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German Pages [360] Year 2001
Hendrik Ziegler Die Kunst der Weimarer Malerschule
Hendrik Ziegler
DIE KUNST DER WEIMARER MALERSCHULE Von der Pleinairmalerei zum Impressionismus
§ 2001 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Thüringer Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst und der Stiftung Sparkasse Weimar
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ziegler, Hendrik: Die Kunst der Weimarer Malerschule : von der Pleinairmalerei zum Impressionismus / Hendrik Ziegler Köln ; Weimar ; Wien : Böhlau, 2001 Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1999 ISBN 3-412-15400-8 Umschlagabbildung: Christian Rohlfs, Straße in Weimar (Gasse in Ehringsdorf), 1889. (Kunsthalle zu Kiel) © 2001 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Ursulaplatz 1, D-50668 Köln Tel. (0221) 91 39 00, Fax (0221) 91 39 011 [email protected] Alle Rechte vorbehalten Gesamtherstellung: Strauss Offsetdruck GmbH, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 3-412-15400-8
DANKSAGUNG
Für die fachliche und menschliche Begleitung danke ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Werner Busch, flir die Übernahme des Zweitgutachtens Herrn Prof. Dr. Harold Hammer-Schenk. Ohne die Unterstützung zweier Institutionen, den Kunstsammlungen zu Weimar und der Stiftung Weimarer Klassik, wäre diese Arbeit nicht zustandegekommen. Herr Dr. Thomas Föhl machte mir die umfangreichen Bildbestände der Kunstsammlungen sowie das Archiv des Museums zugänglich und stand mir mit Rat und Tat zur Seite. Die Herren Dr. Hermann Mildenberger und Thomas Degner halfen mir bei der Auswertung der Bestände der graphischen Sammlung. Frau Sabine Walter unterstützte durch zahlreiche Gespräche und Anregungen den Fortgang der Arbeit. Zwei Stipendien der Stiftung Weimarer Klassik ermöglichten mir die Auswertung der Tagebücher des Großherzogs Carl Alexander von Sachsen-WeimarEisenach im Thüringischen Hauptstaatsarchiv in Weimar und, in Zusammenarbeit mit Frau Dr. Christa-Maria Dreißiger aus Leipzig, die Sichtung und Erschließung des äußerst vielschichtigen Nachlasses des Landschaftsmalers Theodor Hagen. Wesentliche Unterstützung und Förderung erfuhr ich dabei durch Frau Dr. Renate Müller-Krumbach, die Herren Prof. Dr. Lothar Ehrlich und Prof. Dr. Gerhard Schuster, Frau Caroline Gille und Frau Dr. Roswitha Wollkopf. Mit Frau Dr. Angelika Pöthe, Jena, hatte ich einen anregenden Gedankenaustausch über Carl Alexanders Kunstansichten. Zahlreichen weiteren Institutionen und Personen bin ich zu tiefem Dank verpflichtet: Frau Mechthild Lücke vom Erfurter Angermuseum, Frau Hummel und Frau Jentsch vom Thüringer Museum Eisenach und nicht zuletzt Frau Ines Franke, die mir den in der Städtischen Galerie Würzburg verwahrten künstlerischen Nachlaß von Ludwig von Gleichen-Russwurm zugänglich machte. Herr Eckart Kissling, passionierter Buchholz-Sammler, gewährte mir Einblick in seine reiche Materialsammlung und begleitete wohlwollend die Entstehung der Arbeit über die Jahre hin. Dies gilt auch für Herrn Jörg Modry-Hengsler aus Berlin. Für ihre freundschaftliche Unterstützung habe ich des weiteren Frau Maria-Erika Ahner,
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Danksagung
Frau Dora Hallier, Frau Dr. Christa-Maria Dreißiger und Herrn Dr. Christian Hecht zu danken. Frau Götz von der Galerie im Cranach-Haus in Weimar und Frau Jakob vom Marie-Seebach-Stift gebührt ebenso mein Dank. Für ihre Korrekturarbeit danke ich meinem Bruder Alf Ziegler und meinen alten Schul- und Studienfreunden Günter Huber, Dr. Christoph Engels, Dr. Florian Hehenberger, Petra Christina Riesterer und Elisabeth Kohler. Meinen Eltern, die mich seit frühester Jugend an die Kunst herangeführt und mich unablässig während meiner Studien unterstützt und ermuntert haben, sei diese Arbeit gewidmet. Die Drucklegung der Arbeit wurde möglich durch die großzügige finanzielle Unterstützung des Thüringer Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst sowie der Stiftung Sparkasse Weimar. Beiden Institutionen bin ich zu tiefem Dank verpflichtet. Im Thüringer Ministerium danke ich besonders Herrn Dr. Hänel und Herrn Schubart für ihren persönlichen Einsatz. Herrn Harald S. Liehr vom Böhlau Verlag, Niederlassung Weimar, der mir während der Entstehung des Buches mit viel Geduld und freundschaftlichem Rat zur Seite stand, gilt mein besonderer Dank. Die Arbeit wurde Ende April 1999 dem Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin als Dissertation eingereicht. Die mündliche Prüfung fand am 15. November 1999 statt. Paris, im Frühjahr 2001
INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung
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Kapitell GROSSHERZOG CARL ALEXANDER UND SEINE KUNSTSCHULGRÜNDUNG
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Die Wartburgausmalung Exkurs: Stanislaus Grafvon Kalchreuths Schloß vom Heiligen Gral Das Kunst-Glaubensbekenntnis von 1858 Adolf Stahrs Denkschrift von 1859 Die Realisierung der Kunstschule Das Großherzogliche Museum Exkurs: Carl Alexander und Adolph Menzel Carl Alexander und die »Kriegsschule« Die Statuten von 1874
12 16 18 21 27 36 42 48 58
Kapitelll DIE ANFÄNGE DER WEIMARER MALERSCHULE
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Die Weimarer Malerschule: eine Begriffsbestimmung Der Werkprozeß der Weimarer Pleinairisten Weimar und Barbizon Albert Brendel Exkurs: Brendel und Darwin Ludwig von Gleichen-Russwurm Karl Buchholz Die Weimarer GesellschaftfiirRadierkunst
Permanenten< 1880 Weimarer Pleinairmalerei in den 1880er Jahren Exkurs: Friedrich Pecht ab Fürsprecher der Münchner und Karlsruher Landschaftsmaler
122 127 128 137 145 157 166
Kapitel IV DIE WEIMARER M A L E R S C H U L E UND DER F R A N Z Ö S I S C H E IMPRESSIONISMUS
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Emil Heilbuts Vorträge von 1889 Die Ausstellungen in der >Permanenten< 1890-1894 JExkurs: Die Rezeption von Barbizonismus und Impressionismus zu Beginn der 1890er Jahre im Vergleich Die Haltung des Großherzogs Die Weimarer Impressionisten: Bildbeispiele Christian Rohlfs Paul Baum Ludwig von Gleichen-Russwurm Theodor Hagen Leopold von Kalckreuth Zur >Skizzenhaftigkeit< des Impressionismus Weimar, ein Zentrum impressionistischer Landschaftsmalerei
170 179 188 194 206 207 210 213 216 223 227 232
Inhalt
IX
Kapitel V DIE WEIMARER M A L E R S C H U L E NACH I9OO
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Kontinuitäten - Diskontinuitäten Das alte und das >Neue Weimar< Thüringer Ausstellungsverein und Künstlervereinigung »Apelles« . . . Historisierung: Der Fall Karl Buchholz Retrospektive Ausstellungen um die Jahrhundertwende Die Buchholz-Rezeption bis 1900 Buchholz-Renaissance seit der Jahrhundertwende >Buchholz-Euphorie< nach der Jahrhundertausstellung von 1906 Der Weimarer Buchholz-Skandal von 1919 Rückgang der Buchholz-Begeisterung in den 1920er Jahren
237 237 248 254 255 258 261 265 269 276
Schlußbetrachtung
279
Literaturverzeichnis
281
Bildnachweis
301
Index
303
EINLEITUNG
Wollte man das Besondere der Kunst der Weimarer Malerschule in einem Wort zu fassen suchen, so wäre dies: Reduktion. Die Tendenz, das Landschaftsbild aus immer weniger Motiven aufzubauen und dessen ausschnitthaften Charakter zu betonen, prägte die Weimarer Malerschule in den 1890er Jahren deutlich aus, nachdem sie bereits seit den 1870er Jahren zunehmend auf Vielfalt und Abwechslungsreichtum im Motivischen verzichtet und eine kontrastreiche koloristische Durchfuhrung vermieden hatte. Aus den seit den 1870er Jahren gesammelten Erfahrungen mit der Pleinairmalerei heraus Anfang der 1890er Jahre den Ubergang zu einem impressionistischen Malstil vollzogen zu haben, darin besteht die besondere Leistung der Weimarer Malerschule, daraus erwächst ihre Bedeutung für die Gesamtentwicklung der deutschen Landschaftsmalerei. Die Auseinandersetzung mit dem französischen Impressionismus, die innerhalb der Weimarer Malerschule jenen Entwicklungsschub bewirkte, wodurch sie den Wechsel von der Pleinairmalerei zum Impressionismus zu bewerkstelligen vermochte, setzte im Vergleich zu anderen deutschen Kunstzentren besonders früh, nämlich schon 1889/90, ein und war von so nachhaltiger Wirkung wie sonst nirgends in Deutschland. Die Charakterisierung jener reduktiven, dabei individuell sehr unterschiedlich ausgeprägten Bildästhetik, wie sie besonders in der impressionistischen Entwicklungsphase der Weimarer Malerschule greifbar wird, ist ein zentrales Anliegen der Arbeit.
Aus welchen institutionellen Voraussetzungen heraus die Weimarer Malerschule entsteht, was ihre Leistungen charakterisiert, wann und wie sie sich gegenüber den übrigen Landschafterschulen in Deutschland abzusetzen beginnt, welche Folgen die Rezeption französischer Kunst für die Entfaltung ihrer genuinen künstlerischen Anlagen hat, wann der Zenit ihres schöpferischen Potentials erreicht und schließlich überschritten wird, das sind die Fragen, die den Aufbau der Arbeit bestimmen.
2
Einleitung
Das erste der insgesamt fünf Kapitel, die weitgehend einer chronologischen Ordnung folgen, beschäftigt sich mit der Gründungsgeschichte der Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule und der Haltung des Großherzogs Carl Alexander zu dieser von ihm 1860 ins Leben gerufenen Institution. Es führt an die Zeit der frühen 1870er Jahre heran, in der sich aufgrund der vom Großherzog mitgetragenen liberalen Organisationsstruktur der Kunstschule, die 1874 in neuen Statuten definitiv festgeschrieben wird, die Weimarer Malerschule herauszubilden beginnt. Die bisher in diesem Zusammenhang noch nicht ausgewerteten Tagebücher des Großherzogs liefern ein sehr genaues und in vielen Punkten anderes Bild als es bisher in der Literatur gezeichnet wird. Das folgende Kapitel ist heterogener in seinem Aufbau, da es neben der Darstellung historischer Abläufe auch übergreifende Fragestellungen erörtert. In einem ersten Abschnitt wird geklärt, was überhaupt unter Weimarer Malerschule zu verstehen sei. Dabei wird eine wichtige Unterscheidung getroffen zwischen den eigentlichen Protagonisten der Weimarer Malerschule und jenem weiten Umkreis von Weimarer Künstlern, die nur partiell deren künstlerische Prinzipien teilten. Dieser Passus liefert einen knappen Abriß der Gesamtthematik. Weitere grundsätzliche Erwägungen in diesem Kapitel gelten dem »Werkprozeß der Weimarer Pleinairisten« und dem Einfluß der Kunst der Schule von Barbizon auf den Entwicklungsgang der Weimarer Malerschule, der so gänzlich anders geartet war als der zeitlich später einsetzende des französischen Impressionismus. Das Kapitel schließt mit der Darstellung der Geschichte des Weimarer Radiervereins. Dessen Gründung im Jahr 1877 steht am Ende eines Konsolidierungsprozesses innerhalb der Weimarer Künstlerschaft, der die Basis für das weitere Aufblühen der Malerschule bildet. Das dritte Kapitel greift auf einen Quellenbestand zurück, der bisher nur unzureichend zur Klärung des Entwicklungsgangs der Weimarer Malerschule herangezogen wurde: Ausstellungskataloge und -rezensionen. Dabei läßt sich aus den Beteiligungen der Weimarer Maler an den deutschen Ausstellungen und den Reaktionen der Fachpresse sehr genau ablesen, daß die Weimarer Malerschule überhaupt erst seit Mitte der 1870er Jahre als spezifische Landschafterschule greifbar wird. Ebenfalls wird deutlich, daß sie bereits im Verlaufder 1880er Jahre ihre öffentliche Wertschätzung einbüßt, nicht zuletzt wegen der steigenden Konkurrenz aus Karlsruhe und München. Ein mittlerer Abschnitt dieses Kapitels widmet sich der Entwicklung des lokalen Kunstmarkts, der durch die Gründung der sogenannten Permanenten Kunstausstellung 1880 einen entscheidenden Aufschwung erlebte. Es ist wichtig, sich das Erscheinungsbild und die Organi-
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sationsstruktur dieser Institution zu vergegenwärtigen, denn die Permanente ist durch die Präsentation zahlreicher französischer Werke zu Beginn der 1890er Jahre von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung der Weimarer Malerschule geworden. Mit diesem wichtigen, 1889/90 einsetzenden Zeitabschnitt der Geschichte der Malerschule beschäftigt sich das anschließende Kapitel IV. 1889 wurden durch den Hamburger Kritiker Emil Heilbut drei Werke von Claude Monet, die sich noch nachweisen lassen, in Weimar gezeigt, was zu unmittelbaren Reaktionen bei den Protagonisten der Weimarer Malerschule führte. In der Radikalisierung ihrer Bildsprache wurden sie durch die sich anschließenden Ausstellungsserien in der Permanenten bestärkt. Ihr individuell verschiedener und nicht immer geradliniger Weg hin zu einem impressionistischen Malstil Weimarer Prägung wird in einem gesonderten Abschnitt mittels ausfuhrlicher Bild beschreibungen und -vergleiche nachgezeichnet. Ein letzter Abschnitt unterstreicht nochmals, zu welch frühem Zeitpunkt Weimar im Vergleich zum übrigen Deutschland eine impressionistische Landschaftsmalerei entwickelte. Das abschließende Kapitel V behandelt die Zeit der Jahrhundertwende, als der avantgardistische Impetus der Weimarer Malerschule bereits im Rückgang begriffen war, aber deren Mitglieder durchaus noch bestimmend auf die Formung des Neuen Weimar gewirkt haben. Die Gründung des Thüringer Ausstellungsvereins und der Künstlervereinigung »Apelles« kurz vor der Jahrhundertwende sind ein Zeichen der Kontinuität und der kooperativen Zusammenarbeit zwischen den jungen, nachwachsenden und den alteingesessenen Weimarer Malern. Beide Vereinsgründungen stellen ein letztes organisatorisches Bemühen der Weimarer Künstlerschaft dar, sich in dem stetig ausweitenden deutschen Ausstellungsbetrieb nochmals einen Platz zu sichern, was allerdings mißlang. Parallel dazu setzte die Historisierung und Musealisierung der Leistungen der Weimarer Malerschule ein. Wie konfliktreich und wechselvoll dieser Prozeß allmählicher kunsthistorischer Einordnung verlaufen konnte, wird am Beispiel der Wiederentdeckung und Neubewertung des Œuvres von Karl Buchholz seit der Jahrhundertwende deutlich.
Gleich am südlichen Eingang zur Stadt, seitlich der Marienstraße, steht noch heute das Gebäude der einstigen Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule, natürlich nicht mehr in seinem ursprünglichen Erscheinungsbild von 1860, sondern in der umgebauten und erweiterten Form, die ihr Henry van de Velde
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Einleitung
1904-11 gab.1 Das Gebäude wurde von 1919 bis 1925 vom Staatlichen Bauhaus genutzt und ist noch heute Teil der Mitte der 1990er Jahre in Bauhaus Universität umbenannten ehemaligen Hochschule für Architektur und Bauwesen, die seit den 1950er Jahren als Lehranstalt in Weimar bestand. Aus Anlaß dieser Umbenennung erschien eine Publikation zur Schulgeschichte, die jüngste zu diesem Themenkreis.2 In ihrem von Klaus-Jürgen Winkler zusammengestellten Quellenteil ist sie sehr nützlich; der einleitende Essay von Achim Preiß jedoch, der bewußt polemisch abgefaßt ist, bringt von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus nichts Neues, da er lediglich die von Walther Scheidig in mehreren Veröffentlichungen vorgelegten Erkenntnisse zur Schulgeschichte, auf die gleich zurückzukommen sein wird, referiert und die bei Scheidig immer wieder anklingende Kritik an der konservativen Haltung des Großherzogs ins Maßlose steigert.3 Hier hat Angelika Pöthe mit ihrer erst jüngst erschienen Monographie über Carl Alexander ein wohltuend ausgewogenes und den Leistungen des Großherzogs auf kulturellem Gebiet gerecht werdendes Bild gezeichnet.4 Walther Scheidig, langjähriger Direktor der Kunstsammlungen zu Weimar, hat sich bisher als einziger intensiv und kontinuierlich mit der Geschichte der Weimarer Malerschule beschäftigt. Auf einen ersten Zeitungsartikel aus den 1930er Jahren folgte 1950 die erste Version seiner Darstellung der Geschichte der Weimarer Malerschule.5 1960 schloß sich ein Ausstellungskatalog zum Jubiläum des 100jährigen Bestehens der Kunstschule an, der, von Scheidig erarbeitet, vor
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Siehe: Kunstsammlungen zu Weimar: Bauhaus-Museum, hg. v. Thomas Föhl, Michael Siebenbrodt u.a., München 1995, Abb. 1, S. 6
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Achim Preiß, Klaus-Jürgen Winkler, Weimar Konzepte. Die Kunst- und Bauhochschule 1860-1995, Weimar 1996
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Ebd., S. 15-24 - Als ein Beispiel für den polemischen Schreibstil von Preiß sei eine Textstelle auf S. 23 angeführt, die von dem 1885 als Direktor an die Weimarer Kunstschule berufenen Emil Graf von und zu Schlitz genannt Görtz handelt: »Er [Görtz] wird sich die ganze Zeit bei Hofe aufgehalten haben, und man möchte sich ein Bild malen vom Grafen Emil, wie er geduldig und benebelt zu vorgerückter Stunde dem Herzog sein Ohr leiht. In dieses sprach dann Carl Alexander allabendlich seine großen und heeren Vorstellungen von der Kunst ein, und die Geduld seines Zuhörers wird ihn sicherlich davon überzeugt haben, daß allein seine herzoglichen Worte mehr Wert hatten als alle Taten. Graf Emil war also der richtige Mann am richtigen Ort, da er im Falschen das Falsche tat.«
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Angelika Pöthe, Carl Alexander. Mäzen in Weimars »Silberner Zeit«, Köln, Weimar, Wien 1998 Walther Scheidig, Die Weimarer Malerschule im 19. Jahrhundert, in: Thüringer Fähnlein 3, 1934, S. 130ff. - ders., Die Weimarer Malerschule des 19. Jahrhunderts, Erfurt 1950
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allem eine detaillierte Zeittafel der Ereignisse zwischen 1858 und 1919 bot.6 Sie basiert auf Scheidigs leider unediert gebliebener Sammlung an Exzerpten aus den beiden Weimarer Lokalzeitungen.7 Diese Arbeiten mündeten schließlich ein in die 1971 veröffentlichte zweite Abhandlung über die Geschichte der Weimarer Malerschule, die 1991, nachdem Scheidig 1978 gestorben war, eine Neuauflage erlebte.8 Scheidig gebührt das Verdienst, als erster eine Schneise durch die Fülle des Quellenmaterials zur Schulgeschichte geschlagen und nachdrücklich auf die Bedeutung der Weimarer Malerschule hingewiesen zu haben. Allerdings liegen seine Forschungen nun schon mehr als fünfundzwanzig Jahre zurück. Ich verstehe daher meine Arbeit als Aktualisierung, Erweiterung und in manchen Punkten auch Berichtigung der grundlegenden Arbeit Scheidigs. Die neuere Literatur, in der die Weimarer Malerschule Erwähnung findet, stützt sich weitgehend aufScheidigs Erkenntnisse.9 Auch die beiden jüngsten Lexikonartikel übernehmen die von Scheidig vorgegebene Sichtweise.10 Doch sind gerade in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Künstlermonographien, Ausstellungskataloge und Einzelstudien erschienen, die für die Beschäftigung mit der Weimarer Malerschule von Bedeutung sind und ergänzend zu Scheidigs Forschungsleistungen hinzutreten. Nur einige der wichtigsten seit 1971 erschienen Publikationen seien hier erwähnt. Zu den Ölgemälden von Christian Rohlfs wur-
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Die Weimarer Malerschule, Ausst. zum Gedächtnis der Gründung der Weimarer Kunstschule, Kunstsammlungen zu Weimar, Kunsthalle, Sept. - Okt. 1960, bearb. v. Walther Scheidig, Weimar 1960 Walther Scheidig, Annalen zur Weimarer Kunstgeschichte. Auszüge aus der »Zeitung Deutschland« und aus der »Weimarischen Zeitung«, unveröff. MS, KuSa Weimar, ca. 1960 Walther Scheidig, Die Geschichte der Weimarer Malerschule 1860-1900, Weimar 1971 - Ders., Die Weimarer Malerschule 1860-1900, hg. v. Renate Müller-Krumbach, Leipzig 1991 - Zu den weiteren Schriften Scheidigs siehe die Bibliographie: Walther Scheidig, 70 Jahre alt, o. O. [Weimar] 1971 Geschichte der Stadt Weimar, (Red.) Gitta Günther, Weimar 1975, S. 442f. - Horst Dauer, Die Weimarer Malerschule, (Seemanns-Künstlermappen), Leipzig 1983 - Wolfgang Hütt, Deutsche Malerei und Graphik 1750-1945, Berlin 1986, S. 83 - Harald Olbrich (Hrsg.), Geschichte der deutschen Kunst 1890-1918, Leipzig 1988, S. 25 - Horst Dauer, Christian Rohlfs in Weimar, in: Kat. zur Ausst.: Christian Rohlfs. Gemälde, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster, 10.12.1989 - 11.2.1990, Kunstsammlungen zu Weimar, 8.3. - 6.5.1990, Stuttgart 1989, S. 9-16
10 Art.: Weimarer Malerschule, in: Weimar. Lexikon zur Stadtgeschichte, hg. v. Gitta Günther, Wolfram Huschke u. Walter Steiner, Weimar 1993, S. 484f. - Art.: Weimarer Malerschule, in: Lexikon der Kunst, Bd. 7, Leipzig 1994, Nachdruck München 1996, S. 750f.
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de 1978 ein grundlegendes Werkverzeichnis von Paul Vogt vorgelegt.11 Darüber hinaus wurde der Künsder immer wieder mit Ausstellungen bedacht, die auch Werke aus seinen Weimarer Jahren berücksichtigten.12 Zwei 1980 veranstaltete Ausstellungen in den Weimarer Kunstsammlungen brachten eine wichtige Erschließung des dort verfugbaren Bild- und Graphikbestands zur Weimarer Malerschule, wenn auch in wissenschaftlicher Hinsicht keine neuen Schlüsse gezogen wurden.13 Zum Œuvre von Paul Baum wurde in den 1980erJahren ein Werkverzeichnis erarbeitet; 1990 fand in Kassel eine den Museumsbestand erschließende Ausstellung statt.14 Die Städtische Galerie Würzburg, die einen Großteil des bildlichen Nachlasses von Ludwig von Gleichen-Russwurm verwahrt, widmete 1983 dem Künstler eine Ausstellung, zu der ein schmaler, aber reich bebilderter Katalog erschien.15 Zu Künstlern wie Leopold von Kalckreuth, Paul Tübbecke oder Carl Malchin, die zum Umkreis der Weimarer Malerschule gehören, erschienen einzelne Aufsätze.16 Die neuere Literatur zu Karl Buchholz
11 Christian Rohlfi. (Euvre-Katalog, hg. v. Paul Vogt, bearb. v. Ulrike Köcke, Recklinghausen 1978 12 Kat. zur Ausst.: Christian Rohlfi. Gemälde, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster, 10.12.1989 - 11.2.1990, Kunstsammlungen zu Weimar, 8.3. - 6.5.1990, Stuttgart 1989 - Kat. zur Ausst.: Christian Rohlfi, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München, 22.3. - 16.6.1996, München 1996 13 Kat. zur Ausst.: Die Weimarer Kunstschule 1860-1919, Kunstsammlungen zu Weimar, Kunsthalle am Theaterplatz, 3.7. - 21.9.1980, Weimar 1980 - Kat. zur Ausst.: Radierverein zu Weimar 1877-1914, Kunstsammlungen zu Weimar, Galerie im Schloß, 3.7. - 21.9.1980, Weimar 1980 - Siehe auch den Bestandskatalog der Aquarelle: Das Aquarell in fiinf Jahrhunderten: Schätze der Kunstsammlungen zu Weimar, Kat. zur Ausst. der Kunstsammlungen zu Weimar, 4.8. - 8.10.1977, Weimar 1977 14 Wolfram Hitzeroth, Paul Baum (1859-1932). Ein Leben als Landschaftsmaler. Mit leicht überarbeiteter Neuausgabe der Monographie: »Paul Baum, ein deutscher Maler« von Carl Hitzeroth (Dresden 1937), Marburg 1988 - Kat. zur Ausst.: Paul Baum 1859-1932, Verzeichnis sämtlicher Werke Paul Baums im Besitz der Staatlichen Kunstsammlungen Kassel, Neue Galerie und Graphische Sammlung, bearb. v. Andrea Linnebach u. Angela Stief, Staatliche Kunstsammlungen Kassel, Neue Galerie, 13.5. - 19.8.1990, Kassel 1990 15 Kat. zur Ausst.: Ludwig von Gleichen-Russwurm 1836-1901, Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Druckgraphik, Würzburg, Städtische Galerie, 18.12.1983 - 19.2.1984, Würzburg 1983 - Siehe auch das Faltblatt zur Ausst.: Der Maler Ludwigvon Gleichen-Russwurm - ein Enkel Schillers, Stadt Marbach am Neckar mit Unterstützung des Schiller-Nationalmuseums/Deutsches Literaturarchiv, 27.10.-23.11.1995, o. O. u.J. 16 Siehe etwa: Eckhard Schaar, Die Skizzenbücher von Leopold von Kalckreuth in der Hambuger Kunsthalle, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 26, 1987, S. 165-196 - Kat. zur Ausst.: Paul Wilhelm Ttibbecke (1848-1924), Zeichnungen, Aquarelle, Ölbilder, Galerie Lippeck, Kunsthandlung,
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und Theodor Hagen war dagegen bisher mager.17 Doch richtete das Erfurter Angermuseum jüngst eine zunächst in Lübeck gezeigte monographische Ausstellung zum Werk von Karl Buchholz aus.18 Auch Theodor Hagen wird demnächst mit einer Einzelstudie bedacht werden.19 Darüber hinaus veranstalteten 1999 die Kunstsammlungen zu Weimar eine in vielerlei Hinsicht aufsehenerregende Aussstellung zum Thema Aufstieg und Fall der Moderne in Weimar, bei der im ersten Ausstellungsabschnitt ausfuhrlich auf die Bedeutung der Weimarer Malerschule für die Entwicklung einer impressionistischen Landschaftsmalerei in Deutschland eingegangen werden konnte.20 Zudem ließe sich eine Fülle von jüngerer Literatur anfuhren, die sich mittelbar mit der hier behandelten Thematik beschäftigt, etwa der Geschichte der Wei-
Berlin, 23.3. - 16.5.1987, Berlin 1987 - Lisajürß, Malereides ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts in Mecklenburg unter besonderer Berücksichtigung der Leistungen des Malers Carl Malchin und der Künstlerkolonien in Schwaan und Ahrenshoop, in: Malerei, Graphik, Photographie von 1900 bis 1920, hg. v. Brigitte Härtel, (Kunst im Ostseeraum, I), Frankfurt a. M. u.a. 1995, S. 137-143 17 Zu Buchholz: Helmut Scherf, Karl Buchholz (1849-1889), in: Weltkunsm, 1990, Nr. 22,15.11.1990, S. 3854-3857; Christiane Weber, Eine Palette voll dunkler Töne, Buchholzgasse 7 (Häuser und ihrer Geschichte, Nr. 130), in: Thüringer Landeszeitung, 25.4.1998 - Zu Hagen: Christa-Maria Dreißiger, Theodor Hagen zum 75. Todestag. Mitbegründer der modernen Landschaftsmalerei in Deutschland, in: Weimar Kultur Journal 1994, H. 2, S. 20f.; Art.: Theodor Hagen, in: Lexikon der Düsseldorfer Malerschule 1819-1918, hg. vom Kunstmuseum Düsseldorf und der Galerie Paffrath, Düsseldorf 3. Bde., Bd. II, München 1997, S. 34-36 18 Kat. zur Ausst.: Karl Buchholz (1849 - 1889). Ein Künstler der Weimarer Malerschule, Kunst- und Kulturhistorisches Museum Lübeck, 23.1. - 5.3.2000, Angermuseum Erfurt, 19.3. - 30.4.2000, Leipzig 2000 19 Christa-Maria Dreißiger und ich arbeiten derzeit an dem im Böhlau Verlag erscheinenden Buch Von Düsseldorfnach Weimar. Eine Studie zu Theodor Hagen und der Weimarer Malerschule. 20 Hendrik Ziegler, »Klein Paris« in Weimar. Die Weimarer Malerschule und derfranzösische Impressionismus, in: Kat. zur Ausst.: Aufstieg und Fall der Moderne. Weimar - ein deutsches Beispiel1890 -1990, hg. v. Rolf Bothe u. Thomas Föhl, Kunstsammlungen zu Weimar, 9.5. - 1.8.1999, Ostfildern-Ruit 1999, S. 14-39 21 Kat. zur Ausst.: Die ersten hundert Jahre 1774-1873. Zur Geschichte der Weimarer Mal- undZeichenschule, Weimar, Kunstkabinett am Goetheplatz, 3.9. - 6.10.1996, Prag 1996 22 Ina Weinrautner, Friedrich Preller dA. (1804-1878). Leben und Werk Phil. Diss. Bonn 1996, Münster 1997
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marer Zeichenschule,21 dem Werk von Friedrich Preller d.Ä.,22 dem Wirken Harry Graf Kesslers,23 dem Œuvre Hans Oldes,24 oder der Bedeutung jenas als »Kunststadt«.25 Auch laufen derzeit mehrere Dissertationsvorhaben, die sich mit Themen beschäftigen, die an das hier behandelte angrenzen.26 So wichtig die Berücksichtigung und Einarbeitung dieser neuesten Forschungsleistungen fiir mich war, im Vordergrund stand die Auswertung noch nicht berücksichtigter Schrift- und Bildquellen: die Tagebücher Carl Alexanders im Thüringischen Hauptstaatsarchiv in Weimar,27 der Nachlaß Theodor Hagens, der unter anderem mehr als 400 Zeichnungen des Künstlers umfaßt,28 die Be-
23 Kat. zur Ausst.: Harry Graf Kessler. Tagebuch eines Weltmannes, hg. v. Gerhard Schuster und Margot Pehle, Deutsches Literaturarchiv und Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar, Marbach am Neckar 1988,3. Aufl. 1996 - Peter Grupp, Harry Graf Kessler 1868-1937. Eine Biographie, München 1995 - Burkhard Stenzel, Harry Graf Kessler. Ein Leben zwischen Kultur undPolitik, Köln, Weimar, Wien 1995 24 Hildegard Gantner, Hans Olde 1855-1917. Leben und Werk, Phil. Diss. Tübingen 1970 - Kat. zur Ausst.: Hans Olde und die Freilichtmalerei in Norddeutschland\ Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Kloster Cismar, 23.6. - 27.10.1991, Neumünster 1991 25 Volker Wahl, Jena als Kunststadt. Begegnungen mit der modernen Kunst in der thüringischen Universitätsstadt zwischen 1900 -1933, Leipzig 1988 26 Bei Prof. Dr. Schawelka von der Bauhaus Universität Weimar wurde 1997 eine Doktorarbeit über den Gemäldezyklus zu Luthers Leben auf der Wartburg begonnen: Dagmar Wunderlich, Die Ausmalung der Wartburg im 19. Jh. Der Luther-Zyklus der Weimarer Malerschule. - Jacqueline Maitzahn, Halle, arbeitet an einer Dissertation über Leopold von Kalckreuth. - Die Ergebnisse der Dissertation von Ulf Häder, Der Jungbrunnenfür die Malerei - Die Bedeutung Hollandsfür die deutsche Kunst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Phil. Diss. Jena 1998, die auch die Weimarer Malerschule behandeln soll, konnte ich nicht mehr einsehen. 27 Ich möchte darauf hinweisen, daß ich, anders als Angelika Pöthe in ihrer Monographie zu Carl Alexander, die Tagebuchzitate des Großherzogs in französischer Sprache belassen habe, um den originären Eindruck der Diktion des Großherzogs nicht zu verfalschen. Allerdings ist Carl Alexander in seiner französischen Orthographie recht nachlässig gewesen, so daß ich an manchen Stellen behutsam die Rechtschreibung den gängigen Regeln angepaßt habe, ohne allerdings den Satzbau oder die Wortwahl zu verändern. Dort wo ich in den von mir angeführten Zitaten eine Passage oder ein Wort nicht richtig entziffern konnte, habe ich ein »[?]« eingefugt. 28 Der Nachlaß von Theodor Hagen wurde 1998 dem Goethe-Nationalmuseum und dem Goetheund Schiller-Archiv zur treuhänderischen Verwahrung übergebenen. Er ist noch nicht in den Bestand beider Häuser eingearbeitet, so daß im folgenden kein Nachweis über eine Signatur erfolgen kann. Es sei daraufhingewiesen, daß das Nachlaßmaterial für die öffentliche Benutzung noch gesperrt ist. Siehe: Hendrik Ziegler, Christa-Maria Dreißiger, »...er ist nicht allein bedeutend, er ist groß.« Der Nachlaß Theodor Hagen, Aus dem Goethe-Nationalmuseum, Faltblatt Nr. 5/1998
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richte der preußischen Gesandten am Weimarer Hof im Politischen Archiv in Bonn und im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin,29 der Kalckreuth-Nachlaß in der Bayerischen Staatsbibliothek, der Bildernachlaß Ludwig von Gleichen-Russwurms in der Städtischen Galerie Würzburg, wo auch zahlreiche noch gänzlich unbekannte Gemälde von Franz Bunke verwahrt werden, die reichhaltige Materialsammlung zum Werk von Karl Buchholz, die ich bei Eckart Kissling, Kusterdingen, studieren durfte, und schließlich die vielen, in verschiedenen Bibliotheken eingesehenen Ausstellungskataloge und -rezensionen.
29 Dieses Material erwies sich allerdings als nicht so ergiebig wie erhofft. Grupp 1995, S. 94-128, hat erfolgreich die preußischen Gesandtschaftsberichte als Quellen herangezogen, die Aufschluß darüber geben, wie der Kaiser die Aktivitäten des Neuen IVeimarbeurteiltt. Leider erbrachte die Auswertung der Gesandtschaftsberichte für den Zeitraum vor 1900 in Hinblick auf Weimars Kunstentwicklung nicht viel. Hauptanliegen der Berichterstatter waren die Haltung Weimars zu Preußen in den Kriegen der 1860er Jahre und im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, die neue Synodalordnung der 1870er Jahre sowie Familien- und Heiratsangelegenheiten am Hofe des Großherzogs. Meine, wenn auch bescheidenen Ergebnisse sind in Kapitel I und III eingeflossen.
Kapitel I
G R O S S H E R Z O G CARL ALEXANDER U N D SEINE
KUNSTSCHULGRÜNDUNG
Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach rief 1860 in seiner Residenzstadt Weimar eine Kunstschule ins Leben. Diese Schulgründung war Teil eines weitreichenden, wenn auch nicht immer fest umrissenen Kulturprogramms mit nationalpolitischer Ausrichtung. Scheidigs Ansicht, daß bei der Weimarer Kunstschulgründung »keine auf Kulturpolitik oder Volksbildung gerichteten Gedanken« eine Rolle gespielt hätten und der Großherzog sich vor allem zu Unterhaltungszwecken mit einer adligen Malerkolonie umgeben habe, ist unzutreffend.1 Angelika Pöthe tritt zu Recht in ihrer Carl Alexander-Monographie dieser Auffassung entgegen und weist auf das aufrichtige Bestreben des Großherzogs hin, mit der Kunstschulgründung das als >heilig< erachtete Streben nach dem Wahren und Schönen zu fördern und durch die Ausstellung von Kunst und Kunstgewerbe erzieherisch auf breite Bevölkerungsschichten zu wirken.2 Auch stellt sie heraus, in welch starkem Maße die Renaissancekultur der Stadtstaaten Italiens Vorbild für Carl Alexanders Mäzenatentum war.3 Indes folgte der Großherzog noch darüber hinaus bei der Kunstschulgründung einer kulturpolitischen Leitidee, die er bereits im Zuge der Wiederherstellung der Wartburg seit den 1840erJahren entwickelt hatte und die ihn auch in den 1860erJahren zu dem Bau eines Großherzoglichen Museums in seiner Residenzstadt bestimmte: Weimar sollte aufgrund seiner besonderen Vergangenheit und vor dem Hintergrund der bedeutenden Geschichte Thüringens das geistig-kulturelle Zentrum der Nation bilden, die Kunst diesen ideellen Führungsanspruch untermauern und zur kulturellen Integration Deutschlands beitragen. Die Kunstschulgründung erwuchs aus den programmatischen Absichten Carl Alexanders, Weimar zu einem Ort nationaler Selbstfindung, strikt begrenzt auf das Gebiet der Kultur, zu erheben. 1 2 3
Scheidig 1991, S. 12f. Pöthe 1998, S. 354-356 u. S. 359 Ebd., S. 345-351
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Kapitel I
Aus den in diesem Kontext erstmals herangezogenen Tagebüchern Carl Alexanders wird deutlich, daß der Großherzog, nach einer langen Phase der Vorüberlegungen, den Aufbau der Schule seit Anfang des Jahres 1860 massiv vorantrieb und sich, sowohl was die Organisationsstruktur als auch die personelle Besetzung der Schule betrifft, stark von Karl von Piloty und dem an der Münchner Akademie üblichen System der Meisterklassen beeinflussen ließ. Nachdem die Kunst insgesamt einen dem Großherzog fremden Fortgang zum Ahistorischen nahm und er längst hatte einsehen müssen, daß durch die dominante Stellung Preußens im neu gegründeten Reich seine ursprünglich national ausgerichtete Kulturpolitik im Bereich der bildenden Kunst keine Zukunft mehr hatte, versuchte Carl Alexander, nach einer Phase anhaltender Personalquerelen an der Kunstschule, diese in eine Staatsinstitution umzuwandeln, was allerdings mißlang. Unter dem Eindruck der bevorstehenden Übernahme seiner privaten Kunstschule in staatliche Trägerschaft ließ Carl Alexander 1874 die liberalen Lehrprinzipien seiner Schule in neuen Statuten festschreiben - Zeichen dafür, daß er schöpferische Gestaltungsfreiheit als Voraussetzungjeder Form von künstlerischer Entfaltung ernst nahm und zu wahren suchte. In dieser Zeit beginnt sich die Weimarer Malerschule herauszubilden, nicht in Widerspruch zur Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule, sondern vielmehr aufgrund der dort geschaffenen institutionellen Rahmenbedingungen.
DIE
WARTBURGAUSMALUNG
Bereits als Erbgroßherzog hat Carl Alexander mit seiner in den 1840er Jahren einsetzenden Wiederherstellung der Wartburg versucht, mit den Mitteln der Kunst die kultur- und nationalgeschichtliche Bedeutung Thüringens und Weimars hervorzuheben und zu propagieren.4 In einer am 12. Februar 1841 handschriftlich verfaßten Denkschrift, in der er erstmals seine Vorstellungen zum Wiederaufbau der Burg in einem Vier-Punkte-Programm zusammenfaßte, äußert Carl Alexander an dritter Stelle: »Meine Idee ist nemlich [sie], nach und nach die Wartburg zu einer Art Museum für die Geschichte unseres Hauses, unseres Lan4
Jutta Krauß, Die Wiederherstellung der Wartburg im 19. Jahrhundert, (Kleine Schriftenreihe der Wartburg-Stiftung, Bd. 1), Kassel 1990, S. 13 - Ausfuhrlich zur Wiederherstellung der Wartburg durch Carl Alexander: Pöthe 1998, S. 297-344
Großherzog Carl Alexander und seine Kunstschulgründung
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des, ja von ganz Deutschland zu gestalten. Allerdings eine weitgreifende Idee, eine vielleicht zu ausgebreitete, dennoch aber eine dem historischen Punkte durchaus würdige. In dem Lauf der ferneren Jahre, dem allein und nicht einer übereilenden Gegenwart die Restauration der Wartburg übergeben seyn muß, liegt die Möglichkeit, meine Idee zu verwirklichen. - Wenn dieses nun auch der Fall ist, so würde es dennoch nothwendig seyn, bei den jetzigen Arbeiten, vorzüglich bei dem Fertigen eines allgemeinen Restaurationsplanes, jene Idee in's Auge zu fassen und vor Augen zu behalten.«5 Selbst wenn in der Folgezeit die Museumspläne nicht umgesetzt wurden, so blieben diese ersten konzeptuellen Überlegungen bestimmend für den gesamten rekonstruktiven Wiederaufbau der Burg durch Hugo von Ritgen und Bernhard von Arnswald. Auch die Fresken, die Carl Alexander nach längeren Vorüberlegungen 1853 bis 1855 durch Moritz von Schwind in einigen Räumen des historisch bedeutsamen Palasbaus ausfuhren ließ, erhalten vor dem Hintergrund der einstigen Museumspläne Programmcharakter.6 Mit Schwinds Darstellung des Sängerkriegs im Sängersaal wurde an die Blüte der mittelalterlichen Minnedichtung am Hofe des Landgrafen Hermann I. von Thüringen erinnert, der Wolfram von Eschenbach und Walther von der Vogelweide an seinen Hof gezogen hatte und unter dem es 1207 zu dem legendären Sängerkrieg auf der Wartburg gekommen sein soll.7 Damit wurde die Wartburg als eine der Geburtstätten der deutschen Literatur kenntlich gemacht. Wohl sollte auch impliziert werden, daß die Förderung Goethes durch Großherzog Carl August in einer geschichtlichen Tradition des thüringischen Herrscherhauses gestanden habe. Die zwei weiteren Freskenzyklen Schwinds, seine Darstellungen zum Leben der hl. Elisabeth im Arkadengang des 5
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Max Baumgärtel, Vorgeschichte der Wiederherstellung der Wartburg, in: Die Wartburg. Ein Denkmal Deutscher Geschichte und Kunst. Dem deutschen Volke gewidmet von Grqßherzog Carl Alexander von Sachsen. Dargestellt in Monographien, hg. v. Max Baumgärtel, Berlin 1907, S. 283-318, S. 294 - Krauß 1990, S. 43; Pöthe 1998, S. 298 Zu Schwinds Fresken auf der Wartburg: Werner Busch, Zwei Studien von Moritz von Schwind zum »Zug der heiligen Elisabeth zur Wartburg«, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 16, 1977, S. 141-154, bes. S. 144-147 - G. Ulrich Großmann, Die Fresken des Moritz von Schwind in der Wartburg, in: Forschungen zu Burgen und Schlössern, hg. v. der Wartburg-Gesellschaft zur Erforschung von Burgen und Schlössern, Bd. I, Berlin 1994, S. 115-128. - Petra Schall, Schwind und die Wartburg. Bildereines Spätromantikers, Leipzig 1995 - Barbara Romme, Moritz von Schwind. Fresken und Wandbilder; hg. v. der Landesbildstelle Baden u. der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, OstfildernRuit 1996, S. 74-97 Zum mittelalterlichem Literaturbetrieb in Thüringen: Manfred Lemmer, »der Dümge bluome schtneet dur den sne«. Thüringen und die deutsche Literatur des hohen Mittelalters, Eisenach 1981
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Kapitel I
ersten Obergeschosses sowie der Zyklus zur Gründungsgeschichte der Burg seit Ludwig dem Springer im Landgrafenzimmer neben dem Sängersaal, charakterisierten die Wartburg als Ursprungsort der thüringischen Nationalgeschichte.8 Die Schwindsche Bildausstattung der Wartburg diente dem Großherzog zur Propagierung der angestammten Rolle des thüringisch-sächsischen Herrscherhauses als Protektor der Künste und der Religion und der Darstellung des historisch belegten kulturellen Geltungsanspruchs seines Landes.9 In welch hohem Maße Carl Alexander dem Bildprogramm auf der Wartburg eine an die nationale Öffentlichkeit gerichtete kulturpolitische Bedeutung beilegte, mag ein Vergleich mit der Ausmalung der 1869 von König Ludwig II. von Bayern begonnenen Neuen Burg Hohenschwangau, die erst nach dem Tod des Königs 1886 den Namen Neuschwanstein erhielt, belegen. Ganz im Gegensatz zur Wartburg stellt sie eine einst der Öffentlichkeit weitgehend entzogene Verbildlichung der privaten Wagnerbegeisterung des Königs dar. Der bayerische König hatte im Mai 1867 im Zuge der Vorbereitung einer für München geplanten neuen Tannhäuser-Inszenierung eine Reise zur Wartburg unternommen. Dort reiften seine Pläne, in Bayern eine »Neue Wartburg« zu errichten.10 Er faßte sein neues Schloß Neuschwanstein von Anfang an als Gralsburg im Sinne der Wagnerschen Dichtungen auf, als sein »Montsalvat«, das nur ihm und Wagner, dem »göttlichen Freund«, zugänglich sei.11 Im Freskenprogramm griff er in starkem Maße auf Wagners Opern zurück, die sich mit der mittelalterlichen Gralsdichtung auseinandersetzen. In dem 1884 fertiggestellten Sän8 Carl Alexander sah die Wartburg nicht nur als Wirkungsstätte Martin Luthers, sondern verstand sie auch als beispielhaften Ort katholisch-christlicher Lebensform (siehe: Pöthe 1998, S. 307f. u. S. 102 zu Carl Alexanders offenem Verhältnis zum Katholizismus). - Luther sollte durch einen seit 1863 geplanten Gemäldezyklus auf der Wartburg geehrt werden. Erst 1872 bis 1882 wurden die insgesamt 17 Bilder von Ferdinand Pauwels, Paul Thumann, Wilhelm Linnig d.J. und Alexander Struys ausgeführt (Scheidig 1991, S. 48f.). 9 In seinem Dankschreiben an Moritz von Schwind vom 26. September 1855 drückte der Großherzog direkt aus, daß er den Fresken einen nationalen Stellenwert zumaß: »Sie haben deutscher Geschichte und Kunst ein dem Vaterland wie Ihnen selbst würdiges Denkmal gesetzt.« Siehe: Schall 1995, S. 25 10 Michael Petzet, Die Gralswelt König Ludwigs II.: Neuschwanstein ah Gralsburg und die Idee des Gralstempels, in: Kat. zur Ausst.: Der Gral. Artusrvmantik in der Kunst des 19. Jahrhunderts, München, Bayerisches Nationalmuseum, 25.10.1995 - 21.1.1996, hg. v. R. Baumstark u. M. Koch, Köln 1995, S. 63-86, S. 66 - Zur Verbindung zwischen Carl Alexander und Ludwig II. siehe auch: Pöthe 1998, S. 306f., bes. Anm. 18 11 Petzet 1995, S. 66
Großherzog Carl Alexander und seine Kunstschulgründung
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gersaal, der in architektonischer Hinsicht eine Kombination aus Fest- und dem Sängersaal der Wartburg darstellt, wurden vor allem Motive aus Wagners Parsifal verbildlicht.12 Es ist nun bemerkenswert, daß die Gralsburgassoziation für Carl Alexander auf der Wartburg keine Rolle spielte. Dabei müßte man annehmen, daß gerade ihm, der über viele Jahre die Musik Richard Wagners förderte, diese Verbindung hätte naheliegen müssen.13 Bereits der Lohengrin, der von Franz Liszt 1850 in Weimar uraufgeführt worden war, griff auf die mittelalterliche Gralsdichtung zurück.14 Doch keine der Fresken auf der Wartburg, auch nicht die Raumausstattung des großen oberen Festsaals, nimmt Bezug auf den Gralsstoff oder eine entsprechende Oper Wagners.15 Und es ist auch einleuchtend warum: Während Ludwig II. durch den Rückgriff auf das Gralsburgmotiv seiner Neuschöpfung eine, wenn auch künstliche, Historizität verlieh, wäre ein solcher Bezug für die Ziele, die Carl Alexander mit der Wartburgrestaurierung verfolgte, nur störend gewesen. Denn gerade die Rückbesinnung auf die eigene reiche Geschichte sollte die Wartburg in den Rang eines nationalen Denkmals erheben.
