Die kartellrechtliche Zulässigkeit von Pay-for-Delay-Vereinbarungen in den USA und der EU [1 ed.] 9783428552399, 9783428152391

Die Arbeit untersucht die Frage, ob bestimmte Vereinbarungen im Pharmasektor zwischen Original- und Generikahersteller g

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German Pages 291 Year 2017

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Die kartellrechtliche Zulässigkeit von Pay-for-Delay-Vereinbarungen in den USA und der EU [1 ed.]
 9783428552399, 9783428152391

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Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Band 71

Die kartellrechtliche Zulässigkeit von Pay-for-Delay-Vereinbarungen in den USA und der EU Von

Jonas Welge

Duncker & Humblot · Berlin

JONAS WELGE

Die kartellrechtliche Zulässigkeit von Pay-for-Delay-Vereinbarungen in den USA und der EU

Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Begründet von Professor Dr. Wolfgang Blomeyer † und Professor Dr. Karl Albrecht Schachtschneider

Band 71

Die kartellrechtliche Zulässigkeit von Pay-for-Delay-Vereinbarungen in den USA und der EU

Von

Jonas Welge

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2016 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 0947-2452 ISBN 978-3-428-15239-1 (Print) ISBN 978-3-428-55239-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85239-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Julie und meine Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2016/17 von der Juristischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Fertiggestellt wurde sie im Dezember 2016. Die Rechtsprechung und Literatur wurden bis Juli 2017 berücksichtigt. Zum Gelingen dieser Arbeit haben viele Menschen beigetragen. Zuvorderst danke ich meinem Doktorvater, Prof. Dr. Maximilian Haedicke, LL.M., für die Betreuung und die zügige Begutachtung dieser Arbeit sowie für die schöne Zeit, die ich als Mitarbeiter an seinem Institut verbringen durfte. Den Lehrstuhlkollegen und -kolleginnen, Heike Schillinger, Dr. Stefan Fuchs, Roman Würtenberger, Christian Schulze und Johanna Schley, sei an dieser Stelle für die freundschaftliche Atmosphäre gedankt. Besonderer Dank gilt ebenfalls Herrn Prof. Dr. Boris Paal für die Erstellung des Zweitgutachtens. Nichts wäre wie es ist, ohne die Unterstützung von Familie und Freunden. Frau Dr. Julia Elixmann danke ich herzlich für die vielen gewinnbringenden Gespräche, Hinweise und Korrekturanmerkungen. Für die Korrektur, unzählige (Fach-)Gespräche sowie seinen Witz und Pragmatismus bin ich meinem guten Freund Dr. JanMartin Kleindienst sehr dankbar. Meinen Eltern, Silvia Wolter-Welge und Hannes Welge, danke ich für ihre bedingungslose Unterstützung und Förderung. Die Aufmerksamkeit, die Ermutigungen sowie die Liebe, mit der ich meine Freundin Julie Linzer bei mir wusste, trugen dieses Projekt von Anfang bis Ende mit. Ihr sowie meinen Eltern ist diese Arbeit gewidmet. Hamburg, im Juli 2017

Jonas Welge

Inhaltsübersicht Erster Teil Einführung

23

§ 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 § 2 Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 § 3 Klassifizierung der Pay-for-Delay-Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 § 4 Patent- und Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 § 5 Notwendigkeit von Vergleichsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Zweiter Teil Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

42

§ 6 Aufkommen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen in den USA und der EU . . . . . . . . 43 § 7 Exkurs: Pay-for-Delay – über den europäischen und amerikanischen Raum hinaus . 59 § 8 Besonderheiten des Arzneimittelmarktes als Ursache für Pay-for-Delay . . . . . . . . . 62 § 9 Interessenlage der Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 § 10 Regulatorisches Umfeld in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 § 11 Regulatorisches Umfeld in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 § 12 Ergebnis des zweiten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Dritter Teil Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in den USA

88

§ 13 Rechtsentwicklung in den USA vor der Actavis-Entscheidung des Supreme Courts . 88 § 14 Actavis-Entscheidung des US Supreme Courts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 § 15 Ergebnis des dritten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

10

Inhaltsübersicht Vierter Teil Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

163

§ 16 Entscheidungen der EU-Kommission – Verstoß gegen Art. 101 AEUV . . . . . . . . . . 164 § 17 Die Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 § 18 Entscheidung des EuG in der Sache Lundbeck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 § 19 Ergebnis des vierten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Fünfter Teil Vergleich zwischen US- und EU-Ansatz und Ausblick

255

§ 20 Vergleich zwischen Supreme Court und EU-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 § 21 Ergebnis des fünften Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 § 22 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . 271 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

Inhaltsverzeichnis Erster Teil Einführung

23

§ 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 § 2 Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 § 3 Klassifizierung der Pay-for-Delay-Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 A. Vermögensübertragung – Pay . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Geldzahlung, Overpayment, Side Deals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 II. Underpricing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 III. Early-Entry-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 IV. No-Authorized-Generics-Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 V. Zugeständnisse in anderen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 B. Verspäteter Marktzutritt und andere Formen der Gegenleistung durch Generikahersteller – Delay . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 I. Abwehr des Generikaanmelders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Ausschluss eines Marktzutritts bis zum Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Blockade weiterer Anmelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 IV. Vom Patentstreit unabhängige Generika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 C. Entwicklung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 § 4 Patent- und Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 A. Spannungsfeld zwischen Patent- und Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 B. Abstrakte Ansätze der Grenzziehung zwischen Patent- und Kartellrecht . . . . . . . 35 C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 § 5 Notwendigkeit von Vergleichsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 A. Bereinigungs- und Friedensfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 B. Erstattung der Prozesskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

12

Inhaltsverzeichnis Zweiter Teil Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

42

§ 6 Aufkommen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen in den USA und der EU . . . . . . . . 43 A. Fälle von Pay-for-Delay in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 B. Sektoruntersuchung der Europäischen Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 I. Rechtliche Grundlage und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 II. Allgemeiner Kontext der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 III. Ergebnisse der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 IV. Monitoring-Berichte im Anschluss an die Sektoruntersuchung . . . . . . . . . 48 V. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. Belastbarkeit der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Verhalten der Unternehmen ist für Verzögerungen des Generikaeintritts verantwortlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3. Kategorisierung von Vereinbarungen zwischen Pharmaunternehmen . . . 56 4. Verhältnis zwischen befragten Originalpräparate- und Generikaherstellern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 § 7 Exkurs: Pay-for-Delay – über den europäischen und amerikanischen Raum hinaus

59

A. Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 B. Indien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 C. Südkorea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 D. Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 E. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 § 8 Besonderheiten des Arzneimittelmarktes als Ursache für Pay-for-Delay . . . . . . . . . 62 A. Gesundheitsförderung durch Innovations- und Preiswettbewerb . . . . . . . . . . . . . 63 B. Steigende Investitionskosten für Medikamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 C. Vorsprung durch Innovation nur von kurzer Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 D. Besondere Bedeutung von Patenten bei Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 § 9 Interessenlage der Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 A. Konkurrenz durch Generika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 B. Blockbuster-Medikamente und Patentierungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 C. Generikahersteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 D. Pay-for-Delay-Vereinbarung vorteilhaft für beide Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 E. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 § 10 Regulatorisches Umfeld in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

Inhaltsverzeichnis

13

B. Hatch-Waxman Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 I. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 II. ANDA-Antrag, insbesondere Paragraf-IV-Zertifizierung . . . . . . . . . . . . . . 72 III. Patentverletzung durch Paragraf-IV-Zertifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 IV. 30-monatige Sperre der Genehmigung bei Patentverletzungsklage . . . . . . 75 V. 180-Tage-Exklusivitätszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 VI. Patentverlängerung pharmazeutischer Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 VII. Datenexklusivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 VIII. Meldung der Vereinbarung an FTC und DOJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 IX. Veränderte Interessen- und Risikolage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 X. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 § 11 Regulatorisches Umfeld in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 A. Regulatorisches Umfeld in der EU für die Arzneimittelzulassung . . . . . . . . . . . . 81 I. Zulassungsverfahren in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 II. Erleichterte Anforderungen an die Zulassung von Generika . . . . . . . . . . . . 83 III. Keine Verbindung zwischen Patent- und Zulassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . 83 IV. Datenexklusivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 V. Keine 180-Tage-Exklusivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 VI. Ergänzendes Schutzzertifikat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 VII. Keine Meldung der Vereinbarungen an Kartellrechtsbehörde . . . . . . . . . . . 85 B. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 § 12 Ergebnis des zweiten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

Dritter Teil Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in den USA § 13 Rechtsentwicklung in den USA vor der Actavis-Entscheidung des Supreme Courts

88 88

A. Circuit Split . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 I. Per-se-Illegality . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 II. Scope-of-the-Patent-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 III. Quick-Look-Approach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 B. FTC und DOJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 § 14 Actavis-Entscheidung des US Supreme Courts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 A. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 I. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 II. Urteil des District Court . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 III. Urteil des Court of Appeals for the 11th Circuit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

14

Inhaltsverzeichnis B. Actavis-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 I. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1. Pay-for-Delay-Vereinbarungen als Besonderheit des Pharmasektors . . . 98 2. Kein Ausschluss einer Kartellrechtsprüfung bei Vorliegen eines Patents 98 3. Potential nachteiliger Auswirkungen auf den Wettbewerb . . . . . . . . . . . 100 4. Rechtfertigung negativer Auswirkungen auf den Wettbewerb . . . . . . . . 101 5. Vermögensübertragung als Indiz für Marktmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 6. Überprüfung des Patents nicht notwendig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 7. Vergleichsvereinbarungen grundsätzlich möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 8. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II. Dissenting Opinion von Richter Roberts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 1. Verhältnis zwischen Patent- und Kartellrecht durch Actavis-Entscheidung gestört . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 2. Pay-for-Delay kein spezifisches Phänomen des Pharmasektors . . . . . . . 105 3. Einschränkung der Vergleichsmöglichkeit nicht geboten . . . . . . . . . . . . 106 4. Kritik an der Heranziehung des Merkmals der Vermögensübertragung

107

5. Ausufernde Anwendung des Kartellrechtsmaßstabs und Einbuße an Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 III. Einordnung von Actavis in die bisherige Rechtsprechung des Supreme Courts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Rechtsprechung zu Kreuzlizenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) United States v. Singer Mfg. Co. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) United States v. Line Material Co. und United States v. General Electric Co. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 c) United States v. New Wrinkle, Inc. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Markenrechtsprechung – Metro-Goldwyn Mayer, Inc. v. 007 Safety Products . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3. Zwischenergebnis und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 C. Rechtslage nach der Actavis-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 I. Rule of Reason . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 1. Ursprüngliches Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. „Strukturierte“ Rule of Reason . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 a) Vorliegen einer hohen Vermögensübertragung als Indiz für Marktmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 b) Strukturierung der Rule of Reason nach der Actavis-Entscheidung 116 3. Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) Beweislast/„Beweislastschwelle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 4. Zwischenergebnis und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 II. Konsumentenwohlfahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

Inhaltsverzeichnis

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III. Vermögensübertragung als wesentliches Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 1. Indizwirkung für die Schwäche des Patents . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2. Abkauf des Wettbewerbsrisikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 IV. Konkretisierung des Payment-Begriffs – enger oder weiter Begriff . . . . . . 125 1. Darstellung des Streitstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3. No-Authorized-Generics-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Möglichkeit der Vermarktung autorisierter Generika . . . . . . . . . . . . . 131 b) Die Vermarktung autorisierter Generika im Laufe der Zeit . . . . . . . . 133 c) No-AG-Vereinbarungen als Vermögensübertragung . . . . . . . . . . . . . . 134 d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 4. Frühzeitige Marktzutrittsgewähr als Payment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 5. Berechnung des Wertes einer Vermögensübertragung . . . . . . . . . . . . . . . 138 a) Belastbare Grundlage für die Wertberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 b) Wertberechnung einer No-AG-Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 V. Large Payment – Hohe Vermögensübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Vermögensübertragung höher als die erwarteten Gewinne des Generikaherstellers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Keine Abhängigkeit von der Finanzkraft des Originalherstellers . . . . . . 142 3. Ersparte Verfahrenskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 4. Beweisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 VI. Ungerechtfertigte Vermögensübertragung – Unjustified Payment . . . . . . . . 146 1. Zulässige Formen der Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 2. Unzulässige Formen der Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 VII. Patentüberprüfung im Kartellrechtsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 VIII. Auswirkungen von Actavis auf andere Industriebereiche und Stare-DicisisDoctrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 IX. Noerr-Pennington-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 D. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 § 15 Ergebnis des dritten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

16

Inhaltsverzeichnis Vierter Teil Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

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§ 16 Entscheidungen der EU-Kommission – Verstoß gegen Art. 101 AEUV . . . . . . . . . . 164 A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 B. Vorgehensweise der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 I. Citalopram – Lundbeck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 II. Fentanyl – Johnson & Johnson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 III. Perindopril – Servier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 IV. Modafinil – Cephalon und Teva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 V. Einzelfallbetrachtung und Prüfungsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 C. Potentieller Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 I. Das Konzept des potentiellen Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 II. Einordnung durch Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 1. Marktzutrittsschranke durch Patente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 2. Marktzutrittsschranke durch Zulassungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . 173 3. Patentverfahren als Indiz für potentiellen Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . 174 4. Vermögensübertragung als Indiz für potentiellen Wettbewerb . . . . . . . . 175 III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1. Marktzutrittsschranke durch Patente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 2. Marktzutrittsschranke durch Zulassungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . 178 3. Patentverfahren als Indiz für potentiellen Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . 179 4. Vermögensübertragung als Indiz für potentiellen Wettbewerb . . . . . . . . 179 D. Einordnung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 I. Unterscheidung zwischen bezweckter und bewirkter Wettbewerbsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 II. Entscheidungskriterien der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 1. Einschränkung des Generikaherstellers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2. Vermögensübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 a) Weiter Begriff der Vermögensübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 b) Anreizwirkung der Vermögensübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 c) Erwartete Einnahmen des Generikaherstellers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 d) Rechtfertigung einer Vermögensübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 3. Weitere Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Patentwirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Kein Verzicht des Patentinhabers auf die Durchsetzung der Patente

191

c) Einbeziehung von nicht am Verfahren beteiligter Dritter . . . . . . . . . . 191 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 E. Prüfung der wettbewerbsbeschränkenden Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 I. Marktposition von Servier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

Inhaltsverzeichnis

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II. Potentieller Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 III. Inhalt der Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 IV. Wettbewerbskonstellation bei Ausbleiben der konkreten Vereinbarung . . . 195 V. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 F. (Keine) Freistellung gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 I. Wettbewerbsförderung durch Effizienzsteigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Effizienzgewinne durch gesparte Prozesskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 2. Effizienzgewinne durch verbesserte Produktion bzw. verbesserten Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 3. Effizienzgewinne durch früheren Markteintritt des Generikaherstellers 200 II. Anwendung einer Gruppenfreistellungsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Technologietransfer-GVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 2. Vertikal-GVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 G. Zwischenergebnis zu § 16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 § 17 Die Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 A. Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen in der EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . 206 I. Unklare Rechtsprechungslinie des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 II. Klarstellung durch das Cartes Bancaires-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 1. Restriktive Auslegung von bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen . . . 210 2. Prüfung des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs . . . . . . . 211 3. Entbehrlichkeit einer Auswirkungsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 4. Gesicherte Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 5. Offenkundige Wettbewerbsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 6. Legitime Zwecke einer Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 B. Bewertung der Kommissionsentscheidungen vor dem Hintergrund der EuGHRechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 I. Johnson & Johnson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 1. Inhalt und Ziele der Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 2. Rechtlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 II. Lundbeck und Servier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 1. Kriterium der Vermögensübertragung – Beef Industry-Entscheidung . . . 221 2. Keine Patentüberprüfung notwendig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 3. Schutzumfang der Patente bedingt relevant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 4. Schutz des Wettbewerbs als solchem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 5. Keine Privilegierung von Vergleichsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . 230 6. Absicht der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

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Inhaltsverzeichnis 7. Rechtlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang der Vereinbarung . . . . 232 a) Kein wettbewerbswidriger Zweck aufgrund fehlenden Wettbewerbs 232 b) Kein wettbewerbswidriger Zweck aufgrund fehlender Wirkung auf den Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 c) Kein wettbewerbswidriger Zweck aufgrund ambivalenter Wirkung auf den Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 d) Kein wettbewerbswidriger Zweck aufgrund eines positiven Hauptzwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 C. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 I. Vereinbarungen mit Vermögensübertragung oberhalb der Gewinnschwelle 237 II. Vereinbarungen unterhalb der Gewinnschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

§ 18 Entscheidung des EuG in der Sache Lundbeck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 A. Potentieller Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 I. Patente schließen potentiellen Wettbewerb nicht aus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 II. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 B. Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 I. Vereinbarungen beruhen nicht auf der Bewertung der Patentwirksamkeit

243

II. Vermögensübertragungen als Anreizinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 III. Kommissionsansatz stellt keine undurchführbare Analysemethode dar . . . 246 C. Anwendung der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 D. Schutzumfang der Patente – Scope of the Patent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 E. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 F. Exkurs: Paroxetin-Entscheidung der Brtitischen CMA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 § 19 Ergebnis des vierten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

Fünfter Teil Vergleich zwischen US- und EU-Ansatz und Ausblick

255

§ 20 Vergleich zwischen Supreme Court und EU-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 A. Vergleich der abstrakten Untersuchungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 I. Rule of Reason . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 II. Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 B. Vergleich der Untersuchungsmethoden in Bezug auf Pay-for-Delay-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 I. Vermögensübertragung als zentrales Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 II. Höhe der Vermögensübertragung und Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 1. Supreme Court nimmt Perspektive des Patentinhabers ein . . . . . . . . . . . 260

Inhaltsverzeichnis

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2. EU-Kommission nimmt Perspektive des Generikaherstellers ein . . . . . . 260 III. Ersparte Verfahrenskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 IV. Überprüfung des Patents . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 V. Schutzgut: Konsumentenwohlfahrt und Wettbewerb als solcher . . . . . . . . . 262 C. Übertragungsmöglichkeit des amerikanischen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 I. Übertragungsmöglichkeit des amerikanischen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . 263 II. Eingeschränkte Notwendigkeit einer Übertragung des US-Ansatzes . . . . . 264 § 21 Ergebnis des fünften Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 § 22 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . 271 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

Abkürzungsverzeichnis a.A. Abb. ABl. Abs. Admin. AEUV AG AMG ANDA ArbGG Art. BIDS BRJ ca. Cal. CB CCI Cir. CMA Co. Comp. Cong. Rec. D. D.C. ders. dies. DOJ ebd. E.D. EG EGV EMA endg. Entertnm. EPO EU EuG EuGH EWG f. FDA

andere Ansicht Abbildung Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Administration Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Aktiengesellschaft Arzneimittelgesetz Abbreviated New Drug Application Arbeitsgerichtsgesetz Artikel Beef Industry Development Society Bonner Rechtsjournal cirka California Cartes Bancaires Competition Commission of India Circuit Competition and Markets Authority Company Competition Congressional Records District District Court oder District of Columbia derselbe dieselbe Department of Justice ebenda Eastern District Europäische Gemeinschaft Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft European Medicines Agency endgültig Entertainment European Patent Office Europäische Union Gericht der Europäischen Union Europäischer Gerichtshof Europäische Wirtschaftsgemeinschaft fortfolgende U.S. Food and Drug Administration

Abkürzungsverzeichnis FTC FY GA Ga. GAin GG GRUR GSK GVO GWB Inc. Intell. Prop. KFTC KOM Mass. Minn. Mio. MMA Mrd. m.w.N. N.D. NDA N.J. No-AG Nr. N.Y. OECD p.a. Pa. Pharm. PTO Rev. R.I. RL Rn. Rs. Sci. S.Ct. s. o. Tech. TT-GVO UAbs. Univ. U.S./US U.S.C. v. Wettbr WIPO

Federal Trade Commission Fiscal Year Generalanwalt Georgia Generalanwältin Grundgesetz Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht GlaxoSmithKline Gruppenfreistellungsverordnung Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Incorporated Intellectual Property Korea Fair Trade Commission Europäische Kommission Massachussets Minnesota Millionen Medicare Prescription Drug, Improvement, and Modernization Act Milliarden mit weiteren Nachweisen Northern District New Drug Application New Jersey No-Authorized-Generics Nummer New York Organisation for Economic Co-operation and Development per annum Pennsylvania Pharmaceuticals Patent and Trademark Office Review Rhode Island Richtlinie Randnummer Rechtssache Science Supreme Court siehe oben Technology Technologietransfer-Gruppenfreistellungsverordnung Unterabsatz University oder Universität United States United States Code versus/vom Wettbewerbsrecht World Intellectual Property Organization

21

22 WSGR Va. vgl. VO ZGE ZPO ZWeR

Abkürzungsverzeichnis Wilson Sonsini Goodrich & Rosati Virginia vergleiche Verordnung Zeitschrift für Geistiges Eigentum Zivilprozessordnung Zeitschrift für Wettbewerbsrecht

Erster Teil

Einführung § 1 Einleitung Pay-for-Delay-Vergleiche abzuschaffen und zu verbieten sei oberste Priorität der FTC, der obersten Kartellbehörde der Vereinigten Staaten, proklamierte ihr damaliger Vorsitzender Jon Leibowitz im Jahre 2009.1 Gemeint sind Patentvereinbarungen zwischen Pharmaunternehmen, bei denen der Originalhersteller dem Generikahersteller Vermögenswerte überträgt und es gleichzeitig zur Vereinbarung eines Aufschubs des Marktzutritts des Generikaherstellers kommt. Nach einer FTC-Studie verursachen Pay-for-Delay-Vergleiche einen jährlichen Schaden in Höhe von $ 3,5 Mrd. im Gesundheitswesen.2 Auch die EU-Kommission kam in ihrer Sektoruntersuchung des Bereichs Pharma zu dem Ergebnis, dass die verspätete Vermarktung von Generika zwischen 2000 und 2007 zu einem wirtschaftlichen Schaden von E 3 Mrd. geführt habe, wobei sie hierfür verschiedene Faktoren unter anderem Streitbelegungsvereinbarungen verantwortlich machte.3 Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Medikamentenpreisen sind bedeutend. In der OECD stellten 2013 die Ausgaben für pharmazeutische Produkte allein 20 % der gesamten Ausgaben im Gesundheitssystem dar.4 Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch in rechtlicher Hinsicht ist die Klärung der Frage nach der kartellrechtlichen Zulässigkeit von Patentvergleichen im pharmazeutischen Sektor von hoher Relevanz, spiegelt sich doch in ihr die komplexe Problematik nach der korrekten Grenzziehung zwischen Patentrecht und Kartellrecht wider. Trotz des auf den ersten Blick schädlichen Verhaltens der Pharmaunternehmen erschließt sich bei genauerer Betrachtung, dass die Originalhersteller sich in sogenannten Pay-for-Delay-Fällen auf wirksame Eigentumsrechte stützen. Das verstärkte Vorgehen gegen Pay-for-Delay-Vereinbarungen wurde gar als „Jihad“ gegen Pharmaunternehmen bezeichnet und zeigt, wie emo-

1 Leibowitz, „Pay-for-Delay“ Settlements in the Pharmaceutical Industry, Redemanuskritpt vom 23. Juni 2009, S. 1, abrufbar unter: http://www.ftc.gov/speeches/leibowitz/090623payforde layspeech.pdf. 2 FTC, Pay-for-Delay: How Drug Company Pay-Offs Cost Consumers Billlions, S. 10, abrufbar unter: www.ftc.gov/os/2010/01/100112payfordelayrpt.pdf. 3 KOM, Pharmaceutical Sector Inquiry, Rn. 217 – 222. 4 OECD, Health at a Glance 2015, abrufbar unter: http://dx.doi.org/10.1787/health_glance-2 015-en.

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1. Teil: Einführung

tional aufgeladen die Debatte teilweise geführt wird.5 Dies- wie jenseits des Atlantiks wurden ab 2013 wichtige Entscheidungen getroffen, die die Diskussion zwar nicht beruhigen konnten, sie jedoch in neue Bahnen lenkten. Diese Arbeit soll einen Beitrag zur Einordnung der ergangenen Entscheidungen leisten und aufzeigen, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten die eingeschlagenen Wege in den USA und der EU aufweisen.

§ 2 Begriffsbestimmung Der zu untersuchenden Art von Vergleichsvereinbarungen werden – durch die US-amerikanische Literatur geprägt – hauptsächlich6 zwei Begriffe zugeordnet: Reverse Payment Settlements und Pay-for-Delay-Agreements. Reverse Payment Settlements ist als Begriff einem wesentlichen Charakteristikum dieser Vereinbarungen entlehnt. Bei diesen kommt es zu einer Vermögensübertragung durch den Patentinhaber (Originalpräparatehersteller) an den in Frage stehenden Patentverletzer (Generikahersteller).7 Ungewöhnlich ist dabei, dass nicht der potentielle Rechtsverletzer dem Rechteinhaber eine Zahlung dafür leistet, dass dieser von der Fortführung der Klage absieht.8 Vielmehr erfolgt eine Vermögensübertragung in umgekehrter Richtung vom Rechteinhaber zum potentiellen Patentverletzer, dem Generikahersteller. Diese Umkehrung der gewohnten Struktur wird deshalb häufig als Reverse Payment bezeichnet. Der Begriff Pay-for-Delay knüpft über das Charakteristikum der Vermögensübertragung hinaus an das Mittel und den Zweck der Vermögensübertragung an. Denn neben der Vermögensübertragung ist insbesondere für die kartellrechtliche Untersuchung ein weiteres Merkmal relevant. Als Gegenleistung für die Vermögensübertragung verpflichtet sich der Generikahersteller dazu, die Vermarktung seiner Generika einzuschränken. Diese Einschränkung erfolgt in der Regel durch die Vereinbarung eines Marktzutrittstermins, der in aller Regel deutlich weiter in der Zukunft liegt als der vom Generikahersteller anvisierte Marktzutritt bzw. der durch die Zulassungsbehörde erlaubte Zeitpunkt. Es erfolgt somit ein späterer Marktzutritt oder Delay.9 5

Ross v. FTC, Brief of Washington Legal Foundation As Amicus Curiae in Support of Petitioner, 30. Juni 2014, No. 13 – 1426, 2014 WL 2940849, bei *21. 6 Daneben gelegentlich verwendet: „Exit Payments“ und „Exclusion Payments“, Backhus, 60 Oklahoma L.Rev. 375 (2007); Fischmann, S. 2 f. 7 Hemphill, Drug Patent Settlements Between Rivals; KOM, Pharmaceutical Sector Inquiry, Rn. 769. 8 Brown, 33 Columbia J.L.&Arts 377, 381 f. (2010). 9 Hemphill, Drug Patent Settlements Between Rivals, S. 4; a.A.: Ryan, 28 The Computer and Internet Lawyer 9, 15 (2011), hält den Begriff „Delay“ für verfehlt, da dieser ein konkretes Eintrittsdatum voraussetzt, das seiner Meinung nach im Hatch-Waxman-Kontext nicht besteht.

§ 3 Klassifizierung der Pay-for-Delay-Vereinbarung

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Gemein ist beiden Bezeichnungen eine „kritische Grundhaltung“10, wobei diese in dieser Arbeit nicht pauschal übernommen werden soll. Ob und inwieweit Pay-forDelay-Vereinbarungen skeptisch begegnet werden sollte, ist Gegenstand der Untersuchung und nicht ihr Ausgangspunkt. Im Folgenden wird der Begriff der Pay-forDelay-Vereinbarung gewählt, da er sowohl deskriptiver11 ist als auch beide wesentlichen Elemente einer solchen Vereinbarung benennt.

§ 3 Klassifizierung der Pay-for-Delay-Vereinbarung Bevor eine eingehende Untersuchung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen durchgeführt werden kann, muss zunächst geklärt sein, welche Merkmale derartige Vereinbarungen kennzeichnen. Bei Pay-for-Delay-Vergleichen handelt es sich um gerichtliche oder außergerichtliche Streitbeilegungen (Settlements) zwischen Pharmaunternehmen. Die Vereinbarungen stehen im Zusammenhang mit Patentprozessen, wobei sowohl Patentverletzungs- als auch Nichtigkeitsverfahren in Betracht kommen. Kennzeichnend für eine Pay-for-Delay-Vereinbarung ist eine Vermögensübertragung vom Patentinhaber (Originalpräparatehersteller) zum Generikahersteller.12 Im Gegenzug verpflichtet sich der Generikahersteller dazu, die Vermarktung seiner Generika einzuschränken bzw. auf die Überprüfung des Patents durch eine Nichtigkeitsklage oder durch Erhebung des Nichtigkeitseinwands zu verzichten.13 Die konkrete Ausgestaltung sowohl der Vermögensverschiebung als auch der Verpflichtungserklärung durch den Generikahersteller variieren von Fall zu Fall zum Teil erheblich.14 Dennoch lassen sich bestimmte Muster herausarbeiten und auf dieser Basis verschiedene Untergruppen erstellen. Eine mögliche Klassifizierung stammt von Hemphill, der bestimmte wiederkehrende Vereinbarungen sowohl auf Pay- als auch auf Delay-Seite herausgearbeitet hat.15 Die folgende Darstellung orientiert sich an dieser Klassifizierung. Sie soll allerdings die möglichen Formen der Ausprägungen einer Pay-for-Delay-Vereinbarung nicht abschließend beschreiben. Dies würde das Ergebnis vorwegnehmen und insbesondere in Grenzfällen zu unbefriedigenden Ergebnissen führen. Die folgenden Beschreibungen sollen deshalb zum einen die gängigsten Formen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen beschreiben, ohne eine rechtliche Einordnung vorwegzunehmen. 10

Haedicke, ZGE 2011, 264; Schildkraut, 71 Antitrust L.J. 1033, 1035 (2004). Hovenkamp, Antitrust and Patent Law Analysis of Pharmaceutical Reverse Payment Settlements, S. 1, abrufbar unter: http://ssrn.com/abstract=1741162. 12 Hemphill, 81 N.Y.Univ.L.Rev. 105. 13 FTC, Pay-for-Delay: How Drug Company Pay-Offs Cost Consumers Billlions, S. 1, abrufbar unter: www.ftc.gov/os/2010/01/100112payfordelayrpt.pdf. 14 Hemphill, Drug Patent Settlements Between Rivals, S. 12 f. 15 Ebd. S. 14 ff. 11

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1. Teil: Einführung

A. Vermögensübertragung – Pay Eine Vermögensübertragung ist notwendiges Kriterium eines Pay-for-DelayVergleichs. Dabei sahen insbesondere frühe Formen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen eine reine Geldzahlung vor. Im Laufe der Jahre wandelte sich die konkrete Ausgestaltung und Geldzahlungen wurden zunehmend von anderen Formen der Vermögensübertragung abgelöst; über die gängigsten folgt ein Überblick. I. Geldzahlung, Overpayment, Side Deals Die direkte Geldzahlung vom Patentinhaber an den Generikahersteller ist die offensichtlichste Methode der Vermögensübertragung. Prominentestes Beispiel und zugleich eine der höchsten geleisteten Zahlungen im Zusammenhang mit Pay-forDelay ist die US-amerikanische Vereinbarung zwischen der Bayer AG und Barr Pharmaceuticals (Barr), bei dem Barr eine Summe von $ 398 Mio. erhielt.16 Allein zwischen 1993 und 2006 wurden mindestens neun weitere Vereinbarungen in den USA geschlossen, die Direktzahlungen ab einer Höhe von $ 10 Mio. vorsahen.17 In der EU beliefen sich Direktzahlungen von Originalherstellern an Generikahersteller im Zeitraum zwischen 2000 und 2007 auf insgesamt über E 200 Mio.18 Mit zunehmender Verfolgung derartiger Vereinbarungen durch die FTC19 wurden auch die Vereinbarungen komplexer und undurchsichtiger.20 So werden neben der Hauptvereinbarung weitere Nebenvereinbarungen (sog. Side Deals) abgeschlossen, bei denen der Generikahersteller dem Originalpräparatehersteller bestimmte Werte überträgt, ohne dass hierbei ein unmittelbarer Bezug zum konkreten Rechtsstreit erkennbar wird.21 Bei diesen Werten kann es sich um Lizenzen für Produkte des Generikaherstellers22, Unterstützung bei der Herstellung sowie Bewerbung der Produkte des Patentinhabers (Co-Promotion Agreement)23 oder um die Übertragung des Warenbestands24 des bisher hergestellten Generikums handeln.25 Die Zahlung 16 Arkansas Carpenters Health & Welfare Fund v. Bayer AG, 544 F.3d 1323 (Fed. Cir. 2008). 17 Hemphill, Drug Patent Settlements Between Rivals, S. 14 f. 18 KOM, Pharmaceutical Sector Inquiry, Rn. 279. 19 Glazer/Desmond-Harris, Antitrust Magazine, S. 18 (Spring 2010). 20 Hemphill kategorisiert diese Vergleiche als „Zweite-Welle“ („second wave agreements“): Hemphill, Drug Patent Settlements Between Rivals, S. 15. 21 Hemphill, 109 Columbia L.Rev. 629, 632 f. (2009). 22 Bspw. in Vereinbarungen zu Provigil: King Drug Co. Of Florence, Inc. v. Cephalon, Inc., 702 F.Supp.2d 514, 522 (E.D.Pa. 2010). 23 Actavis Inc., Pressemitteilung vom 13. September 2006, abrufbar unter: http://ir.actavis. com/phoenix.zhtml?c=65778&p=irol-newsArticle&ID=905079. 24 U.S. Securities And Exchange Commission, Quarterly Report Under Section 13 Or 15(d) of the Securities Exchange Act of 1934 for the Quarterly Period Ended June 20, 2006, Form 10Q, Bristol-Myers Squibb Company, 8. August 2006, S. 24, abrufbar unter: http://ccbn.10kwi

§ 3 Klassifizierung der Pay-for-Delay-Vereinbarung

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fällt dabei zum Teil deutlich höher aus, als es der tatsächliche Wert der Gegenleistung erwarten ließe, was vermuten lässt, dass eine Vermögensübertragung für den Aufschub des Markteintritts stattfindet (Overpayment).26 II. Underpricing Underpricing stellt das Gegenstück des Overpayment dar.27 Gemeint ist damit der Erwerb von Lizenzen und anderen Werten des Patentinhabers durch den Generikahersteller. Dabei kann es zu einer Vermögensübertragung von Patentinhaber auf Generikahersteller kommen. Wenn der für die abgekauften Waren, Dienstleistungen oder Rechte gezahlte Preis, deren tatsächlichen Wert deutlich unterschreitet, ist diese Differenz als Vermögensübertragung des Originalherstellers an den Generikahersteller zu erachten.28 Dabei besteht auch hier der Verdacht, dass die übertragenen Werte einen Ausgleich für einen verspäteten Marktzutritt darstellen.29 Es ist davon auszugehen, dass derartige, auch als Sweetheart-Deals30 bezeichnete Vereinbarungen, wie die Side Deals eine Reaktion auf die zunehmende Verfolgung von Direktzahlungen durch die FTC darstellen.31 III. Early-Entry-Vereinbarungen Bei Early-Entry-Vereinbarungen handelt es sich um einen verabredeten Marktzutritt des Generikaherstellers noch vor Ablauf des Patentschutzes bzw. des Exklusivitätszeitraums.32 Der Generikahersteller erhält so die Möglichkeit, schon vor Patentende sein Generikum zu vertreiben. Hierbei entsteht ein zeitlich vorgezogener Wettbewerb zwischen Originalpräparate- und Generikahersteller.33 Darüber hinaus birgt ein frühzeitiger vereinbarter Marktzutritt den Generikaherstellern einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Generikaherstellern. Dies liegt daran, dass das Patent nicht durch ein Gericht für nichtig erklärt wurde und damit weiterhin den Marktzugang für andere Generikahersteller versperrt oder zumindest erschwert. Somit erhält der Generikahersteller durch den verabredeten Marktzugang die zard.com/cgi/convert/pdf/BRISTOLMYERSSQU10Q.pdf?pdf=1&repo=tenk&ipage=431 5902&num=-2&pdf=1&xml=1&odef=8&dn=2&dn=3. 25 Hemphill, Drug Patent Settlements Between Rivals, S. 18; ders., 109 Columbia L.Rev. 629, 633 (2009). 26 Hemphill, Drug Patent Settlements Between Rivals, S. 18 f. 27 Ebd. S. 19. 28 Hemphill, 109 Columbia L.Rev. 629, 665 (2009). 29 Schmid, S. 371. 30 Edlin/Hemphill/Hovenkamp/Shapiro, Activating Actavis, 28 Antitrust 16, 18 (2013). 31 Bulow, 4 Innovation Policy and the Economy 145, 169 f. (2004). 32 Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 48 Rn. 38. 33 Leffler/Leffler, 39 Univ. of San Francisco L.Rev. 33, 39 (2004).

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1. Teil: Einführung

Möglichkeit, sich im Markt zu etablieren, noch bevor andere Konkurrenten hinzutreten. Eine entsprechende Vereinbarung wird deshalb von der EU-Kommission als Vermögensübertragung qualifiziert, ohne dabei zwangsläufig von einer Kartellrechtswidrigkeit auszugehen.34 Vorteilhaft für den Patentinhaber ist an einer solchen Vereinbarung in erster Linie der Umstand, dass sein Patent bestehen bleibt und er sich mittels der ausgehandelten Vergleichsvereinbarung einem kontrollierten Generikawettbewerb aussetzt. Daneben besteht in den USA die Möglichkeit durch die Vereinbarung für eine gewisse Zeit weitere Generikahersteller in ihrer Marktzulassung zu blockieren, worauf später näher eingegangen wird.35 IV. No-Authorized-Generics-Vereinbarung Wachsender Beliebtheit erfreut sich eine Sonderform der Early-Entry-Vereinbarungen. Bei diesen sogenannten No-Authorized-Generics-Vereinbarungen verzichtet der Patentinhaber zusätzlich darauf, eigene Generika auf den Markt zu bringen. Dies steht im Widerspruch zum marktüblichen Verhalten. Denn in der Regel entsteht mit Hinzutreten des Generikaherstellers nur eingeschränkt ein Preiswettbewerb zwischen Originalprodukt und fremdem Generikum. Üblicherweise werden die Preise für das Original konstant gehalten oder liegen zumindest deutlich über den Preisen des Generikaherstellers. Ein Preiswettbewerb entsteht vielmehr dadurch, dass der Patentinhaber neben seinem Original auch eigene Generika in den Markt einführt. Diese zu deutlich niedrigeren Preisen angebotenen autorisierten Generika sollen fremden Generikaherstellern Konkurrenz machen und ihnen Marktanteile streitig machen. Der Verzicht eines Originalherstellers auf dieses Konkurrenzinstrument (NoAuthorized-Generics-Vereinbarung oder auch No-AG-Vereinbarung) verbunden mit einem frühzeitigen Markteintritt noch vor Patentende stellt sich für den Generikahersteller als äußerst lukrativ dar.36 Zwischen 2004 und 2008 enthielten ein Viertel aller Patentrechtsvergleiche zwischen Original- und Generikaherstellern in den USA ein Versprechen des Patentinhabers, keine autorisierten Generika zu etablieren.37 Auch in der EU kam es zu derartigen Vereinbarungen.38

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KOM, Pharmaceutical Sector Inquiry, S. 269. Hierzu genau ab S. 30. 36 Banait, Authorized Generics, Antitrust Issues and the Hatch-Waxman Act, S. 1, abrufbar unter: http://www.fenwick.com/publications/pages/authorized-generics-antitrust-issues-and-the -hatch-waxman-act.aspx; Hemphill, Drug Patent Settlements Between Rivals, S. 17. 37 FTC, Pay-for-Delay: How Drug Company Pay-Offs Cost Consumers Billlions, S. 5, abrufbar unter: www.ftc.gov/os/2010/01/100112payfordelayrpt.pdf. 38 KOM, 1. Monitoring-Bericht, S. 3; 3. Monitoring-Bericht, S. 3. 35

§ 3 Klassifizierung der Pay-for-Delay-Vereinbarung

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V. Zugeständnisse in anderen Verfahren Häufig stehen sich Original- und Generikahersteller gleichzeitig in weiteren Verfahren als Parteien gegenüber. Verzichtet der Originalhersteller ohne ersichtlichen Grund auf Forderungen aus anderen Verfahren, so können diese Zugeständnisse ebenfalls als relevante Vermögensübertragung anzusehen sein.39

B. Verspäteter Marktzutritt und andere Formen der Gegenleistung durch Generikahersteller – Delay Die vom Generikahersteller für die Vermögensübertragung erbrachte Gegenleistung kann verschiedene Formen annehmen. In der Regel verzichtet der Generikahersteller auf einen sofortigen Markteintritt und vereinbart ein konkretes Eintrittsdatum mit dem Patentinhaber. Auch sind Vereinbarungen denkbar, bei denen der Generikahersteller seinen Markteintritt verschiebt, bis das Gericht über den Fall entscheidet (Interim-Vereinbarungen). Daneben lassen sich in den USA besondere Formen der Generikabeschränkung ausmachen, die sich das besondere Zulassungsverfahren von Generikamedikamenten zu Nutze machen. I. Abwehr des Generikaanmelders Häufigster Fall von Pay-for-Delay ist das Versprechen des Generikaherstellers, das Patent nicht weiter anzugreifen (Non-Challenge-Klausel) bzw. mit der Vermarktung des eigenen Generikums abzuwarten (Non-Compete-Klausel).40 Hierbei wird in aller Regel ein bestimmter oder bestimmbarer Zeitpunkt zwischen Patentinhaber und Generikahersteller vereinbart. Für das Originalunternehmen steht dabei im Vordergrund, den Generikahersteller noch vor der ersten Markteinführung dazu zu bewegen, diese auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. II. Ausschluss eines Marktzutritts bis zum Urteil Eine weitere Form des Zugeständnisses durch den Generikahersteller ist eine Vereinbarung nach der der Generikahersteller einen Marktzutritt ausschließt, bevor es zu einem endgültigen Urteil kommt.41 Diese Möglichkeit besteht dann, wenn zwar eine Zulassung für das Generikum durch die Arzneimittelbehörde erfolgt, jedoch noch nicht geklärt ist, ob es hierdurch zu einer Patentverletzung kommt. Der Generikahersteller verpflichtet sich, trotz der Zulassung des Generikums durch die 39 Hemphill, Drug Patent Settlements Between Rivals, S. 19; ders., 109 Columbia L.Rev. 629, 665 (2009). 40 KOM, 3. Monitoring-Bericht, S. 3; 4. Monitoring-Bericht, S. 3. 41 Hemphill, Drug Patent Settlements Between Rivals, S. 21.

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1. Teil: Einführung

Zulassungsbehörde bis zum endgültigen Urteilsspruch nicht mit der Vermarktung des Generikums zu beginnen. Somit kann sich der Patentinhaber zumindest bis zum Ende des Verfahrens seiner Monopolstellung sicher sein, sofern ihm diese nicht durch Dritte streitig gemacht wird. Eine entsprechende Vereinbarung erfolgte beispielsweise in den USA zwischen dem Patentinhaber Hoechst und dem Generikahersteller Andrx42 sowie zwischen Abbott und Generikahersteller Geneva.43 III. Blockade weiterer Anmelder Besonders in den USA stellt aufgrund besonderer Regelungen bei der Zulassung von Generika der erste Generikahersteller häufig die größte Gefahr für den Patentinhaber dar. Dies liegt daran, dass der erste Generikaanmelder mit der Möglichkeit, für die Dauer von 180 Tagen als einziger Generikahersteller das Generikum vermarkten zu dürfen, belohnt wird.44 Während dieser Zeit wird keinem weiteren Generikahersteller die Zulassung für sein Generikum erteilt.45 Die Frist der 180 Tage fängt allerdings erst an zu laufen, wenn der Generikahersteller auch tatsächlich mit der Vermarktung seines Generikums beginnt. Jede Verzögerung dieser Vermarktung verschiebt den Fristbeginn und damit auch ihr Ende weiter in die Zukunft. Durch die Streitbeilegung zwischen Patentinhaber und erstanmeldendem Generikahersteller wird dafür gesorgt, dass weder eine gerichtliche Entscheidung über den Bestand des Patents gefällt noch mit der Vermarktung des Generikums begonnen wird. Weitere Generikahersteller erhalten somit keine Generikazulassung bis der Erstanmelder mit seiner Vermarktung beginnt und die 180 Tage abgelaufen sind. Grundsätzlich wäre davon auszugehen, dass der Generikahersteller die Möglichkeit der Vermarktung unverzüglich nutzt und somit auch die Frist der 180 Tage kurz nach Zulassungserteilung zu laufen beginnt. Jedoch lässt es die Regelung zu, dass der Patentinhaber und der erstanmeldende Generikahersteller durch die Vereinbarung, die Vermarktung des Generikums auf einen späteren Zeitpunkt verschieben können und damit die Zulassung weiterer Generika ebenfalls aufschieben. Dies hat eine effektive Blockademöglichkeit zur Folge. Es entsteht ein Zulassungsengpass (Bottleneck).46 Zwar haben Reformen dieser Regelungen die Möglichkeiten der Verabredung eines Bottleneck eingeschränkt. Gänzlich abgeschafft wurde sie jedoch nicht, weshalb die Blockade weiterer Generikahersteller in der heutigen US-Diskussion nach wie vor eine Rolle spielt.47

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In re Cardizem CD Antitrust Litigation, 332 F.3d 896, 899 (6th Cir. 2003). In re Terazosin Hydrochloride Antitrust Litigation, 164 F. Supp. 2d 1340, 1346 (S.D. Fla. 2000). 44 Hierzu ausführlich ab S. 76. 45 Titel 21 § 355 (j)(5)(B)(iv)(I) U.S.C. 46 Glazer/Desmond-Harris, Antitrust Magazine, S. 15 (Spring 2010). 47 Hierzu genauer ab S. 76. 43

§ 3 Klassifizierung der Pay-for-Delay-Vereinbarung

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IV. Vom Patentstreit unabhängige Generika Schließlich kann eine mögliche Gegenleistung des Generikaherstellers auch im Aufschub des Markteintritts anderer als der durch den konkreten Prozess betroffenen Produkte bestehen.48 Als eine solche Vereinbarung ist der Vergleich zwischen dem Originalhersteller Abbott und dem Generikahersteller Zenith von 1998 einzuordnen. Hier verpflichtete sich Zenith dazu, bis zu einem bestimmten Termin keinerlei Produkte mit dem Wirkstoff Terazosin-Hydrochlorid zu vermarkten, wobei dies nicht von der Frage der Patentverletzung abhängig gemacht wurde.49

C. Entwicklung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen Vereinbarungen zwischen Patentinhaber und Generikahersteller im pharmazeutischen Bereich treten seit den 1990er Jahren auf.50 Dabei waren anfangs die Vereinbarungen ihrer Struktur nach simpel ausgestaltet. Für das Zugeständnis des Generikaherstellers, das Patent für eine gewisse Dauer anzuerkennen und seinen Markteintritt zu verschieben, zahlte der Patentinhaber teils hohe Summen, wie zum Beispiel im Fall Bayer.51 Mit zunehmender Aufmerksamkeit der Kartellbehörde FTC und später auch der EU-Kommission wandelte sich jedoch die Art der Vereinbarungen.52 Vor allem die Form der Vermögensübertragung veränderte sich dabei stark. So werden heutzutage kaum mehr Direktzahlungen vereinbart. Vielmehr ziehen es die Patentinhaber vor, Nebenverträge abzuschließen, in denen beispielsweise Produktions- und Vertriebsvereinbarungen mit den Generikaherstellern geschlossen werden. Teilweise beschränkt man sich auf mündliche Zusagen, um eine Dokumentation und damit Nachverfolgbarkeit und Transparenz zu vermeiden.53 Ein direkter Vermögenstransfer ist hier nur noch nach eingehender Analyse feststellbar. Vor allem in den USA greifen Unternehmen außerdem zunehmend auf das Versprechen zurück, keine autorisierten Generika während einer bestimmten „Schonfrist“ auf den Markt zu bringen (No-Authorized-Generics-Vereinbarung). Diese Versprechen sind den Generikaherstellern zwar viel wert, stellen jedoch wiederum keine Zahlung im eigentlichen Sinne dar. Mit zunehmender Komplexität von Payfor-Delay-Vereinbarungen steigen auch die Anforderungen an die rechtliche Bewertung – in den USA sowie in der EU. 48

Hemphill, Drug Patent Settlements Between Rivals, S. 21. In re Terazosin Hydrochloride Antitrust Litigation, 164 F.Supp.2d 1340, 1346 (S.D. Fla. 2000). 50 Eine der ersten Vereinbarungen stammt aus dem Jahr 1993, In re Tamoxifen Citrate Antitrust Litigation, 277 F.Supp.2d 121, 125 (E.D.N.Y. 2003); Fischmann, S. 3. 51 Siehe oben: S. 26. 52 Vgl. Schmid, S. 60 ff. 53 Beispielsweise gab Sanofi eine No-AG-Vereinbarung mündlich gegenüber Apotex ab: Sonofi-Aventis v. Apotex, Inc., 659 F.3d 1171, 1175 (C.A.Fed. N.Y. 2011). 49

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1. Teil: Einführung

§ 4 Patent- und Kartellrecht Pay-for-Delay-Vereinbarungen entstehen an der Schnittstelle zwischen Patentund Kartellrecht. Zum einen pocht der Patentinhaber auf die Einhaltung eines bis zu diesem Zeitpunkt wirksamen Eigentumsrechts und zum anderen schließen zwei in der Regel zumindest potentielle Wettbewerber eine Vereinbarung über die Koordination ihres wettbewerblichen Verhaltens. Wo ein entsprechendes Verhalten aus patentrechtlicher Sicht legitim erscheint, ruft es aus kartellrechtlicher Sicht zumindest Misstrauen hervor. Es fragt sich also, ob an dieser Stelle dem einen Rechtsgebiet ein Vorrang gegenüber dem anderen einzuräumen ist und von welchen Kriterien dies abhängt.54

A. Spannungsfeld zwischen Patent- und Kartellrecht Die Volkswirtschaften Europas und der USA sind auf dem Prinzip des freien Wettbewerbs aufgebaut,55 dessen Ziel der Sicherstellung eines freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs durch das Wettbewerbsrecht im Allgemeinen und das Kartellrecht im Besonderen gewährleistet wird. Das Kartellrecht ist deshalb darauf ausgerichtet, einen möglichst ungehinderten und vielgestaltigen Wettbewerb zu ermöglichen, indem bestimmte zwischen Marktakteuren abgestimmte Verhaltensweisen verboten werden, deren Ziel oder Wirkung Wettbewerbsbeschränkungen sind. Das Patentrecht gewährt seinem Inhaber ein Ausschließlichkeitsrecht. Mit dessen Hilfe kann er Dritte von der Verwertung der geschützten Erfindung ausschließen.56 Hintergrund dessen ist, dass das Patent Ausgleich und Belohnung dafür ist, dass der Patentanmelder mit der Anmeldung seine Erfindung der Allgemeinheit zugänglich macht und damit ihren Wissensstand erhöht. Gleichzeitig soll es Anreiz dafür bieten, weitere Investitionen in die Forschung zu tätigen und somit weiterhin innovativ tätig zu sein (Ansporntheorie).57 Dem Patentinhaber wird per Gesetz ein subjektives Recht verliehen, wobei ihm überlassen bleibt, ob er als alleiniger Benutzer und Hersteller der Erfindung auftritt oder eine andere Form der Verwertung wählt, wie beispiels-

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Vgl. Schmid, S. 25 ff. Wobei der Wettbewerbsbegriff selbst einer Definition unzugänglich ist; Meessen/Kersting, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, Einführung in das europäische und deutsche Kartellrecht, Rn. 6. 56 Haedicke, Patentrecht, S. 9 f.; Shapiro vertritt, dass es sich bei einem Patent um ein „probabilistisches Recht“ handelt, das seinem Inhaber nicht notwendigerweise das Recht gewährt, andere von der Benutzung auszuschließen, sondern dies lediglich zu versuchen („try to exclude“), Shapiro, 34 Rand J. of Economics 391, 395 (2003); ebenso: Leffler/Leffler, 17 Antitrust 77 (2003). 57 Moufang, in: Schulte, PatG, § 1 Rn. 9; Haedicke, Patentrecht, S. 6 f. 55

§ 4 Patent- und Kartellrecht

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weise die Lizenzierung des Patents an Dritte.58 Patente gehen insofern mit wettbewerbshindernden Wirkungen einher, da sie zum einen die Nachahmung patentverletzender Produkte verhindern. Zum anderen können sie den Wettbewerb bezüglich der Weiterentwicklung technischer Lösungen erschweren, wenn eine Unsicherheit darüber besteht, ob eine technische Ausführung noch patentverletzend ist oder sich schon ausreichend vom Patent abhebt.59 Auf den ersten Blick stehen sich Kartellrecht und Patentrecht diametral gegenüber, da das eine Rechtsgebiet die Förderung und Erhaltung des Wettbewerbs zum Ziel hat, dieser Wettbewerb aber (wenn auch nur für eine bestimmte Dauer) durch die patentrechtlichen Exklusivrechte gänzlich unterbunden wird. Zu beachten ist hierbei jedoch, dass das Patentrecht als Schutzrecht selbst noch keine Wettbewerber aus einem Markt ausschließt, da das Patent zum einen nicht notwendigerweise mit dem relevanten Markt deckungsgleich ist.60 Zum anderen wird die Verwertung dieses Rechts nicht notwendigerweise durch den Patentinhaber alleine vorgenommen, sondern über Lizenzen können auch andere die patentgeschützte Erfindung verwenden. Insofern ist das Verständnis von einem Patent als Verleihung eines Monopolrechts überholt.61 Vielmehr ist es als ein absolut geschütztes Eigentumsrecht zu verstehen.62 Diese Tatsache hilft jedoch nicht über den Umstand hinweg, dass in jeder Lizenzierung auch immer die Auferlegung von Handlungseinschränkungen für den Wettbewerber zu erblicken ist. Diese stehen dem Grundverständnis eines Wettbewerbs, in dem jeder Akteur seine Handlungen selbst zu bestimmen hat, entgegen. Folglich sind die Auswirkungen des Patentrechts in Bezug auf den Wettbewerb „ambivalent“.63 Auf der einen Seite gewährt es seinem Träger das Recht, andere von der Nutzung der geschützten Erfindung auszuschließen. Auf der anderen Seite fungiert es als Antrieb für einen Wettbewerb um Innovation und ist daher nicht von vornherein unvereinbar mit der Wettbewerbsordnung. Zur Zeit der Gründung der EWG im Jahre 1958 bestand das Leitbild „des vollkommenen Wettbewerbs“, das auch dem deutschen GWB zugrunde lag.64 Dieses Leitbild hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. So ist an die Stelle des vollkommenen Wettbewerbs inzwischen das Konzept eines dynamischen, unvollkommenen Wett58

§ 10 Abs. 1 PatG; 35 U.S.C. § 271. Haedicke, in: Haedicke/Timmann, § 1 Rn. 94. 60 So kann der relevante Markt aus einem Produkt bestehen, das durch zahlreiche Patente geschützt ist, wobei das einzelne Patent nur einen kleinen Teil des Produktes schützt und durch andere Innovationen substituiert werden kann. 61 Mestmäcker/Schweitzer, § 30 Rn. 20; Wolf, in: MüKo, Europäisches Kartellrecht, Einl., Rn. 1333. 62 Haedicke, Patentrecht, S. 9 f.; Schmid, S. 26. 63 Wolf, in: MüKo, Europäisches Kartellrecht, Einl., Rn. 1222; Meessen/Kersting, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Einführung in das europäische und deutsche Kartellrecht, Rn. 136. 64 Axster/Schütze, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl., München 2009, 3. Teil, Rn. 78. 59

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1. Teil: Einführung

bewerbs getreten, der nach Axster und Schütze gekennzeichnet ist „durch Vorsprung und Verfolgung, durch partielle Monopolsituationen, die wie Blasen in einem Sektglas aufsteigen und, als Ergebnis der einsetzenden Verfolgung, alsbald zerplatzen“.65 Dies bedeutet, dass die durch das geistige Eigentum geschaffenen rechtlichen Monopole – Patente – gerade nicht im Widerspruch zur Wettbewerbstheorie stehen, sondern sie vielmehr unterstützen. Mit der Aussicht auf die Erlangung eines geistigen Schutzrechts entsteht ein zusätzlicher Anreiz, innovativ tätig zu werden. Teilweise ließe sich ohne die „künstliche“ Aufrechterhaltung eines Innovationsvorsprungs durch Patente in bestimmten Wirtschaftszweigen gar kein Innovationswettbewerb erreichen.66 Dies trifft im Besonderen für den pharmazeutischen Wirtschaftssektor zu.67 Ohne das Patentrecht könnten forschende Pharmaunternehmen ihre Investitionen nur schwerlich amortisieren, was ein Erliegen der Forschungstätigkeit zur Folge hätte. Dies zu verhindern bzw. Forschung und Innovation anzuspornen ist Ziel des Patentrechts. Beide Rechtsgebiete stellen in Bezug auf ihre langfristigen Ziele keinen Gegensatz dar. Patentrecht bietet Anreiz und Belohnung für Innovationen, um schlussendlich den Wettbewerb zu fördern (Innovationswettbewerb). Es führt insofern zur Verfestigung eines Erfindungsvorsprunges, der ohne Schutz innerhalb kurzer Zeit zu verpuffen droht, indem Mitbewerber als Trittbrettfahrer die neue Technologie nutzen. Immaterialgüterrechte bieten Innovatoren und solchen, die es werden wollen, somit auch ein gewisses Maß an Rechtssicherheit, da der zeitliche und inhaltliche Rahmen des später zu erwarteten Schutzes klar abgesteckt ist. Ein Wettbewerb um Innovationen wird durch den Schutz des geistigen Eigentums gefördert. Das Wettbewerbsrecht garantiert Wettbewerb, der wiederum als „Triebfeder der Innovation“68 fungiert und damit die immer neue Entstehung von Innovationen fördert.69 Insofern besteht zwischen den Zielen beider Rechtsgebiete keine widerstreitende, sondern eine symbiotische Beziehung, bei der das Ziel des einen Rechtsgebiets nur mithilfe der Durchsetzung des jeweils anderen erreicht werden kann.70 Wie jedoch ein konkreter Ausgleich im Einzelfall zu erfolgen hat, ist damit nicht geklärt.

65

Ebd., Rn. 79. Jestaedt, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Band 2, Nach Art. 101 AEUV, Rn. 1235. 67 Hierzu ausführlich ab S. 65. 68 KOM, Zusammenfassung Sektoruntersuchung, S. 21. 69 Sumner/Hatch, 29 Nr. 10 Westlaw J. Pharmaceutical 12, 26 (2013). 70 Heinemann, Immaterialgüterschutz in der Wettbewerbsordnung, passim; Lewis/Wittlin, 17 Vanderbilt J. of Entertainm.&Tech.L. 517, 539 (2015). 66

§ 4 Patent- und Kartellrecht

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B. Abstrakte Ansätze der Grenzziehung zwischen Patent- und Kartellrecht Wann eine patentbezogene Verhaltensweise als kartellrechtlich unzulässig einzuordnen ist, hängt davon ab, wo man die Grenze zwischen dem patentrechtlich Erlaubten und dem kartellrechtlichen Verbotsrahmen zieht. Hierfür haben sich im Laufe der Zeit verschiedene Theorien herausgebildet. Dabei soll im Folgenden auf die Abgrenzung in der EU eingegangen werden. Die Diskussion in den USA wird im Zusammenhang mit der Actavis-Entscheidung des US Supreme Courts71 näher erläutert.72 In der EU stellte der EuGH früh klar, dass die gewerblichen Schutzrechte durch die Wettbewerbsvorschriften in ihrem Bestand nicht berührt werden, ihre Ausübung allerdings unter die Verbote des Wettbewerbsrechts fallen kann.73 Zwar könnte man diese Unterscheidung derart auslegen, dass durch den Bestand des Schutzrechts eine Art „Wettbewerbsexklave“ geschaffen wird, die gegen die Anwendung von Kartellrecht immun ist.74 Inzwischen hat sich aber die Ansicht durchgesetzt, dass mit „Bestand“ die Gewährleistung der bloßen Existenz einer immaterialgüterrechtlichen (Eigentums-)Ordnung als solcher gemeint ist, wobei ihre jeweilige Ausübung den Wettbewerbsregeln unterfällt.75 Vergleichsvereinbarungen sind deshalb dem Bereich der Ausübung zuzuordnen. Ob sie jedoch im Einzelfall gegen die grundsätzlich auf sie anwendbaren Wettbewerbsregeln verstoßen, ist hiermit jedoch nicht bestimmt. Eine weitere Abgrenzungslehre greift auf den „spezifischen Gegenstand des Patents“ zurück. Das Konzept vom „spezifischen Gegenstand“ eines Immaterialgüterrechts war vom EuGH für die Grundfreiheiten entworfen worden, wird jedoch teilweise auch in Bezug auf die Wettbewerbsvorschriften angewendet. Es dient dazu, dasjenige Verhalten in Bezug auf ein Schutzrecht festzustellen, das bereits gar keine Wettbewerbsbeschränkung darstellt. Die sich anschließende Frage nach der Zulässigkeit einer Wettbewerbsbeschränkung wird mit der Frage nach dem spezifischen Gegenstand des Patents also gar nicht beantwortet.76 Zum spezifischen Gegenstand 71

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2227 (2013). § 13, ab S. 88. 73 EuGH, Rs. 40/70, Sirena/EDA, Slg. 1971, 69, ECLI:EU:C:1971:18, Rn. 5; Rs. 15/74, Centrafarm/Sterling, Slg. 1974, 1147, ECLI:EU:C:1974:114, Rn. 6/8. 74 Ullrich/Heinemann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG, IV. Abschnitt, Rn. 15; diese Ansicht spiegelte sich auch in den alten Bestimmungen der §§ 17 und 18 GWB wider und ging davon aus, dass Verträge über Veräußerung oder Lizenzierung von Patenten erst dann Gegenstand des Wettbewerbsrechts würden, wenn sie über den „Inhalt des Schutzrechts“ hinausgingen. Die Streichung der angesprochenen GWB-Paragrafen beseitigte aber die gesetzliche Verankerung dieser Theorie. Vgl. § 17 Abs. 1 GWB vom 26. August 1996. 75 EuGH, Rs. 56/64, Consten-Grundig, Slg. 1966, 321, 394, ECLI:EU:C:1966:41; Rs. 262/ 81, Cotidel/Ciné Vog II, Slg. 1982, 3381, ECLI:EU:C:1982:334; Jestaedt, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Band 2, Nach Art. 101 AEUV, Rn. 1239. 76 Ullrich/Heinemann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG, IV. Abschnitt, Rn. 13 f.; andere Ansicht: Sack, Der „spezifische Gegenstand“ von Immaterialgüterrechten als 72

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1. Teil: Einführung

des Patents gehört, die geschützte Erfindung selbst oder ihre Verwertung durch die Lizenzierung an Dritte sowie sich gegen die unerlaubte Benutzung anderer zur Wehr zu setzen.77 Gleichzeitig statuierte der EuGH, dass eine Ausübung dann unter das Verbot des Art. 101 AEUV fällt, wenn sie „Gegenstand, Mittel oder Folge einer Kartellabsprache ist.“78 Die Lehre vom spezifischen Gegenstand des Schutzrechts vermag insofern nur eine sehr allgemeine Abgrenzung zu liefern, die aufgrund mangelnder Konkretisierung in der Einzelfallanwendung an ihre Grenzen stößt. Vorherrschend ist in der europäischen Rechtspraxis inzwischen das Verständnis, dass der Inhalt des zulässigen Verhaltens nicht lediglich durch das Patentrecht bestimmt wird, sondern ebenso von Kartellrecht und anderen Regimen abhängig ist.79 Ob das Wettbewerbsrecht die Befugnisse des Patentrechtsinhabers beschränkt oder konkretisiert,80 ändert nichts daran, dass beide Rechtsmaterien zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden müssen und dies nicht pauschal durch eine abstrakte Abgrenzung geschehen kann.81 Vielmehr hat eine Abgrenzung für jeden Einzelfall gesondert zu erfolgen.

C. Zwischenergebnis Patent- und Kartellrecht verfolgen langfristig gesehen sehr ähnliche Ziele. Beide stellen die Entstehung eines dynamischen Wettbewerbs sicher. Im konkreten Einzelfall können sich beide Rechtsgebiete jedoch entgegenstehen. Eine befriedigende schematische Abgrenzung beider Rechtsgebiete, die auf Pay-for-Delay-Vereinbarungen anwendbar ist, findet sich jedoch nicht. Vielmehr ist im Einzelfall unter Bezugnahme des rechtlichen und wirtschaftlichen Kontextes zu ermitteln, ob eine Vereinbarung als „Gegenstand, Mittel oder Folge einer Kartellabsprache“ anzusehen ist.

immanente Schranke des Art. 85 Abs. 1 EG-Vertrag bei Wettbewerbsbeschränkungen in Lizenzverträgen, RIW 1997, 449. 77 EuGH, Rs. 15/74, Centrafarm/Sterling, Slg. 1974, 1147, ECLI:EU:C:1974:114, Rn. 9; Rs. C-267, 268/95, Merck/Primecrown, Slg. 1996, I-6285, ECLI:EU:C:1996:468, Rn. 30; Wolf, in: MüKo, Europäisches Kartellrecht, Einl., Rn. 1301. 78 EuGH, C-15/74, Centrafarm/Sterling Drug, Slg 1974, 1147, ECLI:EU:C:1974:114, Rn. 39/40; Rs. 40/70, Sirena/Eda, Slg. 1979, 3169, ECLI:EU:C:1971:18, Rn. 9. 79 Wolf, in: MüKo, Europäisches Kartellrecht, Einl., Rn. 1337. 80 Wolf, in: MüKo, Europäisches Kartellrecht, Einl., Rn. 1340. 81 Vgl. Schmid, S. 35 ff.

§ 5 Notwendigkeit von Vergleichsvereinbarungen

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§ 5 Notwendigkeit von Vergleichsvereinbarungen In der Diskussion um die Frage nach der Zulässigkeit von Pay-for-Delay-Vergleichsvereinbarungen spielt der Wunsch nach der Möglichkeit Vergleiche zu schließen eine große Rolle. In der EU werden Vergleichsvereinbarungen grundsätzlich begrüßt. Dies zeigen die ergangenen Regelungen auf EU-Ebene.82 Auch der EuGH betont Vorteile von Vergleichsvereinbarungen.83 Das Argument, dass Vergleichsvereinbarungen ein von der Rechtsordnung grundsätzlich gewolltes und beabsichtigtes Instrument der Streitbeilegung darstellen, erhält vor allem in den USA erhebliches Gewicht. Aufgrund ihrer friedensstiftenden und Verfahrenskosten sparenden Wirkungen handelt es sich bei Streitbeilegungen um grundsätzlich erwünschte Unternehmenskontakte. Die dahinterstehende Ratio soll in diesem Abschnitt näher erläutert werden. Gesetzlich ist im deutschen Recht in § 278 ZPO84 festgelegt, dass der Richter auf eine Verständigung der Parteien hinzuwirken hat. Hiermit kommt der grundsätzliche Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass Vergleiche zu schließen sind, falls hierzu die Möglichkeit besteht. In der EU betont auch die Kommission das grundsätzlich legitime Interesse an Vergleichsvereinbarungen.85

A. Bereinigungs- und Friedensfunktion Ziel und Zweck von Vergleichsvereinbarungen, sowohl in Deutschland als auch in den USA, ist es, Streitigkeiten mithilfe eines auf der Privatautonomie aufbauenden Instrumentes zu beenden.86 Hierbei kommt dem Vergleich insbesondere eine „Bereinigungs- und Friedensfunktion“ zu. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass durch eine vertragliche Einigung der Parteien dem Rechtsfrieden im Allgemeinen eher nachgekommen wird als durch Fällen eines gerichtlichen Urteils.87 Weiterer Vorteil des Vergleichs ist seine prozessbeendende Wirkung. Diese ist in beiden Rechtssystemen vorgesehen. In Deutschland wird dies durch den Prozessvergleich erreicht. Der außergerichtliche Vergleich hat insofern keine unmittelbare Prozess-

82 Art. 81 Abs. 2 lit. g AEUV; siehe auch: KOM, Grünbuch über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht vom 19. April 2002, KOM(2002), 196 (endg.); siehe auch: Fischmann, S. 25 ff. 83 EuGH, Rs. C-317 – 320/08, Rosalba Alassini u. a., Slg. 2010, I-2213, ECLI:EU: C:2010:146, Rn. 64: „[…] zügigere und kostengünstigere Beilegung von Streitfällen […]“. 84 Außerdem in § 57 II ArbGG. 85 KOM, 6. Monitoring-Bericht, S. 3. 86 Hammer, Aussergerichtliche Vergleichsvereinbarungen in den USA und in Deutschland, S. 187. 87 Habersack, in: MüKo, BGB, § 779, Rn. 70.

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1. Teil: Einführung

beendigung zur Folge.88 In den USA wird eine Prozessbeendigung über das Consent Judgement erreicht.89 Durch die Beendigung des Prozesses sparen beide Parteien mitunter schwer kalkulierbare Prozesskosten, die das Fortführen des Prozesses mit sich bringen würde.90 Ein weiterer Vorteil von Vergleichsvereinbarungen ist die Entlastung des Gerichtssystems.91 Hierbei muss allerdings beachtet werden, dass dieser Nutzen dann verloren geht, wenn die Vereinbarungen im Nachhinein wegen eines potentiellen Verstoßes gegen Kartellrecht gerichtlich überprüft werden müssen und damit das Gerichtssystem zu einem späteren Zeitpunkt belasten.92 Diese Überlegung kann auch auf die hier untersuchte Problematik übertragen werden. Die Frage nach der Zulässigkeit von Pay-for-Delay-Vergleichsvereinbarungen beschäftigt US-amerikanische Gerichte seit vielen Jahren. Die Annahme, dass diese Vergleiche das Gerichtssystem durch die frühzeitige Beendigung der Patentprozesse entlastet haben, kann angesichts der zahlreichen Kartellverfahren bezweifelt werden. Allerdings wäre es falsch, hieraus den Schluss zu ziehen, dass Vergleichsvereinbarungen im Zuge von Patentrechtsprozessen grundsätzlich keine positive Wirkung beizumessen ist. Besonders im Patentrecht und im pharmazeutischen Bereich nehmen Vergleiche eine Sonderstellung ein. Ohne sie wäre zu erwarten, dass Generikahersteller das Kostenrisiko langwieriger und deshalb entsprechend kostspieliger Prozesse scheuen. Dies hätte zur Folge, dass die Zahl an Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren zurückginge.93 Die Möglichkeit Vergleiche zu schließen eröffnet dem potentiellen Angreifer eines Patents folglich eine weitere „prozessuale Handlungsmöglichkeit“, mit dem Ergebnis, dass dem Instrument des Vergleichs sogar eine wettbewerbsfördernde Wirkung zukommt.

B. Erstattung der Prozesskosten Ein maßgebliches Argument für die Möglichkeit, Vergleiche zu schließen, sind die hiermit ersparten Prozesskosten.94 Diese sind besonders bei Patentprozessen in den USA hoch (im Durchschnitt $ 1,5 Mio.95). Insbesondere im pharmazeutischen 88 Stadler, in: Jauernig, § 779 BGB, Rn. 14: wobei streitig ist, ob sich aus der Verpflichtung zur Klagerücknahme im außergerichtlichen Vergleich eine Arglisteinrede des Beklagten oder die Unzulässigkeit der Fortsetzung des Prozesses ergibt. 89 Gem. Rule 73 Federal Rules of Civil Procedure, 28 U.S.C. § 636 (c). 90 Yvon, 75 Fordham L.Rev. 1883, 1898 (2007) m.w.N. 91 In re Terazosin, 352 F. Supp. 2d 1279, 1307 (S.D. Fla. 2005). 92 Hammer, Aussergerichtliche Vergleichsvereinbarungen in den USA und in Deutschland, S. 12. 93 Haedicke, ZGE 2011, 264, 274. 94 So weisen die FTC und das DOJ explizit darauf hin, dass Vergleichsvereinbarungen eine wettbewerbsfördernde Wirkung zukommt, FTC/DOJ, Antitrust Guidelines for the Licensing of Intellectual Property, 1995, S. 28, abrufbar unter: http://www.justice.gov/atr/public/guidelines/ 0558.pdf; Fischmann, S. 48. 95 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2243 (2013) (Roberts dissenting).

§ 5 Notwendigkeit von Vergleichsvereinbarungen

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Kontext fallen sie sogar in der Regel weit höher aus.96 Aber auch in der EU sind insbesondere im pharmazeutischen Bereich die Verfahrenskosten hoch und betrugen zwischen 2000 und 2007 nach Angaben der EU-Kommission über E 420 Mio.97 Hier bietet die Möglichkeit einer prozessbeendenden Streitbeilegung ein Mittel, den Prozess kurz und damit die anfallenden Kosten gering zu halten. Außerdem bietet der Vergleich den Parteien die Möglichkeit, die angefallenen Kosten eigenständig aufzuteilen. Den überwiegenden Teil der Prozesskosten machen die Anwaltskosten sowie die Kosten für Sachverständigengutachten aus. Dabei spielt die Frage, ob sich die obsiegende Partei eines Rechtsstreits am Ende eines Prozesses ihre Anwaltskosten von der Gegenseite erstatten lassen kann, eine entscheidende Rolle. Im deutschen Zivilrecht hat in aller Regel die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen und damit auch die Kosten der Gegenseite (§ 91 ZPO). Dieser Grundsatz gilt in der Mehrzahl der Rechtsordnungen.98 Auch die Richtlinie 2004/48/EG (Enforcement-Richtlinie) enthält in Art. 14 diesen Grundsatz.99 Im Gegensatz dazu besteht im US-Recht diese Möglichkeit nur eingeschränkt. Nach der American Rule ist im Zivilprozess die unterlegene Partei grundsätzlich nicht verpflichtet, die Anwaltskosten des Gegners zu tragen.100 Grund hierfür ist die Überlegung, dass die Gefahr im Falle der Prozessniederlage nicht nur die eigenen, sondern auch die Kosten des Gegners tragen zu müssen, abschreckende Wirkung habe und somit ein Klagehemmnis darstelle. Von dieser Regel werden jedoch Ausnahmen gemacht, die allerdings einer gesetzlichen Grundlage bedürfen.101 Insbesondere für Verbraucher gelten sowohl auf föderaler als auch auf bundesstaatlicher Ebene Ausnahmen.102 Der Supreme Court gesteht den Gerichten außerdem einen eigenen jedoch eng eingegrenzten Spielraum zu, der die Erstattung von Anwaltsgebühren zulässt.103 Dies betrifft beispielsweise Fälle bösgläubiger Klageerhebungen. Auch das Patentrecht sieht in 35 U.S.C. § 285 eine Ausnahme von der American 96 Herman geht von 10 Mio. Dollar pro Klage aus: Herman, 111 Columbia L.Rev. 1788, 1795 (2011). 97 KOM, Zusammenfassung Sektoruntersuchung, S. 13 ff.; Schmid, S. 22. 98 Reitboeck, GRUR Int. 2014, 1017, 1017, m.w.N. 99 „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Prozesskosten und sonstigen Kosten der obsiegenden Partei in der Regel, soweit sie zumutbar und angemessen sind, von der unterlegenen Partei getragen werden, sofern Billigkeitsgründe dem nicht entgegenstehen.“, RL 2004/ 48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. L 157/45 vom 30. April 2004. 100 Alyeska Pipelin Service Co. v. Wilderniss Society, 421 U.S. 240, 247 (1975); Hardt v. Reliance Standard Life Insurance Co., 560 U.S. 242, 252 (2010); Marx v. General Revenue Corp., 133 S.Ct. 1166, 1175 (2013); Reitboeck, GRUR Int. 2014, 1017, 1017. 101 Marx v. General Revenue Corp., 133 S.Ct. 1166, 1169, 1175 (2013). 102 Der Magnuson-Moss Warranty Act (15 U.S.C. § 2310 (d)(2)) sieht eine solche Ausnahme vor. 103 Marx v. General Revenue Corp., 133 S.Ct. 1166, 1169: „[…] federal courts have inherent power to award attorney’s fees in a narrow set of circumstances“.

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1. Teil: Einführung

Rule vor. So kann das Gericht in außergewöhnlichen Fällen der obsiegenden Partei angemessene Anwaltsgebühren zuerkennen.104 Dabei nimmt der Court of Appeals for the Federal Circuit einen solchen außergewöhnlichen Fall nur dann an, wenn entweder ein grobes Fehlverhalten (inapropriate Conduct) vorliegt oder wenn das Vorbringen der Partei subjektiv bösgläubig und zugleich objektiv unbegründet (brought in subjective bad faith and objectively baseless) ist, so zum Beispiel die Patenterschleichung oder Formen der schikanösen Prozessführung.105 Diese vergleichsweise hohen Anforderungen lockerte der Supreme Court in zwei kürzlich ergangenen Entscheidungen. In Octane Fitness und Highmark stellte das oberste Gericht fest, dass die wesentliche Voraussetzung des 35 U.S.C. § 285 einzig die Außergewöhnlichkeit des Falles sei.106 Diese sei bereits dann gegeben, wenn der Fall sich von anderen abhebe. Ein solches Herausstehen könne sich sowohl in Bezug auf die Schwäche des geltend gemachten Anspruchs als auch aus einer unangemessenen Prozessführungstaktik ergeben.107 Außerdem senkte der Supreme Court in diesen Entscheidungen die Beweisanforderungen für die Geltendmachung des Anspruchs nach 35 U.S.C. § 285.108 Trotz dieser vorgenommenen Erleichterungen für den Ersatz von Rechtsanwaltskosten bleibt das Erfordernis der Außergewöhnlichkeit das Kriterium, mithilfe dessen die Zuerkennung von Anwaltskosten die Ausnahme von der Regel bleibt. Durch die American Rule birgt der Patentprozess in den USA ein gesteigertes Risiko, die eigenen Anwaltskosten selbst tragen zu müssen. Hier bieten Vergleichsvereinbarungen einen Ausweg. Die Parteien können vereinbaren, dass eine Partei die Kosten der Gegenseite trägt und diese im Gegenzug der Prozessbeendigung zustimmt. Insofern kommt der Möglichkeit des Vergleichsschlusses prozessökonomisch in den USA eine wesentlich höhere Bedeutung zu als in Deutschland und der EU.109

104 „The court in exceptional cases may award reasonable attorney fees to the prevailing party“, 35 U.S.C. § 285. 105 Brooks Furniture Mfg., Inc. v. Dutailier Int’l, Inc., 393 F.3d 1378, 1381 (2005); Agfa Corp. v. Creo Products, Inc., 451 F.3d 1366 (Fed. Cir. 2006); Qualcomm Inc. v. Broadcom Corp., 548 F.3d 1004 (Fed. Circ. 2008); Reitboeck, GRUR Int. 2014, 1017, Fn. 22, 23, m.w.N. 106 Octane Fitness, LLC v. ICON Health & Fitness, Inc., 134 S.Ct. 1749 (2014); Highmark, Inc. v. Allcare Management System, Inc., 134 S.Ct. 1744 (2014). 107 Octane Fitness, LLC v. ICON Health & Fitness, Inc., 134 S.Ct. 1749, 1756 (2014): „We hold, then, that an ,exceptional‘ case is simply one that stands out from others with respect to the substantive strength of a party’s litigating position (considering both the governing law and the facts of the case) or the unreasonable manner in which the case was litigated.“. 108 Octane Fitness, LLC v. ICON Health & Fitness, Inc., 134 S.Ct. 1749, 1758 (2014). 109 Dies unterstreichen auch Entscheidungen des Supreme Courts: Brement v. Nat’l Harrow Co., 186 U.S. 70, 93 (1902); Schmid, S. 59.

