos anzusehen. Dies begründet sich darauf, daß als Überwachungspflichtige Anlage im Sinne des § 24 Absatz 1 GewO für die Materialwirtschaft lediglich die Aufzugsanlagen und Anlagen zur Lagerung, Abfüllung und Beförderung von brennbaren Flüssigkeiten in Frage kommen. 403 bb) Die rechtlich-politischen Komponenten des innerbetrieblichen Transport- und Lagerwesens basierend auf nichtstaatlichen Institutionen Neben den Gesetzen und Verordnungen hoheitlicher Entscheidungsträger haben Regelungen nichtstaatlicher Komponenten des rechtlich-politischen Umsystems ebenfalls Einfluß auf die Materialwirtschaft. Hierbei erlangen zum einen die Berufsgenossenschaften und zum anderen privatrechtliche Institutionen wie das Deutsche Institut für Normung oder Verbände, wie beispielsweise der Verein Deutscher Ingenieure, Bedeutung. Ihre Bedeutung als rechtlich-politische Umsystemkomponente erlangen die nichtstaatlichen Organisationen unter anderem durch die Regelung des § 3 Absatz 1 Gerätesicherheitsgesetz, das neben Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften auch allgemein anerkannte Regeln der Technik anführt. a D i e Berufsgenossenschaften Die Berufsgenossenschaften sind Körperschaften des öffentlichen Rechts und erfüllen die ihnen gemäß § 708 Absatz 1 Reichsversicherungsordnung übertragenen Aufgaben in eigener Verantwortung. Organisatorisch sind die einzelnen Berufsgenossenschaften branchenmäßig getrennt. Als übergeordnete Verwaltung besteht der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenos401

Zur Beschaffung von Anlagen vgl. Seicht, G.: Industrielle Anlagenwirtschaft, in: Industriebetriebslehre - Das Wirtschaften in Industrieunternehmungen, hrsg. von M. Schweitzer, München 1990, S. 344 ff. 402 Zur Beschaffung von Werkzeugen vgl. Mostafa, S. 76 ff. 403 Vgl. § 24 Absatz 3 Nr. 5 und 9 GewO.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

233

senschaften. Den Berufsgenossenschaften kommt als Verband auf Branchenebene mit Zwangsmitgliedschaft (§§ 658, 659 UVNG 4 0 4 ) im Rahmen der Unfallversicherung und Unfallverhütung als zentrale Aufgabe die Erarbeitung von Unfallverhütungsvorschriften zu. 405 Die Unfallverhütungsvorschriften stellen sowohl für die Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer verbindliche Rechtsnormen dar, deren Einhaltung auf betrieblicher Ebene durch technische Aufsichtsbeamte gewährleistet wird. Die Rechtsverbindlichkeit besteht nur für die Unfallverhütungsvorschriften und nicht für die ebenfalls von den Berufsgenossenschaften herausgegebenen sogenannten ZH-l-Richtlinien, die sich eher als 'allgemeine Regeln der Technik' kennzeichnen lassen. Der Grund für die Rechtsverbindlichkeit der Unfallverhütungsvorschriften liegt unter anderem darin, daß die Unfallverhütungsvorschriften auf dem Wege der Genehmigung durch den Bundesminister für Arbeit verabschiedet werden. 406 Die Unfallverhütungsvorschriften, die vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften - Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitsmedizin herausgegeben werden, beziehen sich jeweils auf genau umrissene Sachverhalte, die in bezug auf die Unfallverhütung untersucht werden. Die Vorschriften umfassen Betriebsmittel, Tätigkeiten, Materialien 407 und Technologien.408

404

Gesetz zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz - UVNG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. April 1963, 4 0in: 5 BGBl. I, S. 241 mit allen späteren Änderungen, künftig zitiert als UVNG. Zu den Aufgaben der Berufsgenossenschaften vgl. SokolU G.: Berufsgenossenschaft, in: Handwörterbuch des Personalwesens, hrsg. von E. Gaugier und W. Weber, 2., neubearbeitete und ergänzte Aufl., Stuttgart 1992, Sp. 564 f. 406

Zum Gang der Erarbeitung von Unfallverhütungsvorschriften vgl. Kühn et al., S. 96 f. Da der Hauptaspekt bei den Vorschriften im Umgang mit Materialien auf gefährlichen Materialien, wie zum Beispiel bei Expolosivstoffen (Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften - Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitssicherheit (Hrsg.): Explosivstoffe und Gegenstände mit Explosivstoff - Allgemeine Vorschrift (VBG 55a), Fassung vom 1. August 1978 mit den Durchführungsanweisungen vom April 1991, Köln 1991) liegt, soll im weiteren auf diese Vorschriften eingegangen werden, da gefährliche Materialien bereits in Zusammenhang mit der GefStoffV Berücksichtigung fanden. 408 Die Abgrenzung der einzelnen Vorschriften in bezug auf ihr Themengebiet ist nicht immer eindeutig, so daß Überschneidungen möglich sind, da sich zum Beispiel die Unterscheidung in Flurförderzeuge und Stetigförderer nicht auf ein Merkmal stützt, sondern die Abgrenzung erfolgt jeweils nach verschiedenen Gesichtspunkten. Im ersten Fall ist dies das Merkmal der Flurverbundenheit und im zweiten Fall der Aspekt der Kontinuität des Transportes. Da der Abgrenzung der einzelnen VBG-Vorschriften kein einheitliches Schema zugrundeliegt, kann der Fall auftreten, daß für einen bestimmten Sachverhalt zwei oder mehr Vorschriften zu berücksichtigen sind. 407

234

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

aa ) Die VBG-Vorschriften Für den Bereich des innerbetrieblichen Transport- und Lagerwesens lassen sich neben den allgemeinen Unfallverhütungsvorschriften und solchen Vorschriften, die sich auf Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit oder Sicherheitskennzeichnungen am Arbeitsplatz beziehen,409 folgende VBG-Vorschriften 410 anführen, wobei diese jeweils durch die ebenfalls vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften herausgegebenen Durchführungsregeln und Erläuterungen zu ergänzen sind. Winden, Hub- und Zuggeräte (VBG 8), 4 1 1 Stetigförderer (VBG 10), 412 Schienenbahnen (VBG I I ) ? 1 3 Fluförderzeuge (VBG 12a) 414 und kraftbetriebene Flurförderzeuge (VBG 12b) 415 lassen sich für den Bereich der industriellen Materialwirtschaft anführen.

409

Vgl. hierzu Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften - Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitssicherheit (Hrsg.): VBG 1 - Allgemeine Vorschriften, Erläuterungen und Hinweise für den betrieblichen Praktiker, zusammengestellt von E. Silier und J. Schliephacke, Köln 1982, S. 45 ff.; Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitssicherheit (Hrsg.): Betriebsärzte (VBG 123), Fassung vom 1. Dezember 1974 mit den Durchführungsanweisungen vom April 1989, Köln 1989; Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften - Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitssicherheit (Hrsg.): Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (VBG 122), Fassung vom 1. Dezember 1974 mit den Durchführungsanweisungen vom April 1980, Köln 1980 und Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitssicherheit (Hrsg.): Sicherheitskennzeichnung am Arbeitsplatz (VBG 125), Fassung vom 1. April 1989 mit den Durchführungsanweisungen vom410 April 1989, Köln 1989. Die Abkürzung VBG bedeutet "Kerband der gewerblichen Berufsgenossenschaften". Die VBG-Vorschriften werden jeweils als Einzelvorschriften und mit Durchführungsanweisungen ^11 veröffentlicht. Vgl. Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften - Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitssicherheit (Hrsg.): Winden, Hub- und Zuggeräte (VBG 8) vom 1. April4 11980 in der Fassung vom 1. Oktober 1989, Köln 1989. 2 Vgl. Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften - Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitssicherheit (Hrsg.): Stetigförderer (VBG 10) vom 1. April 1977 in der Fassung vom 1. Oktober 1991, Köln 1991. 413

Vgl. Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften - Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitssicherheit (Hrsg.): Schienenbahnen (VBG 11) vom 1. Oktober 1986, Köln4141986. Vgl. Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften - Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitssicherheit (Hrsg.): Flurförderzeuge (VBG 12a) vom 1. Oktober 1956 in der vom 1. April 1973, Köln 1980. 4 1 Fassung 5 Vgl. Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften - Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitssicherheit (Hrsg.): Kraftbetriebene Flurförderzeuge (VBG 12b) vom 1. Januar 1989, Köln 1989.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

235

Die einzelnen VBG-Vorschriften und die dazu gehörenden Durchführungsanweisungen haben zum Inhalt, für bestimmte Themengebiete die Unfallverhütungsvorschriften darzulegen. In den Vorschriften wird beschrieben, wie beispielsweise ein Stetigförderer (VBG 10) abzusichern ist. Um die Arbeitssicherheit zu gewährleisten, wird in der VBG-Vorschrift 10 geregelt, ob und wo sich Vorrichtungen befinden müssen, um im Notfall den Stetigförderer zum Stillstand zu bringen (§ 9), oder daß die Tragrollen bei den Bandförderern so abgesichert sein müssen, daß keine Verletzungsgefahr besteht (§ 15). Unstetigförderer werden durch die VBG-Vorschrift 12b erfaßt, die sich auf kraftbetriebene Flurförderzeuge bezieht. In diesem Rahmen wird zum Beispiel geregelt, in welchem Verhältnis Bremswirkung und Geschwindigkeit bei verschiedenen Transportmitteln zu stehen haben. Zu den Vorschriften bezüglich der Unfallverhütung wird in der VBG-Vorschrift 10 auch dem Aspekt des Lärmes in Industriebetrieben Beachtung geschenkt. Für den Fall der kraftbetriebenen Flurförderzeuge wird dargelegt, welcher Geräuschpegel für den eventuell vorhandenen Fahrersitz und die Umgebung zulässig sind. 416 Die VBG-Vorschriften zählen anders als die folgenden ZH-l-Richtlinien nicht zu den im § 3 Absatz 1 Gerätesicherheitsgesetz angesprochenen "allgemein bekannten Regeln der Technik". Dies begründet sich zum einen darauf, daß im Gerätesicherheitsgesetz die Unfallverhütungsvorschriften und damit die VBG-Vorschriften und die "Regeln der Technik" beschrieben werden. Zum anderen besagt § 3 der VBG-Vorschrift 12a, daß die Flurförderzeuge "nach den Regeln der Technik gebaut sein" müssen. Der Hinweis auf diese Regeln drückt implizit aus, daß die VBG-Vorschriften nicht zu diesen Regeln gehören. Die VBG-Vorschriften sind somit als zusätzliche Gestaltungsanforderungen aufzufassen.

bb^) Die ZH-Richtlinien Neben der Erarbeitung der Unfallverhütungsvorschriften in Form der VBG-Vorschriften besteht eine weitere Aufgabe der Berufsgenossenschaften in der Ausarbeitung der sogenannten ZH-l-Richtlinien. Diese Richtlinien erlangen eine rechtli che Bedeutung nicht über einen Status als Rechtsnorm, sondern infolge ihres Charakters als "allgemein anerkannte Regeln der Technik" gemäß § 3 Absatz 1 Gerätesicherheitsgesetz. Die für den Bereich des innerbetrieblichen Transport- und Lagerwesens bedeutsamsten ZH-l-Richtlinien lassen sich folgender Übersicht entneh416

Vgl. Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften - Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitssicherheit (Hrsg.): VBG 12b, S. 13 ff.

236

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

men, wobei gemäß der Organisation der Berufsgenossenschaften als Herausgeber die einzelnen branchenbezogenen Berufsgenossenschaften oder der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften in Frage kommen.

Titel der ZH-l-Richtlinie

Herausgeber

ZH-1/156

Richtlinien für Ladebrücken und fahrbare Rampen

C

ZH-1/207

Grundsätze für die Gestaltung des Fahrerschutzes an Fahrerstandwagen nach DIN 15 140

C

ZH-1/260

Leitfaden für den Umgang mit Gabelstaplern

Β

ZH-1/261

Bandförderer

A

ZH-1/361

Richtlinien für Geräte und Anlagen zur Regalbedienung

C

ZH-1/428

Richtlinien für Lagereinrichtungen und Lagergeräte

C

ZH-1/473

Richtlinien für fahrerlose Flurförderzeuge

C

ZH-1/554

Grundsätze für Auswahl, Ausbildung und Befähigungsnachweis von Gabelstaplerfahrern

c

ZH-1/597

Sicherheitsregeln für berührungslos wirkende Schutzeinrichtungen an kraftbetriebenen Arbeitsmitteln

c

Nummer der ZH-l-Richtlinie

Legende: A

Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel

Β

Großhandels- und Lagereibe rufsgenossenschaft

C

Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitsmedizin

Abb. 20. Die ZH-l-Richtlinien des innerbetrieblichen Transport- und Lagerwesens

Die ZH-l-Richtlinien beschreiben in inhaltlicher Hinsicht die verschiedenen Objekte des innerbetrieblichen Transport- und Lagerwesens, wobei sich die Ausführungen jeweils auf die Themengebiete Anwendungsbereich, Begriffsbestimmungen, allgemeine Anforderungen, Bau und Ausrüstung sowie Betrieb und Prüfung beziehen. Im Rahmen der Richtlinie ZH-1/473 werden Regelungen dergestalt getroffen, daß Bau und Ausrüstung sowie der Betrieb und die Überprüfung der fahrerlosen Flurförderzeuge bestimmten Anforderungen zu genügen ha-

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

237

ben. Es läßt sich beispielsweise anführen, daß die Geschwindigkeit 6 km/h nicht überschritten werden darf, Start- und Stoppschalter an leicht erreichbaren Stellen am Transportmittel angebracht sein müssen, oder daß die Transportmittel mindestens einmal jährlich durch einen Sachkundigen geprüft werden müssen.417 In bezug auf die Sicherheitsvorkehrungen kann sowohl die Richtlinie ZH-1/473 herangezogen werden als auch die Richtlinie ZH-1/597, die die 'Sicherheitsregeln für berührungslos wirkende Schutzeinrichtungen an kraftbetriebenen Arbeitsmitteln' darlegt, sofern es sich bei den fahrerlosen Flurförderzeugen um Stetigförderer handelt. Die Richtlinie ZH-1/597 bezieht neben Stetigförderern auch andere Arbeitsmittel, die im Bereich der Materialwirtschaft Verwendung finden, wie beispielsweise Stapelautomaten, in den Objektumfang ein. Die Sicherheitsregeln umfassen neben den eher allgemeinen Anforderungen an Schutzeinrichtungen, die berührungslos wirken sollen, auch Anforderungen bezüglich des Anbaues oder der Überprüfung der Schutzeinrichtungen. 1 8 Die Ein- und Auslagerungsvorgänge als Schnittstelle zwischen innerbetrieblichen Transportwesen und dem innerbetrieblichen Lagerwesen werden in ihrer Objekt dimension, das heißt Regalbediengeräte, Flurförderzeuge zur Regalbedienung und Regalfahrbühnen, durch die Richtlinien für Geräte und Anlagen zur Regalbedienung (ZH-1/361) erfaßt. Die Ausführungen zu den Regalbedienungsanlagen befassen sich neben den technischen Anforderungen auch mit sicherheitstechnischen Gesichtspunkten, da für eventuell mitfahrendes Personal Sicherheitsvorkehrungen zum Beispiel gegen von den Regalen herunterfallenden Objekten zu treffen sind. 419 Ein letztes Beispiel für die 'allgemein anerkannten Regeln der Technik' stellen die 'Richtlinien für Lagereinrichtungen und -geräte' (ZH-1/428) dar. Der Bau und die Ausrüstung richten sich nach baustatischen Anforderungen sowie Anforderungen bezüglich Abmessungen von Verkehrswegen. Zusätz417

Vgl. Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften - Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitsmedizin (Hrsg.): ZH-1/473 - Richtlinien für fahrerlose Flurförderzeuge, Köln, Ausgabe Oktober 1972, S. 3 ff. Zur Durchführung der Überprüfung vgl. Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften - Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitsmedizin (Hrsg.): ZH-1/306 - Grundsätze für die Prüfung von Flurförderzeugen, Köln, Ausgabe 1 8 Oktober 1990. Vgl. Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften - Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitsmedizin (Hrsg.): ZH-1/597 - Sicherheitsregeln für berührungslos wirkende Schutzeinrichtungen an kraftbetriebenen Arbeitsmitteln, Köln, Ausgabe Oktober 1979, S. 8 ff. 419 Vgl. Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften - Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitsmedizin (Hrsg.): ZH-1/361, S. 5 ff.

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D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

lieh werden Aussagen darüber getroffen, wie die Standsicherheit von Regalen und Schränken oder der Schutz gegen herunterfallende Lagereinheiten zu gewährleisten ist. Diese Anforderungen an die Lagereinrichtungen und geräte werden ergänzt um zusätzliche Bestimmungen, die beispielsweise für Lagereinrichtungen wie Durchlauf- oder Einfahrregale sowie verfahrbare Regale gelten.42

bj) Die Normungsträger Zu den im Gerätesicherheitsgesetz angesprochenen 'allgemein anerkannten Regeln der Technik' zählen auch Veröffentlichungen in Normblättern, Richtlinien oder Merkblätter, die von verschiedenen Normungsträgern oder anderen Interessengemeinschaften herausgegeben werden. 421 Auf privatrechtlicher Ebene kommen als weitere Komponenten des rechtlich-politischen Umsystems die folgenden Institutionen in Frage. Als Normungsträger kommen neben dem Deutschen Institut für Normung (DIN) oder der International Organization for Standardisation (ISO) auch Normungsträger auf Branchenebene wie der Verband Deutscher Elektrotechniker oder der Verband der Deutschen Automobilindustrie in Frage. Die vom Deutschen Institut für Normung herausgebenen DIN-Normen betreffen im Bereich des innerbetrieblichen Transport- und Lagerwesens unterschiedliche Sachverhalte. Die DIN-Normen, die für das innerbetriebliche Transport- und Lagerwesen Bedeutung haben, lassen sich grob mehreren Teilbereichen zuordnen. 422 Als Gegenstand der Normung kommen allgemeine Bestimmungen in bezug auf die Arbeitssicherheit, die Transport- und Lagermittel sowie die Transport- und Lagerhilfsmittel in Betracht. Normen, die die Arbeitssicherheit zum Inhalt haben, sind beispielsweise DIN 4844 (Sicherheitskennzeichnung) und DIN 31001 (Schutzeinrichtungen). Während diese Normen eher als allgemeingültig im Sinne einer generellen Bedeutung auch für andere Unternehmensbereiche zu kennzeichnen sind, nehmen DIN 15140 (Flurförderzeuge; Begriffe, Kurzzeichen), DIN 15137 (Flurförderzeuge; Gabelhubwagen; Tragfähigkeiten, Hautmaße), DIN 15201 Teil 1 und 2 (Stetigförderer; Benennungen, Bildbeispiele, Bildzeichen, Zubehörgeräte), DIN 15223 420

Vgl. Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften - Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitsmedizin (Hrsg.): ZH-1/428 - Richtlinien für Lagereinrichtungen und -geräte, Köln, Ausgabe Oktober 1988, S. 4 ff. 421 Vgl. hierzu Peine, § 3, Rdn. 30 ff. 422

Ein Uberblick bezüglich der Normen im Bereich des innerbetrieblichen Transportund Lagerwesens findet sich bei Kühn et alS. 211 ff. und Peine, S. 220 ff.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

239

(Stetigförderer; Bandförderer; Beispielhafte Lösungen für die Sicherung von Engstellen an Tragrollen) sowie DIN 18225 (Industriebau; Verkehrswege in Industriebauten) konkreten Bezug auf die Materialwirtschaft. Die Transport- und Lagerhilfsmittel wie Paletten werden in ihren einzelnen Erscheinungsformen ebenfalls durch Normen beschrieben. In diesem Zusammenhang lassen sich DIN 15145 (Paletten; Systematik und Begriffe für Paletten mit Einfahröffnungen) oder DIN 15146 Teil 2 und 3 (Vierwege-Flachpaletten aus Holz mit unterschiedlichen Maßen) als Beispiele anführen. 423 Auf internationaler Ebene werden Normen durch die International Standards Organization in Genf herausgegeben. Hierbei sind die nationalen Normungsinstitute Mitglieder. Ziel der ISO-Normen ist, internationale Normen zu entwickeln, um hierdurch eine Erleichterung des internationalen Austausches von Gütern zu erreichen. 424 Diese ISO-Normen werden in die nationalen Normen unverändert übernommen, so daß auf diesem Wege zwar keine international gültigen Normen entstehen, aber es erfolgt eine Vereinheitlichung der nationalen Normen. Es findet somit eine Normung des Normenwesens statt. ISO-Normen, die Eingang in Normen des Deutschen Institutes für Normung gefunden haben und die Bedeutung für das innerbetriebliche Transport- und Lagerwesen haben, betreffen die Bereiche Aufzüge, Flurförderzeuge, Stetigförderer sowie Transport- und Lagerhilfsmittel wie Rollen, Gurte, Paletten und Behälter. Beispiele hierfür sind die Normen ISO 1074 (Hubstapler mit Gegengewicht; Stabilität; Grundprüfungen), ISO 7189 (Mechanische Stetigfördereinrichtungen; Bandförderer; Entwurfsregeln), ISO 1121 (Förderbänder; Liste von Eigenschaften, die je nach Verwendung der Förderbänder notwendig sind), ISO 445 (Paletten für den Güterverkehr; Fachwörterverzeichnis (E, F, R)) sowie ISO 6346 (Frachtbehälter (Container); Kodierung, Kennzeichnung und Markierung). 4"5 423

Die angesprochenen DIN-Normen finden sich bei DIN Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg.): Aufzüge, Flurförderzeuge, Stetigförderer - Normen (Fördertechnik 3), 3. Aufl., Berlin/Köln 1988, S. 114 ff., S. 108 ff., S. 202 ff., S. 256 ff., S. 129 ff. und S. 149 ff. Zur Norm DIN 18225 (Industriebau: Verkehrswege in Industriebauten) und anderer Normen im Industriebau vgl. Führer durch die Baunormung 1989: Baustoffe, Berechnung, Ausführung, Ausschreibung, Bauvertrag, Fachbezogene Übersichten der Normen und Norm-Entwürfe, Köln4241989, S. 543 f. sowie Brittinger, S. 214 f. Zu den Normen auf internationaler Ebene vgl. Mellerowicz, Grundfragen, S. 454 f. Zur Interpretation der Abkürzung ISO finden sich in der Literatur mehrere Möglichkeiten. Neben der oben angeführten Schreibweise unter anderem auch International Organization for Standardization. Vgl. Mellerowicz, Grundfragen, S. 454 sowie Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Internationale Organisationen - Bezeichnungen, Abkürzungen, Akronyme, Berlin/New York 1985, S. 67. Die angeführten und weitere ISO-Normen für diesen Bereich finden sich bei DIN Deutsches Institut für Normung e.V., S. 400 ff.