12 Ebd., S. 77f. 13 Carl Alexander bewunderte zeitlebens die Musik Richard Wagners. Siehe: Großherzog Carl Alexander in seinen Briefen an Frau Fanny Lewald-Stahr (1848-1889), eingeleitet, u. hg. v. Günther Jansen, Berlin 1904: Nr. 7, Anfang Nov. 1849: zum Tannhäuser, Nr. 16, o. D. 1850: zum Lohenpin-, Nr. 69, 1.5.1870: zu den Meistersingern von Nürnberg. - Er hat sich auch, allerdings fruchtlos, für eine Amnestie des wegen seiner Beteiligung an den Dresdner Maiaufständen von 1849 aus Sachsen in die Schweiz geflohenen Komponisten eingesetzt, ihm Anfang der 1850er Jahre auch einen Kompositionsauftrag zukommen lassen, der aber nicht umgesetzt wurde. Siehe: Wolfram Huschke, Musik im klassischen und nachklassischen Weimar1756-1861, Weimar 1982, S. 122f.; Pöthe 1998, S. 264-279 14 Zu Franz Liszts Einsatz für Wagners Opern siehe: Huschke 1982, S. 121-131 15 Krauß 1990, S. 44f.: Thema der von den Bildhauern Knoll und Seitmann und dem Maler Welter ausgeführten Raumausstattung des 1860 vollendeten Festsaals war die Entwicklung des Christentums bis in die Zeit der Kreuzzüge. - Selbst Wagners Oper Tannhäuser, die freilich nichts mit der Gralsmotivik zu tun hat, sondern auf die Sage vom Sängerkrieg zurückgreift, spielte für Schwind beim Entwurf seines Sängerkriegsfreskos keine Rolle. Nach Abschluß der Arbeiten schrieb der Maler am 5. April 1855 an Bernhard Schädel: »Wagner wird nicht sehr zufrieden sein mit meiner Auffassung des Sängerkriegs, und das um so weniger, als sie durchaus nachzuweisen und begründet ist. Die Herren meinen, die Wartburg sei bloß erbaut, um etwas Propaganda für die Zukunftsmusik zu machen.« Schwind griff allein auf die bei Ludwig Bechstein geschilderten verschiedenen Phasen der Sage vom Sängerkrieg zurück, die er frei miteinander kombinierte (siehe: Schall 1995, S. 26f.).
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Kapitel I
Exkurs: Stanislaus Graf von Kalchreuths Schloß vom Heiligen Gral
Es ist bemerkenswert, daß Großherzog Carl Alexander, für den das Gralsburgmotiv bei dem Wiederaufbau und der Ausmalung der Wartburg keine Rolle spielte, im Winter 1859/60 eine Darstellung des Schlosses vom Heiligen Gral (Abb. 1) bei Stanislaus Graf von Kalckreuth in Auftrag gab.16 Auf Graf von Kalckreuths Rolle bei der Gründung der Kunstschule, deren erster Direktor er wurde, wird noch einzugehen sein. Am 22. Januar 1860 notiert der Großherzog in sein Tagebuch: »J'eus une grande joie à voir dans l'atelier de Kalckreuth les esquisses qu'il a faites pour le tableau du St. Graal que je lui ai commandé. Lorsque je lui indiquai des changements, il adopta les uns et rejetta les autres comme étant contraires au sentiment du beau. En m'expliquant son idée je vis que j'avais tort.«17 Sogar die Dioskuren, Presseorgan der deutschen Kunstvereine, meldeten - allerdings erst im September 1860 - die Auftragsvergabe des Großherzogs an Stanislaus von Kalckreuth.18 Die sich über das ganze Jahr erstreckende Genese dieses Werkes verfolgte der Großherzog aufmerksam und besuchte Stanislaus von Kalckreuth immer wieder im Atelier.19 Als er zusammen mit der Großherzogin im Februar 1861 das fertige Bild
16 Friedrich von Boetticher, Malerwerke des Neunzehnten Jahrhunderts, 2 Bde., Dresden 1891, Nachdruck: 4. Bde., Hofheim/Taunus 1979, Bd. 1,2, S. 666, Nr. 24 - Das Bild ist heute nicht mehr nachweisbar; Abb. in: O.v.S. [= Otto von Schorn], Das Schloß vom Heiligen Gral. Gemälde von Stanislaus von Kalckreuth, in: UlustrirteZeitung, 39. Bd.:Juli-Dez. 1862, Nr. 1012:22. Nov. 1862, S. 372f„ Abb. S. 372 17 ThHStAW, HA A XXVI, No. 1957, Tagebuch Carl Alexander, 22.1.1860 18 Die Dioskuren 5, 1860, Nr. 36, 2. Sept. 1860, S. 294: Der Maler Stanislaus von Kalckreuth habe vom Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach den Auftrag zu zwei Gemälden, einem Schloß zum Heiligen Gral und einem Schloß von Dornröschen, erhalten. - Das zweite Bild ist nicht mehr nachweisbar. - Scheidig 1991, S. 14, datiert die Auftragsvergabe fälschlicherweise auf die Zeit unmittelbar nach der Rückkehr des Großherzogs mit dem Künstler von ihrer Münchner Reise im August/September 1858. Er ist der Meinung, Stanislaus von Kalckreuth sei dieses Sujet »bedenklich romantisch« erschienen und er habe daher nochmals gezögert, endgültig nach Weimar überzusiedeln. Diese Ansicht ist nicht haltbar. Der Auftrag erfolgte erst im Winter 1859/60, als Stanislaus sich längst in Weimar niedergelassen hatte. Auch zeigte der Künstler das Bild ohne Bedenken 1864 auf der Berliner Akademie-Ausstellung und 1886 auf der dortigen Jubiläumsausstellung (Boetticher 1979, Bd. 1,2, S. 666, Nr. 24). 19 ThHStAW, HA A XXVI, No. 1957, Tagebuch Carl Alexander, 6.2., 23.2. u. 25.2.1860; ebd., HA A XXVI, No. 1859, Tagebuch Carl Alexander: 2.12.1860 u. 14.2.1861
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sieht, lobt er es überschwenglich als die erste wirklich ehrenvolle Arbeit, die die Weimarer Kunstschule hervorgebracht habe.20 1862 wurde das Bild, mit einem Kommentar des Schulsekretärs Otto von Schorn versehen, ganzseitig in der Illustrirten Zeitung abgebildet.21 Schorn gibt an, daß sich Kalckreuth an die Ortsangaben im fünften Gesang von Wolfram von Eschenbachs Parzival gehalten habe. Wie dort beschrieben, liegt auf dem Bild die Burg am Wasser in einem Hochgebirgstal. Kalckreuth vermeidet bei seiner Gralsburgdarstellung jede Wartburgassoziation. Die Anlage besteht aus einer Vorburg auf schmalem Felsen, von der eine aquäduktartige Brücke zur Hauptburg hinüberfuhrt, die mit ihrer oberen Spitzkuppel eher einer orientalischen Stadt als einer mittelalterlichen Burg gleicht. Man wird dieses Bild sicher vor dem Hintergrund der durch die Opern Wagners gesteigerten Gralsromantik des Historismus sehen müssen.22 Doch belegt es gleichzeitig, daß Carl Alexander die Wartburg nie als Gralsburg gedeutet wissen wollte. Vielmehr scheint sich Carl Alexander in einem anderen Sinne als Gralshüter verstanden zu haben. Daß er den Heiligen Gral als Metapher für die von ihm und seinem Haus zu bewahrende und zu beschützende Hinterlassenschaft Goethes verstand, belegen zwei Grabreden, die nach seinem Tode am 5. Januar 1901 veröffentlicht wurden. Ernst von Wildenbruch bezeichnet in seinem Gedenkblatt den verstorbenen Großherzog als Gralshüter, dessen Lebensaufgabe darauf ausgerichtet gewesen sei, das klassische Erbe Weimars zu bewahren: »Er war ein Mensch, der einen heiligen Gral in den Händen trägt, immerfort auf ihn hinblickend, immer nur einen Gedanken in der Seele, daß das
20 Ebd., HA A XXVI, No. 1859, Tagebuch Carl Alexander, 14.2.61: »Puis nous montâmes dans l'atelier de Kalckreuth où il nous montra son tableau du St. Graal, achevé. La Gd. [Grande Duchesse] et moi l'admirâmes franchement et avec bonheur... [?] C'est un ouvrage qui fait grand honneur à l'artiste. C'est le premier ouvrage vraiment de mérite qui sorte de l'école de Weimar. Aussi en remerciai-je Dieu du fond de mon cœur.« - Das Bild wurde im Februar 1861 auch auf der ersten Ausstellung des Weimarer Kunstvereins im Logenhaus gezeigt. Siehe: ZD 13 Jg., 13.2.1861; Adelheid von Schorn, Das nachklassische Weimar, 2. Bde., Bd. II: unter der Regierungszeit von Karl Alexander und Sophie, Weimar 1912, S. 150f. 21 Siehe Anm. 16 22 Als ein Beispiel für eine unmittelbar durch Wagners Parsifal angeregte Reihe von Gralsburgdarstellungen seien die fünf verschiedenen Fassungen der Gralsburgvon Hans Thoma genannt. Siehe: Kat. zur Ausst.: Der Gral. Artusromantik in der Kunst des 19. Jahrhunderts, München, Bayerisches Nationalmuseum, 25.10.1995 - 21.1.1996, hg. v. R. Baumstark u. M. Koch, Köln 1995, Nr. 29
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heilige Gefäß unbeschädigt bleibt und unbefleckt.«23 Auch der Jenenser Philosoph Kuno Fischer griff in seiner im Mai gehaltenen Gedächtnisrede auf das bei Wildenbruch formulierte Gralsmotiv zurück, und unterstrich, daß Carl Alexander - in Umkehrung von Goethes Worten »Weh dir, daß du ein Enkel bist!« ganz in seiner Rolle als Enkel, als Erbe einer Hinterlassenschaft von nationaler Bedeutung aufging.24 Schon seit frühester Jugend hatte Carl Alexander akribisch über den Erhalt des Goetheschen Erbes gewacht.25 In späteren Jahren faßte er Goethe nicht nur als persönliches Leitbild, sondern als Leitbild der Nation auf und stellte ihn dabei über Schiller.26
DAS KUNST-GLAUBENSBEKENNTNIS VON 1 8 5 8
Im September 1858, nach seiner Rückkehr von einer Reise nach München zur ersten Allgemeinen deutschen und historischen Kunstausstellung, legte Großherzog Carl Alexander in einem doppelseitigen Anhang zu seinem Reisetagebuch sein 23 Ernst von Wildenbruch, Großherzog Karl Alexander. Ein Gedenkblatt zum 5. Januar 1901, Weimar 1901, S. 5 24 Kuno Fischer, Großherzog KarlAlexandervon Sachsen. Gedächtnisrede in der Trauerversammlung am 31. Mai 1901 im Theater zu Weimar, (Kleine Schriften, Bd. 9), Heidelberg 1901, S. 58 u. 11 2 5 Königin Augusta von Preußen, Bekenntnisse an eine Freundin. Aufzeichnungen aus ihrer Freundschaft mit Jenny van Gustedt, hg. v. Richard Kühn, Dresden 1935, S. 203: Als Goethe vor seinem Tode seinen Briefwechsel durchgegangen sei und eine ganze Kiste aussortierter Briefe verbrannt habe, sei ihr vierzehnjähriger Bruder darüber untröstlich gewesen: »Alexander hat eine besondere Leidenschaft für alles, was Goethe betrifft. >Ich bin geradezu arm geworden durch jenen Scheiterhaufen, zu schade. Ich trauere aufrichtig um jedes Stückchen Papier.< schrieb er mir erst vor kurzem. Alexander übertreibt wohl in diesen Dingen. Ich habe ihm geantwortet, er möge sich nicht allzu sehr um die Forschung sorgen. Es ist ja soviel da. Da haben die Forscher genug zu tun, wenn sie gründlich sind.« 26 Lewald-Stahr 1904, Nr. 67, 3.2.1870, 149fF.: »Goethe ist ein »Erzieher und Aufbauer< für jeden, der wahrhaft leben will, also arbeiten, kämpfen und sich vervollkommnen.«; Nr. 84, 5.5.1876, S. 172: »Ich begreife, daß man für Schiller schwärmt, leben kann man nur mit Goethe.«; Nr. 101, 13.7.1880, S. 197f.: »Ich teile Ihre Ansicht über die anatomisierende Tendenz unserer Zeit betreffs der Schöpfungen wie der Urheber derselben, unserer großen Dichter. Allein natürlich scheint es mir, daß die deutsche Nation sich immer wieder und immer mehr mit Goethe beschäftigt, denn je mehr unsre Nation vorwärts schreitet, desto mehr wird sie auf Goethe zurückkommen, denn sie wird ihn, gerade ihn, immer mehr und mehr brauchen.« - Zum Goethebild Carl Alexanders: Pöthe 1998, S. 150-154
Großherzog Carl Alexander und seine Kunstschulgründung
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oft zitiertes Kunst-Glaubensbekenntnis ab.27 Darin formuliert er erstmals sein kulturpolitisches Programm schriftlich aus und faßt konkrete Pläne fiir seine Residenzstadt Weimar.28 Er bekundet seinen Willen, die bildende Kunst in Weimar durch die Gründung einer Kunstschule und den Bau eines Museums zu fördern und spricht die ihn dazu bestimmende Motivation deutlich aus: Die Kunst könne nur aus ihrer Bindung an die Nation heraus gedeihen. Weimar bilde mit seiner national bedeutsamen kulturellen Vergangenheit den idealen Nährboden für ein solches Aufblühen der Kunst auf nationaler Grundlage. Es bräuchten also nur die entsprechenden Kräfte nach Weimar gezogen zu werden.29 Die Kunst sollte nach der Vorstellung des Großherzogs zur nationalen Identitätsstiftung beitragen. Letztlich sollte sie das einlösen, was auf politischer Ebene bisher mißlang, die Einheit der Nation. Mit dieser Auffassung war Carl Alexander durchaus nicht allein. Wahrscheinlich hat er sich bei der Abfassung seines KunstGlaubensbekenntnisses unmittelbar von der Eröffnungsrede zur Münchener Ausstellung von 1858 inspirieren lassen, die Feodor Dietz, der Vorsitzende der Deutschen Künstlergenossenschaft, am 22. Juli gehalten hatte.30 Auch für Dietz 27 ThHStAW, HA A XXVI, No. 1956, Tagebuch Carl Alexander, fol. 8f. - Publiziert in: Großherzog Carl Alexander, Tagebuchblätter von einer Reise nach München und Tirol im Jahre 1858, hg. v. Conrad Höfer, Eisenach 1933, S. 51f.; Scheidig 1991, S. 13; Preiß/Winkler 1996, Dok. 1, S. 59 28 Pöthe 1998, S. 354f., hat die idealistische, von einer religiösen Begrifflichkeit durchsetzte Ästhetik Carl Alexanders, die hinter dem Kunst-Glaubensbekenntnis und der Kunstschulgründung steht, deutlich herausgestellt. 29 Höfer 1933, S. 51f.: »Mein Kunst-Glaubensbekenntnis nach der Münchener Reise 1858. [...] Eine Verbindung von solchen Geistern zu erreichen, welche die Kunst, [...], in ihrer Heiligkeit erkennen und ausüben und sich dabei fest binden an den nationeilen [sie] Boden, - eine solche Verbindung wäre etwas Außerordentliches und Erfolgreiches. Ist sie etwas Schweres, so ist sie dennoch etwas Mögliches, denn solche Künstler gibt es, und diese nationelle Kunstförderung ist nirgends vorhanden. Was zu tun, ergibt sich aus dem Gesagten. Zuerst handelt es sich darum, diejenigen Künstler aufzusuchen, aufzufinden und zu gewinnen, welche in dem bezeichneten Sinn fühlen und streben. Zugleich schaffe man die Mittel herbei, um ihr gemeinsames Streben möglich zu machen, eine Tätigkeit, welche natürlich das Ziehen von Schülern bedingt. Endlich gründe man ein Museum von nur solchen Kunstwerken, von solchen nationeilen, der nationeilen Vergangenheit wie Gegenwart, welche den Zweck deutlich vor die Augen der Welt fuhren. Diese hier erläuterte Aufgabe aber ist entschieden die Aufgabe Weimars. Es hat sie erfüllt durch das, was von Weimar aus in Bezug auf Literatur und Wissenschaft geleistet worden ist, es bleibt ihm übrig, diese Aufgabe auf dem Felde der Kunst zu lösen. Jener bezeichnete Weg, er fuhrt zu diesem Ziel. Man gehe ihn also. [...]« 30 [o.A.], Eröffnung der allgemeinen deutschen Kunstausstellung in München, in: Deutsches Kunstblatt, August 1858, S. 205-207
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hing die Entwicklung einer spezifisch deutschen Kunst aufs engste mit der Einheit der Nation zusammen: »O verdenkt es uns nicht, wenn wir mit heißen Wünschen an dem Gedanken hangen, daß unsere Kunst eine nationale Kunst sei ! Denn nur auf dem Boden eines großen Volkes reifen die Menschengedanken zu weltgeschichtlichem Werte, nur auf dem Boden eines Volkes treibt der Baum der Kunst tiefe Wurzeln, breite Aste, hohe Kronen.«31 Carl Alexanders Vorstellung von Nation war in der Zeit vor der Reichsgründung weitgehend apolitisch und blieb beschränkt auf den Bereich der kulturellen Identitätsfindung. Zwar ersehnte er - und sein Kunst-Glaubensbekenntnis ist ja ein Zeugnis dafür - die nationale Einheit des Vaterlandes, aber nur auf einer kulturellen Ebene. Politisch hielt er strikt an der bundesstaatlichen Organisation Deutschlands fest, arbeitete auf eine Bundesreform hin und wehrte sich bis zum Preußisch-Österreichischen Krieg von 1866 gegen den Alleinfuhrungsanspruch Preußens innerhalb des Deutschen Bundes.32 Der Kunst kam die Aufgabe zu, den realpolitischen Partikularismus zu überspielen und eine stark heterogene Gesellschaft unter dem abstrakten Begriff der Kulturnation zu vereinen. Das Kunst-Glaubensbekenntnis macht des weiteren deutlich, daß die Kunstaktivitäten des Großherzogs vor allem dem Erhalt der kulturellen Bedeutung Weimars galten. Carl Alexander verehrte seinen Großvater Carl August, in dessen Räumen im Schloß er wohnte.33 Es ihm in der Kunstförderung gleich zu tun, galt sein ganzer Eifer.34 Wie er in einem Satz am Ende des Kunst-Glaubensbekenntnisses betont, erachtete Carl Alexander die Bereiche der Musik, Poesie und dramatischen Kunst bereits als hinreichend gefördert in Weimar durch die Tätigkeit Franz Liszts, Viktor von Scheffels und Franz Dingelstedts.35 Nun sollte noch der Bereich der bildenden Kunst hinzutreten.
31 Ebd., S. 207 32 Ulrich Hess, Geschichte Thüringern: 1866 bis 1914, aus dem Nachlaß hg. v. Volker Wahl, Weimar 1991, S. 11-50; Pöthe 1998, S. 90-96 33 Hermann Freiherr von Egloffstein, Im Dienste des Großherzogs Carl Alexander, Berlin 1911, S. 42 34 Lewald-Stahr 1904, Nr. 9, 8.2.1850, S. 66 - Noch im Februar 1861 schickte Carl Alexander Franz Liszt das Protokoll einer ihrer zahlreichen, im letzten fruchtlosen Unterhaltungen über die Weimarer Kulturpläne zu, in dem er das Ziel seiner Kulturpolitik erneut benennt: »[...] Ziel: Das Werk Carl Augusts fortfuhren und ergänzen, um Weimar in Deutschland den Platz zu sichern, den Florenz in Italien einnimmt. [...]«; zitiert nach: Peter Raabe, Großherzog Carl Alexander und Liszt, Leipzig 1918, S. 74 35 Höfer 1933, S. 52: »Zunächst wähle man die Geistesgenossen (die Männer gleicher Gesinnung) im Fache der Kunst, der bildenden, wie wir bereits sie in anderen haben (ich nenne Liszt für Mu-
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Einige Ereignisse gegen Ende des Jahres 1858 werden den Großherzog darin bestärkt haben, seine Aktivitäten auf diesem Gebiet zu intensivieren. Zum einen scheiterte seine Hoflnung, den von ihm hoch verehrten Schriftsteller Paul Heyse, den er im September 1858 in München durch Moritz von Schwind persönlich kennengelernt hatte, zu einer Übersiedelung nach Weimar zu bewegen.36 Carl Alexander mußte sich eingestehen, daß Weimar auf dem Gebiet der Literatur mit Münchens Dichterkreisen um Emanuel Geibel und Paul Heyse nicht konkurrieren konnte. Zum anderen löste im Dezember 1858 die Uraufführung der Oper Der Barbier von Bagdad von Peter Cornelius in Weimar einen Skandal aus, der Franz Liszt endgültig dazu veranlaßte, von seinem Kapellmeisteramt zurückzutreten und mit Weimar zu brechen.37 Eine Profilierung auf dem Gebiet der bildenden Kunst konnte hier einen möglichen Ersatz bieten. Ferner wird auch die 1854 in Karlsruhe durch den Erbgroßherzog Friedrich von Baden begründete Kunstschule sowie die dort bereits unter Großherzog Leopold 1837 bis 1846 errichtete Kunsthalle mit den Schwindschen Ausmalungen im Treppenhaus Ansporn und Anregung für die Weimarer Unternehmungen gewesen sein.38
ADOLF STAHRS DENKSCHRIFT VON 1 8 5 9
Der Großherzog hatte bereits auf seiner Münchner Reise den in seinem KunstGlaubensbekenntnis festgelegten Zielen einer Kunstschul- und Museumsgründung sik, Scheffel für Poesie, Dingelstedt für die dramatische Kunst).« 36 Ebd., S. 20 u. S. 31f.; S. 53ff.: Heyses Ablehnungsschreiben an den Großherzog. - Carl Alexander pflegte weiterhin einfreundschaftlichesVerhältnis mit Heyse und gab die Hoffnung nicht aui ihn doch noch für Weimar zu gewinnen. Siehe: Briefwechsel zwischen Joseph Viktor von Scheffel und Carl Alexander, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, hg. v. Conrad Höfer, Karlsruhe 1928, S. 15ff; ThHStAW, HA A XXVI, No. 1957, Tagebuch Carl Alexander, 16.5.1859 und HA A XXVI, No. 1959, Tagebuch Carl Alexander, 2.10.1860; Aus AdolfStahrs Nachlaß, hg. v. Ludwig Geiger, Oldenburg 1903, Nr. 118,31.8.1859, S. 234ff. 37 Wolfgang Dömling, Franz Liszt und seine Zeit, Laaber 1985, 31f.; Pöthe 1998, S. 241-247 38 Es bestanden familiäre Bande zwischen den beiden Fürstenhäusern. Prinz Friedrich war mit einer Nichte Carl Alexanders, einer Tochter seiner Schwester Augusta, verheiratet (siehe: Wanda von Puttkammer, Der Hof von Weimar unter Großherzog Carl Alexander und Großherzogin Sophie. Erinnerungen aus den Jahren 1893-97, Berlin 1932, S. 44). Als Großherzog von Baden stiftete Friedrich die Piedestale für das Goethe-Schiller-Denkmal und das Wielandstandbild (siehe: Die Dioskuren 4, 1859, Nr. 53: 1. März 1859, S. 37).
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zugearbeitet. Zum einen hatte er ein neues Kunstwerk für seine Sammlung erstanden, nämlich Moritz von Schwinds Zyklus aquarellierter Handzeichnungen zu dem Märchen der sieben Raben und der treuen Schwester:39 Des weiteren hatte er während der Münchener Ausstellung Friedrich Preller d.A. auf Anraten Bernhard von Arnswalds den Auftrag erteilt, seine in München ausgestellten, 1854-56 entstandenen Entwürfe zu seinem zweiten Odysseenzyklus nach weiteren Studien in Italien in monumentale Wandgemälde umzusetzen, die den Kern des späteren Museums bilden sollten. 40 Schließlich hatte er auf dieser Reise mit Stanislaus Graf von Kalckreuth Freundschaft geschlossen, der später der erste Direktor der Weimarer Kunstschule werden sollte. Er hatte den Landschaftsmaler, der seine Offizierslaufbahn Mitte der vierziger Jahre für das Studium der Malerei unter Johann Wilhelm Schirmer an der Düsseldorfer Akademie aufgegeben hatte, durch Vermittlung seines Kammerherrn Franz von Schober kurz vor Beginn der Reise im August 1858 in Wilhelmstal kennengelernt und ihn gleich als Reisebegleiter nach München mitgenommen. 41 Kalckreuth wurde im Kunst-Glaubensbekenntnis bereits als für Weimar gewonnen erachtet. 42 Allerdings ließ sich Kalckreuth, wie die Dioskuren berichteten, erst Ende des Jahres 1858 mit seiner Familie in Weimar nieder. 43 Noch im Oktober war es zu einer kurzen Verstimmung zwischen Kalckreuth und dem Großherzog gekommen. 4 4 Auch behielt Kalckreuth weiterhin ein Mietatelier in Düsseldorf um seinen Aufträgen für das preußische Königshaus nachzukommen. 45
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Catalog des Grossherzoglichen Museums zu Weimar; Weimar 1869, S. 84-86; Das Märchen von den sieben Raben und der treuen Schwester. Bilder-Cyklus von Moritz von Schwind. Aufgezeichnet von Julius Naue. Mit Text von Gustav Floerke, Leipzig 1874; Moritz von Schwind. Des Meisters Werke in 1265 Abbildungen, hg. v. Otto Weigmann, Stuttgart und Leipzig 1906, Nr. 367-375
40 Friedrich Preller d.J., Tagebücher des Künstlers, hg. u. biographisch vervollständigt v. Max Jordan, München, Kaufbeuren 1904, S. 42 - Zur Prellergalerie: Weinrautner 1997, S. 68-83 41
Höfer 1933, S. 60; Scheidig 1991, S. 13, Anm. 12 - Zu Stanislaus von Kalckreuth: Bruckmanns Lexikon der Münchner Kunst. Münchner Maler im 19. Jahrhundert, 4 Bde., Bd. II, München 1982, S. 263f.
42
Höfer 1933, S. 52
43 Die Dioskuren 3, 1858, Nr. 47:1. Dez. 1858, S. 211 44 Scheidig 1991, S. 14, Anm. 18. Scheidig täuscht sich in der Feststellung, Kalckreuth sei bereits Ende 1858 ein Posten an der Karlsruher Kunstschule angeboten worden. Dieses Angebot erfolgte - nach Adolf von Oechelhaeuser, Geschichte der Großherzöglich Badischen Akademie der bildenden Künste, Festschrift zum 50jährigen Stiftungsfest, Karlsruhe 1904, S. 37 - erst im Frühsommer 1859. 45 R., [Bericht aus] Düsseldorf, in: Deutsches Kunstblatt 9, 1859, Feb.-Heft, S. 54-57, S. 57
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In den Dioskuren hieß es weiter, mit dem Grafen Kalckreuth werden sich vier weitere Maler in Weimar ansiedeln: »Die Zahl der dort ansässigen Maler würde sich dann, [...], auf nicht weniger denn 22 belaufen, eine Zahl, die zu dem Bedürfniß der 13.000 Einwohner zählenden Stadt außer allem Verhältniß steht. Das Publikum ist daher auf die Vermuthung gekommen, man haben die Absicht, eine Malerakademie hier zu gründen.«46 Die Kunstschulpläne des Großherzogs hatten sich also bereits herumgesprochen. Anfang 1859 zog Kalckreuth tatsächlich seine Schüler Carl von Schlicht und Ferdinand von Harrach sowie August von Wille, Wilhelm Cordes und den Düsseldorfer Maler Johannes Niessen, der Unterricht im Aktzeichnen erteilen sollte, nach Weimar.47 Franz von Schober vermittelte aus Dresden Carl von Binzer.48 Buonaventura Genelli kam auf Einladung des Großherzogs, die durch Friedrich Prellers Fürsprache zustande gekommen war, im Februar 1859 nach Weimar.49 Gleich kam es zu einem ersten verhaltenen Protest von seiten der eingesessenen Maler Weimars: »Niemand wird nun deshalb [wegen der Übersiedlung der weiteren Künstler] an eine neue Weimar'sche Malerschule denken, oder daß der Großherzog oder irgend sonst wer daran gedacht haben könnte. Es leben ja hier noch andere namhafte und ausgezeichnete Maler, die am wenigsten damit zufrieden wären, plötzlich einer Schule einrangiert zu werden, nachdem sie der Schule längst entwachsen zu sein glauben.«50 Diese mahnenden Worte stammten sicherlich von Friedrich Preller d.Ä., der vermutete, der Großherzog zögere seine ihm auf der Münchner Ausstellung versprochene Abreise nach Italien hinaus, da er nur seinen Kunstschulplänen nachhinge.51 Tatsächlich mußte sich Preller bis Ostern 1859 gedulden, bis der Großherzog ihm die Mittel zu der Reise gewährte, die er schließlich im September zusammen mit seinem Sohn antrat.52 Aber auch Stanislaus von Kalckreuth hatte mit der Unbeständigkeit des Großherzogs zu kämpfen. Im Mai 1859 mußte sein Freund Franz von Schober 46 Die Dioskuren 3, 1858, Nr. 47, 1. Dez. 1858, S. 211 47 Scheidig 1991, S. 15, Anm. 21 - Schorn 1912, S. 148, erwähnt noch die Ankunft der malenden schwedischen Grafen Rosen und Mörner. - Preller 1904, S. 44, nennt auch Otto von Kamecke und Anton Dietrich, die Anfang 1859 nach Weimar gekommen seien. 48 Scheidig 1991, S. 15, Anm. 22 49 Hans Ebert, Buonaventura Genelli. Leben und Werk, Weimar 1971, S. 186; Weinrautner 1997, S. 84, Anm. 335 50 Die Dioskuren 4,1859, Nr. 1, 1. u. 15. Jan. 1859, S. 5 51 Preller 1904, S. 44 52 Ebd., S. 47
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den Großherzog nochmals ermahnen, die an Kalchreuth gemachten Versprechungen - Kammerherrnwürde, Umzugsbeihilfe, jährliche Aufträge in Höhe von 1000 Talern - auch einzuhalten.53 Auch stellte Schober in einem Schreiben an den Großherzog fest, daß die Berufung Genellis die Weimarer Künstler in zwei Lager gespalten habe und es nur zu hoffen bleibe, daß »diese Reibung die Kräfte beider Partheien steigern« würden.54 Die lokale Opposition um Preller und Genelli wird Kalckreuth dazu bewogen haben, im Frühsommer 1859 das Angebot zur Übersiedlung an die Karlsruher Kunstschule, wo man bereits ein Atelier für ihn bereit hielt, ernstlich zu überdenken.55 Doch blieb Kalckreuth in Weimar und gehörte zusammen mit dem Literaten Adolf Stahr und dem Maler Teutwart Smidtson zu den Begleitern des Großherzogs bei seinem Helgolandaufenthalt von Mitte August bis Ende September 1859.56 Uber die »blaublütige« Malerkolonie gab es in Weimar viel Gerede.57 Scheidig unterstellt dem Großherzog, er habe sich mit dieser Entourage aus adligen Malern zufriedengegeben und darüber seine Kunstschulpläne vergessen.58 Dagegen gilt es festzuhalten, daß fast alle diese adligen Künstler zum Düsseldorfer Freundeskreis bzw. zu den ehemaligen Offiziersbekanntschaften Stanislaus von Kalckreuths gehörten. Er war es gewesen, der sie nach Weimar gezogen hatte. Gerade die Tatsache, daß sich der Großherzog im Sommer 1859 während seines Helgolandaufenthalts intensiv mit Adolf Stahr - und nicht mit Kalckreuth - über die in Weimar zu gründenden Kunstanstalten beriet, kann man als Indiz dafür nehmen, daß er der Entwicklung eine andere, ernstere Richtung geben und über Kalckreuths Malerkolonie hinausgehen wollte. Der Großherzog bat Mitte August 1859 Adolf Stahr, seine Gedanken »über ein Museum für neuere deutsche Kunst« sowie »über die Mittel, Weimar zu einem Strebepunkt deutscher Kunst zu machen« schriftlich auseinanderzusetzen.59 Nach den Vorstellungen Stahrs sollte eine Nationalgalerie zum »Andenken un53 Scheidig 1991, S. 13, Anm. 13 54 ThHStAW, HA A XXVI 1008b, fol. 54f.: Brief Franz von Schobers an Carl Alexander, Dresden, 6.5.1859 55 56 57 58 59
Oechelhaeuser 1904, S. 37 Scheidig 1991, S. 16, Anm. 34 Preller 1904, S. 44 Scheidig 1991, S. 15 Stahr 1903, Nr. 117: Brief Adolf Stahrs an seinen Sohn Alwin Stahr, Helgoland, 16.-23.8.1859, S. 229-237, S. 231 - Siehe auch: Pöthe 1998, S. 353f.