§ 5 Notwendigkeit von Vergleichsvereinbarungen

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C. Zwischenergebnis Die Kostentragungsregeln für Anwaltskosten sind in der EU und den USA verschieden ausgestaltet. Obgleich die konkreten Anforderungen an die Erstattung der Anwaltskosten durch die Gegenseite kürzlich durch den Supreme Court in den Entscheidungen Octane Fitness und Highmark etwas erleichtert wurden, bleibt der Grundsatz der American Rule bestehen. Dadurch, dass in den USA der Sieger eines Rechtsstreits in der Regel seine Rechtsanwaltskosten selbst tragen muss, stellt der Vergleich die einzige Möglichkeit dar, diesem Risiko zu entgehen. Neben dem Kostenaspekt spielt auch die Befriedungsfunktion des Vergleichs eine wichtige Rolle. Der Vergleich ermöglicht es den Parteien, eine für beide Seiten vorteilhafte Vereinbarung zu schließen und damit das Risiko des Gerichtsentscheids und möglicher Rechtsmittel zu vermeiden. Dass dem Vergleich im Prozess eine wichtige Rolle zukommt, entscheidet jedoch noch nicht darüber, in welchem Prioritätsverhältnis diese Rolle zu anderen Erwägungen steht und ob das Interesse der Parteien an der uneingeschränkten Möglichkeit, Vergleiche zu schließen, nicht in bestimmten Konstellationen anderen Interessen – beispielsweise denen des uneingeschränkten Wettbewerbs – weichen muss.110

110 Carrier/Zahid, Brief of Amici Curiae 49 Professors in Support of Petitioners, In Re Cipro Cases I & II, 2014 WL 1765271, bei *10 (S.Ct.Cal. 2014).

Zweiter Teil

Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen Eine Analyse von Pay-for-Delay-Vereinbarungen bedarf zunächst der Klärung, wo und in welcher Form diese auftreten. Die Ergebnisse der Sektoruntersuchung des pharmazeutischen Sektors durch die EU-Kommission zeigen, dass Pay-for-DelayVereinbarungen nicht nur ein US-spezifisches Phänomen darstellen. Untersucht man die Ursache derartiger Vergleichsvereinbarungen, führt ein Weg an der näheren Untersuchung der Besonderheiten des Arzneimittelsektors nicht vorbei. Der pharmazeutische Sektor unterliegt diesseits wie jenseits des Atlantiks starken Regulierungen. Pharmaunternehmen sind stark von Patenten abhängig. Patente werden von den Pharmaunternehmen benötigt und genutzt, um ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung schützen und amortisieren zu können. Neben dem Patentrecht ist das Kartellrecht ein wichtiges Korrektiv, das wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Unternehmen verbietet und ahndet. Vielfach müssen sich (Lizenz-)Vereinbarungen zwischen Pharmaunternehmen an ihm messen lassen. Eine weitere Besonderheit des pharmazeutischen Sektors ist eine teilweise von Patentund Kartellrecht unabhängige Rechtsmaterie, die die Zulassung, Herstellung und Verbreitung von Medikamenten regelt und deren Ziel es ist, die Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteln sicherzustellen. Ziel des Abschnitts ist es, verschiedene Einflüsse und Ursachen auszumachen, die für Pay-for-Delay-Vereinbarungen relevant sind. Bevor ein besonderes Augenmerk auf die Eigenarten des Arzneimittelsektors und insbesondere auf verschiedene regulatorische Besonderheiten des Zulassungsrechts gelegt wird, erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Frage, wo und in welcher Form Pay-for-Delay-Vereinbarungen in den USA und der EU auftreten (§ 6). Um zu verdeutlichen, dass Pay-forDelay-Vereinbarungen inzwischen ein global genutztes Instrument der Pharmaunternehmen sind, erfolgt ein Exkurs über die Darstellung der Situation in Kanada, Indien und Südkorea (§ 7). Anschließend werden die Besonderheiten des pharmazeutischen Sektors näher beleuchtet und untersucht, ob diese als Ursache für das Auftreten von Pay-for-Delay ausgemacht werden können (§ 8). Es folgt die Darstellung der durch die Besonderheiten des Pharmasektors hervorgerufenen Interessenlage der beteiligten Akteure (§ 9). Schließlich wird untersucht, ob etwaige Unterschiede des Zulassungsrechts in den USA und der EU auch zu verschiedenen Ausprägungen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen führen (§§ 10 und 11).

§ 6 Aufkommen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen in den USA und der EU

43

§ 6 Aufkommen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen in den USA und der EU A. Fälle von Pay-for-Delay in den USA In den USA stehen Pay-for-Delay-Vereinbarungen bereits seit Längerem unter stetiger Beobachtung der FTC. Diese dokumentiert seit 2004 die Anzahl von Vergleichsvereinbarungen zwischen Original- und Generikaherstellern, wobei sie auf Pay-for-Delay-Vereinbarungen das Hauptaugenmerk legt. Die von der FTC erhobenen Daten zeigen, dass Vereinbarungen bei Patentstreitigkeiten zwischen Original- und Generikahersteller seit 2004 stetig gestiegen sind. Wurden im Jahr 2004 lediglich 14 Vereinbarungen1 geschlossen, so betrug ihre Zahl im Jahr 2014 bereits 160.2 Diesen Trend konnte auch das 2013 ergangene Actavis-Urteil nicht stoppen (siehe Tabelle 1).3 Eine ähnliche Entwicklung zeichnete sich bis zum Jahr 2012 konkret auch für Pay-for-Delay-Vereinbarungen ab. So wurden zwischen 1999 und 2004 gar keine4, 2012 jedoch bereits 405 Pay-for-Delay-Vereinbarungen registriert, die sowohl eine Vermögensübertragung auf Seiten des Patentinhabers als auch eine Beschränkung der Vermarktung beim Generikahersteller vorsahen. Seit Ende 2012 sank diese Zahl hingegen wieder auf 29 im Jahr 20136 und 21 im Jahr 20147. Diese Entwicklung mag auf das Actavis-Urteil des Supreme Courts zurückzuführen sein.8

1

FTC, Overview of Agreements Filed in FY 2004, S. 1, abrufbar unter: https://www.ftc. gov/sites/default/files/documents/reports/agreements-filed-federal-trade-commission-under-me dicare-prescription-drug-improvement-and/050107medicareactrpt_0.pdf. 2 FTC, Overview of Agreements Filed in FY 2014, S. 1, abrufbar unter: https://www.ftc. gov/system/files/documents/reports/agreements-filled-federal-trade-commission-under-medic are-prescription-drug-improvement/160113mmafy14rpt.pdf. 3 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223 (2013); Towey/Albert, Is FTC v. Actavis Causing Pharma Companies to Change Their Behaviour?, abrufbar unter: https://www.ftc.gov/newsevents/blogs/competition-matters/2016/01/ftc-v-actavis-causing-pharma-companies-changetheir. 4 FTC, Overview of Agreements Filed in FY 2004, S. 4, abrufbar unter: https://www.ftc. gov/sites/default/files/documents/reports/agreements-filed-federal-trade-commission-under-me dicare-prescription-drug-improvement-and/050107medicareactrpt_0.pdf. 5 FTC, Overview of Agreements Filed in FY 2012, S. 1, abrufbar unter: https://www.ftc. gov/sites/default/files/documents/reports/agreements-filed-federal-trade-commission-under-me dicare-prescription-drug-improvement-and/130117mmareport.pdf. 6 FTC, Overview of Agreements Filed in FY 2013, S. 1, abrufbar unter: https://www.ftc. gov/system/files/documents/reports/agreements-filled-federal-trade-commission-under-medic are-prescription-drug-improvement/141222mmafy13rpt-1.pdf. 7 FTC, Overview of Agreements Filed in FY 2014, S. 1, abrufbar unter: https://www.ftc. gov/system/files/documents/reports/agreements-filled-federal-trade-commission-under-medic are-prescription-drug-improvement/160113mmafy14rpt.pdf.

44

2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen Tabelle 1 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Vergleichsvereinbarungen insgesamt

14

Pay-for-Delay0 Vereinbarungen

11

28

33

66

68

113

156

140

145

160

3

14

14

16

19

31

28

40

29

21

Quelle: Basierend auf: FTC, Overview of Agreements Filed in FY 2014, Exhibit 1, Fn. 2.

B. Sektoruntersuchung der Europäischen Kommission Den Aktivitäten der FTC in Bezug auf möglicherweise kartellrechtswidrige Patentvergleiche im pharmazeutischen Sektor folgten Bemühungen durch europäische Behörden erst vergleichsweise spät. Die Sektoruntersuchung der EU-Kommission im pharmazeutischen Sektor vom Juli 2009 stellt den Startpunkt und die maßgebliche Quelle einer eingehenden europäischen Auseinandersetzung mit Pay-for-DelaySachverhalten dar. Hauptgegenstand der Untersuchung waren mögliche Hindernisse für die Markteinführung von Generika, speziell für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel sowie Hindernisse bei der Erforschung und Vermarktung neuer innovativer Produkte.9 Untersucht wurde der rechtliche Rahmen des Arzneimittelsektors sowie das Marktverhalten der in ihm agierenden Unternehmen im Zeitraum von 2000 bis 2007 und dies jeweils nur in Bezug auf verschreibungspflichtige Humanarzneimittel. Die Kommission untersuchte auch im Detail die wirtschaftlichen Besonderheiten des pharmazeutischen Sektors.10 Hierzu wurden 43 Originalpräparate- und 27 Generikahersteller untersucht.11 Die Anzahl der involvierten Unternehmen sowie die Masse an gesammelten Daten führten zur ausgedehntesten Sektoruntersuchung, die die Kommission je durchgeführt hat.12 Die Sektoruntersuchung ist damit eine wesentliche Quelle für das Verständnis von Pay-for-Delay-Vereinbarungen in der EU sowie der Frage nach ihren Ursachen.

8

Towey/Albert, Is FTC v. Actavis Causing Pharma Companies to Change Their Behaviour?, abrufbar unter: https://www.ftc.gov/news-events/blogs/competition-matters/2016/01/ftc-v-act avis-causing-pharma-companies-change-their. 9 KOM, Pharmaceutical Sector Inquiry, Rn. 14. 10 Ebd., Rn. 39 ff. 11 Ebd., Rn. 15. 12 Rosenberg, 24 Antitrust 35, 35 (2010).

§ 6 Aufkommen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen in den USA und der EU

45

I. Rechtliche Grundlage und Gang der Untersuchung Die Kommission leitete die Untersuchung mit der Entscheidung vom 15. 01. 2008 ein, gestützt auf Art. 17 der Verordnung 1/2003.13 Hiernach kann die Kommission „die Untersuchung eines bestimmten Wirtschaftszweigs oder sektorübergreifend einer bestimmten Art von Vereinbarung durchführen“, wenn „die Entwicklung des Handels zwischen Mitgliedstaaten, Preisstarrheiten oder andere Umstände vermuten [lassen], dass der Wettbewerb im Gemeinsamen Markt möglicherweise eingeschränkt oder verfälscht ist“. Die Kommission kann nach Art. 17 (1) UAbs. 2 dabei „von den betreffenden Unternehmen und Unternehmensvereinigungen verlangen, sie von sämtlichen Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen zu unterrichten.“ Grund für die Einleitung der Untersuchung war nach Ansicht der Kommission ein Innovationsrückgang sowie Fälle, in denen Generika „nicht rechtzeitig auf den Markt gebracht wurden“.14 Die Kommission hatte den Verdacht, dass Geschäftspraktiken von Unternehmen, insbesondere „das Erlangen oder Ausüben von Patenten, die möglicherweise nicht dem Schutz von Innovation, sondern der Behinderung des Wettbewerbs bei innovativen und/oder generischen Arzneimitteln dienen, sowie das Führen von möglicherweise schikanösen Prozessen und das Eingehen von möglicherweise unerlaubten Vereinbarungen“ zu Marktverzerrungen führen.15 Diese würden möglicherweise eine spätere Ermittlung wegen Verstoß gegen Art. 101 AEUV (ex Art. 81 EGV) sowie Art. 102 AEUV (ex Art. 82 EGV) nach sich ziehen. Bei einer Sektoruntersuchung stehen der Kommission mehrere Instrumente zur Verfügung: die Versendung von Auskunftsverlangen gemäß Art. 18 VO 1/2003, die Befragungsbefugnis nach Art. 19 sowie die als Dawn Raids bekannten unangemeldeten Nachprüfungen vor Ort gemäß Art. 20 der VO 1/2003. Bemerkenswert ist, dass die Kommission bei ihrer Untersuchung im Gegensatz zur früheren Praxis und zur Verwunderung der Unternehmen mit unangekündigten Nachprüfungen vor Ort begann, was von mehreren Autoren als unverhältnismäßiges Vorgehen kritisiert wurde.16 Da die Kommission hingegen befürchtete, dass wesentliche Informationen von Unternehmen zurückgehalten oder gar zerstört würden, sah sie die Maßnahmen als verhältnismäßig an.17 Hinzu kam, dass vor allem sensible Informationen aus interner Kommunikation, wie beispielweise interne Emails, sehr schwer durch bloße Auskunftsersuchen zu erlangen gewesen wären.18 13

KOM, Beschluss vom 15. Januar 2008, Nr. COMP/D2/39.514. Ebd., S. 2. 15 Ebd., S. 2. 16 Andersson/Legnerfalt, 29 European Competition L.Rev. 439, 439 (2008); Schmid, S. 40; Brindöpke/Mross, PharmR 2008, 268, 270. 17 KOM, Pressemitteilung vom 16. 01. 2008, IP/08/49, abrufbar unter: http://europa.eu/ra pid/press-release_IP-08-49_de.htm. 18 Heyers, BRJ 2011, 33, 33. 14

46

2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

II. Allgemeiner Kontext der Untersuchung Die Europäische Kommission spricht offen an, dass die Sektoruntersuchung lediglich ein Baustein einer Gesamtstrategie sei, sichere, wirksame und erschwingliche Medikamente für Patienten zu gewährleisten.19 Hiermit wird deutlich, dass die Kommission nicht nur das Ziel eines funktionierenden Wettbewerbes verfolgt, sondern für sie auch die Reduzierung der Preise für Medikamente und somit die Reduktion der Kosten im Gesundheitsbereich eine wichtige Rolle spielt. Betont wird dabei, dass ein generischer Marktzutritt zu erheblich geringeren Preisen führt, die Marktanteile des Originalpräparateherstellers schmälert und Wettbewerb entstehen lässt.20 Hierbei zeigt sich, dass die Kommission einen möglichst frühzeitigen Marktzutritt von Generikamedikamenten begrüßt. Neben der Betonung der Wichtigkeit eines flächendeckenden Gesundheitsschutzes in der Union wird im Bericht jedoch auch die Wichtigkeit des Schutzes geistigen Eigentums hervorgehoben.21 Die Kommission bezieht sich hierbei auf ihre Strategie für gewerbliche Schutzrechte, in der sie die Notwendigkeit starker gewerblicher Schutzrechte für das Funktionieren des Binnenmarkts hervorhebt.22 Die Kommission betont, dass sie das Patentrecht und andere Immaterialgüterrechte berücksichtige und keinesfalls in Frage stellen wolle.23 Ihrer Ansicht nach seien der Schutz von geistigem Eigentum und die Gewährleistung von Innovationswettbewerb und vor allem Preiswettbewerb im pharmazeutischen Sektor miteinander in Einklang zu bringen, indem mit Auslaufen der Schutzrechte möglichst früh ein Generikawettbewerb entstehe.24 Die Kommission bekräftigt außerdem, dass mit ihrer Untersuchung selbst noch keine Aussage darüber getroffen werden solle, ob und unter welchen Voraussetzungen Pay-for-Delay-Vereinbarungen gegen EU-Kartellrecht verstoßen.25 Sie betont, dass diese Frage nur nach eingehender Prüfung der Fakten sowie des rechtlichen und wirtschaftlichen Hintergrundes des Einzelfalles zu beantworten sei.26

19

KOM, Pharmaceutical Sector Inquiry, Rn. 5. Ebd., Rn. 465. 21 Ebd., Rn. 6. 22 KOM, Eine Europäische Strategie für gewerbliche Schutzrechte, KOM(2008) 465 endg., 16. Juli 2008, S. 2. 23 KOM, Pressemitteilung vom 16. 01. 2008, IP/08/49, abrufbar unter: http://europa.eu/ra pid/press-release_IP-08-49_de.htm. 24 KOM, Pharmaceutical Sector Inquiry, Rn. 13. 25 Ebd., Rn. 472. 26 Ebd., Rn. 463. 20

§ 6 Aufkommen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen in den USA und der EU

47

III. Ergebnisse der Untersuchung Die Kommission sieht sich durch die Ergebnisse der Sektoruntersuchung in ihrem Verdacht bestätigt, dass der Wettbewerb im pharmazeutischen Sektor nicht richtig funktioniert. Verantwortlich hierfür seien einerseits die regulatorischen Rahmenbedingungen andererseits jedoch auch bestimmte Unternehmenspraktiken. Die Marktakteure bedienten sich dabei mehrerer Werkzeuge aus der „Tool Box“, um insgesamt die Schutzdauer ihrer Medikamente zu verlängern bzw. den Markteintritt von Generikaherstellern hinauszuzögern.27 Hierzu zählt die Kommission: Patentanmeldungsstrategien, abschreckende „patenspezifische Kontakte und Streitigkeiten“, Interventionen bei der Zulassung von Generika, Lebenszyklusstrategien für Produkte der zweiten Generation sowie Vereinbarungen zur Streitbeilegung und andere Vereinbarungen.28 Die Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass diese Instrumente mitunter kumulativ eingesetzt werden mit dem Ziel, den Schutz von Arzneimitteln gegen Nachahmung und Wettbewerb aufrechtzuerhalten und so Profite zu maximieren.29 Nach Ansicht der Kommission stellen Vereinbarungen zwischen Pharmaunternehmen lediglich eines von vielen Instrumenten dar. Vereinbarungen zur Streitbeilegung und anderen Vereinbarungen zwischen Originalpräparatehersteller und Generikahersteller widmet die Kommission in ihrem Abschlussbericht ein hohes Maß an Aufmerksamkeit. Zwischen 2000 und 2008 seien mehr als 200 Vereinbarungen im Rahmen von Gerichtsprozessen und Einspruchsverfahren oder außergerichtlich getroffen worden.30 Diese betrafen in 63 % der Fälle Bestseller-Arzneimittel, deren Exklusivität im Zeitraum zwischen 2000 und 2007 endete. Etwa die Hälfte aller befragten Unternehmen (53 % der Originalpräparatehersteller und 44 % der Generikahersteller) waren derartige Vereinbarungen mit der jeweiligen Gegenseite eingegangen.31 Hieraus wird deutlich, dass Vergleichsvereinbarungen zur Beilegung von Patentstreitigkeiten ein überaus wichtiges und viel genutztes Mittel im pharmazeutischen Sektor darstellen. Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung ist, dass ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der geschlossenen Vergleiche und der Größe des Arzneimittelmarktes besteht.32 So betrafen über 70 Vereinbarungen Deutschland als nach Frankreich zweitgrößten Markt in der EU, wohingegen sich auf Malta nur etwa 15 Vereinbarungen bezogen.33

27 Ebd., Rn. 466, der Begriff der Tool Box werde laut Kommission in der Branche selbst gebraucht. 28 KOM, Zusammenfassung Sektoruntersuchung, S. 11 ff. 29 Ebd., S. 17; KOM, Pharmaceutical Sector Inquiry, Rn. 1050. 30 KOM, Zusammenfassung Sektoruntersuchung, S. 14. 31 KOM, Pharmaceutical Sector Inquiry, Rn. 712. 32 Ebd., Rn. 717. 33 Ebd., Rn. 717, Abb. 105.

48

2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

Vergleichsvereinbarungen werden im Bericht nach mehreren Merkmalen kategorisiert. Zunächst unterteilt die Kommission danach, ob der Markteintritt des Generikums beschränkt wird. Vereinbarungen ohne Beschränkung fallen in die „Kategorie A“.34 Solche Vereinbarungen, die einen verspäteten Markteintritt oder eine andere Form der Beschränkung der Generikaeinführung vorsehen, qualifiziert die Kommission als „Kategorie B“.35 Hierbei kategorisiert die Kommission bereits die Einräumung einer einfachen Lizenz an den Generikahersteller als Beschränkung der Generikavermarktung. Begründet wird dies damit, dass bereits eine einfache Lizenz je nach konkreter Ausgestaltung dem Lizenznehmer ein gewisses Maß an Entscheidungsfreiheit nehme.36 Von den 200 untersuchten Vereinbarungen werden etwa die Hälfte (52 %) der Kategorie A (48 % der Kategorie B) zugeordnet.37 Vereinbarungen der Kategorie B sind wiederum unterteilt in Vereinbarungen, die einen Vermögenstransfer des Patentinhabers an den Generikahersteller beinhalten (Kategorie B.II) und solche, bei denen ein Vermögenstransfer gar nicht oder nur in die andere Richtung stattfindet (Kategorie B.I).38 Den Begriff der Vermögensübertragung fasst die Kommission dabei sehr weit. Hierunter zählt sie nicht nur direkte Geldleistungen, sondern auch die Einräumung von Lizenzen sowie das Eingehen von Betriebs- und Vermarktungsvereinbarungen. Bei Vergleichen der Kategorie B.II. handele es sich aus kartellrechtlicher Sicht um besonders problematische Vereinbarungen, da hier ein Vermögenstransfer im Zusammenhang mit der Beschränkung des Generikaherstellers stehe. Vereinbarungen dieses Typs traten laut Bericht 45 Mal auf (22,5 %), was nach Ansicht der Kommission einen „bedeutenden Anteil“ ausmache.39 IV. Monitoring-Berichte im Anschluss an die Sektoruntersuchung Bereits im Abschlussbericht zur Sektoruntersuchung hatte die Kommission die weitere Beobachtung patentrechtlicher Vereinbarungen zwischen Patentinhaber und Generikaunternehmen angekündigt.40 Die Kommission untersuchte hierbei in erster Linie das Folgeaufkommen sowie die Art der geschlossenen Vergleiche. Hierfür versandte sie Auskunftsverlangen an diverse Originalpräparate- und Generikahersteller.41 Das Monitoring der Kommission stellt hierbei in erster Linie eine de34

Ebd., Rn .746 ff. Ebd., Rn. 758 ff. 36 Ebd., Rn. 742. 37 Ebd., Rn. 746. 38 Ebd., Rn. 759 ff. 39 KOM, Zusammenfassung Sektoruntersuchung, S. 14. 40 Ebd., S. 22 f. 41 KOM, Pressemitteilung vom 12. Januar 2010, IP/10/12, abrufbar unter: http://europa.eu/ rapid/press-release_IP-10-12_de.htm. 35

§ 6 Aufkommen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen in den USA und der EU

49

skriptiv-statistische Auswertung der gefundenen Ergebnisse dar. Allgemeine Aussagen zur rechtlichen Einordnung der Vereinbarungen finden sich jeweils in der Einleitung der Berichte. Die sieben bisher veröffentlichten Monitoring-Berichte der Kommission untersuchen jeweils die zwischen Originalpräparatehersteller und Generikahersteller geschlossenen Vereinbarungen in Zeiträumen zwischen sechs und zwölf Monaten. Dabei wurde die gleiche Kategorisierung der Vergleiche vorgenommen wie bereits im endgültigen Bericht zur Sektoruntersuchung.42 Die Kommission stellt klar, dass gegen Vereinbarungen der Kategorie A keinerlei kartellrechtliche Bedenken bestünden.43 Solche der Kategorie B.I seien nur dann problematisch, wenn der Ausschluss des Generikaherstellers aus dem Markt über den Schutzbereich des Patents hinausgehe.44 Vereinbarungen der Kategorie B.II, die eine Kombination aus Vermögensübertragung an den Generikahersteller und Beschränkung der Vermarktung des Generikums beinhalten (Pay-for-Delay-Vereinbarungen), seien aus kartellrechtlicher Sicht am bedenklichsten allerdings nicht per se als kartellrechtsverstoßend einzustufen.45 Die bisher durchgeführten Erhebungen der Kommission zeigen, dass die Anzahl an Vergleichsvereinbarungen im pharmazeutischen Sektor nach der Sektoruntersuchung der Kommission zunächst nicht abgenommen hat. So ist die Zahl der geschlossenen Vereinbarungen bis 2012 stetig gestiegen. Waren es zum Ende der Sektoruntersuchung, im Jahr 2008 noch 32 Vereinbarungen pro Jahr, so hat sich die Anzahl im Folgejahr 2009 bereits mehr als verdoppelt (73).46 Auch im weiteren Verlauf veränderte sich dieser Trend zunächst nicht. 2010 beobachtete die EUKommission 89 Vergleiche,47 2011 bereits 12048 und im Jahr 2012 sogar 183.49 Nach 2012 sank die Zahl der eingegangenen Vergleichsvereinbarungen hingegen wieder. 2013 belief sie sich auf nunmehr 146.50 Im Jahr 2014 waren es nur noch 76.51 Hingegen stieg die Zahl der Vereinbarungen im Jahr 2015 wieder auf 125.52 Als Grund für die zeitweilige Zunahme vermutete die Kommission ein gehäuftes Auslaufen vieler wichtiger Patente in den letzten Jahren und eine generelle Zunahme von Streitsachen sowie damit einhergehenden Streitbeilegungen insgesamt.53 Für den 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53

Siehe hierzu „Kritik“ ab S. 53. KOM, 1. Monitoring-Bericht, Rn. 12. Ebd., Rn. 13. Ebd., Rn. 14. Ebd., Rn. 19. KOM, 2. Monitoring-Bericht, Rn. 20. KOM, 3. Monitoring-Bericht, Rn. 20. KOM, 4. Monitoring-Bericht, Rn. 23 – 26. KOM, 5. Monitoring-Bericht, Rn. 23. KOM, 6. Monitoring-Bericht, Rn. 25. KOM, 7. Monitoring-Bericht, Rn. 23. KOM, 4. Monitoring-Bericht, Rn. 23.

50

2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

darauffolgenden Rückgang an Vergleichsvereinbarungen im pharmazeutischen Sektor scheint die Kommission in ihrem sechsten Report keine Erklärung zu haben. Sie verweist allerdings auf Zahlen aus den USA, die einen ähnlichen Trend erkennen lassen.54 Der zwischenzeitliche Anstieg an Vergleichsvereinbarungen hatte die Kommission in ihrer Ansicht gestützt, dass die verstärkte Untersuchung von Vergleichsvereinbarungen nicht zu einer Abnahme an Vergleichen führe.55 Die Kommission hob in ihrem sechsten Monitoring-Bericht hervor, dass die Zahl der Vergleichsvereinbarung trotz Rückgangs nach wie vor höher ausfällt als zu Beginn des Jahrtausends, weshalb nicht zu beobachten sei, dass die Überprüfung von Vereinbarungen der Kategorie B.II „Unternehmen davon abgehalten hat Vergleiche zu schließen“.56 Dies schien angesichts des Rückgangs in den Jahren 2013 und 2014 (siehe Tabelle 2) jedoch zumindest zweifelhaft. Nach wie vor argumentiert die Industrie, dass das Vorgehen der Kartellämter gegen wettbewerbsschädigende Vergleichsvereinbarungen zu einer Abnahme an Vergleichen führe und Unternehmen dazu zwinge, Rechtsstreitigkeiten bis zum Ende auszufechten.57 Diese Annahme stützte der Umstand, dass der Rückgang an Vergleichsvereinbarungen ab dem Jahr 2013 mit der ersten Kommissionsentscheidung im Zusammenhang mit Pay-forDelay in der Sache Lundbeck zeitlich zusammenfiel. Denkbar ist insofern, dass Unternehmen seit jener Entscheidung weniger ungezwungen an Patentvergleiche herantreten und das Risiko einer kartellrechtlichen Nachverurteilung ihre Entscheidungen mitbeeinflusst. Die erneute Zunahme an Vereinbarungen im Jahr 2015 zeigt allerdings, dass es sich hierbei um eine nur vorübergehende Entwicklung handelte und Unternehmen den Abschluss von Vereinbarungen inzwischen weniger scheuen. Wenngleich insgesamt die Zahl der Vergleichsvereinbarungen stark anstieg, nahm der Anteil kartellrechtlich problematischer Vereinbarungen der Kategorie B.II im Nachgang zur Sektoruntersuchung deutlich ab. Während des Zeitraumes der Sektoruntersuchung (2000 – 2008) hatten diese mit durchschnittlich fünf B.II-Vereinbarungen pro Jahr noch 22 % aller Vergleichsvereinbarungen ausgemacht.58 Ihr Anteil sank in den Folgejahren: 2009 lag der Anteil bei 10 %59, 2010 sogar nur bei

54 FTC, Overview of Agreements filed in FY 2013, abrufbar unter: https://www.ftc.gov/sys tem/files/documents/reports/agreements-filled-federal-trade-commission-under-medicare-pre scription-drug-improvement/141222mmafy13rpt-1.pdf; KOM, 6. Monitoring-Bericht, Rn. 23. 55 KOM, 4. Monitoring-Bericht, Rn. 48. 56 KOM, 6. Monitoring-Bericht, Rn. 48. 57 EFPIA, Pressemitteilung vom 19. Juni 2013, abrufbar unter: http://www.efpia.eu/media room/103/43/Patent-settlements-are-a-symptom-of-the-failure-of-Europe-39-s-patent-litigationsystem; Lundbeck, Pressemitteilung vom 19. Juni 2013, abrufbar unter: http://files.shareholder. com/downloads/AMDA-GGC00/2538947816x0x671601/4f499caa-83b5-4b21-82f6-62 5cd8ddf323/Corporate%20release%20no%20504.pdf. 58 KOM, 4. Monitoring-Bericht, Rn. 49. 59 KOM, 1. Monitoring-Bericht, Rn. 37.

Tabelle 2

52 %

26 %

22 %

Kategorie A

Kategorie B.I

Kategorie B.II

10 %

33 %

57 %

93

120

183

83

3%

11 % 7 %

10 %

36 % 19 % 51 % 30 %

61 % 70 % 43 % 61 %

89

81

Ohne PTVergleiche

8%

11 %

47 % 22 %

45 % 67 %

146

Alle

2013

41

Ohne PTVergleiche

12 % 20 %

39 % 7 %

49 % 74 %

76

Alle

2014

81

Ohne PTVergleiche

10 % 14 %

64 % 48 %

26 % 38 %

125

Alle

2015

Prozentangaben beziehen sich auf den Anteil der im jeweiligen Jahr insgesamt geschlossenen Vereinbarungen. „PT-Vergleiche“ bezeichnet Vergleiche, die sich auf Portugal beziehen und die im Zusammenhang mit der besonderen Gesetzeslage in Portugal stehen. Quelle: Europäische Kommission, Sektoruntersuchung und Monitoring-Berichte 1 – 7.

ca. 25 p.a.

Vereinbarungen insgesamt

2008 2012 2000 bis 2008 (2. Hälfte) bis 2010 2011 Ohne PT(1. Hälfte) Alle 2009 Vergleiche

§ 6 Aufkommen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen in den USA und der EU 51

52

2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

3 %60, 2011 bei 11 %61, 2012 bei 7 %62 und 2013 bei 8 % (siehe Tabelle 2). Eine Gesetzesänderung im Jahr 2011 in Portugal führte überdies zu einer besonders hohen Zahl an Vergleichsvereinbarungen, die nach Meinung der Kommission die Ergebnisse verzerren.63 Rechnet man die Vergleichsvereinbarungen aus Portugal heraus, dann würde der Anteil der B.II-Vereinbarungen im Jahr 2012 nicht bei 7 %, sondern bei 10 % und im Jahr 2013 nicht bei 8 % sondern bei 11 % liegen.64 Die Kommission interpretiert dies als „Stabilisierung auf einem niedrigen Level“.65 Von einem echten Rückgang von B.II-Vereinbarungen kann allerdings nach Veröffentlichung des siebten Monitoring-Berichts nicht mehr die Rede sein. So stieg ihr Anteil im Jahr 2014 auf 12 %, die portugiesische Verzerrung herausgerechnet sogar auf 20 %.66 Im Jahr 2015 lag der Anteil bei 10 % (ohne portugisiesche Vereinbarungen bei 14 %).67 Ihr prozentualer Anteil hat sich zwar stabilisiert jedoch liegt er inzwischen bei knapp zehn Prozent.68 Im Vergleich mit dem Zeitraum 2000 – 2008, in dem jährlich durchschnittlich fünf Vereinbarungen der Kategorie B.II geschlossen wurden, zeigt sich, dass sich in den Jahren 2009 bis 2013 ihr Aufkommen in absoluten Zahlen verdoppelt hat und auf durchschnittlich zehn B.II-Vereinbarungen pro Jahr gestiegen ist.69 Ein Rückgang von Vereinbarungen der Kategorie B.II liegt deshalb nicht vor. Den Wiederanstieg der B.II-Fälle zwischen 2010 und 2011 erklärt die Kommission zunächst auch damit, dass es Fälle gegeben habe, in denen Generikahersteller irrtümlicherweise patentverletzende Markteinführungen ihrer Generika unternommen hatten und dies zum Teil auf Fehler der zuständigen Zulassungsbehörden zurückzuführen gewesen sei. Mit entsprechenden Vergleichsvereinbarungen sei den Generikaherstellern ein geordneter Rückzug aus dem Markt eröffnet worden.70 Diese Erklärung taucht hingegen im folgenden Bericht nicht mehr auf, was als Indiz dafür gesehen wird, dass die Kommission in der Zwischenzeit von diesem Erklärungsansatz abgerückt ist.71

60

KOM, 2. Monitoring-Bericht, Rn. 35. KOM, 3. Monitoring-Bericht, Rn. 28. 62 KOM, 4. Monitoring-Bericht, Rn. 30. 63 KOM, 6. Monitoring-Bericht, Rn. 27. 64 KOM, 4. Monitoring-Bericht, Rn. 30. 65 Ebd., Rn. 49. 66 KOM, 6. Monitoring-Bericht, Rn. 30, 45. 67 KOM, 7. Monitoring-Bericht, Rn. 45. 68 Je nachdem, ob man die Vergleichsvereinbarungen, die in Portugal geschlossen wurden, mit einbezieht. Die EU-Kommission sieht eine Gesetzesänderung in Portugal als Ursache für eine deutlich über dem EU-Durchschnitt liegende Anzahl an geschlossenen Vergleichen. 69 Im Jahr 2009 beobachtete die Kommission 9 B.II-Vereinbarungen, 2010 nur noch 3, 2011 13, 2012 12, 2013 11, 2014 9 und 2015 13; KOM, 4. Monitoring-Bericht, Rn. 49; KOM, 6. Monitoring-Bericht, Rn. 46; KOM, 7. Monitoring-Bericht, Rn. 45. 70 KOM, 3. Monitoring-Bericht, Rn. 43. 71 Picht, ZWeR 2014 83, 92. 61

§ 6 Aufkommen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen in den USA und der EU

53

Bei der Betrachtung der jeweiligen Arten der von der Kommission als Vermögensübertragung eingestuften Vereinbarungen fällt auf, dass Pharmaunternehmen zunehmend darauf verzichten, reine oder kombinierte Geldzahlungen zu vereinbaren. Dagegen stieg der Anteil an Early-Entry Vereinbarungen sowie Vereinbarungen, bei denen der Patentinhaber dem Generikahersteller eine Lizenz gewährte, stetig an (siehe Tabelle 3). Betrug ihr Anteil während der Sektoruntersuchung noch 44 %72 so stieg er auf 75 %73 und 73 %74 in den Jahren 2012 und 2013. 2014 machten sie sogar 100 % aus75 und 2015 92 %.76 Insbesondere bei sogenannten Early Entry Vereinbarungen, bei denen der Patentinhaber auf die Durchsetzung seines Patents gegenüber dem Generikahersteller verzichtet und diesem so die Möglichkeit des vorzeitigen Marktzutritts gewährt, sieht die Kommission keine Gefahr eines Wettbewerbsschadens gegeben.77 So lässt sich feststellen, dass zwar der Anteil an B.II-Vereinbarungen gleich geblieben ist, sich ihre konkreten Ausgestaltungen jedoch zunehmend auf Formen beschränken, denen die EU-Kommission weniger skeptisch gegenübersteht. Tabelle 3 Kategorie B.II

2000 bis 2008 2008 (2. Hälfte) 2010 2011 2012 2013 2014 (1. Hälfte) bis 2009

2015

Geldzahlung

18 %

22 %

33 % 31 % -

8%

Lizenzvereinbarung und/oder Non-AssertKlausel (Early Entry)

44 %

-

66 % 62 % 75 % 73 % 100 % 92 %

67 %

-

7%

25 % 9 %

-

-

11 %

-

-

-

-

-

Lizenzvereinbarung und Geldzahlung oder Liefervereinbarung Andere Form der Vermögensübertragung

18 % -

38 % -

Quelle: Europäische Kommission, Sektoruntersuchung und Monitoring-Berichte 1 – 7.

V. Kritik Die Sektoruntersuchung sowie das anschließende Monitoring durch die EUKommission haben sowohl während ihrer Durchführung als auch in Bezug auf die Präsentation der Ergebnisse und Schlussfolgerungen Kritik hervorgerufen. Es folgt daher eine kritische Auseinandersetzung mit der Vorgehensweise der Kommission, 72 73 74 75 76 77

KOM, Pharmaceutical Sector Inquiry, Rn. 764. KOM, 4. Monitoring-Bericht, Rn. 45. KOM, 5. Monitoring-Bericht, Rn. 46. KOM, 6. Monitoring-Bericht, Rn. 46. KOM, 7. Monitoring-Bericht, Rn. 46. Beispielhaft: Ebd., Fn. 14.

54

2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

die auch Kritikpunkte aufgreift, die von Seiten der Industrie, Literatur sowie des European Patent Office (EPO) geäußert wurden. 1. Belastbarkeit der Daten Ein Kritikpunkt setzt bereits bei der Datenbeschaffung an. Insbesondere die Daten, aus denen hervorgeht, dass es nach dem Auslaufen des exklusiven Schutzes des Arzneimittels zu Verzögerungen bei der Markteinführung von Generika komme, seien nicht belastbar.78 So habe die Kommission bereits in den übersandten Fragebögen an die Unternehmen lediglich nach dem Ablauf der Patentlaufzeit gefragt. Hierbei habe sie missachtet, dass neben dem Ablauf eines Patents auch andere Faktoren einer Markteinführung im Wege stehen können. Bevor die Zulassung des Generikums erfolgen kann, muss beispielsweise die Datenexklusivität abgelaufen sein. Ebenso könnten Verzögerungen im Zulassungsverfahren für die Verzögerung verantwortlich sein. Die Kommission stellt hierzu in ihrem endgültigen Bericht klar, dass die Statistik lediglich eine Aussage über den Zeitraum zwischen Auslaufen der Exklusivität und Markteinführung eines Generikums treffe.79 Dabei seien noch keine Aussage darüber getroffen worden, ob eine derartige Verzögerung durch Handlungen der Unternehmen oder durch andere (regulatorische) Faktoren hervorgerufen werde. Außerdem sei der statistische Einfluss der Fälle, in denen die Datenexklusivität erst nach Patentlaufzeit auslaufe sehr begrenzt.80 Zwar mögen die geäußerten Bedenken die Kernaussage der Statistik, wonach es überhaupt zu einer Verzögerung komme, nicht widerlegen. Jedoch scheint es, als versuche die Kommission die angesprochene Ungenauigkeit bei der Datenerhebung etwas herunterzuspielen. Ganz entkräften lässt sich die Kritik nicht. Denn auch wenn die Anzahl der Fälle gering ausfällt, in denen einer der von Kritikern aufgezeigten Faktoren für die Verspätung des generischen Markteintritts verantwortlich ist, so bleibt der Vorwurf, dass in einigen Fällen die Daten zumindest ungenau sind. War doch die Annahme, dass es zu zunächst unerklärlichen Verzögerungen bei der Markteinführung komme, einer der wesentlichen Gründe für die Durchführung der Sektoruntersuchung.81 In Anbetracht der Tatsache, dass die Annahme einer Verzögerung sowohl den Ausgangspunkt der Sektoruntersuchung als auch Grundlage einer ihrer wesentlichen Ergebnisse darstellt, sind die geäußerten Zweifel an einem Teil der Daten nicht ganz von der Hand zu weisen.

78 79 80 81

S. 4.

Rosenberg, 24 Antitrust 35, 36 (2010). KOM, Pharmaceutical Sector Inquiry, Rn. 198. Dies sei nur in 51 von 713 Fällen aufgetreten (7 %). KOM, Pharmaceutical Sector Inquiry, Rn. 427; Zusammenfassung Sektoruntersuchung,

§ 6 Aufkommen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen in den USA und der EU

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2. Verhalten der Unternehmen ist für Verzögerungen des Generikaeintritts verantwortlich Für Aufsehen sorgte die Feststellung der Kommission, „dass das Verhalten der Unternehmen zu den Verzögerungen beim Markteintritt von Generika beiträgt.“82 Diese Annahme wird mit Verweis auf Daten aus der Sektoruntersuchung angezweifelt.83 Vor allem der Umstand sehr unterschiedlich ausfallender Verzögerungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten der EU sei mit der Begründung der Kommission nicht zu erklären. Vielmehr wiesen die Disparitäten darauf hin, dass nicht das Marktverhalten, sondern das regulatorische Umfeld des jeweiligen Mitgliedstaates eine viel bedeutendere Rolle spiele als von der Kommission angenommen. Würden Verzögerungen durch das Verhalten von Marktakteuren hervorgerufen, dann müssten dieser Ansicht entsprechend die ermittelten Verzögerungen in den Mitgliedstaaten annährend gleich sein. Dieser Kritik sind zwei Argumente entgegenzuhalten: Erstens übersehen Vertreter dieser Meinung, dass das Verhalten der Unternehmen stark mit den jeweilig herrschenden Regularien verknüpft ist. Den durch die Kommission untersuchten „Tool-Box“-Praktiken ist gemein, dass sie das bestehende regulatorische Umfeld instrumentalisieren und damit eben jene Verzögerungen hervorrufen. Ob und wie erfolgreich einem Unternehmen die Nutzung dieser Instrumente gelingt, hängt wiederum stark vom rechtlichen Umfeld des jeweiligen Mitgliedsstaates ab. Insofern ist sowohl die Annahme, dass das regulatorische Umfeld eine gewichtige Rolle spielt als auch der Standpunkt, dass Verzögerungen durch Unternehmenspraktiken hervorgerufen werden nachvollziehbar, da sich beide Annahmen nicht gegenseitig ausschließen. Zweitens ist die Betätigung der Instrumente mit erheblichem Aufwand verbunden. Praktiken, wie Interventionen bei der Zulassung von Generika oder Lebenszyklusstrategien für Produkte der zweiten Generation, gehen mit erheblichen Anwalts- und Marketingkosten einher. Die sehr unterschiedlichen Markteintrittsverzögerungen von Generika lassen sich deshalb auch damit erklären, dass Pharmaunternehmen ihre Ressourcen auf bestimmte räumlich relevante Märkte konzentrieren und wiederum andere Märkte außen vor lassen. Aus den Beobachtungen divergierender Verzögerungen zwischen den Mitgliedstaaten lässt sich somit weder der Schluss ziehen, dass diesen lediglich unterschiedlich regulatorische Umfelder zugrunde liegen, noch, dass unternehmerische Praktiken eine vernachlässigbare Rolle spielen. Selbst wenn man annimmt, dass die oben beschriebenen unterschiedlichen Verzögerungen (zwischen Ende der Exklusivität und Generikaeintritt) viel eher durch den Gesetzesrahmen als das Verhalten von Marktakteuren hervorgerufen werden, so 82

Ebd., S. 11. White & Case LLP, Comments on DG Competition’s Preliminary Report on the Pharmaceutical Sector Inquiry, 30. Januar 2009, S. 5 f., abrufbar unter: http://www.whitecase.com/ files/publication/0ff9310e-7d6d-4d48-96ea-b4e4ab72e60d/Presentation/PublicationAttach ment/d5bbdbcc-4fa9-4325-862b-c35cfb8ce948/Alert_WC_CommentsDGCompetitions_Pharm aceuticalsSectorInquiry.pdf; Schmid, S. 48 f. 83

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2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

schließt dies nicht aus, dass ein bestimmtes Marktverhalten zu Verzögerungen im vorgelagerten Bereich führt. Bestimmte Verhaltensweisen, wie Lebenszyklusstrategien oder das Eingehen patentrechtlicher Vergleiche setzen noch vor Ende der Exklusivität an, indem sie diese hinauszögern. Mit einer deutlichen Verlängerung der Exklusivität durch Bündelpatente wird de facto die Markteinführung von Generika hinausgezögert. Die Annahme der Kommission, dass Instrumente aus der „Tool Box“ dazu gedacht seien, die Markteinführung von Konkurrenzprodukten hinauszuzögern oder gar zu verhindern entstammt nicht einzig dem gesammelten Datenmaterial zur Markteinführung von Generika – wie dies von Kritikern behauptet wird. Vielmehr lassen sichergestellte Strategiepapiere der Originalpräparatehersteller die Absicht der Unternehmen erkennen, die entwickelten Instrumente genau für diese Zwecke zu nutzen.84 Die Ergebnisse der Kommission stellen damit nicht lediglich Vermutungen dar, sondern können mit den Dokumenten zu Vorhaben und Strategien der Originalhersteller belegt werden. Die Kritik an diesem Ergebnis der Sektoruntersuchung ist folglich nicht überzeugend. 3. Kategorisierung von Vereinbarungen zwischen Pharmaunternehmen In Bezug auf die Untersuchung von Vergleichsvereinbarungen zwischen Originalpräparateherstellern und Generikaunternehmen hat die Kommission eine klare Kategorisierung gewählt, die auf den ersten Blick einleuchtet (A, B.I, B.II). So werden lediglich Vereinbarungen der Kategorie B.II als kartellrechtlich bedenklich eingestuft. Das sehr weite Verständnis der Merkmale „Vermögensübertragung“ und „Beschränkungen des Generikaherstellers“ erlaubt es, eine Diskussion um reine Begrifflichkeiten zu vermeiden, wie sie in den USA nach dem Supreme Court Urteil in der Sache FTC v. Actavis geführt wird.85 Allerdings geht die Kommission zu oberflächlich vor, wenn sie alle Vereinbarungen der Kategorie B.II. pauschal als „problematisch“86 einordnet. Aus den deskriptiven Daten lassen sich somit noch keine Schlüsse ziehen, wie viele Fälle tatsächlich kartellrechtsverletzend sind. So fallen in die Kategorie selbst Vereinbarungen, bei denen der Patentinhaber dem Generikahersteller einen frühzeitigen Marktzutritt zusichert und ihm gleichzeitig eine Lizenz für sein Patent gewährt.87 Eine solche Vereinbarung ist jedoch grundsätzlich aus kartellrechtlicher Perspektive viel unbedeutender88 als beispielsweise eine Vereinbarung, bei der der Patentinhaber dem Generikahersteller eine hohe Vermögensübertragung dafür leistet, dass dieser dem Markt endgültig fern bleibt. Das weite Begriffsverständnis der Kommission führt auch dazu, dass bereits die 84 85 86 87 88

KOM, Zusammenfassung Sektoruntersuchung, S. 11. Hierzu ausführlich ab S. 113. KOM, 1. Monitoring-Bericht, Rn. 4. KOM, 6. Monitoring-Bericht, Rn. 46. Dies räumt auch die EU-Kommission ein: KOM, 4. Monitoring-Bericht, Rn. 46, Fn. 14.

§ 6 Aufkommen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen in den USA und der EU

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Gewährung einer Lizenz als eine Vereinbarung der Kategorie B.II zu verstehen ist. So stellt nach der Sichtweise der Kommission die Lizenz einerseits eine Vermögensübertragung des Patentinhabers und die Eingehung der Lizenzvereinbarung andererseits für den Generikahersteller eine Beschränkung seiner Freiheit dar. Auch in einem solchen Fall wäre die Einordnung als „kartellrechtlich problematisch“ sehr fragwürdig. Mit der Untersuchung sowie den Monitoring-Berichten wollte die Kommission zwar keine rechtliche Einschätzung vornehmen, sondern lediglich Datenmaterial sammeln. Dieses sollte jedoch gerade die Grundlage bilden, um einschätzen zu können, ob Verfahren wegen Verstoß gegen Art. 101 und 102 AEUV einzuleiten sind.89 Auch aus diesem Grund wäre eine nähere Abstufung sinnvoll gewesen. 4. Verhältnis zwischen befragten Originalpräparateund Generikaherstellern Bei der Datenerhebung für die vier Monitoring-Berichte fällt auf, dass sich die Anzahl der befragten Unternehmen von Bericht zu Bericht mitunter stark unterscheidet. So wurden im ersten Monitoring laut Kommission 41 Originalpräparateund 45 Generikahersteller befragt.90 Im zweiten lag das Verhältnis bei 59 zu 70;91 im dritten Monitoring bei 56 zu 73,92 in der vierten Periode bei 53 zu 6693 und im fünften Bericht bei 54 zu 6394. Im sechsten Monitoring lag das Verhältnis von Original- zu Generikahersteller bei 54 zu 5795 und 2015 bei 58 zu 50.96 Erst im vierten Bericht erwähnt die Kommission, dass es sich bei den befragten Unternehmen um eine repräsentative Stichprobe handelt.97 Auffällig ist, dass nicht nur die absolute Anzahl der befragten Unternehmen variiert, sondern auch das Verhältnis von Patentinhaber zu Generikahersteller Schwankungen unterliegt. Insbesondere vor dem Hintergrund dessen, dass im Jahr 2010 lediglich drei Vereinbarungen der Kategorie B.II festgestellt wurden, entstehen Zweifel, ob die beschriebenen Fluktuationen auch Einfluss auf die späteren Ergebnisse hat.

89 90 91 92 93 94 95 96 97

KOM, Zusammenfassung Sektoruntersuchung, S. 6. KOM, 1. Monitoring-Bericht, Rn. 16. KOM, 2. Monitoring-Bericht, Rn. 16. KOM, 3. Monitoring-Bericht, Rn. 16. KOM, 4. Monitoring-Bericht, Rn. 19. KOM, 5. Monitoring-Bericht, Rn. 19. KOM, 6. Monitoring-Bericht, Rn. 19. KOM, 7. Monitoring-Bericht, Rn. 19. KOM, 4. Monitoring-Bericht, Rn. 19.

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2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

C. Zwischenergebnis Die amerikanische Kartellbehörde FTC überwacht seit 2004 sehr genau, wie viele Patentvereinbarungen zwischen Original- und Generikaherstellern im pharmazeutischen Bereich geschlossen werden. Die jährlich steigenden Zahlen verdeutlichen ein wachsendes Bedürfnis der Unternehmen nach Streitbeilegungsvereinbarungen. Auch die Zahl der aus kartellrechtlicher Sicht problematischen Pay-for-DelayVereinbarungen stieg in den Jahren 2004 bis 2012 kontinuierlich. Seit 2013 gehen die Zahlen jedoch zurück, was auf das 2013 ergangene Actavis-Urteil des Supreme Courts zurückzuführen ist. Die EU-Kommission hat ihre Untersuchungen bezüglich potentiell kartellrechtswidriger Unternehmensvereinbarungen im Pharmasektor deutlich später begonnen. In ihrer Sektoruntersuchung von 2009 gewann die Kommission neue Erkenntnisse über Verhalten der Unternehmen sowie die besondere Wettbewerbsstruktur des pharmazeutischen Sektors. Bestimmtes Verhalten der Pharmaunternehmen sieht die Kommission als für verspätete Marktzutritte durch Generikahersteller zumindest mitursächlich an, wobei daneben auch andere Faktoren wie beispielsweise der regulatorische Rahmen eine Rolle spielten.98 Diese Kenntnisse stellen die Grundlage für die in der Folge von der Kommission eingeleiteten Kartellverfahren gegen verschiedene Pharmaunternehmen dar. Trotz einiger Ungenauigkeiten bei ihrem Vorgehen, kann nach dem Bericht nicht mehr von der Hand gewiesen werden, dass die Akteure im hochregulierten Pharmasektor verschiedene Instrumente gebrauchen, um sich gegen Wettbewerber zu schützen. Eines dieser Instrumente stellt dabei auch die Pay-for-Delay-Vereinbarung dar. Dieser Umstand beantwortet nicht die Frage nach der kartellrechtlichen Zulässigkeit entsprechender Vereinbarungen. Der relativ stabile Anteil an Vereinbarungen der Kategorie B.II verdeutlicht, dass das Bedürfnis nach der Klärung der Frage der kartellrechtlichen Zulässigkeit weiterhin besteht. Zudem zeigt der Umstand, dass Vereinbarungen zwischen Pharmaunternehmen nach wie vor stattfinden, dass der besondere Fokus der EU-Kommission nicht zu einer Scheu vor Vergleichsvereinbarungen geführt hat. Trotzdem verlangen Unternehmen zurecht Rechtssicherheit. Es besteht die Notwendigkeit einer für Unternehmen klar nachvollziehbaren und vor allem voraussehbaren Handlungsweise der Kommission sowie nationaler Kartellbehörden.

98

KOM, Pharmaceutical Sector Inquiry, S. 10.

§ 7 Exkurs

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§ 7 Exkurs: Pay-for-Delay – über den europäischen und amerikanischen Raum hinaus Die durch die EU-Kommission gefundenen Ergebnisse zeigen, dass Pay-forDelay-Vereinbarungen in der EU auftreten und einige von ihnen gegebenenfalls sogar gegen EU Kartellrecht verstoßen.99 Dies widerlegt die häufig geäußerte Annahme, dass es sich bei Pay-for-Delay-Vereinbarungen um ein US-Phänomen handelt. In den USA war die FTC bereits zu Beginn der 1990er Jahre auf Patentvereinbarungen zwischen Pharmaunternehmen aufmerksam geworden und hatte diese unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten verfolgt.100 Inzwischen zeigt sich, dass auch in anderen Rechtsordnungen die Kartellrechtshüter auf den Plan gerufen sind. In Kanada, Indien, Südkorea sowie einzelnen EU-Staaten sind die Kartellrechtsbehörden auf Pay-for-Delay-Vereinbarungen aufmerksam geworden.

A. Kanada In Kanada begann die Wettbewerbsbehörde, das Competition Bureau, in den Jahren 2007101 und 2008102 mit zwei Untersuchungen, sich mit dem pharmazeutischen Sektor näher zu beschäftigen. Ein Ergebnis war, dass Preise für Generika in Kanada höher ausfielen als anderswo. Auch deshalb kündigte die Behörde an, Payfor-Delay-Vereinbarungen auch in Kanada zu untersuchen und gegebenenfalls sogar unter strafrechtlichen Gesichtspunkten zu ahnden.103 Die kanadischen Behörden sehen trotz einiger Unterschiede der gesetzlichen Regulierungen der Arzneimittelmärkte Handlungsbedarf und lassen anklingen, dass sie sich hierbei an dem Vorgehen der amerikanischen und europäischen Kartellbehörden orientieren werden.104 Nach Einschätzung der Wettbewerbsbehörde seien auf Vereinbarungen, die den Patent99

Hierzu näher ab S. 164. FTC, In the Matter of 180-Day Generic Drug Exclusivity for Abbreviated New Drug Applications, 04. November 1999 abrufbar unter: https://www.ftc.gov/sites/default/files/docu ments/advocacy_ documents/ftc-staff-comment-food-and-drug-administration-concerning-180day-generic-drug-exclusivity/v990016.pdf. 101 Canada Competition Bureau, Generic Drug Sector Study, Oktober 2007, abrufbar unter: http://www.competitionbureau.gc.ca/eic/site/cb-bc.nsf/eng/02495.html. 102 Canada Competition Bureau, Benefiting from Generic Drug Competition in Canada: The Way Forward, November 2008, abrufbar unter: http://www.competitionbureau.gc.ca/eic/ site/cb-bc.nsf/eng/03026.html. 103 Pecman, Redemanuskript vom 23. September 2014, abrufbar unter: http://www.com petitionbureau.gc.ca/eic/site/cb-bc.nsf/eng/03817.html. 104 Canada Competition Bureau, Patent Litigation Settlement Agreements: A Canadian Perspective, 23. September 2014, abrufbar unter: http://www.competitionbureau.gc.ca/eic/site/ cb-bc.nsf/eng/03816.html. 100

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2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

inhaber über die Dauer des Patents hinaus beschränken bzw. bei denen die Vergleichsvereinbarung lediglich eine Verschleierung einer Absprache zwischen Wettbewerbern darstellt, strafrechtliche Vorschriften anzuwenden. Auch die Untersuchung und Ahndung von Vereinbarungen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, schließt die Wettbewerbsbehörde nicht aus.105 Wie ernst es die Kartellrechtshüter meinen, zeigt auch der Vorschlag vom Juni 2015 zur Änderung ihrer Leitlinien zur Überprüfung von Verhaltensweisen in Bezug auf geistiges Eigentum.106

B. Indien In Indien begann die erst seit 2009 voll funktionsfähige Behörde107, die Competition Commission of India (CCI) im Jahr 2014 damit, einige Vereinbarungen zwischen Original- und Generikahersteller genauer unter die Lupe zu nehmen.108 Die betroffenen Vereinbarungen wurden zwischen Hoffmann-La Roche und Cipla über den Wirkstoff gegen Lungenkrebs Erlotinib sowie zwischen den Unternehmen Merck Sharp, Dohme und Glenmark Pharmaceuticals über den neuen Diabeteswirkstoff Sitagliptin geschlossen. Aufgrund starken Austauschs zwischen der noch jungen CCI und der amerikanischen FTC, wäre es nicht verwunderlich, wenn die CCI einen ähnlichen Ansatz in Bezug auf Pay-for-Delay-Vereinbarungen wählt wie die der der FTC.109

C. Südkorea Auch in Südkorea schenkt die Korea Fair Trade Commission (KFTC) seit einiger Zeit Pay-for-Delay-Vereinbarungen erhöhte Aufmerksamkeit. Von der EU-Sektor105 Criminal Conspiricies Section, Section 45 Competition Act; Canada Competition Bureau, Patent Litigation Settlement Agreements: A Canadian Perspective, 23. September 2014, abrufbar unter: http://www.competitionbureau.gc.ca/eic/site/cb-bc.nsf/eng/03816.html. 106 Canada Competition Bureau, Intellectual Property Enforcement Guidelines, Juni 2015, abrufbar unter: http://www.competitionbureau.gc.ca/eic/site/cb-bc.nsf/eng/03935.html; kritisch: Wright/Ginsburg, Comment of U.S. Federal Trade Commissioner Joshua D. Wright and Judge Douglas H. Ginsburg on the Canadian Competition Bureau’s Draft Updated Intellectual Property Enforcement Guidelines, abrufbar unter: https://www.ftc.gov/system/files/documents/pu blic_statements/734661/150810canadacomment. pdf#page=1&zoom=auto,-14,799. 107 WSGR, India Enters „Pay-for-Dela“ Fray: CCI Investigation Pharmaceutical Patent Settlements, 12. August 2014, abrufbar unter: https://www.wsgr.com/publications/PDFSearch/ wsgralert-CCI.pdf. 108 LiveMint, CCI to Scan Drug Patent Settlements, 03. August 2014, abrufbar unter: http:// www.livemint.com/Companies/RVVDhRh7oTfpqlIphkb6jM/CCI-to-scan-drug-patent-settle ments.html. 109 Silber/Lutinski/Maddock, CPI Antitrust Chronicle, November. 2014 (2), S. 9, abrufbar unter: https://www.wsgr.com/publications/PDFSearch/silber-1114.pdf.

§ 7 Exkurs

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untersuchung inspiriert, begann auch die koreanische Wettbewerbsbehörde 2010 mit einer Analyse des pharmazeutischen Sektors und insbesondere von Vergleichsvereinbarungen, die mit Patenten im Zusammenhang stehen. Eine der gefundenen Vereinbarungen verstieß nach Ansicht der KFTC gegen koreanisches Kartellrecht. Sie belegten die Unternehmen GSK Korea und DongA Pharmaceutical Co. mit einer Strafe von insgesamt E 3,5 Mio.110 Die Berufung der Parteien wurde vom Seoul High Court verworfen. Bei der Vereinbarung zwischen GSK und DongA handelte es sich um einen Vergleich, der über den Schutzbereich des Patents hinausging.

D. Japan Der japanische Pharmasektor ist der zweitgrößte der Welt und macht zusammen mit den USA und der EU 80 % des weltweiten Pharmamarktes aus.111 Insofern verwundert es, dass bisher keinerlei Pay-for-Delay-Vereinbarungen in Japan getroffen bzw. bekannt geworden sind. Eine Erklärung hierfür könnte die bisher wenig fortgeschrittene Entwicklung der Generikaindustrie in Japan sein. Im Vergleich zu den USA und der EU bleibt Japan bei der Entwicklung des Generikasektors bisher weit zurück.112 Um die Gesundheitsausgaben zu reduzieren, lancierte die japanische Regierung im April 2013 eine Initiative, um den Generikawettbewerb zu stärken. Patienten und Ärzte begegnen Generikamedikamenten jedoch seit Jahren mit Skepsis. Es bleibt abzuwarten, ob ein wachsender Generikamarkt und damit ein zunehmender Druck auf die Originalpräparatehersteller auch in Japan zu Pay-forDelay-Vereinbarungen führen wird.

E. Zwischenergebnis Die angeführten Beispiele verdeutlichen die globale Dimension von Pay-forDelay-Vereinbarungen. Ohne bereits einen konkreten Fall vorzuweisen, kündigte die kanadische Kartellbehörde Wachsamkeit bezüglich Pay-for-Delay-Vereinbarungen an. In Indien begann die noch junge Kartellbehörde CCI mit der Untersuchung zweier Vereinbarungen zwischen Patentinhaber und Generikahersteller. In Korea wurden die Unternehmen GSK und DongA wegen einer Pay-for-Delay-Vereinbarung wegen Verstoßes gegen das Kartellrecht und Bestätigung des Seoul High Court zu 110 KFTC, Pressemitteilung vom 30. Dezember 2011, Nation’s first Crackdown on Collusion Blocking the Entry of Cheap Generic Drugs, abrufbar unter: http://eng.ftc.go.kr/bbs.do; Lee, 5 J. of Comp.L.&Practice 221, 223 (2014). 111 WIPO, Patent Report 2007, S. 12; Lehman, Pharmaceutical Industry and the Patent System, S. 12, abrufbar unter: http://users.wfu.edu/mcfallta/DIR0/pharma_patents.pdf. 112 Thomson Reuters, Generikamarkt in Japan, Bericht 2014, abrufbar unter: http://thom sonreuters.com/content/dam/openweb/documents/pdf/pharma-life-sciences/case-study/new port-case-study-japanese-generics.pdf.

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2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

einer Strafe von insgesamt E 3,5 Mio. verurteilt. Die genannten Beispiele verdeutlichen die globale Aufmerksamkeit, die Pay-for-Delay-Vereinbarungen inzwischen zukommt. Gleichzeitig zeigt sich, dass die genannten Behörden und Gerichte in Kanada, Indien und Korea ein verglichen mit den USA und der EU geringes Maß an Erfahrung mit diesen Vereinbarungen haben. In Japan als einem der größten Pharmamärkte gibt es bisher keinerlei Hinweise auf Pay-for-Delay-Vereinbarungen, was möglicherweise auf die vergleichsweise schwache Generikaindustrie zurückzuführen ist.

§ 8 Besonderheiten des Arzneimittelmarktes als Ursache für Pay-for-Delay Der zuvor behandelte Abschnitt hat gezeigt, dass Pay-for-Delay-Vereinbarungen nicht auf den US-Raum beschränkt sind, sondern auch in anderen Staaten auftreten und von Kartellbehörden untersucht werden. Dabei fällt auf, dass die Vereinbarungen ausschließlich im pharmazeutischen Kontext auftreten. Warum dies so ist, ist ungeklärt. Dies wird bereits durch das Supreme Court-Urteil zu FTC v. Actavis deutlich, in dem die Mehrheit der Richter das besondere Zulassungsrecht der USA für Pay-forDelay-Vereinbarungen verantwortlich macht.113 Dies bezweifelt Richter Roberts, der das Minderheitsvotum verfasste, und meint, dass entsprechende Vereinbarungen möglicherweise auch in anderen Industriesektoren aufträten, anders als im pharmazeutischen Sektor jedoch unentdeckt blieben.114 Auffällig ist, dass trotz der heftigen Diskussionen um Pay-for-Delay und ihrer auffälligen Struktur bisher keine Fälle aus anderen Sektoren bekannt sind. Zwar könnte man dies auf den Umstand schieben, dass lediglich im pharmazeutischen Bereich die Kartellbehörden sowie Industrieverbände besonders achtsam und eventuell auch misstrauisch der unternehmerischen Praxis gegenüber sind und andere Vergleichsvereinbarungen als private und nicht veröffentlichte Verträge niemals das Licht der Öffentlichkeit erblicken.115 Jedoch scheint diese Überlegung bereits schon deshalb wenig überzeugend, weil die sich Kartellrechtsvorwürfen ausgesetzten pharmazeutischen Unternehmen auch unter Rückgriff auf erhebliche Ressourcen und Informationen nicht in der Lage sind, entsprechende Fälle Beispiele aus anderen Wirtschaftssektoren aufzuzeigen, obwohl zu erwarten wäre, dass ihnen dies im Prozess gelegen käme.116 Naheliegender scheint deshalb die Annahme, dass Pay-for-Delay-Vereinbarungen signifikant tatsächlich nur im pharmazeutischen Sektor auftreten. Hierbei fragt sich, welche Gründe für die Entstehung derartiger Vereinbarungen ursächlich sind. Der pharmazeutische Sektor in den USA sowie der EU weist we113 114 115 116

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2227 (2013). FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2243 (2013) (Roberts dissenting). Ebd. Hovenkamp, 15 Minn.J.L.Sci&Tech. 15, 15 f.

§ 8 Besonderheiten des Arzneimittelmarktes als Ursache für Pay-for-Delay

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sentliche Unterschiede zu anderen Industriesektoren auf. Einiges deutet darauf hin, dass diese ursächlich dafür sind, dass ausschließlich Pharmaunternehmen dazu bereit sind Pay-for-Delay-Vereinbarungen zu schließen. Im Folgenden sollen diese Besonderheiten vorgestellt und ihre Auswirkungen auf Risiko- und Interessenlage der Unternehmen aufgezeigt werden.

A. Gesundheitsförderung durch Innovationsund Preiswettbewerb Der Arzneimittelsektor ist erheblichen Spannungen ausgesetzt. Auf der einen Seite sollen wie auf anderen Märkten auch Pharmaunternehmen möglichst frei agieren können und so in einen Wettbewerb miteinander treten. Dieser Wettbewerb führt dazu, dass Effizienzen in Herstellung und Vertrieb maximiert werden. Grundsätzliche Prägung neben dieser reinen marktwirtschaftlichen Lehre erfährt der pharmazeutische Sektor in besonderer Weise durch das Bedürfnis nach Wirksamkeit und Sicherheit der auf ihm gehandelten Produkte. In keinem anderen Industriezweig werden Unternehmen und ihre Produkte so sehr nach ihrem Nutzen für die Gesundheitsförderung und damit für das Allgemeinwohl bewertet. Gesundheitsförderung soll durch Entwicklung und Vertrieb von wirksamen, innovativen und möglichst kostengünstigen Medikamenten gewährleistet werden. Um dies zu erreichen, hat der Gesetzgeber sowohl in den USA wie auch in der EU einen rechtlichen Rahmen geschaffen, der Innovationswettbewerb herstellen soll, gleichzeitig Preiswettbewerb gewährleistet sowie die Marktzulassung von einer Prüfung der Sicherheit und Wirksamkeit abhängig macht. Ein Innovationswettbewerb soll zur fortwährenden Entwicklung neuer und verbesserter Medikamente führen. Durch den nachgelagerten Preiswettbewerb, der insbesondere durch Generikahersteller gewährleistet wird,117 soll erreicht werden, dass die Kosten für die Abnehmer dieser Medikamente (Patienten sowie Krankenkassen) möglichst gering ausfallen. Innovations- und Preiswettbewerb stehen jedoch in einem Spannungsverhältnis. Ein Wettbewerb um Innovationen entsteht nur dann, wenn sich die Innovation für den Erfinder auch finanziell lohnt. Dabei ist im Pharmasektor im Besonderen die Forschung der wesentliche Kostenfaktor. Das Instrument des Preiswettbewerbs erschwert die Möglichkeit eines profitablen Innovationswettbewerbs. Beide Instrumente müssen also zum Ausgleich gebracht werden. Preiswettbewerb entsteht in der Theorie dort, wo mehrere Wettbewerber die gleichen Waren oder Dienstleistungen anbieten. Dabei ist der Preis lediglich eines von vielen Elementen des Wettbewerbs, um sich am Markt von Mitbewerbern abzugrenzen.118 Nicht so im Pharmabereich, wo die Qualität eines Produkts bereits durch den regulatorischen Rahmen zwingend vorgegeben ist und 117

Fischmann, S. 18 ff. Grave/Nyberg, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rn. 262. 118

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2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

somit in vielen Fällen kein Merkmal der Abgrenzung gegenüber anderen Wettbewerbern darstellt.

B. Steigende Investitionskosten für Medikamente Entwicklungen der letzten Jahre zeigen, dass die Aufrechterhaltung von Innovationswettbewerb mit immer größeren Investitionen verbunden ist. Hauptkostenfaktor sind die für die Zulassung der Arzneimittel notwendigen klinischen und vorklinischen Studien aber auch der Umstand, dass nur ein Bruchteil der eingeleiteten Forschungsvorhaben tatsächlich zu gewinnbringenden Arzneimitteln (weiter-) entwickelt werden.119 Dabei reichen die Angaben für die Entwicklung eines marktreifen Arzneimittels von $ 1,3 Mrd.120 bis hin zu $ 5 Mrd.121 Selbst wenn man davon ausgeht, dass diese Kosten nicht ausschließlich für die Erforschung aufgewendet werden und beispielsweise aufgrund von Steuererleichterungen teilweise geringer ausfallen, so handelt es sich gleichwohl um beträchtliche Summen. Diese immer größeren Belastungen erhöhen den Druck auf die innovativ tätigen Pharmaunternehmen, mit ihren wenigen gewinnbringenden Entwicklungen Amortisierungen und darüber hinaus Gewinne zu erzielen.

C. Vorsprung durch Innovation nur von kurzer Dauer In der Theorie erzeugt der Innovationswettbewerb bereits einen Vorsprung und damit ein „natürliches“ Monopol, das es dem Erfinder ermöglicht, supra-kompetitive Preise zu verlangen.122 Der somit erzielte Gewinn kann die Investitionskosten amortisieren und gleichzeitig einen Anreiz für weiteren technischen Fortschritt bieten. Dieser Denkansatz ist auf den pharmazeutischen Sektor nur begrenzt übertragbar. Zwar führt auch hier Innovation zu erheblichen Vorsprüngen in der Behandlung von Krankheiten. Jedoch ist der Innovationsvorsprung von vergleichsweise kurzer Dauer. Die Analyse sowie die anschließende Kopie eines Medikaments in Form von Generikaproduktion sind im pharmazeutischen Bereich ungleich leichter und weniger ressourcenaufwendig als in anderen Industriesektoren.123 Folglich währt der Innovationsvorsprung nicht lange. Hinzu kommt, dass der bloße Innovationsvorsprung im Arzneimittelsektor eine deutlich geringere Bedeutung hat als in an-

119

KOM, Pharmaceutical Sector Inquiry, Rn. 149 f., 160 f.; Fischmann, S. 5 f. FTC v. Watson Pharmaceuticals, Inc., 677 F.3d 1298, 1300 (11th Cir. 2012). 121 Herper, The Cost of Creating a New Drug Now $ 5 Billion, Pushing Pharma to Change, Forbes, 01. August 2013, abrufbar unter: http://www.forbes.com/sites/matthewherper/2013/ 08/11/how-the-staggering-cost-of-inventing-new-drugs-is-shaping-the-future-of-medicine/. 122 Nylton, 22 Tex.Intell.Prop.L.J. 163, 164 (2014). 123 Fischmann, S. 9. 120

§ 8 Besonderheiten des Arzneimittelmarktes als Ursache für Pay-for-Delay

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deren Sektoren, wie beispielsweise dem Softwarebereich, wo andere Instrumente, wie der First-Mover-Advantage eine wichtige Rolle spielen.124

D. Besondere Bedeutung von Patenten bei Arzneimitteln Die künstliche Aufrechterhaltung des Innovationsvorsprungs mithilfe des durch das Patent gewährten Exklusivitätsrechts erlangt deshalb im pharmazeutischen Sektor eine überragende Bedeutung.125 Das Patent schützt den Erfinder vor der Nutzung seiner Erfindung durch Dritte und bietet ihm somit Amortisationsmöglichkeit und Innovationsanreiz gleichermaßen. Im pharmazeutischen Sektor geht die Bedeutung des Patents sogar über die bloße Innovationsförderung hinaus. Da ohne das Patent davon auszugehen ist, dass sich Innovation nicht lohnt, stellt das Patentrecht nicht ein bloßes Förderungswerkzeug dar, sondern ist als elementares Fundament für die Schaffung von Innovation sowie des hieraus entstehenden Marktes auszumachen.126 Zwar sind andere Bereiche des Wirtschaftsverkehrs auch stark von gewerblichen Schutzrechten im Allgemeinen abhängig. Wesentlicher Unterschied ist jedoch, dass bei Arzneimitteln der Schutz von Investition und Innovation fast ausschließlich durch das Patentrecht gewährleistet wird.127 Kein anderer Wirtschafsbereich profitiert so stark vom Patentrecht und ist entsprechend von ihm abhängig.128 Daher verwunder es auch nicht, dass der Arzneimittelsektor einer der Hauptnutzer des Patentsystems ist.129 Ein weiterer Grund für die herausstechende Bedeutung von Patenten im Pharmabereich ist die Möglichkeit, „starke Patente“ zu erlangen. Dies liegt vor allem daran, dass in der Arzneimittelforschung Erfindungen etwa in Form von neuen Wirkstoff-Molekülen klar beschrieben und definiert werden können.130 Dieser Umstand macht die Anmeldung des Patents einfach und erleichtert außerdem die Verteidigung gegen potentielle Patentverletzer. Mit erstgenanntem Grund verknüpft ist der Nachteil, dass Erfindungen, die klar definiert und beschrieben werden können, auch leicht zu kopieren sind.131

124

Ho, 51 San Diego L.Rev. 419, 426 f. (2014). Schmid, S. 18 ff. 126 Nylton, 22 Tex.Intell.Prop.L.J. 163, 176 (2014). 127 Douglas, Rn. 116; Levin/Klevorick/Nelson/Winter, Brookings Papers on Economic Activity, 3 (1987), S. 783, 797. 128 Groombridge, 10 Fordham Intell.Prop., Media&Entertnm.L.J. 185, 214. 129 KOM, Zusammenfassung Sektoruntersuchung, S. 10. 130 Groombridge, 10 Fordham Intell.Prop., Media&Entertnm.L.J. 185, 215. 131 Groombridge, 10 Fordham Intell.Prop., Media&Entertnm.L.J. 185, 215. 125

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2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

Diese starke Abhängigkeit der innovativen Pharmaunternehmen von Patenten führt zu einem großen Interesse an einem möglichst langen Patentschutz insbesondere auf solche Medikamente, mit denen hohe Umsatzrenditen erzielt werden.

§ 9 Interessenlage der Unternehmen Die soeben beschriebenen Besonderheiten des Pharmasektors rufen eine besondere Interessenlage der Pharmaunternehmen hervor. Im Pay-for-Delay-Kontext stehen sich zwei Akteure gegenüber, die mit dem Prozess sehr unterschiedliche Interessen verfolgen. Die Erhebung einer Patentnichtigkeitsklage stellt für den Generikahersteller eine Chance dar, das Patent für unwirksam erklären zu lassen, das den Weg in den Markt versperrt. Umgekehrt ist auch denkbar, dass der Patentinhaber eine Patentverletzungsklage gegen den Generikahersteller anstrebt, um diesen an der Vermarktung zu hindern. Im Zeitpunkt der Vereinbarung befindet sich der Patentinhaber mit seinem patentgeschützten Produkt bereits auf dem Markt. Hierbei hält er in aller Regel einen Großteil der Marktanteile für das entsprechende Arzneimittel. Schützen kann er diese vor allem mit dem Ausschließlichkeitsrecht, welches ihm das Patent gewährt. Der Originalpräparatehersteller hat damit vermeintlich eine starke Position, da er den Markt bereits durchdrungen hat und als alleiniger Marktakteur auf erhebliche Ressourcen zurückgreifen kann, um potentielle Wettbewerber zu bekämpfen. Die Position des Originalherstellers wird wesentlich durch den Patentschutz gesichert und ist von diesem abhängig. Ein Angriff auf das Patent birgt deshalb ein erhebliches Risiko für den Patentinhaber. Im Falle der Nichtigerklärung des Patents oder, wenn das Gericht das Patent durch die Markteinführung des Generikums nicht verletzt sieht, würde sich der Patentinhaber und zugleich Originalhersteller einem sofortigen Wettbewerb ausgesetzt sehen, der mit einem schnellen Verlust an Marktanteilen einhergeht und somit zu erheblichen Umsatzeinbußen führt. Verstärkt wird dieses Risiko dadurch, dass in der heutigen Pharmaindustrie innovativ tätige Unternehmen ihren Hauptumsatz mit einigen wenigen Produkten erwirtschaften – sogenannte Beststeller oder Blockbuster. Der Generikahersteller scheint ein ungleich geringeres Risiko durch einen Patentprozess einzugehen. Im Folgenden wird untersucht, welche Risiken für Originalpräparatehersteller und Generikahersteller mit dem Prozess genau verbunden sind. Zudem soll aufgezeigt werden, weshalb diese Risikolage die Konstellationen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen prägt.

A. Konkurrenz durch Generika Wird das Patent für nichtig erklärt oder urteilt das Gericht, dass ein bestimmtes Generikum das Patent nicht verletzt, so ist der Weg für den Markteintritt des Generikums frei, sofern dieser eine Marktzulassung erhält. Dieser Generikaeintritt setzt

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den Originalhersteller erheblich unter Druck. Durch den in aller Regel deutlich niedrigeren Preis, zu dem das Generikum angeboten wird, verliert der Originalhersteller Marktanteile und muss in einen Preiswettbewerb mit dem Generikahersteller treten. Bisweilen wird das Argument geäußert, dass besonders hohe Zahlungen an den Generikahersteller in der EU keinen Einfluss auf den Wettbewerb bzw. die Preisentwicklung im Pharmabereich haben. Dies wird damit begründet, dass die Preisfestsetzungen in der Europäischen Union (national) mitunter sehr starken Regulierungen unterliegen.132 So würde ein überwiegender Teil der Pay-for-Delay-Vereinbarungen erst nach der Markteinführung des Originalmedikaments geschlossen und damit zu einem Zeitpunkt, in dem der Preis für das Medikament bereits festgelegt wurde. Diese Argumentation übersieht hingegen, dass trotz eingeschränkter Freiheit bei der Festschreibung des Preises für ein Medikament der Eintritt weiterer Anbieter des gleichen Medikamentes zu einem Preiswettbewerb führt. So ist zumindest ein Preiswettbewerb der Generikahersteller untereinander gegeben. Das Argument, dass die Preisregulierung im Pharmabereich einen Preiswettbewerb gänzlich ausschließt und damit Zahlungen an Generikahersteller keinerlei Wirkung auf die Preise entfalten, kann somit nicht überzeugen. Dies belegen auch die Ergebnisse der Sektoruntersuchung der EU-Kommission, wonach der Durchschnittspreis eines Generikums bereits zwei Jahre nach Auslaufen der Exklusivitätsrechte 40 % unter dem des Originals lag. Überdies geht die Kommission davon aus, dass auch die Originalhersteller ihre Preise nach Eintritt der Generikakonkurrenz senken.133 Hinzu kommt, dass die Preisfestsetzungen für Arzneimittel nicht den Wettbewerb um die Kaufentscheidung der Arzneimittelkonsumenten bzw. der Krankenkassen beeinflussen. So ist damit zu rechnen, dass ein auf den Markt kommendes Generikum, das für einen Bruchteil des Preises des Originalpräparates zu erstehen ist, innerhalb kurzer Zeit durch Konsumenten und Krankenkassen dem Original vorgezogen werden wird. Dies ist gerade dann zu erwarten, wenn der Originalhersteller gerade nicht in einen Preiswettbewerb mit dem Generikahersteller tritt und seine vergleichsweise hohen Preise beibehält. Im pharmazeutischen Bereich ist die Preissenkung durch den entstehenden Generikawettbewerb enorm. Beispielsweise sank der Preis für das BlockbusterMedikament Simvastatin zur Behandlung von Cholesterin von E 150 während des Patentschutzes auf E 7, nachdem Generikahersteller mit dem Originalhersteller in einen Wettbewerb getreten waren.134 Ein weiterer Effekt nach Generikaeintritt ist, dass aufgrund des nunmehr kostengünstigen Generikums Verschreibungen des Medikaments zunehmen; im Beispiel Simvastatin betrug die Zunahme 70 %.135 Eine

132 133 134 135

Schmid, S. 372. KOM, Zusammenfassung Sektoruntersuchung, S. 10. Hemphill/Lemley, 77 Antitrust L.J. 947, 952 (2011). Ebd.

