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German Pages 361 [364] Year 1986
Die Lautgestalt der Sprache
Roman Jakobson Linda R. Waugh
Die Lautgestalt der Sprache unter Mitarbeit von Martha Taylor
W DE _G Walter de Gruyter Berlin • New York 1986
Titel der Originalausgabe: The Sound Shape of Language (1979) Übersetzt von Christine Shannon und Thomas F. Shannon
JANUA LINGUARUM
Series Maior 75
Studia Memoriae Nicolai van Wijk Dedicata edenda curai
C. H. van Schooneveld Indiana
University
Mouton de Gruyter • Publishers (formerly Mouton, The Hague) CIP-Kurziitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Jakobson, Roman: Die Lautgestalt der Sprache / Roman Jakobson ; Linda R. Waugh (unter Mitarb. von Martha Taylor), Übers, von Christine Shannon ; Thomas E Shannon. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1986. (Janua linguarum : Series maior ; 75) Einheitssacht.: The sound shape of language < d t . > ISBN 3-11-010936-0 NE: Waugh, Linda R.; Ianua linguarum / Series maior
Gedruckt auf säurefreiem Papier (alterungsbeständig - ph 7 neutral). © Copyright 1986 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung Mouton de Gruyter reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen und dergleichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, daß solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig u m gesetzlich geschützte, eingetragene Warenzeichen, auch wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. Druck: Gerike, Berlin. - Bindearbeiten: Dieter Mikolai, Berlin. Printed in Germany.
What fetters the mind and benumbs the spirit is ever the dogged acceptance of absolutes. Edward Sapir, 1924 The Grammarian and His Language
Inhaltsverzeichnis
Vorwort des Übersetzers Vorbemerkung Anmerkung zur Transkription Merkmal und Eigenschaft I.
xi xix xx xxi
DIE SPRACHLAUTE U N D IHRE AUFGABEN Spoonerisms Die Bedeutungsunterscheidung Die Homonymie Doubletten Die Anfänge der Suche Invarianz und Relativität Auf der Suche nach Oppositionen Merkmale und Phoneme Die Sprachlaute und das Gehirn Redundanz Konfigurative Merkmale Stilistische Variationen Physiognomische Indikatoren Die distinktiven Merkmale im Verhältnis zu den anderen Bestandteilen des Sprachlautes Die Identifizierung der distinktiven Merkmale Sinnunterscheidung und Sinnbestimmung Autonomie und Integration Universalien Die Sprachwahrnehmung Leben und Sprache Die Rolle des Lernens Die gesprochene und die bildlich veranschaulichte Sprache Vielfalt und Konformismus Die innere Sprache
1 2 3 7 9 13 18 26 29 37 40 41 44 45 53 57 60 61 65 69 75 76 80 84
viii II.
Inhaltsverzeichnis DIE SUCHE N A C H D E N G R U N D B E S T A N D T E I L E N Pierre Delattre in m e m o r i a m Vokal ~ Konsonant Die Syllabizität Die Merkmalhaftigkeit Dunkel - Hell Produktion und Entschlüsselung Kompakt - Diffus Erhöht und Erniedrigt Die Wechselbeziehungen zwischen den Tonalitätsmerkmalen Was n u n ?
87 91 94 98 100 104 107 120 127 131
III. DAS SYSTEM D E R DISTINKTIVEN M E R K M A L E Die Bedeutung der distinktiven Merkmale Die beiden Achsen Die Nasalität Stimmhaft ~ Stimmlos und Gespannt ~ Ungespannt Scharf ~ Mild Konsonantische Entsprechungen zu den prosodischen Merkmalen Die Vokalharmonie Die Gleitlaute Die Entstehung der Lautgestalt Die dynamische Synchronie Perspektiven
133 136 144 147 152 156 159 164 168 181 190
IV. D E R ZAUBER D E R S P R A C H L A U T E Die Lautsymbolik Die Synästhesie Wortaffinität Der lautsymbolische Ablaut Die Sprachlaute im mythopoetischen Gebrauch Das Sprachtabu Die Glossolalie Der Laut als Grundlage des Verses Die Sprachkunst der Kinder Saussures poétique phonisante aus der heutigen Sicht Folgerungen aus einem Gedicht von Cummings Sprache und Dichtung
195 207 214 220 225 229 232 237 239 243 245 255
Inhaltsverzeichnis
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Nachwort
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Anhang: Die Rolle von phonischen Elementen bei der Sprachwahrnehmung
263
Bibliographie Sprachenregister Sachregister
277 327 331
ABBILDUNGEN 1. Zauberrunen aus Bryggen 2. Neuroanatomisches Schema für die auditiven Asymmetrien 3. Delattres Tabelle des spektrographischen Schemas von französischen Konsonanten 4. Spektrogramme von amerikanisch ba, da und ga 5. Röntgenaufnahmen tschechischer Vokale und Konsonanten 6. Titelblatt von C. F. Hellwags Dissertation aus dem Jahre 1781 7. Das Vokaldreieck in C. F. Hellwags Dissertation 8. Die türkischen Vokale als Würfel dargestellt
12 33 102 110 113 138 139 162
Vorwort des Übersetzers
Die Lautgestalt der Sprache (hiernach: LGS) ist die deutsche Übersetzung des Buches The Sound Shape of Language von Roman Jakobson, der am 18. Juli 1982 in Cambridge, Massachusetts, verstarb. Dieser Band, geschrieben in Zusammenarbeit mit Linda Waugh von der Cornell University, stellt fraglos das letzte Meisterwerk eines der namhaftesten Sprachwissenschaftler unseres Jahrhunderts dar. Seine Forschung verband immer Originalität mit Vielseitigkeit: nicht nur die Sprachwissenschaft sondern auch weitgestreute Gebiete wie Metrik, Poesie, slawische Philologie, Folklore, Anthropologie, Neurologie, Aphasieforschung, Spracherwerb u.v.m. fanden Eingang in sein umfangreiches wissenschaftliches Werk. Sein Verständnis von Linguistik als einer Analyse der Sprache in allen ihren Aspekten ist für dieses breite Spektrum von intellektuellen Interessen verantwortlich und wird wohl am besten widergespiegelt in der von ihm als Motto übernommenen lateinischen Zeile: Linguistica sum: linguistici nihil a me alienum puto. Jakobsons lebenslange Erforschung des Wesens der Sprache führte ihn immer wieder zu der fundamentalen Frage nach ihren Grundbestandteilen sowie nach dem Verhältnis zwischen Laut und Bedeutung; die-bahnbrechenden Einsichten, die er hier lieferte, sind bis heute äußerst fruchtbar und ergiebig geblieben. In dem vorliegenden Werk finden die Ergebnisse seiner jahrzehntelangen Arbeit auf diesem Gebiet ihren Niederschlag, hier werden die Grundlagen der Lautstruktur der Sprache auf klassische Art von ihrem Meister zum letzten Mal besprochen. Jakobsons Beschäftigung mit diesen Fragen begann sehr früh. Schon während seiner Jugendjahre in Moskau entwickelte der am 11. Oktober 1896 geborene Roman Osipovic ein leidenschaftliches Interesse für Sprache und Dichtung. Im Jahre 1915 gründete er gemeinsam mit sechs Kommilitonen den "Moskauer linguistischen Kreis", der sich intensiv dem "Studium der Linguistik, der Poesie, der Metrik und der Folklore" widmete. An der geistigen Entwicklung dieses Kreises, der den Anfang des sogennannten "russischen Formalis-
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Die Lautgestalt der Sprache
m u s " bilden sollte, war der Einfluß der avantgardistischen Kunstbewegung des Futurismus maßgebend beteiligt. D e n Anhängern beider Bewegungen gemeinsam war ein besonderes Interesse an der Sprache, vor allem an ihrer formalen Seite, wobei der Inhalt oft in den Hintergrund trat. Jakobson selbst überwand allerdings später diese einseitige Betrachtungsweise und betonte, daß sowohl der semantische als auch der formale Aspekt der Sprache in ihrer gegenseitigen Interdependenz untersucht werden müssen. Mit seiner Übersiedlung in die Tschechoslowakei im Jahre 1920 ging auch ein geistiger Wandel einher: der Moskauer Formalist entwickelte sich zum Prager Strukturalisten. Jakobson war einer der G r ü n d e r des 1926 ins Leben gerufenen Prager Linguistenkreises, dessen Mitglieder in der Zwischenkriegszeit zu den überzeugtesten und aktivsten Verfechtern der strukturalistischen und funktionalen Linguistik gehörten. Gegen Ende der zwanziger Jahre begannen sie in ihren Veröffentlichungen (Travaux du Cercle linguistique de Prague) und auf internationalen Kongressen ihre Vorstellungen über Sprache an die Öffentlichkeit zu tragen. Im Gegensatz zu der rein historischen und atomistischen Denkweise der Junggrammatiker betrachteten die Prager die Sprache nicht als chaotische A n h ä u f u n g von unabhängigen, lediglich durch ihre Geschichte erklärbaren Elementen, sondern als synchrones, hierarchisch geordnetes "System der Systeme". Ihrer Meinung nach war es die Aufgabe der Linguistik, die inneren Strukturgesetze des Sprachsystems zu erkennen, die sprachlichen Elemente in ihren wechselseitigen Beziehungen zueinander und vor allem in Hinblick auf ihre Funktion als menschliches Kommunikationsmittel zu untersuchen. Obwohl Jakobson in Prag auf verschieden e n wissenschaftlichen Gebieten wie z.B. Poesie, Metrik und G r a m matik tätig war, verdankte er seine wachsende internationale Bekanntheit seinen Ideen über die Sprachlaute und das Lautsystem. Zusammen mit seinem genialen Freund und Kollegen Trubetzkoy, durch dessen weitsichtige Überlegungen zur Lautstruktur Jakobsons Gedanken entscheidend geprägt wurden, begründete er die Phonologie. Geistige Vorläufer sah er u.a. in Männern wie Baudouin de Courtenay, Kruszewski und Saussure, die den Begriff des P h o n e m s als bedeutungsunterscheidenem Sprachlaut entwickelt und seinen oppositiven und relationalen Charakter erkannt hatten. Im ersten Kapitel von LGS wird die Entdeckung des Phonembegriffs sowie seiner Struktur klar dargestellt. Abgesehen von einem kurzen Aufenthalt in Skandinavien (1939— 1941), wirkte Jakobson seit d e m zweiten Weltkrieg in Amerika. Im Anschluß an Lehraufträge an der von europäischen Exil-Professoren
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gegründeten Ecole Libre des Hautes Etudes und der Columbia University in New York hatte er von 1949 bis 1967 Lehrstühle für Slawistik und allgemeine Sprachwissenschaft an der Harvard University sowie von 1957 bis 1970 einen Lehrstuhl für Linguistik an dem benachbarten Massachusetts Institute of Technology inne. Hier spielte er eine entscheidende Rolle in der Neuorientierung der amerikanischen Linguistik nach der empiristischen und behavioristischen Periode der Post-Bloomfieldianer; durch den fortgesetzten Kontakt mit seinen Schülern Morris Halle und Noam Chomsky stand er bei der Geburt der generativen Grammatik Pate. Diese letzte Phase seiner wissenschaftlichen Karriere war äußerst ertragreich für die Entwicklung der Jakobsonschen Phonologie, denn hier fand er sowohl die nötigen technischen Mittel als auch Impulse von Kollegen in der Akustik und der Kybernetik, um seine Theorien voll auszuarbeiten. Dank der f ü r diese Periode typischen interdisziplinären Kooperation konnte er in verschiedenen Arbeiten der fünfziger Jahre detaillierte akustische und artikulatorische Definitionen der distinktiven Merkmale formulieren. Das vorliegende Buch stellt das letze Meisterwerk in dieser Reihe von großen, aus amerikanischer Zusammenarbeit entstandenen phonologischen Abhandlungen dar. Um Jakobsons phonologische Theorie verstehen zu können, muß man sich mit seinen Grundideen über die Sprache schlechthin vetraut machen. Für ihn ist die Sprache vor allem eine semiotische Größe, ein relativ autonomes, hierarchisch strukturiertes, mehrschichtiges Zeichensystem für menschliche Kommunikation. "Relativ autonom" bedeutet einerseits, daß Sprache einen spezifischen Charakter hat und man sie daher zuerst in sich selbst verstehen lernen m u ß , ohne ihr von vornherein außersprachliche Kriterien aufzuzwingen. Andererseits darf man Sprache nicht künstlich von anderen relevanten Bereichen abtrennen. Stattdessen erstrebt Jakobson eine "Autonomie mit Integration": er sucht zwar nach Verbindungen zwischen Sprache und anderen Gebieten wie Neurologie, Aphasieforschung usw., versucht aber nicht, jene auf diese zu reduzieren. Sprache ist eine Hierarchie von Teilen und Ganzen, und jeder konstitutive Teil hat wiederum diesen relativ autonomen Status, so daß man z.B. Phonologie, Morphologie und Syntax als durchaus verschiedene Gebiete anerkennen m u ß , ohne sie voneinander zu isolieren. Sie sind als Teile in das Gesamtsystem integriert und weisen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede in ihrer Struktur auf. Laut Jakobson sind wichtige Aspekte dieser Struktur nur in Hinblick auf ihre Zielgerichtetheit zu verstehen: ein semiotisches Mittel wie Sprache kann man nicht analysieren, ohne nach dessen Funktion zu fragen. Rein formale Untersu-
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Die Lautgestalt der Sprache
chungen, die diesen funktionalen Aspekt außer Acht lassen, sind wertlos, da sie an dem semiotischen Wesen der Sprache vorbeigehen. Kaum ein anderer Linguist hat mehr zu der Entwicklung von Jakobsons Sprachtheorie beigetragen als Ferdinand de Saussure. Kennzeichend für beide Forscher ist die dichotome Denkart: überall in Jakobsons Schriften stößt man auf an Saussure erinnernde Gegensatzpaare wie Kode/Mitteilung, Sprecher/Hörer, Ellipse/Explizitheit, Konvergenz/Divergenz, Äquivalenz/Differenz, usw. Aber Jakobson ließ sich nicht kritiklos durch Saussure inspirieren, sondern revidierte dessen Ideen oft weitgehend bzw. überwand seine Antinomien in einer Synthese. Statt wie Saussure auf einer strengen Trennung zwischen dynamischer Diachronie und statischer Synchronie zu bestehen, wies er daraufhin, daß die Diachronie auch systematisch und die Synchronie auch dynamisch ist, denn Sprachwandel ist Systemwandel und Veränderlichkeit ist ein wichtiger Zug des synchronen Systems. Beide Forscher gehen vom Begriff des Zeichens (frz. signe, lat. Signum) als untrennbarer Kombination zwischen einer perzeptiblen Form (frz. signifiant, lat. signans, dt. auch Bezeichnendes) und einem intelligiblen Inhalt (frz. signifié, lat. signatum, dt. auch Bezeichnetes) aus. Jakobson aber argumentiert gegen Saussures These von der Willkürlichkeit dieser Verbindung, denn f ü r ihn ist sie notwendig, wenn auch konventionell. Beispiele f ü r deren nicht-arbiträren Charakter sind in solchen Phänomenen wie Synästhesie, Lautmalerei und Phonästhemen, denen in Kapitel IV von LGS besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, zu finden. Wohl am heftigsten ist seine Kritik an Saussures Doktrin von der Linearität der Sprachlaute sowie der daraus folgenden Interpretation des Phonems als unteilbarer Einheit. Beide Gelehrte erkennen zwei Dimensionen in der Sprache, eine paradigmatische Achse der Selektion und eine syntagmatische Achse der Kombination, aber Jakobson sieht diese differenzierter. Laut Saussure kann die Kombination nur sequentiell erfolgen; f ü r ihn sind Phoneme daher unteilbare lineare Einheiten. Jakobson hingegen hob hervor, daß die Kombination nicht nur sequentiell sondern auch gleichzeitig erfolgen kann, was zu der neuen Interpretation des Phonems als gleichzeitigem Bündel von zusammenwirkenden distinktiven Merkmalen führte. Jakobsons Verbindung von Selektion und Kombination mit Metapher und Metonymie erbrachte auch sehr aufschlußreiche Einsichten über Poesie und Aphasie. Für Jakobsons Phonologie wie für seine Sprachtheorie überhaupt sind zwei grundlegende Begriffe von zentraler Bedeutung: die Opposition und die relationale Invarianz (s.u.). Von allen Relationen, durch die sprachliche Einheiten definiert werden, ist die der Opposition
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zweifellos die wichtigste. Die Opposition ist laut Jakobson eine Relation der gegenseitigen Implikation zwischen zwei gegensätzlichen Elementen, die notwendigerweise im Bewußtsein miteinander verbunden sind, wie z.B. kalt-heiß. Somit sind nicht die Phoneme sondern die distinktiven Merkmale die letzten oppositiven Grundbestandteile der Sprache. Obwohl sie auch eine bedeutungsbestimmende Funktion besitzen (vgl. LGS, Kap. IV), liegt ihre Hauptfunktion in der Bedeutungsunterscheidung. Im Gegensatz zu anderen sprachlichen Einheiten, die eine positive Bedeutung besitzen, ist das Signatum der distinktiven Merkmale und der aus ihrer Kombination entstehenden Phoneme durch "bloße Andersheit", d.h. reine Distinktivität gekennzeichnet. Jakobson erkennt allerdings auch andere Merkmale als nur die distinktiven an: konfigurative (kulminative sowie delimitative), die grammatische Einheiten einer Äußerung erkennbar machen; expressive, die eine Einstellung des Sprechers ausdrücken; und wiederum andere, die zwar redundant sind, aber dennoch Aufschluß über den gleichzeitigen oder sequentiellen Kontext geben. Sein Hauptinteresse gilt allerdings den distinktiven Merkmalen, die das Kernstück seiner Phonologie bilden und in LGS ausführlich erörtert werden. Aus dem gegenseitig implikativen Charakter der Opposition zieht Jakobson zwei weitere, sehr wichtige Schlußfolgerungen in Hinblick auf die distinktiven Merkmale. Erstens impliziert der polare Begriff der Opposition den sogenannten Binarismus, wonach alle distinktiven Merkmale nur zwei Werte—plus oder minus—annehmen können. Dies ist wohl einer der umstrittensten Punkte in Jakobsons Theorie der distinktiven Merkmale, aber er hat diesen Standpunkt sehr oft und hartnäckig verteidigt, zuletzt auch weider in LGS. Außerdem sind die beiden Glieder einer Opposition nicht gleichgestellt, sondern hierarchisch strukturiert: das merkmalhafte trägt das Merkmal, das das Vorhandensein der betreffenden Eigenschaft (z.B. stimmhaft) beinhaltet, während dem anderen merkmallosen Glied (stimmlos) diese Eigenschaft fehlt. Diese Unterscheidung hat sich als fruchtbar erwiesen wegen der interessanten Voraussagen über phonologische Systeme, die sie gestattet. Im allgemeinen hat das merkmallose Glied den Vorrang vor dem merkmalhaften. Wie Jakobson auf geniale Art hat zeigen können, wird das merkmallose Glied von Kindern früher, das merkmalhafte später erworben, wohingegen beim aphatischen Abbau der sprachlichen Fähigkeit die Reihenfolge genau umgekehrt ist. Außerdem setzt das Vorhandensein eines merkmalhaften Gliedes in einer gegebenen Sprache meistens das Vorhandensein des entsprechenden merkmallosen voraus, und bei einer Neutralisierung
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der Opposition erscheint normalerweise das merkmallose Element. Die Merkmalhaftigkeit hat also weitreichende Konsequenzen f ü r die sprachliche Universalienforschung sowie f ü r die phonologische Typologie, T h e m e n denen Jakobson lange Zeit ein lebhaftes Interesse entgegenbrachte. Das letzte wichtige Prinzip der relationalen Invarianz hängt mit d e m kontextsensitiven Charakter der Sprache zusammen. Sprachliche Elemente weisen in verschiedenen Kontexten Varianten auf; aber dahinter sind konstante Relationen, d.h. Invarianten verborgen. Die Topologie, wie die Erforschung dieser relationalen Invarianz bei allen kontextuellen Permutationen in der Mathematik heißt, stellt f ü r Jakobson ein äußerst wichtiges Forschungsgebiet dar. Bezogen auf die Phonologie bedeutet das, daß P h o n e m e zwar kontextbedingte Varianten kennen, aber in allen Realisierungen einen invarianten Kern von in ihren Relationen gleichbleibenden distinktiven Merkmalen aufweisen. Bei der Erforschung der distinktiven Merkmale betont Jakobson die akustisch-perzeptive Seite, und gerade hier sehen wir, daß die jeweiligen Relationen und nicht etwa die absoluten materiellen Werte ausschlaggebend f ü r ihre Definition sind. So kann z.B. dieselbe akustische Wirkung durch verschiedene artikulatorische Gesten erzielt werden, wie dies bei Labialisierung, Velarisierung und Pharyngalisierung der Fall ist; solange der artikulatorische Unterschied in keiner Sprache distinktiv wirkt, kann man, ja m u ß man sie als verschiedene artikulatorische A u s f ü h r u n g e n ein und desselben distinktiven Merkmals erniedrigt ~ nichterniedrigt interpretieren. A u ß e r d e m kann derselbe Laut in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Relationen eingehen ünd daher zu verschiedenen Phonem e n gehören; bei einer streng relationalen Betrachtungsweise werden Fälle von sogenannter phonemischer Überlappung unproblematisch. Darüber hinaus erläutert Jakobson die Art and Anzahl der distinktiven Merkmale. Er unterscheidet zwei Arten: die prosodischen wie Akzent und Länge, zu deren Erkennung der Vergleich mit kontrastierenden Elementen im selben sequentiellen Kontext notwendig ist, und die inhärenten, die das Vorhandensein des entgegengesetzten Elementes im selben Kontext nicht voraussetzen. Unter den inhärenten werden etwa ein Dutzend artikulatorisch sowie akustisch definierte Merkmale postuliert, und zwar in drei Gruppen: die Sonoritätsmerkmale vokalisch ~ nichtvokalisch, konsonantisch ~ nichtkonsonantisch, nasal ~ nichtnasal, kompakt ~ diffus, abrupt ~ kontinuierlich, scharf ~ nichtscharf, g e h e m m t ~ nichtgehemmt, stimmhaft ~ stimmlos; das Dauermerkmal gespannt ~ nichtgespannt; und die Tonalitätsmerkmale dunkel ~ hell, erniedrigt ~ nichterniedrigt und
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erhöht ~ nichterhöht. Diese kleine Menge soll ein universales Inventar von distinktiven Merkmalen darstellen, aus denen jede einzelne Sprache ihre Auswahl trifft; keine Sprache soll andere distinktive Merkmale kennen. Hier macht Jakobsons Theorie wiederum interessante universelle Voraussagen über phonologische Systeme. In mehr als sech Jahrzehnten intensiver wissenschaftlicher Arbeit formulierte Roman Jakobson umfangreiche, zum großen Teil epochale Theorien zur Sprache im allgemeinen sowie zur Phonologie im besonderen, Theorien die auch nach seinem Tode maßgebend und aktuell bleiben. Im Rahmen dieser Einleitung konnten lediglich einige Grundideen der Jakobsonschen Sprachtheorie, die für das Verständnis des vorliegenden Werkes unentbehrlich sind, aufgegriffen werden. Zur weiteren Information sei auf folgende Werke sowie auf deren Bibliographien verwiesen: Elmar Holenstein, Roman Jakobsons phänomenologischer Strukturalismus (1975); Linda Waugh, Roman Jakobsons Science of Language (1977); und Rodney Sangster, Roman Jakobson and Beyond: Language as a System of Signs (1982). Der von Wolfgang Raible zusammengestellte Sammelband Aufsätze zur Linguistik und Poetik (1979) enthält eine wertvolle Auswahl von wichtigen Jakobsonschen Arbeiten in deutscher Sprache sowie eine ausgezeichnete Einleitung des Herausgebers. Jakobsons ausgewählte Werke erscheinen in sieben Bänden bei Mouton/de Gruyter. Linda Waugh, Jakobsons Mitautorin an LGS, ist Professor für Sprachwissenschaft und Komparatistik; ihre Hauptforschungsgebiete liegen im Bereich der allgemeinen Linguistik, der französischen Sprachwissenschaft und Semiotik, sowie der Poetik. Neben dem Summer Institute of Linguistics der Linguistic Society of America hat sie an solchen namhaften Institutionen wie Yale und Vanderbilt unterrichtet und ist augenblicklich im Department of Modern Languages and Linguistics an der Cornell University wissenschaftlich tätig. Ihre Vortragsreisen führten sie außer Nordamerika nach Europa, Neuseeland und Australien. Außer LGS hat sie allein oder in Zusammenarbeit fünf weitere Werke geschrieben, vier Bücher (mit-)herausgegeben und zahlreiche Artikel in Fachzeitschriften veröffentlicht. Zwei ihrer bedeutendsten Werke sind A Semantic Analysis of Word Order und das obengenannte Roman Jakobsons Science of Language. Die vorliegende Übersetzung lehnt sich bewußt sehr eng an das englische Original an, um möglichst viel von Jakobsons persönlichem Stil im Deutschen wiederzugeben. Was die deutsche Fachterminologie angeht, so haben wir uns an die sonst übliche gehalten, so wie sie in Übersetzungen von früheren Werken Jakobsons (vgl. Raible 1975) und Fachwörterbüchern enthalten ist. Bei Namen von
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weniger bekannten Sprachen wurden, falls bekannt, die gebräuchlichen deutschen Formen benutzt, ansonsten wurden sie möglichst eingedeutscht. Transliterationen von fremdsprachlichen Namen und Wörtern sowie phonetische Transkriptionen wurden auch weitgehend beibehalten. Der einzige Fall, wo vielleicht Verständnisschwierigkeiten entstehen könnten, betrifft den Gebrauch von dt. "Merkmal" für sowohl "mark" als auch "feature"; um eventuellen Mißverständnissen vorzubeugen, haben wir auf Anraten der Autoren unserer Übersetzung einen Artikel von Jakobson über diese terminologische Verwirrung vorangestellt. Die Übersetzungen der Gedichte aus dem Englischen oder Amerikanischen sollen lediglich das Verständnis erleichtern, erheben jedoch keinen Anspruch auf literarische oder grammatische Vollkommenheit. An dieser Stelle möchten wir unseren Dank aussprechen: Professor Cornelis van Schooneveld von der Indiana University für seine Anregung zu dieser Übersetzung; und dem inzwischen verstorbenen Roman Jakobson und Linda Waugh für die Durchsicht des Manuskripts und ihre hilfreichen Kommentare. Thomas E Shannon Berkeley, im Dezember 1984
Vorbemerkung
Für die Unterstützung unserer Arbeit an diesem Buch möchten wir der Ford Foundation und ihrem Direktor McGeorge Bundy danken. Für die freundliche Hilfe bei der Vorbereitung unserer Studie gebührt unser Dank dem Massachusetts Institute of Technology; der Cornell University; dem Ossabaw Island Projekt und seiner Präsidentin Eleanor Torrey West; der Perception Technology Corporation und ihrem Direktor Hüssein Yilmaz; dem Bryggen-Museum in Bergen, seinem Direktor Asbjörn Herteig und Aslak Liest0l, Direktor der Universitetets Oldsaksamling in Oslo; dem Department of IndoPacific Languages an der University of Hawaii; den Stanford University Phonology Archives; der Harvard University Fernleihe; und der National Library of Medicine, Bethesda, Maryland. Dank für wertvolle Hinweise und Vorschläge schulden wir unseren Freunden und Kollegen: Milada Blekastad, Sheila Blumstein, Robert Blust, Dwight Bolinger, dem verstorbenen Jacob Bronowski, Noam Chomsky, George N. Clements, Helge Dyvik, Samuel Elbert, Donna Erickson, Rachel Erlich, Sigurd Fasting, Charles Ferguson, Eli Fischer-j0rgensen, Ivan Fónagy, Joseph Greenberg, Morris Halle, Einar Haugen, Charles Hockett, Marcia Howden, Andrew Kerek, Michael Krauss, Peter Ladefoged, Alvin Liberman, Björn Lindblom, André Malécot, Robert H. Maurer, Sven Öhman, Colin Painter, Donald Preziosi, Ronald Scollon, Michael Silverstein, Edward Stankiewicz, Kenneth Stevens, Michael Studdert-Kennedy, William S-Y. Wang, Calvert Watkins, David Waugh, Roger Wescott, Dean S. Worth und insbesondere Gunnar Fant und dem verstorbenen Pierre Delattre. Der Abdruck von Abbildungen und Textstellen wurde freundlicherweise von Doreen Kimura und Cortex, von S. Blumstein und K. Stevens, vom Verlag Harcourt Brace Jovanovich, von Granada Publishing Limited und von der Chappell Music Company genehmigt.
Anmerkung zur Transkription
Für die Vokale verwenden wir das offizielle IPA-System, abgesehen davon, daß ü (und nicht >0 den hohen gerundeten, dem i entsprechenden Vordervokal bezeichnet. Langvokale werden durch ein Längezeichen gekennzeichnet (z.B. ä), Nasalvokale durch eine Tilde (ä). Bei den Konsonanten verwenden wir die Symbole t, d für dentale oder dentialveolare Verschlußlaute, sofern keine weitere Unterscheidung vorhanden ist. Falls ein Unterschied besteht, können t und d für den dentalen und t° und d° für den alveolaren Verschlußlaut gebraucht werden. Für die palatalen Konsonanten—Verschlußlaute, Reibelaute und Nasallaute—wenden wir das in der slawistischen Literatur übliche Prinzip an, das auf das von Jan Hus für das Tschechische begründete Rechtschreibungssystem zurückgeht: ein Hatschek (") wird über oder rechts über den entsprechenden Dentallaut gesetzt—t", d", s, z, n, c und j. Die letzten zwei Laute sind palatale Affrikaten, die den dentalen Affrikaten c und j , entsprechen. (In einigen hier zitierten Transkriptionssystemen werden s und z durch J und 3 wiedergegeben.) f ist ein scharfes r (wie im Tschechischen). 8 und £ stehen für den gespannten (stimmlos) bzw. den ungespannten (stimmhaft) interdentalen nicht-scharfen Dauerlaut. Sekundäre Modifikationen der Konsonanten werden wie folgt vermerkt: Palatalisierung durch ' (z.B. t'); Rundung, Velarisierung oder Pharyngalisierung durch 0 (z.B. t°); Retroflexion durch , (z.B. t); Aspiration durch h (z.B. t h ); Glottalisierung durch ' (z.B. t ? ); Stimmlosigkeit durch (z.B. d); Syllabizität durch (z.B. r). O
O
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J
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Merkmal und Eigenschaft
Vorwort [In Übereinstimmung mit der herkömmlichen deutschen sprachwissenschaftlichen Terminologie werden die englischen Ausdrücke feature, property und mark—die in der englischen Originalausgabe The Sound Shape of Language streng getrennt werden—in dieser deutschen Ausgabe durch das eine Wort Merkmal wiedergegeben. Dadurch könnte jedoch zeitweilig Verwirrung oder selbst Mi/3 Verständnis entstehen; inbesondere die Diskussion in Kapital 2, S. 107ff. dürfte daher etwas unklar erscheinen. Folglich haben wir die Einschließung des 1974 in der Festschrift Kiju, World Papers in Phonetics (Phonetic Society of Japan) erschienenen Artikels "Mark and Feature" ("Merkmal und Eigenschaft") von Roman Jakobson f ü r angebracht erachtet. Hoffentlich wird hiermit dem Leser das Verständnis der deutschen Übersetzung erleichtert; bei eventuellen weiteren Unklarheiten sollte das englische Original zu Rate gezogen werden.]
Der Begriff der Opposition liegt sowohl dem phonologischen als auch dem grammatischen System der Sprache zugrunde. Im Gegensatz zu jedem Paar von rein zufälligen Elementen, die keine prädiktive Auskunft übereinander geben, ist die Opposition eine intuitive logische Operation, die das gleichzeitige Vorhandensein von zwei Oppositionsgliedern in unserem Geist impliziert. Wie der scharfsichtige holländische Sprachanalytiker Hendrik Pos1 gezeigt hat, ruft das Vorhandensein des einen Elements notwendigerweise das andere, ihm entgegengesetzte Element hervor: so sind bei solchen Paaren von abstrakten Begriffen wie beweglich ~ unbeweglich, fern ~ nahe, teuer ~ billig die Glieder jedes Paares in unserem Geist untrennbar miteinander verbunden. Was die phonologische Struktur der Sprache anbetrifft, so weist jede ihrer konstitutiven Oppositionen ein besonderes, zusätzliches
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Die Lautgestalt der Sprache
Element auf, das in dem einen der Oppositionsglieder als vorhanden und in dem anderen als nicht vorhanden empfunden wird. In der Terminologie, die bei der im Jahre 1930 in Prag veranstalteten internationalen Phonologietagung erarbeitet und diskutiert wurde, bezeichnete man jegliches Element in Opposition zu dessen NichtVorhandensein auf deutsch als Merkmal, auf Russisch als priznak und auf Französisch als marque, später als mark ins Englische übersetzt. Das principium divisionis, das einer jeden Opposition zugrundeliegt und als die Eigenschaft derselben aufgefaßt wird, erhielt die folgenden Bezeichnungen: dt. distinktive Eigenschaft, russ. razlicitel'noe svojstvo, fr. propriété distinctive (oder nach Saussure élément différentieí). Auf Englisch wurde f ü r denselben Begriff Sapirs and Bloomfields Bezeichnung distinctive feature von der phonologischen Forschung der vierziger Jahre übernommen, was zu der Übernahme und Verbreitung der Wendung trait distinctif in der französischen Sprachwissenschaft beitrug. Nehmen wir als Beispiel für die eben skizzierte begriffliche und terminologische Unterscheidung die Vokallänge (relative Dauer), die als die "distinktive Eigenschaft" der phonologischen Opposition lang ~ kurz fungiert. Das Merkmal dieser Eigenschaft ist die Länge im Gegensatz zur Kürze, d.h. das Fehlen der Dehnung. Die zwei Oppositionsglieder, in diesem Fall lang gegenüber kurz, wurden auf deutsch merkmalhaft (oder merkmalhaltig bzw. -tragend) gegenüber merkmallos, russ. priznakovyj ~ bespriznakovyj, fr. marqué ~ non-marqué und daraus engl, marked ~ unmarked bezeichnet. Daher spaltet sich das principium divisionis der langen und kurzen Vokale, oder mit anderen Worten die distinktive Eigenschaft der "quantitativen" Opposition, in die "merkmalhafte Eigenschaft" der Langen und die "merkmallose Eigenschaft" der Kurzen. Die Verbreitung und wörtliche Übersetzung von ursprünglich auf Englisch und Französisch verfaßten sprachwissenschaftlichen Studien führte zu der mechanischen Übertragung der Ausdrücke marked ~ unmarked (bzw. marqué ~ non-marqué) ins Deutsche als markiert ~ unmarkiert und ins Russische als markirovannyj ~ nemarkirovannyj und zu der Verwischung der ursprünglichen Bezeichnungen von dt. merkmalhaft ~ merkmallos und russ. priznakovyj ~ nepriznakovyj, trotz des Vorzugs dieser russischen und deutschen Begriffe und Bezeichnungen, der zuerst in Trubetzkoys Briefwechsel aus dem Jahre 1930 mit dem Autor zutage trat. 2 Was jedoch zu einer verwirrenden und offensichtlich falschen Neuerung wurde, war die weitverbreitete Verwendung des deutschen Wortes Merkmal und des russischen Wortes priznak in einem erwei-
Merkmal
und
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Eigenschaft
terten Sinn, der zu der ursprünglichen Bedeutung von "Merkmal" die der "distinktiven Eigenschaft" hinzufügt. Das palatalisierte russische / t ' / unterscheidet sich von dem Phonem / z / durch drei Eigenschaften, nämlich durch das Vorhandensein des Merkmals 'erhöht' (gegenüber dem nicht-erhöhten /t/) und andererseits durch des Fehlen zweier Merkmale: /tV und Iii sind 1) diskontinuierlich (abrupt) im Gegensatz zu den merkmalhaften Dauerlauten / s ' / und Ist und 2) stimmlos im Gegensatz zu der merkmalhaften Stimmhaftigkeit von /dV und /d/. So sind / t ' / und /t/ zweifach merkmallos gegenüber dem merkmalhaft kontinuierlichen und stimmhaften /z/. 3 Der homonyme Gebrauch ein und desselben Wortes für "Merkmal" und "Eigenschaft" führt unvermeidlich zu solchen widersprüchlichen W e n d u n g e n w i e unmarkiertes
Merkmal
b z w . nemarkirovannyj
priznak
für eine merkmallose Eigenschaft wie Stimmlosigkeit oder Diskontinuierlichkeit. Die Verwechslung von zwei getrennten Bezeichnungen und Begriffen—"Merkmal" und "Eigenschaft"—in der deutschen und russischen sprachwissenschaftlichen Praxis findet wohl ihre historische Erklärung in einem Widerwillen gegen die Verschwommenheit und Gegenstandslosigkeit des von Trubetzkoy bevorzugten Substantivs Eigenschaft— svojstvo—und andererseits in der Abneigung, solchen unbestimmten lexikalischen Entsprechungen von "Eigenschaft" wie dt. Zug und russ. certa eine genaue technische Bedeutung zuzuweisen. Wie dem auch sei, bedürfen die russische und deutsche sprachwissenschaftliche Terminologie in dieser Hinsicht einer Verbesserung bezüglich sowohl des Lautsystems der Sprache als auch ihrer grammatischen Kategorien.
FUSSNOTEN 1
"La notion d'opposition en linguistique", Onzième Congrès International de Psychologie (Paris, 1938), 245; "Perspectives du structuralisme", Travaux du Cercle Linguistique de Prague, VII (1939), 71ff.
2
Siehe R. Jakobson, Selected Writings, I (zweite Auflage, Den Haag, 1971), 734ff.
3
Vgl. ebenda, 738ff.
KAPITEL 1
Die Sprachlaute und ihre Aufgaben
A thing without oppositions
ipso facto does not exist.
Charles Sanders Peirce
Collected Papers 1.457
Spoonerisms "May I sew you to another sheet?" ('Darf ich Sie an ein anderes Laken nähen?') Dies ist eine scherzhafte Vertauschung, die angeblich von dem Pfarrer William Spooner (1844-1930) geprägt wurde für die bekannte Frage: May 1 show you to another seat? ('Darf ich Ihnen einen anderen Platz anbieten?') Der bloße Austausch zweier anlautender Sibilanten, der eine hissend, der andere zischend, oder mit anderen Worten eine Metathese der beiden entgegengesetzten Glieder des Merkmals kompakt ~ diffus ändert die Bedeutung zweier Wörter (show zu sew und seat zu sheet) und schafft einen komischen Effekt. Ebenso erzeugt der Austausch der beiden Liquiden r und / in blade of grass 'Grashalm' das ungewöhnliche braid of glass 'Glaszopf'. Algernon Charles Swinburne schrieb in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts an seine Kusine Mary Gordon Leith, die geheimnisvolle Frau in seinen Balladen, in einer kindlichen Verschlüsselung: By Merest Dozen 'durch bloßes Dutzend' anstatt My Dearest Cousin 'Meine liebste Cousine', indem er eine spielerische Metathese der anlautenden Konsonanten: M.D.K.>B.M.D. vornahm. Solche Umkehrungeri, im Amerikanischen 'Spoonerisms' (ähnlich: deutsche Schüttelreime) genannt, tauchen häufig als einfache lapsus linguae (vgl. MacKay 1970a) auf, werden aber auch oft als absichtliche, "mühsam fabrizierte" witzige Konstruktionen verwendet, wie
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sie im Englischen gebräuchlich sind (vgl. Robbins 1966) u n d sogar noch häufiger im Französischen, wo dieses Stilmittel unter d e m Nam e n contrepèterie bekannt ist (siehe z.B. Etienne 1957). Spoonerisms, bei d e n e n einzelne M e r k m a l e ausgewechselt werden, wie z.B. die Metathese von Kompaktheit u n d Diffusheit (Velarität u n d Labialität) in Fromkins (1966) Beispiel plear glue sky anstelle von clear blue sky 'klarer blauer H i m m e l ' , liefern einen eindeutigen Beweis f ü r die freie H a n d h a b u n g 'distinktiver M e r k m a l e ' . Die wortspielartige Metathese distinktiver Merkmale kann dazu dienen, etymologisch nicht zusammengehörige Wörter z u s a m m e n z u b r i n g e n , die aber in Laut u n d Bed e u t u n g ähnlich sind, wie in der Kapitelüberschrift eines wissenschaftlichen Buches "Identification of Roles and R u l e s " ('Die Identifizierung von Rollen u n d R e g e l n ' ) , die Laut u n d Bedeutung der beiden letzten Substantive spielerisch gegenüberstellt. Wortspiele aus ungeschriebenen Sprachen folgen oft demselben Prinzip.
Die Bedeutungsunterscheidung Die grammatische Struktur des Satzes, der sprachliche Kontext der betreffenden Wörter u n d die Situation, die die jeweilige Ä u ß e r u n g umgibt, f ö r d e r n zweifellos beim Hörer das Verständnis der eigentlichen Bedeutung der Wörter, sodaß er nicht alle E l e m e n t e der Lautabfolge a u f z u n e h m e n braucht. D e n n o c h variiert der Erwartungsgrad, u n d der Angesprochene k a n n plötzlich mit einer Mitteilung konfrontiert werden, die von ihm verlangt, seine ganze A u f m e r k s a m k e i t auf die möglichen Unterschiede zu richten: It shows the stränge zeal of the mad sailor with neither " showed " " deal " " bad tailor " " nor iashion. " passion.
mobility nobility
'Es zeigt den sonderbaren Eifer des verrückten Matrosen weder mit Mobilität noch mit Stil.' 'Es zeigte den sonderbaren Handel des schlechten Schneiders weder mit W ü r d e noch mit Leidenschaft.' Diese A u f m e r k s a m k e i t gegenüber einzelnen M e r k m a l e n ist nötig, u m sowohl das Vokabular (Wörter u n d lexikalische M o r p h e m e ) zu erfassen als auch den grammatischen M o r p h e m e n wie z.B. Affixen ihre Bedeutung zuzuweisen. Es stimmt, daß Hörer im letzteren Fall
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einen wesentlichen Hinweis in der syntaktischen Struktur des Satzes finden können; die Unterscheidung zwischen z.B. dem Präsenssuffix [z] und dem Präteritumsuffix [d] in der oben angeführten Ä u ß e r u n g wird aber durch den syntaktischen Kontext nicht erleichtert und kann daher nicht von anderen Repräsentationen des Satzes abgeleitet werden, trotz der Kenntnisse der grammatischen Regeln von Seiten des Hörers. V o n den beiden Grundoperationen—Selektion und Kombination—ausgehend, kann man, wenn man mit einer Konstruktion wie z.B. children showed 'Kinder zeigten' zu tun hat, aus dem vorangehenden Wort children 'Kinder' schließen, daß showed 'zeigten' und nicht shows 'zeigt' gemeint ist. Das Subjekt it 'es' würde die Selektion aber nicht einschränken. So behält die 'paradigmatische' (selektionale) Achse ihre Bedeutung unabhängig von der 'syntagmatischen' (kombinatorischen) Achse. Solche Bestandteile wie diejenigen, die es dem Empfänger erlauben, zeal von deal, shows von showed, sailor von tailor, mad von bad, mobility von nobility und fashion von passion zu unterscheiden, nennt man 'distinktive Merkmale'. A b e r das Attribut 'distinktiv', anscheinend von dem scharfsinnigen englischen Phonetiker Henry Sweet eingeführt, wird leider manchmal mit 'distinkt' verwechselt. "Distinktiv", d.h. "diskriminierend", "mit der Fähigkeit zur Unterscheidung" ist oft fälschlich als "diskriminierbar", "unterscheidbar" und "leicht wahrzunehmen" verstanden worden. Es trifft zu, daß "diskriminierende" Sprachbestandteile ohne weiteres wahrgenommen werden können, aber nicht alle Einzelheiten, die v o m Sprachbenutzer in den Sprachlauten "unterschieden" werden, können die Unterscheidung von Bedeutungen beeinflussen.
Die Homonymie Die Hauptaufgabe der distinktiven Merkmale ist die Unterscheidung von sprachlichen Bedeutungen. Das ist sozusagen ihre raison d'etre in der Struktur der Sprache. Manchmal wird diese (bedeutungs-)unterscheidende Rolle von Theoretikern in Frage gestellt, deren Hauptargument gegen diese Funktion durch das Vorhandensein von Homonymen geliefert wird. Es ist jedoch von vornherein klar, daß eine Sprache ohne H o m o n y m e denkbar ist, wohingegen eine rein homonymische Sprache eine reductio ad absurdum darstellt. Durch ihre Lautgestalt und Bedeutung dienen die sie umgebenden Wörter in der Regel zur Verdeutlichung der H o m o n y m e und daher zur richtigen semantischen Interpretation durch den Hörer. W e n n eine Sprache wie
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z.B. das Chinesische die Anzahl der distinktiven Merkmale und deren gleichzeitiger und aufeinanderfolgender Kombinationen drastisch reduziert und Wörter auf ein gleichförmiges, einsilbiges Schema beschränkt, so erhöht sich die Anzahl von Homonymen unter einfachen (nicht zusammengesetzten) Wörtern erheblich (so führt beispielsweise ein i im 'vierten Ton' zu nicht weniger als achtunddreißig Wörtern von etymologisch völlig verschiedener Bedeutung). Aber die Frage "Wie ist es in der Praxis möglich, eine Sprache mit so vielen Homophonen zu benutzen?" wird in Bernhard Kahlgrens klassischer Studie (1962) ausführlich beantwortet. Die Sprache fügt solche einfachen Wörter zu verschiedenen Typen von "erläuternden Zusammensetzungen" zusammen, indem sie einem gegebenen Einsilber eine synonyme oder generische Apposition hinzufügt (vgl. chinesisches Pidgin-Englisch look-see), indem sie einem einsilbigen Verb sein tautologisches Objekt folgen läßt (vgl. I eat food 'ich esse Nahrungsmittel') oder schließlich, indem sie dem Substantiv ein semantisch klassifizierendes Element (einen sogenannten "Klassifizierer") vorausschickt (wie z.B. " M u n d " als Klassifizierer für Gegenstände mit runder Öffnung und "Ast" für lange Gegenstände). (Siehe auch Klima 1975: 262fT.) In allen diesen Fällen ist das Hauptziel solcher sprachlichen Mittel die Ausbreitung der Verwendungsmöglichkeiten der sinnunterscheidenden Merkmale, um jede Art von störender Ambiguität zu vermeiden. Wenn der sprachliche Kontext (vgl. Anhang) nicht ausreicht, so liefert die nichtsprachliche Situation oft Aufschluß. In gesprochener Form können Sätze wie the children had a [per] 'Die Kinder hatten ein(e) Birne/Paar' für den Hörer eine doppelte Bedeutung haben. Drei Wörter können dabei ambig bleiben: my children 'meine Kinder' oder some children 'einige Kinder' im allgemeinen? ate 'aßen' oder bloß possessed 'besaßen'?, pair 'Paar' oder pear 'Birne'? Der Grund für die Ambiguität liegt im elliptischen Charakter dieses Beispielsatzes, der sich in folgende explizite Sätze übersetzen läßt: My children (oder the children / know) each ate (oder possessed) a pear (oder a pair of shoes, pants, socks, usw). 'Meine Kinder (oder, 'die Kinder, die ich kenne') aßen (oder 'besaßen') jeweils eine Birne' (oder 'ein Paar Schuhe, Hosen, Socken', usw). Die meisten von Sprachwissenschaftlern angeführten Beispiele für sprachliche Ambiguität gehören verschiedenen Stufen der elliptischen Ausdrucksweise an. Das Phänomen der Ellipse wird in der Sprachwissenschaft weitgehend unterschätzt oder außer Acht gelassen, trotz der nachdrücklichen und wiederholten Hinweise des spanischen Sprachforschers Franciscus Sanctius Broncensis aus dem sechzehnten Jahrhundert, der die Explizit-
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heit und Elliptizität als zwei extreme Aspekte von linguistischen Operationen klar erkannte. Sie können als zwei Pole des sprachlichen Kodes betrachtet werden, weil die Skala der Übergänge von der expliziten zur elliptischen Struktur der Sprache eine Reihe von geordneten Regeln darstellt. Die Regeln der allmählichen Auslassung folgen in jeder Sprache einer bestimmten Anordnung, genauso wie dies in herkömmlichen Mustern der Volkstracht der Fall ist. Im Gegensatz zu einigen westlichen Gewohnheiten erlaubte die ländliche Tradition in Rußland den Leuten, im Freien barfuß zu gehen; draußen m u ß t e eine verheiratete Frau jedoch ihren Kopf bedecken, und ein Mann m u ß t e einen Gürtel tragen. Das erklärt solche pejorativen russischen Verben wie z.B. raspojäsat'sja Oungegürtet bleiben', 'sich gehen lassen') und oprostovolosit'sja ('sich blamieren', bezieht sich wörtlich auf einen unschicklich unbedeckten Frauenkopf). Der Vorteil der Auslassung von sprachlichen Elementen, die f ü r das Verständnis einer Mitteilung redundant sind, gibt keineswegs den einzigen Anstoß zur Ellipse. Gesellschaftlich oder individuell tabuisierte Wörter und Ausdrücke werden ständig zensiert und vom Sprachgebrauch ausgeschlossen oder zumindest getarnt, z.B. indem ihre Lautgestalt verzerrt wird (vgl. unten S. 229f.). Es ist in diesem Zusammenhang interessant, daß man von einem Patienten tabuisierte und ausgelassene Wörter für höchst bedeutsam erachtet, wenn sie mit Hilfe der Psychoanalyse wieder hervorgebracht werden (vgl. Lacan 1966). Immer wieder begegnen uns elliptische Strukturen. Den verschiedenen Stufen der Elliptizität liegen durchgängige Regelanordnungen auf jedem Sprachniveau zu Grunde, von der Rede (discourse) über Syntax und Morphologie bis hin zu Reduktionen in Lautabfolgen und dem Zusammentreffen von distinktiven Merkmalen. Die elliptische Verkürzung der englischen Konjunktion and hat zunächst die Reduktion des anlautenden Vokals zur Folge, dann die Tilgung des auslautenden d, darauf folgt dann der Verlust des Vokals (mit der darauffolgenden Syllabisierung von n) nach einem auslautenden Konsonanten im vorangehenden Wort, und schließlich in nach vokalischer Stellung der mögliche Verlust von n mit der Übertragung der Nasalität auf den auslautenden Vokal des vorangehenden Wortes. Einige von Wissenschaftlern angeführte sprachliche Ambiguitäten beschränken sich eigentlich auf die elliptische Variante der gesprochenen Sprache und können unterstützt werden durch die geschriebene Form, die Intonations- und Pausenunterscheidungen nicht berücksichtigt, die für die explizite gesprochene Sprache charakteristisch, aber im elliptischen Stil weglaßbar sind. Daher kann in dem von Noam Chomsky (1972:
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104f.; 162f.) diskutierten aufschlußreichen Beispiel—John is certain that Bill will leave 'John ist sicher, daß Bill fortgehen wird' und John is certain to leave 'John wird sicherlich fortgehen'—in dem ersten Satz eine Pause nach "is certain" auftreten, aber im zweiten Satz vor diesen Wörtern. So verschwindet die sogenannte "oberflächliche Ähnlichkeit" dieser beiden Sätze in ihrer expliziten gesprochenen Form. Jede elliptische Mitteilung kann vom Sprecher in eine explizitere überführt werden und umgekehrt. Bezüglich seiner beiden Varianten, des elliptischen und des expliziten Subkodes, kann der Gesamtkode als 'umkehrbar' charakterisiert werden. François Dell (1973b), der besonders auf "Sprachstile" achtet, nämlich auf den 'gepflegten Stil' (diction soignée) einerseits und auf den 'umgangssprachlichen Stil' (conversation familière) andererseits, führt das kuriose Beispiel zweier französischer Ausdrücke à votre tour und à votre retour an. Im elliptischen Stil werden sie zu avottour bzw. avotretour, so daß die elliptische Variante des Ausdrucks à votre retour mit der expliziten Form des anderen Ausdrucks zusammenfällt. Die Allegro-Variante des Amerikanischen weist viele solche elliptischen Phonationen auf, wie das häufig zitierte ten min sem 'ten minutes to seven' ('zehn Minuten vor sieben'), oder Jijcet 'did you eat yet?' ('Hast du schon gegessen?'), und führt zu zahlreichen Homonymen wie z.B. gone und going, put him und put them, allude und elude, affect und effect, Homonyme, die in der Lento-form normalerweise disambiguiert werden. Man ist geneigt, die explizite Sprachvariante als die optimale Seite des Kodes zu bezeichnen. Im Hinblick auf die Vielfalt an Informationsunterscheidungen ist sie in der Tat optimal. Es besteht jedoch andererseits die Gefahr, daß die Explizitheit im Sprachfluß zu viel redundante Information mit sich trägt, obwohl das Thema der Unterhaltung den Gesprächsteilnehmern schon bekannt ist. In solchen Situationen wird die Ökonomie des knappen elliptischen Austausches von Mitteilungen sowohl vom Sprecher als auch vom Angesprochenen bevorzugt. Neben kodifizierten, konventionalisierten elliptischen Auslassungen treten gelegentlich einzelne Nachlässigkeiten in der Performanz sowohl von Seiten des Sprechers als auch des Hörers auf. Man könnte die letzteren als 'elliptische Wahrnehmung' bezeichnen, die einen Verlust von Merkmalen, Wörtern und syntaktischen Einheiten bei der Aufnahme der Mitteilung bewirkt: einige der vom Sprecher sowie vom Hörer ausgelassenen Signale werden von dem letzteren wiederhergestellt und richtig identifiziert dank des Kontexts, den er
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erfassen kann, wogegen andere ungedeutet oder sogar mißverstanden bleiben. Bekannte Wörter oder größere Einheiten sind trotz der Ellipse beim Sprecher oder beim Hörer leicht zu erkennen und erlauben so dem Empfänger der Mitteilung, viele höhere Einheiten sofort und unmittelbar zu erfassen, ohne ihren Bestandteilen vorher Aufmerksamkeit schenken zu müssen.
Doubletten Neben der Homonymie ist gelegentlich eine weitere Besonderheit der Sprache als Beweis gegen die Allgemeingültigkeit der bedeutungsunterscheidenden Funktion der distinktiven Merkmale herangezogen worden: in einzelnen seltenen Fällen, die Ferdinand de Saussure (1875-1913) in seinen Genfer Vorlesungen 'Sprachstaub' (poussiere linguistique) zu nennen pflegte, wie sich sein Student Karcevskij erinnerte, taucht nämlich unter Zehn- oder sogar Hunderttausenden von Vokabeln in einer gegebenen Sprache eine Handvoll vereinzelter Doubletten ohne semantischen Unterschied auf. Das Auftreten von lexikalischen Doubletten wie z.B. die beiden von Sebastian K. Saumjan (1965: 24f.) besprochenen bemerkenswerten Beispiele ist jedoch recht außergewöhnlich. Besonders selten (mit an Null grenzender Wahrscheinlichkeit) ist der Gebrauch der beiden Doubletten durch ein und dasselbe Mitglied der Sprachgemeinschaft ohne irgendeine semantische oder zumindest stilistische Differenzierung. In den von Saumjan angeführten Beispielen geht das Paar skap/skaf ('Schrank') auf zwei verschiedene Entlehnungen aus dem Deutschen zurück; was die letztere Form angeht, so wird das / f / noch immer als fremdsprachliches Phonem im Auslaut russischer Substantive empfunden (vgl. RJ I: 728ff.), und der individuelle Gebrauch neigt dazu, beide Formen auseinanderzuhalten. Egal welchen Ursprungs es sein mag, scheint das andere Paar okolötok/okolödok ('Polizeirevier'), beide mit derselben Konsonantenverbindung [tk] im Genitiv, usw. auf zwei verschiedenen Volksetymologien zu beruhen. Die erste ist auf das Wort für Zaun (vgl. köl 'Pfahl', okolotit'' 'einzäunen') zurückzuführen, und die zweite auf das für eine schwere Barriere (vgl. kolöda 'Holzklotz' und die Assoziation von okolödocnyj 'Polizist' und kolödki, -dok 'Fesseln, Fußblock'; vgl. auch zakolödit' 'fesseln'). Gewöhnlich gehören solche nebeneinander bestehenden Doubletten verschiedenen Mundarten an, wie es in dem scherzhaften Lied von Ira und George Gershwin hervorgehoben wird:
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So, if you like pajamas [ae] and I like pajahmas [a], I'll wear pajamas [ae] and give up pajahmas [a], For we know we need each other, So we better call the calling off off. Let's call the whole thing off!
Solche Doubletten wie z.B. either [ay]/[i] stammen, so meinen die Sprecher, aus verschiedenen Dialekten, oder aber von demselben Sprecher benutzt, nehmen sie einen unterschiedlichen emotionalen Beigeschmack an. Für einige Sprecher, die beide Varianten benutzen, ist either mit [ay] die Variante mit dem größeren Prestige und ist deshalb gewählter. In einem Dialog würde ein und derselbe Sprecher wohl kaum Doubletten benutzen, die eine unterschiedliche Lautgestalt aufweisen, aber ohne funktionale Unterscheidung verwendet werden. Die minimale Unterscheidung zweier ähnlicher Formen erfolgt in einem engen Kontext. Wenn eine solche interdialektale Doublette im Gebrauch einer Sprachgemeinschaft verwurzelt ist, so veranlaßt die bedeutungsgebende Fähigkeit der distinktiven Merkmale, daß den Gliedern des Paares verschiedene lexikalische Bedeutungen zugeordnet werden: z.B. polnisch dziewka und dziwka, von denen das erste, mit einem [e], 'Mädchen' oder 'Dienerin' bedeutet, das letztere, mit einem [i], die besondere Bedeutung von 'Dirne' annimmt. Erstaunlicherweise werden im Tschechischen die beiden entsprechenden Varianten desselben Wortes in umgekehrter semantischer Verteilung verwendet: divka ([!]) 'Mädchen' — devka ([e]) 'Dirne'. Vgl. bäba 'Großmutter, Oma' und baba 'altes Weib'. Wie bei den meisten wesentlichen Fragen in der linguistischen Analyse müssen wir, wenn wir es mit dem semantischen Gebrauch von distinktiven Merkmalen zu tun haben, mit der Gebräuchlichkeit, d.h. der Möglichkeit benutzt zu werden, als einem Begriff operieren, der Sicherheit (Wahrscheinlichkeit 1,0) impliziert, während der tatsächliche Gebrauch irgendwel-
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eher Merkmale zur semantischen Diskriminierung scheinbare Ausnahmen zulassen kann und so eine Wahrscheinlichkeit von weniger als 1,0, jedoch kaum darunter, aufweist.
Die Anfänge der Suche Die internationale Suche nach den Grundbestandteilen der Sprache, die die Fähigkeit besitzen, bedeutungsunterscheidend zu wirken, hat Jahrtausende gedauert. Die ersten Schritte sind in der Geschichte von Schreibsystemen zu finden, mit der allmählichen Zerlegung der Sprachfolge in Wörter, Silben und schließlich die kürzesten aufeinanderfolgenden Segmente. Dieser letzte Schritt wurde zuerst vor über 3000 Jahren in der aramäischen und später in der griechischen alphabetischen Schrift gemacht. "Es ist mit Recht behauptet worden, daß in den ältesten griechischen Inschriften nur wenige Abkürzungen vorkommen, im Vergleich beispielsweise zum Lateinischen, und daß die frühe griechische Schrift keine Neigung zu Ligaturen aufweist; jeder Buchstabe besteht für sich allein und behält seinen unteilbaren Charakter, seine eigene Stelle, seine individuelle Gültigkeit" (Patocka 1964: 48). Die folgerichtige Segmentierung des griechischen Alphabets in einzelne Lauteinheiten gab einen ungeheuren Anstoß zu der Theorie der elementaren, diskreten sprachlichen Bestandteile. In der griechischen philosophischen Literatur bezeichnete man unteilbare Lauteinheiten, die zur Bildung sinnvoller Ketten fähig sind, als STOICHEIA, 'die zugrundeliegenden Kernelemente von Lauten und Buchstaben'. Die Lautgestalt der Sprache und dementsprechend deren Alphabet betrachtete man als ein zusammenhängendes System mit einer begrenzten Anzahl von getrennten und miteinander verbundenen formalen Einheiten. Diese Vorstellung erwies sich als so überzeugend, dqß Demokrit (Fragment A6; vgl. Diehls und Wilpert) und sein Anhänger Lukretius STOICHEIA als die minimalen Bestandteile der Sprache anführten, als sie nach einer Analogie suchten, die ihre atomistische Strukturtheorie des physikalischen Universums bestätigen könne. So lehrt Lukretius in seinem philosophischen Gedicht De rerum natura (Liber II, Verse 694ff.): Sic aliis in rebus item communia multa, Multarum rerum cum sint Primordia longe Dissimili tarnen inter se consistere summa Possunt: ut merito ex aliis constare ferantur Humanum genus, ac Fruges, Arbustaque laeta.
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Genauso wie in der Antike der Ausdruck STOICHEION, der sich ursprünglich auf sprachliche Einheiten bezog, auf die physische Welt übertragen wurde, hat sich ihrerseits die Sprachtheorie der letzten hundert Jahre auf ähnliche, allerdings umgekehrte Weise bei ihrer Suche nach den Grundbestandteilen auf das Modell der Atomphysik berufen. In den Dialogen Piatons und den Schriften von Aristoteles werden einige zentrale Begriffe und Probleme der modernen Auseinandersetzungen über die Theorie der Sprache (vgl. Koller 1955, 1959; Burkert 1959; Moravcsik 1960a; Gallop 1963; Demos 1964; und Patocka 1964) schon vorweggenommen. Die sprachlichen STOICHEIA sind "unterscheidbar und nicht trennbar; abstrahierbar und nicht extrahierbar" (siehe Ryle 1960: 436). Zu den von Piaton aufgezeigten Hauptaufgaben hinsichtlich der STOICHEIA gehören deren Identifizierung, Erkennung, Klassifizierung innerhalb des Systems und eine exakte Darstellung ihrer Verträglichkeit und Verflochtenheit (nämlich die Hierarchie der Regeln für ihre Kombinierbarkeit zu sinnvollen Abfolgen). In seinem Dialog Philebus behauptet Piaton, daß keiner von uns irgendein STOICHEION lernen könne, ohne alle Elemente des jeweiligen SYSTEMA und ihre gegenseitigen Beziehungen zu lernen. Sowohl die Darstellung der Verteilung der Elemente in der Abfolge (SYMPLOKE) und vor allem ihre zugrundeliegende Klassifizierung auf Grund von ihren distinktiven Eigenschaften (DYNAMEIS) sind in Piatons Versuch, "die DYNAMEIS der STOICHEIA zu unterscheiden" (Kratylos, D 424), vorweggenommen. Das STOICHEION als solches ist f ü r den Philosophen eine relationale Einheit, die Andersheit kennzeichnet, und um Julius Moravcsiks Kommentar zu dem Dialog Sophist (1960a: 48f.) zu zitieren, "alles was 'anders' ist, ist immer anders als etwas andereres." Laut Piaton erlaubt uns eben die Kunst der Grammatik, die Elemente zu erkennen, sie auseinanderzuhalten und die Angemessenheit ihrer Kombinationen festzustellen. In der über Jahrhunderte von Sanskrit-Grammatikern ausführlich entwickelten Sprachtheorie nahm der Begriff sphota, verstanden als das Verhältnis zwischen Form und Bedeutung in der Sprache auf
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ihren verschiedenen Ebenen, eine zentrale Stellung ein (vgl. Brough; Ruegg; und Iyer) und rief intensive und umfangreiche Auseinandersetzungen hervor, die zu solchen wichtigen Leistungen wie den Abhandlungen von Patanjali im zweiten Jahrhundert v. Chr. und von Bhartrhari im fünften Jahrhundert n. Chr. führten. Jene besondere Beachtung empirischer Daten, die der indischen sprachwissenschaftlichen Tradition eigen war, findet offenkundigen Ausdruck in Patanjalis 'Minimalpaartest', nach der gängigen amerikanischen Terminologie— yüpa/cüpa/süpa (siehe Allen 1953: 81). Andererseits berührte diese wissenschaftliche Tradition kühn die fundamentalen Rätsel der Sprachtheorie wie z.B. die ewigen Antinomien zwischen Beständigkeit und Veränderlichkeit oder zwischen tatsächlichen Sinneseindrücken des Sprachbenutzers und den von Grammatikern dem sprachlichen Material auferlegten heuristischen Konstrukten. Es war eben die indische Theorie, die die Diskussion über den paradoxen Status der Einheiten anregte, die an und für sich jeglicher Bedeutung entbehren, denen aber zugleich ein unentbehrlicher Bezeichnungswert innewohnt. Die Probleme des Verhältnisses zwischen einer sprachlichen Lautgestalt und ihrer Bedeutung führten zu anregenden theoretischen Betrachtungsweisen in der Philosophie des Mittelalters (vgl. RJ 1975: 292f.) und zu neuen, beachtlichen Beispielen von konkretem Experimentieren mit der Schrift. So ist eine geniale Einsicht in die diskreten Grundsegmente und ihren selbständigen sinnunterscheidenden Wert charakteristisch für die altisländische Tradition. Neben den verstrickten Problemen des Verhältnisses zwischen Laut und Bedeutung, die in der skaldischen Dichtung und in ihren poetischen Abhandlungen verborgen liegen, kann man einige einfache Beispiele anführen. Einer der knappen mittelalterlichen Runentexte, der kürzlich in Bergen entdeckt wurde (siehe Liest0l 1964: 18f.), enthält sieben Wörter, die aus sieben Buchstaben bestehen und sich jeweils nur in ihrem anlautenden Konsonanten unterscheiden: mistill, tistill, pistill, kistill, ristill, gistill und bistill. Alle sind so geschrieben, daß der Unterschied der anlautenden Segmente und die Identität jedes weiteren Segments klar wird, d.h. sie bilden eine Art 'Kommutationstest' mit magischem Zweck (siehe Abb. 1). Eine anonyme isländische grammatische Abhandlung aus dem zwölften Jahrhundert, die für eine überarbeitete Anwendung des lateinischen Alphabets in der Ortssprache eintritt, greift, wie in der ausgezeichneten Ausgabe von Einar Haugen (19722) gezeigt wird, zu der Methode von 'Minimalpaaren', um das Repertoire der sinnunterscheidenden Vokale zu ermitteln, von denen jeder wegen der Funk-
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Abbildung
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Z a u b e r r u n e n aus Bryggen (Bergen, Norwegen), m t p k r g b iiiiiiissssssstttttttiiiiiiilllllll
tion, die er ausübt, eine einzelne graphische Darstellung erfordert. Um vokalische "Unterschiede [grein], von denen jeder die Bedeutungen ändert" auszusondern, stellt der Autor jeden der zahlreichen Vokale, die er in seiner Sprache vorfindet, "zwischen dieselben zwei Konsonanten", um zu zeigen, welche von diesen Vokalen, "in dieselbe Position gestellt, eine andere Bedeutung mit sich bringen". Als nächstes unterscheidet die Abhandlung diejenigen Vokale, die "durch die Nase gesprochen" werden, indem über sie ein Pünktchen gesetzt wird, denn diese vokalische Unterscheidung scheint dem Autor systematischer Art zu sein und zu beweisen, "daß auch sie die Bedeutung ändern kann". Beispielsätze werden angeführt, um diesen Versuch zu rechtfertigen: uhar ['Haar'] wächst an Lebewesen, aber här ['Haifisch'] ist ein Fisch", usw. Eine andere "Unterscheidung, die die Bedeutung ändert", ist die Aufteilung der Vokale in lange und kurze; die Abhandlung schlägt vor, "die Langvokale mit einem Strich zu kennzeichnen, um sie von den Kurzvokalen zu unterscheiden", und wieder folgen Minimalpaare und Beispielsätze: " f a r ['Seeschiff'] ist eine Art Schiff, aber für ['Gefahr'] ist eine Art Bedrängnis." Auf diese Weise können, wie der Autor behauptet, alle 36 distinktiven Vokale der isländischen Sprache in einem neuen "Alphabet für uns Isländer" behandelt werden. Andererseits gebraucht die Abhandlung ein und denselben Buchstaben für zusammengehörige Laute ohne distinktive Fähigkeit, z.B. für die stimmhaften und stimmlosen Interdentallaute. Viele bemerkenswerte theoretische und empirische Behauptungen der Vergangenheit tauchen wieder auf, nachdem sie lange vernachläs-
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sigt bzw. vergessen waren, oft ohne Hinweis auf das ursprüngliche Modell, und werden zu neuen, effektiven Vorschlägen. Dies war das historische Schicksal der 2000 Jahre alten stoischen These, die das Zeichen, SËMEION, als eine aus zwei Korrelativen bestehende GröySe behandelte: dem SEMAINON (dem 'Bezeichnenden') und dem SEMAINOMENON (dem 'Bezeichneten')- Im letzten Semester seiner Vorlesungsreihe über Sprachtheorie übernahm und empfahl Saussure diese Formel—"le signifiant et le signifié sont les deux éléments composant le signe" (1916: 152; vgl. Goiebiewski)—und sie fand Aufnahme in seinen posthumen Cours de linguistique générale, der von seinen Schülern Charles Bally (1865-1947) und Albert Sechehaye (1870-1946) zusammengestellt und 1916 veröffentlicht wurde. Diese These, oft fälschlicherweise als eine Erfindung des Genfers betrachtet, ist unübertroffen wegen ihrer klaren Feststellung der zwei semiotischen Konstituenten, die eine (SEMAINON, 'signans', signifiant) unmittelbar gegeben und die andere (SEMAINOMENON, 'signatum', signifié) durch die erste hervorgerufen. Sowohl abstrakte als auch konkrete Fragen zum Verhältnis zwischen signans und signatum, im Bereich der Zeichen (signa) und besonders in den verschiedenen Aspekten der Sprache, gehören zu den ständig wachsenden Einsichten in das kulturelle Leben der Menschheit, die immer neue Lösungen und immer neue Rätsel hervorbringen.
Invarianz und Relativität Konsequente Bemühungen um die Feststellung und Identifizierung jener nicht weiter teilbaren Konstituenten der Sprache, die dazu dienen, grundlegende sprachliche Einheiten mit eigener Bedeutung wie z.B. Wörter und ihre bedeutungsvollen Komponenten ('Morpheme') zu unterscheiden, begannen in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit ein paar jungen Bahnbrechern aus verschiedenen Ländern. Drei dieser weitsichtigen Wissenschaftler, alle Mitte der vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts geboren—der Engländer Henry Sweet (1845-1912), der Pole Jan Baudouin de Courtenay (1845-1929) und der Schweizer Jost Winteler (1846-1929)—warfen entschlossen die Hauptfrage nach dem Verhältnis zwischen Laut und Bedeutung auf. Von 1877 an machte Sweet eine deutliche Trennung zwischen selbständig signifikanten Lauten, die Bedeutungsunterschieden zugrundeliegen können, und allen anderen "Unterschieden, die nicht signifikant sind und die Bedeutung nicht ändern können" (vgl. RJ II: 456ff.). Schon im Jahre 1869
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brachte Baudouin das Thema der Unterschiede in Lauten, die "benutzt werden, um Bedeutungen zu unterscheiden" (siehe 1974: 258) zur Sprache, und die Ausarbeitung der "Zusammenhänge zwischen Lauten und Bedeutungen" wurde zum Hauptziel seiner Forschung und Lehrtätigkeit während der nächsten Jahrzehnte (siehe 1963 I; vgl. RJ II:394ff.; Stankiewicz 1972). In seiner Doktorarbeit von 1876 unterschied Winteler entschieden als "zufällige Merkmale" bezeichnete Variationen von "wesentlichen Eigenschaften", d.h. bedeutungsunterscheidenden Invarianten auf der lautlichen Ebene der Sprache. Um diese Invarianten festzustellen und zu identifizieren, machte er bewußten Gebrauch von Minimalpaaren (vgl. RJ 1972), eine Technik, die nach ihm Sweet benutzt hat. Egal ob hier Gedankengänge konvergierten oder ob Sprachwissenschaftler einen neuen Anstoß aus der Mathematik erhielten, entwickelte sich die Kernidee der Invarianz zum beherrschenden Prinzip für beide Wissensgebiete, besonders seit den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts. Auf jeden Fall stellte Felix Klein (1849— 1925) in seinem Erlanger Programm aus den Jahren 1871-72 fest: "Es ist eine Mannigfaltigkeit und in derselben eine Transformationsgruppe gegeben; man soll die der Mannigfaltigkeit angehörigen Gebilde hinsichtlich solcher Eigenschaften untersuchen, die durch die Transformationen der Gruppe nicht geändert werden" (1921: 463). Es findet sich eine Reihe von deutlichen Übereinstimmungen zu dieser Ansicht in der umfangreichen Zielsetzung, die in dem zur selben Zeit wie der Erlanger Text veröffentlichten (siehe 1963 I: 47ff.) Einführungsvortrag von Baudouin de Courtenay umrissen ist, sowie in den umfassenden Programmen seiner linguistischen Vorlesungen, die dieser hauptsächlich während der nächsten zehn Jahre hielt und in denselben Bulletins der Kasaner Universität (siehe 1963 I: 78ff.) veröffentlichen ließ, in denen ein halbes Jahr vorher Nikolaj Lobaöevskij seine epochemachende Skizze einer nichteuklidischen Geometrie vorgelegt hatte. Baudouin behauptete, "wir müssen die abweichenden, zufälligen Eigenschaften der einzelnen Laute beiseitelegen und einen allgemeinen Ausdruck für die veränderlichen Laute einsetzen, als einen Ausdruck, der sozusagen der gemeinsame Nenner dieser Variablen ist" (1963 I: 120). Das Ziel dieses Sprachwissenschaftlers war es, die relationalen Invarianten im Redefluß mit seinen unzählbaren kontextbedingten und fakultativen Laut Variationen zu finden. Er prophezeite auch, daß die akustischen Korrelate dieser sprachlichen Invarianten präziser bestimmt würden, wenn die Sprachanalyse solche technischen Errungenschaften wie das Telephon, das Mikrophon und die Elektrizität benutzen und eine visuelle Darstellung von Schallwellen
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bekommen könne (Baudouin 1881-82: 4f., 61f., 65). Diese Voraussage, gegen die rückschrittliche Dogmatiker bis heute protestieren, fand einen überzeugenden Verfechter in Leonard Bloomfield (18871949), der 1934 voraussah, da/3 "zu erwarten ist, daß die physische (akustische) Definition eines jeden Phonems irgendeiner gegebenen Mundart innerhalb der nächsten Jahrzehnte aus dem Labor kommen wird" (siehe Twaddell 1935: 23). Es war sowohl Baudouin als auch dem früh verstorbenen Mikolaj Kruszewski (1851-1887), Baudouins brilliantem Schüler und unnachgiebigem Mitarbeiter (vgl. RJ II: 428ff.) klar, da/3 jede sprachliche Einheit in verschiedenen modifizierenden Umgebungen vorkommt, und dqß alle Erscheinungsformen derselben einander gleich sind: d.h. im Sinne der 'Gruppentheorie' sind sie lediglich verschiedene Ausdrucksweisen ein und derselben sprachlichen Substanz. Baudouin betrachtete diese extrahierte, rein relationale Einheit als eine unteilbare phonetische Partikel (oder ein 'Phonem' in seiner späteren Terminologie), vergleichbar dem Atom als Einheit der Materie und 1,0 als Einheit der Mathematik. Beide scharfsinnigen polnischen Forscher, Baudouin und Kruszewski, wußten um das Vorhandensein von relationalen Invarianzen. Die Beziehung zwischen dem anlautenden behauchten p im Englischen und dem auslautenden unbehauchten p, ebenso wie eine entsprechende Beziehung zwischen den anderen anlautenden und auslautenden Verschlußlauten in dieser Sprache, rechtfertigte natürlich die Zuordnung beider Varianten zu demselben Phonem. Das gleiche Verhältnis zwischen den behauchten anlautenden Verschlußlauten und den unbehauchten auslautenden Verschlußlauten kann im Englischen nicht dazu dienen, die Bedeutungen zweier Wörter zu unterscheiden, weil die beiden Laute nicht in derselben Position vorkommen (im Gegensatz zu denjenigen Sprachen, wie z.B. der von Winteler (1876) beschriebenen schweizerdeutschen Mundart, in denen [th] und [t] in derselben Position vorkommen und eine bedeutungsunterscheidende Funktion haben). Andererseits kann ceteris paribus das Merkmal, das [ph] von [th] oder [p] von [t] unterscheidet, solche lexikalischen Paare wie pol und tot, top und tot, pill und tili, pick und tick, Up und lit im Englischen kennzeichnen, und daher fungieren [p] und [t] als zwei verschiedene Phoneme. Bei der Behandlung von Lautsystemen in verschiedenen Sprachen beriefen sich sowohl Baudouin als auch Winteler wortwörtlich auf das Prinzip der "Relativität [otnositel'nost'] von Lautkategorien" (Baudouin, siehe 1963 I: 80), da Relativität und Invarianz notwendigerweise zwei komplementäre Begriffe sind, oder wie der Physiker sagt:
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"die Kehrseite der Invarianz . . . heißt Relativität" (Morgenau 1961: 82). Gunnar Fants nachdrückliche Mahnung (1973: 163) an Sprachlautforscher mit verschiedener Ausbildung—"die Invarianz ist im allgemeinen eher relativ als absolut"—gewinnt mehr und mehr an Relevanz. Von den frühen siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts an entdeckte und zeigte Baudouin "Mengen von parallelen Lautoppositionen [protivopoloznosti] " auf und hob "die enge Verbindung solcher Oppositionen mit der Bedeutung der Wörter und ihrer Konstituenten" hervor (siehe 1963 I: 80). Sowohl Baudouin als auch Sweet kamen auf ähnliche Weise zu derselben Betrachtungsweise nicht nur bei der innersprachlichen sondern auch bei der zwischensprachlichen Analyse. Wie es in dem Programm von Baudouins Universitätsvorlesung aus dem Jahre 1876-77 heißt, "in verschiedenen Sprachen können physiologisch identische Laute verschiedene Werte haben in Übereinstimmung mit dem ganzen Lautsystem, d.h. entsprechend ihren Relationen zu anderen Lauten. Ihre Maßstäbe sind ungleich" (1963 I: 90). Sweet lehrte 1876 nicht nur, daß jede Sprache nur einige wenige Lautunterschiede zur Unterscheidung von Bedeutungen verwendet, sondern auch daß es universelle Restriktionen gibt. Wenn also zwei Vokale "auf ganz verschiedene Weise gebildet" werden, aber "in derselben Sprache nie zusammen benutzt werden, um Wortbedeutungen zu differenzieren < . . . > , kann man sie als Varianten desselben Vokals ansehen". Hiermit wird das Herausarbeiten der Invarianten aus innersprachlichen Variationen durch die Suche nach zwischensprachlichen, universellen Variationen und nach den entsprechenden Invarianten ergänzt. Offensichtlich durch Kruszewskis und Baudouins Vorbild angeregt, konzentrierte sich Saussure auf das Verhältnis zwischen Laut und Bedeutung während der letzten, Genfer Periode seiner akademischen Tätigkeiten. In seinem umfassenden Entwurf f ü r eine phonetische Abhandlung, den er in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts abfaßte, und der jetzt im Besitz der Harvarder Handschriftensammlung ist (siehe RJ I: 743ff.), entwickelte Saussure die Auffassung der Sprachproduktion als einer programmierten, intentionalen antizipatorischen Tätigkeit mit auditiver und perzeptiver Wirkung. Ebenso besprach er die verschiedenen Aspekte der Phoneme und stellte die These auf, daß "Phonèmes = Valeur sémiologique", oder mit anderen Worten, daß der "rapport entre le son et l'idée" die führende Rolle spielt. Kurz, Phoneme werden hier als einfache Zeichen behandelt, die "akustischen Oppositionen" (" oppositions acoustiques") einen "bedeutungsunterscheidenden Wert" ("une valeur pour l'idée") verleihen. Also erweisen sich solche bloß stellungsmäßigen Unterschiede wie
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die Differenz zwischen silbischem und nicht-silbischem / im Indogermanischen als " o h n e jeden semiotischen Wert" ("sans valeur sémiologique"), und beide "semiotisch gleichwertigen" Varianten sollten ein und demselben Phonem zugeordnet und können durch denselben Buchstaben transkribiert werden. Zur selben Zeit schrieb Saussure an anderer Stelle, daß in den Formen srutos, sreumen, sreuo "das Phonem ' u ' in zwei akustischen Formen auftritt" und "eine Einheit in der Vielförmigkeit" aufweist. Er hob hervor, daß dieses Gleichsetzen nicht als bloßes wissenschaftliches Konstrukt aufgefaßt werden darf. Damit versuchte Saussure, eine neue Disziplin, die "semiologische Phonetik", zu etablieren, welche später von seinem Schüler Albert Sechehaye in dessen 1908 erschienenem Buch vorläufig in "Phonologie" umbenannt wurde. Diese Bezeichnung, die in den frühen 20er Jahren dieses Jahrhunderts von den Prager Sprachwissenschaftlern übernommen wurde, ist inzwischen im internationalen Gebrauch üblich geworden. Der junge Baudouin de Courtenay warnte vor "einem unberechtigten und verfehlten Sprung" von der Behandlung solcher semantischen Einheiten wie Sätze, Wörter und deren kleinster grammatischer Bestandteile ("Morpheme", wie er sie nannte) zum lautlichen Rohstoff ohne jegliche Berücksichtigung dessen semiotischer Funktion. Diese Warnung ist durch jahrzehntelange Sprachforschung bekräftigt worden, und die Frage nach dem Verhältnis zwischen den beiden Seiten sprachlicher Zeichen—dem signans und dem signa tum—ist schließlich auch auf die Lauteinheiten der Sprache übertragen worden. Saussures Auffassung, daß jede sprachliche Konstituente "une entité á deux faces" ist, und daß "eine materielle Einheit nur durch die Bedeutung, die ihr verliehene Funktion existiert", ist in der späteren Entwicklung der Sprachwissenschaft wiederholt besprochen und ausgearbeitet worden. Habent sua fata libelli: als einer der Wendepunkte der sprachwissenschaftlichen Forschung, der auf den zusammengehörigen Begriffen der Relation und der Invarianz basierte, erschien Saussures Cours de linguistique genérale in der von seinen Anhängern Bally und Sechehaye bearbeiteten Fassung im Jahre 1916, also im selben Jahr wie die erste Ausgabe von Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie. Es sei darauf hingewiesen (siehe RJ 1972: 74), daß Albert Einstein im Jahre 1895, als er die Kantonschule in Aarau bei Zürich besuchte, bei Jost Winteler wohnte und als Mitglied der Familie behandelt wurde. Bis an sein Lebensende hielt Einstein das Andenken des "weitsichtigen Papa Winteler" in Ehren. Als er in Aarau mit jenen Experimenten begann, die ihn schließlich zur Relativitätstheorie führen
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sollten, kannte er schon das Prinzip der "Relativität der Verhältnisse", das Winteler in seiner epochemachenden, 1876 erschienenen Doktorarbeit formuliert hatte. "Die Lautmuster in der Sprache" (1925 [siehe 1949]) war Edward Sapirs bedeutender Beitrag zu dem ersten Heft des ersten Bandes der Zeitschrift Language, die von der neu geschaffenen Linguistic Society of America herausgebracht wurde. Dieser Sprachforscher, der als erster Amerikaner bahnbrechend auf dem Gebiet der Lautgestalt der Sprache wirkte, behauptete, da/3 "ein Sprachlaut nicht nur eine Artikulation oder ein Lautbild sei, sondern vielmehr Material für symbolische Äußerungen in einem angemessenen sprachlichen Kontext darstelle"; und es waren eben "die relationalen Lücken zwischen den Lauten einer Sprache", die Sapir besonders hervorhob. In gleicher Weise war die topologische Vorstellung, daß es bei jeder Strukturanalyse "nicht auf die Dinge, sondern auf die Beziehungen zwischen ihnen ankommt", ein Leitgedanke für die Vertreter des im Jahre 1926 gegründeten Prager Linguistenkreises; diese Vorstellung fand in der zeitgenössischen Kunst und Wissenschaft wiederholt Ausdruck. Die Prager waren bemüht, die charakteristischen Eigenschaften der Phoneme von den Wechselbeziehungen zwischen denselben abzuleiten, und definierten in ihrem "Projekt der standardisierten phonologischen Terminologie" aus dem Jahre 1930 eine 'phonologische Einheit' als ein Glied einer Opposition. Der Begriff der 'Opposition' hat eine grundlegende Bedeutung für die Untersuchung der Lautunterschiede gewonnen, die in einer gegebenen Sprache zur Diskriminierung von kognitiven Bedeutungen dienen können. Die Frage nach den Beziehungen zwischen den bedeutungsunterscheidenden Einheiten wurde zur notwendigen Bedingung für jede weitere Abgrenzung funktionaler Lautsysteme.
Auf der Suche nach Oppositionen In den zwanziger Jahren ging die Analyse der bedeutungsunterscheidenden Konstituenten der Sprache nicht über die sukzessiven Segmente der Lautfolge hinaus; mit anderen Worten galten Phoneme als diejenigen Glieder der Oppositionen, die nicht in noch kleinere Oppositionen zerlegt werden können (siehe z.B. RJ I: 8). Diese Auffassung war eine logische Folgerung aus der traditionellen, insbesondere der nachhaltigen Saussure'schen These, die den nur in einer Dimension meßbaren Lauten eine bloße Linearität zuschreibt: "c'est une ligne" (1916: 157). Dieses Prinzip beruht auf einem Zirkelschluß: als Segmente einer zeitlichen Abfolge definierte Laute sollen nicht als gleich-
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zeitig auftretend wahrgenommen werden. Die auffallige Sukzessivität der lautlichen Einheiten verleitete dazu, das gleichzeitige Auftreten ihrer Komponenten außer Acht zu lassen, obwohl von Zeit zu Zeit die Aufmerksamkeit der Fachleute durch Hinweise auf die Vorstellung von gleichzeitig auftretenden Merkmalen der Laute erregt worden sein muß, von denen jedes Element eine bedeutungsunterscheidende Eigenschaft trägt. So bemerkte Baudouin, daß "Phoneme nicht einzelne Noten, sondern aus mehreren Elementen bestehende Akkorde sind" (1910), und er fügte später in seinen Vorlesungen an der Petersburger Universität hinzu, daß eine semantische und morphologische Funktion nicht durch ganze und unteilbare Phoneme, sondern lediglich durch ihre motorisch-auditiven Teilkonstituenten ausgeübt wird, für welche er eine besondere russische Bezeichnung "kinakema" prägte (siehe 1963: 290). Ebenso betonte Saussure in seinen Vorlesungen zur allgemeinen Sprachwissenschaft die Notwendigkeit, die Phoneme in ihre unterscheidenden Elemente zu zerlegen, aber zugleich auch die Mitwirkung von negativen gegenüber positiven Faktoren zu berücksichtigen, z.B. das Fehlen von Nasalresonanz im Gegensatz zu deren Vorhandensein (1916: 110). Das Vorbereitungskomitee für den 1928 in Den Haag veranstalteten Ersten Internationalen Linguistenkongreß hat die Frage nach den Methoden, die für eine umfassende Betrachtung einer bestimmten Sprache geeignet sind, angeregt. Ein aus Prag eingereichter Vorschlag skizzierte eine besondere Klasse von bedeutungsvollen Unterschieden, nämlich eine phonologische Korrelation, "die aus einer Menge von binären Oppositionen besteht, von denen alle durch ein von jedem einzelnen Gegensatzpaar getrennt denkbares Kriterium definiert werden": die vergleichende Phonologie wurde mit der Formulierung von allgemeinen Gesetzen betraut, welche der gegenseitigen Verbindung dieser Korrelationen innerhalb eines bestimmten Lautsystems zugrundeliegen. Die Trennung der in Frage kommenden Paare in das principium divisionis und die gemeinsame Grundlage, die die beiden Glieder einer jeglichen Opposition vereinigt, bedeutete den ersten Schritt bei der komponentiellen Zerlegung der Phoneme in ihre distinktiven Merkmale. Die erste konkrete Anwendung dieser Vorbedingung, nämlich der erfolgreiche Versuch von Nikolai S. Trubetzkoy (1890-1938), die Vokalsysteme von Sprachen aus dieser Perspektive zu betrachten, erschien im ersten Band der Travaux du Cercle Linguistique de Prague (1929), der dem im selben Jahr in Prag veranstalteten Ersten Internationalen Slawistenkongreß gewidmet war. Nach den heftigen Diskussionen über die Grundlagen der Phonologie, zuerst bei den zwei obengenannten Kongressen und später noch eingehender bei der Prager Internationalen Phonologischen Ta-
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gung von 1930, wurde die Notwendigkeit einer konsequenten Zerlegung eines Phonems in seine gleichzeitig auftretenden Komponenten immer klarer. Anfang der dreißiger Jahre bezeichneten die Prager das Phonem als eine "Menge, ein Bündel, die Gesamtheit jener gleichzeitig auftretenden lautlichen Eigenschaften, die in einer bestimmten Sprache zur Diskriminierung von Wörtern mit ungleicher Bedeutung verwendet werden". Diese Eigenschaften wurden vorläufig als unterscheidende oder distinktive Kennzeichen bzw. Qualitäten bezeichnet und später "distinktive Merkmale" genannt. Der englische Terminus erschien erstmals 1933 in der amerikanischen sprachwissenschaftlichen Literatur, als er von Edward Sapir in seinem Enzyklopädieartikel "Sprache" (siehe 1949: 25) verwendet wurde, und ebenso von Leonard Bloomfield, der auf ein und derselben Seite seines Buches Language (1933: 79) zwischen der früheren Auffassung des Phonems als "einer minimalen Einheit von distinktiver Lautgestalt" und dessen neuerer Definition als "Bündel distinktiver Merkmale" schwankte. (Über Widersprüche bei Bloomfields Gebrauch des Terminus 'distinktives Merkmal' aber siehe Twaddell 1935: 19ff.) Mit Bezug auf die Prager Forschungsarbeiten zur Zerlegung von Phonemen in 'binäre Oppositionen' hat Zellig Harris amerikanische Sprachwissenschaftler darauf aufmerksam gemacht, daß sich das Hauptinteresse auf die "Suche nach den Unterschieden zwischen den Phonemen bezüglich der relativen Merkmalskategorien der Sprache" verlagert hatte (1951: 146ff), und das Prinzip, eine solche Analyse auf eine relative Betrachtungsweise zu stützen, fand seine ausdrückliche Zustimmung. Saussures grundlegende Definition der unterscheidenden Einheiten als "negativ, relativ und oppositiv" war hierbei richtungweisend. Die Auffassung der Opposition als der ursprünglichen logischen Operation, die sich generell bei den Menschen von ersten Bewußtseinsregungen bei Säuglingen und von den anfänglichen Schritten zum Aufbau der Sprache bei Kindern entwickelt, wurde als der natürliche Schlüssel zur Untersuchung der verbalen Struktur von den obersten zu den untersten Schichten betrachtet. Die charakteristische Eigenschaft der Opposition, die sie von allen zufälligen Unterschieden abhebt, ist das obligatorische Auftreten des anderen Gliedes in unserem Bewußtsein, wenn wir es mit einem Glied der Opposition zu tun haben, oder mit anderen Worten die Unmöglichkeit, den Begriff lang hervorzurufen ohne die gleichzeitige latente Vorstellung von kurz, oder teuer ohne billig, 'stimmhaft' ohne 'stimmlos' und umgekehrt, wie das der holländische Sprachforscher Hendrik Pos (vgl. unten S. 190f.) zum erstenmal (1938, 1939) ans Licht gebracht und klar be-
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wiesen hat. Als sie sich in den dreißiger Jahren mit dem Problem der Opposition auseinandersetzten, waren den Sprachwissenschaftlern die Werke von Charles Sanders Pierce (1839-1914), die wesentliche Einsichten in die "besonderen Merkmale der Sprache" und in den Begriff der Opposition liefern, nicht bekannt. "Jede natürliche Klassifikation erfolgt nach Dichotomien" (Pierce I. 437); "Eine Dyade besteht aus zwei zur Einheit verbundenen Gegenständen" (I. 326); "Wesentliche dyadische Relation: Existenz beruht auf Opposition" (I. 457). Mit Pierces Worten "ist ein dualer, relativer Ausdruck, wie 'Liebhaber', 'Wohltäter', 'Diener' ein ein Gegensatzpaar bezeichnender Gattungsname". Jedes "Oppositionsglied hat zugleich eine Konverse, die durch die Umkehrung der Anordnung der Glieder des Paares zustandekommt. So ist die Konverse von 'Liebhaber' 'Geliebte ( r ) ' " (III.238 & 330). Seltsamerweise bestanden einige amerikanische Linguisten darauf, daß der angeblich nicht-amerikanische Terminus 'Opposition' durch die weniger wirkungsvolle und mehrdeutige Bezeichnung 'Kontrast' ersetzt werden sollte, trotz des bemerkenswerten Kommentars zum Thema "Opposition", den dieser hervorragende amerikanische Denker gegeben hatte. Sie wird zu einem grundlegenden operationalen Begriff, nicht nur für die Sprache (vgl. Ivanov 1974), sondern auch für die Gesellschaftsstruktur im allgemeinen (vgl. Lorrain 1975; LéviStrauss 1958: 37ff., 93fT„ 257ff., 1963, und 1971: 240ff., 498ff., 539f.; Parsons & Baies 1955; Blanché 1966; Fox 1974, 1975, 1977). François Lorrain beginnt seine Untersuchung über Gesellschaftssysteme mit binären Oppositionen mit einem Plädoyer für den "privilegierten Status von binären Oppositionen im menschlichen Bewußtsein" (S. 17). In seinem prägnanten Essay über Denkstrukturen besteht R. Blanché (S. 15) auf der Bedeutung von solchen oppositionellen Strukturen: Man sollte diese nicht unterschätzen, und insbesondere scheint die Organisation von Begriffen durch adversative Paare eine ursprüngliche, permanente Form des Denkens zu sein (vgl. Ungeheuer). Wallon formuliert dies folgendermaßen: "Le couple, en même temps qu'il oppose, unit" (I: 117; vgl. 75). Saussures, und früher Baudouins (siehe oben, S. 16) Anwendung des Prinzips der Opposition erwies sich als sehr wirkungsvoll; jedoch konnte diese Methode nicht auf das Phonem als Ganzes angewandt werden. Die Frage "Was ist das Oppositionsglied zu Englisch [m]?" ist sinnlos. Es gibt kein eindeutiges Oppositionsglied hierzu. Das Merkmal Nasalität hingegen findet sein echtes und einziges Gegenstück im Fehlen der Nasalität, wie Saussure im voraus erkannt hatte (siehe oben S. 19): Ceteris paribus hat die Nasalität von [m] ihr ein-
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deutiges Gegenstück in der Nicht-Nasalität von [b], oder die von [n] in der von [d], oder die von (französisch) [5] in der von [o]. Schritt für Schritt wurde klar, da/3 es möglich, ja unumgänglich war, aus der dichotomen Analyse der 'Korrelationen' zu einer ähnlichen binären Zerlegung aller Phoneme in distinktive Merkmale überzugehen. Diese Forschungsrichtung war ganz natürlich und war in diversen Rechtschreibungssystemen vorweggenommen, z.B. in den in der obengenannten (siehe oben S. 11) altisländischen Abhandlung verwendeten diakritischen Zeichen (mit Strichen für die Langvokale und Punkten für die Nasalvokale), in der Abhandlung über tschechische Rechtschreibung von Jan Hus, dem vielseitigen Reformer des 15. Jahrhunderts, der die palatalen (kompakt hell) Konsonanten im Gegensatz zu den entsprechenden diffusen Konsonanten durch einen umgekehrten Zirkumflex kennzeichnete (z.B. t", d v , n, c, s, z); und insbesondere in Enmun, der koreanischen Volksschrift aus derselben Epoche, mit ihrer radikalen Zerlegung der Buchstaben in einzelne Striche, die sich auf die distinktiven Konstituenten der einheimischen Phoneme beziehen. Eine systematische Suche nach dem, was man später in den fünfziger Jahren metaphorisch als "Grundquanten der Sprache" (vgl. RJ 11:224) beschrieb, richtete sich hauptsächlich auf die Zerlegung von Konsonanten, die man gewohnheitsmäßig in den phonetischen Handbüchern nach ihrer Artikulationsstelle von den Bilabiallauten zu den Uvular- und Laryngallauten aufführte. Die lineare Anordnung ließ die Frage nach denkbaren Oppositionen gar nicht aufkommen. Es war unmöglich zu fragen: "Was ist der Gegensatz zu der Dentalität von [t] oder zu der Bilabialität von [p]?" oder "Was ist die Relation zwischen Labial- und Velarlauten, ausgedrückt in dichotomen Begriffen?" Aber trotz der auffälligen Distanz zwischen ihren Artikulationsstellen zeigen Labial- und Verlarlaute oft ihre nahe Verwandtschaft in dem lautgeschichtlichen Wandel von Velar- zu Labiallauten und umgekehrt. Besonders bekannt sind die wechselseitigen Lautwandel zwischen velaren und labialen Reibelauten—[x] und [f] und den entsprechenden stimmhaften Lauten [y] und [v]—wie in Jespersens Beispiel des "Sprungs" von Englisch enough\ oder der keltische Wandel von [ft] zu [xt] (vgl. Irisch secht 'sieben' mit [pt]> [ft]> [xt]); und der niederländische Wandel zu [xt] von [ft] mit achter für after (Kaiser 1929: 119); oder—bei Verschlußlauten—der keltische Wandel von vesper zu fescor, oder der Austausch von [f] und [x] in verschiedenen slawischen Mundarten, z.B. in Polnisch na ftörym, xtorek und Slowenisch kozuch> kozuf, chruska> fruska, krxka> krflca, plexko>plefko, und
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der umgekehrte tschechische Ersatz der labialen Präposition durch eine velare, [x] vor stimmlosen Obstruenten: eh Turnovè, chpravit, ch Cechäch, und [y] vor stimmhaften: hbèhnou, h Vysokym, h Jabloncr, oder russische Mundartformen mit Velarlauten statt Labiallauten: déxka, veréxka, xlex kùzox, x cérkox (v cerkov), krox, oxtórnik, und ein entsprechender Wandel von [v] zu [-y] : y lése, y uylü (v uglu), ynuk, ydovéc, y dorn, sowie der umgekehrte Wandel von Velar- zu Labiallauten: fto, lefkó, i f , fodit\ fäjat\ Den russischen Dialektwandel von [g] oder [7] zu [v] kann man durch die maskuline Genitivendung von Adjektiven und Pronomina, -ovo, belegen, und auch durch solche Formen wie povóst aus pogóst oder mnóvo aus mnógo, sowie durch den Wechsel zwischen [x] und [f] in Fremdwörtern, z.B. kufàrka statt kuxarka, xrancüs statt francüs und xrukt statt frukt. In einigen indonesischen Mundarten (nämlich im östlichen Toba-Batak) wird [p] allgemein zu [k] : z.B. piso 'Messer">kiso (siehe Meillet & Cohen 1924: 418f.). Auch typisch sind die tschechische Mundartvariante karez statt parez und solche Schwankungen bei Kindern zwischen Velar- und Labiallauten wie exon und xosi für tschechisch telefon und vousy oder in Pekinger Chinesisch xury aus furj (siehe Ohnesorg 1959: 30, 44). Besonders in diesem und ähnlichem Zusammenhang wurde die Frage nach einer Eigenschaft aufgeworfen, die die Labial- und Velarlaute im Gegensatz zu den gemeinsamen Merkmalen von Dentalund Palatallauten miteinander verbinden könne, sowie die Frage nach dem Merkmal, das Labial- und Dentallaute im Gegensatz zu dem der Velar- und Palatallaute gemeinsam haben könnten, zumal jede dieser paarweise geordneten Gruppen charakteristische Wandel in der geschichtlichen Entwicklung der Sprachen der Welt aufweist. Die vorläufige Lösung für diesen Fragenkomplex und für das Problem der Wechselbeziehungen zwischen konsonantischen und vokalischen Systemen wurde bei dem Dritten Internationalen Phonetischen Kongreß 1938 in Gent vorgelegt (siehe RJ I: 272ff.), am Vorabend der weltbewegenden Ereignisse, die den Prager Überlegungen zur Phonologie ein Ende setzen und im allgemeinen die Topographie der internationalen wissenschaftlichen Tätigkeiten radikal verändern sollten. Jede Vorstellung von Oppositionsgliedern ist untrennbar mit dem Begriff der Opposition als solcher verbunden, und keines von zwei Oppositionsgliedern kann in der Umgebung von anderen gleichzeitig auftretenden oder sukzessiven Merkmalen seine unterscheidende Funktion ausüben, wenn eine solche Umgebung das Auftreten des anderen Oppositionsgliedes ausschließt. Wenn wir statt der expliziten Bezeichnung einer Opposition, z.B. Nasalität ~ Nicht-Nasalität, die Abkürzung
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'das Nasalitätsmerkmal' verwenden, dann können keine Zweideutigkeiten entstehen, weil das Merkmal nur in denjenigen Kontexten auftritt, in denen beide Glieder der Opposition—nasal und nicht-nasal— zulässig sind. Im Russischen ist die Opposition von stimmhaften und stimmlosen Obstruenten nur vor solchen Phonemen wirksam, die keine Obstruenten sind; daher verliert die Stimmlosigkeit des auslautenden Konsonanten in [luk] ihre bedeutungsunterscheidende Eigenschaft, und die Nominativformen der beiden Substantive, deren Dativformen [lüku] 'zum Bogen'—und [lügu] 'zur Wiese' sind, lauten beide gleich. Die Lautform [d'etka] entspricht sowohl d'etka 'Kindchen' als auch d'edka 'Opa'; und in dem—eben wegen der offenkundigen Homonymie äußerst unwahrscheinlichen—Satz: eto ne [d'etka] a [d'etka] prokazit 'Nicht das Kindchen, sondern der Opa (oder: Nicht der Opa, sondern das Kindchen) spielt Streiche' bleibt die Antwort auf die Frage nach dem ertappten Schelm zweideutig. Man vergleiche hierzu verwandte Ableitungen mit einem anlautenden Vokal im Suffix, wie z.B. [d'etu§ka] 'Kindchen' und [d'eduska] 'Großvater'. Es versteht sich, daß die Suche nach einem distinktiven Merkmal in Positionen, in denen keine Unterscheidung möglich ist, eine contradictio in adjecto beinhaltet. Wenn in bestimmten Kontexten nur eines der Oppositionsglieder vorkommen kann, dann verliert das Merkmal seine bedeutungsunterscheidende Eigenschaft und wird unwirksam, es verkümmert. Die Opposition ist wirksam, wenn beide Glieder des Oppositionspaares im selben Kontext auftreten können, wobei die Identität von gleichzeitig auftretenden und benachbarten Merkmalen gegeben sein muß. Es ist wiederholt die Frage erörtert worden, ob das Prinzip der Dichotomie der Struktur der Sprache inhärent ist, oder ob es nur ein nützlicher Begriff bei der Untersuchung derselben ist, also eine vom Linguisten dem sprachlichen Material auferlegte Erfindung. Der russische Sprachwissenschaftler Vjaceslav V. Ivanov untersuchte in mehreren gründlichen Studien die binären Relationen, die er f ü r ein wesentliches qualitatives Charakteristikum hält, das "das ganze System der Sprache durchdringt und das einem erlaubt, dieses System als monolithische Ganzheit und nicht als Ansammlung einzelner Daten zu beschreiben" (1972). Weit davon entfernt, lediglich ein heuristisches Prinzip zu sein, stellt sich das Problem der binären Entscheidungen jedem Gesprächspartner, z.B. wenn der Sprecher dem Angesprochenen klarmachen m u ß , ob in dem am Anfang dieses Kapitels angeführten Satz deal oder zeal, showed oder shows, tailor oder sailor gemeint ist. Eine Entscheidung zwischen den beiden Alternativen, Verschlußlaut oder Reibelaut—ermöglicht durch die Erkennung der angemessenen Alternative—wird freilich nicht nur vom Sprachfor-
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scher, sondern in erster Linie auch vom Hörer verlangt, egal ob der Identifikationsprozeß bewußt oder unterbewußt vor sich geht (vgl. Muljacic 1977; Mel'cuk 1977: 292ff.). Der Unterschied zwischen einer einfachen und einer vielfachen Distinktion ist für die Sprecher offensichtlich. So gibt es eine einfache binäre Distinktion zwischen seal und zeal\ ebenso gibt es nur eine einfache zwischen seal und feel, aber die zwischen seal und veal ist eine zweifache, ein Paar von zwei gleichzeitigen binären Distinktionen; zwischen zeal und dill gibt es eine sequentielle zweifache Distinktion—eine im anlautenden Konsonanten und die andere im Vokal. Schließlich beruht die Unterscheidung von sill und bill auf einer dreifachen gleichzeitigen Distinktion. Es muß wiederum gesagt werden, daß der Unterschied zwischen einer einfachen und einer vielfachen Distinktion und zwischen einer gleichzeitigen und einer sequentiellen eine merkliche Operation ist, sowohl für die Sprachanalyse als auch für tatsachliche Gesprächsteilnehmer. Leo Tolstoi gestand, daß er einigen Charakteren von Krieg und Frieden allgemein bekannte, aristokratische russische Familiennamen gegeben hat, die er nur geringfügig änderte, damit sie seiner Leserschaft bekannt vorkämen. In jedem Fall spielte er mit einer einfachen Merkmalsdistinktion: er machte aus Volkonskij Bolkonskij und aus Trubeckoj Drubeckoj. Diese Namen klingen ganz natürlich, aber mit einer doppelten Distinktion wären sie grotesk, z.B. *Dolkonskij oder *Polkonskij oder *Zrubeckoj. Kinder zeigen ein ausgeprägtes Gefühl für einfache Distinktionen. Wie Cukovskij (1966) berichtet hat, klagte ein russisches Kind über das Wort doslyj ('durchtrieben'), das ihm zu nahe an das Wort doxlyj ('verendet') zu grenzen schien. Unter verschiedenen charakteristischen Beispielen zitiert Willem Kaper (1959) einen vierjährigen niederländischen Jungen, der sich mit den Laut- und Bedeutungsunterschieden zwischen den sich reimenden Wörtern peertje 'Birnchen' und beertje 'Bärchen' amüsierte. Kapers Bericht nach verkündete ein anderer niederländischer Junge seiner Mutter freudig, daß sowohl Piet (Eigenname) und biet "Beete" tatsächlich existieren. Kinder empfinden eine ähnliche Freude bei der Gegenüberstellung eines bestehenden Wortes mit einem erfundenen, das sich von demselben nur durch ein einfaches Merkmal unterscheidet: pink is bink, bink is pink. Jeder Sprachlaut existiert natürlich für seinen Erzeuger und für den Hörer sowohl als Ganzes als auch als ein gleichzeitiges Auftreten jener Teile, die von ihrem Sprach-Kode bestimmt werden und einfache Distinktionen implizieren. Diese Teile werden am Beispiel des Konsonanten [s] durch die Distinktionen gegenüber [z], [t], [f] und [s] im Französischen, gegenüber [0] im Englischen und gegenüber palatalisiertem [s'J im Russischen illustriert. Auf analoge Weise existiert seal
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für Englischsprachige gleichzeitig als lexikalisches Ganzes wie auch als Lautfolge. Ebenso ist ein ganzer konventioneller Satz, wie z.B. take it easy, f ü r den Sprecher notwendigerweise gleichzeitig ein Satzganzes wie auch eine Reihe einzelner Wörter. Bei einer Besprechung der Merkmalsanordnung (1973) betrachtete der erfahrene Sprachanalytiker Gunnar Fant ihre Anordnung als "lediglich eine Sache der Bequemlichkeit im Kode". Aber der Kode und seine Bequemlichkeit sind vielmehr in den Sprachbenutzern als in den Sprachforschern verwurzelt, trotz der Tatsache, da/3 die Benutzer des sprachlichen Kodes es vielleicht nicht gewohnt sind, seine Bequemlichkeiten einer bewußten Untersuchung zu unterziehen. Um der Effizienz willen kann bei der Wahrnehmung der bedeutungsunterscheidenden Signale natürlich auf die polaren differenzierenden Merkmale zurückgegriffen werden, die den muttersprachlichen Dekodierer einer Menge von bloßen Ja-oderNein-Entscheidungen zwischen jeweils zwei Gliedern binärer Oppositionen gegenüberstellen. Auf diese Weise wird die Notwendigkeit maximaler Einfachheit nicht nur in der Betrachtungsweise des Wissenschaftlers hinsichtlich des Lautsystems der Sprache, sondern vor allem in der täglichen Sprachverwendung des Sprechers erfüllt, zumal die Anzahl der Oppositionen in einer gegebenen Sprache vorgeprägt und zum Verständnis ihrer Sprecher und Hörer stark eingeschränkt ist.