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serer Litteraturheroen« in Weimar eingerichtet werden. Diese sollte als Aufbewahrungsort der ausgezeichnetsten Werke der deutschen Kunst, vor allem aus der Zeitspanne 1790 bis 1830, dienen, welche von den deutschen Fürsten und anderen Sammlern zu stiften seien. Darüber hinaus sollte sie eine Porträtgalerie deutscher Geistesgrößen aufnehmen und auch neuere ausgezeichnete Arbeiten zeigen, die durch alle drei Jahre auszuschreibende Preisaufgaben in den Gattungen Historie, Landschaft, Genre und Plastik zu ermitteln seien. Schließlich sollten Künstler nach Weimar gezogen und in einem geeigneten Gebäude eine Kunstschule untergebracht werden. Ein zu gründender »Weimarischer Verein deutscher Kunstfreunde zur Förderung deutscher Kunst«, dessen Mitglied zu sein »deutsche Ehrensache« sei, sollte diese Aktivitäten finanzieren helfen.60 Für die Ausfuhrung der Kunstpläne schlug Stahr Franz Dingelstedt vor und als Leiter der Kunstanstalten Friedrich Theodor Vischer. Carl Alexander hingegen brachte Paul Heyse, Kuno Fischer, Victor von Scheffel und Herman Hettner ins Gespräch.61 Von Stanislaus von Kalckreuth war von keiner Seite die Rede, was die Annahme stützt, daß der Großherzog in Kalckreuths Malerkolonie seine kunstpolitischen Ziele keineswegs verwirklicht sah. Im Grunde ähnelten Stahrs Pläne denen des Kunst-Glaubensbekenntnisses, nur waren sie differenzierter formuliert und erweitert um den Gedanken der Preisaufgaben. Adolf Stahr, der 1851 in Weimar im Kreis um Franz Liszt verkehrt hatte, ließ sich dabei von der damals erschienenen Schrift des Musikers De la Fondation-Goethe ä Weimar anregen, in der Preisaufgaben im vieijährigen Wechsel für Literatur, Musik, bildende Kunst und Plastik vorgeschlagen worden waren.62 Mit seiner Hervorhebung der besonderen Bedeutung der deutschen Kunst des ersten Jahrhundertdrittels nahm Stahr eine Wertung vorweg, die im Kaiserreich zu einem kanonischen Bestandteil der Kunstgeschichtsschreibung werden sollte.63 60 Stahr 1903, S. 229ff. 61 Ebd., S. 237 - Hettner war seit 1855 Professor der Kunstgeschichte an der Dresdner Akademie. 62 Zu der bereits 1849 konzipierten, aber erst 1851 erschienenen Schrift Liszts: Huschke 1982, S. 116-121. 63 In Herman Riegels einflußreicher Kunstgeschichte von 1874 sollte die klassizistisch-romantische Kartonkunst von Carstens bis Cornelius zum Höhepunkt der deutschen Kunstentwicklung erhoben und das Aufblühen der deutschen Kunst an das Wiedererstarken der Nation in den Befreiungskriegen geknüpft werden. Siehe: Herman Riegel, Geschichte des Wiederauflebens der deutschen Kunst zu Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte der allgemeinen Wiedergeburt des deutschen Volkes, Leipzig 1882; 1. Aufl. erschienen unter dem Titel: Geschichte der deutschen Kunst seit Carstens und Gottfried Schadorw, Theil 1, Leipzig 1874
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Daß Carl Alexander es für nötig hielt, ein Jahr nach Abfassung seines so dezidierten Kunst-Glaubensbekenntnisses sich von anderer Seite erneut eine Programmschrift über die Weimarer Kunstpläne verfassen zu lassen, zeugt sicherlich von einer inneren Unentschlossenheit und einem zögerlichen Charakter. Bereits Adolf Stahr hatte auf Helgoland in einem Brief an seinen Sohn die Befürchtung ausgedrückt, daß die mangelnde Entschlußkraft des Großherzogs seine Pläne im Sande verlaufen lassen würden.64 Hinzu kam das Unvermögen des Großherzogs in allen Wirtschaftsfragen und Geldangelegenheiten.65 Aber auch die geringen finanziellen Mittel, die Carl Alexander für die Verwirklichung seiner Kunstpläne zur Verfügung standen, werden die immer wieder aufschiebende Haltung des Großherzogs bedingt haben. Die vermögende, aus dem niederländischen Königshaus stammende Großherzogin Sophie scheint von vornherein den Kunstschulplänen ablehnend gegenübergestanden und ihrem Mann in dieser Sache keine finanzielle Unterstützung gewährt zu haben.66 Bis Ende 1859 tat sich nicht viel. Als am 1. Oktober Kalckreuth dem Großherzog eine Denkschrift überreichte, in der er die laufenden Kosten für die zu errichtende Schule auf6000 bis 7000 Taler bezifferte, wich der Großherzog aus und wies Kalckreuth an, einen Senat für Kunstangelegenheiten zu bilden.67 Doch Kalckreuth konzentrierte sich darauf neue Kräfte für Weimar zu gewinnen. Zusammen mit Victor von Scheffel bemühte er sich vergeblich, Anselm Feuerbach nach Weimar zu ziehen.68 Auch Teutwart Smidtson ließ sich nicht bewegen, nach 64 Stahr 1903, Nr. 118: Brief Adolf Stahrs an seinen Sohn Alwin, Helgoland, 31.8. - 3.9.1859, S. 234ff. - Siehe auch Pöthe 1998, S. 354 65 Hermann Freiherr von Egloffstein, Das Weimar van Carl Alexander und Wilhelm Emst. Erinnerungen, Berlin 1934, S. 25 66 Dies geht aus einem Ende Mai 1878 von Stanislaus von Kalckreuths in Bad Kreuznach verfaßten Brief an den in Weimar weilenden Hans Peter Feddersen hervor. Nachdem der Graf Feddersen mitteilt, daß er den ihm von Feddersen berichteten Niedergang der Schule schon seit langem geahnt habe, fahrt er fort: »In der Stadt, wo man den Anfang des Endes fühlt, freut man sich, daß das zusammenbricht, was ich schuf und die Großherzogin triumphiert, daß durch den Fall ihr Mann belastet wird, daß er mir vergeblich vertraut, - sie glaubt mich blamiert, und blamiert ihren Eheherrn, wie sie nicht schuldlos ist an dem Gange der bestimmenden Verhältnisse, und gem eine Sache zu Grunde gehen sieht, die sie abrieth zu schaffen, weil sie glaubt, sich nie irren zu können. Sie ahnt nicht, welchen schlechten Dienst sie dem Großherzog leistet.« Siehe: Lilli Martius, Ethe und Hans-Jürgen Stubbe, Der Maler Hans Peter Feddersen. Leben, Briefe, Gemäldeverzeichnis, Neumünster 1966, S. 92 67 Scheidig 1991, S. 16, Anm. 35 68 Ebd., S. 16, Anm. 37
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Weimar zu kommen.69 So verlief das Kunstleben in Weimar in ruhigen Bahnen. Lediglich Anfang November fand aus Anlaß der Schillerfeier eine umfangreiche Bilderausstellung aller in Weimar ansässigen Künstler im Logenhaus statt, die der Großherzog mehrmals besuchte; vor dem Schillerhaus wurden zwei von Wislicenus und Genelli gefertigte Transparente aufgestellt.70
DIE REALISIERUNG DER KUNSTSCHULE
Anfang 1860 nahmen die Kunstschulpläne feste Konturen an. Scheidig geht zu weit, wenn er für das erste Drittel des Jahres 1860 von einer »imaginären Kunstschule« spricht und Stanislaus von Kalckreuth unterstellt, dieser habe im Januar und Februar 1860 in der Augsburger Allgemeinen Zeitung Nachrichten zu einer bestehenden Kunstschule lanciert, die jeder Grundlage entbehrten.71 Wie aus den Tagebuchaufzeichnungen des Großherzogs hervorgeht, folgte Kalckreuth dabei dem Gang der Ereignisse, die Ende Februar zu der Wahl des Bauplatzes für die Kunstschule und dem großherzoglichen Befehl zu deren Gründung führten. Am 31. Januar verfolgte der Großherzog einen, wenn auch für ihn wenig aufschlußreichen, Vortrag von Gustav Adolf Schöll, dem Leiter der Weimarer Kunstsammlungen, über vorderasiatische Kunst.72 Bereits am 24. Januar hatte die Augsburger Allgemeine Zei/ung berichtet: »Unsere Kunstakademie kommt immer mehr in Gang. An den kunsthistorischen Vorträgen welche Hofrath Schöll den Künstlern allwöchentlich einmal hält, nimmt auch Se. Königl. Hoheit der Großherzog theil. Von den »zwölf« oder gar »zwanzig« Novizen welche manche auswärtige Blätter unserer jungen Colonie bereits wieder zugesandt oder zu69 Ebd., S. 16, Anm. 34 - ThHStAW, HA A XXVI, No. 1957, Tagebuch Carl Alexander, 6.11.1859: Der Großherzog erwähnt ein Smidtson zugedachtes Atelier. 70 ThHStAW, HA A XXVI, No. 1957, Tagebuch Carl Alexander, 6.11., 7.11. u. 9.11.1859 - Die Dioskuren 4,1859, Nr. 69, 1. Nov. 1859, S. 181; Nr. 70, 15. Nov. 1859, S. 195 - Schorn 1912, S. 148, erwähnt darüber hinaus, daß im Dezember 1859 eine große Ausstellung im Logenhaus stattgefunden habe und durch die »jungen« Künstler Weimars ein »Künstlerverein« gegründet worden sei. 71 Scheidig 1991, S. 16f., Anm. 39 bis 41 ; Scheidigs Angaben aus der Augsburger Allgemeinen Zeitung vom 6.1. u. 2.2.1860 konnte ich nicht finden. 72 ThHStAW, HA A XXVI, No. 1957, Tagebuch Carl Alexander, 31.1.1860: »Eté avec Goethe à la lecture Schöll p.r. [par relation] à l'histoire de l'art. Il nous explique l'art de Tyr et de [la] Lydie [?]. Je n'y vois pas trop clair.«
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gedacht haben, wissen wir hier zwar noch nichts, werden jedoch gewiß solchen Zuwachs mit allen Ehren und Freuden an- und aufnehmen, besonders wenn es entweder schon namhafte Meister oder doch talentvolle und zukunftsreiche Schüler sind.«73 Ebenfalls am 31. Januar unterbreitete Carl Alexander Staatsminister von Watzdorf seine Absicht, der »künstlerischen Bewegung« Weimars durch die Einberufung eines Direktoriums, das aus Kalckreuth, Adolf Schöll und einem dritten Künstler aus den Reihen der neu hinzugekommenen Maler gebildet werden solle, mehr Konsistenz zu geben. Vor allem solle durch den Bau eines Museums Weimars Kunstleben neue Impulse bekommen. Der Staatsminister bat daraufhin um genauere Pläne.74 Anfang Februar konkretisierten sich die Vorstellungen des Großherzogs dahingehend, daß Kalckreuth nun allein das Direktorat übernehmen sollte, lediglich assistiert durch zwei Beiräte, Schöll und den dritten zu wählenden Künstler. Allerdings sperrte sich Schöll gegen die Wahl eines zweiten Beirats aus den Reihen der neu hinzugekommenen Künstler, da er ein entschiedener Anhänger Friedrich Prellers d.A. war und wahrscheinlich eine Stärkung der Kalckreuth-Fraktion befürchtete.75 Doch stand der Gedanke eines mehrköpfigen Direktoriums zur Leitung aller Weimarer Kunstanstalten noch bis in den Sommer hinein zur Diskussion. Schöll schrieb Preller in dieser Sache nach Italien, wies aber darauf hin, daß er bereits abgelehnt habe, mit Kalckreuth in einem Gremium zu sitzen. Prellers Antworten an seinen Freund Schöll und an den Großherzog waren ebenso ablehnend.76
73 Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 24, 24.1.1860 74 ThHStAW, H A A XXVI, No. 1957, Tagebuch Carl Alexander, 31.1.1860: »Nous parlons ensuite du mouvement artistique de Weimar auquel il s'agit de donner à la fois plus de consistance en maintenant, que d'importance en confiant la direction à des mains entendeurs. J e pense que j e ferais bien de former un directoire de M M . de Kalckreuth et Schöll et d'un artiste à choisir parmi les artistes parus derniers. Il va sans dire que j e me réserve la direction en chef. J e lui parle aussi de la nécessité de la construction d'un musée si Dieu permet et j e vis et d'exécuter [?] l'un entraînant l'autre, le musée devant occuper l'emplacement du manège actuel.« 75 Ebd., 2.2.1860: »Reçu le et. Kalckreuth auquel j'avais envoyé le protocole d'une conversation que j'avais [eue] avec lui hier - ayant pour but de décider que les artistes d'ici viennent se placer sous une direction spéciale pour laquelle j'avais nommé Kalckreuth directeur, Schöll et un artiste à choisir des artistes mêmes et par eux comme Beirath. J e reçus Schöll le soir qui approuva très fort l'idée à l'exception de ce qui se rapporta à l'artiste à choisir qu'il désire éluder.« 76 Preller 1904, S. 54 (Sommer 1860, in Italien): »Es galt, die Zeit auszunützen, da wir j a vorhatten, im Herbst heimzukehren. Es kam jedoch anders. Die Nachrichten aus Weimar waren nicht da-
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Das begünstigte Kalckreuths Aussichten, alleiniger Direktor der Kunstschule zu werden, deren Gründung nun abgekoppelt von dem geplanten Museumsbau vorangetrieben wurde. Bereits am 24. Februar kam es zur Inspektion des möglichen Bauplatzes für die zu errichtende Kunstschule, bei der neben dem Großherzog und Graf Beust nur noch Kalckreuth anwesend war. Drei Bauplätze standen zur Diskussion: einmal ein Wäschetrockenplatz seitlich des Wegs zur Kaserne die Altenburg hinauf, dann das Gelände neben einem Heumagazin am Ende der damals nach Maria Paulowna benannten Marienstraße und schließlich ein Grundstück an der Belvederer-Allee. Der Großherzog entschied sich für das Gelände seitlich des Magazingebäudes, denn das erste Grundstück habe sich, da am Hang gelegen, als zu unzugänglich erwiesen, das letztere als zu unzusammenhängend und zerstückelt.77 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen konnte Kalckreuth mit aller Berechtigung in fax Augsburger Allgemeinen Zeitung am 24. Februar folgende Meldung erscheinen lassen: »Es scheint sich allmählich bei uns, wie ich Ihnen schon berichtet, eine Kunstakademie zu entwickeln. Zu den Vorlesungen des Hofraths Schöll über Kunstgeschichte haben sich in der neuesten Zeit auch Vorträge über Anatomie gesellt, die Geh. Medicinalrath R. Froriep, der früher in Berlin Professor war, den Künstlern hält.«78 Am 28. Februar 1860 erteilte der Großhernach angetan, uns zu locken. Die neue Kunstschule war gegründet, der Unterricht hatte begonnen, aber auch allerhand Spaltungen und Anfeindungen zwischen den Alten und den Neuen. Der uns nah befreundete Hofrat Schöll, der damals die Kunstsammlungen Weimars zu verwalten hatte, fragte offiziös bei meinem Vater an, ob er geneigt sei, im Verein mit ihm und dem Grafen Kalckreuth die Leitung des neuen Instituts zu übernehmen, fugte aber gleich hinzu, daß er selbst die Ehre abgelehnt hätte. Mein Vater hatte bereits zuvor dem Großherzog seine Ansicht über die Sache dargelegt. Er benützte diese Gelegenheit, noch einmal vor der Etablierung einer akademischen Anstalt zu warnen, die er, abgesehen von inneren Gründen, für eine kleine Stadt wie Weimar ungeeignet halte, gab aber damit nur Anlaß zu dem später hervortretenden Antagonismus des Kollegiums der Kunstschule.« - Siehe auch Scheidig 1991, S. 19, Anm. 56 77 ThHStAW, HA A XXVI, No. 1957, Tagebuch Carl Alexander, 24.2.60: »Visité avec Beust et Kalckreuth les localités où l'on pourrait élever des ateliers. Il fut question d'abord d'un endroit à côté de l'allée conduisant à la caserne et dont on se sert pour sécher le linge de la cour, mais cet endroit n'est pas commode à aborder et bien montagneux. Il fut ensuite question d'un autre à côté du magasin de foin au bout de la rue portant le nom de ma Mère, il fut enfin question d'un troisième dans l'allée même du Belvedere, mais ce dernier endroit se trouve avoir un terrain singulièrement abouté [?] et déchiré. Le second est le meilleur et je me suis décidé pour lui, donnant à Beust les ordres nécessaires pour l'exécuter [?]. Visité ensuite avec Kalckreuth les localités de l'école de dessin qui pourraient être agrandies,[...]« 78 Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 55, 24.2.1860
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zog die Ordre zur Gründung einer Kunstschule.79 Im März wurde der zunächst geplante Umbau des als Baumagazin genutzten Geländes neben dem Heumagazin eingeleitet, bis man sich doch zum Abbruch der dortigen Gebäude und zu einem Neubau entschloß, der im Oktober vollendet war.80 Bereits im Februar war ein »Verein der Künstler Weimars zur gegenseitigen Unterstützung und Hilfe« ins Leben gerufen worden.81 Anfang März schlug Kalckreuth dem Großherzog, zusätzlich zu diesem Künstlerverein, die Gründung eines Kunstvereins vor, der allein den bildenden Künstlern Weimars offenstehen sollte.82 Dieser zielte auf die Ausstellung und Verlosung von Kunstwerken aller in Weimar ansässigen Künstler, und seine offizielle Konstituierung im September erfolgte durch Stanislaus von Kalckreuth und dem außerhalb der Kunstschule stehenden Friedrich August Martersteig.83 Indes verstummte die Kritik keineswegs. Am 9. März wurde in der Augsburger Allgemeinen Zeitung die geplante Kunstschul- und Vereinsgründung abschätzig kommentiert.84 Mitte März ließ Johann Christian Schuchardt, Sekretär der großherzoglichen Kunstsammlungen, deren erste Inventare er noch zu Goethes Lebzeiten verfaßt hatte, aus Anlaß des hundertjährigen Geburtstags von Johann Heinrich Meyer dessen 1798 bis 1800 in den Propyläen erschienene Schrift Über
79 ThHStAW, Staatliche Hochschule fur bildende Kunst Weimar, Nr. 1-2, fol. lf. 80 Scheidig 1991, S. 17, Anm. 43 81 ZD, 9.2.1860: »Dem Verein der Künstler Weimars zur gegenseitigen Unterstützung und Hilfe sind die Rechte einer moralischen Körperschaft erteilt worden.« Zitiert nach: Albrecht von Heinemann, Chronik des Künstlervereim zu Weimar von seiner Gründung bis zur Gegenwart, Weimar 1933, S. 17 - Zur Gründung des Kunstvereins: Schorn 1912, S. 148 82 ThHStAW, HA A XXVI, No. 1957, Tagebuch Carl Alexander, 1.3.1860: »Vu Kalckreuth qui me lit un mémoire qu'il a tracé sur les Kunstvereine. Il propose d'en créer un Weimarien qui se distinguerait des autres par le but des acquisitions. Tandis que celles des autres sont au profit des actionnaires, celles du nôtre serait au profit de la ville de Weimar qui en gagnerait une accumulation [?] de tableaux.« - Die Idee zur Gründung eines Kunstvereins scheint Kalckreuth bereits Ende 1858 gefaßt zu haben, wie aus einem Brief Friedrich Prellers d.A. an Marie Soest vom 23.12.1858 hervorgeht: »Gestern Abend kam Graf Kalckreuth Graf Harrach u Herr v Pinzer [Binzer ?], erstere mit dem dringenden Vorschlag hier einen Kunstverein zu gründen. Sie liebe Marie kennen meine Abneigung der dergl. Anstalten u in comp mit Pinzer schlug ich die Sache glücklich ab.« Zitiert nach: Weinrautner 1997, S. 86, Anm. 340 83 Die Dioskuren 5, 1860, Nr. 36, 2. Sept. 1860, S. 294 - Siehe auch: Die Dioskuren 5, 1860, Nr. 44, 28. Okt. 1860, S. 357: Am 12. Okt. sei in Weimar das einjährige Bestehen des Kunstvereins gefeiert worden. Gemeint war wohl der im Voijahr gegründete Künstlerverein. 84 Scheidig 1991, S. 17, Anm. 42
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Lehranstalten zu Gunsten der bildenden Künste erneut abdrucken.85 Schuchardt verfolgte damit die Absicht, die gegenwärtigen Akademiepläne als für Weimar verfehlt hinzustellen. Er versah Meyers Schrift, in der vor allem die Ziele und die Organisationsstruktur einer öffentlichen Zeichenschule dargelegt wurden, mit einem Vorwort, in dem er hervorhob, daß bereits Meyer erkannt habe, daß in Weimar fiir eine Kunstakademie kein Platz sei und eine öffentliche Zeichenschule völlig den Erfordernissen der Geschmacksbildung und -hebung der Bürgerschaft einer kleinen Residenzstadt genüge.86 Doch blieb der Großherzogs von dieser versteckten Mahnung unbeeindruckt. Seine Tagebuchaufzeichnung vom 18. März belegt, daß bereits zu diesem Zeitpunkt Stanislaus von Kalckreuth in Berlin und München gewesen war, um Lehrer für die Schule zu werben. Des weiteren geht aus ihr hervor, daß nicht etwa der Großherzog Kalckreuth angewiesen hatte, den Münchner Historienmaler Karl von Piloty für die Schule zu gewinnen, wie dies Scheidig annimmt, sondern umgekehrt Kalckreuth Piloty dem Großherzog empfahl.87 Kalckreuth scheint nichts dagegen gehabt zu haben, Piloty als Direktor der Kunstschule zu akzeptieren, wenn er dadurch, in Anknüpfung an die früheren Direktoriumspläne, zum Leiter aller Kunstanstalten Weimars aufgerückt wäre, wie Scheidig bereits feststellt.88 Ende April hatte Kalckreuth Piloty auf die Wartburg begleitet, wo Carl Alexander zu ihnen stieß, um den Münchner Maler erstmals persönlich kennenzulernen und ihn für Weimar zu gewinnen.89 Der Großherzog scheint nach diesem Treffen den festen Wunsch gefaßt zu haben, Piloty nach Weimar zu ziehen. Am 17. Mai notiert er in sein Tagebuch, Ferdinand Graf Harrach sei aus München zurückgekommen ohne Piloty, der nicht kommen könne. Daraufhin
85 Über Lehranstalten zu Gunsten der bildenden Künste van Heinrich Meyer. Zur Feier des hundertjährigen Geburtstages des Verfassers abgedruckt aus den Propyläen von Goethe und mit Vorwort und Anmerkungen begleitet von Christian Schuchardt, Weimar 1860; Meyers Schrift in Auszügen in: Kat. Ausst. Weimar 1996, S. 97-104 86 Schuchardt 1860, S. Vf. 87 Scheidig 1991, S. 17 - ThHStAW, HA A XXVI, No. 1957, Tagebuch Carl Alexander, 18.3.1860: »Reçu Kalckreuth de retour de son voyage de Berlin et de Munich d'où il est revenu plus tôt parce qu'il croit avoir trouvé le peintre d'histoire que nous cherchons dans Piloty !« 88 Scheidig 1991, S. 17, Anm. 46 89 ThHStAW, HA A XXVI, No. 1957, Tagebuch Carl Alexander, 23.4. u. 25.4.1860 - Bereits auf seiner Reise nach München 1858 hatte der Großherzogs Pilotys Sem' vor der Leiche Wallenstein in der Neuen Pinakothek bewundert (siehe: Höfer 1933, S. 22).
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habe er in dieser Sache sofort an den gerade in München weilenden Grafen Kalckreuth telegraphiert, damit dieser Piloty doch noch überrede, nach Weimar zu kommen.90 Als jedoch Kalckreuth eine Woche später ebenfalls ohne Piloty aus München zurückkehrte und lediglich dessen Schüler Arthur von Ramberg für die Schule gewonnen hatte, fugte sich der Großherzog und gab sich mit Pilotys Versprechen, alle Jahre zu kommen und die Schule zu »inspizieren und dirigieren«, zufrieden.91 Scheidig ergänzt aus anderer Quelle, daß Kalckreuth in München aus Pilotys Schülerkreis nicht nur Arthur von Ramberg, sondern auch Franz Lenbach und Georg Conräder gewinnen konnte, des weiteren Arnold Böcklin als Leiter der Landschaftsklasse und Otto von Schorn als Sekretär der Schule.92 Ende Mai wurden bereits die ersten Bestallungsurkunden ausgestellt.93 Allerdings ist Scheidigs Behauptung, die Auswahl der Lehrer habe »mehr Kalckreuths als des Großherzogs Vorstellungen« entsprochen, nicht haltbar.94 Lenbach, von Ramberg und Conräder gehörten zum Piloty-Kreis, standen also ein für den Meister, der selbst nicht nach Weimar kam. Auch Böcklin wurde durch Piloty und Paul Heyse dem Großherzog empfohlen.95 Letztlich kam die gesamte erste Generation an Weimarer Kunstschullehrern aus Pilotys Münchner Umfeld, was den Vorstellungen des Großherzogs entgegenkam. Auch täuscht sich Scheidig in Kalckreuths angeblicher Opposition gegen Piloty.96 Kalckreuth war ein aufrichtiger Be-
90 ThHStAW, HA A XXVI, No. 1957, Tagebuch Carl Alexander, 17.5.1860 91 Ebd., 25.5.1860: Auf der Wartburg: »Kalckreuth revenant de Munich me fit son rapport et à tout prendre il est satisfaisant, car si nous ne gagnons pas Piloty, Dieu a permis que nous gagnions son écolier avec Ramberg à la tête, et Piloty promettant de venir tous les ans inspecter et diriger.« 92 Scheidig 1991, Anm. 47-50: Carl von Schlicht, Tagebuch, Manuskript, privat, Aufzeichnungen vom 27.4., 27. u. 28.5.1860. - Die Dioskuren meldeten im September Schorns Berufung aus München und im Oktober die Anstellung Rambergs, Böcklins, Conräders und Lenbachs (siehe: Die Dioskuren 5,1860, Nr. 40,30. Sept. 1860, S. 322; Nr. 44,28. Okt. 1860, S. 357). 93 Am 25. Mai wurde Lenbachs Bestallungsschreiben zum »Lehrer der historischen Malerei« ausgestellt (Kat. zur Ausst.: Franz von Lenbach 1836-1904, München, Städtische Galerie im Lenbachhaus, 14.12.1986 - 3.5.1987, München 1986, S. 28). 94 Scheidig 1991, S. 18 95 Böcklin Memoiren. Tagebuchblätter von Böcklins Gattin Angela (1851-1897). Mit dem gesamten brieflichen Nachlaß, hg. v. Ferdinand Runkel, Berlin 1910, S. 85 96 Scheidig 1991, S. 17
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wunderer der realistisch und koloristisch ausgerichteten franko-belgischen Historienmalerei.97 Das zeigt sich auch an seiner Berufung des belgischen Historienmalers Ferdinand Pauwels 1862, die sich Scheidig, wie er selbst gesteht, nicht recht erklären kann.98 Im August 1860 konnte Stanislaus von Kalckreuth auf der Tagung der deutschen Künstlergenossenschaft in Düsseldorf die Gründung der Schule sowie die Planung eines Museums verkünden. Auch stellte er die Stiftung je einer Goldmedaille durch den Weimarer Großherzog fvir alle Gattungen der Malerei auf der nächsten Allgemeinen deutschen Kunstausstellung'm Köln 1861 in Aussicht.99 Piloty hielt sein Versprechen, die Entwicklung der Kunstschule zu verfolgen, wohl auch um zu sehen, wie sich seine Schüler und Protégés in Weimar bewährten. Bei der offiziellen Konstituierung der Schule am 16. November 1860 war er zugegen.100 Bereits am 1. Oktober waren die Statuten der Schule erlassen worden.101 Ende November nahm Piloty an einer Professorenkonferenz teil, bei der auf seine Anregung hin die Organisationsstruktur der Schule entscheidend verändert wurde, ohne daß dies in den Statuten selbst seinen Niederschlag fand. Lediglich im ersten Quartalsbericht des Schulsekretärs Otto von Schorn sind diese Veränderungen festgehalten.102 97 Unter Vorsitz des Grafen Kalckreuth fand vom 13. bis 15. Sept. 1860 die 6. Hauptversammlung der Verbindung für historische Kunst statt, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die historische Kunst des Vaterlandes »und der benachbarten Länder, namentlich Belgiens« durch Erwerbungen und Auftragsarbeiten zu fördern. Siehe: Die Verbindungfiirhistorische Kunst 1854-1904. Denkschrift bearb. v. Max Jordan und Alexis Klee, Berlin o. J. [1904], S. 22f.; S. 3ff.:Zitat aus dem Aufruf zur Gründung des Vereins 1853. 98 Scheidig 1991, S. 46 99 Korrespondenz aus Düsseldorf,m : Die Dioskuren 6,1860,Nr.34,19.8.1860, S. 276-278 - ThHStAW, HA A XXVI, No. 1957, Tagebuch Carl Alexander, 10.8.1860: Auf der Wartburg: Kalckreuth kommt von Düsseldorf zurück und berichtet über die gute Aufnahme der Pläne zu einer Schulund Museumsgründung. - Ebd., HA A XXVI, No. 1959, Tagebuch Carl Alexander, 16.3.1861: Besprechung der Medaillenpläne mit Franz Liszt. 100 ThHStAW, HA A XXVI, No. 1959, Tagebuch Carl Alexander, 16.11.1860: »Reçu Minkewitz, Stichling, été au Fürstenhaus recevoir Kalckreuth et Piloty de Munich avec lesquels nous assistons la constitution de la Kunstschule.« 101 ThHStAW, Staatliche Hochschule fur bildende Kunst Weimar, Nr. 1-2, fol. 3-10; in gedruckter Form: Otto von Schorn, Über die Einrichtung und den Stand der Sächsischen Kunstschule zu Weimar, Weimar 1862; in Auszügen auch in: Preiß/Winkler 1996, Dok. 5, S. 63f. - Die von Otto von Schorn 1862 veröffentlichten Statuten entsprechen wörtlich den Statuten vom 1. Oktober 1860.
102 ThHStAW, H MA 3689c, fol. 9-13; abgedruckt in: Preiß/Winkler 1996, Dok. 4, S. 62f.
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Nach den ursprünglichen Statuten wurde an der Kunstschule der Unterricht in drei Sparten erteilt, in der Historien- und Landschaftsmalerei sowie in den theoretischen Fachern Perspektive, Anatomie, Proportionslehre und Kunstgeschichte.103 Dem Professor der Historienmalerei sollten zwei ihm untergeordnete Leiter von Malklassen zuarbeiten, während der Professor der Landschaftsmalerei von Anfang an seine Schüler allein betreuen durfte.104 Ende November wurde nun festgesetzt, daß nicht nur der Professor der Landschaftsmalerei, sondern auch der Professor der Historienmalerei und seine beiden Hilfslehrer ihre Schüler von Anfang bis Ende ihrer Studien zu betreuen hätten. Der Antikensaal und die Malschule sollten von allen Lehrern gemeinschaftlich für ihre Schüler genutzt werden. Lediglich die Anfanger sollten beim Aktzeichnen von einem einzigen Lehrer beaufsichtigt werden. Die Schüler erhielten das Recht, ihren Lehrer frei zu wählen.105 Scheidig ist der Ansicht, Kalckreuth habe diese Liberalisierung der Organisationsstruktur erwirkt, um der Landschaftsmalerei an der Schule mehr Gewicht zu geben.106 Allerdings änderte sich dadurch nichts an der Gewichtsverteilung zwischen Landschafts- und Historienmalerei, vielmehr wurde das Verhältnis von 1 zu 3 noch deutlicher festgeschrieben. Die Einfuhrung von vier, jeweils von einem Professor geleiteten »Schulen« geht auf Karl von Piloty zurück, der sich dabei an den Statuten der Münchner Akademie orientierte. In München war 1846 eine »Revidierte Verfassung der Akademie« in Kraft getreten, die dem mög103 104 105
Schorn 1862, § 2 Ebd., §3, § 4 ThHStAW, HMA 3689c, fol. 9-13; abgedruckt in: Preiß/Winkler 1996, Dok. 4, S. 62f., S. 62: »Obschon ursprünglich bestimmt war, daß Professor von Ramberg die Leitung der historischen Abteilung übernehmen, zugleich das Zeichnen nach der Antike überwachen, Professor Boecklin die landschaflichen Studien der Schüler beaufsichtigen, und die Lehrer Conräder und Lenbach die Correktur in der Malschule besorgen sollten, erfuhr diese Einführung und somit das Prinzip in der Lehrmethode schon gegen Ende November eine wesentliche Abänderung durch die in Anwesenheit des Herrn Professor Piloty aus München von der Conferenz vereinbarte Bestimmung, daß jeder an der Kunstschule wirkende Lehrer Schüler aufnehmen könne, welche durch Conferenzbeschluß in die Anstalt zugelassen seien, und diese Schüler dann vom Beginn bis zum Ende ihrer Ausbildung selbständig leiten soll. Antikensaal und Malschule sollten demnach zur gemeinschaftlichen Benutzung aller Lehrer für ihre einzelnen Schüler vorhanden sein, und nur das Actzeichnen von Herrn Maler Nießen allein, da derselbe hierfür besonders angestellt sei, beaufsichtigt werden. Ferner wurde beschlossen, es solle dem einzelnen Schüler selbst überlassen werden, sich den betreffenden Lehrer zu wählen, [...]«
106
Scheidig 1991, S. 18
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liehen Stildiktat eines einzigen Akademieleiters durch die Einrichtung von vier Meisterklassen, die den jeweiligen Namen ihres Professors trugen, entgegenwirken sollte.107 Die stärkere Konkurrenz unter den Professoren und deren freie Wahl durch die Schüler entsprach den Ansichten Pilotys, der selbst ein liberal eingestellter Lehrer war und seine Schüler nicht auf seine eigenen Kunstanschauungen festzulegen pflegte.108 Es zeigt sich, daß nicht nur die Zusammensetzung der Lehrerschaft, sondern auch die Organisationsstruktur der Weimarer Kunstschule wesentlich durch Piloty mitbestimmt worden ist. Die traditionelle Gliederung des Unterrichts in Elementar-, Vorbereitungs- und darauf aufbauender Meisterklasse, wie sie die Statuten der Düsseldorfer Akademie und der Karlsruher Kunstschule vorsahen, wurde in der Weimarer Lehrpraxis nicht gänzlich aufgehoben, aber durch das von der Münchner Akademie übernommene Prinzip der Gleichwertigkeit der Meisterschulen aufgebrochen, da es ein früheres Eingreifen der Lehrer in den Ausbildungsgang ihrer Schüler gestattete.109 Am Ende des Kapitels wird darauf einzugehen sein, daß erst 1874 die Aufhebung des Klassensystems in die Statuten der Weimarer Kunstschule aufgenommen wurde. Am 27. Dezember erließ Carl Alexander das Gründungsdekret, in welchem er erklärte, solange die Finanzierung der Schule durch eine jährliche Zuwendung von 7000 Thalern aus seiner Privatschatulle sicherstellen zu wollen, bis sich die Schule aus anderen Mitteln finanzieren lasse. Gleichzeitig ernannte er Stanislaus von Kalckreuth zum Direktor der Kunstschule.110
107
Eugen von Stieler, Die königliche Akademie der Bildenden Künste zu München. Festschrift zur Hundertjahrfeier, München 1909, S. 108-114: Revidierte Verfassung der Akademie vom 14. August 1846, bes. § 10, S. 109f.; in Auszügen auch in: Heidi C. Ebertshäuser (Hrsg.), Kunsturteile des 19. Jahrhunderts. Zeugnisse, Manifeste, Kritiken zur Münchner Malerei, (Pantheon-Colleg), München 1983, S. 100-103, S. 102f.
108
Ludwig Horst, Piloty, Diez und Lindenschmit - Münchner Akademielehrer der Gründerzeit, in: Kat. zur Ausst.: Die Münchner Schule 1850-1914, München 1979, S. 61-73, S. 64 Zum Prinzip der gleichwertigen Meisterklassen siehe Anm. 225. - Zu den Statuten der Düsseldorfer Akademie siehe Anm. 226. - Zu Karlsruhe: Oechelhaeuser 1904, S. 6ff.; Ekkehard Mai, Die Kunstakademie Karlsruhe und die deutsche Künstlerausbildung im 19. Jahrhundert, in: Kat. zur Ausst.: Kunst in der Residenz. Karlsruhe zwischen Rokoko und Moderne. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, 31.3. - 1.7.1990, Heidelberg 1990, S. 38-53
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110
ThHStAW, HMA 3689b, fol. 1-3; abgedruckt in: Preiß/Winkler 1996, Dok. 2, S. 60
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Kapitel I
DAS GROSSHERZOGLICHE MUSEUM
»Ich gehe dabei, wie überhaupt bei dem ganzen weiteren Plane, von dem Satze aus: daß Weimar der einzige Ort in Deutschland ist, der als ewige, dem ganzen deutschen Vaterlande theure Gedenkstätte unsrer großen neuen Nationallitteratur- und Kultur-Entwicklung ein unbestreitbares Anrecht daraufhat, in solchem Sinne durch die Theilnahme aller Freunde der künstlerischen Entwicklung Deutschlands geschmückt und zu einem historischen Bewahrungsorte deutscher Kunstleistungen erhoben zu werden.« - Dieser Gedanke, den Adolf Stahr 1859 in einem Brief an seinen Sohn äußert, leitete den Literaten bei all seinen für Carl Alexander entwickelten Kulturplänen. Er wird sich damit in vollem Einklang mit der Auffassung des Großherzogs befunden haben.111 In den 1850erJahren war der Anspruch Weimars, Sitz eines Nationalmuseums zu werden, schon mehrmals programmatisch formuliert worden: einmal in Liszts Plan einer Goethe-Gesellschaft von 1851, der den Erwerb der alle vier Jahre preisgekrönten Wettbewerbsarbeiten für ein in Weimar zu begründendes Nationalmuseum vorsah; zum anderen in Carl Alexanders Kunst-Glaubensbekenntnis von 1858, das die Vereinigung national bedeutsamer Kunstwerke in einem Weimarer Museum anstrebte. Stahr verband nun ein Jahr später diese beiden Konzepte in seinem Vorschlag, in einer »Ehrenhalle deutscher Kunst« sowohl Werke aus der Zeit der nationalen Selbstfindung Deutschlands zu Beginn des Jahrhunderts als auch preisgekrönte Arbeiten zeitgenössischer Künstler aufzunehmen. Wieder ein Jahr später, im August 1860, verkündete Stanislaus von Kalckreuth auf der sechsten Sitzung der deutschen Künstlergenossenschaft in Düsseldorf den Abgeordneten den Plan des Großherzogs, eine Nationalgalerie in Weimar zur »Aufnahme der Kunstschätze der deutschen Nation« zu stiften.112 Doch nach all den konzeptuellen Erwägungen und Ankündigungen wurde der Großherzog erst 1861 durch zwei Ereignisse dazu veranlaßt, sein Museumsprojekt auch in die Tat umzusetzen: Prellers fortgesetzte Bemühungen um die
111
Stahr 1903, Nr. 117: Brief Adolf Stahrs an seinen Sohn Alwin Stahr, Helgoland, 16.8 - 23.8.1859, S. 229-237, S. 231f.
112
Siehe Anm. 99
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Realisierung einer Galerie für seinen Odysseenzyklus und die Absicht Berlins, eine Nationalgalerie zu gründen. Bereits bei der Vergabe des Auftrags zur Ausführung der Odysseen-Landschaften als Wandbilder an Friedrich Preller d.Ä. war an den Bau einer eigenen Galerie zur Unterbringung des Zyklus gedacht worden.113 Allerdings mußte Preller von Italien aus im Juni 1860 die Fortführung der Entwurfsarbeiten an der sogenannten Preller-Galerie anmahnen, erhielt aber vom Großherzog nur eine ausweichende Antwort.114 Schließlich lernte Preller im Herbst 1860 auf Capri über seinen Sohn den tschechisch-österreichischen Architekten Josef Zitek kennen. Zitek begeisterte sich dermaßen für Prellers Odysseen-Landschaften, daß er sich erbot, eine Halle zu deren Präsentation zu planen.115 Preller wies denn auch im Dezember 1860 die zwei ihm nun aus Weimar zugeschickten Galerieentwürfe des Weimarer Oberbaudirektors Carl Ferdinand Streichhan als unbefriedigend zurück und konnte den Großherzog für die Pläne Ziteks gewinnen, die er zum Jahreswechsel in seinem römischen Atelier ausstellte.116 Doch bereits im Januar 1861 nahm der Großherzog, gegen den Widerstand Prellers, von dem ursprünglichen Plan einer ausschließlich den Wandbildern des Künstlers vorbehaltenen Galerie Abstand.117 Statt dessen faßte er nun die Preller-Galerie als Keimzelle seines seit langem projektierten umfangreichen Museumsbaus auf. Eine Reise nach Berlin im März 1861 bestärkte Carl Alexander darin, nicht nur die Minimallösung einer Halle für die Unterbringung der Prellerschen Wandbilder anzuvisieren, sondern an seinem alten Projekt einer Nationalgalerie festzuhalten. Erst vor kurzem war König Wilhelm I. die Gemäldesammlung des Konsuls Wagner zum Zweck der Gründung einer »National-Galerie« mit Sitz in Berlin übereignet worden und hatte ihre provisorische Aufstellung im Berliner Akademiegebäude gefunden.118 Am 20. März, noch vor der offiziellen Eröffnung, 113 114 115
Weinrautner 1997, S. 78 Ebd., S. 78, Anm. 310 u. 311 Preller 1904, S. 63f. - Zu Josef Zitek: Thomas Köhler, Das Großherzogliche Museum. Gründungs-, Bau- und Sammlungsgeschichte 1869-1918, in: Kunstsammlungen zu Weimar: Neues Museum Weimar. Geschichte und Ausblick hg. v. Rolf Bothe, München, Berlin 1997, S. 21-61, S. 24-26 u. Anm. 12
116 117
Weinrautner 1997, S. 79, Anm. 313 Ebd., S. 79-81 - Köhler 1997, S. 26 u. Anm. 20, nimmt fälschlicherweise an, die Entscheidung für den großen Museumsbau sei beim Großherzog erst 1862 gereift.
118
Paul Ortwin Rave, Die Geschichte der Nationalgalerie Berlin, 2. unveränderte Aufl., Berlin 1968, S. 27: Die Wagnersche Sammlung war ab dem 22.3.1861 in den Räumen der Akademie zunächst als »Wagnersche und National-Galerie« dem Publikum zugänglich.
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Kapitel I
besuchte Carl Alexander die Ausstellung. Er zeigte sich von der Qualität der meisten Bilder enttäuscht, doch vertraute er dem Tagebuch an, daß die Berliner Entwicklung ihn dazu treibe, sein eigenes Museumsprojekt zu forcieren.119 Bereits im April 1861 konnte Josef Zitek seine erweiterten Entwürfefiireine Kunsthalle in Weimar im Wittumspalais ausstellen, die Preller nach Italien zugeschickt bekam.120 Preller, der kurz darauf aus Italien zurückkehrte, fand sich erst im September 1861 definitiv mit der neuen Situation ab.121 Er wird geahnt haben, daß seine Wandbilder im musealen Kontext durch ihre Einpassung in eine übergreifende kunsthistorische Entwicklung ihre künstlerische Autonomie weitgehend einbüßen würden. Allerdings zögerte sich die Projektierung des umfangreichen Baus wahrscheinlich wegen der zu erwartenden hohen Kosten weiter hinaus. Diese besonders Preller irritierenden Ungewißheiten hielten noch bis Anfang 1862 an.122 Schließlich wurden am 26. März 1862 60 000 Taler vom Landtag für den Bau eines Museums zur Aufnahme der sich teilweise in einem bedenklichen Zustand befindlichen Großherzoglichen Kunstsammlungen bewilligt, wobei sich der Großherzog bereiterklärte, für alle Mehrkosten aufzukommen.123 Am 14. September 1862 traf der aus Italien zurückgekehrte Zitek auf der Wartburg mit Carl Alexander und Friedrich Preller d.A. zusammen. Bei diesem Gespräch dürfte die endgültige Zusage für einen großen Museumsbau erfolgt sein, denn Zitek richtete daraufhin ein eigenes Büro in Wien ein.124 Als umstritten erwies sich die Standortfrage. Zunächst war an den Alexanderplatz, den heutigen Beethovenplatz, gedacht, bis schließlich im März 1863 die Wahl auf das nördliche Neubaugebiet zum Bahnhof hin gefallen war.125 Ende Oktober 1863 konnte mit dem Bau
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ThHStAW, HA A XXVI, No. 1959, Tagebuch Carl Alexander, 20.3.1861: Nach dem Besuch der Sammlung Wagner: »Cela me décide à forcer la réalisation du mien avec l'aide de Dieu. [...] Il y avait peu de tableaux vraiment bons. La plupart des tableaux célèbres sont des tableaux de mode non décidément [?] d'art.« Volker Plagemann, Das deutsche Kunstmuseum 1790-1870. Lage, Baukörper, Raumorganisation, Bildprogramm, Minden 1967, S. 184 - Paul Bojanowski, Die Ausstellung der Plänefiirdas Weimarer Museum, in: WZ 13.12.1863 Weinrautner 1997, S. 80f., Anm. 320 Preller 1904, S. 103 Plagemann 1967, S. 184f. - Köhler 1997, S. 26 Köhler 1997, S. 26 Ebd., S. 29f.
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begonnen werden. Im Januar 1868 konnte der Bau der Staatsbehörde übergeben werden. Der Innenausbau war am 27. Juni 1869 abgeschlossen.126 Joseph Zitek hatte sich bei seiner endgültigen Planung an dem durch den Architekten Ludwig Lange erst kurz zuvor zwischen 1856 und 1858 in Leipzig errichteten Museumsbau orientiert. Der 1883/86 durch Hugo Licht stark umgebaute und im II. Weltkrieg zerstörte Leipziger Bau wies bereits entscheidende Merkmale des späteren Weimarer Museums auf: kompakter, rechteckiger, stark symmetrischer Grundriß mit zentralem Treppenhaus und umlaufenden Galerien.127 Dieser bewußte Rückgriff auf das Leipziger Modell zeigt, daß sich der Weimarer Bau auch in dieser Hinsicht als Konkurrenzunternehmen verstand. Das Weimarer Museum stellte bei der Präsentation die klassizistisch-romantische Kunst der Goethe-Zeit sowie deren Vorläufer und zeitgenössische Fortfuhrungen in den Mittelpunkt und entsprach damit den Konzepten der 1850er Jahre. Den ideellen wie räumlichen Mittelpunkt des Museums bildete die im Oktober 1865 in eine Nische des Treppenaufgangs eingestellte, über zwei Meter hohe Goethe-Statue aus Carraramarmor, die Bettina von Arnim bereits Anfang der 1850er Jahre entworfen und bei dem Bildhauer Carl Johann Steinhäuser in Rom in Auftrag gegeben hatte.128 Der erste Stock des Museums war einer umfangreichen Gipsabgußsammlung skulpturaler Werke sowie der »Vorbildersammlung für Architektur und Kunstgewerbe« vorbehalten.129 Die Gipsabgußsammlung, deren Spektrum von der klassischen Antike über Michelangelo bis zu Canova und Thorvaldsen reichte, führte dem Besucher den Kanon klassizistischer Kunst vor Augen und lieferte einen Kurzabriß abendländischer Kunstgeschichte, den das Museum an Originalen nicht darzustellen vermochte. Ebenso wie die sich anschließende kunstgewerbliche Vorbildersammlung sollte auch die Abgußsammlung zur Ge126 127 128 129
Ebd., S. 30f. Plagemann 1967, S. 187; zu Leipzig: S. 176ff. u. S. 402 Schorn 1912, S. 25f. Köhler 1997, 37ff. - 1866 hatte der vor Ort den Museumsbau überwachende Architekt Carl Stegmann zusammen mit dem Weimarer Zeichenlehrer Franz Jäde eine Lehranstalt für den Entwurf von Handwerks- und Industrieprodukten eröffnet, das sogenannte Stegmann-Jädische Institut. Der Großherzog unterstützte dieses Unternehmen, indem er aus seinem Besitz hochwertige kunstgewerbliche Arbeiten zur Verfugung stellte, die nun als Anschauungsmaterial im Museum zusammen mit anderen Stücken aus den Privatsammlungen von Stegmann und Jäde gezeigt werden konnten. Siehe dazu: Scheidig 1991, S. 51
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schmacksbildung und -hebung vor allem der ortsansässigen Künstler und Handwerker dienen.130 Allerdings darf man nicht übersehen, daß ein zeitgenössisches Werk deutlich nationalistischer Thematik den geistigen Mittelpunkt der Ausstellung im ersten Stock bildete, die Hermannsschlacht (Abb. 2) von Robert Haertel, ein 35 m langes, 1,30 m hohes, friesartig umlaufendes Hochrelief aus Gips, das die Großherzogin Sophie 1863 gestiftet hatte.131 Das heute verlorengegangene Relief fand bezeichnenderweise in der nördlichen Galerie seine Aufstellung, also unter dem im zweiten Stock an gleicher Stelle eingelassenen Prellerschen Odysseenzyklus, womit sein Rang als ein Kernstück der Sammlung unterstrichen wurde. Der heldenhafte Sieg der Germanen über die römische Fremdherrschaft sollte als geschichtlicher Auftakt nationaler Bewußtwerdung verstanden werden, als Präfiguration der neuerlichen nationalen Einigungsbestrebungen seit den Befreiungskriegen. Die Kunst dieser Epoche war vornehmlich in der darüberliegenden Etage zu sehen. Dort wurde, neben dem Odysseenzyklus, die Gemäldesammlung und der reiche Bestand an Zeichnungen und Cartons aus fürstlichem Besitz gezeigt.132 In den westlichen Räumen hingen die Gemälde, darunter wichtige Beispiele altdeutscher Malerei, aber auch italienische, holländische und französische Werke des 16. bis 18. Jahrhunderts. Das 19. Jahrhundert war mit einigen Arbeiten u.a. von Caspar David Friedrich, Wilhelm von Kobell und Friedrich August Martersteig vertreten. Die östlichen und südlichen Räume waren der Graphik vorbehalten. Kernstücke bildeten die bereits zu Goethes Zeiten angekauften Cartons Asmus Jakob Cartens sowie die Entwürfe zu Fresken des Campo Santo zu Berlin von Peter von Cornelius. Einige Cartons Moritz von Schwinds für die Wartburgfresken, Cartons von Buonaventura Genelli und Hermann Wislicenus schlössen sich an. Die museale Präsentation diente dazu, mittels einzelner Kunstwerke eine Entwicklungsgeschichte der immer weitergehenden Ausprägung eines deutschnationalen Stils - von der altdeutschen Malerei über Cartens bis Preller, Cornelius und Haertel - zu belegen und den Bürger daran zu nationalem Bewußtsein zu erziehen.
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Pöthe 1998, S. 359-364, bes. S. 360, hat den »volksbildnerischen Ansatz«, den Carl Alexander mit der Museumsgründung verfolgte, dargelegt. Köhler 1997, S. 38, Anm. 51 u. Abb. 24 Ebd., S. 42f.
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Allerdings verzichtete man auf die Erweiterung der Sammlung durch die Ausrichtung von Preisaufgaben, wie es die ursprünglichen Konzeptionen vorgesehen hatten. Lediglich die von Franz Liszt initiierte Goethestiftung schrieb 1863 und 1865 zwei Wettbewerbe aus, die der Innengestaltung des Museums dienen sollten, nämlich der Ausmalung des Treppenhauses sowie dem Schmuck des Haupteingangs durch ein Steinrelief, doch wurden beide Projekte nicht realisiert.133 Bevor 1880 die sogenannte Permanente Ausstellungfiir Kunst und Kunstgewerbe am Karlsplatz, heute Goetheplatz, gegründet wurde, stellte man allerdings regelmäßig Arbeiten zeitgenössischer, vorwiegend aus Weimar und Dresden stammender Künstler im Großherzoglichen Museum aus.134 Das Museum war von vornherein zwitterhaft angelegt. Zum einen kam ihm die kulturpolitische Aufgabe zu, Deutschlands und Weimars Größe in Werken von nationalem Rang zu dokumentieren, zum anderen sollte es den volkspädagogischen und ökonomischen Interessen des Kleinstaates dienen. Die geringen finanziellen Mittel, die dem Museum zur Verfugung standen, erlaubten keinen Ausbau der Sammlung auf hohem Niveau.135 Die Neuzugänge der folgenden Jahre beschränkten sich auf Uberweisungen von Werken aus altem fürstlichen Besitz. Und die wenigen Neuerwerbungen galten der Ergänzung der
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Den Wettbewerb fur das Treppenhaus, der 1863 ausgeschrieben wurde, gewann 1865 der Eisenacher Maler Hermann Wislicenus mit seiner Arbeit Titanen bedrängen die Menschen; Zeus und die neuen Götter siegen über Chmnos und die Titanen. Siehe: Scheidig 1991, S. 50. - Nach Schorn 1912, S. 156, wurde 1865 von dem Ausschuß der Goethestiftung als neue Konkurrenzarbeit ein Relief für den Eingang des Museums ausgeschrieben.