240

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Neben den Normen des Deutschen Institutes für Normung und denen der International Standards Organization sind die Richtlinien des Vereines Deutscher Ingenieure, die VDI-Richtlinien, für die Materialwirtschaft bedeutsam. Der Verein Deutscher Ingenieure erarbeitet in Fachausschüssen, deren Mitglieder Fachleute aus Wirtschaft, Staat und Wissenschaft sind, Regeln und Arbeitsblätter, die als VDI-Richtlinien veröffentlicht werden. Im folgenden werden einige VDI-Richtlinien angeführt, die sich, ähnlich der DIN- oder ISO- Normen, auf einzelne Sach verhalte des innerbetrieblichen Transport- und Lagerwesens beziehen, wobei die einzelnen Richtlinien durch den Präfix VDI gekennzeichnet werden. Der thematische Umfang der VDI-Richtlinien ist relativ weit gefaßt, so daß neben technischen Themengebieten auch kostenrechnerische Problemkreise in den VDI-Richtlinien dargestellt werden. Als Beispiele für den Bereich der Technik und des Arbeitsschutzes lassen sich die Richtlinien VDI 2411 (Begriffe und Erläuterungen im Förderwesen), VDI 2686 (Anforderungen der Lagertechnik an die Baukonstruktion), VDI 2697 (Hochregalanlagen mit regalabhängigen Förderzeugen) und VDI 3564 (Empfehlungen für Brandschutz in Hochregalanlagen) anführen. Die kostenmäßigen Gesichtspunkte werden unter anderem in den Richtlinien VDI 2695 (Ermittlung der Kosten für Flurförderzeuge; Gabelstapler) und VDI 3330 (Kostenuntersuchungen zum Materialfluß) und VDI 3594 (Kosten des innerbetrieblichen Transportes) dargelegt. 426 Ihre Bedeutung erlangen die dargestellten ZH-1- und VDI-Richtlinien sowie die DIN- und ISO-Normen dadurch, daß sie neben weiteren Regelungen 427 die in § 3 Absatz 1 Gerätesicherheitsgesetz angesprochenen 'allgemein anerkannten Regeln der Technik' für den Bereich des innerbetrieblichen Transport- und Lagerwesens darstellen. Neben dieser rechtlichen Seite 4 2 8 haben die dargelegten Normen und Richtlinien auch eine betriebswirtschaftliche Bedeutung dahingehend, daß eine Erleichterung der Kommunikation betriebsintern und mit Lieferanten die Folge ist. Der Grund hierfür liegt darin, daß durch die Vereinheitlichung zunächst von Begriffen und dann von technischen Sachverhalten wie Abmessungen oder Eigenschaften die Verständigung zum Beispiel im Rahmen der Beschaffung von Transportmitteln bereits auf der Stufe der Formulierung der von diesem zu erfüllenden Eigenschaften erleichtert wird. Ebenfalls von Bedeutung ist das erleichterte Zusammenspiel der einzelnen Komponenten, falls die einzelnen Normen und Richtlinien aufeinander abgestimmt sind, so daß beispielsweise Umschlagsvorgänge beim Einsatz verschiedener Transportmittel entfallen. 426

Die VDI-Richtlinien sind entnommen aus Kühn et al., S. 213 ff. Vgl. hierzu die Auflistung bei Peine, S. 220 ff. Vgl. zum analogen Fall der Bedeutung von DIN-Normen im Bauwesen und deren Bedeutung für das Bauordnungsrecht Brittinger, S. 228. 427

425

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Materialwirtschaft

241

4. Das soziokulturelle Umsystem der Materialwirtschaft

a) Die betriebswirtschaftliche Bedeutung des soziokulturellen Umsystems Im Rahmen des soziokulturellen Umystems werden die Einflußfaktoren auf das Unternehmen einer näheren Betrachtung unterzogen, die innerhalb eines geographischen Raumes das gesellschaftliche Geschehen prägen und denen ein Unternehmen Rechnung zu tragen hat. 429 Hierzu zählen zum Beispiel Normen, Wertvorstellungen und Einstellungen von Individuen und Gruppen, 430 denen sich ein Unternehmen als quasi-öffentliche Institution 431 auszusetzen hat oder die an die soziale Verantwortung von Unternehmen appellieren. 432 Die Bedeutung für ein Unternehmen ist als eher indirekt einzustufen. Beispielsweise kann die Ausgestaltung des Ausbildungssystems im Rahmen des soziokulturellen Umsystems angeführt werden, da es indirekt über die Berufsstrukturen die Aufgabenerfüllung im Unternehmen beeinflußt. 433 Ebenfalls in diesem Zusammenhang lassen sich Veränderungen im Freizeitverhalten, der Arbeitseinstellung oder dem Anspruchsniveau der Mitarbeiter in bezug auf die zu erfüllende Tätigkeit anführen. 434 Beispielsweise sind in diesem Zusammenhang Forderungen nach mehr Selbstverantwortung oder Entscheidungsdelegation zu nennen.435

b) Soziokulturelle

Faktoren der Materialwirtschaft

Die Materialwirtschaft wird von den Komponenten des soziokulturellen Umsystems zum einen in bezug auf die Mitarbeiter in diesem Unternehmensbereich und zum anderen über Entwicklungen, die das soziokulturelle 429

Vgl. Dunst , K.H.: Portfolio-Management - Konzeption für die strategische Unternehmensplanung, Berlin/New York 1979, S. 23. Zum gesellschaftlichen Wandel vgl. Hartfiel, G.: Der Mensch als "Systemelement" oder "Herr des Systems" - Soziologische Anmerkungen zum systemtheoretischen Ansatz in der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre, in: Zeitschrift für Organisation, 42. Jg. 1973, S. 131. 430 Zu den Begriffen Wert und Einstellung vgl. Klein, S.: Der Einfluß von Werten auf die Gestaltung von Organisationen, Diss., Berlin 1991, S. 20 ff. 431 Vgl. hierzu Ulrich, P.: Die Großunternehmung als quasi-öffentliche Institution - Eine politische Theorie der Unternehmung, Diss., Stuttgart 1977, S. 159 ff. 432 433

434 435

16 Brecht

Vgl. Ulrich, Unternehmenspolitik, S. 71. Vgl Puhlmann, S. 163. Vgl. Kreikebaum, Unternehmensplanung, S. 38. Vgl. Grochla, Gestaltung, S. 121.

242

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Umsystem fördert, deren Hauptrichtung auf andere Unternehmensbereiche abzielt, beeinflußt. Dem Aspekt einer Entscheidungsdelegation, um die Mitarbeiter in die Entscheidungsfindung miteinzubeziehen, kann ein Unternehmen dadurch gerecht werden, daß es im Zuge der Entwicklung eines Zielsystems für die Materialwirtschaft Ziele und Aufgaben, das heißt damit auch Kompetenz und Verantwortung, delegiert. Ein Ansatzpunkt hierzu besteht darin, den Einkauf nicht nur als Umsetzung des Materialbedarfs in Bestellungen aufzufassen, sondern diese Aufgabenstellung in einer Weise handzuhaben, daß dem Einkauf Kompetenz und Verantwortung übertragen werden, die ihn befähigen, im Rahmen des Materialbedarfs einen Beitrag zur Rentabilität zu leisten.436 Dies könnte darin bestehen, dem Einkauf ein bestimmtes Budget für eine Periode vorzugeben und die Unterschreitung der Budgetgrenze entsprechend im Rahmen des ökonomischen Prinzips zu honorieren. Der Einkaufspreis als zentrale Komponente für ein solches System kann hierbei als Einflußfaktor auf die Materialkosten gesehen werden, wobei einkaufsbedingte Veränderungen der Materialkosten den Ansatzpunkt für eine Leistungsmessung im Einkauf darstellen. 437 Die Beeinflussung des unternehmerischen Handelns durch Werte und Einstellungen438 erfolgt zum einen direkt über die Personen, die die Ziele für ein Unternehmen (mit-)formulieren, wie beispielsweise Eigentümer, Banken oder auch den Vorstand bei einer Kapitalgesellschaft, und zum anderen indirekt über das gesellschaftliche Umsystem, zum Beispiel durch Interessenverbände, denen das Unternehmen Rechnung zu tragen hat. Die Beeinflussung des unternehmerischen Handelns durch Werte und Einstellungen sowohl von unternehmensinternen als auch von unternehmensexternen Wirtschaftssubjekten ist darin zu sehen, daß sich ein Unternehmen Anforderungen in bezug auf ein umweltbewußteres oder ökologieorientiertes Verhalten gegenübersieht. Im folgenden soll daher darauf eingegangen werden, welche Bedeutung dem ökologischen Umsystem im Rahmen der Materialwirtschaft zukommt. 436

Schär spricht in einem anderen Zusammenhang von der "Kunst des Einkaufens". Vgl. Schär, J.F.: Allgemeine Handelsbetriebslehre, 1. Teil., 3., neubearbeitete Aufl., Leipzig 1918, S. 150. 437

Vgl. Katzmarzyk, J.: Einkaufs-Controlling in der Industrie, Diss., Göttingen 1988, S. 194 438 ff. Vgl. ähnlich Heuer, S. 36 f., der neben den Werten, Normen und den Zielen noch die Unternehmensphilosophie erwähnt. Vgl. hierzu auch Ulrich, H.: Die Bedeutung der Management-Philosophie für die Unternehmungsführung, in: Management-Philosophie für die Zukunft - Gesellschaftlicher Wertewandel als Herausforderung an das Management, hrsg. von H. Ulrich, Bern/Stuttgart 1981, S. 11 ff.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Marwirtschaft

243

5. Das ökologische Umsystem und seine Bedeutung für die Materialwirtschaft

Als letzte Komponente des Unternehmensumsystems sei das ökologische Umsystem erwähnt, das insbesondere mit dem rechtlich-politischen Umsystem verbunden ist, 439 wobei die Elemente des rechtlich-politischen Umsystems nicht so sehr den Bereich der industriellen Materialwirtschaft betreffen, sondern vielmehr der Abfallwirtschaft zuzuordnen sind. 440 Unter dem ökologischen Umsystem einer Unternehmung werden alle natürlichen Bedingungen verstanden, die eine Unterneh mung in ihre Entscheidungen einbeziehen muß, 441 wobei einfließt, daß ein Unternehmen die natürlichen Bedingungen, beispielsweise über die Abluft oder die Abfälle, mitgestaltet. Die Funktion des ökologischen Umsystems besteht darin, zum einen Rohstoffe als Einsatzfaktoren zu stellen und zum anderen von der Unternehmung abgegebene Abfälle, Abwasser und Abluft aufzunehmen. 442 Gesichtspunkte, die im Rahmen des ökologischen Umsystems Bedeutung haben, sind das starke Wachsen der Weltbevölkerung, die Zunahme der Industrialisierung und der Umweltverschmutzung durch Abfälle, Abwasser. Abluft oder Lärm 4 4 3 wie der Abbau der natürlichen Rohstoffvorkommen. Die Bedeutung der Ökologie 445 für das unternehmerische Handeln erfuhr in den letzten Jahren einen Zuwachs, der sich in einer zunehmenden Anzahl der zu beachtenden Umweltschutzauflagen äußert. 446 Eine Ursache für diesen Bedeutungszuwachs ist insbesondere in der Sensibilisierung der Bevölkerung hinsichtlich ökologischer Themengebiete zu sehen. Die Verantwortung unternehmerischen Handelns in ökologischer Hinsicht ist nicht

439

Vgl. Pekayvac, S. 81. Vgl. hierzu die Übersicht bei: Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.): Wichtige Gesetze im Umweltschutz, Stand Juli 1990, Bonn o.J., S. 8 f. 441 Vgl. Ulrich, Unternehmenspolitik, S. 67 ff. und Kubicek/Thom, Sp. 3989. 442 Vgl. Siebert, H.: Ökonomische Theorie der Umwelt, Tübingen 1978, S. 8 ff. Vgl. Domschke, W.: Entsorgung, in: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft, hrsg. von W. Kern, Stuttgart 1979, Sp. 519. 440

444

Vgl. Hof/mann, F.: Organisation der Unternehmensplanung, in: Unternehmensplanung - Bericht von der wissenschaftlichen Tagung der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft in Augsburg vom 12.6. bis 16.6.1973, hrsg. von H. Ulrich, Wiesbaden 1975, S. 34. 44 Zur Geschichte der Ökologie vgl. Streit, B.: Ökologie, Stuttgart/New York 1980, S. 1 ff. 446

Vgl. Terhart, K.: Die Befolgung von Umweltschutzauflagen als betriebswirtschaftliches Entscheidungsproblem, Diss., Berlin 1986, S. 24 ff. und die Übersicht bei Stahlmann, Materialwirtschaft, S. 23. 1*

244

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

unbedingt erst seit den letzten Jahren Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre. 44 Im folgenden wird zunächst untersucht, welcher Stellenwert einem ökologieorientierten Unternehmensverhalten im Rahmen des Unternehmenszielsystems zukommt. Im Anschluß wird für die Materialwirtschaft erörtert, ob und inwieweit ein Unternehmensziel 'Umweltschutz' im Rahmen ihrer Aufgaben berücksichtigt werden kann.

a) Ökologieorientiertes Unternehmensverhalten des betrieblichen Zielsystems

im Rahmen

Die gestiegene Bedeutung der Ökologie hat für ein Unternehmen dahingehend Bedeutung, daß zum einen über ein geändertes Käuferverhalten ein direkter Einfluß auf ein Unternehmen ausgeht und zum anderen eine indirekte Einwirkung durch hoheitlich erlassene Gesetze und Verordnungen erfolgt. Durch das gestiegene Umweltbewußtsein und damit das sozio-kulturelle Umsystem wird die Formulierung des unternehmerischen Zielsystems beeinflußt, so daß das unternehmerische Zielsystem durch die Einbindung des Umweltschutzzieles erweitert wird. 448 Die Einbeziehung ökologischer Gesichtspunkte in das unternehmerische Zielsystem im Sinne eines Unternehmenszieles "Umweltschutz" hat in der Weise zu geschehen, daß diese relativ abstrakte (Ober-)Zielvorstellung innerhalb des Unternehmenszielsystems in untergeordnete Zielvorstellungen als Ausdruck der Zweck-MittelBeziehung zu überführen ist. Die Verbindungen des Oberzieles Umweltschutz zu den anderen Unternehmenszielen lassen sich in der Weise charakterisieren, daß auf langfristige Sicht eine komplementäre Zielbeziehung zu anderen Unternehmenszielen wie Rentabilitität, Umsatz oder Gewinn durchaus gegeben ist, da Umweltschutzmaßnahmen der Imageverbesserung sowohl Unternehmens- als auch 447

Vgl. hierzu Ridder, H.-G.: Grundprobleme einer ethisch-normativen Betriebswirtschaftslehre - Ein Vergleich alter und neuer Ansätze am Beispiel der ökologischen Betriebswirtschaftslehre, in: Ökologische Unternehmensführung, hrsg. von R. Pfriem, Frankfurt am Main/New York 1986, S. 54 ff. und zur Bedeutung ökologischer Fragestellungen für die ökonomische Theorie vgl. Kirchgeorg, M.: Ökologieorientiertes Unternehmensverhalten - Typologien und Erklärungsansätze auf empirischer Grundlage, Diss., Wiesbaden 1990, S. 2 und die dort4angegebene Literatur. 48 Vgl. Kirchgeorg, S. 238; Eichhorn, P.: Umweltschutz aus der Sicht der Unternehmenspolitik, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 24. Jg. 1972, S. 644 f. und Stahlmann, V.: Ökologisierung der Unternehmenspolitik durch eine umweltorientierte Materialwirtschaft, in: Handbuch des Umweltschutzes, hrsg. von H. Vogl, A. Heigl und K. Schäfer, Band 8, München 1977, 46. Ergänzungslieferung 12/89, III-3.23, S. 6.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Marwirtschaft

245

produktbezogen dienen und somit die Wettbewerbsfähigkeit positiv beeinflussen. 449 In kurzfristiger Hinsicht ist dieser Zusammenhang nicht zwingend, da auf dieser Ebene insbesondere die Investitionen zur Erfüllung des Umweltschutzzieles im Bereich der Fertigungstechnologien oder der Schadstoffemissionen kurzfristige Umsatz- und Gewinneinbußen infolge von gestiegenen Selbstkosten bedeuten.450 Die dargelegten Zielbeziehungen haben für das Unternehmenszielsystem dahingehend Bedeutung, daß es langfristig keinen Konflikt zwischen ökonomischen und ökologischen Zielvorstellungen geben muß, da auf dieser Ebene ökologische Ziele zur Verwirklichung der ökonomischen Ziele beitragen. Je kürzer der Zeithorizont gewählt wird, desto eher lassen sich konfliktäre Beziehungen beschreiben.

b) Die ökologische Dimension der Materialwirtschaft Bedeutung für ein Unternehmen erlangen die Elemente des ökologischen Umsystems dadurch, daß sie Eingang in Regelungen finden, die von Unternehmen beachtet werden müssen, wie beispielsweise Schadstoffemissionen oder Lärmvorschriften. Neben solchen Sachverhalten, die sich an die rechtlich-politische Komponente des betrieblichen Umsystemes anlehnen, zählen zur ökologischen Komponente auch die Rohstoffvorkommen, die als Einsatzfaktoren im Leistungserstellungsprozeß eine große Rolle spielen.451 Die Bedeutung von Materialien in ökologischer Hinsicht begründet sich unter anderem darauf, ihren Einsatz bei der Leistungserstellung zu minimieren, wobei sich an dieser Stelle die Frage stellt, inwiefern dies in den Aufgabenbereich der industriellen Materialwirtschaft fällt. Die Zielsetzung einer Minimierung des Einsatzes von Materialien ist unter ökologischen Gesichtspunkten nicht wertmäßig, sondern rein mengenmäßig zu sehen. Eine Minimierung des Materialeinsatzes kann zu Zielkonflikten führen, wenn eine mengenmäßige Senkung des Materialeinsatzes durch Materialsubstitute zu einem geringeren Mengenverbrauch, aber dieser durch höhere Materialpreise überkompensiert wird. Die Formulierung einer Minimierung des Materialeinsatzes ist somit zu eng, als daß sie den Anforderungen des ökologischen Umsystems und den unternehmerischen Interessen gerecht wird. Die Bedeutung des ökologischen Umsystems zeigt sich für die Materialwirtschaft nicht darin, den Aufbau von Recyclingkreisläufen oder von Wert449

Vgl. hierzu die Untersuchung bei Kirchgeorg, S. 238. Vgl. Rentz, O.: Techno-Ökonomie betrieblicher Emissionsminderungsmaßnahmen, Berlin 1979, S. 114. 451 Vgl. Pekay\>ac, S. 81. 450

246

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

stoffwiederaufbereitungsprozessen im Rahmen der Materialwirtschaft anzustreben. Diese Vorgehensweisen stellen keine Bestandteile des materialwirtschaftlichen Aufgabensystems dar, denn sie befassen sich nicht mit Materialien als dem Objekt der industriellen Materialwirtschaft und lassen sich auch nicht in das materialwirtschaftliche Aufgabensystem einordnen. Der Grund hierfür besteht darin, daß sich die Materialwirtschaft auf die Versorgung der Bedarfsträger mit Materialien bezieht, während die Abfallwirtschaft an Objekten ansetzt, die einzelne Bedarfsträger, wie zum Beispiel die Fertigungsstellen, verlassen. In Anlehnung an Riebel lassen sich die betrieblichen Leistungen nach ihrem Bezug zum unternehmerischen Sachziel in erwünschte und unerwünschte Objekte einteilen, wobei die Abfälle zu den letzteren zählen452 Die Fragenkreise, die sich auf diese unerwünschten betrieblichen Leistungen beziehen, gehören eher in den Bereich der betrieblichen Abfallwirtschaft. Analog der begrifflichen und funktionalen Unterordnung der Materialwirtschaft unter die Bereiche Beschaffungs- und Produktionslogistik kann die Abfallwirtschaft dem Bereich der Entsorgungslogistik zugeordnet werden. 453 Die Beziehungen zwischen Materialwirtschaft und Abfallwirtschaft sind somit nicht durch eine Einbindung der Abfallwirtschaft in das materialwirtschaftliche Aufgabengebiet gekennzeichnet,454 sondern durch eine hierarchische Gleichordnung charakterisierbar.

c) Die Möglichkeiten einer ökologieorientierten Materialwirtschaft Die industrielle Materialwirtschaft kann im Rahmen ihres Aufgabensystemes in bezug auf die Berücksichtigung ökologischer Aspekte unternehmerischen Handelns folgende Gesichtspunkte in ihre Überlegungen einbeziehen. 452

Riebel unterteilt im Original in nutzbare Nebenleistungen und unverwertbare Abfälle sowie überhaupt nicht erfaßbare Verluste von Stoffen und Energien. Vgl. Riebel, Kuppelproduktion. S. 573. 4 5 3 S. 60 f. sowie Pfohl/Stöhle, Die Abgrenzung von materialwirtschaftlichen und abfallwirtschaftlichen Fragenkreisen ist auch deswegen sinnvoll, da es in bezug auf die beiden Ziel- und Aufgabensysteme kaum Überschneidungen gibt. Bestandteile eines abfallwirtschaftlichen Aufgabensystems sind beispielsweise die Sammlung der Abfälle oder die Abfallbehandlung und -beseitigung. Vgl. hierzu Bilitewskli, B./Härdtle, G./Marek, K.: Abfallwirtschaft - Eine Einführung, Berlin u.a. 1990, S. 38 ff. 454

Zu dieser Auffassung vgl. Arbeitsgruppe Entsorgung des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. - Arbeitskreis Essen: Abfallwirtschaft - eine Aufgabe der Materialwirtschaft - Ein Handbuch zum Thema Beschaffung und Entsorgung, Frankfurt am Main 1987, S. 20 und Frank, S. 11 ff.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Marwirtschaft

247

Da die generelle Aufgabe der Materialwirtschaft in der Versorgungsfunktion der Bedarfsträger mit den benötigten Materialien zu sehen ist, kann eine umweit- 455 oder ökologieorientierte 456 Materialwirtschaft direkt an dieser Aufgabenstellung ansetzen, wobei die beiden Ansatzpunkte hierzu die Objekte der Bereitstellung und der Vorgang der Bereitstellung darstellen. Die Objekte der Bereitstellung an den Bedarfsstellen sind die dort benötigten Materialien. Die Festlegung der zu beschaffenden Materialien erfolgt in ihrer artmäßigen Dimension, aufbauend auf der Stückliste oder Rezeptur, während die Menge durch die aus der Primärbedarfsplanung abgeleiteten Sekundär- und Tertiärbedarfe festgestellt wird. Die für eine ökologieorientierte Beschaffung notwendige Freiheit in bezug auf die Art der zu beschaffenden Materialien besteht somit nicht, so daß die Frage einer ökologieorientierten Materialbeschaffung 457 bei der Konstruktion und der Erstellung der Stückliste ansetzt und nicht erst beim Einkauf. Die Stückliste458 als tabellarische Darstellung der Einzelteile eines Produktes stellt ein Verzeichnis dar, das als Grundlage für die Materialbedarfsplanung dient. Die verbrauchsgebundene Materialbedarfsplanung, die auf Vergangenheitswerten beruht, hat für eine ökologieorientierte Beschaffung in bezug auf Materialien, die nicht in das Produkt eingehen, größere Freiheitsgrade, da diese keinen Bestandteil der Stückliste darstellen. Hierzu zählen beispielsweise Büro- oder Verpackungsmaterialien. Die programmgebundene Materialbedarfsplanung weist diese Freiheitsgrade nicht auf, da sie sich ausschließlich an der Stückliste oder der Rezeptur orientiert. Im Rahmen der Konstruktion wird unter anderem festgelegt, welche äußere Gestalt das Produkt aufweist und welche Materialien bei der Produkterstellung eingesetzt werden. Die Produktentwicklung und -konstruktion vollzieht sich in Absprache mit anderen Betriebsteilen 459 wie der Normenabteilung in bezug auf die Verwendung von Normteilen oder der Kalkulationsabteilung bezüglich der Vorkalkulation, da die verwendeten Materialien Eingang in die Kostenrechnung finden.

456

Vgl. Stahlmann, Materialwirtschaft, S. 37 f.

Vgl. Blom, F.: Die ökologisch orientierte Materialwirtschaft - Materialwirtschaft und Umweltschutz, Frankfurt am Main 1989, S. 19. 457 Ökologische Aspekte stellen zum Beispiel der Abbau nichtregenerierbarer Rohstoffe oder das Problem der Beseitigung von im industriellen Leistungserstellungsprozeß anfallenden 458 Abfallstoffen dar. Zu den einzelnen Formen der Stückliste vgl. Mellerowicz, K.: Betriebswirtschaftslehre der Industrie, Band II, Die Funktionen des Industriebetriebes, 7., neubearbeitete Aufl., Freiburg4 im 5 9 Breisgau 1981, S. 424 ff. Vgl. Mellerowicz, Funktionen, S. 420 f.