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2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

Studie kommt zu dem Ergebnis, dass in den letzten zehn Jahren in den USA Kosten von einer Billion US-Dollar durch Generikawettbewerb eingespart worden sind.136

B. Blockbuster-Medikamente und Patentierungsstrategien Pharmaunternehmen müssen Mischkalkulationen vornehmen. Sie benötigen besonders gewinnbringende sog. Blockbuster-Medikamente, um die Forschung in anderen weniger gewinnbringenden Bereichen zu finanzieren. Überdies werden die so erwirtschafteten Gewinne auch dazu verwendet, die bisher getätigte und die zukünftige Forschung zu finanzieren. Diese Forschungsausgaben stellen erhebliche Investitionen dar, die es für die Unternehmen zu amortisieren gilt. Generikahersteller produzieren dagegen von vornherein nur solche Medikamente, die sich bereits als wirtschaftlich besonders erfolgreich erwiesen haben und bei denen eine hohe Nachfrage zu erwarten ist. Dies ist bei sogenannten BlockbusterMedikamenten der Fall. Hierbei handelt es sich um solche Medikamente, deren Umsatz bei mehr als einer Milliarde US-Dollar liegt.137 Blockbuster Medikamente stellen die größte Einnahmequelle für die forschenden Arzneimittelhersteller dar. Ihr Schutz gegen Nachahmung nimmt deshalb eine wichtige Rolle in der Unternehmensstrategie ein. Hauptaugenmerkt liegt dabei auf dem Patentrecht. Das Vorgehen der Unternehmen folgt dabei einem bestimmten Schema: Zunächst lässt sich das Unternehmen den Wirkstoff bzw. bestimmte pharmazeutische Zusammensetzungen patentieren – Primärpatent.138 In der Folge kann ein Schutz für Erfindung des Wirkstoffs selbst nicht mehr erlangt werden. Um sich weiterhin gegen Generikakonkurrenz zu schützen, werden in der Folge häufig Patente auf bestimmte Formen des Herstellungsverfahrens, bestimmte Dosierungsformen sowie leichte Abänderungen der ursprünglichen chemischen Formel patentiert – Sekundärpatente.139 In der Regel bieten diese Sekundärpatente einen weniger breiten Schutz, da es Generikaherstellern möglicherweise gelingt, den Wirkstoff herzustellen, ohne Sekundärpatente zu verletzen.140 Wichtige Arzneimittel werden somit zu Anfang von robusten Patenten geschützt, bei denen sich ein Angriff auf das Patent und insbesondere die nichtverletzende Herstellung eines Generikums schwierig gestaltet. Diese Patentierungsstrategien verdeutlichen den Aufwand, den forschende Pharmaunternehmen eingehen, um an der Verlängerung ihrer Marktposition festzuhalten. 136 Generic Pharmaceutical Association, Savings, $ 1 Trillion over 10 Years: Generic Drug Savings in the U.S. (2012), abrufbar unter: http://www.gphaonline.org/media/cms/IMSStudy Aug2012WEB.pdf. 137 Hufnagel, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 14 Rn. 198, Fn. 1. 138 United Food and Commercial Workers Union v. Pfizer, Inc., Complaint, Nr. 3:14CV481, 2014 WL 3056827 (E.D.Va. 2014), bei *35. 139 KOM, Zusammenfassung Sektoruntersuchung, S. 11. 140 United Food and Commercial Workers Union v. Pfizer, Inc., Complaint, Nr. 3:14CV481, 2014 WL 3056827 (E.D.Va. 2014), bei *37.

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Der Marktzutritt von Generikaunternehmen stellt eine Situation dar, die der Originalhersteller unbedingt vermeiden möchte. Der Prozess um die Wirksamkeit seiner Patente birgt ein erhebliches Risiko des abrupten Verlustes an Marktanteilen und damit erheblicher Gewinneinbußen. Deshalb ist davon auszugehen, dass der Patentinhaber selbst dann bereit ist, dieses Risiko zu minimieren, wenn aufgrund eines starken Patentes nur mit einer geringen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass das Patent für nichtig erklärt wird.

C. Generikahersteller Der Generikahersteller trägt selbst keine Investitionen in Forschung und Entwicklung von Medikamenten. Ihm ist es im Gegensatz zum Originalpräparatehersteller möglich, nur diejenigen Arzneimittel herzustellen, die bereits am Markt erprobt sind und bei denen deshalb eine gute Aussicht auf Absatz besteht. Vor allem die kostenintensiven klinischen Studien, die der Erstzulassung eines Arzneimittels dienen, muss er nicht durchführen. Für eine Zulassung seines Arzneimittels reicht der bloße Nachweis aus, dass es sich bei dem Generikum um das gleiche Arzneimittel handelt, das auch in den klinischen Studien getestet worden ist. Dieser Nachweis der Bioäquivalenz ist mit deutlich weniger Kosten verbunden. Kommt es zu Pay-for-Delay-Vereinbarungen, so fällt auf, dass die zugrundeliegende Patentverletzungsklage häufig zu einem Zeitpunkt erhoben wurde, in dem der Generikahersteller noch nicht mit der Vermarktung des Generikums begonnen hat. Er hat in einem solchen Stadium somit lediglich geringe Schadensersatzforderungen des Patentinhabers zu fürchten. Das für ihn mit dem Prozess verbundene Risiko ist deshalb vergleichsweise gering. Verliert der Generikahersteller den Prozess, so drohen ihm keine hohen Kosten. Gewinnt er ihn jedoch, so steht ihm der anvisierte Markt offen.

D. Pay-for-Delay-Vereinbarung vorteilhaft für beide Parteien Das Eingehen einer Pay-for-Delay-Vereinbarung stellt für beide an dem Rechtsstreit beteiligten Parteien einen Vorteil gegenüber der Aussicht auf ein Urteil dar. Wie bereits beschrieben ist dem Originalpräparatehersteller selbst bei geringem Risiko der Nichtigerklärung seines Patents daran gelegen, dieses zu minimieren, da im Falle der Patentfreiheit erhebliche Generikakonkurrenz droht und es somit zu bedeutenden Umsatzeinbußen käme. Diese Einbußen sind aufgrund eintretenden Preiswettbewerbs sogar höher als die Gewinne, die dem Generikahersteller im Falle des Markteintritts zukommen würden. Dies liegt daran, dass die dem Originalhersteller erlittenen Verluste nicht in Gänze dem Generikahersteller zufließen, sondern

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2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

in Teilen auch dem Konsumenten über Preissenkungen.141 Für den Patentinhaber gestaltet es sich deshalb als vorteilhaft, wenn er dem Generikahersteller einen Vermögensbetrag anbietet, der unterhalb der zu erwartenden Gewinneinbuße liegt und den Generikahersteller zur Aufschiebung seiner Klage sowie seiner Markteintrittsbestrebungen bewegen. Beide Parteien erlangen hierdurch einen wirtschaftlichen Vorteil. Dieser Vorteil wirkt sich unter Umständen zum Nachteil des Konsumenten aus, der entsprechend höhere Medikamentenkosten zu tragen hat.

E. Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich erkennen, dass der Patentprozess für den Originalpräparatehersteller ein viel größeres Risiko darstellt als für den Generikahersteller. Deshalb ist der Originalpräparatehersteller bereit, seinem Gegner eine Vermögensübertragung dafür zu leisten, dass dieser für eine gewisse Dauer von der Einführung seines Generikums und von der Herausforderung des Patents absieht. Sowohl Originalpräparatehersteller als auch Generikahersteller haben ein Interesse an einem Pay-for-Delay-Vergleich. Weil der Patentinhaber als alleiniger Hersteller am Markt mehr Geld verdient, als beide Hersteller zusammen verdienen würden, wenn sie im Wettbewerb miteinander stünden, besteht der Anreiz, dass die Gewinne des Patentinhabers mit dem Generikahersteller aufgeteilt werden und dieser im Gegenzug seinen Marktzutritt aufschiebt.142 Dies führt in einigen Fällen sogar zu der Situation, dass der durch den Patentinhaber gezahlte Betrag den zu erwartenden Gewinn des Generikaherstellers übersteigt.143

§ 10 Regulatorisches Umfeld in den USA A. Einführung Eine weitere Ursache für Pay-for-Delay-Vereinbarungen könnte der besondere Rechtsrahmen des Zulassungsrechts in den USA darstellen. Dies zumindest vertreten viele Stimmen aus Rechtsprechung und Wissenschaft.144 Wie bereits gezeigt wurde, treten Pay-for-Delay-Vereinbarungen auch in anderen Rechtssystemen auf. Die 141

KOM, Servier, Rn. 1147. Carrier/Zahid, Brief of Amici Curiae 49 Professors in Support of Petitioners, In Re Cipro Cases I & II, 2014 WL 1765271, bei *8 (S.Ct.Cal. 2014). 143 So geschehen im Cipro-Fall. Dort zahlte Bayer eine Summe von $ 398 Mio., die die erwarteten Gewinne des Generikaherstellers um das Doppelte überstieg: Carrier/Zahid, Brief of Amici Curiae 49 Professors in Support of Petitioners, In Re Cipro Cases I & II, 2014 WL 1765271, bei *8 (S.Ct.Cal. 2014). 144 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2235 (2013); In re Cipro Cases I & II, 61 Cal.4th 116, 134 (S.Ct.Cal. 2015); Hemphill, 81 N.Y.Univ.L.Rev. 1553, 1560 f., 1586 ff. 142

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besondere US-Rechtslage kann somit nicht Hauptursache für diese Art von Vereinbarung sein. Denkbar ist allerdings, dass sie ihr Aufkommen zumindest begünstigt. Hinzu kommt, dass das regulatorische Umfeld in den USA zu besonderen Ausprägungen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen führt. Die folgende Untersuchung wird deshalb das spezielle Zulassungsrecht der USA darstellen und aufzeigen, welchen Einfluss dieses auf die Parteien hat.

B. Hatch-Waxman Act I. Hintergrund In den USA erfordert die Vermarktung von Arzneimitteln eine Zulassung durch die Food and Drug Administration (FDA) und steht damit unter einem Verbot mit Erlaubnisvobehalt.145 Hierbei handelt es sich um föderale Regelungen. Eine wesentliche Reform erfuhr das Zulassungsrecht 1984 durch den Drug Price Competition and Patent Term Restoration Act.146 Anstoß für dieses Gesetz, das in Anlehnung an seine Initiatoren, Kongressabgeordneter Waxman und Senator Hatch, auch HatchWaxman Act genannt wird, war die in den USA eingetretene Beobachtung, dass nach dem Auslaufen des Patentschutzes auf Medikamente keine entsprechenden Generika auf den Markt kamen. Dies führte dazu, dass auch nach Patentende Medikamentenpreise auf hohem Niveau blieben, was Krankenkassen und Verbraucher belastete.147 1984 befanden sich beispielsweise 150 zugelassene Medikamente auf dem Markt, deren Patente abgelaufen waren, für die jedoch kein entsprechendes Generikum angeboten wurde.148 Als Grund für diese Verzögerung ließen sich mehrere Faktoren ausmachen. Erschwert wurde die Einführung von Generika durch eine Entscheidung des Federal Circuit Court of Appeals, in der die Aufnahme klinischer Studien zum Zwecke der Anmeldung eines Generikums nicht unter die Ausnahme für Versuche (Experimental Use Exeption) und damit als Patentverletzung eingestuft wurde.149 Dies hatte zur Folge, dass der Generikahersteller während der Dauer des Patentschutzes nicht mit den für die Zulassung seines Generikums notwendigen Vorbereitungen beginnen konnte, ohne das Patent zu verletzen.150 Außerdem bedurfte die Zulassung eines Generikums bei der FDA vor Einführung des Hatch-Waxman Acts meist langer und aufwendiger Zulassungsverfahren, um die 145

21 U.S.C. 355 (a). Public Law 98 – 417, 24. September 1984, 98 Stat. 1585. 147 Cook, 17 Michigan Telecommunications and Technology L.Rev. 417, 424 (2011). 148 H.R. Rep. 98 – 857 (I), 1984 U.S.C.C.A.N. 2647, 2650. 149 Roche Products, Inc. v. Bolar Pharmaceutical Co., 733 F.2d 858 (Fed. Cir. 1984). 150 Peritz, A Brief Introduction to Competition Concerns in „Pay-for-Delay“ Settlement Agreements Between Brand-Name and Generic Drug Companies, S. 3, abrufbar unter: http:// ssrn.com/abstract=1718517. 146

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2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

Sicherheit und Effektivität des Medikamentes zu belegen.151 Diese Verfahren dauerten in der Regel mehrere Jahre.152 Neben den Generikaherstellern stellten die strengen und teils langwierigen Zulassungsverfahren für Originalpräparatehersteller erhebliche finanzielle Belastungen dar.153 Diese ließen sich ihre entwickelten Wirkstoffe und die Verfahren zu deren Herstellung in der Regel vor oder bei Stellen des Zulassungsantrags durch Patente schützen. Der Patentschutz bestand damit bereits lange bevor eine Zulassung für die Vermarktung des Medikamentes erteilt wurde. Nach der Zulassung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels bis zum Auslaufen des Patents blieben den Medikamentenherstellern im Durchschnitt weniger als sieben Jahre. Effektiv verkürzte sich damit der Zeitraum für die Nutzung und damit auch die Amortisierung der Investitionskosten um durchschnittlich zehn Jahre.154 Durch die Einführung des Hatch-Waxman Acts sollten diese systemischen Defizite behoben werden.155 Der Gesetzgeber beabsichtigte, sowohl den Wettbewerb um Innovation zwischen Originalpräparateherstellern zu fördern, als auch gleichzeitig einen Preiswettbewerb durch einen möglichst frühzeitigen Marktzutritt von Generikaherstellern entstehen zu lassen.156 Durch Einführung eines ergänzenden Schutzzertifikates sollte den forschenden Pharmaunternehmen überdies ein Ausgleich für die langwierigen Zulassungsverfahren gewährt werden. II. ANDA-Antrag, insbesondere Paragraf-IV-Zertifizierung Die durch den Hatch-Waxman Act neu eingeführte Abbreviated New Drug Application (ANDA) gab Generikaherstellern die Möglichkeit, deutlich zügiger als bisher eine Zulassung für ein Generikum zu erhalten.157 Ziel war es, das Entstehen von Generikakonkurrenz nach vorne zu verschieben. Bei einem ANDA-Antrag handelt es sich um eine verkürzte Medikamentenanmeldung bei der FDA. Im Gegensatz zur New Drug Application (NDA) genügt für eine ANDA der Nachweis, dass das pharmazeutische Produkt mit der bereits angemeldeten Substanz des Original-

151

Mossinghoff, 54 Food&DrugL.J. 187, 187 (1999). Carrier, Unsettling Drug Patent Settlements, 108 Michigan L.Rev. 37, 42 (2009). 153 Carrier, Unsettling Drug Patent Settlements, 108 Michigan L.Rev. 37, 44 (2009). 154 Zu dieser Zeit betrug der Patentschutz 17 Jahre. Dies änderte sich mit Verabschiedung des TRIPS-Abkommens im Zuge der Uruguay-Runde (URAA). Der Patentschutz beträgt seither 20 Jahre. 155 Näher zur Gesetzgebungsgeschichte: Mossinghoff, 54 Food&DrugL.J. 187 (1999); Fischmann, S. 53 f. 156 Peritz, A Brief Introduction to Competition Concerns in „Pay-for-Delay“ Settlement Agreements Between Brand-Name and Generic Drug Companies, S. 3, abrufbar unter: http:// ssrn.com/abstract=1718517. 157 Siehe auch die detaillierte Darstellung bei Fischmann, S. 66 ff. 152

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präparateherstellers bioäquivalent ist.158 Da zum Nachweis der Bioäquivalenz lediglich der Nachweis ausreicht, dass es sich bei dem angemeldeten Produkt um ein Generikum – also um eine in Dosierung, Wirkstoff, Wirksamkeit und Kennzeichnung mit dem Referenzarzneimittel identische Substanz handelt – entfällt ein Großteil der ansonsten notwendigen klinischen Studien.159 In formaler Hinsicht muss eine ANDA-Zulassungsanmeldung außerdem eine Zertifizierung über den Status des für das Referenzarzneimittel bestehenden Patentschutzes enthalten. Damit schuf der Gesetzgeber eine Verbindung zwischen dem Zulassungsrecht und dem Patentrecht. Dabei muss sich der Generikaanmelder für eine von vier Zertifizierungsmöglichkeiten entscheiden. Welche Zertifizierung der Generikahersteller wählt hängt davon ab, ob das Originalmedikament (noch) Patentschutz genießt und wie der Generikahersteller sich hierzu verhalten möchte. Die Zertifizierungen gestalten sich folgendermaßen: Der Wirkstoff ist nicht durch ein Patent geschützt (Paragraf I); das Patent ist bereits abgelaufen (Paragraf II); das generische Medikament kommt nicht vor Patentende auf den Markt (Paragraf III); das Patent ist zu Unrecht erteilt worden bzw. wird nicht verletzt (Paragraf IV).160 Dabei sind Anmeldungen mit einer Paragraf I-III Zertifizierung aus patentrechtlicher Sicht unproblematisch, da mit ihnen einer Patentverletzung aus dem Weg gegangen wird oder aber bereits gar kein Patent existiert, das verletzt werden könnte. Sie dienen der FDA dazu, das gewünschte Zulassungsdatum festsetzen zu können. Lediglich die Paragraf-IV-Angabe ist bei Pay-for-Delay-Sachverhalten relevant. Denn mit ihr hat der Generikahersteller die Möglichkeit, bereits bei Anmeldung seines Generikums Patente des Originalpräparateherstellers regelrecht herauszufordern. Grund hierfür ist, dass durch die ANDA-IV-Zertifizierung ein Mechanismus ausgelöst wird, an dessen Ende ein Verfahren steht, in dem die das Medikament gegen Nachahmung schützenden Patente überprüft werden. Der Ablauf eines Paragraf-IV-Antrags gestaltet sich wie folgt: Zunächst gibt der Anmelder mittels ANDA-IV-Antrag an, dass das Generikum das Patent nicht verletzt bzw. dieses nichtig sei. Der Anmelder ist verpflichtet, jeden Inhaber eines für die Anmeldung relevanten Patents über seinen ANDA-IV-Antrag zu informieren.161 Der so informierte Patentinhaber hat nun 45 Tage Zeit, eine Patentverletzungsklage gegen den Anmelder zu erheben. Verzichtet er hierauf, so erfolgt eine Zulassung des Generikums, vorausgesetzt alle weiteren Voraussetzungen liegen vor.162 Durch die Klageerhebung innerhalb von 45 Tagen wird erreicht, dass eine Zulassung des Generikums durch die FDA für die Dauer von 30 Monaten

158 21 U.S.C. § 355 (j)(2)(A)(iv); detaillierte Voraussetzungen einer ANDA: 21 CFR § 314.94 (a)(7)(i). 159 Carrier, Unsettling Drug Patent Settlements, 108 Michigan L.Rev. 37, 42 (2009). 160 21 U.S.C. § 355 (j)(2)(A)(vii). 161 21 U.S.C. § 355 (j)(2)(B). 162 21 U.S.C. § 355 (j)(3)(C).

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2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

blockiert ist.163 Dieser Zeitraum soll dem Patentinhaber den Freiraum geben, eine Patentverletzung durch das Generikum gerichtlich feststellen zu lassen. III. Patentverletzung durch Paragraf-IV-Zertifizierung Die Paragraf-IV-Anmeldung des Generikaherstellers stellt für Patentinhaber eine erhebliche Bedrohung dar. Mit ihr ist es möglich zu einem Zeitpunkt, zu dem noch Patentschutz besteht, auf eine Zulassung des Generikums zu drängen. Der Patentinhaber wird von der Anmeldung informiert und sieht sich vor die Entscheidung gestellt, entweder nichts zu unternehmen – dann würde eine Zulassung des Generikums zeitnah erfolgen – oder gegen den Generikahersteller vorzugehen. Da der Generikahersteller allerdings im Stadium der Anmeldung weder Generika produziert hat noch diese am Markt anbietet, besteht für den Patentinhaber nur eingeschränkt die Möglichkeit im Wege einer Unterlassungs- oder gar einer Schadensersatzklage aufgrund einer Patentverletzung gegen den Generikahersteller vorzugehen. Um dem Patentinhaber überhaupt die Möglichkeit zu geben, nach einer Paragraf-IV-Anmeldung gegen den Anmelder vorzugehen, wurde das Patentgesetz dahingehend angeglichen, dass ein zu Unrecht gestellter ANDA-IV-Antrag eine Patentverletzung darstellt.164 Hierdurch wurde ein eigenständiger Patentverletzungstatbestand kreiert, der dem Patentinhaber die Möglichkeit gibt, gegen den potentiellen Generikahersteller vorzugehen, bevor dieser überhaupt das Patent als solches benutzt hat.165 Es handelt sich insofern um eine „künstliche“ Form der Patentverletzung.166 Die Wirkung einer solchen Patentverletzung ist ebenfalls speziell auf diesen Kontext zugeschnitten.167 Stellt das Gericht fest, dass der ANDA-IV-Antrag eine Patentverletzung darstellt, dann darf eine Zulassung des Generikums nicht vor Patentende erteilt werden.168 Gleichzeitig erhält der Patentinhaber einen Anspruch gegen den Anmelder auf Unterlassung der wirtschaftlichen Nutzung des Patents.169 Schadensersatzverpflichtungen löst eine solche Patentverletzung allerdings nur dann aus, wenn neben der Anmeldung das Patent auf andere Weise benutzt worden ist.170 Das Gesetz stellt damit klar, dass ein zu Unrecht gestellter ANDA-IV-Antrag selbst keine Schadensersatzpflicht entstehen lässt. Dies leuchtet ein, wenn man bedenkt, dass an einen Schaden für den Patentinhaber auch erst durch die tatsächliche Benutzung des Patents zu denken ist. Das Ausbleiben von Schadensersatzansprüchen lässt jedoch 163

21 U.S.C. § 355 (j)(3)(C). 35 U.S.C. § 271 (e)(2)(A). 165 Eli Lilly Co. v. Medtronic, Inc., 496 U.S. 661, 678 (1990). 166 „The function of the paragraphs in question is to define a new (and somewhat artificial) act of infringement for a very limited and technical purpose that relates only to certain drug applications.“ Eli Lilly and Co. v. Medtronic, Inc., 496 U.S. 661, 676 (1990). 167 35 U.S.C. § 271 (e)(4). 168 35 U.S.C. § 271 (e)(4)(A). 169 35 U.S.C. § 271 (e)(4)(B). 170 35 U.S.C. § 271 (e)(4)(C). 164

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auch darauf schließen, dass der Gesetzgeber Generikahersteller zu ANDA-IV-Zulassungen ermutigen wollte, um Patente auf pharmazeutische Produkte herauszufordern. Hohe drohende Schadensersatzforderungen hätten eine abschreckende Wirkung und würden dieses Ziel erschweren.171 IV. 30-monatige Sperre der Genehmigung bei Patentverletzungsklage Umgekehrt hat auch der Patentinhaber einen Anreiz die Patentverletzungsklage gegen den Generikahersteller zu erheben. Denn der Hatch-Waxman Act regelt, dass durch die Erhebung der Verletzungsklage eine Zulassung durch die FDA erst nach Ablauf von 30 Monaten erfolgen kann.172 Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine Zulassung auch bereits früher erfolgen: etwa, wenn das Patent vorher ausläuft, oder wenn es durch ein Gericht für nichtig erklärt wird bzw. das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass das Patent zwar wirksam jedoch nicht durch das Generikum verletzt wird.173 Die 30-monatige Sperrfrist wurde in der Vergangenheit von Originalpräparateherstellern dazu verwendet eine Generikazulassung über besonders lange Zeiträume zu verzögern. Die in regelmäßigen Abständen erfolgende Anmeldung neuer Patente auf ein bereits existierendes Medikament ermöglichte es den Patentinhabern immer wieder neue 30-monatige Fristen in Gang zu setzen. Dies wurde beispielsweise mit Patenten auf Intermediates sowie (Herstellungs-)Verfahrenspatente erreicht.174 Mit jedem hinzukommenden Patent musste ein separater ANDA-IV-Antrag durch den Generikahersteller gestellt werden und jedes Mal, wenn hieraufhin eine Patentverletzungsklage erhoben wurde, begann eine weitere Frist.175 Diese Möglichkeit wurde im Jahr 2003 durch eine Gesetzesänderung ausgeräumt. Fortan war es nur noch möglich eine einzige Sperrfrist pro Medikament in Gang zu setzen.176

171

Eli Lilly Co. v. Medtronic, Inc., 496 U.S. 661, 678 (1990). 21 U.S.C. § 355 (c)(3)(C), § 355 (j)(5)(B)(iii); diese Frist kann sich sogar verlängern, wenn der ANDA-Antrag vor dem Ablauf von fünf Jahren nach Erteilung der Erstzulassung für das Original ergangen ist, 21 U.S.C. § 355 (j)(5)(F)(ii); Arkansas Carpenters Health and Welfare Fund v. Bayer AG, 604 F.3d 98, 101, Fn. 2 (2nd Cir. 2010). 173 Perchersky, 25 Cardozo Art&Entertnm.L.J. 775, 782 (2007). 174 Ebd.; Srivastava, 59 Food&DrugL.J. 339, 345 (2004); Intermediates bezeichnet chemische Verbindungen, die benötigt werden, um wiederum andere chemische Stoffe herzustellen, Smith, 29 St. Louis Univ.L.J., 191, 192 (1984). 175 Trogan, 24 Medicine and Law 355, 364 (2005). 176 Gesetzesänderung durch Einführung des Medicare Prescription Drug, Improvement, and Modernization Act of 2003, Public Law 108 – 173, 08. Dezember 2003, 117 Stat. 2066; Banait, Authorized Generics, S. 3, abrufbar unter: http://www.fenwick.com/publications/pages/ authorized-generics-antitrust-issues-and-the-hatch-waxman-act.aspx. 172

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V. 180-Tage-Exklusivitätszeitraum Einen besonderen Anreiz für Generikahersteller bietet der Hatch-Waxman Act, indem er demjenigen Generikahersteller, der als erster einen ANDA-IV-Antrag stellt, einen befristeten Exklusivitätszeitraum für die Vermarktung des Generikums einräumt.177 Nach Einreichen des ersten Zulassungsantrags werden alle weiteren Generika-Anträge für die Dauer von 180 Tagen gesperrt; es ist weiteren Generikaherstellern somit nicht möglich, innerhalb dieses Zeitraums eine Zulassung für das entsprechende Generikum zu bekommen. Der Exklusivitätszeitraum stellt ein zentrales Anreizinstrument des Hatch-Waxman Acts dar. Für seine Dauer erreicht der erste Generikahersteller, dass er neben dem Originalpräparatehersteller der einzige Produzent des entsprechenden Arzneimittels ist. Der 180-tägige Exklusivitätszeitraum wird im Englischen teilweise als „Exclusivity Right“ verstanden.178 Auch in der deutschen Literatur taucht vereinzelt die Annahme auf, dass es sich um ein „verdinglichtes Recht“ handelt.179 Diese Einschätzung ist jedoch aus mehreren Gründen zu hinterfragen. Bei der Bestimmung im Hatch-Waxman Act handelt es sich um eine Anordnung an die Zulassungsbehörde FDA, für die Dauer von 180 Tagen keine weiteren Generikaanmeldungen zuzulassen. Weder aus dem Wortlaut noch aus anderen Bestimmungen geht jedoch hervor, dass es sich hierbei um ein Recht im Sinne eines subjektiv-rechtlichen Zugeständnisses an den Erstanmelder handelt. Zwar soll der erstanmeldende Generikahersteller vor weiterer generischer Konkurrenz geschützt werden, jedoch geschieht dies allein durch die Zulassungspraxis der FDA. Dem Generikahersteller kommt dabei kein Recht in dem Sinne zu, dass er andere von der Benutzung des Generikums ausschließen kann. Zwar scheint der Erstanmelder auf den ersten Blick durch den Zulassungsstopp vor weiterer Konkurrenz geschützt zu sein. Allerdings besteht für den Originalhersteller weiterhin die Möglichkeit, seine Zulassung dafür zu gebrauchen, neben seinem Originalprodukt auch ein eigenes Generikum zu vertreiben, das dem Erstanmelder Konkurrenz macht (sog. autorisiertes Generikum).180 Von einer Verdinglichung – also einem gegenüber jedermann geltenden Recht – zu sprechen erscheint angesichts dieser Ausgestaltung deshalb nicht angebracht. In Bezug auf Pay-for-Delay-Vereinbarungen nahm der Exklusivitätszeitraum eine besonders prominente Rolle ein. Denn den Zulassungsstopp machten sich Originalpräparatehersteller und Generikahersteller in der Weise zunutze, dass sie einen Vergleich eingingen und der Generikahersteller auf die Markteinführung seines Generikums ganz oder für eine gewisse Zeit verzichtete. Die Exklusivitätsfrist beginnt allerdings erst mit Marktzutritt des Erstanmelders zu laufen. Eine Vereinbarung 177

21 U.S.C. § 355 (j)(5)(B)(iv). In re Lamictal Indirect Purchasers and Antitrust Consumer Litigation, 2016 WL 1135368 bei *2 (D.N.J. 2016); In re K-Dur Antitrust Litigation, 2016 WL 755623, bei *3 (D.N.J. 2016). 179 Schmid, S. 78. 180 Zur Möglichkeit des Vertriebs eines autorisierten Generikums siehe unten ab S. 131. 178

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hatte zur Folge, dass die 180-tägige Frist verspätet oder gar nicht zu laufen begann. Da der Hatch-Waxman Act vorsieht, dass Zulassungen für weitere Generika erst nach Ablauf der 180-tägigen Exklusivität erteilt werden können, führte ein Aufschub des Markteintritts auch zum Aufschub und damit einer faktischen Verlängerung der Frist. Dies führte wiederum dazu, dass die FDA keine weiteren Generikaanmelder zulassen konnte. Original- und Generikahersteller errichteten so eine effektive Blockade weiterer Generikaanmelder, die auch als Bottleneck bezeichnet wird. Durchbrechen ließ sich diese Blockade nur, indem andere Generikahersteller wiederum eigene ANDA-IV-Anmeldungen einreichten und die gerichtliche Nichterklärung des Patents erreichten und den anschließenden Ablauf der 180-Tages-Frist abwarteten.181 Seit der Reform des Hatch-Waxman Act durch Einführung des Medicare Prescription Drug, Improvement, and Modernization Act (MMA) im Jahr 2003 wurden die Möglichkeiten des Bottleneck eingeschränkt. Nunmehr erlischt der Exklusivitätszeitraum, wenn der Generikahersteller nicht innerhalb von 75 Tagen nach der Zulassung durch die FDA, 30 Monate nachdem der ANDA-Antrag gestellt wurde oder 75 Tage nach einer positiven Gerichtsentscheidung oder einer positiven Vergleichsvereinbarung mit der Vermarktung beginnt, wobei der späteste Zeitpunkt maßgeblich ist.182 Der Exklusivitätszeitraum erlischt auch dann, wenn eine Vergleichsvereinbarung geschlossen wird, die in letzter Instanz als kartellrechtswidrig eingestuft wird.183 Damit wurde die Errichtung eines Bottleneck erschwert. Trotz dieser Einschränkungen bestand auch weiterhin die Möglichkeit, eine Vergleichsvereinbarung derart zu gestalten, dass sie die Zulassung der FDA hinauszögert und damit eine Bottleneck-Situation entsteht.184 Auch deshalb bleibt die Abwehr des erstanmeldenden ANDA-IV-Generikaherstellers für den Originalhersteller essentiell. Denn erlischt die Exklusivität einmal, so kann sie auch keinem anderen Generikahersteller zugutekommen.185 Dies wiederum nimmt einen wesentlichen Anreiz für weitere Generikahersteller, einen ANDA-IV-Antrag zu stellen und damit das Patent herauszufordern. Der 180-tägige Exklusivitätszeitraum war als Belohnung für den Generikahersteller gedacht, der erfolgreich den Verletzungsprozess gegen den Patentinhaber bestreitet und sein Produkt auf den Markt bringt186 Dieses Ziel konnte das Instrument nur bedingt erreichen. Vielfach wurde es durch eine Vereinbarung zwischen Patentinhaber und Patentherausforderer dazu genutzt, weitere potentielle Marktakteure 181

Hemphill, Drug Patent Settlements Between Rivals, S. 21. 21 U.S.C. § 355 (j)(5)(D)(i). 183 21 U.S.C. § 355 (j)(5)(D)(i)(V). 184 Andersen, 93 Iowa L.Rev. 1015, 1052 (2008); Buehler, Office of Generic Drugs, Food & Drug Administration to Marc A. Goshko, Executive Director Teva, 17. Januar, 2008, abrufbar unter: http://www.fda.gov/ohrms/dockets/dockets/07n0389/07n-0389-let0003.pdf. 185 21 U.S.C. § 355 (j)(5)(d)(iii)(II). 186 Hatch, Anmerkungen von Senator Hatch zu den Verwirkungsbestimmungen des 180Tage-Zeitraums, eingeführt durch MMA 2003 vom 09. Dezember 2003, 149 Cong. Rec. S16105-06. 182

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2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

vom Markt fernzuhalten, ohne dass der Generikahersteller sein Produkt vermarktete. Der durch das Gesetz beabsichtigte Vorteil für das Gemeinwohl, die preisgünstigere Vermarktung des Generikums, entfiel dadurch.

VI. Patentverlängerung pharmazeutischer Produkte Der Hatch-Waxman Act verfolgt zwei wesentliche Ziele. Zum einen soll möglichst frühzeitig ein Generikawettbewerb entstehen, der zum Sinken der Preise für Medikamente führt. Dies sollen die oben beschriebenen Instrumente aus erleichterten Zulassungserfordernissen für Generikahersteller, der erleichterten Herausforderung von Patenten durch ANDA-IV-Zertifizierung sowie der 180-tägige Exklusivitätszeitraum bewirken. Zum anderen ist Zweck des Gesetzes, den Originalpräparatehersteller für seine Investitionen zu entschädigen und ihm gleichzeitig die Möglichkeit zu geben, seine Forschungs- und Entwicklungskosten zu amortisieren.187 Der Patentschutz soll Einnahmen ermöglichen, um weitere Investitionen in die Erforschung und Entwicklung neuer Medikamente zu tätigen. Ein Instrument stellt die Patentverlängerung (Extension of Patent Term) dar.188 Hierbei handelt es sich um die Möglichkeit eines zusätzlichen Schutzes für Wirkstoffe, Antibiotika und andere humanbiologische Stoffe, die einer Zulassung durch die FDA bedürfen.189 Die ergänzende Patentlaufzeit soll dabei eine Entschädigung für die Zeit sein, in der bereits Patentschutz bestand, das Zulassungsverfahren jedoch noch andauerte, sodass keine Vermarktung erfolgen konnte.190 Der Schutz während der so hinzukommenden Laufzeit umfasst jedoch nur diejenigen Nutzungen, für die auch eine Zulassung gewährt wurde.191 Somit bleibt der Verlängerungsschutz hinter dem des eigentlichen Patents zurück, da sich dieses unabhängig von FDA-Zulassungen auf die im Patent formulierten Ansprüche erstreckt. Das Gesetz sieht ferner vor, dass die Patentverlängerung nicht dazu führen darf, dass die verbleibende Patentlaufzeit ab dem Zeitpunkt der Zulassung 14 Jahre überschreitet.192 Außerdem darf pro Zulassungsverfahren lediglich ein Patent verlängert werden.193 Eine Patentverlängerung darf für maximal fünf Jahre gewährt werden.194 Die Änderungen durch den Hatch-Waxman Act betreffen lediglich Patentverlängerungen als Entschädigung für Verspätungen, die nach Patenterteilung eintreten. Durch nach Verabschiedung des Hatch-Waxman Acts hinzugekommene Gesetzesänderungen ist es überdies möglich, weitere Patentver187 188 189 190 191 192 193 194

Morris, 22 Fordham Intell.Prop., Media&Entertnm.L.J. 245, 260 (2012). 35 U.S.C. § 156. 35 U.S.C. § 156 (a). 35 U.S.C. § 156 (c). 35 U.S.C. § 156 (b). 35 U.S.C. § 156 (c)(3). 35 U.S.C. § 156 (c)(4). 35 U.S.C. § 156 (g)(6).

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längerungen zu erlangen, die miteinander kombiniert insgesamt zu einer Verlängerung von bis zu zehn Jahren führen.195

VII. Datenexklusivität Neben der Verlängerung des Patentschutzes im pharmazeutischen Bereich führte der Hatch-Waxman Act einen hiervon getrennten Schutz der Daten aus den klinischen Studien ein. Klinische Studien verursachen erhebliche Kosten und machen damit einen Großteil der Kosten für die Entwicklung eines Medikamentes aus.196 Neben den Kosten bedeutet die Durchführung dieser Studien auch einen erheblichen Zeitaufwand. Nötig sind diese Studien, um zu beweisen, dass ein Medikament wirksam und ungefährlich ist. Pharmaunternehmen argumentieren deshalb, dass entsprechende Investitionen eines Schutzes gegen Wettbewerber bedürfen. Hintergrund sind die vereinfachten Zulassungsmöglichkeiten für generische Medikamente (ANDA). Mit ihnen muss der Generikahersteller lediglich beweisen, dass sein Generikum bioäquivalent mit dem Originalpräparat ist. Möglich ist dies allerdings nur, weil bereits umfassende klinische Studien durch den Originalpräparatehersteller durchgeführt worden sind, von denen der Generikahersteller quasi kostenlos profitiert. Um dem Originalpräparatehersteller die Möglichkeit zu geben, die Kosten dieser aufwendigen Studienergebnisse im Wege des Medikamentenverkaus zu amortisieren, hat der Hatch-Waxman Act die Regelung eingeführt, dass für einen bestimmten Zeitraum keine Zulassung einer ANDA-Anmeldung erfolgen soll.197 Der Zeitraum beträgt grundsätzlich fünf Jahre für Produkte, die eine neue chemische Substanz enthalten. Bei einer ANDA-IV-Anmeldung verkürzt sich dieser Zeitraum allerdings um ein Jahr.198 An dieser Bestimmung wird abermals deutlich, dass der Gesetzgeber eine ANDA-IV-Anmeldung begünstigt. Einen dreijährigen Schutz sieht das Gesetz für Studien vor, die zwar neu sind, sich jedoch auf einen Wirkstoff beziehen, der bereits eine Zulassung erhalten hat.199 Im Unterschied zum Patentrecht sehen die Bestimmungen zur Datenexklusivität keine der Patentnichtigkeitsklage vergleichbare Regelung vor. Außerdem handelt es sich bei der Datenexklusivität um einen Schutz, der weder angemeldet noch durch Gebühren aufrechterhalten werden muss. Zusammenfassend stellt die Datenexklusivität somit ein weiteres Instrument des Hatch-Waxman Acts dar, das Investitionen in Forschung und Entwicklung von Medikamenten schützen soll. An der verkürzten Datenexklusivität für ANDA-IV195

Durch die Uruguay-Runde wurde eine weitere Patentverlängerungsmöglichkeit eingeführt (URAA umgesetzt in 35 U.S.C. § 154), West/Hoppert, 64 Managing Intell.Prop. 25, 25 f. (1996). 196 DiMasi/Hansen/Grabowski, 22 J.of Health Economics 151, 166 (2003). 197 21 U.S.C. § 355 (c)(3)(E), § 355 (j)(5)(F). 198 21 U.S.C. § 355 (j)(5)(F)(ii). 199 21 U.S.C. § 355 (j)(5)(F)(iii).

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2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

Anträge lässt sich allerdings abermals der gesetzgeberische Wille erkennen, einen gemeinwohlfördernden Ausgleich zwischen sich lohnenden Investitionen einerseits und dem schnellstmöglichen Eintritt von Generika andererseits zu erreichen. VIII. Meldung der Vereinbarung an FTC und DOJ Wie bereits erläutert, ist der 180-tägige Exklusivitätszeitraum des Hatch-Waxman Acts in der Vergangenheit durch Vergleichsvereinbarungen dahingehend instrumentalisiert worden, dass mit ihm der Markteintritt weiterer Generikaanmelder regelrecht blockiert werden konnte.200 Vor dem Hintergrund dieser aus kartellrechtlicher Sicht problematischen Vorgehensweise ergänzte der US-Gesetzgeber im Jahre 2003 das Gesetz um einige Regelungen, die etwaige Kartellrechtsverstöße aufdecken und bestenfalls verhindern sollten.201 Die im Medicare Prescription Drug, Improvement, and Modernization Act (MMA) enthaltenen Bestimmungen sehen unter anderem eine Informationspflicht für zwischen Patentinhaber und Generikahersteller geschlossenen Vereinbarungen vor. Vergleichsvereinbarungen, die sich auf die Herstellung, den Vertrieb oder die Vermarktung eines Originalmedikamentes bzw. dessen Generikum beziehen sowie Vereinbarungen, die den 180-Tage-Exklusivitätszeitraum zum Gegenstand haben müssen der FTC mitgeteilt werden noch bevor es zur Vermarktung kommt.202 Hiermit soll sichergestellt werden, dass die FTC frühzeitig von möglicherweise problematischen Vereinbarungen Kenntnis erhält und diese – wenn nötig – ahnden kann. Kommen die Parteien dieser Pflicht nicht nach, kann die FTC ein Bußgeld in Höhe von bis zu $ 11.000 für jeden verstrichenen Tag erheben, an dem dieser Pflicht nicht nachgekommen worden ist.203 Diese Bestimmung offenbart das Misstrauen, dass den im Zusammenhang mit dem Exklusivitätszeitraum geschlossenen Vereinbarungen von der FTC entgegengebracht wurde sowie die wirtschaftliche Bedeutung, die derartigen Vereinbarungen beigemessen wird. IX. Veränderte Interessen- und Risikolage Der regulatorische Rahmen des pharmazeutischen Sektors in den USA ist durch die Veränderungen des Hatch-Waxman Acts stark beeinflusst worden. Diese Veränderungen haben sich seither auch erheblich auf die Interessen- sowie die Risikolage der Marktakteure ausgewirkt. Der durch Hatch-Waxman eingeführte Mechanismus bewirkt, dass es für Generikahersteller deutlich erleichtert wurde, ein Pharmapatent anzugreifen als vor Hatch-Waxman. Gleichzeitig ist die Erhebung der Patentverletzungsklage aufgrund der 30-monatigen Sperrfrist für die Generikazu200 201 202 203

Siehe oben ab S. 76. Siehe auch Fischmann, S. 82. MMA Sec., 1112, (2). MMA Sec., 1115 (a).

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lassung für den Patentinhaber vorteilhafter, als eine Markteinführung des Generikums abzuwarten. So erreichte der Gesetzgeber eine gerichtliche Überprüfung von Patenten auf Arzneimittel. Die Besonderheiten des Hatch-Waxman Acts führen dazu, dass der Generikahersteller deutliche Anreize hat, über eine Paragraf-IV-Zertifizierung eine Marktzulassung zu erlangen. Das Risiko der Prozessniederlage ist mangels Schadensersatzpflicht relativ gering. Insbesondere die Möglichkeit, für eine gewisse Zeit die 180-tägige Exklusivität des erstanmeldenden Generikaherstellers dafür zu nutzen, ein Bottleneck zu kreieren und somit weitere Generikaanmelder von der Marktzulassung zu blockieren, ist unmittelbar auf Hatch-Waxman-Bestimmungen zurückzuführen. X. Zwischenergebnis Der Hatch-Waxman Act bildet ein System aus Regeln und Ausnahmen im Zulassungsprozess, die – so scheint es – durch Anreizsysteme sowohl Patentinhaber als auch den anmeldenden Generikahersteller durch einen Parcours treiben an dessen Ende das gerichtliche Patentverfahren steht. Der Hatch-Waxman Act gilt als das entscheidende Regelwerk im pharmazeutischen Kontext, da es speziell auf den Sektor zugeschnitten wurde und an mehreren Stellen Anreize setzt, die das Verhalten der Marktteilnehmer beeinflussen. Der Hatch-Waxman Act stellt zugleich ein Verbindungselement zwischen Kartell- und Patentrecht her. Dies zeigt sich in verschiedenen Bestimmungen, die einen Ausgleich zwischen den beiden Rechtsregimen erreichen sollen. Hierzu gehören die Zertifizierungen einer ANDA wie auch der Umstand, dass bereits eine unrichtige ParagrafIV-Zertifizierung eine Patentverletzung darstellt. Die ANDA-IV-Anmeldung sowie die 180-tägige Exklusivität wurden teilweise im Rahmen von Vergleichsvereinbarungen dafür genutzt, durch Erzeugung eines Bottleneck weitere Generikaunternehmen vom Markt fernzuhalten.

§ 11 Regulatorisches Umfeld in der EU A. Regulatorisches Umfeld in der EU für die Arzneimittelzulassung I. Zulassungsverfahren in der EU In der EU gilt für neue Fertigarzneimittel ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt durch die Zulassungsbehörden.204 Wie in den USA muss auch in der EU der Anmelder 204

Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1604.

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2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit seiner Präparate nachweisen.205 In der EU existiert grundsätzlich für jeden Mitgliedstaat ein eigenständiges Zulassungsrecht. Im EU-Raum bestehen neben den nationalen auch europäische Zulassungsverfahren. Dabei werden innerhalb des europäischen Verfahrens das zentrale und dezentrale Verfahren sowie das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung unterschieden. Zulassungsbehörde ist auf europäischer Ebene die EU-Kommission, wobei die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) die Organisation übernimmt.206 Im zentralen Verfahren gilt eine positive Entscheidung EU-weit, ohne dass es einer weiteren Zustimmung durch eine nationale Behörde bedarf.207 Das zentrale Verfahren ist für solche Medikamente vorgesehen, die einen neuen Wirkstoff enthalten, der noch nicht in der Union genehmigt ist, Arzneimittel, die mithilfe eines biotechnologischen Verfahrens hergestellt werden, sog. Orphan Drugs sowie neuartige Therapien.208 Hierbei ist die Zulassung mittels des zentralen Verfahrens verpflichtend und die nationale Zulassung ausgeschlossen. Auch für Generika besteht die Möglichkeit der Zulassung mittels zentralem Zulassungsverfahren für die gesamte EU, wobei hier jedoch die Durchführung des zentralen Verfahrens lediglich fakultativ ist.209 Das dezentrale Zulassungsverfahren gilt für all diejenigen Arzneimittel, die nicht zwingend unter die Zulassung nach dem zentralen Verfahren fallen. Die Anmeldung erfolgt dabei in einem vom Anmelder ausgewählten Referenzmitgliedstaat. Dessen Behörde nimmt die Prüfung vor und erstellt einen Bewertungsbericht, der den Behörden der übrigen Staaten zugeleitet wird, woraufhin diese die Möglichkeit haben offene Fragen im Austausch mit dem Referenzmitgliedstaat und dem Pharmaunternehmen zu klären.210. Die Zulassung erfolgt, sofern nicht ein Mitgliedstaat aus Gründen „einer potentiellen schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Gesundheit“ die Genehmigung verweigert.211 In diesem Fall wird eine Koordinierungsgruppe mit der Klärung beauftragt.212 Das dezentrale Zulassungsverfahren ist bereits dann anzuwenden, wenn Anträge auf Erteilung einer Zulassung in zwei oder mehr 205

Dienser/Heil, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, 2010, § 1 Rn. 112. Ebd., § 1 Rn. 114. 207 Art. 13 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur, ABl. L 136, 1 vom 30. April 2004; vormals VO (EWG) Nr. 2303/93. 208 Anhang, VO (EG) Nr. 726/2004. 209 Art. 3 Abs. 3 VO (EG) Nr. 726/2004. 210 Art. 28 Abs. 1 Richtlinie 2011/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, ABl. L 311, 67 vom 28. November 2001 (im Folgenden: RL 2001/83/EG). 211 Art. 29 Abs. 1 RL 2001/83/EG. 212 Art. 29 Abs. 2, 27 Abs. 1 RL 2001/83/EG; die Koordinierungsgruppe setzt sich aus einem Vertreter je Mitgliedstaat zusammen, die für einen verlängerbaren Zeitraum von drei Jahren benannt werden. 206

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Mitgliedstaaten vorliegen.213 Dies hat zur Folge, dass „reine“ nationale Zulassungsverfahren nur dann Anwendung finden, wenn es sich um einen Referenzmitgliedstaat handelt oder der Mitgliedstaat der einzige ist, in dem überhaupt eine Zulassung begehrt wird. Die nationalen Zulassungsverfahren sind durch mehrere Richtlinien immer weiter harmonisiert worden.214 In Deutschland wird das Zulassungsverfahren von den §§ 21 ff. des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (AMG) geregelt. Die Zulassung stellt in Deutschland ein Verwaltungsverfahren dar.215 II. Erleichterte Anforderungen an die Zulassung von Generika Es wurde festgestellt, dass im US-Recht die Zulassungsregelungen für Generika sehr stark von denen für neue Arzneimittel abweichen und zum Teil mit deutlich weniger Aufwand verbunden sind. Besondere Bestimmungen für die Zulassung von Generika existieren auch in der EU – hier sowohl für das zentrale Verfahren als auch in den nationalen Regelungen. Der Generikaanmelder kann für die Zulassung seines Generikums auf die Unterlagen und Gutachten des Originals Bezug nehmen. Somit entfallen auch in der EU die besonders aufwendigen klinischen Studien für die Zulassung von Generikamedikamenten.216 III. Keine Verbindung zwischen Patent- und Zulassungsrecht Eine Verbindung zwischen der patentrechtlichen Schutzlage der Originalarzneimittel und den Zulassungsanforderungen für das Inverkehrbringen von Generika besteht in der EU nicht.217 Eine entsprechende Verbindung ist durch den HatchWaxman Act in den USA mit dem Erfordernis der Zertifizierung eingeführt worden.218 Der besondere Mechanismus der ANDA-Zertifizierungen und insbesondere die Paragraf-IV-Zertifizierung sollen Patentinhaber und Generikahersteller zu einem Prozess bringen, in dem es um die Wirksamkeit des Patents geht. Zwar fehlen entsprechende Regelungen in der EU, gleichwohl werden Patente auf Arzneimittel 213

Art. 17 Abs.1 der Richtlinie 2001/83/EG. U. a.: RL 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten, ABl. Nr. 22, S. 369 v. 09. 02. 1965; RL 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, ABl. L 311, 67 v. 28. 11. 2001. 215 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1613. 216 Anhang 1, Teil II, Nr. 2 der RL 2001/83/EG. 217 KOM, C(2013) 3803 endg., Sache AT.39685 – Lundbeck, 19. Juni 2013, Rn. 624, Fn. 1134; eine solche Patentverknüpfung findet sich hingegen in einigen nationalen Zulassungsrechten in der EU: Ungarn, Italien, Portugal und in der Slowakischen Republik, Fischmann, S. 336 f. 218 Hierzu genauer ab S. 72. 214

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2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

durch Generikahersteller herausgefordert, die das Ziel haben, Marktzugangshindernisse zu beseitigen.219 IV. Datenexklusivität Eine Gemeinsamkeit zwischen den USA und der EU ist der vom Patentrecht unabhängige Schutz von Informationen aus klinischen Studien, der als Datenexklusivität bezeichnet wird.220 Dabei handelt es sich um eine Sperrfrist für die Bezugnahme auf klinische Studien, die die Wirksamkeit und Sicherheit eines Referenzarzneimittels belegen. Während der Sperrfrist darf ein Generikahersteller die Daten aus den klinischen Studien nicht als Referenz für die Zulassung seines Generikums verwenden bzw. sich auf diese beziehen. Seit 2004 gilt in der EU die sogenannte „8+2+1 Regelung“, wonach die Exklusivitätsdauer grundsätzlich acht Jahre beträgt, jedoch bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen um zwei und in einigen Fällen um ein weiteres Jahr verlängert werden kann. Wie in den USA wird somit auch in der EU das Pharmaunternehmen in seinen Investitionen in die Erprobung eines Medikaments geschützt ungeachtet, ob es hierfür Patentschutz erlangt hat oder nicht. V. Keine 180-Tage-Exklusivität Anders als im US-amerikanischen Recht findet sich im EU-Recht sowie den nationalen Gesetzen keine der 180-Tage-Exklusivität vergleichbare Regelung. Dieser wesentliche Unterschied zwischen US- und EU-Zulassungsrecht belegt einerseits, dass dieses Anreizinstrument nicht der Hauptgrund für das Aufkommen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen sein kann, da diese auch in der EU stattfinden. Die 180-tägige Exklusivität für den erstanmeldenden Generikahersteller stellt zwar ein mächtiges Anreizinstrument dar, scheint jedoch nicht die Ursache für die Herausforderung pharmazeutische Patente zu sein. Viel eher ist davon auszugehen, dass die Exklusivität die Patentherausforderung lediglich begünstigt. So besteht für Generikahersteller auch ohne die spezielle Regelung Grund genug, Patente zu einem möglichst frühen Zeitpunkt herauszufordern. Für Generikahersteller besteht damit die Möglichkeit, sich am Markt zu etablieren bevor weitere Generikahersteller hinzukommen. Dies belegt auch eine kanadische Studie, wonach zwei Drittel der Generikaunternehmen, die als erste in einen Markt gelangten, auch nach Jahren noch die größten Marktanteile innehatten.221 Gleichzeitig zeigt sich, dass ohne die 180-tägige Exklusivität Pay-for-DelayVereinbarungen in der EU auch keine Blockademöglichkeiten vorsehen können, wie 219

Siehe hierzu die Ergebnisse der Sektoruntersuchung der EU-Kommission ab S. 47. Art. 10 Abs. 1 RL 2001/83/EG; § 24b Abs. 1 AMG. 221 Canada Competition Bureau, Generic Drug Sector Study, Oktober 2007, S. 15 f., abrufbar unter: http://www.competitionbureau.gc.ca/eic/site/cb-bc.nsf/eng/02495.html. 220

§ 11 Regulatorisches Umfeld in der EU

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dies in den USA mittels des Bottlenecks der Fall ist. Die Struktur der europäischen Pay-for-Delay-Vereinbarungen unterscheidet sich insofern von der Struktur vieler amerikanischer Pay-for-Delay-Vergleiche. VI. Ergänzendes Schutzzertifikat Ebenso wie in den USA besteht in der EU die Möglichkeit ein ergänzendes Schutzzertifikat für die maximale Dauer von fünf Jahren zu erhalten. Es wird von dem zuständigen nationalen Patentamt erteilt.222 Hintergrund ist, dem Patentinhaber einen Ausgleich für die langwierigen Zulassungsverfahren zu bieten und ihm so effektiv den Zeitraum zu verlängern, innerhalb dessen er die in der Forschung vorgenommenen Investitionen amortisieren kann.223 Insoweit bestehen in Bezug auf Pay-for-Delay-Vereinbarungen keine Unterschiede. VII. Keine Meldung der Vereinbarungen an Kartellrechtsbehörde In der EU findet sich keine Regelung, die mit der Meldepflicht von pharmazeutischen Patentvereinbarungen vergleichbar ist. Die EU-Kommission erlangte lediglich dadurch Kenntnis von derartigen Vereinbarungen, dass sie die Sektoruntersuchung im pharmazeutischen Sektor durchführte und seither in regelmäßigen Abständen sogenannte Monitorings durchführt. Hierfür kontaktiert sie zuvor ausgewählte Unternehmen und verlangt mittels ausführlicher Fragebögen Informationen über eventuell geschlossene Vereinbarungen.

B. Schlussfolgerungen Eine Vielzahl von Regelungen des Arzneimittelsektors findet sich sowohl in den USA wie auch in der EU. Hierzu gehört das Verbot von Arzneimitteln mit Erlaubnisvorbehalt, die Datenexklusivität, die Möglichkeit der Schutzverlängerung mittels ergänzenden Schutzzertifikats sowie vereinfachte Zulassungsbestimmungen für Generikahersteller durch Nachweis der Bioäquivalenz und Entfallen des Nachweises klinischer Studien. Die beiden regulatorischen Regime unterscheiden sich jedoch insbesondere in zwei Merkmalen. Zum einen existiert in der EU keine Regelung, die der 180-tägigen Exklusivität des erstanmeldenden Generikaherstellers gleichkommt. Dieses gewichtige Anreizinstrument stellt damit eine Besonderheit im amerikanischen System dar. Insofern sind die durch Vereinbarungen entstandenen Bottleneck-Blockaden ein 222 223

Art. 9 Abs. 1 VO (EG) Nr. 469/2009, ABl. L 152/1 vom 16. 06. 2009. Erwägungsgrund Nr. 4 der VO (EG) Nr. 469/2009, ABl. L 152/1 vom 16. 06. 2009.

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2. Teil: Auftreten und Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen

US-Phänomen, weshalb nicht zu erwarten ist, dass in der EU eine Blockade mehrerer Generikahersteller durch die Eingehung lediglich einer einzigen Vergleichsvereinbarung mit dem erstanmeldenden Generikahersteller möglich ist. Dass es auch bei Fehlen dieses besonderen Regulierungsrahmens zu Pay-for-Delay-Vereinbarungen kommt, belegen die Untersuchungen der EU-Kommission sowie weitere Fälle aus Indien und Südkorea. Die erhöhte Wachsamkeit der Kartellbehörden in diesen Staaten lässt dabei auch darauf schließen, dass Sorge um mögliche negative Auswirkungen auf den Wettbewerb besteht. Ein weiterer Unterschied zum EU-Zulassungsrecht besteht in der Verknüpfung zwischen dem Patentrecht und dem Zulassungsrecht im amerikanischen Arzneimittelsektor. Dies wird vor allem durch die ANDA-Zertifizierungen deutlich, die sich auf die das Medikament schützenden Patente beziehen müssen. Die europäischen Zulassungsbehörden sind einzig durch Sicherheits- und Gesundheitserwägungen – nicht aber durch Patentrecht – in ihren Entscheidungen geleitet. Diese Besonderheit des Hatch-Waxman Acts scheint jedoch nicht ursächlich für Pay-for-Delay-Vereinbarungen zu sein, da diese auch ohne entsprechende Regelungen in der EU auftreten.

§ 12 Ergebnis des zweiten Teils Pay-for-Delay-Vereinbarungen haben in den USA bis zum Jahr 2012 stetig zugenommen. Seitdem gehen die Zahlen allerdings wieder zurück. Dieser Trend könnte mit der 2013 ergangenen Entscheidung des Supreme Courts zusammenhängen. In der EU wird der Pharmasektor seit der Sektoruntersuchung durch die Kommission näher beobachtet. Seit ihrem Abschlussbericht hierüber führt die Kommission jährliche Monitorings durch. Hieraus ergibt sich, dass der Anteil an Vereinbarungen der Kategorie B.II., die die EU-Kommission als kartellrechtlich bedenklich einstuft, nicht zurückgeht. Hierbei lässt sich jedoch feststellen, dass die zuletzt eingegangenen Vereinbarungen ein deutlich geringeres Potential einer Kartellrechtswidrigkeit aufweisen. Neben den USA und der EU ist zu beobachten, dass Pay-for-Delay-Vereinbarungen auch in Südkorea und Indien eingegangen werden. Zudem hat sich die kanadische Kartellbehörde eingehend mit dem Thema beschäftigt, ohne dass hierfür eine bestimmte Vereinbarung Anlass gegeben hat. Die Fälle verdeutlichen, dass Payfor-Delay-Vereinbarungen kein rein US-amerikanisches Phänomen sind, sondern unabhängig von der jeweiligen Ausgestaltung des Zulassungsrechts auftreten können. Dass hierbei auch die Stärke des Generikasektors eine Rolle spielt, zeigt das Beispiel Japan. Die vergleichsweise wenig ausgeprägte Generikaindustrie kann als Ursache dafür ausgemacht werden, dass dort bisher keine Pay-for-Delay-Vereinbarungen geschlossen wurden. Ursache von Pay-for-Delay-Vereinbarungen ist die besondere Struktur des Pharmasektors. Die besondere Abhängigkeit der Unternehmen von Patenten und die

§ 12 Ergebnis des zweiten Teils

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gleichzeitig bestehende Bedrohungslage durch Imitationswettbewerb der Generikahersteller sowie die steigenden Investitionskosten für die Erfindung immer neuer Arzneimittel sind im pharmazeutischen Sektor besonders ausgeprägt. Eine Pay-for-Delay-Vereinbarung stellt aus Sicht der Parteien die optimale Lösung ihrer Interessen dar. Der Originalpräparatehersteller kann durch die Vereinbarung das Risiko eines vor Patentende entstehenden Generikawettbewerbs minimieren. Der Generikahersteller erhält die Möglichkeit, Gewinne zu realisieren, die teilweise die erwarteten Gewinne eines Markteintritts übersteigen. Die besondere Ausgestaltung des Zulassungsrechts ist zwar nicht ursächlich für Pay-for-Delay-Vereinbarungen. Trotzdem werden sie durch einzelne Bestimmungen des amerikanischen Zulassungsrechts, des Hatch-Waxman Acts, begünstigt. Durch den speziellen Anmeldemechanismus für Generikahersteller über die ANDA-IVAnmeldung wird erreicht, dass Generikahersteller Pharmapatente bereits zu einem frühen Zeitpunkt herausfordern und es zu Patentverfahren kommt, im Zuge derer die Unternehmen Pay-for-Delay-Vereinbarungen schließen. Entsprechende Bestimmungen finden sich im Zulassungsrecht der EU nicht, wenngleich es in der EU trotzdem zu Pay-for-Delay-Vereinbarungen gekommen ist. An der in der US Literatur häufig geäußerten These, wonach das besondere regulatorische Umfeld des Hatch-Waxman Acts Voraussetzung für Pay-for-DelayVereinbarungen ist, lässt sich daher nicht festhalten. Gleichzeitig verdeutlicht der Umstand, dass Pay-for-Delay-Vereinbarungen sowohl dies- als auch jenseits des Atlantiks vorkommen, dass die Übertragbarkeit der US-Erkenntnisse nicht pauschal mit Verweis auf Hatch-Waxman versagt werden kann.224

224

Picht, ZWeR 2014 83, 87; a.A. Schmid, S.77 f.

Dritter Teil

Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in den USA Vergleichsvereinbarungen im pharmazeutischen Bereich, bei denen der Patentinhaber und Originalhersteller dem Generikahersteller und potentiellen Verletzer beträchtliche Vermögenswerte überträgt und im Gegenzug ein späterer Markteintritt vereinbart wird, kamen in den Vereinigten Staaten bereits Anfang der neunziger Jahre auf und rückten schnell in den kartellrechtlichen Fokus. Unter amerikanischen Rechtswissenschaftlern brach eine bis heute andauernde Debatte über die rechtliche Bewertung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen aus. Die in den USA in verschiedene Bezirke (Circuits1) eingeteilten Berufungsgerichte entwickelten nach und nach jeweils eigene Rechtsprechungslinien, die zum Teil stark voneinander abwichen. Dieses Problem des sog. Circuit Split führte letztendlich dazu, dass der Supreme Court über den Bewertungsmaßstab zu entscheiden hatte, der an Pay-for-DelayVereinbarungen anzulegen ist. In diesem Abschnitt soll zunächst die Entwicklung der Rechtsprechung in den USA vor der Actavis-Entscheidung des Supreme Courts dargestellt werden. Das nach wie vor stark diskutierte Urteil wird anschließend untersucht und eingeordnet. Schließlich erfolgt eine eingehende Befassung mit den offen gelassenen Fragen und Folgeproblemen der Entscheidung.

§ 13 Rechtsentwicklung in den USA vor der Actavis-Entscheidung des Supreme Courts A. Circuit Split Der Circuit Split zeichnete sich durch unterschiedliche Rechtsauffassungen von insgesamt sechs Courts of Appeals aus. Hierbei sind drei Meinungen über die kartellrechtliche Behandlung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen zu unterscheiden. Die erste Ansicht geht davon aus, dass derartige Vereinbarungen als per se kartellrechtswidrig zu betrachten sind (I.). Demgegenüber wurde vertreten, dass das 1

Die US-amerikanischen Berufungsgerichte des Bundes sind in 13 Gerichte, Circuit Courts oder auch United States Courts of Appeals genannt, eingeteilt. Im Instanzenzug stehen sie zwischen den District Courts und dem Supreme Court. Zwölf der 13 Circuits sind geografischen Regionen zugeordnet. Hinzu kommt der Federal Circuit, der für bestimmte Rechtsgebiete u. a. dem Patentrecht zuständig ist.

§ 13 Rechtsentwicklung in den USA

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Kartellrecht nicht anzuwenden sei, solange der Inhalt der Vereinbarung nicht über den sachlichen und zeitlichen Schutzumfang der Patente hinaus geht, sog. Scope-ofthe-Patent-Test (II.). Einer dritten Ansicht nach sei eine kartellrechtliche Überprüfung der Vereinbarung nach dem sog. Quick-Look-Approach vorzunehmen (III.). In den USA sind wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen gemäß Section 1 Sherman Act seit 1890 verboten: „Every contract, combination in the form of trust or otherwise, or conspiracy, in restraint of trade or commerce among the several States, or with foreign nations, is hereby declared to be illegal.“

Diese allgemeine Formulierung ist durch Richterrecht im Laufe der Jahre weiter ausgebildet worden. Heutzutage haben sich verschiedene von der Rechtsprechung entwickelte Überprüfungsmethoden herausgebildet. Je nach ihrer Schwere und Struktur werden Vereinbarungen unterschiedlich geprüft. Vereinbarungen, bei denen aufgrund ihres Inhalts unwiderleglich vermutet wird, dass sie einen Wettbewerbsschaden hervorrufen, fallen in die Kategorie der per se verbotenen Vereinbarungen. Hier erfolgt nur eine sehr eingeschränkte Prüfung der tatäschlichen Wirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb.2 Vereinbarungen, die nicht von vornherein einer per-se-Kategorie zuzuordnen sind, werden in der Regel mittels der Rule of Reason überprüft. Hierbei nimmt das Gericht eine umfassende Prüfung der positiven und negativen Wettbewerbswirkungen einer Vereinbarung vor und wägt diese miteinander ab.3

I. Per-se-Illegality Bereits Anfang des Jahrtausends entschieden der 6th Circuit4 sowie der D.C. Circuit5 im Fall Cardizem CD über eine Vereinbarung zwischen dem Originalhersteller Hoechst und dem Generikahersteller Andrx. Hoechst und Andrx’ Vereinbarung sah lediglich einen zeitweiligen Aufschub des Markteintritts bis zur Prozessentscheidung vor. Zusätzlich sollte Andrx seine 180-tägige Exklusivität behalten und hiermit weiteren Generikaherstellern den Marktzugang blockieren (Bottleneck).6 Hoechst verpflichtete sich im Gegenzug zu jährlichen Direktzahlungen in Höhe von $ 40 Mio.7 2

Northern Pacific Railway Co. v. U.S., 302 U.S. 1, 5 (1958). Vertiefend hierzu: Mestmäcker/Schweitzer, § 8, Rn. 39 ff. 4 Klage wurde von unmittelbaren und mittelbaren Abnehmern des Medikaments erhoben, In re Cardizem CD Antitrust Litigation, 332 F.3d 896 (6th Cir. 2003). 5 Hier hatte der Pharmahersteller Biovail gegen die Vereinbarung geklagt, Andrx Pharms., Inc. v. Biovail Corp. International, 256 F.3d 799 (D.C. Cir. 2001). 6 Die Blockade-Möglichkeit war hierbei nicht explizit vereinbart, sondern folgte lediglich aus der Vereinbarung, nach der Andrx sich dazu verpflichtete, seine Exklusivität nicht aufzugeben, In re Cardizem CD Antitrust Litigation, 332 F.3d 896, 902 (6th Cir. 2003). 7 In re Cardizem CD Antitrust Litigation, 332 F.3d 896, 903 (6th Cir. 2003). 3

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3. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in den USA

Der D.C. Circuit entschied, dass in der Vereinbarung zwischen den Unternehmen der Versuch einer Aufteilung von Marktanteilen sowie die Aufrechterhaltung monopolartiger Zustände zu erblicken sei.8 Der 6th Circuit ging von dem Vorliegen eines Kartells aus: So sei Andrx zur Zeit des Vergleichs der einzige in Frage kommende Konkurrent gewesen und habe durch den 180-Tage-Exklusivitätszeitraum weitere potentielle Konkurrenten aufgehalten.9 Damit handele es sich im Kern um eine horizontale Absprache, die den Wettbewerb im entsprechenden Markt ausschließe und somit zur Fallgruppe der per se illegalen Handelsbeschränkungen zähle.10 Zwar betrafen beide Entscheidungen eine Form der Vereinbarung, die sich in besonderer Weise die Bottleneck-Wirkung der 180-tägigen Exklusivität zu Nutze machte. Jedoch führte der 6th Circuit durchaus generalisierend aus, dass das Ausnutzen eines „natürlichen Monopols“, das durch ein Patent entstehe, anders zu bewerten sei als die künstliche Unterstützung desselben, indem Wettbewerber durch Geldzahlungen an einem Markteintritt gehindert würden.11 Pay-for-Delay-Vereinbarungen, die keine Bottleneck-Wirkung entfalten, wären demnach vom 6th Circuit ähnlich bewertet worden. Ausgegangen war das Gericht somit von einer Absprache, die bereits aufgrund ihrer Struktur eine Wettbewerbsbeschränkung und damit einen Verstoß gegen § 1 des Sherman Act darstellt. Bei einer solchen Form der Beschränkung bedarf es keiner weiteren Überprüfung der tatsächlichen (negativen oder positiven) Wirkungen auf den Markt.12 II. Scope-of-the-Patent-Test Die Mehrheit der Circuit Courts vertrat demgegenüber die Ansicht, dass ein Patentvergleich nur dann überhaupt kartellrechtlich zu überprüfen sei, wenn sich die Vereinbarung inhaltlich über den Schutzbereich des Patents hinausbewege und entwickelte damit den Scope-of-the-Patent-Test.13 Nach dem Scope-of-the-Patent-Test kommt ein Verstoß gegen Kartellrecht nur in drei Fällen in Betracht: Die Vergleichsvereinbarung geht über den Schutzbereich (sachlich oder zeitlich) hinaus, das Klagepatent wurde durch bewusst falsche An8

Andrx Pharms., Inc. v. Biovail Corp. International, 256 F.3d 799, 811 (D.C. Cir. 2001). In re Cardizem CD Antitrust Litigation, 332 F.3d 896, 907 (6th Cir. 2003). 10 In re Cardizem CD Antitrust Litigation, 332 F.3d 896, 908 f. (6th Cir. 2003). 11 „It is one thing to take advantage of a monopoly that naturally arises from a patent, but another thing altogether to bolster the patent’s effectiveness in inhibiting competitors by paying the only potential competitor $40 million per year to stay out of the market“, In re Cardizem CD Antitrust Litigation, 332 F.3d 896, 908 (6th Cir. 2003). 12 In ständiger Rechtsprechung des US Supreme Court: NCAA v. Board of Regents Univ. of Oklah., 104 S.Ct. 2948 (1948); Copperweld Corp. v. Independence Tube Corp., 104 S.Ct. 2731 (1984). 13 Valley Drug Co. v. Geneva Pharmaceuticals, Inc., 344 F.3d 1294, 1311 f. (11th Cir. 2003). 9

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gaben (Fraud) gegenüber dem PTO erlangt,14 oder es liegt ein Fall einer treuwidrigen Klageerhebung (Sham Litigation)15 durch den Patentinhaber vor.16 Der Begriff beschreibt eine treuwidrige Erhebung einer Patentverletzungsklage durch den Patentinhaber. Treuwidrig ist hierbei, dass es dem Patentinhaber offensichtlich nicht darum geht, eine behauptete Verletzung zu verhindern, sondern dass die Klage mit dem Ziel erhoben wird, sich im Zuge des Prozesses mit dem Generikahersteller zu vergleichen.17 Bedeutsamstes Untersuchungskriterium nach dem Scope-of-the-Patent-Test ist, ob der Vergleich über den Ausschließlichkeitsrahmen, den das Patent gewährt, hinausgeht.18 Nur, wenn der Ausschließlichkeitsrahmen des Patents überschritten werde, könne eine kartellrechtliche Überprüfung stattfinden. Mit der „Immunisierung“ der Vergleichsvereinbarung gegen Kartellrecht gingen Gerichte mit der Anwendung des Scope-of-the-Patent-Tests auch von einer im Kartellverfahren nahezu nicht zu widerlegenden Vermutung der Patentrechtswirksamkeit aus.19 Der 11th Circuit vertrat diesen Scope-of-the-Patent-Test in seinen Entscheidungen Valley Drug20, Schering-Plough21 und FTC v. Watson22 und lehnte damit sowohl eine per-se-Beschränkung als auch die Rule of Reason ab. Dieses Verständnis vertrat auch der 2nd Circuit in den Entscheidungen Tamoxifen23 und Cipro.24 Zwar erkannte das Gericht in diesem Fall durchaus die Gefahr, dass hierdurch auch schwache und möglicherweise zu Unrecht erteilte Patente und deren Inhaber bevorzugt würden, sah dieses Risiko jedoch durch das Interesse an Prozessvergleichen als ausgeglichen an.25 Dieser Rechtsprechung schloss sich auch der Federal Circuit in der Cipro-Entscheidung an.26

14

177. 15

Walker Process Equipment, Inc. v. Food Machinery & Chemical Corp., 382 U.S. 172,

In re Androgel Antitrust Litigation (No. II), 687 F.Supp.2d 1371, 1379 (N.D.Ga. 2010). Schering-Plough Corp. v. FTC, 402 F.3d 1056, 1072 (11th Cir. 2005); In re Androgel Antitrust Litigation (No. II), 687 F.Supp.2d 1371, 1379 (N.D.Ga. 2010). 17 Ebd. 18 Schering-Plough Corp. v. FTC, 402 F.3d 1056, 1065 (11th Cir. 2005). 19 So auch: In re K-Dur Antitrust Litigation, 686 F.3d 197, 214 (3rd Cir. 2012). 20 Valley Drug Co. v. Geneva Pharmaceuticals, Inc., 344 F.3d 1294 (11th Cir. 2003). 21 Schering-Plough Corp. v. FTC, 402 F.3d 1056 (11th Cir. 2005). 22 FTC v. Watson Pharmaceuticals, Inc., 677 F.3d 1298 (11th Cir. 2012). 23 In re Tamoxifen Citrate Antitrust Litigation, 466 F.3d 187 (2nd Cir. 2006). 24 Arkansas Carpenters Health and Welfare Fund v. Bayer AG, 604 F.3d 98 (2nd Cir. 2010). 25 In re Tamoxifen Citrate Antitrust Litigation, 466 F.3d 187, 211 (2nd Cir. 2006). 26 In re Ciprofloxacin Hydrochloride Antitrust Litigation, 544 F.3d 1323 (Fed. Cir. 2008). 16

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3. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in den USA

III. Quick-Look-Approach 2012 erging die K-Dur-Entscheidung des 3rd Circuit, in der sich das Gericht der Ansicht der FTC anschloss und befand, dass weder eine per-se-Handelsbeschränkung vorlag noch ein grundsätzlicher Antitrust-Schutz vom Patent ausgehe. Vielmehr sei eine reduzierte Rule-of-Reason-Analyse anzuwenden, die als Quick-LookApproach bezeichnet wird.27 Danach soll jede Vermögensübertragung des Patentinhabers an den Generikahersteller als prima facie unrechtmäßige Wettbewerbsbeschränkung angesehen werden, bei der die Beklagten zu beweisen haben, dass entweder die Vermögensübertragung einen anderen Zweck als einen verspäteten Markteintritt hatte oder mit der Vereinbarung positive Auswirkungen auf den Wettbewerb einhergingen.28

B. FTC und DOJ In den USA gibt es zwei oberste Kartellbehörden, denen die Aufgabe zukommt, wettbewerbswidriges Verhalten zu bekämpfen: die FTC sowie die Kartellrechtsabteilung des DOJ. Eine Besonderheit des amerikanischen Systems ist, dass die Kartellbehörden teils überlappene Zuständigkeiten haben. Die Antitrustabteilung des DOJ kann im Wege einer Klage vor den Gerichten eine Unterlassung gegen Kartellrechtsverstöße anstrengen.29 Die FTC kann bei Verstößen gegen den FTC Act oder den Clayton Act ein Verwaltungsverfahren einleiten. Die hieraus resultierende Entscheidung ist vor den Bundesgerichten überprüfbar.30 Nicht nur die Gerichte befassten sich mit Pay-for-Delay-Vereinbarungen. Auch die US Kartellbehörden nahmen rechtliche Bewertungen vor. Die FTC begann bereits Ende der 90er Jahre auf Pay-for-Delay-Vergleiche aufmerksam zu werden. Die damals noch sehr einfach gelagerten Fälle wurden von der FTC als wettbewerbswidrig beanstandet und endeten mit einem Schuldeingeständnis der Parteien.31 Die Haltung der FTC änderte sich auch in späteren Verfahren nicht. Mit zunehmender Komplexität der Sachverhalte bildete sich eine klare Linie heraus. Die Behörde vertrat, dass es sich bei den Vereinbarungen um per-se-Beschränkungen handele.32 Nach anfänglichem Erfolg vor dem Berufungsgericht des 6th Circuit scheiterte die FTC indes in späteren Berufungsverfahren.33 27

In re K-Dur Antitrust Litigation, 686 F.3d 197 (3rd Cir. 2012). In re K-Dur Antitrust Litigation, 686 F.3d 197, 218 (3rd Cir. 2012). 29 15 U.S.C. §§ 4, 25, Blechman/Patterson, in: FK, Band VI, Ausland USA, Rn. 15. 30 15 U.S.C. § 45. 31 Glazer/Desmond-Harris, Antitrust Magazine, S. 15 (Spring 2010). 32 FTC, 136 F.T.C. 956, 988, 30. März 2003, 2003 WL 25797209. 33 Schering-Plough Corp. v. FTC, 402 F.3d 1056, 1072 (11th Cir. 2005); FTC v. Watson Pharmaceuticals, Inc., 677 F.3d 1298 (11th Cir. 2012); FTC v. Watson Pharmaceuticals, Inc., 677 F.3d 1298, 1304 (11th Cir. 2012). 28

§ 14 Actavis-Entscheidung des US Supreme Courts

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Die Position des DOJ hat sich im Gegensatz zur derjenigen der FTC im Laufe der Zeit gewandelt. Im Verfahren Schering-Plough34 konnte die FTC das Gericht nicht von seiner Sicht überzeugen und wurde auch im darauffolgenden Versuch, eine Revision durch den Supreme Court zu erwirken, nicht vom DOJ unterstützt35 Unter der Obama-Administration vollzog das DOJ einen Positionswechsel und näherte sich der Ansicht der FTC stark an.36 So vertrat es fortan die Meinung, dass bei Pay-forDelay-Vereinbarungen die Wettbewerbsbeschränkung vermutet werden solle, die durch die Beklagte im Verfahren entkräftet werden müsse (sog. Presumptive Illegality).37

§ 14 Actavis-Entscheidung des US Supreme Courts Die Entscheidung des US Supreme Courts: FTC v. Actavis (Actavis-Entscheidung) aus dem Jahr 2013 stellt das erste und bisher einzige Urteil des höchsten Gerichts zur Pay-for-Delay-Problematik dar.38 Gerichte, bei denen weitere Pay-forDelay-Fälle anhängig waren, erwarteten das Urteil mit angehaltenem Atem.39 Ein Autor sieht im Actavis-Urteil eine der wichtigsten Entscheidungen zum Patent- und Kartellrecht überhaupt.40 Supreme-Court-Richter Roberts meint hingegen, durch das Urteil sei der „Rubikon überschritten“.41 Dass es sich bei dem Urteil um eines mit erheblicher Wirkung handelt, zeigt auch die Diskussion innerhalb der Rechtswissenschaft und den beteiligten Interessenkreisen. Seit längerem hatte es Anstrengungen gegeben, den U.S. Supreme Court zu einer Entscheidung zu bewegen, jedoch ohne Erfolg. Eine Annahme zur Entscheidung durch sogenannten Writ of Certiorari hatte der Supreme Court im Jahr 2011 abgelehnt.42 Das nunmehr ergangene ActavisUrteil hat die Debatte um Pay-for-Delay-Vereinbarungen jedoch nicht zum Verstummen gebracht. Dabei wird allerdings vielfach nicht das Urteil selbst in Frage gestellt, sondern es wird sich verstärkt mit den noch offen gelassenen Fragen und Ungereimtheiten auseinandergesetzt.