134
Walther Scheidig, Annalen zur Weimarer Kunstgeschichte. Auszüge aus der »Zeitung Deutschland« und aus der »Weimarischen Zeitung«, unveröff. MS, KuSa Weimar, ca. 1960: Die Zeitung Deutschland vermeldet beispielsweise für das Jahr 1875 folgende Ausstellungen im Großherzoglichen Museum: am 1.5. eine Frühlingslandschaft von E. Weichberger, am 2.5. von C. Geibel ein Frühkonzert in Weimar sowie von H. Waldschmidt ein Porträt eines Mannes, am 6.6. eine Waldlandschaft von E. Zschimmer und von S. Thon drei Dorßzenen aus der Schwalm, am 12.6. eine Damenporträt von H. Behmer, am 20.8. von H. v. Blomberg eine Olskizze zu einer Hermannsschlacht, am 29.9. von G. Eichel aus Dresden das Genrebild Katzenjammer.
135
ThHStAW, HA A XXVI, No. 1987, Tagebuch Carl Alexander, 14.5.1889: Der Pastor Otto Eggeling, ab 1893 Professor der Kunstgeschichte an der Kunstschule, beschwert sich beim Großherzog über die geringe finanzielle Ausstattung des Museums. - Ebd., 15.5.1889: »Conseil dans le musée de famille. J'y retiens Stichling [pour] lui parler des plaintes [d'] Eggeling prouvant que l'argent ne suffît pas pour prendre les hommes comme ils sont et les choses d'un point de vue élevé.«
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Gipsabgußsammlung.136 Dies verstärkte die Tendenz, aus dem einst geplanten Museum mit nationalem Anspruch ein regionales Kunstgewerbemuseum zur Förderung der örtlichen Kunstproduktion werden zu lassen. Als schließlich 1880 mit der Gründung der Permanenten auch die wenigen temporären Ausstellungen zeitgenössischer Kunst im Großherzoglichen Museum wegfielen, blieb ein Museum zurück, das, von jeder Entwicklung der Gegenwart abgeschlossen, zum Erinnerungsmal einer längst vergangenen Kulturepoche erstarren mußte. Der Kunstkritiker Hermann Helferich schildert eindringlich die Stimmung, die einen Museumsbesucher in Weimar 1891 umfing: »Die stillen Räume, wie sie menschenverlassen sind, sind auch in ihrem Inhalt der heutigen Zeit fast entfremdet. Wohl ergötzt noch Prellers Odysseezyklus kunstgebildete Kreise, aber die eigentlichen Nährväter dieser klassischen Richtung, Carstens und Genelli, sind ihnen doch gleichsam nur noch kunstgeschichtlich von Interesse. Trotzdem, sobald der Fuß Weimar, die kleine Stadt der großen Vergangenheit, betritt, wird auch der Geist aus der Gegenwart sofort in jenes Reich herrlicher Schatten hinübergelenkt, und nicht nur näher gerückt, nein völlig vertraut wird sie einem hier wieder, die klassische Epoche der deutschen Kunst; man geht durch die leeren Räume, aber sie bevölkern sich im Geiste des Wandernden, und der große Schatten Goethes geleitet von Saal zu Saal, führend und deutend.«137
Exkurs: Carl Alexander und Adolph Menzel
Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach gehörte zu den ersten Mitgliedern der Verbindung deutscher Kunstuereinefür historische Kunst, die sich nach einigen Vorarbeiten im September 1855 in Dresden in Form einer Aktiengesellschaft konstituiert hatte.138 Die Verbindung zählte 1861 bereits 62 Anteils136
Rudolf Wustmann, Weimar und Deutschland 1815-1915, (Schriften der Goethe-Gesellschaft, Bd. 30), Weimar 1915, S. 256: »Die fürstliche Fürsorge für das Museum ließ auch nach der Eröffnung nicht nach. 1872 wurden drei Friedrichsche Sepialandschaften, Hackerts Nemisee, Schwinds Handschuhlegende und einiges von Steinle überwiesen. 1873 wurden die Michelangeloabgüsse um sieben vermehrt; und die Bibliothek, die 1869 schon zwei Arbeiten Graffs herübergegeben hatte, ließ jetzt Cranachs Luther als Junker Jörg folgen.«
137 Hermann Helferich [=Emil Heilbut], Das Museum in Weimar, in: KW 4, 1890/91, S. 123f. 138 Jordan/Klee 1904, S. 14: Carl Alexander war seit 1855 mit dem Anteilsschein Nr. 1 Mitglied des Vereins.
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eigner: neben 32 Kunstvereinen auch zahlreiche deutsche Fürsten, darunter der österreichische Kaiser FranzJoseph.139 Sie hatte sich zur Aufgabe gemacht, durch Vergabe von Aufträgen sowie Ausstellung und Verlosung der so erworbenen Werke unter den Vereinsmitgliedern die historische Kunst des Vaterlandes zu fördern.140 1855 hatte die Verbindungfiir historische Kunst bei Adolph Menzel und Moritz von Schwind jeweils ein Historiengemälde in Auftrag gegeben. 1857 lieferten beide Künstler ihre Bilder ein.141 Adolph Menzel - dessen Beitrag in diesem Zusammenhang interessiert - hatte eine Darstellung der Zusammenkunfl Friedrich des Großen und Joseph II. zu Neisse im Jahre 1769 (Abb. 3) eingesandt, die sich heute in der Nationalgalerie Berlin befindet.142 Bis zu seiner Verlosung im Jahr 1860 tourte Menzels Bild durch Deutschland und Osterreich zum Zweck der »Hebung des Nationalbewußtseins«.143 Dabei gelangte es im März 1859 auch nach Weimar, wo es im Rathaus der Stadt ausgestellt wurde.144 Scheidig ergänzt, die Ausstellung in Weimar sei auf die Initiative Kalckreuths zurückgegangen, der den Großherzog für die neue Historienmalerei begeistern wollte, doch habe das Bild dem Großherzog nicht gefallen.145 Bei Carl Alexanders Mitgliedschaft in der Verbindungfiir historische Kunst wird es dieses Engagements von seiten Kalckreuths nicht bedurft haben. Allerdings ist interessant, daß der Großherzog bereits damals das Bild abgelehnt haben soll, denn als ein Jahr später, vom 13. bis zum 15. September 1860, der Verein unter Vorsitz des Grafen von Kalckreuth seine 6. Hauptversammlung in Weimar abhielt, fiel ausgerechnet dieses Bild dem Großherzog bei der Verlosung zu.146 Nur kurz hat der Großherzog den Gewinn des Bildes in sein Tagebuch notiert, ohne eine per139
Werner Busch, Adolph Menzels »Begegnung Friedrich II. mit Kaiser Joseph II. in Neisse im Jahre 1769« und Moritz von Schwinds »Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe«, in: Jahrbuch der Berliner Museen 33,1991, S. 173-183, S. 173, Anm. 3
140 Jordan/Klee 1904, S. 3ff. 141 Busch 1991, S. 175, Anm. 14 142 Zusammenkunft Friedrich des Großen und Joseph II. zu Neisse im Jahre 1769, 1857, Ol/Lwd., 247 x 318 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Alte Nationalgalerie; Busch 1991, Abb. 2 143 144 145
Gisold Lammel, Adolph Menzel. Frideriziana und Wilhelmiana, Dresden 1988, S. 68 ZD 21.3.1859 Scheidig 1991, S. 16, Anm. 31: Carl von Schlicht, Tagebuch, Manuskript, privat, Eintragung vom 20. März 1859
146 Jordan/Klee 1904, S. 22f.: Liste der Sitzungen des Vereins - WZ 15.9.1860: Tagung in Weimar und Gewinn des Bildes durch den Großherzog.
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sönliche Einschätzung abzugeben.147 Doch muß ihm das Gemälde tatsächlich mißfallen haben, denn als sich Adolph Menzel das Bild Anfang 1863 fiir eine Benefizausstellung aus Anlaß der Sekularfeier des Hubertusburger Friedens leihweise erbeten hatte, kam es in einem so desolaten Zustand nach Berlin, daß Menzel das Bild abwaschen, neu firnissen sowie den Rahmen ausbessern lassen mußte, was ihn gegenüber seinem Weimarer Freund Adolf Schöll zu der Feststellung veranlaßte, »daß mein Bild die Jahr und Tag her, die es nun schon im Besitz des Großherzogs ist - noch keinen angemessenen Platz in einem Saale oder dergl. Raum des Schlosses hat !«148 Auch später verschwand es wieder in den Depots des Großherzoglichen Museums, bis es 1917 an das Breslauer Museum verkauft wurde und schließlich nach dem II. Weltkrieg nach Berlin gelangte.149 Es stellt sich die Frage, warum Carl Alexander, der als einer der ersten der Verbindung fiir historische Kunst beigetreten war, Menzels Auftragsarbeit ablehnte. Eine Erklärung wäre, daß Menzels Realismus dem Großherzog nicht behagte. Max Schasler, Herausgeber der Dioskuren, dem Organ der deutschen Kunstvereine, hatte in seiner Zeitschrift das Bild bereits 1858 hart kritisiert, eine Kritik, die er 1862 noch vertiefte: Durch Menzels platten Realismus dränge sich die Individualität der Figuren so weit vor, daß ihre Charakterisierung als Vertreter einer großen historischen Idee ausbleibe.150 Der Großherzog, der 1858 bei seinem Be147
ThHStAW, H A A XXVI, No. 1959, Tagebuch Carl Alexander, 19.9.1860: »Eté à Weimar visiter l'exposition du Verein fur christ, [sic] Künste. J'y ai gagné le grand tableau de Menzel l'entrevue de Frédéric II. et de Joseph II.«
148
Werner Deetjen, Adolph Menzel und Adolf Schöll, ungedruckte Briefe Menzels, in: Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen, Beiheft zu Bd. 25, 1934, S. 30-38, Brief Nr. 9, S. 38: Menzel an Schöll, Berlin, 7.3.1863
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Scheidig 1960/2, S. 3: Menzels Gemälde habe sich bis ca. 1914 im Großherzoglichen Museum befunden, sei ca. 1917 vom Großherzog an das Museum in Breslau verkauft worden, angeblich um Fonds für den Neubau eines Museums zu erlangen. Dort sei es bis 1945 nachweisbar gewesen, bis es 1952 als Geschenk des polnischen Staates an die Nationalgalerie Berlin gelangte.
150
Max Schasler, Uber Idealismus und Realismus in der Historienmalerei. Eine Parallele zwischen M. v. Schwinds »Kaiser Rudolph, der gen Speyer zum Sterben reitet« und Ad. Menzels »Friedrichs II. und Josephs II. Zusammenkunft zu Neisse«, in : Die Dioskuren 3,1858, Nr. 40/41,15. A u g . / l . Sept. 1858, S. 143f. u. S. 1 4 6 - D e r s . , Was tut der deutschen Historienmalerei not ? Randglossen zu dem Protokoll der siebenten Hauptversammlung der »Verbindungfiir historische Kunst« (IV), in: Die Dioskuren 7, 1862, Nr. 9, 2. März 1862, S. 65f.; zitiert nach: Busch 1991, S. 174, Anm. 9 u. S. 176, Anm. 25 Siehe auch: Hans-Werner Schmidt, Die Förderung des vaterländischen Geschichtsbildes durch die Verbindungfür historische Kunst 1854-1933, (Phil. Diss. Marburg 1982), Marburg 1985, S. 45; Lammel 1988, S. 72
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such der Neuen Pinakothek in München staunend vor Karl von Pilotys Senivor der Leiche Wallensteins gestanden hatte, wird sich sicher mit dem herben, ungeglätteten Realismus Menzels schwer getan haben.151 Es scheint allerdings, daß hier eine zweite, politische Ebene die Ablehnung Carl Alexanders begründet haben mag. Busch hat bereits daraufhingewiesen, daß Menzel mit Blick auf die politischen Zustände im damaligen Deutschen Bund das historische Treffen zwischen Friedrich II. mit Kaiser Joseph II. im schlesischen Neisse vom 25. bis 28. August 1769 als Darstellungsgegenstand gewählt haben wird. Busch zitiert die entsprechende Passage aus Franz Kuglers Geschichte Friedrichs des Großen von 1840, die allerdings die dreitägige Zusammenkunft in Neisse als reines Freundschaftstreffen zwischen dem jungen Kaiser und Friedrich II. verharmlost.152 So kommt Busch zu dem Schluß, Menzel habe mit seinem Bild im Sinne der deutschen Mittel- und Kleinstaaten und des liberalen Bürgertums für ein Gleichgewicht zwischen den Großmächten Preußen und Osterreich plädieren und den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. auffordern wollen, »es Friedrich dem Großen gleichzutun, sich mit Osterreich zu versöhnen« und seine Vormachtsgelüste innerhalb des Deutschen Bundes einzustellen.153 Zieht man dagegen die Memoiren Friedrichs II. heran, so zeigt sich, daß das Treffen in Neisse von gewichtiger politischer Bedeutung war: Die raschen Erfolge der Russen im Russisch-Türkischen Krieg in Moldawien beunruhigten die Nachbarländer Osterreich und Preußen. Besonders die Österreicher mußten furchten, daß sich ein erstarktes Rußland gegen sie wenden würde. Und Preußen war durch einen Bündnisvertrag mit Rußland zur Zahlung hoher Subsidien verpflichtet. Beide Mächte waren also an einer raschen Beendigung des Russisch-
151 Johann Christian Schuchardt, Sekretär der großherzoglichen Kunstsammlungen, hatte sich im März 1860 in einem anderen Zusammenhang ablehnend zu Menzels Bild geäußert. Siehe: Schuchardt 1860, S. 10, Anm. 5: »Niemanden wird es wohl einfallen, die gute Absicht der verschiedenen Vereine für Förderung der Kunst verdächtigen zu wollen, aber die Mittel sind verkehrt. Wenn z.B. der Verein zur Förderung historischer Kunst das von ihm bestellte Bild »die Zusammenkunft Friedrich's des Großen mit Joseph II.«, das die Runde durch Deutschland gemacht hat, der Welt als Muster, als richtig erkanntes Ziel hinstellt, so müßte man doch augenblicklich der Kunst abschwören. Damit soll keineswegs das bedeutende Talent dieses Künstlers geleugnet werden, aber mit welchen Mitteln, zu welchem Zweck ist es verwendet. Man sollte danach meinen, der Begriff von Kunst sey ganz abhanden gekommen.« 152 153
Busch 1991, S. 178 Ebd.
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Türkischen Krieges interessiert. So rückten sie nach den harten Auseinandersetzungen um Schlesien wieder näher zusammen, und man vereinbarte ein Treffen des incognito anreisenden jungen Kaisers Joseph II. in Neisse, das sehr freundschaftlich verlief, doch bei dem - und das war der entscheidende Punkt Osterreich endgültig seinen Verzicht auf Schlesien erklärte, um Preußen als Vermittler im Russisch-Türkischen Krieg zu gewinnen und seine Neutralität in einem ebenfalls drohenden Konflikt zwischen England und Frankreich zu erwirken.154 Vor diesem historischen Hintergrund stellt sich auch der aktuelle Bezug des Menzelschen Bildes zum preußisch-österreichischen Dualismus von einer anderen Seite dar. Die Darstellung des jungen, unerfahrenen Kaisers Joseph II., der als Bittsteller zu dem von ihm hoch verehrten König Friedrich II. kommt, konnte man als historische Bestätigung des gegenwärtigen preußischen Führungsanspruchs auffassen. Die visuelle Anlage des Bildes bestätigt diese Interpretation. Menzel hat auf dem Gemälde die überlegene Stellung Friedrichs des Großen herausgestrichen. Er läßt Joseph II. von unten eine Wendeltreppe heraufkommen, auf der ihm Friedrich von oben entgegenkommt. Diese Form des Fürstenempfangs war durchaus üblich, ist aber in diesem Fall durch keine historische Quelle belegt, sondern findet sich lediglich in der Kuglerschen Nacherzählung.155 Entscheidend ist nun, daß in Menzels Gemälde der Kaiser merklich unter dem König zum Stehen kommt. In vorgebeugter Haltung und mit angewinkeltem Knie hatJoseph II. von unten die Hände Friedrichs erfaßt, hat den Kopf in den Nacken gelegt und schaut mit bewunderndem, ja unterwürfigem Blick hinauf zum Preußenkönig. Busch hat herausgestellt, daß Menzel hier dem Darstellungstypus der Fürstenbegegnung genügen mußte, der ein »Umarmungs- oder Berührungsmotiv, zugleich aber eine Parallelität der Köpfe« forderte, um sowohl Freundschaft als auch Gleichheit zwischen den Fürsten auszudrücken.156 Durch den Händedruck und die nah an154
Friedrich II. von Preußen, Denkwürdigkeiten vom Hubertushurger bis zum Teschener Frieden, in: Ausgewählte Werke Friedrichs des Großen, hg. v. Gustav Berthold Volz, 2. Bde., Bd. I: Historische und militärische Schriften, Berlin 1918, S. 203-234, S. 211f. 155 Busch 1991, S. 180, Anm. 48 u. S. 178 - Bemerkenswert ist, daß Menzel in seiner Illustration der Szene in Kuglers Geschichte Friedrichs des Großen nicht die Begegnung auf der Wendeltreppe darstellt, die der Text nahelegt. Hier haben König und Kaiser die Treppe bereits erstiegen und schreiten Hand in Hand nebeneinander einen Korridor nach links entlang. Siehe: Heidi Ebertshäuser (Hrsg.), Adolph von Menzel. Das graphische Werk, 2. Bde., München 1976, Bd. I, S. 374, B.766 156 Busch 1991, S. 180
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einandergerückten und im Profil wiedergegebenen Köpfe beider Herrscher scheint dem Genüge getan. Doch beide Köpfe sind merklich in unterschiedlicher Höhe gehalten, womit das Prinzip der Parallelität zugunsten Friedrichs II. durchbrochen ist.157 Die latent antiösterreichische Botschaft des Bildes, das den Führungsanspruch Preußens historisch belegt, wird Carl Alexander nicht entgangen sein und ihn dazu bewogen haben, dem Bild keine Öffentlichkeit zu geben. Als Fürst eines mitteldeutschen Kleinstaats war sich Carl Alexander bewußt, daß nur eine paritätische Machtverteilung zwischen Osterreich und Preußen innerhalb des Deutschen Bundes die Souveränität und außenpolitische Eigenständigkeit seines Landes garantieren konnte.158 Diese großdeutsche Haltung bestimmte ihn auch, den preußisch-österreichischen Dualismus auf dem Verhandlungswege lösen zu wollen. Bis zuletzt versuchte er, der er Träger des habsburgischen Hausordens zum Goldenen Vlies war, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln.159 Als es 1866 zum Krieg zwischen Preußen und Osterreich kam, blieb er neutral, obwohl der preußische König Wilhelm I. sein Schwager war.160 Dies verzieh man ihm in Preußen nicht: Sachsen-Weimar-Eisenach wurde nach dem Sieg der Preußen durch die Eingliederung in den Norddeutschen Bund mediatisiert, und Carl Alexander büßte seine außenpolitische Souveränität vollständig ein.161 Hatte Carl Alexander bereits vor dem Deutsch-Deutschen Krieg der Politik Bismarcks ablehnend gegenübergestanden, so verstärkte sich seine antipreußische Haltung in den Jahren vor der Reichsgründung merklich.162 Von daher erklärt sich, warum 157
In der vorbereitenden Ölskizze sind die beiden Köpfe noch fast auf derselben Höhe gehalten (Busch 1991, Abb. 5 u. S. 182, Anm. 50). Erst in der Gemäldefassung hat Menzel Joseph II. eine unvorteilhafte Stellung gegeben.
158 159
Hess 1991, S. 11-24, S. 14f. Ebd., S. 21f. - Carl Alexander hat sich mehrmals mit dem Orden zum Goldenen Vlies darstellen lassen: Lex. Weimar 1993, Abb. S. 72; Pöthe 1998, Abb. 15
160 161
Hess 1991, S. 29 Ebd., S. 38-50, S. 45ff. - GStA PK Berlin, III. HA Rep. 761 Politischer Schriftwechsel mit der Kgl. Mission in Weimar, Nr. 17: Erlasse und Depeschen von Bismarck an von Pirch 1866: Preußen zwingt Sachsen-Weimar-Eisenach zu einem Separatfrieden und zur Aufhebung der Neutralität. - Der Großherzog tat sich schwer, die Souveränitätsverluste zu verkraften. Siehe: Ludwig Raschdau, In Weimar ah Preußischer Gesandter. Ein Buch der Erinnerung an Deutsche Fürstenhöfe 1894-97, Berlin 1939, S. 182.
162
Zu Carl Alexanders Haltung gegenüber Preußen in den 1860er Jahren: Pöthe 1998, S. 90-96 Ergänzend: PA Bonn, I.A.A.m. (Großherzogtum Sachsen) 36, R 3301, Nr. 25, Bericht des preußischen Gesandten von Pirch aus Weimar vom 5.7.1867: über die gereizte Stimmung des
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Kapitel I
er die, wenn auch moderate, Parteinahme Menzels für den kleindeutschen Weg und die preußische Hegemonie in Deutschland ablehnte.
CARL ALEXANDER UND DIE »KRIEGSSCHULE«
Adelheid von Schorn hat im zweiten Band ihrer wertvollen Darstellung des nachklassischen Weimar den Begriff der »Kriegsschule« aufgegriffen, der einst in Weimar kursierte, um den Zustand permanenter Personalquerelen an der Großherzoglichen Kunstschule anschaulich zu machen.163 Bereits kurz nach Schulgründung war im Januar 1861 in den Dioskuren auf die heterogene Zusammensetzung der Weimarer Künstlerschaft hingewiesen worden.164 Doch blieben solche Meldungen im Verlauf der 1860er Jahre noch selten und im Ton moderat.165 Das änderte sich zu Beginn der 1870er Jahre, als der Weggang des 1862 nach Weimar berufenen belgischen Historienmalers Ferdinand Pauwels 1871/72 in Hofes gegenüber Preußen; Nr. 30, Bericht vom 25.11.1867: über »Hegemonie-Gelüste« Weimars. Von Pirch wiederholt seine Einschätzung am 3.4.1868 (Nr. 13) und am 30.11.1868 (Nr. 25). 163 Schorn 1912, S. 149 - Die einzige mir bekannt gewordene zeitgenössische Verwendung dieses Begriffes in: Ferdinand Avenarius, Nachricht vom Tode Stanislaus' Graf zu Kalckreuth, in: KW 8, 1894/95, Nr. 5, S. 76: »Ohne Kampf ging es nicht ab, man nannte damals die Kunstschule mit Vorliebe die Kriegsschule. Doch anfangs der siebziger Jahre zeigten sich auch nach außen die Erfolge der Kalckreuthischen Leistung: Weimar zog die Blicke der anderen Kunststädte auf sich.« 164 W. Weingärtner, Studien zur Geschichte der bildenden Künste im neunzehnten Jahrhundert (V), in: Die Dioskuren 6,1861, Nr. 2,13. Jan. 1861, S. 11: »Eine jüngere Kraft, einer der tüchtigsten Stimmungslandschafter, Grafv. Kalckreuth, ist nach Weimar gegangen, wo man die Gründung einer Malerakademie kürzlich vollendet hat, an der man, wie die Berufung Genelli's, die Tätigkeit von Wislicenus und Preller, dagegen wiederum die Hinzuziehung Ramberg's und einiger Schüler Piloty's (Lenbach und Konräder) beweist, absichtlich die verschiedensten, ja entgegengesetztesten Kräfte zu vereinigen sich bemüht. Möge es gelingen !« 165
Die Dioskuren 13, 1868, Nr. 15, 12. April 1868, S. 125: Über die Spaltung der Weimarer Künstlerschaft in ein Lager des »Stylismus« um Genelli und Preller und eines des »Naturalismus«, womit wohl der 1862 an die Schule gekommene Belgier Ferdinand Pauwels und seine Schülerschaft gemeint war. In der nächsten Nummer - ebd., Nr. 16,19. April 1868, S. 133 - drückte man die Hoffnung aus, daß sich in Weimar eine auf das Kolorit gerichtete Malerei durchsetzen werde.
Großherzog Carl Alexander und seine Kunstschulgründung
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den Dioskuren eine regelrechte Pressekampagne gegen den Führungsstil des Direktors Stanislaus von Kalckreuth auslöste, deren Verlauf Scheidig nachgezeichnet hat.166 Die Affare um den Rücktritt des Schulsekretärs Rossmann 1872/73 und der Konflikt zwischen Kalckreuth und Charles Verlat 1873/74 schlössen sich an.167 Hier gilt es zu untersuchen, wie sich der Großherzog in der schlimmsten Krisenzeit seiner Kunstschule verhielt. Scheidig macht sich die Polemik in den Dioskuren zu eigen, wenn er Kalckreuth unterstellt, er habe Pauwels von der Schule entfernen wollen, da er ihm dessen reiche Schülerschaft geneidet und sie als eine Bedrohung seiner eigenen Machtstellung angesehen habe.168 Nach einer Tagebucheintragung des auf der Wartburgweilenden Großherzogs vom 4. November 1871 scheint Pauwels seinen Abgang von der Schule selbst verkündet zu haben, um hinter dem Rücken Kalckreuths vom Großherzog die Aufforderung zum Bleiben zu erhalten, wohl mit der Absicht, bessere Konditionen für sich zu erwirken.169 An selber Stelle schreibt Carl Alexander, daß Kalckreuth bereits auf der Suche nach einem passenden Nachfolger gewesen sei und nun, aus Düsseldorf kommend, auf der Wartburg mit einem ungarischen Künsder namens Munkäcsy eingetroffen sei, der ihm einen guten Eindruck mache.170 Kalckreuth war zusammen mit dem im
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Scheidig 1991, S. 78, Anm. 119 Ebd., S. 78f. Ebd., S. 78, Anm. 119: Die Dioskuren 16, 1871, Nr. 43, 26. Nov. 1871, S. 341-343 ThHStAW, HA A XXVI, No. 1968, Tagebuch Carl Alexander, 4.11.1871: »Quant à Pauwels, j'ai dû reconnaître que son empressement de se produire devant moi dernièrement, que son désir de rester à mon service, que celui de recevoir bientôt résolution de ma part si j'acceptais ce désir afin de savoir, disait-il, s'il aurait à commander un logement en Belgique pour le cas négatif, j'ai dû me convaincre dis-je qu'une certaine intrigue était au fond de cela: intrigue en profitant de l'absence de Kalckreuth pour me pousser à des déterminations à l'égard de Pauwels derrière le dos de la Direction quoique je crois sincère le désir de Pauwels de rester à Weimar quoiqu'il m'avait prié de ne pas dire que lui, Pauwels, avait exprimé ce désir. Or il se trouve que ce dernier a fait croire à une intention de quitter tout en souhaitant le contraire. Son remplaçant possible fut donc nécessaire de rechercher.«
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Ebd.: »Kalckreuth alors se rendit à Düsseldorf où le talent de Munkäcsy le frappa. Je ne le connais moi que par une photographie de l'un de ses tableaux, des gens faisant de la charpie et écoutant des récits d'un blessé les uns avec grande émotion, les autres avec doutes, d'autres avec indifférence. L'artiste même me plut par un air bon rappelant Harrach. Son type est slave, il ne parle l'allemand qu'avec une certaine difficulté. Après le dîner on se réunit de nouveau dans la chambre de St. Elisabeth et l'on resta longtemps à causer autour de la tasse de thé.«
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Kapitel I
Januar 1871 aus Düsseldorf nach Weimar berufenen Theodor Hagen und dem jungen Max Liebermann nach Düsseldorf gefahren, um Munkäcsy dazu zu bewegen, nach Weimar zu kommen.171 Am 5. November hält Carl Alexander in seinem Tagebuch fest, daß Munkäcsy versprochen habe, im Juni 1872 nach Weimar überzuwechseln, endgültig allerdings erst ab Januar 1873.172 Doch sollte Munkäcsy sein Versprechen nie einlösen; er ließ sich 1872 definitiv in Paris nieder.173 Am 12. November 1871 erschien der erste anonyme Aufsatz in den Dioskuren, der den Rücktritt Pauwels' Kalckreuth anlastete und dem Großherzog vorwarf nur auf seinen Direktor zu hören.174 Der Großherzog erhielt von diesem Aufsatz am 14. November Kenntnis und gebot ein striktes Absehen von jeglicher Art von Antwort auf die erhobenen Vorwürfe.175 Einen Tag später beriet er sich mit Staatsminister Stichling, der auch für Stillhalten in dieser Sache plädierte; gleich-
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Scheidig 1991, S. 78 - Matthias Eberle, Max Liebermann 1847-1935. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien, Bd. I: 1865-1899, München 1995, S. 14, Anm. 22, gibt an, Munkäcsy sei erstmals am 22.10.1871 in Weimar gewesen. ThHStAW, HA A XXVI, No. 1968, Tagebuch Carl Alexander, 5.11.1871: »[...] je fis appeler Munkäcsy. Le résultat de notre conversation fut sa parole d'honneur qu'il viendra à Weimar en Juin prochain si Dieu permet et si je vis en voulant [?] terminer un tableau à Paris avant de transporter ses pénates complètement à Weimar, ce qu'il croit ne pouvoir effectuer définitivement qu'en Janvier dans un an si Dieu permet et si je vis.« Kat. zur Ausst.: Ungarn und die Münchner Schule. Spitzenwerke aus der Ungarischen Nationalgalerie 1860bis 1900, München, Bayerische Vereinsbank, 2.11.1995 - 5.1.1996, München 1995, S. 130 Die Dioskuren 16,1871, Nr. 41,12.11.1871, S. 325f. - Scheidig 1991, S. 78 u. Anm. 119, meint, die Hintergrundsinformationen fur die Artikelreihe wären von dem Sekretär Otto von Schorn geliefert worden. Dies kann sehr wohl sein, denn Schorn war ein Anhänger Pauwels' (siehe: Otto v. Schorn, Ferdinand Pauwels, in:ZfbK 1,1866, S. 186-188). Die Artikel selber könnten von Ludwig Preller, Hofrat und Archäologe in Weimar, verfaßt worden sein, da die zweite Folge Die Dioskuren 16, 1871, Nr. 43, 26.11.1871, S. 341-343 - mit »Lp.« signiert ist. ThHStAW, HA A XXVI, No. 1968, Tagebuch Carl Alexander, 14.11.1871 : »A dîner Beaulieu et Lützow [?], le premier ici pour faire des études sur Ernest Auguste. Le second me parle des difficultés à la Kunstschule. Un artiste dans les >Dioskuren< anonyme attaque à propos du départ [de] Pauwels, la capacité et le caractère de Kalckreuth et m'accuse tout en me passant de n'écouter que sa voix à lui et annonce de nouvelles publications si on ne voulait croire aux allégations [?]. Kalckreuth blessé a refusé de se retirer [?]. Une adresse signée par tous les maîtres et élèves excepté Pauwels, Schmidt et Schorn (ce dernier prétendant être retenu par seine amtliche Stellung) assure Kalckreuth de leur attachement. J'oppose pour l'abstention complète de toute réponse. J'écris un billet calmant à Kalckreuth.«
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zeitig versucht er den tief gekränkten Kalckreuth zu beruhigen.176 Einige Tage später schienen die Wellen geglättet.177 Doch nun wurden auch in der Kunstchronik, dem Beiblatt der Zeitschrift für bildende Kunst, Vorwürfe gegen die Weimarer Kunstschule erhoben: Man hätte Pauwels, der nach beinahe zehn Jahren Weimar verlasse, halten können, »wenn man nur gewollt hätte.« Schuld am ständigen Lehrerwechsel sei die wahllose Berufungspolitik Kalckreuths gewesen.178 Diese massive Kampagne seitens der Presse griff Kalckreuth gesundheitlich an.179 Trotz der Stillhaltestrategie des Großherzogs setzte sich die Serie der Kommentare zu den Weimarer Kunstverhältnissen in den Dioskuren bis ins nächste Jahr fort.180 Allerdings mußte der anonyme Artikelschreiber im März 1872 enttäuscht feststellen, daß die erhoffte Reaktion von Seiten des Großherzogs, der fest hinter dem Direktor stehe, ausgeblieben sei. Der Sekretär Otto von Schorn und der Landschaftsmaler Max Schmidt hätten wegen der beklagenswerten Zustände an der Weimarer Kunstschule diese verlassen.181 Im April wurde über die Abschiedsfeier für Pauwels, im Mai über die für Schmidt berichtet.182 Der letzte Artikel in dieser Angelegenheit erschien im Juli 1872 und kritisierte vor allem die fehlgeschlagene Berufung Munkäcsys.183 In der Affare Pauwels versuchte Carl Alexander, sich ein eigenes Bild zu machen und keinen Einflüsterungen zu erliegen. Doch letztlich blieb sein Ver-
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Ebd., 15.11.1871: »Conseil. [...] Je retiens Stichling, lui raconte l'affaire Kalckreuth. Lui aussi est pour l'abstention. Je fus le matin chez Kalckreuth lui parler dans le même sens.« Ebd., 17.11.1871 : »Eté dans l'atelier Kalckreuth. Le calme s'est remis, Dieu merci, dans les arts.« [o. A.], in: Kunstchronik 7, 1871, Nr. 3, 17. Nov. 1871, S. 44f. ThHStAW, HA A XXVI, No. 1968, Tagebuch Carl Alexander, 20.11.1871: »Harrach arriva. Il est inquiet sur la santé de Kalckreuth.« Die Dioskuren 16, 1871, Nr. 43, 26.11.1871, S. 341-343: Kalckreuth habe die Schüler zur Unterzeichnung einer Adresse zu seinen Gunsten gezwungen. - Ebd., Nr. 47, 24.12.1871, S. 373f.: Es werde zuviel Wert auf steigende Schülerzahlen gelegt und daran die Beliebtheit der Lehrer gemessen. - Die Dioskuren 17, 1872, Nr. 1, 7.1.1872, S. 3: Die hohe Schülerzahl Pauwels' sei Kalckreuth zur Gefahr geworden. - Ebd., Nr. 2, 14.1.1872, S. llf.: Max Schmidt und Theodor Hagen seien von Kalckreuth lediglich als Gegengewicht zu Pauwels eingestellt worden. - Ebd., Nr. 3, 21.1.1872, S. 20: Der Bestand der Schule sei bei einer solchen Personalpolitik gefährdet.
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Die Dioskuren 17,1872, Nr. 10,10.3.1872, S. 79 - Siehe auch: [o.A.], Weimar, im März, in: Kunstchronik 7,1872, Nr. 12,22. März 1872, S. 219
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Die Dioskuren 17,1872, Nr. 17,28.4.1872, S. 134f. - Ebd., Nr. 27,21.5.1872, S. 215 Ebd., Nr. 29,21.6.1872, S. 230f.
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halten passiv und zeigt jene später sich immer deutlicher ausprägende Tendenz, Konflikte eher >auszusitzen< als offensiv anzugehen. Die Konflikte um den Weggang von Pauwels wurden bereits überlagert von weiteren Querelen, diesmal mit dem neuen Sekretär der Kunstschule, dem Herzoglich Meiningschen Hofrat Dr. Rossmann, der im April 1872 Otto von Schorn ersetzt hatte.184 Rossmann sollte nur ein Jahr an der Kunstschule bleiben und bereits im April 1873 Weimar wieder verlassen. Scheidig hat die eine Seite des Konfliktes dargestellt: Rossmann fühlte sich durch eine aus dem Jahre 1866 stammenden »Instruktion für den Sekretär der Ghz. Kunstschule«, die dem Direktor weitreichende Eingriffsrechte in die Arbeit des Sekretärs gewährte, entmündigt und vor den anderen Mitgliedern des Professorenkollegiums gedemütigt. Als diese Dienstanweisung nicht zurückgenommen wurde und Kalckreuth schließlich Anfang 1873, ohne mit ihm Rücksprache zu halten, neue Statuten erlassen wollte, kündigte Rossmann seine Stellung.185 Liest man dagegen die Tagebuchaufzeichnungen des Großherzogs, dann lag die Ursache für den Weggang Rossmanns letztlich in einem tiefgreifenden Mißverständnis über die Frage der Vertretung des Kunstschuldirektors. Ende Januar 1873 hatte sich Kalckreuth aus gesundheitlichen Gründen für längere Zeit beurlauben lassen, und Verlat hatte »ad interim« das Direktorat übernommen, obwohl Kalckreuth eigentlich Rossmann als seinem Sekretär diesen Posten zugesprochen hatte. Der Großherzog versuchte Rossmann davon zu überzeugen, daß sich die Beurlaubung Kalckreuths länger hinziehen werde, es sich daher nicht um eine bloße Ferienvertretung handle, worauf Rossmann anbot, auf amtliche Verfügung des Großherzogs von seinem Anspruch als Vertreter des Direktors zurückzutreten und nur noch als Professor der Kunstgeschichte an der Schule zu fungieren.186 Am 9. Februar vermochte der Großherzog nicht den Gottesdienst zu besuchen, weil ihn die Schwierigkeiten an der Kunstschule zu sehr belaste184
Scheidig 1991, S. 78, Anm. 120
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Ebd., S. 78f., Anm. 122 u. 123 ThHStAW, HA A XXVI, No. 1969, Tagebuch Cari Alexander, 30.1.1873: »Je me rendis chez Verlat causer avec lui, le nouveau directeur ad interim de l'école de peinture. M. Rossmann, auquel Kalckreuth avait dit de diriger l'école en cas de vacance, se trouve blessé [... ?].J'ai dû donner raison à Rossmann mais lui ai fait comprendre qu'il s'agissait ici de plus que d'une vacance. Rossmann propose un mezzo termine pour la durée de la vacance: sa substitution pour cette durée par un sous-ordre tandis qu'il ne remplisse que les fonctions de professeur enseignant. Verlat demande du temps pour réfléchir.«
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ten. Den Gang der zurückliegenden Ereignisse notierte er mit einer für ihn ungewöhnlichen Ausführlichkeit in sein Tagebuch: Tatsächlich habe Kalckreuth Rossmann als seinen Stellvertreter eingesetzt, diese Verfügungen aber nicht schriftlich niedergelegt, worauf Verlat als ältester Lehrer die Direktion übernommen habe. Er, Carl Alexander, habe daraufhin versucht, Rossmann zu beruhigen, indem er eine Verfugung erlassen habe, wonach Rossmann in zukünftigen Fallen die Vertretung übernehmen solle. Doch hätten dagegen die übrigen Professoren protestiert und ihre Kündigungen eingereicht. Daraufhin habe er seine Verfügung wieder zurückgezogen, um die Lage zu beruhigen.187 Am Tag darauf rät Wedel dem Großherzog, die ganze Angelegenheit in die Hände des Staatsministers Stichling zu legen. Doch Carl Alexander entgegnet, er wolle sich in dieser Sache nicht die Entscheidungsgewalt aus der Hand nehmen lassen. Stichling besitze nicht genügend Fingerspitzengefühl. Darüber hinaus würden seine Töchter vom alten Preller unterrichtet, der der Kunstschule feindlich gegenüberstehe, so daß auch er gegen diese eingenommen sei. Rossmann müsse eindringlich klar gemacht werden, daß nicht er, der Großherzog, an der Verwirrung Schuld sei, sondern vielmehr Kalckreuth, da dieser den jeweils neu eingetroffenen Professoren erklärt habe, daß im Vertretungsfall stets der älteste Lehrer die Direktion zu übernehmen habe.188 Daraufhin reicht am 11. Februar Rossmann sein Entlassungsgesuch beim Großherzog ein. Doch Carl Alexander erbat sich zunächst einen Aufschub seiner Entscheidung und forderte Kalckreuth und Rossmann auf, ausführlich Bericht zu erstatten.189 Wieder wird dem Großherzog geraten, eine Kommission unter Vorsitz Stichlings einzuberufen, was Carl Alexander aber erneut wegen der bekannten Aversionen Stichlings gegen die Kunstschule ablehnt.190 Erst als am 19. März Rossmann, der einen Ruf als Kunstgeschichtsprofessor an die Düsseldorfer Akademie erhalten hatte, erneut um seine Entlassung bat, willigte Carl Alexander ein, da er den »Knoten« im Konflikt Rossmann-Kalckreuth - wie er sich selbst ausdrückte - nicht mehr anders zu lösen vermochte.191
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ThHStAW, HA A XXVI, No. 1969, Tagebuch Carl Alexander, 9.2.1873; die Verfugung Carl Alexanders vom 7.2.1873: ebd., HMA 3696, fol. 12; das Abschiedsgesuche von Verlat, Hagen und Gussow: ebd., HMA 3696, fol. 14-16
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ThHStAW, HA A XXVI, No. 1969, Tagebuch Carl Alexander, 10.2.1873 Ebd., 11.2.1873 Ebd., 12.2.1873 Ebd., 19.3.1873 (Zitat im Original französisch)
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Die von Scheidig erwähnten Statuten, die ohne die Zustimmung Rossmanns im Januar 1873 durchgedrückt werden sollten, wurden allerdings nicht eingeführt.192 Noch im April verhandelte der Großherzog mit Verlat und Kalckreuth über die Veränderungen der Statuten, in denen auch die Frage der Vertretung des Direktors endgültig geklärt werden sollte.193 Jedoch traten diese Neuregelungen, nach denen dem gesamten Lehrerkollegium das Stellvertretungsrecht im Falle der Abwesenheit des Schuldirektors zugesprochen wurde, erst am 21. Januar 1874 in Kraft.194 Als Nachfolger für Dr. Rossmann empfahl Theodor Hagen Dr. Floerke aus Bonn, der, obwohl noch sehr jung, dem Großherzog gefiel und schließlich auch nach Weimar kam.195 Den Fall Rossmann nahm sich der Großherzog sehr zu Herzen. Er hatte versucht, durch eine Verfugung in die Geschehnisse einzugreifen, mußte sich dann aber wieder durch das Lehrerkollegium umstimmen lassen. In seiner Loyalität schwankte er bedenklich zwischen Rossmann und Kalckreuth hin und her und versuchte es beiden recht zu machen. Seine fehlende Entschlußkraft zwang ihn schließlich, sich in den Gang der Ereignisse zu fugen und der stärkeren Fraktion die Entscheidung zu überlassen. Einen wirklichen Fehler machte der Großherzog allerdings erst bei der nächsten Personalkrise, die sich unmittelbar an die Affare Rossmann anschloß, dem Streit zwischen Charles Verlat und Stanislaus von Kalckreuth um das Direktorenamt 1873/74. Nur kurz sei der Ausgang der Krise, deren Verlauf Scheidig nachgezeichnet hat, dargestellt.196 Nach dem Weggang Rossmanns im April 1873 wurde Charles Verlat für die verbleibende Zeit von Kalckreuths Krankenurlaub als stellvertretender Direktor eingesetzt. Als Kalckreuth im Oktober 1873 nach Weimar zurückkehrte, stellte sich allerdings heraus, daß der Großherzog in Abwesenheit Kalckreuths Verlat offiziell zum Direktor ernannt hatte. Erst Mitte Dezember wurde das Fehlverhalten des Großherzogs offenbar und führte zum Zerwürfnis
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Scheidig 1991, S. 79, Anm. 123 ThHStAW, HA A XXVI, No. 1969, Tagebuch Carl Alexander, 27.4.1873 ThHStAW, Hochschule für bildende Kunst Nr. 1-2, fol. 40-53: Statuten der Ghz. Kunstschule vom 21. Januar 1874, fol. 49v
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ThHStAW, HA A XXVI, No. 1969, Tagebuch Carl Alexander, 27.4.1873 - Scheidig 1991, S. 79, Anm. 124
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Scheidig 1991, S. 79 - Johannes Kalckreuth, IVesen und Werk meines Vaters. Lebensbild des Malers Graf Leopold von Kalckreuth, Hamburg 1967, S. 78-80
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zwischen Carl Alexander und Kalckreuth, der seinen Rücktritt einreichte.197 Anfang des Jahres 1874 versuchte Graf Henkel zu vermitteln und Kalckreuth mit dem Großherzog zu versöhnen.198 Als der Großherzog schließlich seinen Fehltritt offen eingestand und sich dafür bei Kalckreuth entschuldigte, entschloß sich dieser, doch zu bleiben.199 Mitte Februar begab sich Kalckreuth auf Reisen, um neue Lehrer fiir die Kunstschule zu finden, was aber fehlschlug.200 Nach neuer-
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Kalckreuth 1967, S. 70-80, schildert die Ereignisse sehr summarisch und ohne Quellen anzugeben. Die Bayerische Staatsbibliothek München bewahrt den schriftlichen Nachlaß Leopold von Kalckreuths, des Sohnes von Stanislaus von Kalckreuth. Ein langer Brief der Mutter Anna Gräfin Kalckreuth an ihre Kinder vom Dezember 1873 schildert ausfuhrlich den Gang der Ereignisse. Siehe: BSB München, Handschriften- und Inkunabelabteilung, Kalckreuthiana II, Anna Gräfin Kalckreuth an ihre Kinder, Weimar [14.12.1873]. Aus dem Brief geht hervor, daß der Großherzog am 12.12.1873 seinen Entscheid Kalckreuth zukommen ließ. Weiter heißt es: »Der Großherzog schreibt selbst 1000 Süßigkeiten, und bittet den Papa sich der Kunst und seinen Freunden zu erhalten, verfugt indeß, daß Amt und Titel an Verlat abgehen, da Papa vor 10 Monaten gesagt habe man möge sich nach einem Stellvertreter umschauen. Diesen habe nun der Großherzog an Verlat gefunden. Im Übrigen möge Alles wie bisher bleiben (d.h. das Gehalt möge P.[apa] fortbeziehen). Papa zitterte und wurde bleich und stumm und kam zu Yorks wo ich saß, las vor und stimmte mit uns überein quittiren ! [...] Nun hat ja der kleine alte Mann [Verlat] dabei weniger Schuld als der Großherzog der Papa sagen ließ ehe er den Urlaub antrat, er erwarte von seiner Ehrenhaftigkeit, daß er sich wieder stelle, sobald er die Kräfte dazu hätte, und trotz aller Bitten auch keinen Abschied gab und Verlat in 2 Briefen sagte »Je vous nomme Directeur« und einmal »je vous ai nommé Directeur pour vous constater mon amitié.« Die Briefe hat er dem Papa gezeigt. Es ist wohl die größte Faselei, die er je gemacht, und weil er so feige war bei Papa's Meldung [im Oktober 1873] nicht zu sagen, »Ich vergab dein Amt verzeih«, so hat er nun die Feindschaft von Verlat auch noch bewirkt, und die Schule gesprengt.«
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Ebd., Anna Gräfin Kalckreuth an Leopold von Kalckreuth, Weimar, 3.2.1874 Ebd., Anna Gräfin Kalckreuth an Leopold von Kalckreuth, Weimar, 7.2.1874: »Es ist ja noch nichts bestimmt über Papas Leben. Er hat große Sorge gerade in dem Ehrenpunkt, und so wohl Graf Henkel hier, wie der Fürst Hohenzollern, den er in Frankfurt traf haben ihm gesagt, da der Großherzog sein Unrecht eingesehn und Abbitte gethan, sei es durchaus ehrenvoll zu bleiben. Der Fürst liebt den Großherzog gar nicht, also ist er frei im Urtheil !« Weiter heißt es, Stanislaus sei insgeheim in Karlsruhe gewesen, wo der Großherzog von Baden ihm zur Uberwechselung bewegen wollte, doch habe Stanislaus noch nichts entschieden. Erst wolle er mit dem preußischen Kronprinzen Rücksprache halten.