Merkmale und Phoneme Die Frage ist gestellt worden, ob sprachliche Operationen mit Phonemen nicht vorteilhafter seien als solche, die unmittelbar auf deren Grundbestandteile gerichtet sind. Der Vergleich von Phonemen und distinktiven Merkmalen bezüglich des produktivsten Oppositionsbegriffs zeigt, wie oben (S. 21f.) erwähnt, daß sich dieser Begriff, der zwar immer auf die distinktiven Merkmale anwendbar ist, nicht auf das Phonem übertragen läßt. Ein Phonem, als Bündel distinktiver Merkmale, erweist sich als stets wichtige, aber abgeleitete Einheit, als ein komplexes gleichzeitiges Konstrukt aus einer Reihe von elementaren zusammenwirkenden Einheiten. Es läßt sich in dieser Hinsicht mit der Silbe vergleichen, die eine konstruktive komplexe Einheit in der sprachlichen Abfolge darstellt. Dennoch soll hier angemerkt werden, daß die Abfolge Gleichzeitigkeit impliziert, während das Gegenteil nicht immer der Fall ist. Z.B. weist der französische Wortschatz solche homonymen Wörter wie / u / 'wo' und / u / 'oder' auf, und der lateinische Imperativ /i/ 'gehe' kann als vollständige Äußerung fungieren.
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Die Schwierigkeit oder sogar Unmöglichkeit einer konsequenten Zerlegung einer Lautfolge in Phoneme hat sich immer wieder durch instrumentelle Studien sowohl auf der motorischen als auch auf der akustischen Ebene bestätigt. Der Prozeß der mannigfaltigen Koartikulation wurde zuerst von Paul Menzerath (1883-1954) untersucht und mit Hilfe eines Röntgen-Tonfilms bei dem 1933 in Rom veranstalteten Internationalen Linguistenkongreß eindrucksvoll demonstriert. Durch eine Vielfalt von Experimenten und instrumenteilen Beobachtungen des Artikulationsvorgangs der Sprache kam er zu dem Schluß, daß "ein Sprachlaut keine Stellung hat; die Sprache ist eine ständige, ununterbrochene Bewegung, egal ob die Laute Vokale, Diphthonge oder Konsonanten, sogar Plosive sind. Sie sind alle gleitende Laute < . . . > Eine Lautfolge im artikulatorischen Sinn existiert nicht. Es stellt sich heraus, daß die zu einem Wort zusammengefaßten Teile keine Kette sondern eine Verflechtung bilden. Ein akustisch späterer Laut kann artikulatorisch vor dem akustisch früheren Laut beginnen" (Menzerath und Lacerda, 1933). Diese Beobachtungen sind vor kurzem durch die umfangreichen akustischen, hauptsächlich spektrographischen Daten der Haskins Laboratories ergänzt worden. Diese Hindernisse verschwinden aber sobald wir von der Ebene der Phoneme zur Zerlegung der Lautfolge in die Aufeinanderfolge distinktiver Merkmale übergehen. Die diversen Merkmale können eine unterschiedliche Dauer in der Lautfolge aufweisen, denn sie greifen einen großen Teil des vorangehenden Phonems auf oder beginnen im Gegenteil mitten in dem Phonem, zu dem sie gehören; sie können in das nächste Phonem übergreifen oder mitten in ihrem eigenen Phonem aufhören. Die relative Anordnung dieser Merkmale bleibt jedoch gewöhnlich gleich, abgesehen von seltenen und unbedeutenden Abweichungen. In der Regel schließt die Divergenz in der Realisierung verschiedener Merkmale ihre Gleichzeitigkeit in einem bestimmten mindestens minimalen Segment der Kette nicht aus, so daß die Lokalisierung ihrer Kookkurenz meistens bewahrt wird, mit Ausnahme der nachlässigen, elliptischen Sprachvariante. Die Segmentierung einer Lautfolge in aufeinanderfolgende Merkmale erlaubt also deren weitere Zerlegung in Phoneme. Die zeitliche Anordnung der Phoneme bleibt dabei ohne Zweifel ein bedeutsamer Faktor—vgl. Russisch rvu 'ich reiße' gegenüber vru 'ich lüge', oder Tschechisch vre 'kocht' gegenüber rve 'schreit' gegenüber rev 'Gebrüll'. Man muß wohl zugeben, daß "wir weit von einem wirklich gut entwickelten Modell des Sprachwahrnehmungsprozesses entfernt sind" (vgl. Pisoni 1975: 98), aber die Berücksichtung der von Sheila Blum-
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stein und William Cooper (1972: 208) verteidigten "Grundelemente" ist in der Tat unentbehrlich, denn "in jedem Sprachsystem wird jedes Phonem durch eine minimale Anzahl von Merkmalen gekennzeichnet, die notwendig sind, um es von allen anderen Phonemen jenes Systems zu unterscheiden". Eine solche Berücksichtigung garantiert die exakteste Anwendung jener beiden wesentlichen Prinzipien, der Relativität und der Invarianz, die gegenwärtig einem jeden wissenschaftlichen Unternehmen zugrundeliegen. Auf die Strategie dieser fundamentalen Unternehmen wird weiter unten noch eingegangen, aber die direkte Untersuchung der Erfahrungen des Hörers scheint oft einfacher zu sein als die Suche nach den Befehlen des Sprechers an die artikulatorischen Muskeln, zumal "wir zur Zeit weder diese Prozesse beobachten noch ihre Outputs direkt messen können" (Liberman, Cooper, et al 1967: 446ff.). Außerdem, "wenn die sich zeitlich überlappenden Bewegungen für aufeinanderfolgende Phoneme mehr oder weniger nahe beieinanderliegende Muskeln beanspruchen, die dieselben Strukturen beherrschen, fällt es freilich schwerer festzustellen, ob Invarianz vorhanden ist oder nicht". Nach einer vor kurzem erschienenen, von Ljudmila Cistovic herausgegebenen Forschungübersicht über die Theorien der Sprachperzeption soll die motorische Theorie vor etwa zehn Jahren sehr beliebt gewesen sein; obwohl diese Theorie zu der Hoffnung Anlaß gab, daß man den Schlüssel zur Sprachperzeption durch das Aufdecken der "motorischen Befehle" finden könnte, wurde die unberechtigte Annahme ihrer einheitlichen Natur durch den Beweis ihrer hohen Variabilität ersetzt. Es wurde offenbar, daß es, "um den Prozeß der geregelten Sprach-Produktion beschreiben und modellieren zu können, notwendig ist, zu einem Begriff wie dem Ziel der motorischen Handlung zu greifen, und das einzige augenscheinliche Ziel ist die Produktion einer bestimmten, dem Hörer zugänglichen und 'verständlichen' akustischen Wirkung" (Cistovic et al. 1976: 31ff.). Am Anfang dieses Jahrhunderts hat einer der scharfsichtigsten Phonetiker seiner Zeit, Alexander Thomson (1860-1935) immer wieder die noch unausrottbaren Bemühungen zurückgewiesen, die artikulatorischen Kriterien für die sprachliche Interpretation von Seiten des Hörers zu stark hervorzuheben: "Nicht Sprechorganbewegungen, sondern die Sprachlaute sind das primäre in der Sprache. . . . Die Laute sind das einförmigere und das erhaltende Element in der Sprache. . . . Aber ohne akustische Analyse, . . . bleibt die Physiologie überhaupt aller Laute unverständlich. Die Artikulation ist doch nur ein Mittel zum Zweck . . . " Bei seiner Analyse von Konsonanten hat Thomson festgestellt, "ob man nun dorsal oder koronal . . . artikuliert, worauf irrtümlicherweise viel Wert gelegt wird, ist für den Laut
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ganz gleichgültig. Die Wahl wird . . . bestimmt, vor allem durch die Tonhöhe des Geräusches" (Thomson 1909 und 1934). Ein zusätzlicher Grund, warum man den Weg der Analyse von den Merkmalen zu den Phonemen und nicht umgekehrt verfolgen sollte, und warum eine merkmalsmäßige Transkription vorteilhafter ist als eine einfache Aufzeichnung bloßer unanalysierter Phoneme, ist die Möglichkeit einer eindeutigen Antwort auf die Frage des Vorhandenseins bzw. Fehlens eines gegebenen distinktiven Merkmals in seinen beiden Gliedern, wohingegen die Zusammensetzung eines Phonems je nach Kontext anders ist. Z.B. in dem russischen Adverb zdes' 'hier' fehlen dem anlautenden Konsonanten zwei distinktive Merkmale, die den Phonemen / z / , / z ' / , /s/, / s ' / in vorvokalischer Position eigen sind, z.B. zad = [zat] 'Hinterteil', zjaf = [z'at'] 'Schwiegersohn', sad = [sat] 'Garten', sjad' [s'ad'] 'setz dich'. Daher erscheint der anlautende Zischlaut hier als 'unvollständiges Phonem', weil vor Obstruenten die normalerweise distinktive Opposition der Stimmhaftigkeit gegenüber Stimmlosigkeit aufgehoben und ebenso die Opposition von palatalisierten gegenüber nicht palatalisierten Dentallauten vor einem anderen Dentallaut aufgegeben wird. Die Frage, wie man solche 'unvollständigen' Phoneme in der Transkription wiedergeben soll, schafft unvermeidliche Komplikationen und Meinungsverschiedenheiten, solange die Schreibweise nicht auf den Merkmalen selber sondern auf ganzen Phonemen beruht. Die Unterscheidung zwischen solchen gespannten und ungespannten Konsonanten wie Iii und / d / oder /s/ und / z / geht im Englischen nach Obstruenten verloren (vgl. das auslautende [d] und [z] in ribbed und ribs mit dem auslautenden [t] und [s] in ripped und rips). In deutschen Mundarten, wo nur [z] im Anlaut und nur [s] im Auslaut auftreten, weisen die Phoneme Isl und /z/ die Distinktion gespannt ~ ungespannt nicht auf, abgesehen von einigen inlautenden Positionen (z.B. weiße gegen weise), und diese Distinktion bleibt nur gültig, solange der vorangehende Diphthong [ay] im Verhältnis zu dem darauffolgenden Konsonanten nicht eine eigene signifikante Distinktion hat. In den Positionen, wo die Distinktion gespannt ~ ungespannt nicht wirksam ist, ist das deutsche hissende Sibilanten-Phonem ziemlich unvollständig: nicht-distinktiv ungespannt in vorvokalischer und nicht-distinktiv gespannt in nachvokalischer Position. Vgl. Saus [zaus], Genitiv Sauses [zauzas].
Die Sprachlaute und das Gehirn Die häufige französische Bezeichnung der distinktiven Merkmale als traits pertinents führt leicht zu Mißverständnissen; neben distinktiven
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Merkmalen enthält die Lautgestalt der Sprache einige andere Arten von ebenso relevanten, funktionalen Merkmalen. Es kann nur in Frage gestellt werden, in wie weit und nicht ob sie relevant sind. Man kann zwar ein überzeugter Verfechter der Merkmalstheorie sein, aber man darf die offenbare Koexistenz und das Fungieren anderer Merkmalsklassen als der distinktiven Merkmale nicht außer Acht lassen. Man darf nicht vergessen, daß die Sprachlaute Mittel sprachlicher Kommunikation sind und daß ihre ganze Zusammensetzung ein aus verschiedenen Merkmalstypen bestehendes Ganzes darstellt, wobei alle diese Merkmale eine Reihe von ineinandergreifenden, f ü r die Kommunikation wesentlichen Aufgaben erfüllen. Im Kommunikationsprozeß bleibt kein einziges dieser Merkmale o h n e Bedeutung oder Relevanz. Die veraltete, aber häufig anzutreffende Auffassung, daß eine phonetische Beschreibung der artikulatorischen und der physiko- und psycho-akustischen P h ä n o m e n e notwendigerweise deren Rolle in der Sprache und deren kommunikative Bedeutung a u ß e r Acht läßt, erschwert nicht nur die Untersuchung, sondern unterdrückt vor allem willkürlich die fundamentale Frage nach den vielfältigen Zielen, die diese P h ä n o m e n e verfolgen. Eine solche NichtBerücksichtigung der mannigfaltigen Bedeutung der Lautformen bewirkt eine gefährliche Einengung der Aufgaben des Sprachforschers und h e m m t eine vernünftige Klassifikation. Die psychoakustische, perzeptive Sprachanalyse ist besonders dann vergeblich, wenn sie o h n e Berücksichtigung jener diversen sprachlichen Werte der Sinnesreize v o r g e n o m m e n wird, die der muttersprachliche Hörer wahrnimmt, dessen Reaktion auf solche Reize genau von deren meist sozial kodifiziertem Informationsgehalt abhängt. Im Hinblick auf die funktionale Belastung dieser Sinneselemente, die alle eine semiotische Aufgabe erfüllen, scheint uns die Auffassung von der Phonetik als abstraction faite de fonction jetzt überholt, unrealistisch und entkräftet. Wir sehen immer m e h r ein, daß die Sprachlaute als Ganzes ein besonders f ü r die Sprache konstruiertes Werkzeug bilden und daher selbstverständlich zielgerichtet sind. Die Auffassung von d e m "groben, r o h e n " lautlichen Material, von "amorpher Substanz" ist eine Fiktion. Diskrete artikulierte Laute existierten nicht vorsprachlich, und es hat wenig Sinn, solchen "phonischen Stoff" o h n e Bezug auf seine sprachlichen Verwendung zu betrachten. Das Wachstum der Sprache und die Entwicklung des menschlichen supralaryngalen Sprechapparats sind miteinander v e r b u n d e n e N e u e r u n g e n (Lieberman 1975: 35); die Zahnentwicklung bei den Hominiden verwandelte den M u n d r a u m in die beste Resonanzkammer f ü r den Sprachgebrauch (Sheets 1977) überhaupt. Eben ihres sprachlichen
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Zweckes wegen wurden Sprachlaute geschaffen und einer besonderen hierarchischen Organisation unterworfen. Die altindischen Sprachtheoretiker machten eine deutliche Unterscheidung nicht nur zwischen varna sphota, dem bedeutungsunterscheidenden Bestandteil in Sprachlauten, und dhvani 'Sprachlaut' im allgemeinen, sondern auch zwischen dem letzteren und sabda 'nichtsprachlichem Laut'. Jede einzelne Äußerung eines Sprachlautes, die Bhartrhari vaikrta-dhvani 'modifizierten Laut' nannte, weist Ausspracheunterschiede auf, aber hinter diesen den gegebenen Mitteilungen inhärenten Schwankungen gibt es ein kodifiziertes, festes Lautschema, prakrta-dhvani 'Grundlaut', das alle diese lautlichen Eigenschaften umfaßt, die normalerweise in einer gegebenen Sprachgemeinschaft die Sprecher produzieren und die Hörer wahrnehmen. Nur einige dieser wesentlichen Eigenschaften, die mit der Bedeutung verbunden sind, gehören zu den varna sphota. Thomas von Aquin stellte Sprachlaute, voces, den naturaliter von Tieren ausgestoßenen Lauten gegenüber. Diese charakterisierte er als voces significantes, ex institutione humanae rationis et voluntatis. Seine Definition der Sprachlaute als significantia artificialiter und ad significandum geprägt, scheint die gültigste zu sein, zumal eine radikale Trennung zwischen sprachlichen und nichtsprachlichen Lauten mehr und mehr hervortritt (vgl. Mantey 1937). Sapir lehrte, daß "Sprachlaute nur existieren, weil sie die symbolischen Träger bedeutungsvoller Begriffe und Begriffsgruppen sind" (1921: 184). In seiner oben zitierten Studie aus dem Jahre 1925 verglich er das beim Ausblasen einer Kerze produzierte " w h " mit dem äußerlich ähnlichen Sprachlaut [hw] (wh). Dabei wies er auf den wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Lauten hin, von denen der letztere "im Hinblick auf andere Laute 'plaziert' ist", ebenso wie auf "die relationalen Lücken" zwischen ihnen allen. Das beim Kerzenausblasen produzierte Homonym hebt "sich nicht von anderen Lauten ab und ist nicht mit ihnen verwandt,—z.B. mit dem Summlaut und dem Räusperlaut". In seiner späteren, 1933 erschienen Arbeit über die psychologische Realität der Phoneme prophezeite er, daß "man ernsthaft bezweifeln könne, ob die Innervation der Artikulation des Sprachlauts jemals dieselbe Art von physiologischer Gegebenheit ist wie die Innervation von 'identischen' Artikulationen, die keinen sprachlichen Kontext haben" (siehe 1949). Seit den frühen 60er Jahren dieses Jahrhunderts (Kimura 1961, 1967; vgl. auch Broadbent 1954) haben die weitverbreiteten, ständig in Fortschritt und Weiterentwicklung begriffenen Versuche über dichotomes Hören, d.h. über das Hören von verschiedenen, auf beide
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Ohren gleichzeitig einwirkenden Stimuli, den Beweis erbracht f ü r die priviligierte Position des rechten Ohres und dementsprechend der linken dominanten Hemisphäre des Gehirns f ü r die W a h r n e h m u n g der Sprachlaute in echten, sinnvollen Wörtern, in synthetischen sinnlosen Silben und sogar bei rückwärts abgespielten Sprachaufzeichnungen (siehe Mattingly et al. 1971). Anderseits zeigten das linke Ohr und dementsprechend die rechte (nicht dominante) Hemisphäre des Gehirns eine größere Aufnahmefähigkeit f ü r alle anderen auditiven Stimuli, wie z.B. musikalische Töne und Melodien (unbekannt und bekannt), Sonarsignale (siehe Webster und Chaney 1967) und Umweltgeräusche wie das Starten eines Wagens, das Spitzen eines Bleistifts, fließendes Wasser und außersprachliche Laute—Husten, Weinen, Lachen, S u m m e n , G ä h n e n , Schnarchen, Schnupfen, Seufzen, Keuchen oder Schluchzen (siehe Abbildung 2). Die am Anfang dieser Experimente laut gewordenen Zweifel am Vorrang des rechten Ohres bei der Diskriminierung einzelner Vokale wurden durch die Bestätigung dieser Lateralität zerstreut, f ü r den Fall daß isolierte Vokale mit normalem Sprachtempo ausgesprochen wurden oder daß der Hörer im voraus erkannt hatte, daß sie der Sprache angehörten (Spellacy und Blumstein 1970; Haggard 1971; Lisenko 1971, King und Kimura 1972). Die größere Effizienz der kontralateralen auditiven Bahnen gegenüber den ipsilateralen, so wie die Abhängigkeit der Spracherkennung und -Unterscheidung von d e m links-temporalen Differenzierungsvermögen wurden überzeugend nachgewiesen durch diese bedeutenden Experimente, die nicht nur die gesonderte Behandlung der sprachlichen Konstituenten im Gegensatz zu allem anderen lautlichen Material, sondern auch die relative perzeptive Erkennbarkeit und Unterscheidbarkeit verschiedener Kategorien der Sprachlaute aufgezeigt haben. Während man in bereits vorhandenen Berichten (vgl. z.B. Studdert-Kennedy und Shankweiler 1970; Berlin et al. 1973; und Darwin 1971) einige erste A n d e u t u n g e n auf weitere Einsichten in diese Problematik finden kann, und während Material aus anderen Sprachen als d e m Englischen allmählich die Aufmerksamkeit der Forscher (vgl. Kok et al. 1971; Shimizu 1975) auf sich zieht, dürfte engere Zusammenarbeit mit Linguisten bei diesen Untersuchungen und bei der Auswertung der Ergebnisse diese kritischen Probleme weiter erhellen. Obwohl bisher nur die ersten Schritte bei der linguistischen Analyse und Interpretation der dichotomen Stimulierung gewagt worden sind (vgl. insbesondere Blumstein 1974), ist jetzt schon klar, daß Sprachlaute, zumindest von d e m M o m e n t an, wo sie vom Hörer w a h r g e n o m m e n werden, einen ganz besonderen Stellenwert haben in direktem Gegensatz zu allen anderen auditiven W a h r n e h m u n g e n ; daher können, in Anbetracht dieses n e u e n Krite-
Die Sprachlaute und ihre Aufgaben LINKE HEMISPHÄRE (ZIFFERN)
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Abbildung 2. Neuroanatomisches Schema für die auditiven Assymmetrien. Aus D. Kimura, 1967, in Cortex 3, S. 174. riums, die f r ü h e r e n Versuche, sprachliche und nichtsprachliche Laute in einem gemeinsamen Klassifikationssystem zusammenfassen, nicht mehr gerechtfertigt werden. Frühere M u t m a ß u n g e n , daß "die kontrollierenden Mechanismen der nichtsprachlichen Laute denjenigen der sprachlichen Laute ganz ähnlich sind" (vgl. Pike 1943: Kapitel 2, Abschnitt 8) werden durch die Forschung über die verschiedenen Bahnen der sprachlichen und nichtsprachlichen Laute z u m Gehirn des Hörers entkräftet. Seit den 60er Jahren (siehe Gazzaniga und Sperry 1967) betreibt man "split-brain"-Studien im Z u s a m m e n h a n g mit Balkendurchschneidungen bei Epilektikern. Diese zeigen, daß Sprechen, Schreiben und Rechnen fast ausschließlich von der dominanten Hirnhälfte abhängen. In seiner umfangreichen kritischen Zusammenfassung der Versuche mit "split-brain"-Patienten folgert Stephen D. Krashen, daß nach linken Läsionen n u r eine stereotypisierte, automatische Sprache übrigbleibt (1976: 176). Er verweist dabei auf den von A. Smith beschrie-
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benen, überzeugenden Fall von linker Hemisphärektomie (Operation der linken Hirnhälfte): nach der Operation litt der Patient an globaler Aphasie, behielt aber die Fähigkeit zu fluchen bei. Man hat versucht, Reaktionen auf natürliche Sprachstimuli, die mit symmetrisch über den beiden Hirnhemisphären angebrachten Schädelelektroden gleichzeitig aufgezeichnet wurden, zu analysieren (siehe Wood, Goff und Day 1971; Morrell und Salamy 1971; Cohn 1971; Neville 1974; Molfese, Freeman und Palermo 1975; Harnad et al. 1977). Diese Untersuchung hat zum Verständnis der funktionalen Spezialisierung der beiden Hemisphären und insbesondere deren unterschiedlicher Behandlung von auditiven Stimuli—sowohl sprachlichen als auch nichtsprachlichen—beigetragen (vgl. Mosidze und Akbardija 1973, wie auch die Übersichten in dem Band von Segalowicz und Gruber 1977). Die zuverlässigsten und konsequentesten Einsichten in die Sprachund Hörfähigkeiten beider Hemisphären in den letzten zehn Jahren sind jedoch den intensiven russischen Untersuchungen zu verdanken, die sich mit den Veränderungen—sowohl in der Perzeption als auch in der Produktion—beschäftigen, die sich bei schizophrenen und depressiven Patienten während der ersten Minuten nach einseitiger Anwendung von Elektrotherapie abzeichnen. Die vielversprechenden Ergebnisse dieser systematischen Untersuchung der Unterschiede zwischen den Funktionen der beiden Hemisphären und ihrer wichtigen Komplementarität sind in der aufschlußreichen 1976 erschienenen russischen Monographie von Lev Baionov und Vadim Deglin, Hören und Sprechen in der dominanten und in der nichtdominanten Hemisphäre (mit einer ausführlichen Bibliographie) zusammengefaßt worden. Der umfangreiche Inhalt dieses Buches zeigt ein ständig wachsendes Verständnis der Rolle, die jede der beiden Hemisphären bei der Organisation der Sprachproduktion und -perzeption spielt. Die vorübergehende Ausschaltung der linken Hemisphäre ruft eine Tendenz zur "Entsemantisierung" von Wörtern hervor und reduziert das Verständnis und die aktive Beherrschung von Wörtern und Phrasen sowie die Verständlichkeit der Phoneme. Die Perzeption und Reproduktion von einzelnen Sprachlauten wird weitgehend gehemmt. Die selektive Aufmerksamkeit gegenüber Wörtern und ihren Bestandteilen erlischt. Es handelt sich hierbei nicht um die Desintegration des Gehörs als solches, sondern lediglich um den Verlust des Sprach-Hörens (vgl. Traugott und Kajdanova 1975); die kategoriale Apperzeption der Phoneme und ihrer distinktiven Merkmale wird gestört. Nach einer treffenden Bemerkung von Balonov und Deglin (1976) sind die paradigmatischen Grenzen zwischen Phonemen einer Art "Erosion" ausgesetzt (S. 160f.). Die regelmäßige hierarchische
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Anordnung der bedeutungsunterscheidenden Elemente und deren Bündel in Phonemen betrachten die beiden Autoren richtig als eine "suprasensorielle Formation" (S. 144). Bei der Ausschaltung der linken Hemisphäre verliert dieses System von distinktiven Merkmalen seine Stabilität und sein Gleichgewicht, aber die Desintegration dieses Systems seinerseits verrät eine hierarchische Anordnung der erlittenen Ausfallserscheinungen bei den Patienten. Die Autoren behaupten mit Recht, daß die merkmalhafte Zusammensetzung der Phoneme das entscheidende Symptom aller Stufen der Beantwortung durch die Patienten bleibt. Die häufigsten Arten der Verwechslung zwischen Phonemen beschränken sich auf ein einziges distinktives Merkmal, und die verschiedenen Merkmale leisten unterschiedlich starken Widerstand. So sind die vokalische Opposition kompakt ~ diffus (siehe unten S. 107ff.) und das Optimum der Kompaktheit, /a/, die stabilsten Komponenten, wohingegen die Distinktion /o/ ~ / e / und / u / ~ /i/ leicht verlorengeht (Balonov und Deglin 1976: 132, 142, 181). Es ist hier zu bemerken, daß die Anwendung der Schocktherapie auf die rechte Hemisphäre bewiesen hat, daß "die Perzeption der Vokale von der linken Hemisphäre vorgenommen wird, wenn diese der Dauer der Vokale im normalen Redefluß nahekommen" (S. 141). Der Vergleich solcher Hemmungen mit spontanen aphatischen Störungen liegt hier nahe, besonders weil "aphatische Erkrankungen meistens von Läsionen in der linken Hemisphäre herrühren" (Hecaen 1969: 308). Sprachpathologen haben behauptet, daß die 'sensorische' Aphasie und die damit verbundenen Entschlüsselungsbeeinträchtigungen mit posterotemporalen Läsionen des Kortex zusammenhängen, wohingegen frontotemporale Läsionen für 'motorische' Aphasie mit den dazugehörigen Verschlüsselungsbeeinträchtigungen verantwortlich sind (vgl. Luria 1958: 27ff; RJ I: 289-305). Die gegenwärtige Untersuchung der Wirkungen von einseitigen Elektroschocks bezüglich des Unterschiedes der linksseitigen Position der Konvulsionselektroden zeigt, daß ihre posterotemporale Anbringung meistens Syndrome sensorischer Aphasie mit Störungen in der Perzeption von Sprachlauten verursacht. Die frontotemporale Anbringung der Elektroden hat dagegen am häufigsten Syndrome motorischer Aphasie und eine Verringerung der Sprachtätigkeit zur Folge (siehe Balonov und Deglin: S. 191). Kurz, es zeigt sich eine aufschlußreiche Analogie zwischen der Lokalisierung von Elektroden in der Schocktherapie und der von Hirnläsionen in der Aphasieforschung, eine Analogie, die ganz neue Perspektiven bei der zerebralen Topographie von verschiedenen sprachlichen Erscheinungen eröffnet.
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Zweifellos m u ß die allmähliche Wiederherstellung des gestörten Systems nach einer kurzen, durch Elektroschock bewirkten aphatischen Periode die besondere Aufmerksamkeit von Beobachtern und Forschern der sprachlichen Erfahrung des Patienten erregen. Und man hatte in der Tat schon in den Jahren 1940-41 bei analogen Fällen von Insulinschock festgestellt, da/3 die allmähliche Wiedererlangung der Sprachfähigkeit in ihrer relativen Chronologie dem wachsenden Lautsystem der Kindersprache entspricht (siehe RJ I: 370). In einem solchen Fall bat Professor B. I. Jacobowski, Direktor einer psychiatrischen Klinik in Uppsala, einen schizophrenen Patienten, der gerade von einem Insulinschock genas und begonnen hatte, seine Sprachfähigkeit wiederzuerlangen, das schwedische Alphabet aufzusagen. Vorher erhielten die Assistenzärzte Kopien eines Alphabets mit Angaben von RJ (die aus seiner sprachlichen Erfahrung mit Kindern stammten) darüber, welche Buchstaben zuerst vom Patienten ausgelassen oder verzerrt würden und in welcher Reihenfolge sie bei seinen wiederholten Versuchen wieder eingesetzt würden. Die zu erwartende Reihenfolge der Fehler und deren Verbesserungen, die auf der Analogie zwischen dem Erwerb des Sprachlautsystems bei Kindern und dessen Wiedererwerb bei Patienten beruht, wurde weitgehend bestätigt. Die Erkennung aller auditiven Stimuli außerhalb der Sprache wird ausschließlich von der rechten Hemisphäre kontrolliert (Balanov und Deglin: S. 77ff.). Ihre Ausschaltung beeinträchtigt weder Sprachlaute noch Worteinheiten, hat allerdings eine völlig verheerende Wirkung auf alle anderen auditiven Stimuli: von Menschen und Tieren, von Industrie, Transport und von Naturkräften produzierte Geräusche, sowie musikalische Töne, Akkorde und Melodien (vgl. G o r d o n 1970; Mindadze et al. 1975), auch wenn diese auditiven Stimuli dem Patienten gut bekannt sind. Versuchspersonen mit einer vorübergehend ausgeschalteten rechten Hemisphäre waren hilflos, wenn sie mit einer Folge der nachstehenden auditiven Stimuli konfrontiert wurden, welche leicht zu erkennen waren, solange diese Hemisphäre noch aktiv war: das Klingeln eines Weckers, singende Vögel, plätscherndes Wasser, wiehernde Pferde, ein heulender Schneesturm, ein brüllender Löwe, ein weinendes Kind, das Klirren von Geschirr, Donnerschläge, ein grunzendes Schwein, der Klang von Metall, ein Hahnenschrei, Schnarchen, ein bellender H u n d , eine m u h e n d e Kuh, das Geräusch eines Kamins, Schritte, eine gurrende Taube, das D r ö h n e n eines Flugzeugs, schnatternde Gänse, ein klingelndes Telefon, die tosenden Wellen bei Flut (Balanov und Deglin: S. 77). Während der Ausschaltung der rechten Hemisphäre wurde Applaus mit d e m Worfeln von Getreide ver-
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wechselt, Lachen mit Weinen, Donner mit einem Motor, das Quieken eines Schweins mit dem Geräusch eines Raupenschleppers, das Schreien der Gänse mit dem Quaken der Frösche, ein bellender Hund mit dem Gegacker der Hühner, das Geräusch eines Motorrads mit dem eines Tieres, usw. (S. 80ff.). Andererseits fungiert die rechte Hemisphäre als "Bremse" oder "Zensor" in Bezug auf die Sprache; sie übt einen hemmenden Einfluß auf die Sprachzentren der linken Hemisphäre aus (S. 145f., 182ff., 186; über die Rolle der rechten Hemisphäre als Sprachformer siehe unten, S. 48f.). Der vor kurzem erschienene ausgiebige Bericht von Eran Zaidel vom California Institute of Technology über das Sprachverhalten von "split-brain"-Patienten (1978: 229ff.) bestätigt die beachtlichen Ergebnisse der von Balanov und Deglin beschriebenen elektrotherapeutischen Versuche. Im Gegensatz zu der linken Hemisphäre, die eine konsequente "Analyse von distinktiven Merkmalen" durchführt, kann die rechte Hemisphäre, mit ihrer "reduzierten Effizienz" und schlechten diskriminatorischen Fähigkeit, insbesondere "lange, nichtredundante Sätze, in denen die Wortstellung wichtig und der Kontext nicht aufschlußreich ist, nicht richtig analysieren". Nach Zaidel "läßt sich diese Einschränkung auf ein (vielleicht sogar auf nur drei Elemente begrenztes) sprachliches Kurzzeitgedächtnis zurückführen" (S. 269). Es stellt sich heraus, daß die rechte Hemisphäre dreimal weniger effizient ist bei der Diskriminierung von Lautpaaren, die sich durch zwei Merkmale unterscheiden als bei Paaren, die sich durch ein Merkmal unterscheiden (S. 243), und sie erkennt die merkmallosen Varianten leichter als ihre merkmalhaften Gegenstücke, z.B. Plosivlaute und Orallaute eher als die merkmalhaften Dauerlaute und Nasallaute (S. 241). Es wurde also noch einmal klar gemacht, daß die motorischen Theorien der Sprachperzeption "nicht physiologisch notwendig sind, um das Sprach-Verständnis zu erklären" (S. 258). Das Bestreben der internationalen Forschung, die Tätigkeiten der beiden Hemisphären zu trennen, hat zur Aufspaltung des Gehirns geführt, cere comminuit brum, nach dem kühnen Wortbild von Quintus Ennius (239-169 v. Chr.; siehe Vahlen 1854: 85), und hat damit Aussichten für einen Einblick in das Gehirn und seine Sprachmechanismen eröffnet.
Redundanz Redundante Merkmale haben einen besonderen Stellenwert in der Lautgestalt der Sprache und müssen von der sprachlichen Analyse
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aufgegriffen werden. Sie sind nicht überflüssig und nutzlos, wie der althergebrachte Terminus " R e d u n d a n z " leider nahelegt, sondern sie dienen vielmehr dazu, die distinktiven Merkmale zu unterstützen und zu intensivieren, müssen jedoch zugleich sorgfältig von ihnen unterschieden werden. Die Hilfsrolle der Redundanz ist es, komplementäre Information über die Identität der benachbarten distinktiven Merkmale zu geben, die in der Abfolge entweder aneinander angrenzen (vorangehen oder nachfolgen) oder z u s a m m e n mit den redundanten Merkmalen auftreten. Wir dürfen hier eine heute noch gültige Bemerkung des Psychophysikers Stanley Smith Stevens (1906-1973) a n f ü h r e n : " D a s Vorhandensein der Redundanz steigert die Zuverlässigkeit der sprachlichen Kommunikation und schützt sie vor vielen Arten der Verzerrung. Indem die Anzahl der v o m Hörer verlangten Unterscheidungen eingeschränkt wird und seine Wahl durch die redundante Kodierung der Information erleichtert wird, wird das Miteinander-Sprechen eine relativ zufriedenstellende Angelegenheit" (1950: 690). Sowohl ein Mangel an Aufmerksamkeit gegenüber d e m System der redundanten Merkmale seitens des Sprachanalytikers als auch die Gefahr, distinktive Merkmale und redundante Merkmale nicht sauber voneinander zu trennen o h n e Berücksichtigung der deutlichen, natürlichen Hierarchie dieser beiden Klassen, m u ß wohlweislich vermieden werden, u m eine ausreichende Beschreibung und hierarchische Erklärung von sprachlichen Ganzen und Teilen zu ermöglichen. Trotz der apriorischen Zweifel unbefangener Beobachter (vgl. BarHillel 1957: 326f.) zeigt eine objektive und ausführliche Untersuchung der sprachlichen Daten eindeutig, daß die Diskriminierung distinktiver und redundanter Merkmale eine wesentliche Aufgabe ist. Der Unterschied zwischen den "an sich signifikanten" (in Sweets Worten) distinktiven Merkmalen und den redundanten ist in den Daten objektiv enthalten, ungeachtet der Hypothesen der Kritiker, denen technische linguistische Erfordernisse nicht bekannt sind, die aber trotzdem dazu neigen, die Abgrenzung der distinktiven und redundanten Merkmale als willkürliche Entscheidung und terminologische Erfindung seitens der Sprachwissenschaftler aufzufassen. Das klare Beispiel der vokalischen Nasalität in solchen amerikanischen Vokabeln wie win, whim und wing zeigt, daß, im Gegensatz zu den Konsonanten, wo Nasalität nicht nur in postvokalischer, sondern auch in anderer Position v o r k o m m t , die nasalen Vokale immer mit den nachfolgenden Nasalkonsonanten verbunden sind, egal ob diese vollständig oder n u r ansatzweise realisiert werden (vgl. S. 27 oben, und Malecot 1960). Folglich ist die konsonantische Nasalität im
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Englischen an sich signifikant, wohingegen vokalische Nasalität eine bloße redundante Vorwegnahme des folgenden Nasalkonsonanten ist, ungeachtet der Tatsache, da/3 manchmal, besonders in elliptischer Rede, dieses vorgreifende redundante Merkmal die unterscheidende Funktion der konsonantischen Nasalität fast übernehmen kann. Die an sich signifikante Opposition der palatalisierten (erhöht) und nichtpalatalisierten Konsonanten im Russischen kommt sowohl mit wie auch ohne folgenden Vokal, und besonders im Wortauslaut vor. Die Opposition findet in vorvokalischen Konsonanten Unterstützung durch eine redundante Differenz zwischen einer vorderen und einer hinteren Artikulation der Vokale nach palatalisierten beziehungsweise nichtpalatalisierten Konsonanten. Z.B. das vordere [i] und das hintere [ui] stellen sich als zwei stellungsbedingte Varianten ein und desselben Phonems heraus, und ihre Unterscheidung ist ein redundantes Merkmal, das die Opposition zwischen dem Vorhandensein und dem Fehlen der Palatalisierung in dem vorangehenden Segment signalisiert. In anderen Positionen jedoch tritt dieselbe Distinktion dieser beiden Arten von Konsonanten ohne diese redundante Unterstützung auf: vgl. kel't [t] 'Kelte' und sel'd' [t'] 'Hering'; kost [st] 'Kosten' und vozd' [st'] 'Führer'. Die Opposition von Stimmhaftigkeit und Stimmlosigkeit hat eine an sich bedeutungsunterscheidende Fähigkeit in russischen Obstruenten dann, wenn ein Vokal entweder unmittelbar folgt oder von dem Obstruenten durch einen Nasallaut, eine Liquide oder ein /v/ getrennt wird (siehe RJ 1978). In allen anderen Situationen ist die Stimmhaftigkeit oder Stimmlosigkeit dieser Obstruenten redundant; sie kann lediglich auf ein folgendes stimmhaftes oder stimmloses Phonem hinweisen, wie z.B. im Fall der anlautenden Dauerlaute zgut und skura. Bei Iii und Icl ist das Fehlen der Stimmhaftigkeit vor einem Vokal ein redundantes Merkmal: es weist auf die gleichzeitig auftretenden distinktiven Merkmale, die die Affrikate (Abruptheit verbunden mit Scharfheit) bilden, und so betont es den Unterschied zwischen solchen Wörtern wie cykat' 'anschnauzen' und zykat' 'laut rufen', cugovöj 'hintereinander gespannt' und dugovöj 'bogenförmig'. Ein im Russischen nur redundant vorkommendes Merkmal ist die Gespanntheit. Z.B. das gespannte [e] im Gegensatz zum ungespannten [e] kommt gegenwärtig nur zwischen zwei palatalisierten Konsonanten vor, z.B. [m'el] 'Kreide' und [m'el'] 'Sandbank'. Unter den Konsonanten ist der Unterschied ungespannt ~ gespannt ein redundantes Merkmal, das im Russischen lediglich mit dem eigentlichen distinktiven Merkmal Stimmhaftigkeit ~ Stimmlosigkeit einhergeht (siehe Kapitel 3). Das redundante Merkmal stärkt ein bestimmtes
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distinktives Merkmal, aber nur in dessen bedeutungsunterscheidender Funktion und nicht in der bedeutungsbestimmenden Rolle. In dieser Hinsicht kann der Verlust der Opposition Stimmhaftigkeit ~ Stimmlosigkeit im Wortauslaut im Russischen eine Wortunterscheidung aufheben, wie wir z.B. im Nominativ [ab'et] 'Mittagessen' oder 'Gelübde' gegenüber einer anderen Kasusform derselben Substantive, wie z.B. Dativ [ab'edu] ~ ['ab'etu], sehen.
Konfigurative Merkmale Seit Trubetzkoys richtungweisender Initiative der frühen dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts, später in seinem posthumen Werk Grundzüge der Phonologie zusammengefaßt, haben Sprachwissenschaftler (wie z.B. Bloomfield 1939; Harris 1951 und 1963; Chomsky und Halle 1968; und andere) der komplexen Klasse von konfigurativen Merkmalen mehr und mehr Aufmerksamkeit geschenkt, die bekannterweise "die Aufteilung der Äußerung in grammatische Einheiten verschiedener Komplexitätsgrade signalisieren", nämlich in Phrasen, Wörter und ihre verschiedenen morphologischen Komponenten. Die Integration und Abgrenzung der Wörter und ihrer Konstituenten werden entweder durch besondere Regeln für den Gebrauch distinktiver Merkmale und ihrer Kombinationen oder durch andere, ganz besondere Signale erreicht. Um die Verwendung der distinktiven Merkmale zur Abgrenzung zu veranschaulichen, wollen wir uns dem weitverbreiteten Unterschied zwischen dem Repertoire von Phonemen und deren Gruppierungen im An-, In- und Auslaut von Wörtern und von kleineren grammatischen Einheiten zuwenden. Wir können als Mittel der Integration den Gebrauch des sogenannten "freien" Akzents in jenen Sprachen anführen, in denen seine Position nicht in einseitiger Abhängigkeit von der Wortgrenze steht: hier erfüllt die Opposition der betonten und unbetonten Vokale sowohl eine bedeutungsunterscheidende als auch eine integrierende, d.h. kulminative Funktion. Im Russischen z.B. unterscheidet die Betonung die Bedeutungen von pläcu 'ich weine' und placü 'ich bezahle'; auch in längeren Wörtern wie presmykäjusciesja 'Reptilien' kennzeichnet eine einzige Betonung die Einheit eines Wortes. Ein anderes Mittel, das eine solche integrierende Rolle erfüllt, ist als Vokalharmonie bekannt und dient dazu, nach Baudouins bevorzugter Metapher, alle Silben eines Wortes oder kleinerer grammatischer Einheiten zu "zementieren" (siehe unten S. 159). In Sprachen mit einem festen Wortakzent, beispielsweise im Tschechischen, wo die Betonung auf die erste Silbe des Wortes fällt, ist der
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Unterschied zwischen betonten und unbetonten Vokalen kein distinktives, sondern lediglich ein konfiguratives Mittel. Er dient nur zur Abgrenzung und Integration der Wörter und trennt sie sowohl von den benachbarten betonten Worten als auch von den proklitischen Konjunktionen (vgl. die Wortgruppe alogicky a logicky 'unlogisch und logisch', mit dem Akzent auf dem anlautenden Vokal in beiden Adjektiven). Es gibt einen wesentlichen funktionalen Unterschied zwischen den distinktiven und den konfigurativen Merkmalen, der mit dem hierarchischen Unterschied zwischen Buchstaben und Interpunktionszeichen vergleichbar ist. Das Fehlen der Kommata und, wie uralte Schriften belegen, sogar die völlige Auslassung von Zwischenräumen zwischen Wörtern verhindern das Verständnis der Texte nicht, wie dies bei dem völligen Fehlen von Buchstaben der Fall wäre. Die Rolle der bedeutungsunterscheidenden Elemente ist also primär im Vergleich zu der untergeordneten Realisierung der konfigurativen Merkmale. Es ist betont worden, daß grammatische Einheiten und ihre Grenzen für Sprecher und Hörer existieren, auch wenn sie nicht ausgedrückt werden. Für eine breitere Untersuchung des festgelegten und des freien Akzents aus dieser Perspektive siehe die komparative Studie zur tschechischen und russischen Versform (RJ 1923) und insbesondere deren Argumentation: "Können die Wortgrenzen als Faktor fungieren, der gewisse Lauterscheinungen bedingt, oder ist es im Gegenteil der Akzent, der die Wortgrenze im Tschechischen bestimmt? Im letzteren Fall wäre der tschechische Akzent fraglos ein bedeutungsvolles, innerlich bedingtes Element. Doch das Wort existiert im Sprachbewußtsein unabhängig von den unentbehrlichen akustischen Grenzen". Als Antwort auf einige Bemühungen, Grenzsignale der Klasse der Phoneme als Untergruppe der "sekundären Phoneme" (Bloomfield 1933) zuzuordnen, hat Chomsky in der amerikanischen Sprachwissenschaft die traditionelle Prager Ansicht übernommen: "Die Phrasen sind 'abstrakt' in dem Sinne, daß weder ihre Grenzen noch ihre Kategorien physisch gekennzeichnet sein müssen" (1975: 32). Der relative Vorrang der bedeutungsunterscheidenden Elemente der Sprachlaute wird so gebührend anerkannt.
Stilistische Variationen Sogenannte 'freie' oder, um präziser zu sein, 'stilistische' Variationen sind in hohem Maße Mittel zur Nuancierung und Bereicherung der Sprache durch den Übergang vom neutralen Stil zu emotiven Varian-
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ten des Gesamtkodes. Zu solchen Unterkodes gehören der verlangsamte, oder im Gegensatz dazu der undeutliche, der exklamatorische oder der verhaltene, der aufgeregte oder der gedämpfte Ausdrucksstil, welche die verschiedenen Mittel der Beschleunigung oder Reduktion des Artikulationstempos und der Verstärkung und Erhöhung oder der Abschwächung und Erniedrigung von verschiedenen Lauten verwenden. "Es gibt", wie der Phonetiker Daniel Jones (1881-1967) lehrte, "etwas was wir als den 'gewöhnlichen' oder 'langsamen Gesprächsstil' bezeichnen, es gibt sehr schnelle familiäre Stilarten, und es gibt den formellen Stil, der beispielsweise beim Rezitieren oder beim Vorlesen vor einem großen Publikum verwendet wird, und es gibt zwischen diesen mittlere Stilarten. Bei einigen Sprechern < . . . > sind die Unterschiede beträchtlich und können im formellen oder sehr schnellen Stil den Gebrauch von im 'gewöhnlichen' Stil nicht vorkommenden Lauten mit sich bringen" (1962: 197). In seinem ehemals berühmten Handbuch der natürlichen Bühnenaussprache warnte S. Volkonskij Schauspieler und Vortragende davor, ihrer Aussprache die Färbung eines bestimmten Vokals zu verleihen, beispielsweise im tragischen Stil der gewohnheitsmäßige Übergang von [a] zu [m], z.B. zn [tu] es Ii, oder im Tonfall eleganter Ungezwungenheit der Wechsel von [a] zu [e], z.B. [dtrz]gój /[ve]« i[vé]novic. Er verurteilte ebenso die [u] oder [uo] Variante des affektierten Stils der Moskauerinnen: n[u] M « ] èto tak[ü]e (1913: 55). Eine ähnliche Labialisierung der Vokale ist bei dem "süßen Geplauder" litauischer Frauen festgestellt worden (Rüke-Dravina 1952: 68ff.). Die manière affectée vieler Pariserinnen, [a], [a] fast wie [œ], [ae] auszusprechen, wurde von Passy (1891: 248) beobachtet. Solche Effekte werden gewöhnlich den distinktiven Merkmalen einer gegebenen Sprache auferlegt, ohne mit denselben in Konflikt zu geraten. In den sächsischen Mundarten, die keine vorderen gerundeten Phoneme / ü / , / 0 / und /oe/ aufweisen, tauchen, laut Georg von Gabelentz, diese Laute auf, wenn man über düstere und tiefe Dinge—"von einer tüfen Fünsternüss" (1891: 362) spricht. Wenn einer Sprache eine Distinktion zwischen langen und kurzen Vokalen zur Verfügung steht, können gewöhnlich nur die Langvokale weitere Dehnung erfahren, und nur die Kurzvokale sind einer expressiven Kürzung ausgesetzt. Aber das merkliche Eingreifen einer emotiven Färbung kann die distinktiven Oppositionen selber gefährden. Wenn man solche Variationen des Englischen wie den Gebrauch oder die Auslassung des vorvokalischen Glottisschlags zwischen Wörtern in enger syntaktischer Interdependenz analysiert, beobachtet man, daß das Vorkommen dieses Lautes einem Stil angehört, der auf eine schärfere Trennung der Wörter in der Abfolge abzielt.
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"Brocken" mit emotiver Funktion, wie z.B. Interjektionen, weisen häufig, Laute und Lautverbindungen auf, die einer gegebenen Sprache oder der Sprache im allgemeinen f r e m d sind; vgl. englische Beispiele wie die gewöhnlicherweise (besonders in Comic-Strips) tut geschriebene Interjektion, die in Websters Wörterbuch als "Stellung der Zungenspitze gegen die Alveolen und plötzliches Einsaugen der Luft, zur Bezeichnung des Mißfallens oder des Zweifels gebraucht" beschrieben wird; brr, ein bilabialer Schwinglaut; und phooey. Dwight Bolinger f ü h r t solche Ausrufe, gewöhnlicherweise uh-huh und hunh-uh geschrieben ("das letztere mit einem distinktiven Glottisschlag") an, phew und hynah-hynah, ferner die Warnung [ W ] (1963: 122f.). Die der begrifflichen Sprache auferlegten emotiven Merkmale unterscheiden sich von distinktiven Merkmalen durch ihren graduellen, und nicht binären oppositionellen Charakter: die Hervorhebung Yiß t verschiedene Abstufungen zu. A u ß e r d e m sind diese Merkmale nicht notwendigerweise auf ein einziges Segment der sprachlichen Abfolge beschränkt und zeigen die Tendenz, sich auszudehnen und einen längeren Abschnitt abzudecken. Beispielsweise beobachten wir Unterschiede in der Dauer bei m e h r e r e n aufeinanderfolgenden Sprachlauten. Die distinktiven Merkmale sind obligatorische Elemente des sprachlichen Kodes, wohingegen emotive Merkmale als fakultative Eigenschaft einzelner Sprachverwendungen v o r k o m m e n . Emotive Merkmale sind sozial kodiert und nicht obligatorisch; daher sind Beispiele ihres auffälligen Mißverständnisses durch Mitglieder einer f r e m d e n Sprachgemeinschaft sehr häufig. Obwohl Gyula Laziczius (1896-1957) seine bahnbrechenden Bemerkungen über die emotiven und konativen Ingredienzien der Lautgestalt der Sprache, die er beide als 'emphatica' bezeichnete, skizziert hat (1935; vgl. Trubetzkoy 1939a: 14ff.), bleibt noch viel zu tun auf diesem fruchtbaren Gebiet (vgl. Stankiewicz 1964). In seiner "Introduction to the Study of Speech" (1921: Kapitel 1) behauptete Sapir, daß "Ideenbildung in der Sprache vorherrscht", wohingegen "der Wille und das G e f ü h l als eindeutig sekundäre Faktoren ins Spiel k o m m e n " . Dennoch ermöglichte ihm die großzügige Auffassung der Sprache in seinem vorausschauenden Aufsatz aus d e m Jahre 1927, die tief verwurzelte A n n a h m e zu überwinden, "daß die Aufgabe der Sprache eine rein denotive ist", und j e n e "besonderen Eigenschaften der Sprache" hervorzuheben, die noch nicht "genügend verstanden" worden sind und gern von Sprachwissenschaftlern übersehen werden. In der Tat ist die denotive Funktion der Sprache immer mit gewissen expressiven Faktoren verbunden < . . . > , die im wirklichen Leben der Sprache immer
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vorhanden sind. Es ist unmöglich, auch nur so ein belangloses Wort wie 'Pferd' auszusprechen, ohne mehr oder weniger Interessse zu zeigen, ohne irgendeine Gefühlsänderung. Die Expressivität kann mit unserer Einstellung zu der Person, über die wir sprechen oder denken, zusammenhängen, oder mit unserer allgemeinen Gemütsverfassung < . . . > . Im Laufe unserer Sprachtätigkeiten tun wir eigentlich zwei ganz verschiedene Dinge, obwohl diese nie völlig voneinander zu trennen sind, außer durch einen Abstrahierungsprozeß. [1927: 425f.]
Wie Ivan Fonagy vor kurzem demonstriert hat, "enthält jeder konkrete Laut notwendigerweise zwei Informationen, welche sich sowohl auf der Ebene des Inhalts als auch des Ausdrucks deutlich voneinander unterscheiden". U m die Verfahrensregeln zu spezifizieren, hat er " d e n Mechanismus f ü r die akustische Verschlüsselung der Emotionen durch zwei Röntgenfilme analysiert, die neutrale und emotionale Varianten (Zorn, Ha/3, Traurigkeit, Freude, Zärtlichkeit, Ironie) von sechs ungarischen Phrasen enthalten. Jede Haltung wird durch ein ihr eigenes artikulatorisches Muster ausgedrückt. Diese orale Geste kann als der normalen Artikulation auferlegt betrachtet werden" (1976: 31ff.).
Physiognomische Indikatoren Die physiognomischen Indikatoren ('Identifikatoren'), die es dem Angesprochenen ermöglichen, Geschlecht, Alter, geographische, soziale und ethnische Herkunft und Persönlichkeit des Sprechenden, einschließlich seines kinästhetischen Typs,—mit anderen Worten eine Art sprachlichen Ausweis oder " P a ß " — z u identifizieren, dürften zus a m m e n mit der Diskriminierung des sprachlichen Inhalts der Brennpunkt der Aufmerksamkeit des Angesprochenen sein. Hier kann er höchst aufschlußreiche, zu interpretierende Zeichen finden. Wir müssen entscheiden, welche von diesen Zeichen vom Willen und Zweck des Sprechenden abhängen. Durch ihre Artikulationsart und sogar durch ihre Stimme können Männer und Frauen z.B. unter Umständen ihr Alter oder ihr Geschlecht betonen oder verheimlichen. Daß der Sprecher seine Stimme in Umfang und Stärke der Stimme des Hörers anpaßt, ist ein weitverbreitetes Anpassungsverhalten, das bis in die vorsprachliche Kindheit zurückgeht. Geographisch oder sozial m u n d artliche Züge können v o m Sprecher absichtlich verwischt oder, im Gegenteil, stolz hervorgehoben werden. Ladefogeds und Broadbents Bewertung der durch Vokale übermittelten Information hat es ihnen
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erlaubt, die vorläufige Hypothese aufzustellen, daß "soziolinguistische Information nicht von den absoluten Werten der Formantfrequenzen, sondern wie linguistische Information von der relativen Formantstruktur der Vokale abhängt", wogegen "die durch Vokale übermittelte persönliche Information von den absoluten Werten der Formantfrequenzen abzuhängen scheint" (1957: 103; vgl. auch Sievers 1924). Auf Aufforderungen, die Untersuchung aller dieser Faktoren anzustellen und auszudehnen, sollte man mit der breiteren Anerkennung dieses sozio- und psycholinguistischen Programms und seiner streng systematischen Erfüllung (vgl. Ladefoged und Broadbent) antworten und zugleich mit einer resoluten methodologischen Warnung vor jeder Verwechslung dieser Fragen mit dem allgegenwärtigen Kernproblem des Verhältnisses zwischen Laut und Bedeutung.
Die distinktiven Merkmale im Verhältnis zu den anderen Bestandteilen des Sprachlautes Wenn der Sprachforscher die verschiedenen Konstituenten der Sprachlaute analysiert, kann kein Konflikt zwischen der Untersuchung der sprachlichen und der physischen Einheiten entstehen, da jede physische Einheit in enger Verbindung mit ihrer Rolle bei der Wahrnehmung der Sprache definiert werden muß. Jedes signans sollte mit Bezug auf sein signatum (siehe oben, S. 13) betrachtet werden. Die vorrangige Beschäftigung mit der gesamten Vielfalt der Merkmale und deren Aufgaben darf keineswegs den Blick für den gewaltigen, hierarchischen und vielschichtigen Unterschied zwischen den distinktiven Merkmalen und allen anderen von den Sprachlauten getragenen Merkmalen versperren. Die auffällige Differenz zwischen diesen "an sich signifikanten" Merkmalen und den übrigen Merkmalen kann auf verschiedene Art und Weise veranschaulicht werden. Einem Sprecher, dessen Muttersprache die Opposition lang ~ kurz nicht aufweist, hilft der emotive Gebrauch der Vokaldehnung nicht, ein solches distinktives Merkmal zu erwerben, wenn er mit einer Sprache konfrontiert wird, die diese Opposition kennt. Und das Vorkommen von Schnalzlauten als Interjektionen in der Muttersprache des Sprechers erleichtert ihm das Erlernen von z.B. südafrikanischen bedeutungsunterscheidenden Schnalzlauten nicht. Das Vorkommen redundanter Nasalität in englischen Vokalen nützt Amerikanern wenig, wenn sie versuchen, die französische Kategorie der Nasalvokale zu beherrschen. Die bedeutungsunterscheidende Distinktion im Russischen zwischen Konsonanten mit und ohne Palatalisierung, die je-
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der Muttersprachler von frühester Kindheit an leicht begreift, bereitet den meisten westlichen Hörern und Sprechern große Schwierigkeiten. Wenn sie mit dem Minimalpaar /jer/ und / j e r ' / (Namen zweier russischer Buchstaben) konfrontiert werden, vernehmen westeuropäische, z.B. norwegische, Hörer anscheinend keinen Unterschied zwischen ihnen oder schreiben den Unterschied der Distinktion der niedrigeren oder höheren Offenheit des vorangehenden / e / , einer dem gewöhnlichen russischen Beobachter fast unbemerkbaren Variation, zu. Dabei sind gewisse auslautende Konsonanten im Norwegischen eindeutig palatalisiert, aber der durchschnittliche Norwegischsprechende bleibt den russischen Unterschieden in dem Substantiv säxar 'Zucker' und dem Imperativ säxar' 'süße/zuckere' gegenüber taub, besonders in zusammenhängender Rede. Er ist sich sogar seines muttersprachlichen konfigurativen Merkmals nicht bewußt, wenn er die sechs auslautenden [r'] in den folgenden Zeilen der Nationalhymne ausspricht: Elske[r'], elske[r'] det og taenkefr'] pä vo[r'] fa[r'] og mo[r']. Der Hauptunterschied zwischen den distinktiven Merkmalen und allen anderen Merkmalsarten liegt darin, daß die distinktiven Merkmale die einzigen sind, die, nach Sapirs bündiger Formulierung, "keinen Einzelbezug, oder vielmehr keinen primären Einzelbezug" (1949: 34) aufweisen. Die Nasalität des anlautenden Konsonanten im Wort mill signalisiert, daß ceteris paribus ein anderes Wort mit dem entsprechenden Konsonanten ohne Nasalität im Anlaut mit einer an 1,0 grenzenden Wahrscheinlichkeit nicht dieselbe Bedeutung wie das Wort mit dem Nasalkonsonanten haben wird. Dasselbe Verhältnis besteht zwischen mill und dill, oder zwischen rim und rib. Das einzige signatum eines jeden distinktiven Merkmals in seiner primären, rein bedeutungsunterscheidenden Rolle ist 'Andersheit'. In der Regel entsteht durch die Änderung eines einzigen Merkmals ein Wort mit einer anderen Bedeutung oder eine sinnlose Lautgruppe: vgl. mesh und *besh. Distinktive Oppositionen haben keinen positiven Inhalt auf der Ebene des signatum und bekunden nur die fast sichere Unwahrscheinlichkeit der Morpheme und Wörter, die sich durch die auftretenden distinktiven Merkmale unterscheiden. Die Opposition liegt hier nicht im signatum sondern im signans: phonische Elemente scheinen polarisiert zu sein, damit sie für semantische Zwecke verwendet werden können. Eine solche Polarisierung ist untrennbar mit der semiotischen Rolle der distinktiven Merkmale verbunden.
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In der dänischen Sprachwissenschaft der Mitte dieses Jahrhunderts argumentierte die sogenannte 'glossematische' Theorie, die von Louis Hjelmslev (1899-1965) entwickelt und verfochten wurde, gegen die Merkmalsanalyse als neuen Sprung von der sprachlichen Form zur physischen Substanz. Aber wie Eli Fischer-J0rgensen (1966) richtig erkannt hat, erklärt die künstliche Trennung der Substanz von der Ebene der sprachlichen Form nicht den Aufbau der Oppositionen als eine deutlich formelle, logische Operation, die dem sprachlichen Kode tief verwurzelt ist. Außerdem berücksichtigt selbst die Vorstellung einer vom sprachlichen System unabhängigen, lautlichen Substanz die Tatsache nicht, daß Sprachlaute, welche lediglich für die Zwecke der Sprache geschaffen wurden, an ihren Zweck angepaßt sind (vgl. oben, S. 31). Die Dichotomie von Substanz und Form erweist sich als fiktiv. Alle anderen Merkmale außer den distinktiven Merkmalen besitzen einen "Einzelbezug". Das positive signatum eines redundanten Merkmals ist das Vorhandensein eines gewissen benachbarten distinktiven Merkmals. So wird im Französischen die Konstriktionsstelle zwischen dem hinteren Zungenrücken und der palatovelaren Wölbung durch einen benachbarten Vokal stark beeinflußt, und vor vorderen Vokalen kann ein solcher Konsonant "fast palatal sein" (Delattre 1968a: 204). Diese palatale Tendenz ist ein redundantes Merkmal, welches das distinktive palatale Merkmal des darauffolgenden Vokals eindeutig kennzeichnet, z.B. in quitter gegenüber dem velaren Vokal von coûter. Jedoch bilden im Makedonischen (siehe Lunt 1952: 10, 12) die velaren und palatalen Varianten, k and k' geschrieben, eine bedeutungsunterscheidende Opposition dunkel ~ hell (kuka, 'Haken'—kuk'a 'Haus', PI. kuki—kuk'i, und die Differenz zwischen dem palatalen und dem velaren Charakter signalisiert nichts anderes als die hohe Wahrscheinlichkeit, daß sie semantisch unabhängigen Worten angehören. Ein konfiguratives Merkmal kann die Grenze oder die Einheit eines Wortes markieren. Emotive Merkmale teilen dem Angesprochenen gewisse Gefühle des Sprechers mit. In der Regel kennzeichnen physiognomische Merkmale ('Indices') wie z.B. eine Sopranstimme einen weiblichen Sprecher. In allen diesen Fällen gibt es einen direkteren Weg vom signans zum signatum als bei den distinktiven Merkmalen. Dieser Mangel an Unmittelbarkeit, wie auch die übliche Orientierung des Hörers auf den begrifflichen Inhalt der Mitteilung, verlangt von ihm, &aß er seine besondere, meist unterschwellige Aufmerksamkeit auf die distinktiven Merkmale im Gegensatz zu allen anderen Merkmalstypen lenkt. Aus dieser Sicht gesehen, hatte Sapir recht, als er "zu dem praktischen Schluß" kam, daß
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unter den lautlichen Erscheinungen, die dem Muttersprachler begegnen, "er vor allem die Phoneme hört" (1949: 47) und (wie wir jetzt spezifizieren können) deren distinktive Merkmale. Neuere Studien von Blumstein und Cooper (1972, 1974) zeigen deutlich, daß die Intonationskonturen, die Satztypen umgeben, unterscheiden und charakterisieren, mit überraschender Konsequenz auf die Vorherrschaft des linken Ohres hinweisen, im Gegensatz zu den bedeutungsunterscheidenen Worttönen einer polytonischen Sprache wie des Thailändischen (von Abramson und Erickson untersucht). Die Tonhöhen dieser Sprache werden, nach den von van Lancker und Fromkin (1973) gesammelten dichotomen Daten, leichter vom rechten Ohr wahrgenommen, "da hier die Tonhöhe sprachlich verwendet wird, um ein lexikalisches Element von einem anderen zu differenzieren". Neuere russische wissenschaftliche Erfahrungen mit einseitigen Ausschaltungen der Hirnhemisphären haben diese Ergebnisse über dichotomes Hören bestätigt und weitergeführt. Die Ausschaltung der linken Hemisphäre hemmt stark die Erkennbarkeit und Wiederholbarkeit der Sprachlaute und des Akzentschemas des Wortes, beeinträchtigt aber die Erkennung und Reproduktion der Satzintonationen nicht. Die Ausschaltung der rechten Hemisphäre dagegen läßt die Struktur des Wortes f ü r einen mit Elektroschock behandelten Sprecher oder Hörer unberührt, macht es aber dem Patienten unmöglich, Satzintonationen zu erkennen oder sogar zu bemerken. Die affektiven Intonationen können besonders leicht verschwinden. (Für eine detaillierte vergleichende Übersicht der "psycho-akustischen Syndrome", die die Ausschaltung beider Hemisphären zur Folge hat, siehe Balonov und Deglin: Tabelle 21.) Die strenge hemisphärenmäßige Verteilung dieser beiden Klassen von sprachlichen Erscheinungen war überraschend und aufschlußreich, aber der bedeutende sprachliche Unterschied zwischen den beiden betreffenden Gruppen war schon voraussehbar (vgl. Bolinger 1964; Nikolaeva 1977). Vor fast 40 Jahren wurde in einer Diskussion an der Kopenhagener Universität die Beobachtung gemacht, daß solche Lautelemente wie Satzintonation, Satzakzent, Satzpausen usw. lediglich eine trennende und unterordnende Rolle innerhalb der Grenze der referentiellen Funktion spielen können < . . . > In der referentiellen Rede dienen die sequentiellen Lautmittel nur zur Abgrenzung, Segmentierung und Abstufung von Bedeutungen, aber nicht zu ihrer semantischen Differenzierung, wie dies bei den distinktiven Merkmalen im Rahmen des Wortes der Fall ist < . . . > Vielleicht könnte man vermuten, daß die Frageintonation eine besondere Bedeutung des Satzes hervorruft, man könnte es allerdings kaum rechtfertigen, den
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Fragesatz als eine der Referenzarten zu betrachten. Der Fragesatz ist keine Referenz, sondern nur eine Art Appell zur Referenz. [RJ I: 289]
Kurz gesagt, die Frageintonation kündigt das Ende einer Äusserung und zugleich eine an den Angesprochenen gerichteten Aufforderung zur Weiterführung an. Im Gegensatz zu Bedeutungsvermittlern wie z.B. Phonemen und distinktiven Merkmalen steht die Frageintonation so wie jeder konative oder affektive Ausdruck in einer unmittelbaren Beziehung zu ihrem signatum. Man kann jene konstitutiven Elemente von sprachlichen Zeichen, die entweder unabhängig oder als redundante Hilfsmittel zur Diskriminierung der Bedeutungen von Morphemen, Worten und ihren syntaktischen Konstruktionen dienen, von den konturenmäßigen Rahmeneigenschaften der sprachlichen Mitteilungen differenzieren. Eben zu diesen Eigenschaften gehören die Satzprosodie und die emotiven Faktoren der Sprache. Alle diese Rahmenkomponenten werden durch die rechte Hemisphäre reguliert, und die spezifisch physiognomischen Eigenschaften der Rede gehören zu derselben Art von Komponenten. Es ist besonders charakteristisch, daß einer vorübergehenden Ausschaltung der rechten Hemisphäre ausgesetzte Patienten die Fähigkeit verlieren, zwischen Männer- und Frauenstimmen zu unterscheiden oder zu erkennen, ob zwei Äusserungen von ein und demselben Sprecher oder von zwei verschiedenen Personen stammen, sowie die Fähigkeit, sogar die ihnen vertrautesten Menschen allein durch Laute zu identifizieren; überdies verliert der Patient auch die Fähigkeit, seine eigene Stimme in Übereinstimmung mit einer bestimmten emotionalen Situation zu regulieren (siehe Balonov und Deglin: S. 164ff., 171ff.). Wie bereits gesagt, kann außerdem ein bloßes Summen (mmm, uh) durch verschiedene Intonationen moduliert werden, um sinnvolle Mitteilungen zu übermitteln. "Die Frageintonation symbolisiert die Frage unabhängig vom Inhalt des Satzes. Die interrogative Intonation kann sogar Worte entbehren und durch ein bloßes Murmeln ausgeführt werden". Im Zeitungsstil wird diese Art bloße Frage oft durch - ? - symbolisiert (RJ I: 289; vgl. Stokoe 1975). Ähnlich nehmen Versuchspersonen bei dichotomen Experimenten nur die interrogative Intonation selbst wahr, bemerken und verstehen nur sie, während sie die Wörter als einer "gedämpften" Vokalisierung ähnlich beschreiben, als ob "jemand in eine Dose hineinspräche" (Blumstein und Cooper 1974: 151). Während sich herausstellt, daß die Satzintonation von der rechten Hemisphäre reguliert wird, wird das Lautschema des Wortes jedoch, wiederholen wir es noch einmal, von der linken Hemsiphäre kontrol-
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liert, auch wenn der Hörer mit rückwärts abgespielter Rede konfrontiert wird, solange er meint, daß sie aus intendierten, wenn auch verzerrten Sprachlauten besteht. Am Schluß ihrer Monographie wagen Balonov und Deglin eine geniale Hypothese, die sowohl phylogenetisch als auch ontogenetisch plausibel erscheint: "Die Mechanism e n der Lautproduktion und die auditiven Funktionen der rechten Hemisphäre erweisen sich als erheblich älter als die Mechanismen der Lautproduktion und die auditiven Funktionen der linken Hemisphäre, welche die sprachliche Artikulation und die Diskriminierung der Sprachlaute auf grund der distinktiven Merkmale sichern" (S. 194). Die asymmetrische Struktur des menschlichen Gehirns und insbesondere die Entwicklung der linken, dominanten Hemisphäre standen offensichtlich mit d e m Ursprung und dem Wachstum der Sprache in wechselseitiger Beziehung. Ein ungewöhnlicher Fall ist von Victoria Fromkin et alii systematisch untersucht worden. Als ein 14-jähriges Mädchen, das ohne Sprache aufgewachsen war, gefunden und sorgsam unterrichtet wurde, zeigte es eine sehr begrenzte Fähigkeit f ü r den Spracherwerb und keine Aussichten f ü r dessen weitere Entwicklung. Die Untersuchung ergab, daß "die unzureichende sprachliche Stimulierung während seiner Kindheit die sprachlichen Aspekte der Entwicklung der linken Hemisphäre h e m m t e oder hinderte", und wegen "einer Art funktionaler Atrophie der normalen Sprachzent r e n " m u ß t e die rechte Hemisphäre, wie durch Experimente nachgewiesen wurde, "die ganze Arbeit verrichten" (1974: 98ff.; vgl. Curtiss 1977: 213, 216f., 234). Diese Ergebnisse erbringen neue Beweise zugunsten der Hypothese vom relativen Alter der beiden Hemisphären. In der Hierarchie der W a h r n e h m u n g e n steht das distinktive Merkmal an oberster Stelle. Dabei wird aber keine der anderen Merkmalsarten bei der Perzeption außer Acht gelassen. In der Tat wird die Gesamtstruktur eines Sprachlautes von einem ungeschulten Sprecher als die Gesamtheit der jeweiligen Merkmalsfunktionen wahrgenommen. Ein wissenschaftlicher Beobachter der sprachlichen Lautgestalt, der allein die Gestalt von all den verschiedenen von ihr ausgeübten Funktionen abstrahiert, offenbart laut Sapir "das Gegenteil einer realistischen Perspektive" (1949: 46f.) und erscheint viel willkürlicher als der ungeschulte Sprecher. Wie Claude Lévi-Strauss in einer treffenden Bemerkung hervorhob, " s t i m m e n sowohl die Natur- wie auch die Humanwissenschaften darin überein, daß ein veralteter philosophischer Dualismus abgeschafft werden m u ß . Ideal und real, abstrakt und konkret, 'emisch' und 'etisch' können einander nicht länger gegenübergestellt werden. Was uns unmittelbar 'gegeben' ist, ist we-
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der das eine noch das andere, sondern etwas, was dazwischen liegt, etwas, was durch die Sinnesorgane so wie durch das Gehirn schon kodiert ist" (1972). Wenn man, nach dem üblichen wissenschaftlichen Sprachgebrauch, 'emisch' auf die distinktiven Merkmale beschränkt, alles andere ignoriert und aus dem Begriff 'etisch' jeden Bezug auf den Zweck der beobachteten Lauterscheinungen ausschließt, verliert die Dyade emisch ~ etisch jede Verwendbarkeit für die moderne Sprachwissenschaft. Insbesondere wird eine solche 'etische' Ebene, die in den Worten von Lévi-Strauss "zu lange von dem mechanistischen Materialismus und der sensualistischen Philosophie als selbstverständlich hingenommen wurde", zu einem unwirksamen Konstrukt. Gleich veraltet in ihrem engen Isolationismus und nutzlosen Abstraktionismus scheinen auf der einen Seite die Phonologie, die bei den Phonemen und ihren distinktiven Bestandteilen halt macht, und auf der anderen Seite die sprachliche Analyse, die jede Frage nach dem Zweck verwirft. Eine perzeptive Konstanz macht es den Gesprächsteilnehmern möglich, über einzelne Kontexte hinaus zu gehen und, bewußt oder unbewußt, die invarianten Signale aus den verschiedenen Umgebungen der zusammenwirkenden Merkmale und der benachbarten Phoneme herauszuschälen. Zwei Gehörsempfindungen werden als gleichwertig beurteilt. So identifizieren Mitglieder der russischen Sprachgemeinschaft die Opposition zwischen palatalisierten (erhöhten) und nicht palatalisierten Konsonanten in unterschiedlichen phonemischen Kontexten, trotz der erheblichen Differenz zwischen der physikomotorischen Realisierung von diversen palatalisierten Konsonanten in verschiedenen Umgebungen. In mehreren Untersuchungen (vgl. Bondarko und Zinder 1966) wurde auf die wichtigsten Besonderheiten hingewiesen, die die Palatalisierung russischer Konsonanten in ihrer Abhängigkeit von dem Vorhandensein oder Fehlen verschiedener benachbarter Vokale und vom gleichzeitigen Auftreten dieser Palatalisierung zusammen mit anderen Merkmalen des betreffenden Phonems aufweisen: es gibt also Unterschiede in der Palatalisierung von Sibilanten, Labiallauten und dentalen Verschlußlauten. Die Opposition des Vorhandenseins bzw. Fehlens der Palatalisierung bleibt die kategoriale Invariante der Wahrnehmung durch alle Transformationen der sequentiellen und gleichzeitigen Umgebungen hindurch. Schwierigkeiten bei der Analyse der sprachlichen Lautgestalt in distinktive Merkmale tauchen nur auf, wenn der Untersuchende nicht von der gegenseitigen Relation der Oppositionsglieder (z.B. die zwischen erhöhten und nichterhöhten), sondern von jedem Oppositionsglied f ü r sich ausgeht; nur durch eine streng relationale Abfolge von
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Operationen kann hier das Ziel des Sprechers/Hörers erfasst werden. Solange z.B. die drei Lauteinheiten des Giljakischen, das starke aspirierte [k h ], das schwache [k] und der Reibelaut [x] als drei getrennte Größen behandelt wurden, hatte man es mit zwei Relationen zu tun, einer zwischen Verschluß - und Reibelauten und der anderen zwischen zwei Verschluß lautarten. Wenn wir aber einsehen, daß in der anlautenden, starken Position das starke [kh] lediglich dem schwachen [k] gegenübersteht, und daß das nichtanlautende, in schwacher Stellung auftretende [k] nur dem Reibelaut [x] gegenübersteht, so müssen wir gezwungenermaßen die Äquivalenz der beiden Oppositionen zwischen stark und schwach anerkennen, eine Relation, die in der starken Position als stärkerer gegenüber einem schwächeren Verschluß und in schwacher Position als das Vorhandensein eines Verschlusses gegenüber dessen Fehlen realisiert wird. Es is zu bemerken, daß [k] in der starken Position als schwaches Glied und in der schwachen Position als starkes Glied ein und derselben Opposition fungiert: hier treffen wir auf ein deutliches Beispiel von dem, was irrtümlicherweise für die imaginäre "Überlappung zweier P h o n e m e " gehalten wurde (Bloch 1941). In einer konsequent relationalen Betrachtungsweise ist der subjektive, unklare Begriff der Gleichartigkeit bewußt durch das zwingendere Prinzip der Äquivalenz ersetzt worden, welches in der Wissenschaft untrennbar mit den Begriffen der Relativität und der Invarianz verbunden ist. Überdies kommt die Komplementarität zwischen der Herausarbeitung der Invarianz und der Bestimmung der Variablen in dem Giljakischen Beispiel klar zum Ausdruck: die Aspiration von [kh] und der kontinuierliche Charakter von [x] kennzeichnen die anlautende bzw. nichtanlautende Position. Jakobson und Halle (siehe RJ I: 468f.) haben hervorgehoben: Da die Unterscheidung semantischer Einheiten die unentbehrlichste unter den Lautfunktionen einer Sprache ist, lernen die Gesprächspartner in erster Linie, auf die distinktiven Merkmale zu reagieren. Es wäre jedoch falsch, zu glauben, daß sie alles übrige in den Lauten automatisch ignorieren könnten. Außer den distinktiven Merkmalen stehen dem Sprecher noch andere dem Kode angehörende informationstragende Merkmale zur Verfügung, die jedes Mitglied der Sprachgemeinschaft in gewohnter Weise benutzt und die von der Sprachwissenschaft keineswegs übersehen werden dürfen.
Während er auf die Gesamtheit all dieser verschiedenen Merkmale achtet, nimmt der Hörer die distinktiven Merkmale als unterschiedlich von den anderen funktionalen Bestandteilen der Sprachlaute wahr. Sie sind diskrete Wahrnehmungen, die laut den Neurobiologen durch eine
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vom Nervensystem gebrauchte Polarisierungsmethode in kategoriale Begriffe umgewandelt werden.
Die Identifizierung der distinktiven Merkmale In den Debatten über die distinktiven Merkmale hat die Frage nach ihrer Erkennbarkeit durch angeblich "naive" Sprecher zu einer Reihe von Kontroversen Anlaß gegeben. Der 'Kommutationstest', um den von Louis Hjelmslev vorgeschlagenen Terminus zu gebrauchen, macht es dem Linguisten möglich, eine eindeutige Antwort auf diese Frage zu geben; er stellt sich aber als unzuverläßiges Hilfsmittel heraus, wenn es um einen unerfahrenen Informanten geht. Wie Hockett herausgestellt hat (1955: 144f.), versetzt die Frage, ob zwei sprachliche Ereignisse "gleich" oder "verschieden" klingen, den Muttersprachler in Verwirrung, weil verschiedene Bedeutungsschattierungen, insbesondere emotive Varianten ohne bedeutungsunterscheidenden Wert, von ihm berechtigterweise als "andersklingend" beurteilt werden. Selbst wenn wir die leicht abgewandelte Frage stellen, ob die beiden Äußerungen "dieselbe Bedeutung haben oder nicht", kann leicht ein Mißverständnis entstehen, weil das Wort "Bedeutung" für den Informanten auch emotive Unterschiede beinhalten kann. Der früher vorgeschlagene Ersatz von "gleich- oder andersklingend" durch "reimend oder nichtreimend" würde den Muttersprachler noch mehr in die Irre führen, weil die Reimkonventionen in den meisten mündlichen und schriftlichen Überlieferungen einige distinktive Oppositionen aufheben. So z.B. reimen in der serbokroatischen Dichtung Vokale mit steigendem oder fallendem Akzent miteinander und Langvokale mit Kurzvokalen. Es genügt, z.B. die Kodes der chinesischen Reimkunst, die sogenannten "generischen" Reime der mittelalterlichen irischen Dichtung (vgl. Murphy 1961 und Ö Cuiv 1966) und skandinavische Reime miteinander zu vergleichen, um zu sehen, wie unterschiedlich und künstlich die Regeln der lautlichen Gleichsetzung in verschiedenen Konventionen der Reimtechnik sind. Wie Janos Lötz (1913-1973) zusammenfaßte, ist der Reim "ein kulturgebundenes Phänomen" und läßt in verschiedenen poetischen Formen "diverse und oft erhebliche Abweichungen von den Erfordernissen der Identität zu" (1972: 20). Die Frage nach der sogenannten 'differenzierenden' (gleich oder ungleich) Bedeutung, die dem naiven Sprecher gestellt wird, ist unzureichend, und zusätzliche Information ist erforderlich: "Was ist
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Die Lautgestalt der Sprache
eigentlich die Bedeutung jeder dieser beiden unterschiedlichen Äußer u n g e n ? " Der Informant ist sogar noch weniger effektiv bei der Behandlung des Äquivalenzproblems zwischen distinktiven Oppositionen in verschiedenen sequentiellen oder gleichzeitigen Merkmalskontexten. Die Entscheidung betreffs der Äquivalenz einer Relation wie z.B. anlautendes t:anlautendes d = auslautendes t:auslautendes d oder weiter wie t:d = s:z, kann v o m Sprachforscher nur anhand einer Suche nach der in den Variablen enthaltenen Invarianten getroffen werden. Weit davon entfernt, eine bloße Erfindung des Linguisten zu sein, sind solche Invarianten dem objektiven Kode inhärent, oder mit anderen Worten der tatsächlichen, obwohl u n b e w u ß t e n Kompetenz der Mitglieder der Sprachgemeinschaft. Trotz der motorisch-akustischen Differenz zwischen anlautendem und auslautendem p, t, k wird die Reduplikation ein und desselben Elements in solchen Vokabeln wie tit, tot, pap, pup, pip, kick, keck vom gewöhnlichen Sprecher intuitiv erfaßt, laut Sapirs bevorzugter Formulierung (1949: 548). Zu den Beweisen f ü r die offensichtliche Gegebenheit äquivalenter distinktiver Oppositionen zählt die Tatsache, daß das produktive Mittel der 'Vokalharmonie', das in verschiedenen Sprachen weitverbreitet ist und den Gebrauch zweier entgegengesetzter Vokalklassen innerhalb ein- und derselben Worteinheit verbietet, von einer oder zwei (sogar drei) aller inhärenten, in dem Vokalsystem der Sprachen der Welt vorhandenen Oppositionen Gebrauch macht: vorne ~ hinten, oder relativer ausgedrückt, weiter vorne ~ weiter hinten (dunkel ~ hell); gerundet ~ ungerundet (erniedrigt ~ nichterniedrigt); hoch ~ tief (diffus ~ kompakt); ungespannt ~ gespannt; nasaliert ~ nicht-nasaliert (vgl. S. 156f. unten). Überdies machen Verssysteme Gebrauch von den Oppositionen lang ~ kurz und betont ~ unbetont, und die Dichtung einiger Tonsprachen weist einen sogenannten 'tonalen Kontrapunkt' auf, ein auf einer Opposition zwischen zwei polaren Tönen beruhendes Wortspiel, welches f ü r die Yoruba-Dichtung besonders typisch ist (Bamgbose 1970: 112); siehe z.B. den Wechsel zwischen dem h o h e n Ton von / k ü / 'sterben' und d e m tiefen Ton von / k ü / 'bleiben': E n i ti y6. k ü yö. kü Eni ti o. kü ö. kü Eni ti ö, kü ni a k ö m ö
" T h o s e that will die will die T h o s e that will remain, will remain It is those that will remain that w e d o not k n o w "
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Die Sprachlaute und ihre Aufgaben
Die Art der Vokalharmonie, die tiefere (kompakte) Vokale höheren (diffusen) gegenübergestellt—/o/ gegenüber / u / , / e / gegenüber /i/— realisiert die beiden hinteren ungerundeten Vokale als (1) ein /a/, welches tatsächlich tiefer ist als / o / oder oder / e / , und (2) sein Gegenstück entweder als h l ('Schwa'), welches tatsächlich tiefer ist als / u / und Iii, oder als /ui/, welches jenen Vokalen in der Höhe gleichkommt. Diese beiden Varianten der Vokalanordnung sind auch verbreitet in den Sprachen, denen dieser Typ von Vokalharmonie fehlt oder die sogar überhaupt keine Vokalharmonie aufweisen (vgl. Havränek 1932: 31f.):
o u
a 3
o u
ui
Im Hinblick auf den streng relationalen Charakter der distinktiven Merkmale, kommt es nur auf die Äquivalenz der Relationen zwischen den beiden Oppositionsgliedern in jedem der drei Paare an, so daß beide Anordnungsvarianten lediglich zwei Realisierungen ein und desselben Systems sind: o u
a
e
3/UI
i
Die Betrachtung von Sedlacks (1969) umfangreichem Material über die Vokalsysteme der Sprachen der Welt enthüllt eine auffällige Divergenz zwischen den anscheinend asymmetrischen, ungeordneten Vokalanordnungen, die aus absoluten artikulatorischen Daten zusammengestellt wurden, und der äußerst regelmäßigen Struktur der konsequenten relationalen Gesetze distinktiver Merkmale, die den betreffenden Sprachen zugrunde liegen. So ist in den Vier-Vokal-Systemen (S. 32), die aus /e/ und /i/ als den tieferen bzw. höheren vorderen Vokalen und /a/ und / u / bzw. lol als den entsprechenden hinteren Vokalen bestehen, der Unterschied zwischen den lul- und lol- Realisierungen irrelevant. Sogar das Vier-Vokal-System mit lel und Iii als vorderen und lol und luil als hinteren Vokalen ist relational äquivalent. In einer Sprache mit lol und lul einerseits und /a/ und Iii andererseits ist das System auf gleiche Weise aufgebaut, aber die Opposition vorne ~ hinten wird durch gerundet ~ ungerundet ersetzt. In der physisch "asymmetrischen" tschechischen Anordnung mit ihrer Reihe von Konsonantenpaaren, die die Opposition stimm-
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Die Lautgestalt der Sprache
haft ~ stimmlos tragen, wird das stimmhafte Gegenstück des velaren / x / als stimmhafter Laryngallaut /fi / realisiert und liefert ein weiteres Argument f ü r die relativistische Theorie. Die Suche nach sowohl obligatorischen als auch probabilistischen Verteilungsregeln ist relevant bei der Untersuchung der distinktiven Merkmale, aber sie ist weder selbständig noch kann sie o h n e Berücksichtigung des lautlichen Stoffs wie auch der semantischen Seite eines jeden Merkmals erreicht werden. Hartnäckige Argumente, die die Unentbehrlichkeit dieser beiden Aspekte leugnen, sind wiederholt in der linguistischen Literatur aufgebracht worden. Die distinktiven Merkmale bestehen aus formalen Oppositionen, die spezifiziert und individualisiert werden durch die phonischen Vorbedingungen, auf denen sie aufgebaut sind. Radikale Verfechter der Glossematik haben sich bemüht, das System der zugrundeliegenden Bestandteile ohne jeglichen Bezug auf die Lautsubstanz aufzudecken. In einer lebhaften Diskussion im Kopenhagener Linguistenkreis am 26. Mai 1950 griff ein überzeugter Verfechter der Glossematik, die die ' F o r m ' von der 'Substanz' zu befreien suchte, die Prager Ansichten über Sprache an (vgl. Fischer-J0rgensen 1966: 26ff.). Für eine künstliche Sprache mit solchen Formativen wie a, pa, ta und at glaubte dieser Diskussionsteilnehmer eine praktikable Methode gef u n d e n zu haben, u m den Vokal a zu identifizieren, indem er diese Konstituente als die einzige charakterisierte, die allein auftreten kann. Ein solches Vorgehen setzt jedoch das Wissen voraus, daß die [a] dieser ganzen Reihe ein und dieselbe G r ö ß e realiseren. W e n n jeder Bezug auf den phonischen Stoff verboten ist, so scheint die Vorstellung der vier gleichgestellten [a], wie in einem methodologischen Argument polemisch behauptet wurde, "auf dem schwarzen Markt der Lautsubstanz gekauft worden zu sein". Solch ein verbotener, unkontrollierter Gebrauch von Lautmaterial, welches keinen analytischen Operationen unterworfen ist, die dieses Rohmaterial in sprachliche Form bringen würden, schafft eine illegitime, unüberbrückbare Kluft zwischen Form und unartikulierter Substanz. Andererseits sind Versuche gemacht worden, die P h o n e m e einer gegebenen Sprache durch reine Verteilungskriterien zu bestimmen. So z.B. wurden polnische stimmhafte Obstruenten vorläufig definiert als Konsonanten, die nicht im Wortauslaut v o r k o m m e n . Solche methodologischen Vorläufigkeiten gaben den Anstoß zu einer geistreichen Definition, die vor einiger Zeit unter amerikanischen Linguisten populär war: "ein Speisewagen ist ein Wagen, der nicht zwischen zwei Güterwaggons stehen k a n n " . In einer Analyse des Wagenstandes können wir diese Definition nicht als Ausgangspunkt be-
Die Sprachlaute und ihre Aufgaben
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nutzen, weil wir, um dieses Verteilungsgesetz aufzustellen, vorher wissen müssen, welche der Konstituenten des Zuges als Güterwaggons und welche als Speisewagen identifiziert werden können, und wir müssen die besonderen Aufgaben dieser beiden Arten von Wagen erkennen (die sogar den Anstoß zu ihren Namen gaben, die sich auf "Güter" und "Speisen" beziehen). In einem Speisewagen werden in erster Linie Mahlzeiten serviert, ebenso wie das Merkmal stimmhaft ~ stimmlos dazu dient, sprachliche Bedeutungen zu unterscheiden (und diese Aufgabe bewirkte die Hinzufügung des Attributs 'distinktiv' zu dem Substantiv 'Merkmal'). Ein Speisewagen, in dem keine Mahlzeiten serviert werden, und ein distinktives Merkmal, welches nicht dazu dient, Bedeutungen zu unterscheiden, sind Widersprüche in sich selbst. Die auf die Merkmale angewandten Regeln der Verteilung spezifieren die bedeutungsunterscheidende Rolle der letzteren, die Beschränkungen dieser Rolle und das Wechselspiel zwischen den distinktiven, redundanten und konfigurativen Merkmalen, aber solche Regeln können kaum der Definition und der Spezifizierung der distinktiven Merkmale zugrundeliegen. Diese Situation impliziert den Vorrang der Merkmale über die Regeln, die die Wirksamkeit der distinktiven Oppositionen beschränken. Erst die Existenz eines Systems solcher Oppositionen befähigt die Laute, eine Bedeutung zu tragen, und die Sprache, ihre Funktionen zu erfüllen. "Verkehrsregeln" helfen, die Kommunikation zu regeln, aber ohne Fahrzeuge gäbe es keinen Verkehr. Sinnunterscheidung und Sinnbestimmung Man muß beide Funktionen der distinktiven Merkmale berücksichtigen. Die offensichtlich primäre Funktion, die bedeutungsunterscheidende (rein distinktive), ordnet dem Merkmal die Fähigkeit zu, die semantische Gleichartigkeit oder Andersartigkeit zweier sinnvoller sprachlicher Einheiten—mit einer an 1,0 grenzenden Wahrscheinlichkeit—zu kennzeichnen. Die zweite Aufgabe, die die erste notwendigerweise voraussetzt, ist eine bedeutungsbestimmende, oder in der vom Prager Kreis eingeführten Terminologie 'mor(pho)phonologische' Funktion: die Anordnung der Merkmale gibt Auskunft über die Ableitungs- und/oder Flexionsstruktur und die grammatische Bedeutung der betreffenden Einheiten. Die Abgrenzung der zwei miteinander verbundenen, aber noch voneinander unterscheidbaren Funktionen der Phoneme (und ebenso der distinktiven Merkmale) hat schon Baudouin de Courtenay erreicht mit seiner Behandlung der Frage von
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Die Lautgestalt der Sprache
Laut und Bedeutung und der verschiedenen morphologischen Anwendungen der signifikanten Lautdifferenzen. Er postulierte wiederholt einen klaren Unterschied zwischen den beiden Anwendungen von Phonemen: lexikalisierte (d.h. sinnunterscheidende) einerseits und grammatikalisierte (d.h. sinnbestimmende) andererseits. Diskussionen über das Verhältnis zwischen diesen beiden unterschiedlichen Funktionen der Phoneme halten in der russischen sprachwissenschaftlichen Tradition seit einem Jahrhundert an (vgl. Reformatskij 1970). Für eine jede gegebene Sprache ist die Wechselbeziehung der beiden heterogenen und zugleich verwandten Aufgaben der Phoneme "in eine Menge exakter Regeln umzusetzen", wie die Prager seit dem ersten Linguistenkongresses an hervorhoben. Wie Trubetzkoy in einer Mitteilung aus dem Jahre 1930 behauptete (siehe 1975: 153): "neben den eigentlich allgemeinen Strukturgesetzen der Phonologie bestehen auch Gesetze, die durch einen besonderen Typ der morphologischen (und vielleicht auch lexikalischen) Struktur der Sprachen beschränkt werden. Da die Sprache ein System ist, muß folglich eine enge Verbindung zwischen der grammatischen und der phonologischen Struktur bestehen". Die Frage nach der Interdependenz "zwischen der phonomatischen und der grammatischen Seite der Sprache" stand auf der Tagesordnung einer Plenarsitzung des 6. Internationalen Linguistenkongresses, der 1948 in Paris gehalten wurde. In dem Bericht (vgl. RJ II: 103ff.), der die zahlreichen Beiträge zusammenfaßte, wurde festgestellt, daß "weder die Autonomie dieser beiden sprachlichen Aspekte Unabhängigkeit bedeutet, noch impliziert ihre gegenseitige Interdependenz ein Fehlen von Autonomie". In dem Bericht wurde ausdrücklich vor allen Versuchen gewarnt, "sich auf ein einfaches Inventar von distinktiven Merkmalen und ihren gleichzeitigen und sukzessiven Konfigurationen ohne jede grammatische Spezifizierung ihres Gebrauchs zu beschränken". Verschiedene konfigurative Anordnungen distinktiver Merkmale, die zur Kennzeichnung von Morphem- und Wortgrenzen dienen, wurden angeführt, ebenso wie Beispiele von Gruppen von Merkmalen, die auf gewisse Klassen grammatischer Einheiten beschränkt sind, wie zum Beispiel die russische Regel, die die Zulässigkeit von monophonematischen Morphemen in flektierten Wörtern begrenzt: nur grammatische Endungen können aus einem einzigen Vokal bestehen, und nur pronominale (also auch grammatische) Wurzeln können auf einen einzigen Konsonanten beschränkt werden. Ebenso sind konsonantische Stammalternanzen im Russischen auf Konjugationsparadigmen im Gegensatz zu Deklinationsparadigmen beschränkt. Die Kürzung vor Verbalstämmen mit
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auslautendem Vokal vor dem Vokal des Flektionssuffixes ist eine der Manifestationen dieser Regel. Ein weiteres charakteristisches Beispiel wird geliefert durch die Begrenzung der auslautenden Konsonanten in englischen Flexionssuffixen auf eine einzige Reihe von Obstruenten—[d] und [z] (mit ihrer kontextbedingten automatischen Substitution durch [t] und [s]) und [n] in unproduktiven Formen, während der velare Nasal [13] der Endung -ing in dieser Funktion zu verschwinden neigt (likin vs. Viking). Noch explizitere Information wird im Englischen geliefert durch die Beschränkung von anlautendem ungespanntem (stimmhaftem) interdentalem / d / auf rein grammatische, hauptsächlich deiktische Wörter mit demonstrativen und relativen Bedeutungen, in dieser Hinsicht wohlweislich von L. Bloomfield definiert als "Wörter, deren Bedeutung einer hinweisenden Geste ähneln", wie z.B. this, that, they, their, thee, thou, then, there, thus, than, though, the. Auf ähnliche Weise stellt /hw/ einen charakteristischen Bestandteil der englischen Interrogativpronomen what, which, where, when, why, whether, how (mit einer Inversion) und who (mit einem Zusammenfall von [w] und [u]) dar. Die sinnbestimmende Rolle der distinktiven Merkmale wird in den Vordergrund gestellt durch solche Beispiele wie das Auftreten von Nasalität, entweder konsonantisch oder vokalisch, in all den verschiedenen Endungen des polnischen Instrumentalis—/-em, -ami, -im, -imi, -öl. In den russischen Deklinationsendungen kommt m lediglich in den drei Randfällen vor—Instrumentalis, Dativ und Lokativ (für weitere Beispiele, siehe RJ II: 178f.). Der Untersuchungsprozeß der sinnbestimmenden Funktion der distinktiven Merkmale verspricht eine immer tiefergreifende Analyse von Themen wie zum Beispiel dem Aufbau von Morphemen, ihrer Auswahl und Kombinationen, so daß die Morphologie sich zu einer phonologischen Beschreibung von "grammatischen Prozessen" entwickeln wird, die unlösbar verbunden sind mit einer semantischen Untersuchung von entsprechenden "grammatischen Begriffen", nach Sapirs Gebrauch (1921: Kap. 4) dieser beiden korrelativen Termini. Bis vor kurzem waren die meisten Bemühungen der letzten hundert Jahre, die grammatische Verwendung der Lautstruktur einer gegebenen Sprache aufzudecken, fast ausschließlich und in jedem Fall in erster Linie auf die Veränderlichkeit des Aufbaus grammatischer Einheiten, vor allem der Stämme bezogen. Man hat große Fortschritte gemacht in Richtung auf die adäquate Interpretation solcher unterschiedlichen und ganz anders gearteten Alternationen, wie derjenigen in dem Stamm des russischen Verbs vedu 'ich f ü h r e ' —[v'id-] in vedit, [v'id'-l in
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Die Lautgestalt der Sprache
vecfet, [v'is'-l in vestt, [v'o] in vel, [v'et-] in vetsi, [vad'-] in vodit', [vod'-] in vodit, [vot-] in uvöd, [vaz-] in vozü, [väz-] in väzival, [vazd'-] in vozdi und [vost'] in vözd'—während die Konstruktionsregeln in invariablen Morphemen (und einige Sprachen schließen Alternationen aus) größere Aufmerksamkeit von Seiten der Forscher erfordern als dies bisher der Fall war.
Autonomie und Integration Beträchtliche Fortschritte bei der Untersuchung von grammatischen Einheiten, die in ihrer lautlichen Zusammensetzung veränderlich sind, sind von Chomsky und Halle (1968) gemacht worden. Man kann Chomskys Feststellung nur beipflichten, "daß die Phonologie als Ganzes nicht ohne Verzerrung in völliger Unabhängigkeit von höheren Strukturebenen untersucht werden kann", und ebenso seiner negativen Einstellung gegenüber der "absurden These der Untrennbarkeit der Phonologie" von der Grammatik. Natürlich beinhaltet die sinnunterscheidende Funktion der distinktiven Merkmale, im Gegensatz zu ihrer sinnbestimmenden Rolle, keine direkte Verbindung zur Grammatik. Um diese notwendige Abgrenzung ist unglücklicherweise eine leere Diskussion entbrannt, ob die Phonologie eine "autonome" Disziplin ist oder nicht, als ob "Autonomie" synonym mit "Unabhängigkeit" wäre. In der Tat ist der Begriff der Autonomie untrennbar verbunden mit dem der Integration und hat so schon lange seine Unverträglichkeit mit dem gräßlichen Schlagwort der "völligen Unabhängigkeit" oder des "Isolationismus" bewiesen (vgl. RJ I: 314). Die neuerlich vertiefte Einsicht in die Alternanzregeln und in ihre morphologischen und syntaktischen Vorbedingungen erfordert ebenso, daß der Struktur von nicht-alternierenden Morphemen und ihren Gruppierungen zu höheren grammatischen Einheiten größere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Andererseits verlangt die zunehmende Beschäftigung mit dem grammatischen Gebrauch der distinktiven Merkmale eine neue und eingehendere Untersuchung ihrer bedeutungsunterscheidenden Verwendung, ihrer funktionalen Belastung, worauf Vilem Mathesius (1882-1945) zuerst hingewiesen hat, und notwendigerweise ihrer eigenen Struktur und ihrer Wechselbeziehungen. Im Zusammenhang mit der Struktur der Grundbestandteile der Sprache können wir noch einmal auf Peirce, und zwar auf seine Theorie der Gruppen, verweisen: "Wie ist es möglich, daß ein unzerlegbares Element irgendwelche Strukturunterschiede aufweisen kann? Bei der inneren Struktur wäre dies offensichtlich
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unmöglich. Aber was die Struktur seiner möglichen Zusammensetzungen angeht, so sind begrenzte Strukturunterschiede möglich" (I: 289).