248

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Die Zusammenarbeit der Konstruktionsabteilung mit anderen Betriebsteilen hat als Ausgangspunkt eines ökologieorientierten Beschaffungswesens dahingehend Bedeutung, daß die Auswahl der Materialien in Absprache mit dem Umweltschutzbeauftragten 460 und der Beschaffungsabteilung erfolgt, da die Materialplanung neben dem Ziel der mengen-, art- und zeitgerechten Sicherstellung der Versorgung der Bedarfsträger auch zweckentsprechend sein soll 4 6 1 Der Aspekt der 'zweckentsprechenden' Materialauswahl im Rahmen der Stücklistenerstellung kann dahingehend konkretisiert werden, daß als Zweck die Konstruktion eines umweltfreundlichen 462 Produktes angeführt wird, das im Rahmen der betrieblichen Leistungserstellung und den sich anschließenden Phasen des Ge- oder Verbrauchs sowie dessen Beseitigung (Entsorgung) oder Wiedereingliederung in den Leistungserstellungsprozeß (Recycling) geringe ökologische Schäden verursacht. Die Entwicklung und die Konstruktion eines solchen Produktes sind somit vor dem Hintergrund des Produktlebenszyklusses zu sehen, der sich in diesem Zusammenhang nicht auf die Größen Umsatz und Gewinn als Funktion der Zeit bezieht, sondern auf die Beziehungen des Produktes zu seiner Umwelt. Die einzelnen Phasen innerhalb dieses ökologischen Produktlebenszyklusses sind die Phasen der Ressourcengewinnung, der Herstellung der Vorleistungen, des Transportes, der Herstellung des Endproduktes, der Produktlagerung und -Verteilung, der Produktverwendung und der Produktvernichtung. 463 Die Auswahl der Materialien erfolgt hierbei nicht nur unter dem Aspekt einer ökologieorientierten Materialplanung, bei der der Schwerpunkt auf der Versorgungsfunktion des Beschaffungswesens liegt, sondern unter einer abteilungs- und unternehmensübergreifenden Sichtweise. Der Grund hierfür liegt darin, daß es denkbar ist, daß der Einsatz bestimmter Materialien zwar 460

Zu den Aufgaben des Umweltschutzbeauftragten zählen gemäß § 54 Absatz 1 Nr. 1 Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz - BImSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. März 1974, in: BGBl. I, S. 721, 1193 mit allen späteren Änderungen unter anderem "die Hinwirkung auf die Entwicklung und Einführung umweltverträglicher Produktionsverfahren und Erzeugnisse." Stölzle, W./Grimm, St./Noll, R.: Organisation des Umweltschutzes in der Unternehmung, in: Unternehmen und Umwelt, 3. Jg. 1990, Heft 4, S. 22. 461 Vgl. Mellerowicz, Funktionen, S. 421. 462 Zur Begriffsbestimmung von umweltfreundlich und ähnlichen Ausdrücken wie beispielsweise umweltverträglich, -neutral- oder -schonend vgl. Blom, Materialwirtschaft, S. 1. 463 Vgl. Ringeisen, P.: Möglichkeiten und Grenzen der Berücksichtigung ökologischer Gesichtspunkte bei der Produktgestaltung - Theoretische Analyse und Darstellung anhand eines konkreten Beispiels aus der Lebensmittelindustrie, Diss., Bern/Frankfurt am Main/New York 1988, S. 200 ff.

II. Die unternehmensexternen Einflußfaktoren der Marwirtschaft

249

zu einer Senkung des Rohstoffverbrauches führen kann, daß sich aber die Wiedergewinnung der Rohstoffe im Zuge des Recyclings beispielsweise aufgrund der technologisch noch nicht ausgereiften Möglichkeiten zur Trennung der einzelnen Materialien im Rahmen der Aufarbeitungsprozesse als problematisch erweist, so daß das Material im Extremfall für die Einbindung in Recyclingkreisläufe nicht geeignet ist. Der Aspekt der ganzheitlichen Betrachtungsweise knüpft am ökologischen Produktlebenszyklus an und bezieht sich auf die Senkung des Rohstoffeinsatzes und der Immissionen während der Produktions-, Verwendungs- und Entsorgungsphase.464 Unter Beachtung dieser Zusammenhänge erfolgt die Erstellung der Stückliste, wobei es für das Beschaffungswesen wichtig ist, über Informationen bezüglich der einzelnen Materialien zu verfügen. Als Informationsquelle dient der Beschaffungsmarktforschung beispielsweise das Umweltplanungsinformationssystem des Umweltbundesamtes (UMPLISS). 465 Die Beschaffung kann auch dahingehend gestaltet werden, daß verstärkt Abfallbörsen als Materialbezugsquellen genutzt werden. Abfallbörsen wirken als Sammelpunkte für angebotene und nachgefragte Produktionsrückstände. 466 Die Ökologieorientierung der industriellen Materialwirtschaft zeigt sich nicht nur darin, Materialien und die damit zusammenhängenden Themenkreise wie Auswahl der zu beschaffenden Materialien zu betrachten. Ein weiterer Ansatzpunkt einer ökologieorientierten Materialwirtschaft sind die Vorgänge, die im Rahmen der materialwirtschaftlichen Aufgaben zu erfüllen sind. Hierzu zählen zum Beispiel die Transportvorgänge oder das Handhaben wie das Kommissionieren oder Umschlagen der Materialien. Diese Tätigkeiten erfolgen in der Regel durch Anlagen, die der Mechanisierung oder Automatisierung dieser Vorgänge dienen. Der Einsatz von umweltschonenden oder -verträglichen Technologien467 bezieht sich hierbei insbesondere auf den Energieverbrauch der Anlagen. Das innerbetriebliche Lagerwesen wird durch Gesetze und Verordnungen 468 bezüglich der Lagerung bestimmter Materialien in eine Ökologie464

Vgl. Ostmeier, H.: Okologieorientierte Produktinnovationen - Eine empirische Analyse unter besonderer Berücksichtigung ihrer Erfolgseinschätzung, Diss., Frankfurt am Main/ New465 York/Paris 1990, S. 12 ff. Vgl. Kleinaltenkamp, M.: Recycling-Strategien - Wege zur wirtschaftlichen Verwertung von Rückständen aus absatz- und beschaffungswirtschaftlicher Sicht, Diss., Berlin 1985, S. 194. 466 Zur Funktionsweise der Abfallbörsen vgl. Kleinaltenkamp, S. 188 ff. Zu älteren Ansätzen einer Abfallbewirtschaftung vgl. Rogowsky, Abfallwirtschaft, Sp. 6 f. 467 Zu den Anforderungen an die Anlagenwirtschaft im Zuge sich ändernder Rahmenbedingungen vgl. Seicht, S. 335. 468 Vgl. hierzu die Übersicht im Fundstellennachweis Umweltrecht, in: wlb-Handbuch Umwelttechnik, ll./12.Jg. 1990/91, S. 74 ff.

250

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

orientierte Materialwirtschaft eingebunden.Die Einrichtung von Lagern für gesundheits- und umweltgefährdende Materialien wird den Unternehmen durch diese Regelwerke vorgegeben, so daß die Freiheitsgrade geringer sind als bei der Beschaffung oder dem innerbetrieblichen Transportwesen. Während sich die gesetzlichen Regelungen eher auf Flüssigkeiten und Gase beziehen, kann im Bereich der Lagerung von Stückgütern durch den Einsatz von genormten Lagerhilfsmitteln eine Reduzierung von Verpackungsmaterialien erfolgen. Die Normung der Lagerhilfsmittel ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, die Transportverpackung des außerbetrieblichen Transportwesens als Lagerhilfsmittel zu nutzen.

I I I . Die internen Einflußgrößen der Gestaltung der Materialwirtschaft

Neben den unternehmensexternen Rahmenbedingungen stellen die internen Rahmenbedingungen einen weiteren wichtigen Einflußfaktor auf die Gestaltung der Materialwirtschaft dar. Im folgenden werden als interne Rahmenbedingungen die Unternehmensgröße, das Leistungsprogramm und die Leistungserstellung hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Erfüllung materialwirtschaftlicher Aufgaben untersucht.

1. Die Unternehmensgröße

Die Bedeutung der Unternehmensgröße 469 für die industrielle Materialwirtschaft erachtet Kroeber Riel für "so beachtlich, daß viele materialwirtschaftliche Fragen gar nicht schlechthin, sondern nur im Hinblick auf eine bestimmte Betriebsgröße beantwortet werden können."470 Im folgenden soll daher untersucht werden, welchen Einfluß verschiedene Unternehmensgrößen auf die Gestaltung der Materialwirtschaft haben.

a) Die Bestimmung der Untemehmensgröße Die Bestimmung der Größe einer Unternehmung stellt ein betriebswirtschaftliches Problem dar, das nicht durch eine eindeutige Definition und da469

Zur Bedeutung der Betriebsgröße für die Unternehmensorganisation vgl. Schmalenbach, 470E.: Über Dienststellengliederung im Großbetriebe, Köln/Opladen 1959, S. 9. Kroeber-Riel, S. 17. Die Ausdrücke Betriebs- und Unternehmensgröße werden im Rahmen dieser Untersuchung als Synonyme verwendet.

III. Die internen Einflußgrößen der Gestaltung der Materialwirtschaft

251

mit Konkretisierung und auch Quantifizierung gelöst werden kann. Die Unternehmensgröße soll in ihrer Gesamtheit das Ausmaß der "effektiven oder potentiellen wirtschaftlichen Tätigkeit" 471 einer Unternehmung zum Ausdruck bringen. Dieses Ausmaß wird teilweise durch die Anzahl der Mitarbeiter, den Ληο

Umsatz oder die Bilanzsumme ausgedrückt. ~ Neben diesen Hilfsgrößen zur Bestimmung der Unternehmensgröße lassen sich auch andere Maßstäbe wie Einsatzmengen oder -werte, Kapitaleinsatz oder Leistungsmengen und werte heranziehen. Zusätzlich besteht die Möglichkeit einer Kombination einzelner Maßgrößen. 473 Da zwischen diesen einzelnen Maßgrößen sehr starke Korrelationen bestehen,474 wird zur Bestimmung der Unternehmensgröße eine dieser Maßgrößen herangezogen. Durch das Merkmal Anzahl der Mitarbeiter erfolgt eine Unterscheidung in Klein-, Mittel- 4 7 5 und Großbetriebe, wobei die Festlegung der jeweiligen Schwellenwerte Schwierigkeiten bereitet. Das Handelsgesetz bietet in § 267 HGB als Abgrenzungwerte 50 und 250 Arbeitnehmer, was für den Bereich der Industrie sinnvoll ist. 476 Die Abgrenzung verschiedener Unternehmensgrößen unter Zugrundelegung der Anzahl der Mitarbeiter kann in der Hinsicht erweitert werden, daß die Größenklassen auf verschiedene Branchen bezogen werden, so daß beispielsweise ein großes Unternehmen des Handwerks bereits mit 50 Mitarbeitern vorliegt, während bei Industriebetrieben bei dieser Anzahl die Schwelle von Klein- zu Mittelunternehmen überschritten wird. Die Berück471

Busse von Cölbe, W.: Betriebsgröße und Unternehmensgröße, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. von E. Grochla und W. Wittmann, 4., völlig neugestaltete Aufl., Stuttgart 4 7 2 1974, Sp. 567. Vgl. Kieser/Kubicek, S. 262. 473 Vgl. Busse von Cölbe, Sp. 568 ff. 474

Vgl. hierzu die Untersuchungen von Child und Kieser. Vgl. Child , J.: Prognose und Erklärung von Organisationsstrukturen, in: Organisationstheorie, hrsg. von E. Grochla, 1. Teilband, Stuttgart 1975, S. 118 ff. und Kieser/Kubicek, S. 267 ff. 475 Die Charakterisierung eines Unternehmens als Mittelunternehmen ist nicht deckungsgleich mit der Bezeichnung mittelständisches Unternehmen. Diese stellt die gesellschaftliche Stellung des Betriebsinhabers in den Vordergrund, während jene lediglich auf die Unternehmensgröße, gemessen an bestimmten Merkmalen, Bezug nimmt. Vgl. Pfohl, H.-Ch./ Kellerwessel, P.: Abgrenzung der Klein- und Mittelbetriebe von Großbetrieben, in: Betriebswirtschaftslehre der Mittel- und Kleinbetriebe - Größenspezifische Probleme und Möglichkeiten zu ihrer Lösung, hrsg. von H.-Ch. Pfohl, Berlin 1982, S. 11. 476

Die Abgrenzung der verschiedenen Unternehmensgrößen wird im Gesetz nicht ausschließlich auf die Arbeitnehmerzahl beschränkt. Eine bestimmte Unternehmensgröße gilt auch dann als gegeben, wenn statt einer bestimmten Arbeitnehmerzahl andere Kriterien (bestimmte Bilanzsumme oder Höhe der Umsatzerlöse) erfüllt sind (§ 267 HGB).

252

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

sichtigung der Region erlaubt eine weitere Konkretisierung des Merkmals 'Anzahl der Mitarbeiter' zur Abgrenzung verschiedener Unternehmensgrößen. 477 Ohne genauer auf einzelne Schwellenwerte einzugehen478 soll im folgenden auf Klein-, Mittel- und Großbetriebe als Ausprägungsformen der Größe einer Unternehmung Bezug genommen werden. Mit zunehmender Unternehmensgröße nimmt die strukturelle Differenzierung innerhalb einer Unternehmung zu. 4 7 9 Dies begründet sich damit, daß bei einer wachsenden Unternehmensgröße mit einer zunehmenden Aufgabenkomplexität zu rechnen ist, auf die die Unternehmung mit einer Subsystemausbildung reagiert. 480 Das Wachstum einer Unternehmung, gemessen an der Zunahme der Anzahl der Mitarbeiter, hat zum einen zur Folge, daß durch die zunehmende Aufgabenkomplexität die Heterogenität der Aufgaben und damit auch der Stellen, die mit diesen Aufgaben betraut werden, wächst. Zum anderen hat die Subsystemausbildung, die sich in Abteilungsbildungen äußert, die Konsequenz, daß innerhalb der Abteilungen die Aufgaben homogenen Charakter aufweisen. 481 Eine Unternehmung reagiert somit auf eine zunehmende Aufgabenkomplexität infolge des Unternehmenswachstums mit einer als Artenteilung betriebenen Arbeitsteilung und einer Arbeitsteilung als Mengenteilung im Rahmen der verschiedenen Arbeitsarten.

b) Die organisatorische Handhabung der Materialwirtschaft als Funktion der Unternehmensgröße Die Unternehmensgröße stellt für die Materialwirtschaft insofern einen Einflußfaktor dar, als sie die Einbindung der Materialwirtschaft in die Unternehmensorganisation beeinflußt. Die Einbindung ist in der Weise zu verstehen, ab welcher Unternehmensgröße ein Subssystem 'Materialwirtschaft' gebildet wird und wie dieses Subsystem in die Unternehmensorganisation eingegliedert wird. Es ergibt sich in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob die Ausbildung des Subsystemes 'Materialwirtschaft' parallel zum Unternehmenswachstum erfolgt oder ob sich hierbei eine Zeitverzögerung feststellen läßt. Die Zuordnung von Aufgaben auf die Unternehmensabteilung Materialwirtschaft und damit die Festlegung ihres Objekt- und Funktionsumfanges 477 478 479 480 481

Vgl. Pfohl/Kellerwessel, S. 20 f. Zum Problem der Festlegung von Schwellenwerten vgl. Puhlmann, S. 316. Vgl. Heuer, S. 197. Vgl. Flatten , S. 173 sowie Kubicek/Thom, Sp. 4011 f. Vgl. Kieser/Kubicek, S. 265.

III. Die internen Einflußgrößen der Gestaltung der Materialwirtschaft

253

ist neben größenspezifischen Aspekten auch vom betrieblichen Leistungsprogramm und fertigungstechnologischen Gesichtspunkten abhängig. Dies begründet sich darauf, daß nach Überschreiten einer bestimmten Unternehmensgröße, die zur Bildung einer Abteilung Materialwirtschaft führt, sich die weitere Aufgabenzuordnung eher nach den Anforderungen des Leistungsprogrammes und der Fertigungswirtschaft richtet. 482 Diese Sichtweise kann in der Weise erweitert werden, daß die Aufgabenzuordnung bei zunehmender Unternehmensgröße auch im Hinblick auf das Zielsystem der Unternehmung zu sehen ist. Während Klein- und Mittelbetriebe die Materialwirtschaft in ihrer reinen Versorgungs- und Sicherungsfunktion sehen, wird die Handhabung der Materialwirtschaft bei größeren Unternehmen in bezug auf das materialwirtschaftliche Erfolgspotential festgestellt und genutzt. Das Erkennen des materialwirtschaftlichen Erfolgspotentiales liegt unter anderem darin begründet, daß bei kleinen und teilweise auch bei mittleren Unternehmen oftmals materialwirtschaftliche Aufgaben wie Bedarfsermittlung, Führung der Einkaufsverhandlungen oder Angebotsbearbeitung und fertigungswirtschaftliche Aufgaben wie die Arbeitsvorbereitung in Personalunion gehandhabt werden. 8 3 Ein weiterer Aspekt der organisatorischen Dezentralisierung materialwirtschaftlicher Aufgaben, der unabhängig von der Unternehmensgröße ist, liegt darin, daß solche Tätigkeiten als Nebentätigkeiten betrachtet werden und somit eine organisatorische Zusammenfassung und Aufwertung nicht angestrebt wird 4 8 4 Die mangelnde Arbeitsteilung hat zur Folge, daß Spezialisierungsvorteile verlorengehen, die sich auch in einem Erkennen und Nutzen des materialwirtschaftlichen Erfolgspotentials äußern. Spezialisierungsvorteile bestehen in diesem Zusammenhang darin, daß die als Artenteilung betriebene Arbeitsteilung Lern- und Übungseffekte hervorruft, da die einzelnen Mitarbeiter ein geschlossenes, homogenes Aufgabenfeld zur Bearbeitung haben. Ein weiterer Ausdruck dieses Nichterkennens ist die oftmals fehlende organisatorische Zusammenfassung materialwirtschaftlicher Aufgaben. In diesem Falle sind zwar Unternehmensbereiche wie Einkauf, Transport- und Lagerwesen vorhanden, aber ohne diesen Abteilungen eine Abteilung überzuordnen, die sich mit der Materialwirtschaft als Ganzem befaßt. Das 482

Die Untersuchungen von Puhlmann zeigen, daß diese kritische Unternehmensgröße beim Übergang von Klein- zu Mittelunternehmen auftritt. Als Schwellenwerte zur Quantifizierung der Merkmalsausprägungen werden 200 und 350 Mitarbeiter gewählt. Vgl. Puhlmann, S. 315 483 f. Vgl. Fieten, R.: Einkaufsorganisation, in: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft, hrsg.4 8von 4 W. Kern, Stuttgart 1979, Sp. 453. Vgl. Pfohl, H.-Ch.: Logistik, Organisation der, in: Handwörterbuch der Organisation, hrsg. von E. Frese, 3., völlig neu gestaltete Aufl., Stuttgart 1992, Sp. 1257.

254

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Abb. 21. Organisatorische Aufsplitterung materialwirtschaftlicher Teilaufgaben Quelle: Vgl. Schwab, S. 23.

III. Die internen Einflußgrößen der Gestaltung der Materialwirtschaft

255

Transportwesen kann hierbei der Fertigung zugeordnet sein, während Einkauf und Lagerwesen organisatorisch verselbständigte Unternehmensbereiche bilden (vgl. Abb. 21). Es kann somit die Aussage getroffen werden, daß das Problembewußtsein für materialwirtschaftliche Fragestellungen bei kleineren und teilweise auch bei mittleren Unternehmen nicht sehr ausgeprägt ist. Das mangelnde Problembewußtsein für materialwirtschaftliche Fragestellungen bei kleineren Unternehmen hat zur Folge, daß bei einem Unternehmenswachstum hin zu einem mittleren Unternehmen die Gefahr besteht, daß eine notwendige organisatorische Anpassung in bezug auf die Materialwirtschaft unterbleibt. Hoppen spricht in diesem Zusammenhang von einem materialwirtschaftlich kritischen Unternehmensgrößensprung. 485 Diese Aussage bleibt nicht auf den Bereich der Materialwirtschaft beschränkt, sondern kann auch in etwas geringerem Maße auf andere Unternehmensbereiche übertragen werden.4 Die interne Rahmenbedingung Unternehmensgröße beeinflußt die organisatorische Gestaltung der Materialwirtschaft in hohem Maße. Es ist hierbei bedeutsam, daß bei einem Unternehmenswachstum eine notwendige strukturelle Anpassung der Materialwirtschaft, insbesondere beim Übergang von Klein- zu Mittelunternehmen, unterbleibt, so daß traditionelle Strukturen in diesem Unternehmensbereich erhalten bleiben, obwohl beispielsweise die Einrichtung einer Abteilung Materialwirtschaft mit entsprechenden Kompetenzen und der dazugehörenden Verantwortung sinnvoll ist. Materialwirtschaftliche (Teil-)Aufgaben werden somit nicht organisatorisch zusammengefaßt. Neben diesen aufgabenbezogenen Aspekten unterbleibt bei kleinen und mittleren Unternehmen eine Einbindung materialwirtschaftlicher Ziele in das Unternehmenszielsystem. Diese Unterlassung begründet sich auf das Nichterkennen des materialwirtschaftlichen Erfolgspotentials. Das materialwirtschaftliche Erfolgspotential in seinen Dimensionen Kostensenkung, Leistungssteigerung, Liquiditäts- und Imageverbesserung sowie Wettbewerbsfähigkeitsverbesserung wird somit nicht genutzt. Die "atomistische Zersplitterung materialwirtschaftlicher Teilaufgaben" (Puhlmann) und die unzureichende Einbindung der materialwirtschaftlichen Ziele in das Un-

485

Vgl. Hoppen, E.A.: Einkauf in Klein- und Mittelbetrieben - Instrument zum unternehmerischen Erfolg?, in: Beschaffung aktuell, Heft 5, 1977, S. 18. 486 Vgl. zu den organisatorischen Problemen mittelständischer Unternehmen auf allgemeiner Ebene Bussiek, J.: Erfolgsorientierte Steuerung mittelständischer Unternehmen Netzorganisation und Erfolgsbeitragsrechnung als größengerechte Steuerungselemente, München 1981, S. 13 ff.

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D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

ternehmenszielsystem sind die tieferen Ursachen für eine mangelnde Effizienz der Erfüllung materialwirtschaftlicher Aufgaben. 487 In aufbauorganisatorischer Hinsicht ergibt sich somit die Konsequenz, die Materialwirtschaft als eigenständigen Unternehmensbereich in die Unternehmensorganisation einzubinden, wobei die Bereiche Materialbeschaffung, innerbetriebliches Transportwesen und innerbetriebliches Lagerwesen als gleichrangig im Sinne der Aufbauorganisation anzusehen sind (vgl. Abb. 2 2 ) 4 8 8

487

488

Vgl. Puhlmann, S. 319.

Vgl. von Kortzfleisch, G.: Materialfluß-Rationalisierung - aktueller denn je, in: Die Betriebsorganisation im Spiegel der Konjunktur - Vorträge der Tagung in Stuttgart-Bad Cannstadt vom 28. bis 30. Mai 1963, hrsg. von der Deutschen Gesellschaft für Betriebswirtschaft, Berlin 1963, S. 120.

III. Die internen Einflußgrößen der Gestaltung der Materialwirtschaft

17 Brecht

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D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Die aufbauorganisatorische Gestaltung der Materialwirtschaft unter Berücksichtigung der verschiedenen Unternehmensgrößen kann in der Weise gehandhabt werden, daß bei kleinen und teilweise mittleren Unternehmen eine Abteilung Materialwirtschaft gebildet wird, die gleichberechtigt neben den anderen Unternehmensfunktionen wie Fertigung, Finanzen oder Personal steht. Die Handhabung der Materialwirtschaft im Rahmen von Großunternehmen kann auf zweierlei Weise erfolgen: Der Funktionsumfang der Materialwirtschaft wird ausgedehnt, was auch eine Erweiterung des Objektumfanges der Materialwirtschaft zur Folge hat. Die Einbeziehung der Fertigungssteuerung, der Entsorgung von Produktionsrückständen oder des Vertriebes der Fertigerzeugnisse im Rahmen einer erweiterten oder integrierten Materialwirtschaft hat eine Erweiterung des Objektumfanges der Materialwirtschaft um Produktionsrückstände (Abfälle, Reststoffe etc.) bzw. Fertigerzeugnisse oder Handelswaren zur Konsequenz. Der Objekt- und Funktionsumfang der Materialwirtschaft bedingen sich somit gegenseitig. Da es sich bei diesen Objekten nicht mehr um Materialien im eigentlichen Wortsinn handelt, ergibt sich, daß eine solche Anpassung der Materialwirtschaft an verschiedene Unternehmensgrößen inhaltlich über den materialwirtschaftlichen Objekt- und Funktionsumfang hinausgeht. Diese Vorgehensweise ist vom theoretischen Standpunkt nicht ganz nachvollziehbar, da die Materialwirtschaft eindeutig in ihrem Objekt- und Funktionsumfang bestimmt werden kann. Der gestiegenen Aufgabenkomplexität wird vom theoretischen Standpunkt her mit einer Subsystemausbildung Rechnung getragen und nicht mit einer Aufgabenerweiterung der einzelnen Subsysteme. Aus diesem Grund kann die Organisation einer Unternehmung in der Weise angepaßt werden, daß die Materialwirtschaft in ihrem Objekt- und Funktionsumfang beibehalten wird, sie aber im Unterschied zu kleinen Unternehmen bei mittleren und großen Unternehmen keine gleichberechtigte Unternehmensfunktion mehr darstellt. Die Materialwirtschaft wird in ihrer Gesamtheit in die betriebliche Logistik eingebunden, so daß sie einen Teilbereich dieser bildet. Unter Berücksichtigung des Merkmals Objekt stellt die betriebliche Abfallwirtschaft eine weitere Teilfunktion der Logistik dar (vgl. Abb. 23).