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Ebd., Anna Gräfin Kalckreuth an Leopold von Kalckreuth, Weimar, 16.2.1874: »Wann er [Kalckreuth] kommt ist ungewiß, und ob er Lehrer findet erst recht,... [...] Wenn Papa geht, was mich jetzt oft so dünkt, so hat er sehr schwer daran zu tragen, daß die Schule zusammen kracht, und bleibt er so ist keine Ruh für die Arbeit, also fort falls er nicht gute Lehrer findet,
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liehen Ungewißheiten über seinen Verbleib an der Schule, entschloß sich Kalckreuth im April 1874, endgültig in Weimar als Direktor der Kunstschule zu bleiben, bis ein passender Nachfolger für das Direktorenamt gefunden sei.201 Verlat, der das Nachsehen in der Direktorenfrage hatte, verließ im Frühjahr 1874 Weimar.202 Als Ende 1875 noch immer kein neuer Direktor gefunden war, bat Stanislaus von Kalckreuth um seine Entlassung, die ihm am 12. Januar 1876 auch gewährt wurde, und zog sich nach Bad Kreuznach, dem Wohnort der Familie seiner Frau, zurück.203 Als Leiter der Schule wurde Theodor Hagen eingesetzt, doch behielt Stanislaus von Kalckreuth seine Stimme im Lehrerkollegium.204 Es scheint, daß die anhaltenden Kämpfe an der Schule, die in den aufreibenden Streitigkeiten mit Stanislaus von Kalckreuth ihren Höhepunkt fanden, dazu gefuhrt haben, daß sich der Großherzog innerlich von der Kunstschule immer mehr distanzierte. Im Februar 1873, auf dem Höhepunkt der Affare Rossmann, fällte der Großherzog erstmals den Entschluß, seine von ihm privat finanzierte und ihm unmittelbar unterstehende Kunstschule in eine aus Steuermitteln getragene
was bei den Anforderungen nicht geht. Man will 2000 T wenigstens und Umzug, das ist nicht da.« - ThHStAW, HA A XXVI, No. 1970, Tagebuch Carl Alexander, 21.2.1874: »Je reçu aujourd'hui rapport du ct. Kalckreuth m'annonçant son retour, la nonréussite de ses efforts, les individus demandés exigeant des appointements le double ou triple de ceux que je donne, la nécessité de tacher de trouver a qui nous faut à Vienne, Florence, Rome, celle de tacher de développer chez nous ce qu'il nous faut.« - Siehe auch: ebd., 21.3.1874: Zur fehlgeschlagenen Berufung des Berliner Malers von Heyden. 201
BSB München, Handschriften- und Inkunabelabteilung, Kalckreuthiana II, Anna Gräfin Kalckreuth an Leopold von Kalckreuth, Weimar, 26.2.1874 - Ebd., Anna Gräfin Kalckreuth an Leopold von Kalckreuth, Weimar [April 1874] 202 Scheidig 1991, S. 79 203 Kalckreuth 1967, S. 98 204 Scheidig 1991, S. 80 - Daß Kalckreuth seine Stimme im Lehrerkollegium behielt, ging nicht auf den Großherzog zurück, wie Scheidig 1991, S. 80, behauptet, sondern erfolgte aufVorschlag Theodor Hagens. Siehe: ThHStAW, H MA 3693, Bl. 18-20: Brief Thoedor Hagens an Carl Alexander, Weimar, 12. Feb. 1876; abgedruckt in: Preiß/Winkler 1996, Dok. 6, S. 65: »Ein zweiter Vorschlag geht dahin, Eure Königliche Hoheit möchten geruhen, den seitherigen Direktor Graf Kalckreuth zum ständigen stimmberechtigten Ehrenmitglied des Collegiums zu ernennen. Auch hierin fände ich eine große Unterstützung fur die Schule, da der Graf bei seinem großen Interesse fur dieselbe und bei den vielen Erfahrungen wohl stets mit Rat und Tat zur Seite stehen würde und durch seine Stimme im Collegium die Majorität unzweifelhaft mehren würde.«
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Staatsinstitution umzuwandeln.205 Anfang 1874 konkretisierte er diese Pläne und unterbreitete sie seinen Staatsministern Stichling und Thon.206 Hauptgrund war die finanzielle Überbelastung der eigenen Schatulle, doch hinter der Absicht, die Kunstschule abzustoßen und in die Verantwortlichkeit des Staates zu überfuhren, wird auch der Wunsch gestanden haben, sich endlich der zermürbenden Personaldebatten entledigen zu können. Mitte Februar hatte der Großherzog von Thon eine negative Antwort auf sein Ansinnen erhalten.207 Stichlings Gutachten lag am 7. März vor. Der Staatsminister weigerte sich, die Kunstschule aus Staatsmitteln zu finanzieren, da unter den 70 Kunstschülern nur 4 Landeskinder seien.208 Nach weiteren mißglückten Versuchen, die Last der Kunstschule auf ein anderes Staatsressort abzuwälzen, gab der Großherzog schließlich sein Vorhaben auf und behielt die Kunstschule unter seiner Obhut.209 Die Frage der Finanzierung der Schule beschäftigte ihn allerdings weiterhin.210
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ThHStAW, HA A XXVI, No. 1969, Tagebuch Carl Alexander, 10.2.1873: »Je me laissai convaincre plus que jamais que toute l'institution en doit devenir une d'Etat, entretenue par lui et dirigé par lui.« ThHStAW, HA A XXVI, No. 1970, Tagebuch Carl Alexander, 21.2.1874: »Parlé à Stichling de la nécessité de créer établissement d'Etat l'école des beaux-arts parce que mon budget n'en supporte plus guère la charge. Il en reparlera à Thon.« Ebd., 18.2.1874: »Conseil de nouveau sans le ministre qui m'a demandé de pouvoir rester à la maison, tourmenté et fatigué qu'il est de l'Etat de sa femme. Je reçois à côté de cette demande une réponse négative de sa part à la demande que je lui adressai: de doter par l'état l'école des beaux-arts. Il prétend que les moyens manquent, mais il ne veut pas empiéter sur le principe de Stichling auquel je m'étais adressé en même temps de communiquer un mémoire en cette question que j'avais dicté à Wedel. De Stichling point de réponse encore.« Scheidig 1991, S. 79, Anm. 133 Ebd., S. 80 ThHStAW, HA A XXVI, No. 1994, Tagebuch Carl Alexander, 16.1.1894: Auf einer Soirée bei den Derenthals wird ihm von Rockefeller berichtet, der zum Millionär aufgestiegen sei und der die New-Yorker Universität finanziell stark unterstütze. »II sera bon de se rappeler ce nom afin de l'engager à faire quelque chose pour la construction de l'église anglo-américaine ici et peut-être aussi pour l'école de peinture si Dieu permet et je vis.« - Rauschdau 1939, S. 156, berichtet aus dem Jahr 1897: »König Albert von Sachsen äußerte dieser Tage zu Palézieux, als ihn der Großherzog in Pillnitz besuchte, man solle doch in Weimar die Großmachtallüren unterlassen. Was sollte denn die Kunstschule in Weimar bedeuten ? In der Dresdner Ausstellung würden ihre Erzeugnisse als wertlos angesehen. Und der Großherzog klage doch über die ihm dafür persönlich zur Last fallenden Ausgaben von 30 000 Mark.«
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Zwar häuften sich die Personalprobleme an der Weimarer Kunstschule in der ersten Hälfte der 1870er Jahre, doch waren sie keineswegs ein spezifisch weimarisches Phänomen. Es gab sie an jeder anderen Akademie oder Kunstschule auch. Pauwels und Rossmann etwa erging es andern Orts nicht viel besser als in Weimar.211 In Weimar jedoch markiert die Krisenzeit, die in dem Wunsch des Großherzogs nach staatlicher Übernahme der Schule und dem Weggang Stanislaus von Kalckreuths aus Weimar gipfelte, einen Einschnitt: Die Gründergeneration zieht sich zurück, ohne allerdings abzutreten. In dieser Phase entwickelt sich die Malerei der Weimarer Malerschule: Karl Buchholz und Ludwig von Gleichen-Russwurm erarbeiten sich erstmals die Motivkreise, die zentral für ihr weiteres Schaffen werden sollten. 1873 malt Gleichen-Russwurm seine Bäuerinnen auf dem Weg zur Feldarbeit (Farbtf 1), sein erstes Bild, das den arbeitenden Menschen in weiter Landschaft darstellt.212 1874 beginnt Buchholz im Webicht, einem Buchen- und Birkenwäldchen zwischen Weimar und Tiefurt, seine ersten nachweisbaren Waldrandstudien (Farbtf. 2).213
DIE STATUTEN VON 1 8 7 4
Am 3. Januar 1874 notiert Großherzog Carl Alexander in sein Tagebuch: »Rien de particulier si ce n'est que je dicte les statuts de la Kunstschule en présence de Kalckreuth et de Verlat.«214 Die neuen Statuten wurden schließlich am 21. Januar »vorbehaltlich höchster Genehmigung seiner Königlichen Hoheit des
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M.B., Mißstände an der Düsseldorfer Akademie, in: Kunstchronik 9, 1873, Nr. 4, 7. Nov. 1873, S. 56-58: Der Neubau der Akademie nach dem Brand vom März 1872 sei bis jetzt verzögert worden. Man habe die Kupferstecherklasse eingehen lassen. Weder W. Rossmann habe man als Lehrer der Kunstgeschichte halten können, noch Eugen Dücker als Leiter der Landschaftsklasse. - Paetus, DresdenerKunst-Zustände, in: KfA 2,1886/87, H. 18,15.Juni 1887, S. 281283: Uber die Fraktionierungen an der Akademie; Pauwels habe sich mit seiner Förderung des Naturstudiums an der Akademie nicht durchsetzen können; der von ihm berufene Leon Pohle sei zur »Gegenpartei« übergelaufen.
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Bäuerinnen auf dem Weg zur Feldarbeit, Öl/Lwd., 85 x 129 cm, bez. u. 1.: Gleichen Weimar 73, Städtische Galerie Würzburg; Kat. Ausst. Würzburg 1983, Abb. 2 Waldlichtung, Öl/Papier/Pappe, 27,5 x 22 cm, bez. u. 1.: K. Buchholz 74, Slg. Kissling, Kusterdingen; Kat. Ausst. Lübeck/Erfurt 2000, Nr. 8, Abb. S. 76 ThHStAW, HA A XXVI, No. 1970, Tagebuch Carl Alexander, 3.1.1874
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Großherzogs« erlassen.215 Es kann also kein Zweifel bestehen, daß Carl Alexander den Inhalt dieser Statuten wesentlich mitbestimmt hat. Zu ihren Neuerungen gehörte die endgültige Abschaffung des Klassensystems und die Aufhebung der Hierarchie innerhalb der Lehrerschaft. In § 3 hieß es zur Neuordnung des Unterrichts: »Jeder ordentliche Lehrer der Malerei zeichnet selbständig und nach eigenen besten Ermessen fiir die Schüler, die ihn ermächtigt haben oder ihn provisorisch zugewiesen sind, den Lehrgang vor, und bestimmt nach dem Grade ihres künstlerischen Könnens die Übungen, welche sie vorzunehmen haben. Eine Eintheilung der Schüler in Classen findet nicht statt.«216 Im § 4 hieß es u.a. ergänzend: »Die Correctur im Aktsaal, welche von einem einzigen ausgeübt wird, kann einem besonderen Lehrer übertragen werden. Die Correctur im Antik-Saal wird von jedem Professor für seine Schüler ausgeübt; - doch darf er sie auch nach persönlicher Ubereinkunft einem Kollegen übertragen.«217 Damit wurde eine Organistationsstruktur festgeschrieben, die wie bereits ausgeführt - schon im November 1860 in einer Konferenz des Lehrerkollegiums auf Anregung des als Berater zugezogenen Münchner Professors Karl von Piloty beschlossen worden war.218 Die neuen Statuten sanktionierten letztlich eine längst übliche Lehrpraxis, auf die noch näher einzugehen sein wird. Auch in einem zweiten Punkt schrieb man nun endgültig fest, was sich bereits seit Aufnahme des Lehrbetriebs abgezeichnet hatte: die völlige Gleichstellung aller Lehrer. In § 4 der neuen Statuten hieß es weiter: »Für die Fächer der Historie, des Genre, der Landschaftsmalerei sowie für Kunstgeschichte und Ästhetik werden ordentliche Lehrer aufgestellt, welche den Titel Professor fuhren. Ihre Zahl ist unbestimmt.«219 In den Statuten von 1860 stand noch der Lehrer der Historienmalerei als »erster Professor« in der Wertigkeit über den beiden ihm zuarbeitenden Leitern der Malklassen und dem Professor der Land215
ThHStAW, Hochschule für bildende Kunst Nr. 1-2, fol. 40-53: Statuten der Großherzoglichen Kunstschule wie solche in den Conferenzen des Lehrer-Collegiums vom 19. Dezember vorigen Jahres und 21. Januar dieses Jahres redigirt und festgehalten worden, vorbehaltlich höchster Genehmigung seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs [mit Randvermerken, wohl des Großherzogs]
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Ebd., fol. 41v Ebd., fol. 41v-42r Siehe Anm. 105 Ebd., fol. 41v: Der Textteil »Für die Fächer der Historie, des Genre, der Landschaftsmalerei« ist in der Vorlage durchgestrichen und abgeändert zu »Für die einzelnen Fächer der Malerei«.
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schaftsmalerei.220 Doch auf Pilotys Anregung hin wurden, wie bereits gezeigt, auch die beiden Leiter der Malklassen zu gleichberechtigten Professoren erhoben. Neu an den Statuten von 1874 ist aber das deutliche Bekenntnis zur Gleichberechtigung aller Gattungen: Historie neben Genre und Landschaft.221 Daß man das liberale Profil der Kunstschule ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt hervorzuheben suchte, könnte zum einen damit zusammenhängen, daß man in der Diskussion um die Reform der Berliner Akademie der Künste, die seit dem Jahreswechsel 1873/74 im Gange war, die Weimarer Verhältnisse als vorbildhaft darzustellen bestrebt war.222 1874 veröffentlichte Gustav Floerke, Sekretär der Weimarer Kunstschule, in der Zeitschrift Dte Gegenwart einen Aufsatz, der erstmals ausfuhrlich auf die Besonderheiten des weimarischen Lehrbetriebs einging und vor allem die Abschaffung des Klassenwesens hervorhob, wodurch »die Schule äußerlich fast wie eine Vereinigung von so und soviel Ateliers und Meistern«, »die jeder privatim ihre Schüler ausbildeten«, erscheine.223 Der Artikel schloß mit der Bemerkung, daß es gerade in Hinblick auf die nötigen Reformen der Berliner Akademie gerechtfertigt sei, »der Weimar'schen Kunstschule an dieser hervorragenden Stelle zu Gedenken.«224 An der Berliner Akademie wurde schließlich das Prinzip der gleichberechtigten Meisterateliers, das von München her auch in Weimar Eingang gefunden hatte, eingeführt, wenn auch die Vorbereitungsklassen in der Hand anderer Lehrer verblieben.225
220
ThHStAW, Hochschule für bildende Kunst Nr. 1-2, fol. 3-10: Statuten der Großherzoglichen Kunstschule zu Weimar, 1. October 1860, §§ 3 u. 4; in gedruckter Form: Schorn 1862, §§ 3 u. 4; Preiß/Winkler 1996, Dok. 5, S. 63f. 221 Daß die Genremalerei aufgeführt ist, zeigt, daß diese Gattung eine besondere Wertigkeit im Lehrspektrum eingenommen hatte. In den Statuten von 1860 - Schorn 1862, § 2 bzw. Preiß/Winkler 1996, Dok.5, S. 64 - wurde die Genremalerei noch der Historienmalerei zugeschlagen. Die Weimarer Genremalerei bestimmte in starkem Maße in den 1870er Jahren das Erscheinungsbild der Schule im deutschen Ausstellungsgeschehen (siehe: Kap. III, Abschnitt: Die Weimarer Genremalerei). 222 Zu der 1875 abgeschlossenen Berliner Akademiereform: Ludwig Pallat, Richard Schöne, Generaldirektor der Königlichen Museen zu Berlin. Ein Beitrag zur Geschichte der peußischen Kunstverwaltung 1872-1905, Berlin 1959, S. 53-57, S. 55f. 223 Gustav Floerke, In Kunstangelegenheiten, in: Die Gegenwart Z, 1874, Nr. 36, S. 155-158, S. 157 224 Ebd., S. 158 - Noch im Schulbericht des Sommersemesters 1880 hob die Direktion die Vorbildfunktion der Weimarer Statuten für die Reform der Berliner Akademie hervor (ThHStAW, HMA 3693, fol. 261-265, fol. 263). 225 Pallat 1959, S. 54ff - Das Prinzip der Meisterklasse, nach dem ein Meister parallel zu seinem Professorenamt und meist in räumlicher Nähe zur Akademie ein Atelier zur Ausbildung von
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Des weiteren könnte der Großherzog, der im Februar 1874 begann, seine Bemühungen um die Übernahme der Schule in staatliche Trägerschaft zu intensivieren und der um den Weggang des Direktors Stanislaus von Kalckreuth fiirchten mußte, auf den Erlaß der neuen Statuten gedrängt haben, um die liberalen Grundprinzipien seiner Schule für die Zukunft gesichert zu sehen. Man darf die Bedeutung der Weimarer Statuten von 1874 nicht unterschätzen. Erstmals wurde damit an einer deutschen Kunstschule festgeschrieben, daß der Unterricht in Gips-, Akt- und Malklasse nicht als ein starres, vom jedem Kunstschüler gleichermaßen in einem bestimmten Zeitrahmen zu durchlaufendes Programm aufgefaßt werden sollte, sondern daß die Klassen lediglich Hilfsmittel bezeichnen, die der einzelne Schüler unter Anweisung seines von ihm gewählten Lehrers individuell nutzen sollte. Dagegen sah z.B. das Reglement der Düsseldorfer Kunstakademie, das seit 1831 in Kraft war, vor, daß alle angehenden Künstler nach Absolvierung einer ersten, heranführenden Elementarklasse in einer vieijährigen zweistufigen Grundausbildung, der sogenannten Vorbereitungsklasse, zunächst unter der Betreuung speziell dafür abgestellter Lehrer durch das Kopieren nach der Antike und das Arbeiten vor dem lebenden Modell das zeichnerische Handwerkszeug erlernen sollten, bevor sie in die Malschule und dort in eine der Fachklassen für Historien-, Genre-, Porträt- oder Landschaftsmalerei aufgenommen werden konnten. Erst dorffand nun unter der Anleitung eines einzelnen Professors die Einführung in die Ölmalerei und in das Komponieren komplexer Bilder statt. Erst wenn die Ausbildung in der Malschule als letzte Stufe der Vorbereitungsklasse durchlaufen war, konnte der Schüler in die Meisterklasse oder »Classe der ausübenden Eleven« aufrücken, in der er in einem eigenen Atelier unter lockerer Aufsicht
fortgeschrittenen Privatschülern betrieb, entwickelte sich im 18. Jahrhundert in Frankreich unterJoseph Marie Vien und Jacques-Louis David. In Deutschland unterhielten in den 1820er Jahren Wilhelm von Schadow und Wilhelm Wach solche Ateliers an der Berliner Akademie. Schadow >akademisierte< das Prinzip der Meisterklassen, indem er in den Statuten der Düsseldorfer Akademie von 1831 auf die Vorbereitungsklasse mehrere, von einzelnen Meistern geleitete Fachklassen folgen ließ. Siehe: Nikolaus Pevsner, Die Geschichte der Kunstakademien, (Titel der Originalausgabe: Academiespast andpresent, Cambridge 1940), München 1986, S. 210214, bes. S. 212f. u. Anm. 231. Die Münchner Statuten Friedrich von Gärtners von 1846 griffen auf die in Düsseldorf erprobten Strukturen zurück und gaben ihr in der Festschreibung von vier Meisterschulen eine noch deutlichere Ausprägung. Die Münchner und Düsseldorfer Statuten wirkten schließlich zurück auf Berlin bei der Reform der seit 1790 bestehenden Statuten.
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seines Lehrers weitere fünfJahre an der Akademie arbeiten durfte.226 Jedenfalls konnte die zeichnerische Grundausbildung in Elementar- und Vorbereitungsklasse mehrere Jahre dauern. Friedrich Kallmorgen, der spätere Begründer der Grötzinger Künstlerkolonie bei Karlsruhe, begann 1875 als 19jähriger seine künstlerische Ausbildung an der Düsseldorfer Akademie. Er hat in seinen Lebenserinnerungen angedeutet, wie ihn das mehijährige Zeichnen nach Antiken in seinem Drang zur Landschaftsmalerei behindert hat: »Ich kam in die Elementarklasse zu Professor Andreas Müller, einem kleinen, alten, knurrigen Heiligenmaler. Sein Bruder Karl, auch Heiligenmaler, leitete den Unterricht im Antiken Saal. Die Klasse war wirklich voll besetzt, kaum fand ich Platz und fing wieder das Kopieren an. Köpfe, Hände, Füße, Akte, dann Figuren nach Andrea del Sarto, Holbein, Dürer - Tag für Tag dieselbe Kopiererei, die ich längst konnte. Es saßen Schüler in der Klasse, die schon 2-3 Jahre dasselbe trieben. Das war nicht anregend. Es wurde aufs strengste gewarnt vor dem Olmalen, es solle nur niemand zu Hause den Versuch wagen. [...] Alle diese Lehrer gehörten zur Schule der Nazarener. Ittenbach und Deger waren wohl die besten Vertreter dieser Richtung. In den Malklassen unterrichteten Carl Sohn und Eduard Gebhardt und der Landschafter Eugen Dücker, der damals seine besten Bilder malte, und zu dem ich wollte. [...] Ich wollte ja Landschafter werden, wozu brauchte ich da überhaupt die Antike? Ja, das geht nicht anders, es muß einen geregelten Gang gehen [hieß es von Seiten der Akademie].«227 In Weimar bestimmte der vom Schüler gewählte Professor die Länge des Aufenthalts in Gips- und Aktklasse. Daher durchlief in Weimar der Schüler den Gipssaal meist sehr viel schneller als etwa in Düsseldorf, und bereits im Aktsaal wurde er mit der Ölmalerei vertraut gemacht. Auch bestand eine größere Permea226 Die Statuten der Düsseldofer Kunstakademie: Zweck, Einrichtung und Lehrplan der Akademie, in: Rudolf Wiegmann, Die königliche Kunst-Akademie zu Düsseldorf Ihre Geschichte, Einrichtung und Wirksamkeit, Düsseldorf 1856; wieder abgedruck in: Kat. zur Ausst.: Die Düsseldorfer Malerschule, Kunstmuseum Düsseldorf, 13.5. - 8.7.1979, Mathildenhöhe Dannstadt, 22.7. - 9.9.1979, Düsseldorf 1979, S. 209-214 - Ergänzend: Dieter Westecker, Die Düsseldorfer Kunstakademie im 19. Jahrhundert, in: Das 19. Jahrhundert und die Restaurierung. Beiträge zur Malerei, Maltechnik und Konservierung, hg. v. Heinz Althöfer, München 1987, S. 36-39, S. 38 227 Friedrich Kallmorgen, Leben und Streben. Lebenserinnerungen von Friedrich Kallmorgen 1856-1924. hg. u. geringfügig Überarb. v. Hans Knab und Gisela Nehring, Karlsruhe 1985/86 (unveröffentlichte Maschinenschrift), S. 29; zitiert nach: Irene Eder, Die Zeichnungen von Friedrich Kallmorgen, in: Kat. zur Ausst.: Mit Kallmorgen unterwegs. Zeichnungen und Gemälde von 1880bis 1920, Karlsruhe, Städtische Galerie im Prinz Max Palais, 21.12.1991 - 16.2.1992, Karlsruhe 1992, S. 17-23, S. 17, Anm. 3
Großherzog Carl Alexander und seine Kunstschulgründung
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bilität zwischen den Klassen, da sie von den Schülern parallel genutzt werden konnten. 1880 wurde in der Kunstchronik Kritik an den Weimarer Ausbildungsverhältnissen laut.228 Der Unterricht würde dort, wie an jeder anderen Akademie auch, mit der Antikenklasse unter der Leitung eines einzigen Lehrers beginnen.229 Leider würden die Schüler nicht lange genug in dieser Klasse verbleiben, meist nur ein Jahr. In der dann folgenden Aktklasse würden sie von dem nun frei gewählten Lehrer zu schnell an die Ölmalerei herangeführt, wodurch es den meisten Weimarer Kunstschülern an einer soliden zeichnerischen Grundausbildung fehle.230 Dieser Ansicht trat Franz Arndt, seit 1879 Sekretär der Kunstschule, in einer der folgenden Nummern der Kunstchronik entgegen.231 Die Schüler würden nach § 3 der Statuen nicht in Klassen eingeteilt. Weiter heißt es: »Die als Antikensaal, Malklasse etc. bezeichneten Räume sind nur als zur Ausstellung des erforderlichen [...] Studienmateriales zu betrachten. Jeder Professor hat seine eigene Malklasse, während der Antikensaal zu allgemeinem Gebrauche bestimmt und täglich von früh bis spät geöffnet ist. So zeichnen viele Schüler, die vormittags in der Malklasse nach dem lebenden Modell gemalt oder gezeichnet haben, nachmittags im Antikensaal. Ein fester Kursus besteht für denselben nicht.«232 Des weiteren stellte Arndt als Vorteil der Weimarer Kunstschule heraus, daß der Verbleib im Antikensaal flexibel gestaltet werden könne, je nach den unterschiedlichen Bedürfnissen der Historien-, Genre-, Tier- und Landschaftsmaler. Für viele Maler sei ein zu langer Verbleib im Ankikensaal schädlich: »Die Geschichte der Akademien beweist, wie oft in anderer Richtung höchst begabte Künstler durch die im akademischen Antikensaal gestellten Anforderungen in
228
Schulte vom Brühl, Die bildende Kunst in Weimar, in: Kunstchronik 16, 1880, Nr. 4,4. Nov. 1880, Sp. 48-53; Nr. 5, 11. Nov. 1880, Sp. 70-73 - Bereits Ende Juli 1880 hatte Schulte von Brühl in der Thüringer Post einen ähnlichen Artikel verfaßt. Siehe: ThHStAW, HMA 3693: X.v.Y. [=Schulte vom Brühl ?], Die bildende Kunst in Weimar, in: Thüringer Post, Erfurt, 31. Juli/Anfang August 1880; abgedruckt in: Preiß/Winkler 1996, Dok. 10, S. 71-73
229
Schulte vom Brühl 1880, S. 49 - Schulte vom Brühl bezeichnet Alexander Struys fälschlicherweise als Leiter des Antikensaals. Struys leitete 1879 lediglich während der Sommerferien einen »Sommeractsaal«. Siehe: ThHStAW, HMA 3693, Bl. 183-188: Theodor Hagen u. Franz Arndt, Bericht an den Großherzog Carl Alexander, 30. Mai 1879; abgedruckt in: Preiß/Winkler 1996, Dok. 8, S. 67f., S. 67
230 231
Schulte vom Brühl 1880, Sp. 51f Franz Arndt, Von der Weimarer Kunstschule, in: Kunstchronik 16, 1881, Nr. 14, 13. Jan. 1881, Sp. 225-229; abgedruckt in: Preiß/Winkler 1996, Dok. 11, S. 73-75
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Kapitel I
ihrer Entwicklung aufgehalten worden sind, wenn ihnen nicht gar der Rat gegeben wurde, wegen mangelnden Talents die Künstlerlaufbahn zu verlassen.«233 Erst unter dem Direktorat von Albert Brendel wurde ab dem Wintersemester 1882 das Klassenwesen an der Weimarer Kunstschule wieder eingeführt und 1883 in neuen Statuten festgeschrieben.234 Der neu eingestellte Professor Woldemar Friedrich leitete die Korrektur im Antikensaal. Darüber hinaus hatte er zusammen mit den ebenfalls neu hinzugekommenen Professoren Wilhelm Zimmer und dem Nachfolger von Alexander Struys, Max Thedy, im achttägigen Wechsel die Aufsicht über den Aktsaal inne.235 Die Struktur der Lehre an der Weimarer Kunstschule, wie sie sich nach den Statuten von 1874 darstellt, begünstigte eine weniger der zeichnerischen als der unmittelbaren malerischen Umsetzung verpflichtete Kunstauffassung. Die Verkürzung der Aufenthaltsdauer im Antikensaal, das schnellere Heranfuhren an das Studium des lebenden Modells und die zügigere Gewöhnung an den Umgang mit den Ölfarben unter Anweisung eines selbstgewählten Lehrers kam besonders den Genre- und Landschaftsmalern entgegen, für die ein aufwendigeres Antiken- und Aktstudium entbehrlich war. Landschaft und Genre waren daher auch die beiden Gattungen, die in den 1870er Jahren der Schule Profil gaben.
232 233
Ebd., Sp. 225f. bzw. Preiß/Winkler 1996, Dok. 11, S. 73 Ebd., Sp. 226 bzw. Preiß/Winkler 1996, Dok. 11, S. 73 - Noch 1887 kritisiert Wilhelm Lindenschmit, als ein der Freilichtmalerei aufgeschlossener Historienmaler, der seit 1875 eine Professur an der Münchner Akademie innehatte, energisch das Antikenstudium durch den angehenden Künstler. Der Anfanger verstünde die Erhabenheit und Idealität der Antike noch nicht. Der Blick sollte zunächst an der Natur geschult werden. Das Naturstudium sei die Grundlage der Kunst, wohingegen das Antikenstudium und das Kopieren nach den Alten in eine höhere Ausbildungsstufe gehöre. Siehe: Wilhelm Lindenschmit, Gedanken über Reform der deutschen Kunstschulen, in: KfÄ 2,1. Feb. 1887, S. 129-138, S. 131f.
234
Paul von Bojanowsky, Die Weimarer Kunstschule vom 1. Oktober1860 bis 1. Oktober 1885, Weimar 1885, S. 10 - ThHStAW, Staatliche Hochschule für bildende Kunst Weimar, Nr. 1-2, Auszug aus den Statuten [...], Weimar 1883
235
ThHStAW, HMA 3694, Bl. 174-190: Quartalsbericht von Albert Brendel und Dr. von Bamberg, 1. Okt. - 31. Dez. 1882; abgedruckt in: Preiß/Winkler 1996, Dok. 13, S. 76-78, S. 76
Kapiteln
DIE A N F Ä N G E DER WEIMARER
MALERSCHULE
Die Anfange der Weimarer Malerschule liegen in den 1870er Jahren. Unterschiedliche Faktoren haben zu ihrer Entstehung beigetragen. Im ersten Abschnitt werden sie zur Sprache kommen, im Rahmen einer genaueren Bestimmung des Begriffs Weimarer Malerschule. Phasen und Zäsuren der Entwicklung der Malerschule, die Besonderheiten ihrer Bildästhetik und Fragen der Zugehörigkeit einzelner Künstler werden zu klären sein. Auch der zweite Abschnitt dieses Kapitels dient der Erläuterung eines wichtigen, im Zusammenhang mit der Weimarer Malerschule immer wieder auftauchenden Begriffs, den der Pleinairmalerei. Aus zahlreichen Hinweisen auf den Werkprozeß der Weimarer Maler wird ersichtlich, daß bei ihnen die unterschiedlichsten Arbeitstechniken und Formen der Werkgenese üblich waren, die sich nicht allein dadurch charakterisieren lassen, daß verstärkt im Freien studiert wurde. Schichtweiser Farbauftrag, gedämpfte Buntfarbigkeit und generelle Wahrung der innerbildlichen Geschlossenheit gehören ebenso zu den Kennzeichen der Weimarer Pleinairmalerei wie das Bekenntnis zum Arbeiten unter natürlichen Lichtbedingungen. Grundsätzliche Erwägungen bringt auch der dritte Abschnitt, der das Verhältnis der Weimarer Malerschule zur Kunst der Schule von Barbizon beleuchtet. Die von dorther empfangenen Anregungen waren zahlreich und vielfaltig, hielten über einen langen Zeitraum an. Von ihnen ging jedoch, so wird zu zeigen sein, eine gänzlich andere Wirkung auf die Entwicklung der Weimarer Malerschule aus als von dem 1889 mit einem Schlag bekanntwerdenden französischen Impressionismus. Der letzte Abschnitt widmet sich schließlich der Geschichte des Weimarer Radiervereins. 1877 gegründet, ist er Symptom der Ende des Jahrzehnts erreichten produktiven und von Gemeinschaftssinn getragenen Arbeitsatmosphäre, die unter den Weimarer Künstlern vorherrschte. Die Konstituierung des Radiervereins gehört, wie schon der Erlaß der neuen Kunstschulstatuten 1874, zu jenen Vorgängen, mit denen der Zeitrahmen abgesteckt wird, in dem die Weimarer Malerschule entsteht, ohne daß man ihre Herausbildung auf ein einziges Initialereignis zurückfuhren könnte.
66
Kapitel II
DIE WEIMARER MALERSCHULE: EINE BEGRIFFSBESTIMMUNG
Der Begriff Weimarer Malerschule ist erst Anfang der 1930er Jahre durch Walther Scheidig in die kunstgeschichtliche Forschung eingeführt worden.1 Letztlich aber ist er historisch vorgeprägt: Schon zu Beginn der 1880er Jahre sprach ein Kritiker von den Weimarer Landschaftsmalern unter Theodor Hagens Führung als der »weimarischen Schule«.2 Die Weimarer Malerschule ist als eine lokale Landschafterschule anzusehen, die sich im Verlauf der 1870er Jahre an der bereits seit 1860 in Weimar bestehenden Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule herausbildete. Ihre Entwicklung vollzog sich in zwei deutlich unterscheidbaren Phasen: einer ersten pleinairistischen Phase, die von der Mitte der 1870er bis zum Ende der 1880er Jahre reichte, und einer sich daran anschließenden impressionistischen Phase, deren Beginn in die Jahre 1889/90 fiel, und die bis über die Jahrhundertwende hinaus andauerte. Im Verlauf der 1870er und frühen 1880er Jahre bildete ein kleiner Kreis von Weimarer Landschaftern jene für den ersten Entwicklungsabschnitt als spezifisch weimarisch zu erachtende Bildästhetik aus: merkliche Reduktion der motivischen Komplexität und deutliche Beschränkung der Farbskala auf eine graue Gesamttonigkeit. Die Hinwendung zum schlichten heimatlichen Motiv und zum konsequenten Freilichtstudium, spätestens in den 1880er Jahren eine allgemeine Tendenz in der Landschaftsmalerei, vollzog die Weimarer Malerschule schon früh und mit besonderer Radikalität, was bereits von den Zeitgenossen beobachtet wurde.3 AufVielfalt und Abwechslungsreichtum der Bildelemente wird zugunsten der Konzentration auf die Erfassung eines einzigen, unspektakulären Landschaftsmotivs - sei es ein Waldrand, ein Steinbruch oder eine Ackerfläche - verzichtet. Eine kontrastreiche koloristische Durchführung ist vermieden; lediglich aus einem schmalen Spektrum an Grau-, Blau- und Brauntönen werden die Bilder aufgebaut. Atmosphärische Situationen, die besondere Beleuch-
1
Walther Scheidig, Die Weimarer Malerschule im 19. Jahrhundert; in: Thüringer Fähnlein 3, 1934, S. 130ff.
2
Walter Schulte vom Brühl, Neue Veränderungen an der weimarischen Kunstschule, in: Kunstchronik 16,1881, Nr. 38, 7. Juli 1881, Sp. 609-611, Sp. 610f. Siehe Kap. III, Abschnitt: Die Weimarer Landschaftsmalerei
3
Die Anfinge der Weimarer Malerschule
67
tungseffekte bedingen würden, kommen selten vor; dem diffusen grauen Licht eines verhangenen Herbst- und Regentages ist der Vorzug gegeben. Ich möchte zwischen einem engeren und einem weiteren Kreis von Künstlern unterscheiden, die zur Weimarer Malerschule zu rechnen sind. Zu ersterem gehören in der pleinairistischen Entwicklungsphase der Malerschule nur jene wenigen Maler, die, wie Karl Buchholz, Eduard Weichberger, Ludwig von Gleichen-Russwurm, Paul Baum und Christian Rohlfs, in der Mehrzahl ihrer Werke die obigen Kriterien vollends erfüllen. Darum herum gruppiert sich eine größere Anzahl von Künstlern, die die pleinairistischen Tendenzen der Malerschule mit getragen und gefördert, deren reduktive Bildsprache aber nur in einzelnen Fallen und meist in moderaterer Form aufgenommen haben. Hierher gehören zum einen wichtige Lehrerpersönlichkeiten wie Theodor Hagen, Albert Brendel, Max Thedy und Leopold von Kalckreuth, zum anderen auch solche Maler, die nach Abschluß ihrer künstlerischen Ausbildung in Weimar ansässig geworden sind, wie Paul Tubbecke, Max Merker, Konrad Ahrendts oder Mathilde von Freytag-Loringhoven. Auch die vielen Künstler, die nur für eine gewisse Zeit die Weimarer Kunstschule durchliefen und dabei mit den Anschauungen der Weimarer Malerschule in Berührung kamen, dann aber vorrangig in ihrer Heimat arbeiteten, wie etwa Hans Peter Feddersen, Franz Bunke, Carl Malchin, Carl Rettich, Paul Crodel, Gustav Koken, Peter Paul Müller oder Thomas Herbst, sind dem weiteren Umkreis der Weimarer Malerschule zuzurechnen. Es ist wichtig, sich in bezug auf die Frage der Zugehörigkeit einzelner Maler zum engen oder weiteren Kreis der Malerschule, auf die ich noch an verschiedenen Stellen zurückkommen werde, zu vergegenwärtigen, daß sich im Laufe der Zeit Verschiebungen ergeben konnten. So gehörte etwa Theodor Hagen, auf den gleich näher eingegangen werden wird, zunächst nicht zu den Protagonisten der Weimarer Malerschule - so wichtig er für deren Herausbildung war. Erst in den 1890er Jahren schließt er sich mit seiner neuen impressionistischen Malweise dem engen Kreis der Malerschule an. Eduard Weichberger dagegen zählte in den 1870er und '80er Jahren noch zur Kerntruppe der Malerschule, entfernte sich allerdings von dieser, als er im folgenden Jahrzehnt nur äußerst zögerlich impressionistischen Tendenzen in seinem Werk Raum gab. Eine neue Phase in der Entwicklung der Kunst der Weimarer Malerschule setzte ein, als Anfang des Jahres 1889 Werke von Claude Monet in Weimar vorgestellt und 1890/91 weitere Arbeiten französischer Impressionisten dort gezeigt wurden. In unmittelbarer Reaktion auf die gesehenen Bilder vollzogen Christian Rohlfs und Ludwig von Gleichen-Russwurm seit dem Sommer 1889 den Uber-
68
Kapitel II
gang zu einer impressionistisch zu nennenden Malweise. Zu diesem Zeitpunkt war Karl Buchholz schon tot; er hatte Ende Mai 1889 Selbstmord begangen. Paul Baum war bereits 1887 aus Weimar weggegangen, kam jedoch 1890 bei einem Studienaufenthalt in Frankreich und Belgien zu ganz ähnlichen Bildfindungen wie seine ehemaligen Weimarer Kollegen, so daß er für diese Jahre noch als Vertreter der Weimarer Malerschule angesehen werden darf. Theodor Hagen rückte nun in den engeren Kreis der Weimarer Malerschule auf. Hagen überwandt seine noch in den 1870er und '80er Jahren gehegte Vorliebe für erhabene Alpenlandschaften aus Tirol und pittoreske Stadtansichten aus der Rhein- und Lahngegend; nun begann auch er, einfachste thüringische Hügelzüge, eine Reihe Fichtenstämme oder eine lehmige Kahlschlagfläche für bildwürdig zur erachten. Die braune Gesamttonigkeit und die kräftigen, nicht selten altmeisterlich wirkenden Helldunkelkontraste wichen einer aufgehellten, durchlichteten, an Pastelltöne erinnernden Farbigkeit. Die Auseinandersetzung mit dem französischen Impressionismus bewirkte zum einen, daß die Protagonisten der Weimarer Malerschule anfingen, mit hellen, ungedämpften Buntfarben zu malen, einen dynamischen, meist fleckigen oder strichelnden Farbauftrag zu entwickeln und sich verstärkt für Lichtphänomene zu interessieren. Darüber hinaus kam es zu einer gesteigerten Entfaltung jener schon seit den 1870er Jahren entwickelten reduktiven Tendenzen als hätten die gezeigten französischen Arbeiten als Katalysator gewirkt. Der ausschnitthafte und fragmentarische Charakter der Darstellungen, auch der auf Weitsichtigkeit hin angelegten Landschaften, wird deutlich betont. Auf bildliche Geschlossenheit und Ausgewogenheit der Bildhälften wird weitgehend verzichtet. Extreme Nahsicht und gesteigerte Weitsicht werden zu üblichen Darstellungsformen. Die ausschnitthafte Wirklichkeitserfahrung des Menschen fand zunehmend Eingang in die Gestaltung des gemalten Bildes. In den 1870er und '80er Jahren war die Weimarer Malerschule auf der Höhe der Zeit; nun, zu Beginn der 1890er Jahre, war sie ihr ein Stück voraus: Zum ersten Mal im Umfeld einer deutschen Kunstschule wurde von einer Gruppe von Malern eine impressionistische Landschaftsmalerei entwickelt, die das Bild grundsätzlich nicht mehr als Umsetzung einer vorgefaßten kompositorischen Ordnung sondern als Wiedergabe eines vorgefundenen Wirklichkeitsausschnitts in seiner momentanen Erscheinung verstand. In Weimar waren seit beinah zwei Jahrzehnten die Landschaftsmaler bemüht gewesen, sich einen unvoreingenommenen Blick auf die Natur zu erarbeiten und alle bildliche Wirkung mit dem Einsatz sparsamster künstlerischer Mittel zu erzielen. Dies machte sie empfang-
Die Anfange der Weimarer Malerschule
69
lieh für die aus damaliger Sicht extreme Hellfarbigkeit, Fleckigkeit und Ausschnitthaftigkeit der Bilder der französischen Impressionisten. Nun offenbarte die Weimarer Malerschule ihr erstaunliches Entwicklungspotential: Die schon nicht mehr ganz jungen Künstler Christian Rohlfs, Ludwig von Gleichen-Russwurm und Theodor Hagen vermochten nicht nur das Neuartige in den Werken ihrer französischen Kollegen zu erkennen, sondern daraus auch die Kraft für eine nochmalige Erweiterung ihrer eigenen Bildsprache zu schöpfen. Die Ausbildung eines impressionistischen Malstils blieb allerdings weitgehend auf diese Protagonisten der Weimarer Malerschule beschränkt. Nur einzelne Maler wie Berthold Paul Förster oderJ. W.Jürgens folgten ihrem Vorbild. Die zum weiteren Umfeld der Weimarer Malerschule zu rechnenden Künstler öffneten sich nur bedingt hellmalerischen Tendenzen und beschränkten sich auf eine moderate Weiterentwicklung der in den 1880er Jahren erreichten Positionen. Paul Tübbecke, Eduard Weichberger, aber auch jüngere Künstler wie Max Asperger und Paul Riess wären hier zu nennen. Andere wie Franz Bunke oder Peter Paul Draewing nahmen Einflüsse des Jugendstils auf. Diese Konstellation bedingte, daß nach der Jahrhundertwende die nur leicht modifizierten künstlerischen Prinzipien der Weimarer Malerschule aus den 1880er Jahren für eine Vielzahl von Weimarer Malern bis lange ins 20. Jahrhundert hinein Tradition blieben, während das innovatorische Potential des Weimarer Impressionismus zu schwinden begann, als Christian Rohlfs 1901 Weimar verließ, um nach Hagen in Westfalen überzusiedeln, Ludwig von Gleichen-Russwurm im gleichen Jahr verstarb und nur noch Theodor Hagen übrig blieb, den Impressionismus Weimarer Prägung zu einer letzten Blüte zu verhelfen. Nach dieser Klärung des Entwicklungsgangs der Weimarer Malerschule im allgemeinen, soll nun auf einige Einzelaspekte desselben näher eingegangen werden. Es wurde gesagt, die Weimarer Malerschule habe sich im Verlauf der 1870er Jahre herausgebildet. Eine genaue >Geburtsstunde< ihres Entstehens läßt sich allerdings nicht angeben; vielmehr müssen einzelne, zeitlich disparate Ereignisse als Indizien ihrer Genese gedeutet werden: der Erlaß neuer Statuten der Kunstschule 1874, die Berufung von Theodor Hagen und Albert Brendel 1871 bzw. 1875, Hagens Übernahme des Direktorats 1876, die Gründung des Weimarer Radiervereins 1877. 1874 wurden an der Kunstschule neue Statuten erlassen, die, wie bereits im vorhergehenden Kapitel erläutert, endgültig die Abschaffung des Klassensystems und der hierarchischen Abstufung der Lehrfacher festschrieben. Bedenkt
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Kapitel II
man, daß an der Münchner Akademie bis zu Beginn der 1890er Jahre kein Lehrstuhl für Landschaftsmalerei bestand und die dortigen, an diesem Fach interessierten Maler von vornherein aus dem akademischen Lehrbetrieb ausgegrenzt waren, dann erhellt daraus die Fortschrittlichkeit der Weimarer Kunstschule. Hier wurde den Landschaftern eine im Vergleich mit den Historienmalern gleichwertige und -rangige Ausbildung zugestanden.4 Gustav Floerke konnte bereits 1879 konstatieren, daß an der Weimarer Kunstschule, im Unterschied zu anderen Akademien, durch die liberalen Statuten und die aufgeschlossenen, recht häufig wechselnden Lehrer »Streben und Fortschritt« der jüngeren Künstlerschaft nicht behindert, sondern gefördert würden.5 Die Malerschule entwickelte sich also nicht in Opposition, sondern in Anlehnung an die Institution Kunstschule. Die Protagonisten der Weimarer Malerschule blieben, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in Weimar ansässig und nutzten die dortigen Lern- und Ausstellungsmöglichkeiten, während sich etwa der Leibi-Kreis in München bewußt vom Lehrbetrieb der dortigen Kunstakademie abzusetzen suchte und das städtische Ausstellungswesen mied, oder, um ein zweites Beispiel zu nennen, sich die Mehrheit der Gründungsmitglieder der Worpsweder Künstlerkolonie aus Verdruß über die wirklichkeitsferne Ausbildung an der Düsseldorfer Akademie in die ländliche Einsamkeit des Teufelsmoors bei Bremen zurückzog.6 Zu dieser engen Verschränkung von Maler- und Kunstschule gehört auch, daß einige der einflußreichsten Lehrer der Kunstschule zum weiteren Umkreis der 4 5
Zu den Verhältnissen an der Münchner Akademie siehe Kap. III, Anm. 188 u. 189 Gustav Floerke, Die internationale Kunstausstellung in München 1879 (VII), in: Die Gegenwart 8, 1879, Nr. 42, S. 252-254, bes. S. 252: »In Weimar haben wir die merkwürdige Erscheinung, daß eine Akademie einmal nicht das retardierende Moment in den Bestrebungen einer Künstlerschaft bildet. Nicht die jüngeren losgetrennten Elemente haben hier Streben und Fortschritt für sich in Anspruch zu nehmen, sondern der umgekehrte Fall liegt vor: es ist viel eher die Künstlerschaft, gegen deren hier wie überall existierenden Hang zum Einphilistern die Kunstschule unermüdlich aggressiv vorgeht.« - Richard Muther sollte 1894 in seiner Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert Floerkes Feststellung übernehmen, allerdings ohne deren Urheber zu nennen: »Weimar überrascht durch die merkwürdige Erscheinung, daß eine Akademie einmal nicht das retardirende Moment in den Bestrebungen einer Künstlerschaft bildet.« Siehe: Richard Muther, Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert, Bde. I u. II, München 1893, Bd. III, München 1894, hier Bd. III, S. 429
6
Zu Leibi und seinem Kreis: Eberhard Ruhmer, Der Leibi-Kreis und die Reine Malerei, Rosenheim 1984, S. 9f. - Zu Worspwede: Michael Jacobs, Die Künstlerkolonie Worpswede im internationalen Zusammenhang, in: Worpswede. 1889-1989. Hundert Jahre Künstlerkolonie, hg. vom Landkreis Osterholz, o.O. [Lilienthal] 1989, S. 10-23, S. llf.