Universalien Die Menge der in den Sprachen der Welt bestehenden distinktiven Oppositionen zusammen mit bestimmten Selektionen einer Gruppe von Oppositionen, die in ein und derselben Sprache gleichzeitig auftreten können, Gesetze, die solche Koexistenz einschränken, und Gesetze, die die Kombinierbarkeit distinktiver Merkmale in ihren zusammenwirkenden Bündeln (insbesondere Gesetze der einseitigen Fundierung) regeln, und die hierarchischen Relationen zwischen und in den verschiedenen Oppositionen—all diese dem Netz distinktiver Merkmale inhärenten Aspekte sind als die zentrale durchstrukturierte Gesamtheit der Verbindungen zwischen dem signans und dem signatum von größtem Interesse. Das System der distinktiven Merkmale, die grundlegende formale Vorbedingung für die semiotischen Ziele der Sprache, ist keineswegs, um Cassirers Bild zu gebrauchen, "ein bloßes Mosaik, ein bloßes Aggregat zerstreuter Empfindungen". Ein bloßes mechanisches Verzeichnis der Merkmale würde uns von einer echten Einsicht in "die innere Konfiguration des Lautsystems einer Sprache, die intuitive 'Stellung' der Laute einander gegenüber" abhalten (siehe Sapir 1949: 35f.). Die aufmerksame Untersuchung des allmählichen Erwerbs der ersten Sprache durch Kinder in verschiedenen Sprachgebieten deckt gemeinsame Gruppen von geordneten Gesetzen auf, oder zumindest Tendenzen, die den Regeln ähnlich sind, welche der Struktur der Sprachen auf der ganzen Welt zugrundeliegen. Diese Korrespondenzen sind besonders wertvoll, wenn man die Tatsache in Betracht zieht, daß die Entfaltung der Lautgesetze in der Kindersprache mit der frühen, holophrastischen Periode beginnt, d.h. vor dem Auftreten der ersten streng grammatischen (d.h. morphologischen und syntaktischen) Regeln. Das Problem der beiden eng miteinander verbundenen sprachlichen Aspekte—Universalität und Diversität—war schon immer ein Thema philosophischer Diskussionen und ist ein wesentlicher Streitpunkt der heutigen Sprachwissenschaft geworden. Die leichter zu beantwortenden Fragen und die besseren Aussichten f ü r die Aufstellung einer linguistischen Typologie decken ständig Beziehungen zwischen fundamentalen Eigenschaften in der Grammatik und im Lautsystem der Sprachen auf und bringen uns einer Einsicht in linguisti-
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Die Lautgestalt der Sprache
sehe Universalien ohne Rückgriff auf metaphysische Spekulationen immer näher. Die von vornherein intuitiv erkennbare phänomenale Einheit der Sprachen konvergiert notwendigerweise mit den aus einer immer wachsenden Anzahl der Sprachen gewonnenen Daten. Zweifellos erfordert die Entdeckung universeller Eigenschaften größte Sorgfalt. Jede Engstirnigkeit, jede verallgemeinernde Behauptung, die auf der eigenen Muttersprache (z.B. Englisch) oder einer Schulsprache (wie Latein) beruht, ist äußerst gefährlich. Und ein bloßer Vorrat von angenommenen Universalien ist, wie jedes mechanische Verzeichnis, eine unvollkommene Leistung: die Stellung dieser Eigenschaften in der inneren Organisation der Sprachen sollte man nicht außer Acht lassen. Es sind pessimistische Stimmen, die an der Möglichkeit zweifeln, vergangene, gegenwärtige und zukünftige Stufen der sprachlichen Welt exakt zu erkennen, gegen die Suche nach Universalien laut geworden und werden es bleiben: "Mais qui pourrait se vanter d'avoir fait un examen exhaustif de toutes les langues existentes ou attestées? Et que dire des langues disparues sans laisser de traces et celles qui apparaîtront demain sur la terre?" (Martinet 1955: 74). Kurz, was garantiert uns, daß nicht eine einigen dieser angeblichen Universalien widersprechende Sprache in den Dschungeln Brasiliens entdeckt oder irgendwo während des vierten Jahrtausends A.D. entstehen wird? In der Tat hat man einige vereinzelte Stammessprachen entdeckt, die irgendwelche früher als universal angenommene Eigenschaften nicht aufweisen. Solange der australische Ameisenigel und das tasmanische Schnabeltier—von denen beide Eier legen—den Zoologen unbekannt waren, betrachtete man die vivipare Fortpflanzung als eine wesentliche Eigenschaft aller Säugetiere. Die Entdeckung von eierlegenden Säugetieren führte zu einer neuen Definition des Lebendgebährens als Eigenschaft der überwiegenden Mehrheit der Säugetiere und zu einer tieferen Einsicht in den Ausnahmecharakter der eierlegenden Säugetiere. Wenn in der Linguistik die für universell gehaltenen Eigenschaften sich als nur fast universell erwiesen, und wenn unter den über tausend der gelehrten Welt mehr oder weniger bekannten Sprachen nur eine winzige Anzahl von Sprachen mit einer Handvoll Sprechern vereinzelte Abweichungen von den von der überwiegenden Mehrheit der Sprachen und Sprecher gebrauchten Anordnungen aufwiese, so würden diese äußerst seltenen Ausnahmen eine besondere Untersuchung der inneren und äußeren Bedingungen, die eine solche "Anomalie" erzeugen, erfordern, und sie würden uns geradezu herausfordern, die Gründe für den beinahe universellen Charakter der be-
Die Sprachlaute
und ihre
Aufgaben
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treffenden Eigenschaft zu suchen. Bei der Suche nach Universalien, wie bei allen linguistischen Operationen, hat man es nicht nur mit Sicherheit, d. h. Wahrscheinlichkeit 1,0, zu tun, sondern auch mit Fällen, wo die Wahrscheinlichkeit an 1,0 grenzt und bei denen die überwiegende Mehrheit berücksichtigt werden m u ß . Es ist auch zu bemerken, daß einige der seltensten Besonderheiten in Sprachen mit einer höchst beschränkten Kommunikationsbreite und Sprecheranzahl, besonders in fast ausgestorbenen Sprachen—kurz, in Sprachen mit vermindertem kommunikativem Gewicht—zu finden sind. In seiner Einführungsvorlesung aus dem Jahre 1870 (siehe 1963 I: 57) behauptete Baudouin: Ausnahmen, die man einer exakten Analyse unterwirft, hängen von gewissen Ursachen ab, von gewissen Kräften, die es verhinderten, dq/3 die dem gegebenen Gesetz zugrundeliegenden Ursachen oder Kräfte die scheinbaren Ausnahmen umfaßten. Folglich werden wir zugestehen müssen, daß unsere verallgemeinerte Formulierung eines solchen Gesetzes unzureichend war, und daß das genus proximum des postulierten Gesetzes durch eine einschränkende differentia specifica zu ergänzen ist. Dann wird die vermeintliche Ausnahme, streng genommen, zu einer klaren Bestätigung des allgemeinen Gesetzes.
Die fundamentale Unterscheidung zwischen 'kontextsensitiven' und 'kontextfreien' Sprachen findet breite Anwendung in den zeitgenössischen Kommunikationswissenschaften und findet ein lehrreiches Beispiel in dem großen Unterschied zwischen dem kontextsensitiven Charakter der "natürlichen" Sprachen und der kontextfreien Organisation verschiedener "formalisierter" Sprachen. Die feste gegenseitige Beziehung zwischen der Invarianz und den kontextbedingten Varianten, die f ü r eine jede "natürliche" Sprache auf allen Ebenen charakteristisch ist, ist anzuerkennen und in der vergleichenden Sprachanalyse im Hinblick auf ihre universellen Grundlagen zu untersuchen; die verschiedenen Sprachen sind als unterschiedliche Kontexte zu betrachten, die natürlich kontextbedingte Varianten mit zugrundeliegenden Invarianten aufweisen. Diese Ansicht ist das logische Ergebnis der Anerkennung der linguistischen Universalien. Wenn es in einer gegebenen Sprache eine Opposition zwischen einem einfachen, ungerundeten Konsonanten und dem entsprechenden Konsonanten mit Lippenrundung gibt, und wenn in einem anderen Kontext, z.B. vor einer gewissen Gruppe von Vokalen, derselbe einfache Konsonant nicht einem gerundeten, sondern einem pharyngalisierten Konsonanten gegenübersteht, dann müssen wir in Betracht
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Die Lautgestalt der Sprache
ziehen, daß die Verengung der vorderen, labialen Öffnung und die Verengung der hinteren, pharyngalen Öffnung eine gleichwertige Senkung der Klangfarbe bewirken. Daher betrachten wir die R u n d u n g und die Pharyngalisierung als zwei kontextbedingte Varianten ein und desselben distinktiven Merkmals (siehe unten, S. 123ff). W e n n sich gewisse Konsonanten in einer Sprache durch das Vorhandensein bzw. Fehlen der R u n d u n g unterscheiden und gewisse andere Konsonanten durch das Vorhandensein bzw. Fehlen der Pharyngalisierung, dann stellen sich R u n d u n g und Pharyngalisierung ebenso als zwei kontextbedingte, durch den Unterschied gleichzeitig auftretender Merkmale bedingte Varianten heraus. Dieselbe Methode ist bei der vergleichenden Analyse verschiedener Sprachen anzuwenden. W e n n einige der Sprachen einfachen Konsonanten gerundete gegenüberstellen, während andere sie pharyngalisierten gegenüberstellen, so können beide Oppositionen nur als Varianten ein und desselben distinktiven Merkmals interpretiert werden, in Übereinstimmung mit dem Ockhamschen Prinzip: Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem. Bei der vergleichenden Untersuchung der Merkmalsanordnungen in Sprachen sollte man sowohl auf d e n invarianten Kern einer gegebenen Opposition als auch auf ihre variablen Realisierungen achten, o h n e die beiden miteinander zu verwechseln. Es versteht sich, daß eine solche vergleichende Analyse nie mit einem Handbuch der Aussprache gleichgesetzt werden darf. Sonst m ü ß t e man die zehn bis zwölf in den Handbüchern der Phonetik als in verschiedenen Sprachen vorhanden klassifizierten Varianten des a den unterschiedlichen einzelnen Merkmalen zuordnen. Im Jahre 1932 bemerkte Trübetzkoy präzis: viele Sprachen nützen den Unterschied zwischen einer helleren und einer dunkleren Variante von Konsonanten in bedeutungsunterscheidender Funktion aus. Zu diesem Zweck können völlig verschiedene artikulatorische Mittel verwendet werden. < . . . > Die dunklere Färbung kann durch Lippenrundung oder durch das Zurückziehen der Zunge ('Velarisierung') oder durch die Kombination dieses Zurückziehens der Zunge mit einer pharyngalen Verschiebung (die 'emphatischen Laute' der semitischen und afrikanischen Sprachen), oder, besonders bei Dentallauten, durch das Zurückziehen der Zungenspitze ('Retroflektion'), usw. erreicht werden. Alle diese Vorgänge sind artikulatorisch verschieden und können allein aus akustischer Sicht vereinigt werden. Aber für phonologische Zwecke ist eine solche Vereinigung sehr wichtig. [1975: 461]
Trubetzkoys Bemerkungen stellten sich als nicht n u r auf die akustische Wirkung der a n g e f ü h r t e n Konsonanten anwendbar heraus.
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Die gemeinsamen Besonderheiten all dieser Konsonantenklassen werden in der Tat auf der akustischen Ebene wie auch bei der Lautproduktion deutlich; die Senkung der Klangfarbe ist sowohl auf eine Reduzierung der Öffnung als auch demzufolge auf eine Zunahme des Volumens des Mundraums selbst (vgl. unten, S. 105f.) zurückzuführen. Die Betrachtung der strengen, ausnahmslosen Universalien und Quasi-Universalien im Hinblick auf die distinktiven Merkmale legt ein System von strengen inneren Regeln offen. Das universelle Repertoire der Möglichkeiten, aus denen eine gegebene Sprache eine Auswahl trifft, spiegelt die Fähigkeit des menschlichen Geistes wider, gewisse Lautelemente für ihren wirksamen Gebrauch als distinktive Oppositionen zu polarisieren. Die äußerst beschränkte Anzahl der distinktiven Merkmale nicht nur in einer einzelnen Sprache sondern in allen Sprachen der Welt zeigt, daß im Vergleich zu der großen Varietät der akustisch-motorischen Produktionen nur eine sehr kleine Anzahl derselben als diskrete perzeptive Werte brauchbar erscheinen. Unter den mannigfachen physischen Kleinigkeiten, die beim Lallen eines Kindes auftauchen, gibt es Elemente, die in der menschlichen Rede oder zumindest in ihren begrifflichen, keine Ausrufe beinhaltenden Einheiten keinen Gebrauch finden. Die stimmhaften und die stimmlosen Varianten des bilabialen Zitterlautes im Englischen, brrr oder prrr geschrieben und als Lallen und Interjektion häufig, sind nicht im Weltinventar der Phoneme zu finden, wie Jespersen (1931: §16) bemerkt. In seiner Übersicht beschreibt er einen Zwischenlaut zwischen [p] und [t] oder [b] und [d] oder [m] und [n], der durch einen Verschluß der Zungenspitze mit der oberen Lippe gebildet wird: "doch obwohl er eine der von Kindern in den frühen Lebensjahren bevorzugten Artikulationen darstellt, kommt er in echter Sprache kaum vor." Der Autor zitiert diese Phonation als Ausdruck des Ekels in der dänischen Interjektion, die gewöhnlich ptoi (§30) geschrieben wird. Auch unter den zahlreichen Lautarten, die Phonetiker in unseren Äußerungen zu unterscheiden vermögen, sind nur wenige dazu geeignet, eine bedeutungsunterscheidende Funktion zu erfüllen und so von distinktiven Merkmalen ausgenutzt zu werden.
Die Sprachwahrnehmung Der perzeptive Wert der distinktiven Merkmale regelt ihre physikomotorische Seite und ist direkt mit der akustischen Ebene verbunden, die in der Sprache dem Sprecher und dem Angesprochenen gleich-
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mäßig zur Verfügung steht (siehe oben, S. 27f.): "L'impression produite sur l'oreille", wie Saussure in einer heute noch gültigen Behauptung feststellte, "est la base naturelle de toute théorie. La donnée acoustique existe déjà inconsciemment lorsqu'on aborde les unités phonologiques; c'est par l'oreille que nous savons ce que c'est qu'un b, un t, etc." (1916: 100; vgl. Malmberg 1968). In den letzten Jahren hat man die Frage nach der motorischen Rückkoppelung des Hörers aufgeworfen und ist ihr mit besonderer Aufmerksamkeit und Beharrlichkeit nachgegangen. Solch eine Rückkoppelung verstärkt ohne Zweifel die perzeptive Fähigkeit des Hörers. Außerdem kann die große Bedeutung der unmittelbaren auditiven Perzeption f ü r den Hörer (vgl. D. B. Frys Motto: "Die Perzeption geht der Produktion voraus") durch viele überzeugende Beispiele bekräftigt werden. Nach Hans-Lukas Teuber (1916-1977) "widerlegt der Fall des Kindes im vorsprachlichen Alter, mit seinen erstaunlichen Methoden, von ihm noch unartikulierbare Sprachlaute zu klassifizieren, jegliche Vorstellung, daß wir unsere Wahrnehmungen der Laute formen, erst nachdem es uns gelungen ist, die entsprechenden Bewegungen unseres Sprechapparats richtig zu koordinieren" (1976). Auch vor ihren ersten Sprechversuchen zeigen Kinder die Fähigkeit, gesprochene Sprache zu erkennen und zu verstehen. Bruner verweist auf ein überall belegtes Spiel: in Antwort auf die Bitte ihrer Mutter, auf Mund, Augen, Nase usw. zu zeigen, berühren Kinder die entspechenden Teile ihres eigenen Kopfes wie auch die ihrer Mutter (1977: 275). Aber man sollte die auditiven Fähigkeiten des Neugeborenen nicht übertreiben, indem man in dieser Hinsicht fötale Reaktionen auf die Sprache der Mutter einige Wochen vor der Geburt anführt (vgl. Bernard und Sontag 1947; Cutting und Eimas 1974; Truby 1971). In den frühen Stadien des aktiven Spracherwerbs werden signifikante Unterschiede in der Sprache der Erwachsenen vom Kind erkannt, das selber noch nicht imstande ist, diese Unterschiede zu produzieren. Ein besonders wichtiges Kennzeichen dieses Stadiums bilden die Einwände des Kindes gegen die Versuche der Erwachsenen, seine Sprechweise nachzuahmen, indem sie diejenigen distinktiven Merkmale auslassen, die es selber in seiner eigenen Sprachverwendung noch nicht entwickelt hat (siehe unten, S. 174). Ein weiteres deutliches Beispiel der signifikanten Merkmale, die vom Hörer wahrgenommen und verstanden werden, der sie aber in seiner eigenen Sprachverwendung noch nicht reproduzieren kann, beobachtet man in den Erfahrungen von Leuten, die sich an die Sprache ihrer fremden Umgebung gewöhnt haben und alle in dieser Sprache geäußerten-Minimalpaare begreifen, die aber selber diese Merkmale
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in ihrer eigenen Aussprache konsequent auslassen. So werden nach der wertvollen Information, die wir dem georgischen Sprachwissenschaftler Thomas V. Gamkrelidze verdanken, einige fundamentale Oppositionen des georgischen Konsonantensystems in der russischen Aussprache unterdrückt: 1) die behauchten Konsonanten werden zu ihren merkmallosen unbehauchten Gegenstücken (/t h / ~ / t / , /p h / ~ /p/, /k h / ~ / k / ) - ( r * a / 7 'Musikinstrument' ~ tari 'Griff', phuri 'Kuh' ~ puri 'Brot', khari 'Wind' ~ kari 'Tür'); 2) die glottalisierte (gehemmte) Affrikate wird zu der nichtglottalisierten (/£'/ ~ /c/, /c ? / ~ /c/) — (c^iri ' K u m m e r ' ~ ciri 'Dürrobst', c'eli 'Jahr' ~ celi 'Sense'); 3) der postvelare glottalisierte Konsonant wird zu einem stimmlosen velaren Verschlußlaut {q>epha 'Bellen' ~ kepha 'Hinterkopf'). Wie Gamkredlidze bestätigt, bemerken Russen solche Modifikationen sofort und protestieren dagegen, wenn georgische Muttersprachler davon Gebrauch machen, obwohl sie selbst gewohnheitsmäßig diesselben Substitutionen vornehmen. Die Entwicklung der Fähigkeit des Kindes, die primären distinktiven Merkmale aus dem Inventar der Merkmale, die es in der an es gerichteten Sprache der Erwachsenen wahrnimmt, herauszuschälen, kann nicht als Bestätigung des allmählichen und langsamen Wachstums seiner artikulatorischen Fertigkeit gedeutet werden. Die vorsprachliche Lallphase des Kindes zeigt oft eine erstaunliche Varietät in der motorischen Produktion, die später hinter den überraschden Mangel an "funktionalen Lauten" bei seiner anfänglichen Sprachverwendung zurücktritt. Z.B. bemerkt Natalie Waterson in ihren scharfsinnigen Beobachtungen zum sprachlichen Wachstum ihres Sohnes, da/3 der Laterallaut [1], der in seiner Lallphase sehr häufig vorkam, in seinem anfänglichen Sprachgebrauch eine Zeitlang fehlte (1970: 6). A. N. Gvozdev, der Pionier der systematischen Erforschung der Kindersprache, bemerkte, daß Kinder während der Lallphase Laute produzieren, "die an Schnipsen, Tropfen, Platschen und Vogelgezwitscher erinnern, Laute, die nicht nur bei Erwachsenen fehlen, sondern die Erwachsene manchmal gar nicht produzieren können. Später, beim Erwerb seiner Muttersprache, verliert das Kind selbst die Fähigkeit, solche Laute und Lautverbindungen zu ä u ß e r n " (1961: 120). Diejenigen Kommentatoren, die dazu neigen, die ersten sprachlichen Äußerungen eines Kindes am Ende der Säuglingsphase aus seinem Lallen abzuleiten, lassen die relevante Tatsache außer Acht, daß in der Regel im Verhalten der Kinder Lallen und die Anfänge sprachlicher Aktivitäten klar voneinander getrennt sind, entweder als zwei gleichzeitige aber deutlich getrennte Tätigkeitsformen, oder vielmehr als zwei zeitlich voneinander abgegrenzte Stufen—ein kürzeres oder
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längeres Intervall der Wortkargheit oder sogar des Schweigens trennt die neue, sprachliche Stufe von der früheren Lallphase oft ab—und daß die Varietät und Fülle der gelallten Laute einer rigorosen Verknappung der Sprachlaute weicht. Es liegt nichts Rätselhaftes darin, daß das Kind bei seinen anfänglichen Schritten des Spracherwerbs stufenweise diejenigen Lautoppositionen auswählt, die am wichtigsten f ü r die Perzeption und die Reproduktion sind, die am leichtesten auswendig gelernt werden können und daher am geeignetsten als stabiles und signifikantes Kommunikationsmittel zwischen Sprecher und Hörer in ihren austauschbaren Rollen sind. Das vom Kind spontan ausgewählte System der distinktiven Merkmale sichert enge Beziehungen zwischen den akustischen Reizen und den artikulatorischen Reaktionen als notwendige Vorbedingung f ü r seine Aktivitäten als Gesprächsteilnehmer an den Dialogen im engeren Familienkreis. Einige beweiskräftige empirische Daten zu der primären Rolle, die der auditive Faktor bei der Sprachperzeption spielt, sind von David S. Palermo (1975) zur Diskussion gestellt worden, und zwei seiner Argumente seien hier angeführt: die Sprachwahrnehmung entwickelt sich vor der Sprachproduktion und ist in pathologischen Fällen auch ohne produktive Fähigkeiten möglich, wohingegen "das Umgekehrte nie der Fall ist". Das Unvermögen des von Geburt an tauben Kindes, normale Sprechfertigkeiten zu entwickeln, ergibt sich aus der Unfähigkeit auf dem Gebiet der Sprachwahrnehmung, und wenn Taubheit nach dem Erwerb der Sprache eintritt, dann verkümmert die nicht mehr durch die W a h r n e h m u n g unterstütze Sprachproduktion allmählich (S. 150f.). A u ß e r d e m sei bemerkt, daß wir seit der Antike bis zur Gegenwart unzählige aufschlußreiche Beispiele von Leuten kennen, die durch Erkrankungen, Unfälle oder Gewaltanwendung Teile ihrer Sprechorgane, wie z. B. einen Teil der Zunge oder einige Zähne, verloren haben und trotzdem die Fähigkeit, deutlich zu sprechen, wiedererworben haben, solange ihr Gehör nicht gestört war und daher eine ersatzmäßige Anpassung des Sprechapparats möglich war (siehe unten, S. 105f.). Palermo läßt die Frage offen, wie eine motorische (fälschlicherweise als "phonetisch" bezeichnete) Theorie diese Fakten abklären könne. Aber u m zu zeigen, daß die Sprachwahrnehmung auch später als im Säuglingsalter weiterhin der Sprachproduktion vorausgeht, bemerkt er, daß der Erwerb einer Zweitsprache die diskriminative auditive Perzeption vor der entsprechenden Lautproduktion erfordert (S. 151). Das Verhältnis zwischen den beiden Ebenen der Lautbildung deckt einen wesentlichen Unterschied auf: ein und dasselbe akustische Ergebnis kann man durch verschiedene Mittel erreichen, wogegen ein
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und dasselbe motorische Mittel eine Vielfalt an akustischen Ergebnissen nicht erreichen kann. Björn Lindblom et al. (1977) zeigten die auffallige Fähigkeit bei Versuchspersonen, f ü r unnatürliche Kieferöffnungen sofort zu kompensieren, und nahmen die Existenz einer hörerorientierten neurologischen Kodierung der Vokale an, welche ungeachtet störender artikulatorischer Hindernisse eine auditive Invarianz garantiert. Diese Forscher halten die hervorragenden kompensatorischen Fähigkeiten für einen weiteren Beweis des Vorrangs der perzeptiven Stufe, d.h. des sensorischen Zieles des sprachlichen Ereignisses über die vorhergehende motorische Phase.
Leben und Sprache Die nativistische Denkweise des 19. Jahrhunderts stellte wiederholt die Hypothese auf, daß die Neigung zum 'Rollenaustausch' zwischen Sprachsender und Sprachempfänger eine genetische Begabung darstelle, und da/3 es überdies einen universellen, angeborenen Sprachplan gebe mit einem System fundamentaler Regeln und Verbote, welche die Sprachbeherrschung des Kindes erleichtern und beschleunigen. Doch muß der enorme Vorrat an relevanten Besonderheiten, die von dem Milieu der Erwachsenen stammen, in dem das Kind seine erste Sprache lernt, abgeklärt werden. In diesem Vorrat liegt der spezifische Beitrag der "Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus", wie es im Titel von Humboldts letztem Werk (1836: 6.1, 111-303) heißt. Diese Verschiedenheit bereichert das System der Laute und der grammatischen Kategorien und Formen durch eine Vielfalt von außerordentlichen Feinheiten und erfordert den besonders wirksamen und nachhaltigen Einfluß der Interaktion von Menschen eines anderen Schlages und Alters. Wenn man den Glauben an die angeborenen Grundlagen der Sprache teilt, so muß man annehmen, daß eben dieses universelle Lautsystem der Sprache, die niedrigste Schicht des sprachlichen Systems, am tiefsten verwurzelt ist in der psycho-biologischen Natur des Menschen. Von den beiden Aufgaben der distinktiven Merkmale weist ihre bedeutungsunterscheidende Anwendung eigentlich die höhere Anzahl der universellen und fast universellen Gesetze auf, im Gegensatz zu den regional beschränkteren Regeln, die die bedeutungsbestimmende Anwendung der Merkmale regulieren. Diese Regeln zeigen natürlich eine größere Vielfalt an lokalen Besonderheiten. Die entscheidende Bedeutung des dyadischen Prinzips im Lautsystem wie in der grammatischen Struktur der Sprache, und die konsequent hierarchischen Relationen innerhalb einer jeden Dyade, zwi-
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sehen den gegebenen Dyaden (vgl. unten, S. 99f.) und anscheinend innerhalb des ganzen Sprachsystems, werfen die unumgängliche Frage nach den Isomorphismen zwischen sprachlicher Kodierung und den zentralen Nervenprozessen auf. Insbesondere die universellen Implikationsgesetze bei der Anordnung der distinktiven Merkmale und die interessante Frage nach ihren vermutlich biologischen Grundlagen erfordern sorgfältige und kritische interdisziplinäre Forschung (siehe unten, S. 74f). Wie der Genetiker François Jacob in seiner monumentalen Abhandlung (1970) schrieb, sind die beiden Wendepunkte in der Evolution erstens das Auftreten von Leben und zweitens etwa zwei Milliarden Jahre später das anscheinend gleichzeitige Auftreten von Denken und Sprache. Daher kann man vielleicht den aus der Perspektive eines früheren Wendepunkts gemachten biologischen Vergleich dieser beiden weit voneinander getrennten evolutionären Errungenschaften—Leben und Sprache—durch einen im Lichte der späteren Errungenschaft gemachten Vergleich ergänzen, nämlich durch eine rückblickende, d.h. linguistische Deutung. Jacob hat selber auf überzeugende Weise dem linguistischen Modell "einen außergewöhnlichen Wert f ü r die molekulare Analyse der Vererbung" (1974) beigemessen. Bei den ersten Schritten der Biologie im 16. Jahrhundert, auf die sich Jacob in seiner Logic of Life bezieht, "war das Spiel unbekannter Mächte noch hinter dem der Sprache verborgen". Aber jetzt könnte eine vergleichende Betrachtung der noch nicht gelösten natürlichen und verbalen Geheimnisse für unvoreingenommene Wissenschaftler in beiden Disziplinen, der rasch fortschreitenden Wissenschaft des Lebens und der jahrtausendealten Wissenschaft der Sprache, nützlich sein. In den Wissenschaften des Lebens und der Sprache—hier zitieren und ergänzen wir Jacobs These—"kann man eine Struktur nicht mehr trennen von ihrer Bedeutung nicht nur im Organismus [und auch in der Sprache], sondern auch in der gesamten Abfolge der Ereignisse, die dazu geführt haben, daß der Organismus [und auch die Sprache] das geworden ist, was er eben ist." Sowohl Biologen als auch Linguisten haben eine beträchtliche Reihe von Eigenschaften beobachtet, die dem Leben und der Sprache seit dem späteren Auftreten des letzteren gemeinsam sind. Diese beiden informationstragenden und zielgerichteten Systeme implizieren das Vorhandensein von Mitteilungen und einem zugrundeliegenden Kode. Seit dem ersten Auftauchen eines Lebensminimums besteht "der den lebendigen Organismen durch ihre Herkunft und Zwecke zukommende besondere Status" aus kodierten Mitteilungen, die die molekularen
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Strukturen spezifizieren und als Anweisungen von Generation zu Generation weitergegeben werden. Die jeweiligen Strukturen der beiden Kodes—des genetischen, in unserem Zeitalter durch die molekulare Biologie entdeckt und entschlüsselt, und des sprachlichen, von einigen Generationen von Linguisten untersucht—haben eine Reihe von beachtlichen Analogien aufgewiesen. Durch einen bedeutungsvollen Zufall haben der Prager Linguistenkreis und der Genetiker Jacob ihr Forschungsobjekt als "ein System von Systemen" definiert. Das Prinzip der allmählichen Integration regelt die Struktur der beiden Kodes. Beide weisen in gleicher Weise eine Hierarchie von diskontinuierlichen Einheiten auf. Wie der Biologe zeigt, wird jede dieser als "Integronen" bezeichneten Einheiten durch das Zusammenfügen von Integronen der nächstunteren Ebene aufgebaut und ist an dem Aufbau eines Integrons der nächsthöheren Ebene beteiligt. Ähnlich behauptet der Sprachwissenschaftler Emile Benveniste (1902-1976), da/3 eine Einheit des verbalen Kodes als solche aufgefaßt werden kann, nur insofern sie innerhalb einer höheren Einheit identifiziert werden kann (1966: 119ff.). Unter allen informationstragenden Systemen ist der genetische Kode der einzige, der mit dem verbalen Kode eine sequentielle Anordnung getrennter Untereinheiten—Phoneme in der Sprache und Nukleotiden (oder 'nukleische Buchstaben') im genetischen Kode—gemeinsam hat, welche an und für sich keine inhärente Bedeutung besitzen, sondern dazu dienen, minimale, mit eigener, inhärenter Bedeutung versehene Einheiten aufzubauen (vgl. oben, S. 9ff., 46). In der genetischen Information besteht jede dieser sinnvollen Einheiten aus drei "Buchstaben" und wird als "Kodewort" oder "Tripel" bezeichnet. Die Äquivalenz zwischen einem Tripel von nukleischen und einer von den zwanzig verschiedenen Proteineinheiten, in die das gegebene Tripel überführt wird, hat es Jacob erlaubt hervorzuheben, da/3 "ein genetischer Kode wie eine Sprache ist" und in dieser Hinsicht auf die Relation zwischen signans und signatum, die berühmte zweifache Abgrenzung sprachlicher Zeichen, zu verweisen. Die drei Tripel, die keine Proteinäquivalente finden, erfüllen eine syntaktische, abgrenzende Funktion: eine Abfolge—Satz oder Gen— beginnt und endet mit besonderen "Interpunktionszeichen". In Übereinstimmung mit der Zerlegung der Phoneme in distinktive Merkmale liegen zwei binäre Oppositionen polarer Eigenschaften dem Vier-Buchstaben-Alphabet des genetischen Kodes zugrunde. Diese Dichotomie erlaubt die Überführung eines reichhaltigen Inventars von synonymen Tripeln in eine Menge geordneter Regeln, die den linguistischen Operationen mit der Lautstruktur von grammatischen
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Einheiten analog sind. Von den vier "nukleischen Buchstaben" stehen die zwei größeren, nämlich die Purine—A(denin) und G(uanin)—den zwei kleineren, nämlich den Pyrimiden—T(hymin) und C(ytosin)—gegenüber, und die "Buchstaben" in jedem dieser beiden Paare weisen zwei polare Anordnungen zwischen dem Geber und dem Empfänger auf. Im letzten Drittel des Tripels ist der Unterschied zwischen den zwei Purinen immer redundant, mit zwei näher zu spezifizierenden Ausnahmen. Wenn G die mittlere Komponente des Tripels bildet, ist der Unterschied zwischen den letzten Purinen und Pyrimidinen immer redundant, wohingegen in Tripeln mit einem mittleren T eine solche Differenz immer signifikant ist. Aber wenn die mittlere Position weder einem G noch einem T z u k o m m t , dann wird der semantische Status der letzten Komponente durch die erste Komponente des Tripels bestimmt. In einem solchen Fall haben G oder C an erster Stelle die Redundanz aller vier letzten Komponenten zur Folge, während T oder A in der Anfangsposition den vier letzten Komponenten eine selbständige Referenz auf zwei getrennte Proteineinheiten verleihen. Eine solche Divergenz in der Behandlung der Paare G / C und T / A ist mit der Zweiteilung der vier nukleischen Buchstaben in zwei unauflösbare Verbindungen in beiden komplementären Strängen der linearen Abfolge zu vergleichen: "die Symbole sind paarweise geordnet", und G und C bilden ein Paar von Verbindungsgliedern und T und A das andere. Einige Gruppen von vier Synonymen mit G in Anfangs- oder Mittelposition werden durch zwei weitere Synonyme mit T oder A als Anfangskomponente ergänzt. Die zwei Tripel o h n e Synonyme haben C in der letzten Position. Die Regeln der Synonymie zwingen der semantischen Vielfalt der 64 verschiedenen Tripel strenge Beschränkungen auf, indem sie deren Übersetzungsäquivalente auf 20 getrennte Proteineinheiten reduzieren. Nicht das Vokabular selbst, sondern nur die syntaktische und suprasententielle Ebene des genetischen Kodes erlaubt die breite Diversifikation der Mitteilungen. W e n n man von den einfachsten zu den komplexeren Organismen übergeht, so macht Jacob klar, liegt die Interaktion der konstitutiven Teile in j e d e m von ihnen "der Organisation dès G a n z e n " zugrunde, und die Integration verleiht dem Ganzen neue Struktureigenschaften. Mit dem Aufstieg der Kybernetik ist man an eine solche Interaktion zwischen den Konstituenten eines lebendigen Organismus oder zwischen dem Organismus und seiner Umwelt, sowie zwischen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft als ein Problem der Kommunikation herangegangen, und die Sprache wird z u m Musterbeispiel
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"der Interaktion zwischen Elementen eines integrierten Ganzen". Wenn die Bildung eines Säugetieres oder insbesondere eines Menschen im genetischen Kode niedergeschrieben ist und die Vorstellungkraft des Wissenschaftlers als "ein Wunder der Exaktheit und der Präzision" übertrifft, so läßt sich genau dasselbe von der menschlichen Sprache als einem außerordentlichen, fehlerlosen und subtilen Mittel der äußeren wie auch der inneren Kommunikation sagen. Dieses Mittel weist eine kontextsensitive Struktur auf, eine Reihe von unterstützenden Redundanzen, eine Vielfalt von schöpferischen Umgestaltungen, und vor allem ein breites Spektrum von umkehrbaren Übergängen zwischen Explizitheit und Ellipse. Schließlich ist es ein einmaliges und universelles System, welches Urteile und Sätze zu erzeugen imstande ist. Insofern die "Sprachbegabung" für die letzte genetische Anlage bei dem Entstehen der menschlichen Spezies gehalten wird, muß der grundlegende Plan der Sprache, ihr unentbehrliches, allen verbalen Kodes der Welt gemeinsames Konzept vermutlich dieser Anlage angehören. Die 'doppelte Artikulation' der Sprache (siehe unten, S. 195), oder mit anderen Worten die Zusammensetzung sinnvoller Einheiten aus diskreten Untereinheiten ohne eine eigene inhärente Bedeutung, ist unter allen. Kommunikationssystemen nur diesen beiden Kodes gemeinsam. Der von dem verbalen und dem genetischen Kode aufgezeigte Isomorphismus stellt sich als im ganzen Modell und Mechanismus der beiden Kodes zutiefst verwurzelt heraus. Freilich sind wir noch nicht in der Lage, diese wichtige Korrespondenz zu erklären, solange f ü r Linguisten der Ursprung der Sprache, und auch f ü r Genetiker die Genese des Lebens unlösbare Probleme bleiben: "Aber wie hat das alles begonnen? . . . Was ist der Ursprung des genetischen Kodes? . . . Warum 'bedeutet' ein Nukleinsäure-Tripel eine bestimmte Proteinuntereinheit und nicht eine andere? . . . Nichts deutet daraufhin, daß der Übergang zwischen dem Organischen und dem Lebendigen jemals analysiert werden kann." Überdies "weiß man noch nicht, wie erworbene Leitungen dem Vererbungsnetz auferlegt werden, noch wie das Angeborene und das Erworbene zusammenpassen". Sapir hielt die Sprache, das primäre Vehikel der menschlichen Gesellschaft, f ü r "eine grosse Sozialisierungskraft, wahrscheinlich die größte, die es gibt". Eine weitere sozialisierende und individualisierende Kraft in der Geschichte der belebten Welt war die weitaus frühere und "äußerst wichtige Erfindung" des Geschlechts, dessen Rolle in Jacobs Bucfr beispielhaft umrissen wird. In dem Maße wie die Sexualität auftauchte und sich von einer anscheinend "überflüssigen
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Zutat" zu einer obligatorischen Reproduktionsmethode weiterentwikkelte, erlaubte sie die Kommunikation zwischen den Menschen und den Integrationsprozeß auf einer höheren Ebene als bei dem einzelnen Organismus. Dies schuf solche Neuerungen wie die Partnerwahl, die radikale Reorganisation von Programmen und die maximale Individualisierung der Nachkommenschaft. Kurz, diese "im Laufe der Evolution hervorgetretene Komplikation" beendete die trüben Aussichten eines "ziemlich langweiligen Universums ohne Geschlecht, < . . . > eines nur von identischen, ad infinitum reproduzierenden Zellen bewohnten Universums". "In dem Maße, in dem Austausche während der Evolution häufiger auftreten, erscheinen neue Kommunikationssysteme, die nicht nur innerhalb des Organismus, sondern auch zwischen Organismen funktionieren." So verlief die Entwicklung von der früheren Neuerung zu der späteren, vom Geschlechtsverkehr zum weiteren Radius des "verbal intercourse" (sprachlicher Verkehr) nach dem von Saussure in die französische linguistische Terminologie eingeführten Anglizismus. "Ein von innen aufgezwungener Tod" als obligatorischer, integraler Teil des sexualisierten Systems veranlaßt uns dazu, uns an die miteinander verbundenen Bilder von Liebe und Tod in der Weltliteratur zu erinnern, und legt überdies einen Vergleich mit dem erheblichen Teil, der in der ständigen Mobilität der Sprache der Vergessenheit anheimfällt, nahe. Die entscheidende, evolutionäre Rolle, die "von neuen Kommunikationssystemen ebenso im Organismus, wie zwischen dem Organismus und seiner Umwelt" gespielt wird, wird trotz aller ständigen Verzögerungen sowohl Biologen als auch Linguisten immer klarer. Sogar der Verweis auf zufällige Mutationen, Reproduktionsfehler, versehentliche Hinzufügungen, Weglassungen und gelegentlich "Spoonerisms" in den genetischen Mitteilungen wird durch die Mahnung berichtigt, daß die Vorstellung einer Evolution, die sich ausschließlich "aus Mutationen [ergibt], von denen jede durch Zufall stattfindet", "sowohl durch die Zeit als auch durch die Arithmetik geleugnet" wird. Auch auf der mikroskopischen Ebene werden die einfachsten Organismen "durch eine Reihe von Integrationen aufgebaut". Da "noch wenig bekannt ist" über die Arten, in denen Zellen miteinander kommunizieren, da die Differenzierung der belebten Welt, insbesondere die Entwicklung ihrer höheren Formen, noch einer Erklärung bedarf, und da die Gefahr voreiliger Verallgemeinerung nie ausgeschlossen ist, können Fragen aus anderen verwandten Wissensgebieten kaum verfehlt sein. Vor allem Forscher der sprachlichen Evolution sind geneigt zu fragen, ob die Anhäufung der Fehler in
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den genetischen Mitteilungen, die die Vermehrung von Lebenssystemen regeln, durch reinen Zufall stattfindet. Der älteren linguistischen Lehre der blinden und zufälligen Änderungen, denen erst später eine Reorganisation folgen dürfte, wollen spätere Sprachstudien die Finalität von "zielgerichteten Lapsus" gegenüberstellen, wie der Topologe René Thom sie nennt. Solche wiederholten Versehen sind eher Abweichungen als einfache Fehler. Wie die Antwort auf solche vorläufigen Fragen auch lauten mag, muß der freundliche und unvoreingenommene interdisziplinäre Dialog fortgesetzt und weiterentwickelt werden, zumal der ständige "Kampf zwischen dem, was war, und dem, was sein wird, zwischen der Gleichheit der Reproduktion und der Neuheit der Variation" in dem Forschungsgegenstand der beiden verwandten Wissenschaften tief verwurzelt ist.
Die Rolle des Lernens Von Zeit zu Zeit wird die Ansicht geäußert, daß die gesprochene Sprache einer rein zufälligen menschlichen Entscheidung zur sprachlichen Gestaltung entspringt. Dieses Vorurteil erscheint kurios, wenn man es der tatsächlichen Universalität der gesprochenen Sprache gegenüberstellt. Die gesprochene Sprache beruht auf universell entwikkelten akustisch-motorischen Modalitäten, die allen normalen menschlichen, und nur menschlichen Nachkommen der Welt zur Verfügung stehen. Diese Verfügbarkeit ist untrennbar verbunden mit der Notwendigkeit, Aaß alle Kinder beim Erwerb einer Sprache einem Erwachsenen-Modell folgen, und auch damit, daß jede bekannte durch dieses Modell verkörperte Sprache von dem lernenden Kind beherrscht werden kann. Der manchmal geäußerte Zweifel an der universellen Unentbehrlichkeit des Lernens und des Lehrens beruht bloß auf einer etwas oberflächlichen, bürokratischen Einstellung der Bedeutung der Wörter lehren und lernen gegenüber. Das Lernen und die Nachahmung, oder exakter die Replikation (vgl. L. G. Jones 1967: 5) sind durchaus schöpferische Erscheinungen, und das Lehren erscheint häufig in versteckter und latenter Form (vgl. Whorf 1956: 70ff., 88ff., 105ff.). Die feinen und komplexen Prozesse des allmählichen Lernens seitens des Kindes und der ständigen Belehrung durch die älteren Mitglieder der engeren Familie und der Umwelt erfordern eine intensive Beobachtung durch Psycho- und Soziolinguisten und Anthropologen. Wie Ben G. Blount (1972: 128) auf Grund von in Luo und Samoa gesammelten Gesprächen zwischen Erwachsenen und Kindern richtig festgestellt hat, "ist die soziale Umgebung keine bloße Datenbank
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beim Spracherwerbsprozeß," und "die sprachlichen Modelle, die den Kindern dienen, können nicht als rohe, undifferenzierte sprachliche Information abgetan werden". Die konventionalisierte 'Baby-Sprache', die Erwachsene initiieren und den Kindern beibringen, "bis das Kind den normalen Sprachfluß völlig beherrscht hat", wird im Bengali mindestens bis zum sechsten Lebensjahr benutzt und erfüllt auf der ganzen Welt eine wesentliche Aufgabe in der sprachlichen Entwicklung des Kindes (siehe insbesondere Ferguson 1964 und Dil 1971). Der endgültige Erwerb der ersten Sprache erfolgt keineswegs lawinenartig schnell, sondern umfaßt, wie Carol Chomsky (1967) vorbildlich gezeigt hat, einen fast zehnjährigen Prozeß.
Die gesprochene und die bildlich veranschaulichte Sprache Es gibt ein als 'Zeichensprache' bezeichnetes Ersatzsystem. Diese Bezeichnung ist trügerisch, da sie die Tatsache außer Acht läßt, daß die "natürliche" Sprache ebenso aus Zeichen besteht (in diesem Fall aus verbalen Zeichen), und daß im allgemeinen die Sprache ein Thema der Wissenschaft von den Zeichen alias der Semiotik ist. Auf jeden Fall ist die sogenannte 'Zeichensprache' ein menschlich gesehen wichtiges und strukturell gesehen attraktives Thema, aber, wie William C. Stokoe (1975) bemerkt hat, "ist die Proportion zwischen den Benutzern von natürlichen Sprachen und den Benutzern von Zeichensprachen etwa 10.000 zu 1", und daher braucht man bei der Studie der universellen menschlichen Sprache dieses marginale System nicht zu berücksichtigen. Trotz der enormen Bedeutung von Lesen und Schreiben müssen wir die allgegenwärtige Tatsache berücksichtigen, daß diese nur eine sekundäre Leistung im menschlichen Leben darstellen. Außerdem sind fast die Hälfte der Weltbevölkerung noch immer Analphabeten, und die Lese- und Schreibfähigkeit ist einer knappen Minderheit vorbehalten. Am Ende der 60er Jahre war laut den offiziellen Daten der UNESCO die Anzahl der Analphabeten um fast 60 Millionen auf etwa 800 Millionen gestiegen, bei einer Gesamtbevölkerung der Erwachsenen von 2.225.000.000. Da Sender und Empfänger von ausschließlich geschriebenen Mitteilungen die Ausnahme bilden, müssen wir die Sprecher und Hörer bloßer mündlicher Mitteilungen von denjenigen unterscheiden, die auch des Lesens und des Schreibens kundig sind. Zwischen diesen beiden Arten von Sprachbenutzern gibt es eine Anzahl von charakteristischen Unterschieden, die einige Forscher wie Goody und Watt (1963) dazu veranlaßt haben, die Sozio-
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logie, die Wissenschaft vom Menschen als schreibender Spezies, von der Sozialanthropologie, der Wissenschaft vom Menschen als bloß redendem Tier, zu unterscheiden. Es trifft zu, daß eine logographische Schrift wie die chinesische zu einer gewissen Verselbständlichung des geschriebenen Wortes gegenüber der gesprochenen Sprache (vgl. Karlgren 1962) führt, aber auch das Lesen von chinesischen Schriftzeichen erfordert in hohem Maße ihre Rekodierung in Sprachlaute. Wie Versuche gezeigt haben, "legt das phonetische Lesen von visuell dargestellten nichtphonetischen Symbolen wie z. B. von den chinesischen Schriftzeichen den Schluß nahe, daß, auch wenn lexikalisches Ablesen aus visueller Eingabe direkt erfolgen kann, sprachliche Rekodierung für das Stadium des aktiven Gedächtnisses noch notwendig ist" (Tzeng et al. 1977). Es ist interessant, daß trotz der offensichtlichen graphischen Differenzen die Performanz der Leser "durch die Einführung von phonematischer Ähnlichkeit in die Testmaterialien behindert wurde". Aber ein alphabetisches System veranlaßt den Benutzer notwendigerweise dazu, es in hohem Maße mit der Sprache zu assoziieren und die Schrift in eine mündliche Performanz umzusetzen. Es ist charakteristisch, daß das erste Stadium des Lesenlernens das Lautlesen bildet, und daß die Internalisierung des Lesens ein sekundärer, späterer Vorgang ist. Ein aufschlußreiches und beliebtes Beispiel ist der Bericht des Hl. Augustinus von seiner kindlichen Überraschung, als er seinen Lehrer beim stummen Lesen eines Buches antraf, ohne daß dieser seine Lippen bewegte. In einem neueren Zeichenwitz fragt ein Junge: "Papa, wie kannst du still lesen?" — "Was meinst d u ? " — "Ich meine, wenn du still liest, wie weißt du, was da steht, wenn du nichts hörst?" Während sich die distinktiven Merkmale und ihre Kombinationen zu Phonemen von anderen sprachlichen Bestandteilen durch das Phänomen der 'Andersheit' als einzigen oder zumindest hauptsächlichen Inhalt ihres signatum unterscheiden, sind die Buchstaben anders geartet. Im allgemeinen ist das signatum eines jeden gegebenen Buchstaben ein gewisses Phonem der betreffenden Sprache. In verschiedenen Rechtsschreibungssystemen können Beschränkungen wie homophone Buchstaben oder andere einschränkende Regeln der einfachen Relation zwischen Buchstaben und Laut auferlegt werden, aber das Wesen des Verhältnisses zwischen Schriftzeichen als signans und Phon als signatum behält seine Gültigkeit. In logographischer Schrift wird einer graphischen Größe der Einzelbezug ihres signatum verliehen, aber hier besteht das signatum aus einer lexikalischen Einheit, und nicht aus einer phonischen. Es ist in der Tat von Bedeu-
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tung, daß von den zwei japanischen Typen von graphischen Symbolen, dem silbischen (Kana) und dem logographischen (Kanji) nur der erstere bei aphatischen Störungen des Lautsystems (Sasanuma 1975) gestört wird. Hier zeigt sich, daß die distinktiven Merkmale der Sprachlaute und ihre schriftliche Fixierung eng miteinander verbunden sind, und diese Verbindung zeigt, daß der aphatische Abbau der Sprachlaute rein sprachlicher und nicht automatisch motorischer oder auditiver Natur ist. Wissenschaftler bestehen auf den selbständigen und wirksamen Eigenschaften der geschriebenen Sprache auf allen Ebenen, angefangen von den Grundbestandteilen bis hin zu der Auswahl und Organisation des Wortschatzes, der Syntax und sogar ganzer Texte. Die Probleme der alternierenden Divergenzen und Konvergenzen zwischen den beiden Kommunikationssphären erfordern eine erhöhte und breitere Aufmerksamkeit, so wie die jeweiligen Eigenschaften der unterschiedlichen sozialen und kulturellen Gemeinsamkeiten und Besonderheiten dieser beiden Typen verbaler Tätigkeit dies verlangen (zur Hervorhebung der Untersuchung der geschriebenen Sprache vgl. Vachek 1976: 112-146 und Derrida 1967). Der häufigere Ersatz von handgeschriebenen durch gedruckte und maschinell erstellte Mitteilungen reduziert die emotive und die physiognomische Rolle der Schrift; in diesem Z u s a m m e n h a n g könnte man die traditionelle und noch immer übliche Sitte a n f ü h r e n , daß man intime und zeremonielle Mitteilungen mit der Hand schreibt. Das Hören von Sprache ist ein sequentieller Prozeß, bei dem es sich u m eben verschwundene Laute, Worte und Sätze und den wiederholten Gebrauch der sogenannten 'simultanen Synthese' (der Umsetzung eines sequentiellen Ereignisses in einen synchronen Prozeß) im Kurzzeitgedächtnis des W a h r n e h m e n d e n handelt. Das Schwinden des letzten Wortes eines Satzes, sobald der letzte Laut dieses Wortes geäußert ist, und das entsprechende Problem der Rekonstruktion der verschwundenen Abfolge im Gehirn des Hörers durch seine Fähigkeit, die richtige Reihenfolge der eben verklungenen Ketten und den Unterschied zwischen solchen Wörtern wie nädi und dfna oder rasa und sara zu behalten—dies alles ist in den indischen Spekulationen über die Sprache (vgl. Brough 1951; Ruegg 1959) eingehend erörtert worden und bedarf weiterer Untersuchung. Carol Chomsky (1971) und C. Read (1971) haben aufschlußreiche Daten gesammelt über einzelne Rechschreibungsreformen, die ungeschulte Kinder u n t e r n o m m e n hatten, weil sie sich an eine konsequente Ausstattung der englischen Buchstaben mit einem stabilen bedeutungsunterscheidenden Wert der entsprechenden Sprachlaute
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hielten. Es ist zu bemerken, daß der Zeitaufwand f ü r den Rechtschreibungserwerb in der Volksschule in englisch-sprachigen Ländern unvergleichbar höher liegt als z.B. in Finnland, Jugoslawien oder in der Tschechoslowakei, wo das orthographische System hauptsächlich die bedeutungsunterscheidende Anwendung der distinktiven Merkmale widerspiegelt, und wo folglich der Prozentsatz der Rechtschreibefehler unter Schülern und Erwachsenen entsprechend niedriger ist. In diesem Zusammenhang soll an Lurias Beobachtungen (1960) errinert werden: zweisprachige Versuchspersonen, die an agraphischen Störungen leiden, erfahren weitaus schwerere Verluste bei der Beherrschung der Rechtschreibung des Französischen und des Englischen als des Russischen und des Deutschen, die mehr auf die sinnunterscheidenden Elemente achten. Während des Lesens kann man bei einzelnen Passagen verweilen oder sogar zu vorhergehenden Zeilen oder Seiten zurückkehren. Lesen und Schreiben sind räumlich bedingt, wohingegen Sprache eine im wesentlichen zeitliche Erfahrung darstellt. Der im allgemeinen dauerhafte Charakter schriftlicher Kommunikationen ist, sowohl individuell als auch sozial gesehen, ein äußerst bedeutsamer Faktor, der einerseits die relative Dauer, den bleibenden Aspekt des geschriebenen Texts sichert, und der andererseits die Aufgabe des AuswendigLernens reduziert, wie das erstaunliche Gedächtnis der Analphabeten, die Tausende von epischen Versen rezitieren, vorbildlich zeigt. Die natürlichen, unentbehrlichen Unterschiede zwischen geschriebenem und mündlichem Stil erlauben trotzdem größere gegenseitige Einflußnahme zwischen Schrift und Sprache und die häufigen auf die Rechtschreibung zurückzuführenden Aussprachefehler. In der Konkurrenz zwischen mündlicher und geschriebener Kommunikation schien diese in unserer Kultur lange Zeit Überhand zu gewinnen, aber zur Zeit bewirkt der ständig zunehmende Gebrauch von Radio, Fernsehen, Tonfilmen, Telefon, Schallplatten und Tonbändern eine Reihe von Änderungen im gegenseitigen Verhältnis der beiden rivalisierenden Systeme. Die Rechtschreibe- und Grammatikregeln und der standardisierte Wortschatz der geschriebenen Sprachen sind relativ stabil, gehören zu einem einheitlichen Kode und lassen sich, unter dem Einfluß von Schule und anderen Institutionen, leicht vorschreiben. Entsprechende Erscheinungen in der gesprochenen Sprache, wie Orthoepie im Vergleich zu Orthographie, spielen ohne Frage eine spürbare Rolle in der modernen Kultur der gesprochenen Sprache, aber in den meisten Fällen in einem geringeren und weniger standardisierten Maße als die der Schrift auferlegte Erfordernis der Norm und der Normung.
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Vielfalt und Konformismus Linguisten, auch wenn sie sich hauptsächlich für mündliche Sprache interessieren, geben oft unbewußt der Hypnose der geschriebenen Sprache nach. Es ist merkwürdig, daß sie bei der Diskussion der Reihenfolge einiger sprachlicher Einheiten in einer Abfolge die Ausdrücke "links" und "rechts" statt "vor" und "nach" verwenden und von der "linken" und "rechten" Umgebung eines Sprachlautes sprechen. In ihren Beispielen sprachlicher Ambiguitäten zitieren sie Sätze, die nur in der Rechtschreibung ambig und in der expliziten mündlichen Form völlig unterscheidbar sind. Vielleicht ist es dem Einfluß der dem Kode der geschriebenen Sprache eigenen größeren Einheitlichkeit zu verdanken, daß die Vorstellung eines streng monolithischen Kodes der Sprache im allgemeinen die Theoretiker manchmal fesselt und sie dazu verleitet, an den kindlichen Mythos einer vollkommen invariablen Sprachgemeinschaft mit gleich kompetenten Sprecher-Hörern zu glauben und diese trügerische Vorstellung auf konkrete Operationen anzuwenden. Aber "wirkliche Menschen verfügen über eine Vielfalt von verwandten linguistischen Systemen", eine Vielfalt von Sprachstilen, von denen sie in einer breiten Spanne von sozialen Situationen Gebrauch machen (wie Chomsky und Walker 1976 prägnant bemerkten): "Individuen innerhalb einer Sprachgemeinschaft können große Unterschiede in Systemen aufweisen, die innerhalb dessen, was man im Volksmund eine einzelne Sprache nennt, vertreten sind" (S. 21). Daher steht jeder tatsächliche linguistische Status in Widerspruch zu der Annahme einer Grammatik, die "einheitlich als einziges invariantes System im Gehirn eines jeden Sprechers des Englischen abgebildet ist". Witold Doroszewski (1899-1976), der der Vorstellung der relationalen Invarianz in der Lautstruktur der Sprache abhold war, achtete besonders auf die Vielfalt der Varianten in der alltäglichen Sprache polnischer Bauern, die er in seiner Feldarbeit aufzeichnete. Diese minutiösen Beobachtungen sind besonders wertvoll, weil sie entgegen der anti-unitarischen Lehre dieses Forschers, die Regelmäßigkeit in der offensichtlichen Vielfalt zum Ausdruck bringen. Die verschiedenen Realisierungen des polnischen Nasallauts die von allen Mitgliedern einer ländlichen polnischen Sprachgemeinschaft in der Nähe von Plock gebraucht wurden, hat er in seinem französischen Artikel aus dem Jahre 1935 (S. 28ff) und eingehender in einem früheren polnischen Bericht aus dem Jahre 1934 (S. 249ff.) verzeichnet und beschrieben. Die Grundvarianten heben sich gegen die marginalen ab, und die Mehrzahl der Fälle zeigen Konkurrenz und Kompromisse zwischen entgegengesetzten Tendenzen: räumlich oder zeitlich näher
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bzw. entfernter, und entweder im Schwinden oder in der Entwicklung begriffen; die ländlichen Züge konkurrieren mit dem städtischen Einfluß; das artikulatorische Gedächtnis kommt mit lexikalischen Entlehnungen, die ihre Lautgestalt bewahren, in Konflikt. Eine engere Deutung dieses eindrucksvollen "jeu des formes flottantes" könnte zum größten Teil den Schlüssel zu dieser Auswahl finden in der Veränderlichkeit der Kontexte und Themen, in der jeweiligen sprachlichen Gesamtsituation, in Differenzen der sprachlichen Funktionen und in den wechselnden Relationen zwischen Sprechern und Hörern. Doroszewskis Ansicht nach ist der Einzelne selbst völlig passiv und trifft keine absichtliche Wahl zwischen verschiedenen möglichen Lösungen; entgegengesetzte Tendenzen beeinflussen ihn, egal was es für Unterschiede zwischen ihnen gibt: "les deux le travaillent, coexistent en lui." Doroszewski stellte fest, daß das System ein "Prokrustesbett" ist, aber sein mundartliches Material ist eigentlich ein ausgezeichnetes Plädoyer f ü r den Pluralismus des sprachlichen Kodes sowohl gegen die eng empirische Ablehnung des Systems als auch gegen die reduktionistische Ablehnung von vielfältigen Systemen. Der erfahrene Beobachter William Labov (1964, 1970) veranschaulichte die motivierte und strukturierte Variabilität der Lautformen in ihrem zwischenmenschlichen und persönlichen Gebrauch und entdeckte "ein System von ständiger und regelmäßiger Variation in verschiedenen Stilarten und Kontexten". Er fand spezifische Eigenschaften der "in informellen Situationen gebrauchten Sprache, wo auf die Sprache nicht geachtet wird", und insbesondere der spontanen, aufgeregten Sprache, "wo die Beschränkungen einer formellen Situation aufgehoben sind". Die Sprachwissenschaft kann nur mit Jacobs Verweis auf die zwei anscheinend entgegengesetzten Eigenschaften von Lebewesen—Stabilität und Variabilität—als "einer inhärenten Eigenschaft der Natur von Lebenssystemen selbst" übereinstimmen. Jede unbegrenzte Verallgemeinerung des Stabilitäts- und Einheitlichkeitsprinzips stellt sich als einschränkende, lähmende "Idealisierung" der heterogenen linguistischen Wirklichkeit heraus. "Die Verbindung zwischen Struktur und Homogenität ist eine Illusion", wie Weinreich et alii behaupten, die in den Fußstapfen der Prager folgten; "die Vorstellung einer Variablen als eines Strukturelements macht es unnötig, Schwankungen im Gebrauch als dem System extern zu betrachten, denn die Beherrschung einer solcher Variation bildet einen Teil der linguistischen Kompetenz der Mitglieder der Sprachgemeinschaft" (1968: 185-187). Wie jedes andere soziale System, befindet sich die Sprache ständig in Bewegung und selbstgenerierender Entwicklung (vgl. Lange 1962: 73ff.). Der sprachliche Kode und insbesondere das Lautsystem einer
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jeden Sprache sind ständig Änderungen ausgesetzt. Im Gegensatz zur Sommerzeit oder zu Rechtschreibereformen, die angeordnet werden können und an einem bestimmten Datum in den alltäglichen Gebrauch aufgenommen werden, durchlaufen der Anfang und das Ende eines Lautwandels in der gesprochenen Sprache eine Phase der Koexistenz: sie gehören zwei Stilarten, zwei Subkodes derselben Sprache an und werden entweder von verschiedenen Sprechern oder von einem zwischen dem "Archaismus" und dem "Modernismus" schwankenden Sprecher gebraucht. Sprecher und Hörer können sich der Zeitachse bewußt sein, der beide Elemente angehören, und die Zeit selber tritt so in das sprachliche System als ein semiotischer Wert ein. Der von Linguisten früher geäußerte Glaube, daß der Prozeß des sprachlichen Wandels nie direkt beobachtet wird, läßt das wichtige Phänomen der vorrangigen Beschäftigung der Sprecher mit der Sprache selbst und ihrer gewohnheitsmäßigen metalinguistischen Rede über das Sprechen außer Acht. Es gibt häufige Fälle von einem Generationsunterschied zwischen Gesprächsteilnehmern, von denen die jüngeren von den entstehenden Neuerungen Gebrauch machen, die die älteren verstehen, aber nicht in ihr Sprachrepertoire aufgenommen haben. Ebenso verstehen die jüngeren Sprecher die älteren, obwohl die jüngeren die Elemente nicht mehr aktiv gebrauchen, die sie für "veraltet" halten. Neben solchen Fällen einer deutlichen Trennung zwischen Sprechern und Hörern kommen auch offensichtlich häufige Beispiele gegenseitiger Anpassung in der Interkommunikation zwischen Mitgliedern verschiedener Generationen vor. Mitglieder einer Sprachgemeinschaft sind kompetent, sowohl über den Anfangs- als auch über den Endpunkt des Wandels zu verfügen, und der Gesamtkode einer gegebenen Sprache muß entsprechend als umkehrbar aufgefaßt werden. So sollte man die zwei Stufen eines sich noch vollziehenden Wandels in Form einer dynamischen Synchronie deuten. Gleichzeitigkeit und Sukzessivität sind also miteinander verbunden in einzelnen Äußerungen wie auch in dem "Gesamtkode" der Sprache (vgl. Hockett 1958). Die Tendenz von Saussures Cours, die Struktur eines jeden sprachlichen Systems auf Gleichzeitigkeit (Simultaneität) ungeachtet der Sukzessivität (der zeitlichen Abfolge) zu reduzieren—"L'axe des simultanéités, concernant les rapports entre choses coexistantes, d'où toute intervention du temps est exclue" (I: 177)—ist eine genauso willkürliche und einseitige Tendenz wie der umgekehrte Versuch in demselben Werk, Einheiten auszuschließen und sie auf eine bloße Linearität zu beschränken—"caractère linéaire du signifiant" (Saussure I: 157; vgl. LW 1976: 39ff.).
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Bezüglich der variablen Reichweite der Kommunikation vom Familienkern zum zwischenmundartlichen und sogar zwischensprachlichen verbalen Verkehr erfordert die Vielfalt der Aufgaben wieder verschiedene, an wechselnde Gesprächsteilnehmer angepaßte Subkodes; damit findet der Raum Eingang in den Gesamtkode der Sprachgemeinschaft und ihrer Mitglieder als ein semiotischer Wert. In ihren zeitlichen wie auch räumlichen Aspekten weisen der Kode und der Mitteilungskreis ein ständiges Ineinandergreifen von Konformismus und Nonkonformismus auf. Ein räumlicher an die Nachbarn angepaßter Konformismus impliziert normalerweise einen zeitlichen Nonkonformismus, mit anderen Worten, eine zeitliche Diskontinuität. Andererseits gibt es normalerweise eine Verbindung zwischen dem zeitlichen Konformismus und der Diskontinuität mit dem System der Nachbarn, d.h. eine Entfremdung von demselben. Die wiederholte Annahme einer wesentlichen Differenz zwischen der "Quelle" (nach Saussure foyer) einer linguistischen Neuerung und dem Gebiet ihrer Ausbreitung steht in krassem Gegensatz zu der Tatsache, daß jeder Wandel eine Ausbreitungserscheinung ist, angefangen vom lapsus linguae, der zuerst von einer kleineren Gruppe und dann später von einer überwiegenden Mehrheit wiederholt und aufgenommen wird; ein Wandel und dessen Ausbreitung scheinen bloß zwei Seiten ein und derselben fortlaufenden Übertragung zu sein. Die Vielfalt der Subkodes und der Übergänge von einem Subkode zum anderen ist ein wesentlicher Bestandteil der sprachlichen Kompetenz, die der Einzelne und mutatis mutandis seine Umwelt besitzt. Doroszewskis oben besprochene Aufnahmen gehören einer Reihe von Arbeiten an, die verschiedene Feldforscher zusammengestellt haben, um zu beweisen, daß einzelne Sprecher kein ganzheitliches System gebrauchen, da die aufgenommenen und veröffentlichten Texte einen sehr gemischten Charakter aufweisen. Wenn man aber diese Variablen einer eingehenden Analyse unterwirft, dann finden, es sei hier wiederholt, alle angeblich im Gegensatz zueinander stehenden textuellen Besonderheiten leicht eine natürliche Erklärung in dem Wechsel der thematischen und stilistischen Faktoren und Anreden, und diese Variationen weisen ein komplexes ganzheitliches System auf. Der Glaube der Sprachforscher an Variabilität ohne Integration ist nicht weniger illusorisch als der Glaube eines Theoretikers an integrierte Kompetenz ohne innere Variation. Unter der Bedingung des engen Kontaktes zwischen zwei Mundarten oder zwei Sprachen können sich Leute mit bidialektaler oder bilingualer Kompetenz einer prestigehaften Position in ihrer sprachlichen Umgebung erfreuen, und das teilweise Ineinanderfließen zweier benachbarter Kodes, das für zweisprachige Individuen oder Gruppen typisch ist, begünstigt eine
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größere Ausbreitung gewisser Besonderheiten der einen Sprache, besonders ihrer Lautstruktur, auf die benachbarte Sprache.
Die innere Sprache An der Schwelle des Übergangs von der frühen Kindheit (vgl. englisch infancy aus lateinisch infam = sprachlos) zur Sprache beginnt das Kind seine zwischenmenschliche Kommunikation, indem es einen der nächsten Erwachsenen, gewöhnlich seine Mutter, anspricht. Später wird die Kommunikation zwischen nur zwei Partnern durch ein System mit mehreren Teilnehmern und mit der wachsenden Differenzierung zwischen dem vom Kind tatsächlich Angesprochenen und den nicht-angesprochenen Hörern ergänzt. Auf der anderen Seite entsteht ein aus weniger als zwei Personen bestehendes System—Dialoge des Kindes mit einem älteren Gesprächspartner werden durch die allmähliche Beherrschung eines engeren zwischenmenschlichen Kommunikationsnetzes ergänzt. So wird das Kind sein eigener Gesprächspartner, "was es eine Sekunde später sein wird", nach Peirces Ansicht über den inneren "Dialog zwischen verschiedenen Phasen des Ichs" (4.6). Hier entsteht ein Unterschied zwischen zwei Kommunikationsarten, nämlich "der Übermittelung von Bedeutungen durch Zeichen von Geist zu Geist und von einem Geisteszustand zum anderen" (Peirce I: 445). Es entsteht die sogenannte 'egozentrische Sprache' des Kindes in der Gegenwart von anderen: der frühere Gesprächspartner des Kindes wird zum bloßen Hörer, während das Kind selber beide Rollen des Sprechers und des Hörers übernimmt. Diese "Mittelverbindung zwischen äußerer und innerer Sprache" ist von Lev Vygotsky (1962) klar skizziert worden. Er hat darauf hingewiesen, daß strukturelle Besonderheiten der inneren Sprache und ihre funktionelle Differenzierung von äußerer Sprache mit zunehmendem Alter immer häufiger werden; "die Abnahme der egozentrischen Sprache deutet auf nichts anderes hin als den Rückgang einer Eigenschaft dieser Sprache: ihrer Vokalisierung." Laute Monologe im Halbschlaf und vor dem Träumen können als nächster Schritt folgen, ohne daß irgendjemand da wäre, der dem Kind möglicherweise antworten könnte, abgesehen von solchen sprachlosen Angesprochenen wie einer Puppe oder einem Hund (vgl. Weir 1962). Geflüstertes, und dann wirklich inneres, lautloses Sprechen sind weitere Schritte bei der Internalisierung der Sprache. Es ist zu bemerken, daß die Lautgestalt ihre motorischen Spuren beibehält in den unbewußten Bewegungen der Zunge, die gewöhnlich, obwohl in einem geringeren Maße, sogar die innere Sprache der
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Erwachsenen begleiten. A. N. Sokolovs Untersuchung des Verhältnisses zwischen Denken und innerer Sprache zeigt, wie dieser "genetisch auf Grund der äußeren Sprache als deren innere Projektion entsteht und sich unter dem unmittelbaren Einfluß der äußeren Sprache ständig weiterentwickelt und verbessert. Trotz ihres elliptischen und verallgemeinernden Charakters besitzt die innere Sprache keine getrennte, idiosynkratische, logische und grammatische Struktur" (1959: 513; vgl. sein zusammenfassendes Buch aus dem Jahre 1968). Die innere Sprache ist extrem elliptisch; die Lautgestalt der Wörter wird nur fragmentarisch in unserem Geist hervorgerufen, und häufig geht diese phonische Substanz völlig verloren ("Nullsignans"). Weder diese Verluste noch die Tendenz, sprachliche Zeichen durch andere semiotische Einheiten zu ersetzen, erlauben es, zu der Annahme eines wortlosen oder sogar zeichenlosen, asemiotischen Denkens zurückzukehren. Es wäre eine perverse Verunstaltung, die Grundidee der verbalen Kommunikation von ihrem wichtigen und normalerweise untrennbaren Bestandteil, der inneren Sprache, zu trennen. In einem a u t o ritären Staat fragte ein Polizist einen Wissenschaftler, was für ein griechisches Buch auf seinem Schreibtisch liege, worauf dieser antwortete: "Piatons Dialoge."—"Dialoge? Aber mit w e m ? " - " M i t sich selbst", kam die unwiderlegbare Antwort. Sowohl die innere als auch die veräußerte Sprache bilden eine Brücke zwischen dem Einzelnen und seiner Umgebung, und diese beiden Arten von Sprachverwendung sind reich an Referenzen und sprachlicher Kreativität; die verinnerlichte und die veräußerlichte Sprache bergen die Erbschaft der Vergangenheit und die Vorwegnahme der Zukunft in sich. Es ist eine grundlegende Tatsache, daß die Repräsentation der Lautgestalt der in unserer inneren Sprache elliptisch fungierenden Wörter in unserem Denken fortbesteht, worauf der scharfsinnige Sprachwissenschaftler F. F. Fortunatov (1848-1914) hingewiesen hat. Er hat erkannt, daß "in gewisser Hinsicht die Erscheinungen der Sprache selber zu den Erscheinungen des Denkens gehören", und daß "die Sprache als solche, wenn unsere Gedanken in gesprochener Form ausgedrückt werden, ihr Dasein der Tatsache verdankt, daß sie selber in unserem Denken besteht" (1956: l l l f f . ) . Es fällt schwer, die Vorstellung der unlösbaren Verbindungen zwischen der Lautgestalt und deren semantischem Gegenstück konsequenter zu verfolgen. Die Sprachstruktur liegt allen ihren Manifestationen, offen oder latent, zugrunde. Es kann keinen Bruch zwischen der Struktur und ihren Zwecken geben: eine afunktionale Struktur und eine unstruktu-
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rierte Funktion sind sinnlose und leere Fiktionen. Unsere Begriffe werden schon dadurch erfaßt und abgegrenzt, daß sie genannt werden. Diese verbalisierende Tätigkeit verleiht ihnen Beständigkeit in der Zeit und Kontinuität im Raum und sichert und verstärkt so unsere konservativen Beziehungen zur Vegangenheit und die kreativen Verbindungen zu unserer Zukunft, indem der Verkehr mit unserer Umgebung gesichert wird. Das Denken wird zum Gegenstand der nennenden und diskursiven Tätigkeiten, und unsere Worte und Sätze in ihrer Interaktion werden in unabhängige Gegenstände unseres Denkens verwandelt.
KAPITEL II
Die Suche nach den Grundbestandteilen
The important thing about a transformation is what it doesn't transform, i.e. what it leaves invariant. S. S. Stevens Mathematics, Measurement, and Psychophysics
Tout est bilatéral dans le domaine de la pensée. Les idées sont binaires. Janus est le mythe de la critique et le symbole du génie. Il n'y a que Dieu de triangulaire. Honoré de Balzac Illusions perdues
Pierre Delattre in memoriam Pierre Delattre, 1903 in der französischen Stadt Roanne an der Loire geboren, war größtenteils an amerikanischen Universitäten wissenschaftlich tätig—Michigan, Wayne State, Oklahoma, Pennsylvania, Colorado und ab 1964 an der Universität von Kalifornien in Santa Barbara. Seine reichhaltigen und beachtenswerten Arbeiten über experimentelle Phonetik gewannen allmählich an Präzision und Originalität und bewegten sich stufenweise in Richtung auf die Suche nach den Grundbestandteilen der Sprache. Delattres umfassender Vortrag "Von akustischen Signalen zu den distinktiven Merkmalen", den er im September 1967 bei einer Plenarsitzung des VII. Internationalen
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Kongresses der Phonetischen Wissenschaften hielt und in einer französischen Fassung in den Proceedings des Kongresses (1970a) und auch in einer leicht bearbeiteten englischen Fassung in Phonetica (1968a) veröffentlichte, markierte ein neues Stadium im Schaffen dieses unermüdlichen, mutigen Forschers. Von ihren ersten, freundschaftlichen Treffen beim Genter Kongreß der Phonetischen Wissenschaften im Jahre 1938 an verfolgten Delattre und RJ gegenseitig ihre Forschung mit lebhaftem Interesse. Nachdem Delattre nach dem VII. Phonetischen Kongreß RJ die vollständige Originalfassung seiner Arbeit geschickt hatte, entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit zwischen ihnen. Während RJs dreitägigen Besuches im Sommer 1968 reiften ihre Diskussionen und Versuche "dans la tranquilité et l'intimité" von Delattres Haus und dem von ihm f ü r die Universität von Kalifornien in Santa Barbara aufgebauten großartigen Labor zu einem Projekt eines gemeinsamen, systematischen Umrisses der psychoakustischen Korrelate des Systems der distinktiven Merkmale. Sie wurden sich einig über die Notwendigkeit einer weiteren und konsequenteren Anwendung der Parole "ökonomisieren und binarisieren", die Delattre in den Prager Debatten verfochten hatte, wie er RJ zum Schluß seines Briefes vom 6. Oktober 1967 mitteilte. Delattre hat eine beachtliche Entwicklung von seinen frühen skeptischen Bemerkungen über die Verfechter des "Binarismus und der angeblichen distinktiven Merkmale" zu seiner letzten, von dem oben angeführten Motto getragenen Arbeit durchgemacht. Um die Entwicklung seines Denkens zu erklären, stellte der Wissenschaftler selber in der Einführung seines Prager Vortrags fest, daß "das geduldige Prüfen von zahlreichen akustischen Variablen der Sprache über zwanzig Jahre so weit geführt hat, daß es vielleicht möglich ist, die Teile des phonetischen Rätsels zusammenzufügen und die akustischen Elemente einer Sprache als ein System zu betrachten" (1968a: 198). Die ursprüngliche Einführung zu der Prager Arbeit, die zugegebenermaßen eingeschoben war, "pour détendre les esprits tendus", und die in den trockeneren, gedruckten Texten von 1968a und 1970a fast ganz ausgelassen wurde, gibt die wissenschaftliche Einstellung und die Ziele des Autors exakt wieder: Bei ihrer endlosen Suche nach dem Gral (la Queste del Graal) erinnern uns die Ritter der Tafelrunde (les chevaliers de la Table Ronde) an die heutigen Phonetiker—sie wußten nicht, wo der Gral war, aber sie verloren nie die Hoffnung, ihn zu finden. Das Geheimnis des Grals hat sie besessen, genauso wie das Geheimnis der distinktiven Merkmale uns heute fasziniert.
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Bei unserer Suche nach dem Gral der Phonematik, d.h. nach den distinktiven Merkmalen, mittels derer die phonematische Wahrnehmung vonstatten geht, gibt es gute Gründe dafür, mit akustischen statt mit artikulatorischen Korrelaten anzufangen.
Delattres Manuskript schließt mit den resignierenden Worten: So endet unsere Suche nach dem Gral. Und ich wage nicht, weiter vorzudringen, weil im zweiten Buch Parzivals geschrieben steht, daß Galahad sofort starb, als er endlich das Geheimnis des Grals erblicken durfte.
Aber die gemeinsamen Versuche, eine immer bessere Lösung zu finden, gingen ohne abergläubische Angst weiter und entwickelten sich, bis dem Programm der weiteren persönlichen Treffen, der Zusammenarbeit und der gemeinsamen Veröffentlichung durch die tragische Nachricht von Delattres plötzlichem Tod im Juli 1969 ein jähes Ende gesetzt wurde. Wir erlauben uns, dieses Kapitel seinem Angedenken zu widmen als unseren bescheidenen Versuch, diese Suche getreu den Absichten des verstorbenen Wissenschaftlers weiterzuführen. Es sei hier angemerkt, daß Delattre eben bei dem Genter Kongreß von 1938 mit der Phonologie und mit der Prager linguistischen Schule zum erstenmal in direkte Verbindung trat, und daß er bei diesem Anlaß der ersten internationalen Diskussion der distinktiven Merkmale ("qualités différentielles") und ihrer binären Oppositionen beiwohnte. Seine Rede über distinktive Merkmale beim Prager Kongreß fast dreißig Jahre später war für Delattre, wie er selbst zugestand, eine symbolische Wende zur Prager phonologischen Tradition. Der endgültige, gedruckte Text seines Prager Artikels (1968a) beginnt: Bei unserer Suche nach den distinktiven Merkmalen, mittels derer die phonematische Wahrnehmung vonstatten geht, gibt es gute Gründe dafür, mit akustischen statt mit artikulatorischen Korrelaten zu beginnen. < . . . > Die objektivste Methode, die Natur der distinktiven Merkmale zu entdecken, scheint die durch ihre akustischen Korrelate zu sein. < . . . > Wir schlagen vor, die ganze konsonantische akustische Struktur einer Sprache zu betrachten und daraus die Kategorien der akustischen Signale herauszuschälen, die für die Sprachwahrnehmung an sich und in verschiedenen Kombinationen relevant sind.
Der Artikel endet: Wenn distinktive Merkmale perzeptive Signale sind, die nur indirekt durch ihre akustischen und artikulatorischen Korrelate beobachtet werden können,
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und wenn die artikulatorischen Korrelate erst spezifiziert werden können, nachdem die akustischen Korrelate durch synthetische Manipulation und perzeptive Tests isoliert worden sind, dann gibt es anscheinend kein besseres Mittel, den distinktiven Merkmalen näherzukommen als dadurch, dq/3 man ein vollständiges Wissen darüber erreicht, was im akustischen Signal distinktiv ist.
Zwei Grundbegriffe, die von Delattres fruchtbarer Zusammenarbeit mit den Haskins Laboratories herrühren und in seiner Prager Rede konsequent Anwendung fanden, hat er in den gedruckten Fassungen präzis definiert. In den Proceedings (siehe 1970a) beschreibt er 'formants' als "bandes étroites de son filtrés par la résonance sélective au tractus vocalique", und in der englischen Fassung (1968a: 201) definiert er 'locus' im Zusammenhang mit seiner 'locus theory' der konsonantischen distinktiven Merkmale als "den Frequenzpunkt, auf den alle mit der Wahrnehmung desselben konsonantischen distinktiven Merkmals verwandten Übergänge konvergieren, ungeachtet des vorhergehenden oder nachfolgenden Vokals". Trotz der Klarheit von Delattres Position und der Beweiskraft seines experimentellen Versuchs Prager Färbung war die weitverbreitete Abneigung, seine höchst objektive Methode zur Analyse der Grundbestandteile der Sprache anzuerkennen, oft ziemlich hartnäckig. So wurde beispielsweise in einer detaillierten kritischen Übersicht aus dem Jahre 1974 Delattres endgültige Lehre total au/3 er Acht gelassen und seine frühere, zögernde Haltung als Prognose für die Zukunft hochgehalten: Es ist gut möglich, da/3 Delattres Pessimismus über die Möglichkeit, eine ausschließlich artikulatorische oder ausschließlich akustische Reihe von Korrelaten für distinktive Merkmale zu finden, sich letzten Endes als berechtigt herausteilen wird. [Lipski 1974: 428]
Der Autor (nach Fudge 1967) zitiert das aufschlußreiche Beispiel des viergliedrigen Mazatec-Vokal-Systems /i,e,o,a/, von Nida (1949: 31) analysiert als vorne hoch niedrig
e
hinten o a
und warnt vor der Gefahr, Muster ohne meßbare physische Korrelate aufzustellen und dadurch "bizarre" und "willkürlich konstru-
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ierte" Korrelationen zu postulieren. Der vermutlich zufällige und abstrakte Status der distinktiven Merkmale ist jedoch auf eine gegenwärtige Verwechslung einer leeren Abstraktheit mit zielgerichteter Relativität zurückführen. Die distinktiven Merkmale und die auditiven Signale, die zu deren Erkennung dienen, bilden keineswegs einen "abstrakten Rahmen" (vgl. Fudge 1967), sondern setzen eine konkrete und erkennbare Invarianz der Relation zwischen den beiden entgegengesetzten Gliedern in jedem Paar voraus. Ab und zu stößt die Tabellarisierung der distinktiven Merkmale auf Scheinargumente, die die Genauigkeit der Messungen und den Grad der deskriptiven Präzision in Frage stellen. Diese Einwände beruhen meistens auf dem Ersatz einer groben, metrischen Einstellung für eine vernünftige, relationale, topologische Behandlung. In der Opposition von /i/ zu /e/ und entsprechend von /o/ zu /a/ werden geschlossenere Vokale offeneren symmetrisch gegenübergestellt (relativ diffuse Vokale gegenüber relativ kompakten). In einem entsprechenden Verhältnis stehen die vorderen Vokale /i/ und /e/ als helle den hinteren /o/ und /a/ als dunklen gegenüber. Diese Opposition dunkel ~ hell erhält eine redundante Verstärkung durch die parallele Gegenüberstellung eines geschlosseneren vorderen Vokals gegenüber einem offeneren hinteren Vokal—/i/ zu /o/ und /e/ zu /a/. Für weitere Beispiele desselben Typs wie des Mazatec-Vokalsystems siehe Liljencrants und Lindblom 1972: 845f., VierVokal-Systeme (a), (b). Die scheinbaren Abweichungen b', c und d sind eigentlich auf die methodologische Grobheit der Schemata (Sedlak 1969: 32f.), die ihnen als Quelle dienten, zurückzuführen: Sedlaks Diagramme erwecken auch den falschen Eindruck, dq/3 nur quasisymmetrische Vokalanordnungen in Systemarten mit mehr als vier Vokalen bestehen.
Vokal ~ Konsonant Laut Morris Halle (1976: 88ff.) stellt die vergleichende Analyse von Vokalismus und Konsonantismus die wichtigste Frage, die durch die allmähliche Entdeckung der distinktiven Merkmale aufgeworfen worden ist, dar. Die vergleichende Untersuchung dieses Paares blieb lange Zeit durch die standhafte Verneinung der Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Untersystemen gelähmt, und Spuren dieser Verneinung "bleiben bis heute sichtbar" (Halle ebenda). Egal was die präziseste Definition der Vokale und Konsonanten ist, so kann es nicht den geringsten Zweifel geben, daß dies die wichtigste und
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offensichtlichste Zweiteilung der Sprachlaute f ü r Linguisten, für Erforscher der Rede in ihren motorischen, akustischen und perzeptiven Aspekten, für Dichter und schließlich f ü r die Intuition der normalen Sprecher ist. Wenn das Problem des strukturalen Verhältnisses zwischen diesen beiden Klassen von Sprachlauten so verwickelt und manchmal sogar umstritten worden ist, so ist dies auf den eigenartigen, ganz besonderen Charakter dieses Verhältnisses im Vergleich zu den Wechselbeziehungen zwischen jeder dieser beiden Klassen (vgl. RJ und LW 1979) zurückzuführen. Das Hauptprinzip der intravokalischen und intrakonsonantischen Differenzierung liegt in der Austauschbarkeit der Glieder jeder Klasse. Die wesentliche Funktion solcher intravokalischen und intrakonsonantischen Unterscheidungen beruht auf ihrer bedeutungsunterscheidenden Rolle, angefangen von den einfachsten Beispielen wie sheep ~ cheap, sip ~ tip, sheep ~ ship, sheep ~ shape, sheep ~ sheet, sip ~ sick. Während die Relationen zwischen den verschiedenen Gliedern des Konsonanten- sowie des Vokalsystems im Grunde genommen hauptsächlich paradigmatisch sind, baut sich die gegenseitige Relation der Vokale und Konsonanten auf ihrer sequentiellen gegenseitigen Verbindung auf. In Übereinstimmung mit der durch Saussures Cours (I: 182) populär gewordenen Formulierung "le rapport syntagmatique est in praesentia: il repose sur deux ou plusieurs termes également présents dans une série effective", im Gegensatz zu der jetzt als 'paradigmatisch' bezeichneten Relation, welche Elemente " m absentia dans une série mnémonique virtuelle" verbindet. Jede Lautfolge ist aus Silben aufgebaut; sie bilden die grundlegenden Trennungen einer jeden Abfolge und folgen in allen Sprachen einem eindeutigen Konstruktionsmodell, das aus einem Kern (auch Gipfel genannt) und Randelementen besteht. Vokale fungieren in Sprachen als die einzigen oder zumindest häufigsten Träger des Silbenkerns, wohingegen die Randstellen der Silben hauptsächlich oder ausschließlich durch Konsonanten besetzt sind. Wie es oft bei den grundlegenden Bestandteilen eines Wissensgebietes der Fall ist, erweist sich die genaue Bestimmung der konstitutiven Eigenschaft der Vokale einerseits und der Konsonanten andererseits als die schwierigste Aufgabe bei der vielschichtigen Untersuchung der Sprachlaute. Wie Kenneth Pike gesagt hat, "ist die grundlegendste, charakteristischste und universellste Trennung in der phonetischen Klassifikation die zwischen Konsonant und Vokal. Deren Abgrenzung ist kaum zufriedenstellend" (1943: 66). Die von dem Phonetiker Georges Straka stammende umfangreiche Übersicht der Versuche einer empirischen Abgrenzung der beiden Kategorien führ-
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te ihn dazu, die Anerkennung zweier entgegengesetzter Artikulationstypen zu bevorzugen: Vokale als "Mund-Öffner" (ouvreuses) und Konsonanten als "Mund-Schließer" (fermeuses) (1963: 72ff). Und Nikolaj Zinkins Studie über den Unterschied zwischen diesen beiden konkurrierenden und alternierenden Muskeltätigkeiten führte zu seiner "pharyngalen Konzeption der Silbenbildung" (1968: 287) und zu seiner Erforschung der Sprachmechanismen (zur Geschichte des Silbenbegriffs siehe insbesondere Laziczius 1961: 156-193). Die traditionelle Etymologie des Sanskrit-Wortes für Konsonanten, vyanjana, als 'enthüllend' scheint die Andeutung in sich zu tragen, "daß die Konsonanten und nicht die Vokale für die Unterscheidung von Bedeutungen verantwortlich sind" (Allen 1953: 81). Und in der Tat ist der höhere Informationswert von Konsonanten eine weitverbreitete Erscheinung, die in den auf Schriftzeichen nur für Konsonanten beschränkten Alphabetensystemen Ausdruck findet. In der Kindersprache geht die sinndifferenzierende Rolle von Konsonanten der von Vokalen in der Regel voraus (d.h. Oppositionen im Konsonantensystem tauchen vor denjenigen im Vokalsystem auf). Die vorwiegend konsonantische Verschlüsselung von Bedeutungen, ist keineswegs auf solche Extremfälle wie die kaukasische UbychSprache mit ihren zwei oder drei Vokal- und fast 80 Konsonantenphonemen (siehe Vogt 1963: Off.) beschränkt, sie taucht auch im Englischen auf. Es ist hier anzumerken, daß die Leiter von akustischen Laboren in den Vereinigten Staaten bereit waren, die Vokalbilder in dem "Experiment über sehbare Sprache" bekanntzugeben, während die der Konsonanten bis zum Ende des zweiten Weltkrieges verheimlicht wurden, um die Entschlüsselung von Geheimnachrichten zu verhindern. Aber eben die reichhaltige und semantisch aufschlußreiche Klasse der Konsonanten bereitet Akustikern immer noch Schwierigkeiten bei der Bestimmung des gemeinsamen Kerns des konsonantischen Merkmals. Hugo Pippings (1864-1944) Versuch, den gemeinsamen Nenner der Konsonantenphoneme zu definieren, ist noch der realistischste. Nach ihm "besitzen alle Konsonanten ein Geräuschelement. Bei Reibelauten ist es dem kontinuierlichen Geräusch inhärent, in nasalen Verschlußlauten und Lateralen liegt es in dem zeitlichen Kontrast zwischen Lautsegmenten mit verschiedenen Erregungsmustern entlang der Basilarmembran. Der plötzliche Übergang hat die Wirkung einer abrupten Erregung der periphären Rezeptoren, die wiederum mit einer besonderen auditiven Qualität assoziiert wird" (siehe Pipping 1922; vgl. Fant 1967). Eine eingehende Untersuchung der gesamten Lautsysteme von Sprachen zeigt, daß die Relation zwischen Vokalen und Konsonanten
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als zweiseitig anzusehen ist. Während Konsonanten den Vokalen durch das Geräuschelement entgegengesetzt sind, wie Pipping festgestellt hat, so sind Vokale Konsonanten gleichzeitig durch eine deutliche "Sonorität" (Schallfülle) entgegengesetzt, ein Begriff der seit Eduard Sievers' (1850-1932) Werk Grundzüge (siehe 19015: §528535) in der Sprachlautanalyse verwurzelt ist und von Jespersen in seinem Lehrbuch (siehe 1904: 196ff.) verteidigt wurde. Dieses Problem ist in psychoakustischen Studien aus der Perspektive der unterscheidbaren Aspekte der Töne und insbesondere der "Tondichte" (siehe S. Stevens 1934 und Stevens und Davis 1938: 163ff.) behandelt worden. Die Kombination der beiden Merkmale—des konsonantischen und des vokalischen—kennzeichnet die Liquiden als zugleich konsonantisch und vokalisch und erlaubt es, die wechselnde Klasse der Sonorlaute abzugrenzen.
Die Syllabizität Die gegenseitige sequentielle Kontiguität von Konsonanten und Vokalen spielt die Hauptrolle bei ihrer Wechselbeziehung in einer jeden gegebenen Sprache. Eben diese Kontiguität der beiden kontrastiven Funktionen in der Silbe stellt beide ihrer Konstituenten—silbische und nichtsilbische—einander gegenüber. Anscheinend hat genau die von dem Kontiguitätskriterium als principium divisionis gespielte vorherrschende Rolle einiges Zögern verursacht: es war schwierig zu entscheiden, ob die fundamentale Rolle in einer paradigmatischen Klassifizierung der distinktiven Oppositionen der Dualität von Vokalen und Konsonanten oder der von silbischen und nichtsilbischen Lauten zukommt. Der Rückgriff auf Syllabizität als distinktives Merkmal und sogar als das entscheidende im "Kodierungsbaum" der Merkmale (vgl. Fant 1973: 180) scheint eine ziemlich umstrittene Operation zu sein. Statt Chomsky und Halles dringende Aufforderung zu befolgen, "von der Tatsache Gebrauch [zu machen], daß die Merkmale einen inhärenten Inhalt haben" (1968: 400), verwendet man bei dieser Operation eine traditionelle, bis vor kurzem bevorzugte distributionalistische Methode, die umsoweniger zu empfehlen ist, da in der Regel die Rollen der silbischen und nichtsilbischen Laute in erster Linie den Vokalen bzw. den Konsonanten automatisch zugeteilt werden. In denjenigen Sprachen, in denen Liquiden und Nasale eine silbische Funktion haben können, bleibt ihr primärer differenzierterer Gebrauch nichtsilbisch, und die silbische Variante der Liquiden wird generell durch streng distributionale Regeln determiniert (vgl. Vachek 1976: 30). Z.B. tschechisch /r/ und /!/ sind silbisch, nur wenn
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ihnen ein Konsonant vorangeht und kein Vokal im selben Wort nachsteht; also bekommt das Liquidenphonem eine silbische kontextbedingte Variante (vgl. [lku] 'ich weine' —[vlku] 'dem Wolf', [jedl] 'er aß' —[jedla] 'sie aß' — [jel] 'er fuhr'). In vielen Sprachen können silbische Liquiden als stilistische Varianten fungieren: z.B. in gewissen Stilarten der russischen Sprache werden die auslautenden, postkonsonantischen Liquiden und Nasale fakultativ als silbische und in anderen Stilarten nichtsilbische Laute benutzt. Im letzteren Fall wird die Liquide nach einem stimmlosen Konsonanten stimmlos: z.B. [t'igr] oder [t'igr] 'Tiger' und [v'ixf] oder [v'ixj ] 'Wirbelwind' (siehe Panov 1967: 269f.). In Majakowskijs Komödie Klop (Die Wanze) liefert ein ironisch vulgärer Reim mit einem auslautenden silbischen Nasallaut ein aufschlußreiches Beispiel: sei ja verxom, sei ja nizom [zam] ströil most v socializm [izm] i während andererseits dasselbe Wort socializm mit einem nichtsilbischen auslautenden m in der feierlichen oxytonischen Zeile aus seinem Gedicht Jubilejnoe (Zum Jubiläum) vorkommt: postroennyj v bojäx socializm [izm]. Das Nebeneinanderstehen von verschiedenen Segmenten in der Lautfolge und vor allem in der Silbe als der zentralen Aufbaueinheit der Lautfolge stellt Vokale und Konsonanten als zwei fundamental kontrastive Phonemklassen gegeneinander. Dies läßt jedoch einerseits Übergangsbildungen zwischen reinem Vokalismus und Konsonantismus zu, andererseits solche konsonantischen Extremfälle wie Obstruenten, die sich von allen anderen, sonoren Arten von Sprachlauten durch die "direkten" Formantenübergänge und durch die Turbulenz und den Mangel einer "niedrigen Verbindung" unterscheiden (siehe Delattre 1968a: 212ff.; Cutting und Rosner 1974, 1976; und RJ I: 496, 505). In solchen Arten von Liquiden wie dem tschechischen Sibilanten Irl und in geographisch verstreuten lateralen Reibelauten und Affrikaten ist die Turbulenz, wenn nicht gerade eliminiert, doch zumindest reduziert, dank dem freieren Luftstrom entweder durch laterale Bahnen oder in den den intermittierenden Spielarten der Liquiden—Zitterlaut und Zungenschlag—eigenen Intervallen (vgl. Trubetzkoy 1939a: 139f. und Romporti 1973: 84ff.). Die Existenz einer einheitlichen Gattung 'Liquide' läßt sich nicht bezweifeln, trotz der Bemühungen mancher Kritiker, jede Verwandtschaft zwischen den verschiedenen Vertretern von r, und auch zwi-
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sehen denselben und I zu leugnen. Grammont unterstreicht die Distanz zwischen dem uvularen und dem lingualen r im Französischen und behauptet, daß ihre jeweiligen Wirkungen von der expressiven Perspektive her so analog sind, daß es keinen Grund gibt, die zwei Laute voneinander zu trennen (1901: 276). Delattre zitiert das Verhältnis zwischen dem 'dunklen' [+] und dem pharyngalen fa] als "ein extremes, aber sehr aufschlußreiches Beispiel dafür, wie entfernt zwei Sprachlaute auf der artikulatorischen Ebene scheinen können, und wie nahe sie sich doch auf der akustischen Ebene stehen" (1968a: 223). Die Verwandtschaft zwischen den Spielarten von Liquiden, dem intermittierenden [r] und dem lateralen [1], egal welche Artikulationsstelle und -art sie haben, findet mannigfache Bestätigungen in den Sprachen der Welt. Neben einigen Sprachen ohne Liquiden, wie besonders in zahlreichen nordamerikanischen Indianersprachen, gibt es besonders im Pazifik eine große Anzahl von Systemen mit einem einzigen Liquidenphonem, das entweder intermittierend oder lateral ist oder eine kontextbedingte oder stilistische Variation dieser beiden Realisierungen aufweist. Unter Sprachen, die zwischen intermittierenden und lateralen Liquidenphonemen unterscheiden, zeigen die beiden Liquiden oft eine starke gegenseitige Beschränkung in ihrer Verteilung im Wort, z.B. ist nur eine von ihnen im Wortanlaut, die andere im Wortauslaut, zulässig (vgl. Benveniste 1939: 32ff.). Der fortgesetzte Ersatz der einen Liquide durch die andere vor der Differenzierung der beiden voneinander ist ein typisches Charakteristikum der Kindersprache. Die Koexistenz zweier weitgehend unterschiedlicher artikulatorischer Varianten eines Liquidenphonems wird in vielen Sprachen völlig toleriert (z.B. gerolltes r und uvulares r im Französischen oder im Schwedischen; [1] und [1] in vielen nordrussischen Mundarten). Man kann nicht umhin, mit Daniel Jones (1962: 205f.) übereinzustimmen, daß das sogenannte japanische r "einen der bemerkenswertesten Fälle" der Einheitlichkeit der Liquiden darstellt: in der Aussprache von vielen, wenn nicht gar von allen Japanern ist dieser 'Laut' sehr variabel; manchmal benutzen sie einen dem englischen Reibelaut r ähnlichen Laut, manchmal einen Zungenschlag, manchmal eine Art retroflexes d, manchmal eine Art / und manchmal Laute, die zwischen den genannten liegen. Ein und derselbe Sprecher kann alle diese Formen nach Belieben gebrauchen < . . . > ohne sich bewußt zu sein, daß seine Aussprache sich ändert < . . . > Ohne besondere Ausbildung können Japaner weder den Unterschied zwischen diesen Lauten hören noch irgendwelche davon willentlich produzieren. (Eine Folge davon ist ihre wohlbekannte Schwierigkeit, den Unterschied zwischen r und / zu hören oder selber zu machen, wenn sie europäische Sprachen sprechen).
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Während all die paradigmatischen Reihen in den Konsonantenund den Vokalklassen durch ein klares System von eindeutigen oppositionellen Merkmalen bestimmt werden, bleibt die Trennungslinie zwischen den Konsonanten- und Vokalssystemen und entsprechend zwischen dem Kern und den Randstellungen in der Silbe natürlich flexibel. Diese Flexibilität kann so groß sein wie in dem höchst seltenen Fall derjenigen Sprachen, in denen eine Silbe oder sogar ein zweisilbiges Wort lediglich aus Obstruenten besteht mit fakultativer Unterstützung einer ultrakurzen unbestimmten Glottislösung, deren Vorhandensein Muttersprachler leugnen—z.B. solche Wörter im Korjakischen wie die zweisilbigen [ktkt] 'gefrorene Schneekruste' oder [vtvt] 'Blatt' oder [qvqv] 'eng', die der präzise und aufmerksame Sprachwissenschaftler E. A. Kreynovic analysiert hat. (Für Beispiele solcher "nur nichtsilbische Konsonanten enthaltenden Wörter" in Bella Coola wie [fcxtc] 'ich sah', siehe Newman 1947: 132 und Hockett 1955: 57ff.). In der Berbersprache Schiich "haben nicht nur /I m n r/, sondern alle Konsonanten in gewissen Umgebungen silbische Allophone" laut Applegates Analyse (1958: 13). Alan Bell behauptet in seiner Übersicht der silbischen Konsonanten, da/3 "wir [in Sprachen] wie Bella Coola, von denen man sagt, sie hätten Silben ohne Vokale, immer finden, daß phonetisch gesehen eine Lösung oder ein Übergangsvokoid vorhanden ist. Die Frage, die man sich stellen m u ß , ist, 'wie sollten solche Silben in phonetischer Umschrift spezifiziert w e r d e n ? ' " (Bell 1970: B29). In dieser Hinsicht wird die Abgrenzung der Kategorie 'silbisch' zu einer extrem komplizierten Aufgabe (vgl. Greenberg 1962: 78ff.). Die Kontiguität von Konsonanten und Vokalen in der lautlichen Abfolge schafft unterschiedliche Formen der Wechselbeziehungen zwischen diesen beiden Klassen, insbesondere gegenseitige Assimilation und Dissimilation. Und die Tendenz zur Differenzierung der vokalischen und konsonantischen Rollen in der sprachlichen Kette erfordert zugleich eine innere Identifizierbarkeit der Merkmalssysteme, die jedem der beiden Systeme, Vokalismus und Konsonantismus, zugrundeliegen, eine Vergleichbarkeit, die gemeinsame strukturelle Prinzipien, aber auch unterschiedliche Strukturen und Wechselbeziehungen impliziert. Was sowohl die Vokale als auch die Konsonanten angeht, so bleiben binäre Oppositionen die vorherrschende, fast ausschließliche Organisationsform. Hierarchische Regeln regulieren die Stellung der verschiedenen Merkmale im System. Und wiederum stehen die beiden entgegengesetzten Glieder jedes binären Merkmals in der hierarchischen Interdependenz als merkmalhaft und merkmallos einander gegenüber.
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Die Lautgestalt
der Sprache
Die Merkmalhaftigkeit In einem Brief vom 31. Juli 1930 skizzierte Trubetzkoy seine neuen Überlegungen über die Wechselbeziehung zwischen korrelativen Phonemen: Statistiken haben nichts damit zu tun. Und das Wesen liegt in dem sozusagen 'inhärenten Inhalt' der Korrelation. Anscheinend gewinnt jede (oder vielleicht nicht 'jede'?) phonologische Korrelation im sprachlichen Bewußtsein die Form einer Gegenüberstellung des Vorhandenseins eines bestimmten Merkmals und dessen Fehlens (oder des Maximums eines bestimmten Merkmals und dessen Minimums). So stellt sich eines der Glieder einer Korrelation notwendigerweise als 'positiv', 'aktiv', das andere als 'negativ', 'passiv' heraus. Z.B. die Tonalitätsunterschiede zwischen korrelativen Konsonanten beschränken sich objektiv auf 'maximal hohe Tonalität gegenüber maximal tiefer Tonalität', sie werden aber subjektiv immer in eine Opposition 'erhöhte Tonalität gegenüber nichterhöhter Tonalität' ( ='maximal hoch gegenüber minimal hoch') oder in eine Opposition 'nichterniedrigte gegenüber erniedrigter Tonalität' ( ='minimal tief gegenüber maximal tief') umgewandelt: der erste Typ realisiert sich beispielsweise in der Korrelation 'palatalisierter gegenüber nichtpalatalisiertem' Konsonanten und der letztere beispielsweise in der nordkaukasischen Korrelation iabialisierter gegenüber nichtlabialisiertem' Konsonanten (wahrscheinlich auch in der semitischen Korrelation 'emphatischer gegenüber nichtemphatischem' Konsonanten). In beiden Fällen wird nur eines der Glieder der Korrelation als aktiv modifiziert und mit einem bestimmten Merkmal positiv versehen aufgefaßt, während das andere lediglich als mit diesem Merkmal nicht versehen und daher als passiv modifiziert aufgefaßt wird. [Trubetzkoy 1975: 162f.]