III. Die internen Einflußgrößen der Gestaltung der Materialwirtschaft

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D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

2. Das industrielle Leistungsprogramm

a) Die Bestimmung des Leistungsprogrammes Die interne Gestaltung eines Unternehmens wird sehr stark von den Leistungen, die das Unternehmen erbringen soll, beeinflußt. 489 Der Terminus 'Leistung' umfaßt hierbei sowohl die Leistungen, die am Absatzmarkt abgesetzt werden, als auch die Leistungen, die rein innerbetrieblich erstellt werden. Solche innerbetrieblichen Leistungen umfassen beispielsweise im Unternehmen hergestellte unfertige Erzeugnisse. Es ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung, ob es sich bei diesen um marktfähige Objekte handelt. Dieser Aspekt wird erst bei der Frage bedeutsam, ob und inwieweit ein Unternehmen die Zwischenprodukte selbst herstellt oder sie vom Markt bezieht 490 Das Leistungsprogramm umfaßt somit in seiner Gesamtheit alle in einer Unternehmung zu erstellenden Güter. 491 Die Leistungserstellung bezieht sich zum einen auf die reine Möglichkeit der Erstellung der einzelnen Güterarten 492 und zum anderen auf die in einer Periode herzustellende Menge je Leistungseinheit.493 Diese beiden Definitionsansätze beruhen darauf, daß im ersten Fall das industrielle Leistungsprogramm unter einem langfristigen Blickwinkel betrachtet wird, während die Heranziehung der Mengenkomponente einen Ausdruck kurz- und mittelfristiger Überlegungen darstellt. Je kurzfristiger der Zeithorizont für die Definition des Leistungsprogrammes gewählt wird, desto problematischer wird es, die in dieser Periode nicht hergestellten Güterarten in die Abgrenzung miteinzubeziehen. Aus diesem Grunde wird für den ersten Fall der Terminus Produktionsprogramm gewählt, während die Berücksichtigung unter anderem der Leistungsmengen zum Auftragsprogramm führt. Das Auftragsprogramm stellt somit in seiner artmäßigen Dimension einen Ausschnitt des Leistungsprogrammes dar. Andere Aspekte des Auftragsprogrammes sind die Festlegung der Menge und des Zeitpunktes der Fertigung. 494

489

490

Vgl. Kieser/Kubicek,

S. 244.

Vgl. Kilger, W.: Optimale Produktions- und Absatzplanung - Entscheidungsmodelle für den Produktions- und Absatzbereich industrieller Betriebe, Opladen 1973, S. 33 und Bergner, 491 Kosten, S. 144 ff. Vgl. Kern, W.: Produktionsprogramm, in: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft, hrsg.492 von W. Kern, Stuttgart 1979, Sp. 1566. Vgl. Beste, Fertigungswirtschaft, S. 130. 493 Vgl. Kern, Produktionsprogramm, Sp. 1566. 494

Vgl. Beste, Fertigungswirtschaft, S. 194.

III. Die internen Einflußgrößen der Gestaltung der Materialwirtschaft

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Die Bezeichnung Leistungsprogramm dient in diesem Zusammenhang als Oberbegriff für das Produktionsprogramm und das Auftragsprogramm. Das Produktionsprogramm als "Aufzählung der Erzeugnisse" (Beste) kann hinsichtlich der zu erstellenden Erzeugnisse in den Dimensionen Breite und Tiefe erfaßt werden, wobei die Breite des Produktionsprogrammes die Endprodukte betrachtet und sich die Tiefe des Leistungsprogrammes auf die einzelnen unternehmensinternen Be- und Verarbeitungsstufen zur Herstellung des Produktionsprogrammes bezieht.495 Die Bestimmung des industriellen Leistungsprogrammes stellt das Produkt in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Das Leistungsprogramm kann hierbei hinsichtlich der Dimensionen Art, Menge, Ort und Zeit bestimmt werden. Die einzelnen Aspekte beziehen sich auf die Breite und Tiefe des Leistungsprogrammes, die herzustellende Stückzahl sowie zusätzlich in kurzfristiger Hinsicht auf die Bestimmung der Fertigungsstellen und des Fertigungszeitpunktes. Diese Gesichtspunkte lassen sich in bezug auf ihren grundlegenden Charakter zum einen als Eigenschaften der einzelnen Produkte und zum anderen als Eigenschaften des Produktionsprogrammes kennzeichnen. Die Produkteigenschaften umfassen Aspekte wie die Zusammensetzung der einzelnen Produkte, während sich die Produktionsprogrammeigenschaften auf alle Produkte und hierbei auf das Verhältnis der einzelnen Produktarten zueinander beziehen. Diese betreffen beispielsweise den Verwandtschaftsgrad der Produktarten oder die Anzahl der Leistungswiederholungen. Das industrielle Leistungsprogramm legt durch seine beiden Dimensionen Breite und Tiefe - die zu beschaffenden Materialien fest. Die Materialwirtschaft hat sich in der Bestimmung der Anzahl, der Menge, der Art und der Qualitäten der Materialien nach den Anforderungen des Leistungsprogrammes zu richten. Im Bereich des Beschaffungswesens kann somit davon gesprochen werden, daß das Leistungsprogramm die Beschaffungsmärkte bestimmt. Es wird im folgenden der Frage nachgegangen, in welcher Weise das Leistungsprogramm die Gestaltung der Materialwirtschaft beeinflußt.

495

Vgl. Seggewiß, S. 126.

262

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

b) Die Produkteigenschaften als Bestimmungsgröße der Materialwirtschaft Als Eigenschaften eines Produktes lassen sich zum einen das Produkt in seiner Gesamtheit, ausgedrückt durch die Gestalt des Produktes, und zum anderen seine Zusammensetzung als Maßstäbe heranziehen. 496 Die Bedeutung der Produktart für die Materialwirtschaft ist vor allem darin zu sehen, daß die verschiedenen Ausprägungsformen des Merkmals Produktgestalt - ungeformte und geformte Fließgüter sowie Stückgüter insbesondere die einzusetzenden Technologien im Rahmen der betrieblichen Materialwirtschaft bestimmen. Im Bereich des Beschaffungswesens lassen sich bei den Fließgütern oftmals lange Zeitdauern der Lieferverträge und eine geringe Lieferantenzahl feststellen, wie beispielsweise bei der Mineralölindustrie. Fließgüter als Einsatzmaterialien finden insbesondere bei der analytischen Stoffverwertung Verwendung. Die Zusammensetzung der einzelnen Produkte - die Komplexität - spiegelt sich in der Anzahl der zur Produkterstellung benötigten Teile wider. Die Komplexität von Produkten ist in der Weise eine Funktion der Zeit, als die nachfolgende Produktgeneration durch eine zunehmende Komplexität gekennzeichnet ist. 497 Dies begründet sich unter anderem auf gestiegenen Anforderungen der Nachfrager in bezug auf vom Produkt zu erfüllende Funktionen. Neben den fertigungswirtschaftlichen Auswirkungen hat diese Entwicklung auch für die Materialwirtschaft Bedeutung, denn bei gleichbleibender Fertigungstiefe steigt die Anzahl der zu beschaffenden Materialien und/oder die Anzahl der unfertigen Erzeugnisse. Die Materialwirtschaft kann diese Entwicklung auf zwei Arten berücksichtigen, zum einen durch eine Standardisierung der Teile und zum anderen durch eine Reduktion der Teilevielfalt. Diese strebt an, die Fertigungskosten zu reduzieren, während jene auf eine Begrenzung der Entwicklungskosten abzielt. Die Standardisierung der Teile hat zum Inhalt, die Anzahl der verwendeten Teile und damit auch der Materialien konstruktiv zu senken. Die Reduktion der Teilevielfalt bedeutet, daß weniger, aber dafür unter 496

Vgl. Küpper, H.-U.: Produktionstypen, in: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft, hrsg. von W. Kern, Stuttgart 1979, Sp. 1643 f. Die Komplexität der nachfolgenden Produktgenerationen ist auch davon abhängig, ob es sich um Neu-, Weiter- oder Anpassungsentwicklungen handelt. Vgl. Picot , A ./Reichwald, R./Nippa, M.: Zur Bedeutung der Entwicklungsaufgabe für die Entwicklungszeit - Ansätze für die Entwicklungszeitgestaltung, in: Zeitmanagement in Forschung und Entwicklung, hrsg. von K. Brockhoff, A. Picot und Ch. Urban, ZfbF-Sonderheft 23, Düsseldorf/Frankfurt am Main 1988, S. 121 sowie die Beispiele bei Siebert, H.: Technologische Entwicklung und Vorproduktbeschaffung, Diss., Frankfurt am Main u.a. 1990, S,. 159 f.

III. Die internen Einflußgrößen der Gestaltung der Materialwirtschaft

263

498

Umständen komplexere Teile Eingang in die Fertigung finden. Bei einer Betrachtung der beiden Anpassungsmöglichkeiten fällt auf, daß die Zusammenarbeit des Unternehmens mit den Zulieferern hierbei einen wichtigen Aspekt darstellt. Die Standardisierung hat für die Entwicklung und Konstruktion dahingehend Bedeutung, eine Normung zu betreiben, so daß einzelne Materialien nicht nur in einem Produkt Verwendung finden, sondern daß sie bei mehreren Produkten eingesetzt werden. Dieser Normungsgedanke kann auch überbetrieblich gesehen werden. Die Zulieferbetriebe beliefern mit einem bestimmten Teil nicht mehr ausschließlich einen Abnehmer, sondern mehrere Unternehmen gleichzeitig. Dies bedeutet, daß der Zulieferer als Produzent mit höheren Stückzahlen arbeiten kann, was im Rahmen seiner Kapazität zu einer Fixkostendegression führt. Die variablen Kosten werden in der Weise beeinflußt, daß Lern- und Übungseffekte während der Produktion auftreten, die ebenfalls stückkostensenkend wirken. 499 Der Zulieferer kann hierdurch das Teil zu geringeren Stückkosten herstellen als das Unternehmen im Zuge der Eigenerstellung. Neben dem Kostenaspekt kommen die Lern- und Übungsprozesse auch in der Weise zum Tragen, daß der Zulieferer das Teil in einer besseren Qualität anbieten kann, was insbesondere bei qualitätsbestimmenden Teilen des Produktes bedeutsam ist. Die Ausdehnung des Normungsgedankens auf eine überbetriebliche Ebene hat neben der Senkung der Materialkosten auch dahingehend Bedeutung, daß ein Lieferantenwechsel bei dem konventional genormten Teil leichter durchzuführen ist. Die Standardisierung der Teile hat auch auf das innerbetriebliche Transport- und Lagerwesen Auswirkungen. Die Verwendung von genormten Teilen führt zu einer Kostensenkung im Lagerwesen, da zum einen die Anzahl der zu lagernden Teile sinkt. Zum anderen ergeben sich auch kostenmäßige Wirkungen in bezug auf die zu lagernde Menge. Die Anzahl der Materialarten sinkt, wobei diese in mehreren Produktarten Verwendung finden. Der einzurichtende Mindestsicherheitsbestand ergibt sich hierbei nicht durch Addition der Sicherheitsbestände der einzelnen Materialarten. Aufgrund des Gesetzes der großen Zahl ist der Sicherheitsbestand der aggregierten Bestandsmengen geringer als die rechnerische Addition der materialartenspezifischen Sicherheitsbestände.500 Im innerbetrieblichen Lagerwesen lassen sich somit infolge der Standardisierung der Materialien die Lagerflächen reduzieren. Die kostenmäßigen Konsequenzen sind somit in erster 498

Vgl. Siebert, S. 169 f. und die dort beschriebenen Beispiele. Vgl. Ihde, G.B.: Lernprozesse in der betriebswirtschaftlichen Produktionstheorie, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 40. Jg. 1970, S. 451 ff. 500 499

Zu den statistischen Ausgleichseffekten vgl. Merkel, S. 147 ff.

264

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Linie fixkostenbezogen. Die Anzahl der Ein- und Auslagerungsvorgänge bleibt gleich. Dies bedeutet, daß die variablen Kosten des Lagers durch die Standardisierung kaum verändert werden. Die Wirkungen der Standardisierung bestehen für das innerbetriebliche Transport- und Lagerwesen primär nicht in einer Reduzierung der Anforderungen an das Transport- und Lagerwesen, da die Anforderungen auch durch eine Normung der Transport- bzw. Lagerhilfsmittel gesenkt werden. Die Umrüstvorgänge, insbesondere beim innerbetrieblichen Transportwesen, sind nicht so sehr eine Funktion der verschiedenen Materialarten, als vielmehr der Hilfsmittel wie Paletten, Kisten oder Container. Die Standardisierung ist für das innerbetriebliche Transport- und Lagerwesen hauptsächlich in den beschriebenen Kostenwirkungen zu sehen. Der Komplexität von Produkten kann auch in der Weise begegnet werden, daß, anders als im Falle der Standardisierung, die Anzahl der einzelnen Teile gesenkt wird. Während bei der Standardisierung die einzelnen Materialien genormt werden, um zu Rationalisierungseffekten zu gelangen, wird im folgenden das Zusammenwirken der einzelnen Teile in den Mittelpunkt gestellt. Die Zusammensetzung der einzelnen Teile und Baugruppen eines Produktes geschieht im Rahmen der Montage. Eine Erhöhung der Komplexität des Produktes führt bei sonst gleichen Bedingungen zu einer räumlichen Ausdehnung des Montagebereiches eines Industrieunternehmens. Es besteht die Möglichkeit, durch die Einrichtung von Vormontagelinien, auf denen einzelne Komponenten zusammengesetzt und anschließend auf dem Hauptmontageband zusammengeführt werden, die Montage übersichtlicher zu gestalten. Der Steuerungsaufwand für die Endmontagelinie hat sich somit gesenkt, während bei den Vormontagelinien dieser zugenommen hat. 501 Die grundlegende Vorgehensweise einer Ausgliederung von Vormontagelinien kann in der Weise ausgebaut werden, daß die Vormontage von Komponenten des Produktes an ein anderes Unternehmen vergeben wird. Hierzu eignen sich insbesondere lohnkostenintensive Baugruppen. 502 Das mit der Vormontage beauftragte Unternehmen, der sogenannte Modullieferant, liefert an das Unternehmen Module, die sich aus einzelnen Teilen und Baugruppen zusammensetzen. Der Modullieferant tritt in diesem Falle als neuer Abnehmer der einzelnen Lieferanten auf, die die Teile des betreffenden Moduls herstellen. Das ursprünglich abnehmende Unternehmen 501

Vgl. von Eicke/Femerling, S. 30. Vgl. Scherer, Ch.: Umbrüche im Beschaffungswesen der US-Automobilindustrie, in: Systemische Rationalisierung und Zulieferindustrie - Sozialwissenschaftliche Aspekte zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung, hrsg. von N. Altmann und D. Sauer, Frankfurt am Main/New York 1989, S. 217. 502

III. Die internen Einflußgrößen der Gestaltung der Materialwirtschaft

265

schließt einen Werk- oder Werklieferungsvertrag nur mit dem Modullieferanten. Die Lieferanten der Einzelteile beliefern lediglich den Modullieferanten, eine vertragliche Bindung zwischen Endabnehmer und den Lieferanten des Modullieferanten besteht nicht. Die Anzahl der Direktlieferungen an das Unternehmen sinkt somit. In bezug auf die Lieferantenstruktur kann festgehalten werden, daß die umfangreichen direkten Lieferbeziehungen zugunsten weniger Modullieferanten abgebaut werden. Während die Anzahl der direkten Lieferanten sinkt, erhöht sich infolge der Vormontagetätigkeiten der Wert der gelieferten Materialien. Die als einstufig zu bezeichnende Lieferantenstruktur im Falle der Direktlieferanten wird durch eine mehrstufige Zulieferstruktur ersetzt. Das von den einzelnen Modullieferanten belieferte Unternehmen erstellt das Endprodukt im Rahmen der Montage der bezogenen Module sowie einzelner Teile und Baugruppen. Diese Form des Zusammenwirkens von Montage und Beschaffungswesen wird als das sogenannte modular sourcing oder Modularisierungskonzept bezeichnet.503 Es handelt sich dabei um dieselbe Vorgehensweise wie beim Zubringer-/Montagebetrieb-System, bei dem fremde Betriebe zur Herstellung der Erzeugnisse hinzugezogen werden und die Montage der einzelnen Teile das abnehmende Unternehmen durchführt. 504 Im Unterschied zum Zubringer-/Montagebetrieb-System wird beim Modularisierungskonzept nur auf Montagetätigkeiten Bezug genommen, während jenes auch die Ausgliederung der Teilefertigung in Betracht zieht. Das Modularisierungskonzept ist somit in seinem Grundcharakter ein ablauforganisatorischer Rationalisierungsansatz, der primär dazu dient, die Montage übersichtlicher zu gestalten und hierbei Rationalisierungspotentiale zu erschließen. Es stellt eine Variation des Zubringer-/Montage-Systems dar, da es den Gedanken einer mehrstufigen Lieferantenstruktur betont. Die kostenmäßigen Wirkungen für das abnehmende Unternehmen sind darin zu sehen, daß lohnkostenintensive Montagetätigkeiten an andere Unternehmen vergeben werden. Dies hat zur Folge, daß die fixen und variablen Kosten dieser ausgegliederten Unternehmensteile durch die Kosten der Beschaffung der Module ersetzt werden, die in erster Linie variable Kosten sind 5 0 5 Das Modularisierungskonzept hat neben den Auswirkungen auf die Materialwirtschaft und die Kosten auch produktionswirtschaftliche Konsequenzen. Die Vergabe von Vormontagetätigkeiten an ein anderes Unternehmen 503 504

505

Vgl. von Eicke/Femerling, S. 31. Vgl. hierzu Bergner, Kosten, S. 149 f. Vgl. Bergner, Kosten, S. 150 und Beste, Fertigungswirtschaft, S. 138.

266

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

wie im Falle des Modullieferanten dient auch dazu, die Erzeugniswechselkosten zu senken. Die Erzeugniswechselkosten werden in bezug auf ihre Höhe von der Häufigkeit und der Schwere des Erzeugniswechsels506 beeinflußt. Das Modularisierungskonzept beeinflußt die Erzeugniswechselkosten in der Weise, daß die Zahl der Erzeugniswechsel sinkt, da das Unternehmen auf Produktionsstufen verzichtet und hierdurch seine Fertigungstiefe einschränkt. Die Produkteigenschaften und hierbei insbesondere die Komplexität der Produkte hat nicht nur für die Materialwirtschaft Auswirkungen. Die dargestellten Anpassungsmöglichkeiten, die Standardisierung der Teile und die Reduktion der Teilevielfalt lassen sich in einer Unternehmung in der Weise umsetzen, daß nicht nur betriebsindividuelle Lösungen angestrebt werden. Es gilt vielmehr, unternehmensübergreifende Konzeptionen aufzubauen, wobei dies nicht im Sinne von horizontalen Unternehmenskooperationen, sondern von vertikalen zu verstehen ist. Die Materialwirtschaft organisiert hierbei als aktives Gestaltungselement eine Zusammenarbeit mit den Lieferanten im Sinne des Zubringer-/Montagebetrieb-Systems und des Modularisierungskonzeptes. Neben diesem Aspekt trägt die Materialwirtschaft in Zusammenarbeit mit der Konstruktionsabteilung dazu bei, bereits durch eine zweckorientierte Produktgestaltung eine Modulbauweise zu gewährleisten. Die Bedeutung der Produkte für die betriebliche Materialwirtschaft ist nicht nur vor einem produktindividuellen Hintergrund zu sehen, sondern es müssen vielmehr alle Produkte und ihre Beziehungen zueinander in die Betrachtungen einbezogen werden. c) Die Programmeigenschaften als Bestimmungsgröße der Materialwirtschaft Das industrielle Leistungsprogramm umfaßt in seinen beiden Dimensionen - Breite und Tiefe - alle von einem Unternehmen zu erbringenden Leistungen. Während die Breite des Leistungsprogrammes die einzelnen Endprodukte und ihre Beziehungen zueinander in den Vordergrund stellt, umfaßt die Tiefe des industriellen Leistungsprogrammes die zur Leistungserstellung notwendigen innerbetrieblichen Produktionsstufen. 507 Da die Tiefe des Leistungsprogrammes in Zusammenhang mit dem Leistungserstellungsprozeß zu sehen ist, soll es im folgenden Kapitel gemeinsam mit dem Leistungserstellungsprozeß dargestellt werden. 506

Zum Begriff des Erzeugniswechsels vgl. Kaluza, B.: Erzeugniswechsel als unternehmenspolitische Aufgabe - Integrative Lösungen aus betriebswirtschaftlicher und ingenieurwissenschaftlicher Sicht, Berlin 1989, S. 84 ff. 507 Vgl. hierzu Beste, Fertigungswirtschaft, S. 130 ff.

III. Die internen Einflußgrößen der Gestaltung der Materialwirtschaft

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Die Breite des industriellen Leistungsprogrammes kann in formaler Hinsicht durch solche Merkmale beschrieben werden, die in ihrem Charakter die Beziehungen zwischen den einzelnen Endprodukten zum Ausdruck bringen. Hierzu eignen sich als Merkmale die 'Anzahl der Produktarten', der 'Verwandtschaftsgrad der Produkte' und die 'Wiederholungshäufigkeit der Produkte'. Während das Merkmal 'Anzahl der Produkte' den quantitativen Aspekt der Breite eines Leistungsprogrammes erfaßt, haben die beiden anderen in qualitativer und quantitiver Sichtweise die Beziehungen zwischen den einzelnen Produkten zum Gegenstand. Die Merkmale spiegeln dieses Anliegen wider, was sich in den dazugehörenden Merkmalsausprägungen dem Verwandtschaftsgrad der Produkte mit seinen Merkmalsausprägungen homogenes oder heterogenes Leistungsprogramm und die Wiederholungsrate mit den Ausprägungen Einzel- und Mehrfachfertigung - zeigt.

aa) Die Anzahl der Produktarten Die Anzahl der Produktarten gibt als alleiniges Untersuchungsmerkmal kaum Aufschluß über die daraus ableitbaren Anforderungen an die Materialwirtschaft. Der Grund hierfür liegt im Fehlen eines qualitativen Aspektes, der auf den Grad der Unterschiedlichkeit der einzelnen Produkte Bezug nimmt. Ein Unternehmen mit einer großen Zahl von verschiedenen Produkten stellt beispielsweise an das Beschaffungswesen geringe Anforderungen, falls die Differenziertheit der Produkte im Leistungserstellungsprozeß erst relativ spät eintritt. Das Beschaffungswesen hat in diesem Falle rein quantitativen Anforderungen, die sich in größeren Bestellmengen äußern, Rechnung zu tragen. Im Unterschied dazu stellen sich dem Beschaffungswesen bei sehr unterschiedlichen Produkten und unter Umständen verschiedenen Produktionsprozessen, ungeachtet der geringen Anzahl von Produktarten, höhere Anforderungen, wenn die zu beschaffenden Materialien in ihrer Mengenkomponente geringer, aber in ihrer Artkomponente differenzierter sind. Aus diesem Grunde ist es notwendig, den Beziehungscharakter der einzelnen Produkte in die Untersuchungen einzubeziehen, um zu Aussagen über die materialwirtschaftlichen Konsequenzen zu gelangen. Dies erfolgt durch die Merkmale 'Verwandtschaftsgrad der Produkte' und 'Wiederholungsrate der Produkte'.