34

Schering-Plough v. FTC, 402 F.3d 1056 (11th Cir. 2005). O’Connell, 24 SPG Antitrust 7, 7 (2010). 36 Glazer/Desmond-Harris, Antitrust Magazine, S. 17 (Spring 2010). 37 Amicus Brief des DOJ in Arkansas Carpenters Health & Welfare Fund v. Bayer AG (2nd Cir. 2009), unter: http://www.justice.gov/atr/cases/f247700/247708.htm. 38 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223 (2013). 39 So bspw. Richter Young im Nexium-Urteil: „[…] the parties – and quite frankly, the Court – were waiting with bated breath for the Supreme Court’s decision“, In re Nexium (Esomeprazole) Antitrust Litigation, 968 F.Supp.2d 367, 376 (D.Mass. 2013). 40 „Actavis is one of the most important antitrust decisions in the modern era.“, Carrier, After Actavis, 67 Rutgers Univ.L.Rev. 543, 543 (2015). 41 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2242 (2013) (Roberts dissenting). 42 Louisiana Wholesale Dug Co., Inc. v. Bayer AG, 131 S.Ct. 1606 (2011). 35

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3. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in den USA

Im Folgenden soll die 2013 ergangene Entscheidung FTC v. Actavis zunächst detailliert untersucht werden. Hierbei wird auch auf das Minderheitsvotum von Richter Roberts eingegangen. Zudem werden die Kernpunkte aufgezeigt, die eine Neuerung im Vergleich zur vorherigen Rechtslage darstellen. Zuletzt werden die durch das Urteil aufgeworfenen sowie offen gebliebenen Fragen diskutiert.

A. Hintergrund I. Sachverhalt Hintergrund des Urteils war ein Rechtsstreit zwischen der FTC und mehreren Pharmaunternehmen, die Vergleichsvereinbarungen geschlossen hatten. Mit dem Vorhaben, die in Frage stehenden Vergleiche für kartellrechtswidrig erklären zu lassen, scheiterte die FTC in beiden Vorinstanzen.43 Der Supreme Court nahm in dieser viel beachteten Entscheidung FTC v. Actavis zur Frage Stellung. Konkret waren an den dem Urteil zugrunde liegenden Vereinbarungen drei Parteien beteiligt: Solvay Pharmaceuticals (im Folgenden: Solvay) als Patentinhaber und die beiden Generikahersteller Actavis und Paddock.44 Solvay stellt das Testosteron-Gel AndroGel 1.62 % her, das durch ein Patent geschützt ist.45 AndroGel wurde schnell zum meist verwendeten Testosteron-Therapiemittel.46 2003 stellten Actavis und Paddock unabhängig voneinander einen ANDA-IVAntrag bei der FDA, woraufhin Solvay Verletzungsklage erhob.47 Über den als Reaktion hierauf erhobenen Nichtigkeitseinwand wurde nicht durch Urteil entschieden. Vielmehr einigte sich Solvay mit beiden Generikaherstellern vergleichsweise in zwei Vereinbarungen im Jahre 2006. Diese sahen Zahlungen an die Generikahersteller vor. Die Generikahersteller verpflichteten sich dazu mit der Vermarktung der Generika bis Ende August 2015 (65 Monate vor Patentende) zu warten. Es handelt sich somit um eine Early Entry-Vereinbarung.48 Die Vereinbarung zwischen Solvay und Actavis be43 In re Androgel Antitrust Litigation (No. II), 687 F.Supp.2d 1371, 1373 (N.D.Ga. 2010); FTC v. Watson Pharmaceuticals, Inc., 677 F.3d 1298, 1304 (11th Cir. 2012). 44 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2229 (2013). 45 Die FDA ließ AndroGel im Jahr 2000 zu. Zunächst war die Vermarktung lediglich durch eine Zulassungsexklusivität gegen Generikawettbewerb geschützt gewesen. 2003 erlangte Solvay Patentschutz auf die Gel-Formulierung von Androgel, nicht jedoch auf Testosteron an sich (Patent Nr. 6,503,894), In reAndrogel Antitrust Litigation (No. II), 687 F.Supp.2d 1371, 1373 (N.D.Ga. 2010). 46 Zwischen 2000 und 2007 lagen allein die Einnahmen in den USA bei über $ 1,8 Mrd. und überstiegen damit bei Weitem die Entwicklungskosten; In reAndrogel Antitrust Litigation (No. II), 687 F.Supp.2d 1371, 1373 (N.D.Ga. 2010); FTC v. Watson Pharmaceuticals, Inc., 677 F.3d 1298, 1304 (11th Cir. 2012). 47 Unimed Pharm., Inc. v. Watson Pharm., Inc., 2003 WL 23824320 (N.D.Ga. 2003); Unimed Pharm., Inc. v. Paddock Labs., Inc., 2003 WL 23824347 (N.D.Ga. 2003). 48 Siehe hierzu S. 27.

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inhaltete jährliche Zahlungen in Höhe von $ 19 – 30 Mio. an Actavis.49 Hierfür versprach Actavis bestimmte Leistungen, unter anderen die Unterstützung beim Bewerben von AndroGel bei Urologen. Die FTC ging davon aus, dass die Leistungen von Actavis in ihrem Wert weit unter den Zahlungen von Solvay lagen und es sich bei diesen vielmehr um eine Gegenleistung für den zugesicherten (und möglicherweise aufgeschobenen) Markteintritt im Jahr 2015 handelte.50 Die FTC erhob Anfang 2009 Klage gegen alle an den Vergleichsvereinbarungen beteiligten Unternehmen. Der Vorwurf: Verletzung kartellrechtlicher Bestimmungen (§ 5 FTC Act, 15 U.S.C. § 45) durch die vereinbarte Aufteilung von Solvays Monopolprofiten und die damit verbundene Rücknahme der Patentnichtigkeitsklagen sowie die Aufschiebung der Vermarktung von AndroGel-Generika für die Dauer von neun Jahren.51 II. Urteil des District Court In erster Instanz befasste sich zuvor der District Court aus Georgia mit dem Fall. Das Gericht wendete in seinem Urteil den Scope-of-the-Patent-Test an, der bereits durch die nächsthöhere Instanz, den 11th Circuit in anderen Verfahren, vertreten worden war. In dem Scope-of-the-Patent-Test wird sich der Frage nach der kartellrechtlichen Zulässigkeit eines patentrechtlichen Vergleichs in einer Dreischrittprüfung genähert.52 So bestimmte das Gericht zunächst den Schutzumfang des Patents in zeitlicher (Patentdauer) und sachlicher Hinsicht (Schutzumfang der Patentansprüche).53 In einem zweiten Schritt prüfte es, ob und auf welche Weise der Vergleich diesen Umfang überschritt.54 Falls eine Überschreitung anzunehmen sei, sei drittens zu prüfen, ob der Vergleich negative Effekte auf den Wettbewerb mit sich bringe.55 Nach Ansicht des District Court hatte die FTC nicht beweisen können, dass die von den Unternehmen getroffenen Vereinbarungen über den Schutzumfang des Patents hinausging. Deshalb bestehe kein Grund einer näheren Untersuchung, ob die Vergleichsvereinbarungen negative Effekte auf den Wettbewerb gehabt haben.56 Die untersuchten Vergleiche sahen nämlich lediglich vor, dass die Generikahersteller mit 49 In reAndrogel Antitrust Litigation (No. II), 687 F.Supp.2d 1371, 1375 (N.D.Ga. 2010), dies entspricht über neun Jahre gerechnet einer Summe von insgesamt $ 171 – 270 Mio. 50 FTC v. Watson Pharmaceuticals, FTC Merits Brief, 12 – 416, 21. November 2012, Rn. 60 f., abrufbar unter: https://www.ftc.gov/system/files/documents/cases/121121watson brief.pdf. 51 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2230 (2013), App. 29, Complaint { 5. 52 Ausführlich zu den verschiedenen Lösungsansätzen ab S. 88; In reAndrogel Antitrust Litigation (No. II), 687 F.Supp.2d 1371, 1377 (N.D.Ga. 2010). 53 In reAndrogel Antitrust Litigation (No. II), 687 F.Supp.2d 1371, 1377 (N.D.Ga. 2010). 54 Ebd. 55 Ebd. 56 In reAndrogel Antitrust Litigation (No. II), 687 F.Supp.2d 1371, 1379 (N.D.Ga. 2010).

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der Vermarktung ihrer Generika für AndroGel abwarten würden.57 Weitere Produkte umfassten die Vergleichsvereinbarungen hingegen nicht.58 Das Patent umfasst eine Formulierung eines Gels, das „zur Herstellung und zum Verkauf von“ AndroGel notwendig ist, und ist damit in sachlicher Hinsicht gegen entsprechende Generika geschützt.59 Weiterhin wurde als frühester Termin für den Marktzutritt der Generikahersteller der 31. Mai 2015 vereinbart. Das Streitpatent würde allerdings erst im Jahr 2020 auslaufen.60 Hieraus schloss der District Court, dass eine Überschreitung des Schutzumfangs in zeitlicher Hinsicht nicht vorliege.61 Der dritte Prüfungsschritt, wonach die wettbewerblichen Auswirkungen der Vereinbarung zu untersuchen sind, habe deshalb nicht mehr stattfinden müssen.62 Die FTC brachte hiergegen vor, dass der Schutzumfang des Patents nicht nur einen sachlichen sowie zeitlichen Aspekt beinhalte, sondern auch das Kriterium der Wahrscheinlichkeit, dass das Patent für nichtig erklärt werde, zu berücksichtigen sei.63 Diese Wahrscheinlichkeit werde durch die Geldzahlung abgekauft. Das Gericht überzeugte diese Argumentation nicht. Vielmehr schloss es sich der Rechtsprechung des 11th Circuit an und befand, dass die besonders hohe Komplexität und Unsicherheit des Ausgangs von Patentnichtigkeitsverfahren den Parteien keine hinreichend konkrete Einschätzungsmöglichkeit gebe, um die tatsächliche Wahrscheinlichkeit der Nichtigerklärung zu ermitteln.64 Die (kartellrechtliche) Ahndung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen stelle eine „schwerwiegende Begrenzung von Vergleichsvereinbarungen“ dar und sei deshalb abzulehnen.65 III. Urteil des Court of Appeals for the 11th Circuit Im durch die FTC angestrengten Berufungsverfahren befasste sich der 11th Circuit mit der Interessenlage der Patentinhaber. Diese seien einerseits mit hohen Investitionskosten (von mehr als $ 1,3 Mrd.) konfrontiert und anderseits stellten die mitunter hohen Einnahmen durch Blockbuster-Medikamente ein attraktives Ziel für 57

In reAndrogel Antitrust Litigation (No. II), 687 F.Supp.2d 1371, 1375 (N.D.Ga. 2010). In reAndrogel Antitrust Litigation (No. II), 687 F.Supp.2d 1371, 1377 (N.D.Ga. 2010). 59 Ebd. 60 Das Streitpatent läuft im August 2020 aus, In reAndrogel Antitrust Litigation (No. II), 687 F.Supp.2d 1371, 1375 (N.D.Ga. 2010). 61 In reAndrogel Antitrust Litigation (No. II), 687 F.Supp.2d 1371, 1377 (N.D.Ga. 2010). 62 In reAndrogel Antitrust Litigation (No. II), 687 F.Supp.2d 1371, Fn. 2 (N.D.Ga. 2010). 63 FTC, FTC v. Watson Pharmaceuticals, FTC Merits Brief, 22. Januar 2012, S. 44: „Given the uncertainty as to the outcome of the infringement suit, and the contracting parties’ divergent positions, on the merits of that litigation, it would be unsound to assume for antitrust purposes that one party to the reverse-payment agreement was right and the other was wrong“, abrufbar unter: https://www.ftc.gov/system/files/documents/cases/130122watsonbrief.pdf.; In re Androgel Antitrust Litigation (No. II), 687 F.Supp.2d 1371, 1377 (N.D.Ga. 2010). 64 Ebd. 65 Ebd. 58

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Generikahersteller dar.66 Zur Frage des Kartellrechtsverstoßes durch die geschlossenen Vergleiche verwies der 11th Circuit auf seine Rechtsprechung in Valley Drug67. In jener Entscheidung hatte das Gericht ausgeführt, dass zwar grundsätzlich der Ausschluss von Mitbewerbern durch Vereinbarungen gegen Kartellrecht verstoße; solange jedoch ein Patent bestehe, ein Ausschluss durch dieses Patent gerechtfertigt sei.68 In Valley Drug war das in Frage stehende Patent sogar nachträglich für nichtig erklärt worden. Der 11th Circuit sah dies jedoch nicht als Hinweis für einen Verstoß gegen Kartellrecht, sondern stellte fest, dass der für die Überprüfung maßgebliche Zeitpunkt, der Vertragsschluss sei.69 Zu dieser Zeit habe das Patent noch Bestand gehabt, weshalb eine nachträgliche Nichtigkeit unbeachtlich sei.70 Auch in der Berufungsentscheidung zu AdroGel wich der 11th Circuit von dieser Ansicht nicht ab. Er unterstrich seine zuvor entwickelte Drei-Schritt-Prüfung (s. o.), wonach eine kartellrechtliche Prüfung erst in Betracht komme, wenn der Vergleich über den Schutzumfang des Patents hinausgehe.71 Im Ergebnis lehnte er deshalb die Berufung der FTC ab.72

B. Actavis-Urteil Im US-amerikanischen Prozessrecht ist eine Revision (sog. Writ of Certiorari) zum Supreme Court grundsätzlich möglich.73 Im Jahr 2011 hatte dieser eine solche Revision im Falle Louisiana Wholesale Drug Co v. Bayer jedoch nicht zugelassen.74 In der Actavis-Sache nahm der Supreme Court nun erstmals Stellung zur Pay-forDelay-Problematik. Dies war auch deshalb nötig geworden, weil verschiedene Berufungsgerichte in jeweils ähnlich gelagerten Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen waren (sog. Circuit Split).75

66

FTC v. Watson Pharmaceuticals, Inc., 677 F.3d 1298, 1301 (11th Cir. 2012). Valley Drug Co. v. Geneva Pharmaceuticals, Inc., 344 F.3d 1294 (11th Cir. 2003). 68 Valley Drug Co. v. Geneva Pharmaceuticals, Inc., 344 F.3d 1294, 1304 f. (11th Cir. 2003). 69 Valley Drug Co. v. Geneva Pharmaceuticals, Inc., 344 F.3d 1294, 1306 (11th Cir. 2003). 70 Valley Drug Co. v. Geneva Pharmaceuticals, Inc., 344 F.3d 1294, 1307 (11th Cir. 2003). 71 FTC v. Watson Pharmaceuticals, Inc., 677 F.3d 1298, 1310 (11th Cir. 2012). 72 FTC v. Watson Pharmaceuticals, Inc., 677 F.3d 1298, 1315 (11th Cir. 2012). 73 28 U.S.C § 1254 (1). 74 Louisiana Wholesale Drug Co., Inc. v. Bayer AG, 131 S.Ct. 1606 (2011). 75 „Because different courts have reached different conclusions about the application of the antitrust laws to Hatch-Waxman-related patent settlements, we granted the FTC’s petition.“, FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2230 (2013). 67

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I. Zusammenfassung 1. Pay-for-Delay-Vereinbarungen als Besonderheit des Pharmasektors In seinem Urteil76 stellte der Supreme Court zunächst fest, dass Pay-for-DelayFälle fast ausschließlich im pharmazeutischen Bereich auftreten.77 Grund hierfür sei das regulatorische Umfeld des Hatch-Waxman Acts. Das Gericht nannte vier Hauptmerkmale, die in seinen Augen derartige Vergleiche (in den USA) begünstigen:78 Erstens sei der Aufwand, den ein Pharmaunternehmen betreiben müsse, um die Zulassung für ein neues Medikament von der FDA zu erhalten, sehr groß.79 Zweitens sei es für Generikahersteller ungleich leichter eine Arzneimittelzulassung der FDA zu bekommen, da lediglich die Bioäquivalenz des Generikums zu beweisen ist. Diese sog. Abbreviated New Drug Application halten Aufwand und Kosten für Generikahersteller gering. Als dritten Punkt nennt das Gericht die speziellen Bestimmungen des durch die ANDA ausgelösten Verfahrens.80 Das oberste Gericht arbeitet die speziellen Prozeduren heraus, die die in diesem Rahmen entstehenden Patentstreitigkeiten regeln und den Zweck haben, sie möglichst schnell einer Lösung zuzuführen.81 Hierzu gehören zum einen die Paragraf-IV-Zertifizierung des Generikaherstellers sowie die Möglichkeit, als Reaktion hierauf eine Patentverletzungsklage zu erheben. Das vierte besondere Merkmal sei der 180 Tage währende Exklusivitätszeitraum des erstanmeldenden Generikaherstellers.82 Dieses Instrument stelle einen starken Anreiz für Generikahersteller dar, möglichst frühzeitig Patente auf (Blockbuster-)Medikamente herauszufordern. 2. Kein Ausschluss einer Kartellrechtsprüfung bei Vorliegen eines Patents Vor dem Hintergrund der vorstehenden Erwägungen greift der Supreme Court die Grundannahme des Berufungsurteils des 11th Circuit auf, wonach die zwischen den Parteien vereinbarte Wettbewerbsbeschränkung sich innerhalb des Ausschließlichkeitsbereiches des Patents bewege.83 Der 11th Circuit hatte hieraus noch gefolgert, dass eine kartellrechtliche Überprüfung deshalb nicht in Betracht komme: Das Patent immunisiere gleichsam Vereinbarungen, die sich innerhalb seines Ausschließlichkeitsbereiches bewegen, gänzlich gegen Kartellrecht. Der Supreme Court tritt dem 76

Richter Breyer war in diesem Verfahren Berichterstatter. FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2227 f. (2013). 78 Ebd; diesem Begründungsansatz ist nur unter Einschränkung zuzustimmen. Siehe hierzu die Kritik ab S. 85. 79 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2228 (2013). 80 Ebd.; ausführliche Beschreibung des ANDA-Verfahrens, siehe ab S. 72 ff. 81 Details zu den besonderen Bestimmungen des Hatch-Waxman Acts ab S. 71. 82 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2228 (2013). 83 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2230 (2013). 77

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entschieden entgegen.84 Die Vereinbarung sei nicht gegen eine kartellrechtliche Überprüfung immunisiert, weil es im zugrunde liegenden Verfahren gerade um die Frage der Patentnichtigkeit sowie um die Reichweite des Schutzumfangs gegangen sei. Es sei „widersinnig“, die Kartellrechtswidrigkeit nur durch patentrechtliche (Zweck-)Erwägungen (Policies) leiten zu lassen. Vielmehr seien traditionelle Faktoren, wie zu erwartende negative Wettbewerbseffekte der Vereinbarung, die Ausübung von Marktmacht durch den Patentinhaber sowie diese ausgleichenden Vorteile (Redeeming Virtues), in eine Kartellrechtsprüfung einzubeziehen. Hier gelangt der Supreme Court zu einer Kernaussage des Urteils: Patent- und kartellrechtliche Zwecke stünden miteinander in einer Wechselwirkung, die zusammen die Grenzen des patentrechtlichen Monopols bestimme.85 Ob eine Vereinbarung diese Grenzen überschreite sei das Ergebnis dieser Prüfung und nicht ihr Ausgangspunkt.86 Diese Aussage offenbart, dass der Supreme Court einen anderen Weg einschlägt als bisher die Mehrheit der amerikanischen Gerichte. Wo diese das Anlegen eines kartellrechtlichen Prüfungsmaßstabes verweigert hatten, solange sich die Vereinbarung innerhalb der zeitlichen und sachlichen Grenzen des Schutzumfanges des Patents bewegt, fordert der Supreme Court explizit die Einbeziehung der Auswirkungen auf den Wettbewerb und damit die Berücksichtigung kartellrechtlicher Prüfungskriterien: „Given these factors, it would be incongruous to determine antitrust legality by measuring the settlement’s anticompetitive effects solely against patent law policy, rather than by measuring them against procompetitive antitrust policies as well. And indeed, contrary to the Circuit’s view that the only pertinent question is whether ,the settlement agreement – fall [s] within‘ the legitimate ,scope‘ of the patent’s ,exclusionary potential,‘ […], this Court has indicated that patent and antitrust policies are both relevant in determining the ,scope of the patent monopoly‘ – and consequently antitrust law immunity – that is conferred by a patent.“87

Der Supreme Court sieht sich nicht nur durch seine frühere Rechtsprechung88 in seiner Meinung bestätigt, sondern auch durch den Telos des Hatch-Waxman Acts.89 Dessen Ziel sei es, Wettbewerb zwischen Pharmaunternehmen zu fördern (procompetitive Thrust). Um dies zu erreichen, sehe das Gesetz spezifische Instrumente vor, die den Angriff auf Patente förderten und begünstigten. Hinzu komme die später eingeführte Pflicht, die FTC und das DOJ über jeden geschlossenen Vergleich (nach ANDA-IV-Antrag) zu unterrichten. All dies spreche gegen die Meinung des 11th 84 „But we do not agree that that fact, or characterization, can immunize the agreement from antitrust attack.“, FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2230 (2013). 85 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2231 (2013). 86 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2231 (2013): „Whether a particular restraint lies ,beyond the limits of the patent monopoly‘ is a conclusion that flows from that analysis and not […] its starting point.“. 87 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2231 (2013). 88 Siehe unten ab S. 109. 89 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2234 (2013).

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3. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in den USA

Circuit.90 Im Übrigen hätten die Initiatoren des Gesetzes Senator Hatch und Congressman Waxman erklärt, dass Pay-for-Delay-Vereinbarungen dem Sinn und Zweck des Hatch-Waxman Acts entgegenstünden.91 Zwar bekräftigt der Supreme Court das öffentliche Interesse und den hohen Wert von Streitbeilegungen allgemein und im Besonderen in Patentverfahren. Fünf Gründe sprächen jedoch dagegen, Pay-for-Delay-Vereinbarungen gegen Kartellrecht zu immunisieren:92 3. Potential nachteiliger Auswirkungen auf den Wettbewerb Erstens habe die bei Pay-for-Delay untersuchte Beschränkung das Potential nachteiliger Auswirkungen auf den Wettbewerb. Die Vermögensübertragung des Patentinhabers komme dem Erwerb eines Exklusivrechtes gleich. Zwar werde dieses Exklusivrecht eigentlich durch das Patent gesichert; dieses drohe jedoch dem Patentinhaber entzogen zu werden. Diese Gefahr werde durch die Vermögensübertragung ausgeräumt. Der Supreme Court vergleicht zur Verdeutlichung zwei hypothetische Fälle: er nimmt an, dass ein Patentinhaber durch das (patentgestützte) Monopol einen Mehrgewinn von $ 50 Mio. pro Jahr hat und das entsprechende Patent noch zehn Jahre lang gültig ist. Durch die Nichtigerklärung des Patents würde sich der zusätzliche Gewinn von $ 500 Mio. durch den Eintritt von Generikawettbewerb auf die Konsumenten verteilen. Im Pay-for-Delay-Fall, in dem der Generikahersteller seinen Nichtigkeitseinwand zurückzieht, würde dieser Gewinn jedoch dem Patentinhaber zufließen, der diesen durch die Vermögensübertragung mit dem Generikahersteller aufteilt.93 Der Supreme Court geht davon aus, dass besonders hohe Vermögensübertragungen nicht durch herkömmliches, öffentliches Interesse an Streitbeilegungen getragen sind.94 Zur Verdeutlichung bezieht sich das Gericht auf Hinweise, wonach die Vermögensübertragung an den Generikahersteller zum Teil deutlich höher ausfallen als die von ihm erwarteten Einnahmen bei Generikawettbewerb. Dies sei ein starkes Indiz dafür, dass es sich bei der Vermögensübertragung um die Aufteilung von Gewinnen handele, die ohne die Vereinbarung im Wettbewerb entfielen.95 Die Möglichkeit der Gewinnaufteilung zwischen Patentinhaber und Generikahersteller werde überdies durch die besonderen Hatch-Waxman-Regelungen noch verstärkt.96

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Ebd. Ebd. 92 Ebd.: „We recognize the value of settlements and the patent litigation problem. But we nonetheless conclude that this patent-related factor should not determine the result here“. 93 Ebd. 94 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2235 (2013). 95 Ebd. 96 Ebd. 91

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4. Rechtfertigung negativer Auswirkungen auf den Wettbewerb Zweitens seien diese nachteiligen Auswirkungen auf den Wettbewerb in bestimmten Fällen ungerechtfertigt.97 Der Supreme Court geht davon aus, dass Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die nachteilige Effekte auf den Wettbewerb haben, durch positive Auswirkungen ausgeglichen werden können.98 Eine Streitbeilegung beende den Prozess und spare damit Prozess- und Gerichtskosten. Eine Vermögensübertragung, die die erwarteten Prozesskosten des Rechtsstreits nicht übersteige, sei kartellrechtlich unbedenklich, da der Patentinhaber diese Kosten auch ohne eine Einigung hätte tragen müssen. Eine solche Vermögensübertragung erwecke deshalb nicht die Bedenken, dass der Patentinhaber seine „Monopolgewinne“ (Monopoly Profits) dazu nutze, das Risiko der Patentvernichtung zu vermeiden.99 Ebenso seien Fälle zu beurteilen, in denen eine Zahlung dem Marktwert (Fair Value) einer versprochenen Gegenleistung entspreche. Dies könnten beispielsweise Vertriebsdienstleistungen des Generikaherstellers sein. In diesen Fällen sei nicht zu befürchten, dass der Patentinhaber seine Monopolgewinne aufteile, um das Risiko der Nichtigerklärung seines Patents zu beschränken.100 Das Vorliegen dieser positiven Wettbewerbseffekte habe der Beklagte im Kartellrechtsverfahren unter der Rule of Reason darzulegen.101 5. Vermögensübertragung als Indiz für Marktmacht Drittens sei eine hohe Vermögensübertragung auch ein Indiz dafür, dass der Patentinhaber Marktmacht besitze.102 Eine Voraussetzung nach der Rule of Reason ist die Ausübung von Marktmacht durch Schließen einer Vereinbarung. Wenn durch einen Marktakteur Preise verlangt werden, die über den durch Wettbewerb hervorgerufenen Preisen liegen, dann stelle dies bereits einen starken Indikator für das Vorhandensein von Marktmacht dar.103 Das Aufkommen von hohen Vermögensübertragungen stehe wiederum in unmittelbarem Zusammenhang mit über dem Wettbewerb liegenden Preisen. Ohne Marktmacht sei nicht zu erwarten, dass ein Unternehmen bereit ist, hohe Summen zu zahlen, um zu verhindern, dass potentielle Wettbewerber in den Markt eintreten.104

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Ebd. Ebd. 99 Ebd. 100 Ebd. 101 Ebd. 102 Ebd. 103 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 (2013). 104 Ebd. 98

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6. Überprüfung des Patents nicht notwendig Im vierten Punkt geht der Supreme Court auf die entscheidende Frage ein, inwieweit die Überprüfung des Patents selbst nötig ist, um die Kartellrechtsfrage zu beantworten.105 Auch hierbei zeigt sich ein klarer Abstand zur Rechtsprechung des 11th Circuit. Dieser hatte die Anwendung des Scope-of-the-Patent-Tests auch damit begründet, dass mit ihm eine abermalige Patentüberprüfung im Kartellverfahren gerade vermieden werde. Der Supreme Court sieht jedoch durch diesen Ansatz das „Kind mit dem Bade ausgeschüttet“.106 Auch unter einer Rule of Reason sei die Überprüfung der Wirksamkeit des Patents nicht notwendig. Denn bereits eine hohe und nicht zu rechtfertigende Vermögensübertragung weise darauf hin, dass der Patentinhaber erhebliche Zweifel an der Beständigkeit des Patents im Nichtigkeitsprozess habe. Dies lege wiederum nahe, dass der Zweck der Vermögensübertragung die Sicherung überhöhter Preise (Supracompetitive Prices) sei, die in der Folge unter den Parteien aufgeteilt werden.107 Das Argument, dass ein Patentinhaber bereit sei auch bei geringeren Risiken einer Nichtigerklärung hohe Vermögensübertragungen zu leisten, überzeugt den Supreme Court dabei nicht. So führe auch in einem solchen Fall die Vermögensübertragung dazu, dass bereits das Risiko des Wettbewerbs beseitigt werde, so gering es auch sein mag. Dies reiche aus, um eine Schädigung des Wettbewerbs anzunehmen. Im Urteil heißt es: „In a word, the size of the unexplained reverse payment can provide a workable surrogate for a patent’s weakness, all without forcing a court to conduct a detailed exploration of the validity of the patent itself.“108

Der Supreme Court möchte folglich ebenso wie bereits der 11th Circuit eine Patentüberprüfung innerhalb des Kartellprozesses vermeiden. Anders als der 11th Circuit schließt der Supreme Court allerdings deshalb eine kartellrechtliche Überprüfung nicht gänzlich aus, sondern fordert demgegenüber eine Rule of Reason, bei der die Vermögensübertragung des Patentinhabers als Indiz dafür herangezogen wird, ob der Patentinhaber zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses an der Aufrechterhaltung seines Patents im Patentprozess zweifelte. 7. Vergleichsvereinbarungen grundsätzlich möglich Fünftens stellt der Supreme Court klar, dass es Parteien in Patentprozessen weiterhin möglich sei, den Prozess vergleichsweise beizulegen. So sei beispielsweise die Vereinbarung eines frühzeitigen Markteintritts des Generikaherstellers denkbar, ohne dass eine Vermögensübertragung für einen späteren Marktzutritt erfolge.109 105 106 107 108 109

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2235 (2013). FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 (2013). Ebd. Ebd. FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2237 (2013).

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Falls eine Vermögensübertragung vorliege, sei die entscheidende Frage, was die Begründung für diese ist.110 Falls keine Rechtfertigungsgründe bestünden, sei zu vermuten, dass eine entsprechende Vereinbarung gegen Kartellrecht verstößt.111 8. Zwischenergebnis Der Supreme Court macht mit seinen fünf Punkten deutlich, dass er Pay-forDelay-Vereinbarungen unter bestimmten Voraussetzungen als wettbewerbswidrig einstuft, selbst wenn sich die Verpflichtungen des Generikaherstellers nach Ansicht der Vertreter des Scope-of-the-Patent-Test innerhalb des Schutzbereichs des Patents bewegen. Er arbeitet dabei Kriterien heraus, an denen sich die Gerichte der unteren Instanzen orientieren können. Der Kunstgriff besteht dabei darin, eine kartellrechtliche Analyse vorzunehmen, ohne patentrechtliche Fragen, wie etwa die Wirksamkeit des Patents, klären zu müssen. Dem Supreme Court zufolge überwiegen die Argumente für eine kartellrechtliche Überprüfung gegenüber dem Interesse an einer uneingeschränkten Möglichkeit der Streitbeilegung.112 Mit seiner Entscheidung, das Kartellverfahren anhand der Rule of Reason vorzunehmen, erteilt der Supreme Court auch dem von der FTC geforderten QuickLook-Approach eine Absage.113 Dieser war in der Vergangenheit vom 3rd Circuit gefordert worden.114 Beim Quick-Look-Approach verschiebe sich die Beweislast hin zum Beschuldigten, der Beweise dafür liefern müsse, dass die konkret in Frage stehende Vereinbarung nicht kartellrechtswidrig sei.115 In der Entscheidung California Dental war entschieden worden, dass eine Quick-Look-Analyse nur in simplen und leicht überschaubaren Fällen in Betracht komme; also in Fällen, in denen „ein mit rudimentären Ökonomiekenntnissen ausgestatteter Beobachter beurteilen kann, ob eine Vereinbarung negative Auswirkungen auf Konsumenten und Wettbewerb hat“.116 Bei Pay-for-Delay seien jedoch verschiedene Faktoren in die Analyse mit einzubeziehen, wie die Höhe der Vermögensübertragung, ihre Abhängigkeit von etwaigen Gegenleistungen, ihr Verhältnis zu erwarteten Prozesskosten sowie weitere Rechtfertigungen. Dieser komplexe Kontext erfordere daher eine eingehende Untersuchung nach der Rule of Reason. Der Quick-Look-Approach komme daher für Pay-for-Delay-Vereinbarungen nicht in Betracht.

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Ebd. Ebd. 112 Ebd. 113 Ebd. 114 Siehe oben S. 92. 115 California Dental Association v. Federal Trade Commission, 526 U.S. 756, 775, Fn. 12 (1999). 116 California Dental Association v. Federal Trade Commission, 526 U.S. 756, 770 (1999). 111

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3. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in den USA

II. Dissenting Opinion von Richter Roberts Das Actavis-Urteil des Supreme Courts erging nicht einstimmig. Von den neun Richtern trugen nur fünf die Entscheidung mit. Der vorsitzende Richter am Supreme Court, Roberts, verfasste die Dissenting Opinion, (Minderheitenvotum) dem sich zwei weitere Richter anschlossen.117 1. Verhältnis zwischen Patent- und Kartellrecht durch Actavis-Entscheidung gestört Roberts geht zunächst auf das Verhältnis zwischen Patent- und Kartellrecht ein. Das Patent sei durch den Gesetzgeber bewusst aus dem Anwendungsbereich des Kartellrechts herausgenommen (carved out). Der Schutzbereich des Patents stelle dabei den Bereich dar, innerhalb dessen der Patentinhaber Wettbewerb ausschließen könne, ohne gegen Kartellrecht zu verstoßen.118 Roberts sieht sich hierbei durch die bestehende Rechtsprechung des Supreme Courts bestätigt.119 Auch habe der Supreme Court bisher nie einen Kartellrechtsverstoß für das Abstandnehmen von der Patentanfechtung angenommen.120 Die zu ziehende Linie sei der Schutzumfang des Patents. Eine Vereinbarung, die über diesen Schutzumfang hinausgehe, könne gegen den Sherman Act verstoßen, was bereits in der Vergangenheit vorgekommen sei.121 Bleibe die Beschränkung der Vereinbarung allerdings innerhalb der Grenzen des Schutzumfangs des Patents, dann finde keine kartellrechtliche Überprüfung statt, wobei es hierbei zwei Ausnahmen gebe: entweder der durch die Parteien geführte Rechtsstreit stelle einen bloß vorgetäuschten Rechtsstreit (Sham Litigation) dar oder das dem Rechtsstreit zugrunde liegende Patent sei durch missbräuchlich falsche Angaben des Patentamtes erlangt worden (Fraud).122 Er vertritt damit die Anwendung des Scope-of-the-Patent-Tests. Beide Ausnahmen lägen im Actavis-Sachverhalt jedoch nicht vor. Vielmehr habe wie in jedem Vergleich lediglich ein Austausch von Vermögenswerten stattgefunden. Solvay übertrug seinem Konkurrenten Ver-

117 Richter Alito nahm an der Verhandlung und der Entscheidung nicht teil. Dies könnte daran liegen, dass er in der Vergangenheit bereits als Richter des 3rd Circuit mit ähnlich gelagerten Fällen befasst war, Denniston, Blog-Eintrag vom 17. Juni 2013, abrufbar unter: http:// www.scotusblog.com/2013/06/opinion-recap-pay-to-delay-in-deep-trouble/. 118 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2239 (2013) (Roberts dissenting). 119 Siehe unten ab S. 109; Walker Process Equipment, Inc. v. Food Machinery & Chemical Corp., 3382 U.S. 172, 177 (1965); United States v. Line Material Co., 333 U.S. 283, 300 (1948); United States v. General Elec. Co., 272 U.S. 476, 485 (1926); Simpson v. Union Oil Co. of Cal., 377 U.S. 13, 24 (1964). 120 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2239 (2013) (Roberts dissenting). 121 Roberts zitiert: United States v. Singer Mfg. Co., 374 U.S. 174, 196 – 197 (1963). 122 Walker Process Equipment, Inc. v. Food Machinery & Chemical Corp., 3382 U.S. 172, 177 (1965).

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mögenswerte in Form von Geld und erhielt dafür einen geldwerten Vorteil in Form der zurückgezogenen Nichtigkeitsklage.123 Des Weiteren erörtert die Dissenting Opinion die Frage, welcher Beurteilungsmaßstab an die Vereinbarungen anzulegen sei.124 Das Problem sei, dass im Zeitpunkt, in dem die Vereinbarung geschlossen wird, nicht feststehe, ob das Patent gültig sei bzw. ob durch die Produktion eines Generikums eine Patentverletzung vorliege. Der Frage nach der (kartellrechtlichen) Zulässigkeit des Vergleichs möchte Roberts deshalb mittels patentrechtlicher Erwägungen beikommen, anstatt mit kartellrechtlichen Kriterien, wie dies die Mehrheit fordert. Der Patentinhaber müsse die Möglichkeit haben, all diejenigen Rechte auszuüben, die ihm durch den Gesetzgeber zugesprochen seien.125 Diese Rechte seien jedoch einzig nach Patentrecht zu ermitteln. Kartellrechtliche Kriterien dürften hingegen keine Rolle spielen. Die Dissenting Opinion geht außerdem auf die Erwägungen zum Sinn und Zweck des Hatch-Waxman Acts ein. Das Actavis-Urteil nimmt die Förderung von möglichst frühem Wettbewerb auf dem Pharmamarkt als weiteren Grund für seine rechtliche Einschätzung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen. Die Herausarbeitung des Telos des Gesetzes kritisiert Roberts nicht, jedoch betont er, dass kein Gesetz seine Ziele um jeden Preis zu verwirklichen versuche.126 Deshalb sei die Annahme, dass alles, was in irgendeiner Weise dem Zweck des Gesetzes diene, auch zwangsläufig Recht sei, abzulehnen.127 Es sei deshalb „verstörend“, dass der Supreme Court den weit gefassten Sinn, Förderung des Wettbewerbs, als Anlass dafür nehme, das bisherige Verhältnis zwischen Patent- und Kartellrecht zu stören.128 Hinzu komme, dass in den letzten Jahren elf Gesetzesvorhaben, die das Ziel hatten Pay-for-Delay-Vereinbarungen einzuschränken, im Kongress gescheitert seien. Außerdem sei auch die Hinweispflicht gegenüber der FTC und dem DOJ kein Indiz dafür, die Rolle des Kartellrechts in diesem Zusammenhang zu stärken. Der Gesetzgeber wollte damit vielmehr sicherstellen, dass solche Vereinbarungen geahndet werden, die tatsächlich gegen Kartellrecht verstoßen, namentlich solche, die den Schutzumfang des Patents überschreiten.129 2. Pay-for-Delay kein spezifisches Phänomen des Pharmasektors Bezüglich der Frage, ob Pay-for-Delay-Vereinbarungen allein ein spezifisches Problem des Pharmamarktes seien, widerspricht Roberts der Mehrheitsmeinung des 123

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2239 (2013) (Roberts dissenting). FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2240 (2013) (Roberts dissenting). 125 Ebd. 126 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2242 (2013) (Roberts dissenting). 127 Rodriguez v. United States, 480 U.S. 522, 525 – 526 (1987); FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2242 (2013) (Roberts dissenting). 128 Ebd. 129 Ebd. 124

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Gerichtes. Reverse Payments kämen lediglich dadurch zustande, dass der Rechteinhaber im Verletzungsverfahren zwar Kläger sei, durch die Erhebung des Nichtigkeitseinwandes jedoch gleichfalls zum Beklagten werde und sich somit in einer Verteidigungsposition befinde. Vergleichbare Konstellationen kämen auch in anderen Bereichen vor, nur bestehe dort keine Pflicht zur Offenlegung gegenüber Dritten, was dazu führe, dass allein die beteiligten Parteien über sie Bescheid wüssten.130 3. Einschränkung der Vergleichsmöglichkeit nicht geboten Von der Dissenting Opinion wird besonders die Notwendigkeit, Vergleiche schließen zu dürfen, hervorgehoben. Das Recht der Parteien, sich zu vergleichen, gehe mit dem Recht gerichtlicher Durchsetzung einher.131 Durch die verstärkte kartellrechtliche Überprüfung werde einer der Hauptgründe, überhaupt Vergleichsvereinbarungen einzugehen, ausgeräumt. Der Anreiz Patentvergleiche zu schließen bestehe, damit ein Prozess kostenschonend beendet werden könne. Mit der Actavis-Rechtsprechung hätten die Parteien jedoch im Anschluss an die gütliche Beendigung des Patentrechtsstreits die Aufarbeitung unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten zu fürchten. Hinzu käme, dass der ursprünglich als Patentverletzer Beklagte im Patentprozess den Nichtigkeitseinwand erhoben habe, im Kartellrechtsprozess nun dafür argumentieren müsse, dass es sich um ein gültiges Patent handle, da ansonsten ein Kartellrechtsverstoß drohe.132 Die Notwendigkeit, sich im Patentprozess vergleichen zu können, sei jedoch im Hatch-Waxman-Kontext besonders gegeben, da diese Prozesse mit erheblichen Kosten verbunden seien. Roberts geht davon aus, dass im pharmazeutischen Kontext im Durchschnitt mit Prozesskosten von bis zu $ 10 Mio. zu rechnen sei.133 Roberts kritisiert außerdem die Fünf-Punkte-Argumentation des Urteils.134 Diese fünf Überlegungen gingen am Kern des Problems vorbei. Ausgangslage sei, dass kartellrechtlich relevante Auswirkungen nur dann vorlägen, wenn Rechte aus den Vereinbarungen über die Rechte aus dem Patent hinausgingen. Ist dies nicht der Fall, dann fehle den fünf Argumentationsschritten ihre Grundlage.135 Im Übrigen sei auch nicht davon auszugehen, dass die Untersuchung des Patents selbst entbehrlich sei, wie es das Actavis-Urteil nahelege.136 Der Verzicht auf die Prüfung nach der Wirksamkeit des Patents führe dazu, dass man dem Patentinhaber versage, sich auf 130

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2243 (2013) (Roberts dissenting). Ebd. 132 Ebd. 133 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2244 (2013) (Roberts dissenting), zitiert: Herman, 111 Columbia L.Rev. 1788 (2011). 134 Die fünf Punkte werden ab S. 100 beschrieben. 135 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2244 (2013) (Roberts dissenting). 136 Ebd. 131

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sein Patent als Verteidigungsmittel zu berufen. Damit wiederum verliere das Patent seinen Hauptzweck, nämlich ein Monopolrecht für seinen Träger darzustellen. 4. Kritik an der Heranziehung des Merkmals der Vermögensübertragung Kritisiert wird auch eine Kernaussage des Actavis-Urteils. Der Supreme Court vertritt, dass eine kartellrechtliche Unzulässigkeit bereits aus dem Umstand folge, dass das Risiko der Patent-Nichtigerklärung durch den Patentinhaber „abgekauft“ werde.137 Ob ein solch unzulässiges Abkaufen vorliege, sei vor allem anhand der Art und Höhe der Vermögensübertragung zu ermitteln. Denn bereits eine hohe und nicht anders zu rechtfertigende Vermögensübertragung sei geeignet, das Risiko eines entstehenden Wettbewerbes auszuschließen. Roberts stimmt dieser Sichtweise aus mehreren Gründen nicht zu.138 Einerseits sei bereits die Annahme, dass die Wirksamkeit des Patents nicht zu ermitteln sei, falsch. Denn ein Patent sei entweder wirksam oder unwirksam. Dass die Mehrheitsmeinung bereits einen kartellrechtlichen Verstoß annehmen möchte, weil die Parteien den Ausgang des Verfahrens nicht kennen, sei deshalb wenig einleuchtend. Auch das Abstellen auf das Kriterium der hohen Vermögensübertragung lehnt Roberts ab. Diese kämen nicht ausschließlich dadurch zustande, dass der Patentinhaber kein Vertrauen in das Bestehen seines Patents im Prozess habe. Vielmehr könnten den Patentinhaber auch andere Gründe dazu bewegen, das Risiko einer Patentüberprüfung zu scheuen. So sei durchaus denkbar, dass der Inhaber eines besonders wertvollen Patents bereits bei Vorliegen eines sehr geringen Risikos der Unwirksamkeit bereit sei, eine Vermögensübertragung zu leisten, obwohl er sehr sicher ist, dass eine Überprüfung zu seinen Gunsten ausgehen würde. Hinzu komme die Schwierigkeit für die Gerichte, die Motive des Patentinhabers zu ermitteln.139 Das Abstellen auf das Kriterium der Vermögensübertragung könne in bestimmten Fällen außerdem zu unbilligen Ergebnissen führen. Roberts beschreibt den hypothetischen Fall, in dem ein Patentinhaber einen Payfor-Delay-Vergleich mit einem Generikahersteller schließt, mit einem zweiten jedoch die Überprüfung des Patents bis zur letzten Instanz durchficht. Werde das Patent in letzter Instanz für endgültig wirksam erklärt, dann hätte dies die Folge, dass der Patentinhaber, dessen Patent nun unbestreitbar wirksam ist, trotzdem durch den Vergleich mit dem ersten Generikahersteller gegen Kartellrecht verstoßen habe – ein aus Roberts’ Sicht nicht hinnehmbarer Widerspruch.

137 138 139

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 (2013). FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2244 f. (2013) (Roberts dissenting). FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2245 (2013) (Roberts dissenting).

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5. Ausufernde Anwendung des Kartellrechtsmaßstabs und Einbuße an Rechtssicherheit Die Dissenting Opinion sieht in der Überlegung, dass der Abkauf des bloßen Risikos eines entstehenden Wettbewerbs bereits unzulässig sein könne, außerdem die Gefahr der Ausweitung auf andere Industriebereiche, wobei er diese nicht näher eingrenzt.140 Die Mehrheitsmeinung war diesem Argument mit dem einzigartigen regulatorischen Umfeld von pharmazeutischen Patentvergleichen entgegengetreten.141 So seien die besonderen Anreize des Hatch-Waxman-Acts für das Aufkommen dieser Vergleiche ursächlich, die in dieser Form nicht in anderen Bereichen aufträten. Roberts befürchtet, dass die in Actavis aufgestellte Lehre auch auf Vereinbarungen über einfache Lizenzen angewandt werden könnte. Denn auch bei diesen eigentlich zulässigen Vereinbarungen werde durch die Vergabe einer einfachen Lizenz zu einem Monopolpreis letztendlich das Risiko einer Nichtigkeitsklage abgekauft.142 Die Meinung der Mehrheit berge die Gefahr in sich, auf andere Bereiche auszuufern. Die Herangehensweise der Mehrheit sei außerdem deshalb abzulehnen, weil mit ihr keine Rechtssicherheit einhergehe. Roberts hebt dabei die Wichtigkeit klarer Regelungen im Kartellrecht hervor.143 Durch die Rule of Reason werde den Gerichten jedoch eine „unbändige“ Prüfung verschiedenster Faktoren auferlegt. Polemisch bemerkt Roberts dabei: „Good luck to the district courts that must, when faced with a patent settlement, weigh the ,likely anticompetitive effects, redeeming virtues, market power, and potentially offsetting legal considerations present in the circumstances.‘“144

Roberts’ finales Argument gegen die im Actavis-Urteil vertretene Ansicht ist, dass die Einschränkung oder gar ein Verbot von Pay-for-Delay-Vereinbarungen zur Folge habe, dass Generikahersteller in Zukunft in Bezug auf die Herausforderung wichtiger Patente zurückhaltender sein werden.145 Ein Generikahersteller wäge vorsichtig die Risiken und Vorteile ab, bevor er einen ANDA-IV-Antrag stelle. Das Actavis-Urteil führe zu weniger Anreizen, um Patente herauszufordern, was wiederum weniger Wettbewerb im pharmazeutischen Markt zur Folge hätte. Der bisher vertretene Ansatz des Supreme Courts, wonach Patent- und Kartellrecht zu trennen seien, würde in Actavis aufgeweicht und führe zu einer Schwächung der Rechte von Patentinhabern. Zudem würde dem Recht der Parteien, sich zu vergleichen, nicht hinreichend Gewicht beigemessen.

140 141 142 143 144 145

Ebd. FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2235 (2013). FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2245 (2013) (Roberts dissenting). Ebd. Ebd. FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2247 (2013) (Roberts dissenting).

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6. Zwischenergebnis Roberts’ Kritik in seiner Dissenting Opinion setzt an mehreren Stellen an. Die durch die Mehrheitsentscheidung des Supreme Courts geforderte Rule of Reason stelle eine Durchbrechung des Verhältnisses zwischen Patent- und Kartellrecht dar. Da grundsätzlich Vereinbarungen, die ihrem Inhalt nach nicht weiter gingen als das Patent selbst, als zulässig zu erachten seien, stelle eine Überprüfung nach der Rule of Reason eine Missachtung des Ausschließlichkeitsumfangs des Patents dar. Roberts befürchtet, dass die seiner Ansicht nach unrichtige Anwendung des Kartellrechts drohe, auch auf andere Industriebereiche auszuufern. Denn anders als die Mehrheit geht Roberts davon aus, dass Pay-for-Delay-Vereinbarungen nicht lediglich im Pharmasektor vorkommen, sondern auch in anderen Industriebereichen. Vorzugswürdig sei deshalb der Scope-of-the-Patent-Test. Dieser führe zu mehr Rechtssicherheit und gewährleiste, dass Generikahersteller auch in Zukunft wichtige Pharmapatente herausfordern, da sie regelmäßig keine kartellrechtliche Übertretung befürchten müssen. III. Einordnung von Actavis in die bisherige Rechtsprechung des Supreme Courts Der Supreme Court sieht seine Actavis-Grundsätze als von seiner bisherigen Rechtsprechung gestützt.146 Richter Roberts, der die abweichende Meinung (Dissenting Opinion) verfasst, tritt dieser Einschätzung entschieden entgegen und meint, dass der Supreme Court mit der Actavis-Entscheidung einen gänzlich neuen und mit der bisherigen Rechtsprechung des obersten Gerichts brechenden Ansatz vertrete.147 Hierbei ist man sich vor allem über die Auslegung der entsprechenden Urteile uneinig. Im Folgenden erfolgt der Versuch, hierüber Klarheit zu schaffen: 1. Rechtsprechung zu Kreuzlizenzierungen a) United States v. Singer Mfg. Co. Laut der Mehrheit in Actavis sei in der Entscheidung United States v. Singer Mfg. Co. (Singer-Entscheidung) ein Verstoß gegen den Sherman Act angenommen worden, obwohl es sich hierbei um eine Vergleichsvereinbarung in einem Patentrechtsstreit gehandelt habe.148 Der Entscheidung lag eine Cross-Licensing-Vereinbarung zugrunde. Nähmaschinenhersteller hatten sich durch gegenseitige Lizenzvereinbarungen unter anderem Schutz gegen japanische Konkurrenz erhofft.149 Das Actavis-Gericht sieht sich durch die Singer-Entscheidung gestützt, da auch hier nicht 146 147 148 149

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2232 (2013). Ebd. United States v. Singer Mfg. Co., 374 U.S. 174 (1963). United States v. Singer Mfg. Co., 374 U.S. 174, 190 (1963).

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danach gefragt worden sei, ob das Vorgehen der Patentinhaber durch das Patentrecht erlaubt sei, sondern ebenfalls Zweckerwägungen des Sherman Acts zu Rate gezogen worden seien.150 Richter Roberts widerspricht dieser Auslegung und zitiert verschiedene Passagen des Urteils, in denen das Gericht feststellt, dass das Patentgesetz Kreuzlizenzierungen der vorgenommenen Art nicht explizit vorsehe und möchte damit verdeutlichen, dass das Gericht in der Singer-Entscheidung den Scope-of-thePatent-Test anwendete.151 Das Gericht betonte im Fall Singer zwar, dass das wirksame Patent seinem Inhaber eine Ausnahme von der Anwendbarkeit des Sherman Act nur bis zu den (Schutzumfang-)Grenzen des Patents (Limits of the Patent Monopoly) gewähre.152 Dies beantwortet jedoch weder die Frage, wie der Schutzumfang des Patents zu bestimmen ist, noch ob dieser Umfang im Fall Singer überschritten wurde. Erst im nächsten Satz wird sinngemäß festgestellt, dass das Ansammeln von Patenten nicht von einer kartellrechtlichen Überprüfung befreie. Grund hierfür sei, dass das Kartellrecht den Patentinhabern in Bezug auf abgestimmte Verhaltensweisen scharfe Grenzen setze. Diese Grenzen seien durch die Cross-Licensing-Vereinbarung überschritten worden.153 In diesem Urteil ging der Supreme Court demnach davon aus, dass die Grenze, ab wann ein Verhalten durch das Patent nicht mehr geschützt ist, durch das Kartellrecht zumindest mitdeterminiert werde. Hinzu kommt, dass die Concurring Opinion von Richter White ein besonderes Augenmerk auf das öffentliche Interesse daran legte, dass Patente nur für wirklichen technischen Fortschritt gewährt werden.154 b) United States v. Line Material Co. und United States v. General Electric Co. In der Entscheidung Line Material155 hatten mehrere Patentinhaber durch wechselseitige Lizenzvergabe (Cross Licensing) die Endpreise von Elektrogeräten 150

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2232 (2013). Ebd. 152 United States v. Singer Mfg. Co., 374 U.S. 174, 196 f. (1963). 153 In seiner Dissenting Opinion schreibt Roberts: „It ,is equally well settled that the possession of a valid patent or patents does not give the patentee any exemption from the provisions of the Sherman Act beyond the limits of the patent monopoly‘ and holding that ,those limitations have been exceeded in this case‘.“, FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2232 (2013). Roberts zitiert hier allerdings nicht korrekt. In Singer heißt es: „By aggregating patents in one control, the holder of the patents cannot escape the prohibitions of the S h e r m a n A c t . […] T h a t A c t i m p o s e s s t r i c t l i m i t a t i o n s on the concerted activities in which patent owners may lawfully engage […] and t h o s e l i m i t a t i o n s have been exceeded in this case.“ [gesperrte Hervorhebungen durch Verfasser], United States v. Singer Mfg. Co., 374 U.S. 174, 197 (1963). Die Grenzen (limitiations), von denen in Singer die Rede ist, sind demnach nicht diejenigen des Patentrechts, sondern die des Kartellrechts (Sherman Act). 154 United States v. Singer Mfg. Co., 374 U.S. 174, 199 (1963). 155 United States v. Line Material Co., 333 U.S. 287 (1948). 151

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festgesetzt. Zwar hatte bereits 1926 der Supreme Court im Fall General Electric156 festgestellt, dass ein Patentinhaber grundsätzlich das Recht habe, seinem Lizenznehmer das Festsetzen von Preisen vorzuschreiben.157 Jedoch urteilte der Supreme Court in der Entscheidung Line Material, dass durch Vereinbarungen mehrerer Patentinhaber für verschiedene Produkte Preise nicht festgesetzt werden dürfen158, weil die Vereinbarungen über das „Rechtsmonopol des Patents“ hinausgingen, nicht aber, dass das Kartellrecht zur Anwendung komme, wenn der Schutzumfangs des Patents nicht überschritten werde.159 In der Actavis-Entscheidung führt der Supreme Court diese Entscheidung an, weil auch hier ein Kartellverstoß festgestellt worden sei, obwohl es sich um die grundsätzlich zulässige Lizenzierung wirksamer Patente gehandelt habe.160 Dem widerspricht Roberts.161 Im Fall Line Material sei wiederum lediglich betont worden, dass der Inhaber eines wirksamen Patents über dessen Schutzumfang hinaus keine Immunität gegen verbotene Verhaltensweisen nach dem Sherman Act erwarten könne.162 Hierbei ist allerdings beachtlich, wie der Supreme Court in Line Material die Frage beantwortet, ob der Monopolbereich des Patents überschritten sei: Das Gericht zog nämlich sowohl patentrechtliche als auch kartellrechtliche Überlegungen zu Rate – allerdings ohne dies deutlich hervorzuheben: Warum das Gericht die Erwägungen aus der Entscheidung General Electric nicht auch auf den Fall Line Material übertrug, wurde dabei auch mit kartellrechtlichen Erwägungen begründet. So stellte der Supreme Court in der Line-Material-Entscheidung fest, dass wechselseitige Lizenzierungen keine Preisfestsetzungen enthalten dürfen, da es sich hierbei um deutlich größere Wettbewerbseinschränkungen handele163 und die Vereinbarungen somit über das Monopolrecht, das Patent, hinausgingen.164

156

United States v. General Electric Co., 272 U.S. 476 (1926). United States v. General Electric Co., 272 U.S. 476, 485 (1926). 158 „Where two or more patentees with competitive, non-infringing patents combine them and fix prices on all devices produced under any of the patents, competition is impeded to a greater degree than where a single patentee fixes prices for his licensees.“, United States v. Line Material Co., 333 U.S. 287, 311 (1948). 159 „As the Sherman Act prohibits agreements to fix prices, any arrangement between patentees runs afoul of that prohibition and is outside the patent monopoly.“, United States v. Line Material Co., 333 U.S. 287, 312 (1948). 160 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2240 (2013) (Roberts dissenting). 161 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2232 (2013). 162 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2240 (2013) (Roberts dissenting). 163 „Where two or more patentees with competitive, non-infringing patents combine them and fix prices on all devices produced under any of the patents, competition is impeded to a greater degree than where a single patentee fixes prices for his licensees.“, United States v. Line Material Co., 333 U.S. 287, 311 (1948). 164 United States v. Line Material Co., 333 U.S. 287, 312 (1948). 157

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c) United States v. New Wrinkle, Inc. In der Entscheidung New Wrinkle165 ging es ebenfalls um Cross Licensing. Auch hier entschied der Supreme Court, dass die geschlossenen Lizenzverträge durch das Kartellrecht zu ahnden seien, da sie über das Patentmonopol hinausgingen.166 Die Begründung des Supreme Courts war jedoch abermals eine kartellrechtliche: Die patentrechtlichen Lizenzvereinbarungen seien verwendet worden, um Wettbewerb einzuschränken.167 2. Markenrechtsprechung – Metro-Goldwyn Mayer, Inc. v. 007 Safety Products Der Supreme Court setzt sich in seinem Urteil auch mit der Frage auseinander, ob für Pay-for-Delay-Vereinbarungen eine Entscheidung aus der Markenrechtsprechung herangezogen werden kann. In Metro-Goldwyn Mayer, Inc. v. 007 Safety Products., Inc.168 ging es um einen Vergleich, der eine Zahlung des Markeninhabers an den potentiellen Verletzer vorsah. Der Supreme Court betont, dass jene kartellrechtlich unbedenklichen Fälle nicht mit Pay-for-Delay vergleichbar seien, weil sich die Zahlung auf einen Gegenanspruch des potentiellen Markenverletzers bezogen hatte.169 Die Geldzahlung entspreche dabei in aller Regel der Höhe des geltend gemachten Gegenanspruchs oder sei sogar niedriger. Der Unterschied zwischen dieser Konstellation und Pay-for-Delay bestehe jedoch darin, dass es bei Pay-forDelay zu Vermögensübertragungen komme, ohne dass ein gleichwertiger Gegenanspruch (des Generikaherstellers) geltend gemacht werde.170 In der Tat hatte der potentielle Markenrechtsverletzer im hier beschriebenen Fall selbst eine Marke angemeldet, die er im Falle der wirksamen Anmeldung dem Inhaber der bereits bestehenden Marke hätte entgegenhalten können. Der Supreme Court schließt seine Argumentation mit einem Satz aus einer früheren Entscheidung: „Collusion is the supreme evil of antitrust“.171 Dies ist dahingehend zu verstehen, dass der Supreme Court bei Pay-for-Delay – anders als in den Fällen aus der Markenrechtsprechung – kollusive Elemente hinzukommen sieht, die das Kartellrecht zu unterbinden habe. Dieses Verständnis stößt in der Dissenting Opinion des Richters Roberts auf erhebliche Kritik.172 165

United States v. New Wrinkle, Inc., 342 U.S. 371 (1952). United States v. New Wrinkle, Inc., 342 U.S. 371, 379 (1952). 167 United States v. New Wrinkle, Inc., 342 U.S. 371, 377 (1952). 168 Metro-Goldwyn Mayer, Inc. v. 007 Safety Products., Inc., 183 F.3d 10 (1st Cir. 1999). 169 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2233 (2013). 170 Ebd. 171 Ebd., zitiert die Entscheidung Verizon Communications, Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP., 540 U.S. 398, 408 (2004). 172 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2240 ff. (2013) (Roberts dissenting), ausführlich zur Dissenting Opinion ab S. 104. 166

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3. Zwischenergebnis und Stellungnahme Das Urteil und das Minderheitenvotum stimmen zwar darin überein, dass in bestimmten Fällen Vereinbarungen im Rahmen von Patentvergleichen gegen Kartellrecht verstoßen.173 Gleichwohl betont Roberts, dass sich eben jene Fälle von der Actavis-Konstellation darin unterschieden, dass in Actavis der durch das Patent geschützte Umfang nicht überschritten werde, wohingegen dies in allen genannten Entscheidungen der Fall gewesen sei. Es sei bemerkenswert, dass keiner dieser Fälle eine kartellrechtliche Überprüfung allein aus dem Grund vorsehe, dass die Gültigkeit des Patents ungewiss sei. Diesen „Rubikon“ habe – so Roberts – der Supreme Court in seiner 123-jährigen Rechtsprechung zum Sherman Act nun erstmalig überschritten.174 Gemein ist allen Entscheidungen, dass sie Fälle zu entscheiden hatten, in denen es gerade nicht um originäre und unstreitig patentrechtliche Freiheiten ging, wie die bloße Lizenzvergabe oder das Erheben einer Unterlassungsklage, sondern Verabredungen getroffen wurden, bei denen unklar ist, ob sie (noch) zum Recht des Patentinhabers gehören (und damit kartellrechtlich unbedenklich sind) oder bereits Wettbewerbsbeschränkungen darstellen, bei denen patentrechtliche Instrumente lediglich als Vehikel für die Wettbewerbsbeschränkung genutzt werden. Um diese Frage zu klären scheint der Supreme Court bereits in früherer Rechtsprechung auch kartellrechtliche Überlegungen, wie das Ausmaß der Gefahr für den Wettbewerb und die verfolgten Zwecke der Lizenzvergabe berücksichtigt zu haben.175 Auffällig ist, dass der Supreme Court bemüht ist, seine Actavis-Entscheidung nicht als völlig neuen Lösungsansatz, sondern viel mehr als im Einklang mit bisheriger Rechtsprechung des Gerichtes verstanden zu wissen.176 In dieser Einschätzung ist dem Supreme Court grundsätzlich zuzustimmen. Neu ist allerdings, dass in aller Klarheit festgestellt wird, dass in streitigen Fällen zwischen Patent- und Kartellrecht auch immer kartellrechtliche Zwecke zu Rate gezogen werden müssen.

C. Rechtslage nach der Actavis-Entscheidung Die Entscheidung des Supreme Courts hat ein erhebliches Echo in der Literatur und Rechtsprechung hervorgerufen. Dies liegt zum einen an der deutlichen Diskrepanz zum Scope-of-the-Patent-Test, der sich vor der Actavis-Entscheidung be-

173

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2242 (2013) (Roberts dissenting). Ebd. 175 Ähnlich auch der Supreme Court: „Rather, they seek to accommodate patent and antitrust policies, finding challenged terms and conditions unlawful unless patent law policy offsets the antitrust law policy strongly favoring competition.“, FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2233 (2013). 176 Ebd. 174

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gann durchzusetzen. Zum anderen bietet das Urteil viele Interpretationsansätze und lässt einige Fragen zunächst unbeantwortet. Die Deutlichkeit, mit der der Supreme Court die Anwendung des Scope-of-thePatent-Tests verweigerte führte deshalb auch dazu, dass eines der größten noch anhängigen Pay-for-Delay-Verfahren um das Narkolepsiemedikament Provigil vergleichsweise beigelegt wurde. Teva einigte sich mit der FTC auf eine Zahlung von $ 1,2 Mrd. und verpflichtete sich dazu, keine vergleichbare Pay-for-Delay-Vereinbarung jemals mehr einzugehen. Konkret ist es Teva damit nicht mehr möglich, eine Vereinbarung über Patentstreitigkeiten zu schließen, die zugleich eine Beschränkung des Generikaherstellers beinhaltet bzw. eine solche Beschränkung bis zu 30 Tagen nach einer Patentvereinbarung gesondert einzugehen.177 Trotz offen gebliebener Fragen bietet die Actavis-Entscheidung in einigen Punkten Klarheit. Zwei wesentliche Punkte arbeitet der Supreme Court heraus: Erstens ist maßgebliche Untersuchungsmethode bei Pay-for-Delay weder der QuickLook-Approach noch der Scope-of-the-Patent-Test, sondern die Rule of Reason. Diese Form der Kartellrechtprüfung wird im Folgenden allgemein dargestellt und an die Actavis-Kriterien angepasst. Zweitens betont der Supreme Court, dass entscheidendes Untersuchungskriterium für eine Wettbewerbsbeschränkung eine hohe und ungerechtfertigte Vermögensübertragung (large and unjustified Payment) des Patentinhabers sei. Diese unbestimmten Begriffe wurden durch das Gericht nicht weiter ausgefüllt. Vielmehr sei es Aufgabe der Prozessgerichte (Trial Courts178) eine Konkretisierung vorzunehmen. Es erfolgt deshalb eine Diskussion der bisher vertretenen Ansätze. Anschließend wird auf die Fragen eingegangen, ob es nach den unklaren Ausführungen von Actavis überhaupt einer Patentüberprüfung im Kartellprozess bedarf und welche Auswirkungen die Entscheidung über den pharmazeutischen Bereich hinaus hat. I. Rule of Reason In seiner Entscheidung stellte der Supreme Court fest, dass weder die Quick-LookAnalyse bei Pay-for-Delay-Vereinbarungen anzuwenden noch eine Einordnung in eine der per se illegalen Kategorien geboten sei.179 Vielmehr habe eine Untersuchung der kartellrechtlichen Zulässigkeit nach dem Rule-of-Reason-Standard zu erfolgen. Dabei ließ es der Supreme Court weitestgehend offen, wie diese Form der Analyse im 177 Möglich bleibt allerdings die Eingehung von Vereinbarungen mit einer Vermögensübertragung, die jedoch nicht die zu erwartenden Prozesskosten übersteigt. Die vereinbarte Summe von $ 1,2 Mrd. fließt in einen Fond, der die Käufer von Provigil entschädigen soll: Feinstein, Pressekonferenz v. 28. Mai 2015, abrufbar unter: https://www.ftc.gov/news-events/au dio-video/video/pay-delay-case-press-conference; Wortlaut der Vergleichsvereinbarung zwischen der FTC und Teva, abrufbar unter: https://www.ftc.gov/system/files/documents/cases/1 50528cephalonstip.pdf. 178 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2238 (2013). 179 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2237 f. (2013).

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Einzelfall vorzunehmen sei. Vielmehr überließ es das oberste Gericht den unteren Instanzen, diese Frage zu klären und eine passende „Strukturierung“ der Kartellrechtsprüfung vorzunehmen.180 1. Ursprüngliches Verständnis Nach der traditionellen Rule-of-Reason-Analyse wird in einer umfassenden Prüfung determiniert, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die betreffende Vereinbarung eine ungerechtfertigte Wettbewerbsbeeinträchtigung darstellt. Die Untersuchung folgt dabei einer Dreischritt-Prüfung, wobei sich diese Struktur seit fast einem Jahrhundert kaum geändert hat.181 Grundsätzlich hat die Klägerseite zunächst darzulegen, dass die angegriffene Vereinbarung negative, wettbewerbswidrige Auswirkungen auf den relevanten Produktmarkt hat. Dies kann einerseits durch den Nachweis nachteiliger Effekte auf den Markt, wie zum Beispiel erhöhte Preise, Qualitätsverfall sowie Output-Rückgang, erfolgen.182 Da dieser Beweis in der Regel nur schwer möglich ist, reicht nach ständiger Rechtsprechung der Nachweis des Vorliegens von Marktmacht aus.183 Dabei ist Marktmacht, die Fähigkeit Preise über dasjenige Niveau zu heben, das in einem funktionierenden Wettbewerb bestehen würde.184 Der Nachweis von Marktmacht dient somit als Surrogat für den Nachweis schädlicher Wettbewerbseffekte. Außerdem muss aufgezeigt werden, dass diese Position auch tatsächlich ausgeübt wurde, um eine Wettbewerbsbeschränkung herbeizuführen. Gelingt dem Kläger dieser Nachweis, so obliegt es dem Beklagten im zweiten Schritt darzulegen, dass seine angegriffenen Verhaltensweisen einen „hinreichend wettbewerbsfördernden Zweck“ hatten.185 Der Kläger erhält daraufhin im dritten Schritt die Möglichkeit, dieses Vorbringen zu entkräften und darzulegen, dass die prokompetitiven Zwecke auch durch andere weniger einschränkende Vereinbarungen möglich gewesen wären.186

180

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2238 (2013). United States v. Brown Univ. in Providence in State of R.I., 5 F.3d 658, 668, Fn. 8 (C.A.3 Pa. 1993). 182 FTC v. Indiana Federation of Dentists, 476 U.S. 447, 460 f. (1986). 183 Ebd. 184 United States v. Brown Univ. in Providence in State of R.I., 5 F.3d 658, 668 (C.A.3 Pa. 1993). 185 „If a plaintiff meets his initial burden of adducing adequate evidence of market power or actual anti-competitive effects, the burden shifts to the defendant to show that the challenged conduct promotes a sufficiently pro-competitive objective.“, United States v. Brown Univ. in Providence in State of R.I., 5 F.3d 658, 669 (C.A.3 Pa. 1993). 186 United States v. Brown Univ. in Providence in State of R.I., 5 F.3d 658, 669 (C.A.3 Pa. 1993); Bhan v. NME Hospitals, Inc., 929 F.2d 1404, 1413 (9th Cir. 1991). 181

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2. „Strukturierte“ Rule of Reason a) Vorliegen einer hohen Vermögensübertragung als Indiz für Marktmacht Der Supreme Court geht in seinem Actavis-Urteil davon aus, dass die Rule of Reason eine angemessene Interessenabwägung zwischen positiven und negativen Auswirkungen einer Pay-for-Delay-Vereinbarung bereithält.187 Mehrere Ausführungen und Überlegungen des Gerichts lassen jedoch vermuten, dass der Supreme Court keine allgemeine Rule-of-Reason-Analyse im Sinn hat, sondern den Gerichten verschiedene Kriterien mit auf den Weg gibt, die die Rule of Reason in besonderer Weise strukturieren. Hierzu gehört insbesondere das Kriterium der Vermögensübertragung (Payment). Dieses spielt für den Supreme Court eine übergeordnete Rolle. So sei eine besonders hohe Vermögensübertragung vom Patentinhaber an den Generikahersteller Indiz für ausreichende Marktmacht sowie für negative Marktverzerrungseffekte188 : „At least, the ,size of the payment from a branded drug manufacturer to a prospective generic is itself a strong indicator of power‘ – namely, the power to charge prices higher than the competitive level. […] An important patent itself helps to assure such power. Neither is a firm without that power likely to pay ,larger sums‘ to induce ,others to stay out of its market.‘ […] In any event, the Commission has referred to studies showing that reverse payment agreements are associated with the presence of higher-than-competitive profits – a strong indicator of market power.“189

Folglich modifiziert das Actavis-Urteil den ersten Schritt der Rule of Reason dahingehend, dass es für den Nachweis von Marktmacht beim Patentinhaber ausreicht, eine hohe Vermögensübertragung an den Generikahersteller nachzuweisen.190 b) Strukturierung der Rule of Reason nach der Actavis-Entscheidung Uneinigkeit besteht darüber, wie genau die weitere Prüfung der Rule of Reason nach dem Actavis-Standard auszusehen hat. Insbesondere die fünf Punkte, die der Supreme Court in seinem Urteil aufführt191, sorgten für Verwirrung. Einige Gerichte gingen davon aus, dass es sich bei diesen fünf Argumentationspunkten um Kriterien handelt, die die Prüfung der Rule of Reason strukturieren sollen.192 Im Fall Lamictal

187

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2237 (2013). So auch: King Drug Company of Florence v. Cephalon, Inc., 88 F.Supp.3d 402, 414 (E.D.Pa. 2015). 189 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2235 (2013). 190 Schilderung der fünf Erwägungen des Supreme Court ab S. 100; King Drug Company of Florence v. Cephalon, Inc., 88 F.Supp.3d 402, 414 (E.D.Pa. 2015). 191 Davis/McEwan, 67 Rutgers Univ.L.Rev. 557, 573 (2015). 192 Vgl.: In re Loestrin 24 FE Antitrust Litigation, 45 F.Supp.3d 180, 190 f. (D.R.I. 2014); In re Lamictal Direct Purchaser Antitrust Litigation, 18 F.Supp.3d 560, 565 (D.N.J. 2014). 188

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wendet das Gericht deshalb eine Fünf-Schritte-Untersuchung an.193 Die Gegenmeinung sieht in den fünf Punkten letztlich nur die Aufzählung von Argumenten für einige Modifikationen der traditionellen Rule of Reason.194 Ihre grundsätzliche Struktur, wonach zunächst die Klägerseite eine Wettbewerbsbehinderung beweisen müsse, im zweiten Schritt der Beklagte den Gegenbeweis durch Vorbringen von prokompetitiven Auswirkungen darlegen könne und als Drittes der Kläger hierauf reagieren könne, habe der Supreme Court jedoch nicht angetastet.195 Dies wird auch durch das oberste Gericht des Staates Kalifornien vertreten. In seiner Entscheidung zum wohl berühmtesten Pay-for-Delay-Fall um eine Vereinbarung zwischen Bayer und Barr vertritt das Gericht die Einschätzung, dass der Supreme Court in Actavis der sonst vagen und konturlosen Rule of Reason eine gewisse Struktur vorgegeben hat.196 Nach Ansicht des kalifornischen Gerichts sei in Zukunft bei Pay-for-Delay-Sachverhalten eine stark strukturierte Rule-of-Reason-Prüfung vorzunehmen. Die Klägerseite habe vier Charakteristika aufzuzeigen, um den Vergleich wirksam anzugreifen: Der in Frage stehende Vergleich sieht eine Begrenzung (Limit) des Markteintritts des Generikaherstellers vor (1), der Vergleich beinhaltet Geldzahlungen oder vergleichbare finanzielle Zuwendungen vom Patentinhaber an den Generikahersteller (2), wobei der Wert dieser Zuwendungen den der Waren und Dienstleistungen des Generikaherstellers (3) zusammen mit den erwarteten Kosten, die die Fortführung des Prozesses für den Patentinhaber bedeuten würden, übersteigt (4). Der Kritik, dass das Gericht mit diesem Vorgehen dem eigentlich abgelehnten Quick-Look-Ansatz zu nahe käme, begegnet das kalifornische Gericht mit dem Argument, dass der Supreme Court selbst in der Entscheidung California Dental197 die Grenzen zwischen per-se-Regel, Quick-Look-Ansatz und Rule of Reason nicht klar ziehe und sich der Abgrenzungsschwierigkeiten durchaus bewusst sei.198 3. Beweislastverteilung a) Beweislast/„Beweislastschwelle“ Besonders knifflig stellt sich die Frage nach der Beweislast für das Vorliegen bzw. das Ausbleiben geeigneter Rechtfertigungen einer Vermögensübertragung dar. Das Actavis-Urteil legt an mehreren Stellen nahe, dass nicht die Klägerseite zu beweisen 193

2014).

In re Lamictal Direct Purchaser Antitrust Litigation, 18 F.Supp.3d 560, 570 (D.N.J.

194 Beispielhaft: In re Nexium (Esomeprazole) Antitrust Litigation, 968 F.Supp.2d 367, 388 ff. (D.Mass. 2013); King Drug Co. of Florence v. Cephalon, Inc., – F.Supp.3d –, 2015 WL 356913 bei *9 ff. (E.D.Pa. 2015); zustimmend: Davis/McEwan, 67 Rutgers Univ.L.Rev. 557, 575 (2015). 195 Vgl. King Drug Co. of Florence, Inc. v. Smithkline Beecham Corp., 791 F.3d 388, 412 (3rd Cir. 2015). 196 In re Cipro Cases I & II, 61 Cal. 4th 116, 146 ff. (S.Ct.Cal. 2015). 197 California Dental Assn. v. FTC, 526 U.S. 756, 779 (1999). 198 In re Cipro Cases I & II, 61 Cal. 4th 116, 146 ff. (S.Ct.Cal. 2015).

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habe, dass die Vermögensübertragung ungerechtfertigterweise erfolgte, sondern es vielmehr ausreiche, dass eine hohe Vermögensübertragung nachgewiesen werde. Gelingt dies der Klägerseite, so verschiebt sich die Beweislast hin zum Beklagten.199 Dieser müsse darlegen, warum die Vermögensübertragung gerechtfertigt war, um den Vorwurf des Kartellverstoßes auszuräumen.200 Vielfach wird jedoch vertreten, dass auch der Umstand, dass die Vermögensübertragung ungerechtfertigt war, von der Klägerseite zu beweisen sei.201 In den Entscheidungen Lamictal202 und Loestrin203 vertreten die Gerichte, dass ein Drei-Stufen-Test vonnöten sei, bei dem zunächst festgestellt werden müsse, dass überhaupt ein Reverse Payment vorliegt, sodann zu beweisen sei, dass dieses hoch und ungerechtfertigt ist und erst im dritten Schritt die Rule of Reason zur Anwendung komme. Nach dieser Meinung muss die Klägerseite sowohl die Höhe als auch die (fehlende) Rechtfertigung beweisen.204 Diskutiert wird ebenfalls die Frage, ob der Kläger eine Beweisschwelle zu überschreiten habe, um nach dem Rule-of-Reason-Standard eine Wettbewerbsbeschränkung beweisen zu können.205 Im Gegensatz hierzu sieht die FTC lediglich das Erfordernis, eine hohe Vermögensübertragung zu beweisen; eventuelle Rechtfertigungen seien anschließend durch den Beklagten zu liefern.206 Die Bedeutung der Beweislast-Frage für das Kriterium der Rechtfertigung einer Vermögensübertragung wird anhand des K-Dur-Falles dabei besonders deutlich: Hier waren die Gerichte durch die Instanzen hinweg jeweils zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen, die maßgeblich davon abhängig gewesen waren, welcher Partei die Beweislast für das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen von Rechtfertigungsgründen auferlegt worden war.207

199 So auch: Carrier, How Not to Apply Actavis, 109 Northwestern Univ.L.Rev.Online 113, 120 (2014). 200 „An antitrust defendant may show in the antitrust proceeding that legitimate justifications are present, thereby explaining the presence of the challenged term and showing the lawfulness of that term under the rule of reason.“, FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2237 (2013). 201 In re Lamictal Direct Purchaser Antitrust Litigation, 18 F.Supp.3d 560, 565 (D.N.J. 2014); In re Loestrin 24 FE Antitrust Litigation, 45 F.Supp.3d 180 (D.R.I. 2014). 202 In re Lamictal Direct Purchaser Antitrust Litigation, 18 F.Supp.3d 560 (D.N.J. 2014). 203 In re Loestrin 24 FE Antitrust Litigation, 45 F.Supp.3d 180 (D.R:I. 2014). 204 Ähnlich auch In re Nexium (Esomeprazole) Antitrust Litigation, 42 F.Supp.3d 231, 262 f. (D.Mass. 2014). 205 Vgl.: King Drug Company of Florence, Inc. v. Cephalon, Inc., 88 F.Supp.3d 402, 413 (E.D.Pa. 2015); In re Solodyn (Minocycline Hydrochloride) Antitrust Litigation, 2015 WL 5458570 bei *6 f., (D.Mass. 2015). 206 King Drug Company of Florence, Inc. v. Cephalon, Inc., 88 F.Supp.3d 402, 414 (E.D.Pa. 2015). 207 Beschreibung in Kerr/Tyler, 28 Antitrust 29, 32 (2013); In re K-Dur Antitrust Litigation, 686 F.3d 197 (3rd Cir. 2012).