Der Adressat dieses Briefes (RJ ebenda) antwortete: Ich komme mehr und mehr zu der Überzeugung, daß Ihr Gedanke von der Korrelation als einer konstanten gegenseitigen Verbindung zwischen einem merkmalhaften und merkmallosen Typ eine Ihrer bemerkenswertesten und fruchtbarsten Ideen ist. Es scheint mir, daß sie nicht nur für die Sprachwissenschaft sondern auch f ü r die Ethnologie und die Kulturgeschichte von Bedeutung ist, und daß solche geschichtlich-kulturellen Korrelationen wie Leben ~ Tod, Freiheit ~ Unfreiheit, Sünde ~ Tugend, Ferien ~ Arbeitstage, usw. immer auf Beziehungen a ~ nicht-a beschränkt sind, und daß es wichtig ist, f ü r jede Epoche, Gruppe, Nation usw. herauszufinden, welches das merkmalhafte Element ist. Majakowski z.B. betrachtete das Leben als merkmalhaftes Element, das nur realisierbar ist, wenn es motiviert ist; f ü r ihn verlangte nicht der Tod sondern das Leben eine Motivation. Vgl. wie das Verhältnis von Leben und Tod sich für die zwei Helden von Tolstois 'Der
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Herr und der Arbeiter' unterscheidet. Ein weiteres Beispiel: die Tschekisten sagten, daß jeder ein Mann der Weißen Garde ist, und wenn nicht, so müßte dies in jedem einzelnen Fall bewiesen werden. Hier ist die Sowjet-Loyalität ein merkmalhaftes Element. Neuerdings erscheint eine Parole in der SowjetPresse; man sagte früher, 'alle, die nicht gegen uns sind, sind für uns', aber jetzt sagt man, 'alle, die nicht für uns sind, sind gegen uns'. Dies deutet auf eine Verschiebung der Elemente hin, d.h. auf eine Verallgemeinerung des tschekistischen Standpunktes. Ich bin davon überzeugt, daß viele ethnographische Erscheinungen, Ideologien, usw., die auf den ersten Blick identisch scheinen, sich oft nur dadurch unterscheiden, daß das, was für das eine System ein merkmalhaftes Glied ist, von dem anderen genau als das Fehlen eines Merkmals bewertet werden kann.
Trubetzkoys Entdeckung fand ihre erste Anwendung in dem bei der im Dezember 1930 in Prag veranstalteten Internationalen Phonologischen Konferenz gehaltenen Vortrag über Lautsysteme (siehe 1931a). Im Jahre 1931 galt der erste Versuch, die Idee der Merkmalhaftigkeit bei der Untersuchung von grammatischen Bedeutungen zu verwenden, der Struktur des russischen Verbs (RJ II: 3-15). Bei der Suche nach Gesamtbedeutungen von gepaarten grammatischen Kategorien entdeckte man, daß die eine Kategorie einen gewissen grammatischen Begriff kennzeichnet, den die andere ungekennzeichnet läßt. Bei der grammatischen Unterscheidung des femininen und maskulinen Genus im Französischen spezifiziert das merkmalhafte Femininum lionne 'Löwin' das weibliche Tier; das merkmallose "Maskulin u m " genannte Wort lion 'Löwe' kann sowohl das männliche als auch das weibliche Tier bezeichnen. Also impliziert die Gesamtbedeutung von lion im Gegensatz zu der von lionne keine geschlechtliche Spezifizierung, und nur die "Grundbedeutung" von lion, durch den Kontext evoziert, suggeriert eine geschlechtliche Spezifizierung: z.B. lions et lionnes. Es gibt eine innere Gemeinsamkeit zwischen der Merkmalhaftigkeit auf der Ebene der grammatischen Kategorien und der Merkmalhaftigkeit auf der Ebene der distinktiven Merkmale. Diese Gemeinsamkeit ist jedoch verbunden mit der erheblichen Differenz zwischen diesen beiden Oppositionstypen, von denen der eine auf der semantischen Ebene des signatum, der andere auf der Lautebene des signans beruht. Der beschränkende, fokussierende Charakter des merkmalhaften Gliedes einer grammatischen Opposition richtet sich auf ein enger spezifiziertes und abgegrenztes begriffliches Element. In den Dyaden der distinktiven Merkmale steht das merkmalhafte Glied durch seine engere Konzentration auf eine gewisse positive oder negative, derjenigen des merkmallosen Gliedes polar entgegenge-
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setzte, perzeptive Lauteigenschaft dem merkmalosen gegenüber und wird folglich durch eine Beschränkung des Vorkommens auf spezifische sequentielle oder gleichzeitige Kontexte charakterisiert (vgl. unten Beispiele solcher obligatorischen Einschränkungen, S. 145). Die im grammatischen Rahmen der Sprache obligatorischen dyadischen Strukturen durchdringen auch weitgehend das Feld der lexikalischen Bedeutungen und eröffnen neue Möglichkeiten für die Anwendung des Begriffes der Merkmalhaftigkeit auch in der Lexik (siehe van Schooneveld 1978 und LW 1976b, 1977 und 1979c). Die linguistischen Paare von merkmalhaften und merkmallosen Gliedern gehören zu den dyadischen Formen, in denen eines der beiden Oppositionsglieder vorherrscht. Solche Dyaden sind in der kulturellen Anthropologie der Welt tief verwurzelt. Deren Erörterung, die am Anfang unseres Jahrhunderts von Robert Hertz ([1909] 1973) begonnen wurde, hat breite Perspektiven für die vergleichende Analyse ethnischer Strukturen eröffnet. Linguisten des Prager Kreises untersuchten die lautlichen und semantischen Probleme der Merkmalhaftigkeit und entwickelten sie nach der zwangsmäßigen Auflösung des Kreises selbst weiter (entgegen den apokryphischen Behauptungen, daß die Suche nach der Merkmalhaftigkeit in den 40er und 50er Jahren aufgegeben wurde). Diese Untersuchung hat inzwischen eine breitere und vielversprechendere Aufnahme gefunden (vgl. LW 1976: 89ff., 1978, 1979 a & b; Greenberg 1966 a & b; Chomsky und Halle 1968: 400ff.; Gamkrelidze et al. 1977: 98ff.; Melikisvili 1974 & 1976).
Dunkel ~ Hell Unter den Merkmalen, die auf der dem Sprachlaut inhärenten Tonqualität basieren—kurz die Tonalitätsmerkmale dunkel ~ hell, erhöht ~ nicht-erhöht ("sharp ~ non-sharp"), erniedrigt ~ nicht-erniedrigt ("flat ~ non-flat")—beruht das Hauptmerkmal auf der Opposition dunkel ~ hell. Die Frage nach den den Vokalen und Konsonanten, besonders den Obstruenten, gemeinsamen Grundmerkmalen bietet keine Schwierigkeiten, solange wir gegenüber den wichtigsten signifikanten Formanten eine streng relationale Haltung einnehmen. Der perzeptive Unterschied zwischen dunkel und hell hängt in erster Linie von der Interrelation zweier Formanten ab: dem dritten und dem zweiten Übergangsformanten bei den Konsonanten und dem zweiten und dem ersten Formanten bei den Vokalen,—wie besonders Plomps Analyse (1970, 1975) der Varianz zwischen den Spektren verschiedener Vokale gezeigt hat. Der erste und der zweite Formant
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in den Spektren der Vokale "umfassen immer die stärksten Obertöne und genügen, die Klangfarbe der oralen Vokale zu bestimmen", so Delattre (1966: 237). Diese streng relationale Methode vermeidet solche angeblichen Unähnlichkeiten, wie die von Pavle Ivic aufgezeigte: "kompakte Vokale werden durch eine Konvergenz von F, und F2 gekennzeichnet, während in den Übergängen der kompakten Konsonanten F 2 und F3 die konvergierenden Formanten sind" (1965: 59). So ist, um die determinierenden Formanten zu gebrauchen, bei den Vokalen der zweite Formant der obere und der erste der untere, wogegen bei den Konsonanten der dritte Formant der obere und der zweite der untere ist. (Eine präzisere Einschätzung des oberen Formanten bei den Vokalen könnte der heutigen Akustik entnommen werden, die zu diesem Zweck das Symbol F' 2 in Bezug auf "einen geschätzten perzeptiven Mittelwert von F2 und höheren Formanten" gebraucht [siehe z.B. Fant 1973: 194f.]). So ist es statt der absoluten Werte der ersten, zweiten und dritten Formanten die binäre Relation zwischen dem oberen und dem unteren Formanten, die als klassifikatorisches Kriterium in jedem der beiden Systeme gebraucht werden sollte: Determinierende Formanten der Obere (OF) der Untere (UF) 2 (F' 2 ) 1 3 2
Vokale (V) Konsonanten (K)
Die Äquivalenz in dem Verhältnis zwischen diesen beiden grundlegenden Trennungskriterien wird deutlich, wenn wir uns den dem System der Vokale und dem der Konsonanten zugrundeliegenden relationalen Invarianten zuwenden, statt die absoluten Werte für den ersten, zweiten und dritten Formanten zu benutzen. Bei der Anwendung der Dyade O F ~ U F gewinnt man in jedem Fall eine identische Formel f ü r die Unterscheidung dunkel ~ hell im Vokalismus wie im Konsonantismus. Die hohe Stellung des oberen Formanten (F' 2 bei Vokalen, F 3 bei Konsonanten) stellt ein helles Phonem dem entsprechenden dunklen gegenüber: V) K/
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hell hoch
dunkel niedrig
Delattres Prager Bericht (1968a) enthält "eine strukturelle Tabelle der spektrographischen Anordnungen der französischen Konsonanten auf Grund von aussließlich akustischen Merkmalen": siehe Abbildung 3. (Delattres [ \ ], [ 3 ] und [ j i ] entsprechen [s], [z] und [n] in
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3. P. Delattres Tabelle des spektrographischen Schemas von französischen Konsonanten, in Phonetica 1968, S. 199.
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unserer Transkription.) Wenn wir die erste, alle labialen Konsonanten darstellende Spalte mit der zweiten, die entsprechenden Dentallaute abbildenden Spalte vergleichen, so sehen wir deutlich die invariante Eigenschaft aller Labialen, im Gegensatz zu der aller Dentalen: die Abwärtsrichtung des oberen Formanten (d.h. F, bei den Konsonanten) der labialen, dunklen Konsonanten gegenüber der Aufwärtsrichtung desselben Formanten in den dentalen, hellen Konsonanten. Mit eben dieser Differenz ist die Wahrnehmung der tieferen Tonalität der dunklen Phoneme gegenüber der höheren Tonalität der hellen Phoneme eng verbunden. In Sprachen, in denen velare Konsonanten mit palatalen Konsonanten gepaart sind, ceteris paribus—/k/ mit / t 7 und /x/ mit /§/ (z.B. im Tschechischen [siehe Romporti 1973: 104], im Slovakischen [siehe Pauliny 1961 und Isacenko 1968] und im Ungarischen [siehe Tompa 1968])—weist der obere Formant dieselbe Relation auf: eine Abwärtsrichtung bei den dunklen Velaren und eine Aufwärtsrichtung bei den hellen Palatalen. Die hochfrequenten Komponenten der konsonantischen Energieausbrüche, die die hellen Obstruenten aufweisen, tragen zu ihrer Unterscheidung von den dunklen Obstruenten bei, die in ihren spezifischen Energieausbrüchen tieffrequente Komponenten aufweisen. Diese komplementäre Erscheinung wird in gewissen Kontexten entscheidend, vor allem wenn die Obstruenten nicht neben Vokalen stehen und wenn ihnen erkennbare Formantenübergänge zu benachbarten Vokalen fehlen. Vgl. beispielsweise die tschechischen Verschlußlaute in solchen üblichen anlautenden Verbindungen wie /tk, tx, tr, tf, pt, px, ps, ps, pr, pf, bd, bz, bz, br, bf, kt, kp, ks, k§, kx, kf, kr, kr, db, dz, dr, df, gd, gb, gz, gz, gr, gf/ und solche tschechischen Wörter wie pstruh 'Forelle' und pstros 'Vogelstrauß', denen beiden die Präpositionen k 'zu' vorangestellt werden kann (vgl. k pstrosu 'zum Vogelstrauß'). Die Unterscheidbarkeit aller Komponenten wird dabei aufrechterhalten: die Identifizierung von Verschlußlauten ohne vokalische Umgebung hängt in erster Linie von ihren spezifischen Energieausbrüchen ab, obwohl die Rolle der Übergänge auch in gewissen Fällen nicht total außer Acht gelassen wird (vgl. Malecot und Chermak 1966). Wie die Konsonanten unterscheiden sich auch die dunklen Vokale von den entsprechenden hellen Vokalen durch die niedrigere Frequenz ihres oberen Formanten (F2 oder genauer F' 2 bei den Vokalen). Nach Delattres Messungen der französischen Vokale (1968c: 53) hat bei einer Stimme mit einer Grundfrequenz von 120 Hertz der obere vokalische Formant des / u / in ¡oup eine Frequenz von 750 Hertz gegenüber 2250 Hertz für das /i/ von Iii, und dementsprechend 800
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Hertz für das lol in l'eau im Gegensatz zu 2200 Hertz in dem /e/ von les, während der vokalische untere F, in jedem der beiden Fälle unverändert bleibt, 250 Hertz für / u / und /i/ und 375 Hertz für / o / und /e/.
Produktion und Entschlüsselung Der Gemeinplatz, daß "wir sprechen, um gehört zu werden, und gehört werden müssen, um verstanden zu werden", bestätigt die fundamentale universelle Relevanz der Opposition zwischen hoher und niedriger Tonalität. Die akustische Bedeutung dieses Gegensatzes wird von Vokalen und Konsonanten geteilt. Es sei dazu bemerkt, daß bei der oben erörterten vorübergehenden Ausschaltung der linken Hemisphäre "die vorderen Vokale leicht als hintere Vokale erkannt, und dementsprechend die Konsonanten / t / und Idl leicht für /p/ und / b / gehalten werden" (siehe Balonov und Deglin 1976: 142 und Tabelle 14). Barry Blessers (1972) Versuche liefern ebenfalls aufschlußreiche Daten zum Vergleich. Wenn die Sprache "spektral umgekehrt [wurde], so daß hochfrequente Energie zu niedrigfrequenter wurde und umgekehrt", wurde das gesprochene we beispielsweise zu you und umgekehrt. Die Verständlichkeit wurde zuerst durch eine solche Transformation beeinträchtigt, aber "einige Versuchspersonen lernten, transformierte Sprache zu verstehen". Insbesondere wurde am Anfang der Unterschied zwischen hinteren und vorderen Vokalen umgekehrt, aber eine kurze Zeit des Umgangs mit dieser Transformation genügte, damit der Hörer dieses Merkmal richtig wahrnehmen konnte. " A m schwierigsten waren die Unterscheidungen zwischen Konsonanten mit denselben Ursprungsmerkmalen, aber mit verschiedener Artikulationsstelle"; für diese Merkmale "fand nur eine geringe Verbesserung während der ersten Versuchsstunden statt", /t/ mit einem nachfolgenden hinteren Vokal wurde am häufigsten als /p/ empfunden, wogegen bei nachfolgendem vorderem Vokal das Urteil des Sprechers zwischen /p/ und Iii schwankte. Halle hat recht, wenn er die gemeinsamen Grundlagen der Vokalund Konsonantensysteme feststellt (1976). Das Vorhandensein von Unterschieden zwischen der Artikulation von Vokalen und Konsonanten liegt auf der Hand. Man muß aber im Auge behalten, daß die Zungenlage nicht der alleinige und entscheidende Faktor bei der Sprachproduktion und bei der Bildung von absichtlich diskriminierenden Sprachlauten bildet (siehe oben, Kapitel 1). Wir müssen eine durchweg realistische Einstellung behalten und die Rolle der Zunge in Korrelation mit anderen Artikulatoren und mit dem gesamten
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Sprechapparat bringen, wie auch mit dem auditiven und sprachunterscheidenden Ziel, das von dem ganzen Komplex der motorischen Mittel, sowohl den oberen als auch den unteren wie Pharynx und Larynx erreicht wird. Insbesondere hat die Verschiebung der Zungenhöhe nach vorne, wie Delattre hervorhebt, "sehr wenig mit dem akustischen Ergebnis, das hei/31 mit der Formantenfrequenz-Intensitätsdauer zu tun", wohingegen die Stelle und Enge des Verschlusses und besonders die Form und das Volumen der Hohlräume mit dem akustischen und perzeptiven Ergebnis am besten korrelieren (1967: 22f.). Das Studium der Sprachlaute hat oft an einer Art Zungenfetischismus gelitten, der vielleicht durch die metonymische Verwandheit der Vokabeln für 'anatomische Zunge' (langue, jazyk) und 'Zunge = Sprache' (langue, jazyk) unterstützt wurde. Zur Abgrenzung der artikulatorischen Verwendungen der Zunge haben die in pathologischen Fällen von zungenlosen Sprechern zu beobachtenden Substitutionen von alters her sehr aufschlußreiches Material geliefert. Viel Beweismaterial ist gesammelt und angeführt worden, um zu zeigen, daß die Amputation eines großen Teils der Zunge nicht unbedingt mit der Sprachfähigkeit unverträglich ist: Berichte aus dem fünften Jahrhundert von afrikanischen Bekennern, die die Sprachbegabung behielten, obwohl man ihre Zunge angeblich herausgeschnitten hatte; oder später solche Veröffentlichungen wie Belebars aus dem Jahre 1632 stammende Beschreibung "d'une bouche sans langue quelle parle"; oder der Amsterdamer Chirurgenbericht von 1652 über einen mutus loquens\ oder Jussiens Abhandlung von 1718 "sur la fille sans langue"; oder ein im Jahre 1742 in den "Philosophical Transactions of the Royal Society" veröffentlicher Bericht über den Fall von Margaret Cutting, "die deutlich spricht, obwohl sie Zungenspitze und -körper verloren hat"; oder verschiedene Dokumente aus dem letzten Jahrhundert mit Überschriften wie "Die Zunge nicht wesentlich für die Sprache" (Twistleton); oder schließlich die Nachricht in der New York Times vom 12. Mai 1944, daß beim jährlichen Treffen der Medical Society des Staates New York der Medizinische Direktor des National Hospital für Sprachstörungen, Dr. James S. Green, einen 77-jährigen Patienten vorstellte, dessen Zunge wegen Krebs entfernt worden war, der aber trotzdem deutlich sprechen und sogar Lincolns Gettysburger Rede rezitieren konnte, und der dadurch nach der Meinung des Direktors "die uralte Meinung widerlegte, daß die Zunge das wichtigste Sprachorgan sei" (vgl. Heffner 1964: 90). Der gemeinsame Nenner bei der Produktion eines dunklen Konsonanten oder Vokals ist ceteris paribus der Gebrauch eines größeren
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und weniger aufgeteilten Mundraums im Vergleich zu dem kleineren, aufgeteilteren Hohlraum, der für den entsprechenden hellen Laut erforderlich ist, wie dies vor etwa vier Jahrzehnten (vgl. RJ I: 274, 281f. [=1939]) formuliert und später ausgearbeitet und durch präzise Messungen bestätigt wurde. Ein akustisch wichtiger und stets vorhandener, durch zahlreiche Messungen belegter Faktor ist die erhebliche Vergrößerung der pharyngalen Öffnung des Mundresonanzraums bei den hellen Konsonanten und Vokalen, und umgekehrt seine Verkleinerung bei den dunklen Vokal- und Konsonantenphonemen. So z.B. zeigen die von Polland und Häla (1926; vgl. RJ et al.: 30) gemachten und ausgewerteten Röntgenaufnahmen, wie der Querschnitt des pharyngalen Hohlraums für die beiden Klassen von tschechischen Vokalen und Konsonanten von dessen Breite beim Schweigen (13,3 mm) abwich, indem er sich für die hellen Phoneme vergrößerte und für die dunklen verkleinerte: Dunkel /u/ /o/ Iii Ixl Ipl Ikl Iml
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Wenn wir die Distanz zwischen dem os hyöideum (Zungenbein) und der Rachenwand in ruhender Position mit der Distanz zwischen denselben bei der Artikulation von tschechischen Obstruenten vergleichen, beobachten wir die konsequente Zweiteilung der Konsonanten in die Klasse der dunklen Labial- und Velarlaute und die Klasse der hellen Dental- und Palatallaute; die erstere Klasse weist eine Verbreitung und die letztere eine Verengung im Vergleich zu der Ruheposition auf (Polland und Häla 1926: 35): Dunkel Iii Ixl Ipl Ikl
Hell +0,5 +1,5 +1,0 +3,0
Isl Isl Itl /t7
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Man kann hier charakteristische Beispiele von assimilatorischen Lautwandeln von dunklen Konsonanten zu hellen unter dem Einfluß
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von nachstehenden hellen Vokalen anführen: die osttschechische Verschiebung von Labiallauten zu Dentallauten in solchen Beispielen wie [tivo] aus [pivo] 'Bier', [cetice] aus [cepice] 'Mütze, Kopfbedeckung', [nin] aus [min] 'weniger'; der rumänische mundartliche Wandel aller Labiallaute zu den entsprechenden Dentallauten vor z; und das weitverbreitete Auftauchen von palatalen Ersatzlauten für Velarlaute vor vorderen Vokalen.
Kompakt ~ Diffus Der Gegensatz von hoher und niedriger Tonalität ist eine Universalie, die die Konsonanten- und Vokalsysteme in den meisten Sprachen gemeinsam haben, und die in allen anderen Sprachen in dem einen oder anderen dieser Systeme vorkommt; Sprachen ohne eine solche Opposition sind nicht bekannt. Ebenfalls universell ist das Merkmal der Kompaktheit und der Diffusheit, um die von S. S. Stevens, einem Experten in psychoakustischen Fragen des Gehörs, vorgeschlagenen Ausdrücke zu verwenden. Mutatis mutandis ist dieses Merkmal Vokalen und Konsonanten gemeinsam und ist an den vokalischen und/oder konsonantischen Systemen aller Sprachen der Welt beteiligt. Erst Gunnar Fants Studien (1949: 38ff. und Abbildung 19; 1950; 1952) über die Sendeeigenschaften des Ansatzrohrs warfen ein Licht auf die /k/ von /p/ und Iii trennende Dimension, brachten, wie Georg von Bekesy (1899-1972) in seinen mündlichen Kommentaren mitteilte, die Frage der konsonantischen Kompaktheit weiter und förderten gemeinsame Schritte zu den Preliminaries to Speech Analysis (Jakobson, Fant und Halle 1952). Im Gegensatz zu den diffusen wird bei kompakten Vokalen der untere Formant (F,) in Richtung auf den oberen Formanten hingezogen und "der Einsatz ist durch eine Konzentration des größeren Teils der Spektralenergie auf einen einzigen Formanten gekennzeichnet" (Fant 1973: 67). Wie Delattres Messungen (1968c) des französischen Vokalsystems veranschaulicht haben, hat der untere Formant in den gespannten und ungespannten Varianten des kompakten /a/ die höchste Frequenz, 750 Hertz gegenüber 250 Hertz für /i/, /u/ und /ü/. In den diffusen Vokalen ist der obere Formant (F'2) von dem unteren Formanten bei den hellen Vokalen weiter entfernt, bei den dunklen Vokalen abgeschwächt. Bei den kompakten Konsonanten wird der untere Formant (F2) in Richtung auf den oberen Formanten (F3) hingezogen, und/oder der Laut wird durch eine Turbulenz im Konzentrationsbereich verstärkt. Bei den diffusen Konsonanten steht der untere Formant in größerer
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Die Lautgestalt der Sprache
Entfernung von dem oberen, und/oder der Laut wird durch eine Reduktion der Energie am oberen Ende des unteren Formanten abgeschwächt. Kurz, in kompakten Phonemen wird die starke Konzentration der Energie in einem zentralen Bereich des Spektrums durch der Annäherung des unteren Formanten an den oberen und (besonders bei den Konsonanten) durch die Verstärkung der Turbulenz im Konzentrationsbereich erreicht, in den diffusen Phonemen wird das Absinken an Konzentration der Spektralenergie durch die Entfernung des unteren Formanten vom oberen und (besonders bei den Konsonanten) durch eine Verminderung der Energie am oberen Ende des unteren Formanten erreicht. Bei der Kompaktheit ist die Gesamtwirkung eine Konzentration der Energie im Mittelfrequenzbereich des Spektrums, im Gegensatz zu der Verteilung der Energie über einen breiteren Frequenzbereich bei der Diffusheit. Die Plosionen und ihre relative Dauer und Energie spielen eine gro/3e Rolle bei der Identifizierung und Unterscheidung von Verschlußlauten, besonders wenn die Verschlußlaute nicht neben Vokalen stehen; hauptsächlich die kompakten / k / und /g/ erfordern eine Plosion zu ihrer Identifizierung. Sogar in Kontexten mit /p, t, k/ zwischen zwei /s/ "bildet ein negativer Übergang beim ersten /s/—umgekehrt beim zweiten—ein starkes Stellensignal f ü r /p/, und der positive Übergang beim ersten /s/—umgekehrt beim zweiten—bildet ein starkes Stellensignal für / t / " , obwohl die Plosion schwach ist, wohingegen " / k / in demselben Kontext eine passende [starke] Plosion erfordert, damit es erkennbar wird" (Malecot und Chermak 1966). Laut den Ergebnissen einer Reihe von Experimenten "neigten Plosionen und Übergänge dazu, in einem reziproken Verhältnis aufzutreten: wo das perzeptive Gewicht des einen zunahm, nahm das Gewicht des anderen ab. So wurde gezeigt, daß sie funktional äquivalente, kontextabhängige Signale sind" (Dorman et al. 1976). Dementsprechend macht es die Komplementarität der Plosionen und Übergänge notwendig, sie als Bestandteile ein und desselben Plosions- und Übergangs-Reizes zu behandeln (siehe auch Fant 1973: 67; und Stevens und Blumstein 1976; vgl. Cole und Scotts Argument [1974] f ü r die Notwendigkeit einer integralen Untersuchung der Übergangs- und invarianten Signale, die zur Wahrnehmung der Konsonanten beitragen). Bei solch umstrittenen Fällen wie bei dem angeblichen Unterschied zwischen den (englischen oder französischen) Silben / ge / und /go/ erlaubt diesselbe Strategie, die akustische Invarianz des Konsonanten zu finden: die Konzentration der Spektralenergie im Gegensatz zu deren Streuung bei Diffusheit. Die Variablen, die auf das
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Auftreten desselben Phonems /g/ vor zwei verschiedenen Vokalen zurückzuführen sind, zeigen eine gleichmäßig erkennbare Differenz auf der akustischen wie auf der motorischen Ebene: die velare Artikulation des /g/ vor /o/ ist anders als der palatovelare Charakter von /g/ vor / e / . In Sprachen, in denen ein velarer Verschlußlaut und ein palataler Verschlußlaut nicht miteinander als zwei distinktive Mittel gepaart sind, gibt es keine strenge Trennung zwischen Velarität und Palatalität, und kontextbedingte oder stilistische Varianten der Velarlaute greifen leicht in den palatalen Bereich über. Delattres Frage, ob in einem solchen Fall die artikulatorischen Korrelate eines distinktiven Merkmals "invarianter als dessen akustische Korrelate" (1967) sind, muß entschieden negativ beantwortet werden auf Grund einer neueren, gemeinsamen Untersuchung von Plosionen und Übergängen, die die in seiner Prager Arbeit zu findende Hervorhebung "der akustischen Elemente einer Sprache als System" bestätigt. Die umfangreiche Untersuchung der von konsonantischer Kompaktheit ~ Diffusheit aufgewiesenen invarianten akustischen Eigenschaften durch Blumstein und Stevens (1977) hat deutlich gezeigt, daß "es eine diffuse Streuung der Spektralenergie bei Labial- und Alveolarlauten gibt. Das Spektralgefälle ist entweder gering oder neigt sich den niedrigeren Frequenzen im Falle der Labiallaute und den höheren Frequenzen im Falle der Alveolarlaute zu. Die Spektralenergie ist bei Velarlauten in einem Mittelfrequenzgipfel konzentriert" (siehe Abbildung 4). Insbesondere haben sich die Plosionseigenschaften beim Abklingen wie auch beim Einsatz als ähnlich erwiesen und legen deutlich nahe, "daß es bei Verschlußlauten in an- und auslautender Stellung invariante akustische Eigenschaften für die Artikulationsstelle gibt", und bestätigten das Phänomen der vereinheitlichenden akustischen Eigenschaften "über phonetische Kontexte hinweg und unter verschiedenen Lautklassen". Die Fähigkeit aller Sprecher, die distinktiven Merkmale von Konsonanten "über verschiedene, von verschiedenen Sprechern in verschiedenen Kontexten produzierte Vokale hinweg" wahrzunehmen, ist völlig bestätigt worden. Der Unterschied zwischen Kompaktheit und Diffusheit von Vokalen und Konsonanten zeigt sich auf mehr als eine Art. Velare und palatale Verschlußlaute sind stärker als labiale und dentale und weisen eine "stärkere Konzentration der Plosion" (Fischer-Jorgensen 1954: 59) auf, während kompakte Vokale stärker sind als diffuse. Kompakte Phoneme weisen einen höheren intraoralen Luftdruck auf, nach Malecots Messungen von amerikanischen Verschlußlauten, die einen höheren Höchstdruck bei /k, g/ als bei /p, b/ und /t, d/ (1966a: 72) und eine höhere Amplitude bei /k, g/ in vortonigen und auslautenden
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Die Lautgestalt
der Sprache
Positionen (1968: 98) zeigen. Gleichermaßen zeigt a die höchste und u, i die niedrigste vokalische Amplitude (siehe Häla 1941: 233, und frühere in RJ I: 385f. referierte Belege über die bessere Hörbarkeit, Unterscheidbarkeit und Widerstandsfähigkeit der kompakten Laute im Vergleich zu ihren diffusen Gegenstücken).
Abbildung 4. Spektrogramme von Amerikanisch ba, da und ga, von S. Blumstein und K. Stevens bei ihrem Vortrag vor der jährlichen Versammlung der Acoustical Society of America im Dezember 1977 vorgelegt. "Diese Spektren veranschaulichen die Grundeigenschaften der drei Konsonantenklassen. Bei den Labial- und Alveolarlauten ist die Spektralenergie diffus gestreut. Bei den ersteren ist das Spektralgefälle entweder gering oder neigt sich den niedrigeren Frequenzen zu, während es sich bei den letzteren den hohen Frequenzen zuneigt. Bei den Velarlauten konzentriert sich die Spektralenergie auf einen Gipfel in den mittleren Frequenzen."
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Ceteris paribus weisen kompakte Phoneme, sowohl Vokale als auch Konsonanten, eine längere natürliche Dauer auf. Das tschechische Lautsystem mit seiner konsequenten Opposition von velaren und palatalen Verschlußlauten gegenüber den labialen und dentalen Entsprechungen zeigt eine regelmäßige arithmetische Regression in der Durchschnittsdauer der kompakten Verschlußlaute, Nasallaute und Vokale gegenüber ihren diffusen Gegenstücken. Nach den von Häla und Soväk (19472) angeführten Messungen der durchschnittlichen tschechischen Vokale dauert das optimal kompakte / ä / 24 Hundertstelsekunden gegenüber 18 bei / ü / und 17 bei III (20 bei / ö / und 19 bei / e / ) , und dementsprechend dauert das kurze /a/ 12 Hundertstelsekunden gegenüber 9 bei lul und 8 bei Iii (10 bei lol und 9 bei lel). Es ist anzumerken, daß im Slowakischen mit einem Paar von kompakten Vokalen die natürliche Dauer von dem dunklen / a / und dem hellen /ae/ die der anderen Vokalen beträchtlich übersteigt (vgl. Isäcenko 1968: 139f.) Die Kohärenz von Häla und Soväks (19472) Daten f ü r die Gesamtdauer der Verschlußlaut- und Nasalkonsonanten ist besonders wichtig, weil die Frage der kompakten und diffusen Konsonanten ein diesen Experimentatoren fremdes Problem darstellte: k 19
tv 17
g 14
dv 12
Xi 13
ä 11
P 18
t 16
b 13
d 11
m 12
n 10
So übertrifft die Länge der kompakten die ihrer diffusen Gegenstücke um 0,01 Sekunden. Die stimmlosen sind um 0,05 Sekunden länger als ihre stimmhaften Entsprechungen. Die dunklen sind um 0,02 Sekunden länger als die entsprechenden hellen. Die stimmhaften Verschlußlaute sind 0,01 Sekunden länger als die entsprechenden Nasallaute. Eli Fischer-J0rgensens (1954: 46) akustische Untersuchung der dänischen Verschlußlaute zeigt, daß die Dauer von Ikl und /gl und besonders ihrer Plosion durchweg länger ist als die der entsprechenden Labial- und Dentallaute. Ein analoger Unterschied wurde aufgezeigt durch Fants (1973: 64) Messungen der Durchschnittsdauer der schwedischen Verschluß lautplosion in Tausendstelsekunden "vom Beginn der Plosionswelle zum Einsatz der Stimmhaftigheit im folgenden Vokal":
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Die Lautgestalt der Sprache
k
t
P
g
d
b
60
50
40
20
12
8
Nach diesen Messungen ist die Dauer des Übergangs nach /k,g/—der Einsatz der Stimmhaftigkeit (voice onset time—VOT)—länger als bei allen anderen Verschlußlauten. Bei /k,g/ ist die Spektralenergie konzentriert, wohingegen sie bei /t,d/ und /p,b/ gestreut ist, wobei bei /p,b/ die niedrigeren Frequenzen, bei /t,d/ die höheren Frequenzen hervorgehoben werden. Fants Produktionstheorie (siehe 1973: Kapitel 7) liefert die Basis für eine Erklärung des Unterschiedes zwischen der Konzentration und der Streuung der Spektralenergie: "der Hauptformant des /k,g/ Lautes kommt von dem Hohlraum vor der Zungenkonstriktion", während die "diffusen Spektren der Lösung von /p/ und / b / auf das Fehlen eines vorderen Hohlraumes zurückzuführen sind" und "bei der Lösung der Streuungseffekt ausgeprägt ist". /k,g/ "haben einen freien Pol vor der Lösung. In der kritischen Phase nach der Lösung kann dieser Pol keine sehr schnellen Bewegungen ausführen. /t/ und / d / haben einen kleinen und engen vorderen Kanal hinter dem Ursprungspunkt, verbunden mit einer Filtrierung, die hochfrequente Laute durchläßt". All diese Daten erhärten die Schlußfolgerung. "daß k,g kompakt, p,b diffus und dunkel und t,d diffus und hell sind" (Fant 1973: 114ff., 135ff.) (Siehe Abbildung 5.) Bei all den Modifikationen, die die Artikulation von Vokalen im Vergleich zu der von Konsonanten erfordert, bietet die Zerlegung der Phoneme in die Klassen der Kompakten und der Diffusen solche reichhaltigen und äquivalenten Kriterien für die akustischen Produkte der vokalischen und konsonantischen motorischen Tätigkeiten, daß es nötig wird, die effizientesten Quellen auszusuchen, die diese deutliche und grundlegende akustische und perzeptive Trennung innerhalb der Konsonanten und der Vokale schafft. Man muß das Hauptaugenmerk auf diejenigen Konfigurationen unseres motorischen Apparats richten, die für das Erreichen der betreffenden physischen und perzeptiven Dichotomie am effektivsten sind. Die Ergebnisse wären falsch, wenn man den Blick auf die verschiedenen Details der Zungenbewegung richtete, ohne die intendierten akustischen und perzeptiven Wirkungen in Betracht zu ziehen, ohne den offensichtlichen Parallelismus zwischen der vokalischen und konsonantischen Dichotomie zu berücksichtigen. Fant behauptete mit Recht, daß "das Volumenverhältnis des vorderen Hohlraums zum hinteren" sowohl auf
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Röntgenaufnahmen tschechischer Vokale und Konsonanten. Nach S. B. Polland and B. Häla (1926) und Häla (1956), in den Preliminaries to Speech Analysis S. 49 wiederabgedruckt. Die horizontalen Paare veranschaulichen die artikulatorischen Korrelate des Gegensatzes dunkel gegenüber hell. Bei der Artikulation des dunklen Gliedes der Opposition (links) ist der vordere Hohlraum (schwarze Fläche) großer, während der Pharynx und die Lippen zusammengezogener sind als bei dem entsprechenden hellen (rechts). Die vertikalen Paare veranschaulichen die artikulatorischen Korrelate des Gegensatzes kompakt gegenüber diffus. Bei der Produktion der kompakten Phoneme (oben) ist das Verhältnis des Volumens des vorderen Hohlraums (schwarze Fläche) zu dem des hinteren Hohlraums (straffierte Fläche) höher als bei dem entsprechenden diffusen (unten).
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den Vokalismus als auch auf den Konsonantismus "gleichermaßen zutrifft" (19702: 218), und daß, wie er selbst gezeigt hat, der vordere Hohlraum als ein wichtiger bestimmender Faktor für die Formanten der kompakten Phoneme erscheint. Eine synthetische Methode, die sich auf die relationale Invariante konzentriert und die verschiedenen von dieser Invarianten in den vokalischen und konsonantischen Subsystemen angenommen Aspekte anerkennt, ist aus der wissenschaftlichen Sicht einer mechanischen Verabsolutierung und einer isolationistischen Behandlung der Klassifizierung der Konsonanten in hintere ~ vordere und der Vokale in breite ~ enge, tiefe ~ hohe vorzuziehen. Die relationale Invarianz der Opposition kompakt ~ diffus, die eine der beiden dem Lautsystem der Sprache zugrundeliegenden Hauptoppositionen ist, weist natürlich eine Variabilität in den Produktionsmitteln auf wegen der Differenz in den zusammenwirkenden Merkmalen, in dem einen Fall vokalisch, in dem anderen konsonantisch. Es ist angebracht, die vor fast einem Jahrhundert von M. Trautmann, einem hervorragenden Vorläufer der akustischen Phonetik, geäußerte Mahnung an dieser Stelle zu wiederholen: "Was den bisherigen bestrebungen auf dem boden der consonantenlehre am öftesten geschadet hat, ist die zu geringe berücksichtigung des klanges und die meinung, es lasse sich alles mit der angabe der mundstellungen erreichen, die doch bloss mittel zum zwecke sind. < . . . > Die hauptsache aber bleibt immer der klang . . . " (1884: 103). Versuche, die mannigfachen Beweise des Parallelismus bei der Unterscheidung von kompakt ~ diffus bezüglich der Vokal- und Konsonantensysteme in Frage zu stellen, haben zu furchtbar künstlichen Erfindungen geführt, welche manchmal sogar, so seltsam dies auch anmuten mag, auf falsch zitierten Beispielen beruhen. So hat McCawley (1967/1972) voreilig "hohe Vokale und velare und palatale Konsonanten [die er als " + h o c h " bezeichnete] den mittleren und tiefen Vokalen und alveolaren, dentalen und labialen Konsonanten" [die er als "-hoch" bezeichnete] gegenübergestellt auf der Basis "einer eindeutig assimilatorischen Wirkung auf einen Konsonanten bzw. Vokal" in jeder dieser beiden Klassen. Ein "grober Empirismus", um Karl Brugmanns beißenden Ausdruck zu benutzen, machte den Wissenschaftler taub gegenüber dem eigentlichen Wert der distinktiven Merkmale, gegenüber ihrer Rolle im Sprachsystem und gegenüber der Notwendigkeit, sie "zwischensprachlich" zu erforschen. Argumente für die relationale Invarianz bei der Wahrnehmung eines Merkmals als solchem werden in McCawleys Arbeit durch gelegentliche beiläufige Referenzen ersetzt. Anstatt die nach vorne ausgekrempten Pho-
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neme (tiefe Vokale und velare oder palatale Konsonanten) den nach hinten ausgekrempten Phonemen (hohen Vokalen und labialen oder dentalen Konsonanten) als kompakt ~ diffus gegenüberzustellen, versuchte McCawley, die umgekehrte Verbindung der velaren und palatalen Konsonanten mit den hohen Vokalen und der labialen und Dentialveolaren mit den tiefen Vokalen herzustellen, und behauptete, drei relevante Beweisstücke für die Überlegenheit seiner Annahme "gefunden zu haben". Zuerst führte McCawley die Verschiebung nach hinten von /s/ nach [i], [u], [r], und [k] im Sanskrit an, "da das [r] im Sanskrit eine palatale Artikulationsstelle hatte" und so eines der Phoneme war, die den Sibilanten angeblich assimilierten (vgl. aber Andersens 1968 entgegengesetzte Ansicht, die auf der Analyse der Opposition kompakt ~ diffus beruht). McCawley hat allerdings nicht beachtet, daß dieser Wandel im Indo-Iranischen, im Slawischen und im Baltischen stattgefunden hat, und daß überhaupt nichts auf ein palatales [r] in diesen Sprachgebieten hindeutet. Sein zweites "Beweisstück" für das universelle Gesetz einer Verbindung zwischen den diffusen Konsonanten und den kompakten Vokalen war eine ziemlich freie Wiedergabe einer verwirrenden Aussage von Sarah Gudschinsky über "die vokalische Allophonie der Konsonanten" in Maxacali, einer von etwa 300 Indianern in Brasilien gesprochenen Sprache. (Für die Verbindung des kompakten /k/ mit dem kompakten /a/, siehe das weitaus überzeugendere Experiment von A. M. Liberman et al. 1952). Schließlich krönte McCawley sein Argument mit dem dritten Beweisstück, nämlich mit aus Zirmunskijs Deutsche Mundartkunde (1962) (welche auf seine Nemeckaja Dialektologia, 1956 zurückgeht) angeblich entnommenen Daten, die für den Wandel von Dentallauten zu Velarlauten nach hohen Vokalen in der ripuarischen Mundartgruppe als "eine Assimilierung der Höhe" beispielhaft sein sollen, d.h. "[hurjk], [kiijk], [lük], [tsik], die Hochdeutsch Hund, Kind, Leute, Zeit entsprechen". Im Gegenteil deutet Zirmunskij selbst in der deutschen und der russischen Fassung seines ausführlichen Werkes auf den Parallelismus der beiden Erscheinungen hin—eine Vokalöffnung (Vokalsenkung) und einen Wandel von Dental- zu Velarlauten—und unter zahlreichen Beispielen von parallelen Wandeln führt er [ho q k], [kerjk], [lök] und [tsek] an! Zirmunskij bespricht Verschiebungen wie [t] zu [k] nach langem [I, ü, ü], die selber zu [e, o, 0] gesenkt werden: [krok] 'Kraut' (mhd. [krüt]), [sneg.a] 'schneiden' (mhd. [sniden]), [reg.a] 'reiten' (mhd. [riten]), [log.?] 'weinen' (mhd. [lüten]) und auch [lög.a] 'läuten' (mhd. [liuten]): "der Wandel zu Velarlauten findet dort statt, wo
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die Vokale zu [e, o, 0] geöffnet werden". Dieser erstaunliche Fall eines andauernden Mißverständnisses bei der Lektüre hat Eingang in verschiedene Handbücher gefunden, die den Leser versichern, daß "kräftige Argumente für ein neues Merkmal 'hoch' vorgebracht worden sind", und daß "von McCawley die Beobachtung gemacht worden ist, daß in den ripuarischen Dialekten Dentallaute durch Velarlaute nach hohen Vokalen ersetzt werden". So ist diese seltsame falsche Beobachtung zu einem typischen Beispiel eines ärgerlichen Phänomens geworden, das von dem Philosophen L. P. Karsavin als "wandernde Irrtümer" bezeichnet wurde. Auch das McCawleys zweifelhaften Beispielen zugrundeliegende Prinzip, sein nachdrücklicher Verweis auf die Allerweltserklärung der Assimilierung, ist falsch: in der Sprache ist das Phänomen der Dissimilation genauso stark. So erscheinen im Artschinischen, einer ostkaukasischen Sprache, gerundete Konsonanten in Verbindung mit allen Vokalen außer vor und/oder nach gerundeten (Trubetzkoy 1931b: 1944). Die ukrainischen und bulgarischen palatalisierten Konsonanten mit ihren maximal hohen Formantenübergängen verloren ihre Palatalisierung ausgerechnet vor dem alten /e/ und /i/ (beide vorne und ungerundet). Es sei hier beiläufig angemerkt, daß verschiedene qualitative Verschiebungen von Vokalen in der Umgebung von velarisierten und/oder pharyngalisierten Konsonanten, entgegen McCawleys emphatischer Behauptung, keinen wesentlichen Unterschied zu denjenigen Vokalwandeln aufweisen, die in der Umgebung von gerundeten Konsonanten beobachtet worden sind, und McCawleys beigefügte deskriptive Daten (McCawley 1967/1972: 524) entsprechen leider nicht den phonetischen Daten, die wir von Sprachen besitzen, die über das betreffende Merkmal verfügen (vgl. z.B. Obrecht 1968). Die auffällige Übereinstimmung zwischen den beiden senkrechten Achsen der Vokal- und Konsonantensysteme—hohe ~ niedrige Tonali tat und Konzentration ~ Streuung der Spektralenergie—wurde schon in den Sanskrit-Schriften über Sprachlaute erkannt. Wie Allen (1953: 61) zeigt, wird /a/ in den späteren phonetischen Abhandlungen aus dem alten Indien in der velaren Reihe gruppiert, "unter dem Ausdruck kanthya ['glottaler Gutturallaut'], wodurch erheblich zur Symmetrie des varna-samämnäya ['Lautsystem'] beigetragen wurde". In seinem frühen, an weitsichtigen Intuitionen reichen Buch bemerkte Jacob van Ginneken (1877-1945), daß "die konsonantischen Unterschiede in der Artikulationsstelle verschiedene Grade der Klangfarbe erzeugen", und daß insbesondere "die Labial-, die Dental- und die Velarlaute der Vokalreihe u,i,a zum größten Teil entsprechen" (1907: 384).
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Zur Zeit könnte man sich auf die fruchtbaren Gedanken in Hüssein Yilmaz' psychophysischer Theorie der Sprachwahrnehmung (1967 und 1968) beziehen. Als eine "Ausführung der Theorie der Invarianz mit Mitteln für Sprach- und Systemerkennung" postulierte er einen vokalischen und später einen konsonantischen Kreis, der auf der spektralen Korrespondenz von Vokalen und Konsonanten beruht. Von den perzeptiven Organisationen und Transformationen ausgehend, die die Konsonanten, insbesondere ihre Plosionen aufweisen, findet er Entsprechungen zwischen "dem Vokal- und dem Farbraum". Also postuliert er einen gemeinsamen Kreis von Vokalen und Konsonanten, der auf ihrer spektralen Ähnlichkeit beruht und mit zwei senkrechten Achsen versehen ist: p-u und t"-ae bilden die Endpunkte der ersten Achse, t-i und k-a fungieren als die Endpunkte der zweiten. In Balonov und Deglins Untersuchung (1976) der relativen Widerstandsfähigkeit der Sprachlaute gegenüber der Ausschaltung der linken Hemispäre (siehe oben, S. 34f.) wird bemerkt, daß "das stärkste und stabilste differenzierende Signal für die Diskriminierung von Vokalen die Frequenz des ersten Formanten ist" (S. 194); so scheint /a/ der beständigste unter den Vokalen zu sein, und seine Erkennung ist am wenigsten beeinträchtigt (S. 132). Dementsprechend stellt sich /k/ als der widerstandsfähigste Konsonant und der am leichtesten von /p/ und /t/ zu unterscheidende heraus (Balonov und Deglin: Tabelle 14). Wenn wir uns Delattres Tabelle (vgl. Abbildung 3) wieder zuwenden, so sehen wir, daß alle Phoneme der letzten drei Spalten—die palatoalveolaren, zischenden Konsonanten s (chat), z (joue), das palatale A (gnon) und das k, sowohl velar (COM) als auch palatovelar (qui), wie auch g, sowohl velar (gout) als auch palatovelar (guide)—trotz ihrer artikulatorischen und akustischen Unterschiedlichkeit eine Aufwärtsrichtung oder eine Verstärkung des unteren (Übergangs-) Formanten oder zumindest eine Turbulenzverstärkung an dessen Spitze gemeinsam haben. Die palatoalveolaren § und z sind von den velaren k und g getrennt durch das distinktive Merkmal, das die Kontinuierlichkeit der ersteren der Abruptheit (Verschluß) der letzteren gegenübergestellt. Das palatale fi wird von den Verschlußlauten k,g und den Dauerlauten §, z getrennt durch das distinktive Merkmal, das das Vorhandensein der Nasalität dem Fehlen derselben gegenübergestellt. Die zwei Gegensätze kontinuierlich - abrupt und nasal ~ nicht-nasal sind den kompakten und den diffusen Konsonanten gemeinsame Merkmale, wie Delattres Tabelle zeigt. Andererseits ist das distinktive Merkmal, das die dunklen Konsonanten ihren hellen Gegenstücken gegenübergestellt und allen fünf Paaren der diffusen Konsonanten (p, b, f, v, m gegenüber t, d, s, z, n) eigen ist, lediglich redundant
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bei den kompakten Konsonanten, weil keiner von diesen Konsonanten die Unterscheidung dunkel ~ hell aufweist, während sonst alle anderen distinktiven Merkmale gleich sind. (Es gibt kein helles / t 7 als Gegenstück zu /k/, kein dunkles /x/ als Gegenstück zu /§/ und kein dunkles /q / als Gegenstück zu / n / , zumindest im Stammwortschatz der französischen Standardsprache.) Das Fehlen des distinktiven Gegensatzes dunkel ~ hell in den kompakten Konsonanten verursacht den freien, stilistischen Ersatz des velaren [rj] für das palatale [n] (wie Phonetiker angefangen mit Sweet wiederholt in der französischen Umgangssprache bemerkt haben), wie auch die von Marguerite Durand bemerkte Tendenz zu einer palatalen Artikulation von k und g in der Pariser Aussprache. Der redundante Unterschied zwischen palatoalveolarer und velarer Artikulation, der hier gebraucht wird, um die distinktive Opposition der abrupten /k,g/ und der kontinuierlichen /s, z/ zu verstärken, findet eine Übereinstimmung in der Verstärkung der distinktiven Opposition zwischen den abrupten und den kontinuierlichen mit Hilfe einer redundanten Differenz in der Artikulationsstelle: die bilabialen [p], [b] gegenüber den labiodentalen [f], [v] und die apikalen [t], [d] gegenüber den alveolaren [s], [z]. Im Gemeinslawischen (wie in verschiedenen anderen Sprachen) werden solche Unterschiede wie der zwischen [g] und [z] durch die Stellung vor einem dunklen bzw. einem hellen Vokal (z. B. bogu 'Gott' im Nominativ wird zu boze im Vokativ) bedingt. Vgl. den analogen Wandel von [t] zu [s] vor [i] in der Nasioi-Sprache von Neu-Guinea, in der es keine distinktive Opposition zwischen Dauer- und Verschlußlauten gibt (siehe Hurd und Hurd 1971). So können wir, um die redundanten Merkmale aus Delattres Tabelle der französischen Konsonanten zu entfernen und uns auf die distinktiven Merkmale zu konzentrieren, die drei rechten Spalten ersetzen, indem wir die fünf kompakten Laute in einer einzigen zu den ersten beiden Spalten symmetrischen Spalte zusammenbringen: dunkel diffus abrupt kontinuierlich nasal
P b f v m
hell diffus d s z n
kompakt k g s z ñ
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Wie Delattre in einer persönlichen Mitteilung bestätigte, ist die maximale Entwicklung der Formanten breiter bei Konsonanten als bei Vokalen, wogegen die minimale Entwicklung der Formanten bei Vokalen enger ist als bei Konsonanten. So bildet der optimale und entsprechend merkmallose Vokal den Pol der Kompaktheit, wohingegen die optimalen und entsprechend merkmallosen Konsonanten die maximal diffusen sind. Die Abnahme der Diffusheit, d.h. die relative Kompaktheit bei den Konsonanten, bringt sie den Vokalen näher und fungiert als ein Merkmal im konsonantischen Gegensatz kompakt ~ diffus. Andererseits bewirkt die Abnahme der Kompaktheit bei Vokalen ihre relative Diffusheit, bringt sie den Konsonanten näher und fungiert als das Merkmal im vokalischen Gegensatz diffus - kompakt. Jakob Grimm (1785-1863) betrachtete das kompakte / k / als den vollsten Konsonanten und das kompakte /a/ als den vollsten Vokal "rein, fest und dem /i/ und dem / u / gegenübergestellt, der eine hoch, der andere tief und beide fließend und fähig zur Konsonantenbildung". Es ist offensichtlich, da/3 der merkmallose kompakte Vokal /a/ der erste Vokal ist, der sich in der Kindersprache festigt, und daß der merkmalhafte, kompakte Konsonant /k/ zu den letzten Erwerbungen im Repertoire der Verschlußlaute beim Kind gehört. In diesem Zusammenhang kann man die Ergebnisse von Malecots (1970) psychophysischen Versuchen heranziehen: dorsovelare Artikulationen (k, g, s, z) finden amerikanische "naive Versuchspersonen" "schwerer" als Labial- und Dentialveolarlaute (p, b, f, v, t, d, s, z). Malecots Versuche bewiesen, daß Franzosen in Übereinstimmung mit dem Eindruck der artikulatorischen Schwierigkeit finden, daß die velaren Verschlußlaute, egal welcher Artikulationsart, die "stärksten" aller Konsonanten sind (1977: 31). Die Vokal- und Konsonantensysteme zeigen einige auffällige symmetrische Züge: in jedem System ist die Aufspaltung in dunkle und helle Gegensätze weitaus häufiger, sogar fast universell, in der Reihe der diffusen Konsonanten und Vokale als bei den kompakten. So ist das dreieckige Schema weit verbreitet sowohl im Vokalismus als auch im Konsonantismus; vgl. die Parallelität zwischen a
k und
mit zwei senkrechten Achsen: dunkel ~ hell auf der horizontalen und kompakt ~ diffus auf der vertikalen. Besonders bemerkenswert
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Die Lautgestalt der Sprache
ist die Tatsache, da/3 weder das System der Vokale noch das System der Konsonanten (besonders der Verschlußlaute) in den Sprachen der Welt jemals ein 'umgekehrtes Dreieck' aufweist, nämlich ein System, in dem der Gegensatz hell ~ dunkel unter den diffusen Phonemen fehlt, aber unter den kompakten Phonemen vorhanden ist. Die dieser Universalie zugrundeliegende Erscheinung ist ganz natürlich: die Konzentration der Spektralenergie behindert die Entwicklung von Tief- - Hochfrequenzgegensätzen, wohingegen die Streuung der Spektralenergie eine solche Opposition fördert. Wie schon Stumpf (1926: 339) klar war, ist uns keine Sprache bekannt, die die Distinktion / u / ~ /i/ in Vokalen ohne die Distinktion /u-i/ ~ /a/ besitzt. Es gibt keine Sprachen ohne die Opposition diffus ~ kompakt. Ob es unter jenen nordkaukasischen Sprachen, die das minimale Vokalsystem in der sprachlichen Welt enthalten, einzigartige Sprachen wie Kabardinisch und Abasa gibt, die angeblich keine Vokalgegensätze haben und sich auf ein einziges Vokalphonem beschränken, bleibt eine umstrittene Frage (vgl. Allen 1965; Genko 1955; Halle 1970; Kuipers 1960; Kumaxov 1973; Lomtatidze 1967; und Szemerenyi 1964 und 1977: 356). Aber in jenen kaukasischen Sprachen, deren Vokalsystem mindestens bivokalisch ist, bestehen die Systeme aus einem optimal kompakten /a/ und dessen diffusem, merkmalhaftem Gegenstück / a / , das durch verschiedene kontextbedingte Varianten realisiert wird (Vogt 1963: 22). Wenn eine Sprache eine vokalische Opposition besitzt, so handelt es sich im allgemeinen um die von kompakt ~ diffus. Drei-Vokal-Systeme zeigen gewöhnlich die weitverbreitete dreieckige Kombination der beiden Oppositionen Kompaktheit ~ Diffusheit, die letztere in ihren beiden Tonalitätspolen: a
In dem häufigen viereckigen Vier-Vokal-System zeigt sich jedes der beiden Merkmale zweimal: a
ae
u Erhöht und Erniedrigt Die Ausdrücke dunkel ~ hell, so wie sie auf das Tonalitätsmerkmal angewandt werden, waren in französischen und deutschen psychoaku-
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stischen Studien über die Sprache weitverbreitet und wurden durch die von Prag inspirierte phonologische Literatur übernommen und popularisiert. Obwohl gelegentlich als bloß "impressionistisch" verurteilt, geben sie perzeptive Eigenschaften, die auditiven wie auch allgemein sinnlichen Kontrasten zugrundeliegen, genau wieder, und jeder wird durch die Intuition der normalen Sprecher bestätigt (FischerJ0rgensen 1967; vgl. unten S. 130f.). Diese Opposition wird durch einen auffallenden Unterschied in der Größe und Form des Mundresonanzraums verursacht: ein Verschluß oder eine maximale Verengung im Velar- oder Labialbereich des Mundes schafft einen breiteren und weniger gegliederten Resonanzraum mit einer verengten pharyngalen Öffnung f ü r die Produktion der labialen und velaren Konsonanten und der hinteren Vokale (velaires in der französischen Terminologie) gegenüber einem Resonanzraum von geringerer Größ e , größerer Gegliedertheit (Verschluß im medialdentalen oder palatalen Bereich) und mit erweiterter pharyngaler Öffnung, die f ü r dentialveolare und palatale Konsonanten und f ü r die vorderen Vokale (voyelles palatales) gebraucht wird. Da der Hauptverschluß oder die Hauptverengung näher den Enden des Mundkanals im Falle der dunklen Phoneme und weiter weg von den Enden bei den hellen Phonemen stattfindet, können die ersteren in ihrem motorischen Aspekt als periphär, die letzteren als medial bezeichnet werden. Im Konsonantensystem ist dieser Gegensatz dunkel ~ hell das grundlegende Merkmal; die sekundären Tonalitätsmerkmale, die bei Konsonanten häufig vorkommen und eine große geographische Verbreitung genießen, sind unter den der musikalischen Nomenklatur (im Englischen) entnommenen Bezeichnungen bekannt: erhöht ~ nicht-erhöht ("sharp ~ non-sharp") und erniedrigt ~ nicht-erniedrigt ("flat ~ nonflat") (RJ et al. 1952). Fant hat wiederholt den erhöhten Charakter der russischen Konsonanten, der durch das Anheben eines Teils der Zunge gegen den Gaumen und durch die Erweiterung des pharyngalen Kanals (dessen größere Erweiterung bei hellen Konsonanten und geringerer Verengung bei dunklen Konsonanten) bewirkt wird, eingehend untersucht. Seine spektrographischen Messungen der erhöhten Konsonanten in der zusammenhängenden Rede von Männern und Frauen brachten ihn zu dem Schluß, daß der untere Formant (F 2 ) bei einem erhöhten Konsonanten in der Regel höher liegt als bei dem entsprechenden nicht-erhöhten in demselben Kontext, und daß außerdem eine Erhöhung des oberen Formanten (F 3 ) zu der Unterscheidung beiträgt und in gewissen Kontexten eine wichtige Hilfsrolle spielt. Dieses höhere Spektralniveau kennzeichnet mindestens eine der Konsonantenphasen, einschließlich ihrer Übergange zu
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dem vorangehenden oder nachfolgenden Vokal (vgl. Shupljakov et al. 1969; Derkach et al. 1970; Fant 1969b und 19702; vgl. RJ I: 242f. über die geographische Verbreitung dieses Merkmals; für die kontextbedingten Varianten des Merkmals 'erhöht' im Russischen siehe Zinder et al. 1964). Der Vergleich der beiden konsonantischen Merkmale—hell und erhöht—zeigt, daß die erhöhende Wirkung bei Hellfärbung hauptsächlich in dem oberen Formanten und bei Erhöhung in erster Linie in dem unteren Formanten mit einer charakteristischen Tendenz zur analogen Erhöhung des oberen Formanten auftritt. Versuche weisen darauf hin, daß die Hauptsignale für die Erhöhung in erster Linie am Ende des Konsonanten und die für die Hellfärbung am Anfang desselben bemerkbar sind. Es wäre aber ungerecht, den vorvokalischen Übergangsformanten die alleinige Rolle bei der distinktiven Wahrnehmung der erhöhten Konsonanten zuzuschreiben. Ein Russe z. B. unterscheidet erhöhte Konsonanten deutlich von nicht-erhöhten, wenn kein Vokal nachfolgt oder vorangeht: vgl. vozd' /vöstV 'Führer' ~ kost /kost/ 'Kosten', vskol'z' /fskol's'/ 'flüchtig' ~ val's /väl's/ 'Walzer'. Die Konsonanten, die sich besonders leicht in erhöhte und nichterhöhte Gegenstücke aufspalten lassen, sind die diffusen hellen (dentialveolaren); sie zeigen eine Neigung zur Maximalisierung des Gegensatzes dunkel ~ hell. Überdies ist es typisch, daß sich dieses sekundäre Tonalitätsmerkmal, wie das Merkmal dunkel ~ hell, mehr für die diffusen als f ü r die kompakten Konsonanten eignet. Insbesondere bleibt dieses Merkmal den Palatalen fremd, die eine merkmalhafte, helle Variante der merkmalhaften, kompakten Konsonanten darstellen. In den Anfangsstadien der Sprache erwirbt das Kind oft dentale Konsonanten in ihrer erhöhten palatalisierten Variante, sogar in Wörtern, wo dieses Merkmal der Erwachsenensprache unbekannt ist, und sogar in Sprachen, die die betreffende Opposition gar nicht kennen (vgl. RJ I: 383). Mit diesem Merkmal ausgestattete Sprachen neigen dazu, erhöhte Dentallaute in der üblichen Baby-sprache zu gebrauchen, wie in solchen traditionellen russischen konsonantischen Reduplikationen wie [t'ät'a] 'Papa', [d'äd's] 'Onkel', [t'o't'a] 'Tante', [n'än'a] 'Kinderfrau' [t'ut'ü] 'futsch', 'dada', [n'ün'a] 'Heulsuse', [z'üz'a] ' n a ß ' , [s'üs'u] 'Pipi', [s'is'a] 'Mutterbrust'. Das Merkmal 'nicht-erhöht' umfaßt, im Gegensatz zu 'erhöht', vorwiegend die Senkung des unteren Formanten zusammen mit einer Reduktion der Durchschnittsfrequenz des Spektrums, oder wie Fant es definiert, "eine Verschiebung nach unten in der Frequenzlage der Formanten, wobei die allgemeine Gestalt des Spektrums beibehalten wird" (1973: 148ff.). Die nicht-erhöhten gegenüber den
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erhöhten Phonemen werden durch eine verkleinerte vordere (oder hintere) Öffnung des Mundresonanzraumes und eine gleichzeitige Velarisierung, die den Resonanzraum selbst erweitert, produziert. In einem Brief von Delattre, in dem er seine Spektrogramme und Röntgenaufnahmen der russischen Silben pa und ta mit und ohne Palatalisierung bespricht, heißt es, daß der Pharynx vor dem Übergang von / p ' / und / t ' / zu /a/ weit offen ist, und daß die Spektrogramme zeigen, daß der Ort der Übergänge des zweiten und des dritten Formanten deutlich höher liegt als bei /p/ und / t / , wogegen ähnliche Aufnahmen der sogenanten 'emphatischen' (pharyngalisierten) und nicht-pharyngalisierten Verschlußlaute im Arabischen darauf hinweisen, daß "l'emphatique est exactement le contraire de la palatalisation. Pour le ta emphatique la langue se porte immédiatement vers le pharynx, rendant la constriction pharyngale plus étroite pendant le passage de /t°/ à /a/. Sur les spectrogrammes cela abaisse le locus des transitions du 2e et 3e formants" (vgl. auch Obrecht 1968). Verschiedene zusätzliche Konstriktionen am hinteren Ende des Mundkanals führen zu im wesentlichen ähnlichen akustischen und audio-perzeptiven Ergebnissen der Erniedrigung. Es bleibt trotz all der möglichen Schattierungen und Abstufungen eine gemeinsame Kernwirkung, egal ob der Sendeprozeß hauptsächlich eine pharyngale Konstriktion oder eine velare Anspannung bedingt, im Gegensatz zur Erweiterung oder Entspannung. Normalerweise wird die Produktion der pharyngalisierten oralen Konsonanten von einer Velarisierung begleitet (vgl. Marçais 1948: 27). Das postvelare /q/ im Serer (westafrikanisch), welches anscheinend ohne die übliche uvulare Scharfheit auftritt und dem postpartalen / k / gegenübersteht, scheint ein Beispiel der gemeinsamen Wirkung der Pharyngalisierung und der Velarisierung zu sein, ein Fall des Merkmals 'nicht-erhöht' mit seiner typisch tieferen Position der Übergangsformanten (siehe Ladefoged 1964: 21f.; vgl. Chomsky und Halle 1968: 305). Die Wahl zwischen Velarisierung oder Pharyngalisierung für die Hauptrolle kommt teils als freie, stilistische Variation und teils als kontextbedingte Variation, je nach den sequentiellen und gleichzeitigen distinktiven Merkmalen, vor. Wie Ladefoged bemerkt, "benutzt keine Sprache einen Kontrast" zwischen Velarisierung und Pharyngalisierung, von denen "die erstere mit dem Anheben des Zungenrückens, die letztere mit dessen Zurückziehen verbunden ist. < . . . > In Berbersprachen besteht der Unterschied zwischen emphatischen und nicht-emphatischen Konsonanten zum größten Teil darin, daß die ersteren velarisiert oder pharyngalisiert sind, während die anderen es nicht sind" (Ladefoged 1971a: 63f.). Einige andere Aspekte des Zu-
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rückziehens, die auf eine Verschiebung nach unten in der Frequenz der Formanten abzielen, werden wegen der gemeinsam von ihnen erfüllten Funktion in allen diesen Fällen als Manifestationen desselben generischen Merkmals angesehen. Diese natürliche Anerkennung der gemeinsamen Gattung kann man kaum als falsch bezeichnen, zumal die Abgrenzung der Gattung keineswegs die zusätzliche Aufmerksamkeit des Systematikers auf die diversen Spezies ausschließt. Aber die Darstellung der motorischen Spezies m u ß sich natürlich auf die ganze physiko- und psycho-akustische Gattung erstrecken. Es gibt immer eine Anzahl von auffälligen Signalen, die offenlegen, warum bei den Oppositionen erhöht ~ nicht-erhöht oder erniedrigt ~ nicht-erniedrigt gerade Erhöhung oder Erniedrigung als merkmalhaftes Glied fungieren. Es gibt immer Beschränkungen sowohl in den sequentiellen Kontexten als auch im Kontext der anderen, demselben P h o n e m zugehörigen Merkmale; es gibt auch Beschränkungen in der Häufigkeit, mit der eines der beiden Gegensatzglieder im lexikalischen Kode und im Korpus der Äusserungen vorkommt. Solche Beschränkungen deuten auf das merkmalhafte Glied der betreffenden Opposition hin. In dieser Hinsicht bietet das russische Konsonantensystem ein kompliziertes Beispiel. Im Gegensatz zu den erhöhten, palatalisierten russischen Konsonanten sind die nicht erhöhten immer velarisiert, es sei denn, ihnen folgt ein palatalisierter Konsonant, in welchem Fall sie einer assimilatorischen Palatalisierung unterworfen sind oder zumindest der Velarisierung entgehen. Jemand, der aus dem Westen k o m m t und Russisch lernt, m u ß die Prozesse der Palatalisierung wie auch der Velarisierung und entsprechend solche Variationen des vorkonsonantischen / e / wie [p'aetTi] ' g e s u n g e n ? ' , [p'et'l'i] 'singen?', [p'etl'i] 'Schlingen' lernen. Es sei angemerkt, daß Araber, wenn sie einen Russen hören, dazu neigen, die nicht-erhöhten Konsonanten mit ihren eigenen pharyngalisierten in Verbindung zu bringen. Die Frage wurde aufgeworfen, welcher der beiden gegensätzlichen Unterschiede—erhöht ~ nicht-erhöht oder erniedrigt ~ nichterniedrigt—von sich aus im Russischen signifikant ist. Es liegt auf der Hand, daß die beiden Kontraste sich gegenseitig verstärken. Der Gebrauch dieser beiden zusammengefallenen Distinktionen ist im Russischen auf die diffusen Konsonanten beschränkt (wenn wir von der einzigen A u s n a h m e des palatalisierten / k ' / — [ t k ' o m ] 'wir weben' — absehen). In der Reihe der (diffusen und hellen) Dentallaute steht eine schwache Velarisierung einer starken Palatalisierung gegenüber, wogegen in der Reihe der (diffusen und dunklen) Labiallaute eine starke Velarisierung einer schwachen Palatalisierung gegenübersteht (siehe Baranovskaja 1970). Systematische Beschränkungen des Vor-
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kommens der distinktiv palatalisierten Konsonanten und der Modifikationen der Vokale in der Umgebung von palatalisierten Konsonanten gehören zu den russischen Signalen für den merkmalhaften Charakter der Erhöhung und f ü r die effektive Redundanz der Velarisierung (Erniedrigung), die allen nicht-erhöhten Konsonanten dieser Sprache eigen ist (vgl. Bondarko und Verbickaja 1965). Eine artikulatorische Modifikation der hellen Konsonanten, die zu der distinktiven Opposition erniedrigt ~ nicht-erniedrigt führt, wird in einigen geographisch weit verstreuten Sprachen durch die Gegenüberstellung der erniedrigten Alveolar- und der Dentallaute (einschlie/Slich der dentialveolaren Variante der letzteren) durchgeführt. Die relative Erweiterung des Mundraums vor den Alveolaren, im Vergleich zu dessen Verengung vor den Dentalen, verursacht nach Malmbergs Beobachtungen (1971: 78f.) "einen erheblichen akustischen Unterschied zwischen der dentalen und der alveolaren Art. Diese hat einen weitaus niedrigeren Formanten als die dentale, was in einigen Fällen als distinktives Mittel verwendet wird". Hierzu gehören beispielsweise Temne und Isoko (vgl. Ladefoged 1971a: 38f., und 1964: 19f.), die dravidische Sprache Malayalam (vgl. Ladefoged 1971a: 38f.; vgl. auch Soubramanian 1962: 104; und Gendron 1970), das Araukanische in Chile (vgl. Echeverría und Contreras 1965; und Malmberg 1971: 79) und einige australische Sprachen (vgl. Wurm 1972: 53). Fant behauptet wiederum, daß die Alveolarlaute durch die niedrigere Frequenz ihres Hauptformanten den Dentallauten "durch das Merkmal Erniedrigung" gegenüberstehen (1973: 145; vgl. S. 38). Ladefoged (1971a: 39) besteht vernünftigerweise auf der Relevanz dieser Differenz zwischen Dental- und Alveolarlauten: die gleichzeitigen "apikallaminalen Unterschiede" bleiben "auf der systematischphonematischen Ebene" (1971a: 39) irrelevant. Eine Scheidung, die der zwischen den Dental- und den Alveolarlauten ähnlich ist, wird durch die Zerlegung der kompakten Untermenge der hellen Konsonanten in die retroflexen Postalveolarlaute mit deutlich niedriger Frequenz und die Palatallaute erreicht. (Die von Trubetzkoy [1939a: 133f.] hervorgehobene relativ erniedrigte Wirkung der retroflexen Konsonanten hat ihre akustische Bestätigung in den Arbeiten von Fant 1973: 38 und 138f.; Ladefoged 1971a: 39f.; und Stevens und Blumstein 1975 gefunden.) Die Reihe der Verschluß lautphoneme im Araukanischen liefert ein deutliches Beispiel f ü r die parallele Scheidung der hellen Konsonanten, sowohl in ihren diffusen als auch ihren kompakten Varianten, in erniedrigte und nicht-erniedrigte, wobei die diffuse Variante durch einen nicht-erniedrigten Dentallaut und einen erniedrigten Alveolarlaut und die
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kompakte durch einen nicht-erniedrigten Palatallaut und einen erniedrigten Retroflexlaut vertreten sind. Die zwei letzteren Phoneme weisen eine Tendenz zur Affrizierung auf (siehe Echeverría und Contreras 1965: 133). Für die parallelen Oppositionen alveolar ~ dental und retroflex ~ palatal vgl. auch das "Phonem-Inventar" des Tamil (Pillai 1960: 28). In Sprachen, in denen die kompakte helle Untermenge bloß durch retroflexe Konsonanten ohne palatale Gegenstücke vertreten ist, fungieren die retroflexen Phoneme anscheinend lediglich als die kompakten hellen Konsonanten der jeweiligen Sprache, z.B. in Ewe (vgl. Ladefoged 1964: 20 und Abbildung 8A; 1971a: 39); in Buruschaski und in einer Anzahl von Sprachen in Zentralasien (vgl. Toporov 1970). In diesen Sprachen stehen die retroflexen Verschlußlaute den diffusen gegenüber, ähnlich wie kompakte zischende Konsonanten ihren diffusen hissenden Gegenstücken gegenüberstehen. (Für eine Übersicht der geographischen Verbreitung der retroflexen Konsonanten siehe die vorläufige Skizze von Bhat 1973). Es ist bemerkt worden, daß mit pharyngalisierten Konsonanten unvertraute Ausländer, z.B. Bantus und Usbeken, dazu neigen, die arabischen 'emphatischen' Konsonanten durch gerundete Artikulationen wiederzugeben (siehe Polivanov 1928: 109, und RJ I: 512): statt des hinteren Kanals wird die vordere Öffnung des Mundraums verengt. Wie Spektrogramme und Perzeptionstests gezeigt haben, verhindert der Unterschied in der Artikulationsstelle eine wesentliche Gemeinsamkeit in der akustischen Wirkung nicht, die bei Erniedrigung in einer Abwärtsverschiebung und bei Erhöhung in einer Aufwärtsverschiebung des unteren Formanten mit einer gleichzeitigen Verschiebung aller Formanten besteht, wobei die allgemeine Form des Spektrums beibehalten wird (vgl. oben, Kapitel 1 und 2). Dennoch folgert McCawley, "sogar wenn es keine Sprachen gibt, in denen Rundung und Pharyngalisierung als eine unabhängige Opposition fungieren, so muß man eine Theorie, die sie als getrennt behandelt, dennoch für überlegener halten gegenüber einer Theorie, die sie unter ein einziges Merkmal subsumiert" (1967/1972: 524). Wenn eine physiko- und psycho-akustisch homogene Erscheinung, die an beiden Enden des Mundraums auf ähnliche Weise (besonders im Hinblick auf dessen Verlängerung) realisiert wird, den tatsächlichen Gegebenheiten zum Trotz als zwei miteinander nicht verwandte Prozesse statt als Realisierungsvarianten ein und derselben Konstanten behandelt wird, zeigt dies nicht die Aufgabe der Suche nach Konstanten der zwischensprachlichen vergleichenden Analyse und eine Beschränkung dieser Analyse auf oberflächliche Realisierungen, die das wissenschaftliche Hauptproblem der Invarianz außer Acht läßt?
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Eine solche Einstellung ist besonders unhaltbar in Anbetracht der üblichen Kombination der Rundung und Velarisierung. Spezialisten f ü r afrikanische und kaukasische Sprachen, wo das betreffende Merkmal am häufigsten auftritt, neigen dazu, den Ausdruck 'Labiovelarisierung' zu gebrauchen, weil Labialisierung "nicht auf die Rundung der Lippen beschränkt ist, sondern dem ganzen Laut außerdem eine Anhebung des hinteren Teils der Zunge auferlegt" (Jusmanov 1937: 28). Die relative Beschränkheit des pharyngalen Kanals bei der Produktion der labiovelarisierten Konsonanten (seine stärkere Konstriktion bei dunklen Konsonanten und restringierte Vergrößerung bei hellen Konsonanten) begrenzt die akustische Distanz zwischen labiovelarisierten und den eigentlichen pharyngalisierten Konsonanten (vgl. Ladefoged 1971a). Die stilistische Schwankung zwischen Velarisierung und Rundung ist in der sprachwissenschaftlichen Literatur häufig erwähnt worden; z. B. vor einigen Jahrzehnten neigten Moskauerinnen im umgangssprachlichen Gebrauch dazu, die velarisierten Konsonanten zu runden (siehe hierzu Westermann und Ward über die Sutho-Tschwana Gruppe der afrikanischen Sprachen, 1933: 102ff., mit einer Abbildung eines labialisierten und zugleich velarisierten [s°]).
Die Wechselbeziehungen zwischen den Tonalitätsmerkmalen Ein sehr hoher Prozentsatz, vielleicht sogar die Mehrheit der Sprachen hat in ihren Konsonantensystemen lediglich eine Tonalitätsopposition dunkel ~ hell. Innerhalb der diffusen Klasse der Konsonanten kommen die dunklen (labialen) im Kode und im Korpus der Äußerungen weniger häufig vor, im Vergleich zu dem normalerweise häufigeren Auftreten ihrer hellen (dentalen) Gegenstücke. Diese wichtige Tatsache weist auf die Merkmalhaftigkeit der ersteren, dunklen Unterklasse der diffusen Konsonanten im Gegensatz zu ihren merkmallosen hellen Gegenstücken hin. Vgl. z.B. das weitaus üblichere Vorhandensein des merkmallosen, hellen /s/ im Vergleich zu dem merkmalhaften, dunklen Iii in den Konsonantensystemen der Sprachen der Welt. Umgekehrt scheint die kompakte Klasse der Konsonanten eine größere Neigung zum Gebrauch der dunklen (velaren) Phoneme aufzuzeigen als die helle palatale Klasse, und wenn es keine distinktive Opposition von velaren und palatalen Konsonanten in einer gegebenen Sprache gibt, so ist diese Klasse durch einen velaren Konsonanten (/k/) vertreten; so kann man für die kompakten Konsonanten die entgegengesetzte Richtung annehmen: merkmallose dunkle gegenüber merkmalhaften hellen.
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Zusammenfassend bieten Konsonantensysteme neben der fast universell zu findenden Opposition dunkel ~ hell (vgl. unten S. 136) bei der es hauptsächlich um die Abwärts— Aufwärtsverschiebung des oberen Formanten geht, zwei polare Arten von Tonalitätsmerkmalen, bei denen es sich um die vorherrschende Verschiebung des unteren Formanten und die gleichzeitige Verschiebung des oberen Formanten, ohne eine Veränderung in der allgemeinen Form des Spektrums als Ganzem handelt. Die erste Art ist durch die ausschließlich konsonantische Opposition erhöht ~ nicht-erhöht vertreten; die andere, erniedrigt ~ nicht-erniedrigt, wird durch verschiedene Sendemittel durchgeführt. Nur zwei der Tonalitätsmerkmale fungieren im Vokalsystem, nämlich dunkel ~ hell und erniedrigt - nicht-erniedrigt, und das letztere wird immer in erster Linie durch die Distinktion von gerundeten und ungerundeten Vokalen realisiert. Sowohl das Gesamtrepertoire der Tonalitätsmerkmale als auch ihre Wechselbeziehungen sind unterschiedlich in den Vokalen im Vergleich zu den Konsonanten. Das merkmallose, kompakte /a/ unterscheidet sich auf markante Weise von den anderen Vokalen dieses Systems durch seine Nichtbeteiligung an ihrer Tonalitätsopposition und teilt weder die (merkmalhafte) Erniedrigung mit / u / und /o/ noch die (merkmalhafte) Erhöhung mit /i/ und /e/. Der Synkretismus der beiden Tonalitätsmerkmale ist die grundlegende Form des Vokalsystems und tritt besonders häufig bei den diffusen Vokalen auf: erniedrigte dunkle Vokale stehen ihren entsprechenden nicht-erniedrigten hellen Gegenstücken distinktiv gegenüber. In einer großen Anzahl von Sprachen ist der Synkretismus der beiden Tonalitätsoppositionen unauflöslich. Aber einige Systeme erlauben die Abschaffung des einen der beiden Merkmale in gewissen Kontexten. So werden im Russischen z.B. die gerundeten Vokale zu vorderen Vokalen unter dem Einfluß von benachbarten palatalisierten Konsonanten, besonders wenn sie sich direkt zwischen zwei derselben befinden; so wird der Gegensatz dunkel ~ hell verwischt und nur das Merkmal erniedrigt ~ nicht-erniedrigt bleibt gültig. Andererseits gibt es Sprachen wie das Japanische (siehe Trubetzkoy 1939a: 101), in denen die gerundeten hinteren Vokale in einigen Kontexten ihre Rundung verlieren, so daß nur die Opposition dunkel ~ hell unersetzbar bleibt. Aber auch in den Fällen, in denen nur eins der Merkmale immer signifikant ist, bleibt das andere redundant. In einer Sprache mit einem vokalischen Tonalitätsmerkmal ist immer mindestens ein Paar vorhanden, das aus einem gerundeten Hintervokal und einem ungerundeten Vordervokal in einer distinktiven oder zumindest in einer bloß redundanten Funktion besteht.
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Die Aufspaltung der Vokalopposition erniedrigt dunkel ~ nichtemiedrigt hell verursacht zwei autonom signifikante Distinktionen. Eine sehr häufige Erscheinung in dieser Hinsicht ist die Reihe der hellen erniedrigten (gerundeten Vorder-) Vokale, die das Mitvorhandensein der beiden, nach der französischen phonetischen Nomenklatur "primären" Reihen impliziert: nicht-erniedrigt hell und erniedrigt dunkel. Die serie secondaire verbindet zwei entgegengesetzte Wirkungen: "wenn die Öffnung kleiner wird, sinkt der Ton; wenn der Mundraum kleiner wird, steigt der Ton" (siehe Millet 1938: 63f.). Anscheinend hat F' 2 mit seinen Formanten über dem oberen einen merklichen Einfluß auf die Erkennung der Identität solcher "sekundären" Vokale in dieser Serie wie / ü / und /0l und besonders auf ihre Unterscheidung von dem nicht-erniedrigten /i/ und / e / (siehe Carlson, Granström und Fant 1970; vgl. Joos 1948: 95). Die Abhängigkeit der Aufspaltung der hellen Vokale in erniedrigte und nicht-emiedrigte von ihrem diffusen Charakter wurde von Trubetzkoy (1939a: l l l f . ) festgestellt. Neben den zwei Grundkombinationen (erniedrigt dunkel ~ nichterniedrigt hell) kommt die umgekehrte Kombination der Dunkelfärbung und Nicht-Erniedrigung in vielen Vokalsystemen vor und bildet diffuse Gegenstücke zu dem kompakten /a/, das sonst in den meisten Sprachen an der Spitze des Vokaldreiecks erscheint und kein direktes diffuses Gegenstück hat. Weniger häufig sind die Systeme, die den zwei Grundkombinationen die zwei zusätzlichen Verknüpfungen von Erniedrigung mit Hellfärbung und von Nicht-Erniedigung mit Dunkelfärbung gegenüberstellen, Kombinationen, die leicht mit Vokalharmonie verbunden werden (siehe unten). So ist das Zusammentreffen der vokalischen Hellfärbung und Erniedrigung (z.B. /ü/) merkmalhaft gegenüber der merkmallosen Kombination der Hellfärbung und Nicht-Erniedrigung (z.B. /i/). Ähnlich ist die vokalische Dunkelfärbung ohne gleichzeitige Erniedrigung (z.B. /ui/) merkmalhaft gegenüber der merkmallosen Kombination von Dunkelfärbung und gleichzeitiger Erniedrigung (z.B. /u/). Die synkretische Tonalitätsopposition von dunklen erniedrigten Vokalen wie / u / und ihren hellen nicht-erniedrigten Gegenstücken wie Iii stellt sich als äquipollent heraus, d.h. es gibt keine gegenseitige Merkmalhaftigkeitsrelation zwischen diesen beiden synkretischen Oppositionen. In all diesen Vokalsystemen, die eine dreieckige Struktur aufweisen und eine einzige (merkmallose) Spitze der Kompaktheit den Tonalitätsoppositionen der anderen Reihen des Systems gegenüberstellen, steht diese Spitze, das ungerundete und nicht-vordere /a/, den beiden polaren Eigenschaften der Tonalitätspaare durch das Fehlen
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der Erniedrigung einerseits und durch das Vorhandensein der Hellfärbung andererseits gegenüber. Wie Trubetzkoy (1939a: 99f.) gezeigt hat, ist in Sprachen mit einem Tonalitätspaar bei den kompakten Vokalen entweder der hintere gerundet ( / ä / ) , wie in einigen Mundarten des Polnischen, oder kein Glied des Paares ist gerundet, und der Gegensatz dunkel ~ hell (/ae/ ~ / a / ) bleibt konstant, wie m a n dies bei einigen serbischen Mundarten in Montenegro beobachtet hat. Der Synkretismus der beiden Oppositionen wird in der usbekischen Mundart von Taschkent konsequent angewandt, wo die Vokalphoneme in ein 'maximal dunkles' / a / (dunkel erniedrigt) und ein 'maximal helles' /ae/ (hell nicht-erniedrigt) geteilt sind; also folgen die kompakten Vokale hier demselben Grundprinzip wie das gesamte Vokalsystem. Das gleichzeitige Auftreten der vier gleichzeitigen Kombinationen—dunkel ~ erniedrigt, dunkel ~ nicht-erniedrigt, hell ~ erniedrigt, hell ~ nicht-erniedrigt—ist mit dem selteneren gleichzeitigen Vorhandensein der vier Tonalitätstypen in Konsonantsystemen zu vergleichen. Die hierarchische Verteilung bei den letzteren unterscheidet sich aber von den oben skizzierten vokalischen "Quadrupeln": bei Konsonanten ist der Gegensatz dunkel ~ hell primär, während die Oppositionen erniedrigt ~ nicht-erniedrigt und erhöht ~ nicht-erhöht sekundär sind. So ist das gemeinsame Fehlen von Erniedrigung oder Erhöhung der einfachste Fall in Konsonantsystemen in Bezug auf das Vorhandensein von Erniedrigung oder Erhöhung, wogegen die Kombination dieser beiden streng g e n o m m e n entgegengesetzten Tonalitätswirkungen die komplexeste Variante liefert. Trubetzkoy behauptete, alle vier möglichen Merkmalsbündel, die auf den Oppositionen erniedrigt - nicht-erniedrigt und erhöht ~ nicht-erhöht (z. B. [t], [t'], [t°], [t°'D aufgebaut sind, in der Dungan-Mundart des Nordchinesischen gefunden zu haben (1939b), und wies auf eine ähnliche Erscheinung in einem Dialekt des Abchasischen hin, in dem die zischenden Sibilanten in "vier Eigentonklassen (neutrale, einfach-mouillierte, einfach-gerundete, 'ü-farbige')" (1939a: 133) aufgeteilt sind. Georg Morgenstierne entdeckte analoge " Q u a d r u p e l n " im Kaschmiri (1941: 88f.; vgl. aber Saxar'in 1975: 146ff.). Spektrographische A u f n a h m e n der vier betreffenden Tonalitätsklassen wurden von d e m rumänischen Sprachwissenschaftler Emil Petrovici von sein e m eigenen Heimatdialekt gemacht und später von Halle analysiert. Die eigenartige erhöht-erniedrigte Variante zeigt eine Senkung aller F o r m a n t e n wegen der R u n d u n g , die von einem steigenden Übergang des unteren, d. h. zweiten Formanten im benachbarten Hintervokal begleitet wird (siehe RJ I: 661f.). Es sei angemerkt, daß bei all die-
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sen Sprachen linguistische Diskussionen über die Interpretation der Quadrupelreihe entweder als einzelne Konsonantphoneme oder als einen latenten Vokal b , i, u, ü] absorbierende Konsonanten (vgl. Avram 1976) entstanden sind. Die Verbindungen zwischen den sekundären Tonalitätsmerkmalen und anderen konsonantischen Merkmalen zeigen enge Wechselbeziehungen. Der Gegensatz der Erhöhung im Russischen (wie schon erwähnt, S. 122) erstreckt sich nur auf die diffusen, daher merkmallosen Konsonanten, besonders auf ihre helle (dentale) Klasse, die ihrerseits merkmallos ist, wohingegen die merkmalhaften kompakten Konsonanten von diesem Gegensatz keinen Gebrauch machen, au/3 er in völlig isolierten velaren Beispielen. Das Gälische verwendet dieses Merkmal nur in den merkmallosen Reihen der diffusen hellen Dentallaute und der kompakten dunklen Velarlaute (vgl. Ternes 1973). Im Dunganischen (vgl. Trubetzkoy 1939b: 24) können nur Konsonanten der merkmallosen, diffusen Klasse erhöht sein, während Konsonanten der merkmalhaften, kompakten Klasse nur das Merkmal der Erniedrigung, nie der Erhöhung aufweisen können. Unter den diffusen Konsonanten haben nur die hellen (merkmallosen), nicht die dunklen (merkmalhaften) das Merkmal der Erniedrigung. Was nun? Dieses Kapitel war hauptsächlich der Untersuchung zweier Arten von distinktiven Oppositionen—Tonalitätsmerkmalen und dem Merkmal kompakt ~ diffus—gewidmet. Beide Arten sind unseres Wissens universell vorhanden in den Konsonanten- und/oder Vokalsystemen der Sprachen der Welt (siehe unten). Wir haben hier unsere vorläufigen, von Pierre Delattre gutgeheißenen Annahmen über jene zwei Merkmale weiterentwickelt, die allen fünf Spalten seiner "Strukturtabelle" der echten französischen Konsonanten zugrundeliegen: kompakt ~ diffus und dunkel ~ hell. Unsere Untersuchung beider Gegensätze und ihrer weiteren Konsequenzen ist, wie wir hoffen, der Prager Parole des französisch-amerikanischen Suchers nach dem Gral der distinktiven Merkmale "ökonomisieren und binarisieren" treu geblieben. Jedoch wird eine einfache, geordnete Aufzählung und Besprechung der dargestellten Paare kaum ausreichen, und es können Kritiker auftreten, die geneigt sind (wenn sie Dichtung lesen), die zögernden Zeilen eines neueren Dichters und Sprachwissenschaftlers, Jack Spicer (1925-1965) aufzugreifen:
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Die Lautgestalt der Sprache I have forgotten why the grail was important Why somebody wants to reach it like a window you throw open. Thrown open What would it mean? (Ich habe vergessen, warum der Gral wichtig war Warum man ihn erreichen will wie ein Fenster, das man aufstößt. Aufgestossen Was würde es bedeuten?)
Aber das aufgestossene Fenster bedeutet freie Bahn f ü r eine k ü h n e Betrachtung der inneren Gesetze, die die allgemeine Beschaffenheit dieser elementaren relationalen Einheiten regeln, und jede weitere Untersuchung birgt eine immer tiefere Einsicht in den hierarchischen Z u s a m m e n h a n g der Grundbestandteile in ihrem gesamten System in sich.
KAPITEL III
Das System der distinktiven Merkmale
'Stay', said Hanbury, 'what is structural unity?' Gerard Manley Hopkins, 1865
On the Origin of Beauty
Die Bedeutung der distinktiven Merkmale Jeder Versuch, die physiologischen oder die physischen Probleme der distinktiven Merkmale von der Untersuchung ihrer sprachlichen Funktionen zu t r e n n e n , wird durch eine weitblickende Bemerkung, die Peirce 1905 gemacht hat, fragwürdig: "Wir können Gegenstände nach ihrem Stoff klassifizieren: als hölzerne Dinge, eiserne Dinge, silberne Dinge, usw. Aber die Klassifizierung nach der Struktur ist im allgemeinen wichtiger" (8.213). In den letzten Jahrzehnten ist die Bedeutung des Begriffs der distinktiven Merkmale immer deutlicher hervorgetreten, sowohl durch perzeptive Experimente als auch durch sprachwissenschaftliche Debatten (vgl. A. S. Liberman 1974). Neurolinguistische Untersuchungen bestätigen auf frappierende Weise die perzeptive Wirklichkeit der distinktiven Merkmale: "Es wird deutlich, daß die linke Hemisphäre in der Regel die Klassifizierung der P h o n e m e auf G r u n d von ihren distinktiven Merkmalen vornimmt und die Hierarchie dieser Merkmale unterstützt, welche die Stabilität des phonologischen Systems der Sprache sichert" (Balonov und Deglin 1976: 82). Wie Blumstein (1974) gezeigt hat, "werden Merkmale während des Sprachwahrnehmungsprozesses unabhängig voneinander isoliert" (S. 140) und "einfache Merkmalskontraste [sind] leichter zu identifizieren als doppelte Merkmalskontraste" (S. 344; und vgl. Blumstein und Cooper 1972). Die genaue Beschreibung der aphatischen Erkrankungen und ihrer typischen Merkmalsstörungen in Verbindung mit kortikalen Läsionen
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gewisser hinterer und vorderer Teile der 'Sprachzentren', die Entartung der paradigmatischen bzw. syntagmatischen Organisation aufweisen, hat im Laufe der Zeit nennenswerte Ergebnisse erbracht (siehe Luria 1973, 1976; Vinarskaja 1971; Lecours und Rouillon 1976; RJ 1971). Wie Hans-Lukas Teuber gesagt hat, "sollten die 'distinktiven Merkmale' mehr als ein universelles Schema für die Klassifizierung von Phonemen in ihrer Mannigfaltigkeit von Sprache zu Sprache sein; die Merkmale sollten 'wirklich' sein in dem Sinne, daß sie universellen neurologischen Mechanismen für die Produktion und der Wahrnehmung von Sprachlauten entsprechen" (1976). Die feine Verflechtung des Systems, dem die distinktiven Merkmale zugrundeliegen, kann den oberflächlichen Eindruck erwecken, als sei das alles ein Hokus-Pokus, den der Wissenschaftler erfindet. Dabei ist es aber gerade die Sprache, die den Forscher mit ihren verwickelten Tricks, ja man könnte fast sagen, mit ihrem HokusPokus überrascht. Die unbestreitbare Universalität der mündlichen Lautproduktion in allen Sprachgemeinschaften macht die Annahme unhaltbar, daß die Wahl des lautlichen Stoffes zufällig statt organisch sei, obwohl eine solche Annahme in der sprachwissenschaftlichen Literatur wiederholt aufgetreten ist, angefangen von William Dwight Whitney (1827-1894), der eine "besondere Verbindung zwischen Denken und artikulierten Äußerungen" (1875) nicht zugestehen wollte, bis zu Chomsky, der die Frage offen ließ, "ob der lautliche Teil entscheidend ist" (1967: 85). Die Menge der audio-motorischen Elemente, die in den Sprachen der Welt zur Bedeutungsunterscheidung dienen müssen, ist bedeutend kleiner und beschränkter, als es die artikulatorischen und auditiven Fähigkeiten des Menschen erlauben könnten. Die Prinzipien dieser geregelten Auswahl weisen eine psychobiologische Berücksichtigung des optimalen Kommunikationsrahmens auf. Außerdem zeigt die Selektion eine erhebliche Anzahl von zugrundeliegenden Regeln, die einige dieser Elemente innerhalb ein und desselben Sprachsystems miteinander unverträglich machen, und Regeln, die von einem gewissen Element in Abhängigkeit von dem Mitvorhandensein einer gewissen anderen Komponente in demselben System Gebrauch machen. Diese zwei Arten von Implikationsregeln, von denen die eine das Mitvorhandensein von Komponenten ausschließt und die andere die Solidarität derselben impliziert, schränken die Vielfalt der Systeme erheblich ein. Regeln, von denen einige obligatorisch, andere fakultativ sind, bestimmen die hierarchischen Wechselbeziehungen der distinktiven Merkmale und reduzieren die Menge der üblichen und sogar der möglichen Systemarten.
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Hier steht die Sprachwissenschaft der verantwortungsvollen Aufgabe gegenüber, die Typologie der Sprachen bezüglich ihrer Lautsysteme aufzudecken. Dieses Problem umfaßt die gesamte Vielfalt der phonischen Bestandteile, die die Sprachen zur Bedeutungsdiskriminierung und zu anderen Zwecken benutzen. Eine solche Typologie der Lautsysteme, die Generationen von Forschern sich vorgestellt und der sie sich auf verschiedene Art und Weise genähert haben, muß die distinktiven Merkmale, ihre gleichzeitige und/oder sequentielle (in Gamkrelidzes Terminologie "vertikale" und "horizontale") Kombinationsfähigkeit, ihre hierarchischen Wechselbeziehungen im System und schließlich ihre Stabilität und Mutabilität in Zeit und Raum berücksichtigen. Sie muß Schritt für Schritt sowohl die Verschiedenheit als auch die Invarianz der Strukturen aufdecken, wie in verschiedenen Abschnitten in der internationalen Entwicklung des linguistischen Denkens vorausgesehen wurde. Während der Epoche des Rationalismus z.B. unterschied der Philosoph und Linguist Jan Amos Komensky (Comenius, 1592-1670) in seinem vorausschauenden Werk zwischen lingua und sermo (Saussures langue und parole) und erkannte deutlich zwei Ebenen von Gegebenheiten: einerseits die verschiedenen linguae mit ihren structurae, und von einer allgemeineren Perspektive gesehen die lingua und ihre structura (Panglottia: Kapitel 3 [1966]). Die Frage nach dem Lautsystem gehörte zu dem weithin anerkannten wissenschaftlichen Programm jenes Jahrhunderts; um ein Beispiel zu zitieren, enthielten die Theses Grammaticae in Collegio Harvardiano für die akademische Abschlußfeier 1653 auch das Thema "Bene Grammaticari est vocum Proprietates et structuram interpretan" (Morrison: 590). Es darf nicht vergessen werden, daß die structura (der Begriff ebenso wie der Ausdruck) in Bezug auf Sprache, deren Laute und Eigenschaften Jahrhunderte älter ist als die heutigen emphatischen Parolen um diese Bezeichnung und als das neuerliche Bestreben um eine bessere Beherrschung derselben Idee. Die Fragen der universellen Konvergenzen und der lokalen Divergenzen in der Lautgestalt der Sprache sind voneinander untrennbar, und man muß berücksichtigen, daß die mannigfache Veränderlichkeit—Variabilität in Raum und Zeit wie auch essentielle Variabilität im Sprachgebrauch des einzelnen in seiner persönlichen Performanz und Kompetenz—vielleicht die auffälligste Invariante in der Welt der Sprache ist. Egal auf welchen der beiden grundsätzlich untrennbaren Aspekte—schon erworbene und verwendete Sprache oder den Prozeß des Erwerbs und der Verwendung—wir uns konzentrieren, zeigt das Gesamtsystem einen systematischen hierarchischen Aufbau.
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Wenn wir in Übereinstimmung mit Sapir "einem gewissen angeborenen Streben nach formaler Ausführung und Expression und einer unbewußten Strukturierung von Reihen von verwandten Erfahrungselementen" (Sapir 1949: 156) gerecht werden, und wenn wir dementsprechend unser Augenmerk auf die "relative Angeborenheit des Erwerbs und auf die offenbaren Grenzen ihrer Modifizierbarkeit" (Teuber 1976) richten, so sehen wir ein, daß die Schablonen der gesamten Lautstruktur keineswegs verstreute und ungeregelte Einzelheiten sind. Sie sind vielmehr rein relationale 'Marken', und im Aufbau des zusammenhängenden Systems aller anderen sprachlichen Konstituenten zeigen die neuropsychologischen Grundlagen der sinnlich determinierten Struktureinheiten (d.h. die signantia) mit ihren strengen Regeln der Wechselbeziehungen den zuverlässigsten Weg zur angeborenen Vererbung. Das System der universellen Gesetze und Implikationsuniversalien (Holenstein 1976a: 125ff.), die in der Lautgestalt der Sprache noch leichter zu beobachten sind als in den Bedeutungen und der Organisation der grammatischen Kategorien, rechtfertigt die frühere Vermutung Teubers, da/3 gewisse universelle Mittel der menschlichen Sprache, besonders "solche wie die systematische Struktur der Phoneme bezüglich der distinktiven Merkmale, angeboren sind" (1967: 206). Auch wenn ein Sprachforscher die oben skizzierten typologischen Perspektiven nicht attraktiv genug oder sogar langweilig findet, und wenn er es vorzieht, sein Augenmerk auf andere Bereiche unserer umfassenden Wissenschaft zu richten, so rechtfertigt solch eine subjektive Präferenz nicht die Behauptung, daß dieses weite Gebiet erschöpft und der Untersuchung nicht wert sei (vgl. z. B. Chomsky 1977). Freilich mögen einige Beobachter, die biologischen Erklärungen gegenüber skeptisch sind, die Strukturiertheit der distinktiven Merkmale dem institutionellen Charakter und dem großen Umfang des Austausches der sprachlichen Schemata zuschreiben, zumal ein solcher Austausch weitgehend nicht der bewußten Kontrolle unterliegt. Unter der Voraussetzung dieser Annahme kann die innere Logik dieser Beschränkungen in der Tat nicht nur für die Sprachwissenschaft sondern auch für die Sozialwissenschaften im allgemeinen höchst aufschlußreich sein. Die beiden Achsen Je weiter die Forschung über die distinktiven Merkmale fortschreitet, desto klarer wird es, daß jeder einzelne Gegensatz Teil eines komplexen und zusammenhängenden Ganzen ist, dessen Teile nur adä-
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quat erklärt werden können, wenn die engen Wechselbeziehungen zwischen der gesamten strukturellen Einheit und ihren Untersystemen—bis auf die einzelnen Bestandteile—berücksichtigt werden. Keine der betreffenden Fragen kann für erschöpft gehalten werden. Die Teilung der Sprachlaute in Vokale und Konsonanten, mit der eigenartigen Überlegenheit der Kontiguität gegenüber der Ähnlichkeit in ihren Wechselbeziehungen (siehe oben, S. 91f.), erfordert eine immer strengere Abgrenzung der beiden Klassen und eine immer größere Beachtung der Gemeinsamkeiten wie auch der Unterschiede der ihnen eigenen Merkmale. Die Gegensätze kompakt ~ diffus und dunkel ~ hell sind, so sei an dieser Stelle wiederholt, die einzigen zwei Merkmale, die zum Vokalismus und/oder Konsonantismus in allen Sprachen der Welt gehören; aber in der Gesamtheit der Sprachen der Welt gehören diese Oppositionen mit einigen wenigen Ausnahmen normalerweise sowohl zum Vokal- als auch zum Konsonantensystem. Wenn das Vokalsystem auf einen einzigen Gegensatz reduziert wird, so ist dies das Merkmal diffus ~ kompakt, wie man dies in einigen kaukasischen Sprachen beobachtet hat (vgl. S. 120 oben zu der umstrittenen Frage der Ein-Vokal- und Zwei-Vokal-Systeme). Während in der Kindersprache Dreiecke mit drei Vokalen (a ~ u i) mit linearen Anordnungen a ~ o ~ u (siehe Kania 1972: 126) konkurrieren, ist unter den Sprachen der Welt das Vorhandensein des zweiten Merkmals, also die Tonalitätsopposition, fast universell in Drei-Vokal-Systemen und völlig universell in Sprachen mit einer größeren Anzahl von Vokalphonemen. (Vgl. die erste Darstellung des Vokaldreiecks in der 1781 erschienenen Doktorarbeit von Christoph Friedrich Hellwag [1754-1835]: siehe Abbildungen 6 und 7.) Beinahe universell ist die Beteiligung der beiden Merkmale dunkel ~ hell und kompakt ~ diffus am Konsonantensystem. Einige wenige Sprachen mit einem ungewöhnlich kargen Konsonantenbestand schränken die Gültigkeit dieser Feststellung ein. Der Gegensatz kompakt ~ diffus bei den Konsonanten ist allen Sprachen der Welt gemeinsam, mit vereinzelten Ausnahmen wie im Tahitischen, das keine kompakten Konsonanten hat (Tryon 1970) und im KasimovTatarischen, wo alle velaren Verschluß-, Reibe- und Nasallaute durch einen Glottisschlag ersetzt werden (Polivanov 1928: 85f.). Was das Tonalitätsmerkmal betrifft, so gibt es als vereinzelte Ausnahmen Sprachen entweder ohne helle (dentale) oder dunkle (labiale) Verschlußlaute. Labiale Verschlußlaute fehlen in einigen nordamerikanischen Indianersprachen, von denen einige aber labiale ~ dentale Paare unter den Nasalen aufweisen, so z.B. das Tschero-
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es ist schwer zu sagen, wie dieser Lautwandel angefangen hat, aber seine Verbreitung ist bemerkt worden, und man hat alles mögliche daran gesetzt, u m dem Wandel Einhalt zu gebieten, allerdings o h n e Erfolg. Viele Leute scheinen sich des Unterschiedes nicht bewußt zu sein" (1891: 201). Die Neuerung blieb ein bloßer Provinzialismus am Anfang dieses Jahrhunderts (Neffgen 1903: 2), ist jetzt aber weit verbreitet, zumindest in der Umgangssprache (Arakin 1973: 14; vgl. Churchward 1926: 16), während die formelle samoanische Sprache den stimmlosen apikodentalen Verschlußlaut und den apikodentalen Nasallaut beibehält (Pawley 1960: 48). Die hellen Gegenstücke zu den dunklen Verschluß- und Nasallauten sind durch die archaischen, noch gültigen Varianten Iii und Inl vertreten. Zwei prominente Psychologen, Carl Stumpf (1848-1936), der als erster behauptete, daß m a n psychologische Probleme nicht beurteilen kann, o h n e dabei die Frage der Suche nach strukturellen Gesetzen zu erörtern (1907: 61 ff), und sein großes Vorbild in der Psychoakustik Wolfgang Köhler (1887-1967), der besonders durch seine synthetische gestaltpsychologische Arbeit (vgl. 1929) b e r ü h m t wurde, deckten die Rolle auf, die diese beiden Achsen—der " U - I - P r o z e ß " und der " A - P r o z e ß " (in Stumpfs Worten)—im Vokalsystem spielen.