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D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

bb) Der Verwandtschaftsgrad der Produkte als Einflußfaktor der Materialwirtschaft Der Verwandtschaftsgrad der Produkte des industriellen Leistungsprogrammes hat für die industrielle Materialwirtschaft in zweierlei Hinsicht Bedeutung. Zum einen wird durch dieses Merkmal die Organisationsstruktur des Unternehmens und damit auch der Materialwirtschaft beeinflußt. Zum anderen zeigen sich Auswirkungen auf die Erfüllung materialwirtschaftlicher Funktionen. Eine Untersuchung der Verwandtschaft von Produkten knüpf an der Unterschiedlichkeit der verschiedenen Produktarten an. Die Betrachtung der Unterschiedlichkeit, das heißt des Ausmaßes an Produktdiversifikation, hat zur Bedingung, daß ein Kriterium zugrundegelegt werden muß, das diese Unterschiedlichkeit zum Ausdruck bringt. Bei der Analyse der Unterschiedlichkeit von Produkten kann das Unterscheidungsmerkmal auf mehrere Betrachtungsebenen bezogen werden. In diesem Sinne stellt sich zunächst die Frage, ab wann Produkte unterschiedlich sind. Je nachdem, wie eng das Kriterium gewählt wird, kann auch innerhalb einer Produktart in bezug auf Farbe, Größe oder Ausstattung eine gewisse Produktdiversifikation festgestellt werden. Die Produktdiversifikation äußert sich in unterschiedlichen Anforderungen nicht nur in Fragen der Produktgestaltung, sondern darüberhinaus im Rahmen des gesamten Leistungserstellungsprozesses.508 Diese umfassende Sichtweise bedeutet für die Festlegung des Diversifikationsgrades, daß dieser die Unterschiedlichkeit der Produkte im Rahmen des Beschaffungswesens, der Produktion und des Absatzes widerspiegeln soll, denn die Verwandtschaft von Produkten kann sich beispielsweise im Hinblick auf die eingesetzten Materialien, das Fertigungsverfahren, den Organisationstyp der Fertigung oder die Kundenstruktur ausdrükken. 509 Den Ausgangspunkt zur Ableitung unterschiedlicher Produkte bildet das industrielle Leistungsprogramm, so daß für die Bestimmung unterschiedlicher Produkte vor allem fertigungs- und absatzwirtschaftliche Gesichtspunkte herangezogen werden. Die Begründung einer Produktdiversifikation aufgrund von Unterschieden im Beschaffungswesen erscheint nicht sinnvoll, da sich der Einsatz von Materialien bezüglich der Materialart nicht immer auf einzelne Produkte abgrenzen läßt, wie beispielsweise bei den Hilfsstoffen. 508

Vgl. hierzu auch Große-Oetringhaus, W.F.: Fertigungstypologie unter dem Gesichtspunkt Fertigungsablaufplanung, Diss., Berlin 1974, S. 113 f. 5 0 der 9 Vgl. Kieser/Kubicek, S. 252 f.

III. Die internen Einflußgrößen der Gestaltung der Materialwirtschaft

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Eine Ausnahme hierzu stellen solche Produkte dar, die sich lediglich in den verwendeten Rohstoffen unterscheiden. 510 Der Diversifikationsgrad innerhalb des industriellen Leistungsprogrammes hat dahingehend Auswirkungen, daß die industrielle Materialwirtschaft in ihrer organisatorischen Gestaltung und Einbindung in die Unternehmensorganisation betroffen ist. Dies zeigt sich bei einer Betrachtung der beiden Ausprägungsformen der Verwandtschaft von Produkten. Ein homogenes Leistungsprogramm bedeutet, daß die Produkte relativ gleichartige Anforderungen in bezug auf die Leistungserstellung aufweisen. Ein Leistungsprogramm, das durch einen eher heterogenen Charakter gekennzeichnet ist, weist dieses Merkmal nicht in den einzelnen Phasen der Leistungserstellungsprozesse auf. Dies bedeutet für die Unternehmensorganisation, daß im ersten Fall eine funktionale Organisationsform vorteilhaft ist, während im zweiten Fall eine divisionale Struktur angebracht ist. Der tiefere Grund hierfür liegt in den Transaktionskosten, die sich jeweils infolge dieser Organisationsformen senken.511 Die Unterstellung einer quasi-deterministischen Komplementarität zwischen Diversifikationsgrad und der Frage, ob Einoder Mehrproduktunternehmen, 512 ist lediglich bei der Aufnahme eines zusätzlichen Produktes bei einem Einproduktunternehmen gerechtfertigt. Innerhalb der Mehrproduktunternehmen kann beispielsweise durch Produktelimination und Aufnahme neuer Produkte der Diversifikationsgrad gesenkt werden. Die Auswirkungen des Diversifikationsgrades auf die Materialwirtschaft lassen sich in erster Linie in ihrer organisatorischen Gestaltung festmachen. Die beiden Ausprägungsformen eines homogenen oder heterogenen Leistungsprogrammes erlauben Rückschlüsse darauf, ob und inwieweit die Aufgaben im Rahmen der Materialwirtschaft zentralisiert werden. Ein homogenes Leistungsprogramm erlaubt die Zentralisierung materialwirtschaftlicher Aufgaben in funktionaler Hinsicht, da diese in diesem Falle ebenfalls einen homogenen Charakter in bezug auf die Objekte aufweisen. Die Zentralisierung materialwirtschaftlicher Aufgaben im Hinblick auf die Materialbeschaffung geschieht im Rahmen der funktionalen Organisationsform. Diese Homogenität äußert sich nicht so sehr im Bereich des Lager- und Transportwesens als vielmehr im Beschaffungsbereich. Ein homogenes Leistungsprogramm bedeutet für das Beschaffungswesen, daß sich im Unterschied zu einer produktspezifischen Beschaffung bei einer Zentralisierung der Beschaffung die Materialmengen dementsprechend erhöhen, aber daß in die510

Als Beispiel lassen sich Erzeugnisse der Möbelindustrie anführen, deren Unterschied lediglich in der verwendeten Holzsorte besteht. Vgl. Kieser/Kubicek, S. 100 f. 512 Vgl. zu diesem Zusammenhang Heuer, S. 200.

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D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

ser zentralen Beschaffungsabteilung die Zahl der zu beschaffenden Materialarten kaum zunimmt. Bei einem heterogenen Leistungsprogramm bleibt die Zahl der zu beschaffenden Materialarten gleich und damit auch die Beschaffungsmengen. In bezug auf die Beschaffungsmärkte lassen sich bei einem heterogenen Leistungsprogramm ebenfalls kaum Überschneidungen feststellen. Ein heterogenes Leistungsprogramm hat somit zur Folge, daß materialwirtschaftliche Aufgaben im Hinblick auf ihren Objektumfang zentralisiert werden. Diese Aussagen sind vor dem Hintergrund verschiedener Materialarten zu konkretisieren. In bezug auf Betriebs- und Hilfsstoffe ergeben sich auch bei einem sehr heterogenen Leistungsprogramm Paralellitäten in bezug auf die verwendeten Materialien, so daß in diesem Falle eine Zentralisierung in funktionaler Hinsicht gerechtfertigt ist. Die Unterschiede zwischen einem homogenen und einem heterogenen Leistungsprogramm zeigen sich insbesondere im Bereich der Beschaffung von unfertigen Erzeugnissen. Je mehr ein Unternehmen Vorleistungen im Sinne von unfertigen Erzeugnissen in seinem Leistungserstellungsprozeß einsetzt, desto differenzierter werden die Bedarfsarten. Die Folge ist, daß sich die Beschaffungsmärkte sehr stark unterscheiden, so daß eine Zentralisierung des Beschaffungswesens in diesem Falle nicht zu Losgrößenvorteilen führt. Dies bleibt nicht auf heterogene Leistungsprogramme beschränkt, sondern kann, wenn auch in geringerem Maße, auf homogene Leistungsprogramme übertragen werden. Es bleibt festzuhalten, daß die Zentralisierung des Beschaffungswesens vor dem Hintergrund der Materialarten zu sehen ist. Eine Beschaffungszentralisierung bei Hilfs- und Betriebsstoffen erscheint sowohl bei homogenen als auch bei heterogenen Leistungsprogrammen sinnvoll, während die Zentralisierung der Beschaffung von unfertigen Erzeugnissen nicht unbedingt zu losgrößenspezifischen Vorteilen führt. Neben dem Beschaffungswesen hat der Verwandtschaftsgrad der Produkte auch Auswirkungen auf das innerbetriebliche Lager- und Transportwesen. Bei einem homogenen Leistungsprogramm ist der durchschnittliche Lagerbestand im Unterschied zu einem heterogenen Leistungsprogramm geringer, da Gemeinsamkeiten in der Produktzusammensetzung durch die Stückliste erkennbar sind. Gemäß dem Gesetz der großen Zahl sinkt durch eine Zusammenlegung der einzelnen Materiallager der durchschnittliche Lagerbestand. Bei einem heterogenen Leistungsprogramm tritt dieser statistische Ausgleichseffekt nicht ein, denn infolge der unterschiedlichen Produktstrukturen müssen jeweils für die einzelnen Materialien Lagerbestände eingerichtet werden. Bei einem homogenen Leistungsprogramm ergeben sich geringere Anforderungen an ein in bezug auf verschiedene Transportobjekte flexibles Transportwesen. 513 513

Vgl. hierzu auch Beste, Fertigungswirtschaft, S. 133.

III. Die internen Einflußgrößen der Gestaltung der Materialwirtschaft

271

cc) Die Wiederholungshäufigkeit der Produkte als Einflußfaktor der Materialwirtschaft Das Merkmal der Wiederholungshäufigkeit von Produkten berücksichtigt ebenso wie der Verwandtschaftsgrad von Produkten quantitative und qualitative Aspekte des Leistungsprogrammes, wobei die Wiederholungsrate auch vor dem Hintergrund fertigungswirtschaftlicher Aspekte zu sehen ist. Die Merkmalsausprägungen Einzel- und Mehrfachfertigung bringen zum Ausdruck, wie viele Erzeugnisse eines Produktes gefertigt werden. Während die Einzelfertigung sich nur auf ein einziges Erzeugnis bezieht, ist die Produktionsmenge bei der Mehrfachfertigung um ein Vielfaches größer. Bei der Massenfertigung geht die Erzeugnismenge im Grenzfall gegen unendlich. In bezug auf die produzierte Erzeugnismenge liegen die Serien- und Sortenfertigung zwischen der Einzel- und der Massenfertigung, wobei sich die Kleinserienfertigung in ihrem Charkter eher in Richtung Einzelfertigung und die Großserien in Richtung Massenfertigung zuordnen lassen.514

a^ Die Einzelfertigung Im Rahmen der Einzelfertigung wird von einer Produktart jeweils nur ein Erzeugnis hergestellt, das nach den Anforderungen der jeweiligen Abnehmer gefertigt wird. Da die Produktionsprogrammplanung bei der Einzelfertigung infolge der unsicheren Informationen über die Auftragseingänge relativ problematisch ist, 515 besteht die Notwendigkeit einer fertigungswirtschaftlichen Flexibiltät, um hierdurch Unsicherheiten bezüglich der Menge, der Art und dem zeitlichen Anfall der Kundenaufträge Rechnung zu tragen. 516 Ein Industriebetrieb kann auf diese Unsicherheiten in der Weise reagieren, daß im Rahmen der Produktion Universalmaschinen eingesetzt werden, die für unterschiedliche Bearbeitungsarten geeignet sind.5 7 Die fertigungswirtschaftliche Flexibilität in ihrer Gesamtheit kann nicht durch 514

Zu diesen Fertigungsverfahren vgl. Schäfer, S. 63 ff. und Große -Oetrìnghaus, S. 150 ff. Vgl. hierzu Schomburg, E.: Entwicklung eines betriebstypologsichen Instrumentariums zur systematischen Ermittlung der Anforderungen an EDV-gestützte Produktionsplanun^s- und -steuerungssysteme im Maschinenbau, Diss., Aachen 1980, S. 70 ff. Vgl. hierzu Ellinger, Th.: Industrielle Einzelfertigung und Vorbereitungsgrad, in: Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung, Neue Folge, 15. Jg. 1963, S. 481 ff. Zur Flexibilität im Rahmen der industriellen Produktion vgl. Kaluza, B.: Flexibilität der Produktionsvorbereitung industrieller Unternehmen, in: Nationale und internationale Problemfelder der Betriebswirtschaftslehre - Festgabe für Heinz Bergner zum 60. Geburtstag, hrsg. von G. von Kortzfleisch und B. Kaluza, Berlin 1984, S. 297 ff. 517 Vgl. Bergner, Vorbereitung, Sp. 2182. 515

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D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

alleinige Betrachtung der Fertigungseinrichtungen erreicht werden. Vielmehr muß auch der Bereich der Versorgung der Fertigungsstellen einbezogen werden. Der Flexibilitätsgedanke umfaßt somit die Einrichtungen im Rahmen der Fertigung und der Materialwirtschaft. Flexibilitätsanforderungen an die industrielle Leistungserstellung bleiben nicht nur auf den Bereich der eigentlichen Fertigung beschränkt, sondern haben auch Bedeutung für andere Unternehmensbereiche. Die Materialwirtschaft bei der Einzelfertigung ist somit durch den Einsatz flexibler Einrichtungen zu charakterisieren. Es stellt sich hierbei die Frage, bezüglich welcher Aspekte diese materialwirtschaftliche Flexibiltät zu sehen ist. Die Flexibilitätsanforderungen haben für die Materialwirtschaft dahingehend Bedeutung, daß ein Bedarf an räumlichen und qualitativen Freiheitsgraden besteht. Die Notwendigkeit einer räumlichen Flexibilität begründet sich auf den grundlegenden Charakter der Einzelfertigung, der besagt, daß die jeweiligen Erzeugnisse lediglich einmal in dieser Ausführungsform hergestellt werden. Ein Wechsel der Erzeugnisse ist gleichbedeutend mit unterschiedlichen Ablaufplanungen für den Produktionsprozeß. 518 Die Einrichtungen im Rahmen des innerbetrieblichen Transportwesens sind somit unter dem Kriterium der räumlichen Flexibiltät auszuwählen, so daß Unstetigförderer wie Gabelstapler und -hubwagen zum Einsatz kommen. Bei der Einzelfertigung nehmen die Verkehrswege einen relativ großen Teil der Hallenfläche ein, da Verkehrswege für alle denkbaren Übergangsbeziehungen zwischen den Fertigungsstellen eingerichtet werden müssen. Die qualitative Flexibilität hat für die Materialwirtschaft in der Weise Auswirkungen, daß das innerbetriebliche Transport- und Lagerwesen befähigt sein sollte, unterschiedliche Transport- und Lagerobjekte aufzunehmen. Die qualitative Flexibilität wird insbesonders durch eine Normung der Transport- und Lagerhilfsmittel erreicht, so daß die Transport- und Lagermittel nicht mehr für verschiedene Objekte umgerüstet werden müssen, wie beispielsweise mittels der Behältertechnik. Die Einzelfertigung ist teilweise kennzeichenbar durch sehr große Objekte, wie zum Beispiel im Bereich des Anlagenbaues.519 Die Gestaltungsmöglichkeiten beim innerbetrieblichen Transport- und Lagerwesen bestehen zum einen im Einsatz von Transportmitteln, die für schwere Transportobjekte ausgelegt sind wie Portal- und Konsolkräne oder Portalhubwagen. Zum anderen kann bei schweren und sperrigen Objekten eine Lagerung in offenen oder halboffenen Außenlagern in Betracht kommen, falls ihre Beschaffenheit eine solche zuläßt. Bei sol518

Vgl. hierzu auch Seelbach, H.: Ablaufplanung bei Einzel- und Serienproduktion, in: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft, Stuttgart 1979, Sp. 21 ff. 519 Vgl. Schäfer, S. 71.

III. Die internen Einflußgrößen der Gestaltung der Materialwirtschaft

273

chen Objekten sind dem Normungsgedanken mittels der Hilfsmittel aufgrund der Größe und der Schwere der Objekte Grenzen gesetzt. Dem Beschaffungswesen kommt im Rahmen der Einzelfertigung eine besondere Bedeutung zu. Die Unsicherheiten der Einzelfertigung beziehen sich nicht nur auf produktions- und absatzwirtschaftliche Fragenkreise, sondern das Beschaffungswesen hat diesem Unsicherheitsaspekt insofern Rechnung zu tragen, als Informationen vorhanden sein müssen, ob und inwieweit bereits genutzte Beschaffungsmärkte für die neuen Erzeugnisse herangezogen werden oder ob neue Beschaffungsmärkte zu erschließen sind. Der Informationsbedarf kann durch den Auf- und Ausbau der Beschaffungsmarktforschung befriedigt werden. Es müssen Informationen darüber vorhanden sein, ob die Materialien in den gewünschten Dimensionsausprägungen beschafft werden können. Da der Kunde bei der Einzelfertigung genau umrissene Lieferterminvorstellungen hat, ist hierbei insbesondere die Zeitdauer der Beschaffung bedeutsam. Neben der Zeit spielt bei der Einzelfertigung auch die Qualität des Erzeugnisses eine große Rolle, da der Abnehmer dieses Erzeugnis unter Umständen selbst in seinem Leistungserstellungsprozeß als Potentialfaktor einsetzt.

b x ) Die Serienfertigung Die Serienfertigung ist dadurch gekennzeichnet, daß sie, ähnlich der Einzelfertigung, verschiedene Erzeugnisse, aber in größeren Stückzahlen fertigt. Die Fertigung der einzelnen Serien erfolgt in der Regel auf verschiedenen Fertigungseinrichtungen, die unter Umständen räumlich getrennt sind. Diese räumliche Trennung wird dadurch möglich, daß sich die Erzeugnisse verschiedener Serien in wesentlichen Merkmalen unterscheiden, so daß die ST)

Produktion auf verschiedenen Fertigungsanlagen stattfinden muß. ~ Dies hat zur Folge, daß die Fertigungseinrichtungen spezialisierter als im Falle der Einzelfertigung sind. Eine Spezialisierung der Fertigungseinrichtungen bedeutet für die Materialwirtschaft ebenfalls eine Spezialisierung in ihren Einrichtungen. Das Transportwesen innerhalb der einzelnen Serien gestaltet sich infolge der räumlichen Trennung der Fertigung der einzelnen Serien übersichtlicher und kann im Unterschied zur Einzelfertigung in seinem Ablauf geplant werden. Als Transportmittel lassen sich somit Stetigförderer einsetzen. Die Transportgeschwindigkeit wird dabei durch die Arbeitsteilung und damit durch die Anzahl der Fertigungsstellen und den Arbeitstakt 520

Vom Fall der Kleinserienfertigung sei in diesem Zusammenhang abgesehen, da diese auch als wiederholte Einzelfertigung betrachtet werden kann. 1 Brecht

274

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

bestimmt. Bei der Auswahl der einzusetzenden Transportmittel ist zu beachten, daß die einzelnen Serien grundsätzlich nach einer bestimmten Zeit auslaufen können und somit sehr spezialisierte Transportmittel von Nachteil sind, da diese sich relativ schwer auf die Anforderungen einer neuen Serie umstellen lassen. Der Serienwechsel kann auch mit Veränderungen im Fertigungsbereich, die sich infolge der geänderten Ablaufplanung ergeben, verbunden sein. Dies wird in der Weise berücksichtigt, daß keine ortsfesten Transportmittel eingesetzt werden, so daß keine baulichen Veränderungen bei einem Serienwechsel notwendig sind. Der Einsatz von Kränen, die über den gesamten Fertigungsbereich reichen, bleibt von der Änderung des Fertigungsablaufs unberührt. 522 Das innerbetriebliche Lagerwesen im Rahmen der Serienfertigung kann ebenfalls wie bei der Einzelfertigung dem Normungsgedanken folgen. Die Lagerobjekte der verschiedenen Serien werden durch genormte Lagerhilfsmittel in bezug auf ihre Abmessungen genormt, so daß eine gemeinsame Lagerung erfolgt. Während der Fertigungsablauf bei der Einzelfertigung nicht oder nur sehr schwer planbar ist, ist dies insbesondere bei der Großserienfertigung nicht der Fall. Dies hat zur Konsequenz, daß die einzurichtenden Lager in bezug auf ihre Stellung im Leistungserstellungsprozeß bei der Einzelfertigung hauptsächlich in Form von Zwischenlagern vorzufinden sind, während bei der Serienfertigung Beschaffungslager eingerichtet werden, die Zulieferteile aufnehmen.

Cj) Die Sortenfertigung Die Sortenfertigung als Fertigung artgleicher Erzeugnisse, die sich in unwesentlichen Aspekten, wie beispielsweise der Farbe, unterscheiden, ist dadurch gekennzeichnet, daß diese Erzeugnisse auf derselben Fertigungseinrichtung bearbeitet werden. 523 Die Sortenfertigung kann streng genommen auch im Rahmen der Serien- oder Massenfertigung durchgeführt werden, so daß die Anforderungen an die Materialwirtschaft ähnlich denen der Serienund Massenfertigung sind. Die Ausführungen bezüglich der Sortenfertigung konzentrieren sich deshalb auf einen Sachverhalt, der im Charakter der Sortenfertigung begründet ist, dem Wechsel von verschiedenen Sorten. Das Grundproblem bei der Sortenfertigung stellt die konkurrierende Form der Fertigung dar. Dies bedeutet in bezug auf die Fertigungsanlagen, daß ein Algorithmus für den Zeitpunkt der Belegung der Fertigungsstellen 521 522 523

Vgl. Bezdecka, S. 86. Vgl. Fackelmeyer, S. 41. Vgl. Beste, Fertigungswirtschaft, S. 146.