Die Anfange der Weimarer Malerschule
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Malerschule zu rechnen sind: Theodor Hagen, Albert Brendel, Max Thedy und Leopold von Kalckreuth, wobei ersterer ab den 1890er Jahren sogar in den inneren Kreis der Malerschule aufrückte. Vor allem die Berufung Hagens 1871 hat die Herausbildung der Malerschule gefördert. Hagen, der 1876-81 Direktor der Kunstschule war und bis zu seinem Tode 1919 in Weimar unterrichtete, brachte ein Element der Stabilität an die Schule, deren Personalentwicklung auch im Landschaftsfach durch eine starke Fluktuation der Lehrkräfte gekennzeichnet war. Dies mag ein kurzer Rückblick auf die Amtsvorgänger Hagens deutlich machen. Arnold Böcklin hatte 1860-62 als erster die Professur für Landschaftsmalerei an der Weimarer Kunstschule innegehabt. Doch für die Herausbildung einer das schlichte und unspektakuläre Motiv in den Mittelpunkt stellenden Landschaftsmalerei wird er wenig beigetragen haben, da ihn die Landschaft um Weimar nicht im geringsten inspirierte, wie seine Frau überliefert.7 Dafür hat Franz Lenbach, der zur selben Zeit wie Böcklin an der Weimarer Kunstschule unterrichtete, aber ursprünglich als Hilfslehrer im Historienfach eingestellt worden war, seine Studenten zu Freilichtstudien angehalten, wie er sie selbst in den Jahren zuvor in seinem HeimatdorfAresing bei München betrieben hatte.8 Doch blieb Lenbach, der bereits im März 1862 seinen Lehrauftrag an der Kunstschule auslaufen ließ, viel zu kurz in Weimar, um einen bleibenden Eindruck bei seinen Schülern hinterlassen zu können. Wichtiger war schon der Einfluß des Düsseldorfers Alexander Michelis, der 1863-68 die Weimarer Landschafterklasse leitete. Er war der erste Lehrer von Karl Buchholz; auch Eduard Weichberger, der zuvor bei Böcklin eingeschrieben gewesen war, wird erst durch ihn ins Landschaftsfach eingeführt worden sein. Es haben sich nur wenige Werke von Michelis erhalten, doch scheint es, daß er bei seinen Skizzen bereits eine offene, ausschnitthafte Anlage wagte, während er sich bei seinen Ausstellungsbildern noch an den Bildkonventionen der niederländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahr-
7
Böcklin 1910, S. 93: »Die weimarische Landschaft, so schön und groß sie auch war, zog meinen Gatten gar nicht an. Er hatte daher auch während der zwei Jahre nicht eine einzige Studie draußen in der Natur gemacht.«
8
Kat. Ausst. München 1986, S. 29 - Nach Aussage der Bilderkartei der Kunstsammlungen zu Weimar wurden im Sommersemester 1862 für die Großherzogliche Kunstschule als Anschauungsmaterial für die Schüler 15 Skizzen und Studien von Lenbach und Hofner, einem mir nicht weiter bekannten Maler, angekauft. Mehrere dieser Skizzen Lenbachs befinden sich noch heute in den Kunstsammlungen (Inv.-Nr.: G 585 a-g).
72
Kapitel n
hunderts orientierte.9 Michelis machte das Freilichtstudium im Weimarer Umland und in der Rhön zum festen Bestandteil der Ausbildung der Weimarer Landschaftsmaler. Allerdings ist der Ansicht Scheidigs zu widersprechen, Michelis habe die Rhön als Studienort für die Weimarer Landschaftsmaler entdeckt.10 Bereits im September 1859 hatte dort Ferdinand Graf Harrach, zusammen mit seinen Weimarer Künstlerfreunden Carl von Schlicht, Carl Hummel und Friedrich Preller dj., intensive Landschaftsstudien betrieben und, wie sich der Graf ausdrückte, eine »Farbencampagne« abgehalten.11 Der Berliner Max Schmidt, der 1868 die Nachfolge von Michelis antrat und bis 1871 an der Kunstschule unterrichtete, bevor er an die Königsberger Akademie überwechselte, war zuvor durch den Orient gereist und hatte sich schließlich Italien als bevorzugtes Studienziel gewählt. Seine von Michelis übernommenen Schüler, unter anderen Karl Buchholz und Eduard Weichberger, werden daher vor allem von seiner soliden, wenn auch gänzlich konventionellen, Maltechnik profitiert haben, wie sie Max Schmidt in seinem immer wieder aufgelegten Traktat über die Technik der Aquarellmalerei theoretisch dargelegt hat.12 Theodor Hagen, der schließlich 1871 an die Kunstschule berufen wurde, blieb zwar selbst zunächst seiner Düsseldorfer Schulung treu und suchte in der Natur noch bevorzugt den geschichtlich bedeutsamen Ort, den pittoresken Winkel oder die erhabene Aussicht als Bildvorwurf. Doch scheint er verstärkt seine sehr rasch anwachsende Schülerschar - zur der unter anderen Karl Buchholz, Ludwig von Gleichen-Russwurm und Paul Baum, aber auch Hans Peter Feddersen, Paul Tübbecke, Carl Malchin, Gustav Koken, Peter Paul Müller, Franz HoffmannFallersleben und Franz Bunke gehörten - zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit dem landschaftlichen Umfeld Weimars ermuntert zu haben. In welchem Maße das heimatliche Motiv unter Hagens Lehrtätigkeit an der Kunstschule zur Geltung kam, wird aus einer Äußerung des Landschaftsmalers Eugen Bracht deutlich. Bracht, der 1874 vor der Wahl eines neuen Studienortes stand, schrieb an seine Frau, sein Augenmerk sei auf Weimar gefallen, »[...] weil mir der Ort 9 Man vergleiche etwa seine Ölstudie Rhönlandschaft, um 1865, mit seinem Gemälde Sonnenuntergang im Winterwald von 1863, beide KuSa Weimar (Abb. in Scheidig 1991, S. 94 bzw. 61). 10 Scheidig 1991, S. 48 11 Wichard GrafHarrach, Ferdinand Graf Harrach. Maler und Kavalier, Dülmen 1992, S. 39f. 12 Max Schmidt, Bemerkungen über die Technik der Aquarell-Malerei in ihrer Anwendung aufdie Landschafts-Malerei, Berlin 1865,4. Aufl. Berlin 1879; siehe dazu die Besprechung in: Kunstchronik 14, 1879, Nr. 44,2. Okt. 1879, S. 751f. - Zu Schmidt siehe: Irmgard Wirth, Berliner Malerei im 19. Jahrhundert. Von der Zeit Friedrichs des Großen bis zum Ersten Weltkrieg, Berlin 1990, S. 411^414
Die Anfinge der Weimarer Malerschule
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an sich, seine Lage in Deutschland und die frische Richtung seiner Landschaftsmalerei zusagte - es wird verhältnismäßig am meisten deutsche Landschaft da gemacht. Zudem wäre ich eines guten Empfanges seitens des jungen Hagen Prof. der Landschaft [...] ziemlich sicher.«13 Aus zahlreichen in seinem Nachlaß erhaltenen Baumstudien aus den 1870er Jahren läßt sich ersehen, daß Hagen intensiv im Weimarer Umland gearbeitet hat, ohne aber diesem Motivkreis in seinen Ölgemälden bereits breitere Beachtung zu schenken.14 Es wäre sogar denkbar, daß Hagen es war, der seinen Meisterschüler Karl Buchholz auf das Webicht, jenes Waldstück nach Tiefurt zu, als mögliches Arbeitsgebiet aufmerksam machte. Dort malte dieser 1874 seine erste nachweisbare Waldrandstudie und erschloß sich damit jenes für die Entwicklung der Weimarer Malerschule so wichtige Motiv (Farbtf. 2).15 Man könnte versucht sein, die Weimarer Malerschule mit Hagens Schülerschaft gleichzusetzen, oder, statt von der Weimarer Malerschule, von der »Hagen-Schule« zu sprechen, wie es etwa an der Münchner Akademie üblich war, die Schülerschaft eines Professors nach dessen Namen zu benennen.16 Dies wäre allerdings falsch, denn Hagens Erfolg als Lehrer scheint gerade darauf beruht zu haben, daß er seinen Schülern nicht seine eigene Kunstauffassung vorschrieb, sondern sie zur Entfaltung ihrer eigenen Anlagen ermutigte. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht, daß sich im Nachlaß Theodor Hagens keine Hinweise dafür gefunden haben, daß er etwa zusammen mit Schülern in Tirol oder im Rheinland und in Westfalen gearbeitet hätte; in seine bevorzugten Studiengebiete ist er stets allein aufgebrochen.17 Dagegen arbeiteten seine Schüler, wohl auf sein Anraten hin, in den Sommermonaten jeweils in ihrem eigenen heimatlichen Umfeld.18 Hagen war keine künstlerische Leitfigur, wie etwa Wilhelm 13 Manfred Großkinsky, Eugen Bracht (1842-1921). Landschaftsmaler im wilhelminischen Kaiserreich, Kat. zur Ausst., Mathildenhöhe Darmstadt, 20.9.-15.11.1992, Darmstadt 1992, S. 25, Anm. 63: Nachlaß Bracht i, C-7: Brief an seine Frau Maria vom 7.9.1874. - Bracht entschloß sich schließlich, nach Karlsruhe zu gehen, vor allem aus Rücksicht auf den schlechten Gesundheitszustand seiner Frau und der im Badischen ansässigen Verwandtschaft. 14 15 16 17
Siehe Anm. 161 Zu Buchholz' erster Waldrandstudie siehe Kap. I, Anm. 213 Siehe Kap. I, Anm. 107 GSA Weimar/Nachlaß Theodor Hagen: Insgesamt elf Briefe Hagens an seine Frau, geschrieben in den Jahren 1875 und 1881 aus Trafoi in Südtirol, haben sich erhalten, ebenso eine 1886 in Limburg a. d. Lahn verfaßte Karte, aus denen ablesbar ist, daß Hagen während seiner Studienreisen ein Einzelgänger blieb.
18 Nur zwei Beispiele seien angeführt: Der aus Holstein stammende Hans Peter Feddersen, der 1871
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Leibi innerhalb des nach ihm benannten Kreises. Karl Buchholz und Ludwig von Gleichen-Russwurm entwickelten sich im Verlauf der 1870er Jahre rasch zu eigenständigen Künstlerpersönlichkeiten. Vor allem Karl Buchholz scheint mindestens ebenso anregend auf sein künstlerisches Umfeld gewirkt zu haben wie Theodor Hagen.19 Paul Baum gestand später offen ein, daß ihm Buchholz den Weg gewiesen habe, obwohl sich der menschlich schwierige Karl Buchholz, nach anfanglicher freundschaftlicher Zuneigung, recht bald von ihm distanziert hatte.20 Franz Hoffmann-Fallersleben, seit 1875 mit Buchholz befreundet, arbeitete gemeinsam mit diesem im Freien.21 Unmittelbar von Buchholz beeinflußt wurde Ludwig von Gleichen-Russwurm. Mehrere seiner Werke sowohl der 1870er als auch der 1880er Jahre stehen denen von Buchholz so nahe, daß ein gemeinschaftliches Arbeiten vor demselben Motiv angenommen werden muß.22 Gleichen-Russwurm war es auch, der Buchholz seine einzige Privatschülerin, Mathilde von Freytag-Loringhoven, vermittelte.23 Noch Ende der 1880er Jahre scheint Buchholz Christian Rohlfs auf das Webicht aufmerksam gemacht zu haben. Die vielen, erstmals 1888 in Rohlfs' Œuvre auftretenden Webichtbilder und Darstellungen des sogenannten Wilden Grabens wären ohne Buchholz als Vorbild nicht denkbar gewesen.24 Auch weniger begabte Künstler wie Emil ZschimTheodor Hagen bei dessen Übersiedlung von Düsseldorf nach Weimar gefolgt war, arbeitete 1872 auf Sylt (Martius/Stubbe 1966, S. 21). Der Mecklenburger Franz Bunke lud 1882 und 1883 seinen Weimarer Ateliergenossen, den Sachsen Paul Baum, zu gemeinsamen Studienaufthalten in Schwaan bei Rostock ein, wo sie bei den Eltern Bunkes wohnten (Hitzeroth 1988, S. 366f.). 19 Siehe dazu: Hendrik Ziegler, "Dem anscheinend Reizarmen seine Reize abzulauschen..."
Karl Buch-
holz und die Kunst der Weimarer Malerschule, in: Kat. Ausst. Lübeck/Erfurt 2000, S. 24-37, S. 25-29 20 Hitzeroth 1988, S. 370f. 21 Karl Buchholz. Persönliche Erinnerungen von Franz Hoffmann-Fallersleben, in: Der Türmer 11, 1908/09, Bd. 1, H. 4, Jan. 1909, S. 573-578, S. 575; wieder abgedruckt in: Kat. Ausst. L ü b e c k / E r furt 2000, S. 150-153, S. 151 22
Siehe Gleichen-Russwurms Arbeiten in der Städtischen Galerie Würzburg: Waldstraße mit Bäuerinnen im Vorfrühling, 1875, Inv.-Nr.: E 3413 - Weiden im Februar, unbez., Inv.-Nr.: E 2762 - Herbstwald bei Bonnland, 1885; Ziegler 2000/1, Abb. 7 u. S. 26
23
Karl Lindemann, Karl Buchholz. Leben und Werk, unveröffentl. M S 1946, KuSa Weimar [maschinenschr. Zusammenfassung seiner im zweiten Weltkrieg verschollenen Phil. Diss. Breslau 1941], S. 13
24
Siehe vor allem die folgenden, 1888 entstandenen Bilder: Der Wilde Graben bei Weimar im Spätherbst, Vogt 1978, Nr. 74; Kat. Ausst. München 1996/1, Nr. 8 - Im Wilden Graben bei Weimar, Vogt 1978, Nr. 73 - Waldweg im Winter, Vogt 1978, Nr. 75 - Im Webicht bei Weimar, Vogt 1978, Nr. 89; Kat. Mus. Erfurt 1961, Nr. 225; Ziegler 2000/1, Abb. 8 u. S. 26
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mer versuchten, den von Buchholz vorgegebenen Typus des Waldrandbildes aufzugreifen, glitten dabei aber bedenklich ins Süßliche ab.25 Die Weimarer Malerschule entwickelte sich also aus einem engen Geflecht freundschaftlicher und künstlerischer Austauschbeziehungen, das sich sowohl zwischen den zum engeren Kreis der Weimarer Malerschule gehörenden Künstlern als auch den zu ihrem Umfeld zu rechnenden Malern ausgebildet hatte. Innerhalb der Weimarer Malerschule dominierte keine Einzelpersönlichkeit. Auch kam es zu keiner Formulierung eines Programms oder der Verkündung einer bestimmten Lehrdoktrin.26 Gerade diese Offenheit und Undogmatik machte schließlich die Protagonisten der Weimarer Malerschule empfanglich für die Errungenschaften des französischen Impressionismus. Von integrativer Wirkung für die Weimarer Malerschule, in der breitesten Bedeutung des Begriffs, wird die Liebe zur Landschaft um Weimar gewesen sein. Allerdings schließt das nicht aus, daß mehrere zur Weimarer Malerschule zu rechnende Künstler auch in anderen Landstrichen, die meist dem Weimarer Umland topographisch ähnlich sehen, Bilder malten, die zu Recht als >weimarisch< anzusehen sind. Das betrifft nicht zuletzt auch Ludwig von Gleichen-Russwurm, der in Weimar seinen Wohnsitz hatte, aber im Alter zunehmend in der Umgegend seines Landsitzes Bonnland bei Würzburg arbeitete und malte. Doch resultierten die dort entstandenen Arbeiten aus den in Weimar empfangenen Anregungen. Man wird also sagen dürfen, daß ein Künstler immer dann zur Weimarer Malerschule zu rechnen ist, wenn er in Weimar seinen wichtigsten künstlerischen Bezugspunkt sah, selbst wenn er dort nicht immer weilte. Die kooperative Grundhaltung, die sich Ende der 1870er Jahre unter den Weimarer Malern, auch über die engen Grenzen der Weimarer Malerschule hin-
25 Siehe: Auf dem Schnepfenstand (Waldlanndschaft), 1886; Ziegler 2000/1, Abb. 10 u. S. 29 26 Von den Weimarer Malern haben sich nur wenige schriftliche Zeugnisse erhalten: einige Tagebücher von Paul Baum (Hitzeroth 1988, S. 30-33), einzelne Briefe und Schriftstücke von Christian Rohlfs (Kat. Ausst. München 1996/1, S. 264-285), ein paar Konvolute an Briefen von Leopold von Kalckreuth (BSB München, Handschriften- und Inkunabelabteilung, Kalckreuthiana II) sowie Briefe und Dokumente aus dem Nachlaß Theodor Hagens (GSA u. GNM Weimar). Insgesamt scheinen die Weimarer Maler so gut wie gar nicht dazu geneigt zu haben, sich explizit über ihre Kunstanschauungen zu äußern. Außer Hinweisen zum Werkprozeß, habe ich nirgends Ausfuhrungen finden können, die auf eine vertiefte und anhaltende Kunstreflexion hindeuten.
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aus, herausgebildet hatte, manifestierte sich in der gemeinschaftlichen Gründung eines Radiervereins 1877. Mit diesem Verein - einer der ersten seiner Art in Deutschland - war eine Plattform geschaffen, die die synergetischen Effekte innerhalb der Weimarer Künstlerschaft ungemein gefördert hat, was wiederum wesentlich dazu beitrug, daß die künstlerischen Prinzipien der Weimarer Malerschule, wenn auch in verwässerter Form, bis ins 20. Jahrhundert hinein bei einer Vielzahl von Weimarer Malern lebendig blieben. Neben dem Erlaß neuer Schulstatuten im Jahre 1874, ist mit der Bildung des Radiervereins 1877 ein weiterer Fixpunkt innerhalb der >Geburtsphase< der Weimarer Malerschule, die sich über die 1870er Jahre erstreckt, gegeben. Noch ein wichtiger Punkt obiger Begriffsbestimmung bleibt zu klären: ob die Weimarer Malerschule tatsächlich allein als Landschafterschule anzusehen sei bzw. inwieweit nicht auch die Weimarer Genremaler ihr zugehören. Nachdem mit dem Weggang der aus Belgien stammenden Professoren Ferdinand Pauwels und Charles Verlat 1872/73 die Historienmalerei an der Kunstschule immer bedeutungsloser geworden war, gewann das Genrefach im Verlauf der 1870er Jahren zunehmend an Bedeutung.27 Viele talentierte Genremaler hat die Weimarer Kunstschule in dieser Zeit hervorgebracht. Hier ist zunächst Carl Gussow zu nennen, dessen effektvoller Realismus sich zwar erst nach seiner Berufung an die Berliner Akademie 1875 voll entfalten sollte, der allerdings für seine Weimarer Schüler und Kollegen, etwa Otto Piltz, Wilhelm Hasemann, Otto Günther oder Ernst Henseler, ein wichtiges Vorbild gewesen war. Von Bedeutung wurde 1876 die erneute Berufung belgischer Künstler: Alexander Struys und Willem Linnig d J. samt anderer Mitglieder seiner Familie kamen nach Weimar. Sie brachten erneut den Kolorismus Antwerpener Prägung in die Kunstschule ein, zudem vorzügliche maltechnische und druckgraphische Kenntnisse und eine ungehemmte, teilweise schon bizarre Erzählfreude. Schließlich ist für die Entwicklung des Figurenfachs in Weimar noch Leopold von Kalckreuth wichtig geworden, der 1885-90 an der Kunstschule unterrichtete und dessen Werk, nicht nur in diesen Jahren, durch ein merkwürdiges Schwanken zwischen realistischer Alltagsschilderung und symbolischer Überhöhung oder sentimentaler Verbrämung derselben charakterisiert ist. Walther Scheidig hat in seinen beiden, 1950 und 1971 verfaßten, materialreichen Darstellungen zur Geschichte der Weimarer Malerschule die Genremaler 27 Siehe Kap. III, Abschnitt: Die Weimarer Genremalerei
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stets mit abgehandelt und einer differenzierten Beurteilung unterzogen. Allerdings ist nicht ganz einsichtig, ob er sie nur aus Gründen der Vollständigkeit anfuhrt oder sie tatsächlich zu den Repräsentanten der Weimarer Malerschule zählt. Scheidigs beide Schriften kennzeichnet das grundsätzliche methodologische Problem, daß darin nirgends genau umrissen wird, was eigentlich unter Weimarer Malerschule zu verstehen ist. Dadurch daß Scheidig die Darstellung der Geschichte der Institution und ihrer turbulenten Personalveränderungen mit der des Entwicklungsgangs der Weimarer Malerschule, so wie er ihn verstand, verschränkt, verwischen sich in seinen beiden Schriften in starkem Maße die Grenzen zwischen Kunst- und Malerschule. Durch die Erwähnung und Charakterisierung der zahlreichen Lehrer und Schüler entsteht der Eindruck, als seien Kunst- und Malerschule weitgehend identisch gewesen, als fielen die künstlerischen Leistungen der Malerschule zum Großteil mit denen der Kunstschule zusammen. 28 Das suggeriert auch die Zeitangabe im Titel des zweiten, 1971 erschienen und 1991 neu aufgelegten Buches Die Geschichte der Weimarer Malerschule 1860-1900, die nahelegt, mit der Kunstschulgründung sei auch die Weimarer Malerschule entstanden, obwohl sich diese erst im Verlauf der 1870er Jahre herauszubilden begann. Dabei muß klar sein, daß - so sehr die Malerschule auf dem Boden der Kunstschule gedieh - nur ein kleiner Bruchteil all dessen, was in den beinah sechzig Jahren des Bestehens der Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule gemalt worden ist, auch als spezifische Leistung der Weimarer Malerschule angesehen werden darf. Neben dem Anspruch aufVollständigkeit mögen an einigen vereinzelten Stellen der ansonsten ausgewogenen Darstellung Scheidigs auch ideologische Erwägungen die Einbeziehung der Genremalerei mit bedingt haben. Aus Rücksicht auf eine sozialistische Sichtweise, die die Fortschrittlichkeit einer Kunstrichtung vor allem an ihrem Beitrag zur Herausbildung eines gesellschaftskritischen Realismus maß, hat Scheidig bei einzelnen Weimarer Genremalern besonders zu betonen versucht, daß deren Bedeutung in der Einbeziehung des einfachen, arbeitenden Menschen in die Kunst bestehe. 29 Noch in einem Artikel über die
28 Auch der jüngste lexikalische Artikel zur Weimarer Malerschule im Lexikon der Kunst, Bd. 7, Leipzig 1994, Nachdruck München 1996, S. 750f., der sich weitgehend auf Scheidigs Untersuchungen stützt, gibt eigentlich die Geschichte der Kunstschule wieder, und nur darin eingeschlossen die der Malerschule. 29 Die zahlreichen Sterbeszenen von Alexander Struys, die auf Rührung und Erschütterung des Betrachters angelegt waren, interpretiert Scheidig als tiefernste »soziale Anklage« (Scheidig 1950,
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Weimarer Malerschule, der 1993 im Weimarer Lexikon zur Stadtgeschichte erschien, wird, in Anlehnung an Scheidig, eine der Leistungen der Weimarer Malerschule in der Entwicklung einer »sozial engagierten« Genremalerei gesehen.30 Davon kann jedoch - so sehr sich bei einzelnen Weimarer Genremalern Beispiele für eine das Anekdotische zurückdrängende, sachliche Schilderung des Alltagslebens finden lassen - nicht die Rede sein. Ohne bereits den Ausführungen des nächsten Kapitels, in dem auf die Weimarer Genremalerei der 1870er Jahre genauer einzugehen sein wird, vorgreifen zu wollen: Die meisten Weimarer Genremaler, etwa Otto Piltz und Wilhelm Hasemann, bevorzugten harmlos-heitere Szenen aus dem Thüringer Volksleben, zu denen auch die damals sehr beliebten Kinderbilder zu zählen sind, in denen alles Anstößige oder Sozialkritische vermieden ist und die den Betrachter einluden, sich in der meist detailreichen Schilderung des Dargebotenen zu ergehen und sich in die angedeutete Geschichte einzufühlen. Einige andere Weimarer Genremaler, allen voran Alexander Struys, pflegten dagegen das dramatische und sentimentale Genre, das ganz auf Rührung, ja Schock des Betrachters ausgerichtet war, was sich etwa in der Darstellung von Sterbeszenen niederschlug, die bald als »Leichenmalerei« verschrieen waren.31 Selbst Leopold von Kalckreuth, der 1882 während seiner Münchner Studienzeit mit Max Liebermann und Fritz von Uhde in Berührung gekommen war und bereits in den 1880er Jahren einige monumentale Darstellungen bäuerlichen Lebens geliefert hat, versuchte in solchen Bildern nicht, gesellschaftliche Strukturen offenzulegen oder in Frage zu stellen. Vielmehr ist das übergreifende Thema all dieser Werke, etwa seines berühmten Gemäldes Leichenbegängnis in Dachau von 1883 oder seines erfolgreichen Bildes Sommerzeit (Abb. 49) von 1889, auf dem eine schwangere Bäuerin vor einem Kornfeld dargestellt ist, das noch enge Eingebundensein des bäuerlichen Menschen in den Kreislauf der Natur, in Werden und Vergehen, in Geburt und Tod.32 Ich plädiere für eine flexible, dennoch präzise Handhabung des Begriffs Weimarer Malerschule, indem ich deutlich trennen möchte zwischen einem inneren und einem äußeren Kreis von zur Weimarer Malerschule zu rechnenden S. 55f.). - Zu Leopold von Kalckreuths großformatigem Bild eines blinden alten Fischers, das den sentimentalen Titel Kann nicht mehr mit trifft heißt es bei Scheidig 1971, S. 85 bzw. Scheidig 1991, S. 162, von Kalckreuth habe dem »Arbeiter seelischen Ausdruck« verliehen und damit gegen die üblichen Bildkonventionen verstoßen. 30 Art.: Weimarer Malerschuh, in: Lex. Weimar 1993, S. 484f. 31 Siehe Kap. III, Anm. 74 u. 75 32 Siehe Kap. IV, Anm. 213
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Künstlern. Dabei sollte man den inneren Kreis als vorzüglich von Landschaftsmalern gebildet definieren und nur einige der hier erwähnten Genremaler - etwa Otto Piltz, Otto Günther, Ernst Henseler, Wilhelm Hasemann oder Wilhelm Zimmer - dem äußeren Kreis der Malerschule zurechnen. Die in einzelnen ihrer Werke vollzogene Hinwendung zum unspektakulären, wenn auch eingängigen und gesellschaftspolitisch unverfänglichen Motiv, sowie ihre auf Freilichtstudien basierende, jedoch die malerische Handschrift glättende Tonmalerei rückt sie in die Nähe vieler Weimarer Landschafter - etwa Paul Tübbecke, Hans Peter Feddersen, Emil Zschimmer oder Max Merker - die in ihren Galeriebildern ebenfalls noch auf Motivreichtum, sorgfaltige Durchfuhrung und differenzierte Farbigkeit achteten, selbst wenn sie in einzelnen ihrer Werke, vor allem Studien, bereits eine sehr freie Handhabung der künstlerischen Mittel und eine Reduktion in Färb- und Motiwielfalt anstrebten.33 Leopold von Kalckreuth ist ein Sonderfall. Seine Malerei war letztlich >unweimarischGemaltempasthosen Auftrag< treu geblieben. Als ich vor einiger Zeit einigen hervorragenden Bildern von ihm auf einer Ausstellung begegnete, erschienen sie wie mit Farben aufgemauert, dargestellte Birkenstämme fast plastisch aufgespachtelt.«53 In diesem häufigen Ubermalen und -spachteln der Bilder scheint sich eine selbstkritische Haltung zu äußern, wie sie auch von Wilhelm Leibi her bekannt ist, der seine Leinwände oft abkratzte oder sogar zerschnitt, wenn sie ihn nicht befriedigten.54 Die Pleinairisten arbeiteten bevorzugt im Freien, ohne dies allerdings zur Regel zu machen; das Atelier blieb noch immer ein wichtiger Arbeitsort für den Maler.55 Für die Weimarer Pleinairisten ist in den 1870er und '80erJahren die konsequente Anwendung der Technik der Tonmalerei ebenso wichtig gewesen wie das verstärkte Studium im Freien. Meistens wurden die Bilder in einem Grundton angelegt und darüber in lasierendem oder pastosem Farbauftrag weiter aufgebaut, ganz gleich ob im Freien oder im Atelier. Bei der Tonmalerei schwingt der meist graue oder braune Farbton der Grundierung bei allen weiter aufgetragenen Farbwerten mit und bindet so das Bild von vornherein farblich zusammen. fürt 1961, Nr. 271 52 Siehe die Ausfuhrungen zu Rohlfs' Gemälde Der Wilde Graben von 1888 in Kap. IV, Anm. 248 u. 249. 53 Walter Schulte vom Brühl, Sechs Jahrzehnte, Stuttgart 1918, S. 116 54 Ruhmer 1984, S. 47: Auflistung der bisher bekannten fünf zerschnittenen Werke Leibis; das berühmteste Beispiel ist der Wildschütz, an dem Leibi zwischen 1882 und 1886 gearbeitet hatte und von dem heute noch vier Fragmente erhalten sind. 55 Von zwei Weimarer Künstlern sind mir Atelierbilder bekannt: Max Thedy, Mein Atelier, KuSa Weimar, Inv.-Nr. G 2277; Max Liebermann, Im Atelier u. vorbereitende Studie Atelierwinkel - Atelierecke (Eberle 1996, Nr. 1871/6 u. 5).
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Auch werden die Farben selbst >verschmutztBarbizon< bereits sehr früh zu einem, wenn auch nicht klar umrissenen, Leitbild antiakademisch ausgerichteter Kunst entwickelt.62 Die Leist60 Siehe Kap. IV, Abschnitt: Zur >Skizzenhaftigkeit< des Impressionismus 61 Siehe Kap. IV 62 Seit den 1850er Jahren hatten mehrere Münchner Maler, unter ihnen vor allem Eduard Schleich d.A., Carl Spitzweg und Adolf Lier, begonnen, sich mit der Kunst der Schule von Barbizon auseinanderzusetzen. Ihre Berufung auf die Schule von Barbizon geschah vorrangig aus emanzipatorischen Gründen. Es galt, die Landschaftsmalerei - der an der Münchner Akademie noch immer kein eigener Lehrstuhl zugestanden wurde - als gleichwertiges akademisches Fach neben der Historienmalerei zu etablieren. Siehe dazu: Kat. zur Ausst.: Münchner Maler des 19. Jahr-
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ungen der Meister von Barbizon wurden spätestens mit der von Eduard Schleich d.Ä. organisierten I. Internationalen Kunstausstellung in München von 1869, auf der in großer Zahl Arbeiten von Camille Corot, Charles-François Daubigny, Théodore Rousseau, Jean-François Millet, Jules Dupré, Nacisse Diaz de la Pena, Alexandre-Gabriel Decamps, Constant Troyon und Gustav Courbet gezeigt werden konnten, in weiten Künstlerkreisen bekannt.63 Um dieselbe Zeit waren die ersten gewichtigen deutschsprachigen Abhandlungen zur Kunst der Barbizonisten herausgekommen : 1867 war die von Julius Meyer verfaßte Geschichte der modernen französischen Malerei erschienen, die an verschiedenen Stellen auf die Barbizonisten und Courbet einging; 1868 hatte Anton Teichlein in der Zeitschrifi fiir bildende Kunst einen Aufsatz über den im Voijahr verstorbenen Théodore Rousseau publiziert.64 In den 1870er und '80er Jahren setzte sich in Deutschland, trotz der nach dem Deutsch-Französischen Krieg belasteten Beziehungen zum Nachbarland, die Diffusion der Kunst der Schule von Barbizon fort, auf die sich ein immer breiteres Spektrum an fortschrittlich gesinnten Landschafts-, Tier- und Bauernmalern als außerakademische Tradition berufen konnte.65 Regelmäßig wurden im deutschsprachigen Raum Arbeiten der Barbizonisten gezeigt, 1873 auf der Weltausstellung in Wien, dann auf den Internationalen Kunstausstellungen von 1879, 1883 und 1888 in München.66 1881 waren druckgraphische Arbeiten unter anhunderts und die Schule von Barbizon, verfaßt v. Siegfried Wichmann, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek München, 14.3. - 5.5.1996, München 1996 63 Kat. zur Ausst.: München 1869-1958. Aufbruch zur Modernen Kunst, Haus der Kunst, 21.6 5.10.1958, S. 17-80: Rekonstruktion der Ersten Internationalen Kunstausstellung 1869 - Andrea Grösslein, Die Internationalen Kunstausstellungen der Münchner Künstlergenossenschaft im Glaspalast in München von 1868 bis 1888, Phil. Diss. 1986, (Miscellanea Bavarica Monacensia, Bd. 137), München 1987, S. 29-68 64 Julius Meyer, Geschichte der modernenfranzösischen Malerei seit 1789 zugleich in ihrem Verhältnis zum politischen Leben, zur Gesittung und Literatur, Leipzig 1867, bes. S. 745ÎT. u. S. 620fF. - Anton Teichlein, Theodor [sie] Rousseau und der>Paysage intimeKrönung< der Schöpfung darstelle, sondern lediglich eine Stufe innerhalb eines langen und noch andauernden Ausdifferenzierungsprozesses.110 In seiner 1872 veröffentlichten Schrift The Expression of the Emotions in Man andAnimals versuchte Darwin schließlich, die Parallelitäten zwischen den menschlichen und den tierischen Affekten und Gefühlsregungen aufzudecken.111 Haeckel, der 1866 sein erstes Hauptwerk, seine Generelle Morphologie der Organismen vorgelegt hatte, bemühte sich in mehreren Schriften und Vorträgen um Erklärung und Erweiterung der Darwinschen Lehre, wobei ihn besonders die ethischen Implikationen interessierten.112 Vor allem versuchte er, religiös und moralphilosophisch motivierte Einwände gegen Darwins Deszendenztheorie zu entkräften, die vorbrachten, der Mensch müsse einem besonderen Schöpfiingsakt entsprungen sein, da er als einziges Lebewesen in der Lage sei, das von Darwin postulierte Evolutionsprinzip des >Recht des Stärkeren< durch die Erkenntnis eines höheren, religiös begründeten Sittengesetzes zu durchbrechen und außer Kraft zu setzen.113 Dem hielt Haeckel entgegen, daß der Mensch die Fähigkeit zur Zurücknahme seines existentiellen Egoismus' zugunsten seiner
110
Art.: Darwinismus, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. v.Joachim Ritter, Basel, Stuttgart 1972, Bd. 2, S. 14f. 111 Charles Darwin, Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren, Aus dem Englischen übersetzt von J. Victor Carus, Stuttgart 1872, Reprint Nördlingen 1986 - Zum umfangreichen Photomaterial, das Darwin als Beleg seiner These gesammelt hatte: An annotated catalogue ofthe illustrations ofhuman and animal expressionfrom the collection ofCharles Darwin: an eariy case ofthe use ofphotography in scientific research, by Phillip Prodger, Lewiston u.a. 1997 112
Ernst Haeckel, Natürliche Schöpfungs-Geschichte. Gemeinverständliche wissenschaftliche Forträge über die Entwicklungslehre im allgemeinen und diejenigen von Darwin, Goethe und Lamarck im Besonderen, über die Anwendung derselben auf den Ursprung des Menschen und andere damit zusamenhängende Grundfragen der Naturwissenchaft, 1. Aufl. Berlin 1868,11. verbesserte Aufl. Berlin 1911 - Ders., Ueber die Entstehung und den Stammbaum des Menschengeschlechts. Zwei Vorträge. Sammlunggemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge, hg. v. Rudolf Virchow u. Fr. v. HoltzendorfE 3. Serie, H. 52 u. 53, Berlin o.J. [1868] - Ders., Die heutige Entwicklungslehre im Verhältnisse zur Gesamtwissenschaft. Vortrag in der ersten öffentlichen Sitzung derfünfzigsten Versammlung Deutscher Naturforscher und Arzte zu München am 18. Sept. 1877, Stuttgart 1877
113
Haeckel 1877, S.17f.
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Mitmenschen, zur Entwicklung eines auf Liebe, Pflicht und Treue beruhenden Sozialverhaltens, durchaus mit den Tieren gemein habe. Alter als jede Kirchenreligion sei eine bereits in den sozialen Instinkten der Tiere angelegte und in jedem höher entwickelten Lebewesen ausgeprägte »Naturreligion«. Also auch im Bereich von Sitte und Moral habe sich der Mensch lediglich aus dem Tierreich herausentwickelt.114 Es ist nun interessant zu beobachten, daß Albert Brendel in vielen seiner Tierbilder das Sozialverhalten der Tiere zu betonen scheint bzw. sie im Familienverband auftreten läßt. Besonders signifikant ist eine Radierung von 1885, auf der eine Gruppe aus drei Pferden dargestellt ist, die nahe eines Koppelzauns stehen (Abb. 11): Die zwei ausgewachsenen Pferde wird man als die Eltern des bei ihnen stehenden Fohlens bezeichnen können. Die Stute fahrt sogar mit der Unterseite ihres Kopfes >streichelnd< über den Rücken des vor ihr stehenden zweiten Pferdes.115 Immer wieder hat Brendel Dreiergruppen von Tieren dargestellt, die das Bild eines Familienverbands evozieren.116 Es ist anzunehmen, daß Brendel als Tiermaler von den Kontroversen um den Darwinismus, die nur wenige Kilometer von Weimar entfernt durch den in Jena lehrenden Ernst Haeckel in Deutschland entfacht worden waren, gewußt hat.117 Er könnte, aus seiner Erfahrung als Tiermaler heraus, Haeckels Argument eines bereits bei den Tieren ausgeprägten Gemeinschaftssinns zugestimmt und durch seine Bilder zu untermauern versucht haben. Durch die Darwinismusdebatte bekamen besonders AfFendarstellungen eine neue Aktualität. Auch Brendel hat sich - für ihn völlig ungewöhnlich - auf die114
Ebd., S. 18: »Unabhängig von jedem kirchlichen Bekenntnis lebt in der Brust jedes Menschen der Keim einer echten Naturreligiorr, sie ist mit den edelsten Seiten des Menschenwesens selbst untrennbar verknüpft. Ihr höchstes Gebot ist die Liebe, die Einschränkung unseres natürlichen Egoismus zu Gunsten unserer Mitmenschen und zum Besten der menschlichen Gesellschaft, deren Glieder wir sind. Dieses natürliche Sittengesetz ist viel älter als alle Kirchenreligion; es hat sich aus den socialen Instincten der Thiere entwickelt.« - Siehe ergänzend dazu die bei Sandmann 1995, S. 332f., angegebenen Textstellen.