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b) Stellungnahme Der Supreme Court selbst betont zwar an verschiedenen Stellen die Wichtigkeit des Kriteriums einer hohen und ungerechtfertigten Vermögensübertragung. Welche der Parteien diese Merkmale zu beweisen habe, wird jedoch nicht ausdrücklich geklärt. Es spricht deshalb vieles dafür, dass die hergebrachten Beweisregelungen der Rule of Reason Anwendung finden. Hiernach ist es Aufgabe des Klägers, negative Wettbewerbseffekte oder aber das Vorliegen von Marktmacht beim Beklagten zu beweisen. Marktmacht besitze in der Regel derjenige Patentinhaber, der eine hohe Vermögensübertragung an den Generikahersteller leiste.208 Dies spricht dafür, dass der Nachweis von Marktmacht bereits mit dem Kriterium einer hohen Vermögensübertragung genügt werden kann. Hinzu kommt der Hinweis im Urteil selbst: „An antitrust defendant may show in the antitrust proceeding that legitimate justifications are present, thereby explaining the presence of the challenged term and showing the lawfulness of that term under the rule of reason.“209

Diese Aussage lässt sich nur dahingehend verstehen, dass die Darlegungs- und Beweislast für das Kriterium der Rechtfertigung einer hohen Vermögensübertragung auf Beklagtenseite liegt.210 Hinzu kommt, dass die an der Vergleichsvereinbarung beteiligten Parteien in der Regel auch den notwendigen Informationszugang haben, um eine Rechtfertigung zu ermöglichen.211 Schließlich liegen das Wissen und die Informationen über die konkreten Abreden bei den Parteien, welche die Vereinbarung geschlossen haben.212 Es erscheint deshalb durchaus sinnvoll, ihnen das Vorbringen der Rechtfertigungsgründe aufzubürden. Auch werden die Parteien hiermit dazu gebracht, ihre vormals komplex und undurchsichtig gestalteten Side-Deals wieder zu entwirren, um den Nachweis der Rechtfertigung erbringen zu können. Dies wirkt zukünftigen Umgehungsversuchen entgegen. Vielfach wird an dieser Lösung kritisiert, dass sie dem durch den Supreme Court abgelehnten Quick-Look-Approach zu nahe käme.213 Nach dem Quick-Look-Approach wird bei Vorliegen bestimmter Merkmale einer Vereinbarung die Wettbewerbswidrigkeit vermutet und die Beweislast, diese zu widerlegen, liegt beim Beklagten. Hierbei unterbleibt eine eingehende Untersuchung wettbewerbsbeschrän208 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2235 (2013): „the size of the payment from a branded drug manufacturer to a prospective generic is itself a strong indicator of [market] power“. 209 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 (2013). 210 So auch King Drug Company of Florence, Inc. v. Cephalon, Inc., 88 F.Supp.3d 402, 415 f. (E.D.Pa. 2015); In re Solodyn (Minocycline Hydrochloride) Antitrust Litigation, 2015 WL 5458570 bei *7, (D.Mass. 2015). 211 Edlin/Hemphill/Hovenkamp/Shapiro, Activating Actavis, 28 Antitrust 16, 18 (2013). 212 In re Cipro Cases I & II, 61 Cal.4th 116, 153 (S.Ct.Cal. 2015); Edlin/Hemphill/Hovenkamp/Shapiro, Activating Actavis, 28 Antitrust 16, 18 (2013); Lim, IIC 2014, 1, 3. 213 King Drug Company of Florence v. Cephalon, Inc., 88 F.Supp.3d 402, 416 (E.D.Pa. 2015); Harris/Murphy/Willig/Wright, 23 Antitrust 83, 83 (2014).

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kender und -fördernder Auswirkungen. Auch eine umfassende Markt- und Industrieanalyse, wie sie regelmäßig bei einer Rule of Reason vorgenommen wird, unterbleibt.214 Nach Actavis muss jedoch die Klägerseite entweder tatsächlich eingetretene Wettbewerbsbeschränkungen oder aber das Vorliegen von Marktmacht darlegen, indem es eine hohe Vermögensübertragung darlegt und beweist. Erst dann ist es an der Beklagtenseite, Rechtfertigungen hierfür liefern, die das Gericht dann anhand einer umfassenden Analyse des Marktes bewertet und gegeneinander abwägt. Diese Untersuchung unterscheidet sich durch einen zusätzlichen prozessualen Schritt vom Quick-Look-Approach. Der Supreme Court weist außerdem darauf hin, dass eine Kartellrechtsprüfung nicht starr einer der Untersuchungsmethoden folgend vorgenommen werden solle. Vielmehr seien per-se-Kriterien, Rule of Reason und Quick-Look-Approach durch fließende Übergänge gekennzeichnet.215 Leichte Umstrukturierungen der bisherigen traditionellen Rule of Reason sind demnach je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zulässig. 4. Zwischenergebnis und Stellungnahme Die Abkehr des Supreme Courts von den Ansätzen einer Quick-Look-Analyse oder einer per se kartellrechtswidrigen Einordnung und die Entscheidung, stattdessen eine umfassende Rule of Reason anzuwenden, ist zu unterstützen. Den Bedenken von Supreme Court Richter Roberts, dass durch die Rule of Reason ein vor allem für Gerichte der unteren Instanzen viel zu komplexes Prüfungsgefüge geschaffen werde, ist entgegenzuhalten, dass die Rule of Reason ein seit vielen Jahrzehnten eingeübtes kartellrechtliches Institut ist. Mit ihm werden prokompetitive Effekte einer Vereinbarung mit den negativen Auswirkungen abgewogen. Dies setzt zwar erhebliche Mengen an Daten und Fakten voraus; unter der Rule of Reason ist es jedoch nicht Aufgabe der Gerichte, diese im Rahmen einer Amtsermittlung zu beschaffen, sondern vielmehr Sache der Beklagten, darzulegen und zu beweisen, dass ihre Vereinbarung tatsächlich positive Auswirkungen auf den Wettbewerb und für die Verbraucher bewirkt hat. Es spricht weiter dafür, dass die Berücksichtigung all dieser Implikationen insoweit nur die Komplexität der wirtschaftlichen Realität spiegelt. Ihre Erhebung und Bewertung auch in den unteren Instanzen erscheint daher angemessen. Dies spricht gegen die Annahme, dass es sich bei der Anwendung der Rule of Reason auf Pay-for-Delay-Vereinbarungen um ein zu komplexes und damit ungeeignetes Untersuchungsmittel handelt. Würde man allerdings eine unstrukturierte allgemeine Rule of Reason anwenden, so würden den Vergleichsparteien und dem Gericht die schwierige bzw. unsichere Prognose abverlangt, ein hypothetisches Ergebnis eines streitigen Verfahrens, 214

U.S. v. Brown University in Providence in State of R.I., 5 F.3d 658, 669 (C.A.3 Pa. 1993). „As a leading antitrust scholar has pointed out, ,there is always something of a sliding scale in appraising reasonableness‘ and as such ,the quality of proof required should vary with the circumstances‘.“ FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2237 – 2238 (2013); siehe auch: In re Cipro Cases I & II, 61 Cal.4th 116, 147 (S.Ct.Cal. 2015). 215

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nämlich des Patentverfahrens, zu ermitteln. Schwierigkeiten würde dabei nicht nur die inzwischen verstrichene Zeit zwischen Vergleichsschluss und Kartellprozess bereiten. Auch die Frage nach dem Ausgang des Patentverfahrens wäre wohl zu beantworten. Der Blick in eine alternative Zukunft – denn um nichts anderes handelt es sich bei der Frage danach, welche Auswirkungen das Nichteingehen einer Pay-forDelay-Vereinbarung nach sich gezogen hätte – ist nur schwer möglich. Deshalb hat der Supreme Court eine Vereinfachung der Rule of Reason vorgeschlagen, bei der es ausreicht eine hohe und ungerechtfertigte Vermögensübertragung (large and unjustified Payment) nachzuweisen. Eine Modifizierung der Rule of Reason ist ein bereits in der Vergangenheit angewendetes Mittel, um auf die Besonderheiten bestimmter Märkte einzugehen und in der Rechtsprechung des Supreme Courts anerkannt.216 Eine strukturierte Rule of Reason verspricht einerseits Ergebnisse, die dem Einzelfall gerecht werden, und andererseits bietet sie Rechtssicherheit für Unternehmen, die eine Vergleichsvereinbarung schließen möchten. II. Konsumentenwohlfahrt Der Supreme Court bewertet in seiner Actavis-Entscheidung die geschlossenen Vereinbarungen anhand der Frage, ob es durch sie zu positiven oder negativen Auswirkungen auf die Konsumenten kommt.217 Seine kartellrechtliche Betrachtung orientiert sich somit nicht an der Frage, ob durch die Vereinbarung insgesamt Effizienzgewinne hervorgerufen werden. Nach dem sogenannten Total Welfare Test würde eine Vereinbarung auch dann als wettbewerbsfördernd angesehen werden, wenn es durch die Vereinbarung zu Effizienzgewinnen bei den beteiligten Unternehmen, nicht aber bei den Konsumenten, kommt.218 Vielmehr bewertet der Supreme Court die Vereinbarung einheitlich anhand ihrer Auswirkungen auf die Konsumenten. So stellt auch die Dissenting Opinion von Richter Roberts die Frage nach der Konsumentenwohlfahrt (Consumer Welfare).219 Dieser Ansatz entspricht auch der gefestigten Rechtsprechung der letzten Jahre im Rahmen von horizontalen Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern.220

216

Leegin Creative Leather Products, Inc. v. PSKS, Inc., 551 U.S. 877, 898 (2007): „Courts can, for example, devise rules over time for offering proof, or even presumptions where justified, to make the rule of reason a fair and efficient way to prohibit anticompetitive restraints and to promote procompetitive ones.“; auch Hovenkamp plädiert für die Anwendung der Rule of Reason und formuliert überspitzt: „Of course, the simplest rule is no rule at all […].“, Hovenkamp, 15 Minn.J.L.Sci&Tech. 3, 27 (2014). 217 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2237 (2013). 218 Edlin/Hemphill/Hovenkamp/Shapiro, Activating Actavis, 28 Antitrust 16, 17 (2013); Hovenkamp, 15 Minn.J.L.Sci&Tech. 3, 7 (2014). 219 „The point of antitrust law is to encourage competitive markets to promote consumer welfare.“, FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2238 (2013). 220 Vertiefend: Hovenkamp , 81 Fordham L.Rev. 2471, 2476 (2013).

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III. Vermögensübertragung als wesentliches Kriterium Vor der Actavis-Entscheidung waren Gerichte höchst uneins darüber, welcher rechtliche Überprüfungsstandard bei Pay-for-Delay-Vergleichen anwendbar sein sollte. Die Entscheidung des Supreme Courts hat diesbezüglich Klarheit geschaffen. Für die Rule of Reason sei vor allem ein Faktor bei der Untersuchung der Vergleichsvereinbarung entscheidend, nämlich die Vermögensübertragung des Patentinhabers an den potentiellen Patentverletzer. Der Supreme Court schreibt dieser in vielfacher Hinsicht Indikatorwirkung zu. Die Vermögensübertragung sei einerseits als „Surrogat für die Schwäche des Patents“ heranzuziehen. Eine hohe und ungerechtfertigte Vermögensübertragung lasse außerdem den Rückschluss auf negative Wettbewerbseffekte zu: „[…] the payment (if otherwise unexplained) likely seeks to prevent the risk of competition. And […] that consequence constitutes the relevant anticompetitive harm. In a word, the size of the unexplained reverse payment can provide a workable surrogate for a patent’s weakness, all without forcing a court to conduct a detailed exploration of the validity of the patent itself.“221

An anderer Stelle führt der Supreme Court aus, dass die Vermögensübertragung auch zu der Annahme führe, dass der Patentinhaber Zweifel an der Wirksamkeit seines Patents habe: „An unexplained large reverse payment itself would normally suggest that the patentee has serious doubts about the patent’s survival. And that fact, in turn, suggests that the payment’s objective is to maintain supracompetitive prices to be shared among the patentee and the challenger rather than face what might have been a competitive market – the very anticompetitive consequence that underlies the claim of antitrust unlawfulness.“

1. Indizwirkung für die Schwäche des Patents Die Annahme, dass eine hohe und ungerechtfertigte Vermögensübertragung als Indiz für die Zweifel des Patentinhabers an der Wirksamkeit seines Patents oder gar objektiv für die Schwäche des Patents herangezogen werden könne, wird durch Richter Roberts in der Dissenting Opinion kritisiert.222 Zu Recht weist Roberts darauf hin, dass aufgrund der zwischen Patentinhaber und Generikahersteller starken Ungleichverteilung des Prozessrisikos der Patentinhaber auch dann bereit sei, eine hohe Vermögensübertragung zu leisten, wenn er von der Wirksamkeit seines Patents überzeugt ist. Dies spiegeln auch die Ergebnisse des zweiten Teils der vorliegenden Arbeit wider.223 Insbesondere im pharmazeutischen Sektor können Innovationsvorsprünge fast ausschließlich durch Patente gesichert werden.224 Die Bereitschaft 221 222 223 224

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 f. (2013). FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2244 (2013) (Roberts dissenting). Siehe S. 62 ff. Hierzu genauer: ab S. 65.

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des Patentinhabers, hohe Zahlungen zu tätigen, resultiert deshalb nicht notwendigerweise aus Zweifeln an der Wirksamkeit des Patents, sondern ist auf die Risikoasymmetrie zurückzuführen, die zwischen Patentinhaber und Generikahersteller besteht.225 Die Vermögensübertragung ist deshalb als monokausales Surrogat für die Zweifel des Patentinhabers ungeeignet. Diesbezüglich ist auch wenig nachvollziehbar, warum der Supreme Court noch einen Schritt weitergeht und feststellt, dass eine Vermögensübertragung nicht nur Indiz für die subjektiven Zweifel des Patentinhabers ist, sondern ganz objektiv als „Surrogat für die Schwäche des Patents“ herangezogen werden könne.226 Das oberste Gericht erklärt diese Annahme nur eingeschränkt. Der Verweis auf die Zweifel des Patentinhabers an dessen Wirksamkeit scheint für den Supreme Court auch ein Hinweis dafür zu sein, dass das Patent auch ganz objektiv „schwach“ ist und ein erhebliches Risiko der Nichtigerklärung im Prozess zu erwarten war. Zwar kann der Patentinhaber in den meisten Fällen die Erfolgsaussichten im Nichtigkeitsprozess wohl am besten einschätzen. Allerdings ist bereits der gedankliche Schluss, dass Zweifel des Patentinhabers die tatsächliche Schwäche des Patents belegen, zu ungenau. Denn der Patentinhaber scheut insbesondere im pharmazeutischen Bereich selbst geringe Risiken der Nichtigerklärung seines Patents. Deshalb kann eine hohe und ungerechtfertigte Vermögensübertragung nicht Surrogat für die tatsächliche Patentschwäche sein. Hieran ändern auch statistische Argumente nichts. Zwar verweisen einige auf den Umstand, dass in den USA viele Patente für nichtig erklärt werden beziehungsweise überproportional viele Entscheidungen hierzu von höheren Instanzen wiederaufgehoben werden.227 Jedoch stellt dieses Argument letzten Endes jedes Patent unter einen Generalverdacht. Hinzu kommt die Gefahr falsch positiver Einordnungen. 2. Abkauf des Wettbewerbsrisikos Im Actavis-Urteil geht das Gericht außerdem von der Prämisse aus, dass dem durch den Hatch-Waxman Act in Gang gesetzten Verfahren, in dessen Zuge es mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Prozess über die Frage der Patentverletzung (und damit auch zur Überprüfung des Patents selbst) kommt, selbst bereits das Risiko des 225 Vgl. Gassner, A&R 2010, 3, 10; Schmid, S. 120; a.A.: Shapiro, Shapiro, 17 Antitrust 70, 72 (2003). 226 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 f. (2013). 227 Hovenkamp, 15 Minn.J.L.Sci&Tech. 3, 21 (2014); noch weiter geht die Meinung, wonach nicht die Höhe der Vermögensübertragung, sondern die Differenz in den Aktienkursen des Originalherstellers Indizwirkung haben soll für die Frage, ob es zu einem aufgeschobenen Markteintritt gekommen ist: McGuire/Drake/Elhauge/Hartman/Starr, Resolving ReversePayment Settlements With the Smoking Gun of Stock Price Movements, Discussion Paper No. 823, 2015, abrufbar unter: http://dash.harvard.edu/bitstream/handle/1/17743078/Elhauge_ 823.pdf?sequence=1; Drake/Starr/Mcguire, 22 Int.J. of the Economics of Business 173, 173 (2015).

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Wettbewerbs inhärent ist. Für den Supreme Court ist hierbei nicht von Belang, ob die Parteien ohne Vermögensübertragung möglicherweise ein wettbewerbsfreundlicheren Vertrag geschlossen hätten; dann wäre sicherlich ein Wettbewerbsschaden anzunehmen. Stattdessen sei bereits die „Vermeidung des Risikos der Patentnichtigerklärung“ als wettbewerbsschädlich einzuordnen, wenn diese Vermeidung nicht durch die Stärke des Patents, sondern durch „den Einsatz der Monopolgewinne“ erreicht werde – „concern that a patentee is using its monopoly profits to avoid the risk of patent invalidation or a finding of noninfringement.“228 Durch die Übertragung vermögenswerter Leistungen des Patentinhabers auf den Generikahersteller wird diese Wahrscheinlichkeit beziehungsweise das Risiko229 des Wettbewerbs abgekauft. Nach Ansicht des Gerichts führt dieser Abkauf des Wettbewerbsrisikos bereits zu einer Wettbewerbseinschränkung. Eine mögliche Interpretation dieser Aussage geht dahin, dass selbst die äußerst geringe Wahrscheinlichkeit, dass der Patentinhaber den Prozess verliert, bereits eine schützenswerte Form des Wettbewerbs darstellt, dessen Abkauf als Wettbewerbsbeschränkung einzuordnen ist.230 Dies wiederum hänge mit den grundsätzlich wettbewerbsfördernden Mechanismen des Hatch-Waxman Act zusammen. Dessen Bestimmungen sollen die Herausforderung bestimmter Patente fördern. Der regulatorische Rahmen ruft damit in den Augen des Supreme Courts einen Prozess hervor, der selbst bereits als Teil des Wettbewerbs zu verstehen ist und dessen ungerechtfertigte Einschränkung unzulässig ist. Tatsächlich waren die Hatch-Waxman-Mechanismen entwickelt worden, um Generikamedikamente schneller auf den Markt zu bringen und dies insbesondere auch durch die Herausforderung von Patenten zu gewährleisten.231 Insofern ist die Herangehensweise des Supreme Courts konsequent. Dieser Ansatz, eine ungerechtfertigte Vermögensübertragung als Abkauf eines Wettbewerbsrisikos und damit als Wettbewerbsschädigung anzusehen, hat zur gewünschten Konsequenz, dass die komplexe und kostenaufwändige Untersuchung des Patents vermieden wird. Für den Supreme Court ist die Vermögensübertragung damit der „Schlüssel zur Ermittlung der Beweggründe der Parteien, die Vereinbarung zu schließen, sowie für das Potential wettbewerbswidriger Auswirkungen“.232

228

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 (2013). Zur Frage der Auslegung des Begriffs „risk“: Drake/Starr/Mcguire, 22 Int.J. of the Economics of Business 173, Fn. 4 (2015). 230 Edlin/Hemphill/Hovenkamp/Shapiro, Activating Actavis, 28 Antitrust 16, 17 (2013). 231 Ausführlich ab S. 71. 232 Edlin/Hemphill/Hovenkamp/Shapiro, Actavis and Error Costs, Okt. 2014 Antitrust Source 1, 3. 229

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IV. Konkretisierung des Payment-Begriffs – enger oder weiter Begriff Der Supreme Court hat in seiner Actavis-Entscheidung betont, dass eine Vermögensübertragung (Payment), die hoch (large) und ungerechtfertigt (unjustified) sei, eine kartellrechtswidrige Wettbewerbsbeeinträchtigung darstelle.233 Hierbei ging er verstärkt auf die weitere Konkretisierung und Ausformung dieser beiden Merkmale – large und unjustified – ein. In den folgenden Pay-for-Delay-Entscheidungen zeigte sich jedoch zunächst, dass nicht nur die genannten Begriffe „large“ und „unjustified“, sondern die vorgelagerte Frage nach dem Begriff „Payment“ bereits Auslegungsschwierigkeiten hervorruft. In den Jahren nach Actavis ging es in vielen Entscheidungen um die Frage, wie der Payment-Begriff des Supreme Courts zu verstehen ist. 1. Darstellung des Streitstands Die Urteile zu den Medikamenten Lamictal234 und Loestrin235 legen dabei einen eher strengen Payment-Begriff zugrunde, der sich lediglich auf Geldzahlungen beschränkt. Richter Walls führt in der Lamictal-Entscheidung aus, dass sich an verschiedenen Stellen des Actavis-Urteils Hinweise fänden, die für eine solche enge Auslegung von Payment sprechen.236 Sowohl in der Mehrheitsentscheidung als auch in der Dissenting Opinion fänden sich deutliche (Wortlaut-)Hinweise darauf, dass unter Payment nur der Austausch von Geld (Exchange of Money) gemeint sei. Hinzu komme, dass der Actavis-Entscheidung ein Sachverhalt zugrunde lag, in dem es ebenfalls um Geldzahlungen gegangen sei.237 Auch im Urteil über eine Vereinbarung betreffend das Medikament Loestrin vertrat das erkennende Gericht ein enges Verständnis der Vermögensübertragung, um die Actavis-Grundsätze anzuwenden.238 Payment betreffe nur Geldzahlungen oder sehr nahe Entsprechungen (Close Analogues), befand das Gericht. Der Wert von Vermögensübertragungen, die keine reinen Geldzahlungen darstellten, sei fast unmöglich zu beziffern.239 Fehle es allerdings an der Möglichkeit der Wertbeimessung, so könne die nächstliegende Frage, ob es sich um ein hohes Payment handele, nicht 233 234 235 236

2014). 237

2014). 238 239

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 f. (2013). In re Lamictal Direct Purchaser Antitrust Litigation, 18 F.Supp.3d 560 (D.N.J. 2014). In re Loestrin 24 FE Antitrust Litigation, 45 F.Supp.3d 180 (D.R.I. 2014). In re Lamictal Direct Purchaser Antitrust Litigation, 18 F.Supp.3d 560, 567 f. (D.N.J. In re Lamictal Direct Purchaser Antitrust Litigation, 18 F.Supp.3d 560, 569 (D.N.J. In re Loestrin 24 FE Antitrust Litigation, 45 F.Supp.3d 180 (D.R.I. 2014). In re Loestrin 24 FE Antitrust Litigation, 45 F.Supp.3d 180, 191 (D.R.I. 2014).

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beantwortet werden. Dabei sei dieser vorsichtige Ansatz (Cautious Approach) auch deshalb zu favorisieren, weil das Actavis-Urteil ohnehin schon eine beträchtliche Abweichung vom bisher vertretenen Scope-of-the-Patent-Test und eine deutliche Verschiebung für das Common Law bedeute.240 Hinzu komme, dass das Urteil in Actavis trotz des Wissens um die vielen verschiedenen Formen der Vermögensübertragung diese bewusst nicht angesprochen habe.241 Jedoch sieht inzwischen eine Mehrheit der Gerichte ein derart enges PaymentVerständnis aus verschiedenen Gründen als nicht geboten an.242 Bereits in der Nexium-Entscheidung vertrat Richter Young einen weiten Begriff des Payment.243 Eine solche Auslegung ermögliche eine bessere Ausrichtung der Rechtsprechung auf die tatsächliche Struktur heutiger Vergleichsvereinbarungen.244 Hinzu komme das weite Begriffsverständnis, wie es durch das Black’s Law Dictionary vorgegeben wird, wonach unter Payment auch andere Wert-Formen fallen.245 Richter DuBois verweist außerdem auf ähnliche Ausführungen aus anderen Rechtsgebieten, in denen allesamt unter Payment nicht bloße Geldzahlungen verstanden werden.246 Auch in ihren Wirkungen seien Geldzahlungen und andere Formen der Wertübertragung gleich; insbesondere vor dem Hintergrund, dass im kartellrechtlichen Kontext gerade keine zu formalistischen Betrachtungsweisen angebracht seien, sondern viel eher die wirtschaftlichen Gegebenheiten eine Rolle spielten.247 Richter Sheridan betont den allgemeinen Fokus des Supreme Courts auf den Zweck der Vermögensübertragung: Zwar bespreche die Entscheidung in Actavis lediglich Geldzahlungen, jedoch käme es dem Supreme Court auf die „wettbewerbsfeindliche Intention“ hinter dem Payment an, was gegen eine Unterscheidung zwischen Geldzahlung und anderen Arten der Vermögensübertragung spreche.248 Im Juni 2015 nahm erstmals ein Berufungsgericht (3rd Circuit) zur Auslegung des Begriffs Payment Stellung. Das Gericht

240

In re Loestrin 24 FE Antitrust Litigation, 45 F.Supp.3d 180, 192 (D.R.I. 2014). In re Loestrin 24 FE Antitrust Litigation, 45 F.Supp.3d 180, 194 (D.R.I. 2014). 242 United Food and Commercial Workers Local 1776 & Participation Employers Health and Welfare Fund v. Teikoku Pharma USA, Inc., 74 F.Supp.3d 1052, 1069 f. (N.D.Cal. 2014). 243 In re Nexium (Esomeprazole) Antitrust Litigation, 968 F.Supp.2d 367 (D.Mass. 2013); ebenfalls: In re Lipitor Antirtust Litigation, 2013 WL 4780496, bei *26 (D.N.J. 2013). 244 In re Nexium (Esomeprazole) Antitrust Litigation, 968 F.Supp.2d 367, 392 (D.Mass. 2013). 245 In re Effexor XR Antitrust Litigation, 2014 WL 4988410, bei *19 (D.N.J. 2014); In re Niaspan Antitrust Litigation, 42 F.Supp. 3d 735, 751 (E.D.Pa. 2014). 246 United States v. Juan-Manuel, 222 F.3d 480, 485 (8th Cir. 2000); United States v. PerezRuiz, 169 F.3d 1075, 1076 (7th Cir. 1999); Bevill, Bresler & Schulman Asset Mgmt. Corp. v. Spencer Sav. & Loan Association, 878 F.2d 742, 751 f. (3rd Cir. 1989); In re Niaspan Antitrust Litigation, 42 F.Supp. 3d 735, 751 (E.D.Pa. 2014). 247 United States v. Dentsply International, Inc., 399 F.3d 181, 189 (3rd Cir. 2005); In re Niaspan Antitrust Litigation, 42 F.Supp. 3d 735, 751 (E.D.Pa. 2014). 248 In re Effexor XR Antitrust Litigation, 2014 WL 4988410, bei *19 (D.N.J. 2014). 241

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hob das eingangs erwähnte Lamictal-Urteil von Richter Walls auf.249 Auch hier begründete Richter Scririca dies mit der gleichen Funktion und Wirkung von Geldzahlungen und anderen Vermögensübertragungen.250 Die Wettbewerbsschädigung, die der Supreme Court in Actavis skizziert habe, liege nach Ansicht des obersten Gerichts in der Verhinderung des Risikos, dass der Prozess zu Ungunsten des Patentinhabers entschieden wird und in der Folge ein Wettbewerb entsteht.251 Im November 2016 lehnte der Supreme Court eine Revision des Falls durch Writ of Certiorari ab.252 Im Februar 2016 hob der 1st Circuit die Loestrin-Entscheidung auf und bezog ebenfalls Stellung zur Frage des Payment-Begriffs.253 Wie bereits der 3rd Circuit vertritt das Gericht einen weiten Payment-Begriff.254 Eine Unterscheidung zwischen beiden Formen der Vermögensübertragung wird auch verneint, damit sich das Recht an die heutigen Strukturen von Pay-for-Delay-Vergleichen anpassen könne.255 Auch in der Literatur werden neben reinen Gelzahlungen die nicht-monetären Formen der Vermögensübertragung vom Begriff des Payment erfasst.256 Die FTC vertritt ebenfalls einen weiten Payment-Begriff. Hierzu würden sowohl No-AGVereinbarungen sowie für den Generikahersteller gewinnbringende Vertriebsvereinbarungen zählen.257 2. Stellungnahme Der Wortlaut der Actavis-Entscheidung ist nicht eindeutig und lässt an einigen Stellen die Vermutung zu, dass der Supreme Court unter Payment lediglich Geldzahlungen versteht. So führt er in einigen Passagen unter anderem aus: 249 King Drug Company of Florence, Inc. v. Smithkline Beecham Co., 791 F.3d 388 (3rd Cir. 2015). 250 King Drug Company of Florence, Inc. v. Smithkline Beecham Co., 791 F.3d 388, 404 (3rd Cir. 2015). 251 King Drug Company of Florence, Inc. v. Smithkline Beecham Co., 791 F.3d 388, 404 ff. rd (3 Cir. 2015). 252 Smithkline Beecham Co. v. King Drug Company of Florence, Inc., 137 S.Ct. 446 (2016). 253 In re Loestrin 24 FE Antitrust Litigation, Case: 14 – 2071, 15 – 1250 (1st Cir. 2016). 254 In re Loestrin 24 FE Antitrust Litigation, Case: 14 – 2071, 15 – 1250, S. 24 ff. (1st Cir. 2016). 255 In re Nexium (Esomeprazole) Antitrust Litigation, 968 F.Supp.2d 367, 392 (E.D.Mass. 2013); ebenso: Time Insureance Comp. v. AstraZeneca AB, 52 F.Supp.3d 705, 709 f. (E.D. Pennsylvania 2015); auch der Supreme Court von Kalifornien wies auf den Umstand hin, dass direkte Geldzahlungen lediglich ein „Relikt“ darstellten und heutzutage nicht mehr vorkämen, In re Cipro Cases I & II, 61 Cal.4th 116, Fn. 11, (S.Ct.Cal. 2015). 256 Carrier, Payment After Actavis, 100 Iowa L.Rev. 7, 44 (2014); Davis/McEwan, 67 Rutgers Univ.L.Rev. 557, 570 (2015). 257 FTC v. Abbvie, Inc., Complaint for Injunctive and Other Relief, 2014 WL 4412369, Rn. 120 (E.D. Pa. 2014).

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3. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in den USA

„Company A, the patentee, to pay B many millions of dollars.“ oder „agreed to pay the defendants many millions of dollars to stay out of its market […]“.258

Später im Urteil heißt es weiter: „In reverse payment settlements, in contrast, a party with no claim for damages […] walks away with money simply so it will stay away from the patentee’s market.“259

Dabei treten diese Formulierungen immer im Zusammenhang mit der Nennung von Beispielen auf. An diesen Stellen verdeutlicht und erklärt der Supreme Court seine abstrakte Argumentation. Dabei wäre nachvollziehbar, dass er aus Gründen der Klarheit und Verständlichkeit nicht auf weitere Arten von Vermögensübertragungen eingeht, ohne diese auschließen zu wollen, sondern die simpelste Form der Vermögensübertragung – nämlich Geldzahlungen – zur Verdeutlichung wählt.260 Insofern ist der Wortlaut der Entscheidung nicht eindeutig, um zu ermitteln, ob der Supreme Court mit dem Begriff Payment lediglich Geldzahlung meint. Aus kartellrechtlicher Perspektive problematisch sieht das Gericht den Umstand, dass der Patentinhaber mit Hilfe des Vergleichs die Preise für sein Medikament weiterhin auf hohem Niveau halten kann und so diese Gewinne aus dem „Monopolrecht“ mit dem Generikahersteller – zu Lasten der Verbraucher – aufteilt.261 Hierbei wird deutlich, dass es dem Supreme Court weniger auf die konkrete Art der Vermögensübertragung ankommt, als vielmehr auf die Gefahr, dass Gewinne zwischen zwei Wettbewerbern aufgeteilt werden und der Patentinhaber durch die Zahlung den Generikahersteller zur Aufgabe des Rechtsstreits veranlasst.262 Dies spricht für ein funktionales Verständnis. Abzustellen wäre demnach auf den Zweck, der mit der Vermögensübertragung verfolgt wird und nicht auf ihre konkrete Form.263 Neben dem Zweck des Payment konzentrierte sich die Argumentation des Supreme Courts auch auf die mit der Vermögensübertragung einhergehende Wirkung. Eine mit traditionellen Kartellrechtsrechtfertigungen nicht begründbare Vermögensübertragung habe das Potential, das „Risiko von Wettbewerb“ auszuschließen. Dieser Ausschluss stelle bereits die Wettbewerbsbeeinträchtigung dar.264 Stellt man auf die Wirkung ab, so darf es ebenfalls keinen Unterschied machen, ob es sich bei 258

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2227 und 2233 (2013). FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2233 (2013). 260 So auch: Carrier, „No-Authorized-Generic“ Promises, 67 Rutgers Univ.L.Rev. 697, 706 (2015). 261 „[…] payment in return for staying out of the market – simply keeps prices at patenteesett levels, potentially producing the full patent-related […] monopoly return while dividing that return between the challenged patentee und the patent challenger. The patentee and the challenger gain; the consumer loses“, FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2234 (2013). 262 „The payment may instead provide strong evidence that the patentee seeks to induce the generic challenger to abandon its claum with a share of its monopoly profits that would otherweise be lost in the competitive market“, FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2235 (2013). 263 Davis/McEwan, 67 Rutgers Univ.L.Rev. 557, 569 (2015). 264 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 (2013). 259

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der Vermögensübertragung um eine Geldzahlung oder andere nicht-monetäre Formen handelt.265 Der Ausblick auf einen wie auch immer gearteten Vermögenszuwachs stellt einen Anreiz für den Generikahersteller dar, seine Bestrebung, das Patent für nichtig erklären zu lassen, aufzugeben. Der Sinn und Zweck des Urteils ist es, eine grundsätzliche Richtungsweisung für Pay-for-Delay vorzunehmen und damit den Circuit Split zu beenden.266 Dieses Ziel wäre hingegen verfehlt, wenn einer engen Auslegung des Payment-Begriffs gefolgt würde. Heutzutage treten derartig offensichtliche267 Vermögensübertragungen in Form von Geldzahlungen nämlich nur noch selten auf.268 Vor allem Vereinbarungen, die den Verzicht auf autorisierte Generika (No-AG-Vereinbarung) beinhalten, nehmen in den USA hingegen weiter zu.269 Daneben gibt es diverse andere Möglichkeiten, eine Vermögensübertragung auszugestalten, ohne dass es zu einer Geldzahlung kommt. Beispielsweise können Unternehmen ihre Produkte unter Wert oder gar ohne Gegenleistung und insbesondere auch bestimmte Immaterialgüterrechte an den Generikahersteller übertragen.270 Das Urteil des Supreme Courts würde einen verschwindend geringen Anteil an heutzutage tatsächlich noch geschlossenen Vereinbarungen betreffen, wenn man einen engen Payment-Begriff zugrunde legte; dies hätte das Wiederaufbrechen des Circuit Splits zur Folge. In einem Brief of Amici Curiae des American Antitrust Institute an den District Court of Pennsylvania wird die Befürchtung geäußert, dass das Urteil des Supreme Courts bei einer engen Auslegung zu einem Dead Letter reduziert würde.271 Diese Bedenken leuchten vor allem deshalb ein, weil anzunehmen ist, dass die Actavis-Entscheidung die Pay-forDelay-Problematik umfassend regeln wollte. Es lässt sich deshalb bezweifeln, dass der Supreme Court mit Payment lediglich Geldzahlungen meinte. Ein enges Payment-Verständnis würde außerdem ermöglichen, dass die Rule of Reason-Kontrolle mit einem einfachen Side Deal oder anderen Formen von Vereinbarungen, die keine direkte Geldzahlung darstellen oder eine solche beinhalten,

265

So bereits: Shapiro, 34 Rand J. of Economics 391, 408 (2003). Vgl. FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2230 (2013): „Because different courts have reached different conclusions about the application of the antitrust laws to Hatch-Waxmanrelated patent settlements, we granted the FTC’s petition“; nähere Ausführungen zum Circuit Split ab S. 91. 267 Wie beispielsweise in der Vereinbarung zwischen Bayer und Barr, nach der sich Bayer verpflichtete, Barr knapp $400 Mio. zu zahlen, In re Cipro Cases I & II, 61 Cal.4th 116, 132, (S.Ct.Cal. 2015). 268 Siehe die Entwicklung von Pay-for-Delay Vereinbarungen ab S. 31. 269 FTC, Overview of Agreements Filed in FY 2012, Januar 2013, S. 2, abrufbar unter: https://www.ftc.gov/reports/agreements-filed-federal-trade-commission-under-medicare-pre scription-drug-improvement. 270 Davis/McEwan, 67 Rutgers Univ.L.Rev. 557, 558 (2015). 271 Carrier/Shadowen, Nr. 2:08-cv-2431, S. 3; so auch Davis/McEwan, 67 Rutgers Univ. L.Rev. 557, 558 (2015). 266

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3. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in den USA

umgangen werden könnte.272 Gerichte wären dann nämlich nicht an die ActavisGrundsätze gebunden und könnten ihre bisherige Rechtsprechung anwenden – so würde beispielsweise das Berufungsgericht des 11th Circuits im Falle einer direkten Geldzahlung die Rule of Reason anwenden, hingegen bei einer anderen Form der Vermögensübertragung seinen bisherigen Scope-of-the-Patent-Test. Diese Grenzziehung zwischen bloßer Geldzahlung und der Übertragung anderer Vermögenswerte mit der Folge einer unterschiedlichen Prüfung ist deshalb abzulehnen. Auch das oberste Gericht von Kalifornien sieht in seiner Entscheidung zum Medikament Cipro die Gefahr, dass ein zu enger Payment-Begriff den Parteien die Möglichkeit gäbe, ihre Vermögensübertragungen durch nicht-monetäre Formen als „Feigenblatt“ zu verschleiern, um einer strengeren Prüfung nach der Rule of Reason zu entgehen.273 Die Gegenansicht, die unter Payment lediglich Geldzahlungen oder naheliegende Entsprechungen (Close Analogues) versteht,274 weist darauf hin, dass andere Formen der Vermögensübertragung oftmals eine Komplexität aufwiesen, die es schwierig bis unmöglich mache, der Vermögensübertragung einen definitiven Wert zuzuschreiben.275 Diesem Argument begegnet Richter Orrick in seiner Entscheidung zum Medikament Lidoderm mit der Einschätzung, dass es in den meisten Fällen durchaus brauchbare Ansätze gebe, die eine Wertbestimmung bestimmter Lizenzvereinbarungen ermöglichten.276 Selbst wenn in Einzelfällen einer Leistung einer Partei kein Marktwert beizumessen ist, ist zu ermitteln, welchen Wert die Leistung aus Sicht des Empfängers gehabt hat.277 Eine weite Auslegung des Payment-Begriffs wird teilweise damit kritisiert, dass hierdurch Vergleichsvereinbarungen unattraktiv gemacht würden.278 Mit eben dieser Befürchtung beschäftigte sich der Supreme Court in Actavis. Er führte hierzu aus: „[T]he fact that a large, unjustified reverse payment risks antitrust liability does not prevent litigating parties from settling their lawsuit. They may, as in other industries, settle in other ways, for example, by allowing the generic manufacturer to enter the patentee’s market prior 272 Dies räumt auch Richter Smith ein in In re Loestrin 24 FE Antitrust Litigation, 45 F.Supp.3d 180, 194 (D.R.I. 2014). 273 In re Cipro Cases I & II, 61 Cal.4th 116, 152 (S.Ct.Cal. 2015). 274 In re Loestrin 24 FE Antitrust Litigation, 45 F.Supp.3d 180, 191 (D.R.I. 2014). 275 In re Lamictal Direct Purchaser Antitrust Litigation, 18 F.Supp.3d 560, 569 (D.N.J. 2014); ähnliche Begründung, In re Loestrin 24 FE Antitrust Litigation, 45 F.Supp.3d 180, 193 (D.R.I. 2014): „But, without a better grasp of the true value of the consideration paid by the brand manufacturer, it is impractical (if not impossible) to assess and compare these revenues to the alleged reverse payment, as each of the five Actavis factors plainly requires“. 276 United Food and Commercial Workers Local 1776 & Participating Employers Health and Welfare Fund v. Teikoku Pharma USA, Inc., 74 F.Supp.3d 1052, 1069 f. (N.D.Cal. 2014). 277 Shapiro, 34 Rand J. of Economics 391, 408 (2003). 278 In re Loestrin 24 FE Antitrust Litigation, 45 F.Supp.3d 180, 192 (D.R.I. 2014); FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2247 (2013) (Roberts dissenting).

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to the patent’ expiration, without the patentee paying the challenger to stay out prior to that point.“279

Die Gefahr, dass mit seiner Rechtsprechung den an einem Patentrechtsstreit beteiligten Unternehmen eine erhebliche Bandbreite an Gestaltungsmöglichkeiten ihrer prozessbeendenden Vergleichsvereinbarung genommen wird, hat das oberste Gericht dabei durchaus erkannt. Wie in dem oben genannten Fazit allerdings zum Ausdruck kommt, ergibt nach Meinung des Supreme Courts eine Interessenabwägung, dass diese Einschränkung gerechtfertigt sei. Angesichts des wettbewerbswidrigen Potentials von großen und ungerechtfertigten Vermögensübertragungen scheint dieses Ergebnis nachvollziehbar. In jedem Fall scheint eine Beschränkung des Payment-Begriffs einzig aus der Überlegung heraus, den Parteien eines Rechtstreits alle Möglichkeiten der Streitbeilegung offenzuhalten, nicht sinnvoll und lässt sich mit den übrigen Erwägungen des Supreme Courts nicht vereinbaren. Eine Vermögensübertragung nach dem Actavis-Vorbild beschränkt sich deshalb nicht auf rein monetäre Formen, sondern umfasst auch Vermögensübertragungen nichtmonetärer Natur. 3. No-Authorized-Generics-Vereinbarungen Im Folgenden soll eine in den USA besonders beliebte Form der Vereinbarung näher betrachtet werden. Gleichsam umstritten wie relevant bleibt die Frage, ob es sich bei Versprechen des Originalpräparateherstellers, keine eigenen (autorisierten) Generika während eines gewissen Zeitraums zu vermarkten, um eine Vermögensübertragung handelt und ob diese unter den Payment-Begriff fällt. Konkret wird mit dem Begriff des autorisierten Generikums (Authorized Generic) das Medikament bezeichnet, das der Originalhersteller neben dem Original als Generikum vertreibt oder mit Zustimmung vertreiben lässt. Unter einer No-Authorized-Generics-Vereinbarung (No-AG-Vereinbarung) versteht man das Versprechen des Originalpräparateherstellers, kein Medikament zu vermarkten, das aufgrund seines zum Originalmedikament vergleichsweise niedrigen Preises den Generikaherstellern zusätzlich Konkurrenz machen soll. Derartige Vereinbarungen betreffen in der Regel den besonders lukrativen 180-tägigen Exklusivzeitraum des Generikaherstellers, der als erster einen ANDA-IV-Antrag bei der FDA stellt. a) Möglichkeit der Vermarktung autorisierter Generika Originalpräparatehersteller haben grundsätzlich die Möglichkeit selbst Generika zu vermarkten. Da der Arzneimittelhersteller eine (Erst-)Zulassung (New Drug

279

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2237 (2013).

132

3. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in den USA

Application280) für das Original erhalten hat, ist inzwischen anerkannt, dass er diese Zulassung auch für den Vertrieb des Wirkstoffes als Generikum verwenden darf. Für Originalhersteller ist dieses Instrument vorrangig dann interessant, wenn die Markteinführung von Generika durch Dritte droht. In diesem Fall bietet die Möglichkeit, autorisierte Generika seitens des Originalherstellers auf den Markt zu bringen, ein großes Druckpotential, da sie die Generikahersteller ihrerseits einem großen Preisdruck aussetzen. Die Bezeichnung autorisierter Generika als „Atomwaffe“281 verdeutlicht dies drastisch. Besonders deutlich wird dies in der Situation, in der der erstanmeldende Generikahersteller aufgrund einer 180-tägigen Exklusivität ansonsten einziger Generikahersteller wäre, da er ohne das autorisierte Generikum den gesamten Generikamarkt beherrschen würde. Dabei wurde in der Vergangenheit mehrfach die Frage aufgeworfen, ob der Exklusivitätszeitraum die Vermarktung eines autorisierten Generikums überhaupt zulässt. Zum Streit über die Vermarktung eines autorisierten Generikums kam es beispielsweise im Fall um das Medikament mit dem Wirkstoff Gabapentin.282 Pfizer hatte das Originalpräparat Neurotin hergestellt. Nach Anmeldung einer ANDA-Zulassung erhielt Purepac die Möglichkeit für die Dauer von 180 Tagen sein Generikum zu vermarkten, ohne dass weitere Generikazulassungen ausgesprochen werden würden.283 Purepac vereinbarte daraufhin mit dem Generikahersteller Teva, dass Teva dessen Zulassung nutzen dürfe und im Gegenzug seine Einnahmen mit Purepac teile. Der Originalpräparatehersteller Pfizer vermarktete sein eigenes (autorisiertes) Generikum während des Exklusivitätszeitraums. Teva versuchte dies zu verhindern, indem es die FDA aufforderte, Pfizers Generikum zu verbieten. Die die 180-tägige Exklusivität betreffende Regelung im Hatch-Waxman Act sei ihrem Sinn und Zweck nach darauf gerichtet, den erstanmeldenden Generikahersteller mit einer allumfassenden Exklusivität zu belohnen. Die Bestimmung sei deshalb so auszulegen, dass sie auch das Verbot der Vermarktung autorisierter Generika durch den Originalpräparatehersteller enthalte.284 Sowohl die FDA als auch die hiergegen eingeschalteten Gerichte waren jedoch anderer Ansicht.285 Die Regelung im Hatch-Waxman Act286 enthalte keinen Interpretationsspielraum, da ihr Wortlaut eindeutig sei. Dieser ordne an, dass nach der Zulassung des ersten Generikums für die Dauer von sechs Monaten keine weiteren ANDA-Generika zugelassen werden dürfen. Die Sperrfrist beziehe sich explizit lediglich auf Generika, deren Zulassung über einen ANDA-Antrag und nicht über

280

Ausführlich ab S. 72. KOM, Beschluss v. 9. 7. 2014, C(2014) 4955 endg., Sache AT.39612 – Perindopril (Servier), Rn. 203 – 205, Fn. 2448. 282 Teva Pharmaceutical Industries Ltd. v. Crawford, 410 F.3d 51 (D.C. Cir. 2005). 283 Teva Pharmaceutical Industries Ltd. v. Crawford, 410 F.3d 51, 52 (D.C. Cir. 2005). 284 Teva Pharmaceutical Industries Ltd. v. Crawford, 410 F.3d 51, 53 (D.C. Cir. 2005). 285 Teva Phamaceutical Industries Ltd. v. Food and Drug Admin., 355 F.Supp. 2d 111 (D.C. 2004). 286 Section 355(j)(5)(B)(iv). 281

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einen NDA-Antrag erfolgt sei.287 In Bezug auf Generika, die durch den Originalpräparatehersteller hergestellt und vermarktet werden, werde hingegen keine Aussage getroffen. Dieser Einschätzung ist zuzustimmen. Zwar ist Sinn und Zweck der Exklusivität, einen Anreiz für Generikahersteller zu bieten, einen möglichst frühzeitigen Markteintritt und damit Wettbewerb zu erreichen. Jedoch sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass der Telos hinter dem gesamten Hatch-Waxman Act der Ausgleich der Interessen des Patentinhabers, des Generikaherstellers sowie der Allgemeinheit ist. Dieser Zweck soll durch einen möglichst frühzeitigen Generikawettbewerb unter gleichzeitiger Wahrung der Interessen des Patentinhabers verwirklicht werden. Das Lancieren eines autorisierten Generikums zusammen mit dem Erstanmelder führt zu eben diesem erwünschten Generikawettbewerb. Zwar führt dieser Wettbewerb zu einer Aufteilung der Marktanteile und damit zu erheblich weniger Umsatz des Erstanmelders als dies ohne autorisierte Generika der Fall wäre. Jedoch besteht trotz dieses Duopols aus Erstanmelder und autorisiertem Generikum für den Erstanmelder immer noch ein starker Anreiz, überhaupt eine ANDA-IVAnmeldung einzureichen. Dies wird aus Erfahrungen der Vergangenheit deutlich: So zeigt die FTC-Studie, dass in den Jahren 2003 bis 2006 19 bis 21 autorisierte Generika auf den Markt kamen.288 Dies hat jedoch nicht dazu geführt, dass Generikahersteller Interesse an der 180-tägigen Marktexklusivität verloren haben.289 Weder der Wortlaut des Hatch-Waxman Acts noch sein Sinn und Zweck verbieten die Zulassung autorisierter Generika während des Exklusivitätszeitraums.290 b) Die Vermarktung autorisierter Generika im Laufe der Zeit Zwar machten Arzneimittelhersteller von der Möglichkeit der Vermarktung autorisierter Generika bereits in den 90er Jahren Gebrauch, jedoch erwies sich die Methode als wenig profitabel, sodass Anfang des Jahrtausends nur noch vereinzelt autorisierte Generika auf den Markt gelangten.291 Zu diesem Zeitpunkt wurden nur vereinzelt Generikahersteller mit einer 180-tägigen Exklusivität belohnt, weshalb das Druckmittel der No-AG-Vereinbarung keine allzu große Rolle spielte. Nachdem jedoch immer mehr Generikahersteller vom 180-tägigen Exklusivitätszeitraum Gebrauch machten, nutzten Arzneimittelhersteller in den USA wieder vermehrt jene 287

Teva Phamaceutical Industries Ltd. v. Food and Drug Admin., 355 F.Supp. 2d 111, 117 f. (D.C. 2004); so auch: Mylan Pharmaceuticals v. U.S. Food and Drug Admin., 454 F.3d 270, 276 f.; Sonofi-Aventis v. Apotex, 659 F.3d 1171, 1175. 288 FTC, Authorized Generic Drugs, S. 11. 289 Dies zeigt sich bereits an den genehmigten Generika und deren Anmeldedaten: FDA, Paragraph IV Patent Certifications, 31. Mai 2016, abrufbar unter: http://www.fda.gov/down loads/Drugs/DevelopmentApprovalProcess/HowDrugsareDevelopedandApproved/Approva lApplications/AbbreviatedNewDrugApplicationANDAGenerics/UCM293268.pdf. 290 So auch Sonofi-Aventis v. Apotex, 659 F.3d 1171, 1175 (Fed. Cir. 2011). 291 FTC, Authorized Generic Drugs, S. 12.

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3. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in den USA

Möglichkeit, um zu verhindern, dass Generikahersteller sich den Großteil des Generikamarktes während des halben Jahres sichern und um gleichzeitig den sechsmonatigen Zeitraum für Generikahersteller weniger profitabel und damit weniger attraktiv zu gestalten.292 So wurde im Zeitraum zwischen 2003 und 2008 in fast der Hälfte aller Exklusivitätszeiträume ein autorisiertes Generikum als Konkurrenzprodukt zu dem jeweils neu hinzugekommenen Generikum vertrieben.293 In den Folgejahren nahm die Häufigkeit autorisierter Generika wieder ab. Dies liegt auch daran, dass immer häufiger Vereinbarungen getroffen wurden, in denen sich der Originalhersteller zu einem Verzicht auf ein autorisiertes Generikum verpflichtet.294 Inzwischen sind derartige No-AG-Vereinbarungen gängige Praxis geworden: Im Jahr 2010 waren es noch 15 No-AG-Vereinbarungen; 2011 wurden elf solcher Vereinbarungen registriert; 2012 enthielten 19 Vereinbarung eine No-AG-Klausel.295 2013 waren dies nur noch vier.296 Im Jahr 2014 enthielten fünf Vereinbarungen eine No-AG-Verpflichtung.297 c) No-AG-Vereinbarungen als Vermögensübertragung Die Zunahme dieser No-AG-Vereinbarungen zwischen 2008 und 2012 führte dazu, dass Gerichte immer häufiger mit deren Überprüfung auch im Zusammenhang mit Pay-for-Delay-Sachverhalten befasst wurden und die Frage klären mussten, ob es sich bei derartigen Zugeständnissen des Originalherstellers um eine Vermögensübertragung handelt, die in der Absicht geleistet wird, die Markteinführung des Generikaherstellers hinauszuzögern. Die Actavis-Rechtsprechung des Supreme Courts hatte sich mit No-AG-Vereinbarungen nicht befasst und stattdessen lediglich den bereits diskutierten Begriff des Payment verwendet. Nachträglich ergangene Entscheidungen unterer Instanzen beantworten die Frage, ob es sich bei einer NoAG-Vereinbarung um eine Vermögensübertragung des Patentinhabers an den Generikahersteller handelt, unterschiedlich: Die Gerichte in den Entscheidungen Lamictal und Loestrin vertreten jeweils die Auffassung, dass sich Actavis ohnehin nur auf reine Geldzahlungen als Payment

292

Ebd. Ebd., S. 26. 294 Ebd., S. 13. 295 FTC, Overview of Agreements Filed in FY 2012, S. 1, abrufbar unter: https://www.ftc. gov/sites/default/files/documents/reports/agreements-filed-federal-trade-commission-under-me dicare-prescription-drug-improvement-and/130117mmareport.pdf. 296 FTC, Overview of Agreements Filed in FY 2013, S. 1, abrufbar unter: https://www.ftc. gov/system/files/documents/reports/agreements-filled-federal-trade-commission-under-medic are-prescription-drug-improvement/141222mmafy13rpt-1.pdf. 297 FTC, Overview of Agreements Filed in FY 2014, S. 1, abrufbar unter: https://www.ftc. gov/system/files/documents/reports/agreements-filled-federal-trade-commission-under-medic are-prescription-drug-improvement/160113mmafy14rpt.pdf. 293

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beziehe und andere Formen der Vermögensübertragung, insbesondere No-AG-Vereinbarungen ausschließe.298 Im Fall Lidoderm ging es ebenfalls um die Frage, ob eine No-AG-Vereinbarung als Payment zu verstehen ist.299 Die No-AG-Vereinbarung wurde in diesem Fall von Beklagtenseite mit einer „teilweise exklusiven Lizenz“ verglichen.300 Die Wirkung einer solchen Verpflichtung sei im Ergebnis mit der einer Lizenz vergleichbar, da am Ende der Lizenznehmer für die Dauer der Lizenz alleiniger Rechteverwerter sei. Die Erteilung einer solchen exklusiven Lizenz sei durch das Patentrecht jedoch gestattet, weshalb auch einer No-AG-Vereinbarung dieser Schutz zukommen müsse.301 Gegen diesen Vergleich spricht jedoch, dass eine exklusive Lizenz in der Regel zu einer sofortigen Markteinführung führt und diese nicht (künstlich) zeitlich verschiebt, wie dies durch die No-AG-Vereinbarung geschieht.302 Ungeachtet der Frage, ob eine No-AG-Vereinbarung mit einer Lizenz vergleichbar ist, kann grundsätzlich auch eine Lizenzvereinbarung in bestimmten Fällen Gegenstand einer kartellrechtswidrigen Absprache sein. Dies ist dann der Fall, wenn sie nicht für sich selbst genommen eine Marktaufteilung bewirkt, sondern als Mittel zum Zwecke einer Wettbewerbsbeeinträchtigung eingesetzt wird.303 Denn die Frage, die sich hier stellt, ist nicht, ob die Vereinbarung einer Lizenz bereits kartellrechtswidrig ist, sondern, ob sie einen Anreiz darstellt, der dazu führt, dass der Generikahersteller in einen späteren Markteintrittstermin einwilligt.304 Ist in der Vereinbarung ein solcher Anreiz zu erblicken, dann stellt sie eine Vermögensübertragung nach dem Actavis-Vorbild dar, da ihr dasselbe Potential negativer Markteffekte inhärent ist. Dabei wirkt eine NoAG-Vereinbarung als besonders ausgeprägter Anreiz, stellt sie doch Verführung und Drohung gleichermaßen dar: Mit ihr kann der Generikahersteller mit großer Sicherheit davon ausgehen, sich ein hohes Maß an Marktanteilen für Generika zu sichern. Ohne sie drohen der empfindliche Verlust von Marktanteilen und damit erhebliche Gewinneinbußen. Der Supreme Court selbst stellt in Actavis fest, dass

298

In re Lamictal Direct Purchaser Antitrust Litigation, 18 F.Supp.3d 560, 567 (D.N.J. 2014); In re Loestrin 24 FE Antitrust Litig., 45 F.Supp.3d 180, 189 (D.R.I. 2014); hierzu auch ausführlich ab S. 125. 299 United Food and Commercial Workers Local 1776 & Participating Employers Health and Welfare Fund v. Teikoku Pharma USA, Inc., 74 F.Supp.3d 1052 (N.D.Cal. 2014). 300 „Partially exclusive license“, United Food and Commercial Workers Local 1776 & Participating Employers Health and Welfare Fund v. Teikoku Pharma USA, Inc., 74 F.Supp.3d 1052, 1070 (N.D.Cal. 2014). 301 Ebd. 302 Edlin/Hemphill/Hovenkamp/Shapiro, The Actavis Inference, 67 Rutgers Univ.L.Rev. 585, 598 (2015). 303 Vgl. die Argumentation der Gegenseite in dem Verfahren: United Food and Commercial Workers Local 1776 & Participating Employers Health and Welfare Fund v. Teikoku Pharma USA, Inc., 74 F.Supp.3d 1052, 1070 f. (N.D.Cal. 2014). 304 Ebd.

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insbesondere der Exklusivitätszeitraum (ohne autorisiertes Generikum) für den Generikahersteller mehrere hundert Millionen US-Dollar wert sei.305 Das No-AG-Versprechen wirkt auch nach Ansicht von Richter DuBois im Niaspan-Urteil wirtschaftlich wie eine Geldzahlung und sei damit als Payment zu klassifizieren.306 Auch die FTC vertritt die Ansicht, dass No-AG-Vereinbarungen unter den Payment-Begriff fallen.307 Auch in der Literatur wird vertreten, dass der Payment-Begriff weit ausgelegt werden müsse und hierunter auch No-AG-Vereinbarungen fallen.308 Dies wird vielfach mit den enormen wirtschaftlichen Auswirkungen begründet, die eine solche Vereinbarung mit sich bringt. So wird betont, dass ein autorisiertes Generikum während der 180-tägigen Exklusivität den erwarteten Gewinn des Generikaherstellers erheblich schmälere und im Umkehrschluss eine No-AG-Verpflichtung beträchtliche Gewinne garantiere.309 Zudem seien No-AG-Verpflichtungen kein Resultat eines gegenseitigen Nachgebens im Patentstreit.310 So könne eine Patentstreitigkeit entweder zugunsten des Patentinhabers ausgehen (Markteintritt des Generikaherstellers erst nach Patentende) oder aber zugunsten des Generikaherstellers (sofortiger Markteintritt). Ein Kompromiss liege irgendwo dazwischen. Eine No-AG-Verpflichtung könne jedoch nie das Ergebnis eines Patentprozesses sein. Dies spreche dafür, dass ein von den Parteien angesetzter Markteintritt des Generikums nicht mit der Stärke des Patents zusammenhänge, sondern mit dem Zugeständnis, kein autorisiertes Generikum zu vermarkten. d) Stellungnahme Ein No-AG-Versprechen bewirkt wirtschaftliche Nachteile beim Originalhersteller und verspricht zugleich dem Generikahersteller erhebliche wirtschaftliche Sicherheiten. Ein während der 180-tägigen Exklusivität entstehendes Duopol aus autorisiertem Generikum und Konkurrenzgenerikum wird mit einem derartigen Versprechen ausgeschlossen und stellt damit eine Form der Marktaufteilung zweier potentieller Wettbewerber dar.311 Diese Marktaufteilung wirkt dabei noch schwerwiegender als eine bloße Geldzahlung, da sie nicht nur den Zeitpunkt der Markteinführung des Generikums nach hinten verschiebt, sondern darüber hinaus auch den 305

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2229 (2013). In re Niaspan Antitrust Litigation, 42 F.Supp.3d 735, 751 f. (E.D.Pa. 2014). 307 McSweeny, Redemanuskript vom 02. Dezember 2014, Private Antitrust Enforcement Conference, 2014 WL 6882643 (F.T.C.). 308 Carrier, „No-Authorized-Generic“ Promises, 67 Rutgers L.Rev. 697 (2015); Carrier, Payment After Actavis, 100 Iowa L.Rev. 7, 44 (2014). 309 Carrier, „No-Authorized-Generic“ Promises, 67 Rutgers L.Rev. 697, 710 ff. (2015). 310 Carrier, „No-Authorized-Generic“ Promises, 67 Rutgers L.Rev. 697, 712 f. (2015). 311 So auch Carrier, „No-Authorized-Generic“ Promises, 67 Rutgers L.Rev. 697, 718 (2015); Edlin/Hemphill/Hovenkamp/Shapiro, The Actavis Inference, 67 Rutgers Univ.L.Rev. 585, 597 f. (2015). 306

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Wettbewerb nach Einführung des Generikums beschränkt, indem sie dafür sorgt, dass lediglich das eine Generikum, nicht aber das autorisierte Generikum vertrieben wird.312 Insofern führt eine No-AG-Vereinbarung nicht nur dazu, dass der Originalhersteller auf einen Teil der Einnahmen verzichtet, die er im Falle der Einführung eines solchen Generikums erzielt hätte, sondern gleichzeitig werden Konsumenten belastet; denn sie zahlen höhere Preise für das (nun einzige) Generikum als sie für die miteinander im Wettbewerb stehenden Generika zahlen müssten.313 Deshalb ist es auch im Hinblick auf das Allgemeininteresse an unverfälschten Preisen geboten, den Payment-Begriff auf No-AG-Vereinbarungen zu erstrecken. e) Zwischenergebnis Das Versprechen des Originalherstellers an den Generikahersteller, diesem für eine bestimmte Dauer keine Konkurrenz durch eigene Generika zu machen, bezeichnet man als No-AG-Vereinbarung. Diese Vereinbarungen sind in den letzten Jahren im Rahmen von patentrechtlichen Streitigkeiten immer wieder aufgetreten. Meist sind sie auf den Exklusivitätszeitraum des erstanmeldenden Generikaherstellers gerichtet. Derartige Verpflichtungen haben einen wirtschaftlichen Wert für den Generikahersteller in Höhe von mehreren Millionen US-Dollar. Sie stellen damit einen erheblichen Anreiz für diesen dar, seine eigentlich für einen früheren Termin bestimmte Markteinführung des Generikums aufzuschieben. Diese Anreizwirkung ist mit der anderer Vermögensübertragungen vergleichbar, weshalb auch No-AGVereinbarungen unter den Payment-Begriff der Actavis-Rechtsprechung fallen. 4. Frühzeitige Marktzutrittsgewähr als Payment Neben den soeben erläuterten No-AG-Vereinbarungen gehören zu den nichtmonetären Formen des Payment außerdem die Übertragung körperlichen Eigentums sowie geistigen Eigentums, wie zum Beispiel die Übertragung von Immaterialgüterrechten bzw. deren Lizenzierung. Bisher wenig Beachtung hat die Frage gefunden, ob allein der frühzeitige Marktzutritt des Generikaherstellers noch vor Patentende eine Vermögensübertragung im Sinne des Actavis-Urteils für den Generikahersteller darstellt (Early-EntryVereinbarung).314 Dabei ist zu beachten, dass ein frühzeitiger Markteintritt regelmäßig durch das Gewähren einer einfachen Lizenz für das streitige Patent erreicht wird. Das entsprechende Patent wurde ja gerade nicht für nichtig erklärt. Die Erteilung einer Lizenz für ein Patent stellt eine vermögenswerte Leistung dar, die auf den ersten Blick die Voraussetzung des Payment-Begriffs erfüllt. Eine einfache 312 Edlin/Hemphill/Hovenkamp/Shapiro, The Actavis Inference, 67 Rutgers Univ.L.Rev. 585, 598 (2015). 313 Vgl. Kerr/Tyler, 28 Antitrust 29, 35 (2013). 314 Hierzu auch auf S. 27.

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Lizenz für das streitige Patent als Payment einzuordnen, widerspricht jedoch dem Wortlaut sowie der Ratio der Actavis-Entscheidung. Hier hatte der Supreme Court festgestellt, dass die Vereinbarung eines frühzeitigen Markteintritts des Generikaherstellers ohne eine Vermögensübertragung vonstattengehen kann und damit kartellrechtlich nicht zu beanstanden sei.315 Hieraus ist zu schließen, dass die Gewährung eines solchen Markteintritts selbst nicht als Payment zu klassifizieren ist.316 Eine Lizenz für das Streitpatent selbst als potentiell auf negative Wettbewerbseffekte zu untersuchende Vermögensübertragung einzuordnen, würde dieser Aussage widersprechen. Selbst wenn man den frühzeitigen Markteintritt als Vermögensübertragung auffasst, dann werden in aller Regel keine wettbewerbswidrigen Zwecke, geschweige denn Wirkungen, festzustellen sein. Denn mit einer entsprechenden Vereinbarung entsteht unmittelbar Wettbewerb, sodass der frühzeitige Markteintritt des Generikaherstellers nicht gegen Kartellrecht verstößt, sofern keine anderen Zahlungen den Generikahersteller dazu bewogen haben, einen späteren Markteintritt zu wählen.317 Anders verhält sich diese Einschätzung jedoch dann, wenn Patentlizenzen gewährt werden, die ein gänzlich anderes Produkt betreffen, das mit den Verletzungsprodukten nicht in Verbindung steht. Beispielsweise ist denkbar, dass der Generikahersteller von einer Markteinführung des Arzneimittels „A“ absieht und dafür im Gegenzug ein früherer Markteintritt des ebenfalls patentgeschützten Arzneimittels „B“ vereinbart wird.318 In einem solchen Fall erscheint es sinnvoll, eine kartellrechtliche Prüfung nach der Rule of Reason durchzuführen und die Vereinbarungen auf ihre positiven und negativen Wettbewerbsauswirkungen hin zu überprüfen.319 Dies bedeutet, dass die Einräumung von Lizenzen, die nicht unmittelbar das im Rechtsstreit in Frage gestellte Patent betreffen, eine Vermögensübertragung im Sinne des Actavis-Urteils darstellt. Ob sie damit auch wettbewerbsbeschränkend ist, ist nach der in Actavis vorgegebenen Prüfung zu bewerten. 5. Berechnung des Wertes einer Vermögensübertragung Unmittelbar an mögliche Arten von Vermögensübertragungen schließt sich die Untersuchung des Wertes einer Vermögensübertragung durch den Patentinhaber an den Generikahersteller an. Der Supreme Court hatte in Actavis festgestellt, dass die Höhe der Vermögensübertragung der Schlüssel zur Ermittlung des wettbewerbswidrigen Potentials einer Vereinbarung darstellt.320 Logische Voraussetzung hierfür 315

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2237 (2013). So im Ergebnis auch: FTC v. AbbVie, Inc., 2015 WL 5025438 bei *2 (E.D.Pa. 2015). 317 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2234 (2013). 318 Wright, Redemanuskript vom 10. Oktober 2014, 6 Health Care and Antitrust L. Appendix E235 (2016). 319 Ebd. 320 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 (2013). 316

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ist demnach, der Vermögensübertragung einen möglichst konkreten Wert beimessen zu können. a) Belastbare Grundlage für die Wertberechnung Die Berechnung des Wertes der Vermögensübertragung stellt bei einfachen Geldleistungen kein Problem dar. Auch der Übertragung von Eigentum, zum Beispiel in Form von bestimmten Mengen von Medikamenten zum weiteren Verkauf, wird in der Regel ohne Schwierigkeiten ein Wert zuzuführen sein.321 Dass dies jedoch auch für andere Formen der Vermögensübertragung möglich ist, wird teilweise bezweifelt.322 Besonders facettenreiche und komplexe Vereinbarungen machten es unmöglich, einen konkreten Wert zu ermitteln. Richter Sheridan fordert deshalb in der Effexor-Sache eine „verlässliche Grundlage“ (Reliable Foundation) für die Berechnung des Wertes einer nicht-monetären Vermögensübertragung.323 Aufgabe der Klägerseite sei es, konkrete Angaben zur Höhe des Wertes der Vermögensübertragung zu machen und hierfür eine Berechnungsgrundlage zu liefern, die über die bloße Vermutung hinausgehe. Wie eine solche Grundlage konkret aussieht, hängt von der Art der Vermögensübertragung ab. Bei der Übertragung von Eigentumswerten sowie bei der Einräumung von Lizenzen gibt es Berechnungsansätze.324 Dabei sollte insbesondere bei Lizenzen eine Bewertung aus einer ex-ante-Perspektive erfolgen und auch die Vorstellungen der Parteien zum Zeitpunkt der Vereinbarung Berücksichtigung finden.325 Die entsprechende Grundlage der Berechnung sollte in jedem Fall detailliert und belastbar sein. b) Wertberechnung einer No-AG-Vereinbarung Besonders schwierig erweist sich jedoch die Berechnung des Wertes einer Vereinbarung über autorisierte Generika. Die Herausarbeitung einer klaren Berechnungsgrundlage für den Wert einer solchen Vereinbarung, die der gerichtlichen Überprüfung standhält, ist bisher in der Rechtsprechung nur vereinzelt zu finden. So lehnte Richter Sheridan eine durch die Kläger vorgeschlagene Bezifferung einer NoAG-Vereinbarung zwischen Wyeth und Teva das Medikament Effexor XR betreffend als unzureichend ab.326 Er schlug aber gleichzeitig vor, eine No-AG-Vereinbarung 321 United Food and Commercial Workers Local 1776 & Participation Employers Health and Welfare Fund v. Teikoku Pharma USA, Inc., 74 F.Supp.3d 1052, 1069 f. (N.D.Cal. 2014). 322 In re Loestrin 24 Fe Antitrust Litigation, 45 F.Supp.3d 180, 190 (D.R.I. 2014): „a noncash settlement, particularly one that is multifaceted and complex (like the arrangement here), is almost impossible to measure“. 323 In re Effexor XR Antitrust Litigation, 2014 WL 4988410, bei *20 ff. (D.N.J. 2014). 324 Nestler, Betriebs-Berater, 37.2008, 2002; dies., Betriebs-Berater 34.2013, 2027; Kerr/ Tyler, 28 Antitrust 29, 32 f. (2013). 325 Kerr/Tyler, 28 Antitrust 29, 32 f. (2013). 326 In re Effexor XR Antitrust Litigation, 2014 WL 4988410 (D.N.J. 2014).

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durch die Differenz zwischen den erwarteten Einnahmen mit und ohne dem autorisierten Generikum zu berechnen.327 Hierbei müssten Faktoren wie die zu erwartenden Marktanteile sowie die entstehenden Preise während des 180-tägigen Exklusivitätszeitraums miteinander verglichen werden. Die Ergebnisse müssten zusätzlich durch wissenschaftliche Studien beziehungsweise durch Sachverstand von Fachleuten und Geschäftspraktikern gestützt werden.328 Entsprechende Daten über tatsächliche Einnahmen könnten dabei beispielsweise über die Securities and Exchange Commission bezogen werden.329 Eine Meinung in der Literatur fordert dagegen, dass die Klägerseite lediglich aufzeigen müsse, dass die No-AG-Vereinbarung die erwarteten Kosten des Rechtsstreites übersteige.330 Da sich diese Kosten in der Regel zwischen $ 1,5 Mio. und $ 10 Mio. bewegten,331 reiche es aus, darzulegen, dass der Wert einer No-AG-Vereinbarung zumindest höher liege.332 Gleichwohl würden auch nach dieser Berechnungsmethode Nachweise notwendig, um den Beweis antreten zu können, dass der Wert der No-AG-Vereinbarung den der ersparten Prozesskosten tatsächlich übersteigt. Auch nach dieser Meinung besteht das Erfordernis einer Wertberechnung auf Grundlage nachvollziehbarer, überprüfbarer und fundierter Fakten. Dass es durchaus möglich und nicht „über die Maßen kompliziert“ ist, einer No-AG-Vereinbarung einen konkreten Wert beizumessen, zeigt eine Entscheidung des District Court of California aus dem Jahr 2014.333 Hier hatten die Kläger den Wert der No-AG-Vereinbarung geschätzt, indem sie die Differenz zwischen Watsons Einnahmen mit und ohne autorisiertem Generikum errechneten.334 Hierbei gingen sie basierend auf einer FDA-Studie davon aus, dass ohne ein autorisiertes Generikum der Generikahersteller 80 % des Marktes erlangt und den Preis seines Generikums bei 90 % des Originalarzneimittelpreises festsetzt. Mit einem autorisierten Generikum als Konkurrenz erlangt der Generikahersteller lediglich 40 % des Marktes und setzt den Preis bei 52 % des Originalpreises an. Auf dieser Grundlage und mittels der öffentlich zugänglichen Verkaufszahlen des Medika-

327

In re Effexor XR Antitrust Litigation, 2014 WL 4988410 bei *22(D.N.J. 2014). In re Effexor XR Antitrust Litigation, 2014 WL 4988410 bei *22(D.N.J. 2014). 329 In re Loestrin 24 FE Antitrust Litigation, 45 F.Supp.3d 180, 193 (D.R.I. 2014). 330 Edlin/Hemphill/Hovenkamp/Shapiro, The Actavis Inference, 67 Rutgers Univ.L.Rev. 585, 601 (2015). 331 Die Autoren berufen sich dabei auf die Dissenting Opinion des Actavis-Urteils, FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2243 f. (2013) (Roberts dissenting); Herman, 111 Columbia L.Rev. 1788, 1795 (2011). 332 „So a plaintiff neet not plead the precise or even a ballpark value of a no-AG or other noncash agreement; rather, it must provide a sufficient basis for believing that the cost to the branded firm exceeds that firm’s anticipated litigation costs“, Edlin/Hemphill/Hovenkamp/ Shapiro, The Actavis Inference, 67 Rutgers Univ.L.Rev. 585, 601 (2015). 333 United Food and Commercial Workers Local 1776 & Participation Employers Health and Welfare Fund v. Teikoku Pharma USA, Inc., 74 F.Supp.3d 1052 (N.D.Cal. 2014). 334 United Food and Commercial Workers Local 1776 & Participation Employers Health and Welfare Fund v. Teikoku Pharma USA, Inc., 74 F.Supp.3d 1052, 1071 (N.D.Cal. 2014). 328

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mentes konnten die Kläger eine Differenz von $ 171 Mio. errechnen.335 Dieses Beispiel verdeutlicht, dass selbst die Berechnung des Wertes einer No-AG-Vereinbarung ohne allzu großen Aufwand durchführbar ist und zu plausiblen Ergebnissen führt. 6. Zwischenergebnis Bei der Frage, welche Arten von Vermögensübertragungen als Payment im Sinne der Actavis-Rechtsprechung des Supreme Courts zu qualifizieren sind, sollte ein funktionaler Ansatz verfolgt werden. Eine Vermögensübertragung ist danach dann kartellrechtlich relevant, wenn sie geeignet und bestimmt ist, den Marktzugang eines Generikums hinauszuzögern. Die möglichen Gestaltungen der Vermögensübertragung sind dabei nicht auf rein monetäre Formen zu beschränken. Auch andere Arten vermögenswerter Leistungen, wie zum Beispiel die Vergabe von Lizenzen, die Übertragung von Eigentum sowie No-Authorized-Generics-Vereinbarungen, können eine relevante Vermögensübertragung vom Patentinhaber an den Generikahersteller darstellen. Will die Klägerseite das Vorliegen eines Payment darlegen, so hat sie der Leistung des Patentinhabers einen Wert beizumessen. Hierbei muss die Wertberechnung auf Grundlage nachvollziehbarer, überprüfbarer und fundierter Fakten erfolgen. Dass dies selbst bei No-Authorized-Generics-Vereinbarungen möglich ist, zeigt der zuvor vorgestellte Fall. V. Large Payment – Hohe Vermögensübertragung In der Actavis Entscheidung bestimmt der Supreme Court, dass das Vorliegen einer Vermögensübertragung für sich allein nicht ausreichend ist, um eine Wettbewerbsbeschränkung anzunehmen. Indizwirkung komme einer solchen erst dann zu, wenn es sich um eine hohe und ungerechtfertigte Vermögensübertragung des Patentinhabers an den Generikahersteller handelt (large and unjustified).336 Gleichzeitig hat der Supreme Court festgestellt, dass eine Vermögensübertragung durchaus auch legitime Zwecke haben kann – wie beispielsweise die Bezahlung für Leistungen und andere Arten vermögenswerter Zuwendungen.337 Ab welcher Höhe eine Geldzahlung als zu hoch im Sinne von Actavis anzunehmen ist, wird durch das Gericht dabei nicht weiter konkretisiert. Das Merkmal der hohen Vermögensübertragung bedarf der näheren Konkretisierung durch die unteren Tatsachengerichte. Der pharmazeutische Sektor umfasst sowohl in den USA als auch der EU mehrere Milliarden Dollar bzw. Euro. Eine Millionenzahlung von einem zum anderen Unternehmen ist angesichts dieser Größenordnung nicht zwingend als hoch und ungerechtfertigt einzustufen. So fragte 335 336 337

Ebd. FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 f. (2013). Ebd.