III. Die internen Einflußgrößen der Gestaltung der Materialwirtschaft

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mit den unterschiedlichen Sorten gefunden werden muß. Der Sortenwechsel verursacht die sogenannten Sortenwechselkosten, die sich in Kosten für Vorsorge-, Auslauf-, Umstellungs-, Reinigungs- und Anlaufoperationen 524 niederschlagen. Im Unterschied zur Serienfertigung stellt sich das Problem des Sortenwechsels nicht im Rahmen des Auslaufens einer Serie, sondern die verschiedenen Sorten werden in bestimmten Zeitintervallen wiederholt auf denselben Fertigungsanlagen hergestellt, wobei die Zeitintervalle im Unterschied zur Serienfertigung sehr kurzfristigen Charakter haben. Die Materialwirtschaft hat dem Sortenwechsel in der Weise Rechnung zu tragen, daß das innerbetriebliche Transport- und Lagerwesen flexibel im Hinblick auf den Transport und die Lagerung von Werkstücken verschiedener Sorten ist. Die Planung der Bereitstellung von Materialien an den Fertigungsstellen gestaltet sich in Abhängigkeit von der Anzahl der Sortenwechselvorgänge schwieriger.

d 2 ) Die Massenfertigung Im Rahmen der Massenfertigung werden gleiche Erzeugnisse in sehr großer Zahl produziert. Die Massenfertigung läßt sich in Form der einheitlichen Massenfertigung, bei der nur eine Erzeugnisart produziert wird, und der zeitlich wechselnden Massenfertigung vorfinden. 5 Die Frage, ob die Erzeugnisse im Rahmen der wechselnden Massenfertigung als Sorten zu bezeichnen sind, 526 stellt sich insofern nicht, als es nicht zwingend ist, daP die Erzeugnisse "nah verwandt" (Schäfer) sind. Auch ist bei der wechselnden Massenfertigung der Wechsel im Sinne eines Auslaufens des Erzeugnisses zu sehen, während ein Sortenwechsel dies nicht unbedingt als Ursache hat. Die Massenfertigung ist in fertigungstechnischer Hinsicht durch eine strenge Ablaufplanung charakterisierbar. Die Ablaufplanung bezieht sich hierbei auf das ständige Wiederholen der Produktion eines Erzeugnisses und die Anordnung der einzelnen Arbeitssysteme nach dem Kriterium der Arbeitsabfolge. 527 Diese Ausgangsbedingungen bedeuten planungstechnisch, daß der Materialbedarf quasi-deterministisch anfällt und es nicht notwendig ist, Freiheitsgrade in die Gestaltung des materialwirtschaftlichen Systems einzubauen, da sich der zugrundeliegende Faktor - das Erzeugnis erst langfristig ändert. Vgl. Bergner, Vorbereitung, Sp. 2174 ff. Vgl. Beste, Fertigungswirtschaft, S. 145. 526 Vgl. Schäfer, S. 64. 527 Vgl. Steffen, R.: Ablaufplanung bei Massenproduktion, in: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft, hrsg. von W. Kern, Stuttgart 1979, Sp. 29. 525

18*

276

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Die einzelnen Teilbereiche der Materialwirtschaft sind in unterschiedlicher Weise von diesen Bedingungen betroffen. Das Beschaffungswesen kann infolge des quasi-deterministischen Bedarfsanfalls eine sehr detaillierte Mengenplanung durchführen, so daß die Lagerbestände im Bereich der Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie der Zulieferteile abgebaut werden, da die Unsicherheit des Bedarfsanfalls als Grund für die Einrichtung dieser Lager entfällt. Die Massenfertigung eignet sich infolge des planbaren Bedarfsanfalls für eine bedarfssynchrone Materialbeschaffung und -bereitstellung. 528 Die Lieferverträge sind bei der Massenfertigung durch lange Vertragsdauern gekennzeichnet, um hierdurch die Versorgung mit Materialien langfristig sicherzustellen. Der Einsatz von Spezialmaschinen, die nur eine Erzeugnisart wiederholt bearbeiten, hat für das innerbetriebliche Transportund Lagerwesen dahingehend Bedeutung, daß ebenfalls Speziai- oder Einzweckanlagen eingerichtet werden. Neben diesem Aspekt bewirkt insbesondere der gleichbleibende Fertigungsablauf, daß die Fertigungsstellen durch ein starres Transportsystem, wie beispielsweise flurgebundene, stetige Transportmittel, verbunden sind. Der Einsatz dieser Transportmittel kann nicht nur zwischen den einzelnen Fertigungsstellen erfolgen, sondern auch zwischen Fertigungsstelle und Lagerbereich. Diesem theoretisch denkbaren Fall steht der Gesichtspunkt entgegen, daß die Menge der an den einzelnen Fertigungsstellen benötigten Materialien nicht ausreicht, den Einsatz eines starren Transportsystems zwischen Lager und Fertigungsstellen wirtschaftlich zu begründen. Die Versorgung der einzelnen Bedarfspunkte geschieht daher in der Regel mittels flurgebundenen, manuell bedienbaren Unstetigförderern, wie zum Beispiel Gabelstaplern. Das Lagerwesen ist in der Weise von der Massenfertigung betroffen, daß die Notwendigkeit von Zwischenlagern infolge der strengen Ablauforganisation nicht besteht. Die Eigenschaften von Produkt und Programm sind auch im Hinblick auf die Produktionsmenge zu sehen. Die Aufrechterhaltung einer reibungslos verlaufenden Leistungserstellung bedeutet für die Materialwirtschaft, daß sie sich mit ihrer Kapazität an der Betriebskapazität auszurichten hat. Die Kapazität der Materialwirtschaft stellt eine Größe dar, die von der Auf-

528

Im Extremfall werden durch die Politik einer einsatzsynchronen Anlieferung diese Lagerbestände vollständig abgebaut, wobei aber zu beachten ist, daß der Produktionsprozeß empfindlicher gegenüber Lieferverzögerungen wird. Infolge der strengen Ablauforganisation führt eine Verzögerung oder der Ausfall einer Lieferung an eine Fertigungsstelle zu einer Produktionsstörung und darauffolgend zu einer Produktionsunterbrechung. Die Einrichtung von Sicherheitsbeständen stellt zwar eine Vorsichtsmaßnahme dar, ist aber im Gegensatz zur 'Philosophie' dieser Just-in-time-Strategie zu sehen, da solche Bestände gerade vermieden werden sollten.

III. Die internen Einflußgrößen der Gestaltung der Materialwirtschaft

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nahmefähigkeit der einzelnen Transport- und Lagereinrichtungen sowie deren Umlauf- bzw. Umschlaggeschwindigkeit abhängig ist. 529 Die Betrachtungen der Produkt- und insbesondere der Programmeigenschaften zeigen, daß die produktbezogenen Aspekte auch vor dem Hintergrund der fertigungswirtschaftlichen Bedingungen eines Industriebetriebes zu sehen sind. Aus diesem Grunde wird im folgenden Kapitel darauf eingegangen, ob und inwieweit sich der Fertigungsprozeß als Einflußgröße auf die Materialwirtschaft niederschlägt.

3. Die industrielle Leistungserstellung als Einflußfaktor der Materialwirtschaft

Die betriebliche Leistungserstellung beeinflußt neben dem Leistungsprogramm und der Unternehmensgröße als interne Rahmenbedingung die Materialwirtschaft. Die Materialwirtschaft wird in der Weise von der betrieblichen Leistungserstellung beeinflußt, daß ihre grundlegende Aufgabe, die Versorgung der Bedarfsstellen mit Materialien, eng mit dem Leistungserstellungsprozeß verbunden ist. Die Versorgung der Fertigungsstellen mit Materialien ist mit der Leistungserstellung unter anderem in bezug auf den räumlichen Aspekt der Fertigung verknüpft. Die räumliche Dimension der Fertigung kommt im Rahmen der Organisation der Fertigung zum Ausdruck. Im folgenden werden daher verschiedene Organisationsformen für die industrielle Fertigung in ihrer Bedeutung für die Materialwirtschaft betrachtet.

a) Die Bestimmung der verschiedenen Organisationsformen der Fertigung Die Betrachtung der Fertigung unter dem Merkmal der Organisationsform der Fertigung 3 0 bringt einerseits zum Ausdruck, auf welche Weise die Fertigungstellen räumlich angeordnet sind und anderseits, wie sich die Übergangsbeziehungen zwischen den einzelnen Fertigungsstellen darstellen. Im ersten Fall stehen die Betriebsmittel im Mittelpunkt, während im zweiten Fall der Weg zwischen den Betriebsmitteln betrachtet wird. Die Zugrundelegung des Weges zwischen den Fertigungsstellen unterstellt eine Beweg529

Vgl. Bezdecka, S. 88 f. Zur Bestimmung der Kapazität der Materialwirtschaft vgl. Kapitel5 D.IV.l. dieser Arbeit. 30 Zu den Organisationsformen der Fertigung vgl. Beste, Fertigungswirtschaft, S. 147 ff.; Schäfer, S. 158 ff. und Große-Oetringhaus, S. 269 ff.

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D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

lichkeit der zu bearbeitenden Objekte, so daß auf einer ersten Stufe zunächst danach unterschieden wird, ob das zu bearbeitende Objekt überhaupt beweglich ist. Die Beweglichkeit eines Objektes ist im allgemeinen davon abhängig, ob es wirtschaftlich ist, es im Rahmen des Fertigungsablaufes zu bewegen. In bezug auf die Frage der Beweglichkeit der Objekte wird somit zwischen unbeweglicher und beweglicher Fertigung unterschieden werden. Die unbewegliche Fertigung kann weiterhin durch die Betrachtung des Zusammenhanges zwischen Herstellungsort und späterem Verwendungsort in Form der internen oder der externen Baustellenfertigung betrieben werden. Während bei der internen Baustellenfertigung der Herstellungsort und der spätere Verwendungsort des gefertigten Erzeugnisses verschieden sind, besteht bei der externen Baustellenfertigung eine räumliche Übereinstimmung der beiden Orte. Beispiele hierzu sind der Schiffs- und Großanlagenbau bzw. der Häuser- oder Brückenbau. Die bewegliche Fertigung kann bezüglich des Merkmals "Art der Übergangsbeziehungen" danach untersucht werden, ob die Übergangsbeziehungen jeweils nur zwischen zwei bestimmten Fertigungsstellen denkbar sind, oder ob Übergangsbeziehungen generell zwischen allen Fertigungsstellen bestehen. Die Form der Fertigungsorganisation ist im ersten Fall die Fließfertigung und im zweiten Fall die Werkstattfertigung. Diese beiden Organisationsformen ergeben sich auch dann, wenn als zugrundeliegendes Merkmal bei der beweglichen Fertigung die räumliche Anordnung der Fertigungsstellen gewählt wird. Die Anordung der Betriebsmittel nach der durch sie verkörperten Tätigkeitsart erfolgt im Rahmen der Zusammenfassung gleicher oder gleichartiger Tätigkeiten in Form der Werkstattfertigung. Bei der Fließfertigung werden die Fertigungsmittel nach der Abfolge der Tätigkeiten angeordnet. Die Betriebsmittelanordnung im Rahmen der Fließfertigung macht deutlich, daß sie sich auf ein spezifisches Produktionsprogramm bezieht, das durchaus in mehreren Sorten hergestellt werden kann. Die Werkstattfertigung ist in diesem Zusammenhang auf ein breiteres Produktionsprogramm ausgerichtet. 531 Während im Fall der Werkstattfertigung Maschinen mit gleichen oder gleichartigen Tätigkeiten in einer ganz bestimmten dafür ausgelegten Werkstatt anzutreffen sind, befinden sich bei der Fließfertigung diese Maschinen an mehreren, räumlich getrennten Orten des Leistungserstellungsprozesses. Die in diesen beiden Organisationstypen eingesetzten Maschinen sind auf die spezifischen Anforderungen des Produktionsprogrammes zugeschnitten, so daß bei der Werkstattfertigung Universalmaschinen und bei der Fließfer531

Vgl. Große-Oetringhaus, S. 274 f.

III. Die internen Einflußgrößen der Gestaltung der Materialwirtschaft

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tigung Einzweckmaschinen zum Einsatz kommen. Die beiden Maschinentypen unterscheiden sich im Hinblick auf das Tätigkeitsfeld, für das sie konzipiert sind. Universalmaschinen haben ein wesentlich breiteres Aufgabenfeld als Einzweckmaschinen. Zwar sind Universalmaschinen aufgrund ihres breiteren Aufgabenfeldes umrüstfreundlicher als Einzweckmaschinen, aber diese haben innerhalb ihres engen Aufgabenfeldes, das mit ihnen bearbeitet werden kann, stückkostenbezogene Vorteile. 532 Die fertigungswirtschaftlichen Gesichtspunkte der verschiedenen Organisationsformen der Fertigung bilden den Ausgangspunkt für eine Untersuchung der Auswirkungen auf die Materialwirtschaft. Zu diesem Zweck werden im folgenden die organisationstypischen fertigungswirtschaftlichen Gesichtspunkte betrachtet, bevor die materialwirtschaftlichen Konsequenzen aufgezeigt werden.

Aspekte der Organisationsformen b) Die materialwirtschaftlichen der Fertigung Die einzelnen Organisationsformen der Fertigung werden im folgenden im Hinblick auf ihre Besonderheiten und Bedeutung für die Materialwirtschaft betrachtet.

aa) Die externe Baustellenfertigung Die externe Baustellenfertigung ist dadurch gekennzeichnet, daß sich der Herstellungsort der Erzeugnisse nicht auf dem Gelände des herstellenden Betriebes befindet. 533 Dies bedeutet für das Beschaffungswesen, daß als Anlieferungsort nicht nur das Unternehmen, sondern auch die betriebsexterne Baustelle in Frage kommt. Eine Anlieferung der Materialien an das Unternehmen ist dann sinnvoll, wenn nicht abgestimmte Bedarfs- und Lieferzeitpunkte zu einem Lageraufbau bei der externen Baustelle führen. Da externen Baustellen oftmals die notwendigen Lagereinrichtungen aufgrund ihres temporären Charakters fehlen und eine offene oder halboffene Lagerung bei empfindlichen Materialien zu Materialschäden führen kann, ist in diesem Falle eine Anlieferung und vorübergehende Lagerung im Unternehmen gerechtfertigt. Ώ2

Vgl. Gutenberg, Produktion, S. 84. Im Rahmen der Betrachtungen wird davon ausgegangen, daß die Baustelle den Ort der Herstellung des Produktes darstellt und das Unternehmen über einen Standort für Verwaltung, Vorfertigung, Lagerwesen etc. verfügt. 533

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D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Die Anlieferung an die externe Baustelle ist auch vor dem Hintergrund der Transportkosten bedeutsam. Die Transportkosten werden dann entscheidungsrelevant, wenn sich die externe Baustelle unter Umständen in sehr großer Entfernung vom Unternehmensstandort befindet, so daß die Transportkosten im allgemeinen und die Transportnebenkosten im besonderen bei Baustellen in weitentfernten Ländern durch Versicherungsprämien zunehmen. Hierbei ist für die Anlieferung an die externe Baustelle wichtig, die Materialien mittels geeigneter Verpackungen gegen Transportschäden abzusichern. Da die Versorgung der externen Baustelle im Falle von mehrjährigen, überseeischen Projekten über den Seehandel erfolgt, müssen die entsprechenden Transportkapazitäten sichergestellt werden, wobei die Seefrachten sehr starken Schwankungen unterliegen. 534 Bei der externen Baustellenfertigung besteht die Möglichkeit, durch das Heranziehen von örtlich ansässigen Lieferanten auf die Transportkosten zu reagieren. Die Beschaffungsmarktforschung kann hierbei Informationen über die entsprechenden Beschaffungsmärkte bereitstellen. Der Materialanlieferung kommt im Falle der externen Baustellenfertigung eine besondere Bedeutung zu, 535 denn Stockungen oder Abrisse haben eine Unterbrechung der Leistungserstellung auf der Baustelle zur Folge. Die reibungslose und störungsfreie Belieferung der externen Baustelle mit Materialien stellt in erster Linie ein informatorisches Problem dar. Der Informationsbedarf besteht neben den Informationen über den lokalen Beschaffungsmarkt darin, einen Abgleich bezüglich der Bedarfsanmeldung und dem Anlieferungszeitpunkt anzustreben. Parameter, die hierbei ein fließen, sind die Transportzeit sowie politische, klimatische und infrastrukturelle Bedingungen. Diese Größen sind insbesondere bei einer Baustellenfertigung in Ländern der sogenannten Dritten Welt in den Planungen zu berücksichtigen. Das Lagerwesen bei der externen Baustellenfertigung erfolgt aufgrund des vorübergehenden Charakters der Baustelle besonders in Form der offenen oder halboffenen Bauweise. Bei längerfristig zu betreibenden Baustellen ist der Bau von einfachen Lagerhallen sinnvoll. Der Materiallagerung findet bei der externen Baustellenfertigung zu einem großen Teil im Unternehmen selbst statt. Die Lagerobjekte sind hierbei vorgefertigte Teile, die auf der Baustelle zusammengefügt werden. 534

Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), S. 619 und Ihde, Logistik, S. 230. Ein Hilfsmittel stellt hierbei die Netzplantechnik dar, die mittels graphischer Darstellung die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Teilvorgängen und ihre zeitlichen Merkmale wie Anfangs- und Endtermine sowie Pufferzeiten deutlich macht. Zur Anwendung der Netzplantechnik bei der Projektplanung vgl. Ihde, Logistik, S. 231 ff. 535

III. Die internen Einflußgrößen der Gestaltung der Materialwirtschaft

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Das innerbetriebliche Transportwesen ist bei der externen Baustellenfertigung in der Weise zu verstehen, daß es sich auf die Organisation des Transportwesens auf der Baustelle bezieht und nicht im eigentlichen Betrieb. Die zeitliche Begrenzung der Baustelle hat für das innerbetriebliche Transportwesen somit Auswirkungen dergestalt, daß mobile Transportmittel, wie beispielsweise Kräne, Stapler oder Hubwagen, eingesetzt werden, die nach dem Ende der Baustellenfertigung auf anderen Baustellen wieder eingesetzt werden können.

bb) Die interne Baustellenfertigung Die interne Baustellenfertigung ist ebenso wie die externe Baustellenfertigung dadurch gekennzeichnet, daß sich die Herstellung infolge der Unbeweglichkeit der Produkte auf die einzelnen Endprodukte konzentriert. Während sich die Unbeweglichkeit des Endproduktes bei der externen Baustellenfertigung in erster Linie auf die feste Verbundenheit des Produktes mit dem Boden begründet, wie beispielsweise beim Erstellen eines Bauwerkes, sind bei der internen Baustellenfertigung wirtschaftliche Überlegungen ausschlaggebend, da es unwirtschaftlich wäre, die sehr großen und schweren Objekte bei der internen Baustellenfertigung zu bewegen. Die Betriebsmittel werden somit zum Entstehungsort des Produktes transportiert. 536 Die Organisationsform der internen Baustellenfertigung wirft für das Beschaffungswesen im Unterschied zur externen Baustellenfertigung keine besonderen Problemkreise auf. Dies begründet sich darauf, daß Lagerbestände aufgebaut werden können, die einen zeitlichen und mengenmäßigen Ausgleich zwischen Beschaffungs- und Fertigungstätigkeiten schaffen. Das innerbetriebliche Transportwesen konzentriert sich in seiner räumlichen Ausrichtung auf den Ort der internen Baustelle. Da nicht alle Tätigkeiten an diesem Ort vonstatten gehen, beschränken sich die Tätigkeiten an der Baustelle auf reine Montagearbeiten. Die Teile werden zuvor auf davon räumlich getrennten Fertigungseinrichtungen vorgefertigt. Die Hauptaufgabe für das innerbetriebliche Transport- und Lagerwesen besteht darin, diese vorgefertigten Teile bedarfsgerecht an die interne Baustelle anzuliefern. Aufgrund der räumlichen Begrenzung der Baustelle ist es nicht sinnvoll, diese Materialien dort zwischenzulagern. Die Probleme, die sich für das innerbetriebliche Transport- und Lagerwesen ergeben, sind somit in erster Linie ablauforganisatorischer Art. Ähnlich den Ausführungen zur externen Baustellenfertigung eignet sich als Hilfsmittel die Netzplantechnik.

536

Vgl. Große-Oetringhaus, S. 247.

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D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

cc) Die Werkstattfertigung Die Werkstattfertigung ist durch ein organisatorisches Nebeneinander der einzelnen Fertigunsstellen und ein relativ breites Produktionsprogramm charakterisierbar. Das zugrundeliegende Produktionsprogramm ist in qualitativer, quantitiver und zeitlicher Hinsicht nicht exakt planbar. Diese Unwägbarkeiten bedeuten, daß die Verschiedenartigkeit der zu be- und verarbeitenden Materialien Betriebsmittel - dazu zählen auch die Transporteinrichtungen - erfordert, die ein hohes Maß an Flexibilität aufweisen. In Größen des innerbetrieblichen Transportwesens umgesetzt, bedeutet dies, daß Art, Menge, Zeit und Ort des Bedarfsanfalls nicht genau planbar sind. Die Art der zu transportierenden Materialien bedeutet für die eingesetzten Transportmittel, in qualitativer Hinsicht flexibel, wie beispielsweise mittels Schleppern, Hubwagen und Gabelstaplern, zu sein. Der Einsatz von Unstetigförderern im Rahmen der Werkstattfertigung ist im Hinblick auf die Mengenkomponente der Transportleistung zu sehen. Im Unterschied zu Stetigförderern, die auf den schnellen Transport gleichartiger Objekte ausgelegt sind, sind Unstetigförderer geeigneter, unterschiedliche Transportbedürfnisse zu befriedigen. 537 Die Veränderungen der Transportbedürfnisse infolge der wechselnden Fertigungsaufträge lassen sich auch durch eine Normung der Transporthilfsmittel berücksichtigen. Die Unsicherheiten in bezug auf den Zeitpunkt des Bedarfsanfalls haben zur Folge, daß die Transportbedürfnisse als unstetig kennzeichenbar sind. Im Rahmen der Werkstattfertigung kommen somit Unstetigförderer zum Einsatz, die von ihrer Handhabung her nicht an bestimmte Zeiten für den Bedarfsanfall gebunden sind. Als Transportmittel lassen sich Unstetigförderer, wie beispielsweise fahrerlose Fahrzeugsysteme, einsetzen. Die Flexibilität der Transportmittel hinsichtlich der notwendigen räumlichen Freiheitsgrade wird durch den Einsatz schienenungebundener Transportmittel erreicht, wobei diese manuell oder automatisiert betrieben sein können. Als Beispiele lassen sich hierzu Hubwagen sowie automatisierte Flurförderzeuge anführen. Die Anforderung der räumlichen Freiheitsgrade ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, daß Übergangsbeziehungen generell zwischen allen Fertigungsstellen denkbar sind und sich dadurch die Transportwege in der Summe erhöhen. Die Überschneidungen der Transportwege machen somit Transportmittel ungeeignet, zu deren Einrichtung bauliche Maßnahmen wie Bahnen oder Schienen erforderlich sind. Flurfreie Transportmittel wie Portalkräne oder Hänge- und Brückenkräne haben 537

Vgl. Hansmann, K.-W.: Organisationstypen des Materialflusses, in: Handbuch Organisation, hrsg. von P. Linnert, Gernsbach 1975, S. 212.

III. Die internen Einflußgrößen der Gestaltung der Materialwirtschaft

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hierbei den Vorteil, daß sie infolge ihrer hohen Netzbildungsfähigkeit unabhängig von der räumlichen Verteilung der Fertigungsstellen sind. Das innerbetriebliche Lagerwesen bei der Werkstattfertigung hat ebenfalls dem breiten und nicht exakt planbaren Produktionsprogramm Rechnung zu tragen. Dies erfolgt in der Weise, daß zum einen die Lagerraumkapazität an die Kapazität der Fertigungswirtschaft angeglichen wird. Dem Aspekt der qualitativen Anforderung der zu lagernden Objekte kann durch eine Normung der Lagerhilfsmittel begegnet werden. Als Lagerobjekte kommen bei der Werkstattfertigung hauptsächlich unfertige Erzeugnisse in Betracht. Der zeitliche Ausgleichsbedarf hat seinen Ursprung im Grundproblem der Werkstattfertigung, dem Dilemma der Ablaufplanung.

dd) Die Fließfertigung «o

Die Fließfertigung ist fertigungstechnisch durch das ablauforganisatorische, zeitlich abgestimmte Hintereinander der einzelnen Fertigungsvorgänge und den Einsatz von spezialisierten Betriebsmitteln in den Fertigungsstellen gekennzeichnet. Die Übergangsbeziehungen sind bei diesem Organisationstyp nur jeweils zwischen zwei ganz bestimmten Fertigungsstellen möglich. Dies bedeutet für die Standortwahl und damit für das innerbetriebliche Transportwesen, daß die Transportwege zwischen den einzelnen Fertigungsstellen minimiert werden können. Infolge der zeitlichen Abstimmung der Fertigungstellen bei der Fließfertigung lassen sich Stetigförderer einsetzen, die auf die zeitlichen Transportbedürfnisse ausgelegt sind. Die räumliche Nähe der einzelnen Fertigungsstellen begünstigt es, die Stetigförderer in aufgeständerter Form, wie beispielsweise Bandförderer, Rollenund Kugelbahnen sowie Pneumatikförderer, einzusetzen. Bei der Fließfertigung kommen solche Transportmittel zum Einsatz, die auf spezielle Anforderungen der zu transportierenden Materialien zugeschnitten sind. Anforderungen dieser Organisationsform in transporttechnischer Sicht bestehen in der schnellen Beförderung gleichartiger Transportgüter in großen Mengen. 539 Die für diese Organisationsform typische Massenfertigung erlaubt eine genaue Planung der Transportleistung und darauf aufbauend eine entsprechende Ausgestaltung der Transporteinrichtungen. Stetigförderer wie Band- und Kettenförderer sind hier die vorherrschenden 538

Zu den verschiedenen Formen der Fließfertigung vgl. Kreikebaum, H.: Organisationstypen der Fertigung, in: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft, hrsg. von W. Kern, Stuttgart 51979, Sp. 1397 f. 39 Vgl. Hansmann, S. 212.