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Beide Wissenschaftler beriefen sich auf "eine phänomenologische, adäquate Koordination" dieser beiden Dimensionen mit den entsprechenden Dimensionen in anderen Sinnesbereichen und insbesondere im System der Farben (siehe Köhler 1910-1915; und Stumpf 1926, besonders das Kapitel "Psychophysik der Sprachlaute"). Die tiefgreifenden Überlegungen dieser beiden bahnbrechenden Forscher erwiesen sich später als relevant nicht nur wegen der positiven Ergebnisse, die sie erzielten, sondern auch wegen der Fragen, die sie kühn aufwarfen. Die weitere Entwicklung der akustischen Untersuchung der Lautgestalt und ihrer sprachlichen Interpretation, hat die Übertragung der Idee der beiden Achsen auf das ganze System der Sprache so wie den Vergleich ihrer Behandlung im vokalischen und konsonantischen Untersystem erlaubt, einen Vergleich, der sowohl Konvergenzen als auch Divergenzen ('Struktureigentümlichkeiten') in diesen beiden entgegengesetzten Untersystemen berücksichtigt (vgl. RJ I: 378ff.). Außerdem wird die Lösung des Problems der "zwischensinnlichen Entsprechungen" vorangetrieben, insbesondere bei der Frage der Übereinstimmungen zwischen der Strukturiertheit der Sprachlaute und der der Farben. Als Köhler für die traditionellen deutschen Bezeichnungen 'hell' und 'dunkel', die in der heutigen deutschen Sprachwissenschaft noch gebraucht werden (vgl. englisch "grave ~ acute"), eintrat, stellte er fest, daß diese Namen für ihn nie bloße auf entfernten Assoziationen beruhende Metaphern waren: "Und wenn einmal Beispiele aus dem optischen Gebiet wach werden, so erscheinen Ton und Bild nicht durch eine sinnlose Gewöhnung nur eben aneinander gehängt, sondern ein heller Ton ist einem hellen optischen Bild ähnlich. Etwas, was ich an Optischem hell zu nennen gewöhnt bin, finde ich, wenn auch nur ähnlich, auf dem akustischen Gebiete wieder" (Köhler 1915: 181 f.; vgl. Stumpf 1926: 320). Im Vokaldreieck steht die ausgeprägte Sonorität, nach dem sprachwissenschaftlichen Gebrauch—oder, um den entsprechenden visuellen Ausdruck zu gebrauchen, die prägnante Chromatik—der kompakten Vokale der verringerten Sonorität—oder entsprechend, der verringerten Chromatik—der diffusen Vokale (hell und dunkel), mit ihrem starken Kontrast, sowohl auditiv als auch visuell, von hell und dunkel gegenüber. Ebenso liegt der Mangel an distinktiver Sonorität—oder entsprechend der Mangel an prägnanter Chromatik—bei den Konsonanten dem intensiven chiaroscuro (Licht- und Schattenwirkung) der hellen Konsonanten im Gegensatz zu den dunklen zugrunde und stellt diese beiden polaren Arten der verringerten Nicht-Sonorität—d.h. verringerten Achromatik—der 'gräulichen' kompakten Konsonanten ge-
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genüber (vgl. Hurvich und Jameson über den "ausgewogenen Gleichgewichtszustand, der mit der neutralen Empfindung von 'grau' verbunden ist" [1957: 386]). In Dora Valliers vielversprechender Formulierung: "innerhalb der achromatischen (konsonantischen) Gesamtheit, die an und für sich merkmallos ist, geht man von der verringerten Achromatik des merkmalhaften Grau zur merkmallosen Achromatik von Schwarz und Weiß über" (1975: 290ff., vgl. §27; vgl. auch RJ I: 324). Die sprachlichen Tonalitätsoppositionen wie u ~ i und p ~ t finden ihre deutlichen Entsprechungen in dem gepaarten System von blau ~ gelb und schwarz ~ weiß der "Theorie der entgegengesetzten Prozesse" beim Farbensehen (siehe unten, S. 210). Die von Köhler aufgeworfene Frage über die "zentralen physiologischen und perzeptiven Korrelate" der beiden Achsen (1915: 182f.) begründet nicht den Verdacht eines Unterschieds zwischen der psychologischen Einheit der Sprachlaute und der Dualität der zugrundeliegenden zerebralen Prozesse (vgl. Stumpf 1926: 334). Dieses Problem ist nun durch die Auflösung des angeblichen unteilbaren Phonems in distinktive Merkmale und durch die neueren, die Verbindung zwischen dem Gehirn und dem Sprachlautsystem bestätigenden Entdeckungen aufgehoben worden (siehe oben S. 34, 104, 117f. und 133). Die engere Verbindung des Merkmals diffus ~ kompakt mit dem Vokalismus und des Tonalitätsmerkmals mit dem Konsonantismus wird durch die merklichen Unterschiede in der Strukturierung dieser Merkmale im Vokal- und Konsonantensystem widergespiegelt. Das Merkmal diffus ~ kompakt, deutlich dyadisch bei den Konsonanten und auch dyadisch im Vokalismus zahlreicher Sprachen, weist dennoch eine größere Komplexität in vielen Fällen der Vokalorganisation auf, nämlich das Auftreten von Zwischengliedern neben den zwei Extremen der kompakten und der diffusen Vokale. Es ist nötig, die besondere Häufigkeit der Fünf-Vokal-Dreiecke wie das tschechische System der Kurzvokale in Betracht zu ziehen. a
Hier ist das /a/ an den Tonalitätsgegensätzen, die /i, e/ (Helligkeit) und /o, u/ (Erniedrigung) kennzeichnen, nicht beteiligt. Obwohl diese Triaden wiederholt als Argument gegen die Allgemeingültigkeit der binären Oppositionen in der Struktur der distinktiven
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Merkmale verwendet worden sind, werden wir in diesen Fällen in Wirklichkeit deutlich mit der Zweiteilung der binären Opposition diffus - kompakt in ein Paar von binären Oppositionen nicht-kompakt ~ kompakt und nicht-diffus ~ diffus konfrontiert. Eine solche Zweiteilung scheint natürlich, wenn man die Relation diffus ~ kompakt als die grundlegende Achse des Vokalsystems anerkennt. Der Zusatzcharakter derselben Achse hingegen verhindert jegliche analoge Unterteilung in Bezug auf das Konsonantensystem. Es darf beispielweise nicht vergessen werden, da/3 das Bestehen des geometrischen Mittels /e/, das nicht-kompakt gegenüber dem kompakten /ae/ und nichtdiffus gegenüber dem diffusen Iii ist, in den Ergebnissen der psychologischen Versuche, in denen /e/ durch die Mischung von /ae/ und /i/ gewonnen wurde, Bestätigung findet. Analoge Experimente über die Mischung von auf der Tonalitätsachse befindlichen Vokalen weisen darauf hin, da/3 gleichzeitig hervorgebrachte dunkle und helle Vokale nicht als ein einziger Zwischenvokal wahrnehmbar sind (siehe Huber 1934; und RJ I: 500). Die Behandlung der auf den zwei entsprechenden Achsen befindlichen Farben scheint zu ähnlichen Ergebnissen zu führen. Die Frage des gleichzeitigen Vorhandenseins von zwei binären Gegensätzen kompakt ~ nicht-kompakt und diffus ~ nicht-diffus bringt keine besonderen Schwierigkeiten bei der Analyse, solange man eine konsequent relationale Methode anwendet. Die Frage, ob es Reihen von vier Vokalen entlang der Achse diffus ~ kompakt gibt, bedarf der weiteren Untersuchung. Insbesondere könnte das für das dänische Vokalsystem angenommene viergliedrige Schema noch, wie Eli Fischer-Jtfrgensen (1972a: 199f.) andeutet, revidiert werden, was die mögliche Rolle des Merkmals ungespannt ~ gespannt angeht (siehe unten, S. 147f.). Die engere Verbindung der Tonalitätsachse mit dem Konsonantismus, die offenbar durch die größere Entfaltung der Tonalitätserscheinungen im optimal diffusen (minimal chromatischen) Teil des Lautsystems zu erklären ist, findet ihren Ausdruck in der unterschiedlichen Organisation der Tonalitätsmerkmale im Konsonanten- bzw. Vokalsystem. Der autonome Gegensatz von hellen und dunklen (vgl. Köhler) unter den Konsonanten und der Gebrauch von zwei nebensächlichen, aber ebenso autonomen Oppositionen—erhöht ~ nicht-erhöht und erniedrigt ~ nicht-emiedrigt—steht im Gegensatz zu dem weit verbreiteten vokalischen Synkretismus der Oppositionen hell ~ dunkel und erniedrigt ~ nicht-emiedrigt und auch zu verschiedenen Beispielen der Unterordnung der einen dieser Oppositionen gegenüber der anderen.
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Die Nasalität Das distinktive gleichzeitige Auftreten von Vokalen und Konsonanten ist die Grunduniversalie im Lautsystem der Sprachen. Neben dem Tonalitätsmerkmal, das in einer seiner Haupterscheinungsformen in mindestens einem der beiden Untersysteme universell operiert, und dem Merkmal kompakt - diffus, das auf vergleichbare Weise überall zu finden ist, ist die Nasalitätsopposition eine "Beinahe-Universalie" im Konsonantensystem der Sprache. (Siehe Ferguson 1974 und 1975; Crothers 1975; und Ruhlens vorläufige Skizze, 1973, für eine Übersicht über die Nasalierung.) Einige Sprachen der Nordwestküste von Nordamerika haben keine Nasalkonsonanten und die Ausbreitung dieses Mangels scheint das Resultat von arealer Diffusion gewesen zu sein (vgl. Hockett 1955: 119; Haas 1969: 112; Thompson und Thompson 1972; und Ferguson 1974). In einigen von diesen Fällen sind Nasalkonsonanten zu stimmhaften Verschluß lauten geworden. Unter den Sprachen dieses Gebietes machen die Mundarten von Puget Sound von Nasalkonsonanten nur als besonders affektivem Mittel Gebrauch. Nasale erscheinen lediglich in dem häufigen, in der lexikalischen Bedeutung diminutiven Wort /mi'ma'd/ oder /mi'ma'n/ 'winzig, klein'; in dem Sonderfall von gewissen Verkleinerungsformen in der Kindersprache, wo ein stimmhafter Verschlußlaut durch einen direkt homorganischen Nasallaut ersetzt wird; und in rituellen Sprüchen, Liedern und Mythen, wo "gewisse Leute normalerweise mit einer regelmäßigen Umsetzung der stimmhaften Verschlußlaute in Nasallaute reden" (Thompson und Thompson 1972: 448; vgl. unten, S. 228). Der konsonantische Gegensatz nasal ~ nicht-nasal ist eines der frühesten von Kindern erworbenen Merkmale und ist häufig sogar das früheste (RJ I: 538ff.). Weitaus seltener ist das Auftreten des distinktiven Merkmals nasal ~ nicht-nasal im Vokalsystem. Es ist typisch für die Relation zwischen den merkmalhaften Nasalen und den korrelativen Phonemen ohne Nasalität, daß die Anzahl der verschiedenen nasalen Konsonanten gewöhnlich nicht über sondern unter der der oralen Konsonanten liegt. Die als Ausnahme angeführte westafrikanische Sprache Igbira stellt anscheinend nicht nur die labialen, dentalen, palatalen und velaren Nasallaute den entsprechenden vier Paaren von stimmlosen ~ stimmhaften Verschlußlauten, sondern auch einen labiovelaren Nasallaut / q w / einem labiovelaren 'Approximanten' gegenüber (vgl. Ladefoged 1964: 24, 58). Die Anzahl der Nasal vokale in den Sprachen, die solche besitzen, ist wiederum gewöhnlich kleiner als die der oralen Vokale oder gleich, aber nie größer. Z.B. hat die Cuicateco-Sprache in Mexiko Nasale, die allen
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sechs der oralen Vokale /a, e , o, e, u, i/ entsprechen (siehe Needham und Davis: S. 139). Wenn die Anzahl der nasalen Phoneme unter der der entsprechenden Nicht-Nasalen liegt, dann ist es die merkmallose Variante des Kompakt-Diffus-Systems, die immer mit einem Paar von nasalen ~ nicht-nasalen Oppositionen versehen ist. Außer Ausnahmefällen von Systemen mit einem einzigen / n / oder / m / (siehe Crothers 1975: 155f.; und Foley 1975: 219ff.) gibt es zahlreiche Sprachen mit einem einzigen Paar von Nasalkonsonanten—/n/ und /m/—in der merkmallosen, diffusen Konsonantenreihe, aber ohne einen velaren und/oder Palatalen Nasallaut in der merkmalhaften, kompakten Reihe des Konsonantensystems (siehe Ferguson 1963: 56). Also haben Sprachen mit einer Opposition von Dunklen und Hellen in der Reihe der diffusen wie auch der kompakten Konsonanten (/p/ ~ /t/ - /k/ ~ /t"/) ein Paar / m / - / n / in der diffusen Reihe der Nasallaute, aber keine kompakten Nasallaute (weder / rj / noch /n/)— z.B. die Tscham-Sprache (siehe Blood). Oft haben Sprachen mit einem Unterschied zwischen Velaren und Palatalen unter den kompakten nicht-nasalen Konsonanten blo/3 einen entsprechenden kompakten Nasallaut: normalerweise ist es das velare / g /, das "etwas häufiger" als palatales /n/ auftritt (Crothers 1975: 156, 161), da unter den kompakten Konsonanten die dunklen merkmallos und die palatalen merkmalhaft sind. In vielen Sprachen, die einen velaren oder palatalen Nasalkonsonanten besitzen, nimmt er eine weitaus marginalere Stellung ein und spielt eine weitaus begrenztere Rolle als /m/ und /n/. Aber es gibt keine Sprachen, die lediglich /n/ und / rj / haben und denen / m / und /n/ fehlen. Mit Nasalvokalen ausgestattete Systeme haben wiederum immer einen kompakten und daher merkmallosen Nasallaut /ä/ (Ferguson 1974: 11; vgl. Meinhold 1970). Das Nasalitätsmerkmal verträgt sich also hauptsächlich mit den merkmallosen Gliedern des Gegensatzes kompakt ~ diffus am besten, d.h. mit Diffusheit bei Konsonanten und mit Kompaktheit bei Vokalen. Dies ist eines der vielen Beispiele für die Tendenz, die Anhäufung von Merkmalen innerhalb von Phonemen zu vermeiden. Sowohl in seinem motorischen als auch in seinem akustischen Aspekt weist das Nasalitätsmerkmal eine gemeinsame Essenz zusammen mit gewissen unterschiedlichen Besonderheiten auf. Auf der motorischen Ebene ist der gemeinsame Zug die "Öffnung des Gaumensegels, das die Nasenhöhlen mit dem Mundraum verbindet, mit einem gewissen Unterschied bei der Bildung dieser Öffnung" (siehe Delattre 1968c: 72). Die wesentliche Gemeinsamkeit zwischen den Nasalvokalen und -konsonanten auf der akustischen Ebene scheint
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klarer zu werden, sobald relative Definitionen absolute Behauptungen ersetzen. Fants Beweis, da/3 Nasalkonsonanten "durch ein Spektrum, in dem F 2 schwach oder nicht vorhanden" ist, gekennzeichnet sind, bezieht sich eigentlich auf den unteren Formanten der beiden determinierenden Formantenübergänge. Delattre vermutet, daß bei den Nasalvokalen gegenüber den oralen der F, viel von seiner Intensität zugunsten des F2 einbüßt (1968c: 64f. und 1970b). Relational ausgedrückt stellt sich der untere der zwei distinktiven Vokalformanten als abgeschwächt heraus, ebenso wie der untere Formant der Nasalkonsonanten. So finden die nasalen Eigenschaften ihren Platz in den untersten Bereichen der vokalischen und konsonantischen Spektren. Bei den Konsonanten findet das nasale Geräusch, das während der Okklusion produziert wird, seinen Ausdruck in einem engen und relativ schwachen Nasalformanten (F n ), laut Delattre "à une fréquence fixe de quelque 250 cps" im Französischen. Dieser Formant wird durch die gesamte Pharynx-Mundhöhle hinter der Okklusion im Mundraum erzeugt; diese Höhle ist eher in ihrer Form als in ihrem Gesamtvolumen variabel (Delattre 1968b: 71f.). Wie Malécot beobachtet hat, unterscheiden die Nasalresonanzen die Nasale deutlich von den Oralen und sind überdies zusammen mit den Formantenübergängen an der Unterscheidung zwischen einzelnen Nasalkonsonanten beteiligt (1956). Die Interaktion des Nasalgeräusches und der Formantenübergänge teilt die Opposition dunkel - hell in zwei relativ autonome Merkmale, dunkel ~ nicht-dunkel und hell ~ nicht-hell. Der Formant des in der Pharynx-Mundhöhle hinter der Okklusion hervorgebrachten Geräusches liegt etwas tiefer, wenn diese Okklusion im vorderen Teil der Mundhöhle gebildet wird, als wenn die Okklusion im hinteren Teil gebildet wird. Die zwei Tonhöhen, die von dem Nasalformanten Fn und den Formantenübergängen herrühren, sind dunkel bei / m / und hell bei /ft/, wogegen bei den dentalen und velaren Nasalen dieser Gegensatz durch die Diskrepanz zwischen der Dunkelfärbung und der Hellfärbung der beiden Tonhöhen (Geräusch und Übergang oder umgekehrt) neutralisiert werden kann. In Sprachen wie dem Tschechischen, Slowakischen, Serbo-Kroatischen oder Ungarischen mit den drei Nasalphonemen / m / , /ft/ und / n / fungiert das velare [ r j ] als kontextbedingte Variante von / n / (vgl. Fischer-Jörgensen 1958: 491); wie Malécots experimentelle Untersuchung bestätigt hat, sind die Resonanzen von [m] auffallend verschieden von [ q ] und [n], wogegen die beiden letzteren Nasallaute "ziemlich ähnlich, oft sogar voneinander ununterscheidbar sind" (Malécot 1956: 281). Eine solche Aufspaltung des Merkmals dunkel ~ hell bei Nasalkonsonan-
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ten wird hier durch die geringere Unterscheidbarkeit des darin enthaltenen Merkmals kompakt - diffus als Folge der Verringerung des unteren Formanten begünstigt. In einigen wenigen Sprachen, wo In], [rj] und [ft] als bloße kontextbedingte Varianten ein und desselben Phonems fungieren, steht dieses Phonem der rein dunklen Klangfarbe von / m / durch eine größere oder kleinere Beimischung von Hellfärbung gegenüber. Die Frage, ob der untere Formant von 250 Hertz, der den Nasalvokalen eigen ist, mit dem Fn der Nasalkonsonanten identifiziert werden kann, hat Delattre als einen Punkt, "qui sera très difficile à vérifier" (1966: 246), hervorgehoben. Man kann hinzufügen, daß die Akustik der nasalierten Vokale noch eine der am wenigsten abgeklärten und umstrittensten Fragen bleibt, zusammen mit der sprachlichen Abgrenzung der Vokale mit einem nasalen Merkmal von Kombinationen eines Vokals und eines Nasalkonsonanten (vgl. die Beiträge zu dieser Diskussion von Schane 1968 und Tranel 1974 für das Französische; Avram 1972 für das Portugiesische; Elizarenkova 1961: 26f. für Hindi; Vertogradova 1967: 19f. für Prakrit Mähäräshtri; und Lunt 1973 für Guarani). Wiederholte Versuche (durch die traditionelle Rechtschreibung gefördert), die französischen Nasalvokale als eine bloße Realisierung der Lautfolge—Oralvokal + Nasalkonsonant—zu deuten, treffen auf eine Anzahl von Hindernissen, wie besonders gezeigt wird von Tranel 1974, Klausenberger 1974 und durch Halles (1972: 189f.) Verweis auf die unterschiedliche Behandlung von Fällen wie rien à faire [rjënafer], mit einer Abfolge vom einem Nasalvokal und einem Nasalkonsonanten, gegenüber bon ami [bonami], mit einem oralen Vokal und einem nachfolgenden Nasalkonsonanten, und bon à manger [bö a mäze], mit dem Fehlen des Nasalkonsonanten.
Stimmhaft - Stimmlos und Gespannt ~ Ungespannt Jedem Vokalsystem stehen zwei Eigenschaften zur Verfügung, die die Vokale in ihrer Rolle als silbische Laute hervortreten lassen, im Gegensatz zu den nichtsilbischen Konsonanten, die ihrerseits mit zwei entgegengesetzen Eigenschaften versehen sind. Vor allem sind die optimalen Vokalphoneme stimmhaft, im Gegensatz zu den optimalen, stimmlosen Konsonanten; nebenbei sind die optimalen Vokalphoneme gespannt und daher besonders deutlich, im Gegensatz zu den optimalen, ungespannten Konsonanten. Es gibt eine relativ begrenzte Anzahl von Sprachen, in denen, wie Greenberg annimmt, "ein pho-
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nemischer Kontrast zwischen stimmhaften und stimmlosen Vokalen besteht, nämlich in den Keres-Sprachen von Santa Ana und Santa Domingo, in den Schoschonen-Sprachen Komantsche und Ute, in der Maya-Sprache Chontal, im Galla und im Teso und Bagirmi in Afrika" (1969: 156; siehe besonders Canonge 1957 für Komantsche). Nach Greenbergs Einschätzung ist in keiner Sprache mit stimmlosen Vokalen deren Anzahl größer als die der stimmhaften. In den meisten dieser Sprachen stimmen alle stimmhaften und stimmlosen Vokale in der Qualität miteinander überein, aber in keiner der Sprachen mit weniger stimmlosen als stimmhaften Vokalen fehlen diffuse stimmlose Vokale (1969: 162f.). Neben der seltenen Opposition der merkmalhaften stimmlosen und merkmallosen stimmhaften Vokale gibt es eine ziemlich häufige Opposition von merkmalhaften ungespannten und merkmallosen gespannten Vokalen. Es sind bedeutende Fortschritte in Richtung auf eine Darstellung der Relation zwischen gespannten und ungespannten Vokalen gemacht worden; Röntgenaufnahmen von Vokalartikulationen aus verschiedenen Sprachen und Röntgenfilme von englischen, ägyptischen, schwedischen und eskimoischen Phonationen zeigen konsequente Unterschiede sowohl im Konstriktionsgrad als auch im pharyngalen Volumen zwischen gespannten und ungespannten Vokalen. Überdies gibt es auch Unterschiede in der Lippenposition (weniger gerundet, manchmal weniger gespreizt, bei ungespannten Vokalen) und Larynxposition (tiefer bei gespannten Vokalen, besonders bei gerundeten Vokalen). Die betreffenden artikulatorischen Bewegungen scheinen etwa gleich ungeachtet der Sprache, was auf eine universelle physiologische und biologische Grundlage für die auf diesem Unterschied begründeten akustischen Kontraste hindeutet. [Wood 1975: 111; vgl. Halle 1977b: 61 lf.]
Während stimmlose Vokale, die stimmhaften distinktiv gegenüberstehen, in den Sprachen der Welt selten vorkommen, besteht der Gegensatz von gespannten und ungespannten Vokalen in einer großen Anzahl von Sprachen und spielt eine beträchtliche Rolle in ihren Lautsystemen—vgl. solche ungespannten ~ gespannten Paare im Französischen wie patte ~ pâte, sotte ~ saute, tette ~ tête, taie ~ thé, jeune ~ jeûne (RJ et al. 1952: 36ff.) und im Amerikanischen wie pull ~ pool, ship ~ sheep, let ~ late, usw. Im Deutschen scheinen solche Unterschiede wie Länge bzw. Kürze von Vokalen oder die beiden ständig erörterten Formen von 'Anschluß' (der intrasilbischen Variante des prosodischen Merkmals Länge) sekundäre Erscheinungen der systematischen Opposition von gespannten und ungespannten Vokalen zu sein (siehe Larson).
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Trotz der zahlreichen Beobachtungen (vgl. RJ I: 550ff.) und des anregenden Vergleiches der Opposition ungespannt ~ gespannt mit dem Unterschied zwischen dem zweifachen System von offener und gedeckter Singtechnik, von denen die letztere "eine Verschiebung der Vokale nach der Mitte des Vokaldreiecks hin" (Stumpf 1926: 258ff.) aufweist, ist die Formulierung des motorischen und akustischen Wesens des Merkmals ungespannt ~ gespannt etwas ungenau geblieben. Forscher verweisen auf bestehende Ungewißheiten, ungelöste Probleme und angeblich unüberwindliche Schwierigkeiten bei der zuverlässigen Messung von solchen Phänomenen wie der Artikulationsstärke, dem organischen Druck in den supraglottalen und subglottalen Räumen und der relativen Steifheit der Wände (vgl. Kent und Moll 1969). Andererseits weist die einfache Intuition der normalen Sprecher und Hörer auf die offenbare Differenz zwischen Gespanntheit und Ungespanntheit (bei Vokalen wie auch bei Konsonanten) und auf die größere allgemeine Anstrengung bei der Produktion der Gespanntheitswirkung hin, ungeachtet der verschiedenen Subtilitäten der motorischen Verfahren (vgl. Fischer-Jtfrgensen 1972b; und de Groots Gegenüberstellung des niederländischen Vokal- und Konsonantensystems, 1929: 549f.; auch RJ I: 550ff.). Der Hauptunterschied zwischen der Produktion der gespannten ~ ungespannten Paare in den zwei Systemen, dem vokalischen und dem konsonantischen, scheint nach Perkells kineradiographischen Sprachstudien (1965) von der artikulatorischen Anstrengung abzuhängen, die von den äußeren Muskeln bei Vokalen und von den inneren Muskeln bei Konsonanten produziert wird. Wie wir oben schon bemerkt haben, sind die optimalen Konsonanten entweder stimmlos im Gegensatz zu der natürlichen, optimalen Stimmhaftigkeit der Vokale oder ungespannt im Gegensatz zu der Gespanntheit der optimalen Vokale; es ist den Konsonanten eigen, daß sie die distinktiven Eigenschaften von Stimmlosigkeit und Ungespanntheit in sich kombinieren können. Andererseits gibt es Sprachen, z.B. das Finnische und das Estnische und den vorwiegenden Typ der australischen Sprachen (Wurm 1972), die im Konsonantensystem diese beiden Oppositionen nicht aufweisen. Einem dieser beiden Merkmale die universelle Gültigkeit einer bedeutungsunterscheidenden Rolle zuzuerkennen, ist völlig unbegründet. Wenn eine der beiden Konsonantenoppositionen—stimmhaft ~ stimmlos und gespannt ~ ungespannt—in einer Sprache fungiert, dann gibt es zwei Möglichkeiten: In Konsonantensystemen wie den slawischen mit dem aktiven Gegensatz stimmhaft ~ stimmlos ist das Vorhandensein der Stimmhaftigkeit merkmalhaft, und die Ungespanntheit der stimmhaf-
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ten Konsonanten ist lediglich redundant, wohingegen in Sprachen, die dem Merkmal gespannt ~ ungespannt eine autonome Rolle zusprechen, das Merkmal der Gespanntheit zukommt. Die Gespanntheit kann auf zwei verschiedene Weisen realisiert werden, die Fischer-Jtfrgensen (1968) als einen Unterschied zwischen dem vorherrschenden Gebrauch der Artikulationsstärke in dem einen Fall und einer stärkeren Luftströmung (mit Aspiration) in dem anderen beschrieben hat. Eine solche Aspiration kann sich auf besondere Kontexte beschränken, wie dies bei anlautenden Verschlußlauten im Amerikanischen der Fall ist, oder sie kann breitere Verwendung finden. So findet im Englischen beispielsweise die relative Stärke der gespannten Konsonanten, unabhängig von jeder die Aspiration begünstigenden oder ausschließenden Position, einen deutlichen Ausdruck in ihrer relativen Länge und ihrem kürzenden Einfluß auf den vorangehenden Vokal, falls ein solcher vorhanden ist (vgl. Raphael 1972). Nach Malecots vor kurzem erschienenem Beitrag zur Erforschung der Artikulationsstärke im Französischen empfinden Muttersprachler, daß die gespannten Konsonanten stärker sind als ihre ungespannten Gegenstücke. Seine Versuche zeigen, daß aus den drei Parametern des interoralen Luftdrucks, die alle je nach Artikulationsort der Obstruenten erheblich variieren, der Luftdruckpuls (französisch Umpulsiort) das effizienteste Kriterium ist. Die Glottis schließt sich bei den 'stimmhaften' Konsonanten und öffnet sich bei den 'stimmlosen', "egal ob Stimmhaftigkeit vorhanden ist oder nicht". Die Dauer des Vokals verringert sich bei einer Zunahme der Artikulationsstärke des nachfolgenden Konsonanten, und die Dauer des Anhaltens des Konsonanten selbst ist relativ länger bei den gespannten Konsonanten und kürzer bei den ungespannten (Malecot 1977: 31ff.). Trotz der reichhaltigen und fruchtbaren Ergebnisse der Untersuchungen über gespannte und ungespannte Konsonanten, die in verschiedenen Sprachen durchgeführt wurden, bleibt die Schlußfolgung von Fischer-Jorgensens neuerer Arbeit (1976: 197) gültig: "es muß noch viel untersucht werden, bevor wir eine ausreichend gut dokumentierte Beschreibung der Verschluß lautproduktion [mit Bezug auf diese grundsätzliche Opposition] erbringen können". Im französischen Konsonantensystem werden die artikulatorischen und akustischen Eigenschaften der gespannten und ungespannten Konsonanten normalerweise durch das Vorhandensein bzw. Fehlen der Stimmhaftigkeit begleitet, aber in Kontexten, die die Assimilation von stimmhaften an nachfolgende stimmlose Konsonanten erfordern, z.B. vous la jetez mit stimmlosem ungespanntem [?] gegenüber vous l'achetez mit dem stimmlosen gespannten [§], bleibt die Gespanntheit
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in Kraft, und der Gegensatz gespannt ~ ungespannt scheint der gültige zu sein (wie von Malmberg 1962 hervorgehoben wurde). Die Stimmhaftigkeit kann völlig fehlen, wie dies in schweizerdeutschen Mundarten der Fall ist, oder sie kann als redundantes Element ständig oder fakultativ mit Ungespanntheit verbunden sein. So tendiert die Ungespanntheit dazu, mit Stimmhaftigkeit verbunden zu sein und die Stimmlosigkeit mit Gespanntheit. Wenn jedes der beiden Merkmale zugleich in einer distinktiven Funktion verwendet wird, dann stehen die doppelt merkmallosen stimmlosen ungespannten Verschlußlaute in Opposition zu einem merkmalhaften stimmhaften Gegenstück einerseits und einem merkmalhaften gespannten (aspirierten) andererseits: Iii gegenüber /d/ und /t h /. Schließlich gibt es in noch selteneren Fällen eine Anhäufung beider Merkmale: einen stimmhaften und gespannten Verschlu/3 laut /d h / und zumindest in einigen von diesen Fällen ein gemurmeltes /d h / (für Igbo siehe Ladefoged et al. 1976; für Pali, Elizarenkova und Toporov 1965: 45; und für die Prakrit-Sprachen, Vertogradova 1967: 64f.). Die neueren Versuche, die "voice-onset-time (VOT)" ("Einsatz der Stimmhaftigkeit") zu charakterisieren, welche "für anlautende Verschluß konsonanten als die Zeitspanne zwischen dem Beginn der Lösung des Konsonanten und dem Beginn der laryngalen Schwingungen definiert ist" (Cooper 1975: 25; vgl. Lisker und Abramson 1964, 1971), sind ziemlich aufschlyß reich, aber sie können kaum als ein vernünftiges Klassifikationskriterium für die betreffenden Merkmale verwendet werden. Häufige Zweifel darüber, welches Glied des Paares das merkmalhafte ist, sind auf die Verwechselung der beiden Oppositionen—stimmhaft ~ stimmlos und gespannt ~ ungespannt— zurückzuführen. Einige' der vorgeschlagenen Lösungen sind leider nur partiell, da sie mit einigen der neueren phonetischen Arbeiten eine Vernachlässigung der Konsonanten mit Ausnahme der Verschlußlaute teilen. Es ist hier angebracht festzustellen, daß geniale und vielversprechende Bemühungen der georgischen Sprachwissenschaftler Thomas Gamkrelidze (1975) und Irina MelikiSvili (1970, 1974, 1976) die systematische Analyse der Lücken in den paradigmatischen Phonemschemata von völlig verschiedenen Sprachen begonnen haben. Solche vorwiegend "leeren Stellen" werden durch statistische Daten aus den wenigen Sprachen, in denen diese Lücken besetzt sind, bestätigt, aber die "Füller" sind Phoneme von geringer Häufigkeit im Lexikon und/oder im Korpus der Texte. Diese Forschung liefert sehr wertvolle, manchmal überraschende Beweise für die offenbare Tendenz, das Zusammentreffen von gewissen distinktiven Merkmalen zu vermeiden. Sol-
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che Entdeckungen eröffnen neue Perspektiven über die hierarchischen Wechselbeziehungen der verschiedenen Merkmale und über das Ineinandergreifen der merkmalhaften Glieder. Negative Implikationsgesetze, die die Koexistenz gewisser Merkmale ausschließen oder beschränken, erhalten eine immer bessere Erklärung und tragen in groß e m Maße zu der Welttypologie der Lautsysteme wie auch zu der Suche nach Universalien bei. Außerdem wird die Aufgabe der Wissenschaftler, die sich mit der Rekonstruktion alter und vorgeschichtlicher Sprachsysteme beschäftigen, exakter und umfassender (vgl. Gamkrelidze und Ivanov 1973). Von den in den betreffenden Arbeiten ans Licht gebrachten gegenseitigen Verbindungen sollte man einige Beispiele nennen. Der Vergleich der Labiallaute (diffus dunkel), der Dentallaute (diffus hell) und der Velarlaute (kompakt) zeigt, daß die Dentallaute sich am meisten an den Gegensatz stimmhaft ~ stimmlos (/d/ ~ Iii) halten, wogegen labialen und velaren Reihen häufig entweder die stimmlosen /p/-/f/ bzw. die stimmhaften 1%1-lyl fehlen, im Gegensatz zu dem Vorhandensein der stimmhaften Labiale und der stimmlosen Velare. Die den stimmhaften Konsonanten eigene Ungespanntheit steht in Konflikt zu der Stärke der Kompakten (siehe Malecot 1968), und daher werden /g/ und lyl häufig aus dem System weggelassen; die Bevorzugung der stimmlosen Vertreter der Velarreihe durch Kinder erhält eine deutliche Erklärung, wie Ferguson und Farwell (1975: 435) gezeigt haben. Anscheinend zieht die niedrige Frequenz der Lautenergie in den dunklen Konsonanten den 'Stimmhaftigkeitsbarren' an sich und bedroht dadurch die Individualität eines stimmlosen Labiallautes.
Scharf ~ Mild Im Gegensatz zu den durch Sonorität gekennzeichneten Vokalen weisen Konsonanten eine erhöhte Lautdämpfung und andererseits eine größere Annäherung an das reine Geräusch (siehe oben, S. 93) auf. Die optimale Dämpfung wird durch die abrupten Obstruenten (d.h. Verschlußlaute) erreicht, die durch ihren Verschluß den kontinuierlichen Obstruenten gegenüberstehen: die optimale Geräuschintensität, die durch ein zusätzliches Hindernis im Wege der Luftströmung und eine daraus erfolgende verstärkte Turbulenz erzeugt wird, stellt die scharfen Obstruenten den nicht-scharfen (milden) gegenüber. Da viele Mißverständnisse um das Merkmal scharf ~ mild entstanden sind, scheint es nützlich, sich an den prägnanten, der Pro-
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duktion desselben Merkmals gewidmeten Absatz (§2.322) in den Preliminaries to Speech Analysis (RJ et al. 1952) zu erinnern: Scharfe Phoneme sind hauptsächlich durch ein Geräusch gekennzeichnet, das auf eine Turbulenz an der Artikulationsstelle zurückzuführen ist. Diese starke Turbulenz ist wiederum die Folge eines komplexeren Hindernisses, das die scharfen von den entsprechenden milden Dauerlauten unterscheidet: die Labiodentalen von den Bilabialen, die hissenden und zischenden Sibilanten von den nichtsibilantischen Dentalen bzw. Palatalen und die Uvularen von den eigentlichen Velaren. Eine zusätzliche Barriere, die der Luftströmung größeren Widerstand leistet, ist im Falle der scharfen Konsonanten erforderlich. So sind neben den Lippen, die das einzige Hindernis bei der Produktion der Bilabialen bilden, die Zähne an der Produktion der Labiodentalen beteiligt. Außer den bei den entsprechenden milden Konsonanten verwendeten Hindernissen werden bei den Sibilanten die unteren Zähne und bei den Uvularen die Uvula (Zäpfchen) benutzt. Die Strömung der Luft gegen eine solche zusätzliche Barriere nach der Lösung der scharfen Verschliß laute ergibt die charakteristische frikative Wirkung, die diese Verschlußlaute von anderen unterscheidet. [Siehe auch §2.324 und RJ I: 277.]
In Sprachen, in denen die milden Konsonanten der kompakten Reihe nur durch Velare (Dunkle) und nicht durch Palatale (Helle) vertreten sind, kann das scharfe Gegenstück entweder uvular oder alveopalatal ("zischend") sein, wobei also entweder die Uvula oder die unteren Zähne als die zusätzliche Barriere benutzt werden. Die Interpretation der scharfen Konsonanten als Gegenstücke der Milden und insbesondere der milden Verschlußlaute störte einige Phonetiker in Anbetracht eines ständigen Unterschieds in der Artikulationsstelle zwischen den beiden angeblich entsprechenden Reihen. Doch dies ist genau die charakteristische Differenz zwischen einer ein zusätzliches Hindernis schaffenden Artikulation und einer ohne ein solches Hindernis. Die optimalen, merkmallosen Verschlußlaute sind mild; die optimalen, merkmallosen scharfen Laute sind kontinuierlich. So ist die Kombination von Abruptheit mit Mildheit merkmallos, ebenso wie die Kombination von Scharfheit mit Kontinuierlichkeit. Von den beiden Gegensätzen—Abruptheit und Kontinuierlichkeit—ist diese merkmalhaft; die Schließung des Mundkanals bei den Verschlußlauten gegenüber dessen Offenheit bei den Vokalen ist die elementarste und augenfälligste Manifestation der Polarität zwischen Konsonanten und Vokalen. Verschiedene Sprachen Afrikas, Ozeaniens und Südamerikas (siehe Schmidt 1926: 287) ohne die Opposition zwischen abrupten und dauernden Konsonanten benutzen in der Regel Obstruenten
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in der Form von Verschlußlauten; wo dieser Gegensatz nicht besteht, ist die Anzahl der verschiedenen Dauerphoneme gewöhnlich kleiner als die der abrupten. Das allgemeine Überwiegen der hissenden (z.B. s, z) über die zischenden (s, z) Dauerlaute (siehe Melikiävili 1976: 153f.)—und, fügen wir hinzu, über jede andere Art von Dauerlauten—zeigt eine Tendenz, die Anhäufung von Merkmalen zu vermeiden: da Dauerlaute im Gegensatz zu den Abrupten merkmalhaft sind, werden die merkmallosen diffusen hellen Dauerlaute bevorzugt. Milde Dauerlaute stellen im Vergleich zu den scharfen das merkmalhafte Zusammenwirken von Merkmalen dar. Sie erscheinen seltener in den Sprachen und falls sie vorkommen, so in einer beschränkteren Anzahl. Die häufigsten der milden Konsonanten, die interdentalen 0, d sind im Vergleich zu den Sibilanten durch eine schwache Intensität der Friktion gekennzeichnet (vgl. Delattre 1966: 264). Ebenso bilden die Affrikaten, die Abruptheit und Scharfheit kombinieren, ein merkmalhaftes Zusammenwirken von Merkmalen, im Gegensatz sowohl zu den scharfen Dauerlauten als auch zu den milden Abrupten, und deswegen kommen die Affrikaten seltener und in einer begrenzteren Anzahl vor. Scharfe Turbulenz ist als unentbehrliche Eigenschaft der Affrikaten angesehen worden—schon der Name deutet auf ihre starke Friktion hin. Baudouin de Courtenays Definition der Affrikaten als "frikative Verschluß laute" bleibt überzeugend (siehe die umfassende Behandlung dieser Definition in Diuskas Monographie aus dem Jahre 1937; vgl. auch Ladefoged 1971a: 107). Aber McCawley glaubte, in der weiten Welt der Sprachen eine Ausnahme zu der traditionellen Ansicht gefunden zu haben: in seinem programmatischen, im Jahre 1967 erschienenen Artikel verwies er auf die Chipewaya-Sprache, "die einen dreifachen Kontrast zwischen [t], [tÄ], [ts] hat" (S. 523). Fang-Kuei Li sammelte das Material über diese Sprache in Fort Chipewyan in Alberta, Kanada, im Jahre 1928 (vgl. Sapir 1949: 79), und in seiner Transkription unterschied er: / d / ("ein stimmloser aspirierter Verschlußlaut mit einer weichen Artikulation"), / t / ("sehr stark aspiriert mit einem gutturalen spirantischen Gleitlaut") und sowohl /t s / als auch /t s / ("auch stark aspiriert, aber ohne den gutturalen spirantischen Gleitlaut"); jedes der letzteren hat einen entsprechenden stimmlosen Lenislaut /d d / und / d 7 (1933a: 431; 1933b: 122; 1946: 398). Mary Haas bemerkt aber "einen auffäligen Unterschied" in ihren genauen Aufzeichnungen (1968) in einem anderen (Yellowknife) Chipewaya-Dialekt, der "fast identisch mit dem von Li aufgezeichneten Dialekt" ist. Das von Li einfach als t transkribierte Phonem wird in Yellowknife ständig durch [k] ersetzt. Lis [tö^itjii] 'Na-
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del' und [telk'aii] 'Wiesel' entsprechen [töalqi] und [keik'ali], usw. in Haas' Aufnahmen. Der Chipewaya-Dialekt von Fort Resolution, den Rice (1978) als "in den Hauptzügen dem von Li in Fort Chipewyan, Alberta, aufgezeichneten gleich" charakterisierte, hat das velarisierte t des letzteren durch k ersetzt, weist aber ständig t an Stelle von Lis t" auf. Der Zusammenfall eines stark velarisierten Dentallauts mit dem Velarlaut hat eine adäquate phonetische Erklärung durch Mary Haas (S. 166f.) und Harry Hoijer (1942) erfahren. Kurz gesagt, impliziert der Unterschied zwischen Lis t und t8 in erster Linie eine Opposition zwischen dem Vorhandensein und Fehlen der Velarisierung (Erniedrigung), und die Transkription te muß eine deutlich und rein homorganische Lösung eines okklusiven Obstruenten wiedergegeben haben, offenbar ohne die dem Iii eigene Velarisierung ("gutturaler spirantischer Gleitlaut") und ohne die scharfe sibilantische Stimmhaftigkeit, die der eigentlichen Affrikata ts eigen ist. So sollte man anstelle von Lis Transkriptionsymbolen die internationalen Zeichen einsetzen: [t] = Lis [t], [t] = Lis Pseudo-Affrikata [t4]; man braucht der Scharfheit und der Erniedrigung (durch Velarisierung realisiert) keine weiteren distinktiven Merkmale hinzuzufügen, um die bedeutungsunterscheidenden Mittel in der ChipewayaSprache zu erklären. Die Rolle der Velarisierung ist in einem Brief bestätigt worden, den wir von dem Spezialisten Michael Kraus, Professor an der Universität von Alaska, erhalten haben. Das [t#], das z.B. in der Ponope-Sprache "eine 'freie Variante' mit frikativer Lösung" des Phonems Itl (siehe Garvin 1971: 56) ist, scheint die einzige Realisierung dieses Phonems in dem von Li aufgezeichneten Dialekt. Schließlich weisen die neuesten Beobachtungen von Ronald Scollon (1978) auf die eigentliche Unbestimmtheit des als "t Ä " zitierten Chipewaya-Elements und auf die Notwendigkeit einer Revision und Begrenzung des ganzen zur Frage stehenden Systems. Aber auch wenn man tatsächlich eine winzige isolierte Ausnahme zu der unbestreitbaren Scharfheit aller bekannten Affrikaten aus Tausenden von Sprachen finden sollte, wie könnte man auf den relevanten gemeinsamen Nenner der Affrikaten der Welt wegen eines hapax legomenon ("eines einzigen Belegs") in der Chipewaya-Sprache und in einer kleinen Anzahl von anderen athapaskischen Sprachen (vgl. Hoijer et al. 1963; Krauss 1964, 1973; und Haas 1968) verzichten? Lediglich wegen dieser einzigen und sogar zweifelhaften "Affrikata" [t9] machte McCawley einen eigensinnigen Versuch, den perzeptiv, akustisch und artikulatorisch deutlichen Unterschied zwischen dem Vorhandensein und dem Fehlen von konsonantischer Scharfheit abzuschaffen, und stellte zwei ad hoc erfundene Oppositonen ohne jede
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perzeptive, akustisch oder motorische Grundlage auf: 1) "abrupte Lösung", um [t] von [ts] wie auch [ts] zu unterscheiden, und 2) "proximal", um [ts] von [t9] zu unterscheiden. So arteten Überlegungen über Lis einzelnes [tÄ] in eine Reihe von "ad hoc Deckmerkmalen" aus, um Andersons kritischen Ausdruck (1974: 302) zu gebrauchen.
Konsonantische Entsprechungen zu den prosodischen Merkmalen Um die Frage beantworten zu können, was im Vokalsystem den gegenseitig verbundenen Konsonantenoppositionen scharf ~ mild und kontinuierlich ~ abrupt entspricht, müssen wir den Unterschied zwischen den inhärenten und den prosodischen Merkmalen beurteilen. Adolf Noreen (1854-1925) erklärte die Trennung jener Merkmale, die er als "prosodisch" bezeichnete, von den übrigen distinktiven Merkmalen, in seiner Terminologie "qualitativ," aber später "inhärent" genannt, als die Differenz zwischen der direkten Abhängigkeit der prosodischen Merkmale von der zeitlichen Lautfolge und der Möglichkeit einer Definition der inhärenten Merkmale ohne Bezugnahme auf diese Folge (siehe Noreen I: §48 und II: §30). Diese Teilung blieb sogar einigen Anhängern des großen schwedischen Sprachwissenschaftlers unklar; sie wandten ein, daß jedes Lautmerkmal von seiner Stelle in der Kette abhängt. Doch Noreen hatte recht. Die inhärenten Merkmale mögen in ihrer Realisierung vom Kontext abhängen, aber ihre Definition hängt lediglich von der Relation zwischen den beiden Polen der Opposition ab, unabhängig von dem Auftreten dieser beiden polaren Glieder in einer gegebenen Äußerung und von den Variationen infolge der kontextbedingten Realisierung der betreffenden Gegenstücke. Ein prosodisches Merkmal kann hingegen nicht ohne Rücksicht auf das Auftreten der beiden Gegenstücke in derselben Äußerung definiert werden. So ist ein höherer Ton als solcher erkennbar nur in Bezug auf das gleichzeitige Auftreten des tieferen in derselben Abfolge; die Identifizierung eines Langvokals erfordert einen Vergleich mit den gleichzeitig vorhandenen Kurzvokalen derselben Kette, usw. Wie Pavle Ivic hervorgehoben hat, geht es bei der Bestimmung solcher Einheiten "um das Element der Zeit. Die zentrale Rolle wird durch Relationen zwischen Punkten in einer gewissen Zeitentfernung, in der Regel innerhalb derselben Äußerung, gespielt; während inhärente Gegensätze einen einfachen (paradigmatischen) Vergleich (vgl. Englisch pit «-• bit) implizieren, setzen prosodische Oppositio-
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nen zuerst syntagmatische Vergleiche innerhalb der Sprachkette und erst dann paradigmatische Vergleiche mit anderen Wörtern voraus" (1972: 118). Was solche Fälle angeht, in denen prosodische Gegensätze fehlen, so wird ihre Erkennung durch redundante Signale oder durch die Vertrautheit des Hörers mit den Sprechgewohnheiten des Sprechers, seinem normalen Tempo und seiner Stimmlage erleichtert. Die prosodischen Oppositionen sind jene Eigenschaften, die das Phonem als solches an die Zeitachse binden (RJ I: 308f.; vgl. FischerJ0rgensen 1975: §8.9). Ungeachtet der mannigfachen Realisierungen der prosodischen Merkmale deckt die Untersuchung ihre deutlich binäre Grundlage auf (siehe z.B. Posti 1965; Mahnken 1967; Wang 1967; Vanderslice und Ladefoged 1972). Charakteristischerweise sind die prosodischen Merkmale eine Eigenschaft der Phoneme in silbischer Funktion und sind daher in erster Linie eine Eigenschaft der Vokale. Im Gegensatz zu den relativ flüchtigen Konsonantenphonemen sind die Vokale wiederholt als relativ dauerhafte gleichbleibende Einheiten beschrieben worden, die sich zeitlich ausdehnen lassen (vgl. Andersen 1972). So sind sie geeignet für eine Reihe von prosodischen Merkmalen, die auf einem kontrastiven Vergleich eines gegebenen Vokalphonems mit den Vokalphonemen der benachbarten Silben—betonte Phoneme mit unbetonten, höhere Tonhöhe mit tieferer, größere Länge mit kürzerer— oder auf dem kontrastiven Vergleich des Anfangs und des Endes im zeitlichen Ablauf der Silbe durch den Gebrauch von ebenen und unregelmäßigen Tönen in ihren verschiedenen steigenden oder fallenden Modulationen beruhen (vgl. Halle für die Diskussion der gleichbleibenden und nicht-gleichbleibenden Töne, 1972: 190ff.; und frühere Bewertungen von Trubetzkoy 1939a: 194ff., und RJ 1968: 598f.). Da Konsonanten einen Geräuschcharakter aufweisen, und da anderseits die prosodischen Merkmale eng verbunden sind mit Vokalen als den Haupt Vertretern der Sonorität, die trotz der relevanten Rolle des Flüsterns normalerweise und in erster Linie mit der variierenden Beteiligung der Stimmhaftigkeit verbunden ist, gibt es eine gewisse Korrespondenz zwischen dem Merkmal hochtonig ~ tieftonig (oder in Sprachen mit expiratorischem Akzent erhöhte ~ verminderte Lautstärke) und dem inhärenten Konsonantenmerkmal Scharfheit - Mildheit. Die Erhöhung des Tons oder der Lautstärke und die Verstärkung der Turbulenz sind kontrastive Ausdrücke des optimal vokalischen bzw. optimal konsonantischen Charakters. Wir erwähnten schon das seltene Bestehen einer merkmalhaften Reihe von Vokalen, die durch das Fehlen der Stimmhaftigkeit den normalerweise stimmhaften Vokalen gegenübergestellt werden, als
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Analogon zu der weitverbreiteten, völlig üblichen Opposition der merkmalhaften stimmhaften ~ merkmallosen stimmlosen Konsonanten. Neben zwei Korrespondenzen—der ersten zwischen dem vokalischen Merkmal hochtonig ~ tieftonig und dem konsonantischen Merkmal Scharfheit - Mildheit, und der zweiten zwischen den vokalischen und konsonantischen Merkmalen stimmhaft ~ stimmlos— stößt man auf eine dritte, überraschende Entsprechung zwischen dem vokalischen Merkmal hochtonig ~ tieftonig und der konsonantischen Opposition von Stimmlosigkeit und Stimmhaftigkeit. Das Studium der chinesischen Dialekte hat gezeigt, daß eine Verbindung von hochtonigen Vokalen mit stimmlosen Konsonanten und von tiefertonigen Vokalen mit stimmhaften Konsonanten im Chinesischen früher bestand (siehe Karlgren 1915: Kapitel 14-16). Eine gegenseitige Verbindung zwischen der prosodischen Opposition der Vokale des ersten und zweiten Registers und der inhärenten Opposition der vorangehenden gespannten und ungespannten Konsonanten ist in verschiedenen Mon-Khmer-Sprachen (Huffman 1976) beobachtet worden. Ein komplexes Interaktionssystem zwischen prosodischen Tönen und den Arten der vorangehenden Konsonanten—stimmhaft ~ stimmlos, gespannt ~ ungespannt, gehemmt ~ ungehemmt (siehe unten, S. 164)—wurde in Haudricourts aufschlug reichem Essay (1961) bewertet. Wie Malmberg (1969: 189f.) gezeigt hat, ist eine Variante des unregelmäßigen Tonverlaufs im Gegensatz zum ebenen Ton verlauf der dänische lst0cT und ähnliche Beispiele des sogenannten 'gebrochenen' Tons—eine plötzliche Verringerung der Intensität und der Grundfrequenz, im Gegensatz zu einer ebeneren Bewegung: "die populäre dänische Bezeichnung für das Fehlen des 'st0ds' ist 'flydende tone' ( = 'fließender Ton'). Sie weist darauf hin, daß die Unterbrechung das wesentliche Kennzeichen des Gegenstückes ist." 'St0d' ist eine modifizierte Form der fallenden Intonation im Gegensatz zu der ebenen oder steigenden. Eine deutliche Entsprechung zu der Opposition von unregelmäßigem und ebenem Ton verlauf, und besonders der st0d-Variante dieser Distinktion, bildet die Opposition von abrupten und kontinuierlichen Konsonanten. Bei den Konsonanten ist das Fehlen der Abruptheit merkmalhaft, wie wir oben bemerkten; bei Vokalen gehört das Merkmal umgekehrt der Abruptheit und genereller der Unregelmäßigkeit gegenüber Ebenheit an. Die weit verbreitete prosodische Opposition zwischen den merkmallosen, kurzen undehnbaren Vokalen und der merkmalhaften Kategorie der langen, dehnbaren ist einer der natürlichen Ausdrücke der im wesentlichen dauerhaften Natur der Vokalphoneme (vgl. Tru-
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betzkoy 1936) und hat keine direkt symmetrische Entsprechung im Konsonantismus. Swadesh (1937) gestand richtig zu, daß er keinen Fall gefunden habe, in dem Länge das autonom differenzierende Merkmal der Konsonantenphoneme ist: ihre Länge hängt von "Unterschieden in der Stimmhaftigkeit, der Artikulationsstärke, der Aspiration" ab, und normalerweise fungieren lange Konsonanten als biphonematische Verbindungen. Während die Energie der Vokale sich leicht in Länge ausdehnen lqßt, finden Konsonanten ihre merkmalhaften Gegenstücke in der höheren Geschwindigkeit der Energieentladung über eine verkürzte Zeitspanne gegenüber einer niedrigeren Geschwindigkeit der Entladung über eine längere Zeitspanne. Das merkmalhafte Glied dieses Merkmals kommt durch die verschiedenen Varianten von extrapulmonischen Konsonanten zustande. Der bloß kontextbedingte Unterschied zwischen zwei dieser Varianten—Ejektive und Implosive—ist von Greenberg auf Grund von reichhaltigem Material bestätigt worden (1970; vgl. auch Haudricourt 1950). Außerdem sollten Schnalzlaute lediglich als eine andere kontextbedingte, teils geographisch bedingte Realisierung ein und desselben distinktiven Merkmals gehemmt ~ ungehemmt behandelt werden, mit der gebührenden Anerkennung der Nachbesserungen, die in der Abgrenzung dieser drei Unterarten zu machen sind, welche RJ auf Grund von älteren, manchmal unvollständigen, phonetischen Beiträgen zur Erforschung der Schnalzlaute in südafrikanischen Sprachen umrissen hat (RJ I: 720ff.; vgl. Lanham 1969). So ist das konsonantische Kürzungsmerkmal im Vergleich zu dem vokalischen Dehnungsmerkmal eines der auffälligen Beispiele für die Spiegelbildlichkeit, die das konsonantische und das vokalische Untersystem aufeinander bezieht. Aber anscheinend findet die Kürzung der gehemmten Konsonanten ihr Gegenstück in der Dehnung als einer typischen Besonderheit der gespannten Konsonanten in ihrer Opposition zu den merkmallosen, ungespannten. Das häufige gleichzeitige Auftreten der drei entsprechenden Konsonanten—gespannt, ungespannt und gehemmt—spricht für diese Interpretation.
Die Vokalharmonie Wir haben unsere flüchtige Übersicht über all die Merkmale, die Vokale bilden und durch mehr oder weniger deutlichere Entsprechungen in der Struktur der Konsonanten unterstützt werden, beendet. Alle inhärenten vokalischen Merkmale und einige der prosodischen sind beteiligt an verschiedenen Formen eines konstruktiven Mittels,
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'Vokalharmonie' oder 'Synharmonismus' genannt, welches von zahlreichen unterschiedlichen, über die ganze Welt weit verstreuten Sprachen in der Organisation von Laut- und Wortsystemen gebraucht wird und dabei eine relevante konfigurative Rolle spielt. Dieses Mittel dient nach Baudouin de Courtenays metaphorischem Ausdruck dazu, die Einheit der Wörter zu "zementieren" (vgl. Saumjan 1965: 91) : das Merkmal, das Vokalharmonie in einer gegebenen Sprache aufweist, kann nur durch eines von zwei entgegengesetzten Gliedern durch alle Vokale einer Gruppe von Morphemen oder eines ganzen Wortes vertreten sein. Die Zusammensetzung einer solchen wesentlichen Einheit unterliegt einer erheblichen Varietät von Regeln in verschiedenen Sprachen. Der Prozeß der Vokalvereinheitlichung im Wort kann je nach der Struktur der gegebenen Sprache progressiv oder regressiv sein, von Silbe zu Silbe oder von Morphem zu Morphem und im letzteren Fall von der Wurzel zum Affix oder umgekehrt, wie im Uigurischen (siehe Nadzip 1960: 37; Kajdarov 1966: 369f.; vgl. Reformatskij 1955: 105f.) fortschreiten. Eine solche Vereinheitlichung kann vollständig sein oder Überlagerungen und Grenzregeln zulassen (vgl. die Diskussion von 'Harmonie' durch Reformatskij 1966; Aoki 1968; Ultan 1973, und besonders von Kiparsky 1973: §§1.5 und 3.3). Die vergleichende Studie der Vokalharmonie in verschiedenen Sprachen deckt die binäre Struktur aller vokalischen Bestandteile auf und zeigt ihre operationale Autonomie und intuitive Grundlage mit aller Deutlichkeit (RJ I: 635). So müssen die Vokale eines Wortes entweder alle diffus oder alle kompakt sein in den Mandschu-TungusSprachen, in der benachbarten Tschuktschisch-Korjakischen Gruppe und im Lhasa-Dialekt des Tibetischen (vgl. Aoki 1968; Sirokov; Sprigg; und R. Miller). In seiner genauen Untersuchung der tschuktschischen Vokalharmonie teilt O. S. Sirokov die Morpheme dieser Sprache in "merkmalhafte" und "merkmallose" ein. Die "merkmalhaften" (o, a, e) sind durch ständige relative Kompaktheit gekennzeichnet und unterscheiden sich voneinander auf folgende Weise: o von a durch Erniedrigung, e von a durch Hellfärbung und a von o und e durch seine optimale Kompaktheit. Die entsprechenden Vokale der "merkmallosen" Morpheme sind relativ diffus:.u, e, i (siehe Bogoraz' Beschreibung, 1934: 14). In Wörtern, oder genauer in zusammenfassenden Einheiten, die einige "merkmalhafte" Morpheme enthalten, werden die Vokale der "merkmallosen" Morpheme zu ihren kompakten Gegenstücken. So sind die relativ diffusen Gegenstücke zu o und e u bzw. /'. Manche Forscher wunderten sich darüber (vgl. Kiparsky 1973: 50f.), daß das diffuse Gegenstück zum kompakten a ein Vokal ist, der entweder dem e nahesteht, aber etwas weiter
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hinten und tiefer und ungespannter in der Artikulation (Sirokov 1973: 592), oder in einigen Dialekten sogar mit e homophon ist. Aber diese zwei e-Laute können nicht in ähnlichen Kontexten vorkommen, und der Laut, der in "merkmalhaften" Morphemen als das kompakte Gegenstück zu / fungiert, spielt in "merkmallosen" Morphemen die Rolle des diffusen Gegenstücks zu a. So nimmt das skizzierte Vokalsystem die folgende Form an: a
u Die Vokale der Worteinheit sind entweder alle dunkel oder alle hell in vielen finno-ugrischen Sprachen, in den meisten Türksprachen (siehe Bogorodickij 1933) und in den nordmongolischen Sprachen (vgl. Poppe) und im Koreanischen (siehe Xolodovic) und werden von verschiedenen Formen des autonomen Gebrauchs der Opposition erniedrigt ~ nicht-erniedrigt zusammen mit dem Gegensatz diffus ~ kompakt begleitet. In solchen Sprachen wie dem Kirgisischen bestimmen alle drei Oppositionen des Stammorphems automatisch die Merkmale der Affixvokale (vgl. Batmanov). Die meisten Türksprachen weisen eine gegenseitige Verbindung zwischen den Merkmalen Erniedrigung und Kompaktheit auf; normalerweise ist die assimilatorische Erniedrigung (Rundung) auf die diffusen Vokale der Affixe beschränkt, wogegen die kompakten Affixvokale der Erniedrigung nicht unterliegen (Baskakov 1966a). Aber in der Altai-Sprache umfaßt die Verteilung den Unterschied zwischen der Kompaktheit und Diffusheit des Vokals in der Anfangssilbe: wenn dieser Vokal kompakt ist, dann müssen die folgenden kompakten erniedrigt werden, aber wenn er diffus ist, dann ist der Gebrauch der Erniedrigung beschränkt oder sogar fakultativ; wenn der gerundete (erniedrigte) Vokal der Anfangssilbe diffus ist, dann müssen die weiteren Vokale, falls ebenso diffus, erniedrigt werden, aber wenn sie doch kompakt sind, so werden sie nicht erniedrigt (Baskakov 1966b: 508). Unter finno-ugrischen Vokalsystemen, die eine Tonalitätsharmonie aufweisen, zeigen solche Sprachen wie das Finnische und das Karelische (Makarov 1966: 63) die seltsame Erscheinung der Anwendung der dunkel - hell-Harmonie nur auf diejenigen Vokalpaare, in denen ein dunkler Vokal einem hellen entspricht, wenn die zwei gepaarten Vokale entweder beide gerundet (erniedrigt) oder beide
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ungerundet (nicht-emiedrigt) sind. Vgl. karelische Paare ü/u und 0/0 so wie ae/a und zugleich die neutrale Stelle im System, d.h. die Nichtbeteiligung an der Vokalharmonie, von den Vokalen Iii und /e/. (Über weitere Einzelheiten des finnischen Synharmonismus siehe Kiparsky 1973: 36ff. und 144f.; vgl. Ringen 1976). Die Natürlichkeit und Vitalität des Rückgriffs auf die dunkel ~ hell Variante der Vokalharmonie wird durch ihre spontane Erzeugung in der Kindersprache (siehe Ross 1937) bestätigt. Um den türkischen Vokalismus zu veranschaulichen und seine dichotome Struktur zu zeigen, benutzte Lötz einen Würfel (siehe Abbildung 8), der die Vokalharmonie in ihren verschiedenen Aspekten zeigt (Lötz 1962: 344f.; vgl. Mel'nikov 1966). Cornelis H. van Schooneveld (1978) entwickelte dieses Modell für die Anwendung auf die Analyse von semantischen Grundstrukturen weiter. Die Fälle des gleichzeitigen Vorhandenseins der Opposition diffus ~ kompakt mit der Opposition erniedrigt ~ nicht-erniedrigt kann durch Beispiele in jenen südlichen Mandschu-Tungus-Sprachen mit
Abbildung
8. Die Türkischen Vokale, als Würfel dargestellt von J. Lötz im Jahre 1942 (wiederabgedruckt in 1962: American Studies on Altaic Linguistics 13, Abbildung 1): Oppositions:
vorne ~ hinten hoch ~ tief gerundet ~ ungerundet
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diffus ~ kompakt-Harmonie wie dem Oltscha (Sunik 1968a: 152); dem Udihe (Sunik 1968b: 214) und dem Orokischen (Petrova 1968: 173) ergänzt werden. Das westafrikanische Gebiet baut seine Vokalharmonie auf dem Merkmal gespannt ~ ungespannt auf. Die neueste und exakteste Beschreibung dieser Phänomene stammt von Colin Painter, der in seiner Arbeit über die Twi-Sprache von Ghana auf den Gegensatz gespannt ~ ungespannt auf der Ebene der Kompetenz und auf die Pharynxbreite auf der Ebene der artikulatorischen Konfiguration verweist als "die nützlichste Methode, die Vokalharmonie im Twi zu charakterisieren": bei jedem betreffenden Vokalpaar "ist der Pharynx breiter bei dem gespannten Vokal als bei dem ungespannten" (Painter 1971 und 1973; vgl. die vagen Angaben von Stewart 1967; siehe auch die früheren Belege über Bari von Westermann und Ward 1933: 128, und über Maasai von Tucker und Tompo Ole Mpaayei 1955). Nach Henry Hoenigswald ist im Hindustani, insbesondere im umgangsprachlichen Urdu "ein Vokal oder eine Abfolge von Vokalen in einem Wort entweder ganz oral oder ganz nasaliert < . . . > Wenn eine orale und eine nasalierte Lautfolge zusammentreffen (egal in welcher Reihenfolge), ist die ganze daraus resultierende Abfolge nasaliert" (1948: 143f.). Vgl. Kayes Beobachtungen (1971) über die Nasalharmonie in der Desano-Sprache des nordwestlichen Amazonasbeckens. Man sollte auch Fälle des Auftretens von Konsonantenharmonie erwähnen, die auf sekundären Tonalitätsmerkmalen beruhen, insbesondere die Tatsache, daß "im marokkanischen Arabisch emphatische Laute mit nicht-emphatischen nicht in demselben Wort vorkommen können" (siehe Greenberg 1963b: 37), und den Wandel der traditionellen türkischen Vokalharmonie zu einer auf der Opposition erhöht ~ nicht-erhöht beruhenden im Dialekt der nordwestlichen Karai'ten (siehe Kowalski 1929). Eigentlich umfaßt der grundlegende Typ der türkischen Harmonie sowohl die Vokale als auch die Konsonanten des ganzen Wortes. Es handelt sich hier um einen 'silbischen Synharmonismus', der die Opposition hell ~ dunkel der Vokale mit der der erhöhten ~ nicht-erhöhten Konsonanten kombiniert (siehe Saraf 1927; Jakovlev 1928: 60f.; Polivanov 1929: 536; Kjazimov 1954: 94). Ein lehrreiches Beispiel eines silbischen Synharmonismus ist die Opposition der erniedrigten ~ nicht-erniedrigten Wörter in dem aramäischen Dialekt vom persischen Azerbeidschan, der von dem geschickten Phonetiker Ira Garbell (1965: 33f.) beschrieben wurde: in 'erniedrigten' Wörtern sind Vokale und Konsonanten "mehr oder weniger pharyngalisiert je nach dem einzelnen Sprecher". Außerdem
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werden Vokale weiter hinten und Labialkonsonanten mit einer erhöhten Vorschiebung und Rundung der Lippen produziert. Diese Mundart dient als Beispiel für den Zusammenfall verschiedener Realisierungen der Erniedrigung—Pharyngalisierung, Velarisierung und Labialisierung—und einen Zusammenschluß der Erniedrigung und Dunkelfärbung bei Vokalen (vgl. oben, S. 122ff.). Smith zitiert ein charakteristisches Beispiel der Konsonanten-/Vokalharmonie in der Kindersprache, wo das Auftreten von labialen (dunklen) Verschlußlauten nur mit hinteren (dunklen) Vokalen und von alveolaren (hellen) Verschlußlauten am häufigsten mit vorderen (hellen) Vokalen erforderlich ist: z.B. bugu 'kaputt', didi 'klein' (N. V. Smith 1973: 163). Zu den verschiedenen Typen der Vokalharmonie, die auf den inhärenten Vokalmerkmalen beruhen, müssen wir die in der austronesischen Jabem-Sprache von Neu-Guinea verzeichnete Vokalharmonie, die auf der prosodischen Opposition von hohen und tiefen Tönen beruht, hinzufügen. In jedem Morphem, in dem die Vokale tieftonig sind, sind alle Obstruenten stimmhaft, wohingegen in Wörtern mit hochtonigen Vokalen alle Obstruenten stimmlos sind (Dempwolff 1939; Milke 1965; Greenberg und Kaschube 1976: 335). Die Fälle der Übertragung einer Harmonie zwischen sukzessiven Morphemen desselben Stammes auf eine Harmonie zwischen aufeinanderfolgenden Wörtern, wie dies Stewart (1967: 190) beobachtet hat, finden eine interessante Entsprechung in der kalmückischen Folklore, die das Monopol der dunklen oder hellen Vokale auf eine ganze Verszeile ausdehnt (siehe Pestovskij 1925). Eine solche Übertragung ist ein stichhaltiger Beweis der tatsächlichen schöpferischen Vitalität und Produktivität der Vokalharmonie und der ihr zugrundeliegenden distinktiven Merkmale, insbesondere des Merkmals gespannt ~ ungespannt, das, um Sapirs Ausdruck zu verwenden, zu "den funktional und ästhetisch bestimmenden Gestalten" (Sapir 1949: 48) unserer linguistischen Erfahrung gehört, ungeachtet der Feinheiten ihrer artikulatorischen und akustischen Realisierungen.
Die Gleitlaute Laut Sweets Behauptung "führt uns die Synthese zu einer besonderen Klasse von Elementen, Gleit- oder Übergangslaute genannt" (19063: §113). Der Ausdruck 'Gleitlaut' (englisch: "glide"), der in der linguistischen Literatur mit leicht unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht wird, kann auf Phoneme angewandt werden, die auf ein Merkmalsmi-
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nimum oder sogar auf ein einzelnes Merkmal beschränkt sind. Als er die Aspiration der dänischen Konsonanten als das Hauptsignal der Artikulationsstärke und als ein Merkmal ihrer Opposition zu den unaspirierten Tenues (ungespannt) interpretierte, hatte André Martinet glücklicherweise die Idee, mit dieser Korrelation den Gegensatz zwischen der anlautenden Aspirata h und der bloßen initiale vocalique in Verbindung zu bringen. Er unterstrich diese Verallgemeinerung, indem er die völlige Parallelität zwischen den Vorkommensbedingungen dieses h und der aspirierten Konsonanten (1937: 31ff.) aufzeigte. Eine solche Opposition zwischen der Aspiration, in dem mit einem Merkmal ausgestatteten Gleitlaut h und dem Fehlen der Aspiraton (NullPhonem) deckt den die Paare der aspirierten und nichtaspirierten Konsonanten vereinigenden gemeinsamen Nenner auf und deutet auf ihr gemeinsames Merkmal gespannt ~ ungespannt hin. Das Vorhandensein des Phonems h in Sprachen macht es besonders klar, daß das gültige Merkmal nicht stimmhaft ~ stimmlos sondern gespannt ~ ungespannt (mit merkmalhafter Gespanntheit) ist. Im Deutschen ist das merkmallose Gegenstück zu h der Glottisschlag (Vokaleinsatz), der an derselben Stelle auftritt und fakultativ weglaß bar ist (siehe Krech 1970). Eine solche Weglassung, und damit der Ersatz eines Null-Phonems für ein ungespanntes Phonem, ist im Englischen noch häufiger, wo die explizitere Variante eine Tendenz zur Realisierung als Glottisschlag aufweist. Jiddische Mundarten, die slawischem Einfluß ausgesetzt waren, ersetzten das Merkmal gespannt ~ ungespannt durch das Merkmal stimmhaft ~ stimmlos, und dieser Wandel fand sein Gegenstück in dem Verlust von h. Im Arabischen trägt der merkmalhafte gioitale Gleitlaut h das gespannte Merkmal, im Gegensatz zu dem entsprechenden ungespannten Phonem, das von arabischen Grammatikern als 'hamza' bezeichnet wird und durch einen Glottisschlag in freier Variation mit Null oder einfach durch Null realisiert wird, und ähnlich dem Paar spiritus asper und spiritus lenis im Altgriechischen. Aber im Arabischen scheint die Opposition gespannt - ungespannt nicht nur in Konsonantenphonemen, sondern auch in den extra-buccalen Gleitlauten durch eine Tonalitätsopposition überlagert zu sein: beide glottalen Gleitlaute besitzen nämlich ihre erniedrigten, pharyngalisierten (ayn) Gegenstücke, das eine stark und stimmlos (gespannt), das andere schwächer und stimmhaft (ungespannt) (vgl. RJ I: 518f.). Das Standardfranzösische kennt zwei eigentümliche Größen, die als h aspiré und e muet bekannt sind. Das erste von beiden wurde von Robert Hall (1948) als Phonem behandelt und als "eine geringe Konstriktion im Rachen, mit wiederholtem Silbenanfang und fakulta-
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tivem Glottisschlag" (S. 10) beschrieben. Laut Dell (1973b: 256) wird das h aspiré als Glottisschlag realisiert, wenn ihm innerhalb einer Phrase ein Wort mit auslautendem Konsonanten vorangeht—z.B. il hache [il'aä]; für gewisse Sprecher ist dies obligatorisch, für andere fakultativ. Der auslautende Vokal oder der auslautende Konsonant der vorangehenden Konstituente derselben Phrase oder derselben Zusammensetzung wird bei dem h aspiré auf ähnliche Weise behandelt, wie bei einem Konsonanten in derselben Position. Flydals (1974) großartige Studie über die Stelle des e muet mit allen seinen stilistischen Variationen vom elliptischen schnellen Slang bis zu dem maximal expliziten System der französischen Aussprache—der klassischen Norm des französischen Verses oder noch mehr, des französischen Liedes—zeigt, daß das e muet als ein fakultativ ausgesprochener silbischer Laut mit verschiedenen Graden von Weglaß barkeit je nach Position und Stil charakterisiert werden kann (vgl. Pulgram 1961). In der Aussprache "besitzt das stumme e weitaus weniger Individualität als irgendein anderer französischer Vokal" (Malécot und Chollet: S. 26f.): es hat eine geringe Artikulationsstärke, ist weniger gut erkennbar und sowohl quantitativ als auch qualitativ unbestimmt. In seiner Arbeit über die kontextbedingten und expressiven Varianten dieser unbestimmten Größe führt Pierre Léon (1971: 67) Paul Valérys launenhafte Charakterisierung von "L'E muet qui tantôt existe, tantôt ne se fait presque sentir qu'il ne s'efface entièrement et qui procure tant d'effets subtils de silences élémentaires et qui termine et prolonge tant de mots par une sorte d'ombre . . . " (Valéry S. 623f.) wieder an. Diese zwei mehr oder weniger unbestimmten latenten Lauteinheiten scheinen sich in komplementärer Verteilung zu befinden: das h aspiré kommt nur in anlautender vorvokalischer Position vor, das e muet in allen Positionen außer der anlautenden und vorvokalischen. Diese Vorstellung von Latenz, die zuerst von Mathesius (1911, siehe 1964), Sapir (1963, siehe 1949), Martinet (1933; aber vgl. 1972) und Hjelmslev (19612) entwickelt wurde, bleibt ein wesentlicher Begriff in der Sprachwissenschaft. Sowohl das h aspiré als auch das e muet können als kontextbedingte Varianten ein und desselben Phonems, eines latenten Gleitlauts im Gegensatz zu einer obligatorischen Null, angesehen werden: il hait mit einem fakultativen Glottisschlag gegenüber il est ohne Glottisschlag, oder ferais mit einem fakultativen Schwa gegenüber frais, wo ein Schwa nicht erlaubt ist. Wenn die beiden kontextbedingten Varianten— e muet und h aspiré—einander folgen, dann wird nur das erste realisiert, und diese Realisierung ist obligatorisch:
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je häis. Wenn es richtig wäre, den Unterschied zwischen der Opposition eines potentiell weglqß baren h aspiré oder e muet einerseits und einer obligatorischen Null als die Differenz zwischen größerer Stärke und fehlender Anstrengung zu interpretieren, dann könnte die betreffende Opposition mit dem Gegensatz gespannt ~ ungespannt, der im vokalischen und im konsonantischen Untersystem des Französischen fungiert, identifiziert werden (siehe oben S. 148f.). Laute, die herkömmlich als 'Halbvokale' charakterisiert werden, haben unterschiedliche Rollen in der verschiedenen Lautsystemen der Sprachen. So fungieren sie in vielen Sprachen als bloße kontextbedingte Varianten der diffusen Vokalphoneme (vgl. Swadesh 1947; Andersen 1972). In Verschiedenen europäischen Ländern, wo das lateinische Alphabet für einheimische Sprachen verwendet wurde, brauchte man keine getrennten Buchstaben, damit antike und mittelalterliche Schreiber und Leser nichtsilbische und silbische u oder /' auseinanderhalten konnten. Diese Tatsache dient als Beleg für die bloße komplementäre Distribution dieser Vokale und Halbvokale. Es gibt Sprachen, in denen die nichtsilbischen Varianten [y], [y] und [w] von [i], [ili bzw. [u] in seltenen Situationen einen bedeutungsunterscheidenden Wert erhalten, wie französisch [il/ty]—Ay/ail, abbay/ abeille, pays/paye—, die anscheinend die Opposition eines gespannten Iii und seines ungespannten Gegenstücks realisieren und so zu derselben Reihe von Paaren wie e/ e, o/ D, a /a, usw. zu gehören scheinen (siehe die von F. de Saussures Enkelsohn aufgenommenen Spektrogramme von Ay/ail: in Preliminaries, S. 46; vgl. Martinet 1933 und Söerba 1915: 72f.). In besonderen Fällen können gewisse Halbvokale die Rolle der Gleitlaute übernehmen, z.B. im Russischen, wo die Paare von erhöhten - nicht-erhöhten Konsonanten durch die Opposition Jot ~ Null ergänzt wird (vgl. solche Paare wie [r'at] 'Reihe'/[rat] 'froh' und [jat] 'Gift'/[at] 'Hölle'). Es ist bemerkenswert, daß vor /e/, wo nur das merkmalhafte Glied der Opposition erhöht ~ nicht-erhöht zulässig ist, die palatalisierbaren Konsonanten obligatorisch palatisiert sind und bei Abwesenheit eines Konsonanten Jot obligatorisch ist (vgl. t'el-d'el-p 'el-b 'el-m 'el-jel). Ein anlautendes /e/ kommt nur in Wörtern vor, die ihre fremdsprachliche Lautgestalt bewahren (/el'f/ 'Elfe', /èra/ 'Ära'), in Interjektionen (/ex/, /ej/) und in deiktischen Morphemen interjektionaler Herkunft und Färbung (/ét'i/ 'diese', /étak/ 'so'); ebenso kommen nicht erhöhte Konsonanten mit nachfolgendem lei nur in Lehnwörtern, die ihren fremdsprachlichen Charakter bewahren (/sép'ija/ 'Sepia', /ser/ 'Sir'), vor.
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Die Entstehung der Lautgestalt Die Analyse einer gegebenen Sprache deckt die Existenz von Regeln auf, welche die Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen distinktiven Merkmalen innerhalb eines sprachlichen Systems, ihre Kookkurenz und ihre Kombinationsfähigkeit in gleichzeitigen Bündeln und aufeinanderfolgenden Ketten regulieren. Der Vergleich von solchen Klassen von Regeln in den mannigfachen Sprachen der Welt erlaubt dem Forscher, Schritt für Schritt aufzudecken, welche von diesen Regelmäßigkeiten für die meisten oder sogar für alle untersuchten Sprachen gelten. Eine Typologie der sprachlichen Strukturen, die auf Grund von solchen Wechselbeziehungen entwickelt wird, ist unentbehrlich für die Erforschung des fundamentalen Problems der sprachlichen Uni Versalien. Die Sprachtypologie legt sowohl die bestehenden Varianten als auch die ihnen zugrundeliegenden universellen und beinahe universellen Invarianten bloß. Wir suchen nach den Strukturgesetzen, entweder nach den ausschließlichen oder den bloß bevorzugten (vgl. RJ 1968: 600), die die Sprachsysteme der Welt beherrschen, und diese Suche muß durch eine ähnliche Erforschung der grundlegenden ontogenetischen Domäne ergänzt, bestätigt und bereichert werden: die Entwicklung der Kindersprache und besonders die Herausarbeitung der sukzessiven Abfolge im Aufbau ihres Lautsystems. Unmittelbar vor dem zweiten Weltkrieg (1937) kündigte ein Buch des französisch-belgischen Sprachwissenschaftlers Antoine Grégoire (1892-1961) den Anfang dessen an, was er später "la renaissance scientifique de la linguistique enfantine" (1950) nannte. Grégoires Tagebuch liefert ein erschöpfendes, äußerst genaues Bild des Sprachlebens seiner beiden jungen Söhne, mit einer ständigen sorgfältigen Betrachtung eines jeden Entwicklungsmoments. Jede neue Errungenschaft der Kinder wird gründlich beobachtet und beschrieben. Grégoires zweibändige Monographie (1937, 1947), zusammen mit den weitblickenden russischen Arbeiten von N. Gvozdev (1892-1961), die in verschiedenen Veröffentlichungen von den zwanziger Jahren an erschienen und später in seinem 1961 veröffentlichen Band gesammelt wurden, und auch die Bände mit den gewissenhaften Beobachtungen (1939-49), die der deutsch-amerikanische Forscher Werner Leopold über die Sprache seiner beiden zweisprachigen Töchter gemacht hat—alle diese Beiträge könnten am ehesten mit Filmen verglichen werden. Durch ihre reichhaltigen Daten über Sprache und Umgebung und durch ihre präzisen und expliziten Beweise übertreffen diese Studien die immer häufiger werdenden "Schnappschüs-
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se" des Sprachverhaltens des Kindes und seines linguistischen Repertoires in einem gegebenen Augenblick. Solche "Schnappschüsse" werden gemacht, indem man das Kind während einiger Monate in wöchentlichen oder längeren Abständen für eine halbe Stunde besucht und währenddessen Tonbandaufnahmen macht; manche Forscher beschränken sogar ihre Aufnahme des Kleinkindes auf ein einziges Treffen von etwa 100 Minuten. Diese seltenen und oberflächlichen Treffen zwischen dem Kind und einer ihm unbekannten Person zerstückeln, mechanisieren und entstellen das dynamische Gesamtbild, da die Triebfedern der Veränderungen und ihre Reihenfolge verborgen bleiben und die innersten dynamischen Gesetze des allmählichen Aufbaus nicht entdeckt werden können (vgl. RJ 1977). Die ersten Skizzen (im folgenden: die Skizzen) der sprachlichen Ontogenese wurden während des zweiten Weltkrieges entworfen (siehe RJ I: 317ff. und 328ff., und die Zusammenfassung von Ferguson und Garnica 1975: 162-168). Diese Skizzen versuchten eine Strukturanalyse der Sprache des Kindes ("la langue en devenir") in Hinblick auf das Auftreten und die Behandlung der distinktiven Merkmale und auf ihre "lois générales, ou tendant à être générales, si l'on préfère être plus prudent" (RJ I: 317). Die vergleichende Untersuchung einer großen Menge von Material warf die Frage der unumkehrbaren Solidarität zwischen gewissen vom Kind nacheinander erworbenen distinktiven Merkmalen auf und später auch die Frage der auffälligen Gemeinsamkeiten in der Abstufung der Reihenfolge unter Kindern nicht nur ein und derselben Sprache sondern auch aus ganz verschiedenen Sprachgebieten. Bei gewissen distinktiven Merkmalen und ihren gleichzeitigen und sukzessiven Kombinationen stellte sich die zeitliche Reihenfolge innerhalb des Erwerbs als dieselbe heraus, überall und zu jeder Zeit. Solche Gesetze der unumkehrbaren Solidarität weisen auf eine geschichtete, in vieler Hinsicht homogene Konstitution der Sprache hin. Die "höchst wahrscheinliche" Hypothese, die in Björn Lindbloms Arbeit verfochten wird, daß "nicht nur perzeptive, sondern auch artikulatorische und physiologische Kriterien das Kind bei seiner Suche nach den ersten kontrastiven Signalen leiten" (1972: 79), stimmt eigentlich mit der Einstellung in den Skizzen überein. Das Erscheinen von mehreren Sonderstudien über die sukzessive Reihenfolge von Erwerbungen durch Kinder bildete eine wesentliche Überprüfung und Bestätigung der wichtigsten in den ontogenetischen Skizzen vorgeschlagenen Implikationsgesetze (siehe RükeDravina 1977). Harry V. Veltens reichhaltige und einsichtige Arbeit (1943), die auf Aufzeichnungen der Sprache seiner Tochter vom 11. bis zum 36. Monat basierte, eröffnete diese Reihe von Studien über
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das Wachstum der phonemischen und lexikalischen Systeme in der Kindersprache. Hier seien noch einige weitere Beiträge mit einer Menge bestätigender Belege aus verschiedenen Sprachen angeführt: S. Nakazimas (Teil IV, 1972) vergleichende Studie der Sprachentwicklung bei japanischen und amerikanischen Kindern; Arne Vanviks (1971) Beschreibung der "phonetisch-phonemischen Entwicklung" eines norwegischen Kindes vom ersten bis zum achten Lebensjahr, mit dem Schluß, daß die Hauptthesen der Skizzen über die Reihenfolge der Entwicklung der Phoneme und Phonemsequenzen durch die norwegischen Daten bestätigt werden (vgl. H. Abrahams 1955); und Andrew Kereks (1975) Schlußfolgerung, daß ungarische Studien über den Erwerb dieser Sprache durch Kinder ebenso die entworfene Skala der Implikationen unterstützen (vgl. auch Meggyes 1972). Die bündige Arbeit des spanischen Sprachwissenschaftlers Emilio Alarcos Llorach (1968: 337ff.) führte zu Parallelen und ermutigenden Schlüssen, wie auch die niederländischen Daten von Anne Marie Schaerlaekens (1977). Wie Marlis Macken, die an der Forschung des Projekts zur Phonologie des Kindes ("Child Phonology Project") an der Stanford Universität teilgenommen hat, vor kurzem gezeigt hat, stimmen die allgemeinen Behauptungen der Skizzen bezüglich der universellen Reihenfolge des Konsonantenerwerbs mit den neusten Studien über das Spanisch der mexikanischen Kinder überein und bestätigen "eine Reihe von Substitutionen, die vorhergesagt wurden" in den Skizzen (1977: 31). Besonders reichhaltig und bekräftigend war die Reihe von Monographien nach dem zweiten Weltkrieg von aufmerksamen tschechischen und polnischen Sprachwissenschaftlern über den ganzen Prozeß der Spracherwerbs durch ihre eigenen Kinder. Für das Tschechische besitzen wir die eingehenden Studien von Jaroslava Pacesovâ (1968, 1970), die besonders auf die Priorität der merkmallosen Oppositionsglieder im Vergleich zu den merkmalhaften hinweist. Karel Ohnesorgs zwei tschechische Bände (1948, 1959; siehe auch Barto§ 1959) enthalten viel wertvolles Material. Ohnesorg sieht die unmittelbare Aufgabe der internationalen Forschung zur Kindersprache in der Bestätigung und der Bereicherung von "la liste des constatations" der früheren Skizzen (1970: 698). Die Reihenfolge der Entfaltung des Lautsystems der Kinder hat schon immer im Brennpunkt der Forschung dieses Linguisten gestanden; er hat einen aktiven Beitrag "à la pédophonétique comparée" geleistet und behauptet, daß ein breiter Vergleich es erlaubt, viele Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen in der Lautentwicklung der Kindersprache in den verschiedensten sprachlichen Umgebungen zu erkennen, wie bereits durch einen Ver-
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gleich von französischen, lettischen, polnischen, russischen, slowenischen, tschechischen, deutschen, englischen, italienischen und rumänischen Daten belegt (Ohnesorg 1972: 186). Eng verwandt, mutatis mutandis, mit diesen tschechischen sind die polnischen Untersuchungen von Leon Kaczmarek (1953) und später von Maria Zar^bina (1965) und Jozef Kania (1972). In seiner Introduction to Modern Linguistics stellt Manfred Bierwisch seinerseits fest, daß "sich innerhalb des universellen Inventars eine gewisse Hierarchie abzeichnet" (1971: 25) und der Reihenfolge entspricht, in der ein Kind seine Fähigkeit, Laute zu unterscheiden, entwickelt und die andererseits aphatischen Verlusten zugrundeliegen. Nach Charles Ferguson, der während der letzten zwei Jahrzehnte an der Spitze der amerikanischen linguistischen Forschung über den Spracherwerb bei Kindern gestanden hat und das Projekt zur Phonologie des Kindes der Universität Stanford organisiert hat, hat sich die erstmals in den Skizzen vorgebrachte Hypothese einer universellen Reihenfolge der Erwerbe "als anregend und fruchtbar erwiesen, < . . . > die detaillierteste, expliziteste und vielversprechendeste, die zur Verfügung steht" (Ferguson und Farwell 1975: 434). Diese beiden Autoren berichten, dqß die jeweilige Sprachentwicklung bei den drei unter ihrer Aufsicht befindlichen Kindern recht ähnlich war, und daß sie viele der Voraussagen bestätigen konnten: Priorität der "labialen und alveolaren Verschlußlaute; Nasale und Gleitlaute entwickeln sich in diesen Positionen später und Reibelaute noch später < . . . > , labiale Nasale vor anderen < . . . > , Entwicklung der velaren Konsonanten beginnt viel später als die der Konsonanten in anderen Positionen" (Ferguson und Farwell: 435). Die Behauptung, daß zwischen gewissen distinktiven Oppositionen eine einheitliche Reihenfolge der Entwicklung besteht, wird in der Tat durch zahlreiche Entsprechungen unterstützt. Man muß aber bedenken, daß die relative Chronologie nicht alle Bestandteile des Systems umfaßt. Z.B. wenn die Stelle der Halbvokale oder die von /h/ in den geordneten Regeln der Skizzen nicht bestimmt war, so geschah dies nicht aus "Mangel an gebührender Aufmerksamheit", sondern einfach weil die verfügbaren Daten die Zuweisung einer bestimmten Stellung in der Entwicklungsordnung der Erwerbe für diese Elemente noch nicht erlaubt hatten; es ist bezeichnend, daß es auch zwischen den drei von Ferguson und Farwell zitierten Kindern diesbezügliche Divergenzen gibt (vgl. auch die obige Diskussion, S. 164ff., über die verschiedenen Funktionen von h und den Halbvokalen). Die Skizzen waren nie als Dogma gedacht, und sie forderten absichtlich eine Nachprüfung von Arbeitshypothesen und weitere, präzi-
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sere Formulierungen, Korrekturen und Zusätze. Darüberhinaus bleibt die Bedeutung der Regeln auch da, wo der Universalitätsanspruch übertrieben scheint und die angebliche Universalie auf den Status einer Quasi-Universalie ("near universal") herabgesetzt wird, mit an 1,0 grenzender Wahrscheinlichkeit höchst relevant für die Frage der allgemeinen Sprachgesetze (vgl. oben, S. 62f.). Bei der wegweisenden Konferenz über Sprachuniversalien (in Dobbs Ferry, New York im April 1961) vertrat der Förderer der Psycholinguistik, Charles Osgood, die Ansicht, daß "eben die nicht-universellen statistischen Universalien die interessantesten sind", da die Ausnahmen Interaktionen zwischen einer ganzen Reihe von funktionalen Gesetzen widerspiegeln (Osgood 1963: 302). Der besondere Wert der bahnbrechenden Untersuchung (1970) von Irina Melikisvili über die universellen Gesetzmäßigkeiten im System der distinktiven Merkmale liegt in ihrer sorgfältigen Erklärung der angeblichen Ausnahmen durch den Rückgriff auf spezifischere, auf einem weiteren Bereich von interagierenden Merkmalen beruhende Regeln. So z.B. erhält die Stelle der Affrikaten in den Sprachsystemen der Welt und in der Sprachentwicklung des Kindes eine weitaus exaktere Formulierung; angebliche Ausnahmen verschwinden, sobald innere Faktoren, nämlich die Gegensätze kompakt ~ diffus, dunkel ~ hell und stimmhaft - stimmlos mit ihrer gegenseitigen Hierarchie und Verteilung von Merkmalen in Betracht gezogen werden, und sobald die Rolle, die die beiden konkurrierenden Paare kontinuierlich - abrupt und scharf ~ mild im Aufbau der Affrikaten spielen, adäquat interpretiert wird. Melikisvili (S. 67f.) ermittelt nicht nur eine Reihe von Beinahe-Universalien, sondern auch Universalien mit 1,0 Wahrscheinlichkeit, z.B. die Tatsache, daß das Vorhandensein von Affrikaten das gleichzeitige Auftreten eines diffusen hellen Dauerlautes im selben System voraussetzt,—insbesondere, daß das Auftreten von [c] das Mitvorhandensein von [s] voraussetzt. Eine solche fortschrittliche und sorgfältige Verbesserung der Formulierungen bringt uns dem breiten Netz der strikten Implikationsgesetze näher, die der Lautstruktur der Sprachen der Welt zugrundeliegen und sie bestimmen und die die Reihenfolge der sprachlichen Erwerbe des Kindes regeln. Außerdem erhalten dieselben Gesetze der unumkehrbaren Solidarität immer neue Bestätigung in der Spiegelbildlichkeit des Aufbaus der Sprache bei Kindern und deren Abbau bei Aphatikern (vgl. Holmes 1978). Klinisches Beweismaterial zeigt mehr und mehr, daß "die phonologische Auflösung der Sprache immer in Bezug auf das System und dessen Organisationsprinzipien charakterisiert werden
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kann". Sheila Blumsteins mannigfache Beweise für diesen Schluß (1973: 75) und ihre linguistische Studie der Fehler von Patienten zeigen, daß die merkmalhaften Oppositionsglieder dazu neigen, früher als die merkmallosen zu verschwinden (S. 53 und 60; vgl. RJ II: 312). Diese grundlegende Einheitlichkeit darf nicht außer Acht gelassen oder ungültig gemacht werden, indem man auf Ungenauigkeiten, echt oder imaginär, hinweist, die bei den ersten Versuchen zur Darstellung des universellen Rahmens gefunden wurden. David McNeil bestand auf der Dringlichkeit der weiteren Untersuchung und Herausarbeitung der vielfältigen postulierten Beziehungen in seiner psychologischen Abhandlung über den Spracherwerb (1970a). Wenn die ursprünglichen Skizzen keinen Spielraum für eine Betrachtung der Natur von individuellen Schwankungen in der Lautentwicklung oder für eine "höchst detaillierte Analyse der idiosynkratischen Wege, die Kinder verfolgen, wenn sie lernen, ihre Sprachen auszusprechen" (Ferguson und Farwell 1975: 438; vgl. 434f.) ließen, so war diese einseitige Orientierung durch das zentrale Forschungsthema bedingt, das sich auf das Herausschälen der Invarianten aus den schwankenden Variationen konzentrierte. Diese Variationen heben die offenbare Invarianz nicht auf und verbergen sie auch nicht, und auch wenn die "Beschreibung und Erklärung von solchen Unterschieden" von großem Interesse für Linguisten sind und "Relevanz für Therapie und Padägogik" haben, so können solche Varianten nicht völlig verstanden werden, ohne daß die hinter ihnen verborgenen Invarianten herausgeschält und erklärt werden. Mit Stanley S. Stevens (1951: 21) gesprochen ist es nicht der Fall, "daß die Variabilität jemals aus der empirischen Wissenschaft verbannt wird, aber die fortlaufende Ausbreitung des Bereiches der Invarianz kann die Herrschaft der Varianz auf überschaubarere Proportionen reduzieren." Weder bei einzelnen Kindern noch in irgendeiner Sprachgemeinschaft werden Änderungen mit plötzlicher und sofortiger Allgemeingültigkeit durchgeführt (vgl. oben, S. 83, und unten S. 186ff.). Eine Periode der Ausbreitung von Wort zu Wort, von Sprachstil zu Sprachstil (vgl. Labov 1970) und von Sprecher zu Sprecher füllt die Zeitspanne zwischen dem Anfang und dem Ende einer Entwicklung aus. Der Erwerbsprozeß ist wiederholt beobachtet und dargestellt worden. Ohnesorg (1959: 29) erinnert an Rousseys Bild "va et vient du son quitté au son nouveau" (1899-1900) und an die Bemerkung in Saussures Cours über "beaucoup de tâtonnements, d'essais, et de rectifications" bei der allmählichen Beherrschung der Laute durch das Kind. Arne Vanvik bemerkt, wie ein neu erworbener Laut bevorzugt wird: "wir sind wieder Zeugen einer Pendelbewegung vom Fehlen eines
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Lautes zu dessen übertriebenem Gebrauch" (Vanvik 1971: 306). Ferguson und Farwell fügen diesen Betrachtungen (1975: 433, 436) eine neue und wertvolle Bemerkung über die lexikalische Selektivität des Kindes bei der Wahl von Wörtern, die den von ihm bevorzugten Laut enthalten, und beim Vermeiden von Wörtern mit ihm noch unbekannten Lauten hinzu. Aber keiner der Umstände, die den Ausbau des kindlichen Systems distinktiver Merkmale begleiten, verbirgt oder stört die zeitliche Abfolge seiner Erwerbe, trotz der häufigen Unterschiedlichkeit zwischen seinen Sprachstilen, z.B. den Rückfällen des Kindes in frühere sprachliche Infantilismen mit der Weglassung von gewissen Unterscheidungen (siehe Ohnesorg 1948: 52f.). Ein Kind kann am Anfang eine vor kurzem erworbene Distinktion verwenden, nur wenn es mit Erwachsenen spricht: so verwendete ein polnisches Mädchen die neu beherrschten Dauerlaute [v] und [f], wenn es mit seinen Eltern redete, und sprach krewka 'Blut' als [klefka] aus, aber für sich selbst wiederholte es [kepka] nach seiner alten Gewohnheit (Zarebina 1965: 25). Die Beachtung der distinktiven Merkmale durch das Kind ist in der Tat erstaunlich; auch bevor es sie aktiv beherrscht, kann ihre Erkennung völlig erreicht werden. Wie Pacesovä bemerkt, war das Phonem /r/ einer der Konsonanten, die beim Kind unter den letzten Phonemen in der Entwicklungsreihe erschienen. Inzwischen ersetzte es dieses Phonem meistens durch /l/. Weder bei der Produktion noch bei dem akustischen Eindruck gab es irgendeinen Unterschied zwischen Wörtern wie vläsky-vräsky, Ilenka-Jrenka. Das Kind kritisierte trotzdem spontan unsere falsche Interpretation und verlangte die Unterscheidung der beiden Liquiden in unserer Sprache, obwohl es sich selber damit begnügte, nur einen von ihnen zu realisieren. Ähnliche Daten können bezüglich der anderen Konsonanten gefunden werden, vgl. z.B. uvar-uvaz (beide wiesen dieselbe Form [wval] auf, konicek-Tonicek (beide als [toniröek] realisiert), was zeigt, da/8 die Beherrschung der richtigen phonetischen Realisierung nicht gleichzeitig mit der Identifizierung der distinktiven Merkmale bei Phonemen auftritt: diese geht jener anscheinend voraus. [1968: 230f.]
(Vgl. RJ I: 715f„ und Berko und Brown 1960: 5 3 1 - " N o t fis, fis!" statt fish). MacKay (1970b: 320) zitiert das Gespräch einer Mutter mit ihrem Kind, das vor Monaten während seiner Lallphase [f] und [p] hatte produzieren können und sie jetzt bat "give me my pork" ("gib mir mein Schweinefleisch"; pork sollte fork 'Gabel' hei/3en); als sie ihm seine Gabel reichte und nachahmend sagte "Here's your pork" ("Hier ist dein Schweinefleisch"), bekam sie die Antwort: "No! No! Pork! Pork!"
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Die Kenntnis von Lautmerkmalen oder zumindest eine unterschwellige Einstellung auf dieselben rechtfertigt aber das von Graham und House (1971) durchgeführte Experiment nicht, in dem sie 30 Mädchen im Alter zwischen drei bis viereinhalb Jahren vor die Aufgabe stellten, zwischen zwei aus der Gesamtheit der Testlaute ausgewählten Konsonanten zu unterscheiden, indem sie zu entscheiden hatten, ob sie "gleich" oder "anders" waren. Dieser Versuch wurde durchgeführt, um festzustellen, ob Kinder, die sich noch im Stadium der Erlernung des Lautsystems ihrer Sprache befinden, auf Grund von distinktiven Merkmalen diskriminieren, und um die "Hypothese der sequentiellen Entwicklung der phonologischen Oppositionen" zu bewerten. Die abstrakte Frage der Gleichheit oder Andersheit, losgelöst von der bedeutungsunterscheidenden Aufgabe der Merkmale, ist apriorisch und liegt außerhalb der normalen kognitiven Prozesse, der Kompetenz und des spontanen Gebrauchs nicht nur von Anfängern sondern auch von erwachsenen Sprechern, und die Frage der Gleichheit ist höchst ambig (vgl. oben, S. 53). Eigentlich sind keine künstlichen Experimente nötig, um zu erkennen, dqß in den zahlreichen Sprachen der Welt (die dennoch eine Minderhit bilden) ohne den Gegensatz kontinuierlich - abrupt die Obstruenten immer durch Verschlußlaute als einzige oder zumindest als Grundrealisierung vertreten sind (vgl. RJ I: 360), und daß entsprechend in den sich entfaltenden Systemen der Kinder Verschlußlaute vor der Einführung und Stabilisierung der Dauerlaute voll gefestigt werden, welche dann zu dem merkmalhaften Glied der neu geschaffenen Opposition kontinuierlich ~ abrupt werden. Wenn man von den allgegenwärtigen Verschlußlauten zu den seltenen Konsonanten in den Lautsystemen der Sprachen der Welt übergeht, stellt es sich heraus, daß diese Seltenheiten zu den letzten Erwerbungen gehören, die Kinder machen (vgl. Ferguson 1973; Ingram 1978), und es ist zu erwarten, daß sich das späte Auftreten solcher Konstituenten mit der weiteren Ausdehnung der Untersuchung auf die verschiedensten geographischen Varianten der entstehenden Sprache als allgemein erweisen wird. Alle Arten von extrapulmonischen Konsonanten sind verhältnismäßig selten in den Sprachgemeinschaften der Welt. In den Gemeinschaften, die davon Gebrauch machen, gehören sie zu den Lauten, die Kinder relativ spät erwerben, wie Beobachter der kaukasischen und der amerikanischen Indianersprachen, die Ejektiva besitzen, wiederholt festgestellt haben. Nach einer persönlichen Mitteilung von Franz Boas pflegen Indianer, die solche Sprachen sprechen, diese Konsonanten durch einfache Verschlußlaute zu ersetzen, wenn sie den Kindern, die sich
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diese Art Phonem noch nicht angeeignet haben, Geschichten erzählen. L. W. Lanham schildert die Ergebnisse einer neuen Untersuchung der Zulu-Kindersprache: "Schnalzlaute gehören zu den zuletzt erworbenen Konsonanten", und vor deren Erwerb werden einfache Obstruenten für sie eingesetzt (1969: 159). Das Vorkommen einer einzigen Liquida unter den bedeutungsunterscheidenden Elementen in den Sprachen der Welt (siehe oben, S. 95f.) findet ein Gegenstück darin, daß, wie wiederholt bemerkt worden ist, in der Erfahrung der Kinder die zweite Liquida, gewöhnlich eine Art [r], zu ihren letzten Erwerben gehört (vgl. Avram 1962: 246f.). So wird z.B. das Auftreten der Distinktion r - 1 bei polnischen Kindern von Beobachtern dem Zeitraum zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr zugerechnet (Zarebina 1965: 31; Kaczmarek 1953: 55). Was die sibilantische Vibrans /?/ des Tschechischen, eine der ungewöhnlichsten Erscheinungen in der Welt der Sprachen, angeht, so versichern alle Forscher, daß sie das letzte der von Kindern erworbenen Phoneme ist (z.B. Ohnesorg 1959: 40f.; Bartos 1959: 8; Paöesovä 1968: 178f.). Die relative Seltenheit der Nasalvokale im Vergleich zu dem beinahe universellen Charakter von Nasalkonsonanten und die erhebliche Verzögerung der Verwendung der ersteren gegenüber den letzteren durch Kinder sind allgemein bekannte Tatsachen, die in der polnischen, französischen und portugiesischen sprachwissenschaftlichen Literatur ständig Bestätigung finden, und man wundert sich darüber, daß ein unaufmerksamer Leser der grundlegenden Quellen irrtümlicherweise einen Mangel an Beweisen verzeichnen kann (siehe Olmsted 1971: 108f.). Das gelegentliche Übersehen eines relevanten Unterschiedes zwischen den beiden Konsonantenoppositionen—stimmhaft ~ stimmlos und gespannt - ungespannt (siehe oben, S. 147ff.; vgl. Jakobson und Halle 1968: 441)—hat die Diskussion über die Rolle der Stimmhaftigkeit im allmählichen Spracherwerb bei Kindern überschattet. Es besteht ein signifikanter Unterschied in der Entwicklung zwischen Kindern, die eine Sprache mit einem Merkmal stimmhaft ~ stimmlos lernen, und solchen, die eine Sprache mit einem Merkmal gespannt ~ ungespannt als dem bedeutungsunterscheidenden Mittel lernen. Slawische Kinder, die mit dem ersten Systemtyp konfrontiert werden, beginnen mit stimmlosen Verschlußlauten, bevor sie die nächste Stufe, d.h. die Festigung der stimmhaften Verschlußlaute als merkmalhaftes Gegenstück, erreichen. Am Anfang dieses Stadiums ist der stimmhafte Charakter von /b/ und /d/ "nicht stabil, was zeigt, daß die Stimmhaftigkeitsunterscheidung noch nicht völlig erkannt wird"; dies zeigt sich besonders in der häufigen Schwankung zwischen den
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stimmhaften und stimmlosen Phonemen, wobei diese in den meisten Fällen jene ersetzen (Paöesovä 1970: llf.). Während dieser Zwischenzeit wird die Reihe der stimmhaften Konsonanten von tschechischen Kindern manchmal durch "geschwächte Stimmhaftigkeit" realisiert (Ohnesorg 1959: 53). Gleichermaßen sind es stimmlose Konsonanten, die normalerweise das Anfangsstadium in der Sprache von Kindern vertreten, die in ihrer Umgebung mit dem Gegensatz gespannt ~ ungespannt konfrontiert werden (siehe z.B. Alf Sommerfelts Bemerkungen über die von norwegischen Kindern zuerst verwendeten unaspirierten stimmlosen Verschluß laute — 1929: 273; vgl. auch Leopold 1947: 119f., und Preston). Die nächste, auf den ersten Blick seltsame Änderung (siehe Ferguson und Farwell: S. 432f.), nämlich die Tendenz, stimmlose Verschlußlaute durch stimmhafte zu ersetzen, papa durch baba, [piti] (pretty 'hübsch') durch [bidi] usw., ist leicht zu erklären als ein Ubergang des stimmlosen merkmallosen Glieds der potentiellen Distinktion stimmhaft ~ stimmlos zu dem ungespannten merkmallosen Glied der antizipierten Opposition gespannt ~ ungespannt. Dieses zweite Stadium, das manchmal mit dem Gebrauch von stimmhaften und stimmlosen Konsonanten als bloßen kontextbedingten Varianten einsetzt (vgl. Velten 1943: 283), folgt dem ersten (vgl. Durand 1954: 89) oder beginnt in selteneren Fällen sofort mit der Entwicklung, die durch die Unterscheidung von gespannten und ungespannten Konsonanten bei Erwachsenen gefördert wird (vgl. Leopold). Die Unterscheidung zwischen beiden Klassen wird, zumindest im Englischen, erst ziemlich spät gefestigt. Die wichtige Rolle, die die Opposition kompakt - diffus im Lautsystem der Sprache spielt, zeigt sich in dem späteren Auftreten der kompakten Konsonanten, besonders der velaren Verschlußlaute, im Vergleich zu den diffusen, ein Phänomen, welches in den Lautsystemen einiger Sprachen der Welt Entsprechungen findet (siehe oben, S. 137f.). Die Beobachtung von Quintilian über den gewöhnlichen Ersatz von Dentallauten für Velarlaute durch Kinder—"et cum C ac similiter G non valuerunt, in T ac D emolliuntur"—findet in dem anhaltenden (manchmal jahrelangen) Mangel an Velarlauten in der Kindersprache Bestätigung, wie Jan Arnos Komensky schon im 17. Jahrhundert beobachtete und zwar in der Sprache von Kindern, die nicht nur / für r und z für r, sondern auch t für k einsetzten: toläc für koläc 'Brötchen' (Informatorium: Kapitel 8, S. 554) und von etwa dreißig bei Ohnesorg (1959: 25, und 1972: 188) zitierten Forschern und von zahlreichen anderen Beobachtern in der ganzen Welt festgestellt worden ist.