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Richter Sheridan im Effexor XR Fall explizit nach einer Begründung für die Annahme, dass es sich bei $ 500 Mio. tatsächlich um eine solch hohe Vermögensübertragung handele.338 Folglich bedarf es konkreter Kriterien, anhand derer zu ermitteln ist, ob eine Vermögensübertragung hoch im Sinne von Actavis ist. 1. Vermögensübertragung höher als die erwarteten Gewinne des Generikaherstellers Eine Möglichkeit der Annäherung an den Begriff einer hohen Vermögensübertragung könnte ein Hinweis im Actavis-Urteil selbst sein. Hier befand das Gericht, dass eine hohe Wertübertragung dann vorliege, wenn sie über den erwarteten Gewinnen des Generikaherstellers im Falle des geplanten Markteintritts liege.339 In einem solchen Fall stellt die Vermögensübertragung einen derart starken Anreiz für den Ausschluss bzw. Aufschub des Markteintritts dar, dass eine wettbewerbswidrige Wirkung nur noch schwerlich zu leugnen ist. Folglich fungiert bei einer derartigen Höhe der Vermögensübertragung diese zumindest auch als Vehikel für die Wettbewerbsbeschränkung. 2. Keine Abhängigkeit von der Finanzkraft des Originalherstellers Auch könnte man sich fragen, ob eine bestimmte Perspektive bei der Bemessung einer Vermögensübertragung einzunehmen ist. Eine Vermögensübertragung gemessen an den Umsätzen eines Originalpräparateherstellers kann dabei deutlich kleiner wirken als aus der Perspektive eines Generikaunternehmens, das eventuell deutlich weniger Umsatz generiert.340 Die Voraussetzung einer hohen Vermögensübertragung als nicht erfüllt anzusehen, weil das hinter ihr stehende Unternehmen auf besonders hohe Rücklagen zurückgreifen kann oder aber besonders hohe Umsätze macht, leuchtet jedoch vor dem Hintergrund der Actavis-Rechtsprechung nicht ein. Das Gericht hatte in der Höhe der Vermögensübertragung eine Indizwirkung für das ihr innewohnende wettbewerbswidrige Potential gesehen. Dieses entfaltet sich jedoch im Hinblick auf das die Vermögensübertragung empfangende Unternehmen und nicht auf dasjenige, das die Zahlung tätigt. Auch der Hinweis in Actavis, wonach von einer hohen Vermögensübertragung jedenfalls dann auszugehen ist, wenn sie die erwarteten Gewinne des Generikaherstellers übersteigt341, spricht dagegen, die Frage, ob die Vermögensübertragung hoch ist, in Relation zur Finanzkraft des Pa338

21 No. 1 Westlaw Journal Intellectual Property 8, S. 2 (2014). FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 f. (2013). 340 So die Klägerseite in: In re Effexor XR Antitrust Litigation, 2014 WL 4988410 bei *23 (D.N.J. 2014); auch die Argumentation auf der Seite der Beklagten in Actavis, wonach die Zahlungen von Solvay an den Generikahersteller weniger als 10 % des durch AndroGel generierten Umsatzes betrage, Brief for Respondent Solvay Pharmaceuticals, Inc., Nr. 12 – 416, 2013 WL 648743 bei *6. 341 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 f. (2013). 339

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tentinhabers zu beantworten. Überzeugender scheint es, die Vermögensübertragung des Patentinhabers zumindest auch anhand der finanziellen Verhältnisse des Empfängers einzuordnen. Denn ein Generikahersteller mit geringen finanziellen Rücklagen und niedrigen Umsätzen wird durch die gleiche Vermögensübertragung deutlich mehr beeinflusst als ein Generikaunternehmen mit deutlich größerer Finanzkraft. 3. Ersparte Verfahrenskosten Eine untere Grenze könnte bei den Prozess- und Anwaltskosten gezogen werden, die der Patentinhaber durch die den Prozess frühzeitig beendende Vergleichsvereinbarung erspart hat.342 Derartige Zahlungen qualifiziert der Supreme Court in seiner Actavis Entscheidung als kartellrechtlich unbedenklich. Hintergrund dieser Annahme ist die durch den Supreme Court vorgegebene Untersuchung: Sind die Gründe des Patentinhabers, die Vermögensübertragung zu tätigen, kartellrechtlich bedenklich?343 Aufgrund des Umstands, dass in den USA keine „Loser-pays-all“Regelung besteht, müssen die Parteien ihre jeweiligen Auslagen in jedem Fall selbst tragen. Mit einer vorzeitigen Vergleichsvereinbarung erspart jede Partei somit Ausgaben, die sie hätte tätigen müssen, gleich ob sie den Prozess gewonnen oder verloren hätte. Kosten, die der Patentinhaber auch dann gezahlt hätte, wenn es nicht zu einem Vergleich gekommen und das Verfahren fortgesetzt worden wäre, rufen nach Ansicht des Supreme Courts nicht die Vermutung hervor, dass der Patentinhaber seine „Monopolgewinne“ für die Verzögerung des Generikaeintritts nutzt. Eine Vermögensübertragung, die den ohnehin für den Prozess aufgewendeten Ausgaben entspricht, ist wettbewerbsrechtlich neutral. Diese verhältnismäßig geringe Vermögensübertragung stellt deshalb keine Wettbewerbsbeeinträchtigung dar.344 Folglich fallen Zahlungen bis zum Betrag der ersparten Prozesskosten nicht unter den Begriff des large Payment. Dabei ist kein allzu strenger Maßstab für die ex-anteBerechnung der zu erwartenden Kosten anzulegen. Ausreichend ist eine grobe und nachvollziehbare Schätzung.345 Hier setzt das von Edlin/Hemphill/Hovenkamp/Shapiro entwickelte Modell346 an, wonach eine hohe Vermögensübertragung vorliegt, wenn folgende Berechnungsmethode einen positiven Betrag zum Ergebnis hat: Zunächst sei der Betrag der 342

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 (2013); United Food and Commercial Workers Local 1776 & Participation Employers Health and Welfare Fund v. Teikoku Pharma USA, Inc., 2014 6465235, S. 13 (N.D.Cal. 2014). 343 „Although the parties may have reasons to prefer settlements that include reverse payments, the relevant antitrust question is: What are those reasons?“, FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2237 (2013). 344 Carrier, Payment After Actavis, 100 Iowa L.Rev. 7, 9 (2014). 345 King Drug Co. of Florence, Inc. v. Smithkline Beecham Corp., 791 F.3d 388, 411 (3rd Cir. 2015). 346 Edlin/Hemphill/Hovenkamp/Shapiro, Activating Actavis, 28 Antitrust 16 (2013).

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Zugeständnisse des Patentinhabers zu beziffern (1); hiervon sind die ohne den Vergleich beim Patentinhaber aufgetretenen Prozesskosten (2) sowie die Werte, die vom Generikahersteller an den Patentinhaber fließen (3), abzuziehen.347 Alle hierüber liegenden Kosten seien nicht erklärbar und stünden unter dem Verdacht, den Generikahersteller zu einem verspäteten Markteintritt zu bewegen. Einen modifizierten Ansatz vertreten Harris/Murphy/Willig/Wright.348 Sie kritisieren das zuvor vorgestellte Modell mit dem Argument, dass es zum einen die Beweislast für die Rechtfertigung der Vermögensübertragung der Beklagtenseite auferlegt und damit entgegen der Actavis-Entscheidung dem Quick-Look-Ansatz zu nahe käme. Andererseits schließe das Modell bestimmte Vergleichsvereinbarungen als wettbewerbswidrig aus, denen in Wirklichkeit wettbewerbsfördernde Effekte beikämen.349 Hieraus wird geschlussfolgert, dass die vorgeschlagene Berechnungsmethode, die einzig anhand des Kriteriums der ersparten Prozesskosten durchgeführt wird, zu simpel ausfalle und nicht geeignet sei, eine hohe und dadurch wettbewerbsschädliche Vermögensübertragung im Sinne von Actavis zu ermitteln.350 So seien zwei Typen von Vereinbarungen denkbar, bei denen die Vermögensübertragung zwar über die ersparten Prozesskosten hinausgeht, jedoch trotzdem wettbewerbsfördernde Wirkungen zu erwarten seien: Vereinbarungen, in denen der Patentinhaber eine erhöhte Risiko-Aversion habe sowie solche Vereinbarungen, bei denen eine Vermögensübertragung die einzige Möglichkeit darstellt ansonsten unüberbrückbare Differenzen zwischen den beiden Parteien zu überwinden.351 Bei ersteren Vereinbarungen sei der Patentinhaber aufgrund der erheblichen Risikoscheu bereit, nebst einer Vermögensübertragung, die über die ersparten Verfahrenskosten hinausgeht, einem Markteintritt zuzustimmen, der vor Patentende liegt. Die Vertreter der erstgenannten Berechnungsmethode würden in einem solchen Fall von wettbewerbsschädlichen Wirkungen ausgehen. Nach der anderen Meinung ist allerdings die Risikoaversion zu beachten. Diese führe dazu, dass der Patentinhaber dem Generikahersteller im Falle des Vergleichs mehr bietet, als eine realistische Einschätzung seines Prozessrisikos verlangt hätte. Theoretisch denkbar ist somit ein Fall, in dem der Patentinhaber mit den Zugeständnissen des Vergleichs eine Lage schafft, die deutlich wettbewerbsfreundlicher ist.352 Dieses Gedankenspiel mag in der Theorie Sinn ergeben, lässt sich jedoch auf die Praxis nur schwer übertragen. So könnte der Faktor Risikoaversion immer von Originalherstellern vorgebracht wer347

Edlin/Hemphill/Hovenkamp/Shapiro, Activating Actavis, 28 Antitrust 16, 18 (2013). Harris/Murphy/Willig/Wright, 23 Antitrust 83 (2014). 349 Harris/Murphy/Willig/Wright, 23 Antitrust 83, 84 (2014). 350 Harris/Murphy/Willig/Wright, 23 Antitrust 83, 87 f. (2014). 351 Harris/Murphy/Willig/Wright, 23 Antitrust 83, 86 (2014). 352 Zwar ist das tatsächliche Eintrittsdatum, das durch den Rechtsstreit mit Urteil festgelegt würde nicht ermittelbar. Jedoch kann man anhand der Einschätzung der Parteien der Wahrscheinlichkeiten ein Eintrittsdatum errechnen. Es liegt zwischen dem Eintrittszeitpunkt im Falle eines Urteils zugunsten des Patentinhabers und dem Zeitpunkt im Falle eines Urteils zu seinen Ungunsten, Harris/Murphy/Willig/Wright, 23 Antitrust 83, 83 (2014). 348

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den. Ein Beweis dieser Risikoscheu und erst recht ihr Gegenbeweis werden nur unmöglich erbracht werden können. Gegen die Überlegung der Miteinbeziehung der Risikoaversion spricth auch, dass ein risikoscheuender Patentinhaber, der aufgrund des Verbotes nicht auf eine Vermögensübertragung zurückgreifen kann, in einen noch früheren Markteintrittszeitpunkt einwilligen würde als mit der Zahlung. Auch in diesem Fall führt die Vermögensübertragung zu einem Aufschub des Markteintritts und somit zu einer Wettbewerbshinderung.353 Vereinbarungen mit den oben beschriebenen Charakteristika – prokompetitive Effekte und zugleich über erwarteten Prozesskosten liegende Vermögensübertragungen – sind nur in Fällen anzunehmen, in denen Patentinhaber und Generikahersteller ohne eine derartige Vermögensübertragung überhaupt keinen Vergleich schließen würden. Dann würde die Vermögensübertragung die anders nicht überbrückbaren Differenzen zum Ausgleich bringen.354 In solch einem Fall wäre nicht davon auszugehen, dass der Patentinhaber den Generikahersteller für eine Verzögerung bezahlt. Ähnliche Überlegungen finden sich auch im Urteil des obersten Gerichts in Kalifornien, das kleinere und anders nicht zu rechtfertigende Vermögensübertragungen durchaus für legitim hält, um eventuelle Differenzen zu überbrücken und überhaupt zu einer Vereinbarung zu gelangen.355 Allerdings konkretisiert das Gericht dabei ebenso wenig, wann die Grenze von vermeintlich „niedrigen“ zu hohen Vermögensübertragungen überschritten werde. Gegen die Berücksichtigung der vorgestellten Überlegungen bei der Frage, ob es sich zunächst um eine hohe Vermögensübertragung handelt, spricht jedoch, dass derartige Fälle vor allem im Nachhinein kaum nachvollziehbar geschweige denn beweisbar sind. Dies folgt bereits daraus, dass die Autoren kein reales Beispiel für einen derartigen Fall anführen können. Erlaubt man die Übertragung von hohen Beträgen für die „Überwindung“ von Differenzen der Parteien, hätte das wohlmöglich zur Folge, dass auf derartige Rechtfertigungsmöglichkeiten auch in Fällen zurückgegriffen würde, in denen jene gerade nicht unüberbrückbar sind.356 Das Auseinanderhalten beider Arten von Fällen erscheint dabei sehr schwierig und würde dazu führen, dass viele Fälle als False Negatives eingeordnet würden.357 Die vorgestellten Einwände gegen das von Edlin/Hemphill/Hovenkamp/Shapiro entwickelte Modell überzeugen demnach nicht. Die Orientierung entlang ersparter Prozess353 So auch: Edlin/Hemphill/Hovenkamp/Shapiro, Actavis and Error Costs, Okt. 2014 Antitrust Source 1, 5. 354 Harris/Murphy/Willig/Wright, 23 Antitrust 83, 86 f. (2014). 355 „Parties can still use financial considerations to bridge small gaps arising from differing subjective perceptions of their probabilities of success in litigation; what they cannot do is use money to bridge their differences over the point when competitive entry is economically desirable, for that gap is not one antitrust law permits would-be competitors to bridge by agreement.“, In re Cipro Cases I & II, 61 Cal.4th 116, 156 (S.Ct.Cal. 2015). 356 Edlin/Hemphill/Hovenkamp/Shapiro, Actavis and Error Costs, Okt. 2014 Antitrust Source 1, 7. 357 Ebd.; vgl. auch: Kobayashi/Wright/Ginsburg/Tsai, 29 Antitrust 89 (2015).

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kosten stellt ein akkurates und im Prozess gut handhabbares Kriterium dar, um zu ermitteln, ob eine Vermögensübertragung hoch ist. 4. Beweisfragen Dass die Vermögensübertragung hoch und damit potentiell wettbewerbsschädigend ist, muss die Klägerseite vorbringen. Ihr obliegt hierfür die Beweislast. Dies folgt bereits aus den allgemeinen Beweisregeln der Rule of Reason.358 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Actavis-Urteil.359 5. Zwischenergebnis Hoch ist eine Vermögensübertragung in jedem Fall dann, wenn sie die erwarteten Gewinne des Generikaherstellers im Falle des sofortigen Markteintritts übersteigt. Eine geeignete Methode, um zu ermitteln, wann eine Vermögensübertragung des Patentinhabers an den Generikahersteller im Übrigen hoch ist und der Rechtfertigung bedarf, stellt das Modell dar, wonach zunächst der Wert des Payments abzüglich des hierfür geleisteten Gegenwerts zu ermitteln ist. Liegt das Payment hiernach über den durch den Vergleich beim Patentinhaber eingesparten Prozesskosten, so liegt eine hohe Vermögensübertragung im Sinne von Actavis vor, die die Gefahr einer Wettbewerbsbeschränkung birgt. VI. Ungerechtfertigte Vermögensübertragung – Unjustified Payment Die Vermögensübertragung muss ferner ungerechtfertigt (unjustified) sein.360 Dies ist nach Meinung des Supreme Courts dann der Fall, wenn keine legitime Gegenleistung für die Vermögensübertragung erfolgt. Dann nämlich sei zu vermuten, dass die Vermögensübertragung den Aufschub des Markteintritts des Generikaherstellers zur Folge hat. Gerechtfertigt kann eine Vermögensübertragung nach Actavis in den Fällen sein, in denen der Patentinhaber durch die Vergleichsvereinbarung Prozesskosten einspart, er im Gegenzug zu der Vermögensübertragung Gegenleistungen in Form von Waren oder Dienstleistungen durch den Generikahersteller erhält oder „andere überzeugende Begründungen“ vorliegen.361 Im Folgenden 358

Siehe hierzu: „Strukturierte Rule Of Reason“ ab S. 116. Das Urteil gibt lediglich Hinweise darüber, welche Partei die Rechtfertigung der Vermögensübertragung vorzubringen habe: „An antitrust defendant may show in the antitrust proceeding that legitimate justifications are present, thereby explaining the presence of the challenged term and showing the lawfulness of that term under the rule of reason“, FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 (2013). 360 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2237 (2013): „In sum, a reverse payment, where large and unjustified, can bring with it the risk of significant anticompetitive effects“. 361 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2237 (2013). 359

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soll sich dem vorgestellten Begriff der Rechtfertigung angenähert werden, indem bestimmte Formen von Vereinbarungen in zulässige und nicht zulässige Fallgruppen der Rechtfertigung eingeordnet werden. 1. Zulässige Formen der Rechtfertigung Die denkbaren Arten an Gegenleistungen, die der Generikahersteller für eine Vermögensübertragung leistet, sind letztlich unbeschränkt. Einzige Vorgabe des Supreme Courts ist, dass die Vermögensübertragung des Originalherstellers fair Value for Services – frei übersetzt: den (Markt-)wert der (empfangenen) Leistungen – widerspiegelt.362 Bestimmte Formen von Dienstleistung über Lizenzvergabe bis hin zu Produktionsunterstützung treten jedoch besonders häufig auf. Hierzu zählt die Übertragung von Immaterialgüterrechten des Generikaherstellers an den Originalhersteller.363 Diese Lizenzen betreffen in der Regel nicht das streitige Patent. Diese Form der Vermögensübertragung kann einen beträchtlichen Wert darstellen und legitimiert eine Vermögensübertragung durch den Patentinhaber.364 So gewährte beispielsweise der Generikahersteller Upsher verschiedene Lizenzen an den Originalhersteller Schering, der hierfür $ 60 Mio. zahlte.365 Auch die zusätzliche Produktion von Medikamenten für den Originalhersteller ist möglich. Hierbei ist insbesondere auch daran zu denken, dass der Originalhersteller dem Generikahersteller diejenigen Kontingente, die dieser bereits produziert hatte, abkauft. Vor allem aber stellt eine solche Vereinbarung eine Absicherung gegen Produktionsausfälle dar.366 Der Wert einer solchen Vereinbarung hängt davon ab, wie kompliziert die Herstellung der Wirkstoffe ist, wie viele weitere potentielle Produzenten vorhanden sind und wie profitabel das hergestellte Arzneimittel zukünftig sein wird.367 In der Vergangenheit bereits mehrfach aufgetreten sind sogenannte Marketingoder Co-Promotion-Vereinbarungen, bei denen der Generikahersteller dem Originalhersteller bei der Vermarktung beziehungsweise Anpreisung bestimmter Medikamente hilft. Derartige Vereinbarungen sind vor allem dann sinnvoll, wenn der Originalhersteller selbst nicht das volle Potential eines Marktes ausschöpfen kann, weil er sich beispielsweise nur an bestimmte Abnehmer, Ärzte- oder Patientengruppen richtet.368 Hier kann der Generikahersteller den Originalhersteller bei der Erschließung neuer Märkte bzw. Abnehmerkreise unterstützen. Positive Wettbe362 363 364 365 366 367 368

Ebd. So geschehen in: In re K-Dur Antitrust Litigation, 686 F.3d 197, 205 f. (3rd Cir. 2012). Zur Wertberechnung von Lizenzen, S. 139. In re K-Dur Antitrust Litigation, 686 F.3d 197, 205 f. (3rd Cir. 2012). Kerr/Tyler, 28 Antitrust 29, 33 (2013). Ebd. Kerr/Tyler, 28 Antitrust 29, 34 (2013).

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werbseffekte entstehen hier einerseits dadurch, dass neue Patientengruppen Zugang zum Medikament bekommen; andererseits entstehen durch die Zusammenarbeit Effizienzen.369 Gleichzeitig ist derartigen Vereinbarungen deutlich schwieriger ein Wert beizumessen. Dies wiederum erschwert die Ermittlung, ob die für die CoPromotion-Tätigkeit getätigte Vermögensübertragung legitim ist oder ein Overpayment370 darstellt. Eine bisher selten genutzte Möglichkeit ist die Entwicklungskooperation, bei der der Generikahersteller bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe oder der Durchführung klinischer Versuche und Studien für den Originalhersteller tätig wird.371 Eine solche Vereinbarung wurde zwischen Medicis und Impax sowie Medicis und Lupin vereinbart. Die Generikahersteller Impax und Lupin verpflichteten sich, für Medicis Arzneimittel weiterzuentwickeln und hierbei auch die Zulassung bei der FDA zu übernehmen.372 Der 3rd Circuit vermutet in seinem K-Dur-Urteil, dass eine Geldzahlung ohne Gegenleistung in Fällen als nicht kartellrechtswidrig anzusehen sein könnte, in denen der Generikahersteller vor erheblichen finanziellen Engpässen steht (Cash-Starved Generic Manufacturer).373 Eine Rettung des Generikaherstellers durch die Geldzahlung in Kombination mit einem frühzeitigen Marktzutritt hätte im Ergebnis – so das Gericht in der Entscheidung – bei allgemeiner Betrachtung mehr Wettbewerb zur Folge. Zwar ist bisher ein derartiger Fall noch nicht vorgekommen, jedoch würde nach der umfassenden Rule of Reason eine solche Begründung vom Gericht zu beachten sein. Dabei müssen die Parteien Tatsachen vorbringen, die die sich abzeichnende Insolvenz des Generikaherstellers belegen. Teilweise wird argumentiert, dass die Vermögensübertragung zwar für den Aufschub des Markteintritts des Generikaherstellers und damit zur Gewinnsteigerung des Patentinhabers geleistet wurde, dieser jedoch seine hierdurch erzielten Gewinne in die Erforschung weiterer Innovationen investiere, die wiederum allen Konsumenten zu Gute käme. Diesen Ansatz verfolgt die Dissenting Opinion der Actavis-Entscheidung.374 Dieses Argument greift jedoch lediglich die allgemeine Funktion des Patentrechts auf, das Anreiz und Belohnung für Investitionen in erfolgreiche und offenbarte Erfindungen bietet. In der Tat hatte die Actavis-Entscheidung klargestellt, dass eine Zulässigkeitsprüfung weder von ausschließlich 369

Ebd. Hierzu ab S. 26. 371 Kerr/Tyler, 28 Antitrust 29, 34 (2013). 372 In re Solodyn (Minocycline Hydrochloride) Antitrust Litigation, 2015 WL 5458570 bei *4 f. (D.Mass. 2015). 373 In re K-Dur Antitrust Litigation, 686 F.3d 197, 218 (3rd Cir. 2012). 374 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2238 (2013): „The point of patent law is to grant limited monopolies as a way of encouraging innovation. Thus, a patent grants ,the right to exclude others from profiting by the patented invention.‘ In doing so it provides an exception to antitrust law, and the scope of the patent – i. e., the rights conferred by the patent-forms the zone within which the patent holder may operate without facing antitrust liability“. 370

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patentrechtlichen noch ausschließlich kartellrechtlichen Erwägungen geleitet sein sollte, sondern vielmehr mittels der Rule of Reason ein Ausgleich zwischen beiden Rechtsgebieten festzustellen sei.375 Daher ist eine – wenngleich nicht ausschließlich – im Patentrecht wurzelnde Argumentation erlaubt. Deshalb schließt die ActavisEntscheidung die vorgenannte Rechtfertigung nicht per se aus. Allerdings bedarf es konkreter Beweise, die belegen, dass eine spätere Investition in weitere Innovation aufgrund des aufgeschobenen Markteintritts des Generikaherstellers erfolgt. Bloße Absichtsbekundungen reichen dabei aufgrund der drohenden Umgehungs- und Missbrauchsgefahr nicht aus. 2. Unzulässige Formen der Rechtfertigung In Abgrenzung zu den zulässigen Formen sollen im Folgenden Fallgruppen gebildet werden, die auch unter Anwendung der Actavis-Kriterien nicht als valide Rechtfertigungsmöglichkeiten für eine hohe Vermögensübertragung des Patentinhabers an den Generikahersteller angeführt werden können. Der Patentinhaber kann seine Vermögensübertragung nicht damit rechtfertigen, dass er das Risiko der Patentnichtigerklärung vermeiden wollte. Dies folgt bereits aus der Aussage des Gerichts, wonach Vermögensübertragungen, die lediglich geringe Risiken von Wettbewerb vermeiden, Kartellrechtsverstöße darstellen können.376 Das Argument der Risikovermeidung allein dient demnach nicht als taugliche Rechtfertigung.377 Eine weitere Begründung könnte auch in dem Verlangen der Parteien nach Prozessbeendigung liegen.378 Dieses Verlangen erscheint insbesondere im Rahmen langwieriger und sich über viele Jahre hinziehender Prozesse legitim.379 Allerdings setzt sich der Supreme Court mit diesem Argument in seinem Urteil durchaus auseinander. Seiner Meinung nach ist dieses Interesse an einem Vergleich zwar grundsätzlich legitim, muss jedoch dann zurückstehen, wenn die Vermögensübertragung selbst nicht mit „üblichen Settlement-Faktoren“ begründet werden kann: „In our view, these considerations, taken together, outweigh the single strong consideration – the desirablitiy of settlements – that led the Eleventh Circuit to provide near-automatic antitrust immunity to reverse Payment settlements.“380

375

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2231 (2013). FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 (2013). 377 King Drug Co. of Florence, Inc. v. Smithkline Beecham, 791 F.3d 388, 411 (3rd Cir. 2015); Edlin/Hemphill/Hovenkamp/Shapiro, Activating Actavis, 28 Antitrust 16, 20 (2013). 378 In re Effexor XR Antitrust Litigation, 2014 WL 4988410, bei *24 (D.N.J. 2014). 379 Hierzu ab S. 37. 380 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2237 (2013). 376

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Das Bedürfnis der Parteien nach Vergleichsvereinbarungen ist deshalb im Ergebnis zwar legitim, jedoch keine Rechtfertigung für eine ansonsten nicht zu erklärende Vermögensübertragung. Hierbei ist auch zu beachten, dass das (kartellrechtliche) Verbot von hohen und ungerechtfertigten Vermögensübertragungen die Möglichkeiten der Parteien, Vergleiche zu schließen, einschränkt, jedoch nicht gänzlich ausschließt. Es bleiben den Parteien mannigfaltige Gestaltungsmöglichkeiten, um zu einem Vergleichsvertrag zu gelangen, der den gegenseitigen Interessen gerecht wird.381 Vor der Actaivs-Entscheidung hatten Gerichte durch Anwendung des Scope-ofthe-Patent-Tests solche Vereinbarungen als wettbewerbsfördernd angesehen, die einen Generikaeintritt vorsahen, der noch vor dem Zeitpunkt des Patentendes lag. Auch der Supreme Court weist in seiner Entscheidung darauf hin, dass eine Vereinbarung dann keine kartellrechtlichen Bedenken wecke, wenn sie einen Generikaeintritt in den Markt noch vor Patentende vorsehe. Jedoch betont er dabei, dass dies nur dann anzunehmen sei, wenn zugleich keine hohe und ungerechtfertigte Vermögensübertragung stattfinde.382 Liegt also der Zeitpunkt des Markteintritts vor dem des Patentendes, dann ist dies für sich genommen keine Rechtfertigung für eine hohe und ansonsten nicht begründbare Vermögensübertragung des Patentinhabers an den Generikahersteller. Das Gericht im Lamictal-Fall begründete die Kartellrechtmäßigkeit einer Vergleichsvereinbarung unter anderem damit, dass ein sechs Monate vor Patentende liegender Markteintritt von den Parteien vereinbart worden war.383 Das Gericht übergeht dabei jedoch, dass es auch in der Actavis-Entscheidung selbst um eine Vergleichsvereinbarung ging, in der die Pharmaunternehmen einen Markteintritt vorgesehen hatten, der mehrere Monate vor Patentende lag.384 Entscheidendes Kriterium ist für den Supreme Court nicht, ob der Markteintritt vor Patentende liegt, sondern dass er ohne Gegenleistung durch den Patentinhaber vereinbart wird. Eine Vermögensübertragung, die an den Generikahersteller geleistet wird, lässt vermuten, dass ohne sie ein noch früherer Markteintritt zwischen den Parteien vereinbart worden wäre. Hierin erblickt der Supreme Court das Potential der Wettbewerbswidrigkeit. Diese kann somit auch nicht durch einen besonders frühen Termin des Markteintritts gerechtfertigt werden.

381

„Fifth, the fact that a large, unjustified reverse payment risks antitrust liability does not prevent litigating parties from settling their lawsuit. They may, as in other industries, settle in other ways, for example, by allowing the generic manufacturer to enter the patentee’s market prior to the patent’s expiration, without the patentee paying the challenger to stay out prior to that point“, FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2237 (2013). 382 Ebd. 383 In re Lamicatal Direct Purchaser Antitrust Litigation, 18 F.Supp.3d 560, 570 (D.N.J. 2014). 384 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2229 (2013).

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3. Zwischenergebnis Der Supreme Court hat in seinem Actavis-Urteil festgelegt, dass eine Vermögensübertragung, die ungerechtfertigt (unjustified) ist, die Gefahr einer Wettbewerbsbeeinträchtigung in sich birgt. Ungerechtfertigt ist eine Vermögensübertragung, die sich nicht durch zulässige Formen der Gegenleistung rechtfertigen lässt. Hierzu gehören die Übertragung von Immaterialgüterrechten sowie verschiedene Formen von Dienstleistungen des Generikaherstellers, etwa die Unterstützung der Entwicklung neuer Wirkstoffe oder die Bewerbung und Vermarktung bereits bestehender Arzneimittel des Patentinhabers. Hingegen kann der Patentinhaber seine Vermögensübertragung nicht damit rechtfertigen, dass diese zur Vermeidung des Prozessrisikos geleistet wurde. Auch das allgemeine Interesse an einer einvernehmlichen Streitbeilegung akzeptiert der Supreme Court nicht als Rechtfertigung für eine ansonsten nicht erklärbare Vermögensübertragung. VII. Patentüberprüfung im Kartellrechtsprozess Schwierigkeiten bereitet die Frage, ob der Patentinhaber bzw. die an der Vereinbarung beteiligten Parteien sich auf die Patentstärke berufen können, um eine Vergleichsvereinbarung zu rechtfertigen. Die zugrunde liegende Überlegung geht davon aus, dass die Klärung der Patentwirksamkeit auch die Frage beantwortet, ob die Vereinbarung einen Wettbewerb verzögert hat. Stellt sich heraus, dass das Patent der gerichtlichen Überprüfung standgehalten hätte, so wäre auch kein Generikawettbewerb entstanden; die Vergleichsvereinbarung konnte folglich auch keinen Wettbewerb verhindern. Die überaus komplexe, langwierige und kostenaufwändige Überprüfung des Patents sollte jedoch im Kartellprozess möglichst nicht aufgenommen werden. Zum einen haben die Parteien mit der Eingehung des Vergleichs zum Ausdruck gebracht, dass sie an der Fortführung eines derartigen Verfahrens kein Interesse mehr haben. Die Aufladung des Kartellprozesses mit eben jener Frage zwingt die Parteien zur Wiederaufnahme eines Prozesses, den sie einvernehmlich für beendet erklärt hatten. Zum anderen ist die Patentüberprüfung eine der schwierigsten und komplexesten Aufgaben, die ein Prozess mit sich bringen kann und setzt ein erhebliches Maß an Erfahrung und (technischem) Fachwissen der Richter voraus, das bei normalerweise mit Kartellrechtsfragen befassten Spruchkörpern regelmäßig nicht vorhanden ist. Insbesondere das Merkmal der erfinderischen Tätigkeit steht in den meisten Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren im Mittelpunkt und stellt eine Wertungsentscheidung dar.385 Hierbei muss eine Betrachtung des Standes der Technik im Sinne einer Mosaikbetrachtung vorgenommen werden, die die Gesamtheit des Stands der Technik durch einen Durchschnittsfachmann voraussetzt.386

385 386

Haedicke, Patentrecht, S. 86. Haedicke, Patentrecht, S. 87.

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3. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in den USA

Es spricht vieles dafür, die Patentfrage bei der Klärung der kartellrechtlichen Zulässigkeit von Pay-for-Delay-Vergleichsvereinbarungen zu vermeiden.387 Diese Schwierigkeiten hat auch der Supreme Court gesehen388 und betont in einem seiner fünf Punkte, dass die Wirksamkeit des Patents „normalerweise“ nicht zu erforschen sei389 und stattdessen die Höhe der Vermögensübertragung eine Indizwirkung für die „Schwäche“ des Patents aufweise.390 Die FTC folgert hieraus, dass die Überprüfung der Wirksamkeit des Patents von vornherein ausgeschlossen sei und bei der kartellrechtlichen Bewertung keine Rolle spielen dürfe.391 Auch Stimmen in der Literatur führen Argumente gegen die Ermittlung des tatsächlichen Ausgangs des Patentprozesses im Kartellprozess an.392 So wird die Befürchtung geäußert, dass die Beklagtenseite alle Verteidigungsmöglichkeiten ausschöpft und deshalb zu erwarten sei, dass die Verteidigung der Wirksamkeit des Patents immer eingebracht werde, sofern sie denn zulässig sei.393 Diese Auslegung des Actavis-Urteils geht jedoch über den Wortlaut der Entscheidung hinaus. Der Supreme Court macht deutlich, dass Gerichte die Wirksamkeit des Patents „normalerweise“ nicht zu überprüfen haben und stattdessen die Höhe der Vermögensübertragung ein geeignetes Surrogat für die Ermittlung der Stärke des Patents bieten „kann“. Umgekehrt ergibt sich hieraus, dass von der Regel in Einzelfällen abgewichen werden kann.394 Dafür spricht auch, dass die Höhe der Vermögensübertragung als Indikator für die Stärke bzw. Schwäche des Patents fungieren soll und deshalb weitere Argumente für oder gegen die Wirksamkeit des Patents durchaus eine Rolle spielen können.395 Dies wird auch dadurch unterstützt, dass der Supreme Court eine Rule of Reason Analyse fordert, nach der alle relevanten Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Hieraus folgt, dass der Supreme Court die Beachtung der Patentwirksamkeit nicht für jeden Fall ausschließen wollte, 387 In den USAvielfach als „Turducken“-Prozess bezeichnet. Dieser Begriff bezieht sich auf das Gericht, bei dem ein Truthahn (Turkey) mit einer Ente (Duck) gestopft wird, FTC v. Watson Pharmaceuticals, Inc., 677 F.3d 1298, 1315 (11th Cir. 2012); Sumner/Hatch, 29 Nr. 10 Westlaw J. Pharmaceutical 12 (2013); vgl. auch: Edlin/Hemphill/Hovenkamp/Shapiro, Activating Actavis, 28 Antitrust 16, 19 (2013). 388 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2234 (2013): „Any such litigation will prove time consuming, complex, and expensive. The antitrust game, the Circuit may believe, would not be worth that litigation candle“. 389 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 (2013). 390 „[…] it is normally not necessary to litigate patent validity to answer the antitrust question (unless, perhaps, to determine whether the patent litigation is a sham“ und „In a word, the size of the unexplained reverse payment can provide a workable surrogate for a patent’s weakness, all without forcing the court to conduct a detailed exploration of the validity of the patent itself“, FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 f. (2013). 391 FTC v. Cephalon, Inc., 36 F.Supp.3d 527, 531 (E.D.Pa. 2014). 392 Edlin/Hemphill/Hovenkamp/Shapiro, Activating Actavis, 28 Antitrust 16, 19 (2013). 393 Ebd. 394 So auch: FTC v. Cephalon, Inc., 36 F.Supp.3d 527, 531 (E.D.Pa 2014). 395 FTC v. Cephalon, Inc., 36 F.Supp.3d 527, 532 (E.D.Pa. 2014).

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sondern den Gerichten vielmehr eine Alternative aufgezeigt hat, deren Anwendung weniger komplex und aufwendig ist.396 Nicht nur hat der Supreme Court eine alternative Form der Analyse von Pay-for-Delay-Vergleichsvereinbarungen präsentiert, sondern auch klar gemacht, dass er diese gegenüber der Patentüberprüfung innerhalb des Kartellprozesses favorisiert. Dies spricht dafür, dass sich Gerichte nach der Actavis-Rechtsprechung dafür entscheiden können, anstatt der Patentüberprüfung die Analyse der getätigten Vermögensübertragung zu wählen, um damit den Prozess schlanker und simpler zu gestalten. Dies bedeutet jedoch auch, dass ein entsprechendes Vorbringen der Parteien in Bezug auf den möglichen Ausgang des Patentprozesses beschränkt werden kann.397 In jedem Fall sollten nur solche Argumente für oder gegen die Wirksamkeit des Patents Beachtung finden, die bereits zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses (ex ante) den Parteien bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen.398 Dementsprechend ist auch der Umstand, dass ein Gericht nach dem Vergleich das streitige Patent für nichtig erklärt, nicht in die kartellrechtliche Bewertung des Vergleichsschlusses miteinzubeziehen.399 Wenngleich nach Actavis eine kartellrechtliche Analyse auch ohne die Überprüfung des Patents möglich ist, so ist fraglich, ob auf die Prüfung der Patentwirksamkeit auch in Fällen der Ermittlung konkreten Schadensersatzes verzichtet werden kann. Einen derartigen Fall hatte der Supreme Court in Actavis nicht zu entscheiden, da es dort nur um einen Verstoß gegen § 5 FTC-Act ging. In Fällen, in denen Schadensersatz für Kartellrechtsverletzungen verlangt wird, reicht der bloße Nachweis negativer Markteffekte nicht aus. Vielmehr bedarf es konkreter Schäden, die durch die Vergleichsvereinbarung bei Mitbewerbern oder Abnehmern der streitigen Produkte entstanden sind. Diese zu ermitteln könnte das Wiederaufleben des ursprünglichen Patentnichtigkeitsverfahrens bedeuten.400 Dieser Einschätzung nach lässt sich nur im Falle der Nichtigerklärung eines Patents annehmen, dass ein Markteintritt des Generikaherstellers vor dem tatsächlich vereinbarten stattgefunden hätte.401 Actavis macht allerdings deutlich, dass sich eine Wettbewerbswidrigkeit nicht allein aus dem Umstand ergibt, dass der vergleichsweise beigelegte Prozess zur 396

FTC v. Cephalon, Inc., 36 F.Supp.3d 527, 532 (E.D.Pa. 2014). Edlin/Hemphill/Hovenkamp/Shapiro, Activating Actavis, 28 Antitrust 16, 19 (2013); Richter Goldberg hat aus dem Grund solche Expertenaussagen im Provigil-Prozess nicht zugelassen, die Fragen des Rechtsbestands des Patents betrafen, King Drug Co. of Florence, Inc. v. Cephalon, Inc., 2015 WL 6750899, bei *6 ff. (E.D.Pa 2015). 398 „The reasonableness of agreements under the antitrust laws are to be judged at the time the agreements are entered into“, Valley Drug Co. v. Geneva Pharmaceuticals, Inc., 344 F.3d 1294, 1306 (11th Cir. 2003). 399 Vgl.: FTC v. Cephalon, Inc., 36 F.Supp.3d 527, 532 (E.D.Pa. 2014): „Thus, if the question before me is whether a later determination of invalidity by itself forecloses proof of litigation uncetainty, the answer is coneivably no“. 400 Time Insurer Company v. AstraZeneca AB, 52 F.Supp.3d 705, 710 (E.D.Pa 2014). 401 Ebd. 397

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Nichtigkeit des Patents geführt hätte. Vielmehr sei auf eine solche bereits aus dem Umstand zu schließen, dass der Patentinhaber dem Generikahersteller erhebliche Vermögenswerte zukommen lässt. Diese Vermögensübertragung sei, wenn nicht anders zu rechtfertigen, Gegenleistung für ein nach hinten verschobenes Markteintrittsdatum des Generikaherstellers. Dies wiederum bedeutet, dass der Patentinhaber in Abwesenheit einer Vermögensübertragung einem früheren Termin des Markteintritts zugestimmt hätte. Geht man davon aus, dass sich der Patentinhaber auch ohne Vermögensübertragung auf einen Vergleich eingelassen hätte, so spielt die Frage, wie der Patentprozess tatsächlich ausgegangen wäre, letztlich keine Rolle mehr. Viel eher ist zu fragen, welches Eintrittsdatum die Parteien vereinbart hätten. Die Ermittlung eines konkreten (hypothetischen) Marktzugangszeitpunktes kann deshalb eine Patentüberprüfung vermeiden. Ein entsprechendes Ergebnis kann mittels ergänzender Vertragsauslegung erzielt werden. Ähnlich interpretiert dies der Supreme Court of California. In seiner Entscheidung, die er im Einklang mit der des US Supreme Court sieht, arbeitet er heraus, dass nicht davon auszugehen ist, dass das Patent entweder nichtig oder wirksam anzusehen ist. Deshalb sei nicht die volle noch verbleibende Patentlaufzeit maßgeblich. Sondern es sei eine „probabilistische Untersuchung“ des Eintrittsdatums vorzunehmen.402 So liege das probabilistische Datum des Markteintritts bei einer gerichtlichen Entscheidung bei einem Patent, das mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent für nichtig erklärt würde, bei der Hälfte der verbleibenden Patentlaufzeit. Das kalifornische Gericht sieht eine hohe Vermögensübertragung als Indiz dafür an, dass der Patentinhaber den Generikahersteller dafür bezahlt, dass dieser seinen Markteintritt hinter jenen Zeitpunkt verschiebt, der – „im Allgemeinen“ – durch die gerichtliche Entscheidung zustande gekommen wäre.403 VIII. Auswirkungen von Actavis auf andere Industriebereiche und Stare-Dicisis-Doctrine Der Frage der Auslegung des Payment-Begriffs sowie, wann dieses large and unjustified sei, schließt sich unmittelbar die gedankliche Überlegung an, welche Bindungswirkung das Supreme Court-Urteil auf die Rechtsprechung der Untergerichte hat. Nach deutschem Recht kommt Entscheidungen oberer Instanzen nur für den konkret entschiedenen Fall eine unmittelbare Bindungswirkung zu. Im Common Law der USA hingegen ist diese Bindungswirkung stärker ausgeprägt. Nach der Stare Decisis Doctrine sind Gerichte an die Entscheidungen oberer Instanzen gebunden (vertikale Ausprägung dieses Grundsatzes). Hierbei ist einschränkend zweierlei zu beachten. Erstens wird die Stare Decisis Doctrine durch den Supreme Court vor allem in verfassungsrechtlichen Fragen deutlich weniger streng ange-

402 403

In re Cipro Cases I & II, 61 Cal.4th 116, 150 (S.Ct.Cal. 2015) In re Cipro Cases I & II, 61 Cal.4th 116, 154 (S.Ct.Cal. 2015).

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wendet.404 In der Actavis-Entscheidung äußert sich der Supreme Court jedoch nicht zu einer Frage des Verfassungsrechts, sondern des einfachen (Kartell-)Rechts. Zweitens gilt die Stare Decisis Doctrine nur im Hinblick auf die Entscheidung selbst und nicht in Bezug auf die Obiter Dicta.405 Die Erläuterungen zum Begriff des Payment mögen an einigen Stellen lediglich ausführender Natur sein. Eine Gesamtbetrachtung des Urteils ergibt jedoch, dass der Begriff Payment von zentraler Bedeutung ist. Er ist somit nicht bloß Obiter Dictum. Sondern die Gerichte sind durch die Actavis-Entscheidung für Fälle im Hatch-Waxman-Kontext, in denen ein Patentinhaber Vermögensübertragungen im Rahmen von Vergleichsvereinbarungen an den potentiellen Patentverletzer leistet, gebunden. Fraglich ist, ob das Urteil über diesen pharmazeutischen Hatch-Waxman-Bereich hinaus auch für andere Vergleichsvereinbarungen gilt, die ähnliche Charakteristika aufweisen. Mit der grundsätzlichen Annahme, dass neben patentrechtlichen auch kartellrechtliche Ziele zum Ausgleich gebracht werden müssen, möchten einige Kommentatoren die Actavis-Entscheidung auch auf andere Bereiche anwenden. So sei Actavis beispielsweise in Fällen relevant, in denen Non-Practicing Entities eine große Anzahl an Patenten aufkaufen, um damit große Technologieunternehmen durch Blockade zur Zahlung hoher Lizenzgebühren zu bewegen.406 Bedenken diesbezüglich werden auch in der Dissenting Opinion geäußert. Roberts befürchtet eine allgemeine Einschränkung patentrechtlicher Vergleichsvereinbarungsmöglichkeiten mit ungeahnten Folgen für die Streitbeilegung generell.407 Die entscheidende Mehrheit des Gerichts sieht diese Gefahr nicht gegeben und betont, dass „der Großteil, wenn nicht nahezu sämtliche“ Fälle dieser Art im Bereich des HatchWaxman Acts auftreten.408 Hiermit bringt sie auch zum Ausdruck, dass sie ihre Rechtsprechung lediglich auf diesen Bereich beschränken will. Dies zeigt sich auch in dem Hinweis des Gerichts, wonach in anderen Industrien Vergleiche geschlossen werden, ohne, dass eine hohe und ungerechtfertigte Vermögensübertragung vereinbart wird.409 Bei diesen Vergleichsvereinbarungen sei eine Kartellrechtsüberprüfung nach dem Actavis-Vorbild nicht angebracht.410 Diese Einschätzung wird auch durch die bisherige Rechtsprechung des Supreme Courts gestützt, wonach die Kartellrechtsuntersuchung immer „feinfühlig“ auf die besonderen wirtschaftlichen und rechtlichen Eigenarten und Umstände eines In404

Burnet v. Coronado Oil & Gas Co., 285 U.S. 393, 406 (1932). In re Osborne 76 F.3d 306, 309 (9th Cir. 1996). 406 Devlin, 67 Fla.L.Rev. 775, 843 (2015). 407 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2242 f. (2013) (Roberts dissenting). 408 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2227 (2013). 409 „They may, as in other industries, settle in other ways, for example, by allowing the generic manufacturer to enter the patentee’s market prior to the patent’s expiration, without the patentee paying the challenger to stay out prior to that point.“, FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2237 (2013). 410 So auch: In re Lamictal Direct Purchaser Antitrust Litigation, 18 F.Supp.3d. 560, 567 (D.N.J. 2014). 405

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dustriesektors einzugehen habe.411 Hierbei ist der durch den Hatch-Waxman Act geschaffene Interessenausgleich zwischen Patentinhaber, Generikahersteller und der Öffentlichkeit zu beachten.412 In Bezug auf andere Industriesektoren kommt der Actavis-Entscheidung somit keine bindende Wirkung zu. Im Ergebnis sind die Grundsätze in Actavis durch das Gericht zunächst nur auf Pay-for-Delay-Fälle im pharmazeutischen Umfeld anzuwenden. Hier sind Gerichte an die Rechtsprechung des Supreme Courts gebunden. Treten ähnliche und vergleichbare Formen von Vergleichsvereinbarungen in anderen Industrien auf, so ist es an den Gerichten jeweils im Einzelfall abzuwägen, ob die Übertragung der ActavisGrundsätze angebracht ist. Die allgemeinen Ausführungen des Supreme Courts zur Frage der Abgrenzung von Patent- und Kartellrecht wird dabei in Zukunft eine Rolle spielen. So ist zu erwarten, dass die Klarstellung, dass sowohl Kartellrecht als auch Patentrecht bei der Frage der kartellrechtlichen Zulässigkeit von Vergleichsvereinbarungen eine wichtige Rolle spiele, insofern auch auf andere Industriebereiche zu übertragen ist.413 IX. Noerr-Pennington-Doktrin Die Noerr-Pennington-Doktrin stellt eine im US-amerikanischen Recht anerkannte Befreiung von einer kartellrechtlichen Ahndung dar. Nach ihr dürfen Private auf staatliche Stellen einwirken, um die Verabschiedung von Regelungen zu bewirken, die ihrerseits negative Effekte auf den Wettbewerb mit sich bringen.414 Die Lehre wurzelt dabei im ersten Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten, der Meinungsfreiheit.415 Der Supreme Court geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Sherman Act lediglich auf den Wirtschaftsverkehr zugeschnitten und nicht für die Anwendung seiner Regelungen auf den politischen Bereich gedacht sei.416 Folglich sollen Verhaltensweisen, die im politischen Bereich von Privaten oder Organisationen vorgenommen werden, und negative Marktauswirkungen beabsichtigen oder bewirken nicht vom Kartellrecht erfasst werden. Obwohl die Lehre ursprünglich auf die Verabschiedung von Gesetzen und anderen Regelungen und damit unmittelbar auf Handlungen von Legislative und Exekutive gemünzt war, weitete sie der Supreme Court in der Folgezeit auch auf andere staatliche Einrich411

Verizon Connunications, Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 411 f. (2004). 412 So auch In re K-Dur Antitrust Litigation, 686 F.3d 197, 216 f. (3rd Cir. 2012). 413 Fischmann, S. 220. 414 Eastern Railroad Presidents Conference v. Noerr Motor Freight, Inc., 365 U.S. 127 (1961); United Mine Workers v. Pennington, 381 U.S. 657 (1965); Fischmann, S. 39 ff. 415 „Congress shall make no law […] abridging the right of the people […] to petition the Government“. 416 „The proscriptions of the Act, tailored as they are for the business world, are not at all appropriate for application in the political arena“, Eastern Railroad Presidents Conference v. Noerr Motor Freight, Inc., 365 U.S. 127, 141 (1961).

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tungen, wie etwa Gerichte, aus.417 Außerdem sei Noerr-Pennington auch auf Verhaltensweisen anwendbar, die nur mittelbar als Einwirkung auf Regierungstätigkeit gedacht sind.418 Eine Einschränkung der Ausnahme wurde allerdings in der Entscheidung Allied Tube durch den Supreme Court aufgestellt. Um zu verhindern, dass Noerr-Pennington lediglich als Deckmantel durch die Unternehmen missbraucht werde, hänge die Frage, ob die Ausnahme greift, von der Quelle, dem Kontext und der Art der Wettbewerbsbeschränkung ab.419 Von beklagten Unternehmen ist bereits mehrfach vorgebracht worden, dass Payfor-Delay-Vereinbarungen unter die Ausnahme von Noerr-Pennington falle.420 Argumentiert wurde, dass in Frage stehende Vereinbarungen als Prozessvergleiche mitunter durch Vermittlung des Gericht zustande gekommen seien und somit unter Mitwirkung des Staates.421 Durch die geleistete Unterschrift des Richters sei der Vergleich dem staatlichen Bereich zuzurechnen und unterliege damit dem Anwendungsbereich der Noerr-Pennington-Lehre. Einigkeit besteht grundsätzlich darüber, dass eine Vergleichsvereinbarung, die außerhalb des Gerichtssaales ohne Einbeziehung des Gerichtes getroffen wird, nicht durch Noerr-Pennington-Erwägungen vom Anwendungsbereich des Kartellrechts geschützt ist.422 Umstritten und bis dato nicht höchstrichterlich entschieden bleibt allerdings die Frage, wie eine Vergleichsvereinbarung zu behandeln ist, die unter Mitwirkung des Gerichts zustande gekommen ist, sog. Consent Judgement.423 Bei einem Consent Judgement (oder auch Consent Decree) beurkundet das Gericht einen geschlossenen Vergleich oder Vertrag. Hierbei macht sich das Gericht jedoch den Inhalt der Vereinbarung nicht zwingend zu Eigen. Auch erfolgt keine regelhafte Prüfung der inhaltlichen Bestimmungen auf ihre Rechtmäßigkeit hin.424

417

California Motor Transp. Co. v. Trucking Unlimited, 404 U.S. 508, 510; In re Nexium (Esomeprazole) Antitrust Litigation, 986 F.Supp.2d 367, 394 (D.Mass. 2013). 418 Eastern Railroad Presidents Conference v. Noerr Motor Freight, Inc., 365 U.S. 127, 143 (1961); In re Nexium (Esomeprazole) Antitrust Litigation, 986 F.Supp.2d 367, 394 (D.Mass. 2013). 419 Allied Tube & Conduit Corp. V. Indian Head, Inc., 486 U.S. 492, 499 (1988). 420 In re Nexium (Esomeprazole) Antitrust Litigation, 986 F.Supp.2d 367, 394 (D.Mass. 2013). 421 Sog. Consent Judgement; siehe auch S. 37. 422 Andrx Pharmaceuticals, Inc. v. Biovail Corporation International, 256 F.3d 799, 818 (D.C. Cir. 2001); In re Nexium (Esomeprazole) Antitrust Litigation, 968 F.Supp.2d 367, 395 (D.Mass. 2013). 423 Hierzu auch In re Effexor XR Antitrust Litigation, 2014 WL 4988410, bei *24 (D.N.J. 2014). 424 In re Nexium (Esomeprazole) Antitrust Litigation, 968 F.Supp.2d 367, 398 (D.Mass. 2013).

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3. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in den USA

Eben diese Frage stellte sich das Gericht in der Entscheidung MedImmune v. Genentech.425 Hier arbeitete das Gericht heraus, dass ein Prozessvergleich der staatlichen Sphäre dann zuzuordnen sei, wenn ohne die Einwirkung des Gerichtes eine Vereinbarung mit demselben Ergebnis nicht hätte erzielt werden können.426 Im zugrunde liegenden Fall hatten die Parteien nicht bloß ein Vereinbarungsergebnis durch das Gericht beurkunden lassen, sondern das Gericht hob außerdem Entscheidungen des Patentamtes (PTO) auf. Dieses Ergebnis hätten die Parteien auf privatem Wege nicht erreichen können, weshalb die Vergleichsvereinbarungen unter die Noerr-Pennington-Ausnahme fielen und nicht kartellrechtswidrig waren. Richter Sheridan deutet an, dass eine Vermögensübertragung dann nicht kartellrechtlich bedenklich sei, wenn die Parteien auf transparente Art und Weise die Kartellbehörden von ihrer Absicht des Vergleichsabschlusses sowie dessen Inhalt im Vorfeld informiert haben und außerdem das Gericht selbst Einfluss auf den Abschluss des Vergleichs genommen hat.427 In der Cipro-Entscheidung des District Courts in New York kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass Noerr-Pennington deshalb nicht anwendbar sei, weil es sich bei der streitigen Vereinbarung um eine Übereinkunft zwischen Privaten handele. Der Richter habe lediglich unterschrieben, dass es zu einem prozessbeendenden Vergleich gekommen sei, wobei er jedoch nicht über den konkreten Inhalt der Vereinbarungen zwischen den Pharmaunternehmen unterrichtet worden sei.428 Der District Court stellt klar, dass selbst, wenn das Gericht vom vollständigen Inhalt des Vergleiches Kenntnis nehme, dieser trotzdem als private Vereinbarung anzusehen sei.429 Denn eine staatliche Handlung, die lediglich darin bestehe, einen privaten Vertrag zu billigen, verdiene keinen Schutz.430 Zum gleichen Ergebnis kommt der District Court of Massachusetts in seiner Entscheidung betreffend das Medikament Nexium. Hintergrund waren verschiedene Vereinbarungen zwischen AstraZeneca und Generikaherstellern, die als Consent Judgement durch das Gericht verabschiedet worden waren. Auch hier verneinte das Gericht einen Schutz durch Noerr-Pennington. Einer Gerichtsentscheidung, deren bloßer Zweck es sei, eine zwischen Privaten ausgehandelte Vereinbarung zu beurkunden, komme ein entsprechender Schutz nicht zu. Ansonsten hätten die Parteien 425 MedImmune, Inc. v. Genentech, Inc., Nr. CV 03 – 2567 MRP, 2003 WL 25550611 (C.D.Cal. 2003). 426 MedImmune, Inc. v. Genentech, Inc., Nr. CV 03 – 2567 MRP, 2003 WL 25550611, bei *7 (C.D.Cal. 2003). 427 Siehe hierzu: S. 157; In re Effexor XR Antitrust Litigation, 2014 WL 4988410, bei *24 (D.N.J. 2014). 428 In re Ciprofloxacin Hydrochloride Antitrust Litigation, 261 F.Supp.2d 188, 212 (E.D.N.Y. 2003). 429 In re Ciprofloxacin Hydrochloride Antitrust Litigation, 261 F.Supp.2d 188, 213 (E.D.N.Y. 2003). 430 In re Ciprofloxacin Hydrochloride Antitrust Litigation, 261 F.Supp.2d 188, 213 (E.D.N.Y. 2003); Cantor v. Detroit Edison Co., 428 U.S. 579, 602 (1976).

§ 14 Actavis-Entscheidung des US Supreme Courts

159

die Möglichkeit, einzig durch das Abnicken des Gerichtes ihre Vereinbarung gegen kartellrechtliche Überprüfung abzuschirmen.431 Auch der District Court of Georgia differenziert danach, welche Rolle das Gericht bei Eingehung der Vereinbarung hat. Kommt ihm lediglich eine notarielle, beurkundende Funktion zu, so bleibt ein Noerr-Pennington-Schutz verwehrt.432 Erst wenn das Gericht an den Verhandlungen beteiligt und derartigen Einfluss auf sie gehabt hat, dass eine Vereinbarung ohne das Gericht ein anderes Ergebnis zum Inhalt gehabt hätte, sei daran zu denken, dass das Kartellrecht keine Anwendung finde.433 Der Einschätzung der Gerichte ist zuzustimmen.434 Der Gefahr, dass die NoerrPennington-Lehre durch die Unternehmen zur Immunisierung ihrer Vereinbarungen gegen Kartellrecht verwendet wird, muss mit klaren Kriterien entgegengetreten werden. Das bloße Einholen eines Consent Judgement ist dabei nicht ausreichend, um eine Vereinbarung der staatlichen Sphäre zuzuordnen und die Vereinbarung damit von kartellrechtlichen Überprüfungen auszunehmen. Entscheidendes Abgrenzungskriterium ist, ob es sich bei der in Frage stehenden Handlung um eine bloß formal staatliche oder der inneren Substanz nach staatliche handelt.435 Letzteres ist nur dann anzunehmen, wenn das Gericht eine unabhängige und Einfluss nehmende Rolle bei der Erarbeitung der Vergleichsvereinbarung einnimmt.436

D. Ausblick Die Einschätzung des Supreme Courts, dass die besonderen Bestimmungen des Hatch-Waxman Acts monokausal für das Entstehen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen sei, kann hingegen nicht überzeugen. Zwar bieten die Regelungen wie der 180-tägigen Exklusivität sowie der 30-monatigen Zulassungssperre (ungewollte) Anreize für die Parteien, einen Vergleich einzugehen. Gleichwohl unterstützt das Aufkommen von derartigen Vereinbarungen in der EU sowie in Südkorea, Ländern, die keine dem Hatch-Waxman Act vergleichbaren Regelungen haben, die Annahme, dass diese Schlussfolgerung des Supreme Courts nicht korrekt ist. Vielmehr führen andere Faktoren zum Aufkommen von Pay-for-Delay. Hierzu gehören die Interessenlage der Parteien im Patentprozess, die außerordentliche Wichtigkeit von (einzelnen) Patenten im pharmazeutischen Bereich sowie die hohe Preisspanne zwischen 431

2013). 432

In re Nexium (Esomeprazole) Antitrust Litigation, 968 F.Supp.2d 367, 396 f. (D.Mass.

In re Androgel Antitrust Litigation (No. II), 2014 WL 1600331, bei *6 (N.D. Ga. 2014). So auch: In re Androgel Antitrust Litigation (No. II), 2014 WL 1600331 bei *7 f. (N.D.Ga. 2014), wonach Consent Judgements nie unter Noerr-Pennington fallen sollten. 434 So auch: Fischmann, S. 181 ff. 435 So schlägt es der 1st Circuit vor: George R. Whitten, Jr., Inc. v. Paddock Pool Builders, Inc., 424 F.2d 25, 33 (1st Cir. 1970). 436 In re Nexium (Esomeprazole) Antitrust Litigation, 968 F.Supp.2d 367, 398 (D.Mass. 2013); In re Effexor XR Antitrust Litigation, 2014 WL 4988410, bei *24 (D.N.J. 2014). 433

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3. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in den USA

Einnahmen während der Patentlaufzeit und nach Markteintritt von Generikaherstellern. Die Befürchtung, dass eine verstärkte kartellrechtliche Ahndung einen Rückgang von Vergleichsvereinbarungen sowie einen Rückgang von Generikaanmeldungen zur Folge haben könnte, hat sich bisher nicht bestätigt. Im Gegenteil ist im Jahr 2014 in den USA die Zahl der ANDA-Patentverfahren stark gestiegen. So wurden zwischen Januar und September 2014 bereits mehr ANDA-Verletzungsverfahren angestrengt, als im gesamten Jahr 2011, dem bisher verfahrensreichsten Jahr.437 Diese Entwicklung rührt möglicherweise aus der Rechtsicherheit, für die die ActavisEntscheidung gesorgt hat.438 Rechtsicherheit ist durch das Urteil insofern hergestellt worden, als dass ein sicherer Hafen für solche Vergleichsvereinbarungen geschaffen wurde, die keine Vermögensübertragung des Patentinhabers an den Generikahersteller beinhalten sowie solche, deren Vermögensübertragung über die erwarteten Prozesskosten und legitimen Gegenleistungen des Generikaherstellers nicht hinausgehen. Actavis setzt keinen Schlussstrich unter die Debatte, ob Pay-for-Delay-Vereinbarungen kartellrechtswidrig sind oder nicht. Vielmehr entscheidet sich der Supreme Court für eine flexible (Rule-of-Reason-)Lösung und gegen einen starren, aber ein gewisses höheres Maß an Rechtssicherheit vermittelnden Kriterienkatalog. Indem es der Supreme Court unterlässt, den Begriff des large and unjustified Payment abschließend zu definieren, verlagert er die Ausformung dieser Begriffe auf die Rechtsprechung unterer Instanzen. Diese scheint bisher noch keine einheitliche Lösung gefunden zu haben. Hier deutet sich ein erneuter Circuit Split an, eine Situation, die der Supreme Court mit seiner Actavis-Entscheidung eigentlich hatte ausräumen wollen. Weiterhin umstritten ist auch die Frage, welche Auswirkungen die neuere Rechtsprechung des Supreme Courts über den pharmazeutischen Bereich hinaus hat. Eine Auslegung des Urteils ergibt, dass das Gericht seine Entscheidung speziell auf den Bereich des Hatch-Waxman Acts zugeschnitten hat und deshalb nicht auf andere Bereiche erstrecken wollte. Ob die Instanzgerichte dieser Auffassung folgen, wird sich in Zukunft zeigen. Das Urteil scheint jedoch eine Tendenz in der amerikanischen Rechtsprechung zu unterstreichen, wonach das Kartellrecht nicht vor Sachverhalten mit Bezug zum Patentrecht pauschal zurückweicht.439 Der Rechtsfrieden stellt auch nach Actavis weiterhin ein hohes Rechtsgut dar. Eines jedoch, das gegenüber Zwecken des Wettbewerbs und dem Ziel, zu Unrecht erteilte Patente für nichtig erklären zu lassen, in bestimmten Fällen zurückstehen muss.

437

In den ersten neun Monaten des Jahres 2014 wurden 323 Verfahren eingeleitet. 2011 waren es insgesamt nur 293; Pierson, 30 No. 10 Westlaw Journal Pharmaceutical 6 (2014). 438 Pierson, 30 No. 10 Westlaw Journal Pharmaceutical 6 (2014). 439 Flinn, Handbook of Intellectual Property Claims & Remedies, § 6.07: „However, what is clear is that antitrust scrutiny has become appropriate in more situations involving patents“.

§ 15 Ergebnis des dritten Teils

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Es kann erwartet werden, dass es durch eine verstärkte Überprüfung dieser Vergleiche anhand klarer Kriterien zu einer Verringerung der Medikamentenpreise kommen wird.440 Durch das Urteil und die hierdurch wieder neu angestoßene Debatte wäre es außerdem nicht verwunderlich, wenn der in letzter Zeit ins Stocken geratene Gesetzgebungsprozess in den USA wieder an Fahrt aufnimmt.441

§ 15 Ergebnis des dritten Teils Im Vorfeld der Actavis-Entscheidung gelangten US Gerichte zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der Bewertung von Pay-for-Delay-Vergleichsvereinbarungen. Der Großteil der Circuit Courts wendete den Scope-of-the-Patent-Test an, wonach der patentrechtliche Schutzbereich auch eine Vergleichsvereinbarung gegen Kartellrecht immunisiert. Andere Circuit Courts vertraten die Meinung, dass es sich um per se kartellrechtswidrige Wettbewerbsbeschränkungen handele bzw. eine Kartellrechtswidrigkeit mittels Quick-Look-Analyse zu ermitteln sei. Mit der Grundsatzentscheidung FTC v. Actavis nahm der US Supreme Court zur entstandenen Rechtsunsicherheit Stellung. Das Gericht kam zu dem Schluss, Patentund Kartellrecht seien zu einem gerechten Ausgleich zu bringen. Nicht nur patentrechtliche Zielsetzungen seien bei der Bewertung von Pay-for-Delay zu beachten. Auch kartellrechtliche Zwecke spielten eine Rolle. Insbesondere seien die Absichten des Gesetzgebers relevant, die sich in den Regelungen des Hatch-Waxman Acts niederschlagen, nämlich ein möglichst frühzeitiges Generikaangebot herbeizuführen, solange das Patentrecht hierbei nicht verletzt wird. Der Supreme Court erkennt negative Wettbewerbseffekte darin, dass das Risiko der Patentüberprüfung durch den Patentinhaber mittels Vermögensübertragung ausgeräumt wird.442 Bereits das Abkaufen dieses Risikos hat nach Meinung des Supreme Courts das Potential eines Wettbewerbshindernisses.443 In dem Urteil lehnt er deshalb den Scope-of-the-Patent-Test ab und verlangt vielmehr die Anwendung einer ausgedehnten Rule-of-Reason-Analyse. Hierbei liefert der Supreme Court eine Reihe von Kriterien (Shortcuts444), die es den Klägern und Richtern ermöglichen die Kartellrechtsfrage zu beantworten, ohne das Patent selbst überprüfen zu müssen. Ausreichend sei es, ein large and unjustified Payment zu beweisen. Der Supreme Court betont dabei, dass Vergleichsvereinbarungen nicht gänzlich ausgeschlossen würden, sie auf der anderen Seite jedoch keine wettbewerbsschädlichen Absprachen kaschieren sollten. Erlaubt seien insbesondere Vereinbarungen, 440

Lim, IIC 2014, 1, 4. Ebd. 442 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 (2013): „[…] concern that a patentee is using its monopoly profits to avoid the risk of patent invalidation or a finding of noninfringement“. 443 Ebd. 444 Davis/McEwan, 67 Rutgers L.Rev. 557, 566 (2015). 441

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3. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in den USA

bei denen der Wettbewerbsausschluss von der Stärke des Patents herrühre – wenn also ein Markteintritt des Generikaherstellers vereinbart werde, der vor Patentende liege. Den vereinbarten Markteintritt des Generikums mittels eines Payment künstlich zeitlich nach hinten zu verschieben sei nicht erlaubt. Die Actavis-Entscheidung hat damit die Möglichkeit von Pharmaunternehmen, sich im Rahmen von Patentstreitigkeiten zu vergleichen, nicht gänzlich ausgeschlossen, ihren Handlungsspielraum aber eingeschränkt. Das Actavis-Urteil stellt nicht den Schlusspunkt unter der Diskussion rund um Pay-for-Delay dar, sondern ist lediglich als eine weitere Etappe in der Beantwortung der Frage der Zulässigkeit von Pay-for-Delay-Vereinbarungen einzuordnen. Rechtssicherheit für die beteiligten Kreise wurde mit dieser Entscheidung nicht vollständig hergestellt. Denn eine Reihe von Fragen bleibt durch das Urteil unbeantwortet. Unklar bleibt, in welchen Fällen und gegebenenfalls in welcher Tiefe innerhalb der Rule of Reason das Patent selbst zu überprüfen ist. Uneinigkeit besteht im Nachgang der Entscheidung bei der Frage der Auslegung des Begriffs des Payment sowie der Bewertung, wann dieses als hoch (large) und ungerechtfertigt (unjustified) zu qualifizieren ist. Unter den Payment-Begriff fällt nach der Auslegung des Actavis-Urteils jede Form der Vermögensübertragung. Hierzu gehören auch nicht-monetäre Formen. Die Verpflichtung des Patentinhabers, während eines Zeitraums keine autorisierten Generika als Konkurrenzprodukte zu lancieren, stellt ebenfalls eine Form der Vermögensübertragung dar. Hoch ist eine Vermögensübertragung, wenn sie die erwarteten Prozesskosten des Patentinhabers übersteigt und nicht durch andere Gegenleistungen des Generikaherstellers gerechtfertigt ist. Dabei stellt nicht jede irgendwie von Wert erscheinende Form der Gegenleistung eine Rechtfertigung im Sinne von Actavis dar. Von der Rechtfertigung ausgeschlossen sind insbesondere die Vermeidung des Risikos, dass der Patentprozess zu Ungunsten des Patentinhabers ausgeht, sowie das Interesse an einem Vergleich selbst. Auch die Beweislastverteilung bleibt umstritten. Angesichts der Ausführungen des Supreme Courts sowie der grundsätzlichen Beweisregelungen der Rule of Reason erscheint eine Beweisverteilung sinnvoll, nach der die Klägerseite eine hohe Vermögensübertragung zu beweisen hat. Gelingt dies, so liegt die Beweislast der Rechtfertigung dieser Vermögensübertragung bei den Beklagten. Die Analyse der US-Rechtslage verdeutlicht die Schwierigkeiten der kartellrechtlichen Bewertung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen. Im Jahr, in dem der Supreme Court seine Actavis-Entscheidung getroffen hat, veröffentlichte auch die EU-Kommission ihre erste von bisher drei Entscheidungen zu Pay-for-Delay-Vereinbarungen. Spätestens hierdurch wurde die Debatte auch nach Europa getragen. Die hiesige Diskussion setzt zwar bei ähnlichen Fragen wie die US-amerikanische an. Es sind jedoch auch Unterschiede erkennbar. Der folgende Teil der Arbeit widmet sich daher der kartellrechtlichen Bewertung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen in der EU.

Vierter Teil

Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU Die bisherigen Ausführungen zur kartellrechtlichen Bewertung von Pay-forDelay-Vereinbarungen in den USA verdeutlichen den dynamischen Verlauf der dortigen Debatte. Das Thema wurde auch in der EU in den letzten Jahren viel diskutiert, zumal es lange Zeit keine unmittelbar auf Pay-for-Delay gerichtete Rechtsprechung durch die EU-Gerichte gab. Im September 2016 veröffentliche das Europäische Gericht seine Lundbeck-Entscheidung, die die Entschheidung der EUKommission bestätigte.1 Die EU-Kommission als Kartellbehörde hat bisher drei viel beachtete Entscheidungen zu Pay-for-Delay-Sachverhalten getroffen. Dieser Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Frage nach der kartellrechtlichen Zulässigkeit von Pay-for-Delay-Vereinbarungen nach EU-Recht. In einem ersten Abschnitt erfolgt zunächst eine Analyse der von der Europäischen Kommission vertretenen Ansicht (§ 16). Hieran schließt sich die Untersuchung der Frage an, inwieweit sich die Kommissionsentscheidungen mit den Grundsätzen der EuGH-Rechtsprechung vereinen lassen (§ 17). In diesen Abschnitt werden auch die Erwägungen des EuG aus seiner kürzlich ergangenen Lundbeck-Entscheidung miteinfließen. Art. 3 der Kartellverfahrensverordnung 1/20032 bestimmt den Anwendungsvorrang des Unionsrechts vor dem nationalen Kartellrecht der Mitgliedstaaten. Dieser Vorrang des EU-Rechts erlangt jedoch nur dann Bedeutung, wenn eine Vereinbarung oder Maßnahme zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels geeignet ist, was bei Pay-for-Delay-Vereinbarungen regelmäßig der Fall ist. Gemäß Art. 4 der Kartellverfahrensverordnung1/2003 ist die Kommission für die Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV zuständig. Die nationalen Kartellbehörden sind daneben gemäß Art. 5 der Verordnung nur „in Einzelfällen“ zuständig. Der Kommission kommt damit eine zentrale Rolle zu.3 Sie entscheidet eigenständig über die Aufnahme eines Verfahrens. Insofern liegt der Fokus der kartellrechtlichen Bewertung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen im EU-Raum auf dem EU-Kartellrecht und der Entscheidungspraxis der EU-Kommission. 1

EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449. VO EG Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln; der Anwendungsvorrang bestand bereits vor Inkrafttreten der VO 1/2003, siehe: Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 101 Abs. 1, Rn. 16. 3 Im Einzelnen: Ritter, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 4 VO 1/2003, Rn. 6. 2

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4. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

In der EU ist neben der Kommission einzig die britische Kartellbehörde in einer Pay-for-Delay-Sache bisher aktiv geworden.4 In der Entscheidung vom 12. Februar 2016 belegte die Competition and Markets Authority (CMA) die Pharmaunternehmen GSK und mehrere Generikahersteller mit einem Bußgeld von £ 45 Mio.5 Die CMA kommt zu dem Schluss, dass die Pharmaunternehmen zwischen 2001 und 2004 Pay-for-Delay-Vereinbarungen über die Markteinführung von Generika des Antidepressivums Seroxat mit dem Wirkstoff Paroxetin schlossen und hiermit Kartellrechtsverletzungen begingen. Hierbei nimmt sie sowohl einen Verstoß gegen das Verbot wettbewerbswidriger Vereinbarungen an, als auch einen Kartellrechtsverstoß wegen der Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung. Durch die Leistung von Vermögensübertragungen an verschiedene Generikahersteller habe GSK seine marktbeherrschende Stellung ausgenutzt. Neben dieser Entscheidung sind die Entscheidungen der EU-Kommission damit die einzigen Quellen für die Analyse eines europäischen Umgangs mit Pay-for-Delay-Vereinbarungen.

§ 16 Entscheidungen der EU-Kommission – Verstoß gegen Art. 101 AEUV A. Einführung Anknüpfungsnormen für das EU-Kartellrecht sind Art. 101 und 102 AEUV. Art. 101 AEUV verbietet bestimmte Vereinbarungen zwischen Unternehmen. In Art. 101 Abs. 1 AEUV heißt es: „Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken […].“

Art. 102 AEUV verbietet das missbräuchliche Ausnutzen einer marktbeherrschenden Stellung. Da es bei Pay-for-Delay in erster Linie um Vereinbarungen zwischen zwei Unternehmen geht, ist Art. 101 AEUV in erster Linie der Anknüpfungspunkt. Zwar kann in Einzelfällen auch die Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung in Betracht kommen, allerdings liegt dabei der Vorwurf regel4

Dies erfolgte nach einem Hinweis durch die EU-Kommission, CMA, Pressemitteilung vom 12. Februar 2016, CMA fines pharma companies £45 million, abrufbar unter: https://www. gov.uk/government/news/cma-fines-pharma-companies-45-million. Im März 2017 hat die CMA ein weiteres Verfahren eröffnet. Sie ermittelt gegen die Medikamentenhersteller Concordia und Actavis UK, abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/news/cma-alleges-anti-competiti ve-agreements-for-hydrocortisone-tablets. 5 CMA, Pressemitteilung vom 12. Februar 2016, CMA fines pharma companies £45 million, abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/news/cma-fines-pharma-companies-45million.

§ 16 Entscheidungen der EU-Kommission

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mäßig nicht bei der Eingehung der Vereinbarung, sondern anderen Verhaltensweisen, die einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung begründen. Die EU-Kommission hat bisher drei Entscheidungen zu Pay-for-Delay-Vereinbarungen getroffen. Gegen die Originalhersteller Lundbeck,6 Johnson & Johnson,7 Servier8 sowie verschiedene Generikaunternehmen, mit denen diese Unternehmen Verträge geschlossen hatten, verhängte die Kommission Bußgelder wegen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV. Zusätzlich nahm sie in der Sache Servier auch einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV an.9 Ein weiteres Verfahren gegen Cephalon und Teva ist bislang nicht entschieden worden.10 Die Entscheidungen haben viel Beachtung gefunden. Eine Veröffentlichung dieser Entscheidungen fand erst relativ spät statt; im Fall Lundbeck erst 19 Monate nach der eigentlichen Bußgeldverhängung. Zunächst waren lediglich Pressemitteilungen herausgegeben worden. Alle drei Entscheidungen sind inzwischen veröffentlicht, nachdem sensible Unternehmensgeheimnisse entfernt wurden. Die umfangreichen Entscheidungen lassen bei Betrachtung ihrer Gemeinsamkeiten einen klaren Ansatz der EU-Kommission erkennen. Gemeinsam ist den Entscheidungen trotz teils sehr unterschiedlicher Fallgestaltungen, dass die Kommission die untersuchten Vereinbarungen zwischen „potentiellen Wettbewerbern“ sowie als „bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen“ einordnet. Nach einer kurzen Skizzierung der einzelnen Kommissionfälle erfolgt die Analyse der wesentlichen Ergebnisse der Kommission, der eine kritische Auseinandersetzung folgt.

B. Vorgehensweise der Kommission I. Citalopram – Lundbeck Gegenstand der Untersuchung waren sechs Vereinbarungen, die zwischen dem Originalhersteller Lundbeck und vier Generikaherstellern im Jahr 2002 in Bezug auf das Antidepressivum Citalopram geschlossen wurden.11 Bereits im Oktober 2003 war die Kommission von den dänischen Wettbewerbshütern über die Vereinbarungen informiert worden. Die Untersuchung verzögerte sich jedoch durch die Sektoruntersuchung, sodass erst zu Beginn des Jahres 2010 ein förmliches Verfahren gegen Lundbeck eingeleitet wurde. Dies führte zur Übersendung der Beschwerdepunkte im 6 KOM Beschluss v. 19. 6. 2013, C(2013) 3803 endg., Sache AT.39226 – Lundbeck (im Folgenden: KOM, Lundbeck). 7 KOM Beschluss v. 10. 12. 2013, C(2013) 8870 endg., Sache AT.39685 – Fentanyl (im Folgenden: KOM, Johnson & Johnson). 8 KOM Beschluss v. 9. 7. 2014, C (2014) 4955 endg., Sache AT.39612 – Perindopril (Servier) (im Folgenden: KOM, Servier). 9 KOM, Servier, Rn. 2759 ff. 10 KOM, COMP/39686 – Cephalon; Pressemitteilung vom 28. 04. 2011, IP/11/511, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-11-511_de.htm. 11 KOM, Lundbeck, Rn. 218.

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4. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

Juli 2012.12 Am 19. Juni 2013 erfolgte die Entscheidung, nach der insgesamt Bußgelder in Höhe von E 146 Mio. verhängt wurden.13 Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass Lundbeck jeweils mit den Generikaherstellern Vereinbarungen getroffen hatte, die die Einführung von Generika für das Medikament Citalopram verzögerten. Dabei seien die Vereinbarungen im Rahmen von „mindestens potentiellen Patentstreitigkeit[en]“14 geschlossen worden. Gegen die Entscheidung wendeten sich das Unternehmen Lundbeck sowie die Generikahersteller und ließen es durch das EuG überprüfen. Dieser bestätigte die Kommissionsentscheidungen jedoch in Gänze.15 Inzwischen haben die Unternehmen Klage beim EuGH eingereicht.16 II. Fentanyl – Johnson & Johnson Anders gelagert waren die Vereinbarungen zwischen Johnson & Johnson und zwei Generikaunternehmen. So war das von Johnson & Johnson vertriebene Arzneimittel Fentanyl vor und während der Vereinbarung mit zwei Tochtergesellschaften von Novartis17 nicht patentgeschützt.18 Am 10. Dezember 2013 erfolgte der Beschluss der Kommission, der die Unternehmen mit einem Bußgeld von insgesamt knapp E 16,3 Mio. belegte.19 Die Unternehmen hatten Vereinbarungen zur Verkaufsförderung (Co-Promotion-Agreements) geschlossen und nach Ansicht der Kommission somit einen „Mechanismus“ etabliert, der zu einer Abschottung des niederländischen Marktes gegen einen potentiellen Wettbewerber führte.20 12 KOM, Zusammenfassung des Beschlusses, Sache AT.39226 – Lundbeck, ABl. C 80/13 v. 7. 3. 2015, Rn. 7. 13 Hiervon entfielen auf Lundbeck knapp 94 Mio. E; KOM, Zusammenfassung des Beschlusses, Sache AT.39226 – Lundbeck, ABl. C 80/13 v. 7. 3. 2015, Rn. 18 f. 14 Die Kommission definiert diesen Begriff als „Meinungsverschiedenheit zwischen zwei oder mehr Parteien bezüglich eines Patents, in deren Rahmen ein Patentrechtsprozess einen möglichen Schritt darstellt.“ Diese Definition war deshalb nötig, da es nur in einer der Lundbeck-Vereinbarungen tatsächlich zu einem patentrechtlichen Gerichtsverfahren gekommen war; in den übrigen Fällen hatte Lundbeck lediglich auf mögliche Verletzungen seiner Verfahrenspatente hingewiesen beziehungsweise abgemahnt, KOM, Lundbeck, Rn. 4, 748; dies., Zusammenfassung des Beschlusses, Sache AT.39226 – Lundbeck, ABl. C 80/13 v. 7. 3. 2015, Rn. 4. 15 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449. 16 Lundbeck/Kommission, C-591/16 P; Sun Pharmaceutical Industries und Ranbaxy (UK)/ Kommission, C-586/16 P; Generics (UK)/Kommission, C-588/16 P; Arrow Group und Arrow Generics/Kommission, C-601/16 P. 17 Die Vereinbarungen wurden geschlossen zwischen dem Originalhersteller Janssen-Cilag B.V., einem Tochterunternehmen von Johnson & Johnson und den beiden Generikaherstellern Hexal B.V. und Sandoz B.V., KOM, Johnson & Johnson, Rn. 1. 18 KOM, Johnson & Johnson, Rn. 23 f. 19 KOM, Johnson & Johnson, Rn. 504, 523. 20 KOM, Zusammenfassung des Beschlusses, Sache AT.39685 – Fentanyl, ABl. C 142/21 v. 29. 4. 2015, Rn. 12.