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D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Transportmittel. 540 Dies bedeutet aber nicht, daß Unstetigförderer bei diesem Organisationstyp generell nicht zum Einsatz kommen. Im Rahmen von Materialbereitstellungen aus dem Lager oder direkt von der Materialanlieferung an die Fertigungsstellen sind sie aufgrund ihrer räumlichen Flexibilität von Vorteil. Ein weiterer Grund liegt darin, daß das Transportaufkommen zwischen dem Lager und jeder einzelnen Fertigungsstelle zu gering ist, als daß es die Einrichtung von Stetigförderern begünstigt. Ebenfalls eignen sich die Unstetigförderer für Sondertransporte wie das Entsorgen der Fertigungsstellen von Abfällen oder Ausschuß, da solche Transporte nicht vorhersehbar und somit auch nicht in den Dimensionen Zeitpunkt, Ort, Menge und Art des Anfalls planbar sind. Durch die exakte Vorhersehbarkeit des Materialbedarfs kann die Materialanlieferung an die Fertigungsstellen im Rahmen eines Linienverkehrs mit festgelegten Fahrplänen durchgeführt werden 541 Die Transporte zwischen den Fertigungsstellen bleiben den Stetigförderern vorbehalten. Die Transportstrecke kann hierbei minimiert werden, wobei der absolut gesehen kürzeste Weg nicht unbedingt der kostenminimalste Weg sein muß. Es ist vielmehr derjenige, bei dem unter Berücksichtigung des ökonomischen Prinzips die geforderte Leistung (räumliche Überbrückung) mit den geringsten Kosten verbunden ist. 542 Dem Prinzip der ungebrochenen Linearität 543 folgend, hat die Anlieferung der Materialien an die Fertigungsstellen ohne Umladevorgänge zu erfolgen. Die Einschaltung eines Bereitstellungslagers kann dann von Vorteil sein, wenn das Material an mehrere funktionsgleiche Fertigungsstellen, die dieselben Materialien be- oder verarbeiten können, geliefert wird und es zum Zeitpunkt der Bedarfsmeldung noch nicht abzusehen ist, an welcher Fertigungsstelle die Be- oder Verarbeitung erfolgt. Ebenfalls vom Prinzip der ungebrochenen Linearität abweichend kann der Fall auftreten, daß zum Beispiel bei Montagearbeitsplätzen noch nicht alle zur Montage benötigten Materialien bereitstehen, und der Arbeitsplatz nicht durch die Materialen behindert werden soll. 544 Das innerbetriebliche Lagerwesen im Rahmen der Fließfertigung unterliegt, anders als bei der Werkstattfertigung, nicht im selben Maße der An540

Vgl. Dolezalek/Warnecke, S. 117 f. Vgl. Soom, E.: Organisation des Transportwesens, in: Industrielle Organisation, 23. Jg.^1954, S. 63 f. Vgl. hierzu das Prinzip der hintereinandergeschalteten Produktion bei Hundhausen, S. 18 ff. und S. 29 f. sowie Heiner, Rationalisierung, S. 94. 543 Zum Prinzip der ungebrochenen Linearität vgl. S. 71 f. dieser Arbeit. 544 Vgl. Köhler, S. 106 f. 541

III. Die internen Einflußgrößen der Gestaltung der Materialwirtschaft

285

forderung einer qualitativen Flexibilität. Da das Produktionsprogramm bei der Fließfertigung in der Regel relativ eng ist, kann das Lagerwesen im Hinblick auf die zu lagernden Materialarten und -mengen einer Planung unterzogen werden. Es ist im voraus plan- und damit organisierbar, welche Materialien und mit welchen physikalischen und chemischen Eigenschaften als Lagerobjekte in Frage kommen. Ein Hilfsmittel hierfür stellt die Stückliste dar. Unter Hinzuziehung der geplanten Absatz- und Produktionsmengen kann das Lagerbedürfnis der einzelnen Materialien qualitativ und quantitativ bestimmt werden. Die Werkstatt- und die Fließfertigung weisen in fertigungs- und materialwirtschaftlicher Hinsicht die gleichen Merkmale auf. Bei der Werkstattfertigung kommen Universalmaschinen in den Fertigungsstellen zum Einsatz und im Rahmen der Materialwirtschaft sind solche Transport- und Lagermittel von Vorteil, die flexibel im Hinblick auf Art, Menge, Zeitpunkt oder Ort des Bedarfsanfalls sind. Im Unterschied dazu ist die Fließfertigung charakterisiert durch Fertigungsstellen, in denen Einzweckmaschinen Verwendungfinden. Für die Materialwirtschaft bestehen geringere Anforderungen hinsichtlich der einzelnen Freiheitsgrade. Das Beschaffungswesen bei der Werkstatt- und der Fließfertigung ist dem der Einzel- bzw. der Massenfertigung ähnlich, denn einzelne Elementartypen weisen in bezug auf das zugrundeliegende Produktionsprogramm mit seinen Eigenschaften wie Anzahl der Produktarten, Verwandtschaftsgrad der Produkte und Wiederholungshäufigkeit der Produkte gleichartige Anforderungen an das Beschaffungswesen auf. Aus diesem Grunde wird auf eine Erörterung des Beschaffungswesens bei der Werkstatt- und der Fließfertigung verzichtet, da sich Übereinstimmungen mit der Einzel- bzw. Massenfertigung vorfinden lassen.545 Die Betrachtung der Auswirkungen der industriellen Leistungserstellung auf die Materialwirtschaft umfaßt neben den organisationstypenspezifischen Besonderheiten einen weiteren Gesichtspunkt, der als losgelöst von den einzelnen Fertigungstypen zu sehen ist. Der industrielle Leistungserstellungsprozeß kann in bezug auf die physischen Tätigkeiten in solche Tätigkeiten, die den Fertigungsvorgang in den Fertigungsstellen im Rahmen der Kombination oder Transformation durchführen 5 6 und solche, die ihm vor-, zwischen· und nachgelagert sind, unterteilt werden. Die in diesem Schema auftretenden Objekte sind Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, unfertige Erzeugnis545

Zur Ableitung der Verbundtypen vgl. im allgemeinen Große-Oetringhaus, und im besonderen S. 324.

S. 313 ff.

546

Zur Kennzeichnung der industriellen Fertigungswirtschaft vgl. Schweitzer, M.: Industrielle Fertigungswirtschaft, in: Industriebetriebslehre - Das Wirtschaften in Industrieunternehmungen, hrsg. von M. Schweitzer, München 1990, S. 563.

286

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

se und Fertigerzeugnisse. Aus dieser Auflistung wird deutlich, daß die betriebliche Fertigungswirtschaft unmittelbar mit der Materialwirtschaft verknüpft ist. Aus diesem Grunde ist es zur Vermeidung von Leerkosten sowohl auf fertigungs- als auch materialwirtschaftlicher Seite notwendig, beide betriebliche Funktionsbereiche in bezug auf ihre Kapazitäten abzustimmen. Im folgenden wird die Materialwirtschaft daher in bezug auf ihre Kapazität und Flexibilität untersucht, um zum einen Aussagen darüber zu treffen, auf welche Größen sich eine kapazitive Abstimmung zwischen Fertigungsund Materialwirtschaft bezieht. Zum anderen besteht für die Materialwirtschaft die Notwendigkeit, sich den Veränderungen ihrer Umsysteme anzupassen. Die materialwirtschaftliche Flexibilität ist somit ein Maß für diese Anpassungsfähigkeit.

IV. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft als Einflußfaktor auf ihre Leistungsmerkmale

Die Einbindung der Materialwirtschaft in den industriellen Leistungserstellungsprozeß ist auch im Hinblick auf ihre Leistungsmerkmale zu sehen. Die Leistungsmerkmale beschreiben, ob und inwieweit die Materialwirtschaft die Anforderungen, die an sie herangetragen werden, erfüllen kann. Als Leistungsmerkmale werden im folgenden die Kapazität und die Flexibilität betrachtet, die die Fähigkeit zur Erfüllung der materialwirtschaftlichen Aufgaben beschreiben. Die unternehmensinternen Rahmenbedingungen stellen die Anforderungen an die Materialwirtschaft dar, während die unternehmensexternen die Möglichkeiten umfassen, wie die Materialwirtschaft gestaltet werden kann.

1. Die Kapazität der Materialwirtschaft

a) Das Wesen der Kapazität Die Kapazität der Materialwirtschaft ist nicht nur vor dem Hintergrund des materialwirtschaftlichen Umsystems zu sehen, sondern auch in bezug auf die Kapazitäten anderer Unternehmensbereiche und hierbei besonders der Fertigungswirtschaft. Das Hauptaugenmerk der Betrachtung der Kapazitäten der Fertigungs- und der Materialwirtschaft liegt auf der Übereinstimmung der Kapazitäten dieser beiden betrieblichen Teilbereiche. Dies begründet sich darauf, daß erst die Betrachtung aller betrieblichen Teilbereiche Aussagen über die betriebliche Kapazität gestattet. Gemäß Guten-

IV. Rahmenbedingungen als Einflußfaktor auf ihre Leistungsmerkmale

287

bergs Ausgleichsgesetz der Planung besteht bei einer isolierten Betrachtung der fertigungswirtschaftlichen Kapazität die Gefahr, daß diese Kapazität in der Weise nicht repräsentativ ist, da sie infolge geringerer Kapazitäten voroder nachgelagerter Betriebsbereiche nicht ausgenutzt werden kann. Die betriebliche Kapazität ist somit keine Größe, die sich auf einzelne Betriebsbereiche bezieht, sondern ein Betrieb arbeitet im Rahmen einer Kapazität, die sich an einem kapazitativen Minimumsektor oder Engpaß orientiert. 547 Die Kapazität stellt eine Größe dar, die das Leistungsvermögen des gesamten Betriebes oder eines Teilbereiches während einer bestimmten Zeitdauer widerspiegelt. 548 Die Bestimmung des betrieblichen Leistungsvermögens ist vor dem Hintergrund der betrieblichen Produktionsfaktoren zu sehen. Die Kapazität ist in diesem Sinne die Resultierende der Kombination der einzelnen Produktionsfaktoren im Rahmen des Leistungserstellungsprozesses. Diese Formulierung bringt auch zum Ausdruck, daß die betriebliche Kapazität nicht nur von der Kapazität der einzelnen Betriebsmittel 549 abhängig ist, sondern sie wird auch durch die Kombination der Produktions·

SSO

faktoren bestimmt. Die betriebliche Kapazität stellt eine komplexe Größe dar, die durch die Dimensionen Leistungsfähigkeit pro Zeiteinheit, der Leistungsdauer und der Leistungsintensität bestimmt wird. 551 Die Leistungsintensität bringt hierbei die Güte der Kombination der einzelnen Produktionsfaktoren zum Ausdruck. Einflußfaktoren auf die Leistungsintensität stellen die Qualitäten der Arbeitskräfte, der Materialien, der Betriebsmittel und der Fertigungsverfahren sowie der ablauforganisatorischen Gestaltung des Leistungserstellungsprozesses dar. 552 Je nachdem, ob der Bestimmung der Kapazität eine dynamische Komponente zugrundegelegt wird, kann von Querschnitts- 553 oder Periodenkapazität gesprochen werden. Während erstere die Kapazität zu einem bestimmten Zeitpunkt darstellt, berücksichtigt die Periodenkapazität die mögliche Zeitdauer des Betrachtungshorizontes für den Gesamtbetrieb oder einzelner Teilbereiche. 547

Zum Ausgleichsgesetz der Planung vgl. Gutenberg, Produktion, S. 163 ff. Vgl. Kern, W.: Die Messung industrieller Fertigungskapazitäten und ihrer Ausnutzung - Grundlagen und Verfahren, Köln/Opladen 1962, S. 27. 549 Zu den verschiedenen Ansätzen, die betriebliche Kapazität zu definieren, vgl. Moroff, S. 22 ff. und die dort angegebene Literatur. 550 Mellerowicz spricht in diesem Fall von direkter und indirekter Beeinflussung der Kapazität. Vgl. Mellerowicz, Funktionen, S. 497. 551 Vgl. von Kortzfleisch, G.: Betriebliche Arbeitsvorbereitung, Berlin 1962, S. 94 und Riebel, P.: Die Elastizität des Betriebes - Eine produktions- und marktwirtschaftliche Untersuchung, Köln/Opladen 1954, S. 8 ff. Vgl. Layer, M.: Kapazität: Begriff, Arten und Messung, in: Handwörterbuch der Produktionswirtschaft, hrsg. von W. Kern, Stuttgart 1979, Sp. 879. 553 Vgl. Bredt, O.: Produktion, Beschäftigung, Leistung und Kapazität (II), in: Technik und Wirtschaft, 36. Jg. 1943, S. 110. 548

288

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Die Materialwirtschaft beeinflußt die betriebliche Kapazität zum einen durch ihre eigene Kapazität und zum anderen durch die Abstimmung mit den Kapazitäten anderer Unternehmensbereiche. Im folgenden steht somit die Bestimmung der Kapazität der Materialwirtschaft im Mittelpunkt der Betrachtungen.

b) Die Kapazität des Beschaffungswesens Die Kapazität des Beschaffungswesens wird zum einen von den zur Verfügung stehenden Transportmittelkapazitäten 554 und ihrer Umlaufgeschwindigkeit und zum anderen von organisatorischen Größen wie der Art der Arbeitsteilung beeinflußt. Das Beschaffungswesen im Rahmen der Materialwirtschaft hat den Anforderungen der Fertigungswirtschaft Rechnung zu tragen. Diese Anforderungen beziehen sich auf die Art, die Menge, den Ort und den Zeitpunkt des Materialbedarfes. Die Bestimmung der beschaffungswirtschaftlichen Kapazität setzt an diesen Größen an. Die Kapazität des Beschaffungswesens ist somit eine Größe, die aussagt, inwieweit den verschiedenen Formulierungen der Dimensionen der Beschaffung stattgegeben werden kann. Eine Einflußgröße auf diese beschaffungswirtschaftliche Kapazität stellen die Informationen über den Beschaffungsmarkt dar. Somit ergibt sich, daß die beschaffungswirtschaftliche Kapazität in ihrem Charakter keine statische Größe ist. Die Beschaffungsmarktforschung kann dazu dienen, die Kapazität in der Weise auszubauen, daß alle potentiell zu beschaffenden Materialien in quantitativer, qualitativer und zeitlicher Hinsicht beschaffbar sind. Das technologische Umsystem beinflußt in der Weise die beschaffungswirtschaftliche Kapazität, als es Technologien bereitstellt, die die Informationsgewinnung und -Verarbeitung erleichtern. Diese Informations· und Kommunikationstechnologien erleichtern und beschleunigen die Kommunikationsvorgänge, wobei sich die Periodenkapazität erhöht.

c) Die Kapazität des innerbetrieblichen

Transportwesens

Die Bestimmung der Kapazität des innerbetrieblichen Transportwesens setzt an den Betriebsmitteln an, die in diesem Bereich verwendet werden. Die Kapazität eines Transportmittels kann in Mengen-, Volumen- oder Gewichtseinheiten ausgedrückt werden. Bei alleiniger Beachtung dieser Größen stellt die Kapazität eines Transportmittels zu einem bestimmten Zeitpunkt - die Querschnittskapazität - die Aufnahmefähigkeit eines Transport554

Hiervon sei im weiteren abgesehen, da sich die Transportkapazitäten durch die Inanspruchnahme logistischer Dienstleistungsunternehmen wie Spediteure erweitern lassen.

IV. Rahmenbedingungen als Einflußfaktor auf ihre Leistungsmerkmale

289

mittels dar. Während die Querschnittskapazität eine zeitpunktbezogene Größe darstellt, berücksichtigt die Periodenkapazität 555 zusätzlich seine Umlaufgeschwindigkeit und hat somit den Charakter einer zeitraumbezogenen Größe, wobei die Umlaufgeschwindigkeit nicht nur abhängig von der Fahrtgeschwindigkeit des Transportmittels ist, sondern es müssen hierbei auch die Handhabungsvorgänge wie Be- und Entladen sowie das Umladen in die Zeit einbezogen werden. 556 Da die Formulierung der Transportleistung maßgeblich durch die Anforderungen des Fertigungsbereiches eines Industriebetriebes bestimmt wird, darf die von der Fertigung vorgegebene Transportintensität (Transportmenge pro Zeiteinheit) die Periodenkapazität des Transportmittels nicht übersteigen. Zur Vermeidung von Leerkosten bei den Transporteinrichtungen und den Fertigungseinrichtungen, empfiehlt Still eine Übereinstimmung von Fertigungskapazität und Transportkapazität. 557 Infolge dieser Forderung entsteht bei isolierter Betrachtung des Fertigungsprozeses und des innerbetrieblichen Transportwesens kein mengenmäßiger Überbrückungsbedarf in zeitlicher Hinsicht, so daß ein Lager, basierend auf der Ausgleichsfunktion, in diesem Zusammenhang nicht entsteht In bezug auf die Querschnitts- und Periodenkapazität kann festgehalten werden, daß ein Vergleich verschiedener Transportmittel zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, je nachdem, welcher Kapazitätsbegriff zugrundegelegt wird. Dies begründet sich darauf, daß ein Transportmittel mit einer geringeren Querschnittskapazität eine vergleichsweise höhere Periodenkapazität aufweisen kann, wenn die geringere Querschnittskapazität durch eine höhere Umlaufgeschwindigkeit überkompensiert wird. 558

555

Illetschko spricht in diesem Zusammenhang von Gewichtsauslastung und Fahrauslastung der Transportmittel. Vgl. IUetschko, L.L.: Innerbetrieblicher Transport und betriebliche Nachrichtenübermittlung, Stuttgart 1962, S. 29. 556 Vgl. Ihde, Logistik, S. 7 f. und VoitL S. 34. 557 Vgl. Still, S. 61. Still läßt allerdings offen, ob sich seine Umschreibung "innerhalb einer bestimmten Zeit" (S. 61) auf eine exakte Abstimmung der Querschnittskapazitäten der Betriebsmittel bezieht oder lediglich auf die Periodenkapazität. Letzteres hätte Bestände von bereits bearbeiteten Materialien an den Fertigungsstellen zur Folge, während sich im ersten Fall die "bestimmte Zeit" auf die Transportzeit bezieht. 558 Beispielsweise wird von Teller die Transportleistung von Trag- und Schleppkettenförderern mit ca. 300 Tonnen pro Stunde angegeben, während die Nutzlast, was der Querschnittskapazität entspricht, im Falle der Tragkettenförderer 300 bis 2000 Tonnen und bei den Schleppkettenförderern 10 bis 200 Tonnen beträgt. Bei der Berechnung der Periodenkapazitäten gleichen sich beide Transportmittel infolge der unterschiedlichen Transportgeschwindigkeiten von 0,3 bzw. 0,1 bis 0,6 Metern pro Sekunde wieder an. Vgl. Teller, S. 14. 19 Brecht

290

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

d) Die Kapazität des Lagerwesens Die Kapazität des innerbetrieblichen Lagerwesens kann analog den Ausführungen zum innerbetrieblichen Transportwesen als Querschnitts- und als Periodenkapazität beschrieben werden. Bei isolierter Betrachtung der benötigten Querschnittskapazität lassen sich, gemessen am Lagergesamtvolumen in Kubikmetern und gleichen Randbedingungen wie Menge der Lagereinheiten oder Anzahl der Lagerbewegungen pro Zeiteinheit, keine großen Unterschiede zwischen den einzelnen Lagermitteln feststellen, da die benötigte Querschnittskapazität durch bauliche Maßnahmen erreicht wird. Den geringsten Bedarf an Lagervolumen hat dabei die Blocklagerung, da diese Form der Lagerung die Lagerobjekte ohne Zwischenräume zusammenstellt. Unterschiede ergeben sich, wenn zusätzlich die für das Lager benötigte Fläche einbezogen wird. Die Lagerformen der dynamischen Lagerung beanspruchen dabei eine geringere Fläche als die statischen Lagerformen. Die geringste Fläche bei gleichem Lagervolumen weisen die Hochregallager auf. Das ungünstigste Verhältnis von Lagergesamtvolumen und Lagergesamtfläche findet sich bei der Blocklagerung.5 Die Unterschiede beruhen darauf, daß bei den einzelnen Lagermitteln der Ausweitung des Lagers in der Dimension 'Höhe' unterschiedlich Beachtung geschenkt wird. Im Rahmen der Kapazität eines Lagermittels stellt sich auch die Frage der Kapazitätserweiterung. Eine Kapazitätserweiterung im Hinblick auf die Querschnittskapazität ist bei der Bodenlagerung relativ problemlos. Die Erweiterung ist in diesem Fall lediglich von der zur Verfügung stehenden Fläche abhängig, die ebenfalls als Lager genutzt werden kann. Eine Erweiterung der Querschnittskapazität erfolgt bei den Lagerformen der statischen Lagerung durch eine Vergrößerung der Regalflächen. Der Erweiterungsfähigkeit steht neben der begrenzten Fläche des Lagerraumes auch das begrenzte Lagerraumvolumen entgegen. Bei der dynamischen Lagerung ist eine Erweiterung der Querschnittskapazität problematischer, im Extremfall sogar ausgeschlossen. Insbesondere bei den Verschiebe- oder Umlaufregalen ist eine Erweiterung nur durch eine quantitative Anpassung möglich, die sich in einem zusätzlichen Lagermittel äußert, was bauliche Maßnahmen notwendig machen kann. Bei der Lagerung auf Transportmitteln findet eine Kapazitätserweiterung durch den Einsatz von weiteren Transportmitteln, die ebenfalls Lagerfunktionen übernehmen, statt. Eine Erweiterung der Periodenkapazität kann dadurch erreicht werden, daß der Lagerumschlag pro Zeiteinheit erhöht wird, so daß eine Substitution von Lagerraum durch Umschlagsvorgänge erfolgt. 560 Die Frage der 559 560

Diese Aussagen beruhen auf den Zahlenangaben bei Jünemann et al., S. 185. Vgl. hierzu Zoller, Nutzung, S. 85.