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Die Verzögerung beim Auftreten der velaren Verschlußlaute, die manchmal jahrelang hinausgezögert wird, wie die Berichte von Volksschulen in verschiedenen Ländern bestätigen, und eine dramatische Schilderung eines heranwachsenden Jungen, der immer noch Velarlaute durch Dentallaute ersetzte, fand Eingang in die Weltliteratur durch Scholom Aleichems Kurzgeschichte Di Fori 'Die Fahne' (1900). Hier wird einem armen Kerl der spöttische Spitzname Topele Tutaritu gegeben, und Kinder und Erwachsene machen sich über ihn lustig wegen seiner Unfähigkeit, seinen Namen Kopele ('Jakob') und den Hahnenschrei kukariku mit k auszusprechen. Und dem nicht genug, ist er von Leuten mit für ihn unaussprechlichen Velarlauten in ihren Namen umgeben, wie seine Mutter Gitl, sein Vater Kalmen und sein Lehrer Gerschen Gorgl von Galaganovka! Der so schwierige Erwerb der Velarlaute bei Kindern ist der Grund für ihre hartnäckige hyperkorrekte Anwendung dieser Konsonanten. Der tägliche Gruß "Guten Tag, Herr Doktor", der zuerst wie "Duten Ta, Herr Dotta" klingt, kann schließlich zu "Guken Gag, Herr Gokka" werden (Nadoleczny 1926: 61). Die angeblichen vereinzelten Ausnahmen zu den Beweismassen für das Erscheinen der kompakten (velaren) Verschlußlaute nach und nicht vor den diffusen (dentalen) können nicht durch Beispiele von einzelnen Kindern, die ein Paar Wörter mit beiden Arten von Verschlußlauten aussprechen, bestärkt werden, weil zwischen dem Auftreten der beiden Klassen in einigen Fällen ein längeres und in anderen Fällen ein bloß winziges Intervall liegen kann. "Die relative Chronologie ist dieselbe, obwohl die absolute Zeitskala erheblich variiert" (Velten 1943: 282). Man sollte hinzufügen, daß alle von Beobachtern vorgebrachten unvollständigen Daten oft nicht den ganzen "Längsschnitt" aufweisen (vgl. Menn); auch wenn es doch eine Ausnahme zum vermeintlichen "eleganten Schema"—"keine kompakten Verschlußlaute vor den diffusen"—gäbe, so würde eine solche minimal mögliche Abweichung die universelle Wahrscheinlichkeit 1,0 nur um ein Hundertstel oder sogar ein Tausendstel verringern. Durch diese winzige Verkleinerung, so könnte man sagen, würde das zur Diskussion stehende Entwicklungschema etwas an seiner angeblichen "Eleganz", aber nichts an seiner Relevanz einbüßen, denn, weit davon entfernt, "zu vereinfacht" zu sein, liefert es doch eine Einsicht in die Strukturiertheit der Sprache, insbesondere ihrer Lautgestalt. Man sollte auch hinzufügen, daß einige der Wörter, die die Kinder von den Erwachsenen übernehmen, dazu neigen, die Erwachsenenaussprache beizubehalten vor der Integration dieser Entlehnungen in das eigene System des Kindes, wie es bei Leopolds Tochter
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der Fall war, die mit einer fast perfekten Wiedergabe der phonetischen Form von 'pretty' angefangen hatte, bevor sie zu der assimilierten Form [piti] überging (vgl. Ferguson und Farwell, S. 432). Dieser Fall gleicht der Angewohnheit, zärtliche und evaluative Fremdwörter mit einer bloß vorübergehenden Bewahrung ihrer Lautgestalt zu übernehmen. Eine Monographie von Thelma E. Weeks (1974), die der verzögerten Sprachentwicklung eines aufgeweckten Kindes gewidmet war, beruhte auf wöchentlichen Besuchen von einer Stunde oder länger bei dem Mädchen, außer während der Ferienzeit. Die ersten fünf Holophrasen (oder 'Monoreme'), die bis zum Ende des ersten Lebensjahres aufgezeichnet wurden, waren dada 'Papi', momo 'Mami', gogo 'Wauwau', baba 'Klatschspiel' und ein fünftes Beispiel gaga, das als rein affektives Element ohne begrifflichen Bezug ausgesondert werden sollte (vgl. Vendryes 1953: 27), weil es "zum Ausdruck des Glücks zu dienen scheint", also ein Ausdruck ist, der "immer in einer ziemlich hohen, von den anderen verschiedenen Tonhöhe geäußert" und kurz darauf aufgegeben wurde (Ferguson et al. 1973: 40). Es bleibt unbekannt, ob die Labiallaute in den Bezeichnungen für die Eltern vor oder nach dem velaren Monorem für den Hund auftraten. Außerdem muß man hinzufügen, daß der Spracherwerb dieses Kindes in den ersten vier Jahren so viele Anomalien und Abweichungen von der üblichen sprachlichen Entwicklung aufweist, daß der Fall als offensichtlich anormal gedeutet werden muß, trotz des normalen Geisteszustandes des Mädchens und dessen späterer Überwindung seiner sprachlichen Unfähigkeiten. Es sei hier der besondere Fall eines Mädchens erwähnt, das erst als Teenager mit menschlicher Sprache in Kontakt kam (siehe oben, S. 50). Zu Beginn seines Spracherwerbs setzte es regelmäßig /t/ für /k/, / n / und /s/ an allen Stellen im Wort ein (Fromkin et al. 1974: 89). Universelle Neigungen können im Entstehen der Kindersprache von den frühesten Anfängen an beobachtet werden. Es wird immer deutlicher, daß die Produktion und Erkennung der Konturenmerkmale wie der Intonation, die einem Satz oder vielmehr einer ganzen Äußerung eine emotionale Färbung, insbesondere einen Ausdruck des Gefallens oder Mißfallens verleihen und das Ende einer Äußerung kennzeichnen, universell "als die ersten der echten Sprachstufen, nach den Stadien des Weinens, Murmeins und Lallens" erscheinen (Weir 1966: 156ff.; vgl. Tonkova-Yampol'skaya 1969; Crystal 1970 und 1973; und Fonagy 1972). Wie schon Pacesovä vermerkte, "wird die Priorität der Melodie beim Spracherwerb nochmals
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bestätigt. Das Kind gab die ihm zur Nachahmung gegebenen Intonationskonturen mühelos wieder. Außerdem übte die Tonhöhen Variation von Anfang an eine gewisse Funktion aus". Auf der ersten Entwicklungsstufe der Sprache liefert die Intonation "das Hauptmittel des Kindes zum Ausdruck von Zustimmung, Protest, Forderung, Erstaunen, Überraschung, Bedauern, usw". (1968: 18). Es ist in der Tat bezeichnend, daß im Gegensatz zu den späteren Spracherwerben des Kindes "die rechte Hemisphäre an der Verarbeitung der Intonationskonturen unmittelbar beteiligt ist" (Blumstein und Cooper 1974: 156; vgl. oben, S. 50ff.), obwohl eine klare Trennung der sprachlichen Rollen, die den beiden Hemisphären zukommen, sich erst im Alter von vier bis fünf Jahren herauszustellen scheint. Eine interessante Parallele zu der Stelle der Konturenmerkmale in den sprachlichen Leistungen der Kinder bildet die von Böller und Green beschriebene Tatsache, daß "einige Aphatiker, die nicht imstande sind, den semiotischen Inhalt der Wörter eines Satzes zu unterscheiden, wissen, ob man einen Befehl, eine Frage oder eine Aussage an sie richtet". In dieser Hinsicht könnte man eher und mit mehr Recht von Äußerungen als von Sätzen sprechen, weil die Zerlegung einer Äußerung in Sätze eine spätere Leistung in der kindlichen Entwicklung und eine frühere Störung bei aphatischem Verfall ist. Die Intonationskontur ermöglicht dem Anfänger bei der Spracherlernung einerseits und dem Aphatiker andererseits, bei der Perzeption wie auch bei der Produktion zwischen Äußerungen mit und ohne evokative Kraft zu diskriminieren und unter den ersteren die des Gefühls (emotive) und die des Appells (konative) zu unterscheiden und Emotion und Willensäußerung zu erkennen und zu bezeichnen. Ein solches Kind ist schon, und ein solcher Aphatiker ist noch fähig, zwischen einem Appell zur Handlung (imperative Äußerung) und einem Appell zur Antwort (interrogative Äußerung) zu unterscheiden. Die interrogative Intonation kombiniert eine Kadenz mit einer Semikadenz—der Intonation des Endes und der der Fortsetzung: die Äußerung ist beendet, erfordert aber die Antwort des Gesprächspartners. Julia Kristeva hat recht, wenn sie diesen Erscheinungen eine "vorsyntaktische Funktion" zuschreibt, im Gegensatz zu den nachfolgenden "digitalen" Sprachkonstituenten und zu den kognitiven Strategien der Syntax (1977: 437ff.). Wie Dwight Bolinger bemerkte, läßt die Satzintonation trotz der mannigfachen regionalen Variationen einen invarianten Kern erkennen: eine Dichotomie von Spannung und Entspannung liegt Schwankungen in der Grundtonhöhe zugrunde; die Allgemeingültigkeit dieses Phänomens beruht auf
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unserer psycho-physischen Natur (1964: 843); und Intonationsmuster bilden "das erste sprachliche Subsystem, das das Kind zu gebrauchen lernt" (1977: 18). Der wesentliche Grund für die übermäßig vorsichtige Haltung, die den zur Diskussion stehenden Skizzen gegenüber oft eingenommen wird, liegt nicht in den Streitigkeiten über kontroverse Einzelheiten, sondern in der Unachtsamkeit und dem Mißtrauen gegenüber der Kernthese seitens einiger Leser: "es genügt nicht die Regelmäßigkeit der Überlagerung der Werte aufzudecken, sondern ihre Hierarchie muß erklärt werden, indem ihre Notwendigkeit aufgedeckt wird" (RJ I: 322ff.). Zwei miteinander unverträgliche Haltungen sind in Konflikt geraten: die Suche nach miteinander verbundenen Gesetzen und ihrer inneren Erläuterung (vgl. RJ I: 325) gerät mit dem Glauben an das angenommene "Fehlen eines jeglichen sprachlich motivierten Ordnungsprinzips" (siehe Ferguson und Farwell, S. 430) in Konflikt. Die Dynamische Synchronie Sprachliche Tatsachen und die Sprachtheorie bedingen einander gegenseitig und sind beide gleichermaßen unentbehrlich für eine klare Einsicht in den Aufbau der Kindersprache und ihrer Lautgestalt. Es gibt keine riskantere und spekulativere Theorie als das Fehlen einer Theorie. Die Vorstellung von der Sprache als einem strukturierten, kohärenten System von Elementen von den kleinsten zu den größten Einheiten ist seit langer Zeit verwurzelt in den Wissenschaften, die gegen das abergläubische und leblose Bild eines zufälligen Aggregats von verstreuten Einzelheiten kämpfen. Wilhelm von Humboldt, der große Erbe der jahrhundertealten Tradition der philosophischen Grammatik und Vorläufer der heutigen linguistischen Ansichten bestand darauf, daß "nichts in der Sprache für sich allein steht, sondern jedes ihrer Elemente als Teil des Ganzen wirkt" (IV: 14); er behauptete, "daß in der Sprache Alles durch Jedes und Jedes durch Alles bestimmt wird" (V: 394; vgl. Telegdi 1970). Die Bezeichnung der Sprache als eines Systems "oü tout se tient" ist in die Handbücher der französischen und internationalen Linguistik eingegangen. Die Sprache bleibt ein kohärentes System sowohl im Bestehen als auch im Werden (vgl. Saumjan 1977). Die entstehende Sprache der Kinder ist lediglich ein Einzelfall der Sprache im Werdegang und muß als sich entwickelndes System angesehen werden. Eine solche Überlegung gilt auch für die Lautgestalt. Die allgemeingültigen Regeln und Tendenzen zeigen die enge Verbindung zwischen den Kon-
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stituenten des Systems und der Implikationsordnung dieser Relationen in der Strukturierung der Sprache wie auch in den aufeinanderfolgenden Manifestationen dieser Ordnung im sprachlichen Reifeprozeß des Kindes. Man muß den Wald und nicht nur die Bäume, und gegebenenfalls das ganze Netz der distinktiven Merkmale und ihre simultanen und sukzessiven Wechselbeziehungen und nicht nur ein scheinbares Mosaik von unverwandten Erwerbungen sehen. Im heutigen wissenschaftlichen Denken, nach der bündigen Formulierung von Oskar Lange (1904-1965), "wird das System als eine Reihe von Elementen zusammen mit der Reihe von Relationen zwischen den Elementen verstanden; die Reihe solcher Relationen (und aller ihrer isomorphen Transformationen) heißt die Struktur des Systems". Der Begriff der Struktur ist untrennbar von dem der 'Transformation' (Transmutation), und wie Lange zeigt, "kann ein Ganzes nie in einem unveränderlichen Zustand bleiben, sondern muß sich ständig ändern" (Lange 1962: 1 und 17; vgl. Ashby 1956: 83, und Thoms Katastrophentheorie [1974a, b]). In dieser Hinsicht bildet die Sprache keine Ausnahme unter Systemen, und die häufig gestellte Frage: "Warum ändern sich die Sprachen ständig?" verliert an Prägnanz. In der Sprachwissenschaft führen die fortgesetzen Versuche, den Begriff des Systems und seiner Struktur von dem der Änderung zu trennen, zu einer unrealistischen Auffassung von der Sprache und einer übermäßig vereinfachten Vorstellung von ihrem System. Diese Versuche verhindern die Erklärung von Änderungen wegen der Abneigung, sie als notwendige Komponenten des Systems anzusehen. Zwischen den Änderungen in der Kindersprache während des Erwerbs und den Änderungen in existierenden Sprachen von ganzen Sprachgemeinschaften bestehen beträchtliche Unterschiede. Die Aufgabe der ersten Entwicklung ist es, die Sprache zu konstruieren, wogegen der letztere Prozeß auf die teilweise Restrukturierung der Sprache abzielt. Aber an dem kindlichen Prozeß der Konstruktion der Sprache ist die Restrukturierung des Erwachsenenmodells entscheidend beteiligt. Auf jeden Fall gibt es eine Reihe von wesentlichen Entsprechungen zwischen beiden Arten von Änderungen. Jeder Wechsel, der distinktive Merkmale miteinbezieht, weist eine zeitliche Distanz zwischen seiner Einführung und seinem Abschluß auf (vgl. oben, S. 176f.). Die Zeitspanne zwischen diesen beiden Markierungspunkten wird häufig von Forschern als vorübergehende Unordnung—Chaos, Heterogeneität, Mischung, ein irregulärer Zustand der 'Unstrukturiertheit'—gekennzeichnet, während eigentlich die Koexistenz von Elementen, die vor dem Beginn der Änderung obligatorisch waren, mit denen, die vermutlich nach dessen Abschluß eine
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Monopolstellung einnehmen werden, keine Störung der Ordnung bedeutet. Wenn einige Mitglieder derselben Sprachgemeinschaft, insbesondere die älteren, die herkömmlichen Formen ausschließlich verwenden, während die anderen, vor allem die jüngeren, die Neuerungen ständig gebrauchen, wird dem sprachlichen Kode der ganzen Sprachgemeinschaft eine neue Regel, die einen Unterschied in den von Sprechern und Hörern verschiedener Altersstufen benutzten Formen betrifft, beigegeben. Eine andere einschränkende Variation von grundsätzlich ein und demselbem sprachlichen Status wäre eine Bevorzugung der älteren Form durch die jüngere Generation beim Reden mit älteren Leuten und eine entsprechende Konzession seitens der älteren Sprecher gegenüber den jüngeren Hörern. Wenn aber die freie Wahl zwischen beiden Arten von Formen dieselben Sprecher unabhängig vom Alter des jeweiligen Angesprochenen kennzeichnet (und dies scheint häufig der Fall zu sein), so unterliegt die Freiheit dieser Variation wesentlichen Beschränkungen: die Selektion der älteren und neueren Formen hängt vom Sprachstil ab—mehr oder weniger hastig, nachlässig, elliptisch, ungezwungen, expressiv oder das Gegenteil jeder dieser Stilarten. Die elliptische Herkunft vieler Lautwandel ist unbestreitbar, z.B. der sich anbahnende Verlust des vokalischen Merkmals gespannt ~ ungespannt im heutigen Französisch (vgl. Martinet 1945). Oft durchlaufen die Lautgestalten von verschiedenen Wörtern denselben Wandel unterschiedlich schnell, eine Diskrepanz, die mit ihrer unterschiedlichen stilistischen Färbung eng verbunden ist. So müssen wir für einen gegebenen Augenblick im Verlauf eines gewissen Lautwandels zwischen den verschiedenen Subkodes unterscheiden, die zu dem vielschichtigen Gesamtkode der ganzen Gemeinschaft oder gewisser Untergruppen derselben gehören. Die erhöhte Beachtung solcher Untergruppen und ihrer Subkodes durch den Betrachter ist notwendig, um den Mythos der zeitweiligen Desintegration zu vermeiden. Wie oben bemerkt (S. 83f.), besteht jeder Wandel in der graduellen Verbreitung einer der Variablen unter verschiedenen Sprachgebräuchen und verschiedenen Sprachgebrauchern mit einer graduellen Erweiterung des Interkommunikationskreises. Solange sie für unterschiedliche kommunikative Zwecke gleichzeitig auftreten, müssen die älteren und die neueren Formen als synchron koexistent angesehen werden. Sie sind Teil des Kodes derselben kollektiven Gemeinschaft, auch wenn sie als zu zeitlich verschiedenen Schichten des Gesamtkodes gehörig empfunden werden. Da die konkurrierenden Phasen des Wandels gleichzeitig vorhanden sind, stellt der im Verlauf befindliche Wandel einen Teil ein und desselben synchronen Schnitts
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(Saussures section transversale) dar. Er wird in eine dynamische Synchronie gefaßt (vgl. die anregenden Beiträge von Fonagy 1956 und Wang 1969 zu den unzureichend untersuchten Fragen der "Konkurrenz zwischen koexistierenden Rivalen"). Die junggrammatische Spaltung der Lautwandel in 'spontane' und 'bedingte' hat eine doppelte Modifikation durchgemacht, und die meisten der angeblich 'spontanen' Wandel scheinen in der Tat 'bedingt' zu sein. Erstens war ein durch den benachbarten sequentiellen Kontext beschränkter Wandel früher der einzige als 'bedingt' bezeichnete Typ, wogegen der durch die gleichzeitigen Merkmale beschränkte Wandel eines Merkmals nicht als 'bedingt' aufgefaßt wurde, sondern so behandelt wurde, als wäre er 'spontan'. Zweitens hat man nicht eingesehen, daß die Beschränkung eines gegebenen Wandels auf einen einzelnen sprachlichen Stil einen spezifischen Kontext bedeutet, durch den der Wandel 'bedingt' wird. Zur Zeit wird dem stilistischen Kontext der Wandel immer größere Aufmerksamkeit geschenkt, der als das "Einbettungsproblem" (Weinreich et al. 1968: 185) betrachtet wird und als die "Stelle des Wandels in der sprachlichen und gesellschaftlichen Matrix, die seine Entwicklung regelt" (Labov 1972: 114), definiert wird. Man darf hinzufügen, daß diejenigen Faktoren des Wandels, die bisher als extern galten, jetzt eine revidierte Interpretation erfahren müssen. Nehmen wir z.B. den Prestigefaktor, der die weitere Ausbreitung von Merkmalen von Mundart zu Mundart und von Sprache zu Sprache fördert. Egal was der Grund für die priviligierte Stellung des Lautsystems oder des Wortschatzes oder der grammatischen Struktur einer gegebenen Mundart oder Sprache gegenüber anderen sein mag, so wird diese Stellung zu einer inneren Eigenschaft, die einem sprachlichen System gegenüber irgendeinem anderen zugewiesen wird, und erfordert also eine innere, streng sprachliche Interpretation. Der Glaube der Junggrammatiker, der die historische Sprachwissenschaft durchzieht, daß grammatische Beschränkungen eines Lautwandels als nach Abschluß des Wandels selber auftretend anzusehen sind, erweist sich als widersprüchlich zu den beobachteten Tatsachen und weicht der Anerkennung von mindestens einer anfänglichen Beschränkung eines Lautwandels auf eine gewisse Klasse von Morphemen (vgl. van Coetsam et al. 1979). Je breiter der Umkreis von 'bedingten' Wandeln wird, desto überholter scheint die Rubrik der 'sporadischen Ausnahmen' zu einem Lautgesetz. Sie können "besser in Bezug auf innere Faktoren der Durchführung des Lautwandels erklärt werden" (Chen 1972: 494). Das Stadium eines noch im Verlauf befindlichen Wandels scheint Hans Vogt "als eine mehr oder
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weniger freie Variation zwischen im System gleichermaßen zulässigen Ausdruckformen" zu sein (1954: 367). Er hat recht, wenn er das einschränkende "mehr oder weniger" hervorhebt: das Bild von im System gleichermaßen zulässigen "freien Varianten" führt uns dazu, die vermutliche "Freiheit" und "Gleichheit", die eigentlich von der Interaktion von inneren Faktoren abhängen, zu untersuchen. Wissenschaftler pflegen die Vollendung eines Lautwandels dem Augenblick zuzurechnen, in dem die Schwankungen der früheren Stufen verschwunden sind und keine Restformen übrigbleiben, so daß die Wirkung des Lautgesetzes erreicht zu sein scheint. Falls diese Bedingungen nicht erfüllt werden, muß man feststellen, daß der Wandel "zu einem vorzeitigen Ende gekommen ist" (vgl. Chen: S. 493) und daher erfolglos geblieben ist (vgl. Wang 1969: 16). Aber wenn die grammatischen und/oder stilistischen Beschränkungen einen untrennbaren Teil des betreffenden Lautgesetzes bilden, wird die "Erfolglosigkeit" zu einer vom unparteiischen Beobachter unterstellten subjektiven Charakterisierung, der sich an die ausnahmslosen Gesetze der Leipziger Tradition gewöhnt hat. Wie in Osthoff und Brugmanns Erklärung aus dem Jahre 1878 bündig formuliert wurde: "Aller lautwandel, so weit er mechanisch vor sich geht, vollzieht sich nach ausnahmlosen gesetzen, d.h. die richtung der lautbewegung ist bei allen angehörigen einer sprachgenossenschaft, ausser dem fall, dass dialektspaltung eintritt, stets dieselbe, und alle Wörter, in denen der der lautbewegung unterworfene laut unter gleichen Verhältnissen erscheint, werden ohne ausnähme von der änderung ergriffen" (S. XIII). Mehrere angeblich kontroverse Fragen scheinen also ihre Prägnanz zu verlieren. Eine davon betrifft die Dauer des Wandels und insbesondere die Vorstellung von "Wandeln, die in derselben Richtung über mehrere Generationen hinweg fortdauern" und sich vielleicht sogar über Jahrhunderte erstrecken (vgl. Weinreich et al. 1968: 146; und Chen 1972: 492). Wenn die besprochenen Erscheinungen die Grenzen der Synchronie überschreiten und die dabei betroffenen Generationen zeitlich eigentlich nicht koexistieren, dann haben wir es mit einer Serie von sukzessiven Wandeln zu tun, von denen jeder von einer Sprachgemeinschaft bei einem seiner aufeinanderfolgenden geschichtlichen Stadien erlebt wird. Jeder dieser synchron erlebten Wandel hat seine eigenen besonderen Züge in Bezug auf die anderen Wandel derselben geschichtlichen Kette, obwohl die Tendenzen der ganzen Reihe von Wandeln eine homogene Richtung aufweisen können, besonders in Anbetracht der ständigen Überschneidung von Generationen. Der historische Vergleich dieser aufeinanderfolgenden
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Wandel und der zeitlichen Variablen sowie der statischen Invarianten bei der Evolution des gegebenen sprachlichen Systems ist die Aufgabe der diachronen Untersuchung. Trotz langer Diskussionen gibt es keinen Widerspruch zwischen der Auffassung des graduellen Wandels und der des Wandels per saltum (vgl. Wang 1969: 14). Der veränderliche, abrupte Charakter eines Wandels bedeutet kein plötzliches Verschwinden von alten Formen zugunsten der neuen im Gesamtkode des Sprechers oder der Sprachgemeinschaft. Er bedeutet einerseits die neu geschaffene Möglichkeit, in einem der individuellen oder gemeinschaftlichen Subkodes die alte Form aufzugeben und die neue zu übernehmen, und andererseits den unwiederbringlichen Verlust der alten Form und die dadurch entstehende Monopolstellung der neuen. Einer der Aspekte, die der Vorstellung der "graduellen Wandel" zugeschrieben werden, ist der "Weg, über den ein Sprachzustand in einen anderen übergeht" (Labov 1972: 114): Ubergangsartikulationen zwischen der ursprünglichen Lautform und der endgültigen sind, so behaupten einige Forscher, unwahrscheinlich. Laut Labovs Bericht haben Instrumentalstudien über die Lage des ersten Formanten es erlaubt, die Übergangstufen eines Wandels in der Mundart von Marthas Vineyard zu schildern, nämlich die Zentralisierung von [aw] (1972: 126ff); vgl. Beobachtungen über die fakultative Abschwächung der Rundung im vortonigen /o/ auf dem Wege zu einem Zusammenfall mit /a/ in den Mundarten nicht weit nördlich von Moskau (siehe RJ I: 587f.). Die Distinktion der beiden vortonigen Vokale wird zu einem Merkmal von geringerer Bedeutung für die Sprecher unter dem Einfluß von benachbarten "Prestigedialekten" und wird je nach Sprachstil gern abgeschwächt oder sogar völlig aufgegeben. Übergangsrealisierungen sind bei gewissen Lautwandeln möglich, aber nicht obligatorisch, in anderen Fällen aber unwahrscheinlich (vgl. Chen 1972: 494). Der relevanteste und allgemeinste Aspekt der Allmählichkeit ist das Ineinandergreifen von Stilarten, das manchmal ungenau als 'Überschneidung' bezeichnet wird und das die Ausbreitung eines Lautwandels von einem Sprachstil zum anderen fördert. Versuche, sprachliche Verschiebungen und insbesondere Lautwandel durch die Diskontinuität zwischen dem Sprachmodell der Eltern und dem der Kinder zu erklären, tauchen immer wieder auf und werden seit der Jahrhundertwende erörtert (siehe z.B. Delacroix 1924: 179ff.; Jespersen 1922b; RJ I: 332f.; Halle 1962; und Weinreich et al. 1968: 144ff). Diese Mutmaßungen lassen einige Fragen unbeantwortet, ja unbeantwortbar: Warum sollte die Restrukturierung des Eltern-
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modells bei allen Kindern der Sprachgemeinschaft gleich sein? Warum sollten wir annehmen, dqß die räumliche Kontinuität zwischen den Gleichaltrigen der Sprachgemeinschaft stärker ist als die zeitliche Kontinuität zwischen Eltern und Kindern? Und schließlich, wenn ein inneres Verlangen nach genau einem solchen Wandel in der Sprachgemeinschaft bestehen sollte, und wenn wir die innere Dynamik gewisser sprachlicher Stilarten und den Zusammenstoß zwischen den verschiedenen Stilarten in einem einzelnen sprachlichen System und in einem Dialog zwischen irgendwelchen Gesprächsteilnehmern berücksichtigen, würden diese Bedingungen nicht für den Drang nach Neuerung und Restrukturierung und zu deren Vollendung und Ausbreitung ausreichen? Kurz, eine sprachliche Spannung zwischen Eltern und Kindern mag als ein einige gegebene Wandel fördernder Faktor auftreten, kann aber kaum als notwendiger oder hinreichender Grund für den Wandel angesehen werden. Die Hauptsache ist, daß jedes sprachliche System, sowohl individuell als auch gemeinschaftlich in jedem Augenblick seines Bestehens, notwendigerweise das Zusammenwirken von zwei Kräften, Stabilität und Mutabilität, voraussetzt, so daß die Notwendigkeit des Wandels jedem sprachlichen Kode mit seinem ständigen Wechsel zwischen Subkodes, inhärent ist. Die sich entwickelnden Lautwandel bilden also einen integralen Teil eines jeden lebendigen Systems: die ständige Veränderlichkeit in Zeit und Raum und im Sprachgebrauch ist die Hauptuniversalie der Sprache. Merksmalsänderungen verschiedener Art—Zusammenfälle, Spaltungen, Übertragungen (vgl. Moulton 1967)—weisen einen zielgerichteten Charakter bezüglich des Lautsystems, das ihnen unterworfen ist, auf. Ein solcher Charakter, so könnte man hinzufügen, impliziert nicht nur die Erlangung des Zieles, sondern auch das Verfehlen desselben. Die einst populäre Vorstellung von "blinden Wandeln" ist nicht nur in der Sprachwissenschaft sondern auch in allen Untersuchungen von menschlichen Aktivitäten und von Lebenssystemen im allgemeinen hinter eine offenkundige oder zumindest latente Anerkennung einer Mittel-Zweck-Relation und eine Suche nach der inneren Motivation von Änderungen zurückgetreten. Neben Wandeln mit einer ausgleichenden, prophylaktischen, stabilisierenden Rolle für das Sprachsystem ziehen diejenigen mit einem umgekehrten, entstabilisierenden Ziel die immer gründlichere Beachtung des Forschers auf sich; er muß das Ineinandergreifen von Sprachstilen in Betracht ziehen, insbesondere von denjenigen Stilarten, die eine Entautomatisierung von sprachlichen Konstituenten und einen Zusammenstoß mit der statischen Ordnung der Dinge bedeuten und die auf diese Weise struktu-
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relle Änderungen begünstigen. Die Zweckgerichtetheit des Wandels fällt mit der des Systems, das dem Wandel unterliegt, zusammen (vgl. Saumjan 1977). Die Frage des Zweckes wird manchmal dadurch in den Schatten gestellt, daß sie der verwickelten Frage des Bewußtseins des Sprechers unterworfen wird, obwohl die innere Logik der Sprache unabhängig von den Schwankungen der sprachlichen Tätigkeiten zwischen dem Unbewußten und dem Bewußten offensichtlich ist. Außerdem darf man nicht vergessen, daß metalinguistische Operationen, die sich als eine der Hauptfunktionen der Sprache herausstellen, ein hochgradiges Bewußtsein von der Stabilität und der Mutabilität des Sprachsystems garantieren (vgl. RJ 1979). Die Konstituenten des Sprachsystems und seiner im Verlauf befindlichen Änderungen werden, ob bewußt oder unterschwellig, sowohl vom Erwachsenen als auch vom Kind als funktional wahrgenommen und erkannt (vgl. Waterson 1971b). Auch während der frühsten Stadien des Spracherwerbs sind im Sprachvorrat des Kindes Subkodes vorhanden. Der Unterschied zwischen der Kompetenz des Sprechers und der des Hörers ist bei Kindern offensichtlich (siehe oben, S. 174ff.). Verschiedene Arten von Konformismus und Nicht-Konformismus spielen eine große Rolle bei den graduellen Wandeln der Kindersprache. Natalie Watersons Sohn war im Alter von einem Jahr und sechs Monaten "imstande, eine klarere Version einer Form zu produzieren, d.h. eine Form, die der des Erwachsenen näher war, wenn sein erster Versuch nicht verstanden wurde. Dies legt nahe, daß er eine Vorstellung von gewissen Merkmalen der Erwachsenenform hatte, welche er normalerweise nicht gebrauchte und die in diesem Stadium für ihn redundant waren" (1970: 3). Wie diese gewissenhafte Beobachterin der Kindersprache bemerkt hat, erkennen Kinder oft die gerade erworbenen sprachlichen Formen als Neuerungen, aber andererseits behalten sie ihre Erinnerung an die "Archaismen" ihrer früheren sprachlichen Erfahrung und ihr Gefühl für dieselben und gebrauchen sie gelegentlich in Äußerungen mit einem retrospektiven Charakter. Ein aufschlußreiches Beispiel findet man bei Waterson: im Alter von einem Jahr und acht Monaten ist die Form ihres Kindes für pudding [pupaq], aber die ältere Form [pupu] taucht "unter emotionaler Belastung als eine dringliche Bitte: [bi'i dzaem pvpv], 'a bit of jam for my pudding' ("ein bißchen Marmelade für meinen Pudding") auf. Dies weist daraufhin, daß die Form, die das Kind zum letzten Mal vor zwei Monaten benutzt hatte, noch in seiner Kompetenz lag" (1970: 14).
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Bei der Diskussion der Ausbreitung eines Lautwandels in und zwischen Sprachgemeinschaften können wir diesen Begriff auch auf Fälle der Konvergenz von ähnlichen aber unabhängigen Änderungen an verschiedenen Orten (Saussures foyers d'innovation) übertragen, weil beide Prozesse einander gegenseitig ergänzen: eine konvergente Antizipierung des Wandels, der noch stattfinden wird, ist eine fördernde Bedingung für eine "erfolgreiche" Ausbreitung. Auf analoge Weise wird die Unterordnung des kleinen Schülers unter seinen Sprachlehrer dadurch gefördert, daß jener die zu beherrschenden Strukturregeln vorwegnimmt, was auf die vorangegangenen Stufen seiner sprachlichen Ausbildung und auf seine angeborenen Fähigkeiten und Anlagen für die Aufnahme von Sprachstrukturen und besonders für das Merkmalssystem zurückzuführen ist. Die Einzelheiten des allmählichen Erwerbs von neuen Wörtern mit neuen Lautmerkmalen durch das Kind führen zu der Frage, ob für es die lexikalische oder die phonische Ebene Vorrang hat, und Fergusons Entdeckung, daß ein Kind offensichtlich Wörter mit den Lautmerkmalen, die es noch nicht beherrscht, vermeidet und eine Vorliebe für Wörter mit den Merkmalen zeigt, die gerade in seinen Vorrat eingegangen sind (siehe oben, S. 177f.) zeigt deutlich, wie verwickelt diese Frage des Vorrangs ist. Wir werden mit einem ähnlichen Problem konfrontiert, wenn wir uns von der Kindersprache der sogenannten "lexikalischen Diffusion" (Wang 1969) in den Sprachen der Welt zuwenden. Matthew Chen weist ganz richtig darauf hin, daß eine "weitaus detailliertere und besser kontrollierte Untersuchung über den Phonologieerwerb des Kindes im Kontext der lexikalischen Diffusion Licht auf die Ausführung des Lautwandels werfen würde" (1972: 492f.), und er zitiert H.-I. Hsiehs wertvolle Darstellung (1971) des Erwerbs der anlautenden velaren Verschlußlaute über einen Zeitraum von zehn Wochen durch ein fünfjähriges Kind aus Taiwan. Die ersten Versuche ergaben entweder [t] oder [th]. Nur allmählich gelangen die Velarlaute in den Lautbestand des Lernenden, und in diesem Stadium herrscht die velare Variante gern da vor, wo sie durch eine günstige phonische Umgebung bedingt ist; sonst werden die ursprünglichen Velarlaute des Erwachsenenmodells immer noch durch einen Dentallaut wiedergegeben oder sie zeigen in gewissen Wörtern eine angeblich "freie" Variation zwischen dem noch vorherrschenden früheren dentalen Ersatzlaut und dem neu erworbenen Velarlaut. Der Unterschied zwischen lexikalischen Beispielen, in denen der frühere Laut regelmäßig auftritt und denen mit einer Alternation von [t] und [k] erfordert die weitere Untersuchung des unter-
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schiedlichen Stellenwerts dieser Wörter im Wortschatz des Kindes und in seiner stilistischen Entwicklung.
Perspektiven Der graduelle Erwerb der distinktiven Merkmale durch das Kind wirft ein immer helleres Licht auf die grundlegende Vorstellung der Opposition als des innersten Aufbauprinzips der ganzen Sprache. So lange die bedauernswerte Verwechslung von Opposition und Zufälligkeit aus der linguistischen Theorie nicht völlig verschwunden ist, ist es wichtig, an die noch aktuelle Erläuterung des betreffenden Begriffs von Hendrik Pos (1898-1955) zu erinnern: Die Opposition ist kein isoliertes Faktum, sie ist ein Strukturprinzip. Sie vereint immer zwei Dinge, die distinkt aber zugleich miteinander so verbunden sind, daß man sich das eine ohne das gleichzeitige Auftreten des anderen nicht vorstellen kann. Die Einheit der Gegensatzglieder wird immer durch einen Begriff gebildet, der implizit beide Glieder in sich enthält, und wird in eine explizite Opposition geteilt, wenn er auf die konkrete Realität angewandt wird. < . . . > Die Opposition in den Gegebenheiten ist nicht ein Schema, das die Wissenschaft einführt, um der Gegebenheiten Herr zu werden, und das im Bezug auf sie äußerlich bleiben würde. Ihre Bedeutung geht über die erkenntnistheoretische Ordnung hinaus: wenn das sprachliche Denken Gegebenheiten nach den Prinzipien der Opposition und des Systems ordnet, trifft es auf den Gedanken, der diese Gegebenheiten selbst schafft. [Pos 1938: 245; siehe auch Pos 1939; vgl. oben S. 20] Henri Wallons (1879-1962) klassisches Werk über den Geist der Kinder soll hier ausführlich als wegweisender Leitfaden zu der grundlegenden Rolle der binären Oppositionen in der Entwicklung des Denkens und der Sprache bei Kindern zitiert werden: Was man von Anfang an feststellen kann, ist das Vorhandensein von gepaarten Elementen. Die Grundlage des Denkens ist eben diese binäre Struktur und nicht die konstitutiven Elemente. Die Dualität ging der Einheit voraus. Das Paar besteht vor dem isolierten Element. Jedes durch das Denken identifizierbare und denkbare Glied bedarf eines komplementären Gliedes, von dem es sich unterscheidet und dem es gegenübergestellt werden kann. Was z.B. für den Unterschied zwischen Farben gilt, die nach Koffka erst durch Kontrast allein erkannt werden können, gilt auch für geistige Begriffe. Ohne die vom Paar dargebotene anfängliche Relation wäre das ganze nachfolgende Relationsgefüge unmöglich. [Walion 1945: 41]
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< . . . > In der allgemeinen Regel ist jeder Ausdruck, jeder Begriff mit seinem Gegenstück eng verbunden, so äaß man sich den einen ohne das andere nicht vorstellen kann. Durch das letztere erhält der erstere seine raison d'être, d.h. seine primäre Bedeutung, seine elementarste Spezifizierung, die gröbste aber die wesentlichste, denn es gibt weder Denken noch Sprache ohne Abgrenzung zwischen dem vorgestellten oder bezeichneten Gegenstand und dem übrigen. Die einfachste und anschaulichste Abgrenzung ist die Opposition < . . . > Die Verbindung wird beinahe automatisch zwischen ja-nein, schwarz-wei/3, Vater-Mutter, so daß sie einem manchmal gleichzeitig über die Lippen zu kommen scheinen, als müßte man sich entscheiden und dasjenige der beiden Glieder, das nicht paßt, unterdrücken. [S. 67] < . . . > Die Gegensätze clair-obscur, lourd-léger, grand-petit sind elementare Strukturen, denen eine perzeptive Differenzierung zugrundliegt. Sie kennzeichnen den Augenblick, wo etwas in den erlebten Eindrücken distinkt wird. [S. 129] In der französischen Sprachwissenschaft wurde zuerst die Frage angeschnitten, warum die aufeinanderfolgenden Dichotomien bei dem allmählichen Erwerb des Systems der distinktiven Merkmale durch das Kind "notwendigerweise auf das Funktionieren des Erwachsenensystems einwirken" würde (Martinet 19552: 74), aber Walions entscheidende Antwort lag bereits vor: Bien que l'existence des couples ne nous soit apparente que dans la pensée de l'enfant, il se pourrait qu'ils soient encore utilisés comme tels par celle de l'adulte pour des raisons de plus grande facilité, d'économie soit d'effort soit de temps, tant qu'ils sont du moins d'une précision suffisante et sous le contrôle des buts, des exigences les plus évoluées de l'intelligence. [S. 42] Der Begriff der sprachlichen Oppositionen und insbesondere der distinktiven Merkmale wurde besonders wichtig und relevant für die weitere Forschung, sobald die Frage der Merkmale einer Analyse unterworfen wurde, die aus der Perspektive der Interrelation der Merkmale und ihres Stellenwerts im ganzen—egal ob konsonantisch oder vokalisch—Lautsystem der Sprache erfolgte. Diese Orientierung auf die Interrelation zwischen Teilen und Ganzen und zwischen den verschiedenen Teilen ein und desselben Ganzen führte einerseits zu einem besseren Verständnis und zu einer breiteren Anwendung des Unterschieds in der 'funktionalen Belastung' der verschiedenen Merkmale desselben Systems (vgl. Mathesius 1931 und die neuere Übersicht über diese Frage von Szemerényi 1977) und stellte andererseits die Vorstellung der Ungleichheit zwischen den Gliedern eines jeden
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Gegensatzes in den Vordergrund, nämlich die Vorstellung der Korrelation zwischen der Merkmalhaftigkeit und Merkmallosigkeit. Die entscheidende Rolle des dichotomen Prinzips in der Sprachstruktur und das konsequent hierarchische (merkmalhaft ~ merkmallos) Verhältnis in einer jeden Dyade und im ganzen Sprachsystem, besonders im Lautsystem, werfen die unumgängliche Frage der Isomorphismen zwischen sprachlicher Kodierung—bis zu den grundlegenden Bestandteilen—und den zentralen neurologischen Prozessen auf. Die universellen und beinahe universellen Implikationsgesetze im Lautsystem der Sprache und die verlockende Frage nach ihren möglichen biologischen Grundlagen erfordern eine sorgfältige und kritische interdisziplinäre Analyse. Die fortlaufende Untersuchung der Wechselbeziehung zwischen Sprache und Gehirn, auf die oben (S. 129ff.) hingewiesen wurde, deutet schon auf die zerebrale Substruktur der distinktiven Merkmale hin und erlaubt es, die Rollen der linken und rechten Hemisphäre bei der Regelung der Sprache zu unterscheiden. Die immer deutlicher hervortretenden Regelmäßigkeiten in den Systemen der distinktiven Merkmale und der grammatischen Kategorien, die uns der Aufbau der Kindersprache verdeutlicht, versprechen für eine solche interdisziplinäre Untersuchung besonders aufschlußreich zu werden. Insbesondere die sprachlichen Syndrome der aphatischen Störungen zeigen Verbindungen mit der Art und der Topographie von Hirnläsionen. Diese Syndrome weisen besonders auf einen Unterschied zwischen den Grundbereichen der 'Sprachzentren' der Hirnrinde hin, besonders zwischen den vorderen und hinteren Bereichen dieser Zentren. Bei der Diskussion der Daten "von größter Bedeutung für die weitere linguistische Forschung" schloß Alexander Luria (1902-1977), ein weltberühmter Experte auf dem Gebiet der Gehirnforschung und der Sprachstörungen: Läsionen der vorderen Teile der dominanten Hemisphäre haben eine ausgesprochene Entartung der syntagmatischen Organisation der sprachlichen Kommunikation zur Folge, während die paradigmatische Organisation des sprachlichen Kodes verhältnismäßig unberührt bleibt. Im Gegensatz dazu führen Läsionen der hinteren kortikalen Bereiche der dominanten Hemisphäre zu einer Störung der paradigmatischen Organisation von linguistischen Strukturen auf verschiedenen Ebenen (phonemische Ebene bei Läsionen der hinteren Teile des linken Schläfenlappens, artikulatorische Systeme bei Läsionen des unteren Teils der linken postkortikalen Zone, semantisch- oder logikogrammatische Ebene bei Läsionen der hinteren Tertiärzonen), während die syntagmatische Organisation der fließenden Rede unberührt bleibt. [1974: 12; 1976 und besonders 1977; vgl. Goodglass 1978; und RJ II: 289-333]
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Man kann noch immer verwunderliche Versicherungen hören, daß "auf linguistischen Kriterien beruhende Klassifizierungen bei der Physiologie der Aphasie nicht angebracht sind, da sprachliche Mechanismen sich nicht nach sprachlichen Regeln entwickeln"! (Siehe Lhermitte und Gautier 1969: 98.) Aber seit 1947 verstand Luria die entscheidende Rolle, die die neue Sprachwissenschaft mit ihrer Hervorhebung der Laut-Bedeutung-Relation bei der Analyse von Sprachstörungen zu spielen hatte. Die Zukunft gehört seiner letzten Schlußfolgerung, daß "ein neuer Wissenschaftszweig—die NEUROLINGUISTIK—entsteht" (1973: 57) als eine wichtige Verbindung zwischen der Sprachwissenschaft und der Hirnforschung, ein Bindeglied von gleicher Bedeutung für die Linguistik wie auch für die Neurologie. Die Aussichten einer wachsenden und harmonischen Zusammenarbeit zwischen der Sprachwissenschaft und der Aphasieforschung wird noch unterschätzt, auch in dem Abriß von Hecaen und Albert (1978), denen das letzte, produktivste Stadium von Lurias Beiträgen zu neurolinguistischen Entdeckungen (1973-1977) anscheinend noch unbekannt ist. Ein realistisches Bild der heutigen Situation "würde die Entwicklung der Kommunikation unter den diversen Disziplinen, die sich mit der Erforschung der Aphasie beschäftigen, zeigen", wie Ruth Lesser in ihrer aktuellen Übersicht der gegenwärtigen linguistischen Beiträge zur Abgrenzung und Klassifizierung der unterschiedlichen aphatischen Syndrome hervorgehoben hat (1978: 22); das Auftreten von divergenten Betrachtungsweisen gegenüber bestimmten Modalitäten der aphatischen Störungen und Regressionen fördert das Interesse an gemeinsamer interdisziplinärer Forschung.
KAPITEL IV
Der Zauber der Sprachlaute
que tels sons signifient ceci Stéphane Mallarmé Fragments
Die Lautsymbolik Die Automatisierung der kleinsten formellen Einheiten, ein charakteristisches Verfahren der Künste und der Wissenschaften um die Zeit des ersten Weltkriegs, zeigte sich auffallend in der wachsenden Untersuchung der Lautgestalt der Sprache, besonders ihrer bedeutungsunterscheidenden Bestandteile. Die Frage der doppelten Artikulation, die zuerst in der modernen russischen und dann in der westlichen Sprachwissenschaft wiederbelebt wurde, kann mindestens auf die mittelalterliche Lehre de modis significandi und die klare Vorstellung der unterscheidbaren und miteinander verbundenen articulatio prima et secunda zurückverfolgt werden. Diese Vorstellung scheint unter griechischem Einfluß aufgekommen zu sein und bedeutet, daß eine der beiden Artikulationen den lautlichen Stoff (vom articulatio) in Wörter verwandelt, während die andere Wörter verwendet, um Sätze zu erzeugen (vgl. RJ 1975: 292). Die betreffende Lehre impliziert eindeutig, daß die vocis articulatio ihre Bedeutung ex humana institutione oder in Piatons Terminologie thesei (durch Konvention) erhält, und daß es die Aufgabe der Sprachlaute, die an sich keine eigene Bedeutung haben, ist, Wortbedeutungen zu unterscheiden. Der dominierende Zug der Sprachwissenschaft, angefangen von dem entscheidenden Durchbruch der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts und insbesonders während der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, ist die immer präzisere und systematischere Untersuchung der offensichtlichen differenzierenden Rolle der Sprachlaute als ihre primäre Aufgabe. Andererseits begannen Linguisten ihr
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Augenmerk auf die unmittelbare und selbständige Bedeutung der Konstituenten der sprachlichen Lautgestalt im Sprachleben zu richten. Diese Bedeutung sollte direkt durch ihre Natur bedingt sein, physei nach Piatons Dialog Kratylos, in dem der Wettkampf zwischen den beiden permanenten sprachlichen Kräften—Konvention und Natur—dramatisiert wurde. Man kann nicht umhin, mit Coseriu (1969) übereinzustimmen, wenn er Georg von der Gabelentz (1840-1893) als einen "Vorläufer der heutigen Sprachwissenschaft" und besonders als einen Verfechter von "fruchtbaren Ideen über die Lautsymbolik" pries. Es sei hier erwähnt, daß der weit verbreitete Gebrauch des Ausdrucks 'Symbolik' in der Linguistik, Poetik und Psychologie für die figurative Beziehung—physei—in Widerspruch steht zu der von Peirce eingeführten semiotischen Terminologie, der die physei geformten Zeichen 'icons' ('Abbilder') nannte, im Gegensatz zu den thesei fundierten, die er als 'symbols' ('Symbole') bezeichnete. Aber der Ausdruck 'Lautsymbolik', der eine innerste, natürliche Ähnlichkeitsverbindung zwischen Laut und Bedeutung (signans und signatum) bezeichnet, ist so tief verwurzelt in den langen gelehrten Debatten über dieses Problem, daß sich unsere Übersicht über diese Diskussion an die Wendung 'Lautsymbolik' halten wird. In der umfassenden kritischen Überprüfung der sprachwissenschaftlichen "Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse", mit der Gabelentz seine Forschung (1891) abschloß, warf er wiederholt die Frage nach den den Sprachlauten inhärenten Ausdruckswerten auf. Er entdeckte solche Werte in dem schöpferischen Prozeß der kindlichen Sprachentwicklung und zitierte beispielsweise den Fall eines kleinen deutschen Jungen, der die Wurzel m-m für alles Runde benutzte. Dieses Kind nannte den hellen Mond und einen weißen Teller mem, eine große runde Schüssel mom oder mum und die weißen Sternchen mimmim-mim-mim-mim—mit symbolischer Wiederholung. In seinem Wortschatz war ein gewöhnlicher Stuhl lakeil, ein Puppenstühlchen likill und ein Großvaterstuhl lukul. Als sein Vater einen schweren Pelzmantel trug, hieß er nicht mehr papa sondern pupu (S. 65). Gabelentz' Theorie der schöpferischen Lautsymbolik (1891), die zuerst von Hugo Schuchardt (1842-1927) verteidigt wurde, behauptet resolut in den Absätzen mit der Überschrift "Das lautsymbolische Gef ü h l " (S. 217-223), daß sich Laut und Bedeutung für die naiven Mitglieder einer jeden bestehenden Sprachgemeinschaft als—nicht thesei sondern physei—untrennbar miteinander verbunden erweisen. Der gelehrten, die Willkürlichkeit der sprachlichen Zeichen verkündenden Parole zum Trotz, neigt ein Deutscher im Grunde zu der Annahme,
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Sprachlaute
daß die Franzosen närrisch sind, wenn sie "ein Pferd Schewall" nennen (S. 217). Wieviel die Deutschen auch über die Etymologie wissen mögen, so fließen doch in ihrer Vorstellung Wörter wie Blitz und Donner oder spitz und rund trotzdem mit ihren Bedeutungen auf eine so natürliche Weise zusammen, daß ein Bedeutungsaustausch bei keinem der Paare vorstellbar wäre. Blitz erinnert an ein plötzliches Aufleuchten, wogegen französisch foudre nach Gabelentz einen zerstörenden Schlag darstellt. Er zitiert ähnliche emotionale Reaktionen auf die Lautgestalt von Blitz bei früheren Autoren—Schottel 1641: "erschreckende Schnelligkeit" und Herder 1770: "das Urplötzlichschnelle" (siehe Wandruszka 1952: 223). "Unser Gefühl etymologisiert sozusagen ohne sprachgeschichtliches Wissen" (Gabelentz 1891: 218), in dem Maße wie wir uns unsere Muttersprache aneignen. Laut den im Jahre 1879 von Mikoiaj Kruszewski vorgebrachten genialen Vergleichen sind die "grammatische Analogie" und die sogenannte "Volksetymologie" zwei Varianten—die eine morphologisch, die andere lexikalisch—ein und derselben "integrierenden Kraft" im Leben der Sprache: beide zeigen eine gegenseitige Anpassung von konkurrierenden paradigmatischen Elementen. Gabelentz, gefolgt von Schuchardt, entdeckte "einen fruchtbaren Begriff" in diesen historisch "falschen", aber synchronisch gültigen Etymologien, die auf einer mehrheitlichen Übereinstimmung innerhalb einer gegebenen Sprachgemeinschaft beruhen. Durch Laut und Bedeutung miteinander verbundene Wörter weisen Wahlverwandtschaften auf, die die Form und den Inhalt der betreffenden Vokabeln modifizieren. Die Lautverwandtschaft kann durch die Ähnlichkeit der anlautenden und/oder auslautenden Laute oder Laut Verbindungen gegeben sein. Man empfindet eine Verbindung zwischen dem Verb stehen und den alliterier e n d e n F o r m e n steif, starr, Stock, Stamm,
steil, stopfen,
stauen,
Stab,
stützen, stemmen "einerlei ob und wieviel sie mit der Wurzel *sthä zu thuen haben". Es besteht eine gleichzeitige Übereinstimmung in Reim und Sinn zwischen stemmen und hemmen oder klemmen (S. 219). In seinen vortrefflichen Betrachtungen über "Die Tonmalerei der Sprache und die Sinnensymbolik des Worts" erinnert Albert Wellek (1931a: 250) an Goethes scherzhafte Zeilen aus der Walpurgisnacht: Nicht Greisen! Grei/en! —Niemand hört es gern. Dass man ihn Greis nennt. Jedem Worte klingt Der Ursprung nach, wo es sich her bedingt: Grau, grämlich, griesgram, greulich, Gräber, grimmig, Etymologisch gleicherweise stimmig, Verstimmen uns.—
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Die Lautgestalt der Sprache
Für Gabelentz schaffen Einsilber mit demselben "tiefen" ('dunklen') Vokal wie dem u von Schimpfwörtern wie Schuft, Hund, Lump die gleiche Stimmung. Wenn sich umgekehrt der Lautunterschied auf die inneren Vokale von in sonstiger Hinsicht ähnlichen Wörtern beschränkt, sucht die betreffende vokalische Diskrepanz ständig nach einer semantischen Motivation (S. 363). In diesem Zusammenhang führt Gabelentz die drei Verben der Batta-Sprache dzarar 'kriechen' (im allgemeinen), dzirir 'kriechen' (für kleine Wesen), dzurur 'kriechen' (für große und gefürchtete Tiere) an. Eine beiläufige Anmerkung, die durch einige Ketschua-Beispiele angeregt wurde und eine mögliche dem lautsymbolischen System verschiedener Sprachen gemeinsame Ähnlichkeit (S. 218) annimmt, wartet noch auf eine systematische Bestätigung. Ein Jahrzehnt später überwand der französische Forscher Maurice Grammont (1866-1946) auch die Haltung eines außenstehenden, in Zeit und Raum entfernten Beobachters und verkündete eine rein synchrone Betrachtung der "expressiven" oder "impressiven" Phonetik, je nach seinen wechselnden Bezeichnungen. In Grammonts Studien (von 1901 bis 1913 und 1933) wurde dasselbe enge Ineinandergreifen von Laut und Bedeutung einer eingehenden Untersuchung in Bezug auf die syntagmatische (sequentielle) Achse unterzogen: sein Hauptaugenmerk richtete sich auf die Anordnung alternierender Phoneme in reduplizierten oder triplizierten Wortformen und auf wiederholte Phoneme innerhalb syntaktischer Gruppen. In seiner programmatischen Schrift "Onomatopées et mots expressifs" (1901) behauptete er auf überzeugende Weise, daß "der Bereich der Onomatopöie viel größer ist, als anscheinend allgemein angenommen wird; das Ausmaß der expressiven Wörter, die noch hinzu kommen, ist nicht weniger beträchtlich; und zwischen den beiden Gebieten gibt es keine deutliche Trennlinie" (S. 319). Dieser erfahrene französische Phonetiker beschäftigte sich in erster Linie mit dem evokativen Wert von Vokalen. Für ihn war ihre latente Wirksamkeit ein objektives, universelles Faktum. Aber ihre Wichtigkeit zeigt sich eigentlich erst dann, wenn sie durch die Bedeutung des Textes hervorgerufen wird, oder wenn sie zumindest nicht in Widerspruch dazu steht; der Wichtigkeitsgrad hängt überdies von der Subjektivität der Sprecher und Hörer, wie auch von der Situation ab (S. 289). In affektiver Sprache und noch mehr in der Dichtung sah Grammont die günstigsten Kontexte für eine vollständige Realisierung oder volle Entfaltung der verborgenen Werte der Vokale. Er beendete seine Arbeit mit der folgenden Feststellung: "Aus der expressiven Perspektive gesehen ergeben sich die Werte eines Lautes
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ausschließlich aus seiner Natur, und wir haben nicht das Recht, dem Laut einen Wert zuzuschreiben, der mit seiner Natur nicht in Einklang stünde. < . . . > Das einzige, wozu wir in der Lage sind, ist in einem gegebenen Fall den expressiven Wert, den ein solches Phonem in potentia besitzt, zu empfinden oder nicht zu empfinden. Hiermit endet die subjektive Komponente dieser Fragen" (S. 321). Die eigenartige "onomatopoetische Apophonie" (Ablaut) (1901: 292), d.h. Reduplikation mit einem Vokalwechsel in den wiederholten Konstituenten, erregte Grammonts Aufmerksamkeit. Es scheint ein universelles oder zumindest weltweit belegtes Gesetz bei ihrer Formation hervorzutreten. Dreiergruppen beruhen im allgemeinen auf dem Verhältnis [i] - ta] (manchmal [â] oder [ae]) - [u] — z.B. pif-paf-puf— und Doppelbildungen auf [i] - [a] (oder seltener [u] - [a])—z.B. pif-paf (oder puf-paf beispielsweise auf deutsch: vgl. Spitzer 1927: 215). Das ständige Auftreten von [i] als dem ersten Glied solcher Gruppen im Gegensatz zu dem nachfolgenden [a] veranlagte Grammont und einige spätere Forscher, über den besonderen Wert dieses Vokals zu spekulieren. Man muß zugeben, daß Grammont, als er die Frage nach der eigentlichen Bedeutung des [i] stellte, das Problem nicht auf das Verhältnis zwischen vorderen und hinteren Vokalen beschränkte, sondern den besonderen Wert des Unterschiedes zwischen den hohen Vordervokalen erkannte. Diese bezeichnete er als eine "akute Art" (espèce aigue) innerhalb einer größeren Kategorie der Vordervokale = "klare Vokale" (voyelles claires) und im Gegensatz zu den generisch als voyelles graves bezeichneten Hintervokalen, die er ihrerseits in zwei Arten aufteilte: in höhere, "dunkel" (sombres) genannte Vokale und in tiefere, "hell" (éclatantes) genannte Vokale (siehe z.B. 1933: "Valeurs impressives des voyelles": 383ff.). In seiner Klassifizierung der vokalischen Werte spezifizierte er Nasalvokale als "verdeckt" (voilées). Er beschrieb beispielsweise die "klaren Vokale"—im Gegensatz zu der Schwere der dunklen Vokale—als besonders fähig, "Feinheit, Leichtigkeit, Sanftheit und verwandte Vorstellungen" (1913: 248ff.) auszudrücken: "d'une manière générale les voyelles claires peuvent peindre à l'oreille tout objet tenu, petit, léger, mignon" (S. 251; vgl. 269). Als eines seiner Beispiele zitierte er die folgenden Zeilen von Victor Hugo: Quand la demoiselle dorée S'envole au départ des h/vers, Souvent sa robe d/aprée, Souvent son aile est dechirée
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Die Lautgestalt der Sprache Aux m /lie dards des bu/'ssons verts. Ainsi jeunesse vive et frêle, Qui, t'égarant de tous cotés, Voles où ton /nst/nct t'appelle, Souvent tw déch/res ton a/le, Aux ép/nes des voluptés.
In seiner Klassifizierung der figurativen Fähigkeiten der Vokale fügte G r a m m o n t , der späteren Forschern auf diesem Gebiet weit voraus war, der Analyse der Unterscheidung vorne ~ hinten auch die der hohen und tiefen Vokale hinzu, ließ aber die Frage der Wechselwirkung zweier anderer Eigenschaftspaare—gerundet ~ ungerundet und ungespannt ~ gespannt—unbeachtet. Man kann sofort feststellen, daß die meisten Schwierigkeiten, auf die die Untersucher der "Impressionsphonetik" stießen, von der Suche nach dem Eigenwert von ganzen P h o n e m e n statt von ihren distinktiven Merkmalen herrührten. Da das ganze P h o n e m als Bündel distinktiver Merkmale eine Vielfalt von Grundeigenschaften enthält—z.B. / ü / steht Iii in einer Hinsicht und / u / in ganz anderer Hinsicht gegenüber—, verhindert die übermäßig vereinfachte Zuweisung des P h o n e m s / ü / z u s a m m e n mit Iii zu den "klaren Vokalen" die Suche nach der in den Vokalen verborgenen cWarascwro-Bildhaftigkeit. So unterscheiden sich Sprachen wie das Französische mit den einzelnen P h o n e m e n /i, ü, u / von Sprachen, in denen [ü] eine bloße kontextbedingte Variante von / u / oder Iii bildet. Die meisten Einwände gegen die Suche nach der inneren Bedeutung der Sprachlaute kamen auf, weil diese nicht in ihre Grundbestandteile zerlegt werden konnten. Die besonders von Gabelentz und G r a m m o n t angegangenen Probleme beschäftigten zwei andere hervorragende internationale Sprachwissenschaftler, Otto Jespersen (1860-1943) und Edward Sapir. Es veröffentlichte nicht nur jeder von ihnen eine Reihe von bahnbrechenden Beiträgen zu diesem verwickelten Untersuchungsgebiet, sondern sie korrespondierten auch miteinander über dieses T h e m a während des Jahrzehnts 1918-1928. Sapir "schickte seinem Briefpartner anscheinend eine große Sammlung von unverarbeiteten D a t e n " , und Yakov Malkiel (1978) hat mit Recht behauptet, daß es sich lohnen würde, "diesen transatlantischen Briefwechsel zu retten und zu veröffentlichen". In einer dänischen Schrift aus d e m Jahre 1918 hob Jespersen die gemeinsame Wirkung der Faktoren physei und thései in menschlichen Sprachen hervor und bei einer Diskussion des dänischen Wortes men 'aber' schnitt er die Frage der im Wortschatz eingenisteten " L a u t g e s t e n " an, ein Thema, das in Schuchardts Be-
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merkungen zur Lautgebärde (1897) schon berührt worden war und sowohl in Grammonts Vergleich der artikulatorischen Bewegungen, Grimassen und Gesten (1901: 316f.) und in seinem Begriff der "Artikulationsgeste" schon enthalten war. Das amerikanische Beispiel von nope und yep, das Jespersen in diesem Zusammenhang besprochen hat, wurde von Dwight Bolinger (1946) später endgültig interpretiert. Jespersen rezensierte Saussures Cours bald nach dessen Erscheinen und kritisierte den Genfer dafür, daß er die Rolle der Willkürlichkeit in der Sprache übertrieben und die Rolle von Onomatopöieen und von Lautsymbolik unterschätzt hatte (siehe 1933: 114). Später widmete der dänische Sprachwissenschaftler drei eng miteinander verbundene Arbeiten direkt der Lautsymbolik. In der ersten in der Nordisk Tidschrift veröffentlichten Arbeit erwähnt Jespersen seine Zusammenarbeit mit Sapir, "einem der besten Kenner der amerikanischen Indianersprachen" (1922a: 128). Jespersens erstes englisches Argument für die große Tragweite der "Lautsymbolik"—Kapitel 20 des Buches Language (Die Sprache)— endete mit einer heftigen Attacke gegen die engstirnigen Altertümelei jener linguistischen Lehren, die sich noch auf bloß historische Etymologien beschränken, ohne die etymologische Kreativität der lebendigen Sprachgemeinschaft zu berücksichten, und die die Schöpfung und den Gebrauch von echoartigen und symbolischen Wörtern ausschließlich, wenn überhaupt, früheren Zeitaltern zuschreibt. Eigentlich ist die natürliche Entsprechung zwischen Laut und Sinn ein ständig erneuerbarer und wichtiger Prozeß, durch den, wie Jespersen glaubte, "Sprachen im Laufe der Zeit an symbolischen Wörtern immer reicher werden" und sich nach und nach entwickeln "in Richtung auf eine größere Anzahl von leichten und adäquaten Ausdrücken—Ausdrücke, in denen Laut und Sinn eine engere Verbindung eingehen als es unseren entfernten Vorfahren je bekannt war" (1922b: Kapitel 20, §12). In diesem beachtlichen Kapitel bespricht er die unmittelbare Nachahmung der hörbaren Erscheinungen bei der Lautproduktion und den Gebrauch von Sprachlauten, deren Gruppierungen, Reduplikationen, Dehnungen und Weglassungen, die Lauterzeuger, Bewegungen, Sachen und Erscheinungen, Gemütszustände, Größen und Entfernungen metonymisch oder metaphorisch bezeichnen sollen. Der suggestive Charakter der lautlichen Bildhaftigkeit macht einige Wörter "überlebensfähiger". Eine große Anzahl der meisterhaft zusammengestellten Daten, die den weitverbreiteten und produktiven "Symbolic Value of the Vowel /" veranschaulichen sollten, findet man konzentriert in der 1922 erschienenen Schrift, die diesen Titel trägt (siehe 1933). Nachdem er
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postuliert hatte, daß "die Lautsymbolik eine größere Rolle in der Entwicklung der Sprachen spielt als die meisten Linguisten zugeben", verkündete Jespersen schon im ersten Absatz seinen "Versuch zu zeigen, daß der hohe, ungerundete Vordervokal [i], besonders in seiner engen oder dünnen Form oft dazu dient, etwas Kleines, Geringfügiges, Unbedeutendes oder Schwaches zu bezeichnen" (S. 283). In der Übersicht entdeckt er diesen Vokal in zahlreichen Wörtern f ü r etwas Kleines, f ü r das Kind oder das Junge vom Tier, für kleine Gegenstände, sowie in Verkleinerungssuffixen, Verben mit der Bedeutung 'klein machen oder werden', usw. Die Assoziierbarkeit von [i] mit Kleinheit und Leichtigkeit, die laut Piatons Dialog Sokrates zuerst erkannt hat, ist wiederholt bestätigt worden. Z. B. das Gefühl für den Ausdruck der relativen Kleinheit und Größe wurde durch Swifts Gulliver bestätigt, der das Land der Zwerge Lilliput und das der Reisen Brobdingnag nannte, während Gulliver selbst in diesem Land zu Grildrig wurde: "das Wort bedeutet das, was die Römer nanunculus n e n n e n " (ein sehr kleiner Zwerg) (Jespersen 1933: 284). Gullivers neutrale Menschengröße fand ihre Gegenstücke in der phonetisch ausgedrückten Zwergengröße der Lilliputaner und anderereits in der wiederum phonetisch ausgedrückten übermenschlichen Größe der Riesen. Die Kindersprache ist besonders reich an konstruierten Paaren von lautsymbolischen Wörtern mit /i/ und / u / , wie Alf Sommerfeit (1892— 1965) in einer Bemerkung über seine dreijährige Tochter zeigte, die zwei groteske Bilder aus einer Zeitschrift ausschnitt: das eine war "Schatten" ("düster" und "dickbackig") und das andere "Licht" ("fröhlich" und "strahlend"). Das Mädchen nannte sie Mump bzw. Mippe und verwechselte ihre Namen nie (1928: 30). In einem Experiment bat Maxime Chastaing (1965a: 41) 50 Kinder im Alter zwischen fünf und sechs Jahren, [pim] und [pum] als Namen für zwei menschliche Figuren aus Pappe zu verwenden; 76 Prozent wählten pim für die kleinere und pum f ü r die größere. Die leichte Assoziierbarkeit von [i] mit kleinen Dingen wird durch die hohe Tonhöhe des Vokals erklärt. Jespersen fügt hinzu, daß die Perzeption der kleinen Lippenöffnung "auch an dem Aufkommen der Vorstellung beteiligt sein mag" (S. 284ff.), aber schreckt vor den späteren, oft weniger seriösen Versuchen, die Erklärung f ü r die Lautsymbolik in den artikulatorischen Konfigurationen des Sprechers zu finden, zurück. Jespersen berichtet, daß während der großen Dürreperiode in Fredriksstad (Norwegen) die folgenden Worte in einer Toilette angeschlagen wurden: "Kette nicht f ü r bimmelim, sondern nur f ü r bummelum ziehen". Man verstand diese Anweisungen sofort (S. 284)—offensichtlich in Anbetracht der unterschiedlichen Größen-
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Vorstellungen bei dem hohen Laut [i] und dem tiefen Laut [u] (vgl. Verweise in der Kinderstube auf kleines Geschäft und großes Geschäft). Im Englischen besteht ein ähnliches Verhältnis zwischen den diffusen Konsonanten und Vokalen von peepee ('Pipi') und den kompakten von kaka ('Aa'); aber eine Assoziation mit dem Unterschied zwischen dem vorderen und dem hinteren Teil des Körpers, auf die verwiesen wird, scheint weit hergeholt (vgl. Wescott 1971: 421f.). Sapir, der in seinem frühen Handbuch sogar dazu neigte, "eine tatsächliche psychologische Verbindung zwischen Symbolik und solchen bedeutenden Alternationen wie drink/drank/drunk" zu sehen (1921: Kapitel 6), dachte immer, daß "die Laute und Lautprozesse der Sprache nicht richtig in Bezug auf < . . . > einfache mechanische sensomotorische Gewohnheiten verstanden werden können" (siehe 1949: 33). Am Anfang seiner "Studie über die phonetische Symbolik" wies Sapir auf den phonetischen Unterschied zwischen dem emphatischen diminutiven ee von teeny 'winzig klein' und dem normalen / in tiny 'winzig' hin; für ihn war diese Divergenz "ein direkter Ausdruck dieses Bedeutungsunterschiedes", und schon 1929 (siehe 1949: 61ff.) nannte er diese Art Verhältnis "latente expressive Symbolik". Zwei Jahre vorher (1927) hatte er in einer längeren Arbeit über "Die Sprache als eine Form des menschlichen Verhaltens", die leider in seinen ausgewählten Schriften (Selected Writings) ausgelassen wurde, verkündet: "Wenn jemand dazu neigt, die Realität einer solchen Symbolik in der Sprache zu bezweifeln, so soll er das folgende Experiment probieren, das ich selber mehrere Male mit fast hundertprozentigem Erfolg durchgeführt habe" (S. 429). Die Hörer wurden gebeten, die fiktiven Wörter la, law, Ii zu benutzen, um drei Tische von verschiedener Größe zu bezeichnen; sie wählten Ii, um den kleinen Tisch, law den großen, und la den mittleren Tisch, den Tisch par excellence zu benennen. Seine nachfolgenden Versuche in dieser Richtung trugen wesentlich dazu bei, die Realität von solchen unbewußt zwingenden Gefühlen für die "Größen-Symbolik" von gewissen Unterschieden bei Vokalen und Konsonanten zu demonstrieren. "Gewisse Vokale und Konsonanten 'klingen größer' als andere, um es grob auszudrücken", meint Sapir (S. 69). Die Relevanz seiner Forschung trug wesentlich zu Jespersens Beobachtungen bei. Zweifellos wäre diese Untersuchung noch überzeugender gewesen, wenn die Fragen die symbolischen Relationen innerhalb eines einzigen Phonempaares betroffen hätten, und wenn der Großentest durch Tests ergänzt worden wäre, bei denen es auch um einige andere semantische Assoziationspaare ging.
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Sapirs Experimente zur Lautsymbolik wurden von seinem Schüler Stanley Newman weiterentwickelt; dieser versuchte, eine symbolische Größenskala des ganzen amerikanischen Vokalsystems aufzustellen. Er unterwarf jedes Vokalpaar der Frage nach dessen Symbolik von "klein bis groß" und "dunkel gegenüber hell". Für alle Antwortenden erwiesen sich alle Vokale als auf einer Symbolikskala konstant und auf ähnliche Weise gruppiert, und dies führte zu dem Schluß, daß "die Grundlage der phonetischen Symbolik im Grunde genommen objektiv ist" (1933: 75). Die Interpretation der Konsonanten erbrachte gleichermaßen interessante, aber weniger ausgearbeitete Ergebnisse. Die Beurteilungen von klein bis groß für t-p-k zeigten eine konsequente Entsprechung zur Vokalskala i-u-a und erlaubten den klaren Schluß auf die äquivalente Struktur sowohl des Vokal- als auch des Konsonantendreiecks (siehe oben, S. 119) und auf die konstante Ordnung der Abfolge pif-paf-puf. Newmans anregende Experimentierung wäre noch beweiskräftiger gewesen, wenn die Frage der binären Relationen seine Abbildung der Lautsymbolik bestimmt hätte, und wenn seine sorgfältige Berücksichtigung des symbolischen Wertes seine Vorliebe für bestimmende "mechanische Faktoren" überwunden hätte. Zu welchen gewagten Spekulationen ein solches Vorurteil führen kann, zeigt Peterfalvis positive Bemerkung (1970: 63; vgl. Genette 1976: 409) über Newmans Beweis, daß die hellen Vokale uns am "hellsten" erscheinen: Peterfalvi behauptet, daß die hellen Vokale, die nahe dem Äußeren des Körpers artikuliert werden, für "hell", wogegen die nahe dem Inneren artikulierten für "dunkel" gehalten werden, denn "je weiter man in den Körper eindringt, desto dunkler wird es"! Fonagy (1963: 60ff.) hat eine Sammlung von phantasievollen Erklärungen der Lautsymbolik von hell ~ dunkel sorgfältig zusammengestellt. Auf jeden Fall zeigen Sapirs und Newmans Forschungen deutlich, wie ergiebig, sowohl für die Sprachwissenschaft als auch für die Psychologie (vgl. Bentley und Varon 1933), dieses neue Stadium der Untersuchung der Lautsymbolik war, im Vergleich zu der Dürftigkeit von Debrunners früherer geschichtlicher Übersicht (1926). Fragen darüber, inwiefern der eigentliche lexikalische und morphologische Vorrat der Sprache den von Sapir und Newman im Lautsystem entdeckten symbolischen Wert widerspiegelt, führten zu mehreren Studien (von Orr 1944 und 1945; Thorndike 1945; Wandruszka 1952, usw.) und deckten das Phänomen der "Antiphonie" auf, "d.h. die Opposition von vokalischen Lauten in Wörtern, die etwa zu demselben psychologischen Feld gehören: z.B. tip und top, slit und slot, strip, strap und strop" (Orr 1945).
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Die Frage der Kongruenz zwischen dem Sinn der Sprachlautsequenzen und abstrakten graphischen Darstellungen wurde von dem georgischen Psychologen D. Usnadze (1924) gestellt und von Köhler (1929) wieder aufgenommen, aber die längste Reihe von Experimenten galt der Frage, ob, und wenn ja, dann in welchem Maße, lexikalische Bedeutungsoppositionen in einem folgerichtigen, regelmäßigen Verhältnis zu den symbolischen Eigenschaften von Lauten, oder, wie Hornbostel (1927a) sagte, zu dem Lautsinn stehen (siehe insbesondere Tsuru und Fries 1933; Brown et al. 1955; Maitzmann et al. 1956; Brackbill und Little 1957; Wertheimer 1958; Brown und Nuttall 1959; Miron 1961; Taylor und Taylor 1962 und 1965; Taylor 1963; Oyama und Haga 1963; Weiss 1963a und b, 1964a und b, 1966; Johnson et al. 1964; Atzet und Gerard 1965; Ertel 1969; Roper et al. 1976). Eine der dabei hauptsächlich verwendeten Methoden war es, die Versuchspersonen zu bitten, die Korrelation zwischen zwei Antonymen in einer ihnen unbekannten Sprache und dem entsprechenden Paar von Antonymen in ihrer Muttersprache zu erraten. Einige von diesen und ähnlichen Versuchen ergaben richtige Antworten, die skeptische Kritiker für reinen Zufall hielten; einige andere Fälle erbrachten recht negative Ergebnisse. Bei diesen Bemühungen zur Entschlüsselung waren zu viele komplexe Faktoren im Spiel, um weniger zweifelhafte Schlüsse zuzulassen. Roger Brown et alii gingen so weit zu behaupten, daß ihre "Untersuchungen, bei denen drei Listen von Wörtern aus dem Englischen und sechs Fremdsprachen benutzt wurden, eine besser als zufällige Übereinstimmung und Genauigkeit in der Übersetzung aus unbekannten Sprachen aufgewiesen haben", und daß eine solche "Genauigkeit erklärt werden kann durch die Annahme einer universellen phonetischen Symbolik, in der die Sprache ihren Ursprung haben oder auf die die Sprache sich hin entwickeln kann". "Irgendeine Art von imitativer oder physiognomischer Verknüpfung von Lauten und Bedeutungen" schien den Forschern (1955: 393) auf jeden Fall offensichtlich. Aber die erwünschte Lösung der Frage, ob eine universelle Lautsymbolik besteht, bedarf noch eines vorläufigen zwischensprachlichen Vergleichs des Systems der distinktiven Merkmale und ihrer Gruppierungen in den berücksichtigten Sprachen. Nichtsdestoweniger wird es immer klarer, daß wenn die Unterschiedlichkeit der zusammengestellten Systeme in Betracht gezogen wird, sich ein allgemeines Schema der lautsymbolischen Werte abzeichnet, und wir werden mit zwei dringenden und konkreten Problemen konfrontiert—mit der lautsymbolischen Typologie der Sprachen und mit den aus einer solchen Typologie sich ergebenden lautsymbolischen
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Uni Versalien—welche ein Gegenstück und einen Überbau bilden zu den gleichermaßen wichtigen, ebenso typologischen und universalistischen Fragen, die mit der Strukturierung der distinktiven Merkmale zusammenhängen. Vgl. Peterfalvis kritische Übersicht der betreffenden Studien und Aufgaben (1970: Kapitel 5). Die Symbolik der französischen Vokale fand einen aufmerksamen Beobachter in Maxime Chastaing. Seine Hauptarbeiten behandeln insbesondere den Vokal Iii und seine Assoziationen mit Hellfarbung und Kleinheit und werden durch Exkurse über Helligkeit, Schnelligkeit und Nähe (1958), sowie über die Opposition hell ~ dunkel bei Vorder- und Hintervokalen (1962) und durch seine abschließende Forschung über die Vokalsymbolik der Kleinheit (1965a) ergänzt. In der letzten Arbeit findet man relevante Bemerkungen über die Rolle dieser Symbolik bei der Verteilung von Vokalen zwischen den verschiedenen Schichten des französischen Wortschatzes, aber Chastaing läßt die Frage offen, in welchem Maße solche Symbolik die selektiven Änderungen und die selektive Erhaltung von Vokabeln bestimmt, und inwiefern der lexikalische Vorrat selbst die Lautsymbolik fördert. In einigen beiläufigen Notizen bewertet er die symbolischen Werte von Konsonantenoppositionen und untersucht die Opposition von gespannten und ungespannten Konsonanten im Französischen (1964) aus dieser Perspektive. Er neigt dazu, den Verschlußlauten "Härte" zuzuschreiben, im Gegensatz zu den "weichen" Dauerlauten (1965b) und bemerkt, daß seine Studenten Irl als "sehr roh, stark, heftig, schwer, scharf, hart, nahe und bitter" empfanden, im Gegensatz zu /l/, das ihnen "leicht, sanft, klar, glatt, schwach, süß und fern" (1966: 502f.) schien. Höchst aufschlußreich sind die von Fönagy (1963) durchgeführten Tests mit Gruppen von ungarischen Kindern und Erwachsenen. Der Vergleich von /i/ und / u / erbrachte die folgenden beeindruckenden Ergebnisse: /i/ war "schneller" als / u / f ü r 94 Prozent, "kleiner" für 88 Prozent, "schöner" f ü r 83 Prozent, "freundlicher" f ü r 82 Prozent, "härter" f ü r 71 Prozent, wogegen / u / "dicker" für 98 Prozent, "hohler" und "dunkler" f ü r 97 Prozent, "trauriger" und "stumpfer" f ü r 92 Prozent, "bitterer" für 86 Prozent, und "stärker" für 80 Prozent war (S. 42ff. und 120f.); ebenso aufschlußreich sind die Reaktionen der Versuchspersonen auf das symbolische Verhältnis einerseits zwischen Irl und IM (jenes war "wild, kämpf lustig, männlich, rollend und härter" f ü r die überwiegende Mehrheit) und andererseits zwischen den ungarischen Dentallauten (diffus hell) und den Palatallauten (kompakt hell): diese wurden als "feuchter" als jene empfunden.
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Die Synästhesie Solche Bewertungen, die universell sind, insofern sie in den Lautsystemen der gegebenen Sprachen Unterstützung finden, sind offensichtlich keineswegs zufällig. Man muß daran denken, daß solche Kontraste wie hell ~ dunkel, leicht ~ schwer und klein ~ groß zu den "elementaren Strukturen, die f ü r die perzeptive Unterscheidung erforderlich sind" (siehe Walion 1945: 129), gehören, und es ist nicht verwunderlich, daß sie konstante (oder beinahe konstante) und universelle Verbindungen mit den elementaren, den Sprachen der Welt zugrundeliegenden Merkmalen eingehen. In seiner beispielhaften Monographie über die Lautsymbolik (1970) verweist Peterfalvi (S. 44f.) auf P. Guillaumes Psychologie de la forme (1937), die auf die mehrwertige Symbolik hinwies, die in den Sprachlauten als universellen synästhetischen Gegebenheiten enthalten sind; unter diesen Voraussetzungen sah Peterfalvi den fortschreitenden Zugang der Wissenschaft zu den biopsychologischen Universalien voraus, die der allgegenwärtigen und dauerhaften Systematik der distinktiven Merkmale und ihrer symbolischen Fähigkeiten (S. 156f.) zugrundeliegen. Die verwickelten Fragen der phänomenalen Wechselbeziehung zwischen den verschiedenen Sinnen—kurz das Problem der Synästhesie— wurden wiederum durch die vielseitige Entwicklung der linguistischen und psychologischen Forschung über die Lautsymbolik in ihren verschiedenen Aspekten ans Licht gebracht. "Les Synesthésies" ist der Untertitel von Chastaings Arbeit, die die Leser auffordert, ihre persönlichen Reaktionen zu äußern auf einen der auffälligsten und verwickelten Aspekte von synästhestischen Fragen, nämlich die audition coloree ('Farbenhören'), eine alte Bezeichnung, die er neu belebte (1960). Im Laufe von zwei Monaten erhielt Chastaing 133 Antworten. Trotz der Unterschiedlichkeit der Antworten hat er die offensichtlichen Attraktionen zwischen gewissen Farben und Phonemen nicht übersehen, und er ging auch nicht auf die voreilige Annahme ein, daß "jede Person die Vokale auf ihre eigene Art sieht". Die auftretenden Zusammenhänge zwischen den Färb- und Lautsystemen waren zu offensichtlich, um geleugnet zu werden (1961: 359ff.). So findet z.B. die eindeutige Tendenz zu empfinden, daß die Hintervokale "dunkler" und die Vordervokale "heller" sind, weitere Unterstützung in der Zuweisung von dunkleren Farben zu Hintervokalen und von helleren Farben zu Vordervokalen durch verschiedene Beobachter. Die Hauptschwierigkeit bei der Beantwortung der Frage, welche Farben man mit jedem der Vokale seiner Sprache assoziiert, liegt in der Behandlung einer Vielfalt von zwei verschiedenen Gegenstands-
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arten, Vokalen und Farben. Die Aufgabe wird viel konkreter und leichter durchführbar, wenn der Antwortende es mit den binären Relationen zwischen jeweils zwei gegebenen Vokalen und zwei gegebenen Farben zu tun hat. Der kluge Psychologe von der Clark Universität, Heinz Werner (1890-1964), empfahl Experimentatoren, einer Versuchsperson aufeinanderfolgende Paare von Vokallauten zusammen mit verschiedenen aufeinanderfolgenden Paaren von Farben vorzulegen und sie dann zu fragen, welche Paare von Sprachlauten und Farben sie für einander am naheliegendsten hält. Durch eine solche Reihe von Schritten kommt man dazu, die grundlegenden Polaritäten zu begreifen, die die Farben und die distinktiven Merkmale der Sprache verbinden (vgl. Karwoski et al. 1942: 216). Man kann nicht umhin, mit E. H. Gombrich (1961 2 : 370f.) übereinzustimmen, daß das Problem der synästhetischen Äquivalenzen nicht mehr peinlich willkürlich und subjektiv aussieht, wenn wir hierzu unser Augenmerk nicht auf die Ähnlichkeit der Elemente, sondern auf die Strukturverhältnisse in einer Skala oder Matrix richten. Wenn wir sagen, da/3 i heller ist als u, finden wir ein überraschendes Maß an allgemeiner Zustimmung. Wenn wir noch vorsichtiger sind und sagen, daß der Schritt von u zu i mehr wie ein Schritt aufwärts als ein Schritt abwärts ist, wird die Mehrheit damit übereinstimmen, so glaube ich, egal welche Erklärung jeder von uns geben möchte.
Dieser Experte der Sprache der bildhaften Darstellung verleiht seinem Glauben Ausdruck, "daß die Forschung der Sprachwissenschaftler uns wieder die beste Chance bietet, dieses vieldiskutierte Problem etwas zugänglicher zu machen". Um die linguistische Annahme, daß es sich bei der Synästhesie um Relationen handelt, unter Beweis zu stellen, benutzt er ein 'Gesellschaftsspiel': Es besteht darin, daß man das einfachste denkbare Medium schafft, in dem Relationen noch ausgedrückt werden können, also eine Sprache von bloß zwei Wörtern—nennen wir sie ping und pong. Wenn diese alles wären, was wir hätten und wir müßten einen Elefanten und eine Katze bezeichnen, was wäre ping und was pong? Ich glaube, die Antwort ist eindeutig. Oder heiße Suppe und Eis? Für mich zumindest ist Eis ping und Suppe pong. Oder ein Rembrandt und ein Watteau? Sicherlich wäre in diesem Fall der Rembrandt pong und Watteau ping. Ich behaupte nicht, daß es immer klappt, daß zwei Bausteine genügen, um alle Relationen zu kategorisieren. Wir finden Leute, die sich über Tag und Nacht und männlich und weiblich nicht einig sind, aber vielleicht könnte man diese Unstimmigkeiten reduzieren und Stimmigkeit herstellen, wenn man die Fragen anders stellen würde: hübsche Mäd-
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chen sind ping und Matronen sind porig, es kann davon abhängen, welchen Aspekt der Weiblichkeit der Betreffende sich vorstellt.
Die folgerichtige Anwendung der binären Oppositionen f ü r die symbolischen Werte der Vokale—heller ~ dunkler, größer ~ kleiner, dünner ~ dicker, härter ~ weicher, leichter ~ schwerer—trieben die anregenden Experimente von Eli Fischer-J0rgensen über die Reaktionen von dänischen Studenten auf die perzeptive Systematik des dänischen Vokalismus voran; sie fand aber, daß die Vorführung von Vokalen en bloc "in alphabetischer Reihenfolge", ohne sie in aufeinanderfolgende gegensätzliche Paare zu teilen, zu "nicht sehr klaren Ergebnissen" (1967) führte. Eine allgemeine Vokaltheorie, die mit den wichtigsten benachbarten Gebieten der menschlichen Erfahrung in Zusammenhang steht, hat Wolfgang Köhler (siehe oben, S. 141f.) skizziert, dessen Vorstellung der englische Wissenschaftler Robert Willis (1800-1875) im frühen 19. Jahrhundert richtig vorweggenommen hatte. Laut der im Jahre 1830 von der Cambridger Philosophical Society veröffentlichten Abhandlung des letzteren: "scheint die Mehrheit der Autoren, die den Vokallaut behandelt haben, nie weiter als bei den Sprechorganen nach ihrer Herkunft gesucht zu haben < . . . > , in der Tat betrachten sie die Vokale mehr im Lichte von physiologischen Funktionen des menschlichen Körpers denn als einen Zweig der Akustik" (S. 231). Willis entschloß sich, einen anderen Arbeitsplan anzulegen; nämlich, die Sprechorgane völlig außer Acht zu lassen, um festzustellen, wenn möglich durch Experimente mit den üblichen akustischen Instrumenten, welche Hohlraumformen oder anderen Bedingungen zur Erzeugung dieser Laute notwendig sind, wonach es vielleicht möglich wäre, indem man dies mit den verschiedenen Positionen der menschlichen Organe vergleicht, nicht nur die Erklärung und den Grund für ihre verschiedenen Positionen abzuleiten, sondern auch jene Teile und Vorstellungen die zu der Ausübung ihrer anderen Funktionen bestimmt sind, von denjenigen, die der Sprache unmittelbar eigentümlich sind (falls solche bestehen) zu trennen. Bei der Wiederholung von Experimenten dieser Art muß man immer daran denken, daß der Unterschied zwischen den Vokalen völlig vom Kontrast abhängt. [S. 233f.]
Willis' Programm, das Köhler (vgl. seine Bemerkung 1910a: 288f.) unabhängig wiederaufnahm und weiterführte, entwickelte sich zu einer anregenden Darstellung des originellen Charakters und der konsequenten Strukturierung, die dem menschlichen Vokalsystem eigen ist (vgl. Köhler 1915, von Stumpf 1926: 320ff. kommentiert).
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Die grundlegende Rolle des hell ~ dunkel-Gegensatzes in der Struktur der Vokal- und Konsonantensysteme hat Köhler als erster umrissen. Es sei noch einmal wiederholt und hervorgehoben, daß für ihn Hell- und Dunkelfärbung als Namen f ü r dieses Phänomenon keineswegs "bloße Metaphern", sondern Bezeichnungen von tatsächlichen "zwischensinnlichen Analogien" waren, phänomenologische Entsprechungen, die auf ein "zentrales physiologisches perzeptives Korrelat" hindeuteten (1915). Die Analogie mit den Konfigurationen von verschiedenen Sinnesbereichen ist hier offensichtlich und führt zu dem unvoreingenommenen Schluß, daß das Vokalsystem "fast dieselben Systemeigenschaften aufweist wie die bunten Farben" (S. 192). Die Hypothese, daß hell ~ dunkel eine universelle Eigenschaft aller Sinne ist, wird ständig in neuen Bereichen geprüft. Die fortlaufenden Untersuchungen über die innere Organisation und Gruppierung der Farben zeigen mehr und mehr einen konkreten Zusammenhang zwischen Sprachlauten und Farben und geben Anlaß zu der These, daß die Empfindung mit Bezug auf polare Oppositionen beschrieben werden muß (Hartshorne 1934: 134). Insbesondere verweisen wir auf Herings Theorie der entgegengesetzten Prozesse beim Farbensehen, die Leo Hurvich und Dorothea Jameson jetzt entwickeln, und die diese Prozesse als ein Modell der neurologischen Organisation behandelt (siehe besonders 1957, 1974): die zwei Glieder jedes Paares, wie weiß ~ schwarz und gelb ~ blau, "sind gegensätzlich, sowohl bezüglich der entgegengesetzten Natur des angenommenen physiologischen Prozesses als auch bezüglich der sich gegenseitig ausschließenden sinnlichen Eigenschaften" (1957: 385). Von der sich entwickelnden Analyse der Farben und von ihrer Bewertung in der neueren anthropologischen Literatur (wie Berlin und Kay 1969, und Turner 1967) ausgehend, hat Marshall Sahlins (1976) die Diskriminierung von Hellfärbung und Dunkelfärbung als die grundlegendste Unterscheidung betrachtet, "vielleicht universell signifikant" und f ü r eine jede Kultur semantisch motiviert; er sieht das zweite Stadium "in der Evolution der Grundkategorien" in dem Gegensatz von Rot, das "die meiste Farbe" hat und " f ü r das menschliche Auge die wichtigste der Farberfahrungen ist" und der schwarz ~ weiß-Achromatik. Diese "Triade von rot-weiß-schwarz" als "das wesentliche perzeptive Ergebnis der Kreuzung der grundlegenden helldunkel-Dualität mit einem zweiten Kontrast von Farbton/Neutralität" (Sahlins: 14) stimmt entscheidend mit dem primären Dreieck a-p-t der Kindersprache überein (siehe oben, S. 119f.; vgl. Turner 1967: 60, über die dreifache Klassifizierung, die sich auf die Farben weiß, rot
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und schwarz in afrikanischen Ritualien bezieht). Die binären hell ~ dunkel-Oppositionen, die den Paaren von achromatischem weiß und schwarz, von weniger achromatischem gelb und blau und schließlich von optimal chromatischen Farben zugrundeliegen, stehen in eindeutiger Korrelation zu den dunkel ~ hell-Oppositionen, die den Paaren von diffusen (achromatischen) Konsonanten und von diffusen (weniger chromatischen) und kompakten (optimal chromatischen) Vokalen zugrundeliegen (vgl. Vallier 1978). Wir könnten unsere vergleichende Übersicht der auffälligen Entsprechungen zwischen den jeweiligen Organisationen des Farbtonkodierungssystems und dem System der distinktiven Merkmale weiterführen (vgl. oben S. 142), aber wir wollen mit Hurvich und Jameson (1974: 101) lediglich schließen, daß "die Vorstellung der gegensätzlichen Prozesse, wenn sie als Leitprinzip bei der Analyse von bestimmten Aspekten von besonderen psychologischen Erscheinungen gebraucht werden, weiterhin den brauchbarsten Schlüssel zu dem Verhalten des Nervensystems liefern wird, so wie sie schon bei der Analyse von bestimmten visuellen [und, das fügen wir hinzu, sprachlautlichen] Erscheinungen getan hat". Die Rolle der Lautsymbolik in unserem geistigen Leben fand einen originellen und scharfsinnigen Interpreten in Benjamin Lee Whorf (1897-1941). In einer kurz vor seinem frühzeitigen Tod erschienenen Arbeit (siehe 1956: 267f.) wies er daraufhin: in den psychologischen Experimenten scheinen Versuchspersonen die Empfindungen von hell, kalt, scharf, hart, hoch, leicht, schnell, hochtonig, eng, usw. in einer langen Reihe miteinander in Verbindung zu bringen; und umgekehrt die Empfindungen von dunkel, warm, nachgiebig, weich, stumpf, tief, schwer, langsam, tieftonig, breit, usw. in einer anderen langen Reihe. Dies gilt, egal ob die Wörter f ü r solche miteinander verbundenen Empfindungen ihnen ähnlich sind oder nicht, aber der normale Mensch wird wahrscheinlich nur dann eine Relation bemerken, wenn es sich um eine Relation der Gleichheit handelt zwischen einer solchen Reihe einerseits und den Vokalen und Konsonanten der Wörter andererseits.
Whorf stellt fest, daß "die Vokale a (wie in 'father'), o und u in Laborversuchen mit der dunkel-warm-weich-Reihe in Verbindung gebracht werden, und e (englisch a in 'date'), i (englisch e in 'be') mit der Serie hell-kalt-scharf. Konsonanten sind auch miteinander verbunden, wie man es vielleicht in dieser Hinsicht aus dem gewöhnlichen Gefühl heraus erwarten könnte". Er hält es für besonders wichtig, daß:
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die Sprache durch die Lexikalisierung die Aufmerksamkeit des Sprechers ausdrücklich auf bestimmte schwache psychische Empfindungen gelenkt hat; sie hat das Bewußtsein auf anderen Ebenen als der ihrigen hervorgerufen: eine d e m Zauber ähnliche Kraft. Es gibt eine zwingende Logik in der Macht der Sprache, unabhängig v o n niedrigeren psychischen Fakten zu bleiben, sich über sie hinwegzusetzen, bald sie aufzuzeigen, bald sie auszuschalten, die Nuancen v o n Wörtern nach ihren eigenen Regeln zu gestalten, egal ob der psychische Klang der Laute stimmt. W e n n die Laute passen, wird ihre psychische Qualität erhöht, und das kann auch der Laie bemerken. Wenn die Laute nicht passen, ändert sich die psychische Qualität, u m mit der sprachlichen Bedeutung zu harmonisieren, egal wie wenig sie mit d e m Laut übereinstimmt, und das bemerkt der Laie eben nicht.
Es würde schwerfallen, die Verbindung und Konkurrenz zwischen dem Gebrauch der Phoneme als bloßer Bausteine und dem universellen Gefühlsinhalt, "der für alle Personen im Grunde genommen gleich ist", deutlicher darzulegen. Das Verhältnis von, sagen wir, Hl und / u / als signantia zu solchen signata wie kleiner ~ größer, schneller ~ langsamer, schöner ~ weniger schön, freundlicher ~ weniger freundlich, bitterer ~ süßer merkt der Laie weniger leicht als die Entsprechung zwischen den Konstituenten von zwei homologen Sinnesschemata von signantia, dem räumlichen Schema von Farben und dem zeitlichen von Sprachlauten. Der Hauptgrund f ü r die geringe Einheitlichkeit und die größ e r e n Schwankungen bei der direkten Zuordnung der Farben zu den Vokalen durch den Laien liegt wahrscheinlich darin. Hornbostel erinnert sich daran, daß er beobachtet hatte, wie "Mutter und Tochter sich heftig stritten:—E ist rot! Nein, gelb! —Aber beiden schien es hell, klar und scharf" (1927b: 85). Wie wiederholt bemerkt worden ist, steigert die Polarität von hellen und dunklen Vokalen trotzdem den visuellen Kontrast zwischen lateinisch dies und nox oder zwischen tschechisch den und noe im Vergleich zu dem französischen Paar jour [zur] und nuit [n iji], das Mallarmé wegen seiner Nichtübereinstimmung mit der sonst üblichen Entsprechung abgelehnt hat (vgl. R.-G. Cohn 1977). Unter den polaren semantischen Verbindungen, die laut Whorfs (oben zitierter) Zusammenfassung mit den Vokalen Iii und lui herzustellen sind, wählt der Franzose LéviStrauss (1976/1978) unbewußt die vokalische und semantische Korrespondenz zwischen jour ~ nuit und den Empfindungen von langsamer und schneller: "JOUR hat einen durativen Aspekt, der zu der vokalischen Dunkelfärbung paßt, NUIT einen perfektiven Aspekt, der zu der vokalischen Hellfärbung paßt, ce qui, à sa manière, fait une petite mythologie".
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Albert Wellek, ein Experte der Synästhesie (1931b: 330f.) und der Geschichte ihrer frühen Erforschung, wunderte sich über eine der frühesten Schriften auf diesem Gebiet, John Lockes Essay 111,4: "Ein fleißiger Blinder, der sich ununterbrochen den Kopf über sichtbare Gegenstände zerbrochen und von den Erklärungen seiner Bücher und seiner Freunde Gebrauch gemacht hatte, um die Namen für Licht und Farben, auf die er oft stieß, zu verstehen, verkündete schreiend eines Tages, daß er jetzt verstehe, was scharlachrot bedeute. Als sein Freund ihn fragte, was scharlachrot nun sei, antwortete er, daß es wie der Klang einer Trompete sei". Und in Ernst Jüngers Lob der Vokale (1934: 32) steht geschrieben: "die Farbe, die wir für das A wählen würden, müßte der Purpur sein". Die offensichtliche Beziehung zwischen einer optimal chromatischen Farbe wie scharlachrot und dem optimal chromatischen Trompetenklang und den Höhen von vokalischer (/a/) und konsonantischer (/k/) Chromatik in der englischen Farbenbezeichnung scarlet ('scharlachrot') ist in der Tat auffallend und hat in den Schriften von Anthony Ashley Cooper (dem dritten Earl of Shaftesbury), Henry Fielding, Adam Smith und Erasmus Darwin mannigfache Antworten hervorgerufen. Ein Mann mit einem guten Gefühl für "eine Kongruenz, eine Harmonie, etwas wie eine logische Relation" zwischen Sprachlauten und Farben, und besonders zwischen dem Vokal a und der Farbe Rot, gestand ein, wenn er Wörter mit einem a in einem Text unterstreichen müßte, so würde er einen roten Bleistift gebrauchen, wobei er das Gefühl habe, daß das die richtige Farbe sei, würde aber andere Farben bei anderen Vokalen benutzen (Beaunis und Binet 1892: 450). Saussures Kollege, der Genfer Psychologe Edouard Claparede (1873-1940), beobachtete, daß die Fähigkeit zwischen Farben und Sprachlauten zu vergleichen in jedem einzelnen in zumindest einem elementaren Stadium (1900: 517) vorhanden zu sein scheint, und in der Tat zeigen Kinder in dieser Hinsicht eine weitaus größere Bereitschaft zum Antworten, eine höhere Gewißheit bei Analogien zwischen den zwei Empfindungen und weniger Nichtübereinstimmung (siehe Reichard et al. 1949: 224). In Hornbostels Worten: "was wir als Kinder wußten, müssen wir jetzt suchen", weil "Sehen und Hören sich voneinander getrennt haben" (1927b: 89). Doch auch in den Antworten von Erwachsenen gibt es grundlegende Attraktionen zwischen den beiden Systemen, trotz all ihrer Unterschiedlichkeit im Detail; die vorwiegend rote Qualität von /a/, die gelbe und weiße Qualität von /e/ bzw. /i/ und die Dunkelheit von /o/ und /u/ treten deutlich hervor (vgl. Argelander 1927: Kapitel 5; Reichard 1945: 226,
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231fT.; RJ I: 386ff.; Masson 1952: 40). Was m a n natürlich vermeiden m u ß , ist die Mischung von diesen üblichen Methoden, von dem Sprachlaut auf die Farbebene zu schließen, mit literarischen Behauptungen, die oft gekünstelt und absichtlich à rebours gemacht werden. Rimbauds umgekehrte V e r k ü n d u n g — " A , noir corset velu des mouches éclatantes"—veranlagte einige zu einer skeptischen Haltung gegenüber der Vorstellung des ' F a r b e n h ö r e n s ' , die, f ü g e n wir hinzu, dennoch von der von diesem Dichter vorgelegten akustisch-visuellen Betrachtung von / a / Gebrauch machten (siehe Clavière 1898: 163f.). Es trifft zu, daß verschiedene Faktoren, insbesondere die geringere Trennbarkeit der Konsonanten in unserer tatsächlichen sprachlichen Erfahrung und ihr m e h r oder weniger achromatischer gräulicher Charakter die exakte Bestimmung von konsonantischen Verbindungen mit Farben verhindern: Konsonanten "haben keine auffälligen Farben [ couleurs franches], sie sind alle mehr oder weniger gräulich" (Beaunis und Binet 1892: 456). Nichtsdestoweniger erkennt der Antwortende die grundlegenden Konsonantenkategorien wie insbesondere dunkel ~ hell leicht parallel zu den dunkel ~ hell- Paaren von gegensätzlichen Farben.