§ 16 Entscheidungen der EU-Kommission

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III. Perindopril – Servier Die mit Abstand höchsten Bußgelder in Höhe von E 427,7 Mio. verhängte die Kommission im Fall um Vereinbarungen über das Bluthochdruckmedikament Perindopril. Die Kommission führt in ihrem Beschluss vom 09. Juli 2014 auf 805 Seiten aus, dass Servier durch die Übertragung von Vermögen im Wert zweistelliger Millionenbeträge an mehrere Generikahersteller gegen Art. 101 AEUV verstieß. Außerdem nahm die Kommission einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Art. 102 AEUV) durch Servier an, weil das Unternehmen gezielt Technologie aufgekauft hatte, um einen hierdurch möglich gewordenen Generikawettbewerb zu verhindern.21 IV. Modafinil – Cephalon und Teva Gegen den Originalhersteller Cephalon des Medikaments Modafinil und den Generikahersteller Teva leitete die Kommission von Amts wegen ein Verfahren bereits im April 2011 ein.22 Gegenstand der Untersuchung ist, ob die Patentvereinbarung zwischen beiden Unternehmen aus dem Jahr 2005, wonach Teva sein geplantes Medikament nicht vor Oktober 2012 auf den Markt bringen würde, einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV darstellt. Im Juli 2017 übermittelte die Kommission ihre Beschwerdepunkte. Sie gelangt zu der vorläufigen Einschätzung, dass die Vereinbarung gegen Art. 101 AEUV verstoße.23 Der Werttransfer habe als „ein erheblicher ,Pay-for-Delay‘-Anreiz für Teva“ gedient, um nicht in Konkurrenz zu treten. Dies habe einen „erheblichen Schaden“ verursacht. Die geschlossene Vereinbarung betraf außerdem die USA und ist dort Gegenstand gerichtlicher Überprüfung.24 V. Einzelfallbetrachtung und Prüfungsstruktur Die beschriebenen Entscheidungen der EU-Kommission verdeutlichen die große Aufmerksamkeit, die die Kommission Vereinbarungen zwischen Originalpräparateund Generikahersteller entgegenbringt. Die Kommission vermeidet es allerdings, 21 KOM, Servier, Rn. 2923 ff.; Pressemitteilung vom 09. Juli 2014, IP/14/799, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release _IP-14-799_de.htm. 22 KOM, Pressemitteilung v. 28. April 2011, IP/11/511 – abrufbar unter: http://europa.eu/ra pid/press-release_IP-11-511_de.htm; Eröffnung der Untersuchung in der Sache COMP/39686, v. 19. 4. 2011. 23 KOM. Pressemitteilung vom 17. Juli 2017, IP/17/2063, abrufbar unter: http://europa.eu/ rapid/press-release_IP-17 – 2063_de.htm. 24 King Drug Co. of Florence, Inc. v. Cephalon, Inc., 702 F.Supp.2d 514, 522 (E.D.Pa. 2010); nach der Actavis-Entscheidung des Supreme Court hatte Richter Goldberg darüber zu entscheiden, wie die dort aufgestellten Grundsätze auf das bestehende Verfahren anzuwenden sind: King Drug Company of Florence v. Cephalon, Inc., 88 F.Supp.3d 402 (E.D.Pa. 2015).

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4. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

Pay-for-Delay-Vereinbarungen pauschal und abstrakt einzuordnen. Bereits in ihrer Sektoruntersuchung betonte sie, dass Pay-for-Delay-Vereinbarungen immer einer Einzelfalluntersuchung zu unterziehen seien.25 Auch in den der Sektoruntersuchung folgenden Monitoring-Berichten geht sie nur soweit, Vereinbarungen des Typs B.II, die eine Kombination aus Vermögensübertragung an den Generikahersteller und Beschränkung der Vermarktung des Generikums beinhalten, pauschal als kartellrechtlich am bedenklichsten einzustufen.26 Die Ansicht, wonach derartige Vereinbarungen per se als kartellrechtswidrig einzuordnen sind, vertritt sie nicht.27 Diesem Ansatz ist zuzustimmen, macht doch die erhebliche Diversität der Pay-for-DelayVereinbarungen ein pauschaliertes Ergebnis einer kartellrechtlichen Begutachtung nur eingeschränkt möglich.28 Bei der Frage, ob die untersuchten Vereinbarungen gegen Art. 101 AEUV verstoßen, geht die Kommission in ihren drei Entscheidungen einheitlich vor und gründet ihre Entscheidungen auf ähnliche Kriterien. Im Wesentlichen prüft sie hierbei drei Kriterien, die ihrer Meinung nach bei Pay-for-Delay-Vereinbarungen eine besondere Rolle spielen:29 Erstens sei festzustellen, ob zwischen den Unternehmen überhaupt ein Wettbewerbsverhältnis bestünde. Dies sei auch dann der Fall, wenn lediglich potentieller Wettbewerb vorliege. Einen solchen bejaht die Kommission in allen Entscheidungen (unter: C.). Die beiden übrigen Kriterien, die für die Kommission von besonderer Wichtigkeit sind, spielen für die Einordnung der Vereinbarung als „bezweckte“ oder „bewirkte“ Wettbewerbsbeschränkung eine Rolle. Nach detaillierter Prüfung der Kriterien „Einschränkungen des Generikaherstellers“ (unter: D.II.1.) und „Vermögensübertragung“ (unter: D.II.2.) gelangt die Kommission jeweils zum Ergebnis, dass es sich um bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen handelt. Im Folgenden wird die Argumentation der Kommission dargestellt, wobei aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht ausschließlich auf die drei von der Kommission genannten Kriterien eingegangen wird. Beim potentiellen Wettbewerb erfolgt nach der Vorstellung des Konzepts des potentiellen Wettbewerbs (C.I.) eine Strukturierung der von der Kommission vorgebrachten Argumente (C.II.) mit anschließender Stellungnahme (C.III.). Hierauf folgt die Einordnung der Vereinbarungen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen (D.). Dabei werden zunächst die Unterschiede zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen aufgezeigt und sodann die Entscheidungskriterien der EU-Kommission analysiert. In Abschnitt E. wird dargestellt, warum die Kommission in der Sache Servier zu dem 25

KOM, Pharmaceutical Sector Inquiry, Rn. 1538, 1575; Servier, Rn. 1154. KOM, 1. Monitoring-Bericht, Rn. 14. 27 Hierzu und zu den Monitoring-Berichten siehe S. 48 ff. 28 Siehe hierzu die Problematik zur abstrakten Abgrenzung zwischen Patent- und Kartellrecht ab S. 35. 29 So hebt die Kommission in allen Entscheidungen drei wesentliche Kriterien hervor: KOM, Johnson & Johnson, Rn. 221 ff.; Lundbeck, Rn. 661; Servier, Rn. 1154; zu den übrigen Kriterien wie dem Anwendungsbereich des Art. 101 AEUV sowie dem Merkmal der Zwischenstaatlichkeit siehe: Schmid, S. 79 ff. 26

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Ergebnis kommt, dass die Vereinbarungen außerdem auch eine bewirkte Wettbewerbsbeschränkung darstellen. Abschließend erfolgt in Abschnitt F. die Darstellung der Kommissionsargumente hinsichtlich einer möglichen Freistellung der Vereinbarungen.

C. Potentieller Wettbewerb I. Das Konzept des potentiellen Wettbewerbs Wesentliches Merkmal des Art. 101 AEUV ist der Ausschluss von Wettbewerb durch eine Vereinbarung zwischen Konkurrenten. Ein solcher Wettbewerb findet jedoch auf den ersten Blick erst mit der Markteinführung von Generika statt. Erst zu diesem Zeitpunkt sieht sich der Originalhersteller durch ein Alternativangebot tatsächlicher Konkurrenz ausgesetzt. Da sich Pay-for-Delay-Vereinbarungen oftmals im Vorfeld der Markteinführung abspielen, stellt sich die Frage, ob zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses bereits von einem Wettbewerb im Sinne des Art. 101 AEUV ausgegangen werden kann. Grundsätzlich kann von Wettbewerb auch dann die Rede sein, wenn tatsächlicher Wettbewerb de facto noch nicht stattgefunden hat. Auch ein Unternehmen, das nicht am Markt aktiv ist, kann durch die bloße Aussicht des Markteintritts bereits Druck auf bestehende Marktteilnehmer ausüben und so einen „real und akut wirkende[n] Disziplinierungsfaktor“ darstellen, der als potentieller Wettbewerb bezeichnet wird.30 Auch die Beschränkung potentiellen Wettbewerbs stellt eine Maßnahme im Sinne des Art. 101 AEUV dar.31 Entscheidendes Merkmal ist damit die „Bestreitbarkeit von Märkten“, die wiederum von technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Gesichtspunkten abhängig ist.32 Potentieller Wettbewerb zeichnet sich dadurch aus, dass eine „konkrete Möglichkeit“ für einen Markteintritt besteht. Die rein theoretische Möglichkeit des Eintritts in einen Markt genügt gerade nicht.33 Hierfür müssen tatsächliche Gegebenheiten sprechen, die sich auf eine Untersuchung der Strukturen des relevanten Marktes sowie des rechtlichen und wirtschaftlichen Kontextes stützen.34 Der geplante Markteintritt muss mit einer 30

Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG, § 36, Rn. 122. EuGH, Delimitis, C-234/89, Slg. 1991, I-935, ECLI:EU:C:1991:91, Rn. 21; EuG, T-374/ 94, T-375/94, T-384/94, T-388/94, European Night Services u. a./Kommission, Slg. 1998 II-314, ECLI:EU:T:1998:198, Rn. 137; auch: E.ON Ruhrgas/Kommission, T-360/09, ECLI:EU: T:2012:332, Rn. 85. 32 Baumol/Panzar/Willig, Contestable Markets and the Theory of Industry Structure; Meessen/Kersting, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, Einführung in das europäische und deutsche Kartellrecht, Rn. 9. 33 EuG, T-461/07, Visa Europe Ltd und Visa International Service/Kommission, Slg. 2011 II-01729, ECLI:EU:T:2011:181, Rn. 166 – 169; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, EUWettbewerbsrecht, Art. 101 Abs. 1, Rn. 122. 34 EuG, T-461/07, Visa Europe Ltd und Visa International Service/Kommission, Slg. 2011 II-01729, ECLI:EU:T:2011:181, Rn. 167; T-374/94, T-375/94, T-384/94, T-388/94, European Night Services u. a./Kommission, Slg. 1998 II-0314, ECLI:EU:T:1998:198, Rn. 137 ff. 31

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4. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

„lebensfähigen wirtschaftlichen Strategie einhergehen“.35 Wesentlich ist deshalb die Markterschließungsfähigkeit des Unternehmens. Zeitlich muss der in Aussicht stehende Markteintritt so schnell zu erwarten sein, dass er einen Disziplinierungseffekt auf die bereits bestehenden Marktteilnehmer hat.36 Ausschlaggebend für die Einordnung als potentielle Marktteilnehmer kann deshalb auch die Wahrnehmung durch andere Marktteilnehmer sein.37 Hierbei ist nach der Rechtsprechung jedoch bereits das Vorhandensein einer Vereinbarung, die den Ausschluss eines Marktzutritts festlegt, als Indiz dafür anzusehen, dass beteiligte Unternehmen als „potentiell ernsthafte“ Wettbewerber wahrgenommen werden.38 Bei der Frage, ob ein Unternehmen ein potentieller Wettbewerber eines sich bereits im Markt befindenden Unternehmens ist, spielen rechtliche, strukturelle sowie strategische Faktoren eine wichtige Rolle.39 Als relevant sieht die Kommission insbesondere den Rechtsrahmen, die Kosten des Markteintritts, die nötige Mindestgröße für den Markteintritt und die Wettbewerbsstärke der Kandidaten am Marktrand, die zu erwartenden Reaktionen der Konkurrenten und der Marktgegenseite, die Perspektiven der Branche sowie die bisherige Entwicklung des Marktes an.40 Dies setzt eine Analyse der Marktverhältnisse voraus, wobei dann nicht von einem potentiellen Wettbewerb auszugehen ist, wenn diese Analyse zu dem Ergebnis kommt, dass der Markt durch Zutrittsschranken versperrt ist. Bei Marktzutrittsschranken handelt es sich um Hürden, die von einem Unternehmen überwunden werden müssen, um auf dem Markt tätig werden zu können.41 Hierunter sind vor allem staatliche Zulassungen und Genehmigungen zu fassen. Aber auch gewerbliche Schutzrechte können Marktzutrittsschranken darstellen.42 Von der Höhe einer solchen Marktzutrittsschranke hängt auch ab, ob und wann ein Marktzutritt eines Akteurs zu erwarten ist.

35 EuG, T-461/07, Visa Europe Ltd und Visa International Service/Kommission, Slg. 2011 II-01729, ECLI:EU:T:2011:181, Rn. 167; T-177/04, easyJet/Kommission, Slg. 2006, II-1931, ECLI:EU:T:2006:187, Rn. 123 – 125. 36 EuG, T-461/07, Visa Europe Ltd und Visa International Service/Kommission, Slg. 2011 II-01729, ECLI:EU:T:2011:181, Rn. 189. 37 EuG, T-112/07, Hitachi u. a./Kommission, Slg. 2011 II-03871, ECLI:EU:T:2011:342, Rn. 90, 226, 319. 38 EuG, T-112/07, Hitachi u. a./Kommission, Slg. 2011 II-03871, ECLI:EU:T:2011:342, Rn. 319. 39 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, Art. 101 Abs. 1 Rn. 122. 40 Ebd; siehe auch Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG, 2004, ABl. 2004/C/ 101/08, v. 27. April 2004, Rn. 115. 41 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, GWB, § 36, Rn. 196. 42 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, GWB, § 36, Rn. 216.

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II. Einordnung durch Kommission Die Kommission verfolgt in ihren drei Pay-for-Delay-Beschlüssen bezüglich der Einordnung von Unternehmen als potentielle Wettbewerber eine einheitliche Linie. Grundsätzlich komme es darauf an, wie weit fortgeschritten die Bestrebungen des Generikaherstellers bezüglich einer Vermarktung des Generikums seien. Hierbei müsse nicht bereits das fertige Produkt vorliegen, vielmehr reiche es aus, dass ein Unternehmen die Möglichkeit habe, innerhalb eines „kurzen Zeitraums“ in den Markt einzutreten, wobei auch die Wahrnehmung des sich bereits im Markt befindlichen Unternehmens eine Rolle spielen könne.43 Hinsichtlich der Erfordernisse für die Annahme eines potentiellen Wettbewerbs orientiert sich die Kommission an den Grundsätzen der Rechtsprechung.44 So stützt sie ihre Einschätzung in allen drei Fällen zumindest auch auf die bisher getroffenen Vorkehrungen der Generikaunternehmen, die Wahrnehmung des Originalherstellers sowie die wirtschaftliche Realisierbarkeit der Markteinführung.45 Gegen diese Einschätzung wurde in den Fällen Lundbeck und Servier von den Unternehmen Klage vor dem Europäischen Gericht erhoben, die sich auch gegen die Einordnung der Parteien als potentielle Wettbewerber richtet.46 Zwar ist aus den veröffentlichten Klagegründen nicht ersichtlich, welche konkreten Teile des Kommissionsvorgehens die Kläger angreifen. Jedoch scheinen vor allem die Ausführungen der Kommission zu den Marktzutrittsschranken auf Kritik zu stoßen,47 weshalb diese im Folgenden näher beleuchtet werden. 1. Marktzutrittsschranke durch Patente Eingehend beschäftigt sich die Kommission mit der Frage, ob und auf welche Weise das Bestehen von Patenten die Möglichkeit des Marktzutritts des Generikaherstellers verhindert und deshalb möglicherweise nicht mehr vom Vorliegen eines potentiellen Wettbewerbs auszugehen ist. 43

KOM, Johnson & Johnson, Rn. 226; Servier, Rn. 1163. Hierzu eingehend § 17 ab S. 205. 45 So zum Beispiel im Fall des Generikaherstellers Niche/Unichem, KOM, Servier, Rn. 1283 ff. 46 Die eingereichten Klagen in der Sache Lundbeck: Arrow Group und Arrow Generics/ Kommission, T-467/13, ABl. C 313/32 v. 26. 10. 2013; Ranbaxy Laboratories und Ranbaxy (UK)/Kommission, T-460/13, ABl. C 325/43 v. 09. 11. 2013; Merck/Kommission, T-470/13, ABl. C 325/46 v. 09. 11. 2013; Xellia Pharm. und Zoetis Products/Kommission, T-471/13, ABl. C 325/47 v. 09. 11. 2013; H. Lundbeck und Lundbeck/Kommission, T-472/13, ABl. C 325/47 v. 09. 11. 2013; in der Sache Servier: Krka/Kommission, T-684/14, ABl. C 431/34 v. 01. 12. 2014; Mylan/Kommission, T-682/14, ABl. C 431/32 v. 01. 12. 2014; Sevier u. a./Kommission, T-691/ 14, ABl. C 462/25 v. 22. 12. 2014. 47 Dies zeigt sich auch an der besonders ausführlichen Begründung der Kommission sowie an den vereinzelt zitierten Gegenargumenten der Parteien, KOM, Lundbeck, Rn. 628; Servier, Rn. 1164, 1167. 44

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4. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

Da das Fentanylmedikament von Johnson & Johnson nie Patentschutz erfahren hatte und zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit Hexal und Sandoz auch die Datenexklusivität bereits verstrichen war,48 spielten mögliche Marktzutrittsschranken durch Patente in diesem Fall keine Rolle. Die Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass die Generikahersteller bereits deutliche Vorkehrungen in Bezug auf eine baldige Markteinführung ihrer Generika getroffen haben.49 Auch aus internen Einschätzungen des Originalpräparateherstellers zieht die Kommission den Schluss, dass Johnson & Johnson mit einem Markteintritt des Generikaherstellers Hexal rechnete, weshalb hier ein potentieller Wettbewerb anzunehmen sei.50 Anders gelagert sind die Fälle Lundbeck und Servier. In beiden Fällen war der Patentschutz des Wirkstoffmoleküls bereits abgelaufen; stattdessen lagen verschiedene Verfahrenspatente – etwa auf bestimmte Formen der Herstellung – vor.51 In Bezug auf den pharmazeutischen Sektor beschreibt die Kommission eine besondere Wettbewerbsstruktur. Ihrer Ansicht nach könne der potentielle Wettbewerb im pharmazeutischen Sektor in zwei Phasen eingeteilt werden. Die erste beginne bereits Jahre vor Ablauf des Wirkstoffpatents mit dem Beginn der Entwicklung eines Generikums.52 Die zweite Phase sei durch Zulassungsantrag, Ankauf von Wirkstoffen und konkrete Vermarktungsstrategien gekennzeichnet.53 Deshalb könne bereits einige Jahre vor Ablauf des Wirkstoffpatents ein Wettbewerbsverhältnis zwischen Patentinhaber und potentiellem Generikahersteller entstehen.54 Hierin sieht sie sich auch durch den EuGH in der Sache AstraZeneca gestützt, in der dieser davon ausgeht, dass zu Unrecht erlangte ergänzende Schutzzertifikate in der Lage seien, die Marktstruktur zu verändern „und dadurch schon vor dem Patentablauf den potentiellen Wettbewerb beeinträchtigen.“55 Der EuGH bringt hierbei zum Ausdruck, dass bereits vor Ablauf der Patente von einem potentiellen Wettbewerb auszugehen sein kann.56 Die Kommission betont außerdem, dass Folgepatente – in der Regel Patente auf Herstellungsverfahren und Wirkstoffformulierungen und nicht mehr auf den ursprünglichen Wirkstoff selbst – nicht zwangsläufig eine Marktzutrittsschranke darstellen und potentieller Wettbewerb deshalb nicht von vornherein ausgeschlossen sei, wenn das Originalarzneimittel durch ein oder mehrere Folgepatente geschützt wird.57 So sei die Zeit nach Ablauf des Wirkstoffpatents häufig durch reziproke Unsicherheit darüber geprägt, ob geplante Generika patentverlet48 49 50 51 52 53 54 55 56 57

KOM, Johnson & Johnson, Rn. 228. KOM, Johnson & Johnson, Rn. 233 ff. KOM, Johnson & Johnson, Rn. 248 ff. KOM, Lundbeck, Rn. 621; Servier, Rn. 1179. KOM, Lundbeck, Rn. 616, 762. KOM, Lundbeck, Rn. 616; Servier, Rn. 1125. KOM, Lundbeck, Rn. 619. EuGH, Rs. C-457/10 P, AstraZeneca/Kommission, ECLI:EU:C:2012:770, Rn. 108. So auch: EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 164. KOM, Lundbeck, Rn. 617 f.

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zend sind oder nicht.58 Eventuelle Verletzungen von Patenten seien durch deren Inhaber zu beweisen, weshalb die Unklarheit hierüber nicht zu der Annahme führen dürfe, dass die Möglichkeit des Marktzutritts gänzlich ausgeschlossen ist.59 Vielmehr habe der Generikahersteller verschiedene Handlungsalternativen. So könne er Patente angreifen oder aber das Risiko der Patentverletzung eingehen und das Generikum bereits auf den Markt bringen, ohne dass durch ein Gericht darüber entschieden worden ist, ob er hiermit Patente des Originalherstellers verletzt (sog. AtRisk Launch).60 Denkbar seien auch Veränderungen bei der Herstellung des Wirkstoffes, um die Verletzung bestehender Patente zu umgehen.61 Solange nicht gerichtlich festgestellt sei, dass das Generikum tatsächlich patentverletzend ist, vermögen insbesondere Verfahrenspatente nach Ablauf des Wirkstoffpatents keine derartige Marktzutrittsschranke darzustellen, die die Annahme eines potentiellen Wettbewerbs ausschließe. Die Kommission weist damit das Parteivorbringen zurück, wonach bereits die Patente, die Servier auf sein Medikament hatte, einen Markteintritt durch die Generikahersteller unmöglich machten.62 2. Marktzutrittsschranke durch Zulassungserfordernis Die Kommission diskutiert auch, ob das Arzneimittelzulassungserfordernis eine in Frage kommende Marktzutrittsschranke darstellt. Servier und der Generikahersteller Lupin vertreten die Ansicht, dass ohne erfolgte Zulassung des Generikums sowie aufgrund der Unklarheit, ob und wann eine solche erfolgt, der Generikahersteller nicht als potentieller Wettbewerber des Originalherstellers angesehen werden könne.63 In Anlehnung an die Rechtsprechung in Toshiba64 bejaht die Kommission jedoch auch dann einen potentiellen Wettbewerb, wenn eine Zulassung des Generikums noch nicht erfolgt ist. Entscheidend sei, dass der Generikahersteller das Ziel einer Zulassung aktiv verfolge und eine solche nicht durch „objektiv unüberwindbare Grenzen zur Zeit der Vergleichsvereinbarung“ unmöglich erscheine.65 Da in allen drei Fällen nicht abzusehen gewesen sei, dass die Zulassungsbehörde ihre Zulassung versagen würde, stelle die fehlende Marktzulassung zur Zeit der Vergleichsvereinbarung keine unüberwindbare Marktzutrittsschranke dar.

58

KOM, Servier, Rn. 1176. KOM, Servier, Rn. 1177. 60 KOM, Servier, Rn. 1175 f. 61 KOM, Servier, Rn. 1178, diese Strategie verfolgten beispielsweise die Generikahersteller Niche und Matrix, indem sie planten, den Herstellungsprozess für das Perindoprilmolekül zu verfeinern, um das Risiko, gegen eines der drei Verfahrenspatente von Servier zu verstoßen, zu minimieren, Servier, Rn. 465 ff.; Lundbeck, Rn. 617. 62 KOM, Servier, Rn. 1171 f. 63 KOM, Servier, Rn. 1180. 64 EuG, T-519/09, Toshiba/Kommission, ECR:T:2014:263, Rn. 230. 65 KOM, Servier, Rn. 1181. 59

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4. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

3. Patentverfahren als Indiz für potentiellen Wettbewerb Bereits die Erhebung einer Patentverletzungsklage wertet die Kommission als Hinweis dafür, dass der Patentinhaber die Anstrengungen des Generikaherstellers als bedrohlich ansehe und somit bereits ein potentieller Wettbewerb bestehe.66 In ihrer Lundbeck-Entscheidung gelangt sie auch deshalb zu dem Ergebnis, dass zwischen Lundbeck, dem Hersteller des Originalpräparats Citalopram, und den die Generikaproduktion anvisierenden Unternehmen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein potentieller Wettbewerb bestanden habe.67 Mitentscheidend für diese Einschätzung sei, dass Lundbeck selbst davon ausgegangen sei, dass der Markteintritt von verschiedenen Generikaherstellern kurz bevorstand.68 Die Kommission sieht einerseits die Einleitung von Patentverfahren als „Ausdruck der unabhängigen Bestrebungen des Generikaunternehmens, in den Markt einzutreten, und damit als eine Form des Wettbewerbs im pharmazeutischen Sektor“ an.69 Andererseits seien Patentverletzungsverfahren, die von Seiten des Originalherstellers und Patentinhabers angestrengt würden, ebenfalls ein Indiz dafür, dass das Unternehmen seine Marktposition gegen den Generikahersteller zu verteidigen versucht.70 Es sei das „Wesen des Wettbewerbs in diesem Sektor“, dass Generikahersteller versuchten nach Auslaufen des Wirkstoffschutzes Möglichkeiten und Wege aufzutun, in den Markt zu gelangen, wozu auch die Herausforderung von Folgepatenten gehöre.71

66

KOM, Lundbeck, Rn. 620. KOM, Lundbeck, Rn. 636. 68 KOM, Lundbeck, Rn. 622, 69 KOM, Lundbeck, Rn. 625. 70 „Patent litigation […] is in fact an expression of the independent efforts of generic undertakings to enter the market and therefore a form of competition in the pharmaceutical sector. Likewise, patent litigation is also an expression of competition from the side of the originator undertaking, which in this way is trying to defend its market position against generic competition“, KOM, Lundbeck Rn. 625 ff. 71 „In such a situation, competition – actual or potential – from generic undertakings trying to enter the market by inventing around, seeking declarations of non-infringement or trying to invalidate process patents or formulation patents still held by the originator undertaking, or indeed by generic entry at risk, is the essence of competition in this sector. Denying that in such situations potential competition exists would amount to denying the existence and thriving of the generic pharmaceutical industry and of the competitive pressure it exerts on the originator industry when expiry of exclusivity looms.“, KOM, Lundbeck, Rn. 626; die Kommission betont im Fall Lundbeck, dass selbst wenn Verfahrenspatente für ihren jeweiligen Schutzbereich einen unüberwindbare Marktzutrittsschranke annähmen, diese die Generikahersteller nicht vollständig aus dem Markt hätte fernhalten können, da bestimmte Herstellungsverfahren bereits patentfrei nutzbar waren: KOM, Lundbeck, Rn. 634; die Kommission nahm hierbei keine patenrechtliche Prüfung vor, sondern untersuchte die jeweiligen Einschätzungen der Parteien, KOM, Lundbeck, Rn. 628; beispielsweise für die Vereinbarung zwischen Lundbeck und Merck, KOM, Lundbeck, Rn. 762. 67

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4. Vermögensübertragung als Indiz für potentiellen Wettbewerb Ein weiteres Indiz dafür, dass Lundbeck Merck als Bedrohung und damit als potentiellen Wettbewerber angesehen habe, sei in der Zahlung von Lundbeck an den Generikahersteller zu erblicken.72 Für die Kommission stellt somit bereits eine Vermögensübertragung einen Hinweis für das Bestehen eines potentiellen Wettbewerbsverhältnisses dar. Auch Preisbekanntmachungen können nach Meinung der Kommission einen deutlichen Hinweis dafür darstellen, dass ein Markteintritt, und damit ein direkter Wettbewerb, unmittelbar bevorstehe. Der Generikahersteller werde dem Markt seine beabsichtigten Preise für das Generikum in aller Regel erst kurz vor Markteintritt mitteilen, wenn er die konkreten Marktverhältnisse einschätzen kann und die Planung des Markteintritts sehr weit vorangeschritten ist.73 III. Stellungnahme Die EU-Kommission untersucht in ihren drei Entscheidungen das Vorliegen von Wettbewerb und kommt jeweils zu dem Ergebnis, dass zwischen Originalpräparatehersteller und Generikahersteller selbst vor Markteinführung der Generika bereits frühzeitig potentieller Wettbewerb vorgelegen hat. Hierbei geht sie auf mehrere Merkmale ein, die insbesondere für den Pharmasektor relevant sind. Sie bezieht dabei sowohl zur Frage, ob das Vorliegen von Patenten ein potentielles Wettbewerbsverhältnis gänzlich ausschließt, Stellung als auch zu der Frage, ob das Zulassungserfordernis für Generika eine Marktzutrittsschranke darstellen kann. Gleichzeitig wertet sie eingeleitete Patentverfahren und -streitigkeiten sowie die durch den Patentinhaber geleisteten Vermögensübertragungen an den Generikahersteller als Indizien für das Vorliegen von potentiellem Wettbewerb. 1. Marktzutrittsschranke durch Patente Besonderes Merkmal pharmazeutischer Märkte ist, dass nicht allein die Entwicklung und Herstellung des Generikums eine Hürde für den Marktzutritt darstellen, sondern zusätzlich der Patentschutz des Originalpräparates. Neben der behördlichen Zulassung für Generika stellen Patente auf Wirkstoffe bzw. Herstellungsverfahren der Originalpräparate die größten Hindernisse für Generikahersteller dar.74 Ob ein potentieller Wettbewerb deshalb ausgeschlossen ist, weil das Originalpräparat durch ein oder mehrere Patente geschützt ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Handelt es sich um ein Patent, das den verwendeten Wirkstoff des Medikamentes schützt, dann stellt sich die nicht patentverletzende Vermarktung 72

KOM, Lundbeck, Rn. 614, 743. Auch die Kommission sah Preisfestsetzungen für den englischen Markt von Merck für das Citalopram-Generikum als wichtiges Indiz für einen unmittelbar bevorstehenden Wettbewerb, KOM, Lundbeck, Rn. 751. 74 Siehe hierzu: „Besondere Bedeutung von Patenten bei Arzneimmitteln“, ab S. 65. 73

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eines entsprechenden Generikums ohne die Einwilligung des Patentinhabers als unmöglich dar. Eine Vermarktung des Generikums würde zwangsläufig eine Verletzung des Patents darstellen. Zwar könnte auch hier argumentiert werden, dass ein Generikahersteller trotz Patentverletzung eine Vermarktung anstreben könnte, jedoch hätte dieser zwangsläufig Unterlassungs- und Schadensersatzklagen zu fürchten, die eine gewinnbringende Vermarktung des Generikums unmöglich machen. Im Falle bestehender Wirkstoffpatente wird deshalb ein potentieller Wettbewerb in aller Regel zu verneinen sein, solange die strukturellen und rechtlichen Umstände gegen eine konkrete Möglichkeit der Markteinführung sprechen. Erst gegen Ende des Patentschutzes des Wirkstoffpatents kommt ein solcher in Betracht, da Generikahersteller damit beginnen, Generika für die Zeit danach zu entwickeln und Markzulassungsanträge bei den Behörden einreichen.75 Bereits zu einem solchen Zeitpunkt greifen Originalmedikamentenhersteller zu Maßnahmen, um die Exklusivitätsphase ihrer Produkte zu verlängern und treten so in einen vorgelagerten Wettbewerb mit den auf den Markt drängenden Generikaherstellern. So führte beispielsweise der Originalhersteller Lundbeck schon sehr frühzeitig Beobachtungen potentieller Generikahersteller für den Wirkstoff des Medikamentes Citalopram durch und reagierte durch die Anmeldung neuer Patente sowie die Entwicklung eines Folgemedikamentes auf drohende Marktzutritte durch Generikahersteller.76 Dieses Beispiel verdeutlicht, dass bereits die Planung des Marktzutrittes den bereits bestehenden Marktteilnehmer im pharmazeutischen Bereich erheblich unter Druck setzt. Auch der EuGH geht in seiner AstraZeneca Entscheidung davon aus, dass ein potentieller Wettbewerb bereits vor Ablauf des Patentschutzes entstehen kann.77 Insbesondere Folgepatente auf neue Wirkstoffformulierungen sowie Herstellungsverfahren können die Vermarktung von Generika hinauszögern. Ein Hauptaugenmerk der Generikahersteller besteht also darin, noch vor Markteintritt patentrechtliche Hürden abzubauen (durch Nichtigkeitsklage bzw. -einwand) bzw. zu umgehen (durch Erforschung anderer, nicht patentverletzender Herstellungsmethoden). Sofern diese Anstrengungen erfolgsversprechend sind, können sie den Patentinhaber bereits zu einem Zeitpunkt unter Druck setzen, der noch weit vor dem tatsächlichen Markteintritt des Generikaherstellers liegt. Hinzu kommt, dass bei Verfahrenspatenten und anderen Folgepatenten auf ein Medikament häufig unklar ist, ob tatsächlich eine Verletzung durch das geplante Generikum selbst oder dessen Herstellung vorliegt. Hier ist lediglich das Vorliegen 75 Ein genauer Zeitraum vor Ende lässt sich freilich nicht genau bestimmen. In ihren Technologietransfer Leitlinien geht die Kommission von einem Markteintritt innerhalb von ein bis zwei Jahren aus. Nur in Einzelfällen könne dieser Zeitraum überschritten werden, KOM, Leitlinien zur Anwendung von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. C 89/3 v. 28. März 2014, Rn. 34; KOM, Servier Rn. 1158; dies ist nach Meinung des Gerichts jedoch lediglich beispielhaft zu werten, EuG, T-114/02, Babyliss/Kommission, EU:2003:100, Rn. 96 – 106. 76 KOM, Lundbeck, Rn. 123 ff. 77 EuGH, Rs. C-457/10 P, AstraZeneca/Kommission, ECLI:EU:C:2012:770, Rn. 108.

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eines Patents kein zwingender Grund, von einer absolut wirkenden Zutrittsschranke auszugehen, die einen potentiellen Wettbewerb ausschließt. Vielmehr hat der Generikahersteller hier oft die Möglichkeit, ein anderes Verfahren zur Herstellung anzuwenden und somit „um das bestehende Patent herum“ zu arbeiten. Die Annahme, dass Verfahrenspatente nicht per se eine Zutrittsschranke darstellen, sollte jedoch nicht dazu führen, Verfahrenspatente als „Patente zweiter Klasse“ zu verstehen. So kann auch ein Verfahrenspatent im Einzelfall zu einer Schranke für die Produktion eines Wirkstoffs führen, mit der Folge, dass der Zutritt in den Markt nicht möglich ist. Dabei orientiert sich die Frage nach dem potentiellen Wettbewerb an praktischen Erwägungen. So wird nicht nur überprüft, ob rein formal ein Patent durch seinen Schutzumfang die Produktion und den Vertrieb eines Arzneimittels sperrt, sondern zugleich untersucht, ob diese Sperrwirkung von den Generikaunternehmen auch tatsächlich als solche aufgefasst wird oder nicht vielmehr durch Methoden umgangen werden kann. Unterstützt wird diese Einschätzung auch durch die Rechtsprechung des EuG in Hitachi78, wonach eine potentieller Wettbewerb auch dann angenommen werden könne, wenn ein Markteintritt zumindest „technisch möglich“, wenngleich schwierig, sei.79 Auch in der EU hat der Generikahersteller, der sein Generikum als erster auf dem Markt platziert, in der Regel einen erheblichen Vorteil, da er zu einem frühen Zeitpunkt von hohen Gewinnspannen profitiert. Teilweise nehmen Generikahersteller deshalb das Risiko einer (Verfahrens-)Patentverletzung in Kauf, um einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Generikaherstellern zu erhalten.80 Hinzu kommt, dass bereits das Bestehen von (Verfahrens-)Patenten alleine noch kein absolutes Hindernis darstellt, solange davon auszugehen ist, dass der Patentinhaber (aus strategischen Gründen81) auf ihre Durchsetzung verzichtet oder aber zu erwarten ist, dass der Generikahersteller auf nicht patentverletzende Verhaltensweisen umsteigt. Da sich der pharmazeutische Sektor auch dadurch auszeichnet, dass Originalhersteller ihre Produkte durch eine Vielzahl von Patenten schützen, würde die Annahme, dass bereits das Risiko einer Patentverletzung als unüberwindbare Marktzutrittsschranke anzusehen sei, zur grundsätzlichen Verneinung potentiellen Wettbewerbs führen.82 78

EuG, T-112/07, Hitachi u. a./Kommission, Slg. 2011 II-03871, ECLI:EU:T:2011:342. EuG, T-112/07, Hitachi u. a./Kommission, Slg. 2011 II-03871, ECLI:EU:T:2011:342, Rn. 111. 80 KOM, Lundbeck, Rn. 615; der Preiswettbewerb tritt nach dem Marktzugang mehrerer Generikahersteller nicht sofort ein. Der Prozess, in dem die Preise der Generika im Wettbewerb immer weiter sinken kann bis zu fünf Jahre andauern. 81 Ein Grund für das Absehen von einer Patentverletzungsklage könnte die Gefahr sein, im Prozess zu unterliegen, was die Unsicherheit einer Verletzung ausräumen und somit weitere Generikahersteller „anlocken“ würde. Denkbar ist auch, dass der Patentinhaber die Kosten eines Verletzungsprozesses scheut, weil er bereits ein Folgemedikament vertreibt und den Markt für das ältere Präparat den Generikaherstellern überlässt; siehe hierzu: KOM, Lundbeck, Rn. 631. 82 KOM, Lundbeck, Rn. 630. 79

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Der Kommission ist insoweit zuzustimmen, dass die bestehenden Patente nur in bestimmten Fällen als Marktzutrittsschranke anzusehen sind. Dies ist dann der Fall, wenn ein Gericht die Patentverletzung bereits festgestellt hat oder andere Gründe für eine mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretende Patentverletzung durch die Einführung des Generikums sprechen und gleichzeitig zu erwarten ist, dass diese nicht anders durch den Generikahersteller umgangen werden kann. Strukturell prägend für pharmazeutische Märkte ist demnach, dass bereits lange vor einem tatsächlichen Marktzutritt ein Wettbewerbsdruck ausgelöst durch Vorbereitungen der Generikahersteller entsteht – auch schon während das Originalmedikament noch Patentschutz genießt. Patente und insbesondere Folgepatente, die lediglich bestimmte Formen von Herstellungsverfahren schützen, stellen deshalb nicht per se unüberwindbare Marktzutrittsschranken dar. Gleichwohl sollte darauf geachtet werden, dass die jeweiligen Vorbereitungsmaßnahmen der Unternehmen berücksichtigt werden. Ein pauschaler Verweis auf „Sekundärpatente“, um von einem potentiellen Wettbewerb auszugehen, ist hierbei ebenso wenig ausreichend, wie der Hinweis auf eine grundsätzliche Vorbereitungsbereitschaft des Generikaherstellers. Die Kommission hat vielmehr konkret darzulegen, welche Vorbereitungsmaßnahmen ergriffen wurden und inwieweit die Unternehmen mit einer nicht patentverletzenden Markteinführung rechneten. 2. Marktzutrittsschranke durch Zulassungserfordernis Für die Vermarktung von Arzneimitteln ist eine Marktzulassung des entsprechenden Produktes durch die europäische oder nationale Zulassungsbehörde Voraussetzung. Dieses Zulassungserfordernis macht besonders frühe Vorbereitungen seitens der Generikahersteller erforderlich, die wiederum zeitlich weit vor dem angestrebten Marktzutritt liegen. Sie haben die Bioäquivalenz zum Referenzarzneimittel, den Ablauf der Datenexklusivität sowie die Qualität ihres Wirkstoffs nachzuweisen.83 Da es jedoch ohne Zulassung auch keine Vermarktung gibt, liegt der Schluss nahe, dass ohne Zulassung auch noch kein Wettbewerb – auch kein potentieller – entsteht. Denn ohne Marktzulassung muss der Originalpräparatehersteller keine Konkurrenz fürchten. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass Generikahersteller neben der Möglichkeit, die Zulassung bei den Behörden selbst zu beantragen, auch die Möglichkeit haben, anderen Unternehmen bereits erteilte Zulassungen abzukaufen beziehungsweise sich eine Lizenz daran einräumen zu lassen.84 Eine Marktzulassung lässt sich somit kurzfristig „einkaufen“ mit der Folge, dass der zeitliche Aufwand erheblich reduziert wird.85 Das Nichtvorliegen einer Marktzulassung für ein Generikum stellt richtigerweise somit nur dann eine un83

Vertiefend zu den Zulassungsvoraussetzungen für Generika ab S. 72 für die USA sowie für die EU ab S. 83. 84 KOM, Lundbeck Rn. 616. 85 Die Lizenzierung von Marktzulassungen ist in der Pharmabranche durchaus üblich: KOM, Lundbeck, Rn. 616, Fn. 1113.

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überwindliche Markzutrittsschranke dar, wenn eine Zulassung nicht zu erwarten ist.86 3. Patentverfahren als Indiz für potentiellen Wettbewerb Die EU-Kommission sieht wirksame Patente nicht nur nicht als zwingende Marktzutrittsschranken an, sondern vertritt auch die Ansicht, dass bereits das Vorliegen von Patentverfahren ein Indiz für potentiellen Wettbewerb darstellt.87 Dem ist entgegenzuhalten, dass die Erhebung einer Nichtigkeitsklage weder die Wirkung des Schutzrechts schwächt noch sonst dem Kläger einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Das Patent, sei es auf den Wirkstoff oder ein Verfahren, gilt als wirksam, solange nicht das Gegenteil durch ein Gericht festgestellt wird. Zu fordern ist deshalb, dass weitere Faktoren hinzukommen müssen, um das Vorliegen eines potentiellen Wettbewerbs anzunehmen. Dabei spielt insbesondere die Einschätzung der Parteien eine Rolle: Gibt es Grund zu der Annahmen, dass die Parteien der Nichtigkeitsklage hohe Chancen einräumen, dann kann dies für einen potentiellen Wettbewerb sprechen.88 Zustimmungswürdig ist allerdings, die Erhebung der Verletzungsklage durch den Patentinhaber gegen den Generikahersteller als potentiellem Verletzer zu berücksichtigen. Denn im Gegensatz zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage lässt die Erhebung einer Patentverletzungsklage erkennen, dass der Patentinhaber die Konkurrenz durch den Generikahersteller befürchtet und deshalb seine Patente als Verteidigungsmittel gebraucht. Grundsätzlich sollte sich die Beurteilung, ob ein potentieller Wettbewerb zwischen zwei oder mehreren Unternehmen besteht, von der Frage, ob bereits patentrechtliche Prozesse eingeleitet wurden, lösen und vielmehr auf die hergebrachten Kriterien abstellen, ob das Unternehmen bereits hinreichen Maßnahmen ergriffen hat, die auf einen baldigen Marktzutritt schließen lassen. Zwar ist der grundsätzlichen Annahme, dass ein anschwellender potentieller Wettbewerb im pharmazeutischen Sektor auch häufig mit Patentverletzungs- und Patentnichtigkeitsverfahren einhergeht, nicht zu widersprechen. Jedoch scheint die Kommission bei ihren Kriterien zur Bestimmung des potentiellen Wettbewerbs über das Ziel hinauszuschießen. 4. Vermögensübertragung als Indiz für potentiellen Wettbewerb Ist der Originalhersteller bereit, dem Generikahersteller Geld dafür zu zahlen, dass dieser seine Markteinführung verzögert, so liegt die Vermutung nahe, dass der Originalhersteller den Generikahersteller als Bedrohung ansieht. Der Einschätzung der Kommission, von der Vermögensübertragung auf die subjektive Vorstellung des leistenden Unternehmens zu schließen, ist insofern nicht zu widersprechen. 86

So auch KOM, Lundbeck Rn. 620; Servier, Rn. 1181. KOM, Lundbeck, Rn. 624 ff. 88 Insbesondere muss es auf die Einschätzung des Patentinhabers ankommen, da dieser derjenige ist, auf den das Verhalten anderer Akteure einen Disziplinierungseffekt haben kann. 87

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D. Einordnung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung I. Unterscheidung zwischen bezweckter und bewirkter Wettbewerbsbeschränkung Der Wortlaut des Art. 101 AEUV sieht Vereinbarungen als mit dem Binnenmarkt unvereinbar an, wenn sie geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Dabei ist eine inhaltliche Unterscheidung zwischen den Begriffen Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung schwierig und in aller Regel nicht notwendig.89 Vielmehr spielt die Abgrenzung zwischen „bezwecken oder bewirken“ eine entscheidende Rolle. Eine Vereinbarung fällt nur dann unter das Verbot des Art. 101 AEUV, wenn sie eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt oder bewirkt.90 Bezwecken und Bewirken stellen alternative Formen der Tatbestandverwirklichung dar, die als gleichberechtigt nebeneinander gestellt sind.91 Hierbei liest der EuGH aus dem „oder“ der Formulierung des Art. 101 Abs. 1 AEUV, dass zunächst der eigentliche Zweck der Verhaltensweise zu prüfen sei. Erst wenn diese Prüfung keine „hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs“ erkennen lasse, sei zu prüfen, ob ihre Auswirkungen eine solche darstellen.92 Ob ein Bezwecken iSd. Art. 101 Abs. 1 AEUV vorliegt, bemisst sich nach objektiven Kriterien. Eine Maßnahme, die unter das Merkmal Bezwecken fällt, stellt bereits für sich einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV dar; die tatsächlichen Folgen der Vereinbarung auf dem Markt müssen hierbei nicht mehr untersucht werden.93 Auch eine Marktabgrenzung ist in diesem Fall nicht notwendig.94 Demgegenüber stellt das Bewirken auf die tatsächlichen sowie die potentiellen Aus-

89 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rn. 106. 90 KOM, Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, 2004/C 101/08, ABl. C 101/100 v. 27. April 2004, Rn. 19. 91 In ständiger Rechtsprechung seit: EuGH, C-56/65, TLM, Slg. 1966, 282, ECLI:EU: C:1966:38; in der Folge auch: EuGH, C-8/08, T-Mobile Netherlands, Slg. 2009 I-04529, ECLI:EU:C:2009:343, Rn. 28; C-501, 513, 515, 519/06 P, GSK/Kommission, Slg. 2009, I-9291, ECLI:EU:C:2009:610, Rn. 55; C-32/11, Allianz Hungária Biztosító u. a., ECLI:EU: C:2013:160, Rn. 33. 92 EuGH, C-8/08, T-Mobile Netherlands, Slg. 2009 I-04529, ECLI:EU:C:2009:343, Rn. 28. 93 EuGH, C-49/92, Kommission/Anic Partecipazioni, Slg 1999, I-4215, ECLI:EU: C:1999:356, Rn. 99; KOM, Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, 2004/C 101/08, ABl. C 101/100 vom 27. 04. 2004, Rn. 20. 94 Braun, in: Langen/Bunte, Europäisches Kartellrecht, Nach Art. 101 AEUV, Rn. 59; Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 1 GWB, Rn. 136; Gonzales Diaz, in: Mestmäcker/Schweitzer, Art. 81 Abs. 1 EG, Rn. 161.

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wirkungen der Vereinbarung ab.95 Unter bewirken könnten einerseits die Auswirkungen auf die an der Vereinbarung mitwirkenden Akteure gemeint sein oder aber die Auswirkungen auf Dritte, wobei sich letztere Auslegung allgemein durchgesetzt hat.96 Wo beim Merkmal des Bezweckens also lediglich die Vereinbarung selbst im Fokus steht, liegt das Hauptaugenmerk beim Merkmal des Bewirkens auf den tatsächlichen bzw. potentiellen Folgen der Vereinbarung auf den Wettbewerb. Für letzteres ist festzustellen, wie der Wettbewerb ohne die Vereinbarung ausgesehen hätte.97 Ob eine Wettbewerbsbeeinträchtigung bezweckt oder bewirkt wird, stellt eine der Kernfragen der rechtlichen Bewertung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen nach EU-Kartellrecht dar.98 Grund hierfür sind die unterschiedlichen Prüfungsanforderungen. Eine Vereinbarung, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt, ist bereits als wettbewerbsschädlich einzuordnen. Ob diese Vereinbarung ihren Zweck auch erreicht, eine Wettbewerbsbeschränkung also tatsächlich bewirkt wird, ist in diesem Fall nicht zu prüfen.99 Umgekehrt bedeutet dies: Kann ein wettbewerbswidriger Zweck der Vereinbarung nicht ausgemacht werden, so muss die Kartellbehörde darlegen und beweisen, dass die Vereinbarung tatsächlich zu einem Wettbewerbsschaden geführt hat. Dies ist mit erheblich größerem Aufwand verbunden und stellt insbesondere retrospektiv die Kartellrechtshüter vor Schwierigkeiten.100 Hinzu kommt, dass eine Vereinbarung, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt, nach der Rechtsprechung des EuGH bereits zwangsläufig das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Spürbarkeit erfüllt.101 Nicht zuletzt deshalb widersprechen die Pharmaunternehmen der Kommission darin, dass es sich bei Pay-for-Delay-Vereinbarungen um bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen handelt. Sie kritisieren, dass es sich die Kommission durch diese Einordnung zu einfach mache und hiermit eine eingehende Prüfung der tatsächlichen Wirkungen ausweiche. Ihrer Ansicht nach sind Pay-for-Delay-Ver-

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KOM, Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, 2004/C 101/08, ABl. C 101/100 vom 27. 04. 2004, Rn. 24. 96 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rn. 179. 97 EuGH, C-8/08, T-Mobile Netherlands, Slg. 2009 I-04529, ECLI:EU:C:2009:343, Rn. 28; Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2011, Rn. 107. 98 Siehe etwa die von den Unternehmen eingereichten Klagen gegen die Kommissionsentscheidungen in Fn. 46. 99 KOM, Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, 2004/C 101/08, ABl. C 101/100 vom 27. 04. 2004, Rn. 20. 100 Killick/Jourdan, Cartes Bancaires, Competition Policy International 2014, S. 2; GA Wahl weist überdies auf den Grundsatz der Verfahrensökonomie hin, der bei einer Untersuchung der Wirkung nicht garantiert werden könne, GA Wahl, Schlussanträge v. 27. 03. 2014, C-67/13 P, CB/Kommission, ECLI:EU:C:2014:1958, Rn. 28, 35. 101 EuGH, C-226/11, Expedia, ECLI:EU:C:2012:795, Rn. 37.

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einbarungen erst dann kartellrechtswidrig, wenn eine negative und tatsächlich eingetretene Wettbewerbsbeschränkung bewirkt wurde.102 Eine Vereinbarung, die bezweckt, den Wettbewerb zu beschränken, muss dies bereits ihrem Wesen nach tun. Ob dies der Fall ist, wird anhand objektiver Kriterien ermittelt. Was die Parteien der Vereinbarung beabsichtigen bzw. welche Folgen sie voraussehen, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Zwar können auch subjektive Ziele der Parteien Berücksichtigung finden,103 stärker kommt es jedoch auf die objektiven Ziele der Maßnahme an.104 Insofern ist die englische Fassung des Art. 101 AEUV klarer, in der von „have as their object“ die Rede ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist maßgeblicher Gegenstand der Untersuchung des objektiven Zwecks einer Vereinbarung der Inhalt der Vereinbarung. Außerdem kann der rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhang, in dem die Vereinbarung steht, eine Rolle spielen.105 Der objektive Zweck, an den bezüglich der Wettbewerbswidrigkeit angeknüpft wird, braucht außerdem nicht alleiniger Hauptzweck der Maßnahme zu sein. Falls die Vereinbarung neben dem wettbewerbswidrigen Potential auch legitime Ziele verfolgt, schließt dies die Annahme eines wettbewerbswidrigen Zwecks nicht aus.106 Zu Pay-for-Delay-Vereinbarungen liegt bisher keine Rechtsprechung des EuGH vor. Hingegen hat die EU-Kommission bereits mehrere Entscheidungen getroffen, in denen sie stets von bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen ausgeht. Hierzu zählen

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In der Sache Lundbeck: Arrow Group und Arroe Generics/Kommission, T-467/13, ABl. C 313/32 v. 26. 10. 2013; Ranbaxy Laboratories und Ranbaxy (UK)/Kommission, T-460/13, ABl. C 325/43 v. 09. 11. 2013; Merck/Kommission, T-470/13, ABl. C 325/46 v. 09. 11. 2013; Xellia Pharmaceuticals und Zoetis Products/Kommission, T-471/13, ABl. C 325/47 v. 09. 11. 2013; H. Lundbeck und Lundbeck/Kommission, T-472/13, ABl. C 325/47 v. 09. 11. 2013; für den Fall Servier: Krka/Kommission, T-684/14, ABl. C 431/34 v. 01. 12. 2014; Mylan/Kommission, T-682/14, ABl. C 431/32 v. 01. 12. 2014; Sevier u. a./Kommission, T-691/14, ABl. C 462/25 v. 22. 12. 2014. 103 EuGH, C-501, 513, 515, 519/06 P, GSK/Kommission, Slg. 2009, I-9291, ECLI:EU: C:2009:610, Rn. 58. 104 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rn. 174. 105 EuGH, C-32/11, Allianz Hungária Biztosító u. a., ECLI:EU:C:2013:160, Rn. 35 – 38. 106 KOM, Lundbeck, Rn. 753; zitiert: EuGH, C-96 – 102/82, 104/82, 105/82, 108/82, 110/ 82, IAZ u. a./Kommission, Slg. 1983, 3369, ECLI:EU:C:1983:310, Rn. 25: „Angesichts seines Inhalts, seines rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs sowie der Verhaltensweise der Parteien bezweckt das Übereinkommen infolgedessen, den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes spürbar einzuschränken, obwohl es auch den Zweck verfolgt, die öffentliche Gesundheit zu schützen und die Kosten der Übereinstimmungskontrolle zu senken. Diese Feststellung wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß die Absicht der Wettbewerbsbeschränkung nicht allen Parteien des Übereinkommens nachgewiesen werden konnte.“; KOM, Servier, Rn. 1114.

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die Vereinbarungen in den Sachen Lundbeck,107 Johnson & Johnson108 sowie Servier.109 II. Entscheidungskriterien der Kommission Die EU-Kommission ordnet alle von ihr untersuchten Vereinbarungen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen ein. In ihren inzwischen veröffentlichten Entscheidungen liegt ihr Hauptaugenmerkt auf der Begründung dieser Einschätzung. Im Folgenden sollen die für die Kommission maßgeblichen Kriterien vorgestellt und untersucht werden. Neben der Grundvoraussetzung, dass überhaupt ein zumindest potentieller Wettbewerb zwischen den Unternehmen besteht,110 stellt die Kommission auf zwei wesentliche Kriterien bei ihrer Begründung ab: Der Generikahersteller muss durch die Vereinbarungen in seinen Bemühungen in Bezug auf einen Markteintritt eingeschränkt worden sein (1.) und die Vereinbarung beinhaltet eine Vermögensübertragung des Originalherstellers an den Generikahersteller, die die Anreize eines Markteintritts für den Generikahersteller „erheblich mindert“ (2.).111 Die Kommission führt in ihren Entscheidungen zudem weitere Kriterien auf, die im jeweiligen Einzelfall eine Rolle spielen (3.). Die Europäische Kommission sieht den Abkauf der von einem Patentprozess ausgehenden Unsicherheit als Ausschluss eines potentiellen Wettbewerbs an und damit als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung.112 Grundsätzlich sei die Eingehung von Vergleichsvereinbarungen zwar ein legitimes Ziel. Vergleichsvereinbarungen, die ausschließlich auf den Beurteilungen der Parteien über die Patentstärke basierten, und bei denen die Einschränkungen des Generikaherstellers innerhalb des Schutzumfangs des Patents lägen, stellten deshalb prinzipiell keine Verletzung des Art. 101 AEUV dar.113 Das Vergleichsergebnis sei in diesen Fällen nämlich vor allem durch die Risikoeinschätzung des Prozesserfolges der Parteien bestimmt. Anders bewertet die Kommission jedoch Verträge, in denen die vereinbarten Beschränkungen des Generikaherstellers durch besondere Vermögensanreize des Originalherstellers

107 KOM, Pessemitteilung vom 19. Juni 2013, IP/13/563, abrufbar unter: http://europa.eu/ra pid/press-release_IP-13-563_de.htm. 108 KOM, Pessemitteilung vom 10. Dezember 2013, IP/13/1233, abrufbar unter: http://euro pa.eu/rapid/press-release_IP-13-1233_de.htm. 109 KOM, Pessemitteilung vom 09. Juni 2014, IP/14/799, abrufbar unter: http://europa.eu/ra pid/press-release_IP-14-799_de.htm. 110 Zu diesem Punkt ausführlich: oben ab S. 169. Zu beachten ist hierbei, dass ein bestehendes (potentielles) Wettbewerbsverhältnis zwischen den an der Vereinbarung beteiligten Parteien streng genommen nicht zur Prüfung des wettbewerbswidrigen Zwecks gehört, sondern ein vorher zu prüfendes Tatbestandsmerkmal des Art. 101 AEUV ist. 111 KOM, Lundbeck, Rn. 661; Servier, Rn. 1154. 112 KOM, Lundbeck, Rn. 604; Servier, Rn. 1134. 113 KOM, Lundbeck, Rn. 659; Servier, Rn. 1136.

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hervorgerufen werden.114 Dann sei ein wettbewerbswidriger Zweck im Sinne des Art. 101 AEUV anzunehmen. In Fällen, in denen eine Partei der anderen erhebliche Vermögenswerte übertrage, trete nach Ansicht der Kommission die Risikoeinschätzung über den Ausgang des Patentverfahrens in den Hintergrund. Die Vermögensübertragung bringe die gegnerische Partei dazu, Zugeständnisse zu machen, in die sie ohne eine solche Vermögensleistung nicht eingewilligt hätte.115 Für die Kommission ist deshalb entscheidend, ob es durch eine Vermögensübertragung des Originalpräparateherstellers zu einer Verzerrung der Marktstruktur komme, sodass ein potentieller Wettbewerber beseitigt werde und damit der Wettbewerbsdruck auf den Originalhersteller abnehme. Zu einer derartigen Verzerrung der Marktstruktur komme es auch bereits bei der Vereinbarung mit einem einzelnen Generikahersteller, wenn dessen Bestrebungen eines Markteintritts oder ein Erfolg im Patentverfahren besonders aussichtsreich erschienen.116 1. Einschränkung des Generikaherstellers Ein wesentliches Kriterium für die Ermittlung einer Wettbewerbsbeschränkung sieht die Kommission in der Art der Beschränkungen, zu denen sich der Generikahersteller bereit erklärt. In ihren Entscheidungen definiert sie einen sehr weiten Beschränkungsbegriff: „das Generikaunternehmen verpflichtet sich in der Vereinbarung dazu, für die Dauer der Vereinbarung seine unabhängigen Bestrebungen der Einführung eines Generikums in einen oder in mehrere Märkte der EU zu beschränken“.117 Die Generikaunternehmen im Fall Lundbeck beschränkten ihre Möglichkeiten, das bereits von dritter Seite erworbene Citalopram zu vermarkten.118 Dieses bereits erworbene Citalopram kaufte Lundbeck in einigen Fällen den Generikaunternehmen ab.119 Diese wiederum verpflichteten sich zur Abnahme fertiger Medikamente von Lundbeck.120 In zwei Fällen enthielt die Vereinbarung auch die Verpflichtung, die teilweise bereits erhaltenen Marktzulassungen nicht an Dritte zu lizenzieren.121 114 KOM, Lundbeck, Rn. 659: „If, however, the limitations on entry in question are not achieved through the strength of the patent, but through inducements from the originator undertaking to the generic undertaking aligning previously competing interests, then a restriction of competition by object may exist, including, in particular, when the limitations in question exceed the substantive scope of the patent“. 115 KOM, Lundbeck, Rn. 640. 116 KOM, Servier, Rn. 1144. 117 KOM, Lundbeck, Rn. 661; Johnson & Johnson, Rn. 219; Servier, Rn. 1154. 118 Generikaunternehmen: Merck, Arrow, Alpharma, Ranbaxy, KOM, Lundbeck, Rn. 267, 763 ff. (für Merck), 901 ff. (für Arrow), 1041 ff. (für Alpharma), 1120 ff. (für Ranbaxy). 119 KOM, Lundbeck, Rn. 267, 763 ff. 120 Generikaunternehmen: Merck, KOM, Lundbeck, Rn. 775. 121 So das Generikaunternehmen: Merck und Arrow, KOM, Lundbeck, Rn. 773 (für Merck), 934 ff. (für Arrow).

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Dagegen sahen die Vereinbarungen zwischen Johnson & Johnson und zwei Generikaunternehmen bestimmte Formen der Kooperation vor, bei denen sich die Generikahersteller zur Erbringung nicht weiter konkretisierter VermarktungsDienstleistungen (sog. Co-Promotion Activities) verpflichteten.122 Die hierfür erfolgenden Zahlungen waren allerdings daran gekoppelt, dass die Generikahersteller nicht in den Markt eintreten.123 Die (fünf) Vereinbarungen, die Servier mit den Generikaherstellern Niche/Unichem, Matrix, Teva, Krka und Lupin schloss, beinhalteten das Versprechen der Generikaunternehmen, Serviers Patente nicht weiter anzugreifen (Non-ChallengeKlausel).124 Hinzu kam die Verpflichtung, nicht mit Servier in einen PerindoprilWettbewerb zu treten (Non-Compete-Klausel).125 Die Vereinbarung mit Krka hatte darüber hinaus die Besonderheit, dass der Generikahersteller (Krka) sich aus einigen Märkten zurückzog und im Gegenzug dafür durch Lizenzvereinbarungen für andere Märkte Zutritt von Lundbeck erhielt.126 Handele es sich hierbei um Handlungen oder Unterlassungen, die der Patentinhaber mit der Durchsetzung seines Patents nicht oder nicht in der Form hätte erreichen können, dann sei dies der EU-Kommission zufolge ein weiteres Indiz für eine Wettbewerbsbeschränkung.127 Denn derartige Vereinbarungen gingen über den Schutzbereich des Patents hinaus und seien nicht mit der Wirksamkeit des Patents zu rechtfertigen. Allerdings macht die Kommission auch klar, dass dies kein zwingendes Kriterium ist. So könne ein Verstoß gegen Art. 101 AEUV auch dann angenommen werden, wenn über den materiellen Schutzbereich des Patents hinaus keine Zugeständnisse des Generikaherstellers erfolgten, solange diese Zugeständnisse nicht auf die Parteieinschätzung zur Patentstärke, sondern auf eine Vermögensübertragung zurückzuführen seien.128 2. Vermögensübertragung a) Weiter Begriff der Vermögensübertragung Die Kommission vertritt von Anfang an einen sehr weiten Begriff der Vermögensübertragung und fasst hierunter nicht lediglich Geldzahlungen, sondern auch nicht-monetäre Formen. Bereits in ihrer Sektoruntersuchung verwendet sie den 122

KOM, Johnson & Johnson, Rn. 257. KOM, Johnson & Johnson, Rn. 258. 124 Niche/Unichem: KOM, Servier, Rn. 1305; Matrix: KOM, KOM, Servier, Rn. 1544; Krka: KOM, Servier, Rn. 1711; Lupin: 125 Niche/Unichem: KOM, Servier, Rn. 1309; Matrix: KOM, KOM, Servier, Rn. 1549; Krka: KOM, Servier, Rn. 1714; Lupin: 126 Krka: KOM, Servier, Rn. 1701. 127 KOM, Lundbeck, Rn. 662, 822. 128 KOM, Servier, Rn. 1137. 123

Servier, Rn. 1438; Teva: KOM, Servier, Rn. 1905. Servier, Rn. 1441; Teva: KOM, Servier, Rn. 1916.

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4. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

Begriff des „Value Transfer“.129 Da unter den Begriff des Value grundsätzlich auch nicht-monetäre Formen von Vermögen zu fassen sind, ergeben sich in der EU gerade nicht die Auslegungsschwierigkeiten, die mit der Verwendung des Begriffs Payment in den USA einhergehen.130 Auch in ihren Entscheidungen wiederholt die Kommission ihr weites Verständnis.131 Zum Begriff der Vermögensübertragung zählt die Kommission in Einzelfällen auch die Erteilung von Lizenzen.132 So hatte Servier einem Generikaunternehmen für bestimmte Märkte eine Lizenz erteilt; das Generikaunternehmen hatte hierfür im Gegenzug von der Vermarktung seines Generikums in den übrigen Märkten abgesehen. Aufgrund gegenseitiger Verweise, ähnlicher Datierungen sowie weiterer Hinweise133 stellte die Kommission (zurecht) eine Verbindung zwischen den an sich formal getrennten Verträgen her und erblickte in der Lizenzierung durch Servier eine Vermögensübertragung für das Fernbleiben des Generikaunternehmens von den übrigen Märkten.134 Nach Ansicht der Kommission liegt auch dann eine Vermögensübertragung vor, wenn der Originalhersteller dem Generikahersteller Knowhow oder Patente abkaufe und die hierfür gezahlten Beträge ihren Wert übersteigen (Overpayment).135 In ihrer Servier-Entscheidung ging die Kommission davon aus, dass der Kauf von Patenten oder anderen Rechten als verdeckte Vermögensübertragung fungieren könne. So lagen Hinweis vor, die dafür sprachen, dass in der Vereinbarung zwischen Servier und Lupin der Originalhersteller Servier für die gekauften Erfindungen keinerlei Verwendung hatte und die Zahlungen nicht etwa von der Wirksamkeit der Patente abhängig machte.136 Ein weiteres Indiz für eine Verschleierung sei gewesen, dass im Laufe der Vertragsverhandlungen die Höhe der Zahlung kaum variiert habe, sondern lediglich die Art und Weise der Zahlungen Gegenstand der Verhandlungen gewesen sei.137 Anders als in den USA findet in Europa damit keine Debatte um die richtige Auslegung des Payment-Begriffs statt, da die Kommission den Begriff weit definiert. Dieser Ansatz ist zustimmungswürdig; minimiert er doch die Möglichkeiten der Umgehung. Insofern bestehen wenig Unterschiede zur sich durchsetzenden Auslegung des durch den Supreme Court geprägten Payment-Begriffs.138 Die weite Aus129

KOM, 3. Monitoring-Bericht, S. 9; Pharmaceutical Sector Inquiry, Rn. 742. Hierzu ausführlich S. 125 ff. 131 „Payment for the limitations may have taken place either simply in the form of an outright cash payment or through a more covert transfer of value to the generic undertaking […]“, KOM, Lundbeck, Rn. 660; ähnlich: KOM, Servier, Rn. 1134. 132 KOM, Servier, Rn. 1731, 1745 (Vereinbarung Servier-Krka). 133 KOM, Servier, Rn. 1703. 134 KOM, Servier, Rn. 1745 ff. (Vereinbarung Servier-Krka). 135 KOM, Servier, Rn. 1940 ff., 1960 ff. (Vereinbarung Servier-Lupin); hierzu bereits ab S. 26. 136 KOM, Servier, Rn. 1948 ff. (Vereinbarung Servier-Lupin). 137 KOM, Servier, Rn. 1955 (Vereinbarung Servier-Lupin). 138 KOM, siehe oben ab S. 127. 130

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legung der Kommission macht allerdings eine sehr detaillierte Auseinandersetzung mit den tatsächlich geleisteten Vermögensübertragungen erforderlich. b) Anreizwirkung der Vermögensübertragung Jede durch Austausch von Leistungen geprägte Vereinbarung fällt unter den weiten Begriff der Vermögensübertragung der Kommission. Sie betont allerdings zurecht, dass nicht jede Vereinbarung, die eine Vermögensübertragung enthält, auch notwendigerweise kartellrechtliche Bedenken auslöse.139 Ausschlaggebend sei, ob die Vermögensübertragung einen „bedeutenden Anreiz“ für den Generikahersteller darstellt, seine unabhängigen Bestrebungen des Markteintritts (zeitweilig) aufzugeben. Die Kommission untersucht in ihren Entscheidungen deshalb nicht nur, ob überhaupt eine Vermögensübertragung stattfindet, sondern auch gegebenenfalls ihre Höhe und den mit ihr einhergehenden potentiellen Einfluss auf das Verhalten des Generikaherstellers. Denn neben Vermögensübertragungen sind Vergleichsvereinbarungen in aller Regel auch dadurch gekennzeichnet, dass sich in ihnen beide Parteien zu einem gewissen Verhalten verpflichten und sich damit Beschränkungen auferlegen. Das gegenseitige Nachgeben ist gerade charakteristisch für einen Vergleich, weshalb es für die Kommission nicht lediglich ausreicht, dass eine irgendwie geartete Vermögensübertragung auf eine Beschränkung des Generikaherstellers trifft. Zusätzlich komme es darauf an, was der Grund für die Einwilligung des Generikaherstellers in die Beschränkung seines unabhängigen Verhaltens sei. Gehe diese darauf zurück, dass die Parteien über den Ausgang des patentrechtlichen Verfahrens im Unklaren waren, so stelle die Vereinbarung in der Regel keine Kartellrechtsverletzung dar.140 Ein solches Verhandlungsergebnis sei durch die individuellen Erfolgsaussichten beider Parteien bestimmt. Sobald allerdings ein zusätzlicher signifikanter Anreiz durch eine Vermögensübertragung hinzukomme, sei die Gefahr groß, dass der Patentinhaber ein Vergleichsergebnis erziele, das er ohne die Vermögensübertragung nicht hätte erzielen können.141 Die Vermögensübertragung dürfe deshalb auch nicht isoliert betrachtet werden, sondern nur unter Berücksichtigung des gesamten Vergleichsvertrags.142 Ein solcher Anreiz werde durch das Patentsystem allein gerade nicht gesetzt.143 Deshalb sei auch eine Vereinbarung, deren Wirkung nicht weitergehe als die gerichtliche Durchsetzung des Patents, in der Lage, gegen Art. 101 AEUV zu

139 140 141 142 143

KOM, Servier, Rn. 1102. KOM, Servier, Rn. 1136. KOM, Servier, Rn. 1137. KOM, Servier, Rn. 1185. KOM, Servier, Rn. 1137.

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verstoßen. Die Kommission lehnt somit den von den beschuldigten Unternehmen geforderten144 Scope-of-the-Patent-Test ebenso ab wie der US Supreme Court.145 Die Vermögensübertragung „überschatte“ ab einer gewissen Höhe die eigentlich relevanten Beweggründe für die Eingehung eines Vergleichs. Diese hängen von der Wirksamkeit des Patents, der Frage, ob das Generikum eine Patentverletzung darstellt und der jeweiligen Erfolgsaussichten der Parteien ab.146 Mit dem Ausbleiben einer derartigen Vermögensübertragung sei nach Meinung der Kommission der Generikahersteller entweder dazu bestrebt, den Prozess fortzuführen oder ein Vergleichsergebnis zu erzielen, dass weniger Beschränkungen seinerseits vorsieht. Beide Alternativen seien wettbewerbsfreundlicher als das Ergebnis des Pay-forDelay-Vergleichs.147 c) Erwartete Einnahmen des Generikaherstellers In Bezug auf die „bedeutende Anreizwirkung“ der Vermögensübertragung stellt aus Kommissionssicht vor allem die Summe der erwarteten Einnahmen aus der erfolgreichen Vermarktung des Generikums eine maßgebliche Grenze dar.148 Übersteigt die Vermögensübertragung vom Patentinhaber an den Generikahersteller die vom Generikahersteller erwarteten Einnahmen, so übersteige auch die von der Vermögensübertragung ausgehende Anreizwirkung diejenige des erfolgreichen Markteintritts. Indem der Generikahersteller durch die Eingehung der Vereinbarung gleich viel oder sogar mehr Gewinn erziele als von ihm für den Fall der Markteinführung seines Generikums prognostiziert, werde ihm der Hauptanreiz an der Fortführung des Rechtsstreits genommen. Dass Lundbeck bei der Berechnung der Vermögensübertragung an den Generikahersteller dessen erwartete Gewinne mitberücksichtigte, stellt nach Ansicht der Kommission ein wichtiges Kriterium für die Annahme einer bezweckten Wettbewerbsbeeinträchtigung dar.149 Auch in der Fentanyl-Entscheidung konnte die Kommission aus internen Dokumenten der Generikahersteller folgern, dass diese dem geplanten Markteintritt einen „konkreten und beachtlichen Wert“ beigemessen hatten.150 So gingen die Generikahersteller Novartis und Sandoz davon aus, einen Nettogewinn von E 2,3 bis E 3 Mio. zu erzielen. Durch die geschlossene Vereinbarung erhielten Hexal und 144 Forderung der Unternehmen Lundbeck, KOM, Lundbeck, Rn. 698, und Servier sowie Matrix, KOM, Servier, Rn. 1192. 145 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2225, 2227 (2013). 146 KOM, Servier, Rn. 1188. 147 KOM, Servier, Rn. 1138, 1142. 148 KOM, Lundbeck, Rn. 662, 788; Servier, Rn. 1155. 149 KOM, Lundbeck, Rn. 662, 788 (Vereinbarung Lundbeck-Merck). 150 KOM, Johnson & Johnson, Rn. 220, 235.

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Sandoz einen Betrag von E 5 Mio. von Johnson & Johnson ausgezahlt. Sie standen somit finanziell besser dar, als im Falle einer Markteinführung ihres Generikums. Eben diesen Vorwurf erhob die Kommission auch im Servier-Fall.151 So entsprach die von Servier an Niche geleistete Vermögensübertragung nach Berechnungen der Kommission mehr als dem Bruttogewinn, den das Unternehmen innerhalb von zwanzig Jahren erzielt hätte.152 Auch die Zahlungen an Teva überstiegen die erwarteten Gewinne bei Weitem.153 Das Generikaunternehmen Lupin erhielt insgesamt E 40 Mio. von Servier. Dabei gingen Lupins Vorhersagen von einem weltweiten Gewinn in den ersten zwei Jahren von E 5,95 Mio. bis E 11,03 Mio. aus.154 Je weiter sich eine Vermögensübertragung ihrer Höhe nach den erwarteten Einnahmen des Generikaherstellers annähert oder sie in den genannten Fällen übersteigt, desto eher geht die Kommission davon aus, dass sie einen bedeutenden Anreiz für die Einschränkung unabhängiger Bestrebungen des Markteintritts darstellt und somit als bezweckte Wettbewerbsbeeinträchtigung einzuordnen ist. Obwohl die Kommission betont, dass selbst eine Vermögensübertragung unterhalb dieser Grenze in bestimmten Fällen als ein solches Anreizinstrument eingeordnet werden könne,155 stellen die erwarteten Generikaeinnahmen doch erkennbar den zentralen Maßstab dar, an dem die Kommission faktisch das wettbewerbswidrige Potential einer Vermögensübertragung ausrichtet. d) Rechtfertigung einer Vermögensübertragung Nicht jede Vermögensübertragung stellt in den Augen der Kommission einen Anreiz zum Marktfernbleiben des Generikaherstellers dar. Die Kommission untersucht, ob eine Vermögensübertragung durch den Patentinhaber möglicherweise durch Gegenleistungen des Generikaherstellers gerechtfertigt ist. So untersucht sie beispielsweise, ob die bereits skizzierte156 Zahlung von Servier an Lupin für den Kauf von verschiedenen Patentanmeldungen deren Wert überstieg. Sie wendet hierfür verschiedene Berechnungsmethoden an und kommt zu dem Ergebnis, dass diese Technologie für Servier einen deutlich geringeren Wert hatte und somit eine verdeckte Zahlung für das Marktfernbleiben darstellte.157 Ähnlich geht sie in ihrer Lundbeck-Entscheidung vor. Hier untersucht sie unter anderem den Wert des ge-

151

KOM, Servier, Rn. 1155. KOM, Servier, Rn. 1352 (Vereinbarung Servier-Niche); so auch für die Vereinbarung zwischen Servier und Matrix, Rn. 1466 (Vereinbarung Servier-Matrix). 153 KOM, Servier, Rn. 1604 (Vereinbarung Servier-Teva). 154 KOM, Servier, Rn. 1974 (Vereinbarung Servier-Lupin). 155 KOM, Servier, Rn. 1191. 156 Siehe S. 186. 157 KOM, Servier, Rn. 1965 (Vereinbarung Servier-Lupin). 152

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lieferten Citalopram-Wirkstoffs von Merck sowie andere mögliche Gegenleistungen.158 Auch Kosten des Generikaunternehmens, die diesem durch das Eingehen des Vergleichsvertrags entstehen, zieht die Kommission als mögliche Rechtfertigung für die Vermögensübertragung in Betracht.159 Zu derartigen Kosten zählt sie beispielsweise die bereits entstandenen Prozesskosten aber auch Verbindlichkeiten, die dem Generikaunternehmen durch die Kündigung bereits geschlossener Verträge entstehen.160 Ersparte Prozesskosten spielen nach Meinung der Kommission hingegen keine entscheidende Rolle.161 Diese in den USA häufig als legitime Form der Vermögensübertragung qualifizierten Zahlungen seien nicht als Gegenleistung des Generikaherstellers zu werten. Dies begründet sie damit, dass der Generikahersteller ebenso wie der Patentinhaber von einer Verkürzung des Prozesses und damit der Einsparung weiterer Prozesskosten profitiere. Vermögensübertragungen können nach dem Vorgehen der Kommission durch legitime Formen der Gegenleistung des Generikaherstellers gerechtfertigt werden mit der Folge, dass sie nicht als zusätzlicher Anreiz für die Beschränkungen anzusehen sind. 3. Weitere Kriterien Neben den beiden Kriterien einer vertraglich vereinbarten Einschränkung der Handlungsfreiheit des Generikaherstellers sowie einer geleisteten Vermögensübertragung des Patentinhabers bezieht die Kommission noch weitere Kriterien mit ein, um eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung zu begründen. Dabei berücksichtigt sie die Einschätzung der Parteien über den möglichen Ausgang des Patentverfahrens. In ihre Begründung fließt außerdem der Umstand mit ein, dass die Vereinbarungen teilweise keine Verpflichtung des Patentinhabers enthielten, von der Durchsetzung seiner Patente gegen den Generikahersteller abzusehen. Zudem berücksichtigt sie, dass bestimmte Abreden auf dritte Unternehmen abzielten. a) Patentwirksamkeit Der zu erwartende Ausgang des durch die Vergleichsvereinbarung nicht zur Entscheidung gekommenen Patentnichtigkeitsverfahrens ist nach Meinung der Kommission nicht zu ermitteln. Dies sei weder geeignet noch notwendig, um das 158

KOM, Lundbeck, Rn. 789 ff. (Vereinbarung Lundbeck-Merck). KOM, Servier, Rn. 1333 ff. (Vereinbarung Servier-Niche/Unichem); Rn. 1461 (Vereinbarung Servier-Matrix); Rn. 1592 ff. (Vereinbarung Servier-Teva). 160 KOM, Servier, Rn. 1337, 1576. 161 KOM, Servier, Rn. 1189. 159

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wettbewerbsfeindliche Potential einer Vereinbarung zu erfassen.162 Insofern sieht sie auch eine im Nachgang der Vergleichsvereinbarung erfolgte Patentnichtigerklärung als unbeachtlich an.163 Vielmehr sei aus einer ex-ante-Perspektive zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses zu ermitteln, ob die Parteien Zweifel an der Wirksamkeit der Patente gehabt haben bzw. es für möglich hielten, dass diese Patente durch entsprechende Generika nicht verletzt würden.164 Zwar verweist die Kommission in ihrer Lundbeck-Entscheidung auf die spätere Nichtigerklärung eines Patents, jedoch sieht sie diesen Umstand nicht als Indiz für die Wettbewerbswidrigkeit der Vereinbarung.165 Wie der Supreme Court in den USA sieht somit auch die Kommission keine Notwendigkeit für eine Überprüfung des Patents bei der kartellrechtlichen Prüfung.166 b) Kein Verzicht des Patentinhabers auf die Durchsetzung der Patente Die Vereinbarung zwischen Lundbeck und den Generikaherstellern enthielt keine Bestimmung wonach Lundbeck sich dazu verpflichtete, auf die Erhebung einer Verletzungsklage nach Auslaufen der Vereinbarung zu verzichten.167 Dies führe dazu, dass es Lundbeck möglich gewesen wäre, nach Beendigung der Vereinbarung gegen die Generikahersteller weiter vorzugehen, sobald diese einen Markteintritt oder andere Verletzungshandlungen vornehmen. Die Kommission kritisiert hieran, dass die Vergleichsvereinbarung den Rechtsstreit zwischen Lundbeck und den Generikaherstellern nicht beende, sondern lediglich aufschiebe. Die prokompetitiven Effekte, die grundsätzlich durch Vergleichsvereinbarungen erzielt würden, nämlich den Konflikt nachhaltig zu befrieden und den Prozess zu beenden, kämen in einem solchen Fall nicht zum Tragen. Diesen Umstand wertet die Kommission auch in der Servier-Sache als wettbewerbsschädlich.168 c) Einbeziehung von nicht am Verfahren beteiligter Dritter Die Europäische Kommission sieht es außerdem als problematisch an, dass der Originalhersteller Lundbeck seine Zahlungen an den Generikahersteller Merck davon abhängig machte, dass der für Merck produzierende Wirkstoffhersteller Natco daran gehindert werden sollte, den Wirkstoff Citalopram an andere Generikahersteller zu verkaufen.169 Eine entsprechende Klausel in der Vereinbarung zwischen Lundbeck 162

KOM, Servier, Rn. 1144. Ebd. 164 KOM, Lundbeck, Rn. 669. 165 KOM, Lundbeck, Fnn. 745, 1641. 166 Andere Ansicht: Gassner und Schmid, die eine summarische Prüfung des streitgegenständlichen Patents vorschlagen: Gassner, A&R 2010, 3, 13; Schmid, S. 142 ff. 167 KOM, Lundbeck, Rn. 847. 168 KOM, Servier, Rn. 1155. 169 KOM, Lundbeck, Rn. 848. 163

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und dem Generikahersteller Merck führte dazu, dass Merck auf bestimmte Weise auf den Hersteller Natco einwirkte, um diesen dazu zu bewegen den Wirkstoff nicht anderweitig zu verkaufen.170 Die entsprechende Klausel führt die Kommission als Hinweis dafür an, dass der objektive Zweck der Vereinbarung der Ausschluss von Merck sowie eines Dritten, nämlich dessen Lieferanten Natco, war.171 III. Zwischenergebnis Die Unterscheidung zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen hat erhebliche Auswirkungen auf die weitere Prüfung eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV. Im Gegensatz zu bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen muss die Kommission bei Annahme von bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen keine Prüfung der tatsächlichen Auswirkungen der Vereinbarungen auf den Wettbewerb vornehmen. Außerdem erfüllen laut EuGH bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen immer das Merkmal der Spürbarkeit auf dem Markt, wohingegen dies bei bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen nachzuweisen ist. Die Kommission ordnet die untersuchten Vereinbarungen in den Verfahren Lundbeck, Johnson & Johnson und Servier als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen ein. Sie stellt dabei auf wenige Kriterien ab. Insbesondere die Kombination aus Einschränkung des Generikaherstellers und Vermögensübertragung des Patentinhabers sieht sie als ausschlaggebend dafür an, dass die Vereinbarungen bereits eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken und insofern die Wirkungen keine Rolle mehr spielen. Insbesondere die Vermögensübertragung des Patentinhabers untersucht die Kommission sehr genau. Dabei vertritt sie die Meinung, dass von einer Vermögensübertragung eine Anreizwirkung ausgehe, die den Generikahersteller unter bestimmten Umständen zu der Einwilligung in die festgestellte Beschränkung bewege. Dieser Anreiz sei dann besonders groß, wenn die Vermögensübertragung über die erwarteten Einnahmen des Generikaherstellers im Falle des geplanten Markteintritts hinaus gehe. Allerdings schreibt die Kommission nicht jeder Vermögensübertragung des Patentinhabers an den Generikahersteller eine solche Anreizwirkung zu. So können Vermögensübertragungen gerechtfertigt sein, wenn sie als Zahlung für legitime Gegenleistungen des Generikaherstellers einzuordnen sind. Auch Kosten, die dem Generikahersteller durch die Eingehung der Vergleichsvereinbarung entstehen, dürfe der Patentinhaber ersetzen. Anders als in den USA seien allerdings ersparte Prozesskosten keine Rechtfertigung für eine Vermögensübertragung. Daneben stützt die Kommission ihre Begründung für die Einordnung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen auch auf weitere Kriterien. Zwar sei die Frage nach der Wirksamkeit der streitigen Patente nicht zu untersuchen. Allerdings berücksichtigt sie die Vorstellungen der Parteien bezüglich des Ausgangs des Patent170 So zumindest versteht die Kommission einen Schriftwechsel zwischen Merck und Natco, KOM, Lundbeck, Rn. 352, 848. 171 KOM, Lundbeck, Rn. 848.