IV. Rahmenbedingungen als Einflußfaktor auf ihre Leistungsmerkmale

291

Ausnutzung der Lagerkapazitäten mittels eines höheren Lagerumschlages hat auch dahingehend Bedeutung, daß durch einen hohen Nutzungsgrad der Anteil der Leerkosten an den fixen Kosten gesenkt wird. Der Nutzungsgrad sollte dabei nicht auf die Lagerfläche beschränkt sein, sondern den gesamten Lagerraum umfassen. Der Raumnutzungsgrad als Quotient aus Lagergutvolumen und dem gesamten Volumen eines Lagers gibt Aufschluß darüber, inwieweit ein bestimmter Grundanteil der Leerkosten an den fixen Kosten systemimmanent ist. Unter Beachtung dieses Zusammenhanges weisen die Lagerformen der statischen Lagerung einen höheren Grundanteil von Leerkosten an den fixen Kosten auf als vergleichsweise die Formen der dynamischen Lagerung. Werte um 36 - 38 % Raumnutzungsgrad finden sich zum Beispiel bei Paletten- und Hochregallagern, während Verschiebe-, Kanal- und Durchlaufregalläger einen Raumnutzungsgrad von 43 - 51 % auf561

weisen. Der alleinigen Schlußfolgerung, daß die unterschiedlichen Raumnutzungsgrade ursächlich mit der begrenzten Stapelfähigkeit der Ladeeinheiten und einem ungünstigeren Füllungsgrad der Fächer zusammenhängt,562 kann nicht ganz zugestimmt werden. Die Ursache kann auch darin gesehen werden, daß bei der dynamischen Lagerung nicht nutzbarer Lagerraum in Form von Verkehrswegen gespart wird, indem eine Bewegung von Lagereinheiten in Zusammenhang mit den Ein- und Auslagerungspunkten, sei es durch bewegte Lagereinheiten und feststehende Regale oder durch feststehende Lagereinheiten und bewegte Regale, stattfindet. Die Bestimmung der Periodenkapazität eines Lagermittels wird zusätzlich von den Zugriffszeiten und dem Lagerumschlag beeinflußt. Die Zugriffszeit selbst ist abhängig von dem Lagerort, der Übersichtlichkeit der Lageranordnung, der Wegstrecke sowie den eingesetzten Lagerhilfsmitteln und der Störanfälligkeit des Systems.563 Die eingesetzten Lagerhilfsmittel stellen in diesem Falle Transportmittel dar, die dazu dienen, das Material bei der Ein- und der Auslagerung zwischen den Lagerorten und dem Auslagerungsort zu transportieren. In bezug auf die zu lagernden Materialien kann festgestellt werden, daß ein Material, das eine relativ hohe Umschlagshäufigkeit besitzt, ein Lagersystem mit niedrigen Zugriffszeiten erforderlich macht, während bei Materialien, die eine geringe Umschlagshäufigkeit aufweisen, auf ein solches aufwendiges Lagersystem verzichtet werden kann. 561

Zur Berechnung der Raumnutzungsgrade bei verschiedenen Lagermitteln vgl. Jünemann 5 6 et 2 al., S. 181 und 185. Zu dieser Argumentation vgl. Jünemann et al., S. 182. 563 Vgl. hierzu Grün, Materialwirtschaft, S. 530. 19»

292

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Die Übersichtlichkeit der Lageranordnung stellt bei der manuellen Auslagerung einen wichtigen Faktor dar, während bei EDV-gestützten Ein- und Auslagerungssystemen an seine Stelle die Voraussetzung der Hinterlegung des Einlagerungsortes eine notwendige Bedingung darstellt, um ein Funktionieren des gesamtem Lagerssystems zu gewährleisten. Bei fast allen Lagersystemen, sowohl der statischen als auch der dynamischen Lagerung, stellt die Zugriffsdauer auf die eingelagerten Materialien keinen Engpaß dar. Lediglich bei der Bodenlagerung und den Einfahr- und Durchfahrregalen sowie den Verschiebe- und Umlaufregalen ist die Zugriffsdauer verhältnismäßig ungünstig.564 Die Zugriffsdauer auf die eingelagerten Materialien ist ebenfalls abhängig von der Störanfälligkeit des Lagersystems, da Verwechslungen bei der Materialein- und -auslagerung zu längeren durchschnittlichen Zugriffszeiten führen, was sich wiederum erhöhend auf die Durchlaufzeit der Produkte auswirkt. Die Störanfälligkeit im Hinblick auf einen fehlerhaften Zugriff ist insbesondere dann gegeben, wenn ein gezielter Zugriff auf einzelne Materialien systemimmanent nicht gewährleistet ist wie bei der Bodenlagerung oder die Übersichtlichkeit der Lagerordnung sehr pflegeintensiv ist, wie beispielsweise bei der dynamischen Lagerung. Die Kapazität der Materialwirtschaft ist nicht nur abhängig von den Kapazitäten ihrer einzelnen Teilbereiche, sondern auch von der Handhabung der Schnittstellen zum einen inner halb der Materialwirtschaft und zum anderen zwischen der Materialwirtschaft und angrenzenden Unternehmensbereichen. Die Technologien, die in diesen Bereichen eingesetzt werden, sind Handhabungseinrichtungen wie die Umschlags- und Kommissioniertechnologien. Die Bestimmung der Kapazität der Materialwirtschaft ist somit von den Querschnitts- und Periodenkapazitäten der einzelnen Teilbereiche und der sie verbindenen Handhabungseinrichtungen abhängig.

2. Die Flexibilität der Materialwirtschaft

a) Das Wesen der Flexibilität Die Flexibilität bringt das Änderungsvermögen zum Ausdruck, welches aufgrund von inneren und äußeren Störungen oder wechselnden Bedingungen ein Unternehmen befähigt, sich im Rahmen des Unternehmenszielsy-

564

Vgl. Jünemann et alS. 181.

IV. Rahmenbedingungen als Einflußfaktor auf ihre Leistungsmerkmale

293

565

stems anzupassen. Die wechselnden inneren und äußeren Bedingungen spiegeln sich in der Forderung wider, daß ein Unternehmen dem "Phänomen der Wandels" (Zahn) des Umsystems Rechnung trägt, um den Chancen und Risiken, die sich hieraus ergeben, begegnen zu können.566 Der Handlungsbedarf im Zuge sich wandelnder Rahmenbedingungen besteht für ein Unternehmen darin, Maßnahmen zu ergreifen, 567 die es ermöglichen, daß ein Unternehmen nicht von den Umsystemen und deren Entwicklungen abgekoppelt wird 5 6 8 Der Komplexität der Umsysteme, das heißt der Anzahl, Verschiedenartigkeit und Verteilung der zu beachtenden Rahmenbedingungen, begegnet ein Unternehmen mit einer zunehmenden Spezialisierung innerhalb des Unternehmens. Der Dynamik der Umsysteme, das heißt Häufigkeit, Stärke und Unvorhersehbarkeit ihrer Veränderungen, wird mit einer erhöhten Systemflexibilität Rechnung getragen. 569 Neben die Frage, ab wann ein Unternehmen auf Veränderungen in den betrieblichen Umsystemen reagieren soll, 570 tritt das Problem, auf welche Weise die betriebliche Reaktion erfolgen soll. Die Reaktion auf Veränderungen in den betrieblichen Umsystemen darf nicht nur im Sinne eines bloßen reaktiven Verhaltens gesehen werden, sondern soll auch ein aktives Element enthalten. Dieses aktive Element besteht in der Fähigkeit, mit Hilfe der Planung die Umsystemveränderungen gedanklich vorwegzunehmen.571 Ein Unternehmen soll sich den veränderten Rahmenbedingungen nicht nur anpassen, sondern die Fähigkeit entwickeln, auf diese Veränderungen 565

Vgl. Maier, K.: Die Flexibilität betrieblicher Leistungsprozesse - Methodische und theoretische Grundlegung der Problemlösung, Diss., Thun/Frankfurt am Main 1982, S. 107. 566 Vgl. Zahn, E.: Strategische Planung zur Steuerung der langfristigen Unternehmensentwicklung - Grundlagen zu einer Theorie der Unternehmensplanung, Berlin 1979, S. 142 ff. und Milling , P.: Systemtheoretische Grundlagen zur Planung der Unternehmenspolitik, Berlin 1981, S. 46 ff. 567

Vgl. hierzu das Gesetz der erforderlichen Mannigfaltigkeit bc\Ashby. W.R.: An Introduction 5 6 8 to Cybernetics, 4. Impression, London 1961, S. 206 ff. In diesem Zusammenhang sei auf die praktischen Beispiele bei Schill für zu ergreifende Maßnahmen bei sich ändernden Rahmenbedingungen verwiesen. Vgl. Schill, C.O.: Industrielle Standortplanung - Eine theoretische Konzeption und deren praktische Anwendung, Diss., Frankfurt am Main u.a. 1990, S. 123 ff. 56Q Vgl. Ihde, Logistik, S. 286 f.; Kieser, Einfluß, S. 302 und Bleicher, K.: Unternehmensentwicklung und organisatorische Gestaltung, Stuttgart/New York 1979, S. 39. 570 Vgl. hierzu das kritischste Ereignis in der Unternehmungsumwelt als Bestimmungsgröße des unternehmerischen Handelns. Vgl. Scott, R.C.: Directions of Organizations Groth Adaptations of Contingencies, Diss., Bloomington/Indiana 1968, S. 27. 1 Vgl. Zahn, S. 15 und Milling, S. 49 ff. Zu den Möglichkeiten der strategischen Planung im Rahmen der Materialwirtschaft vgl. Pekayvac, S. 67 ff.

294

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

flexibel zu reagieren. Als Richtungen der Flexibilität lassen sich die qualitative, die quantitative und die strukturelle Flexibilität unterscheiden.57 Die quantitative Flexibilität bezieht sich auf Änderungen, deren Hauptgewicht auf mengenmäßigen Variationen des Aufgabenvolumens liegt. Der Anspruch der qualitativen Flexibiliät bedeutet für ein Betriebsmittel oder einen Unternehmensbereich, daß Leistungen erbracht werden können, die sich in ihrer Art unterscheiden. 574 Die strukurelle Flexibilität stellt die Anpassungsfähigkeit organisatorischer Regelungen in den Vordergrund. 575 Im folgenden wird erörtert, auf welche Weise die Materialwirtschaft den verschiedenen Dimensionen der Flexibilität Rechnung tragen kann.

b) Die Flexibilität

des Beschaffungswesens

Die Flexibilität als Leistungsmerkmal der Materialwirtschaft stellt für das Beschaffungswesen insbesondere eine Anforderung in qualitativer und struktureller Hinsicht dar. Die Flexibilität in quantitativer Hinsicht bezieht sich lediglich auf die Mengenkomponente der Beschaffung. Freiheitsgrade in bezug auf Änderungen der zu beschaffenden Materialmenge lassen sich durch eine entsprechende Liefervertragsgestaltung erreichen. Eine quantitative Flexibilität ist somit gegeben, wenn das abnehmende Unternehmen die Liefermenge auch kurzfristig bestimmen kann. Ein Ansatzpunkt hierzu stellt die vertragliche Verständigung zwischen den Vertragspartnern im Sinne eines Rahmenvertrages dar, bei dem bezüglich der Lieferungen lediglich ein Budget vereinbart wird, in dessen Rahmen sich der Wert der Lieferungen in einer bestimmten Periode bewegt. Das abnehmende Unternehmen ist in diesem Falle flexibel in quantitativer Hinsicht, da die Entscheidung über Liefermenge und Lieferzeitpunkt allein das abnehmende Unternehmen trifft. Die Verwirklichung einer strukturellen Flexibilität geht hierbei mit dem Ziel einer quantitativen Flexibilität in einer komlementären Beziehung einher. Die qualitative Flexibilität, die auf die Veränderungen der artmäßigen Dimension der Beschaffung abhebt, kann dadurch erreicht werden, daß durch den Einsatz von Informations und Kommunikationstechnologien im Rahmen der Beschaffungsmarktforschung Informationen darüber gewonnen werden, für welche Materialarten welche Lieferanten Wettbewerbsvorteile aufweisen. Die qualitative Flexibilität kann nicht nur im Zuge eines auf die572

Vgl. Beste, Elastizität, S. 75 f. Vgl. Kaluza, Erzeugniswechsel, S. 292. 574 Vgl. Moroff, S. 31 f. 575 Vgl. Kaluza, Erzeugniswechsel, S. 292 sowie Kieser , Α.: Zur Flexibilität verschiedener Organisationsstrukturen, in: Zeitschrift für Organisation, 38. Jg. 1969, S. 273 ff. 573

IV. Rahmenbedingungen als Einflußfaktor auf ihre Leistungsmerkmale

295

sen Informationen durchgeführten Lieferantenwechsels geschehen. Eine weitere Möglichkeit zur Erzielung einer qualitativen Flexibilität besteht darin, mit den bisherigen Lieferanten im Hinblick einer gemeinsamen Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet des Materialwesens eng zusammenarbeiten. Auf diese Weise lassen sich bei einer Produktentwicklung bereits in einem frühen Stadium Informationen über den Inhalt der Stückliste oder der Rezeptur gewinnen. Diese Art der zwischenbetrieblichen Kooperation verbessert einerseits die qualitative Flexibilität, während andererseits die strukturelle Flexibilität verschlechtert wird. Die strukturelle oder organisatorische Flexibilität, die als Ansatzpunkt für die Flexibilität organisatorische Regelungen betrachtet, wird durch solche zwischenbetrieblichen Kooperationen herabgesetzt, da hierdurch die Abhängigkeit des Unternehmens von seinen Zulieferern steigt. Auch steht diese Vorgehensweise in Konflikt mit dem Ziel der Erhaltung der Selbständigkeit der Unternehmung. Es stellt sich für ein Unternehmen somit das Problem, bei gleicher Beschaffungsaufgabe in art-, mengen- und zeitmäßiger Hinsicht das Beschaffungswesen in der Weise zu organisieren, daß keine Strukturen entstehen, die die Flexibilität des Unternehmens beeinträchtigen. Der Ansatzpunkt zur Erzielung einer strukturellen Flexibilität besteht in einem hierarchischen, mehrstufigen Aufbau der Lieferantenstruktur. Infolge dieser Vorgehensweise sinken die Anzahl der Direktlieferanten und die Anzahl der Vertragspartner. 576 Ein Unternehmen erzielt hierbei strukturelle Freiheitsgrade, da infolge der gesunkenen Zahl der Direktlieferanten die Transaktionskosten sinken. An die Stelle zahlreicher Lieferanten bei einer einstufigen Lieferantenstruktur treten wenige oder im Extremfall ein Zulieferer, die die Funktion als organisatorischer Sammelpunkt ausüben. Die früheren Direktlieferanten beliefern diese Großzulieferer, die wiederum als Lieferanten an das Unternehmen herantreten (Modularisierungskonzept und Zubringer-/Montage-System). Vertragsbeziehungen bestehen jeweils nur auf einer Ebene, das heißt, zwischen den früheren Direktlieranten und dem (End-)Abnehmer herrschen keine vertraglichen Übereinkünfte.

c) Die Flexibiltät des innerbetrieblichen

Transportwesens

Der Anspruch einer qualitativen Flexibilität bedeutet für das innerbetriebliche Transportwesen, ob und inwieweit es in der Lage ist, unterschiedliche Transportaufgaben zu erfüllen. 576

Vgl. hierzu Demes, S. 251 und Hess, Hersteller, S. 15.

296

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

Die Transportaufgabe wird von den Transportobjekten, dem Transportweg und der Transportintensität bestimmt. Der Transport von Materialien als Transport Objekte kann im Falle der Unstetigförderer teilweise einfacher durchgeführt werden, da für den Transport mittels Stetigförderer oftmals Transporthilfsmittel wie Kisten hinzugezogen werden müssen, um das Transportobjekt zum einen gegenüber Beschädigungen, zum Beispiel bei Rutschen oder Rohren, zu sichern und um zum anderen den Transport überhaupt erst möglich zu machen, wie beispielsweise bei kleineren Transportobjekten auf Rollen- oder Röllchenbahnen. Bei Änderungen im Rahmen des Transportobjektes weisen die Unstetigförderer eine höhere Flexibilität auf, da sie in der Lage sind, Transportobjekte mit unterschiedlichen Abmessungen zu transportieren, während die Stetigförderer nur Transportobjekte bis maximal der Breite (Bandförderer, Rollenbahn etc.) oder des Volumens (Kippschalenförderer, Paternoster etc.) des Transportmittels transportieren können. In bezug auf das Gewicht der Transportobjekte weisen die Unstetigförderer eine höhere Nutzlast auf. 577 Die qualitative Flexibilität ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, mit welchem Aufwand sich das Transportwesen und hierbei insbesondere die Transportmittel auf Veränderungen der Art der zu transportierenden Materialien umstellen läßt. Die Umrüstbarkeit im Rahmen der qualitativen Flexibilität von Transportmitteln ist in besonderem Maße von den zur Verfügung stehenden Transporthilfsmitteln abhängig.578 Dies begründet sich darauf, daß durch den Einsatz von Transporthilfsmitteln wie Paletten oder Kisten das Umstellen oder Umrüsten der Transportmittel auf andere Transportobjekte erleichtert wird oder im Grenzfall sogar ganz wegfallen kann. Die quantitative Flexibilität kann durch den Einsatz geeigneter Transportmittel herbeigeführt werden. Während sich die Unstetigförderer für kleine bis mittlere Stückgutmengen eignen, werden Stetigförderer bei großen Stückgut- oder Schüttgutmengen eingesetzt.579 Die Betrachtung der Transportintensität als Ausdruck der Transportmenge pro Zeiteinheit bringt zum Ausdruck, ob sich die Transportleistung beispielsweise durch eine höhere Umlaufgeschwindigkeit steigern läßt. Neben dieser intensitätsmäßigen Anpassung kann auch eine quantitative Anpassung durchgeführt werden, die den Betriebsmittelbestand erhöht, und ebenfalls als Reaktion auf ein erhöhtes Transportaufkommen gewählt wird. Eine intensitätsmäßige Anpassung an ein erhöhtes Transportaufkommen gestaltet sich im Falle der Unstetig577

Vgl. hierzu die Tabelle bei Teller, S. 14. Heiner bemerkt hierzu, daß die Transporthilfsmittel die Nutzung von Transportmitteln und -wegen erleichtern, wobei sie dafür unerläßliche Voraussetzungen schaffen. Vgl. Heiner, Fördereinrichtungen, Sp. 624. 579 Vgl. Jünemann et al., S. 201 und S. 218. 57 8

IV. Rahmenbedingungen als Einflußfaktor auf ihre Leistungsmerkmale

297

förderer relativ problemlos, während eine Erhöhung der Umlaufgeschwindigkeit bei Stetigförderern, die die Schwerkraft nutzen, nicht möglich ist. Die quantitative Anpassung an ein erhöhtes Transportaufkommen gestaltet sich bei den Unstetigförderern einfacher, da sie in der Regel schienenungebunden sind, während die Stetigförderer meistens in aufgeständerter Bauweise vorkommen. Der Einsatz eines weiteren aufgeständerten Stetigförderers ist mit unter Umständen erheblichen baulichen Veränderungen verbunden. Die Anpassung an ein erhöhtes Transportaufkommen ist bei den Unstetigförderern auch vor dem Hintergrund der höheren Transportwegeflexibilität zu sehen. Die Stetigförderer können sich kurzfristig lediglich im Rahmen der zulässigen Transportgeschwindigkeiten anpassen, da eine quantitative Anpassung mit einem großen Investitionsaufwand verbunden ist. Sie bewegen sich damit innerhalb ihrer Periodenkapazität. Die Unstetigförderer lassen sich an ein erhöhtes Transportaufkommen intensitätsmäßig und quantitativ anpassen, da der Einsatz eines weiteren Staplers oder automatischen Flurförderzeuges einen geringeren Investitionsaufwand als im Falle der quantitativen Anpassung bei den Stetigförderern darstellt. Eine gegenseitige Behinderung der Unstetigförderer wird durch die Nutzung ihrer Transportwegeflexibilität vermieden. Die Anpassung an ein verringertes Transportaufkommen erfolgt analog den obigen Ausführungen. Weiterhin führt eine quantitative Anpassung bei den Unstetigförderern zu einer geringeren Behinderung durch Transportverkehre. Im Falle der Stetigförderer bleibt selbst bei einem Wegfall der Transportaufgabe die Behinderung infolge der aufgeständerten Form kurzfristig erhalten. Mittelund langfristig kann bei den Stetigförderern auch eine quantitative Anpassung durchgeführt werden. Im Rahmen der strukturellen Flexibilität besitzen die Unstetigförderer gegenüber den Stetigförderern eine höhere Flexibilität in bezug auf den Transportweg. Dies begründet sich darauf, daß die Stetigförderer oftmals in aufgeständerter Form vorzufinden sind, während die Unstetigförderer zwar flurgebunden, in der Regel aber schienenungebunden sind. Infolgedessen ist eine Änderung des Transportweges bei Unstetigförderern leichter durchzuführen als bei Stetigförderern. Eine höhere Flexibilität in bezug auf den Transportweg weisen die Unstetigförderer auch in bezug auf die Umkehrbarkeit des Transportweges auf. Es ist zum Beispiel bei Stetigförderern, die die Schwerkraft nutzen, wie beispielsweise Rutschen oder Rollen- und Röllchenbahnen, unmöglich, die Richtung des Transportweges auf dem Transportmittel zu verändern. 580

580

Vgl. Jünemann et al., S. 271 f.

298

D. Die Rahmenbedingungen der Materialwirtschaft

d) Die Flexibilität

des Lagerwesens

Der Anspruch einer quantitativen Flexibilität kann insofern auf das Lagerwesen übertragen werden, als die Lagerkapazität die mengenmäßige Grenze für die einzulagernden Materialien darstellt. Innerhalb der Lagerkapazitätsgrenze ist eine quantitative Flexibilität gegeben. Die qualitative Flexibilität eines Lagersystems bezieht sich darauf, ob und inwieweit ein Lagersystem in der Lage ist, auf artmäßige Änderungen des Lagersortimentes zu reagieren. Hierbei ist, wie im Falle des innerbetrieblichen Transportwesens, ein Bestimmungsfaktor der qualitativen Flexibilität die Rüstflexibiltät der Betriebsmittel. Die Frage der qualitativen Flexibilität eines Lagermittels ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, ob die Materialien selbst oder nur in Verbindung mit den Transporteinheiten als Lagereinheiten Verwendung finden. Dies bedeutet, daß in einem bestimmten Lagersystem nur solche Materialien gelagert werden können, die bestimmten Anforderungen entsprechen. Solche Anforderungen bestehen zum Beispiel in zulässigen Abmessungen oder Gewichtsgrenzen. Bei der Bodenlagerung kann dies vernachlässigt werden, da sich die Ausgestaltung des Lagers auf Bodenmarkierungen beschränkt. Die Frage der Abmessungen erfährt dort Bedeutung, wo die Ausgestaltung der Regale die zulässigen Grenzen vorgibt und es sich zusätzlich um die dynamische Lagerung handelt. Es kann somit festgestellt werden, daß die qualitative Flexibilität am größten bei der Bodenlagerung ist, während bei den anderen Lagermitteln sich diese nach den vorgegebenen Toleranzen, seien es die Abmessungen oder das zulässige Gewicht, richtet. Die Umrüstbarkeit eines Lagermittels setzt daran an, mit welchem Aufwand das Lagermittel auf verschiedene zu lagernde Materialien umgerüstet werden kann. Die qualitative Flexibilität eines Lagermittels bringt auch zum Ausdruck, auf welche Weise sich die Rüstflexibilität bei verschiedenen zu lagernden Materialien verhält. Die Rüstflexibilität und damit auch die qualitative Flexibilität ist in besonderem Maße von den zur Verfügung stehenden Lagerhilfsmitteln abhängig, die dazu dienen, das Lagerwesen rationeller in bezug auf die Vereinheitlichung von Lagergütern zu machen, ohne die zu lagernden Materialien zu verändern. Die Eignung verschiedener Lagermittel zur Erfüllung der Lageraufgabe kann in Abhängigkeit von bestimmten Anforderungen an die Lagerung unterschiedlich ausfallen. Wird das zu lagernde Material mit seinen spezifischen Eigenschaften in den Mittelpunkt gerückt, stellt die Lagerung ohne Lagergestelle in Form der Bodenlagerung eine hohe Beanspruchung für die Materialien dar. Dies ist insbesonders dann gegeben, wenn es sich um ein Außenlager handelt. Eine Lagerung ohne Lagergestelle hat auch dahinge-

IV. Rahmenbedingungen als Einflußfaktor auf ihre Leistungsmerkmale

299

hend Auswirkungen, daß zum einen kein Direktzugriff auf einzelne Materialien stattfinden kann und zum anderen ein Lagerabgang nach dem first-infirst-out-Prinzip nicht gewährleistet ist. 581 Das first-in-first-out-Prinzip wird automatisch bei den Durchlaufregalen eingehalten, da dort Ein- und Auslagerungsvorgänge nur jeweils auf einer Seite durchgeführt werden. Die Anforderung einer strukturellen Flexibilität bedeutet für das Lagerwesen in seiner organisatorischen Handhabung die Wahl eines geeigneten Lagerordnungssystems. Die Realisierung von Freiheitsgraden in bezug auf die Ein- und Auslagerungsreihenfolgen sowie die Lagerorte lassen eine flexible Lagerordnung im Vergleich zu einer starren vorteilhafter erscheinen.

581

Wenn nur ein bestimmtes Material gelagert wird, und dieses Material während der Lagerzeit seine Eigenschaften beibehält, kann das first-in-first-out-Prinzip vernachlässigt werden, wie zum Beispiel bei Schüttgütern.

E. Schlußbemerkung Die Materialwirtschaft wird in der Literatur meist als Unternehmensfunktion beschrieben, die in bezug auf ihren Objekt- und Funktionsumfang erweitert werden müsse. Demgegenüber zeigt die vorliegende Untersuchung, daß die Materialwirtschaft zum einen eindeutig in ihrem Objekt- und Funktionsumfang festgelegt ist, so daß eine Erweiterung vom theoretischen Standpunkt aus nicht nachvollziehbar ist. Zum anderen wird durch die Ausführungen zu den materialwirtschaftlichen Aufgaben, Zielen und Rahmenbedingungen deutlich, daß die Materialwirtschaft einen in sich geschlossenen Teilbereich industrieller Unternehmungen darstellt. Veränderungen in den Rahmenbedingungen haben demzufolge nicht eine Erweiterung des Umfanges der Materialwirtschaft zur Folge, sondern es stellt sich vielmehr die Frage, wie sich die Materialwirtschaft im Rahmen ihrer Aufgaben und Ziele diesen Anforderungen anpaßt und wie sie von anderen Unternehmensfunktionen abgegrenzt wird.

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