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Kat. Ausst. Weimar 1980/2, Jg. 1885, Nr. 3: Arbeitspferde, 19,6 x 19,7 cm, bez. u. 1.: ABrendel W. 84 Ebd., Jg. 1877, Nr. 2: Schweine (drei Schweine im Freien); Jg. 1895, Nr. 3: Siesta (drei Schweine im Stall) Der Sohn Ernst Haeckels, Walter Haeckel, war Schüler von Leopold von Kalckreuth an der Weimarer Kunstschule (Kalckreuth 1967, S. 173). - Großherzog Carl Alexander, »Rector magnificentissimus« der Universität Jena, stand mit Ernst Haeckel infreundschaftlichemGedankenaustausch (Pöthe 1998, S. 383-386).
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ses Sujet eingelassen und 1893 in einer Radierung zwei sich lausende Affen dargestellt (Abb. 12).118 Brendels Schilderung tierischen Sozialverhaltens wendet im Sinne Haeckels das alte Thema der Menschenähnlichkeit des Affen, das seit jeher zu satirischen, parodistischen oder moralisierenden Zwecken genutzt wurde, ins Sachlich-neutrale.119 Eine humoristische Radierung des Berliner Graphikers Ernst Moritz Geyger von 1888 mit dem Titel Darwinistische Disputation (Abb. 13), die Richard Graul wenige Jahre später wie folgt beschrieb, brachte das eigentlich Brisante des Darwinismus auf den Punkt: »Eine Schar großer Affen haben [sie] ein junges Menschenkind entdeckt, das neben einer Milchflasche und neben dem Codex Darwins in der Wildnis ausgesetzt war. In dem weiblichen Theile der Gesellschaft regen sich sofort Mutterpflichten: die Damen machen sich daran, das Kind aufzupäppeln, während die Herren Affen sich über den Codex hergemacht haben und in gelehrter Disputation darüber begriffen sind.«120 Geygers Radierung veranschaulicht gerade jenen Aspekt der Lehre Darwins und Haeckels, der die Zeitgenossen besonders verstörte, nämlich daß der Affe nicht nur in seiner Haltung und Physiognomie, sondern vor allem in seinem Sozialverhalten eine Vorstufe des Menschen darstellen sollte. Brendels Radierung zweier sich bei der Körperpflege helfender Affen wird man vor diesem Hintergrund als eine Parteinahme fiir Darwin und Haeckel verstehen müssen.
Ludwig von Gleichen-Russwurm
Ludwig von Gleichen-Russwurm hat den unmittelbaren Kontakt mit Frankreich gepflegt und immer wieder Anregung und Bestätigung in der Kunst des Nachbarlandes gesucht. Albert Brendel wird ein wichtiger Vermittler gewesen sein, der den Schillerenkel nicht nur auf Barbizon hingewiesen, sondern ihm auch die
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Kat. Ausst. Weimar 1 9 8 0 / 2 J g . 1893, Nr. 5: Affenarbeit, 27,5 x 19,1 cm, bez. u. r.: ABrendel 1893
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Siehe zur Ikonographie des Affen in der Kunst: Art.: Affe, in: Lexikon der Kunst, Bd. 1, Leipzig
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Richard Graul, Die Radirung der Gegenwart in Europa und Nordamerika, (Die vervielfältigende
1987, Nachdruck München 1996, S. 44f. Kunst der Gegenwart, Bd. III, hg. v. der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst), Wien 1892, S. 99 - Die Radierung von Ernst Moritz Geyger, Darwinistische Disputation, 24,3 x 34,5 cm, bez. o. 1.: E. M. Geyger fc 1888, Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr.: 288-95
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Radiertechnik nähergebracht haben wird.121 Doch scheint sich GleichenRusswurm nicht nur mit den Meistern der Schule von Barbizon, etwa Daubigny, Dupré oder Corot, auseinandergesetzt zu haben, sondern auch mit Künstlern wie Eugène Boudin und den Graphikern um die von Alfred Cadart begründete Illustration Nouvelle. Gleichen-Russwurm hatte sich, nachdem seine Frau bereits kurz nach der Geburt des ersten Sohnes 1865 gestorben war, 1869 dazu entschlossen, sein Leben ganz der Malerei zu widmen und war von seinem bei Würzburg gelegenen Landgut nach Weimar gekommen, um an der Kunstschule zunächst bei Schmidt, dann bei Hagen zu lernen.122 Aufgrund seiner finanziellen Unabhängigkeit konnte Gleichen-Russwurm in den 1870er und '80er Jahren mehrmals nach Frankreich reisen. Zumindest zwei Aufenthalte lassen sich durch Werkaufschriften nachweisen. 1876 weilte er in Fontainebleau.123 1881 muß der Künstler, der auf seinen Werken meist Zeit und Ort ihres Entstehens festhielt, in Trouville an der normannischen Küste gearbeitet haben.124 Die dort entstandenen Aquarelle Gleichen-Russwurms liegen durchaus in der Nähe einiger in diesen Jahren entstandener Arbeiten Eugène Boudins, der seit 1862 in Trouville arbeitete und später im nahegelegenen Deauville wohnte und seine Arbeiten in Bilderläden der Küstenstädte vertrieb.125 Eine weitere wichtige Anregungsquelle fand Gleichen-Russwurm in den monatlich unter dem Namen Llllustration Nouvelle im Verlag von Alfred Cadart herausgegebenen Radiermappen.126 Dies läßt sich an Gleichen-Russwurms Radie121 122 123
124
Graul 1892, S. 85 Kat. Ausst. Würzburg 1983, S. 4-11 Ebd., S. 11 u. S. 6f.: Hinweis auf eine Aquarellstudie eines fur die Umgebung von Fontainebleau typischen, halb überwachsenen Steinhügels mit der Aufschrift: »Mai 1876 Wald von Fontainebleau« (Städtische Galerie Würzburg, Inv.-Nr.: E 1079). Otto Eggeling, Freiherr Ludwig von Gleichen-Russwurm, in: Westermanns Monatshefte, 50. Jg., Bd. 99, Jan. 1906, S. 270-283, S. 274f: Abbildung zweier Aquarelle von der Küste von Trouville, die 1881 datiert sind. - Gleichen-Russwurm stellte 1883 in Dresden einen Strand von Trouville aus. Siehe: Kat. der von der Kgl. Akademie der bildenden Künste in Dresden alljährlich veranstalteten Kunst-Ausstellung 1883, Dresden 1883, Nr. 105
125
R. Schmit, Eugène Boudin, Catalogue raisonné, 4. Bde., Paris 1973-1984, Bd. II: Nr. 1316, Le Havre. Voiliers en mer, 1880; Nr. 1317, Marée basse, 1880; Nr. 1318, Pläne mer, Voiliers, 1880; alle drei Bilder in Privatslgn.
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1862 hatte sich in Paris unter der Fuhrung des Verlegers Cadart die Société des Aquafortistes konstituiert, die bis 1867 Bestand hatte und zu deren Radiermappen so namhafte Künstler wie Bracquemond, Daubigny und Manet beitrugen. 1868 setzte man die periodischen Lieferungen mit
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Kapitel II
rung Regenwetter (Abb. 14) aus derJahresmappe des Weimarer Radiervereins von 1878 zeigen, die mit zu den besten Blättern des produktiven Graphikers gehört.127 Ein Mann ist auf breiter Chaussee aus einer Pferdedroschke gestiegen und kämpft mit anderen Passanten gegen Wind und Wetter an; am Ende der Straße mit ihren zum Teil eingerüsteten Häusern ist ein qualmender Fabrikschlot zu erkennen. Mit ihrer Großstadtthematik fallt diese Radierung aus dem Œuvre Gleichen-Russwurms heraus, bei dem Darstellungen von Bauern und Hirten in weiter Landschaft dominieren. Mit sparsamen Strich sind die Dinge hingesetzt, nach der Ferne zu nur noch schwach umrissen und ausschraffiert, zu den Bildrändern hin offen in ihren Konturen. So dominiert der helle Papierton, trotz der dichten Schwärze der silhouettenhaften Figuren und der Droschke, was den Eindruck der Weite der Stadtlandschaft noch steigert. Thematik und angewandte Bildmittel erinnern an Radierungen von Norbert Goeneutte (1854-1894), dessen zahlreiche Darstellungen Pariser Straßenszenen (Abb. 15) in Cadarts Verlag erschienen, der in Paris einen florierenden Laden in der rue de Richelieu in der Nähe der Bibliothèque nationale unterhielt.128 Immer wieder bildete die französische Graphik eine wichtige Anregungsquelle für Gleichen-Russwurm.129 Es läßt sich zeigen, daß er sich bei einigen seiner Radierungen und Ölbilder von französischen Vorlagen inspirieren ließ. Seine Radierung Heimkehrende Herde (Abb. 16) aus der Jahresmappe des Weimarer Radiervereins von 1881 zeigt eine Flachlandschaft mit einem Hirten und seiner Herde vor leicht bewölktem Abendhimmel. Als dunkler Schattenriß ragt die Figur des Schäfers, umstrahlt von der untergehenden Sonne, über die niedrige Hoder ersten Monatsmappe von LI Illustration Nouvelle fort, die bis 1881, über den Tod Cadarts im Jahre 1875 hinaus, erschienen. Siehe: Eckhard Schaar u. Gisela Hopp (Hrsg.), Von Delacroix bis Münch, Künstler-Graphik im 19. Jahrhundert, Hamburg 1977, S. 48-51 127
Kat. Ausst. Weimar 1980/2Jg. 1878, Nr. 6: Regenwetter, 19,6 x 27,3 cm, bez. u. r.: Gleichen-Russwurm Wr. 78; Scheidig 1991, Abb. S. 88 - In der Städtischen Galerie Würzburg befindet sich eine seitenverkehrte Vorzeichnung: Droschke im Regen, Tusche über Bleistift auf Papier, 19 x 26 cm; Kat. Ausst. Würzburg 1983, Abb. 14.
128
Siehe Kat. zur Ausst.: Du réalisme à l'impressionisme. L'eau-forte en France, 1850-1890, Courbevois, Musée Roybet-Fould, 27.5. - 31.7.1994, Courbevois 1994, Nr. 51, S. 44: Norbert Goeneutte, Le boulevard Clichy par temps de neige, Radierung und Kaltnadel, 14,8 x 9,2 cm, bez. u. 1.: N. Goeneutte; 1876 veröffentlicht in L Illustration Nouvelle
129
H. W. Singer, Die moderne Graphik. Eine Darstellungflirderen Freunde und Sammler, 2. Aufl. Leipzig 1920, S. 185, sieht gewisse Bezüge zwischen der Graphik Gleichen-Russwurms und der Corots und Rousseaus. Mir scheint allerdings Daubigny der wichtigere Bezugspunkt des Deutschen gewesen zu sein.
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rizontlinie hinaus.130 Bei Daubignys längsformatiger Radierung L' ondée (Der Regenschauer) (Abb. 17), wahrscheinlich 1851 entstanden, könnte sich GleichenRusswurm diese Gestaltungsmittel abgeschaut haben.131 Gleichen-Russwurms großformatiges Gemälde An derfränkischen Saale aus dem Jahre 1885 (Abb. 18) zeigt zwei Fischer in einem Kahn - der eine netzeinholend, der andere mit einer langen Stange das Boot navigierend - auf dem schmalen Saalefluß, der ruhig durch eine weite ebene Landschaft fließt.132 Die eigentliche Bildfindung lag drei Jahre zurück, denn der Kahn mit den zwei Fischern findet sich bereits auf einer kleinen hochformatigen Radierung Gleichen-Russwurms von 1882 (Abb. 19), dort allerdings spiegelverkehrt.133 Die Anordnung der beiden Fischer im Kahn scheint Gleichen-Russwurm aus dem Gemälde Detix hommes dans un bateau von Jules Dupré übernommen zu haben, das 1878 als Radierung unter dem Titel La barque in der Zeitschrift L'Art veröffentlicht worden war.134 Darüber hinaus scheint die Grunddisposition von Gleichen-Russwurms Gemälde auf Corots zahlreiche Darstellungen des Teiches von Ville-dAvray (Abb. 20), auf denen stets das ruhige Gewässer des Teiches schräg den Vordergrund des Bildes durchzieht, zurückzugehen.135 Zahlreiche Werke von Gleichen-Russwurm aus allen Schaffensphasen, auch der impressionistischen seit 1890, lehnen sich an Arbeiten von Daubigny, Corot oder Millet an, so eigenständig sie in der Gestaltungsweise auch sind. Zwei be-
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Kat. Ausst. Weimar 1980/2, Jg. 1881, Nr. 6: Heimkehrende Herde, 18 x 25,9 cm Delteil 1921, Nr. 85: L'ondée (Der Regenschauer), 13,6 x 23,2 cm, 7 Zustände, der erste wahrscheinlich von 1851; Schaar/Hopp 1977, Nr. 37, Abb. S. 35: Hier bildet ein hochliegendes Flußufer die gerade Horizontlinie. An ihm herab zieht eine Schafherde zur Tränke. Darüber spannt sich ein bewölkter Gewitterhimmel. Ahnlich wie bei Gleichen-Russwurm zeichnen sich als schwarze Silhouetten und in Untersicht die Konturen des auf der Uferkante stehenden Hirten und seiner Schäferhunde ab. Doch ist bei Daubigny dem Hirten ein heroisches Moment beigegeben, dadurch daß er, wie seine Tiere auch, Sturm und Regen ausgesetzt ist. GleichenRusswurm stellt dagegen eine ruhige Abendstimmung, die ins Lyrische geht, dar.
132
An derfränkischen Saale, 1885, Ol/Lwd., 133 x 204 cm, bez. u. r.: Gleichen-Russwurm Weimar 85, KuSa Weimar; Scheidig 1991, Abb. S. 147 Kat. Ausst. Weimar 1980/2, Jg. 1882, Nr. 4: Die Fischer, 23,8 x 15,8 cm Marie-Madeleine Aubrun, Jules Dupré1811-1889, Catalogue raisonné de l'Œuvre peint, dessiné et gravé, Paris 1974, Nr. 343: Deux hommes dans un bateau, Denver (Colorado), Museum of Art; Radierung nach dem Gemälde mit dem Titel La barque von Théophile Chauvel
133 134
135
Siehe z.B.: Kat. Ausst. München 1996/2, Nr. B 16, S. 112: Der Teich von Ville-d'Avray, vor 1863, Öl/Lwd., 47,5 x 68 cm, bez. u. r.: Corot, Straßburg, Musée des Beaux-Arts
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merkenswerte Parallelen seien noch angeführt. Das 1896 von GleichenRusswurm gemalte Bild Herbstlandschaft mit Regenbogen (Farbtf. 6) erinnert in der planparallelen Anordnung der Landschaftsgründe, der kontrastreichen Beleuchtung und vor allem der Darstellung des die Landschaft überspannenden Regenbogens an das zwischen 1868 und 1873 entstandene Bild Le Printemps von Jean-François Millet.136 Gleichen-Russwurms spätes Gemälde Schafpferch bei Bonnland von 1900 stellt eine weite Ebene dar, in der die Schafe vor Einbruch der Nacht in einem kreisrunden Pferch zusammengetrieben und von einem Schäfer behütet werden.137 Das Gemälde gleicht in vielen Punkten Daubignys berühmter Radierung he petit parc à moutons von 1846: auch hier die weite ebene Landschaft, die zu einem Kreis zusammengetriebene Schafherde und die mobile Schäferhütte auf zwei Rädern.138 Doch ist bei Gleichen-Russwurm alles Vitale, das sich in Daubignys Darstellung etwa an den rennenden Schäferhunden zeigt, vermieden; ein beschauliches, ja symbolisch aufgeladenes Moment wird bestimmend. Viel stärker als bei Daubigny kommt bei Gleichen-Russwurm das alte bukolische Thema des einträchtigen Zusammenlebens von Mensch und Natur zum Tragen. Gleichen-Russwurm hat im Laufe seines Lebens immer wieder auf die französische Kunst zurückgegriffen, ohne dabei in ein unproduktives Abhängigkeitsverhältnis zu geraten, da er die gesehenen Vorbilder dermaßen in seine eigene Kunstsprache zu überführen vermochte, daß sie als genuiner Bestandteil seiner Malerei erscheinen. Gleichen-Russwurms Verhältnis zur französischen Kunst, besonders zur Graphik der Barbizonisten, ist das einer permanenten, produktiven Auseinandersetzung, getragen vom Interesse an denselben Sujets und einer Verwandtschaft im Naturempfinden.
136 Herbstlandschaft mit Regenbogen, Öl/Lwd., 85,5 x 128,5 cm, bez. u. 1.: Bonnland Okt. 96: GR, Städtische Galerie Würzburg; Kat. Ausst. Würzburg 1983, Abb. 24; siehe auch die Ausführungen in: Kap. IV, Anm. 181-183 - Le Printemps, 1868-1873, Musée d'Orsay, Paris; André Parinaud, Les peintres et leur école Barbizon. Les origines de l'impressionnisme, Vaduz 1994, Abb. S. 144 137 Schaßferch bei Bonnland, 1900, Städtische Galerie Würzburg; Kat. Ausst. Würzburg 1983, Abb. 12 138 Delteil 1921, Nr. 55: Le petit parc à moutons, 3 Zustände, der erste von 1846
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Karl Buchholz
»Hat Buchholz Bilder von den Meistern von Barbizon gesehen ? Seine Freunde verneinen es so bestimmt, daß wir ihnen glauben müssen. Dann haben also ähnliche Vorwürfe in der Natur zu so ähnlichen Kunstwerken gefuhrt.« So charakterisiert Walther Gensei das Verhältnis von Karl Buchholz zur Schule von Barbizon in einer Rezension der 1905 in Berlin veranstalteten Ausstellung von Werken Deutscher Landschafter des 19. Jahrhunderts, auf der auch sechzehn Arbeiten des bereits 1889 verstorbenen Weimarer Malers gezeigt wurden. 139 Ein Jahr später war Buchholz auf der sogenannten Jahrhundertausstellung erneut stark vertreten, u.a. mit seinem Meisterwerk Frühlingin Ehringsdorf aus den frühen 1870er Jahren. Ferdinand Laban schrieb dazu: »Sein >Frühling in Ehringsdorf bringt wirkliche Frühlingsstimmung mit Dorfluft und Vogelgezwitscher, als ob sich ein allerdings recht geringer! - Ansiedler von Barbizon damals nach Weimar verirrt hätte. Doch ist irgend ein unmittelbarer Zusammenhang dieses Weimarers mit französischen Vorbildern weder nachzuweisen noch anzunehmen.« 140 Bereits die Kritiker vor knapp hundert Jahren waren mit dem eigenartigen Phänomen konfrontiert, eine augenscheinliche Nähe der Buchholzschen Kunst zu der der Barbizonisten konstatieren zu müssen, ohne eine direkte Abhängigkeit nachweisen zu können. Immer wieder fühlten sie sich bei einzelnen Bildern an Werke der Franzosen erinnert. Den einen gemahnte eine Waldlandschaft in ihrer Tonschönheit an Daubigny, den anderen erinnerte ein Herbstlicher Wald an Diaz.141 Dem nächsten erschien die Ansicht einer Mühle mit Daubigny vergleichbar.142 Hans Rosenhagen sprach schließlich 1907, um das Dilemma zu lösen, von einer »Gefiihlsparallele«, die zwischen Buchholz und den Barbizonisten bestanden habe. 143 139
Walther Gensei, Die Ausstellung von Werken deutscher Landschafter in Berlin, in: ZfbK N.F. 16,
140
Ferdinand Laban, Die deutsche Jahrhundert-Ausstellung
1905, S. 309-322, S. 320f. (IV), in: KfÄ 21, 1905/06, S. 337-346,
S. 344 141
Offiz. Kat. der Ausstellung von Werken Deutscher Landschafter des 19. Jahrhunderts, eingeleitet von Walther Gensei, Berlin, Landes-Ausstellungsgebäude am Lehrter Bahnhof, Berlin 1905, S. 100 - Gensei 1905, S. 320E
142
Emil Heilbut, Deutsche Landschafter des 19. Jahrhunderts, in: KuK 3,1904/05, H. 12,8. Sept. 1905,
143
Rosenhagen 1907/1, S. 57 - Zur Buchholz-Rezeption nach der Jahrhundertwende siehe
S. 517-527, S. 527 Kap. V, Abschnitt: Historisierung: Der Fall Karl Buchholz
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Kapitel II
Tatsächlich sind Buchholz' Verbindungen mit Frankreich minimal gewesen. Seine gesamte künstlerische Ausbildung hatte er in Weimar absolviert, und zeit seines Lebens war er dort ansässig geblieben. Von einigen Ausflügen nach München, Berlin, Dresden und Rügen abgesehen, hatte er keine Reisen unternommen, war also auch nie nach Frankreich gekommen. 144 Allerdings gibt es mehrere Hinweise darauf, daß Buchholz die Auseinandersetzung mit der Kunst der Schule von Barbizon gesucht hat. Momme Nissen, der 1886 als Kunstschüler nach Weimar kam, berichtet in seinen Lebenserinnerungen, daß Buchholz versucht habe, ihm anhand von Photographien »den Zauber Ruysdaels und der Schule von Barbizon« näherzubringen. 145 Uber Buchholz' Verhältnis zu den Barbizonisten schreibt Nissen weiter: »Er beklagte sein Los, daß er deren Werke nur in schwachen Nachbildern vor sich habe und daß es ihm nicht gelinge, den dazu gehörigen Text einer französischen Kunstzeitschrift zu entziffern.« 146 Buchholz' Klage erscheint wenig plausibel, denn Albert Brendel oder Ludwig von Gleichen-Russwurm wären in der Lage gewesen, ihm bei der Ubersetzung des einen oder anderen Textes zu helfen. Auch gab es, wie bereits erwähnt, genügend deutschsprachige Literatur über die Schule von Barbizon, es sei nur an Julius Meyers Geschichte der modernenfranzösischen Malerei von 1867 oder Anton Teichleins Aufsatz über Théodore Rousseau von 1868 erinnert. Zudem hatte Buchholz Werke der Barbizonisten im Original gesehen und nach ihnen gezeichnet. Rosenhagen und Lindemann erwähnen, daß Buchholz 1879 eine Reise nach München zur II. Internationalen Kunstausstellung im Glaspalast unternommen habe. 147 Dort bot sich ihm erstmals die Möglichkeit, in großem Umfang u.a. Werke von Daubigny, Corot, Rousseau, Dupré und Troyon zu studieren. 148 Lindemann ist der Ansicht, Buchholz habe dort die Zeichnung 144
Lindemann 1946, S. 8
145
Meine Seel in der Welt. Bekenntnisbuch vom Maler und Predigerbruder Benedikt M o m m e Nissen, Freiburg i. Br. 1941, S. 84 - Auch Hans Peter Feddersen, in den 1870er Jahren Schüler Hagens, besaß Abbildungen nach Werken von Corot und Rousseau. Eine Reproduktion nach einem Bild Rousseaus hatte er in seinem Zimmer aufgehängt (Martius/Stubbe 1966, S. 35).
146
Nissen 1941, S. 84 - Zu den zeitgenössischen französischen Aufsätzen zu einzelnen Meistern der Schule von Barbizon, die Buchholz erreichbar gewesen sein könnten, siehe die Literaturhinweise in: Kat. Ausst. München 1996/2, S. 476-478
147
Rosenhagen 1907/1, S. 56 - Lindemann 1946, S. 8
148
Kat. der II. Internationalen Kunst-Ausstellung im Kgl. Glaspalast zu München, München 1879: Gezeigt wurden von Daubigny: Am Ufer der Oise, Die Herde, Mondaufgang (Nr. 1980-82); von Corot : La saulée u. Flußufer (Nr. 1977f.) ; von Rousseau : Sümpfe in der Vendée, Am Ufer der Oise (Sepiazeichnung) (Nr. 2163 u. 2253); von Dupré: Flußlandschaft,
Marine,
Umgebung von
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Schiffe am Strand nach einem ausgestellten Gemälde Troyons angefertigt.149 Allerdings wurde in München von Troyon nur ein Bild mit dem Titel Rindvieh, das in den Acker geht ausgestellt.150 Es ist daher eher anzunehmen, daß Buchholz seine Zeichnung nicht in München, sondern in Weimar nach einer der 1878 dort ausgestellten Reproduktionen von Werken Troyons angefertigt hat.151 In München studierte Buchholz vielmehr, so die Ansicht Rosenhagens, das Gemälde Mondaufgang von Daubigny.152 Eine in Lindemanns Verzeichnis aufgeführte Buchholz-Zeichnung gleichen Titels wird nach diesem Gemälde Daubignys entstanden sein.153 Nach einer späteren Aussage Rosenhagens soll Buchholz auf der Münchner Ausstellung von 1883 erneut eine Mondlandschaft Daubignys gesehen haben.154 Im Katalog dieser Ausstellung ist aber kein Bild solchen Titels von Daubigny aufgeführt.155 Man darf annehmen, daß sich Rosenhagen getäuscht hat und die Ausstellung von 1879 meinte, wie bereits in seinem früheren Buchholzaufsatz. In den Zusammenhang mit Buchholz' Kontakten zur französischen Kunst gehört auch, daß auf der Pariser Weltausstellung von 1878 ein Gemälde von ihm,
149 150 151 152
153
154 155
Southampton u. Bauerngehöft in der Normandie (Aquarell) (Nr. 2010-12 u. 2216); von Troyon: Rindvieh, das in den Acker geht (Nr. 2189). Lindemann 1946, Nr. 3 u. S. 19: Schiffe am Strand, Bleistiftzeichnung, nach Troyon, 11,5 x 17 cm, Privatslg. Siehe Anm. 148 Siehe dazu Anm. 99 Rosenhagen 1907/1, S. 56 - Zu Daubignys Gemälden auf der Münchner Ausstellung siehe Anm. 148 - Bei dem Mondbild wird es sich um Daubignys großformatiges Gemälde Lever de Lune gehandelt haben, das bereits auf der Weltausstellung inWienl873zusehen gewesen war (siehe: Robert Hellebranth, Charles-François Daubigny 1817-1878, Morges 1976, Nr. 872). Lindemann 1946, Nr. 4 u. 19f.: Mondaufgang, Bleistiftzeichnung, nach Daubigny, 16,5 x 9,5 cm, Privatslg. - Lindemann nimmt an, die Zeichnung sei 1881 in München entstanden, während eines weiteren Besuchs des Künstlers in der bayerischen Metropole. Er stützt sich dabei auf die Aussage Hoffmann-Fallerslebens (Hoffmann-Fallersleben 1909, S. 576). Doch fand in diesem Jahr gar keine größere Ausstellung in München statt, auf der ein Werk Daubignys hätte gezeigt werden können. Die Zeichnung kann daher nur 1879 entstanden sein. Hans Rosenhagen, Karl Buchholz, in: Velhagen & Klasings Monatshefte 27, 1912/13, Bd. III, S. 41-50, S. 48 Kat. der III. Internationalen Kunst-Ausstellung im Kgl. Glaspalmt zu München, München 1883:Ch. Daubigny: Morgen an der Oise, Abend an der Oise u. Landschaft (Nr. 422-24)
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ein Wald Ende Oktober.; zu sehen gewesen ist.156 Nach Ansicht Hans Rosenhagens hätte das dort gezeigte Bild sogar in der französischen Presse Aufsehen erregt. 157 Es kommt sicher nicht von ungefähr, daß sich, wie oben erwähnt, zahlreiche Kritiker im Angesicht der Buchholzschen Kunst an die Werke der Meister von Barbizon erinnert fühlten. Doch gibt es, so weit ich sehe, keine Anhaltspunkte für konkrete Ubernahmen oder Beeinflussungen im Werk von Karl Buchholz, die auf mehr als eine »Gefuhlsparallele« zu den Franzosen schließen ließen. Der innere Abstand zur Kunst der Meister von Barbizon, bei aller scheinbaren Nähe, wird offensichtlich, wenn man Buchholz' Waldinterieurs und Waldrandbilder mit denen der Barbizonisten vergleicht. Vor allem Rousseau und Diaz hatten diesen speziellen Typ Landschaftsbild ausgeprägt. 158 Stellvertretend fiir zahlreiche andere Vergleichsbeispiele, sei Buchholz' großer, querformatiger Lichter Wald im Herbstnebel von 1888 (Abb. 21) dem ähnlich angelegten Gemälde La Foret de Fontainebleau von Diaz aus dem Jahre 1874 (Abb. 22) gegenübergestellt. 159 Bei beiden Gemälden fuhrt auf der Mittelachse des Bildes ein Weg bzw. eine Schneise durch den Wald, darauf eine Figur, bei Buchholz ein Spaziergänger, bei Diaz eine Frau mit Reisigbündel, gezeigt ist; die Bäume gehen nicht schon vom unteren Bildrand weg auf sondern erst nach einer schmalen Freifläche, so daß auch die vorderen Bäume in ihrer ganzen Höhenerstreckung sichtbar sind; des weiteren werden die hoch aufragenden Bäume rechts und links von einem niedriger erscheinenden Baumgürtel hinterfangen, der auch die Sichtachse nach hinten hin abschließt. 156
Boetticher 1979, Bd. 1,1, S. 150, Nr. 9 - Exposition universelle international de 1878 à Paris, Catalogue officiel publié par le Commissariat Général, Tome I, Groupe 1 : Œuvres d'art, Paris 1. Aufl. 1878, S. 376, Nr. 28: Une forêt en automne
157
Rosenhagen 1907/2, S. 290 - Entsprechende Zeitungsartikel konnte ich bis jetzt nicht finden. In Ziegler 2000/2, S. 39f. war ich noch der Ansicht, Buchholz' Beitrag zur Pariser Weltausstellung sei von der deutschen Ausstellungsleitung zurückgehalten worden. D a aber sein Gemälde in dem oben aufgeführten offiziellen Ausstellungskatalog genannt wird, ist meine frühere Darstellung hinfällig.
158
Siehe z.B. in Kat. Ausst. München 1996/2, B 136: Théodore Rousseau, Im Wald von Fontainebleau, Hamburger Kunsthalle; B 80: Narcisse Diaz, Im Wald von Fontainebleau, um 1860/70, Rijksmuseum H. W. Mesdag, Den H a a g
159
Karl Buchholz, Lichter Wald im Herbstnebel (Webicht bei Weimar), O l / L w d . , 82 x 116 cm, bez. u. r.: K. Buchholz W. 88, KuSa Weimar; Ziegler 2000/1, Abb. 12, S. 33 - Narcisse Diaz, La Forêt de Fontainebleau, 1874, Öl/Holz, 39,3 x 57,3 cm, Musée des Beaux-Arts, Reims; Parinaud 1994, Abb. S. 107
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Doch bei allen Gemeinsamkeiten in der Anlage, im Charakter sind beide Bilder verschieden. Diaz geht es um die Erfassung der wuchernden, urwüchsigen Kraft des Eichenwalds von Fontainebleau. Er zeigt das Knorrige und Verwachsene der alten Bäume, die Dichte der Laubmassen, die am oberen Bildrand wieder zusammenfließen, um nur ein kleines Stück des Himmels oberhalb der durch den Wald gelegten Schneise durchscheinen zu lassen. Er läßt das helle Sonnenlicht in breiten Flecken auf den Waldboden und die Stämme der Eichen fallen. Solche vitalen und dynamischen Momente vermeidet Buchholz. Bei ihm stehen die kahlen Baumkronen der dürren Birken und Buchen des Webichts gegen den bläulich-violett verhangenen Herbsthimmel, der über das ganze Bild ein diffuses, trübes Licht wirft. Er läßt die Bäume nicht zu einem Wald zusammenwachsen, stellt sie vielmehr einzeln nebeneinander, um akribisch ihrer Physiognomie nachzugehen. Vereinzelung und Vergänglichkeit des Individuums klingen hier als Themen an, ohne sich aufzudrängen. Auch bei der Graphik zeigt sich eine ähnliche Konstellation. Buchholz' hochformatige, 1889 entstandene Radierung Am Abend erinnert an Daubignys Clichéverre he Ruisseau dans la clairière von 1862.160 Doch während Daubigny mit leichtem Strich und einer unverkennbaren Lust am Erzählen nicht nur Büsche und Gestrüpp darstellt, sondern auch zwei kleine Hasen, die aus einem Rinnsal trinken, geht Buchholz konzentriert dem feinen Lineament der Verästelungen einiger weniger, aus dichtem Unterholz aufstrebender Bäume nach, um deren kahle Kronen einige Vögel kreisen. Buchholz legt sich eine Strenge der Darstellung auf, die dem Franzosen fehlt. Buchholz scheint seine Waldrandbilder, die seit Mitte der 1870er Jahre entstehen, ohne Anleihen bei den Barbizonisten entwickelt zu haben. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß sich im Nachlaß Theodor Hagens eine Vielzahl von genau ausgeführten Baumstudien aus der frühen Weimarer Zeit des Künstlers erhalten haben, die in ihrem hohen Ausführungsgrad durchaus den auf Buchholz' Gemälden vorkommenden Bäumen gleichen.161 Diese bisher unbekannten Zeichnungen verwundern, denn Hagen stellte in den 1870er Jahren vorrangig Stadtansichten aus seiner rheinischen Heimat und Hochgebirgsland-
160
Kat. Ausst. Weimar 1980/2, Jg. 1889, Nr. 5: Am Abend-, Scheidig 1991, Abb. S. 84; Kat. Ausst. Lübeck/Erfurt 2000, Nr. 84, Abb. S. 145 - Delteil 1921, Nr. 137: Le Ruisseau dans la clairière, 1862; Parinaud 1994, Abb. S. 88; Ziegler 2000/1, Abb. 13, S. 34
161
G N M Weimar/Nachlaß Theodor Hagen: D a der Nachlaß noch nicht inventarisiert ist, kann ich nur allgemein auf das Vorhandensein dieser Zeichnungen hinweisen.
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schalten aus der Schweiz und Tirol aus; Waldbilder tauchen erst in den 1890er Jahren auf! Es könnte sein, daß Buchholz von Hagen, seinem letzten Lehrer, zum Baumstudium angeregt worden ist und daraus seine Leidenschaft zu diesem Motivkreis faßte, während sein Lehrer diesen zunächst nur zu Fingerübungen nutzte. Die Berührung mit den Werken der Meister von Barbizon, die bei Buchholz durchaus stattgefunden hat - sei es durch seine eigenen Ausstellungsbesuche in München, sei es durch das Studium von in Weimar zugänglichen Reproduktionen oder Originalen - stellte kein Schlüsselerlebnis in seinem Leben dar, löste keine emanzipatorischen Kräfte in ihm aus. Er wird die Kunst der Barbizonisten, die er erwiesenermaßen sehr schätzte, lediglich als Bestätigung seines eigenen Wegs aufgefaßt haben.162
DIE WEIMARER G E S E L L S C H A F T FÜR RADIERKUNST
Wilden Graben< zu seiten des Fahrwegs von Gelmeroda nach Weimar.156 Auch die Anlage des Bildes ist ungewöhnlich mit der hochliegenden Chausseenkante links und dem sich nach rechts erstreckenden Graben. Doch ist auf eine Ausgewogenheit der Bild155
Ebd., S. 14: »In ähnlicher Weise funktioniert auch der interkulturelle Transfer in zwei Richtungen: zum einen stellt er zugleich einen Öffnungs- bzw. Vermittlungsprozeß dar, durch den sich kulturelle Differenzierungen ausgleichen können; zum anderen wirkt er oft als Faktor, der die eigene - und durch diese hindurch auch die >fremde< - Identität stabilisiert und verfestigt.«
156
Der Wilde Graben neben der Chaussee, 1888, Ö l / L w d „ 47,5 x 60 cm, bez. u. r.: C. Rohlfs/Wr 88, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Neue Meister; Vogt 1978, Nr. 76; Scheidig 1991, Abb. S. 195; Kat. Ausst. München 1996/1, Nr. 10
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Kapitel IV
hälften und eine innere Geschlossenheit des Bildes geachtet: Die Muldung des Grabens ist in die Bildmitte genommen; der Reihe dürrer, vom Bildrand überschnittener Bäume auf der Chausseenkante links antworten die hochaufgeschossenen Birken und Büsche rechts. Trotz des niedrigen Betrachterstandpunkts und der Beschränkung auf die Darstellung eines enger gefaßten Naturausschnitts wird auf die Andeutung eines größeren landschaftlichen Zusammenhangs nicht verzichtet: In der Ferne links ist der Höhenzug des Ettersbergs zu erkennen, und der Himmel bleibt über die ganze Breite des Bildes sichtbar. Das Bild will die atmosphärische Stimmung eines klaren Spätherbsttags anschaulich machen durch die Erfassung des gleißend weißen Lichts, das flach über die Chausseenkante streift, des kühlen Blaus des klaren Himmels und der kahlen Bäume und Büsche, die gegen den Himmel stehen. Rohlfs' zehn Jahre später entstandenes Bild Belvederer Allee im Hochsommer (Abb. 36) geht motivisch in dieselbe Richtung: Nicht eigentlich die Allee ist dargestellt, sondern eine der Reihen von Kastanienbäumen, die entlang der Allee seitlich des schmalen Chausseengrabens stehen.157 Doch ist nun der ausschnitthafte Charakter des Bildes ins Extreme gesteigert. Durch die Nahsicht sind von den Bäumen nur deren mächtige Stämme in gedrängter Folge zu sehen; ihre Kronen erscheinen wie durch den oberen Bildrand weggeschnitten. Das Bild ist nicht mehr ponderiert: Den mächtigen Baumstämmen vermögen die schmalen v-förmigen Lichtstreifen, die über den Graben fallen, nicht das Gleichgewicht zu halten. Thema des Bildes ist nicht mehr die Erfassung einer jahreszeitlichen Landschaftsstimmung, sondern der Nachvollzug des unregelmäßigen Lichteinfalls durch eine Kastanienreihe. Trägt beim Wilden Graben das Lineament der dürren, kahlen Aste und Zweige noch entscheidend zur Gesamtwirkung des Bildes bei, so ist bei der Belvederer Allee jede Linie zu Farbtupfern aufgelöst, so daß die einzelnen Baumstämme und Aste teilweise zusammenfließen und in ihrem räumlichen Hintereinander nicht mehr auseinanderzuhalten sind. Allein das Licht hat modellierende Wirkung und arbeitet die Volumina heraus. Als zweites Vergleichspaar, das erweisen mag, in welchem Maße Rohlfs nach 1890 auf seine früher erarbeiteten Bildfindungen zurückgriff, sie nun aber als impressionistische Lichtexperimente auffaßte, seien zwei Versionen der Schloßbrücke herangezogen. Rohlfs hat in den 1880er Jahren mehrfach die Weimarer 157
Belvederer Allee im Hochsommer, 1898, Öl/Lwd„ 90 x 74 cm, bez. u. r.: C. Rohlfs 98, KuSa Weimar; Vogt 1978, Nr. 172; Scheidig 1991, Abb. S. 193; Kat. Mus. Weimar 1994, Nr. 89; Ziegler 1999, Kat. 21, S. 38
Die Weimarer Malerschule und der französische Impressionismus
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Schloßbrücke mit der dahinterliegenden Kegelbrücke in planparalleler Anordnung gemalt; 1892 hat er sich ein letztes Mal diesem Motiv zugewandt.158 Die heute in Hagen befindliche Version von 1887 (Abb. 37) sei mit der Altenburger Variante von 1892 (Abb. 38) verglichen.159 In der Hagener Version von 1887 bleibt der Betrachter noch etwas abgerückt von der Schloßbrücke. Vor allem wird durch den linken Brückenbogen die weiter hinten liegende Kegelbrücke sichtbar, womit die Nahsicht abgemildert wird. In der Altenburger Fassung von 1892 ist dagegen die Untersicht auf die Schloßbrücke verstärkt und kein Durchblick in die Ferne mehr gegeben. Die Brückenbögen sind allein von Büschen und Bäumen hinterfangen, die kaum den Himmel durchscheinen lassen. Rohlfs ist es nicht mehr um die Bewältigung eines Motivs zu tun - daher der Rückgriff auf die schon oft gemalte Schloßbrücke. Vielmehr geht es ihm um die Darstellung unterschiedlicher Lichtwirkungen mittels eines differenzierten Farbauftrags: Die Spiegelungen auf dem ruhigen Wasser werden durch Uberlagerung vertikaler und horizontaler Farbstreifen dargestellt, die flimmernden Lichterreflexe unterhalb der Brückenbrüstung durch eine feine Strichelung von roten, weißen und violetten Farben, das Aufschimmern des Laubs im Sonnenlicht durch unstrukturierte und richtungslose breite Farbflecken unterschiedlich hellen Grüns. In diesem Bild ist Christian Rohlfs ganz Impressionist. Der Schwerpunkt der Darstellung verlagert sich von der Erfassung des Faktischen zur Ergründung des die Erscheinung Bewirkenden, des Lichts. Doch im Gegensatz zu Claude Monet überzieht Rohlfs die Leinwand nicht mit einem einheitlich strukturierten Geflecht an Farbstrichen, wodurch ein Farbgewebe entsteht, das sich weitgehend von dem dargestellten Motiv abzulösen, zu verselbständigen beginnt. Farbgebung und Art des Farbauftrags haben bei Rohlfs noch vorrangig mimetische 158
Vogt 1978,1884: Nr. 52; 1887: Nr. 72; 1888: Nr. 84,85 u. 93; 1892: Nr. 137 - Auch Claude Monet hat oft Brücken dargestellt, die ihn allerdings als Zeugnis des modernen Zeitalters interessierten, wie etwa die Eisenbahnbrücke über die Seine bei Argenteuil oder den Pont de l'Europe bei der Gare Saint-Lazare. Dagegen wurden die durch die Entwicklung der Technik bedingten Veränderungen des Weimarer Umlandes, etwa die 1873/75 errichtete sog. Sechsbogen-Brücke der Eisenbahnverbindung Weimar-Jena, von Rohlfs und den anderen Weimarer Malern nicht zum Bildgegenstand gemacht.
159
Sternbrücke (=ScMoßbrücke) in Weimar, um 1887, O l / L w d . , 37,5 x 50 cm, bez. o. r.: C. R., Karl Ernst Osthaus Museum, Hagen i. W.; Vogt 1978, Nr. 72 u. Abb. S. 39 - Ilmbrücke in Weimar, 1892, Öl/Lwd., 49 x 60 cm, bez. u. r.: C. R. 92, Lindenau-Mueseum Altenburg; Vogt 1978, Nr. 137; Scheidig 1965, S. 65; Scheidig 1991, Abb. S. 191; Kat. Ausst. München 1996/1, Abb. Nr. 21
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Kapitel IV
Funktion, während ihnen bei Monet bereits ästhetische Autonomie zugestanden wird.160
Paul Baum
Es ist erstaunlich zu beobachten, daß ein ehemaliger Weimarer Maler, der zu Beginn der 1890er Jahre nicht mehr in Weimar weilte und nicht über die Vorträge Heilbuts und die Ausstellungen in der Permanenten, sondern durch einen Aufenthalt in Paris mit dem französischen Impressionismus in Berührung gekommen war, ebenfalls einen impressionistischen Stil entwickelte, der ganz ähnliche Tendenzen aufweist, wie jener der in Weimar verbliebenen Maler. Paul Baum hatte 1887 Weimar verlassen und war in sein heimatliches Dresden zurückgekehrt, nachdem er seit 1878 an der Weimarer Kunstschule unter Theodor Hagen gelernt hatte.161 In Weimar hatte man ihm den Spitznamen »grauer Baum« gegeben, da er, ähnlich wie Karl Buchholz und Christian Rohlfs, in den 1880er Jahren eine ausgeprägte Vorliebe fiir die Darstellung grauer Herbst- und Regentage entwickelt hatte.162 Das Verlangen, von der in der Reduktion der Farbskala äußerst restriktiven Weimarer Tonmalerei wegzukommen, hatte Paul Baum bewogen, sich von Weimar und dessen Einflüssen zu lösen. 1888 und 1889 arbeitet er die Sommermonate über im Dachauer Moos bei München, doch die dort entstandenen Arbeiten brachten nicht die gewünschte Farbaufhellung.163 Im Februar 1890 reiste er nach Paris, nachdem sein Dresdner Freund Carl Bantzer bereits im Januar dorthin aufgebrochen war, und sah in der französischen Metropole Werke von Monet, Sisley und Pissarro.164 Im Sommer 1890 arbeitet er zusammen mit Max Arthur Stremel, den er in Dachau kennengelernt hatte, in dem Künstlerdorf Knokke sur mer an der belgischen Nordseeküste, was den ersehn160
Zur Autonomie der Darstellungsmittel bei Monet: Gottfried Boehm, Das neue Bild der Natur. Nach dem Ende der Landschaftsmalerei, in: Landschaft, hg. v. Manfred Smuda, Frankfurt a. M. 1986, S. 87-110, bes. S. 89
161 162 163
Hitzeroth 1988, S. 369 Scheidig 1991, S. 90 Als ein in der farblichen Gestaltung unbefriedigendes Werk dieser Ubergangszeit kann das Erfurter Bild Vorfrühling bei Dachau gelten (Kat. Mus. Erfurt 1961, Nr. 5; Hitzeroth 1988, F 4 v, Farbtafel F 44). Hitzeroth 1988, S. 369-374
164
Die Weimarer Malerschule und der französische Impressionismus
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ten Wechsel brachte.165 Zwar blieb die Farbaufhellung bei den in Knokke entstandenen Werken noch moderat, doch baute er nun die Bilder aus nebeneinandergesetzten pastosen Farbstrichen auf deren Buntwerte er nicht von vornherein dämpfte, sondern lediglich in Hinblick auf eine farbliche Gesamtharmonie des Bildes aufeinander abstimmte. Die zusammen mit Stremel in Belgien gemalten Werke stellte Baum erstmals im April 1891 in der Galerie Gurlitt in Berlin aus, wo sie allerdings auf wenig Gegenliebe gestoßen zu sein scheinen, denn sogar der aufgeschlossene Kritiker Julius Elias charakterisierte sie als kraftlos.166 In Weimar waren seit Anfang Dezember 1891 drei Arbeiten von Baum in der Permanenten zu sehen:167 Kornernte (Nachmittagssonne)168, Dünenweg (Nachmittagssonne) (Farbtf. 5)169 und Felder im Herbstm. Im Juli 1892 wurden nochmals vier Arbeiten Paul Baums in Weimar gezeigt:171 Häuser in den Dünen, Frühlingslandschaft, Fallende Blätterund KornernteP1 Im Dezember folgten nochmals drei in der Lokalpresse nicht näher bezeichnete Landschaften.173
165 Hitzeroth 1988, S. 374 166 Julius Elias, Bildende Kunst (»Gurlitt« und »Schulte»), in: Die Nation 8, 1890/91, Nr. 27, 4. April 1891, S. 422f. 167
In der Lokalpresse werden nur zwei Bilder, eine Kornernte in Nachmittagssonne sowie ein Dünenweg in Nachmittagssonne, aufgeführt. Siehe: ZD 43. Jg., Nr. 399,13.12.1891 bzw. WZ, Nr. 292, 13.12.1891 - Scheidig 1965, S. 318: Akten der Staatlichen Kunstsammlungen Weimar, Kommissionsbuch I der Permanenten Kunstausstellung, fol. 32, Eintragung vom 5. Dez. 1891: Hier wird noch ein drittes Gemälde, nämlich Felder im Herbst, genannt.