Wortaffinität In einigen Fällen in größerem, in vielen anderen in geringerem M a ß e weisen die meisten Sprachen der Welt eine marginale Reihe von Vokabeln auf, die semantisch fließend, eher expressiv als kognitiv sind und die breitere Möglichkeiten f ü r die Lautsymbolik eröffnen. Zur Zeit beginnen diese lexikalischen Schichten, die bis vor kurzem f ü r außerhalb der G r e n z e n der eigentlichen Sprache liegend gehalten wurden, größere Aufmerksamkeit der Linguisten auf sich zu ziehen, wie William Samarin in seiner Arbeit über Inventar und Auswahl in der expressiven Sprache (1970) besonders hervorgehoben hat. Hier behandelt er insbesondere Wörter, die in der afrikanistischen Terminologie "ideophonisch" genannt werden. Er behauptet, daß er f ü r einige dieser Sprachen, z.B. die Gbeya-Sprache, eine Sammlung von etwa 5000 ideophonischen Adverbien hat, die er mit den von Samuel Martin (1962) untersuchten koreanischen "impressionistischen" (oder "mimetischen") Adverbien und mit analogen Erscheinungen in den Türksprachen, im Malaiischen, in amerikanischen Indianersprachen und in anderen Sprachen vergleicht. Analoge Bildungen im Japanischen wurden von Evgenij Polivanov (1891-1938) als "Lautgesten" bezeichnet und im Jahre 1916 einer eingehenden Analyse (1968
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wiederabgedruckt) unterworfen. Besondere Aufmerksamkeit auf den Umfang und die Entfaltung des Lautsinns (siehe oben, S. 205f.) in diesen verschiedenen Arten von Ideophonen ist eine aktuelle Aufgabe für die Sprachwissenschaft. Eine vielfältige Klasse von Konstruktionen, die Laut und Bedeutung unmittelbar und offensichtlich verbindet, ist die sogenannte 'Reduplikation'. In seinem Buch Die Sprache (Language) (1921: Kapitel 4) umreißt Sapir bei der Darstellung von grammatischen Prozessen deutlich die typischen Züge der Reduplikation, die knappe Wiederholung ganzer Wörter oder aller oder eines Teils von ihren Wurzelelementen: "Wörter dieses Typs sind beinahe universell". Dieser Prozeß weist eine ungeheure semantische Varietät auf und wird "allgemein angewendet, mit selbstverständlicher Symbolik, um solche Begriffe wie Distribution, Mehrzahl, Wiederholung, gewohnheitsmäßige Tätigkeit, Vergrößerung, Intensivierung, Fortdauer auszudrücken". Kurz, wir haben es mit einer "reichlich entfalteten" Variation von ein und derselben quantitativ oder qualitativ verstärkenden Bedeutung, einer Bedeutung von kontinuierlicher und diskontinuierlicher Wiederholung zu tun, wie Sapirs Sammlung von Beispielen (besonders durch Goda 1950 ergänzt; vgl. H. Keys kurze Übersicht 1965) überzeugend zeigt. Die ikonische Relation zwischen der reduplizierten Form, die das mehr als einmalige Erscheinen des Wortes mit sich verbindet, und der Vorstellung von mehr als einmal im semantischen Inhalt dieser Wörter (z. B. Somali fen-fen 'von allen Seiten annagen' von fen 'annagen') ist das Prinzip, das den "Prozeß" und den "Begriff" der Reduplikation miteinander verbindet. Außerdem wird die Verschiedenartigkeit der Variablen durch den der Reduplikation normalerweise inhärenten emotiven Charakter verstärkt. Die affektive und teilweise direkt genetische Verbindung zwischen der Reduplikation und dem Wortschatz der Kinderstube unterstützt den oft kindlichen Stil und spielenden Charakter dieser Konstruktion. Es gibt aber einen deutlichen Unterschied zwischen der vollständigen oder teilweisen Wiederholung von bestehenden Wörtern und der Wiederholung von Silben, die im Lexikon außerhalb solcher Zweierpaare nicht existieren. In den letzteren wird die reiterative Bedeutungsfärbung nicht notwendigerweise impliziert, und eine solche Silbenreduplikation, die im Wortschatz der Kinderstube und in der Übergangssprache zwischen Kindern und Erwachsenen häufig auftritt, erfüllt eine andere Funktion. Durch die Wiederholung derselben Silbe signalisieren Kinder, daß ihre Phonation nicht Lallen, sondern eine sprachliche Mitteilung an ihren erwachsenen Gesprächspartner ist, und durch Reduplikation erkennt das Kind eine an es
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gerichtete Mitteilung. Die Reduplikation hilft ihm, die Mitteilung zu entschlüsseln. Der Prozeß der Reduplikation ähnelt hier der Iteration von sprachlichen und anderen akustischen Signalen bei navigatorischer Fernkommunikation. Eine solche Reduplikation "a pour fonction de signifìer la signification", wie Lévi-Strauss (1964: 345f.) bemerkt hat. Eine große Anzahl von Einheiten, die nur in Reduplikationen gebraucht werden, sind entweder onomatopoetische Nachahmungen von natürlichen oder instrumentalen Lauten oder metonymische Bezeichnungen f ü r deren Erzeuger oder für diese Laute begleitende Tätigkeiten (vgl. die umfassende Überprüfung solcher Lexeme von Gonda 1940). In der semantischen Funktion unterscheidet sich dieser Typ Iteration deutlich von den reduplizierten Formen, die aus einfachen, unabhängig existierenden Einheiten aufgebaut sind. Das Verhältnis zwischen den Funktionen von reduplikativen Wörtern und zwischen solchen Wörtern und anderen lexikalischen Schichten, die Stelle der reduplizierten Formen in verschiedenen Sprachstilen und die geographische Verteilung der verschiedenen Relationen— das alles sind Probleme, die man jetzt erst mit genug Präzision zu untersuchen beginnt. Wir brauchen gründliche monographische Studien über den Stellenwert und den Charakter dieser sonderbaren Worttypen in verschiedenen Sprachen. Nils Thuns Dissertation (1963), Reduplicative Words in English, die auf einer Sammlung von etwa 2000 Belegen von (1) "identischer Reduplikation", (2) Reduplikation mit einem Ersatz der anlautenden Konsonanten und (3) Reduplikation "mit einem Wechsel des Stammvokals" beruht, stellt uns vor zahlreiche ungelöste Probleme. Insbesondere wirft dies die Frage der funktionalen Verteilung dieser drei Reduplikationstypen, sowohl im Englischen als auch in anderen Sprachen der Welt, auf und weist auf die Notwendigkeit hin, nach den Strukturregeln der konsonantischen und vokalischen Alternationen im Englischen und in jeder Sprache, in der solche Alternationen bestehen, zu suchen. Wörter, die der Reduplikation unterworfen sind, sind in ihrer Form und in ihrer Bedeutung gesteigert. Sie sind "kursiv gedruckt". Die Dissimilation der anlautenden Konsonanten macht die iterativen Verstärkungen leichter erkennbar und verleiht der Reduplikation im Russischen beispielsweise einen etwas spielerischen, ostentativen Beigeschmack und zuweilen einen ironischen, abwertenden Charakter. So bedeutet zakón 'Gesetz', zakón-makón 'eine frivole, respektlose Art Gesetz' und sifilis-pifilis 'ein Nichts wie Syphilis'. Die umfassende Rolle der Reduplikation, mit dem Wechsel identischer Konsonanten im Russischen und in einigen anderen slawischen Sprachen, beruht auf dem türkischen Modell; und im slawischen wie auch im türkischen
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Gebiet unterliegt die Dissimilation von Konsonanten einer Reihe von strengen Regeln, die die Nebeneinanderstellung von gepaarten Wörtern besonders deutlich machen. In russischen Paaren von alternierenden anlautenden Konsonanten gehört die führende Rolle den labialen (dunklen diffusen) Konsonanten, insbesondere dem Nasallaut /m/. Die zwei alternierenden Konsonanten können nicht beide hell (dental), beide dunkel (labial) oder beide kompakt (velopalatal) sein; so liegen die drei Gipfel des Konsonantendreiecks der Dissimilation zugrunde, abgesehen von Ausnahmefällen mit Kombinationen von nasalen und nichtnasalen Labiallauten: z.B. barän-marän, 'ein nichtsnutziger Widder' (vgl. RJ V: 343f.). Das grundlegende Ordnungsprinzip der Vokalalternation in Sprachen, wo sie in reduplikativen Wörtern gebraucht wird, ist (vgl. oben, S. 199) der Übergang von einem diffusen Vokal, besonders /i/, zu einem kompakten. (Vgl. die überwiegende Vorherrschaft von / als erstem der Wechselglieder im Englischen [z.B. Thun 1963: 220] und andererseits die seltenen von Gonda zitierten Erscheinungen wie javanisch djas-djis 'wertlos' und tar-tir 'gegen etwas laufen' [1940: 189]). Das englische reduplikative flip-flap (oder flip-flop), mit den regelmäßig alternierenden Vokalen, von denen der eine diffus und der andere kompakt ist, besteht eigentlich aus zwei Formen (entweder verbal oder nominal), die verschieden aber verwandt sind, dank des gemeinsamen Konsonantenrahmens und der Bedeutungsnähe. Diese beiden Faktoren genügen, um das Verhältnis derselben Wörter, auch wenn sie einzeln gebraucht werden, aufzudecken. In ein und derselben Sprache zeigen viele Wörter verblüffende Ähnlichkeiten sowohl in Laut als auch Bedeutung und egal ob diese sprachlichen Verbindungen auf eine genetische Verwandtschaft zurückzuführen sind oder nicht, empfinden die gewöhnlichen Mitglieder der Sprachgemeinschaft die äußere und innere Affinität zwischen solchen Vokabeln intuitiv: "die Tendenz der Formen, sich nach anderen Formen mit ähnlichen Bedeutungen zu gestalten, und die der Bedeutungen, sich nach anderen Bedeutungen zu gestalten, ist universell", wie Dwight Bolinger, der Experte der Entdeckung und Interpretation dieser "verbalen Affinitäten", die auf "der Gruppierung von ähnlichen Bedeutungen um ähnliche Laute" beruhen, hervorgehoben hat. Drei Jahrhunderte nach den anfänglichen Versuchen von John Wallis (1653) war es Bolinger, der für eine solche Interpretation des englischen Lexikons Beachtliches geleistet hat (eine Reihe von Studien, die in seinem 1965 erschienenen Buch zusammengefaßt sind). Flap und ftip gehören nach Bolinger (1965; 245f.) zwei "Wortkonstellationen" an: "die Familie von slap, clap, rap, tap, flap und lap be-
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zeichnet Handlungen, bei denen man gegen etwas schlägt und dann abgleitet", während "durch die Gruppe nip, clip, tip, sip, dip, grip, pip, quip, yip (gegenüber yap), flip (gegenüber flop [und flap]), drip (gegenüber droop und drop) an einen leichten hellen Schlag erinnert wird". Der postvokalische labiale Verschlußlaut am Ende des Einsilbers wird wie ein 'Schlag' empfunden, und die Opposition von /i/ gegenüber /ae/ scheint eine kürzere Handlung zu suggerieren. Sowohl flap (flop) als auch flip gehören der Familie von anlautenden flVerbindungen an, denen Bolinger wiederholt seine Aufmerksamkeit geschenkt hat (S. 198, 207, 217), und die Jespersen (Language, 1922b: Kapitel 20) früher als Ausdruck der Bewegung ausgesondert hatte; er führt flow, flap, flake, flutter, flicker, fling, flit, flurry, flirt an (Abschnitt 5; vgl. Marchand 1959: 154, 266f.). Bolinger umriß die Prinzipien einer sui generis synchronen Etymologie. Zusammenstellungen von Phonemen, die einer Reihe von Wörtern gemeinsam sind und auf eine stärkere oder vagere semantische Wechselbeziehung hindeuten, hat er in seiner verbalen Analyse als "submorphemische Differenzierer" herausgestellt; Markeil und Hamp (1960-61: 1) bezeichneten sie auch als "Psychomorphe", während Householder (1946: 83) den Ausdruck "Phonästhem" gebrauchte und behauptete, daß etwa 15 Prozent der Einsilber des Standardenglsichen mit einem Akzent auf /X/ zu Phonästhemen gehören oder zumindest durch sekundäre Assoziationen mit ihnen verbunden sind. Bei der Diskussion von Householders Ergebnissen wies Giuliano Bonfante darauf hin, daß im Lateinischen und Indo-Germanischen kurzes /ä/ "fast ausschließlich in Wörtern einer besonderen Art, die sich auf Krankheiten und körperliche Gebrechen oder infantile Ausdrücke beziehen, zu finden ist", und daß in allen deutschen Wörtern, vielleicht mit der einzigen Ausnahme von deutsch, der Laut Iii "eindeutig expressiv ist" (1939: 84). Dank der Expressivität der betreffenden Lautgruppen und der Prägnanz solcher "Submorpheme" zieht diese Klasse (wie Beobachter bemerken) auch womöglich neue Mitglieder an durch Entlehnung oder durch Neologismen und unterstützt zugleich das Überleben der älteren Mitglieder der Klasse; so kann sie eine größere semantische Kohärenz erreichen. Es besteht in der Tat eine Interaktion zwischen dem, was Bolinger "Lautevozierung" und "der Schöpfung von einer Art Spielmarken oder Werkzeugen, die im wesentlichen nicht an etwas erinnern, sondern manipulierbar sind" (1965: 192f.). Was sie auch sein mag, die offensichtliche oder latente Rolle, die der "innere Wert", nämlich der Zauber der Sprachlaute spielt, ist unbestreitbar.
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Bolinger betrachtet nicht nur kontinuierliche und diskontinuierliche Verbindungen, z.B. /str-p/, was in strip, strap, strope, stripe auf eine "Linie mit Breite" verweist, oder /sp-t/, was in spit, spate, spout auf einen "Flüssigkeitserguß" (S. 224) verweist, als submorphemische Differenzierer, sondern er bemerkt auch, daß an gewissen Stellen einzelne Phoneme ähnlich behandelt zu werden scheinen, z.B. das gespannte / u / in Wörtern, die "Dummheit suggerieren" — rube, boob, galoot, loon, das Verb moon, nincompoop, stooge, coo-coo, goof, spoof, usw. (S. 200). Man kann wohl hinzufügen, daß solche submorphemischen Differenzierer innerhalb lexikalischer und grammatischer Morpheme, nämlich innerhalb von Affixen vorkommen. So können, wie wir oben (S. 59) gesagt haben, unter den russischen Deklinationsendungen nur die Endungen von zwei 'Randfällen', dem Instrumental und dem Dativ, das Phonem / m / enthalten, wogegen die polnischen Endungen des Instrumentals einem submorphemischen Differenzierer einen obligatorischen Charakter zuweisen und dessen Größe auf eine subphonemische Merkmalsebene reduzieren. Jede Endung des polnischen Instrumentals muß das Nasalitätsmerkmal enthalten, das in einer einvokalischen Endung durch Nasalität des Vokals und sonst durch das Phonem / m / getragen wird (RJ II: 181). Hans Marchand, der "der phonetischen Symbolik in der englischen Wortbildung" eine detaillierte Studie widmete, behauptet, daß er Wurzeln in ihre Bestandteile zerlegte: seiner Meinung nach sind Wurzeln nicht unteilbare Einheiten, sondern Zusammensetzungen, wie z.B. flash und fl-ick, mit einer Modifikation der Vokale bzw. Konsonanten (1959: 153). Er teilt die so gewonnenen Komponenten in anlautende und auslautende Symbole, die in der ersten Gruppe aus alliterativen Lauten oder Verbindungen und in der zweiten aus "ihren sich reimenden Gegenstücken" bestehen (S. 155ff., 264ff.), und er schreibt beiden Klassen solcher verschiedenen Lautsymbole die Fähigkeit zu, tatsächliche Wortaffinität herzustellen. Trotzdem stellt er "die bisherige Unmöglichkeit, herauszufinden, worauf die Symbolik beruht" fest. In seiner früheren Arbeit (1957: 56) postulierte Marchand, daß "die der Ablautvariation zugrundeliegende Symbolik die der Polarität, die verschiedene semantische Aspekte annehmen kann, ist". Gleichermaßen bestand Morton Bloomfield (1953: 160f.) auf der Wichtigkeit der "semantisch-lautlichen Parallelität", die "sich wahrscheinlich auf einer unbewußten Ebene bewegt". Bei der Beschreibung von Sprachen mit einer "exotischen" Struktur bietet sich manchmal die Zerlegung von Wurzeln in kleinere bedeutungsvolle Einheiten mit ihrem lautsymbolischen Wert an. In sei-
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ner Arbeit über die "sehr große Wortklasse" von "Expressiven" (oder "Ideophonen") im Semai, einer austroasiatischen Sprache, widerlegte Diffloth die Beweise, da/3 weder Expressive noch gewisse Verben und ihnen verwandte Substantive der Bedingung der "lexikalischen Diskretheit" unterliegen. Die Frage tauchte auf, ob man nicht bereit sein sollte, "die konventionellen Vorstellungen von Wurzel und Morphologie aufzugeben" (1976: 261). Vielleicht der beeindruckendste Versuch, die lautsymbolischen Bestandteile von grammatischen unauflösbaren Einheiten aufzuzeigen, war die vorläufige Arbeit von Gladys Reichard über "Komposition und Symbolik in Verbstämmen der Coeur d'Alene-Sprache" (1945). Neben der vokalischen Symbolik, die in einigen Verbkategorien zu erkennen ist, deckt diese Studie eine konsonantische Symbolik auf, die eine ähnliche spezifizierende Wirkung auf die Bedeutung eines Stammes aufweist, egal ob der Konsonant im An- oder Auslaut steht. Reichards Meinung nach "sind die Anregungen, die eine solche Analyse liefert, faszinierend und < . . . > lohnend, besonders wenn man sie vergleicht mit ähnlichen Versuchen, die phonetische Struktur von Stämmen zu zerlegen, um die Laute auf Bedeutungen zu beziehen, wie man dies mit anderen Sprachen, z.B. Englisch, hauptsächlich mit negativen Ergebnissen gemacht hat" (S. 53).
Der lautsymbolische Ablaut Die morphologische Verwendung der Merkmalssubstitution in gewissen Konsonanten oder Vokalen innerhalb der Wurzel eines Wortes und manchmal auch innerhalb seiner Affixe ist ein besonderes Beispiel des Gebrauchs einzelner Lautunterschiede im unmittelbaren Dienst grammatischer Bedeutungen. Dieser lautsymbolische Ablaut hat seine größte Ausbreitung in Amerika gefunden, besonders im Nordwesten, wo die Untersuchung dieses Phänomens unterschiedliche Ausbreitungsschichten und -richtungen aufgezeigt hat (vgl. z.B. Nichols 1971: 837ff., und Haas 1970). Während in Amerika hauptsächlich die inhärenten Merkmale von Konsonanten oder weniger häufig von Vokalen solchen Änderungen unterliegen, sind die wichtigsten Alternationen dieses Typs in Afrika hauptsächlich in den prosodischen Merkmalen zu finden. Vgl. Westermanns Verweise 1927 und 1937 auf die Opposition von Tiefton gegenüber Hochton im Yoruba, um den Unterschied zwischen groß und massig gegenüber klein und schlank zu bezeichnen, mit verschiedenen metaphorischen Bedeutungsänderungen, z. B. bin 'groß sein', bin 'klein sein', suru 'groß sein', sürü 'klein sein', gborb
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'breit sein', gbörö 'eng sein', kibiti 'großen Formats', kibiti 'kleinen Formats'; siehe auch Westermanns ähnliche Beispiele aus Ewe (1927: 323; 1937: 193) und Wescotts Beobachtungen über "tonale Abbilder", im Bini (Nigeria) einheitlich hochtonige Adverbien für "hoch, dünn, fest" gegenüber tieftonigen Adverbien für "kurz, dick, locker" (1973). Es gibt außerdem in Ewe eine analoge Verwendung der qualitativen Unterschiede zwischen dunklen und hellen Vokalen (Westermann 1927: 324ff.; 1937: 171). Im Avatime entsprechen ungespannte Konsonanten großen Gegenständen und gespannte Konsonanten kleinen: töto 'mit kleiner Öffnung' — dödö 'mit großer Öffnung', kpökpo 'dünn'—gbögbo 'dick' (vgl. in Ewe kpöviö kple gbovib\ 'hier und da [nah und fern]'), mit einer "Parallelität von Hochton und Fortis, Tiefton und Lenis" in den beiden Sprachen (S. 327). Besonders aufschlußreich sind Westermanns Bemerkungen über kompakte Konsonanten (1937: 205): "Für den Konsonanten g in Lautbildern des Ewe ist nicht sein Charakter als Lenislaut, sondern als der eines energischen hinteren Explosivlauts maßgebend. Der akustische Eindruck des stimmhaften Verschlußlautes g ist ein entschieden schärferer als z.B. der des stimmhaften Verschlußlautes b. Er bezeichnet dementsprechend das Starke in der besonderen Bedeutung des Krummen, Sperrigen, Widerstrebenden, des Gewaltsamen und Widerspenstigen, in erster Linie vor a " (vgl. oben, S. 109f.), und x erhält wiederum eine ähnliche semantische Bewertung (1937: 208). Ein seltenes Beispiel der europäischen Verwendung eines produktiven lautsymbolischen Ablauts ist die baskische Bildung von Verkleinerungsformen durch die Erhöhung (Palatalisierung) von Dentallauten und manchmal Velarlauten (Lafitte 1962: 147). Johanna Nichols detaillierte Übersicht der Konsonantenalternationen in westlichen nordamerikanischen Sprachen (1971) ist ein wertvoller Beitrag zu der zukünftigen systematischen Analyse dieser eigenartigen und komplexen Reihe von Lautverschiebungen und liefert eine geordnete Sammlung von bislang verstreuten linguistischen Beobachtungen über amerikanische Indianersprachen. Trotzdem sind eine systematische Analyse der durchgemachten Lautwandel und ihrer semantischen Bedeutungen und eine klarere Auffassung der verschiedenen Stadien bei der Entwicklung der ständig produktiven oder bloß übriggebliebenen Ablautregeln noch notwendig. Es sei hier aber wiederholt, daß die vielen beträchtlichen Lücken in den verfügbaren Materialien den Forscher bei der Suche nach einer exakteren Antwort auf alle diese Fragen hindern. In Bezug auf das semantische Ausmaß der beiden Abstufungsrichtungen (dimunitiv, augmentativ) bemerkt Nichols, daß die durch di-
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minutive Verschiebungen übermittelten Bedeutungen "nur den Kontrast groß/klein kennzeichnen können oder Erweiterungen dieses semantischen Bereichs wie hell/dunkel, leicht/schwer, schnell/langsam, nahe/weit und affektive und pejorative Bedeutungen beinhalten" (S. 828). Das Hauptthema von Nichols' Abriß ist die "dimunitive Konsonantensymbolik"; diese ist der natürliche erste Schritt, weil sich die diminutive Bedeutung in ihren verschiedenen Nuancen und metaphorischen und metonymischen Erweiterungen als die am weitesten verbreitete der zur Diskussion stehenden Verschiebungen erweist. Die entgegengesetzte Funktion solcher Lautalternanzen ist der Aufbau von augmentativen Formen, aber in Sprachen mit bloß zwei Gliedern der lautsymbolischen Abstufung wird der Gegensatz auf die diminutive gegenüber einer neutralen Bedeutung beschränkt, oder die neutrale Bedeutung steht einer 'merkmalhaften' Kategorie, die Nichols (S. 827) als "affektiv" bezeichnet und "sowohl diminutiv als augmentativ u m f a ß t " , gegenüber. So besitzen alle Sprachen mit einer augmentativen Kategorie auch eine diminutive: "eine augmentative Verschiebung setzt eine diminutive Verschiebung voraus" (S. 827). In Sprachen, die neben der neutralen Kategorie die diminutive und die augmentative besitzen, ist die diminutive gewöhnlich durch eine größ e r e Anzahl von lexikalischen Beispielen als die augmentative vertreten. Besonders hilfreich f ü r das Verständnis des lautsymbolischen Ablauts in einzelnen Sprachen sind detaillierte und sorgfältige Beschreibungen wie die der Dakota-Sprache, die Franz Boas in Zusammenarbeit mit Ella Deloria zusammengestellt hat, einer aufmerksamen, einheimischen Forscherin, die mit der allumfassenden Symbolik ihrer Muttersprache und ihrer Kultur bestens vertraut war. Laut Boas und Deloria "weist der Wortschatz der Dakota-Sprache deutliche Spuren einer uralten Lautsymbolik auf. Dies ist kein lebendiger Prozeß mehr, kann aber belegt werden durch viele Beispiele" von Wörtern, bei denen die zischenden (hellen kompakten) Dauerlaute zu hissenden (hellen diffusen) Dauerlauten werden, um von einem bestimmten neutralen Intensitätsgrad zu einem niedrigen diminutiven Grad fortzuschreiten; ebenso deutet die Änderung der zischenden (hellen kompakten) Dauerlaute zu den entsprechenden velaren (dunklen kompakten) Dauerlauten den höchsten, augmentativen Intensitätsgrad (1941: 1, 16f.) an: diminutiv suza, 'es hat eine leichte Prellung'—neutral suza 'es hat eine schwere Prellung'—augmentativ xuya 'es ist gebrochen'. Es kommen Formen mit den analogen Vokalalternanzen eines diffusen, diminutiv orientierten i gegenüber dem neutralen hellen kompakten e und einem dunklen kompakten, augmentativ abgestuften a vor:
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kpi, kpz, kpa "die der Reihe nach ein leises Knistern, das Geräusch des Aneinanderschlagens zweier Stöcke und ein lautes Geräusch wie ein Feuerwerk bezeichnen" (S. 1). Die Mitautorin von Boas' Memoir, Ella Deloria, verband diese drei Vokale kategorisch mit Farben: /i/ mit weiß, /e/ mit gelb und /a/ mit rot (Reichard et al. 1949: 231). "Die Wichtigkeit des in der Dakota-Sprache ausgedrückten akustischen Sinn kommt besonders in den verschiedenen Formen der Lautsymbolik zum Vorschein" (Boas und Deloria 1941: 1) und in "der besonderen Art der Synästhesie zwischen Laut, Sehen und Fühlen" (Boas 1938: 132, und Boas und Deloria 1941: 1); diese Wechselbeziehung kommt in der parallelen Alternanz der DakotaSprache zwischen Farben und den sie bezeichnenden Konsonanten deutlich zum Ausdruck: zi 'es ist gelb' — zi 'es ist gelbbraun'—yi 'es ist braun' (1941: 18). G. H. Matthews' interessante Bemerkungen (1970: 102ff.) über die Lautsymbolik in den Sioux-Sprachen ergänzen Boas' und Delorias Daten: "Was wir hier sehen, ist eine ziemlich direkte Entsprechung zwischen Laut und Bedeutung, d.h. das Auftreten eines dentalen, palatoalveolaren oder velaren kontinuierlichen Obstruenten im Stamm entspricht einem Aspekt der Bedeutung des Stammes, die als diminutiv, normal bzw. augmentativ bezeichnet werden könnte" (vgl. seine Dakota-Beispiele ptüza 'gebogen', ptüza 'gesprungene, aber nicht abgebrochene Stücke', ptüya 'abgebrochene Stücke'). "Diese Lautsymbolik könnte in der Dakota-Sprache als semi-produktiv bezeichnet werden, d.h. viele Sprecher sind sich ihrer bewußt und können neue Stämme in Analogie zu bereits bestehenden Stämmen und der Lautsymbolik produzieren. Aber diese neu geschaffenen Stämme werden zum größten Teil in Witzen oder Wortspielen benutzt und werden normalerweise nicht richtig in die Sprache aufgenommen." Matthews verweist auf andere Sioux-Sprachen, in denen "die Lautsymbolik keineswegs produktiv ist, obwohl es eine Anzahl von Paaren und einige Tripel von Stämmen in diesen Sprachen gibt, die sie deutlich aufweisen". Dagegen hat die Lautsymbolik in der Unterfamilie, Mississippi Valley Sioux, womöglich "einen gewissen Grad von Produktivität". Bei der Diskussion der Lautsymbolik behauptete Boas (1938: 132), daß "es keineswegs sicher ist, daß dieselben Eindrücke in allen Sprachen übermittelt werden, aber ähnliche Erscheinungen nicht selten sind". Außerdem entdeckten Sapir (1911: 645f.) und Nichols (1971: 838) ein wichtiges Prinzip: das Vorhandensein einer konventionellen grammatischen Alternanz in einer gegebenen Sprache scheint das Auftreten eines identischen lautsymbolischen Ablauts in derselben Sprache auszuschließen und so den Vorrat solcher Ablaute zu begrenzen.
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Im amerikanischen lautsymbolischen Ablaut spielt eben die Alternanz der Obstruenten die primäre Rolle, obwohl vokalische Alternanzen zwischen Vokalen und zwischen liquiden und nasalen Sonorlauten auch vorkommen. In den verschiedenen Arten des Konsonantenablauts alternieren scharfe Konsonanten entweder miteinander oder mit nicht-scharfen, milden. Solcher Art ist beispielsweise der Wechsel der uvularen Affrikata [q] und dem Velarlaut [k] (Tillamook waqaq 'Frosch'— wüwekek 'Fröschchen') und die weitverbreitete Alternanz von [1] mit der lateralen Affrikata [\]. Bei dem diminutiven Konsonantenablaut sind keine Wechsel zwischen dunklen und hellen Konsonanten und bei dem dunklen Konsonantismus keine Wechsel zwischen diffusen und kompakten erlaubt. Die einzigen alternierenden, den abrupten Konsonanten (Verschlußlauten und Affrikaten) eigenen Merkmale sind die Oppositionen gespannt ~ ungespannt und gehemmt ~ ungehemmt (vgl. oben, S. 158ff.). So sind die einzigen gebräuchlichen axialen Gegensätze fast immer die zwischen hellen diffusen und hellen kompakten. Die veränderlichen kompakten Konsonanten setzen den diffusen Charakter ihrer Gegenstücke im Ablaut immer voraus. Die diffusen Konsonanten in solchen Ablauten setzen wiederum den kompakten Charakter ihrer Gegenstücke voraus, mit der Ausnahme der Alternanz [s] ~ [c], die laut Nichols (S. 828) durch einige wenige und ziemlich unsichere Beispiele in der nördlichen Paiute-Sprache, im Nez Perce und im Wishram belegt ist. Außerdem werden auch seltene Fälle von scharfen Laterallauten in einem Ablautverhältnis zu Sibilanten vermerkt. Die Richtung des Lautwandels von der neutralen zu der diminutiven Form kann schwanken, und umgekehrte Tendenzen bei der Verteilung von alternativen Formen sind in verschiedenen amerikanischen Sprachen, die einen lautsymbolischen Ablaut benutzen, zu beobachten. Die bevorzugten und häufigsten Schemata helfen, die allgemeinen Faktoren aufzudecken, die der Zuweisung der Alternativen zugrundeliegen. Z.B. die bevorzugte diminutive Funktion der diffusen Konsonanten im Gegensatz zu der neutralen Funktion der kompakten findet eine klare und überzeugende Interpretation auf der auditiven, perzeptiven Ebene und liefert damit neue Beweise für Nichols Überzeugung, daß eine motorische, "kinästhetische Grundlage für die Symbolik nicht nötig ist" (S. 834). Die Umkehrungen bei der Wahl zwischen Lauten mit diminutiver und entgegengesetzter Funktion kann man mit den Relationen, die Lévi-Strauss bei amerikanischen Masken beobachtet hat, vergleichen: "Wie Mythen, die auf ihrem Weg von einer Völkerschaft zur anderen umgekehrt werden, so werden die plastischen Aspekte dieser Masken, die ein und
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diesselbe Mitteilung tragen, auch umgekehrt" (1975 II: 89; vgl. zu Merkmalsumkehrungen LW 1979a und oben S. 209f.). Der von Margaret Langdon (1971) beobachtete semantische Unterschied zwischen gespannten (stimmlosen) und ungespannten (stimmhaften) Laterallauten als "groß" bzw. "klein" in der Lautsymbolik der Ipai-Sprache und anderer Yuma-Sprachen findet eine adäquate Erklärung in der größeren Stärke und Dauer der gespannten Konsonanten (siehe oben, S. 148f.). Auf die Frage der Eignung von gehemmten, merklich gekürzten Konsonanten (siehe oben, S. 158f.) für die diminutive Symbolik hat Dell Hymes in einer privaten Mitteilung an Langdon (I.e. 172) hingewiesen.
Die Sprachlaute im mythopoetischen Gebrauch Im Vergleich zu den verschiedenen, in unserer Übersicht oben kurz skizzierten Formen des lautsymbolischen Ablauts können radikalere Mittel, die die regelmäßige Hierarchie im Verhältnis zwischen Laut und Bedeutung unterbrechen, in "abnormalen Sprachtypen" ans Licht gebracht werden, laut Sapir, der schon 1915 diesem Fragenkomplex eine aufschlußreiche Studie (1949: 179-196 wiederabgedruckt) widmete. Nach fünfjähriger ethnologischer und linguistischer Forschung hauptsächlich bei den Nootka-Indianern legte er seine Daten vor, und es war seine Absicht, "die allgemeine Klasse sprachlicher Erscheinungen aufzuzeigen, < . . . > um ihnen etwas von ihrer Bizarrheit zu nehmen, indem ihnen Parallelen mit einem allgemeineren Charakter beigegeben wurden" (S. 180). Seine Bemerkung, daß "das Konsonantenspiel zum Ausdruck von Einstellungsmodalitäten zweifellos ein fruchtbares Untersuchungsgebiet in der amerikanischen Sprachwissenschaft ist und mehr Beachtung erhalten sollte als dies bisher der Fall war" (S. 186), ist heute noch relevant. Sapirs zentrales Thema ist der Brauch der Nootka-Indianer, "in der Sprache eine physische Eigenschaft der Person, die man anspricht oder über die man redet [anzudeuten], teilweise durch ein 'Konsonantenspiel' < . . . > [das] darin besteht, daß gewisse Konsonanten eines Wortes, in diesem Fall Sibilanten, in andere, ihnen phonetisch verwandte, verwandelt werden, oder indem bedeutungslose Konsonanten oder Konsonantenverbindungen in das Wort eingeschoben werden". Wenn man zu oder von einem Kind spricht, fügt man gewöhnlich "das übliche Diminutivsuffix - 7s an Verbformen oder andere an, auch wenn das betreffende Wort an und für sich nichts Diminutives enthält < . . . > Wenn man zu oder von dicken Leuten oder Leuten von
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ungewöhnlicher Körpergröße spricht, benutzt man das Suffixelement -aqh ähnlich wie das Diminutivsuffix -isn (S. 180f.): helle diffuse Vokale und Konsonanten dienen zur Hervorhebung des diminutiven Suffixes und dunkle kompakte zur Hervorhebung des augmentativen. Dasselbe Diminutivsuffix wird zusammen mit einer Konsonantenänderung der Wörter benutzt, um Wesen mit sichtbaren Mängeln zu kennzeichnen. Wörter, die sich auf abnormal kleine Menschen (z.B. Zwerge) beziehen, werden mit einer Palatalisierung (Erhöhung) aller hissenden und zischenden Sibilanten (zusätzlich zum Suffix) ausgesprochen. Ein approximatives Analogon zu dieser Art von Wortbildung mit einem Suffix und einem Lautwechsel könnte man vielleicht in der Behandlung des deutschen Diminutivsuffixes -chen sehen, welches, wie Leonard Bloomfield 1930 hervorhob, auch eine ungewöhnliche Konsonantenalternation enthält. Aber im Deutschen, im Gegensatz zur Nootka-Sprache, tritt die Alternation im Suffix selber auf. Am Anfang dieses Diminutivsuffixes kommt ein palataler Dauerlaut vor, der sich von dem entsprechenden velaren Dauerlaut unterscheidet, welcher in derselben Lautfolge anderswo auftritt: in dem Wort Kuhchen steht ein palataler Dauerlaut am Anfang des Diminutivsuffixes -chen, das an die Wurzel Kuh angehängt wird, während in dem Wort Kuchen ein velarer Dauerlaut auftritt (siehe die bisherige Diskussion zu dieser Frage, die 0 . Werner 1972: 48 zusammengefaßt hat). Wenn man in der Nootka-Sprache von Menschen mit einem Augenfehler (den Schielenden, und denen, die irgendeinen anderen Augendefekt haben, aber nicht blind sind) redet oder auch solche Leute anspricht, benutzt man, wie Sapir hervorhebt, Wörter, in denen alle Sibilanten zu den entsprechenden stimmlosen Laterallauten verändert werden; so "wird das Diminutiv - 7s selbst zu - W . Wenn man von Buckligen redet oder sie anspricht, werden die gewöhnlichen Sibilanten verändert, indem sie mit vorgeschobenem Unterkiefer ausgesprochen werden. Man spricht von Menschen mit irgendeiner Mißbildung der Extremitäten, indem man einen besonderen, zumindest teilweise zischenden Sibilanten als Infix gebraucht. Die genaue Stellung des Infixes im Wort "hängt anscheinend von der jeweiligen Laune des Sprechers ab", wohingegen f ü r Linkshänder und für beschnittene Männer und f ü r geizige, gierige und gefräßige Leute (d.h. Wesen mit langen Händen oder mit langen Schnäbeln) das Infix nach der ersten Silbe des Wortes eingefügt wird. In diesem Fall (dem einzigen verzeichneten Fall ohne Entstellung des Körpers) gibt es kein Diminutivsuffix. Dieselben Einsetzungen von Sibilanten und sibilantischen Infixen werden
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verwendet, wenn man von solchen Tieren wie Hirschen, Nerzen, Raben, Sperlingen oder Zaunkönigen spricht, besonders wenn sie in mythologischen Erzählungen auftreten. Ähnliche Arten von "Konsonantenspielen als Stilmittel der Mythologie" werden in Bezug auf übernatürliche Wesen gebraucht. Sapir zitiert Boas' Material über den Nerz der Kwakiutl, "einen Gauner, der regelmäßig alle vorderen Palatallaute in die entsprechenden Sibilanten verwandelt" (S. 187). In seinem Kommentar zu der Nootka-Studie kommt Frachtenberg (1920) zu dem Schluß, daß die angeführten Formen von ungewöhnlichen Sprachen "sich nur auf physisch abnormale Menschen und auf mythologische Wesen oder Tiere beziehen" (S. 296). Es sei hier erwähnt, daß die mythologischen Verbindungen der physischen Abweichungen, ob erwünscht oder unerwünscht, keine Fälle von schweren Gebrechen wie Blindheit, Taubheit, das Fehlen der Füße usw. einschließen. Sapirs Verweis auf "die bekannte amerikanische Angewohnheit, einen Menschen, der durch irgendeine Besonderheit des Temperaments oder des Charakters gekennzeichnet ist, mit einer beliebten mythologischen Gestalt zu vergleichen" (S. 192) und auf "die tölpelhaften Episoden von Ritualien, die für Amerika so typisch sind", ist ein brauchbarer Schlüssel zum Verständnis der Beziehungen zwischen den ähnlichen Konsonantenspielen, die auf "mythologische Charakterformen" angewandt werden sowie auf magische oder traditionell mit der Mythologie in Verbindung gebrachte Tiere und auf die abnormalen, ungewöhnlichen Menschen, die in engem Zusammenhang mit den höheren Mächten stehen und von diesen beschützt werden. Die oben besprochenen eigenartigen Lautspiele weisen eine Etiquette von signifikanten, untrennbaren Verbindungen auf, die in einer spöttelnden und zugleich ehrfurchtsvollen Haltung gegenüber der übernatürlichen Welt besteht. Menschen, über die man unter Verwendung eines absichtlich gewählten seltsamen Lautmittels spricht oder die man so anredet, sind "von Natur aus abgesondert, weil sie in irgendeiner Hinsicht hinter dem normalen Typ des Individuums zurückbleiben", und werden gleichzeitig "als minderwertig gebrandmarkt" (S. 185) und als mit den höheren Naturgewalten verbunden. Sapir begriff intuitiv, daß die entgegengesetzten Modalitäten der Einstellung, die durch Konsonantenwechsel und -hinzufügung ausgedrückt werden, gleichzeitig solche unterschiedlichen Gefühle wie Verachtung, Zuneigung und Respekt (S. 186) beinhalten. Sapir sah auch ein, "daß ganz analoge Vorgänge als Stilmittel in amerikanischen Mythen und Liedern zu finden sind". Er weist darauf hin, daß:
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das Phänomen des Konsonanten- und Vokalspiels in Indianerliedern häufig belegt ist. Die Aussprache beim Singen ist ein äußerst wichtiges, aber ziemlich vernachlässigtes Gebiet der primitiven Kultur < . . . > Liedertexte stellen oft eine verstümmelte Form der Sprache dar, aber die Untersuchung der Besonderheiten von Liederformen zeigt im allgemeinen, dq/3 die normalen Sprachformen modifiziert werden je nach Stilkonventionen, die für verschiedene Liedertypen variieren können. Manchmal findet man in Liedern Laute, die in der Sprache sonst nicht vorkommen. [1949: 188]
Sapir verweist auf besondere Liederlaute wie gewisse Sonorlaute— Laterale und Nasale—, die die Indianer unter normalen Umständen außerhalb von Liedern schwer aussprechen können. Auf Grund seiner umfangreichen Feldforschung fand George Herzog, daß in den Liedern der Pima-Indianer (Arizona) stimmlose Vokale der gewöhnlichen Sprache stimmhaft werden, Vokale eingefügt und Verschlußlaute und Affrikaten häufig in die entsprechenden Nasallaute verwandelt werden, von denen der eine, das palatale [n], "nur in der Dichtung und gar nicht in der gewöhnlichen Sprache zu finden" ist (1946). (Für die Peyote-Lieder, vgl. Nettl 1953, und f ü r die Einsetzung von anlautendem vorvokalischen Jot oder [x], die in russischen Volksliedern häufig vorkommt, siehe Bogatyrev 1962 und RJ IV: 533f.). Der Gebrauch von Konsonantenverschiebungen beschränkt sich in einigen Sprachen, z.B. in gewissen Sahaptin-Mundarten (im südlichen Teil von Zentral-Washington (Staat)) auf die "rhetorische Mythenerzählung, was sie von der normalen Sprache unterscheidet" (siehe Jacobs 1931). Die Hervorhebung der mythologischen Gestalten durch konventionelle Lautverschiebungen ist besonders wichtig, wenn sie Sprachlaute einführt, die dem gewöhnlichen System der gegebenen Sprache fremd sind. Laut Frachtenberg (S. 297) werden in der nordwestamerikanischen Quileute-Sprache alle Sibilanten in Wörtern, die sich auf den mythologischen Hirsch beziehen, durch Laterallaute ersetzt, und in Äußerungen der Rabenfrau werden [d] und [1] zu [n] und [b] zu [m]: "diese abnormalen Formen sind die einzigen Belege im Quileute, wo die Nasallaute m, n vorkommen", da diese beiden Nasallaute immer durch / b / bzw. / d / vertreten sind. Vgl. eine analoge mythologische Änderung von stimmhaften Verschlußlauten in Nasallaute in einigen Mundarten von Puget Sound (siehe oben S. 144). Konsonanteneinfügungen oder Wandel in der Sprache von mythischen Tieren oder über dieselben können in verschiedenen amerikanischen Indianersprachen beobachtet werden, z.B. im Takelma von Sapir (1922: 8), und in Nez Perce und Coeur d'Alene von Aoki (1970: 7f.;
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1975: 190). Besonders bemerkenswert sind Margaret Langdons Überlegungen über "Die Tiersprache im Cocopa" (1978), aus denen sie schließen kann, daß "Tiergestalten in der Folklore und Mythologie der Cocopa-Indianer ihre eigene charakteristische Sprechweise haben, wobei jedes Tier mit seinem Lieblingskonsonanten assoziiert wird", und so wirft sie die Frage auf, ob solche Konsonantenänderungen in der Sprache von diesen oder über diese heiligen Tiere in der ganzen Familie der Yuma-Sprachen existiert haben (S. 13).
Das Sprachtabu Die weitreichenden Fragen der Modifikationen und Kürzung der Wortgestalten, die durch sprachliche Tabuisierung verursacht werden, sind in der Tat eng verbunden mit den Problemen der lexikalischen Änderungen, die in den amerikanischen Indianersprachen vorkommen, wenn man von oder zu gewissen Wesen und Mächten spricht. Einerseits tarnen solche Änderungen das intendierte oder angesprochene Wesen; andererseits heben diese konventionellen Mittel, im Vergleich zu gewöhnlichen Formen, die bezeichnete Gestalt hervor und spezifizieren dieselbe auf gewisse Weise. Wie der bekannte Experte auf dem Gebiet der indogermanischen Etymologie Joseph Vendryes (1875-1960) hervorhob, konnten religiös motivierte Verbote gegen gewisse Substantive keineswegs den Wortschatz von den als böse eingestuften Wörtern reinigen. Sie konnten bewahrt werden, unter der Bedingung, dq/3 sie in ihrer Form geändert wurden, z.B. durch Umkehrung der Lautfolge, um sie zu verharmlosen [vgl. Fönagy 1956: 239]. Damit wird eine Anzahl von Zufällen in der Struktur gewisser Wörter erklärt vor allem in Tiernamen (besonders Namen von wilden Tieren, die von Jägern tabuisiert werden), Namen für Körperteile oder für physische Mängel und schließlich in religiösen Ausdrücken, die rituelle BegriiTe oder Handlungen bezeichnen. [1924: 383]
Wilhelm Hävers (1879-1961) widmete einen großen Teil (S. 117ff.) seiner detaillierten Monographie über das Sprachtabu den Ersatzmitteln und insbesondere Lautwandeln, der Einsetzung von Lauten oder Lautgruppen, der Metathese, Alternation oder Tilgung von an-, inoder auslautenden Lauten oder Lautverbindungen. Die Distanz zwischen der tabuisierten Wortform und deren Ersatz ist ein Aspekt des Verhältnisses zwischen den beiden Lautgestalten. Solange Sprecher die Verbindung zwischen der verbotenen Form und
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der Ersatzform spüren, gibt es Regeln, oder zumindest Dispositionen, gegen die Überschreitung einer gewissen phonischen Entfernung zwischen den beiden Gestalten. So verwendet beispielsweise das Tschechische mehrere Ersatzformen für die tabuisierten kirchlichen Ausdrücke sakra und Sakrament (Lateinisch sacra und sacrament), wobei die stimmlosen /s/ und / k / ausschließlich durch stimmlose Laute ersetzt werden, für /s/ noch zischend und f ü r das velare tschechische / k / noch dunkel, und die Sonorlaute /r/ und / m / werden durch die Liquida l\l bzw. den 'Halb-Sonorlaut' / v / ersetzt: safra, cakra (mit der anlautenden dentalen Affrikata), sakva, saprment (mit einem silbischen [r], cakrment, sakvament und sakulent. Unter den zahlreichen von E. C. Hills (1924) gesammelten amerikanischen Ausrufen gibt es eine deutliche Tendenz, daß durch Verschlußlaute ersetzte Verschlußlaute ihre ursprüngliche Ungespanntheit bzw. Gespanntheit beibehalten, und daß Sonorlaute durch Sonorlaute ersetzt werden. So wird God zu dod, dog, dig; Christ erscheint als crimp, cripes; damn wird zu dam, garn, ding, dum, dang, deen, been. Man kann hinzufügen, daß solange Sprecher die Verbindung zwischen der verbotenen Form und deren Ersatz spüren, die Ersetzung eines tabuisierten Wortes durch dessen abgeänderte Form ein bewußter oder unterschwelliger Ausdruck der Angst davor ist, durch die direkte, explizite Beschwörung einer übernatürlichen oder ominösen, böswilligen Macht oder durch das unmittelbare Nennen eines möglichen Opfers einer solchen Macht Gefahr, Unglück oder Böswilligkeit heraufzubeschwören. Fr. Specht bewertet das Sprachtabu als eine charakteristische Manifestation des Sprachzaubers (1940: 112ff.; 1944: 395), der oft mit einem spielerischen Beigeschmack kombiniert ist (vgl. Hävers 1946: 127). Solche "abnormalen Typen" der Verwendung von Sprachlauten wie die symbolischen Ablaute der amerikanischen Indianersprachen betreffen den potentiellen Adressaten, an den sich der Sprecher wendet; sie beziehen sich stets auf eine zweite Person, die entweder anwesend ist und angesprochen wird, oder die abwesend ist und über die gesprochen wird. Die abnormalen Lautwandel im Worttabu zielen darauf ab, das tabuisierte Nomen vor seinem Träger oder dem vermutlich unerwünschten Hörer zu verbergen. Die "männlichen und weiblichen Sprachformen" weisen ihrerseits den Sprachlauten eine völlig andere als bloß bedeutungsunterscheidende Aufgabe zu. In Sprachen, in denen sich die von Männern und Frauen benutzen Lautsysteme voneinander unterscheiden, identifizieren sich Frauen als Frauen, indem sie die Sprachformen und den Vorrat an Sprachlauten, der dem System der Männer eigen ist, vermeiden. In gewissen Sprachen gebrauchen Männer ähnliche Mittel
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der Selbstidentifizierung, aber diese Erscheinung ist weniger generell; und es gibt Sprachen, z.B. Yana (Nord-Kalifornien), in denen das spezifisch männliche System auf Männer im Umgang mit Männern beschränkt ist, wohingegen das weibliche System verwendet wird, wenn entweder der Sprecher oder der Hörer eine Frau ist. Die Ausbreitung und der Charakter der Geschlechtsdiskriminierungen in den Sprachen der Welt bedürfen einer weitaus detaillierteren und systematischeren Untersuchung. Auf Unterschiede zwischen dem zeremonielleren und dem reduzierteren Charakter der Sprache auf ihren verschiedenen Ebenen hat man in mehreren Beschreibungen hingewiesen, und Versuche einer soziologischen Erklärung sind unternommen worden, aber in der Tat kennzeichnen die reduzierteren Formen in einigen dieser Fälle, z.B. in der Yana-Sprache, die weibliche Sprach Variante (Sapir 1949: 21 lf.), in einigen anderen Sprachen die männliche, wie man in tschuktschischen Mundarten (Bogoraz 1922: 665) oder in der Caraya-Sprache (Ehrenreich 1894: 23) sehen kann. Die Abstufungen von Tabuverboten gegen eine Verwendung der Sprache des anderen Geschlechts sind darüberhinaus ungleich. In der Yana-Sprache "benutzt eine Frau die männlichen Formen ohne Bedenken, wenn sie die Worte eines Mannes im Umgang mit einem Mann zitiert, wie bei der Erzählung einer Mythe, in der eine männliche Gestalt mit einer anderen spricht" (Sapir 1949: 207). In der UdSSR andererseits, als Schulen mit Tschuktschisch als Unterrichtssprache eröffnet wurden, "erröteten kleine Mädchen und weigerten sich, Wörter mit einem r-Laut zu lesen", weil "der Gebrauch der Männeraussprache bei Frauen, die gewohnheitsmäßig die Phoneme r und c durch das zischende s ersetzten, für unschicklich gehalten wurde". Zugleich ist hier anzumerken, da/3 die Aussprache der Laute, die normalerweise auf das männliche System beschränkt sind, Frauen wiederum bekannt ist und gebraucht wird, wenn sie die Männersprache zitieren, besonders bei der Erzählung von Männergeschichten (siehe Bogoraz 1922: 665, und I. Diakonoffs überzeugenden Vergleich von zwei sumerischen Dialekten, dem der Männer und dem der Frauen: 1974: 113). Aus den sporadischen Daten, die uns zur Verfügung stehen, können wir schwer gemeinsame Prinzipien der Lautunterscheidung in der uns bekannten, nach Geschlechtern getrennten Sprachen ableiten. An einer Anzahl von diesen Zweiteilungen sind Sonorlaute und Affrikaten auf irgendeine Weise beteiligt. Man kann z.B. den weiblichen Ersatz von auslautenden Verschlußlauten durch Nasallaute zitieren, den Boas bei einigen Eskimostämmen (1911: 79) beobachtet hat, die Einsetzung
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einer sibilantischen Affrikata an Stelle von Liquiden bei tschuktschischen (Bonda 1953: 3) und korjakischen (Stebnickij 1934: 58) Frauen, die Verdrängung aller / und des palatalisierten r durch Jot in der Sprache von russischen Frauen in Nordost-Sibirien (Bogoraz 1901: 5ff.) und den Verlust der Velarisierung des / in der Frauenaussprache verstreuter russischer und ukrainischer Mundarten (Serech 1952). Unter den Gros Ventres-Indianern in Montana entsprechen die velaren Verschlußlaute der Frauen den Sibilanten Affrikaten der Männer, wie Regina Flannery (1946) bemerkt hat. Ein eigenartiges lautliches Merkmal, das die Männer- und Frauensprache voneinander unterscheidet, ist in Gogo-Yimidjir (Australien) beobachtet worden. Hier hat die Sprache keine bedeutungsunterscheidende Opposition von gespannten und ungespannten (oder von stimmlosen und stimmhaften) Verschluß lauten, aber Frauen benutzen eine gespannte (gleichzeitig stimmlose) Variante, während Männer die ungespannte (gleichzeitig stimmhafte) Variante dementsprechend verwenden (de Zwaan 1969: 26f.). Die Situation ähnelt der der weiblichen Variante der Yana-Sprache mit dem stimmlosen und reduzierten auslautenden Vokal der mehrsilbigen Formen und einem gespannten vorangehenden Verschlußlaut, z.B. Männer: [siga: ga], Frauen: [siga:kha] 'Wachtel' (Sapir 1949: 208; Sapir und Swadesh 1960: 3). Auf ein signifikantes Beispiel einer unmittelbaren Beziehung zwischen einem Tabu und einem weiblichen Lautsystem hat Dmitrij Zelenin (1878-1954) in seiner grundlegenden Abhandlung über das Sprachtabu (1929-30: 142) hingewiesen: Kasachinnen wurde es verboten, ihre Schwiegereltern bei ihren richtigen Namen zu nennen, und sie mußten daher Wörter gebrauchen, die in der Lautform den ursprünglichen Namen ähnlich waren, oder sie mußten die phonische Gestalt des verbotenen Namens direkt ändern. Auf verschiedene Art weisen das Sprachtabu und die sprachliche Trennung nach Geschlechtern gewisse Änderungen in der Distanz—entweder Entfremdung oder Annäherung—zwischen dem Sprecher und dem tatsächlichen oder imaginären Angesprochenen auf.
Die Glossolalie Ein Gebrauch von Sprachlauten ist durch die ganze Äußerung hindurch seiner bedeutungsunterscheidenden Funktion entleert, aber trotzdem für eine bestimmte Art Kommunikation vorgesehen und richtet sich an ein wirkliches menschliches Publikum oder einen heiligen Geist. Diese besondere Art der sprachlichen oder quasi-sprachli-
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chen schöpferischen Tätigkeit heißt Glossolalie. Die Verschmelzung zweier Funktionen ist charakteristisch für glossolalische Äußerungen: sie verbinden die menschliche und göttliche Welt einerseits als Gebete von jener zu dieser und andererseits als Mitteilungen von der göttlichen Macht an die versammelte menschliche Gemeinschaft, die sie inspirieren, vereinigen und emotional erheben sollen (vgl. Samarin 1972b). Verschiedene Formen der Glossolalie sind in verschiedenen Ländern, Epochen und Glaubensrichtungen weit verbreitet (vgl. Mays 1956 Übersicht der Glossolalie in nichtchristlichen Religionen, auch Jaquith 1967; und mit besonderer Berücksichtigung der christlichen Glossolalie, Lombard 1910, Cutten 1927 und Samarin 1972a und b). Der Mangel an Ähnlichkeit mit irgendeiner wirklichen Sprache der Gegenwart oder der Vergangenheit führt zu der Bezeichnung der Glossolalie als einer Sprache der Geister. Die Stelle in Kapitel II der Apostelgeschichte über das Pfingstwunder, das den Gläubigen "das Zungenreden" und dadurch eine unmittelbare sprachliche Verbindung mit dem Himmel ermöglichte ("und sie wurden alle voll des heiligen Geistes und fingen an zu predigen mit anderen Zungen, nach dem der Geist ihnen gab zu sprechen"), liefert die Grundlage für das vielfältige Aufkommen und Wiederkehren einer glossolalischen Bewegung, die "in Zungen redet". Nur wenige der verschiedenen glossolalischen Äußerungen in den verschiedenen Varianten der pentekostischen Bewegungen stehen uns in geschriebenen oder auf Tonband aufgezeichneten Aufnahmen für die Analyse ihrer Form zur Verfügung, obwohl eine solche Analyse interessante Ergebnisse verspricht. William Samarin, der die christliche Glossolalie eingehend untersucht hat, stellt zuversichtlich die These auf, daß "Glossen aus verschiedenen Teilen der Erde auffällige Übereinstimmungen aufweisen werden, vielleicht sogar mehr Ähnlichkeiten untereinander als jede zu ihrer Herkunftssprache aufzuweisen hat" (1972a: 77). Aufschlußreiche Daten stammen von den Chlysty, anscheinend der ältesten russischen mystischen Sekte mit einer festen glossolalischen Tradition (vgl. besonders Konovalov 1908: 227-252: "Besonderheiten in der Aussprache und Kombination von Lauten, Wörtern und Sätzen der ekstatischen Rede"). Archive eines Moskauer Sonderkomitees, das Sektenaktivitäten in der Mitte des 18. Jahrhunderts untersuchte, bewahrte Beispiele der Glossolalie, die von drei ChlystyPropheten aufgezeichnet worden waren, auf (siehe Necaev 1889: 179; vgl. RJ IV: 641 f.). Sie hielten den Wirbeltanz für eine zweite, höchste Taufe, weil der heilige Geist sich auf die wirbelnden Menschen niederläßt (siehe Necaev: 140).
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Der St. Petersburger Leiter der Chlysty, Ivan Curkin, lehrte eine Frau, die für ihn arbeitete, zu sagen: Kindra fendra Kiraveca, während sie sich wirbelnd drehte. Man kann sehr leicht die strenge Selektivität und Wiederkehr der verwendeten Laute erkennen. Alle vier ungeraden Silben dieser Lautfolge enthalten einen ungerundeten Vordervokal, wogegen der Vokal aller vier geraden Silben ein anscheinend unbetontes a ist. Allen drei inlautenden a dieser Formel, die die zweite Silbe ihrer drei Glieder bilden, geht ein r voran, und vor den ersten beiden ra steht dieselbe Verbindung nd. Von den vier ungeraden vorderen Vokalen sind der erste und der dritte i mit vorangehendem k, während der zweite und der vierte e mit vorangehendem labialem Dauerlaut, zuerst fe, dann ve sind. Rentre fente, die ersten zwei "Wörter" einer Anrufung, die 1747 von dem Moskauer Propheten der Chlysty, dem Händler Sergej Osipov niedergeschrieben wurden, stimmen mit dem kindra fendra aus Curkins Text in der Anzahl der Silben (2 + 2), den ähnlichen Konsonantenverbindungen und den identischen Konsonanten überein und unterscheiden sich davon nur durch die Stimmlosigkeit des dentalen Verschlußlautes und des Fehlens von k. In der Glossolalie eines Mönchs aus dem Moskauer Cudov-Kloster, Varlaam Siskov, der 1748 verhört und gefoltert wurde, tauchen mehrere Entsprechungen auf; insbesondere der Ausruf natrufuntru, den dieser esoterische Prediger mit "Sei voller Furcht, Mensch, bevor du betest" übersetzte, stimmt mit dem konsonantischen Aufbau von Osipovs schon angeführtem Spruch völlig überein. Die Bezeichnung der Sektenmitglieder für das Zungenreden—govorenie inostrannymi jasykami 'das Reden in fremden Sprachen'—ist in der Verwendung von solchen vorwiegend fremden Zügen wie dem Konsonanten / und den Verbindungen ndr und ntr durch alle drei begründet. Von den drei Wörtern aus Curkins Formel beginnt eins mit / und zwei enden auf ndra. In Osipovs 18 Silben langer Äußerung ist das viermal wiederholte / der einzige kontinuierliche Obstruent, und die Verbindung ntr kommt viermal vor, wie auch nt. Siskovs 94 Silben enthalten zehn / , sieben Verbindungen mit ntr und ndr und viermal nt. Als man ihm befahl, seine Glossolalie ins Russische zu übersetzen, produzierte Siskov eine "Übersetzung", die durchgängig auf ähnlichen Lautassoziationen beruhte (naso/itos-swa, /esontos-voz/ej, furtl/s-vrazum/s', usw.), aber keine Verbindungen von nt oder nd und kein etymologisches / aufwies. Ein tüchtiger und exzentrischer Bauer, der ein ausgebildeter Handwerker und angebliches Sektenmitglied war, lebte in dem Dorf Zaxarovka, im Bezirk Belev, in der Provinz Tula. RJ traf ihn dort auf Einladung seines Schulkameraden Vladimir Zebrovskij. Als am Anfang des
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Jahres 1914 Vladimirs Schwester Ol'ga den Handwerker suchte, trat sie in seine Hütte ein und sah ihn auf dem Boden sitzen und eine Katze auf dem Rücken streicheln. "Was machst du?" fragte sie und bekam die Antwort: "Kyndru po féndre glázu" ("Ich streichele die kyndra auf dem fendra"). RJ (siehe IV: 641f ; ), der sich damals mit der Glossolalie der Chylsty beschäftigte, klang Curkins Anrufung noch frisch in den Ohren, und er bat Ol'ga, den Alten zu fragen, was eine kiraveca ist. "Kiraveca ist ein altes Wort, ein weises Wort", antwortete er. "Und was bedeutet es?"—"Nun, kennst du das Sprichwort nicht? Das Haar der Frauen ist lang aber ihr Verstand kurz. Also geht es über deinen Verstand hinaus [Ne tvoego uma]" So pflegten die wirbelnden Propheten zu behaupten, laut Necaevs Übersicht, daß sie 'nicht aus eigenem Verstand' (ne ot svoego uma) sprachen. Die 'seltsame Sprache' (strannyj jazyk) der ekstatischen Prophezeiungen wies nicht nur wichtige, greifbare Übereinstimmungen sondern auch kuriose Ähnlichkeiten mit den abstrusen Vokabeln von Abzählreimen und von Zauberformeln auf, insbesondere dieselbe Vorliebe für ungewöhnliche Phoneme wie / und Verbindungen wie n + t oder d, allein oder mit nachfolgendem r. Wir können auch die Chlysty-Texte des 18. Jahrhunderts mit der amerikanischen pentekostischen Glossolalie unserer Zeit vergleichen. Im Gebet eines presbyterianischen Pfarrers, das aus 28 "Sätzen" oder "Atemgruppen" besteht (Samarin 1972a: 77f.), finden wir 40 ndr- und 30 ntr- Verbindungen, plus elfmal nd und nt. Es beginnt mit dem Satz oder der Atemgruppe kupóy shandré filé sundrukuma shandré lása hoya táki, und besteht aus ähnlichen Gruppen. Zwei kurze Beispiele aus der neo-pentekostischen glossolalischen Rede, das eine von 43 und das andere von 38 Sekunden Dauer (Samarin 1972b: 129), enthalten jeweils 15 nd-Verbindungen. Goodmanns (1969) kurze Beispiele von glossolalischen Texten sind reich an nd- und «i-Phonationen (vgl. auch Samarin 1972a: 115f.). Diese internationale Vorliebe für Verbindungen von n mit d oder t, die vielleicht als pränasalierte Verschlußlaute gedeutet werden können (vgl. Ladefoged 1971a: 33f., und Trubetzkoy, 1939a/1969: 169), ist in der Tat verblüffend. Bevor man einige allgemeine Schlüsse ziehen kann, muß man für solche Beispiele von Entsprechungen zwischen verschiedenen Kulturen in der glossolalischen, man könnte hinzufügen "suprabewußten" Sprachkunst umfangreiche internationale und zwischenkonfessionelle Aufnahmen von Glossolalie im weitesten Sinn dieses griechischen Terminus sammeln. Hier muß man sich wieder an die zugleich ermutigenden Und warnenden von Boas an uns weitergereichten Worte über die Häufigkeit und relative Unbeständigkeit von ähnlichen Eigen-
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schaften in verschiedenen Sprachen erinnern (vgl. oben, S. 223f.). Die Abhängigkeit der glossolalischen Texte vom Lautsystem der Muttersprache des jeweiligen Sprechers so wie von individuellen Variationen im Aufbau und in der Verteilung von sich wiederholenden Lautgruppen stimmt mit den üblichen überall zu findenden Prinzipien der Strukturierung einer halb-improvisierten und halb-traditionellen esoterischen Komposition von Quasi-Wörtern überein. Dasselbe Zusammenwirken von konvergierenden und divergierenden Faktoren läßt sich vielleicht mit stärkerem Nachdruck auf die Tradition als auf die Improvisation in einer weitverbreiteten Unterklasse von Beschwörungsformeln beobachten, die aus sinnlosen Wörtern bestehen, welche die rätselhaften mythischen Wesen, an die die Mitteilung gerichtet ist, dem Sprecher fernhalten und ihn schützen sollen. Wir können das Beispiel einer russischen Zauberformel anführen, die voller kryptischer, erfundener Wörter ist und zum Schutz gegen Seejungfrauen gesprochen wird (RJ IV: 639f.): Au Au sivdA \nozA kA\Andi indi okuiomi mi
six Ar dA kAvdA mittA minogAm
nuffAn iidimA
'¡AkutAsmA biMs
Dieser Zauberspruch ist mit seinen 18 A (hier groß geschrieben) und seinen zweimal oder dreimal hypnotisch wiederholten Lautfolgen (hier kursiv gedruckt) von einer gewissen Beharrlichkeit. Hier finden wir auch dieselbe Konsonanten Verbindung wieder: kalandi indi. Das aufkommende und wachsende Interesse an den unterschwelligen Triebkräften und Produkten der sprachlichen Kreativität zeigte sich in der wissenschaftlichen—besonders der sprachwissenschaftlichen, psychologischen und medizinischen—und literarischen Welt gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts. Einzelne Fälle von Glossolalie bei Menschen im Trancezustand erregten auch internationales Aufsehen. Bei einem Fall von Schlafwandel mit Glossolalie in der französischen Schweiz glaubte eine junge Genferin, Catherine-Elise Müller (in der internationalen wissenschaftlichen Literatur unter dem Pseudonym Hélène Smith bekannt), daß sie sich in ihren Trancezuständen mit Marsmenschen in einer Sprache und mit Menschen aus dem alten Indien in einer anderen Sprache unterhielt. Sie wurde sorgfältig von Psychologen beobachtet, insbesondere von dem beliebten Genfer Professor Théodore Flournoy (1854-1920), der ihrem Fall zwei Monographien (1900, 1902) widmete, die im internationalen intellektuellen Milieu lebhaftes Interesse erregten.
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Flournoys Genfer Kollege, Ferdinand de Saussure, interessierte sich für die Analyse ihrer angeblichen Sanskrit-Reden, untersuchte die Aufnahmen, die er bekam, transkribierte ihre rasenden Äußerungen und schrieb seine eigenen detaillierten Bemerkungen nieder. Flournoy (1900) hat sie wiedergegeben, und ihnen folgte ein ausführlicher kritischer Bericht über Mlle Muller/Smiths Glossolalie von dem Pariser Sprachwissenschaftler Victor Henry, dessen Werk Antinomies linguistiques (1896), nebenbei erwähnt, einige Begriffe von Saussures Cours inspirierte. Die beiden Linguisten blieben in ihren Schlußfolgerungen überraschenderweise unschlüssig. Trotz der Beweise, daß die Schlafwandlerin in ihrem bewußten Leben kein Sanskrit konnte und weder eine Schwindlerin war noch bloß Aufsehen erregen wollte, entdeckte Saussure in dem Wirr-Warr von Silben einige unbestreitbare Spuren von Sanskrit, und unter den unverständlichen Silben fand er keine Elemente "en opposition avec la figure générale des mots sanskrits" (Flournoy 1900: 303; vgl. Lepschy 1974; und Todorov 1977: 323-338). Egal welche Ergebnisse diese gemeinsame Arbeit von Sprachwissenschaftlern und Psychologen in diesem Fall erbrachte, so sollte man darin einen Ansporn zu weiteren interdisziplinären Schritten sehen, und vor allem zu einer bilateralen Strukturanalyse der Glossolalie auch in ihren einzelnen, im Wahn geäußerten Erscheinungsformen. Der Laut als Grundlage des Verses Wir haben einige Typen von sprachlichen Erscheinungen erwähnt, in denen Sprachlaute ein unmittelbares Verhältnis zur Bedeutung aufweisen oder als direkte Träger einer latenten, verborgenen imaginären Bedeutung fungieren, aber ungeachtet ihrer Häufigkeit sind alle erwähnten Phänomene räumlich und zeitlich fakultativ. Es gibt aber eine Art sprachlicher Tätigkeit, die überall zu finden und notwendigerweise durch die größere oder geringere Selbstbestimmung der Sprachlaute zu kennzeichen ist. Das ist die 'dichterische Sprache'. In seiner Kernbedeutung wird dieser Terminus auf die Versform der Sprache angewandt, und diese Feststellung darf nicht zu Mißverständnissen führen, was aber manchmal geschieht. Es bedeutet nicht, daß die Rolle der Dichtung auf die Lautform reduziert wird, oder daß die Bedeutung unwichtig wird. Der Begriff des Verses setzt eher das unentbehrliche Vorhandensein einer bestimmten ad hoc Organisation des sprachlichen Lautmaterials voraus. Gegen die Allgemeingültigkeit dieses Prinzip kann man verschiedene Möglichkeiten anführen, gewisse metrische Konventionen in verschiedenen Formen
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des 'freien Verses' abzuschwächen oder aufzuheben. Aber einerseits m u ß jeder vers libre, damit er als Vers e m p f u n d e n wird, trotz seiner relativen Freiheit gewisse formale Konstanten oder zumindest gewisse fast konstante T e n d e n z e n aufweisen, vor allem in der prosodischen Organisation von syntaktischen Gruppen und ihren Intonationen. Andererseits ist der freie Vers eine abgeschwächte Versform, ein Kompromiß zwischen der dichterischen und der normalen Sprache, und setzt das gleichzeitige Vorhandensein von strengeren Versformen in der gegebenen Sprachgemeinschaft voraus. Das Wesentliche ist die universelle Koexistenz von zwei Sprachpolen: der Vers und die gewöhnliche Prosa. Das wesentliche Kennzeichen des ersten Pols, nämlich die unbestreitbaren Beweise, daß im Vers "die Äquivalenz z u m konstitutiven Mittel der Sequenz erhoben wird" (siehe RJ 1960: 358), ist schon jahrelang genügend besprochen worden und bedarf daher keiner langen Erklärung: wenn die Silbe als relevante Konstituente einer Verszeile behandelt wird, dann wird eine Silbe jeder anderen Silbe derselben Lautfolge gleichgesetzt, wohingegen Sprecher die Anzahl der Silben beim normalen Reden nicht zählen. Gleichermaßen wird a n g e n o m m e n , daß in gewissen Verssystemen die Betonung in einem Wort der Betonung in einem anderen Wort gleichzusetzen ist, so wie die Unbetontheit in einem Wort der in einem anderen gleichgesetzt wird. Damit wird die Wortbetonung zu einer spontanen Maßeinheit. G e n a u s o schafft eine metrische Abstufung der Betonung eine Gleichheit auf jeder Stufe und eine Gradierungsskala zwischen den verschiedenen Untereinheiten. D e m e n t sprechend wird lang prosodisch mit lang gleichgesetzt, und ebenso kurz mit kurz, Wortgrenze mit Wortgrenze und das Fehlen derselben mit dem Fehlen derselben. Eine syntaktische Pause k o m m t einer anderen syntaktischen Pause, eine fehlende Pause einer fehlenden Pause gleich. Kurz, der Versbau trifft eine Wahl aus den von der Metrik benutzten prosodischen Elementen, und nach einer solchen Wahl werden Silben in Maßeinheiten umgewandelt, sowie Akzente und ' M o r e n ' (die minimalen quantitativen Einheiten einer Sprache mit einer Opposition von Kürzen und Längen). Alle Elemente des Verses, egal ob obligatorisch oder fakultativ oder schließlich autonom in einem gegebenen System, erfordern eine genaue linguistische Analyse mit Bezug auf das Lautsystem der jeweiligen Sprache. Lautentsprechungen werden im Hinblick auf die Nähe oder Distanz der Bedeutung zwischen den M o r p h e m e n und den höheren Einheiten, zu denen diese Laute gehören, bewertet. Der Reim und die Alliteration, so wie der metrische Parallelismus, liefern hier mannigfache Beispiele. Vielfältige Wortspiele sind an sich eine
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auffallige Manifestation der dichterischen Funktion auch außerhalb der Dichtung. Aber trotz der verschiedenen Beweise der besonderen Beachtung der Sprachlaute durch Sprecher und Hörer erhebt das System der gewöhnlichen Sprache ihre Äquivalenz nicht zum konstitutiven Mittel der Lautfolge.
Die Sprachkunst der Kinder Das universelle Erscheinen von Dichtung und dem Verlangen nach Dichtung findet eine nachdrückliche Bestätigung in Studien zur Kindersprache. In seinem bekannten Buch From Two to Five (Von Zwei bis Fünf) vertrat der russischen Autor Kornej Cukovskij (1882-1969), einer der erfahrensten Spezialisten auf dem Gebiet der Kindersprache, erfolgreich die These des parallelen Erwerbs der Sprache und der dichterischen Grundlagen durch das Kind. Er behauptete, daß "jeder Reim dem Kind eine besondere Freude macht", und daß "Reimen im Alter von zwei Jahren ein regelmäßiges Stadium unserer sprachlichen Entwicklung ist. Diejenigen Kinder, die solche sprachlichen Übungen nicht durchmachen, sind anormal oder krank" (S. 293, 301). Kinder reihen sich reimende Wörter aneinander— bänja-Mänja 'Badestube-Marie'—oder sie erfinden Wörter, die mit bereits existierenden reimen—z.B. cygän 'Zigeuner' erhält einen erfundenen Reimpartner mygän—oder sie reihen eine Kette von reimenden sinnlosen Wörtern fortlaufend aneinander, wie das zweijährige Mächen, das Cukovskij (S. 301) täglich beobachtete: Kunda, munda, karamunda, Dunda, bunda, paramun—
mit sechs Belegen für dieselbe «d-Verbindung, die wir bei der Glossolalie bemerkt hatten (siehe oben, S. 234f.). Anna Kern, die mit Puskin befreundet war, erinnert sich in ihren Memoiren daran, wie ein siebenjähriger Junge das folgende Reimpaar erfand und vor dem Dichter aufsagte Indijanda, Indijanda, Indija! Indijadi, Indijadi, Indija! —
und wie Puskin das Kind küßte und es einen "Romantiker" nannte. Diese zwei Verse weisen wieder acht nd-Verbindungen auf, die auch
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in solchen sinnlosen trochäischen Zeilen wie in j e n e n , die Kinder beim Tanzen im Kreis singen, häufig v o r k o m m e n : Endendíne, Endendíne,
betetón! betetón! (Cukovskij: S. 308)
Mary Sanches und Barbara Kirschenblatt-Gimblett haben in ihrer scharfsinnigen Studie "Children's Traditional Speech Play and Child Language" ( " D a s traditionelle Sprachspiel der Kinder und die Kindersprache") (1976) darauf hingewiesen, daß man festgestellt hat, "daß kleine Kinder und Schwachsinnige, im Gegensatz zu normalen Erwachsenen, in ihren konditionierten Reaktionen zum Gebrauch von Wörtern neigten, deren Ähnlichkeit mit d e m ursprünglichen Reizwort durch lautliche Merkmale statt durch grammatische oder semantische Merkmale bestimmt war < . . . > Da/3 Kinder gerne mit dem Laut u m des Lautes willen spielen, hat man schon lange erkannt und als auffallendes Merkmal der Kindersprache angesehen" (S. 78). Ein in derselben Studie zitiertes typisches Beispiel ist ein geschickter Zungenbrecher, bei d e m der vorvokalische velare Verschlußlaut mit einem dentalen und der auslautende velare Verschlußlaut mit einem labialen in elf sonst ähnlichen Einsilbern wechselt: A skunk sat on a stump. The stump said, "the skunk stunk." The skunk said, "the stump stunk." Which one stunk, the stump or the skunk? (Ein Stinktier saß auf einem Stumpf. Der Stumpf sagte: "Das Stinktier stinkt." Das Stinktier sagte: "Der Stumpf stinkt." Wer stank, der Stumpf oder das Stinktier?)
Unter den zahlreichen Beispielen "des Lautspiels des Kindes", die R u t h Hirsch Weir (1926-1966) in ihrer ausgezeichneten Monographie (1962) vorbringt, zitiert sie einen Absatz aus d e m T r a u m m o n o log ihres zweijährigen Sohnes, in d e m man eine symmetrische Verteilung von Labialen und Velaren findet: Like a piggy bank Like a piggy bank Had a pink sheet on The grey pig out.
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b r) k b rj k p i] k
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(Wie ein Sparschwein Wie ein Sparschwein Hatte ein rosa Bettuch an Das graue Schwein ab.) (Das Ende erinnert an 'Abzählreime'.) Besonders deutlich in ihrer Konstruktion sind die witzigen Wort Verkettungen, in denen die distinktiven Merkmale eins nach d e m anderen wechseln, wie in d e m Beispiel eines tschechischen Kinderspiels, das Ohnesorg (1966) zitiert: "Dipa-kipa-tha-bädu-däbu-mäbu." Die m a ß g e b e n d e Rolle von Lauten, ihren Alliterationen und Assonanzen in der Argumentation der Kinder hat H. Wallon (1945: 57) ausgezeichnet belegt: "La foudre c'est de la poudre." "Oü roule-t-il le sofe/1? Dans le c;e/." [salej - sjel] "Comment est /ait le cid? C'est du /eu." "Comment peut-il rouler dans le /eu?" "£w/er . . . le soleil est en/eu." Diese bestimmte Art von Folklore der Kinder, die in der Welt weitverbreitet ist und als 'Abzählreime', Englisch counting-out rhymes, Französisch comptines, Russisch scitalki, Polnisch wyliczanki bekannt ist, liefert in verschiedenen Sprachen auffällige Beispiele von dem, was die Franzosen glossolalie ludique nennen. Es handelt sich dabei u m ritualisierte 'Vorspiele zu Spielen', das Auslosen der Teilnehmer an einem Spiel oder die Entscheidung, wer an der Reihe ist. Diese 'ludischen' Darbietungen vereinigen eine Vorliebe f ü r f r e m d e und seltsame Vokabeln (vgl. Pisarkowa 1975) und die magische Absicht von Beschwörungen mit einer spielerischen Haltung (vgl. Bolton 1888; Ferdiere 1947; Baucomont et alii 1961; G u m p 1965; so wie G. Vinogradovs scharfsinnige Analyse der Miniaturmythen der volkstümlichen russischen Abzählreime der Kinder [1930]). Aus einem Buch mit breiten und unerwarteten Perspektiven—Speech Play ('Das SprachspieD (1976)—entnehmen wir Sanches und Kirschenblatt-Gimletts' Beispiel von dem, was sie "gibberisch" ("Kauderwelsch") n e n n e n , wo " n u r die phonologischen Regeln Beachtung finden: die phonologischen Abfolgen bilden keine Einheiten, die eine grammatische Funktion besitzen, und keine L e x e m e mit semantischem Bezug" (S. 92f.): Inty, ninty tibbety fig Deema dima doma nig Howchy powchy domi nowday
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Man könnte sagen, daß das Vermeiden einer rationalen Lexik und Grammatik trotzdem eine straffe Strukturierung des ganzen Sechszeilers erlaubt. Die ersten drei Zeilen haben vier Hebungen pro Zeile, und die nächsten drei Zeilen haben jeweils drei Hebungen. In der mittleren Zeile des letzten Dreizeilers werden zwei Doppelsenkungen der fehlenden Senkung der vorangegangenen und nachfolgenden Zeile gegenübergestellt. N u r das erste und das letzte Zeilenpaar reimen sich, und abgesehen von der letzten Zeile, der einzigen sinnvollen, besteht jede Zeile aus einem Geflecht von ähnlichen und kontrastierenden Vokalen und Konsonanten. Die Kjnderdichtung hat ohne Zweifel eine beeindruckende schöpferische Tradition, und Sanches und Kirschenblatt-Gimblett verstehen deren Unterschied zur "Sprachkunst der Erwachsenen" sehr gut. Sie bemerken gewisse eigenartige Merkmale bei den sprachlichen Ä u ß e r u n g e n von kleinen Kindern, besonders "die verhältnismäßig größere Bedeutung der phonologischen Struktur" und "ein häufigeres V o r k o m m e n von sinnlosen Phrasen". Die Betonung von angeblichen "auffälligen Unregelmäßigkeiten" und von der vermeintlichen Unfähigkeit des Kindes, "die ganze Form sofort begrifflich zu erfassen", hält den u n v o r e i n g e n o m m e n e n Erwachsenen davon ab, den wahren Wert der Organisation einer Gesamtheit wie des ausgezeichneten Seilspringreims zu erkennen, den Sanches und Kirschenblatt-Gimblett aus Roger D. Abrahams Sammlung (1969: 23) zitierten, der ihn wiederum N o r m a n Douglas' 1916 erschienenem Werk London Street Games e n t n o m m e n hatte. Abrahams weist darauf hin, daß Seilspringreime mit Abzählreimen und mit Wahrsagen in Zusammenhang stehen (IX): ¡Caroline Pink, she feil down the sink, caught the Scarlet Fever, 3 Her husband had to leave her, 4 She called in Doctor Blue, 5 And he caught it too— 6 Caroline Pink from China Town. 2 She
Caroline Rosa fiel ins Spülbecken, Sie kriegte Scharlachfieber, Ihr Mann m u ß t e sie verlassen,
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Sie ließ Doktor Blau holen, Und er kriegte es auch— Caroline Rosa aus China Town.
Diese sechszeilige Formel gegen einen Fehler beim Seilspringen, als die Geschichte eines unglücklichen Sprungs dramatisiert, weist eine feste Struktur auf. Sie besteht aus zwei Reimpaaren mit paarenden Reimen, von denen der eine weiblich (Fever-leave her) und andere männlich (Blue-too) ist. Diese Reimpaare werden von den zwei Randzeilen, der ersten und der sechsten, eingerahmt, welche durch den Reim down-Town und durch die Wiederholung des Doppelnamens der Heldin miteinander verbunden sind. Die erste Zeile wird durch den Binnenreim Pink-sink zusammengehalten. Die dreifachen Übereinstimmungen sind auffallig und können mit dem "dreifachen Sprung" des Spiels zusammenhängen (vgl. Abrahams: §15). Die dreifachen Velarlaute von Caroline, 2caught und Scarlet tauchen am Ende des Gedichts in umgekehrter Reihenfolge (Spiegelsymmetrie) auf: 4called, 5caught, 6Caroline. Das Pronomen she wird dreimal wiederholt. Eine dreifache Alliteration verbindet die ersten zwei Zeilen mit der letzten—¡feil - 2 Fever - Jrom- und hält die dritte Zeile zusammen— 3 her husband had. Die sechste Zeile wird durch drei Diphthonge mit nachfolgendem [n] zusammengehalten: Caroline [ayn] — China [ayn] — Town [aun]. Der Name Caroline wird durch eine glänzende Paronomasie mit Scarlet assoziiert; und drei verschiedene zweigliedrige Namen werden semantisch durch Farbassoziationen miteinander verknüpft: Pink-Scarlet-Blue. Diese drei Farben sowie die drei Vokale in ihren Bezeichnungen bilden ein Dreieck: das helle Pink (rosa) mit seinem [i], das chromatische Scarlet (scharlachrot) mit seinem chromatischen (kompakten) [a] (vgl. oben, S. 213) und das dunkle Blue (blau) mit seinem [u]. So durchdringt das Wortspiel mit den Farben das Ganze, und das Rosa (Pink) des Anfangs kehrt in dem Rosa des Endes wieder.
Saussures poétique phonisante aus der heutigen Sicht Es ist schwer, in der ganzen Geschichte eine Kulturepoche mit so zahlreichen und offenbaren Widersprüchen nicht nur innerhalb einer Gesellschaft sondern auch in einem einzelnen, für diese Zeit typischen Denker zu finden, wie die Jahrzehnte um die Jahrhundertwende. Die Frage der Antinomien war ein beliebtes Thema der maßgebenden Vertreter der Epoche wie Ferdinand de Saussure, aber auch dieser
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große Sprachwissenschaftler behandelte diese inneren Widersprüche im G r u n d e g e n o m m e n widersprüchlich. Eines der allgemeinen Prinzipien aus seinem Cours—"caractère linéaire du signifiant"—steht im Widerspruch zu dem einzigen Werk derselben Periode, das er plante und zur Veröffentlichung vorbereitete, nämlich seine umfangreiche Untersuchung der Paratexte der lateinischen, griechischen u n d vedischen Dichtung. Diese Schrift heißt ungenau Anagrammes, obwohl das Werk einen weitaus breiteren Problemkomplex behandeln sollte. Neben ihrer linearen Anwendung als bedeutungsunterscheidende Elem e n t e f ü r höhere, grammatische Einheiten erfüllen die Sprachlaute ihre eigene, unbeschränkte Aufgabe als Verskomponenten. Ein Vokal im saturnischen Vers beispielsweise erfordert das Vorhandensein des gleichen Lautes an einer anderen Stelle im selben Vers. Es gibt wieder u m ein entsprechendes, ebenso strenges Gesetz f ü r die Konsonanten. Alle diese Bestandteile treten genau paarweise, also gerade wiederholt auf. Daher zitierte Saussure seine Parole: N U M É R O DEUS PARI G A U D E T (siehe Starobinski 1971: 21-23, 33). Er betonte, daß dieses Prinzip nicht beschränkt ist "auf eine Nebeneinanderstellung in einer Abfolge, sondern o h n e Berücksichtigung einer linearen Ordnung fungieren k a n n " (S. 47). Ein weiterer Faktor, der das Linearitätsprinzip einschränkt, bestand in einer Entdeckung Saussures, über die er in einem Brief vom 14. Juli 1906 berichtete—"J'ai pu vous annoncer que je tiens maintenant la victoire sur toute la ligne" (siehe Starobinski: S. 20)—und die Antoine Meillet pries in seiner Behauptung " q u ' o n aura peine à nier la doctrine en son e n s e m b l e " (Starobinksi: S. 158). Die meisten alten Gedichte, die Saussure analysierte, schienen ihm mannigfache Anagramme aufzuwiesen, die auf die N a m e n von Leuten hindeuteten, die in diesen Gedichten eine Rolle spielten. So fungierten diese Laute gleichzeitig im Text selber und im Paratext und verliehen dem letzteren dadurch " u n e seconde façon d'être, factice, ajoutée pour ainsi dire à l'originale du m o t " (zitiert nach Starobinski: S. 31). Wenn Saussures Manuskripte f ü r diese umfangreiche Arbeit nicht jahrzehntelang als "nutzlose Abschweifungen" verkannt worden wären, hätte das internationale Ringen u m eine Wissenschaft der Dichtung nützliche Antriebe erhalten (vgl. Benveniste 1964: 109-114). Solche Aspekte in der kreativen Biographie des Genfer Lehrers wie sein konzentriertes Interesse an der schlafwandlerischen Glossolalie und seine leidenschaftliche Begeisterung f ü r die Versanalyse und f ü r poetische Anagramme gehören zu den vielen Beweisen seiner persönlichen und wissenschaftlichen Komplexität und zu den aufschlußreichen Zeichen, die die Ausbreitung von wichtigen T h e m e n
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und mannigfachen Perspektiven für die Sprachwissenschaft von heute und morgen vorwegnahm. Die dichterische Sprache ist auf beeindruckende Weise in die sprachwissenschaftliche Forschung aufgenommen worden. Trotz der Einwände, die ebenso zahlreich wie gegenstandslos sind, von einigen Literaturkritikern, die über die neuen Perspektiven und sogar über die grundlegenden Prinzipien der Sprachwissenschaft überraschend uninformert sind, bewerten Linguisten systematischer die vielfältigen und miteinander verflochtenen Probleme der dichterischen Lautgestalt und der Grammatik sowie der Tropen, der Figuren und der Komposition. Da beide Aspekte der Sprache, der gewöhnliche und der dichterische, zwei gleichzeitig vorhandene und zusammenwirkende Universalien sind, die dem Menschen seit seinen ersten sprachlichen Schritten bekannt sind, könnte man mit gleichem Recht und mit gleicher Einseitigkeit von der Dichtung und deren 'Ungrammatikalität' sprechen oder im Gegensatz dazu die gewöhnliche Sprache wegen ihrer lässigen, groben und rückschrittlichen grammatischen Organisation und Beschaffenheit kritisieren. Die Dichtung, egal ob schriftlich oder mündlich, ob Produkt von erfahrenen Professionellen oder von Kindern, ob auf die gewöhnliche Sprache hin oder von ihr weg gerichtet, besitzt eine eigene, eigenartige Lautgestalt und grammatische Strukturierung. Vor allem kann die Aufgabe eines dichterischen Werkes nie ausschließlich in der passiven, prosaischen Unterordnung der Laute gegenüber den darübergelagerten, grammatischen Einheiten bestehen, egal aus welcher Epoche oder literarischen Schule es stammt, oder welche Parolen zeitweilig vorherrschen. Die Laute der Dichtung stellen die Träger einer eindeutig autonomen Aufgabe dar, und ihre Beziehungen zur dichterischen Semantik lassen sich nicht auf die gewöhnliche Rolle reduzieren, die der alltägliche Sprachgebrauch von ihnen innerhalb dieser konventionellen Einheiten verlangt. In der Dichtung haben die Sprachlaute spontan und unmittelbar ihre eigene semantische Funktion.
Folgerungen aus einem Gedicht von Cummings E. E. Cummings' (1894-1962) Werk hat Anlaß gegeben zu dem Vorwurf, er schreibe in "einer Art Kindersprache" und zu bissigen und verblüfften Fragen, die sich ironischerweise in Irene R. Fairleys Studien über diesen Dichter (1968: 105; 1975: 1) wiederholen: "Wie kommt es, da/3 er so viele grammatische Unregelmäßigkeiten an-
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häuft, ohne den Leser total zu verwirren? Wie können wir die Ungrammatikalität, die wir in seinen Gedichten finden, erklären?" Er sagte selbst über seine Gedichte: "Everywhere tints childrening, innocent, spontaneous, true" ('Überall färbt kindernd, unschuldig, spontan, wahr') (Complete Poems: S. 462). Eine aufmerksame Strukturanalyse v o n e i n e m der fünfzig 1950 herausgegebenen Texte (siehe 1972: 530) verdeutlicht seine "besondere Vorliebe für das Verb" (S. 223): I
,love is more thicker than forget thinner than recall 3 more seldom than a wave is wet 4 more frequent than to fail 2 more
II
i it is most mad and moonly less it shall unbe 3 than all the sea which only 4 is deeper than the sea 2 and
III
,love is less always than to win never than alive 3 less bigger than the least begin 4 less littler than forgive 2 less
IV
j it is most sane and sunly more it cannot die 3 than all the sky which only 4 is higher than the sky 2 and
I liebe ist mehr dicker als vergessen mehr dünner als erinnern seltener als eine welle naß ist häufiger als scheitern II sie ist höchst verrückt und mondlich und weniger soll sie nicht sein als das ganze meer das nur tiefer ist als das meer III liebe ist weniger weniger weniger
weniger immer als gewinnen nie als lebendig grösser als das wenigste beginnen kleiner als vergeben
IV sie ist höchst vernünftig und sonnlich und mehr kann sie nicht sterben als der ganze himmel der nur höher ist als der himmel
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Dieses jambische Gedicht besteht aus vier Strophen, von denen jede ein deutliches syntaktisches Ganzes bildet. Der Anfang jeder Strophe wird durch is in der ersten Hebung gekennzeichnet, dem entweder das Subjekt love, das die erste und die dritte Strophe eröffnet, oder das anaphorische it am Anfang der zweiten und der vierten Strophe vorangeht. Jede der vier Strophen besteht aus vier Zeilen. Die beiden ungeraden Zeilen jedes Vierzeilers weisen eine engere metrische Übereinstimmung miteinander auf als mit den geraden Zeilen; diese sind einander ähnlicher als den ungeraden Zeilen. Dementsprechend werden die Zeilen jedes Vierzeilers durch Kreuzreime verbunden. Alle Zeilen der ungeraden Vierzeiler enden auf Konsonanten, alle Zeilen der geraden Vierzeiler jedoch auf Vokale. Im Gegensatz zu den konsonantischen Zeilenschlüssen der vorangehenden, ungeraden Vierzeiler deuten die vokalischen Zeilenschlüsse auf den endgültigeren Charakter der geraden Vierzeiler. In jedem ungeraden Vierzeiler sind die ungeraden Zeilen und in jedem geraden Vierzeiler die geraden miteinander durch reine Reime verbunden (I \forget - }wet, III ,win - 3begin, II 7unbe - 4sea, IV 2die ^sky). Die geraden Zeilen der ungeraden Vierzeiler dagegen, so wie die ungeraden Zeilen der geraden Vierzeiler weisen unreine Reime auf, die die Übereinstimmung in den letzten Lauten auf diejenigen beschränken, die dem betonten Vokal nachfolgen (I 2 recall - J~ail, III 2alive - 4forgive, II ,moonly - 3only, IV ,sunly - }only). Diese Verteilung weist eine gewisse Übereinstimmung mit dem Gegensatz ungerade ~ gerade in den Zeilen und den Vierzeilern auf. Alle ungeraden Zeilen enthalten eine größere Anzahl von Silben als die geraden. Alle geraden Zeilen des Gedichts haben drei Hebungen und einen männlichen Reim und bestehen also aus sechs Silben. Die ungeraden Zeilen der ungeraden Vierzeiler haben vier Hebungen und einen männlichen Reim und enthalten also jeweils acht Silben. Die ungeraden Zeilen der geraden Vierzeiler haben drei Hebungen und einen weiblichen Reim und bestehen also aus sieben Silben. So sind die ungeraden Zeilen der ungeraden Vierzeiler die einzigen des ganzen Gedichts mit vier Hebungen, und die ungeraden Zeilen der geraden Vierzeiler die einzigen mit einem weiblichen Reim. Die geringere Länge der geraden Zeilen trägt zu ihrem endgültigeren Charakter gegenüber den vorangehenden ungeraden Zeilen bei. Die vier ungeraden Zeilen der geraden Vierzeiler weisen die einzigen weiblichen Reime auf, und alle vier werden durch denselben unreinen Reim -nly miteinander verbunden.