168
Wahrscheinlich identisch mit: Hitzeroth 1988, H 9 v: Halbgemähtes Kornfeld mit Bäuerin-, keine Standortangabe; Farbtafel 64.
169
Wahrscheinlich identisch mit: Hitzeroth 1988, H 30 v: Sonniger Sandweg in Frühlingswiese, Ol/Lwd., 61,5 x 78,5 cm, bez. u. r.: Paul Baum, Marburg, Universitätsmuseum für Kunst und Kulturgeschichte; Farbtafel F 76; Ziegler 1999, Kat. 14, S. 35
170
Wahrscheinlich identisch mit: Hitzeroth 1988, G 3 v: Weg zwischen Korn- und Garbenfeldern, 1890; keine Standortangabe; Farbtafel 68 Scheidig 1991, S. 240 Bei den Häusern in den Dünen könnte es sich um folgendes Werk handeln: Hitzeroth 1988, H 35 v: Häuser in den Dünen bei Knokke surmer, 1891; keine Standortangabe; Farbtafel 80 - Die Bilder Frühlingslandschaft und Fallende Blätter lassen sich nicht bestimmen - Für die Kornernte schlage ich vor: Hitzeroth 1988, H 10 v: Garbenhaufen aufgrünen Feldern; keine Standortangabe; Farbtafel 71
171 172
173
ZD 44. Jg., Nr. 398,18.12.1892
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Kapitel IV
Diese Bilder, soweit sie identifizierbar sind, zeigen, obwohl in einer anderen Landschaft entstanden, im Bildaufbau Weimarer Gepräge. Wie seine Weimarer Kollegen hatte Baum seine reduktive Bildsprache noch gesteigert. Bei dem im Dezember 1891 gezeigten Bild Dünenweg (Nachmittagssonne) (Farbtf. 5) z.B. ist nur ein sich über die ganze Breite des Bildes erstreckender Dünenrücken in Nahsicht dargestellt, hinter dem die Dächer zweier Häuser auftauchen. Doch was dieses Werk von den Arbeiten der 1880er Jahre vor allem absetzt, ist der jetzt auch bei einem als ausstellungswürdig erachteten Bild praktizierte unmittelbare Zugriff auf die Natur in einer in Farbwahl und Farbauftrag ungebundenen, spontanen Malweise. Dagegen hatte Baum zum Beispiel sein 1886 fertiggestelltes Galeriebild Weg nach Niedergrunstedt (Abb. 39) noch durch zahlreiche Zeichnungen vorbereitet.174 Auf diesem Gemälde offenbart die zeichnerische Präzision der Details und die nuancenreiche Abstufung der Braun- und Grauwerte die überlegte, durch einen langwierigen Werkprozeß abgeklärte Malweise. Wie Scheidig bereits herausgestellt hat, werden die von Paul Baum 1891 und 1892 in Weimar ausgestellten impressionistisch anmutenden Arbeiten auf seine ehemaligen Weimarer Kollegen nicht ohne Wirkung geblieben sein und sie in ihrem Streben nach entfesselter Farbverwendung und Vereinfachung des Bildaufbaus bestärkt haben.175 Paul Baum kann in den frühen 1890er Jahren noch als ein Vertreter der Weimarer Malerschule bezeichnet werden, selbst wenn er dort nicht mehr arbeitete, da seine ersten impressionistischen Versuche noch ganz auf dem Erbe seiner Weimarer Zeit fußen. Uber seine von Weimar her geprägte Malweise geht er erst in der zweiten Hälfte der 1890er Jahre hinaus, als er eine pointillistische Technik annimmt und sich in Südfrankreich und Italien einen neuen Motivkreis erschließt.176
174
Weg nach Niedergrunstedt, 1886, Öl/Lwd., 66 x 96 cm, bez. u. 1.: Paul Baum Weimar 1886, KuSa Weimar; Scheidig 1991, Abb. S. 123; Hitzeroth 1988, Farbtafel 12 u. Abb. einer Vorzeichnung SW 25, S. 455; Ziegler 1999, Abb. 6, S. 21
175 176
Scheidig 1965, S. 61 Hitzeroth 1988, S. 380-382
Die Weimarer Malerschule und der französische Impressionismus
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Ludwig von Gleichen-Russwurm
Zwar entstanden während der 1890er Jahre die meisten Bilder Gleichen-Russwurms im fränkischen Bonnland nahe Würzburg, doch behielt der Künstler weiterhin seinen Wohnsitz in Weimar bei und stellte in der dortigen Permanenten aus.177 Die dort entstandenen Arbeiten lassen sich nur vor dem Hintergrund der Weimarer Umwälzungen zu Beginn der 1890er Jahre verstehen. In ihrem reduktiven Charakter sind sie ganz weimarisch. Man kann sagen, daß Ludwig von Gleichen-Russwurm den homogensten Stil unter den impressionistischen Malern Weimars entwickelte. Während Christian Rohlfs Häuserfronten, Straßen, Alleen, Waldwege, Friedhöfe, Brücken, Wiesen, Felder, Waldränder und vieles andere als Bildgegenstand wählt, bildet bei Gleichen-Russwurm die flache fränkische Hügellandschaft das durchgängige Motiv. Der Landmann bei Verrichtung seiner Arbeit bildet dabei einen integralen Bestandteil. Nur selten hat Gleichen-Russwurm auch ausgelassene und unbeschwert ihre Freizeit genießende Spaziergänger dargestellt, wie etwa bei den Gemälden Spaziergang unter blühenden Apfelbäumen von 1893 und Sommerlandschafi bei Bonnland im Frühsommer {Mab. 40) von 1896.178 Diese durchlichteten sommerlichen Landschaften in ihrer lockeren, strichelnden Pinselschrift erinnern an Claude Monets Darstellungen städtischer Sommerfrischler an der Seine oder im Umland von Paris aus den 1870er Jahren (Abb. 41).179 Auch im Bildaufbau zeigen Gleichen-Russwurms Arbeiten der 1890er Jahre einen einheitlichen Zug. Meist ist die Landschaft in zwei bildparallele Zonen geteilt, woran sich die Himmelszone anschließt, die ein Drittel, manchmal auch die Häflte der Bildfläche einnimmt. Gleichen-Russwurm zeigt eine deutliche Vor177
Hanna Nogossek, Das Kunstleben in Unterfranken im 19. Jahrhundert, Phil. Diss Würzburg 1989, (Freunde Mainfränkischer Kunst und Geschichte e.V. Würzbürg, Bd. 50), Würzburg 1991, S. 123-125, erwähnt, daß sich Gleichen-Russwurm kaum am Würzburger Ausstellungsleben beteiligte, obwohl er Mitglied des örtlichen Kunstvereins war.
178
Spaziergangunter blühenden Apfelbäumen, 1893, Städtische Galerie Würzburg; Kat. Ausst. Würzburg 1983, Abb. 8; Ziegler 1999, Kat. 4, S. 30 - Sommerlandschaft bei Bonnland im Frühsommer; Öl/Lwd., 87 x 129 cm, bez. u. r.: Bonnland Juni 96 GR, Städtische Galerie Würzburg; Kat. Ausst. Würzburg 1983, Abb. 10
179
Siehe etwa Spaziergang im Klatschmohnfeld von 1873, Öl/Lwd., 50 x 65 cm, bez. u. 1.: Claude Monet./73, Paris, Musée d'Orsay; Daniel Wildenstein, Claude Monet. Biographie et catalogue raisonné, 5 Bde., Bd. I: 1840-1881, Lausanne, Paris 1974, Nr. 274
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Kapitel IV
liebe für den Fernblick, für die Darstellung der Weite der Landschaft. Der Betrachter bleibt abgerückt, behält den Uberblick von einem erhöhten Standpunkt aus. Gleichen-Russwurms Landschaftdarstellungen haftet daher nicht jener fragmentarische Charakter an, den man so oft bei Rohlfs findet, doch ist auch bei ihnen auf bildliche Geschlossenheit bewußt verzichtet: Jede innere Rahmung ist vermieden; die Landschaftsgründe stoßen unvermittelt auf die Bildränder, die eher als willkürlich gesetzte Begrenzungen eines Landschaftsausschnitts erscheinen denn als kompositorisch motivierte Bildabschlüsse. Erst die Präsenz des Menschen gibt der weitläufigen Landschaft einen Mittelpunkt. Gleichen-Russwurm thematisiert die existentielle Bindung des Menschen an die Natur, die Prägung des Menschen durch die Landschaft. Das bäuerliche Leben wird als eine dem Menschen angemessene Lebensform charakterisiert, die ihm seinen Platz innerhalb des größeren kosmischen Zusammenhangs zuweist. Gleichen-Russwurms Bild Schajpferch bei Bonnland von 1900 greift erneut auf das Schäfermotiv zurück, das bereits in den 1880er Jahren vorkommt.180 Es zeigt ein inmitten einer weiten Ebene liegendes Gehege, in das die Tiere unter der Aufsicht eines Schäfers für die hereinbrechende Nacht zusammengetrieben worden sind. Das Bild wird zur Metapher für eine Weltordnung, in der der Mensch durch sein einträchtiges Verhältnis zur Natur Geborgenheit finden kann. Vereinzelt verwendet Gleichen-Russwurm auch symbolische Verweise, um der übergreifenden Bezüglichkeit zwischen dem Irdischen und dem Himmlischen Ausdruck zu geben. In seiner Herbstlandschaft mit Regenbogen von 1896 (Farbtf. 6) überspannt ein großer Regenbogen die Landschaft.181 Dieses alte christliche Symbol der Verbindung von Himmel und Erde evoziert, daß dieser Landstrich unter dem Schutz des Himmels steht und gedeiht.182 Zwar signalisiert die sehr freie, fast grobe Maltechnik einen unmittelbaren, spontanen Zugriff auf das Motiv, doch wird die Direktheit der Landschaftsdarstellung durch die Andeutung einer symbolischen Bedeutung abgemildert.183
180 181 182
Zum Gemälde Schajpferch bei Bonnland siehe: Kap. II, Anm. 137 - Zum Motiv des Schäfers siehe Anm. 37 Zum Gemälde siehe: Kap. II, Anm. 136 Siehe: Art. Regenbogen, in: Erklärendes Wörterbuch zur Christlichen Kunst, hg. v. H. Sachs, E. Badstübner, H. Neumann, Hanau o.J.; Eberhard Roters, Malerei des 19. Jahrhunderts. Themen und Motive, 2 Bde., Köln 1998, Bd. II, S. 272-289 - 1896 hat Leopold von Kalckreuth ebenfalls eine symbolisch aufgeladene Landschaft mit Regenbogen gemalt. Siehe: Kat. Mus. München 1989, Abb. S. 145
Die Weimarer Malerschule und der französische Impressionismus
215
Es stellt sich grundsätzlich die Frage, inwieweit Gleichen-Russwurms Arbeiten, die das Bild einer direkten Bezüglichkeit zwischen Mensch und Natur zu einer Zeit entwerfen, in der dieser Zusammenhang durch die fortschreitende Industrialisierung zunehmend aufgelöst wurde, nicht als idyllische Retrospektionen gewertet werden müssen. 184 Allerdings könnten Gleichen-Russwurms zahlreiche Darstellungen eines naturnahen, unentfremdeten Landlebens auch als Gegenbilder zu der damaligen gesellschaftlichen Situation, die dem Menschen immer weniger die Möglichkeit bot, in einer daseinsbestimmenden Beziehung zur Natur zu verbleiben, verstanden werden. In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, daß die Forschung einen ähnlich ambivalenten Gesellschaftsbezug in Max Liebermanns Arbeiterbildern der 1870er und 1880er Jahre, von den Gänserupferinnen über die Schusterwerkstatt bis zur Flachsscheuer in Laren, festgestellt
hat.185 Diese Bilder stellen nicht die Produktions- und Lebensbedingungen des Großstadt- und Industrieproletariats dar, sondern eigentlich vorindustrielle Arbeitsverhältnisse, bei denen noch im Kollektiv in einem dörflichen oder familiären Umfeld produziert wird. Der die Menschen proletarisierenden Fabrikarbeit, wie sie zur beherrschenden Arbeitsform im Kaiserreich wurde, stellt Liebermann, wohl in Auseinandersetzung mit den Schriften Ferdinand von Lassalles, das Ideal der Produktionsgenossenschaft gegenüber, bei der die Arbeiter noch Anteil an den Produktionsmitteln haben und in Selbstverantwortung und Selbstorganisation ihre Arbeit verrichten können.186 Gerade darin scheinen viele Arbeiten Gleichen-Russwurms und Liebermanns zeitgemäß, modern, daß sie der eigenen Zeit Lebens- und Arbeitsformen, die zunehmend als veraltet und überholt erachtet wurden, als kritisches Korrektiv entgegenhalten. 187 183
Der Soziologe und Kunstwissenschaftler Georg Simmel diagnostizierte in einem 1896 publizierten Aufsatz über Soziologische Ästhetik eine »pathologische Erscheinung der >BerührungsangstSkizzenhaftigkeit< des Impressionismus
Bereits in der zeitgenössischen Kritik wurde die Ansicht geäußert, durch den Impressionismus sei die Skizze »zur alleinigen Form der Malerei erhoben« worden.232 Damit einher ging der Vorwurf, die impressionistischen Maler würden das vorbereitende Medium der Skizze als fertiges Bild ausgeben, öffentlich ausstellen, was andere Künstler allein zu ihrem privaten Gebrauch bestimmten.233 Dieselben Vorbehalte waren bereits in Frankreich gegen die Impressionisten, vor allem Monet, erhoben worden.234 Diese Art Einwände basierten auf der idealistischen Kunsttheorie, nach der der Anspruch auf Öffentlichkeit in starkem Maße von dem Vollendungsgrad des Werks abhing.235 Einige Kritiker gingen noch einen Schritt weiter und warfen dem Impressionismus die Untergrabung einer auf Ganzheitlichkeit und bildlichen Geschlossenheit ausgerichteten Wirklichkeitsdarstellung vor. Momme Nissen charakterisierte den französischen Impressionismus als seelen- und phantasielose »Momentmalerei«, bei der ein Ausschnitt der Wirklichkeit in seine momentane Lichterscheinung aufgelöst und damit der »Zerbröckelung« des »organischen«
230 231
232 233
Ernst Kreowski (München), Weimarische Kunst im Münchener Glaspalast, in: ZD, 43. Jg., Nr. 260, 14.8.1891 u. Nr. 261, 15.8.1891; Zitate in Nr. 260 Lediglich Ende 1894 würdigte Avenarius nochmals die Weimarer Kunstschule in einem Nachruf auf den verstorbenen Stanislaus Graf von Kalckreuth, dem Vater Leopolds und ersten Direktors der Kunstschule: F. Avenarius, Nachricht vom Tode Stanislaus' Graf zu Kalckreuth, in: KW 8,1894/95, Nr. 5, S. 76
234
Albert Dresdner, Die Ausstellung der Berliner Secession, in: KW 16,1903, Nr. 18, S. 287 Walter Gensei, Die bildenden Künste. Rück- und Ausblicke auf das Kunstleben der Gegenwart, in: Westermann's Illustrirte deutsche Monatshefte, 97. Bd., H. 577, Okt. 1904, S. 139-158, S. 144 R. R. Bernier, The subject and painting, Monet's >language of the sketch, in: Art-History 12, 1989, S. 298-321, bes. S. 302 - Bereits Zola und die Gebrüder Goncourt hatten den Impressionisten um Monet das >Unfertige< ihrer Bilder vorgeworfen. Siehe: Lionello Venturi, The Aesthetic Idea of Impressionism, in: The Journal of Aesthetics and Art Criticism 1, 1941/42, S. 34^45, S. 42
235
Busch 1985, S. 256
Kapitel IV
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Wirklichkeitsbildes Vorschub geleistet werde. 236 Carl Justi, Ordinarius für Kunstgeschichte in Bonn und durch seine Studien zu Winckelmann und Velâzquez berühmt geworden, äußerte in einem 1902 gehaltenen Vortrag über den Amorphismus in der Kunst die Ansicht, der Impressionismus habe das Unvollendete zum Prinzip erhoben. 237 In seinem »Formenhaß« - den Justi mit dem Begriff »Amorphismus« zu bezeichnen sucht - habe sich der Impressionismus von dem klassischen Schönheitsideal der Griechen, das auf Konsolidierung, Harmonisierung und Symmetrisierung der Formen beruhe, entfernt und sei auf die Pflege der »Häßlichkeit um ihrer selbst willen« verfallen. 238 Kontrastiert man diese zeitgenössischen Einwendungen gegen die Skizzenhaftigkeit des Impressionismus - die im Falle Nissens und Justis bereits in den Bereich einer allgemeinen Moderne-Kritik hinüberführen - mit der gängigen Malpraxis der impressionistischen Künstler, so fallt auf, daß diese noch sehr genau zwischen dem vorbereitenden Medium der Skizze und dem als abgeschlossen erachteten Bild zu unterscheiden wußten und sie die meisten ihrer Gemälde, vor allem die großformatigen Ausstellungsbilder, noch von langer Hand mittels Zeichnungen, Olskizzen, Studien und nicht zuletzt Photographien vorbereiteten. Die auch in der neueren Literatur vertretene Ansicht, mit der Durchsetzung der impressionistischen Malweise seien Bild und Skizze weitgehend zusammengefallen, verkennt, daß die impressionistischen Maler verschiedene Formen der Werkgenese oft nebeneinander anwendeten. 239 So lassen sich etwa in Hagens impressionistischem Œuvre unterschiedliche Arbeitsweisen ausmachen. Das bereits angesprochene Bild An der Windmühle bei 236
M o m m e Nissen, Momentmalerei (V) Monet, in: Der Lotse 1, 1901, H. 30, 27. April 1901, S. 262269, S. 263: »Monet kommt künstlerisch kaum über die Skizze hinaus. Diese forciert er. Er gibt nicht Farben, sondern nur Farbwerte - nicht Luft und Bäume, sondern nur deren lichte Augenblicksreflexe. Er nimmt eine Art Vivisektion der Landschaft vor, aber ihres organischen Aufbaus, ihrer Größe und Schwermut vergißt er. [...] Das Abrupte geht durch bei ihm. Daß man durch Skizzen- und Lückenhaftigkeit hingeworfener Tonwerte oft frappierende Farbeneindrücke erzielt, weiß auch der jüngste Maler. Dies Verfahren ist von Monet in der Landschaftsmalerei zuerst prinzipisiert worden. Systematisierte Zerbröckelung aber ergiebt noch keinen Geist.« - Für den Hinweis auf diesen Text habe ich Justus Ulbricht, Weimar, zu danken.
237
Carl Justi, Amorphismus in der Kunst. En Vortrag gehalten am 9. Juli 1902. Als Manuskript ge-
238
Ebd., S. 19,21 u. 23
239
Annegret Höhler, Skizzenhafte Malerei im 19. Jahrhundert, in: Kat. Ausst. Köln 1990, S. 82-87,
druckt, Bonn [1902], S. 11
S. 82
Die Weimarer Malerschule und der französische Impressionismus
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Weimar (Abb. 44) aus den frühen 1890er Jahren wird unmittelbar vor der Natur entstanden sein, worauf die an vielen Stellen durchscheinende ungrundierte Leinwand schließen läßt.240 Auch Hagens Gemälde Sommertag im Weimarer Park entstand unmittelbar vor dem Motiv. An Alfred Lichtwark, der das Bild 1910 fiir die Hamburger Kunsthalle erwarb, schrieb der Künstler: "Das Bild ist im Jahr 1900 gemalt und zwar wirklich vor der Natur. Es ist eine Stelle aus dem Weimarischen Park unterhalb der Schloßbrücke, am Wehr eines Seitenarmes der Ilm. Ich konnte das Bild in einem Schuppen einer Badeanstalt beherbergen und schleppte es täglich mit Hilfe meiner Töchter von dort bis zum Malplatze. Meine Mädels dienten auch als Staffage."241 Dagegen hat Hagen das ebenfalls schon vorgestellte und kurz nach 1900 entstandene Gemälde Im Walde (Abb. 46) durch mehrere Zeichnungen vorbereitet, die schließlich in einer mit einer Quadrierung überzogenen und in Gouache farbig angelegten abschließenden Zeichnung mündeten (Farbtf. 7).242 Darüber hinaus hat sich im Nachlaß des Künstlers ein Foto erhalten, das genau dem im Bild wiedergegebenen Naturausschnitt entspricht (Abb. 47) ,243 Hagen hat sich also bei der Realisierung dieses Werkes des Hilfsmittels der Photographie bedient, was für einen Künstler in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nichts ungewöhnliches mehr war.244 Zahlreiche pleinairistisch ausgerichtete Landschafts-
240 241
Siehe zu dem Bild Anm. 197 Siehe zu dem Bild: Die Gemälde des 19. Jahrhunderts in der Hamburger Kunsthalle, bearb. v. Jenns Eric Howoldt u. Andreas Baur, Hamburg 1993, S. 73; Scheidig 1991, Abb. S. 200 - Der Brief: Hamburger Kunsthalle, Archiv, Lichtwark-Korrespondenz: Hagen an Lichtwark, Weimar, 27.11.1910. Ich habe Jenns Eric Howoldt für den Verweis auf dieses Schreiben zu danken.
242
G N M Weimar/Nachlaß Theodor Hagen: Skizzenbuch, 29 x 37 cm, unpaginiert. Insgesamt fünf Zeichnungen, darunter die eine farbige, sind als Vorzeichnungen zu dem Ölgemälde Im Walde anzusehen. - Zu dem Gemälde siehe Anm. 207.
243
G S A Weimar/Nachlaß Theodor Hagen: Foto, ca. 8 x 11 cm
244
Aus der umfangreichen Lit. zu diesem T h e m a sei lediglich verwiesen auf: Kat. zur Ausst.: Malerei und Photographie im Dialogvon 1840bis Heute, Kunsthaus Zürich, 13.5. - 24.7.1977, hg. v. Erika Billeter, Zürich 1977 - Ursula Peters, Die beginnende Fotografie und ihr Verhältnis zur Malerei, in: Kat. zur Ausst.: In unnachahmlicher Treue. Photographie im 19. Jahrhundert, ihre Geschichte in den deutschsprachigen Ländern, Josef-Haubrich-Kunsthalle Köln, 8.9. - 21.10.1979, Köln 1979, S. 59-82 - Kat. zur Ausst.: Befor Photography, Painting and the irwention of Photography, hg. v. Peter Galassi, Museum of M o d e m Art N e w York, 9.5. - 5.7.1981, u.a. Orte, N e w York 1981 Enno Kaufhold, Bilder des Übergangs. Zur Mediengeschichte von Fotografie und Malerei in Deutschland um 1900, Marburg 1986 - Aaron Scherf, Art and Photographie, London 1986
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und Figurenmaler bedienten sich dieses Mediums.245 Auch Gleichen-Russwurm scheint die Photographie eingesetzt zu haben. Seine großformatige Zeichnung einer Bäuerin mit Kiepe, Sense und Hacke von 1891 könnte durch ein Foto Louis Heids von ca. 1890, das zwei Bäuerinnen mit Sensen auf einem Feldweg zeigt, angeregt worden sein.246 Die Photographie war neben der Zeichnung zu einem gleichwertigen Arbeitsmittel innerhalb eines langwierigen und vielstufigen Werkprozesses geworden, und das nicht zuletzt bei solchen Malern, deren Kunst auf die Erfassung eines vorgeblich spontanen Natureindrucks zielte. Auch bei kleinformatigen Ölbildern wurde vorgeplant, etwa bei GleichenRusswurms 1889 entstandenem Bauernpaar beim Heuwenden (Abb. 29), das - wie bereits ausgeführt - die Haltung des Bauernpaars aus einer figurenreicheren Vorzeichnung übernimmt.247 Auch impressionistisch arbeitende Künstler, das macht dieses Beispiel deutlich, haben mit ihren Bildfindungen hausgehalten und sie an verschiedenen Stellen und in unterschiedlichen Medien, teilweise in leichter Variation, wiederverwendet. Eine der gängigsten Arbeitsweisen der Weimarer Maler wird weiterhin gewesen sein, ein Bild vor der Natur zu beginnen und es im Atelier abzuschließen. Der Prozeß der Umformung einer Skizze zum fertigen Bild läßt sich gut an Rohlfs' bereits besprochenem Gemälde Der Wilde Graben (Abb. 35) verfolgen.248 Zunächst hat sich Rohlfs vor dem Motiv auf die Erfassung der Zone vom vorderen Mittel- bis zum fernen Hintergrund konzentriert, und erst nachträglich hat er in lockerer, im Halbkreis herumgeführter Pinselschrift das Bild nach vorne hin abgeschlossen. Daher bleibt der Standort des Betrachters auch so merkwürdig unbestimmt und abgerückt, ja erhoben, obwohl der Blick aus einem Graben heraus dargestellt ist.249
245 Volker Fischer, Die Bedeutung der Fotografie im Werk Carl Bantzers, in: Kat. zur Ausst.: Carl Bantzer 1857-1941. Foto/Zeichnung/Gemälde. Synthetischer Realismus, Schloß und Rathaus Marburg, 26.6. - 15.8.1977, Marburg 1977, S. 21-25 - Karl Leibi, Malereinach Photographie bei Leibi, in: Kat. zur Ausst.: Wilhelm Leibi und sein Kreis, Städtische Galerie im Lenbachaus München, 25.7. - 29.9.1974, München 1974, S. 55-60 - Zu Eugen Bracht: Großkinsky 1992, S. 149-154 Ulrich Pohlmann, Barbizon und die Photographie, in: Kat. Ausst. München 1996/2, S. 403-416 246 Die Zeichnung, bez.: Bonnland Aug. 91, in der Städtischen Galerie Würzburg, Inv.-Nr.: E 1033; das Foto in: Louis Held. Hojphotograph in Weimar - Reporter der Jahrhundertwende, hg. v. Renate u. Eberhard Renno mit einer Einleitung v. Renate Müller-Krumbach, Leipzig 1985, S. 89 Den Hinweis auf das Foto verdanke ich Ines Franke von der Städtischen Galerie Würzburg. 247 Zu dem Bild siehe Anm. 34 248 Zu dem Bild siehe Anm. 156
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Die Kontinuität herkömmlicher Arbeitsweisen wird, auch bei den auf diesem Gebiet fortschrittlich eingestellten Künstlern, viel stärker gewesen sein als man auf den ersten Blick annehmen möchte.250 Als Liebermann 1894 erstmals ein großformatiges Ausstellungsbild ganz im Freien erarbeitet und vollendet, nämlich sein zwei Meter hohes Gemälde Schreitender Bauer, malt er das Bild nicht etwa ad hoc vor dem Modell, sondern fertigt zunächst einige Olskizzen an, die der Suche nach der besten Stellung des Bauern in der Landschaft dienen, und studiert Haltung und Gesichtsausdruck seines Modells in zahlreichen Detailstudien.251 Noch 1908 wird in Lovis Corinths Handbuch Das Erlernen der Malerei die Funktion der Skizze im Werkprozeß fest umrissen: Sie diene der Suche nach der passenden Anordnung der Bildgegenstände und deren adäquater künstlerischer Umsetzung. 252 Die Vorstellung von dem, was als vollendet und was als unvollendet anzusehen sei, war bei impressionistisch orientierten Künstlern durchaus ausgeprägt. Ludwig Dettmann, der 1889 auf einer kurzen Studienreisen nach Paris, Holland und London mit dem französischen Impressionismus in Berührung gekommen war und im Verlauf der 1890er Jahre eine religiöse und soziale Genremalerei im Stil Fritz von Uhdes pflegte, beschriftete sein 1895 entstandenes mittelgroßes Gemälde Kinderreigen mit »absichtlich Unvollendet [sie] gelassen«, um zu bekunden, daß dieses Werk von ihm nicht als vollendet angesehen wurde.253 249
Zum Problem der Verbindung von Nah- und Fernsicht bei der Umformung einer Skizze zu einem abgeschlossenen Bild: Werner Busch, Die autonome Olsiizze in der Landschaftsmalerei. Der wahr- und fiir wahrgenommene Ausschnitt aus Zeit und Raum, in: Pantheon 41, 1983, S. 126-133, S. 126
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Das gilt auch für die französischen Impressionisten. Siehe: Kat. zur Ausst.: Art in the Making. Impressionism, hg. v. David Bomford, J o Kriby, John Leighton u. Ashok Roy, National Gallery, London, 28.11.1990 - 21.4.1991, New Häven u. London 1990, S. 26f.
251
Eberle 1995, Nr. 1894/10; die vorbereitenden Studien und Skizzen: Nr. 1894/7-9. U m seine Arbeit im Freien zu dokumentieren, ließ sich Liebermann mit Leinwand und Modell in den Dünen photographieren (Eberle 1979, Abb. S. 39).
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Lovis Corinth, Das Erlernen der Malerei. Ein Handbuch, Berlin 1908, 3. Aufl. Berlin 1920, S. 88: »Wenn der Maler ein Bild plant, so pflegt er vorher eine Kompositionsskizze davon zu entwerfen mit Stift oder mit Farbe. Hierdurch verschafft er sich Klarheit über die Gruppierung der Figuren, über die Fleckenwirkung der Farben und über das Format.«
253
Kinderreigen, 1895, Ö l / L w d . / P a p p e , 54,6 x 57,8 cm, bez. u. r.: L u d g Dettmann 1895/absichtlich Unvollendet gelassen, Kunstmuseum Düsseldorf; Die Gemälde des 19. Jahrhunderts. Mit Ausnahme der Düsseldorfer Schule, bearb. v. Rolf Andree, (=Kataloge des Kunstmuseums Düsseldorf Malerei, Bd. I), Mainz 1981, Nr. 29
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Kapitel IV
Es steht außer Frage, daß durch den Impressionismus Gestaltungsprinzipien, die früher allein der Skizze vorbehalten waren - lockerer Pinselduktus und offene Bildstruktur - sich nun auch verstärkt im ausstellungswürdigen Bild wiederfanden. Interessanterweise führte dies aber nicht zur Substituierung des Bildes durch die Skizze. Das verstärkte Arbeiten im Freien, die gesteigerte Spontaneität des Malakts und die sich von Bildkonventionen befreiende künstlerische Wahrnehmung führten zwar zu neuen Freiheiten im ausstellungswürdigen Bild, nicht aber zur Aufhebung der herkömmlichen, altbewährten Arbeitsformen. Die Vorstellung, daß >Vollendung< aufgrund kontinuierlicher Überarbeitung des Materials und geistiger Durchdringung des Stoffes zu erreichen sei, war auch noch bei den impressionistischen Künstlern lebendig - bei aller >Skizzenhaftigkeit< ihrer Bilder.
WEIMAR, EIN ZENTRUM IMPRESSIONISTISCHER LANDSCHAFTSMALEREI
Man kann für die frühen 1890er Jahre Weimar als ein Zentrum impressionistischer Landschaftsmalerei in Deutschland bezeichnen. Zwar blieb die Ausstrahlung der Weimarer Impressionisten Christian Rohlfs, Ludwig von GleichenRusswurm und Theodor Hagen auf ihr künstlerisches Umfeld gering, doch erstmals in Deutschland praktizierten mehrere an einem Ort arbeitende Künstler eine Landschaftsmalerei impressionistischer Ausrichtung, die sogar durch Theodor Hagens Professur ihre Verankerung im Lehrbetrieb einer deutschen Kunstschule erhielt. Aus Hagens Schülerkreis folgten Berthold Paul Förster,J. W. Jürgens, Franz Horadam und Carl Krummacher der gewandelten Kunstauffassung ihres Lehrers.254 Vor allem ersterer übernahm die pastellartige Farbigkeit und die unaufdringliche Ausschnitthaftigkeit der Kompositionen seines Lehrers, wie sein um 1900 entstandenes Gemälde Sommerlicher Wiesenhang (Farbtf. 8) ver-
254
Die Kunstsammlungen zu Weimar/Graphische Sammlung bewahren ein dickleibiges Festalbum, das Hagen 1896 aus Anlaß seines 25jährigen Dienstjubiläums von seinen Schülern überreicht wurde (ca. 100 x 60 cm). Das Album gibt Aufschluß darüber, inwieweit sich eine impressionistische Kunstauffassung in seinem Schülerkreis durchgesetzt hatte. Die Arbeiten der genannten Künstler auf fol. 34, 8, 5 u. 20
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anschaulicht.255 Im Umkreis von Christian Rohlfs begann Carl Arp um 1900 in kräftig leuchtenden Buntfarben zu malen.256 Ein Blick auf den Entwicklungsstand der deutschen Landschaftsmalerei in den 1890er Jahren zeigt, daß sich eine ähnliche Verbindung von impressionistischen Landschaftsmalern erst Mitte desJahrzehnts in Dresden herausbildet, als zahlreiche Landschafter begannen, im Goppelner Grund zu arbeiten, und Gotthardt Kuehl und Carl Bantzer an die dortige Akademie berufen wurden. Im Schaffen der drei großen deutschen Impressionisten Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt hat die Landschaftsmalerei erst weit nach der Jahrhundertwende eine nachhaltige Rolle zu spielen begonnen, da ihre Bestrebungen vorrangig dem Figurenbild galten, wie Imiela herausgestellt hat.257 Die Darstellung des Menschen in der Landschaft war ein zentrales Anliegen Liebermanns, sowohl in seinen Arbeiterbildern der 1870er bis 1890er Jahre als auch in seinen Sportbildern, die verstärkt seit der Jahrhundertwende entstanden. Doch reine Landschaftsbilder hat Liebermann erst ab etwa 1910 in den Ansichten seines Hausgartens am Wannsee und der Dünen und Gärten im holländischen Nordwijk geliefert.258 Lovis Corinth trat in den 1890er Jahren vor allem als Historienmaler hervor, man denke nur an seine Kreuzabnahme von 1895 oder seine Salome von 1899. Daneben entwickelte er sich zu einem einfühlsamen und äußerst produktiven Porträtisten. Die Landschaft spielte zu dieser Zeit bei ihm nur eine marginale Rolle.259 Erst mit den ab 1918 entstehenden Walchenseebildern tritt diese Gattung bei ihm in den Vordergrund.260 Ahnliches ließe sich zu Slevogt sagen, der mit solchen Bilder wie Danae von 1895 oder Scheherezade erzählte on 1897 erstes Aufsehen erregte. Seine kleinformatigen Landschaftsbilder aus Capri von 1890 und seine Skizzen aus Neukastel, die um dieselbe Zeit einsetzen, können als die ersten bescheidenen Anfange einer 1909 beginnenden vertieften Auseinandersetzung vor allem mit der pfalzischen Landschaft um Neu255
Sommerlicher Wiesenhang, um 1900, ÖI/Lwd., 66 x 93 cm, bez. u. r.: Berthold Paul Förster, Privatbesitz
256 257
Scheidig 1960/1, S. 64 Hans-Jürgen Imiela, Die Landschaft im Schaffen von Max hiebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt, in: Kat. Ausst. Köln 1990, S. 138-145, bes. S. 138
258 259
Ebd., S. 139f. Anzuführen wären etwa die beiden Fensterausblicke aus dem Münchener Atelier in der Giselastraße 7 von 1891 oder die Große Rabenlandschaft und der Fischerfriedhof in Nidden von 1893. Siehe: Charlotte Berend-Corinth, Die Gemälde von Lovis Corinth, Werkhitalog, München 1958, 2. neubearb. Aufl. v. Béatrice Hernad, München 1992, Nr. 82, 84, 100, 115
260
Imiela 1990, S. 140f.
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kastei und Godramstein, den beiden Wohnsitzen seiner Schwiegereltern, gelten.261 In München entwickelte zu Beginn der 1890er Jahre Wilhelm Trübner eine impressionistisch zu nennende Landschaftsmalerei, nachdem er sich seit den späten 1870er Jahren hauptsächlich mit literarischen und religiösen Sujets beschäftigt hatte.262 1889 setzt eine Reihe von Ansichten des Heidelberger Schlosses den Anfang zu einer Vielzahl von Serien an Landschaftsdarstellungen, in deren Mittelpunkt meist ein pittoresker, altehrwürdiger Bau steht, so z.B. 1891 das Kloster Frauenchiemsee und 1892 das Kloster Seeon.263 Doch nur in wenigen Werken dieser Serien schafft es Trübner, trotz breiter, pastoser Pinselschrift, das Veduten- und Panoramahafte zugunsten eines unkonventionellen Blicks auf das Motiv zurückzudrängen.264 Eine dem Weimarer Impressionismus vergleichbare Landschaftsmalerei bildete sich in den frühen 1890er Jahren nur bei einer Gruppe von Dresdener Malern heraus, die das Dorf Goppeln südlich der sächsischen Residenzstadt zu ihrem sommerlichen Studienort gewählt hatten. Es ist vielleicht kein Zufall, daß zwei Mitglieder der Gruppe Weimarer Schulung genossen hatten, Wilhelm Ritter 1883/84 und Paul Baum 1878-1887. Die wichtigsten weiteren Mitglieder dieses Kreises waren Wilhelm Claudius, Robert Sterl und vor allem Carl Bantzer.265 Bantzer, der an der Berliner und Dresdner Akademie ausgebildet worden war, hatte Anfang der 1890erJahre durch seine figurenreiche und aufwendig vorbereitete Komposition Abendmahl in einer hessischen Doiflirche, an der er 1889 bis 1892 gearbeitet hatte, Aufsehen erregt.266 Nebenbei entstanden die ersten Land261
Ebd., S. 141-144 - Siehe auch: Hans-Jürgen Imiela, Max Slevogt. Eine Monographie, Karlsruhe 1968, S. 141-153 - Berthold Roland, Max Slevogt. Pßlzische Landschaften, München 1991, bes. S. 10
262
Klaus Rohrandt, Wilhelm Trübner und die Künstlerische Avantgarde seiner Zeit.; in: Kat. zur Ausst.: Wilhelm Trübner 1851-1917, Kurpfälzisches Museum der Stadt Heidelberg, 10.12.1994 19.2.1995, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München, 10.3.1995 - 21.5.1995, München 1994, S. 37-50, S. 45
263 264
Ebd., S. 46 Siehe etwa: Wirtshaus aufder Fraueninsel (Landschaft mit Fahnenstange), 1891, Slg. Oskar Reinhart, Winterthur; Joseph August Beringer, Trübner. Des Meisters Gemälde, (Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben, 26. Bd.), Stuttgart u. Berlin 1917, S. 183
265
Günter Krüger, Goppeln bei Dresden, in: Deutsche Künstlerkolonien und Künstlerorte, hg. v. Gerhard Wietek, München 1976, S. 130-135 - Zu Bantzers Goppelner Zeit: Bernd Küster, Carl Bantzer, Marburg 1993, S. 59-66
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Kat. Ausst. Marburg 1977, Nr. 9
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Schäften im Goppelner Grund, auf den ihn Wilhelm Claudius aufmerksam gemacht hatte. Solche Bilder wie Wiesenhang im Votfrühling (Abb. 50) von 1893 oder Im Gebergrund von 1894, die sich im Wesentlichen auf die Darstellung einer bis unter den oberen Bildrand reichenden, vom Sonnenlicht beschienenen Wiesenfläche beschränken, sind in der Reduktion der motivischen Komplexität, in der Vorliebe für die gesteigerte Nahsicht und in der Konzentration auf die Erfassung von Lichtphänomen zahlreichen Weimarer Arbeiten vergleichbar.267 Vor allem Wilhelm Ritter hat ganz in derselben Art gearbeitet.268 In Dresden setzte Mitte der 1890er Jahre eine Reform des Akademiebetriebs und eine Internationalisierung des Ausstellungswesens ein. Daran hatte der 1895 aus München nach Dresden berufene Gotthardt Kuehl maßgeblichen Anteil, der ein ganzes Jahrzehnt, von 1878 bis 1889, in Paris gelebt und gearbeitet hatte und dort mit dem mondänen Pariser Impressionismus in Berührung gekommen war.269 In seinen DresdnerJahren wurden durchlichtete Innenraumdarstellungen und Großstadtbilder gemäßigten impressionistischen Stils zum bedeutendsten Bestandteil seines Repertoirs.270 Kuehl setzte 1895 die Berufung Carl Bantzers als Leiter einer Malklasse an der Akademie durch. Ein Jahr darauf wurde Bantzer der Professorentitel verliehen.271 Damit war die impressionistische LandschaftsaufFassung nicht nur in Weimar, sondern auch in Dresden akademisch sanktioniert.
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Wiesenhangim Vorfrühling, 1893, Öl/Lwd., 62 x 84, bez. u. r.: Mai 1893 C. Bantzer, ehemals Staatliche Kunstsammlungen Kassel, Neue Galerie, jetzt wieder Privatbesitz; Kat. Ausst. Marburg 1977, Nr. 25; Küster 1993, S. 64 u. Abb. S. 91 - Im Gebergrund, 1894, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Neue Meister; Kat. Mus. Dresden 1987, Nr. 40; Küster 1993, S. 65 u. Abb. S. 85; Ziegler 1999, Abb. 8, S. 24 Vorfrühling. Motiv aus dem Gebergrund bei Goppeln von 1893 oder Teich bei Großsedlitz u. Vorfiiihlingslandschaft, alle Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Gemäldegalerie Neue Meister; Kat. Mus. Dresden 1987, Nr. 1405, 1403 u. 1404 Manfred Altner u. Kurt Proksch, Die Königliche Kunstakademie zwischen Reichsgründung und erstem Weltkrieg (1871-1918), in: Dresden. Von der Königlichen Kunstakademie zur Hochschuleßr Bildende Künste (1764-1989), Dresden 1990, S. 171-240, hier S. 184-190 Uta Neidhardt, Gotthardt Kuehl und die Dresdner Malerei von 1895 bis 1915, 2 Bde., Phil. Diss. Leipzig 1989, S. 128 - Kat. zur Ausst.: Gotthardt Kuehl 1850-1915, hg. v. Gerhard Gerkens u. Horst Zimmermann, Staatliche Kunstsammlungen zu Dresden, Gemäldegalerie Neue Meister, Dresden, 28.3. - 9.6.1993, Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Behnhaus, Lübeck, 20.6. 22.8.1993, Leipzig 1993 Altner/Proksch 1990, S. 190
Kapitel V
DIE W E I M A R E R M A L E R S C H U L E NACH
KONTINUITÄTEN -
I9OO
DISKONTINUITÄTEN
Es wäre zu einfach, die Jahrhundertwende als den Endpunkt der Entwicklung der Weimarer Malerschule ansehen zu wollen. Ihre schöpferischen Potentiale gehen zur Neige, doch kommt es zu einer generationsübergreifenden Traditionsbildung, wodurch die künstlerischen Prinzipien der Weimarer Malerschule noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein in Weimar lebendig bleiben. Das damals aufkommende Schlagwort vom Neuen Weimar, das eine autonome und allein von auswärtigen Kräften getragene Erneuerung des Weimarer Kunstlebens suggeriert, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Neue Weimar in zahlreichen Kontinuitäten institutioneller und personeller Art aus der Zeit vor der Jahrhundertwende wurzelte.
Das alte und das >Neue Weimar