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Die Zeilen in den beiden ungeraden Vierzeilern zeigen eine Übereinstimmung im Aufbau und unterscheiden sich von der Struktur der geraden Vierzeiler, die ihrerseits einander ähnlich sind. Die Zäsur folgt regelmäßig nach einer Senkung in den ungeraden Vierzeilern (nach I ,thicker, 2thinner, 3seldom, J~requent\ III ¡always, 2 never, 3bigger, 4littler), aber in den geraden Vierzeilern folgt der Einschnitt nach der Hebung in den ersten drei Zeilen und nach der Senkung nur in der letzten Zeile (II , m a d , 2less, }sea\ IV ,sane, 2more, 3sky\ aber II 4deeper, IV 4 higher). Dieser Unterschied hebt die letzte Zeile der geraden Vierzeiler hervor und verstärkt so die Trennung des Gedichts in zwei Achtzeiler, von denen jeder durch das Nomen love, das einzige Substantiv ohne Artikel in dem ganzen Gedicht, eingeleitet wird. Durch den besonderen Aufbau der Schluß zeilen in den geraden Vierzeilern teilen diese Zeilen ihr rhythmisches Profil mit den Schluß zeilen der ungeraden Vierzeiler: I ^more frequent!than to fail, II Ais deeper!than the sea\ III Jess littler! than forgive, IV 4 /s higher! than the sky. Das ganze Gedicht weist eine strenge selektive Vereinfachung in den grammatischen Kategorien und eine auffällige Originalität in deren syntaktischer Verwendung auf. Nur neun "formale" ("grammatische") Verben—alle finit—kommen in dem Gedicht vor: die Kopula is einmal in jedem Zweizeiler, abgesehen von dem sechsten, und ein Modalverb in der zweiten Zeile jedes geraden Vierzeilers—II 2it shall unbe - IV 2it cannot die. Die Infinitive der "lexikalischen" Verben treten nur am Ende der Zeile auf: einmal in jedem geraden Vierzeiler und dreimal in jedem ungeraden. Das Gedicht enthält acht Substantive, jeweils zwei in jedem Vierzeiler. In den ungeraden Vierzeilern sind sie auf alle vier ungeraden Zeilen verteilt (I, Jove, 3a wave\ III ,love, 3the least.). In den geraden Vierzeilern dagegen hat jede Zeile der geraden Zweizeiler ein zweimal wiederholtes Nomen, das in beiden Vierzeilern von zusätzlichen Wörtern begleitet wird (II 3 all the sea which, 4the sea\ IV ¡all the sky which, ¿he sky). Die Grenze zwischen Adjektiven und Adverbien wird verwischt. Lexikalische Adjektive erscheinen nie als Attribute im Gedicht. Sie sind alle Prädikative und fungieren als Adjektive oder Adverbien der Abstufung: entweder Superlative (II , it is most mad and moonly, IV , it is most sane und sunly) oder Komparative in zwölf "i/ian-Konstruktionen" (vgl. Strang 1968: 134f.). Diese Konstruktionen sind in allen Zeilen des Gedichts zu finden, abgesehen von den zwei schon erwähnten Zeilen mit den vier analytischen Superlativformen. Der einzige Fall von than mit nachfolgendem Satz—I 3 more seldom than a
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wave is wet—stellt das einzige Adjektiv im sogenannten "positiven Steigerungsgrad" dar. Than kommt viermal in den vier Zeilen jedes ungeraden Vierzeilers vor und erscheint zweimal in den geraden Zweizeilern der geraden Vierzeiler. Cummings Gedicht hat das Leitthema mit Eduard Sapirs Monographie Grading gemeinsam, das wie das Gedicht in den späten dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts verfaßt wurde. Der letztere dieser beiden Experten der Geheimnisse der Sprache und der Sprachkunst behauptete am Anfang seiner "Studie zur Semantik": "Beurteilungen wie 'mehr als' und 'weniger als' beruhen auf Perzeptionen der Umgebung" (1942: 122). Die stufenförmige Skala im Gedicht ist auf subtile Art gleichzeitig verwickelt und durchsichtig. Der Text beginnt mit einer Kette von vier Komparativen more (I,_4) und einem Superlativ most (II,) und kehrt zum Schluß zu der Abfolge von most und more in der umgekehrten Reihenfolge (IV, 2) zurück. Eine Reihe von fünf less steht zwischen diesen zwei most, und jedes less ist mit zwei Adjektiven verbunden. Eine kunstvolle systematische Spiegelsymmetrie liegt dem Verhältnis der beiden ungeraden Vierzeiler zugrunde. Die acht than-Konstruktionen zeigen vier Komparative mit more in dem ersten Vierzeiler und dementsprechend vier mit less in dem dritten. Die ersten zwei Komparative des ersten Vierzeilers und die letzten zwei des dritten mischen analytische und flektierte Vergleichsformen; außerdem haben sie eine räumliche Bedeutung (I ,more thicker, 2more thinner, usw.). Die letzten zwei Komparative des ersten Vierzeilers und die ersten zwei des dritten haben ausschließlich analytische Komparative mit einer zeitlichen Bedeutung (von denen drei Adverbien sind: I }more seldom, III ,/ess always, usw.). Alle vier räumlichen Komparative haben den Stammvokal /i/ gemeinsam, und die ersten zwei haben überdies anlautendes 191 gemeinsam. Kraft der oben erwähnten Mischung werden die zwei polaren Zweizeiler der ungeraden Vierzeiler spielerisch hervorgehoben: I , more thicker than forget, 2 more thinner than recall und III 3less bigger than the least begin, 4 less littler than forgive. Die etymologische Figur less littler wird dem substantivierten Superlativ least und der anschaulichen Paronomasie bigger - begin gegenübergestellt, die der Folklore der Kinder (siehe oben, S. 240ff.) verwandt ist und durch die Lautfolge /gl/ in forgive unterstützt wird. Beide Vierzeiler tragen auch zu der Spiegelsymmetrie in ihren Halbzeilen bei. So gleichen sich I , forget und III 4forgive sowohl lautlich ([f. .gl) als auch bedeutungsmäßig {forget and forgive: 'vergessen und vergeben'), und der erste Zweizeiler des ersten Vierzeilers und der letzte des dritten enden mit zweisilbigen Verbformen
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(I |forget, 2recall\ III 3begin, Jorgive). Die letzte Zeile des ersten Zweizeilers und die erste Zeile des dritten enden auf einsilbige, durch to eingeleitete Infinitive, und I3 und III2 sind die einzigen Zeilen in diesen Vierzeilern mit einem nichtverbalen Zeilenschluß (wet - alive). Die Antonymie I 4 to fail - III 4 io win verstärkt die Spiegelsymmetrie zwischen den zwei ungeraden Vierzeilern. Die itofl-Konstruktionen in den geraden Vierzeilern, in jedem zwei, unterscheiden sich von denen in den ungeraden: jeder der geraden Vierzeiler enthält ein Paar von i/wrc-Konstruktionen, in dem die zweite der ersten untergeordnet ist. Anders als die in den ungeraden Vierzeilern enthalten diese untergeordneten Konstruktionen kein Adjektiv und kein Adverb, das dem less des zweiten Vierzeilers oder dem more des vierten gegenübergestellt wäre: II 2and less it shall unbe }than all the sea oder IV 2and more it cannot die 3than all the sky. Umgekehrt werden in der letzten untergeordneten i/ian-Konstruktion von jedem der geraden Vierzeiler flektierte Komparative verwendet, und im Gegensatz zu denen der ungeraden Vierzeiler werden less und more nicht gebraucht: II 4 /s deeper than the sea und IV 4is higher than the sky. Jeder der geraden Vierzeiler weist die Abfolge einer zeitlichen und einer räumlichen than-Konstruktion auf. Die drei letzten Zeilen des zweiten Vierzeilers (II2_4) deuten darauf hin, da/3 das Erlöschen der Liebe ein unvorstellbareres Ereignis darstellt als das Verschwinden des ganzen Meers (all the sea), das jedes Meer an Tiefe übertrifft. Vier Wörter mit identischen Vokalen unterstreichen das Bild: II 2unbe - 3sea - 4deeper - 4sea. Die letzten drei Zeilen des Gedichts variieren und verstärken dasselbe Motiv: das Sterben der Liebe ist undenkbarer als das des Firmaments, das die Höhe des Himmels übersteigt. Hier unterstreichen vier identische Diphthonge das Bild: IV 2die - }sky - 4higher 4sky. Eine wichtige Aufgabe in der Strukturierung des Gedichts wird durch Lautbilder erfüllt, die das Ganze durchdringen und umfassen. Unter den Konsonanten im Wortanlaut spielen zwei Sonorlaute—/m/ und /l/, von denen jedes neunmal vorkommt—die führende alliterative Rolle im Gedicht. Der Nasal / m / ist verbunden mit den steigenden Ausdrücken more und most. Die Liquida IM ist verbunden mit den fallenden Ausdrücken less und least und leitet das Hauptwort des ganzen Werkes, love ein, das von allen Substantiven des Gedichts als einziges in der ersten Silbe von Versen auftritt. Abgesehen von der ersten Zeile des Gedichts (love is more thicker) kommen anlautendes / m / und /l/ nie in derselben Zeile vor, und das alliterierende IM ist auf die Spanne zwischen den beiden einzigen Belegen
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des Superlativs most (II, und IV ,// is most) beschränkt: II 7less, III ilove - less, 2less, }less - least, 4less littler. Was die m-Alliterationen im Gedicht angeht, so wird das vierfache more des ganzen ersten Vierzeilers in der fünften Zeile durch den Superlativ most mad and moonly gekrönt und durch ein weiteres labiales Tripel, 3 frequent - }fail, unterstützt. An der Schwelle des letzten Vierzeilers wird die Kette der alliterierenden Liquiden durch das Paar IV ¡most - 2more unterbrochen, das die Abfolge I 4more - II ,most in umgekehrter Reihenfolge wiederholt. Das Tripel von aufeinanderfolgenden alliterierenden / m / erweist sich als von Cummings besonders bevorzugt. So weist ein aus elf Silben bestehender Satz, der ein anderes Gedicht von ihm eröffnet—/ met a man under the moon on Sunday ('Ich traf am Sonntag einen Mann unter dem Mond.') (S. 355)—drei anlautende / m / und fünf / n / in anderen Positionen, zweimal in der wichtigen glossolalischen Konsonantenverbindung / n d / (under, Sunday). In dem Gedicht "love is more thicker" liegt die anlautende Liquida von less der neunfachen /l/-Alliteration zugrunde. Dementsprechend ruft der auslautende Sibilant desselben Wortes die sechsfache /s/-Alliteration in den geraden Vierzeilern hervor: II }4sea\ - IV ¡sane - \sunly, 3Asky. Bei dem einzigen anderen Auftreten desselben anlautenden Sibilanten—I ¡seldom—finden wir in der ersten Silbe möglicherweise eine anspielende Metathese auf less, bevor dieses Wort in II2 erscheint und in III,_4 mehrfach wiederholt wird. Zusammen mit less ist love auch an der Liquidenalliteration beteiligt. Außerdem wiederholen die zwei ungeraden Vierzeiler, die mit diesem Substantiv beginnen, den auslautenden Konsonanten deutlich, und keine anderen Wörter des Gedichts enden auf /v/: I ¡love - }wave\ III ¡love 2alive - 4forgive. Die unreinen Reime des Gedichts wie z.B. III 2alive Jorgive erhöhen die Beachtung der Ähnlichkeit der auslautenden Konsonanten durch den Leser; III ¡love - 2alive, die zwei Endglieder dieser beiden Zeilen, bilden eine Paronomasie, die sowohl lautlich als auch bedeutungsmäßig greifbar ist. Die Entsprechung zwischen I , love und }wave ist besonders bemerkenswert in Anbetracht ihrer ähnlichen syntaktischen Position, die die anderen Substantive des Gedichts nicht mit ihnen teilen, so wie in Anbetracht der überraschenden Wahl der Konstanten "Naßheit" als das tertium comparationis zwischen einer Welle und der Liebe statt ihrer Veränderlichkeit, Unbeständigkeit, Mobilität und ähnlichen Eigenschaften, die in der dichterischen Tradition bekannt sind. Das Gedicht beginnt mit der Alliteration von dunklen Nasallauten / m / und endet mit einer Alliteration von hellen Dauerlauten /s/. Die
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perzeptive Assoziierung mit dunkel bzw. hell (siehe oben, S. 213f.) wird semantisch untermauert durch die paronomastische Gegenüberstellung der Zeilen—II ,/f is most mad and moonly als Schluß des einführenden alliterierenden Motivs und IV , it is most sane und sunly als Anfang des Epilogs. Mit einem parallelen Lautwechsel geht die Darstellung vom geistigen und physischen Schatten in die Helligkeit über, mit einem begleitenden semantischen Übergang von II 4deeper zu IV 4 higher. Neben den drei bereits zitierten alliterierenden Konsonanten kommen nur sehr wenige anlautende Konsonanten in den "lexikalischen" Wörtern des Gedichts vor. Unter ihnen treten nur zwei Sonorlaute— Irl und /n/—auf, jeder einmal im Gedicht in der zweiten Zeile der zwei ungeraden Vierzeiler: I 2 recall, III 2never. Die wenigen übrigen anlautenden Konsonanten sind durch ein Paar von semantisch miteinander verbundenen Wörtern oder Phrasen vertreten: I , thicker - 2thinner, III }bigger - least begin, II 4 deeper - IV 2die. Wenn man die anlautenden Konsonanten der zwei Modalverben auch berücksichtigt, erhöht das shall in II2 die Anzahl der alliterierenden Sibilanten im zweiten Vierzeiler auf drei II ( i A sea), und IV 2cannot muß dem zweiten Konsonanten in der anlautenden Konsonantenverbindung von dem zweimal auftretenden sky in IV 3 4 gegenübergestellt werden. Nebeneinanderstehende Wörter mit anlautenden Vokalen werden durch die Identität der benachbarten Sonorlaute zusammengebracht: / n / und l\l in II 2shall unbe - II3 und IV }than all - only\ l\l in III , always - 2alive. Wie wir beiläufig schon erwähnt haben, dient die Identität von zwei oder mehr aneinandergereihten betonten Vokalen zur wirksamen Vereinigung einer verbalen und metrischen Abfolge (es sei daran erinnert, wie im dritten Vierzeiler die Individualität und Vollständigkeit der letzten beiden Zeilen durch die Verkettung von vier ungespannten /i/ unter dem letzten Akzent jeder Halbzeile gesichert werden: III 3bigger - begin - Mittler - forgive). Der Gegensatz von Ungespanntheit und Gespanntheit dient zur Verschärfung des Kontrasts zwischen den ungeraden und geraden Vierzeilern: fast alle (über 84 Prozent) betonten Silben am Schluß der Halbzeilen weisen in den ungeraden Vierzeilern ungespannte Vokale und in den geraden Vierzeilern gespannte (oder auch im vierten Vierzeiler Diphthonge) auf. Der erste Vierzeiler folgt dieser Anordnung in den ersten drei Zeilen, geht aber in der vierten auf gespannte Vokale (frequent, fail) über. In einer der acht Silben des zweiten Vierzeilers werden die gespannten Vokale aufgegeben (II 2less). Eine eingehende Analyse von "love is more thicker" zeigt, wie Lautübereinstimmungen eine enge semantische Zusammengehörig-
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keit bekommen oder verstärken, und wie sie als verwandte Submorpheme fungieren, die durch ein auf rätselhafte Weise komplexes und zusammenhängendes Netz von metrischen, strophischen und kompositionellen Mitteln unterstützt werden (vgl. Reinhart und TamirGhez). Cummings, der nicht gerne Vorträge hielt, erzählte seinen Harvarder Zuhörern, daß "die Kunst ein Rätsel ist" (1953: 82). Die relative Verdichtung, Anschaulichkeit und Eigenständigkeit von verschiedenen parallelisierenden Mitteln stellen die Dichtung der Alltagssprache gegenüber, aber die Bedeutung der relativen Unterschiede erlaubt es nicht, die Kluft zwischen diesen beiden Bereichen zu verabsolutieren, und zwar in erster Linie weil, wie es im Motto dieses Buches heißt, "die hartnäckige Annahme von Absoluten" den Verstand einschränkt und den Geist lähmt. Wir haben effektive und bedeutungsvolle Paare von sich reimenden und alliterierenden Wörtern aufgezeigt, oder vielmehr der Dichter hat sie in seinen Vierzeilern klar hervortreten lassen, aber dieselben Übereinstimmungen existieren in etwas abgeschwächter und versteckter Form in unserer gewöhnlichen Sprache ebenso: z.B. through thick and thin 'durch dick und dünn', forgive and forget 'vergeben und vergessen', deep-sea 'Hochsee', sky-high 'himmelhoch', usw. Unsere Wortspiele, absichtlich oder unbewußt, stehen Paronomasien, welche eine zugrundeliegende motivierende Kraft in der Sprachkunst darstellen, näher als man annehmen sollte. Das paronomastische Paar Caroline - Scarlet, das wir oben aus einem Seilspringreim zitierten, sowie die uralten Anagramme, die Saussure entdeckte, wie der Name Scipio, der in dem saturnischen Vers Taurasia Cfsauna Samnio cepit verborgen ist (siehe Starobinski 1971: 29), gehören zu den zahlreichen Beispielen eines Spieles mit Eigennamen (wegen der ausgesprochenen Sonderstellung von Eigennamen in unserem Wortschatz), ein Spiel das die Erfindungsgabe von Kindern und Erwachsenen mit der Folklore teilt. Diese ist bereit, beispielsweise eine paronomastische und mythenbildende Beziehung zwischen einem Heiligennamen und den jahreszeitlich bedingten landwirtschaftlichen Arbeiten und Vorhersagen, die im Kalender dem Heiligentag nahestehen, herzustellen, wie in dem russischen Bauernspruch: "V den' A/o/cija mökxo i vse leto wö/croe" — 'Wenn es am Tag des Heiligen Mokios (dem 11. Mai) naß ist, wird der ganze Sommer naß sein' (Dal' II: 339). Reime und andere Entsprechungen in der Lautbildung von Wörtern spielen eine hervorragende, offenbare Rolle in der Sprachkunst, aber ihre latente Beteiligung an der gewöhnlichen Spracherfahrung darf auch nicht unterschätzt werden (vgl. Bolingers einleitende Studie aus dem Jahre 1950 "Reim, Assonanz und Morphemanalyse",
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1965: 203ff. wieder abgedruckt; M. Bloomfield 1953; und Marchand 1957). Die submorphemische Etymologie (siehe oben, S. 219f.) ist ein wichtiger Aspekt der Sprache. Es ist zu bemerken, daß der Autor des Werkes How to do Things with Words (deutsche Fassung: Zur Theorie der Sprechakte 1972) John L. Austin (1911-1960), ebenso Linguist wie Logiker, gegen Ende seines Lebens an einer synchronen submorphemischen Analyse von englischen lexikalischen Materialien arbeitete und im Gespräch mit Noam Chomsky die Relevanz dieser Verwandtschaften in der Sprache und deren Untersuchung betonte. Wertvolle Informationen über die submorphemischen Operationen des Sprechers können von den Fällen, wo man ein Wort "auf der Zunge" hat, gewonnen werden. Roger Brown und David McNeil widmeten eine besondere Studie diesem "Zustand, in dem man sich nicht ganz an ein bekanntes Wort erinnern kann", insbesondere an einen Eigennamen, sich dem aber nähert, indem man sich an Wörter mit ähnlicher Lautgestalt erinnert oder ad hoc erfundene Vokabeln testet, weil man sich an bestimmte Elemente des gesuchten Namens erinnert: "diese leichter abzurufenden Merkmale von nicht so häufigen Wörtern können die Merkmale sein, auf die wir bei der Wortperzeption hauptsächlich achten" (1966: 325). Die Anzahl der Silben, die Betonungsstelle, der Anfang und das Ende von Wörtern erweisen sich als Züge, denen "bevorzugt Aufmerksamkeit geschenkt wird". Man darf hinzufügen, daß Sonorlaute auch leicht ins Gedächtnis zurückgerufen werden können. Als sich einer der Autoren beispielsweise an den Straßennamen Cornish nicht erinnern konnte, dachte er stattdessen an Congress und Corinth und Concord. Die inlautenden Sonorlaute r and «, die dem 'Zielwort' und den drei Ersatzwörtern gemeinsam sind, bewiesen ihr Vorhandensein in seinem Gedächtnis neben dem anlautenden Konsonanten und der silben- und akzentmäßigen Form des gesuchten Namens. Die Adhäsion von Verbindungen zwischen Laut und Sprache kann durch das Vermeiden von Wörtern, die auch nur eine partielle phonische Ähnlichkeit mit einigen als obszön betrachteten Vokabeln aufweisen, in moralistischen Reden veranschaulicht werden. Trotz der verschiedenen Beweise der Beachtung der Sprachlaute durch Sprecher und Hörer kommt das System der Alltagssprache keineswegs der autonomen, ja führenden Rolle nahe, die Laute und ihre distinktiven Merkmale in der Dichtung spielen und die die absichtliche Anhäufung von ähnlichen Lauten und Lautgruppen zum konstitutiven Mittel der Lautfolge erhebt (siehe oben, S. 59). Robert Godel (1967) legte ein aufschlußreiches Beispiel von zwei entgegen-
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gesetzten Verfahrensweisen bei der unmittelbaren Wiederholung von ein und derselben Lautgruppe, z.B. einer Silbe, in einer syntaktischen Kette vor: nämlich das Vermeiden einer solchen Iteration in der antiken lateinischen Prosa und deren Gebrauch als beliebte Lautfigur im Vers, der an solchen Verdoppelungen wie Dorica castra (Virgil, Propertius, Ovid), oder hasta Tago (Virgil), hasta Tagen (Statius), ista Tages (Lucan) reich ist. Wiederum kann man sagen, der Geist der Dichtung N U M E R O DEUS PARI G A U D E T .
Sprache und Dichtung Eine dynamische Spannung zwischen signans und signatum—und insbesondere das unmittelbare Ineinandergreifen von Sprachlaut und Bedeutung—wird von Cummings seinem Gedicht und im allgemeinen von Dichtern ihren Schöpfungen auferlegt, die dazu bestimmt sind: die fade Eintönigkeit und Eindeutigkeit der sprachlichen Mitteilungen zu überwinden, den nutzlosen und beschränkenden, auf 'Vereindeutlichung' abzielenden Versuchen Einhalt zu gebieten, und die schöpferische Kraft der Sprache, die von jedem Beigeschmack des Banalen befreit ist, zu bekräftigen. Das leidenschaftliche Interesse des Sprachwissenschaftlers und Dichters Edward Sapir für das Werk des Dichters und Sprachwissenschaftlers Gerard Manley Hopkins und vor allem für seine "fast furchtbare Unmittelbarkeit der Äußerung", eine Kraft, die mit einer "wilden Freude an dem bloßen Klang der Wörter" (1949: 500) spontan verknüpft war, zeigt Hopkins' und Sapirs' magische Einsicht in die "Flucht nach innen" der dichterischen Schöpfung. Man erinnere sich in diesem Zusammenhang an den Spitznamen "Medizinmann", den Leonard Bloomfield Sapir gab (siehe Hockett 1970: 540). Jener Zauber des "bloßen Klangs der Wörter", der in den expressiven, zauberhaften und mythenbildenden Aufgaben der Sprache und in höchstem Maße in der Dichtung ausbricht, ergänzt und gleicht das spezifisch sprachliche Mittel der 'doppelten Artikulation 1 aus und hebt diese Uneinigkeit auf, indem er den distinktiven Merkmalen die Kraft der unmittelbaren Bezeichnung verleiht. Ihre mittelbare Bezeichnungsart verschwindet völlig in den dichterischen Experimenten des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, die ihr Gegenstück in dem abstrakten Trend der Malerei finden und mit dem magischen Element in der mündlichen Überlieferung verwandt sind (vgl. RJ V: 353f.; Liede II:
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221ff.). Beim nochmaligen Lesen des Gedichts "Das Große Lalulä" von Christian Morgenstern (1871-1914) in seinem Buch der Galgenlieder, das als Motto Zarathustras Spruch—"im echten Mann ist ein Kind versteckt: das will spielen"—hat, fallen einem solche Zeilen auf wie Seiokrontro-prafriplo und Hontraruru miromente mit der glossolalischen Konsonantenverbindung ntr, sowie die spätere Zeile Entepente leiolente, die den Abzählreimen sehr nahesteht: vgl. das ente pente der Abzählreime. In der Tat inspirierten die Elemente aus Kinderspielen (wie éni béni, âni bâni) das Verschen " Vânja-bânja" aus dem berühmten Werk Nebesnye verbljuzata 'Die himmlischen Kamelbabys' der russischen avantgardistischen Dichterin Elena Guro (1877-1913). Die Allgegenwart und gegenseitige Fundierung von Verb und verbaler Kunst verleihen der zukünftigen Wissenschaft der beiden untrennbaren Universalien, Sprache und Dichtung eine fruchtbare Einheit.
Nachwort
Das Verhältnis von Teilen und Ganzen ist die grundlegende Frage, mit der die Sprachwissenschaft in ihren mannigfachen Aspekten konfrontiert wird. Jeder Versuch, die Wechselbeziehung der Teile in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit von dem Ganzen außer Acht zu lassen, zeigt die "hartnäckige Annahme von Absoluten", die laut Sapirs Mahnung den Geist einschränkt und lähmt. Die Erkennung der distinktiven Merkmale und ihrer autonomen Rolle in der Sprache erfordert deren innere Analyse. Aber es stellt sich dem Sprachforscher andererseits die genauso wichtige und unbedingt notwendige Aufgabe, die Relation dieser Merkmale zu dem Sprachlaut als ganzem, in der ganzen Vielfalt seiner Eigenschaften zu untersuchen. Alle Bestandteile des Sprachlauts in seinen verschiedenen Phasen vom Senden bis zum Gebrauch und der Interpretation durch den Sprecher und den Hörer müssen mit allen gegenwärtig zur Verfügung stehenden technischen Mitteln und mit ständiger Beachtung der sprachlichen Funktionen, die irgendein Bestandteil des Lautes erfüllt, untersucht und abgegrenzt werden, weil das Ganze des Sprachlautes ein Artefakt darstellt, das für die Zwecke der Sprache geschaffen wurde. Keine Phase des Sprachlautes darf vom Sprachforscher als quasi-irrelevant abgetan werden. Das Studium aller Eigenschaften des Sprachlautes und vor allem der distinktiven Merkmale muß auf einem strengen Relativitätsprinzip beruhen, das eine aufmerksame Suche nach der hierarchischen Anordnung der verschiedenen Elemente impliziert. Es versteht sich, daß ein Sprachforscher seine Forschung auf einen Teil dieser Elemente-beschränken darf. Aber er ginge fehl, wenn er die breitere und wichtige Aufgabe der Integration, die jede sprachliche Analyse inspirieren m u ß , vergessen oder vernachlässigen würde. Jeder Umgang mit distinktiven Merkmalen erweist sich als unzulänglich, solange die Frage nach ihrem ganzen System und dessen zugrundeliegenden Gesetzen die jedes Merkmal bildende binäre Opposition nicht berücksichtigt. Ein Katalog von bloßen Zufälligkeiten
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Die Lautgestalt der Sprache
wird notwendigerweise durch ein logisches Modell des Merkmalnetzes ersetzt. Die hierarchische Struktur der einfachen Oppositionen (mit einem überlagerten, "merkmalhaften" Gegenstück), ihrer Kombinationen und ihrer Wechselbeziehungen wird zum grundlegenden Problem der Analyse. Diese Analyse wird durch die neueren Entdeckungen der Relationen zwischen der Sprache und den beiden Hemisphären des Gehirns aufs stärkste bestätigt und erfordert eine weitere und engere Zusammenarbeit der Sprachwissenschaftler mit den Neurologen bei der Untersuchung dieser Probleme von außerordentlicher Wichtigkeit. Die Erforschung des Verhältnisses zwischen der Lautgestalt der Sprache und deren grammatischer Struktur muß die beiden unterschiedlichen Funktionen der distinktiven Merkmale, die bedeutungsunterscheidende und die bedeutungs bestimmende, von denen beide nicht außer Acht gelassen werden dürfen, berücksichtigen. Weder die Divergenzen noch die Konvergenzen in der Zusammensetzung der distinktiven Merkmale dürfen minimalisiert werden. Eine streng relationale Verfahrensweise gegenüber den Merkmalen zeigt beispielsweise, daß weder die bornierte Konzentration auf die Konvergenz noch die voreingenommene Verneinung derselben solchen grundlegenden Erscheinungen wie der gegenseitigen Verwandtschaft und Verschiedenheit von Vokalen und Konsonanten Rechnung trägt. Wir wiederholen an dieser Stelle, daß es keine Autonomie ohne Integration und keine Integration ohne Autonomie gibt. Die zwei wesentlichen Brennpunkte der Sprachforschung, Invarianz und Varianz, sind steril, wenn man sie voneinander trennt, und jede einseitige Übertreibung—man könnte fast sagen Monopolisierung—eines der beiden Aspekte ohne Berücksichtigung des entgegengesetzten entstellt die Natur der Sprache selbst. Jedes System ist per definitionem immer veränderlich; daher erweist sich die Vorstellung eines individuellen oder kollektiven Sprachsystems ohne Variation als contradictio in adjecto. Der Begriff des Kontexts, der die Variation weitertreibt, wird immer breiter und umfaßt nicht nur die sequentiellen und die gleichzeitigen Umgebungen im Lautfluß sondern auch die Diversität von Sprachstilen. Andererseits darf der Begriff der Invarianz nicht mehr auf eine Einzelsprache beschränkt werden, sondern der nächste logische Schritt wäre es, die Lautsysteme von Einzelsprachen als verschiedene Realisierungen von universellen Invarianten anzusehen. Die ständig wachsenden Bemühungen, das Weltinventar der distinktiven Merkmale zu vergrößern, haben ihre Wurzeln in der unberechtigten A u f g a b e der relationalen Betrachtungsweise bezüglich der vergleichenden Analyse von verschiedenen Lautsystemen.
Nachwort
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Das wachsende Verständnis für die Wechselbeziehung von Varianten und der Invarianz führt den Begriff der dynamischen Synchronie ein, verstärkt ihn und hebt die traditionelle Antinomie Synchronie/ Diachronie auf. Damit wird es v o m relativistischen Standpunkt überholt, die Behandlung des Sprachlichen auf eine bloße Beschreibung oder eine bloße Geschichte zu beschränken. Solche Dualismen wie Kompetenz/Performanz oder angeboren/erworben erweisen sich als unteilbar, wie man zeigen kann durch solche Gemeinplätze wie "die Sprache kann nicht erlernt werden ohne die Fähigkeit, sie zu erlern e n " und "die Sprache kann nicht entstehen ohne den Erwerb durch die U m g e b u n g " ; ebenso "ist die Performanz eines Senders und/oder eines Empfängers die A u s f ü h r u n g seiner K o m p e t e n z " und " K o m p e tenz bedeutet die Kompetenz des Empfängers und/oder Senders zur Realisierung der Performanz". Die Trennung der beiden Begriffe des Lautwandels und der Ausbreitung desselben ist ebenso künstlich, denn um erreicht zu werden, setzt jeder Wandel eine persönliche Wiederholung und eine zwischenmenschliche Diffusion voraus. Die Rollen des Sprechenden und des Angesprochenen bei der sprachlichen Kommunikation sind zwei voneinander untrennbare Forschungsthemen; und die innere Sprache, eine wichtige Variante dieses doppelten Themas, bedeutet eine Zuweisung der beiden Rollen an ein und dieselbe Person. Beide Sprachformen (die innere und die äußere) sind zwei eng verwandte Kommunikationsprozesse, und die Erkenntnis spielt eine wesentliche Rolle bei beiden. Man muß die Tätigkeiten der Kommunikation und der Erkenntnis in ihren zwischen- und ihren /«vermenschlichen Aspekten ständig berücksichtigen. Die distinktiven Merkmale und ihre zusammenwirkenden und aufeinanderfolgenden Bündel (Phoneme und Silben) heben sich von allen anderen Bestandteilen der Sprache durch den Mangel einer eigenen, unmittelbaren Bezeichnung ab. Ihr einziges signatum ist 'bloße Andersheit', oder in Sapirs Worten weisen sie "keinen Einzelb e z u g " auf. Ohne eine eigene Bedeutung zu besitzen, dienen sie zur Differenzierung der Bedeutungen von grammatischen Einheiten, zu denen sie gehören, Morphemen und Wörtern. Ihre innere Organisation baut auf dem Prinzip der effektivsten Wahrnehmung und Erinnerung auf. Diese bloß mittelbare Eigenschaft erscheint als ihre einzige Funktion, solange die Sprache nur in ihrer eng rationalen Verwendung betrachtet wird. A b e r jedes distinktive Merkmal baut auf einem Gegensatz auf, der, außerhalb seines grundlegenden und konventionellen Sprachgebrauchs betrachtet, eine latente synästhetische Assoziation und so eine unmittelbare, semantische Nuance besitzt. Diese Unmittelbarkeit
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Die Lautgestalt der Sprache
der Bezeichnung in den distinktiven Merkmalen übernimmt eine autonome Rolle in der mehr oder weniger onomatopoetischen Schicht der gewöhnlichen Sprache. Das übliche Verhältnis der Kontiguität zwischen Laut und Bedeutung tritt hinter eine Bindung der Ähnlichkeit zurück. Diese Erscheinung geht über die Grenzen der eigentlichen Onomatopöien hinaus und schafft submorphemische Verbindungen zwischen Wörtern von unterschiedlicher Herkunft. Eben diese Ähnlichkeit in Laut und Bedeutung übernimmt eine aktive Rolle bei der Wiederbelebung oder Verurteilung lexikalischer Archaismen und bei der Förderung entwicklungsfähiger Neologismen. Die Bedeutung des Wortspiels (Jeu de mots) im Leben der Sprache darf nicht unterschätzt werden: die vokalische Assoziation der Bezeichnungen f ü r Tag und Nacht mit dem Kontrast hell ~ dunkel für einen Slawen und langsamer ~ schneller für einen Franzosen schafft laut Lévi-Strauss une petite mythologie (vgl. oben, S. 212, und 1976/1978). Die Spannung zwischen zwei Strukturprinzipien—Kontiguität und Ähnlichkeit—durchdringt die ganze Sprache. Wenn die distinktiven Merkmale, als mittelbare Bausteine sinnvoller Elemente, dazu dienen, Laut und Bedeutung lediglich mittels der Kontiguität zu verbinden, so strebt die diesen Merkmalen eigene innere Lautsymbolik danach, sich loszulösen und eine unmittelbare Ähnlichkeitsrelation, eine Art Übereinstimmung zwischen dem signans und dem signatum herzustellen. Neben den konventionellen thèsei Relationen kommt auch eine direkte Semantisierung der Lautgestalt ins Spiel. Eben dieses 'Spiel' und die mythenbildenden Umgestaltungen der Sprache dienen zur Dynamisierung des selbständigen semantischen Potentials der distinktiven Merkmale und ihrer Gruppierungen. Die Dichtung, als ein zweckvolles, mythenbildendes Spiel, ist die vollkommenste, universelle Errungenschaft der Synthese zwischen Kontiguität und Ähnlichkeit. Die Analyse der beiden eng miteinander verwandten synthetischen Kräfte der Dichtung—die der Ähnlichkeit und der Kontiguität und die der Auswahl und der Kombination—ist eine brennende Aufgabe, die sich unserer Wissenschaft stellt. Jede Angst oder jedes Zögern vor der Analyse der dichterischen Umgestaltung der Sprache hindert das wissenschaftliche Programm jener Linguisten, die sich von dem zentralen Problem dieser wichtigen Umgestaltung zurückziehen; ebenso beschränkt dies die Forschung jener Literaturwissenschaftler, die bei der Behandlung der Dichtung vor den innersten Problemen der Sprache zurückschrecken. Unter den verschiedenen, verwickelten Problemen, vor die die Lautgestalt der Sprache uns stellt, scheint das des Zaubers der Sprach-
Nachwort
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laute besondere Aufmerksamkeit zu erregen. In ihrer vor kurzem erschienenen Ubersicht behauptet Eli Fischer-j0rgensen mit Recht, daß nicht nur die "potentiellen symbolischen Werte" der distinktiven Merkmale sondern auch deren universeller Charakter oft belegt worden ist. Bestimmte Beispiele, und insbesondere ihr Vergleich von westafrikanischen sprachlichen Daten mit ihren eigenen Versuchen mit dänischen Versuchspersonen, "zeigen deutlich, daß diese Werte nicht von bestimmten Sprachen und Kulturen abhängen" (1978). Die perzeptive Universalität dieser Werte weist gewisse Begrenzungen und eine Ungleichheit der Verteilung auf wegen der Unterschiede im Merkmalsvorrat bestimmter Sprachen. Deshalb unterstützt die Autorin wohlweislich "die Hypothese von beinahe universellen Werten". Die häufige Neigung von Sprachforschern zu 'absoluten', ausnahmslosen Universalien, die 'Quasi-Universalien' vorzuziehen seien, gerät wiederum mit Sapirs Warnung vor der "hartnäckigen Annahme von Absoluten" in Konflikt. Die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, die dennoch einen Wert unter 1,0 aufweist, ist ein ebenso bemerkenswertes Phänomen wie die Wahrscheinlichkeit 1,0. Die Erforschung des Spracherwerbs, des Sprachwandels und des aphatischen Abbaus—oder mit anderen Worten die Erforschung der Strukturierung, Restrukturierung und Destrukturierung der Sprache—muß in erster Linie mit gesetzmäßigen Tendenzen arbeiten ohne jegliche abergläubische Angst vor Ausnahmen und ohne jedes Vorurteil, das annehmen würde, daß es nur zwei Möglichkeiten gibt: entweder eine absolute Regel oder einen absolut blinden Zufall. Die Saussuresche Vorstellung vom Sprachstaub (poussiere linguistique) spaltet die Sprachwissenschaft nicht auf, sondern erweitert ihre Perspektiven bei der Suche nach allgemeinen Gesetzen. Genauso wie Saussures Vorstellung des Sprachstaubs seine Vorstellung des Systems und dessen allgemeiner Gesetze nicht unterminiert, so befugen die durch die Jahrhunderte entdeckten "sprachlichen Antinomien" uns nicht, die Einheit (oder genauer die 'Zweieinigkeit') der Auffassung der Sprache und ihrer Lautgestalt in ihrer ganzen wirklichen Vielförmigkeit zu unterminieren noch gegenüber den noch zu beseitigenden Widersprüchen die Augen zu schließen. Januar 1977-November 1978 Ossabaw Insel, Georgia—Peacham, Vermont— Cambridge, Massachusetts
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Die Rolle von phonischen Elementen bei der Sprachwahrnehmung
Arbeit von R. Jakobson, am 8. August 1966 beim 18. Internationalen Psychologenkongreß in Moskau vorgetragen, in Symposium 23: Modelle der Sprachwahrnehmung und in der Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 21, 1968, 9 - 2 0 wieder abgedruckt. Ein russischer Hörer kann mit einer elliptischen, unerwarteten Äußerung konfrontiert werden: vier Kombinationen von "nicht-silbisch plus silbisch". Wenn er die ersten beiden Silben als /jän'i/ und die nächsten zwei Vokale als / a / und / ü / identifiziert hat, wird er wahrscheinlich vermuten, daß der Satz mit dem Pronomen /ja/ 'ich' und der Negationspartikel / n ' i / beginnt, und daß die zwei folgenden Silben einem Verb mit der Endung der 1. Person Sing. Präs. / ü / angehören. NB: wir verwenden die übliche "breite Notation". Dem Vokal /a/ in solchen Verbstämmen können dreizehn verschiedene nichtsilbische Phoneme vorangehen und achtzehn nachfolgen. Die provisorische Zerlegung der sequentiellen Eingabe stellt den Entschlüsseier vor die Aufgabe, aus 42 existierenden, phonemisch unterscheidbaren Verben eine Wahl zu treffen, da sie alle in dieses Schema passen. Dies kann ihm nur dann gelingen, wenn er die betreffenden Phoneme erkennt: so beginnen beispielsweise Verben auf / a r ' ü / mit acht verschiedenen Konsonanten, und in fünf Verben kann der Anfangssilbe /pa/ ein anderes Phonem folgen: /pajü, par'ü, pal'ü, pasü, pasü/. Auch wenn das Verb von einem Objekt, z.B. /kos/, begleitet wird, und wenn der Hörer, der das wahrscheinliche Thema der Mitteilung antizipiert, diesen Einsilber als Genitiv oder Akkusativ Plural von /kazä/ 'Ziege' richtig entschlüsselt, wird er trotzdem noch mit 26 semantisch und syntaktisch passenden Verben konfrontiert, solange die nichtsilbischen Phoneme des Verbstamms noch nicht richtig identifiziert worden sind: /pajü/ 'tränke', /dajü/ 'gebe' oder 'melke', /tajü/ 'verheimliche', /dar'ü/ 'schenke', /par'ü/ 'prügele', /var'ü/
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Die Lautgestalt der Sprache
'koche', / m a r ' ü / 'quäle', / k a r ' ü / 'tadele', /pal'ü/ ' v e r b r e n n e ' , /val'ü/ 'stoße u m ' , /sal'ü/ 'salze ein', /kal'ü/ 'schlachte', / m a n ' ü / 'locke', / g a n ' ü / 'treibe', / r a n ' ü / 'lasse fallen', /zavü/ ' r u f e ' , /pasü/ 'weide', /vazü/ ' f ü h r e ' oder 'bringe mit dem Wagen', / n a s ü / 'trage', / m a c ü / 'weiche ein', usw. Ein weiterer Satz kann dieser Mitteilung hinzugefügt werden, z.B. / u m ' i n ' ä itäk xlapöt polan rot/ 'Ich habe sowieso die Hände voll zu t u n ' , doch bleibt die Identifizierung der zwei betreffenden P h o n e m e noch unentbehrlich, solange weder der Kontext noch die Situation (der nicht-verbalisierte Kontext) dem Empfänger den notwendigen Schlüssel nicht gibt. W e n n die P h o n e m e erkannt und das Verb als /dajü/ identifiziert wird, m u ß der Entschlüsseier noch zwischen zwei Homonymen—'ich melke' und 'ich gebe'—entscheiden, da die Vokale der beiden Stämme, die sich unter Betonung unterscheiden (vgl. / u d o j / 'Melken' und den Imperativ /däj/ 'gib!'), in unbetonter Stellung zusammenfallen. Der Einsilber / k o s / kann wiederum ein Genitiv PI. entweder von /kazä/ 'Ziege' oder von /kasä/ 'Sense' sein, weil stimmhafte und stimmlose Obstruenten im Auslaut zusammenfallen. Solange also der Kontext keine eindeutige Lösung ermöglicht, läßt der gleichlautende Satz mindestens drei Interpretationen zu: 'Ich melke keine Zeigen', 'Ich gebe keine Ziegen' oder 'Ich gebe keine Sensen'. Wir müssen immer wieder auf der probabilistischen Haltung des Hörers gegenüber der sprachlichen Eingabe bestehen. Er kann phonematische Diskriminierung nicht entbehren und sucht nach Signalen in dem heteronymen und eindeutigen Kontext, u m die H o m o n y m e zu klären. Für den Enkodierer ist die Homonymie natürlich ohne jede Ambiguität, aber der Dekodierer findet eventuell auch in der sprachlichen Umgebung kein Signal, das ihm ermöglicht, das H o m o n y m zu entschlüsseln. Solche Fragen wie "Would you like hot f o o d ? " ("Möchten Sie ein heißes [oder scharfes] E s s e n ? " ) und " D o you want a light dress?" ("Suchen Sie ein helles [oder leichtes] Kleid?") f ü h r e n leicht zu Mißverständnissen. Als der junge Majakovskij Tolstois Werk Vojnä i mir 'Krieg und Frieden' sein Gedicht mit dem wortspielerischen Titel Vojnä i mir 'Krieg und die Welt' (1916) gegenüberstellte, in dem der internationale und universelle R a h m e n deutlicher hervortritt, hob die darauffolgende Reform der russischen Rechtschreibung (1917) den konventionellen, rein graphischen Unterschied zwischen den Homonymen mir 'Frieden' und mir 'Welt' auf. In Anbetracht der Tatsache, daß Majakovskij sowohl den Krieg als auch den Frieden in weltweitem Zusammenhang behandelt, kann der Kontext den Titel dieses Gedichts nicht disambiguieren.
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Es ist offensichtlich, daß phonemische Signale es d e m Hörer gestatten, einige Wort- und Satzkonturen vor der endgültigen Identifizierung der sprachlichen Eingabe zu erfassen. Gleichermaßen ist es klar, daß die große Anzahl der Redundanzen d e m Empfänger einer gegebenen Mitteilung erlaubt, einige ihrer phonologischen so wie morphologischen und lexikalischen Bestandteile auszulassen. Nicht nur die Produktion unserer Sprache sondern auch deren Wahrnehmung kann in h o h e m Grade elliptisch sein. G e n a u s o wie der Sprecher jeden elliptischen Subkode in den optimalen, expliziten Kode seiner Sprache (von Scerba 1915 der "volle Stil" genannt) übersetzen kann, so setzt der Hörer seinerseits seine "elliptische" Wahrnehmung in einen expliziten Text leicht um. Bei der Sprachwahrnehmung schränken verschiedene Ebenen der Kontextbeschränkung der Phoneme, wie z.B. die Silbe, das Wort und die syntaktische Struktur den Erwartungsbereich erheblich ein. Das Erkennen einer verbalen Abfolge umfaßt nicht nur sofortige und unmittelbare Entdeckung, sondern auch extrapolierende Antizipierung und auch andererseits die rückwirkende Kraft des Sofort-Gedächtnisses. Trotz der tiefen Verwurzelung der P h o n e m e in der formalen und semantischen U m g e b u n g bleibt die Anzahl der streng a u t o n o m e n Entscheidungen, die zur Identifizierung der P h o n e m e in einer Ä u ß e r u n g notwendig sind und sich nicht aus grammatischen Regeln ableiten lassen, beträchtlich, wie unser oben angeführter russischer Satz veranschaulicht hat und man durch zahlreiche weitere Beispiele bestätigen könnte. Der erhebliche Unterschied zwischen den Operationen der Verschlüsselung und Entschlüsselung im Sprachverhalten wird durch die Typologie der aphatischen Störungen auf überzeugende Weise belegt, nämlich durch die auffällige Verschiedenartigkeit zwischen den sogenannten motorischen Störungen, die vorwiegend die Verschlüsselung betreffen, und den sogenannten sensorischen Störungen, die hauptsächlich die Entschlüsselung betreffen. Besonders signifikant ist die Tatsache, daß die letztere Art der Aphasie im Gegensatz zur ersteren durch den Verlust jener syntaktischen, morphologischen, lexikalischen und phonematischen Elemente, die nicht durch den Kontext bestimmt sind, gekennzeichnet ist. Insbesondere, je weniger gewisse Bestandteile eines P h o n e m s von der gleichzeitigen und aufeinanderfolgenden Umgebung abhängen, desto eher sind sie der Tilgung ausgesetzt (RJ II: 289ff. und 3 0 7 f f ) . Störungen bei der Phonemfindung decken die streng diskriminierende, selektive Operation als das unmittelbare Ziel des Entschlüsselungsvorgangs auf.
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Die Lautgestalt der Sprache
Die universelle Fähigkeit von Sprechern, die phonematische Zusammensetzung von verschiedenen, sogar äußerst schnell ausgesprochenen Äußerungen zu erkennen, stellt den Sprachforscher vor ein ziemlich verwickeltes Problem. Obwohl man wiederholt zugegeben hat, daß solch ein schnelles Erkennen von aufeinanderfolgenden Elementen eine latente Umsetzung des ständigen Sprachflusses in eine Anordnung von grundlegenden getrennten sprachlichen Einheiten erfordert, schienen gewisse Hindernisse eine solche Annahme zu beeinträchtigen. Diese Kontroversen sind jedoch eigentlich durch die feste Gewohnheit, das Phonem als eine nicht weiter teilbare sprachliche Einheit zu behandeln, hervorgerufen worden, wohingegen die Auflösung des Phonems in distinktive Merkmale als dessen letzte Bestandteile alle diese vorübergehenden Unzulänglichkeiten beseitigt, solange die distinktiven Merkmale eine grundlegende Stellung in unseren Sprachwahrnehmungsmodellen einnehmen. Die gegenwärtige Erforschung der neurophysiologischen Grundlagen der Wahrnehmung legt besondern Wert auf "die Rolle von zentralen Faktoren bei der Wahrnehmung" und auf die "zentral bewirkte Kontrolle von Sinnesdaten", wie Bruner (1958) sagt. In seiner aufschlußreichen Studie über neurologische Mechanismen der Wahrnehmung führt er den kategorialen Charakter der perzeptiven Identifizierung an und weist darauf hin, daß "die Äquivalenz der Reizvorkommen von gewissen Invarianzen im Verhältnis abhängen". Mit unserem Wahrnehmungsvermögen "identifizieren wir schließlich Beständigkeiten und setzen Objekte gleich, die in jeder Hinsicht außer ihren kennzeichnenden Eigenschaften drastisch geändert worden sind". Nach Adrian (1954) " m u ß der ganze Bericht von den Sinnesorganen in irgendeinem Stadium einer Redaktion unterzogen werden, die die wichtigen Elemente hervorhebt und das Unwichtige beiseiteläßt". Ein vom Nervensystem verwendetes Polarisierungsverfahren wandelt unsere Wahrnehmungen in Begriffe um. Die Implikationen dieser Forschung sind relevant für die Einsicht in die Rolle, die die distinktiven Merkmale bei der Sprachwahrnehmung spielen. Auf der Ebene der psychologischen Realität fungieren diejenigen Merkmale als Wahrnehmungen, die das Kontinuum ihrer physischen Grundlage in getrennte polarisierte Eigenschaften umwandeln. Solange diese ausschlaggebenden Eigenschaften vorhanden sind, behalten die distinktiven Merkmale ihre Identität trotz starker kontextbedingter Änderungen in den physischen Reizen. Sapir ([1933] 1949) verglich die elementaren Einheiten der Sprache mit "Noten, die in der physischen Welt in einem endlosen Kontinuum
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ineinanderfließen", aber die im Hinblick auf die musikalische Tonleiter und die Komposition deutlich getrennte Elemente darstellen, die "gegeneinander klar abgegrenzt sind" (RJ II: 334ff.). Auf die Umwandlung der physischen Elemente in eine Reihe von rein unterscheidenden Signalen als das grundlegende Mittel der Sprache und der Sprachwahrnehmung hat Sweet in seinen Überlegungen zu den "an sich signifikanten Unterschieden" in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts (1877) hingewiesen. Zu derselben Zeit zeigte Baudouin de Courtenay (1877) den streng relationalen Charakter dieser als binäre Oppositionen aufgefaßten Unterschiede. Dieser Begriff wurde von Saussure (1916) weiter erläutert und f ü h r t e dann bei diesen drei Sprachwissenschaftlern zu der ersten vagen Vorstellung der distinktiven Merkmale als der letzten differenzierenden Elemente, die "einen rein oppositiven, relativen und negativen W e r t " haben (laut Saussure; vgl. Godel 1957). Auf ähnliche Weise interpretierte Baudouin (1910; 1963; 246ff.) schließlich das P h o n e m als einen akkordähnlichen Komplex von elementaren, unteilbaren Bestandteilen, und da sie sowohl auf der motorischen als auch auf der akustischen Ebene erkennbar sind, bezeichnete er sie als "Kinakousmata". In den letzten dreißig Jahren hat man diese Ideen gründlich entwickelt und sie auf die konkrete sprachliche Analyse angewandt (vgl. z.B. RJ I und Muljacics prägnante Skizze 1964). Die Forschung hat einen höchst begrenzten Vorrat von distinktiven Merkmalen aufgezeigt, die in den Sprachen der Welt zu finden sind, und eine noch engere Auswahl dieser Merkmale f ü r den Gebrauch in einem bestimmten Sprachsystem. Die zusammenwirkenden Merkmale weisen Regeln der hierarchischen Anordnung auf, die entweder universell sind oder einen gewissen phonologischen Sprachtyp oder spezifisch eine bestimmte Sprache kennzeichen. N e u e Daten über Lautsysteme aus einem größeren Sprachenbereich, die sehr wertvoll aber noch fragmentarisch und einer endgültigen linguistischen Analyse bedürftig sind (siehe insbesondere Ladefoged 1964), stellen trotz der Behauptungen ihrer Sammler die Beschreibung nach den schon vorgeschlagenen Kategorien nicht in Zweifel, sondern legen eine exaktere und unfassendere Neu-Definition f ü r einige nahe. Die Anzahl der Merkmale f ü r eine jede Sprache ist eine kleine Untermenge des Vielfachen ihrer P h o n e m e , und die Anzahl der Merkmale in einem gegebenen Phonem ist kleiner als die Gesamtliste der in der jeweiligen Sprache vorhandenen Merkmale. Der Phonemvorrat wiederum ist, wie wiederholt festgestellt wurde, ein kleiner Teiler der Anzahl der kleinsten Bedeutungsträger. Weil die distinktiven Merkmale, die Signale ohne Eigenbedeutung sind und in
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erster Linie zur Unterscheidung von bedeutungsvollen Einheiten dienen, zahlenmäßig beschränkt sind, kann der Hörer diese letzten Bestandteile der Sprachabfolge erkennen und auswendig lernen. Der dichotome Maßstab, den sie dem Lautstoff auferlegen, liefert sowohl der Sprachwahrnehmung als auch dem Spracherwerb ein effizientes Werkzeug: das gleichzeitige Vorhandensein der beiden polaren Glieder in unserem Geist macht die binäre Opposition wirksamer als eine zufällige Dualität, wo keines der beiden Glieder Aufschluß über das andere gibt (siehe Pos 1938). Die mathematischen Grundlagen solcher wirksamen binären Systeme sind einer eingehenden Analyse unterzogen worden (siehe Ungeheuer 1959 und Bruck 1958). Lautsignale mit sechs gleichzeitigen Variablen konnten vom Hörer nur dann richtig erkannt werden, wenn er vorher wußte, auf welche Dimensionen er achten mußte, und wenn jede von ihnen ihn vor eine binäre Entscheidung stellte (siehe Pollack und Ficks 1954). Diese Umstände und Konsequenzen schienen der Wahrnehmung von Phonemen als Bündeln von zusammenwirkenden distinktiven Merkmalen zu ähneln, da "jede minimale Distinktion in einer gesprochenen Mitteilung den Hörer vor eine Entscheidung zwischen zwei Alternativen stellt" (siehe G. Miller 1956). Kurz, "die binären Unterscheidungen liefern ein Mittel, die Systeme zu vereinfachen, nach denen der Erkennungsmechanismus sich richtet" (Licklider 1952; vgl. Wason 1961). Übrigens, die vom zentralen Nervensystem ausgeübten Unterscheidungstätigkeiten sollen allgemein einem digitalen Vorgang, und zwar einer binären Ziffer (Digit) unterliegen, besonders bei der Erkennung von rein diskriminativen Reizen (vgl. Zinkin [1958] 1968). Je schöpferischer, ungewöhnlicher und unerwarteter eine Mitteilung ist, desto niedriger ist der Grad der Redundanz und Voraussagbarkeit und desto mehr muß der Dekodierer auf die minimalen Bestandteile der Äußerung achten. Wenn wir einen Umriß der Sprachuniversalien oder eine einzelsprachliche Beschreibung mit einer Untersuchung der Fundamente der Sprache beginnen, behandeln wir in erster Linie ihre semiotischen Grundlagen, nämlich die distinktiven Merkmale und die inneren Gesetze ihrer Kombinierbarkeit in Bündeln und Abfolgen, mit ständigem Bezug auf die physischen Daten, die verarbeitet und in "bedeutungsunterscheidende" Elemente (smyslorazlicitel'nye nach der von Cistovic et al. 1965 verwendeten passenden russischen Bezeichnung) umgewandelt werden. Auf dieser Ebene bleiben die bedeutungsvollen morphologischen Einheiten bloß voneinander unterschieden aber Undefiniert und unklassifiziert. Die Differenzierung und Spezifizierung der verschiedenen grammatischen Mor-
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phemklassen und ihrer Kombinationen gehören zu der nächsten, höheren Ebene der semiotischen Funktionen. Die zwei Aspekte der Grammatik und vor allem der Morphologie nennt Sapir (1929) — "grammatische Prozesse" und "grammatische Begriffe". Jener Teil der Morphologie, der sich mit Prozessen befaßt, muß die phonomatische Zusammensetzung der Morpheme und die formalen Unterschiede zwischen den grammatischen Klassen der Morpheme und Wörter, nämlich Unterschiede in der Zahl, Größe und Auswahlmenge der Phoneme und Merkmale untersuchen. Mit der allmählichen Verbesserung der Sprachanalyse ändern sich Paradigmen von bloßen Katalogen zu kohärenten Systemen von strukturierten Konvergenzen und Divergenzen. In Übereinstimmung mit dieser Entwicklung verschwindet der Unterschied zwischen der traditionellen Formenlehre und der sogenannten Morphophonematik, und jene wird eigentlich zu dieser. Dieser Zusammenfall stand schon bevor, seit die frühere ausschließliche Beschäftigung der Morphophonematik mit Phonemalternationen in identischen Morphemen durch eine Untersuchung der phonomatischen Synkretismen und Verschiedenheiten in ganzen Morphemklassen ergänzt wurde. So wurden zwei verschiedene von den Verbindungen distinktiver Merkmale getragene Funktionen deutlich abgegrenzt. Ihre grundlegende, bedeutungsunterscheidende Fähigkeit wird durch eine bedeutungsbestimmende Performanz ergänzt: die distinktiven Merkmale und ihre Verbindungen dienen dazu, die Einheit und Unterschiedlichkeit von verschiedenen Morphemklassen zu kennzeichnen. Zwei selbständige und zugleich eng wechselseitig verbundene Ebenen der Sprachanalyse entsprechen diesen beiden Funktionen. Die letztere taucht später im allmählichen Spracherwerb bei Kindern auf: in seinem frühen, holophrastischen Stadium erhöht das Kind die Varietät und Kombinierbarkeit der distinktiven Merkmale und ihr diskriminatorisches Gewicht, bevor es zum nächsten Stadium übergeht—zu dem Entstehen und Wachstum der Syntax und der Morphologie. Der weitreichende Unterschied zwischen den bedeutungsunterscheidenden und den bedeutungsbestimmenden, formativen Mitteln muß bei unserer Untersuchung der Sprachwahrnehmung besonders berücksichtigt werden. Soweit distinktive Merkmale in ihrer rein diskriminierenden Funktion gebraucht werden (vgl. die phonematische Zusammensetzung der oben besprochenen russischen Verbstämme), verringern sich die Möglichkeiten der Verwendung von grammatischen Signalen zu deren Erkennung seitens des Hörers auf ein Minimum.
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" N u r die Merkmalsnotation hat sprachliche Bedeutung" (Chomsky und Halle 1965). Es sei besonders betont, daß im Gegensatz zu der üblichen Transkription von ungelösten P h o n e m e n die analytische Merkmalsnotation zeigt, welche Unterscheidungen d e m Empfänger in der phonematischen Abfolge tatsätlich entgegentreten. In den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts deckten die technische Entwicklung der motorischen Phonetik und der Gebrauch von Röntg e n a u f n a h m e n f ü r die Erforschung der Sprachproduktion die breiten Wirkungen der Koartikulation auf, die die Zerlegung des Sprachflusses in getrennte Segmente mit bestimmten artikulatorischen G r e n z e n umwerfen (siehe Menzerath und Lacerda 1933). Mit dem nachfolgenden Fortschritt von akustischen Studien und Experimenten sind ganz ähnliche Ergebnisse auf der physischen Ebene der Sprachlaute erzielt worden: die Ergebnisse zeigen, daß es unmöglich ist, den Phonemsegm e n t e n beobachtbare akustische Grenzen zuzuweisen. A. M. Liberman et al. (1965) stellen fest: " E s gibt keine M e t h o d e , das akustische Signal entlang der Zeitdimension so abzuschneiden, daß man Segm e n t e gewinnt, die als getrennte P h o n e m e w a h r g e n o m m e n werden; die akustischen Repräsentationen der P h o n e m e überlappen und vermengen sich . . . " Chomskys (1964) scharfe kritische Bemerkungen gegen gewisse ernsthafte Mängel und Widersprüche in neueren phonologischen Grundsätzen bemängeln die Behandlung der P h o n e m e als unteilbare letzte Einheiten, verlieren aber ihre Schärfe, wenn man sie auf die Analyse der folgerichtig relational definierten distinktiven Merkmale anwendet. Die Suche nach d e m Zusammentreffen von den G r e n z e n verschiedener zusammenwirkender Merkmale ist auf den veralteten Glauben an den Vorrang der P h o n e m e und auf eine Unterschätzung der relativen Autonomie der Merkmale zurückzuführen. Jedes Merkmal setzt seine eigenen G r e n z e n , und die zeitliche Reihe der aufeinanderfolgenden Merkmale weist eine feste Anordnung auf. Auf der Merkmalsebene bietet die sequentielle Segmentierung keine Komplikationen. Wie Cistovic (1961-62) vermerkte, kann der Hörer die akustische Kette der distinktiven Merkmale in ihrer linearen Abfolge beobachten. In den höchst interessanten Versuchen von Cistovic et al. (1965) verursachten akustisch verzerrte russische Ausdrücke sehr aufschlußreiche Erkennungsfehler bei den Hörern. Z.B. /fs'ófpróslam/ 'alles in der Vergangenheit' wurde als /fxótplátnaj/ 'bezahlter Eintritt' verstanden. Die Eingabe wie auch die Ausgabe bestehen jeweils aus elf P h o n e m e n ; die Vokale, zwei betonte und ein unbetonter, behalten genau diesselbe Position in beiden Abfolgen; auch die drei Sonor-
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laute in jeder Abfolge (r, /, m und /, n, j) besetzen jeweils dieselbe Stelle. Der Hörer behielt die Stimmlosigkeit der fünf Obstruenten; in der Eingabe teilen drei von ihnen mindestens ein weiteres distinktives Merkmal mit ihrem Gegenstück in der Ausgabe (/s'/ und Ixl sind kontinuierlich, / f / und Iii diffus, /§/ und Iii hell). Unter den acht nichtsilbischen Lauten grenzen nur zwei nicht an Vokale; sie sind auch die einzigen, die in der Eingabe und in der Ausgabe völlig übereinstimmen: / / s ' o / - Ifxöl und löfpwl - löipläl. Anscheinend hat der Dekodierer Konsonanten ohne diejenigen Formantenübergänge, die eine rückwirkende oder antizipierende Erkennung begünstigen, besonders beachtet und erkannt. Kurz, auch wenn er nicht alle gehörten Konsonanten völlig identifiziert hat, entdeckt der Wahrnehmende trotzdem gewisse von ihren Merkmalen, die es ihm gestatten, jeden dieser Konsonanten einer bestimmten Phonemklasse zuzuordnen, und er kann sie auch behalten (Cistovic 1955). Verschiedene Fälle von Überlappung ("overlapping"), die Bloch (1941) gesammelt hat, betreffen nur den Status von Phonemen, finden jedoch keine Entsprechungen im Hinblick auf Merkmale. Jedes Merkmal weist eine eigene binäre Opposition auf, die sich von den durch die anderen vorhandenen Merkmale aufgewiesenen Oppositionen unterscheidet, es sei denn, daß in gewissen Kontexten eines der Merkmale sich in ein anderes verwandelt (diachrone Überlappung), oder daß in gewissen elliptischen Subkodes der gegebenen Sprache beide Merkmale zusammenfallen (stilistische Überlappung). Die gleichzeitigen und aufeinanderfolgenden Informationen, die in einer Äußerung realisiert werden, stehen in einem Eins-zu-EinsVerhältnis zu den distinktiven Merkmalen, unter der Voraussetzung, daß der Sprecher sich des nicht-elliptischen, expliziten phonematischen Kodes bedient hat (vgl. Halle und Stevens 1964). Freilich erfährt jedes distinktive Merkmal mannigfache Variationen, die sowohl von der gleichzeitigen als auch von der sequentiellen phonomatischen Umgebung abhängen (vgl. Ivanov 1962). Bei all diesen Variationen wird jedes Merkmal jedoch durch seine relationale, polarisierte, topologische Invariante vertreten, solange das Merkmal in der Äußerung nicht verwischt wird, und solange der phonematische Kode dem Enkodierer und dem Dekodierer gemeinsam ist, damit dieser das Wahrgenommene mit dem bekannten Modell sofort vergleichen kann, welches einen normalisierenden Einfluß auf seine Wahrnehmungen ausübt (siehe Bruner 1958). Ein lehrreiches Beispiel der relationalen Invarianz eines Merkmals bei kontextbedingter Variation findet man bei Bondarko und Zinder (1966): die Aufwärtsverschiebung der Tonhöhe bleibt ein unver-
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ändertes invariantes Kennzeichen der russischen Konsonantenopposition erhöht ~ nicht-erhöht, egal was ihre unterschiedlichen Ausführungen sind, die durch Kombinationen mit verschiedenen zusammenwirkenden und/oder aufeinanderfolgenden Merkmalen (höheres Spektralniveau mindestens in einer der Konsonantenphasen oder ein i-ähnlicher Formantenübergang zum darauffolgenden Vokal) bedingt sind. Weitere Beobachtungen derselben Autoren beweisen noch einmal die dringende Notwendigkeit des Vergleichs der Gegenstücke nur in identischen phonematischen Kontexten (ceteris paribus), z.B. die dunklen ~ hellen Dauerlaute in den Abfolgen afa-asa, ufu-usu. Obwohl "auf einer relationalen Grundlage der Gegensatz dunkel/hell noch beibehalten wird" in natürlicher Rede (Fant 1970), entstellt das künstliche Herausschneiden von vorvokalischen / , s aus ihrer vokalischen Umgebung ihre echte phonematische Relation. Gleichermaßen verhindert das gewaltsame Herauslösen eines zwischenkonsonantischen ungespannten englischen / aus seiner obligatorischen konsonantischen Umgebung natürlich die perzeptive Diskriminierung (K. Stevens 1966). Die ständig angeführten Beispiele gegen das Prinzip der Invarianz sind kaum überzeugend. In dem Wort sölnce 'Sonne' wird im Moskauer Dialekt das /l/ auf einen abwärtsgerichteten Formantenübergang des vorangehenden löl reduziert (vgl. Scerba 1912 über die polyphthongische Struktur, die betonte Vokale im Russischen leicht annehmen). Dieser w-ähnliche Übergang mit der darauffolgenden Konsonantenverbindung /nc/ findet sein Gegenstück in der zwischenvokalischen Verbindung des Genitivs /gärnca/ T r o c k e n m a ß i n dem das vibrierende, nicht-kontinuierliche Irl dem /1/-Rest noch gegenübersteht. In dem "vollen Stil" wird das Liquidenphonem von /solnca/ aber wiederhergestellt, wohingegen in einer anderen Variante des Moskauer Russischen jede Spur von l\l verschwindet, was zu einer automatischen Alternation /sonca/ - /solniska/ und zu dem Reim /sonca/ - /akonca/ 'Fensterchen' führt. Ein weiteres Beispiel entnimmt man Malecots (1960) Artikel über die häufige amerikanische Aussprache von solchen Formen wie camp, can't, hint und bunk mit einer antizipierenden Nasalität im Vokal und einer Abschwächung des Nasalkonsonanten. In der Regel ist noch "eine Spur des Nasalkonsonanten" vorhanden, und daher wird weder die Zusammensetzung der Abfolge noch die Invarianz des konsonantischen Nasalitätsmerkmals beeinträchtigt. Nein, die Reduktion des Nasalkonsonanten hängt vom "Sprachtempo" ab, und der optimale, explizite Kode, der allen abgeleiteten, elliptischen Subkodes zugrundeliegt, verstärkt den Nasalkonsonanten. Der dritte Fall, der in dieser Hinsicht oft erörtert
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wird, ist der Unterschied zwischen zwischenvokalischem t und d im Amerikanischen. Solche Paare wie latter - ladder oder writer - rider befinden sich auf der Schwelle der Unterscheidbarkeit und geben häufig Anlaß zu Verwechslungen (siehe Oswalds Experimente 1943), vor allem in einer lässigen Sprechart (Sapir [1933] 1949). Je expliziter der gebrauchte Kode ist, desto stärker ist die Tendenz, die ungespannten und gespannten Varianten auseinanderzuhalten. Das stabilste Signal für diesen Unterschied zwischen gespannten und ungespannten Phonemen bleibt die längere Dauer der ersteren. Der gespannte Konsonant in solchen Formen wie latter, writer weist eine relative Länge des Konsonanten und eine relative Kürze des vorangehenden silbischen Lautes auf, im Gegensatz zu der relativen Kürze des Konsonanten und der relativen Länge des vorangehenden silbischen Lautes in ladder und rider (siehe Jakobson und Halle 1964). Im schnelleren Subkode kann dieser Unterschied in dem quantitativen Verhältnis zwischen V und K hauptsächlich oder ausschließlich durch die unterschiedliche Dauer von V ausgedrückt werden, aber man muß wiederholt vor einer Merkmalsanalyse warnen, die auf elliptischen Umgestaltungen des optimalen Kodes beruht! Es ist klar, daß die Sprachproduktion und Sprachwahrnehmung zwei gekoppelte Mechanismen sind, von denen jeder den anderen beeinflußt. Der artikulatorische Vorgang schürst eine auditive Rückkoppelung ein und wird gestört, wenn diese verzögert wird (vgl. Huggins 1966). Gleichermaßen wird die Sprachwahrnehmung normalerweise durch eine motorische Rückkoppelung ergänzt (vgl. A. M. Liberman et al. 1965). Aber diese sensomotorische Koordination (vgl. D. M. MacKay 1966 und Haggard 1966) kann Spekulationen über den Vorrang der artikulatorischen Vorstellung bei der Spracherkennung kaum rechtfertigen. Man muß Gunnar Fant (1966) zustimmen, daß "die Motor-Theorie der Sprachwahrnehmung vielleicht mehr Interesse erregt hat, als ihr eigentlich zukommen sollte". Die Beteiligung der motorischen Rückkoppelung ist keineswegs eine unentbehrliche Vorbedingung für die Identifizierung und Diskriminierung von sprachlichen Mitteilungen. Ein passiver Erwerb von Fremdsprachen geht meistens deren eventueller aktiver Beherrschung voraus. Russen im Kaukasus lernen oft eine der Ortssprachen zu verstehen und sind in der Lage, deren sechzig bis siebzig Konsonanten zu erkennen, ohne sie selbst reproduzieren zu können oder auch nur das artikulatorische Modell solcher häufigen kaukasischen Phoneme wie der glottalisierten Verschlußlaute zu begreifen. Wenn sie Tschechisch hören, unterscheiden viele Russen und Polen den Sibilanten Vibrierlaut / f / von den nicht-vibrierenden Sibilanten /z, §/ und von dem
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Nicht-Sibilanten Irl im tschechischen Phonemsystem mühelos, ohne diesen Laut nachahmen zu können oder dessen Produktionsweise zu verstehen. Viele Ausländer mit verschiedenden Muttersprachen können die Interdentallaute der englischen Sprache unterscheiden und richtig identifizieren, sie aber nicht aussprechen und ersetzen sie durch ihre eigenen / s / oder / t / f ü r den stimmlosen und / z / oder / d / für den stimmhaften Interdentallaut. Um diese englischen nichtscharfen Dauerlaute, die im Polnischen fehlen, annäherungsweise zu imitieren, gebrauchen Polen oft ihre eigenen nicht-kontinuierlichen scharfen Phoneme, die Affrikaten /c/ und /?/. So sollen die polnischen scharfen Plosivlaute, die durch die Abschwächung der Energiereduktion (d.h. des konsonantischen Optimums, das die milden Plosivlaute darstellen) vom konsonantischen Optimum abweichen, die englischen milden Engelaute wiedergeben, die das nichtvokalische Optimum (d.h. die maximal geräuschhaltigen scharfen Engelaute; siehe Jakobson und Halle 1968) abschwächen. Entgegengesetzte Fälle von fremden Phonemen, die richtig ausgesprochen aber bei der Wahrnehmung verwechselt werden, bilden ganz seltene Ausnahmen. Viele Studien über die Kindersprache haben gezeigt, daß Wörter, die in der perzeptiven Erfahrung und im Gedächtnis deutlich voneinander unterschieden wurden, in eigenen Äußerungen der Kinder homonym blieben, solange die betreffenden phonematischen Unterschiede ihnen nur auf der sensorischen aber noch nicht auf der motorischen Ebene bekannt waren. Eines der zahlreichen Beispiele ist Passys Geschichte von dem kleinen französischen Mädchen, das noch nur diffuse Konsonanten gebrauchte und daher sowohl garçon als auch cochon durch toton ersetzte, aber heftig protestierte, wenn zum Spaß Erwachsene den Jungen cochon oder das Schwein garçon nannten, oder wenn sie sich seiner Kindersprache bedienten und das Schwein und den Jungen beide toton nannten. "Es heißt nicht toton, sondern totonwar die zornige Antwort des Mädchens. Aus meinen eigenen Aufzeichnungen: Bambo Sliwowski, ein dreijähriger Junge aus Warschau, ersetzte das polnische loi noch durch /a/. Als ein Freund seiner Eltern nach ihm [dapacärjgu] statt des normalen Ausdrucks [dopocöqgu] 'zum Zug' wiederholte, entgegnete das Kind scharf: "Man kann nicht [dapacärjgu] sagen; man muß [dapacâggu] sagen!" Die erwähnten Ausländer und Kinder haben eine adäquate Tabelle der Phoneme und ihrer sensorischen Realisierungen gespeichert, ohne die entsprechenden Konfigurationen des Ansatzrohrs begriffen zu haben. Den Anfängen der motorischen Sprache bei der Entwicklung des Kindes kann sogar ein Stadium des völlig stummen Hörens und
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Verstehens (in der deutschen Pädologie als 'Hörstummheit' bekannt) vorangehen. Das Kind erkennt und versteht leicht die Äußerungen der anderen, ist aber zu der eigenen sprachlichen Produktion noch nicht fähig. Schließlich haben wir auch die triftigen Fälle von Kindern, die durchaus gelernt haben, die Sprache zu verstehen, und ihre Grammatik völlig beherrschen, obwohl sie von Geburt an ohne Sprache aufgewachsen sind (siehe Lenneberg 1962). So scheint die Vorstellung der Sprachwahrnehmung als durch die Produktion bedingt eine einseitige Übertreibung zu sein. Van Ginnekens (1907) Betonung der beiden polaren psychologischen Typen von Sprachbenutzern—der eine vorwiegend motorisch, der andere vorwiegend sensorisch—deutet auf einen wichtigen Unterschied in der Hierarchie dieser beiden Ebenen hin. Jedes distinktive Merkmal ist auf jeden Fall sowohl auf der motorischen als auch auf der sensorischen Ebene klar zu erkennen und weist dieselbe Polarität und Invarianz auf, wenn man es streng relational betrachtet. Das Merkmal dunkel ~ hell beispielsweise, akustisch als Energiekonzentration in dem unteren/oberen Frequenzbereich des Spektrums definiert, findet ein genaues motorisches Korrelat in dem Gegensatz der peripheren und medialen Verengung. Im allgemeinen "gehen die Artikulation und die Schallwellen nie getrennte Wege", wie Fant (1970) festgestellt hat. Doch da das motorische Stadium eines jeden sprachlichen Ereignisses sich zum akustischen Phänomen wie Mittel zur Wirkung verhält, scheinen die Verhältnisse auf der akustischen Ebene einen weitaus effizienteren Schlüssel zu den generativen Invarianzen im Verhältnis zu liefern als umgekehrt. Jedes Merkmal stellt eine weitaus deutlichere Opposition seiner Alternativen auf der akustischen als auf der motorischen Ebene dar, so daß eine Auflistung der distinktiven Merkmale bezüglich ihrer artikulatorischen ohne Berücksichtigung der akustischen Entsprechungen ein ungenaues und nicht überzeugendes Bruchstück bleiben muß. Malmberg (1956), der sowohl in der Sprachwissenschaft als auch in den verschiedenen Aspekten der Instrumentalphonetik gleichermaßen erfahren ist, schließt mit Recht, daß "es in der Regel leichter ist, unmittelbare Korrelate der sprachlichen Struktureinheiten in der akustischen als in der physiologischen Substanz zu finden". Kurz, alle Fakten sprechen gegen die spekulative Behauptung, daß artikulatorische Bewegungen zwischen den akustischen Reizen und der Wahrnehmung vermitteln (siehe A. M. Liberman 1957). Ich möchte noch einmal betonen (siehe RJ I), daß G. v. Bekesys Darstellungen der Trommelfellreaktionen auf die vielfältigen ungarischen und deutschen Vokale die invariante Polarität der distinktiven
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Merkmale bei einem weiteren Stadium des Sprachvorgangs nochmals bestätigt haben. Die vielversprechenden Versuche, diese Merkmale unmittelbar als Wahrnehmungen zu analysieren (vgl. Hanson 1966), legen eine enge Korrelation zwischen den physischen Reizen und den perzeptiven Dimensionen nahe. Die "neue Betonung der Rolle von zentralen Faktoren bei der Wahrnehmung" wird ohne Zweifel zu einer intensiven Suche nach den neurologischen Stadien des Sprachvorgangs führen. Zwei methodologische Prinzipien können die künftige Untersuchung der Sprachwahrnehmung fördern. Man könnte sie als Autonomie und Integration bezeichnen. Jede Sprachebene, angefangen von den letzten getrennten Bestandteilen bis zu der Gesamtheit der Rede und jede Ebene der Sprachproduktion und -Wahrnehmung müssen im Hinblick auf die inneren selbständigen Gesetze und die ständigen Wechselwirkungen von verschiedenen Ebenen sowie auf die ganze Struktur des sprachlichen Kodes und der sprachlichen Mitteilungen (alias language 'Sprache' und speech 'Rede') in ihrer gegenseitigen Beeinflussung behandelt werden. Die notwendige Verbindung zwischen diesen beiden fundamentalen Prinzipien warnt den Sprachforscher vor zwei traditionellen Irrtümern. Es handelt sich dabei einerseits um den Isolationismus, der die wechselseitigen Beziehungen der Teile und ihre Solidarität mit dem Ganzen absichtlich außer Acht läßt, und andererseits die Heteronymie (oder metaphorisch Kolonialismus), die der einen Ebene die Regeln der anderen aufzwingt und die eigene Struktur der ersteren sowie die Entwicklung aus sich selbst verleugnet. Dasselbe doppelte Prinzip kann und muß auf das Verhältnis zwischen der Sprachwissenschaft und der Psychologie übertragen werden. Die sprachlichen Grundlagen der verbalen Struktur und die psychologischen Probleme der Sprachintention und -perzeption erfordern nicht nur eine streng innere Analyse sondern auch eine interdisziplinäre Synthese.
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Dänisch, 65, 143, 158, 165, 200, 209, 261 Dakota, 222f. Desano, 163 Deutsch, 7, 15, 42, 79, 115f„ 151, 165, 171, 178, 196f„ 218, 226, 256 Dunganisch, 130, 131 Englisch, l f „ 4ff„ 15, 20f„ 22, 24ff„ 29, 31, 38f„ 43, 46, 54, 62, 78ff„ 92, 93, 96, 109f., 119, 148, 156f„ 162, 165, 168ff„ 174, 177ff., 186, 188, 201ff„ 208f., 212, 2161T., 230, 235, 240ff„ 246ff„ 254f„ 272f. Eskimo, 148, 23 lf. Estnisch, 149 Ewe, 126, 221 Finnisch, 79, 149, 161f. finno-ugrische Sprachen, 161f. Französisch, 2, 6, 21f„ 25f„ 42, 45, 79, 96, 99ff„ 107, 117ff„ 131, 146ff„ 151ff„ 171, 183, 197, 199ff„ 206, 212, 241, 260 Gälisch, 131 Galla, 148 Gbeya, 214 Georgisch, 67 Giljakisch, 52 Gogo-Yimidjir (auch Koko-Yimidir), 232 Gros Ventre, 232 Guarani, 147 Hawaiianisch, 140 Hindi, 147 Igbira, 144 Igbo, 151 Indogermanisch, 218, 229 indo-iranische Sprachen, 115
328 Ipai, 225 Irisch, 53 irokesische Sprachen, 138f. Isoko, 125 Italienisch, 171 Jabem, 164 Japanisch, 78, 96, 128, 170, 214f. Javanisch, 217 Jiddisch, 165, 178 Kabardinisch, 120 Kalmückisch, 164 Karaimisch, 163f. Karaya, 231 Karelisch, 161f. Kaschmiri, 130 Kasimow-Tatarisch, 137 Kasachisch, 232 kaukasische Sprachen, 98, 120, 127, 137, 175, 273 keltische Sprachen, 22 Keres-Sprachen, 148 Ketschua, 198 Kirgisisch, 161 Komantsche, 140 Koreanisch, 22, 161, 214 Korjakisch, 97, 160, 232 Kwakiutl, 227 Lateinisch, 9f„ 62, 177, 212, 218, 244, 253, 255 Lettisch, 42, 171 Leuangiua, 140 Luo, 75f. Maasai, 163 Makedonisch, 47 Maharaschtri, 147 Malaiisch, 214 Malajalam, 125 mandschu-tungusische Sprachen, 160, 162f. Maxacali, 115 Mazatec, 90 mongolische Sprachen, 161 Mon-Khmer-Sprachen, 158 Nasioi, 118 Nez Perce, 224, 228
Die Lautgestalt der Sprache Niederländisch, 22, 25, 149, 170 Niihau, 139f. Nootka, 225ff. Norwegisch, 46, 170, 177, 202 Oltscha, 163 Oneida, 139 Orokisch, 163 ozeanische Sprachen, 153f. Paiute, 224 Pali, 151 Pirna, 228 Polnisch, 8, 22, 56, 80f„ 130, 170f„ 174, 176, 241, 273f. Ponope, 155 Portugiesisch, 147, 176 Prakrit-Sprachen, 151 Puget Sound, 144, 228 Quileute, 228 Rumänisch, 107, 130, 171 Russisch, xx, 5, 7, 23ff„ 29, 34ff„ 39f„ 42, 51, 58flf., 67, 79, 95, 99, 104, 121 ff., 128, 130f„ 167, 171, 186, 216f„ 228, 232, 233ff„ 239f„ 253, 256, 263, 268ff. Sächsisch, 42 Sahaptiji, 228 Samoanisch, 140 Sanskrit (s. Altindisch) Schiich, 97 Schoschonensprachen, 148 Schwedisch, 36, 96, 107, U l f . , 148 Semai, 220 semitische Sprachen, 64, 98 Seneka, 138 Serbokroatisch, 53, 130, 146 Serer, 123 Sioux-Sprachen, 223 skandinavische Sprachen, 53 slawische Sprachen, 115, 118, 149f„ 217f. Slowakisch, 103, 111, 146 Slowenisch, 22f., 171 Somali, 215 Spanisch, 170 Sumerisch, 231 Sutho-Tschwana-Sprachen, 127
Sprachenregister Tahitisch, 137 Takelma, 228 Tamil, 126 Temne, 125 Teso, 148 Thai, 48 Tibetisch, 160 Tillamook, 224 Tlingit, 138 Tscham, 145 Tschechisch, 8, 22, 27, 40f„ 55f„ 79, 94f„ 103, 106f„ 111, 113, 142f„ 146, 170f„ 174, 176f., 212, 230, 241, 273f. Tschuktschisch, 160f., 231 Türksprachen, 161, 214, 216f. Twi, 163
Ubychisch, 93 Udihe, 163 Uigurisch, 160 Ukrainisch, 116, 232 Ungarisch, 44, 146, 170, 206, 275f. Urdu, 163 Usbekisch, 126, 130 Ute, 148 Wishram, 224 Yana, 231 Yoruba, 54, 220f. Yuma-Sprachen, 225, 229 Zulu, 176
Sachregister
Abnormale Spracharten, 225ff., 230 abrupte Lösung, 156 Abstraktionismus, 51, 91 Abzählreime, 235, 240ff. Adressant (Sprecher)/Adressat (Angesprochener, Hörer), 24ff., 28, 31, 44, 65f„ 84, 174, 230, 232, 236, 259, 265 Ähnlichkeit (Gleichartigkeit), 52, 54, 196, 215, 220, 259 Äquivalenz, 52ff„ 238f„ 266 Affrikaten, xx, 151 ff., 172 Agraphie, 79 'Akkord' (Phonem als), 19, 267 akustischer Aspekt, 14f., 27ff„ 65ff., 87ff„ 108f„ 114, 122ff„ 126f„ 209, 275 Akzent (Wort-), 40f„ 48, 144 Alliteration (siehe Lautfiguren) altgriechische Theorien, 9f. altindische Theorien, 10f., 31, 78 alveolar ~ dental (vgl. erniedrigt ~ nichterniedrigt), xx, 125f. Ambiguität, Disambiguierung, 3f., 80, 255, 264 Anagramme, 244 Analyse der Sprache, 5ff., 30ff., 257, 275 Andersheit, 46, 77, 259 angeboren/erworben, 69, 73, 136, 259 AnschliV3, 148 Anthropologie, 77, 98ff., 136 Antinomien, 243f., 261 Antonymie, 205 Aphasie, 33ff„ 78, 133f„ 172f„ 180, 192f„ 261, 265 apikal, 125 Apperzeption, 34 Apposition, 4 Archaismus (siehe auch stilistische Variation), 140, 188, 260 Artefakt/Mittel (Sprachlaut), 30, 257
artikulatorisch (siehe motorisch) Aspiration (Behauchung), Artikulationsstärke, xx, 15, 67, 149f„ 159, 165 Assimilation, Dissimilation, 97, 115f., 150f. auditiver Aspekt, 275 'auf der Zunge', 254 Ausbreitung, 83 Ausnahmen, 63, 155, 172, 176f„ 178f., 184f„ 261 ausschließliche und bevorzugte Strukturgesetze, 168 Autonymie (relative), 58ff., 270, 276 ayn, 165 Baby-Sprache, 76, 122, 144, 215f. Bedeutungs-/Sinnbestimmung, 39f., 57ff., 60, 68, 258, 269 Bedeutungs-/Sinnunterscheidung, 2f., 11, 15f„ 18f., 24, 38ff., 41, 46, 53, 57ff„ 65, 68, 92, 258, 264, 269 Beschwörungen, 236, 241 Betonung (siehe Akzent) binär (dyadisches Prinzip), 20f., 24f., 43, 69f., 71, 87f„ 97ff„ 142f„ 157, 160f„ 190ff„ 244, 267 . Buchstaben und Interpunktionszeichen, 41, 71f„ 77f„ 167 chromatisch (bunt) ~ achromatisch, 141f„ 210, 213 Dauer, xxii, 111 Denken (siehe innere Sprache) determinierende Formanten, 101f., 106f., 146 dichotomes Hören, 31 ff., 48 Dichotomie (siehe binär) Dichtung (siehe sprachliche Kunst)
332 Diffusion ( A u s b r e i t u n g ) u n d N e u e r u n g e n , 83, 144, 173, 183, 188f., 259 D i m i n u t i v e u n d A u g m e n t a t i v e , 144, 215, 221ff„ 225ff. distinktive M e r k m a l e , 1, 2f„ 7f., 19ff., 25ff„ 29f„ 3 4 f „ 37, 38f„ 4 0 f , 4 2 f „ 45ff„ 50f„ 52ff„ 57ff„ 6 0 f „ 6 4 f „ 70, 71, 77, 87ff„ 94, 98ff„ 117, 124f„ 128, 133ff„ 257ff., 266f„ 268 distinktive M e r k m a l e in ihrer Systematik, 120ff„ 127ff„ 136ff„ 144ff„ 151ff„ 153ff„ 157, 168fF„ 172, 180 Distributionalismus, 56f., 94 doppelte Artikulation, 70f., 73, 195f., 255 Doubletten, 7 dreieckige (dreigliedrige) Systeme, 119f., 129, 137, 141ff„ 199, 204, 210f„ 217, 222f., 243 d u n k e l ~ hell, 47, 91, lOOff., 105fT„ 117ff., 121f„ 127fT„ 130f„ 137fT., 141ff„ 146, 152, 161 ff., 199, 204, 21 Off., 222f„ 272, 275 d y n a m i s c h e Synchronie, 80ff., 181 ff"., 259 " e m u e t " , 165f. E i g e n n a m e n , 244, 253ff. einfache, zweifache u n d m e h r f a c h e U n terschiede, 2 5 f „ 35, 37, 133 Einförmigkeit/Vielfalt, 80ff., 135 ' E i n z e l b e z u g ' , 46, 77, 259 Ejektive (vgl. g e h e m m t — u n g e h e m m t ) , 159, 175 Elektroschock-Therapie, 34ff. elliptische Perzeption, 6, 264 elliptische R e d e , 5fT, 27, 38f., 73, 85, 165f., 183, 263ff„ 272f. ' e m i s c h ' u n d ' e t i s c h ' , 50 e m o t i v e M e r k m a l e (expressiv), 41ff., 45ff„ 49, 53, 78, 144, 179, 198f„ 214f„ 218, 255 ' e m p h a t i s c h ' (vgl. erniedrigt ~ nichterniedrigt), 64, 98, 123, 163 Energie: Konzentration u n d S t r e u u n g , 107f„ 120 Engstirnigkeit, 62 E n k o d i e r u n g / D e k o d i e r u n g , 25f., 263f., 271 E n t l e h n u n g e n , 81, 167, 178f., 218
Die Lautgestalt der Sprache e r h ö h t — n i c h t - e r h ö h t (vgl. Palatalisierung), 100, 121 fT., 124fT„ 128, 130, 143, 163, 167, 226, 272 erniedrigt ~ nicht-erniedrigt, 64, 98, 100, 121, 122ff„ 128ff., 137, 142, 155, 163f. Explizitheit, 4ff., 73, 165f„ 183, 265, 272f. expressiv (siehe emotiv) e x t r a p u l m o n i s c h e K o n s o n a n t e n (vgl. gehemmt~ ungehemmt), 159, 175 fakultative Realisierungen (siehe Latenz) Farben u n d Sprachlaute, 140ff., 207ff., 223, 243 'Flucht nach i n n e n ' , 255 formalisierte u n d natürliche Sprachen, 63 F o r m a n t e n ü b e r g ä n g e , 90, 95, 100, 103, 108, 122f„ 146, 271 Fragesatz (interrogativ), 48f., 180 ' f r e i e V a r i a n t e n ' (vgl. stilistische Variation), 4 1 f „ 185, 189 fremdsprachlicher C h a r a k t e r von L e h n wörtern, 167 F u n k t i o n , 30, 5 7 f „ 8 5 f „ 188, 215f„ 257 Tunktionale Belastung, 30, 60, 191 G e d ä c h t n i s ( E r i n n e r u n g ) , 37, 78, 259, 265 Gedichtsanalyse, 243, 247ff. g e h e m m t ~ u n g e h e m m t , 67, 158, 224 G e h i r n u n d Sprache (siehe linke Hemisphäre u n d rechte Hemisphäre des Gehirns) g e m u r m e l t , 151 G e n e t i k , 69ff. genetische I n f o r m a t i o n , 70f. genetischer Kode, 70ff. G e s a m t b e d e u t u n g , 99 G e s e l l s c h a f t s s t r u k t u r , 21 gespannt - u n g e s p a n n t , 29, 52, 147ff., 154, 158r„ 165ff„ 176f., 206, 221, 224, 230, 272f G e s p r ä c h s p a r t n e r , 26, 44, 69f., 82f. gleich (klingend) u n d a n d e r s (klingend) (vgl. Äquivalenz), 53f., 175 Gleitlaute, 164flf. Glossematik, 47, 56 Glossolalie, 232fT„ 239ff„ 256 Glottisschlag (vgl. Gleitlaute), 43, 137, 165ff. glottalisiert (vgl. gehemmtxx, 67
ungehemmt),
Sachregister 'grading', 249 gradueller Charakter, 43 Grammatik, 2, 58f., 71f„ 98f., 248 grammatische 'Prozesse' und 'Begriffe', 59ff., 269 Grundbedeutung, 99 Grundbestandteile, 9ff., 18f., 26, 60, 87ff„ 132, 200 Grundquanten, 22 Gruppentheorie, 14 'h aspiré', 165ff. Halbvokale, 167f„ 171 'hamza', 165 Harmonie (siehe Konsonanien-, Silben-, Vokalharmonie) Hell - Dunkel-Symbolik, 141ff„ 199f„ 202, 204, 206ff„ 222, 260 Heuristik, 11, 24, 53, 134 Hierarchie, 45, 50, 61f„ 69f„ 97, 132, 133ff„ 152, 154fT., 257 hinten/vorne (vgl. dunkel ~ hell), 114 hoch - tief (vgl. kompakt - diffus), 114 'Hokus-Pokus', 134 Hörstummheit, 274f. Holophrasen, 61, 179, 269 Homogeneität und Variation, 80f. Homonymie, 3ff., 264 Ideophone, 214, 220, 221 Implikationsgesetze der unumkehrbaren Solidarität/einseitigen Fundierung, 169, 172, 181f. lmplosive (vgl. gehemmt ~ ungehemmt), 159 Infantilismen, 174, 218 Informationswert, 93 innere Sprache, 84ff., 259 Integration, 60f„ 71, 72f„ 83, 257, 276 Interjektionen, 43, 45, 65, 167 internationale Untersuchung der Kindersprache, 168ÍT. Intonationskontur, 5, 48f., 179f. Intuition, 54, 92, 121, 149 invariable (einförmige) Morpheme, 60, 268f. Invarianz (relationale), 13ff„ 28, 51f., 63, 80, 87, 91, 101, 114, 117, 126, 168, 173, 258f„ 266, 271f. Isolationismus und Heteronymie, 60, 276
333 Junggrammatiker, 184 Kinakema,
19, 267
Kindersprache, 23, 25, 36, 61, 65, 67f„ 75f„ 84, 93, 96, 119, 122, 137, 144, 152, 162, 164, 168fT, 170ff„ 173ff„ 176ff„ 181ff„ 188ff, 196, 202, 213, 245, 256, 261, 269, 274f. Kinderdichtung, 239ff. Kindheit (vorsprachliche Phase), 65ff. Klassifizierer, 4 Koartikulation (siehe Segmentierung) Kode und Mitteilung, 25f„ 54, 70f., 135, 183, 271 Koexistenz (siehe Synchronie) Kognition (siehe Kommunikation) Kombinierbarkeit, 56, 134f. Kommunikation und Kognition, 30, 73f., 79, 85f„ 259 Kommunikationsbreite/-kreis, 63, 183f. Kommutation (Austauschbarkeit), 11, 53, 93 kompakt ~ diffus, 35, 91, 101, 107ff„ 122, 129ff., 137ff„ 141 ff., 144f„ 148, 177f„ 189, 197ff, 203, 206, 211, 213 Kompetenz/Performanz, 83, 135, 188, 259 Komplementarität, 52, 108, 122 konßgurativ (kulminativ und abgrenzend), 40f„ 46ff„ 58f„ 71, 160 Konformismus/Nicht-Konformismus, 83, 188 Konsonant (siehe Vokal ~ Konsonant) Konsonantenharmonie, 163f., 264f. Konsonantenverbindungen: Unterscheidbarkeit von deren Bestandteilen, 103, 270f. konsonantische Entsprechungen zu prosodischen Merkmalen, 156ff. konsonantisches Geräuschelement, 93 Kontext, 3 f f , 156, 258 kontextfrei/kontextsensitiv, 63, 73 kontextbedingte Variation, 14, 46, 63, 80f„ 83, 95, 109, 118, 123f„ 146, 167, 173, 258, 266, 271f. Kontiguität, 94, 97, 259 kontinuierlich - abrupt, xxiii, 153f., 156, 158, 172, 175 Kontrast, 21, 157 Konvergenz/Divergenz, 135, 141, 189, 258
334 K o o k k u r r e n z (siehe Synchronie) K o p e n h a g e n e r Linguistenkreis, 56 koronal u n d dorsal, 28f. Korrelation, 19, 22, 98 Kreativität (schöpferisch), 223, 236, 255, 268 K u n s t , 256 Kybernetik, 72 Labialisierung, R u n d u n g (vgl. erniedrigt ~ nicht-erniedrigt), xx, 63f., 98, 116, 1261T., 161, 164 Labiovelarisierung, 126ff. Läsionen: p o s t e r o t e m p o r a l e u n d f r o n t o temporale, 35, 133f„ 192 Lallen, 65, 67 laminal, 125 lang — kurz, xxii, 58 L a t e n z u n d fakultative Realisierung, 39f., 43, 134, 165f„ 198, 203 Lateralität des G e h i r n s , 32ff., 48ff. L a u t d o m i n a n z , 240, 244f„ 253ff. Laute: sprachliche/nichtsprachliche, 30ff., 36 Lautfiguren, 238, 251ff. ' L a u t g e s t e n ' , 200, 214 Lautsymbolik, 195ff„ 204, 206ff„ 214, 220ff„ 259ff. Lautsymbolik: akustische u n d motorische Interpretation, 202ff. Lautsymbolik: Gültigkeitsgrade, 206 Lautsymbolik im geistigen L e b e n , 21 lf. lautsymbolische E x p e r i m e n t e , 204ff. lautsymbolischer Ablaut u n d parallele Mittel bei Vokalen u n d K o n s o n a n t e n , 220ÍT. ' L e e r s t e l l e n ' u n d ihre Interpretation, 15 lf. Lese- u n d S c h r e i b f ä h i g k e i t / A n a l p h a b e t e n t u m , 76ff. Lesen (laut oder still), 77ff. Lexik (Wortschatz), 2, 8, 26, 48, 58, 72, 100, 197, 248 Lied: lautliche Beschaffenheit, 7f., 144, 166, 228 Linearität, 18f„ 22, 82, 244 Linguistic Society of America, 18, 20 linke H e m i s p h ä r e d e s G e h i r n s , 32ff., 48fT., 104, 117, 122f„ 180, 192 linkes O h r (siehe rechte Hemisphäre)
Die Lautgestalt der Sprache Lippenpflock, 138 Liquiden, 94ff„ 176, 206 ' l o c u s ' , 90 M a t h e m a t i k , 14, 17f„ 267f. M e r k m a l u n d Eigenschaft, xxifT. Merkmalhaftigkeit, 37, 67, 9 8 f f , 119, 122, 124, 127ff., 142, 144f„ 148f„ 150ff„ 153f., 157ff„ 160f„ 165, 167, 170, 173, 176, 192, 222, 258 metalinguistische O p e r a t i o n e n , 188 Metathese, 1 milde D a u e r l a u t e , 153ff. m i m e t i s c h , 214 m i n i m a l e Vokal- u n d K o n s o n a n t e n s y s t e m e , 120, 137flf. Minimalpaare, 11 f. Mittel/Zweck (Ziel), 28, 30, 51, 57f„ 70, 75, 85f„ 91, 180, 187f„ 209, 260, 275 mittelalterliche Einsichten, 1 lf., 31, 195 mittlere Vokale (siehe Zweiteilung) M o n o l o g e , 84f., 240 M o r p h e m e , 13, 17, 60, 160f„ 164 morphologische G a n z e , 60 Mor[pho]phonologie (Mor[pho]phon e m a t i k ) , 57ff„ 220, 269 ' m o t o r i s c h e B e f e h l e ' , 28 m o t o r i s c h e (fälschlicherweise ' p h o n e tisch' g e n a n n t ) T h e o r i e , 28, 37, 65f., 68, 89f., 104ff„ 224, 272f. m o t o r i s c h e r A s p e k t , 27f., 65f., 69, 85, 88flf., 104fr„ 109, 114, 123f„ 126f„ 275 m ü n d l i c h e Sprache (als Universalie), 5, 75ff., 134 M u n d r a u m : F o r m u n d V o l u m e n , 105f. musikalische T ö n e u n d Melodien, 32, 36, 266 Mythologie, 144, 212, 225ff., 236, 241, 260 M y t h e n b i l d u n g u n d ihre lautlichen Bes o n d e r h e i t e n , 225ff., 253, 255, 260 nasal ~ nicht-nasal, 38f., 94f., 144fT., 176, 228, 235, 272 Nasalgeräusch, 146 n e u e r e G e s c h i c h t e der Sprachforschung, 13ff„ 195ff. Neurolinguistik, 52f., 70, 133, 136, 193, 258, 276
Sachregister 'Neutralisierung' (siehe 'unvollständiges Phonem') nichtsprachliche Laute (siehe Laute) Nullphonem, 165 Obstruenten, 95, 97, 103, 108, U l f . , 152ff„ 175 Ockhamsches Prinzip, 64 Ökonomie, 64, 88, 134, 238, 267f. Onomatopöie, 198f„ 201, 216, 260 Opposition, xxif., 1, 4, 16ff., 18ff., 21, 54f„ 71, 91, 98ff„ 190ff„ 258, 267f. Optimum, 6, 35, 119, 143, 147ff„ 152, 157, 273 Orthoepie und Orthographie, 64, 79 Palatalisierung (vgl. erhöht— nicht-erhöht), xx, xxiii, 29, 39, 45f„ 51, 98, 116, 122f„ 124f„ 128 paradigmatisch (selektional), 3, 92, 94, 97, 134, 156f., 190 Paronomasie, 243, 249, 252f. perzeptive Realität der distinktiven Merkmale, 134 perzeptiver Aspekt (auditiv), 68, 91 phänomenale Einheit der Sprachen, 61ff. Phänomenologie, 141 Pharyngalisierung (vgl. erniedrigtnichterniedrigt), xx, 63f„ 116, 123f„ 126f„ 163f., 165 'Phonästheme', 218 Phonem, 15f., 20f„ 26ff„ 29, 34f„ 200, 270f. phonematische/grammatische Interdependenz, 57ff., 59 phonetische Beschreibung, 30 Phonologie, 17, 19, 51, 60, 89 physei und thesei, 195fF., 260 physiognomische Indikatoren, 44f., 47, 49, 78 Plosion (siehe Turbulenz) Polarisierung, 65, 266 potentieller symbolischer Wert von distinktiven Merkmalen, 199, 21 lf., 261 Prager Linguistenkreis, 17f., 19f., 23, 41, 56ff„ 71, 89, 100 Prestige, 8, 184, 186 prosodische und inhärente Merkmale, 156ff.
335 psychoakustische Studien, 30, 94, 107, 140 Psychoanalyse, 5 Psychobiologie, 69, 134 psychophysische Theorie der Sprachwahrnehmung, 117 'Quadrupel', 130f. 'Quasi-Universahen' (vgl. Universalien), 62f„ 65, 69, 134, 137, 144, 168, 172, 178, 261 rechte Hemisphäre des Gehirns, 32ff., 36ff„ 48f„ 180 rechtes Ohr (siehe linke Hemisphäre) redundante Merkmale, 5ff., 37ff., 45f., 53, 72f„ 91, 117f., 125, 128, 150f„ 157, 268f. Reduplikation, 196, 198f., 215f. Regeln, 5, 61, 69, 71f„ 153 Reihenfolge des Erwerbs und des Widererwerbs der Sprache, 36, 1681T. Reim, 53, 239, 247, 251, 253 Reinterpretation durch Ausländer, 66f., 124, 126, 273f. relationale 'Marken', 18, 31, 136 Relativität (relative Einstellung), 13ff., 28, 51f„ 91, 100, 253, 257f„ 261, 270f. relevant, 30 Restrukturierung, 182f., 186f„ 261 Retroflexion (vgl. erniedrigtnichterniedrigt), xx, 64, 125f. Rückkoppelung (auditive und motorische), 66, 273 rückwärts abgespielte Sprachaufzeichnungen, 32, 50 Rundung (siehe Labialisierung) Satz und A l t e r u n g , 179 Satzganzes, 25 scharf - mild, 152ff., 157f„ 172, 224 Schnalzlaute (vgl. gehemmtungehemmt), 45, 159, 176 Schnappschüsse und Filme, 168f., 178 Schrift (Schreiben, Lesen und Reden in ihren Wechselbeziehungen), 5f., 9ff., 22, 76ff., 79f., 93 Schwa, 166 Segmentierung, 9, 27, 270 Seilspringreime, 242, 253
336 Semiotik, 16f„ 30, 46, 76, 83, 268 s e n k r e c h t e A c h s e n bei Vokalen u n d K o n s o n a n t e n , 116, 136ff., 140ff. sensorisch-motorische Koordination, 174, 274 S e q u e n z , Sukzessivität, 15, 18f., 24ff., 26f„ 38f„ 71, 82, 92, 9 4 f „ 97, 100, 124, 136, 147, 184f., 238, 258, 270 Signale f ü r die S p r a c h w a h r n e h m u n g , 87f., 89f., 108, 264 signans/signatum, 13, 17, 45, 47, 61, 77, 85, 99, 135, 196, 212, 255, 259 Silbe, 26, 9 2 f „ 9 4 f „ 97 Silbenharmonie ( S y n h a r m o n i s m u s ) , 163 silbisch — nicht-silbisch, xx, 17, 94ff., 147, 157, 167 ' s i m u l t a n e S y n t h e s e ' , 78 Simultaneität (Gleichzeitigkeit), 19, 25ff., 38, 82, 100, 135, 184, 258, 271 Singtechniken, 149 Situation (vgl. Kontext), 4, 264 Skizzen über d e n A u f b a u der Sprache bei K i n d e r n , 169ff. Sonorität, 94, 141, 152 Sonorlaute, 94f., 230 Sozialisierung, 73 Soziolinguistik, 45, 73f. Soziologie, 76f., 136 sphota, 10f., 31 'spiritus asper et lenis', 165 'split-brain'-Studien, 33f., 37 ' S p o o n e r i s m s ' , 1, 74 Sprache im B e s t e h e n u n d im W e r d e n , 135, 181 sprachliche K u n s t , 237ff„ 244ff„ 255f„ 260f. sprachliche W e r t e , 18, 30, 53, 65, 267 ' S p r a c h s t a u b ' , 7, 261 Sprachstil, l l f . , 166, 173, 186f„ 258 S p r a c h w a h r n e h m u n g , 28, 65ff., 89, 104ff., 134, 259, 263ff. Sprechapparat, 30, 104f. S p r e c h t e m p o , 6, 42, 183 Stabilität u n d Mutabilität, 135, 187 stilistische Variationen, 5f., 41ff., 83, 95, 109, 118, 123, 127, 165f„ 174, 183f„ 186f„ 271 s t i m m h a f t ~ s t i m m l o s , xx, xxii, 24, 29, 39, 144, 147ff„ 157f„ 164f„ 176f„ 225, 228
Die Lautgestalt der Sprache s t i m m h a f t ~ s t i m m l o s u n d gespannt ~ u n g e s p a n n t in ihren Wechselbezieh u n g e n , 147f„ 159, 176f. stoische L e h r e , 13 S T O I C H E I O N , 9f. stod, 158 S t r u k t u r , 85f., 133, 135, 182 S u b k o d e u n d G e s a m t k o d e , 6, 41f., 81f., 183f„ 186ff„ 265 S u b m o r p h e m e , 218f., 253fT., 260 ' S u b s t a n z ' / ' F o r m ' , 47, 56 Substitutionen u n d ihre Richtung, 137fT., 1741T., 226f., 274 ' s u p r a b e w u ß t ' , 235, 239ff., 255 S y m m e t r i e u n d Spiegelsymmetrie, 55, 90, 118, 159, 224, 243, 249f. S Y M P L O K E , 10 Synästhesie, 207ff., 259 s y n c h r o n e Etymologie, 197, 201 ' s y n c h r o n e r Schnitt', 183f. Synchronie, 27, 60, 8 1 f „ 156, 183ff., 244, 259 S y n k r e t i s m u s , 128f., 139f. Synonymie, 7f., 71f. syntagmatisch ( k o m b i n a t o r i s c h ) , 3, 92, 134, 157, 192 System, 81f„ 88, 182, 258, 261 System von S y s t e m e n , 71 T a b u u n d L a u t s u b s t i t u t i o n , 5, 2 2 9 f f , 254 Tautologie, 4 Teile u n d G a n z e , 181 f., 191, 257 ' T h e o r i e der e n t g e g e n g e s e t z t e n Prozesse beim F a r b e n s e h e n ' , 142, 210 Tiere: reden mit o d e r von, 227ff. T o n als prosodisches M e r k m a l , 48, 54, 157f„ 164, 220f. T o n a l i t ä t s m e r k m a l e u n d ihre Wechselbez i e h u n g e n , 100, 120ff., 127ff. 137f„ 142f. T o n h ö h e (siehe Ton) Topologie, 18, 75, 91 Trance-Sprache, 236f., 244 Transkription, 29 T r a n s f o r m a t i o n e n ( U m g e s t a l t u n g e n ) , 14, 51, 73, 87, 104, 182, 260, 273 T u r b u l e n z , Plosion ( E n e r g i e a u s b r u c h ) , 103, 108ff., 153 Typologie, 6 1 f „ 135, 152, 168
337
Sachregister Überlappung ( Ü b e r s c h n e i d u n g ) , 186, 271 u m k e h r b a r , 6, 82 U m k e h r u n g e n , 224f. U m w e l t g e r ä u s c h e , 32, 36 u n b e w u ß t , unterschwellig, 25f., 47, 54, 136, 175, 188, 203, 219, 230, 235, 257 ' U n g r a m m a t i k a ü t ä t ' , 246 Universalien, 16, 61ff„ 6 9 f „ 119f., 131f„ 134, 152, 168, 172, 237, 245, 258, 261, 267 Universalität des L e r n e n s u n d des L e h rens, 75 universelle Kombination von Einheit u n d Vielfalt, 69 Unmittelbarkeit/Mittelbarkeit, 47, 195f., 237, 245, 255, 259f. 'unvollständiges P h o n e m ' (in Hinblick auf operative D i s t i n k t i o n ) , 29 Urteile u n d Sätze, 73 uvular (vgl. scharf - mild), 153 Velarisierung (vgl. erniedrigt ~ nichterniedrigt), xx, 64, 116, 123ff„ 127, 155, 164 vergleichende Analyse, 16, 64, 169ff. V e r k e h r , 74, 83, 136 Vers, 237ff., 240ff„ 244, 255 viereckiges, viergliedriges System, 55, 90, 120, 130, 143 'voice onset t i m e ' ( V O T ) , 112, 151 Vokal ~ K o n s o n a n t , 3 2 f „ 34, 91ff„ 94ff„ 97, 101, 104f„ 113, 116f., 119ff„ 141f„ 157, 258 V o k a l h a r m o n i e ( S y n h a r m o n i s m u s ) , 40, 54, 159ÍT. Vokalharmonie: d u n k e l ~ hell, 160ff. V o k a l h a r m o n i e : erniedrigt ~ nichterniedrigt, 160ÍT. V o k a l h a r m o n i e : gespannt ~ u n g e s p a n n t , 163
V o k a l h a r m o n i e : k o m p a k t ~ diffus, 160ff. V o k a l h a r m o n i e : nasal ~ nicht-nasal, 163 volkstümliche Bräuche, 5 Vorrang der S p r a c h w a h r n e h m u n g über Sprachproduktion, 6 6 f f „ 174f., 273f. W a h r n e h m u n g e n in Begriffe u m g e s e t z t , 266, 276 W a n d e l , Variabilität, 81f„ 135, 1 8 2 f f , 25 8f. Wandel: bedingter o d e r s p o n t a n e r , 184 Wandel: blinder, 75, 187 Wandel: gradueller o d e r m u t a t i v e r , 186f. Wandel: Übergangsrealisierungen, 186 Wandel von Velaren zu Labialen u n d u m g e k e h r t , 22f. weibliche u n d m ä n n l i c h e S p r a c h f o r m e n , 44, 138, 230ff. Widerstandsfähigkeit, 35 Willkürlichkeit, 1 9 5 f f , 201 Wortaffinität, 197, 214f. W o r t e i n h e i t , 40 Wortspiele, 2, 54, 238ff„ 253, 260 W ü r f e l m o d e l l , 162 Zauber (magisch), 2 2 5 f f , 230, 2 3 2 f f , 241, 253, 255 Z a u b e r r u n e n , 11 f. ' Z e i c h e n s p r a c h e ' , 76 Zeit u n d R a u m , 79ff„ 135, 156, 187, 250 zerebrale Prozesse u n d Topologie, 31 ff., 34ff„ 133, 142 'zielgerichtete L a p s u s ' , 75 Zielgerichtetheit (siehe Mittel/Zweck) Zufall, xxi, 20, 190, 263, 268 Zunge: R e d e n o h n e , 68, 105 Z u n g e n b e i n , 106 Z u n g e n b r e c h e r , 240 Zweiteilung, 143, 146