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prozesses. Auch den Umstand, dass die Vereinbarungen teilweise nicht vorsahen, dass der Patentinhaber auf die Durchsetzung seiner Patente verzichtet, sobald die Generikahersteller in den Markt eintreten, führt die Kommission als Grund für die Einordnung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung an. Ebenso bewertet die Kommission Klauseln, nach denen sich der Generikahersteller dazu verpflichtet, auch andere Wirkstoffproduzenten an einer Vermarktung zu hindern. Trotz der zuletzt vorgestellten Kriterien liegt ein Hauptaugenmerkt der Kommission auf der Beschränkung des Generikaherstellers im Zusammenhang mit einer Vermögensübertragung des Originalpräparateherstellers. Eine besonders hohe Vermögensübertragung biete den Anreiz für den Generikahersteller, in die vom Originalhersteller gewünschten Beschränkungen einzuwilligen, obwohl eine Vermarktung des Generikums erfolgsversprechend wäre. Dementsprechend sei eine solche Vereinbarung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung einzuordnen.

E. Prüfung der wettbewerbsbeschränkenden Wirkung Zwar geht die Kommission wie im Fall Lundbeck und Johnson & Johnson auch in der Servier-Sache davon aus, dass es sich um bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen handelt. „Der Vollständigkeit halber“ untersucht sie jedoch, ob die Vereinbarungen zwischen Servier und den Generikaherstellern zugleich eine bewirkte Wettbewerbsbeschränkung darstellen.172 Dieses als „Dual-Object-Effect-Approach“173 bezeichnete Vorgehen erscheint nicht zwingend, könnte jedoch als eine Absicherung der Kommission im Falle einer Prüfung ihrer Entscheidung durch die EU-Gerichte und als Reaktion auf die Kritik der betroffenen Parteien174 an der Einordnung der Vereinbarungen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen zu erklären sein. Die Kommission untersucht bei der Ermittlung, ob die Vereinbarung eine Wettbewerbsbeschränkung bewirkt, folgende Voraussetzungen: die Marktposition von Servier (I.), ob ein potentieller Wettbewerb zwischen Servier und dem Generikaunternehmen vorlag (II.), den Inhalt der Vereinbarung allgemein und konkret, ob durch ein Reverse Payment Anreize dafür gesetzt wurden, dass der Generikahersteller Beschränkungen seiner Handlungsfreiheit zustimmt (III.), sowie die Wettbewerbskonstellation, die ohne die Vereinbarung eingetreten wäre, wobei die Kommission ein Augenmerk auf das zu erwartende Verhalten des Generikaherstellers ohne die Vermögensübertragung legt (IV.).175

172

KOM, Servier, Rn. 1212 ff. Fraile/Kapoor/Morales, 7 Global Comp.Litig.Rev. 214, 219 (2014). 174 Vgl. die eingereichten Klagen der Unternehmen, Fn. 46; vgl. auch: Van der Woude, 5 Competition Policy International 183 (2009). 175 KOM, Servier, Rn. 1377 ff. 173

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I. Marktposition von Servier Eine Marktabgrenzung führe zu dem Ergebnis, dass der von Servier vertriebene Wirkstoff Perindopril nicht durch andere blutdrucksenkende Medikamente substituierbar war und deshalb zum Zeitpunkt der Vereinbarung zwischen Servier mit den Generikaherstellern ein eigener Markt hierfür bestand, auf dem Servier als bis dato einziger Produzent ein erhebliches Maß an Marktmacht besaß.176 II. Potentieller Wettbewerb Die Kommission kommt wie bereits zuvor bei der Prüfung des wettbewerbswidrigen Zwecks zu dem Ergebnis, dass zwischen Servier und den Generikaunternehmen potentieller Wettbewerb bestanden habe. Wettbewerbsdruck hätten insofern nicht die Hersteller anderer Blutdrucksenker ausgeübt, sondern einzig die potentiellen Hersteller des Perindopril-Generikums. Besonders hervorgehoben wird durch die Kommission auch, dass nur eine Handvoll Generikaunternehmen zeitnah in Wettbewerb hätten treten können.177 Servier habe mit fast allen dieser Unternehmen Vereinbarungen geschlossen, was dazu geführt habe, dass lediglich zwei Generikaunternehmen übrig geblieben seien, die in der Lage gewesen wären ein Perindopril-Generikum auf den Markt zu bringen oder dies bereits getan hätten.178 Aufgrund des Umstands, dass lediglich einige wenige Unternehmen in der Lage gewesen seien, die patentrechtlichen und regulatorischen Hürden zu überwinden und ihre Generika auf den Markt zu bringen, habe bereits jede der geschlossenen Vereinbarungen für sich genommen zu einer erheblichen Reduzierung des Wettbewerbsdrucks sowie zu einer Verspätung der Einführung neuer Generika geführt. III. Inhalt der Vereinbarung In Bezug auf die Vermögensübertragung von Servier an die Generikahersteller sowie deren Zugeständnisse (Nichtangriffsklausel sowie Wettbewerbsverbot) verweist die Kommission auf ihre Ausführungen zum wettbewerbswidrigen Zweck.179 Es wird hierbei nicht klar, welchen Stellenwert die Vermögensübertragung bei der Prüfung der bewirkten Wettbewerbsbeschränkung einnimmt und anhand welcher Parameter die Kommission eine Vermögensübertragung des Patentinhabers an den Generikahersteller als wettbewerbsschädlich einordnet.

176 177 178 179

KOM, Servier, Rn. 1241 f. KOM, Servier, Rn. 1257; Rn. 1651 (Vereinbarung Servier-Teva). KOM, Servier, Rn. 1263. KOM, Servier, Rn. 1635 (Vereinbarung Servier-Teva).

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IV. Wettbewerbskonstellation bei Ausbleiben der konkreten Vereinbarung Anders als bei der Prüfung einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung verlangt die Prüfung einer bewirkten Wettbewerbsbeschränkung den Nachweis, dass die Vereinbarung zu tatsächlich eingetretenen negativen Folgen für den Wettbewerb geführt hat. Die alles entscheidende Frage, ob ohne die Vereinbarungen mehr Wettbewerb stattgefunden hätte, untersucht die Kommission unter Bezugnahme auf eine Reihe von Kriterien. Diese sprächen dafür, dass ein potentieller Wettbewerb weiterhin bestanden hätte, wenn die Vereinbarungen nicht geschlossen worden wären. So hätten nach Ansicht der Kommission die Generikahersteller bei Ausbleiben der Vereinbarung weiterhin Druck auf den Patentinhaber Servier ausgeübt, indem sie ein oder mehrere Patente gerichtlich angegriffen hätten.180 Die Strategieüberlegungen der Generikaunternehmen sprächen außerdem dafür, dass das Vorhaben einer Generikaeinführung weiter verfolgt worden wäre.181 Die Kommission vermutet beispielsweise, dass das Generikaunternehmen Matrix zeitnah eine Möglichkeit gefunden hätte, nicht patentverletzende Wirkstoffe selbst oder über Partnerunternehmen zu produzieren.182 Wesentlich sei auch, ob der Generikahersteller möglicherweise einen At-Risk-Launch seines Generikums durchgeführt hätte.183 Im Ergebnis führten diese Überlegungen zu der Annahme, dass ohne die getroffene Vereinbarung weiterhin ein erhebliches Maß an potentiellem Wettbewerbsdruck bestanden hätte. Wesentlich sei dieser Druck deshalb gewesen, weil die Bemühungen der Generikaunternehmen bereits weit fortgeschritten gewesen seien und ein Markteintritt deshalb zeitnah zu erwarten gewesen sei.184 Obwohl dies bereits an mehreren Stellen anklingt,185 geht die Kommission erst in der Auswirkungsanalyse der Vereinbarung zwischen Servier und Krka auf die Überlegung ein, dass sich eine Beschränkung des Wettbewerbs auch daraus ergebe, dass die Parteien ohne die Vermögensleistung des Originalherstellers möglicherweise eine deutlich weniger wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung getroffen hätten als mit der Vermögensleistung.186

180 KOM, Servier, Rn. 1492 (Vereinbarung Servier-Matrix); Rn. 1638 (Vereinbarung Servier-Teva). 181 KOM, Servier, Rn. 1637 (Vereinbarung Servier-Teva). 182 KOM, Servier, Rn. 1493 (Vereinbarung Servier-Matrix). 183 KOM, Servier, Rn. 1400 (Vereinbarung Servier-Niche/Unichem); Rn. 1503 (Vereinbarung Servier-Matrix). 184 KOM, Servier, Rn. 1505 (Vereinbarung Servier-Matrix). 185 Beispielsweise KOM, Servier, Rn. 2020 (Vereinbarung Servier-Lupin). 186 KOM, Servier, Rn. 1831 (Vereinbarung Servier-Krka); eine Überlegung, die der Supreme Court of California strikt ablehnt, In re Cipro Cases I & II, 61 Cal.4th 116, Fn. 10 (S.Ct.Cal. 2015).

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V. Stellungnahme Die Auswirkungsprüfung der Kommission verläuft in einigen Punkten parallel zu der Prüfung des wettbewerbswidrigen Zwecks. So geht die Kommission auf den Inhalt der jeweiligen Vereinbarung ein und untersucht die Vermögensübertragung und den hiermit verbundenen Anreiz, der den Generikahersteller zur Aufgabe seiner Markteintrittsbemühungen bewegt. Im Gegensatz zur Prüfung, ob eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, geht sie bei der Auswirkungsprüfung noch einen Schritt weiter und untersucht, welche Wettbewerbssituation konkret eingetreten wäre, wenn die Vereinbarung nicht eingegangen worden wäre. Dabei umgeht die Kommission jedoch die Frage, ob und vor allem wann der Generikahersteller ohne die Vereinbarung in den Markt eingetreten wäre. Auf diese Frage nach dem tatsächlichen Wettbewerb geht sie nicht ein. Vielmehr untersucht sie, ob die Vereinbarung zur Reduzierung des potentiellen Wettbewerbs geführt hat, indem sie die Patentstreitigkeiten und Strategieüberlegungen der Generikahersteller bezüglich Patentumgehung und At-Risk-Launch berücksichtigt. Angesichts der amerikanischen Debatte, bei der im Zusammenhang mit den tatsächlichen Wirkungen immer auch die Frage nach dem hypothetischen Markteintrittszeitpunkt des Generikaunternehmens eine Rolle spielt, verwundert der Ansatz der Kommission. Erkennt man den potentiellen Wettbewerb bereits als schützenswerten Zustand an, so ist die Argumentation der Kommission jedoch nachvollziehbar und überzeugend. Im Pharmasektor ist der Wettbewerbsprozess bereits durch die Vorbereitungen der Generikahersteller und die Reaktionen der Originalhersteller geprägt und beginnt bereits einige Zeit, bevor die Vermarktung der Generikahersteller tatsächlich stattfindet.187 Auch dieser potentielle Wettbewerb führt sowohl beim Originalhersteller sowie beim Generikahersteller zu einem Innovationsdruck. So versucht der Originalhersteller dem drohenden Markteintritt der Generikahersteller durch Verbesserung seines Originals entgegenzutreten. Der Generikahersteller betreibt wiederum erheblichen Aufwand, möglichst frühzeitig sein Generikum auf den Markt zu bringen, indem er beispielsweise Herstellungsverfahren entwickelt, die die Patente des Originalherstellers nicht verletzen. Diese Entwicklungen stellen deshalb grundsätzlich einen schützenswerten Prozess dar. Hierbei führt eine Vergleichsvereinbarung, bei der der Originalhersteller dem Generikahersteller Vermögen überträgt und dieser im Gegenzug seine Bemühungen der Markteinführung zumindest zeitweise einstellt, zu einer Unterbrechung dieses kompetitiven Prozesses und bewirkt damit eine Wettbewerbsbeschränkung. Eine solche Folge haben zwar auch Vereinbarungen, die kartellrechtlich unbedenklich sind. Derartige Vereinbarungen, beispielsweise über Lizenzen, führen jedoch zu einem sofortigen Markteintritt des Generikaherstellers und kommen ohne Vermögensübertragungen des Patentinhabers aus. Im Übrigen würde eine solche Vereinbarung in aller Regel durch Art. 101 Abs. 3 AEUV aufgrund seiner positiven Wirkungen auf den Wettbewerb freigestellt. 187

Siehe S. 172.

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VI. Zwischenergebnis Obwohl die Kommission bereits annimmt, dass die untersuchten Vereinbarungen in der Sache Servier bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen darstellen, analysiert sie „der Vollständigkeit halber“, ob es sich hierbei gleichzeitig um bewirkte Wettbewerbsbeschränkungen handelt. Bei dieser Prüfung muss sie konkret auf die tatsächlichen Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb eingehen und negative Folgen belegen. Die Kommission nimmt zunächst eine Marktabgrenzung vor. Auch untersucht sie den potentiellen Wettbewerb zwischen Servier und den Generikaunternehmen. Über die Untersuchung des Inhalts der Vereinbarungen und konkret der Vermögensübertragungen geht sie auf die entscheidende Frage ein, ob ohne die Vereinbarungen tatsächlich mehr Wettbewerb zwischen den Unternehmen stattgefunden hätte als mit der Vereinbarung. Bei dieser Auswirkungsanalyse geht die Kommission sehr geschickt vor, indem sie nicht den Nachweis zu führen versucht, dass ein tatsächlicher Wettbewerb ohne Vergleichsschluss in jedem Fall stattgefunden hätte. Vielmehr beschränkt sie sich auf die Frage nach dem potentiellen Wettbewerb und untersucht, ob dieser durch die Vereinbarungen eingeschränkt oder sogar ausgeschlossen wurde. Sie umgeht damit die erheblichen Schwierigkeiten, die mit der Prognose eines eventuellen Ausgangs patentrechtlicher Streitigkeiten verbunden gewesen wäre. Vielmehr legt sie schlüssig und nachvollziehbar dar, dass ohne die Vereinbarungen die Generikahersteller ihre Bestrebungen hinsichtlich eines Markteintritts weiter verfolgt hätten und dieser potentielle Wettbewerb durch die geschlossenen Vereinbarungen unterbunden wurde.

F. (Keine) Freistellung gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV Vereinbarungen, die gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen, können unter den in Art. 101 Abs. 3 AEUV genannten Voraussetzungen vom Kartellverbot ausgenommen und damit zulässig sein.188 Dabei bestehen zwei Möglichkeiten der Freistellung. Entweder die Vereinbarung erfüllt die in Art. 101 Abs. 3 AEUV genannten Voraussetzungen im Einzelfall oder sie fällt in den Anwendungsbereich einer Gruppenfreistellungsverordnung.189 Art. 101 Abs. 3 AEUV bestimmt eine Freistellung nur in eng umgrenzten Fällen. Sie kommt nur in Frage, wenn zwei positive und zwei negative Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. Erstens muss die Vereinbarung zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, also Effizienzgewinne hervorrufen. Zweitens müssen die Verbraucher eine angemessene Beteiligung an dem entstehenden Gewinn 188

KOM, Leitlinien zu Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, 2004/C 101/08, ABl. C 101/97 vom 27. 04. 2004, Rn. 1. 189 KOM, Leitlinien zu Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, 2004/C 101/08, ABl. C 101/97 vom 27. 04. 2004, Rn. 2.

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erhalten. Drittens müssen die Beschränkungen für die Verwirklichung dieser Ziele unerlässlich sein, wobei die Vereinbarung – viertens – den Parteien nicht die Möglichkeit eröffnen darf, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.190 Das Vorliegen dieser Voraussetzungen haben die Parteien einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung zu beweisen.191 Die Kommission untersucht in ihren Entscheidungen das Vorliegen der Voraussetzungen von Art. 101 Abs. 3 AEUV. Dabei geht sie allerdings lediglich auf eine der vier genannten Voraussetzungen ein und untersucht lediglich, ob es durch die Vereinbarungen zu Effizienzgewinnen gekommen ist. Für eine Freistellung über eine Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) kommt für Pay-for-Delay-Vereinbarungen insbesondere die Technologietransfergruppenfreistellungsverordnung (Technologietransfer-GVO) in Betracht.192 Im Falle einer Gruppenfreistellungsverordnung müssen die Parteien lediglich beweisen, dass die Vereinbarung zu einer bestimmten Kategorie von Vereinbarungen der Verordnung gehört. Der Beweis jeder einzelnen Voraussetzung des Art. 101 Abs. 3 AEUV entfällt somit.193 I. Wettbewerbsförderung durch Effizienzsteigerung 1. Effizienzgewinne durch gesparte Prozesskosten Die Parteien machen in den Fällen Lundbeck und Servier geltend, dass die kostenaufwändigen und teils in verschiedenen Jurisdiktionen geführten Patentprozesse durch die Vergleichsvereinbarungen frühzeitig beendet und weitere Kosten somit eingespart wurden.194 Diese Kosteneinsparungen seien als Effiziensgewinne im Sinne von Art. 101 Abs. 3 AEUV zu qualifizieren. Dem entgegnet die Kommission, dass die bloße Einsparung von Kosten nicht ausreichend sei. Vielmehr bedürfe es klarer Begründungen, dass diese Einsparungen auch zu Verbesserungen im Produktmarkt oder zu Förderungen des wissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Fortschritts geführt haben.195 Die Kommission fordert damit, dass Unternehmen konkret nachweisen, dass die ersparten Prozess- und Verfahrenskosten beispielsweise in Forschungs- und Entwicklungsvorhaben reinvestiert wurden. Außerdem seien die geleisteten Vermögensübertragungen an die Generikahersteller oft höher gewesen 190

Ebd., Rn. 34. Art. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. L 1/1 v. 04. 01. 2003. 192 VO (EU) Nr. 316/2014 der Kommission über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. L93/17 vom 28. 03. 2014. 193 KOM, Leitlinien zu Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, 2004/C 101/08, ABl. C 101/97 vom 27. 04. 2004, Rn. 35. 194 KOM, Lundbeck, Rn. 1221; Servier, Rn. 2074; siehe auch Fischmann, S. 420 ff. 195 KOM, Lundbeck, Rn. 1223. 191

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als die eingesparten Kosten.196 Hinzu komme, dass für die Einsparung der Kosten die konkreten Vereinbarungen mit ihren Vermögensübertragungen gerade nicht unerlässlich waren, sondern auch durch Vereinbarungen hätten hervorgerufen werden können, die den Wettbewerb weniger stark beschränkt hätten.197 2. Effizienzgewinne durch verbesserte Produktion bzw. verbesserten Vertrieb Servier hatte unter anderem von den Generikaherstellern Lupin und Krka Patentanmeldungen für insgesamt E 70 Mio. gekauft und dies damit begründet, dass hierdurch Verbesserungen bei der eigenen Produktion erzielt werden konnten.198 Nach Meinung der Kommission sei der Erwerb von Technologie im Prinzip ein tauglicher Grund für die Annahme von Effizienzgewinnen. Servier habe jedoch nicht beweisen können, inwiefern sich der Ankauf im konkreten Fall positiv ausgewirkt hat. So seien vier der fünf gekauften Schutzrechte gar nicht verwendet worden. Hinzu komme, dass Servier keine wirtschaftliche Begründung liefern könne, die den Kauf ex ante rechtfertigt.199 Außerdem seien die Einschränkungen der Generikahersteller für die Durchführung des Erwerbs nicht unerlässlich gewesen.200 Effizienzgewinne machen die Parteien auch in Bezug auf die geschlossenen Kooperationsverträge geltend.201 So hatte Lundbeck mit Merck eine Vertriebsvereinbarung für das Gebiet Großbritanniens geschlossen, die nach Ansicht der Parteien zu Verbesserungen der Vertriebsmöglichkeiten geführt habe.202 Gleichzeitig hatten die gleichen Parteien in einem separaten Vertrag jedoch festgelegt, dass der Generikahersteller Merck für das übrige Gebiet des Europäischen Wirtschaftsraums kein Citalopram vertreiben würde.203 Die Kommission führt hierzu aus, dass die Auswirkungen beider Verträge in einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen seien, und sieht deshalb keine hinreichenden Gründe dafür gegeben, dass die Verbesserungen auf dem britischen Markt die negativen Auswirkungen der Vereinbarungen in den übrigen Märkten auszugleichen vermochten.204

196 197 198 199 200 201 202 203 204

KOM, Servier, Rn. 2076. KOM, Servier, Rn. 2077; kritisch: Fischmann, S. 426. KOM, Servier, Rn. 2078. KOM, Servier, Rn. 2080. KOM, Servier, Rn. 2082. KOM, Lundbeck, Rn. 1224; Johnson & Johnson, Rn. 406 ff. KOM, Lundbeck, Rn. 1224. KOM, Lundbeck, Rn. 348 f. KOM, Lundbeck, Rn. 1225.

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3. Effizienzgewinne durch früheren Markteintritt des Generikaherstellers In den Fällen Lundbeck und Servier führen die Parteien auch an, dass durch die Vereinbarungen die Möglichkeiten des Markteintritts von Generikaherstellern deutlich verbessert wurden und dieser sogar früher als ursprünglich erwartet stattfinden konnte.205 Bei näherer Prüfung zeigt sich nach Ansicht der Kommission jedoch, dass keine selbstbestimmten Markteinführungen eigener Generika erfolgt seien. Vielmehr seien die Generikahersteller lediglich als Zwischenhändler für die Originalprodukte206 oder als Produzent des autorisierten Generikums aufgetreten,207 wobei dessen Markteinführung durch Servier bis zum Patentablauf verschoben worden sei. Insofern könne nicht annähernd eingeschätzt werden, ob und in welchem Umfang die Vereinbarungen überhaupt zu Verbesserungen geführt hätten.208 II. Anwendung einer Gruppenfreistellungsverordnung Neben der Einzelfallausnahme gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV besteht auch die Möglichkeit, dass eine Vereinbarung zu einer Gruppe von grundsätzlich freigestellten Vereinbarungen gehört. Bei derartigen Vereinbarungen geht die Kommission davon aus, dass sie keine wettbewerbswidrigen Auswirkungen haben oder aber die positiven Auswirkungen die negativen übertreffen. Insbesondere Vereinbarungen, in denen zusätzlich zu einer Vermögensübertragung eine Lizenz gewährt wird, könnten nach der Technologietransfer-GVO freigestellt sein. Hierauf beruft sich in der Servier-Sache das Generikaunternehmen Krka, das von Servier für einige Märkte eine Lizenz erhalten hatte und im Gegenzug die übrigen Märkte Servier überließ.209 Eine weitere in Betracht kommende Gruppenfreistellungsverordnung ist diejenige bezüglich Vertikalvereinbarungen (Vertikal-GVO).210 1. Technologietransfer-GVO Die Technologietransfer-GVO211 ist für Pay-for-Delay-Vereinbarungen besonders relevant. Sie regelt, wann Vereinbarungen über Lizenzen nicht als kartellrechts205

KOM, Lundbeck, Rn. 1228; Servier, Rn. 2091. KOM, Lundbeck, Rn. 1229. 207 KOM, Servier, Rn. 2092. 208 KOM, Servier, Rn. 2094. 209 KOM, Servier, Rn. 2096 ff. 210 VO (EU) Nr. 330/2010 der Kommission über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungn und abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. L 102/1 vom 23. 04. 2010. 211 VO (EU) Nr. 316/2014 der Kommission über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. L 93/17 vom 28. 03. 2014 (Technologietransfer-GVO). 206

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widrig eingestuft werden und soll Unternehmen damit als Orientierungshilfe dienen.212 Zwar sehen Pay-for-Delay-Vereinbarungen häufig einen Aufschub des Generikamarkteintritts vor. Der Markteintritt des Generikums kann gleichwohl vor Patentende liegen (Early Entry).213 Ein solcher vor Patentende liegender Marktzutritt wird dabei oftmals dadurch erreicht, dass der Originalpräparatehersteller dem Generikahersteller Lizenzen für seine das Original schützenden Patente gewährt. Hierbei ist zu beachten, dass in der Lizenz selbst keine kartellrechtlich bedenkliche Vermögensübertragung zu erblicken ist, da die Lizenzerteilung für sich genommen dem Generikahersteller die Möglichkeit der Vermarktung seines Generikums eröffnet und damit auch aus Sicht der Kartellbehörden wünschenswert ist.214 Da ein Technologietransfer zwischen zwei Wettbewerbern in vielen Fällen positive Auswirkungen auf den Wettbewerb hat, indem es zu Effizienzsteigerungen durch einen geringeren Forschungs- und Entwicklungsaufwand, der Förderung von Anschlussinnovationen sowie zur Verbreitung der Technologie selbst kommt, sind bestimmte Vereinbarungen, die einen solchen Technologietransfer beinhalten vom Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV freigestellt.215 Die Regelungen, nach denen Technologietransfervereinbarungen freigestellt sind, wurden im Jahr 2014 reformiert.216 Die am 01. Mai 2014 in Kraft getretene Gruppenfreistellungsverordnung sieht weiterhin Marktanteilsschwellen vor, die gegenüber der alten Verordnung gleichgeblieben sind.217 Liegt der Marktanteil beider Vertragsparteien oberhalb der Schwelle von insgesamt 20 % auf dem relevanten Markt, so findet die TT-GVO keine Anwendung.218 Darüber hinaus sieht die Verordnung zwei wesentliche Neuerungen im Vergleich zur Vorgängerversion219 vor. Zum einen wurde ihr Anwendungsbereich für Nichtangriffsabreden weiter eingeschränkt.220 So war bereits in der TechnologietransferGVO von 2004 keine Freistellung von Klauseln vorgesehen, die das automatische Entfallen der Lizenz im Falle eines Angriffs auf das Schutzrecht durch den Lizenznehmer vorsahen. Nunmehr werden auch solche Abreden aus der GVO aus212 KOM, Pressemitteilung vom 21. März 2014, IP/14/299, abrufbar unter: http://europa.eu/ rapid/press-release_IP-14-299_de.htm. 213 Näheres zu Early-Entry-Vereinbarungen auf S. 27. 214 KOM, Pressemitteilung vom 21. März 2014, IP/14/299, abrufbar unter: http://europa.eu/ rapid/press-release_IP-14-299_de.htm. 215 KOM, TT-GVO, Erwägungsgrund 4. 216 Zur alten TT-GVO siehe auch: Fischmann, S. 328 ff.; Schmid, S. 190 ff. 217 Bellis, 6 Journal of Competition Law & Practice 54, 55 f. (2014). 218 KOM, TT-GVO, Art. 3 Abs. 1, Erwägungsgrund 10. 219 Verordnung Nr. 772/2004 der Kommission über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. L 123/11 vom 27. April 2004. 220 KOM, TT-GVO, Art. 5 Abs. 1 lit. b und Erwägungsgrund 15; Hull, 6 J. of Comp.L.&Practice 61, 69 f. (2015).

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genommen, die dem Schutzrechtsinhaber ein Kündigungsrecht im Falle des Angriffs zugestehen, solange es sich nicht um eine exklusive Lizenz handelt. Zum anderen geht die Kommission in ihren parallel zur GVO erlassenen Leitlinien zur Anwendung der Technologietransfer-GVO explizit auf Pay-for-Delay-Vereinbarungen ein, die eine Lizenzvereinbarung enthalten.221 Sie stellt klar, dass Vergleichsvereinbarungen ein grundsätzlich legitimes Mittel darstellen, um einen für beide Seiten akzeptablen Kompromiss zu finden.222 So sei es beispielsweise völlig unbedenklich, wenn sich ein potentieller Rechtsverletzer in einer entsprechenden Vereinbarung dazu verpflichtet, keine Rechte des geistigen Eigentums zu verletzen und dem Rechteinhaber gleichzeitig für in der Vergangenheit begangene Rechtsverletzungen Entschädigungen leistet. Enthält eine Streitbeilegungsvereinbarung, die eine „Verzögerung oder sonstige Beschränkung der Möglichkeit des Lizenznehmers, das Produkt auf den betroffenen Märkten einzuführen, so fällt sie unter Umständen unter Art. 101 Abs. 1 AEUV […].“ Wenn hierbei zusätzlich die Unternehmen Wettbewerber sind und ein „wesentlicher Vermögenstransfer vom Lizenzgeber an den Lizenznehmer stattgefunden hat, werde die Kommission die Vereinbarung unter dem Gesichtspunkt einer Markzuteilung/Marktaufteilung „besonders sorgfältig prüfen“.223 In den Leitlinien zur neuen TT-GVO wurden Nichtangriffsabreden speziell im Rahmen von Streitbeilegungsvereinbarungen ebenfalls näher thematisiert. Diese seien „in der Regel“ erlaubt und fielen deshalb nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV.224 Dabei wird darauf verwiesen, dass ohne eine solche Nichtangriffsklausel eine Streitbeilegung häufig gar nicht möglich wäre, da die Parteien Streitigkeiten über Rechte des Geistigen Eigentums auch für die Zukunft ausschließen wollen. Gleichzeitig erfolgt die Klarstellung, dass eine Nichtangriffsabrede gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstößt, wenn sie sich auf ein Recht bezieht, dass auf der „Grundlage unrichtiger oder irreführender Auskünfte gewährt wurde“.225 Die Kommission folgt hiermit den Vorgaben, die durch das Urteil in AstraZeneca durch den EuGH gemacht wurden.226 Ebenfalls stellen die Leitlinien klar, dass eine detaillierte Überprüfung der Vereinbarung „auch dann erforderlich [wird], wenn der Lizenzgeber dem Lizenznehmer abgesehen von der Lizenz für die Technologierechte einen finanziellen oder sonstigen Anreiz bietet, sich damit einverstanden zu erklären, die Gültigkeit der Technologierechte nicht anzufechten“.227 Insofern entnimmt die Kommission auch 221

KOM, Leitlinien zur Anwendung von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. C 89/3 v. 28. 3. 2014, (im Folgenden: KOM, Leitlinien zur TT-GVO) Rn. 234 ff. 222 KOM, Leitlinien zur TT-GVO, Rn. 235. 223 KOM, Leitlinien zur TT-GVO, Rn. 239; Warren/Zafar, 6 J. of Europ.Comp. L.&Practice 364, 366 (2014). 224 KOM, Leitlinien zur TT-GVO, Rn. 242. 225 KOM, Leitlinien zur TT-GVO, Rn. 243. 226 EuGH, Rs. C-457/10 P, AstraZeneca/Kommission, ECLI:EU:C:2012:770. 227 KOM, Leitlinien zur TT-GVO, Rn. 243.

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Nichtangriffsabreden der Freistellung der Gruppenfreistellung, wenn sie im Zusammenhang mit Vermögensübertragungen auftreten. Sie verfestigt damit ihre Ansicht, die sie bereits in ihrer Servier-Entscheidung vertritt. So sei bereits die Vorgänger-TT-GVO nicht auf solche Vergleichsvereinbarung anzuwenden gewesen, die zusätzlich mit einer Vermögensübertragung für gewisse Beschränkungen der Gegenseite einhergehen.228 2. Vertikal-GVO Vertikalvereinbarungen sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die auf verschiedenen Produktions- oder Vertriebsstufen tätig sind.229 Demgegenüber finden Horizontalvereinbarungen zwischen Wettbewerbern statt, die auf gleicher Marktstufe, also in unmittelbarer Konkurrenz um die Produktion oder den Vertrieb eine Ware stehen. Vereinbaren Original- und Generikahersteller eine Kooperation, in der der Generikahersteller als Händler für das Original oder aber als Zusatzhersteller für den Patentinhaber in Erscheinung tritt, so kommt die Anwendung der GVO über Vertikalvereinbarungen in Betracht. Die Vertikal-GVO findet grundsätzlich nur Anwendung, solange der auf jedes der an der Vereinbarung beteiligte Unternehmen entfallende Marktanteil jeweils 30 % nicht überschreitet.230 So ist bereits fraglich, ob die Originalhersteller im pharmazeutischen Markt nicht regelmäßig diese gesetzte Marktanteilsschwelle überschreiten. Dessen ungeachtet kann eine Freistellung nach der Vertikal-GVO nur erfolgen, wenn die Unternehmen keine Wettbewerber sind oder aber das Generikaunternehmen nicht zugleich auch Hersteller der betreffenden Waren beziehungsweise Wettbewerber auf mehreren Handelsstufen ist (Art. 2 Vertikal-GVO). Bei Vereinbarungen der hier untersuchten Art ist das Generikaunternehmen regelmäßig zugleich Händler des Generikums als auch dessen Hersteller. Original- und Generikahersteller treten in aller Regel sowohl als Hersteller als auch als Händler auf. Somit sind sie sich horizontal gegenüberstehende Wettbewerber. Eine Vereinbarung über eine Kooperation, in der sich der Generikahersteller in ein Vertikalverhältnis zum Originalhersteller begibt, führt in erster Linie dazu, dass der Generikahersteller nicht mehr als Horizontalwettbewerber agiert. Es handelt sich somit nicht um eine Vereinbarung, die über die Vertikal-GVO freigestellt werden kann.231 Zutreffend geht die Kommission deshalb davon aus, dass die Gruppenfreistellungsverordnung auf die Kooperationsvereinbarung zwischen Lundbeck und den Generikaunternehmen Merck und Ranbaxy keine Anwendung findet, da diese zumindest auch Hersteller des

228 229 230 231

KOM, Servier, Fn. 1586. Ellger, in: Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, Art. 101 AEUV, Rn. 517. Art. 3 VO (EU) Nr. 330/2010. So auch: KOM, Servier, Rn. 1928 (Vereinbarung Servier-Lupin).

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aktiven Citalopram-Wirkstoffes waren und deshalb in einem horizontalen Wettbewerbsverhältnis zu Lundbeck standen.232

G. Zwischenergebnis zu § 16 Die EU-Kommission hat bislang drei Entscheidungen zu Pay-for-Delay-Fällen getroffen. In den Sachen Lundbeck, Johnson & Johnson und Servier schlossen Originalhersteller mit Generikaherstellern, die eine Vermarktung von Generika planten, Vereinbarungen. Diese Vereinbarungen ordnet die Kommission in allen Fällen als Verstöße gegen Art. 101 AEUV ein. Hierbei berücksichtigt sie insbesondere den zwischen Originalpräparatehersteller und Generikahersteller bestehenden potentiellen Wettbewerb zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Aus internen Strategiedokumenten der Originalpräparatehersteller, den Bemühungen der Generikahersteller sowie den geführten Patentstreitigkeiten folgert die EU-Kommission, dass es jeweils konkrete Möglichkeiten eines baldigen Markteintritts gegeben habe. Die EU-Kommission betont, dass dieser potentielle Wettbewerb bereits schützenswert im Sinne der Wettbewerbsregeln sei und untersucht, inwieweit es zu einer Beschränkung durch die Vereinbarungen gekommen sei. Dabei ordnet sie alle untersuchten Vereinbarungen als bezweckte Wettbewerbsvereinbarungen im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUVein. Hierfür berücksichtigt sie den Inhalt der Vereinbarungen und insbesondere die Vermögensübertragungen, die vom Originalpräparatehersteller an den jeweiligen Generikahersteller gezahlt wurden. Diese Vermögensübertragungen wurden im Zusammenhang mit Einschränkungen der Generikahersteller getätigt. Dabei unterscheidet die Kommission zwischen Patentvereinbarungen, die ohne eine Vermögensübertragung auskommen und solchen, bei denen eine Vermögensübertragung durch den Patentinhaber geleistet wird. Denn die Vermögensübertragung biete einen zusätzlichen Anreiz für den Generikahersteller, seine Wettbewerbsbemühungen frühzeitig aufzugeben oder zumindest aufzuschieben. Deshalb ergebe sich laut Kommission aus den Vereinbarungen der Zweck einer Wettbewerbsbeschränkung. Aufgrund dieser Einordnung prüft die Kommission nicht die tatsächlichen Auswirkungen der Vereinbarungen auf den Wettbewerb. Einzig in der Sache Servier untersucht die Kommission „der Vollständigkeit halber“, ob die Vereinbarungen auch tatsächlich negative Auswirkungen auf den Wettbewerb gehabt haben. Auch dies sieht die EU-Kommission als bestätigt, indem nachweislich der potentielle Wettbewerb durch die Vereinbarung eingeschränkt worden sei. Eine Prüfung der Patentwirksamkeit nimmt die Kommission dabei nicht vor. Auch eine Freistellung der Vereinbarungen aufgrund von Art. 101 Abs. 3 AEUV verneint die Kommission aufgrund mangelnder Effizienzgewinne. Auch eine Freistellung durch Anwendung der Technologietransfer-GVO lehnt sie zu Recht ab.

232

KOM, Lundbeck, Rn. 720.

§ 17 Die Rechtsprechung des EuGH

205

Die Einschätzung der Kommission, wonach die Vereinbarungen in den Fällen Lundbeck, Johsnon & Johnson und Servier als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen einzuordnen seien, stieß auf Kritik seitens der Unternehmen. Die von den Entscheidungen Lundbeck und Servier betroffenen Originalpräparate- sowie Generikahersteller legten Klage vor dem EuG ein, das über die Rechtsmäßigkeit der Kommissionsentscheidungen zu befinden hat und in der Sache Lundbeck die Kommissionsentscheidung vollständig bestätigte.

§ 17 Die Rechtsprechung des EuGH Vor dem Hintergrund der durch die betroffenen Unternehmen in den Sachen Lundbeck und Servier eingelegten Klagen ist fraglich, ob die Entscheidungen der Kommission im Einklang mit der Rechtsprechung der EuGH stehen. Der Ansatz der EU-Kommission bzgl. Pay-for-Delay-Sachverhalten wird von Unternehmen kritisiert. Zu den Kritikpunkten gehört zuvorderst die Einordnung der Vereinbarungen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen. Im Gegensatz zur Einordnung als bewirkte Wettbewerbsbeschränkungen entfällt hier die Prüfung der tatsächlich eingetretenen wettbewerbswidrigen Wirkungen der Vereinbarungen. Gerade dieser Nachweis ist bei Pay-for-Delay-Vereinbarungen jedoch vor dem Hintergrund wirksamer Patente schwer zu führen, da fraglich ist, ob die Vermarktung der Generika überhaupt möglich gewesen wäre, ohne die Patente des Originalpräparateherstellers zu verletzen. Die Grenzziehung zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen spielt bei der Einordnung durch die Kommission somit eine große Rolle. Das zeitlich nach den Kommissionsentscheidungen ergangene Urteil Groupement des Cartes Bancaires233 (Cartes Bancaires-Urteil) wird immer wieder als Hinweis dafür angeführt, dass der EuGH die Einordnung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung inzwischen restriktiver sieht.234 Dieser Abschnitt widmet sich deshalb zunächst diesem Urteil und analysiert, wann der EuGH von einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung ausgeht. Auch wird in diesem Abschnitt das kürzlich ergangene Urteil des EuG in der Sache Lundbeck235 analysiert. Schließlich soll aufgezeigt werden, welche Schlüsse für die Kommissionsentscheidungen zu Pay-for-Delay-Vereinbarungen zu ziehen sind.

233

EuGH, C-67/13 P, Groupement des Cartes Bancaires/Kommission, ECLI:EU: C:2014:2204. 234 Padilla/Meunier, Should Reverse Patent Settlements Be Prohibited Per Se?, 2015, abrufbar unter: http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2604071. 235 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449.

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4. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

A. Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen in der EuGH-Rechtsprechung Betrachtet man die Ausführungen bezüglich der Abgrenzung von bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen, so zeigt sich, dass diese insbesondere in den letzten Jahren nicht immer einheitlich waren. Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen sind nach Meinung des EuGH zunächst solche Verhaltensweisen, deren Umsetzung anhand gesicherter ökonomischer Erkenntnisse zu einem Nachteil für Dritte führt. Hierzu zählen in der Regel horizontale Kartelle über Preis- und Gebietsabsprachen, sogenannte Kernbeschränkungen.236 Diese sind nicht abschließend in Art. 101 Abs. 1 AEUV aufgezählt. Daneben werden auch immer wieder Vereinbarungen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen eingeordnet, die nicht zu einer Kategorie der Kernbeschränkungen zählen.237 Der EuGH hat hierfür eine differenzierende Definition der bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen entwickelt, die auch für die Einordnung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen maßgeblich ist. Liegen keine bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen vor, so ist zu prüfen, ob die tatsächlichen Auswirkungen der Vereinbarung zu einer Wettbewerbsbeschränkung führen. Die konkreten Kriterien für die Abgrenzung von bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen wurden früh durch die Spruchpraxis des EuGH geformt. Bereits 1966 ordnet der EuGH einer Vereinbarung einen wettbewerbsbeschränkenden Zweck zu, wenn sie eine „hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs“ darstellt und sich diese „aus der Gesamtheit oder einem Teil der Bestimmungen der Vereinbarung selbst“ ergibt.238 Früh formuliert der Gerichtshof auch, dass bei der Untersuchung der „wirtschaftliche und rechtliche Zusammenhang“ der Vereinbarung zu berücksichtigen sei.239 I. Unklare Rechtsprechungslinie des EuGH Die Kommissionsmeinung, wonach die untersuchten Vereinbarungen bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen sind, kann nur dann auf ihre Vereinbarkeit mit der EuGH-Rechtsprechung hin untersucht werden, wenn Klarheit über den relevanten Prüfungsmaßstab besteht. Insbesondere in den letzten Jahren, seit 2008, unterlag die konkrete Ausgestaltung der Definition einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung jedoch zunehmend Schwankungen und es entstanden Unklarheiten.240 So postuliert 236 Hierbei exemplarisch der Katalog der Kernbeschränkungen des Art. 101 Abs. 1 lit. a) bis c) AEUV. 237 EuGH, Rs. C-209/07, Beef Industry Development, Slg. 2008, I-8637, ECLI:EU: C:2008:643, Rn. 23. 238 EuGH, C-56/65, LTM/Maschinenbau Ulm, Slg. 1966, 282, 303, ECLI:EU:C:1966:38. 239 EuGH, C-96 – 102, 104, 105, 108 und 110/82, IAZ/Kommission, Slg. 1983, 3369, ECLI:EU:C:1983:310, Rn. 25. 240 Hierzu eingehend: Fiebig, WUW 2015, 462.

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der EuGH in einigen Entscheidungen, dass bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen solche Vereinbarungen seien, die bereits „ihrer Natur nach schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs“ sind.241 Andere Entscheidungen übernehmen diese Formel zwar, weichen die Voraussetzungen jedoch an anderer Stelle auf. So reicht dem EuGH in der T-Mobile-Entscheidung das „Potential […] negativer Auswirkungen auf den Wettbewerb“ für die Annahme eines wettbewerbsbeschränkenden Zwecks aus.242 In der Entscheidung GlaxoSmithKline fordert das EuG, dass für die Ermittlung des wettbewerbswidrigen Charakters einer Vereinbarung „notwendigerweise […] auch ihre Auswirkungen hinzugezogen werden [müssen]“.243 Das bisherige Verständnis, wonach bei bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen die tatsächlichen Auswirkungen keine Rolle spielen sollten, wurde mit diesen Formulierungen in Frage gestellt. Auch sorgten verschiedene Aussagen zu möglichen legitimen Nebenzwecken für Verwirrung. In seiner Entscheidung Pierre Fabre geht es um ein selektives Vertriebssystem, nach dem der Verkauf von Kosmetika und Körperpflegeprodukten in einem physischen Raum und in Anwesenheit eines Pharmazeuten erfolgen muss. Der EuGH antwortet dem vorlegenden nationalen Gericht, dass eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung anzunehmen sei, „wenn eine individuelle und konkrete Prüfung des Inhalts und des Ziels dieser Vertragsklausel sowie des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs, in dem sie steht, ergibt, dass diese Klausel in Anbetracht der Eigenschaften der in Rede stehenden Produkte nicht objektiv gerechtfertigt ist“.244 Der EuGH lässt damit dem vorlegenden Gericht die Möglichkeit offen, legitime Zwecke zu prüfen, die die Vereinbarung rechtfertigen können.245 Dem stehen die Ausführungen des EuGH in seiner Rechtsprechung aus Beef Industry entgegen, nach der eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung auch dann vorliege, 241 EuGH, C-209/07, Beef Industry Development und Barry Brothers, Slg. 2008, I-08637, ECLI:EU:C:2008:643, Rn. 17; C-8/08, T-Mobile Netherlands u. a., Slg. 2009, I-04529, ECLI:EU:C:2009:343, Rn. 29; C-226/11, Expedia, ECLI:EU:C:2012:795, Rn. 36; C-32/11, Allianz Hungária Biztosító u. a., ECLI:EU:C:2013:160, Rn. 35; ähnlich auch: KOM, Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag, ABl. C 101/97 v. 27. 04. 2004, Rn. 23: „Eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung liegt vor, wenn die Beschränkung ihrem Wesen nach geeignet ist, den Wettbewerb zu beschränken“. 242 EuGH, C-8/08, T-Mobile Netherlands u. a., Slg. 2009, I-4529, ECLI:EU:C:2009:343, Rn. 31. 243 EuG, T-168/01, GlaxoSmithKline Services/Kommission, Slg. 2006, II-2969, ECLI:EU: T:2006:265, Rn. 147; diese Argumentation wurde vom EuGH nur in Bezug darauf beanstandet, dass das EuG lediglich nach einem Nachteil für die Endverbraucher nicht aber für den Wettbewerb im Allgemeinen gesucht hatte, EuGH, C-501, 513, 515, 519/06 P, GSK/Kommission, Slg. 2009, I-9291, ECLI:EU:C:2009:610, Rn. 63 f. 244 EuGH, C-439/09, Pierre Fabre Dermo-Cosmétique, Slg. 2011 I-09419, ECLI:EU: C:2011:649, Rn. 47. 245 EuGH, C-439/09, Pierre Fabre Dermo-Cosmétique, Slg. 2011 I-09419, ECLI:EU: C:2011:649, Rn. 49.

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4. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

wenn neben dem wettbewerbsschädlichen auch legitime Zwecke mit der Vereinbarung verfolgt würden.246 In der Entscheidung Expedia fügt der Gerichtshof (vertreten durch die zweite Kammer) an die bekannten Formeln zur bezweckten Wettbewerbsbeschränkung an, dass außerdem „die Natur der betroffenen Waren und Dienstleistungen, die auf dem betreffenden Markt oder den betreffenden Märkten bestehenden tatsächlichen Bedingungen und die Struktur dieses Marktes oder dieser Märkte zu berücksichtigen“ seien.247 Diese Formulierung entnimmt der Gerichtshof dem Urteil der dritten Kammer Asnef-Equifax, in dem sie allerdings nicht im Zusammenhang mit der Beschreibung einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung, sondern mit dem Umfang einer Auswirkungsanalyse gebraucht wurde.248 Es könnte sich insofern entweder um eine methodische Ungenauigkeit seitens des Gerichtshofs oder um eine Ausweitung der Kriterien einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung um das Kriterium einer Auswirkungsanalyse handeln.249 Diese Passage greift wiederum die erste Kammer des Gerichtshofs in Allianz Hungária auf.250 Zudem nennt der EuGH in dieser Entscheidung mehrere Kriterien, wie die Marktstruktur oder die Marktmacht der beteiligten Unternehmen, die bisher überwiegend bei der Untersuchung der Auswirkungen einer Vereinbarung und damit bei der Frage der bewirkten Wettbewerbsbeschränkung eine Rolle spielten.251 Auch wiederholt der Gerichtshof in Allianz Hungária zwar die „ihrer-Naturnach“-Formel,252 führt jedoch weiter aus: Ein wettbewerbswidriger Zweck liege vor, wenn „angesichts des wirtschaftlichen Zusammenhangs der Wettbewerb auf dem genannten Markt infolge des Abschlusses dieser Vereinbarungen wahrscheinlich beseitigt oder erheblich geschwächt werden wird“.253 Durch die Bezugnahme auf mögliche Folgen auf den Wettbewerb, weicht der EuGH die Grenzen zwischen bewirkten und bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen weiter auf. Einige interpretierten die Passage dahingehend, dass bereits die Wahrscheinlichkeit der eintretenden schädlichen Wirkung zur Annahme eines wettbewerbswidrigen Zwecks

246

EuGH, Rs. C-209/07, Beef Industry Development, Slg. 2008, I-8637, ECLI:EU: C:2008:643, Rn. 21. 247 EuGH, C-226/11, Expedia, ECLI:EU:C:2012:795, Rn. 20. 248 EuGH, C-238/05, Asnef-Equifax, Slg. 2006, I-11125, ECLI:EU:C:2006:734, Rn. 49. 249 Eingehend Fiebig, WuW 2015, 462, 471. 250 EuGH, C-32/11, Allianz Hungária Biztosító u. a., ECLI:EU:C:2013:160, Rn. 36. 251 Fiebig, WuW 2015, 462, 472. 252 „Die Unterscheidung zwischen ,bezweckten Verstößen‘ und ,bewirkten Verstößen‘ liegt darin begründet, dass bestimmte Formen der Kollusion zwischen Unternehmen schon ihrer Natur nach als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden können“, EuGH, C-32/11, Allianz Hungária Biztosító u. a., ECLI:EU:C:2013:160, Rn. 35. 253 EuGH, C-32/11, Allianz Hungária Biztosító u. a., ECLI:EU:C:2013:160, Rn. 48.

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führe.254 Andererseits könnte man die Formulierung auch derart verstehen, dass der EuGH mit ihr lediglich klarstellt, dass eine Vereinbarung, die großer Wahrscheinlichkeit nach gravierende Auswirkungen auf den Wettbewerb hat, als „ihrer Natur nach“ wettbewerbsschädlich einzuordnen ist.255 Eine entsprechende Aussage ließe sich problemlos auf Hardcore-Kartelle übertragen: Eine Preisabsprache, die den Wettbewerb höchstwahrscheinlich in erheblichem Maße beeinträchtigt, ist eben deshalb ihrer Natur nach schädlich für den Wettbewerb und deshalb als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung einzuordnen, ohne dass eine eingehende Auswirkungsprüfung stattfinden muss. Die Diskussionen um die genannten Urteile verdeutlicht die Verwirrung, die in den letzten Jahren bei der Frage der korrekten Abgrenzung von bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen entstanden ist. Einige Urteile ließen dabei die Vermutung zu, dass auch Erwägungen zu möglichen Auswirkungen bei der Bestimmung des wettbewerbswidrigen Zwecks eine Rolle spielen. Mit den Hinweisen auf das Potential oder die Wahrscheinlichkeit des Eintritts negativer Folgen schienen die Anforderungen an die Einordnung einer Vereinbarung als eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckend gelockert zu werden. Diese Entwicklung ist vor allem vor dem Hintergrund relevant, dass die Kommission in ihren Pay-for-DelayEntscheidungen immer von bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen ausging, ohne hierfür auf einschlägige Pay-for-Delay-Rechtsprechung der europäischen Gerichte zurückgreifen zu können. II. Klarstellung durch das Cartes Bancaires-Urteil Vor dem Hintergrund dieser Ausgangslage erging 2014 das Cartes BancairesUrteil des EuGH,256 in dem dieser auf einige Punkte eingeht, über die zuvor Unklarheit herrschte. Zwar betrifft das Urteil nicht den Pharmasektor, allerdings sind die Ausführungen zu den maßgeblichen Prüfungskriterien für die Annahme einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung gleichfalls auf die Entscheidungen der Kommission übertragbar. Anhand dieser Ausführungen kann in einem zweiten Schritt überprüft werden, ob die Kommission bei ihren Pay-for-Delay-Entscheidungen einen richtigen Prüfungsmaßstab wählt. Der Cartes Bancaires-Entscheidung liegt zugrunde, dass mehrere Banken eine Gesellschaft gründeten, die die Interoperabilität der Systeme für den Einsatz von den 254 Bach, Bedenkliche Ausweitung der Kategorie „bezweckter Wettbewerbsbeschränkungen“ durch Gerichtshof, 20. 03. 2013, abrufbar unter: http://kartellblog.de/2013/03/20/gastbei trag-albrecht-bach-bedenkliche-ausweitung-der-kategorie-bezweckter-wettbewerbsbeschraen kungen-durch-gerichtshof/; Harrison, Competition Law Insight 2013, 10, andeutungsweise auch GA Wahl, Schlussanträge v. 27. März 2014, C-67/13 P, CB/Kommission, ECLI:EU: C:2014:1958, Rn. 52. 255 Killick/Jourdan, Cartes Bancaires, Competition Policy International, 2014, S. 3. 256 EuGH, C-67/13 P, Groupement des Cartes Bancaires/Kommission, ECLI:EU: C:2014:2204.

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Mitgliedern herausgegebener Bankkarten ermöglichen sollte.257 Um solche Banken, die mehr Geldautomaten betreiben und damit einen höheren Kostenaufwand haben, hierfür zu entschädigen, führte die Gesellschaft unter ihren Mitgliedern einen Mechanismus ein, der diesen Banken einen finanziellen Ausgleich bieten sollte.258 Die Kommission erblickte hierin eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung.259 Das Europäische Gericht teilte diese Einschätzung.260 In seinem Urteil folgte der Gerichtshof im Wesentlichen den Vorschlägen von Generalanwalt Wahl und hob das Urteil des EuG sowie die Entscheidung der Kommission in Gänze auf. Drastisch formuliert der EuGH dabei: „das Gericht [habe] durch die Qualifizierung der fraglichen Maßnahmen das angefochtene Urteil nicht nur fehlerhaft begründet […], sondern auch eine fehlerhafte Auslegung und Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EG vorgenommen“.261 „Rechtsfehler“ seien dem Gericht in Bezug auf die „Definition der rechtlichen Kriterien […], die relevant sind, um das Vorliegen einer ,bezweckten‘ Wettbewerbsbeschränkung […] zu beurteilen“, unterlaufen.262 Erstmals verwirft der EuGH damit eine Entscheidung der Kommission, in der diese eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung angenommen hat.263 In einigen Punkten sorgt der EuGH mit seinem Urteil für Klarheit. Im Folgenden werden einzelne Aspekte der Entscheidung behandelt, die für die Einordnung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung eine Rolle spielen. 1. Restriktive Auslegung von bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen Die Frage, ob an die Voraussetzungen einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung ein enger Auslegungsmaßstab anzulegen ist, wurde in den Urteilen der letzten Jahre immer wieder diskutiert. In Beef Industry scheint der EuGH noch davon auszugehen, dass der Begriff der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung nicht restriktiv auszulegen sei. Jedenfalls geht der EuGH auf den Vortrag der BIDS,264 wonach der Begriff des bezweckten Verstoßes restriktiv auszulegen sei, nur insoweit ein als er feststellt, dass der Katalog des Art. 81 Abs. 1 Buchst. a bis e EG (heute 257

EuGH, C-67/13 P, Groupement des Cartes Bancaires/Kommission, ECLI:EU: C:2014:2204, Rn. 3. 258 EuGH, C-67/13 P, Groupement des Cartes Bancaires/Kommission, ECLI:EU: C:2014:2204, Rn. 4. 259 KOM, Entscheidung v. 17. 10. 2007, COMP/D1/38606 – Groupement des Cartes Bancaires. 260 EuG, T-491/07, CB/Kommission, ECLI:EU:T:2012:633. 261 EuGH, C-67/13 P, Groupement des Cartes Bancaires/Kommission, ECLI:EU: C:2014:2204, Rn. 71. 262 EuGH, C-67/13 P, Groupement des Cartes Bancaires/Kommission, ECLI:EU: C:2014:2204, Rn. 56. 263 KIllick/Jourdan, Cartes Bancaires, Competition Policy International, 2014 S. 6. 264 Beef Industry Development Society Ltd (BIDS), hierzu genauer ab S. 200.

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Art. 101 AEUV) nicht abschließend sei.265 Hieraus wiederum liest das EuG in erster Instanz in der Sache Cartes Bancaires,266 dass eine restriktive Auslegung des Begriffs einer bezweckten Wettbewerbsbeeinträchtigung nicht angebracht sei.267 Diese Einschätzung teilt der EuGH in Cartes Bancaires jedoch nicht. Er stellt klar, dass das Gericht den Begriff der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung fälschlicherweise nicht eng ausgelegt hat.268 Der Umstand, dass die in Art. 81 Abs. 1 EG genannten Arten der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung nicht abschließend seien, spreche weder für noch gegen eine enge Auslegung des Begriffs und sei schlichtweg „irrelevant“.269 Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass die Kommission nur dann von ihrer Pflicht zur Überprüfung der tatsächlichen Auswirkungen einer Vereinbarung entbunden sei, wenn feststehe, „dass diese schon ihrer Natur nach schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs sind“270 und Vereinbarungen darstellten, die „in sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen“ lassen.271 Der EuGH spricht sich damit in seinem Cartes Bancaires-Urteil für eine restriktivere Auslegung des Begriffs einer bezweckten Wettbewerbsvereinbarung aus und orientiert sich wieder stärker am ursprünglichen Verständnis der in Art. 101 AEUV genannten Alternativen.272 2. Prüfung des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs In Bezug auf die vom EuGH in ständiger Rechtsprechung geforderte Prüfung des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs der Vereinbarung erfolgen einige Konkretisierungen in der Cartes Bancaires-Entscheidung. Der Gerichtshof übt Kritik an der Vorgehensweise des EuG in Bezug auf die Bestimmung des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs der Vereinbarung:273 Hieraus lassen sich Rückschlüsse auf den vom EuGH gewünschten Prüfungsrahmen ziehen.

265 EuGH, Rs. C-209/07, Beef Industry Development, Slg. 2008, I-8637, ECLI:EU: C:2008:643, Rn. 22 f. 266 EuG, T-491/07, CB/Kommisson, ECLI:EU:T:2012:633. 267 „Gemäß der Rechtsprechung stellen die in Art. 81 Abs. 1 Buchst. a bis e EG vorgesehenen Arten von Vereinbarungen keine abschließende Liste der verbotenen Kollusionen dar, und daher ist der Begriff des bezweckten Verstoßes nicht eng auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil Beef Industry Development Society und Barry Brothers, Rn. 22 und 23)“, EuG, T-491/07, CB/Kommisson, Rn. 124. 268 EuGH, C-67/13 P, CB/Kommission, ECLI:EU:C:2014:2204, Rn. 58. 269 EuGH, C-67/13 P, CB/Kommission, ECLI:EU:C:2014:2204, Rn. 58. 270 EuGH, C-67/13 P, CB/Kommission, ECLI:EU:C:2014:2204, Rn. 50 und 58. 271 EuGH, C-67/13 P, CB/Kommission, ECLI:EU:C:2014:2204, Rn. 57. 272 Ausführlich Killick/Jourdan, Cartes Bancaires, Competition Policy International 2014; Köckritz, EuZW 2014, 907, 908. 273 EuGH, C-67/13 P, Groupement des Cartes Bancaires/Kommission, ECLI:EU: C:2014:2204, Rn. 77.

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In Expedia274 und Allianz Hungária275 konkretisiert der EuGH den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang dahingehend, dass in seinem Rahmen auch „die Natur der betroffenen Waren und Dienstleistungen, die auf dem betreffenden Markt oder den betreffenden Märkten bestehenden tatsächlichen Bedingungen und die Struktur dieses Marktes oder dieser Märkte zu berücksichtigen“ seien.276 Diese teilweise als Ausweitung der Zweckprüfung kritisierte Formulierung277 wird durch den EuGH in Cartes Bancaires bestätigt.278 Es scheint somit geklärt, dass im Rahmen einer Zweckprüfung auch auf die Marktverhältnisse und die Marktstellung der beteiligten Unternehmen abzustellen ist.279 Hieran anschließend fragt sich, wie diese erweiterte Prüfung mit dem Erfordernis in Einklang zu bringen ist, dass es sich bei einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung um eine „ihrer Natur nach“ schädliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs handeln muss. Der Einschätzung von Generalanwalt Wahl nach könne der rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhang einer Vereinbarung die Annahme eines wettbewerbsschädlichen Zwecks lediglich „stützen oder neutralisieren“, nicht jedoch einen Zweck begründen. Dieser müsse sich immer bereits aus dem Inhalt und dem Ziel der Vereinbarung ergeben.280 Diese Ansicht greift der EuGH in seinem Urteil nicht auf. Er betont zwar, dass das „wesentliche rechtliche Kriterium“ einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung sei, dass die Vereinbarung „in sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lässt“.281 Jedoch wiederholt er die Formel, dass sich ein wettbewerbswidriger Zweck neben dem Inhalt und dem Ziel der Vereinbarung auch aus dem wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang ergebe, ohne hierbei eine Einschränkung vorzunehmen.282

274

EuGH, C-226/11, Expedia, ECLI:EU:C:2012:795. EuGH, C-32/11, Allianz Hungária Biztosító u. a., ECLI:EU:C:2013:160. 276 EuGH, C-32/11, Allianz Hungária Biztosító u. a., ECLI:EU:C:2013:160, Rn. 36; Expedia, Rn. 21. 277 Harrison, Competition Law Insight, vom 11. Juni 2013, S. 10, Italianer, Redemanuskript v. 26. 09. 2013, 40th Annual Conference on International Antitrust Law and Policy, Fordham Comp. L. Institute N.Y., S. 6, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/competition/spee ches/text/sp2012_05_en.pdf. 278 EuGH, C-67/13 P, Groupement des Cartes Bancaires/Kommission, ECLI:EU: C:2014:2204, Rn. 53. 279 Fiebig, WuW 2015, 462, 475. 280 GA Wahl, Schlussanträge v. 27. 3. 2014, C-67/13 P, CB/Kommission, ECLI:EU: C:2014:1958, Rn. 44; ebenso GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 4. 9. 2008, Rs. C-209/07, Beef Industry Development, ECLI:EU:C:2008:467, Rn. 50; Fiebig, WuW 2015 462, 476. 281 EuGH, C-67/13 P, Groupement des Cartes Bancaires/Kommission, ECLI:EU: C:2014:2204, Rn. 57. 282 EuGH, C-67/13 P, Groupement des Cartes Bancaires/Kommission, ECLI:EU: C:2014:2204, Rn. 53. 275

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Mit dem Cartes Bancaires-Urteil ist auch das Kriterium des wirtschaftlichen Zusammenhangs etwas klarer umrissen worden. Generalanwalt Wahl hatte darauf hingewiesen, dass insbesondere in Fällen, in denen keine „offensichtliche“ Wettbewerbsbeschränkung vorliege, eine konkrete Prüfung des wirtschaftlichen Zusammenhangs vorgenommen werden müsse, um auszuloten, ob diese dazu geeignet seien, die sich aus dem Inhalt der Vereinbarung ergebende Wettbewerbswidrigkeit zu entkräften.283 Dieser Meinung ist der EuGH nicht gefolgt. Der rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhang einer Vereinbarung kann somit auch zu ungunsten der an ihr beteiligten Parteien herangezogen werden. 3. Entbehrlichkeit einer Auswirkungsprüfung Ob und in welcher Form die von einer Vereinbarung hervorgerufenen tatsächlichen oder potentiellen Wirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb im Rahmen der Zweckprüfung herangezogen werden dürfen, schien vor der Cartes BancairesEntscheidung unklar. Im Cartes Bancaires-Urteil kritisiert der EuGH das EuG darin, dass es zur Begründung des wettbewerbswidrigen Zwecks auf die potentiellen Wirkungen der vereinbarten Maßnahmen abstellte und damit „zu erkennen [gab], dass die fraglichen Maßnahmen nicht ,schon ihrer Natur nach‘ als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden können“.284 Der EuGH stellt damit klar, dass der Rückgriff auf tatsächliche oder potentielle Auswirkungen einer Vereinbarung in keinem Fall als Begründung herangezogen werden dürfen, dass die fragliche Vereinbarung ihrer Natur nach wettbewerbsschädlich ist. Aus der Absicht des EuGH sowie des Generalanwalts Wahl, bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen in Zukunft wieder restriktiver zu handhaben und klarer von bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen abzugrenzen, ergibt sich, dass bei der Prüfung des Zwecks einer Vereinbarung der Rückgriff auf die tatsächlichen oder potentiellen Wirkungen unter keinen Umständen stattfinden sollte. Hierfür spricht auch die Einordnung des Verbots bezweckter Wettbewerbsbeschränkungen als abstraktes Gefährdungsdelikt, bei dem es gerade nicht auf den Eintritt einer konkreten Folge ankommt.285 Eine Auswirkungsprüfung ist demnach bei der Frage nach dem wettbewerbswidrigen Zweck entbehrlich.

283 GA Wahl, Schlussanträge v. 27. 3. 2014, C-67/13 P, CB/Kommission, ECLI:EU: C:2014:1958, Rn. 148. 284 EuGH, C-67/13 P, Groupement des Cartes Bancaires/Kommission, ECLI:EU: C:2014:2204, Rn. 82. 285 GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 4. 9. 2008, Rs. C-209/07, Beef Industry Development, ECLI:EU:C:2008:467, Rn. 46; GA Vesterdorf, Schlussanträge v. 10. 07. 1991, Rs. T-1/89, Rhone Poulenc/Kommission, S. 923; Fiebig, WuW 2015, 462, 477; Mohr, ZWeR 2015, 12.

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4. Gesicherte Erfahrung Generalanwalt Wahl führt in seinen Schlussanträgen in der Sache Cartes Bancaires aus, dass aus einer klaren Unterscheidung und Abgrenzung zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen auch folge, dass „die Einstufung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung [einzugrenzen] und auf solche Abreden [zu beschränken ist], denen ein gewisser Grad an Wettbewerbsschädlichkeit innewohnt.“286 Dies seien nur solche Vereinbarungen, die „erfahrungsgemäß in Übereinstimmung mit der wirtschaftlichen Analyse ständig verboten“ werden und „deren schädlicher Charakter angesichts gesicherter Erfahrung“ feststeht.287 Obwohl der Begriff der „gesicherten Erfahrung“ bereits in verschiedenen Schlussanträgen288 sowie den Richtlinien der Kommission zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EGV Erwähnung findet,289 wird er durch den EuGH bislang nicht aufgegriffen. Dies wirft die Frage auf, ob überhaupt ein Kriterium der „gesicherten Erfahrung“ bestehen sollte und was hierunter zu verstehen ist. Diese Fragen sind für Pay-for-DelayVereinbarungen besonders relevant, da hierzu bislang keine Entscheidungen durch die Gerichte der EU ergangen sind. Der EuGH greift in Cartes Bancaires den Begriff nur teilweise auf.290 So erwähnt er zwar, dass „die Erfahrung“ zeige, dass bestimmte Vereinbarungen negative Effekte nach sich ziehen und deshalb als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen einzuordnen seien.291 Dabei geht er jedoch weder darauf ein, ob eine Prüfung sich immer auf gesicherte Erfahrung stützen müsse, noch was unter Erfahrung tatsächlich zu verstehen ist. Da die Nennung des Begriffs lediglich beiläufig und nur beispielhaft im Zusammenhang mit einer Preisabsprache und damit einer Kernbeschränkungen geschieht,292 ist davon auszugehen, dass der EuGH hier kein zusätzliches Prü-

286 GA Wahl, Schlussanträge v. 27. 03. 2014, C-67/13 P, CB/Kommission, ECLI:EU: C:2014:1958, Rn. 58. 287 GA Wahl, Schlussanträge v. 27. 03. 2014, C-67/13 P, CB/Kommission, ECLI:EU: C:2014:1958, Rn. 55. 288 GA Villalón, Schlussanträge v. 25. 10. 2012, Rs. C-32/11, Allianz Hungariá, ECLI:EU: C:2012:663, Rn. 65; GA Trstenjak, Schlussanträge v. 30. 06. 2009, Rs. C-501, 513, 515, 519/06 P, GSK/Kommission, ECLI:EU:C:2009:409, Rn. 91. 289 KOM, Richtlinien zur Anwendung von Art. 81 (3) EGV, ABl. C 101/97 v. 27. 04. 2004, Rn. 21. 290 Dies geschah möglicherweise sogar erstmalig: Killick/Jourdan, Cartes Bancaires, Competition Policy International 2014; Köckritz, EuZW 2014, 907, 908. 291 „Die Erfahrung zeigt nämlich, dass solche Verhaltensweisen Minderungen der Produktion und Preiserhöhungen nach sich ziehen, die zu einer schlechten Verteilung der Ressourcen zulasten insbesondere der Verbraucher führen.“, EuGH, C-67/13 P, Groupement des Cartes Bancaires/Kommission, ECLI:EU:C:2014:2204, Rn. 51. 292 EuGH, C-67/13 P, Groupement des Cartes Bancaires/Kommission, ECLI:EU: C:2014:2204, Rn. 51; siehe auch GA Wahl, Schlussanträge v. 21. 05. 2015, C-194/14 P, ACTreuhand/Kommission, ECLI:EU:C:2015:350, Rn. 48, wobei hier der Begriff der Erfahrung im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Analyse (nicht der rechtlichen) genannt wird.

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fungskriterium einführen will.293 Hierfür spricht auch die Tatsache, dass neue Formen von Vereinbarungen immer erst eine aufwändige Auswirkungsprüfung durchlaufen müssten, um ihnen einen Erfahrungswert beimessen zu können. Insbesondere bei Vereinbarungen, bei denen sich der Verdacht eines wettbewerbswidrigen Zwecks aufdrängt, weil etwa die Parteien beim Abschluss der Vereinbarung entsprechende Absichten verfolgten, würde ein solches Erfordernis unnötigen Aufwand erfordern und ist somit auch vor dem Hintergrund des Prinzips der Prozessökonomie abzulehnen. Es bedarf somit auch nach dem Cartes Bancaires-Urteil keines zwingenden Erfordernisses von gesicherter Erfahrung der Rechtsprechung mit einer bestimmten Verhaltensweise. Vielmehr ist es weiterhin ausreichend, dass aus dem Inhalt, dem Ziel sowie dem rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang der Vereinbarung ein hinreichend negativer Eingriff in die Marktverhältnisse als offensichtlich erscheint. Gleichzeitig ist der Rückgriff auf bereits entschiedene, ähnlich gelagerte Sachverhalte nicht verwehrt. 5. Offenkundige Wettbewerbsbeschränkung Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass seit 2004294 Unternehmen eine Selbsteinschätzung treffen müssen, ob ihre Vereinbarung gegen Kartellrecht verstößt, besteht ein erhebliches Interesse daran, dass eine Einordnung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung für die Unternehmen nicht überraschend und „aus heiterem Himmel kommt“.295 Auch bei Pay-for-Delay-Vereinbarungen war lange Zeit unklar, auf welchen Standpunkt sich die Kommission stellen würde. Kritiker der Kommissionsentscheidungen fordern auch deshalb ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Offenkundigkeit, um das Überraschungspotential einer für die Unternehmen nachteiligen Kommissionentscheidung zu reduzieren. Die Kommission betont in ihren Entscheidungen Lundbeck und Servier, dass eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 101 AEUV nicht offenkundig sein müsse296 und beruft sich hierbei sowohl auf das Europäische Gericht297 sowie die Schlussanträge von Generalanwältin Trstenjak in der Sache Beef Indus-

293

Andere Ansicht: Killick/Jourdan, Cartes Bancaires, Competition Policy International 2014; Köckritz, EuZW 2014, 907, 908. 294 Zeitpunkt des Inkrafttretens der VO (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. 12. 2002 zur Druchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. vom 04. 01. 2003, L 001, 1. 295 Killick/Jourdan, Cartes Bancaires, Competition Policy International 2014, S. 8; Köckritz, EuZW 2014, 907, 908. 296 KOM, Lundbeck, Rn. 651 f.; Servier, Rn. 1116 f. 297 EuG, T-491/07, Groupement des Cartes Bancaires/Kommission, ECLI:EU:T:2012:633, Rn. 46.

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try.298 Da in jedem Fall eine Prüfung des Inhalts der Vereinbarung unter Berücksichtigung ihrer objektiven Ziele sowie ihres rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs nötig sei, müsse eine Vereinbarung nicht „auf den ersten Blick“ als eine Wettbewerbsschädigung bezweckend einzuordnen sein und könne sich auch erst nach eben jener Prüfung ergeben.299 Generalanwalt Wahl äußert sich in seinen Schlussanträgen in der Sache Cartes Bancaires zur Offenkundigkeit. Beschränkungen wie die Festsetzung von Preisen und die Aufteilung von Märkten – also Kernbeschränkungen – seien „offenkundige Wettbewerbsbeschränkungen“.300 Ist der wettbewerbsschädigende Charakter einer Maßnahme nicht ohne weiteres offensichtlich, so müsse eine Prüfung „des Inhalts der Maßnahmen“ eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung ergeben.301 Dieser Aussage ist zu entnehmen, dass Vereinbarungen, die nicht offenkundig wettbewerbsbeschränkend sind, nach Prüfung ihres Inhalts und „im Licht der objektiv verfolgten Ziele und des wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs“ als eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung einzustufen sein können. Zwar bleibt dies in der Folge durch den EuGH in der Sache Cartes Bancaires unkommentiert. Allerdings geht aus den Ausführungen in der Entscheidung KME Germany hervor, dass „u. a.“ offenkundige Beschränkungen des Wettbewerbs als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen einzuordnen seien.302 Durch die Verwendung von „u. a.“, das hier besser mit „insbesondere“303 zu übersetzen gewesen wäre, zeigt sich, dass der EuGH unter bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen nicht abschließend offenkundige Beschränkungen versteht. Folglich ist das Merkmal der Offenkundigkeit keine zwingende Voraussetzung einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung. Demgegenüber wird gefordert, dass eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung zumindest für die Kartellanten auffällig sein müsse.304 Angesichts der äußerst schwierigen Verteidigungsmöglichkeiten nach Art. 101 Abs. 3 AUEV gegen eine einmal festgestellte bezweckte Wettbewerbsbeschränkung komme die Einordnung 298

GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 04. 09. 2008, Rs. C-209/07, Beef Industry Development, ECLI:EU:C:2008:467, Rn. 47 f. 299 KOM, Lundbeck, Rn. 651; ähnlich äußerte sich Generaldirektor Italianer, Redemanuskript v. 26. 09. 2013, 40th Annual Conference on International Antitrust Law and Policy, Fordham Comp. L. Institute N.Y., abrufbar unter: http://ec.europa.eu/competition/speeches/text/ sp2012_05_en.pdf. 300 GA Wahl, Schlussanträge v. 27. 03. 2014, C-67/13 P, CB/Kommission, ECLI:EU: C:2014:1958, Rn. 81. 301 GA Wahl, Schlussanträge v. 27. 03. 2014, C-67/13 P, CB/Kommission, ECLI:EU: C:2014:1958, Rn. 82. 302 EuGH, C-389/10 P, KME Germany u. a./Kommission, Slg. 2011, I-13125, ECLI:EU: C:2011:816, Rn. 75. 303 Die englische Originalversion des Urteils ist hierbei deutlicher, da hier von „in particular“ die Rede ist, was viel eher mit „insbesondere“ zu übersetzen gewesen wäre. 304 Killick/Jourdan, Cartes Bancaires, Competition Policy International 2014.

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einer per se Beschränkung sehr nahe, weshalb zumindest den Parteien zum Zeitpunkt der Eingehung der Vereinbarung klar sein müsse, welches Risiko mit einer entsprechenden Absprache einhergehe.305 Dem ist entgegenzuhalten, dass dies zum Ergebnis hätte, das Parteien, die vor Abschluss einer solchen offensichtlich wettbewerbswidrigen Vereinbarung stehen und sehenden Auges die Vereinbarung treffen, immer auch eine entsprechende Absicht zu unterstellen sein wird. Ein solches subjektives Element fordert Art. 101 AEUV jedoch gerade nicht. Eine andere Ansicht differenziert und bejaht eine Offenkundigkeit insofern, als eine Absprache „nach ihrem Inhalt, dem Zweck und den rechtlichen sowie wirtschaftlichen Auswirkungen ex ante eine überwiegende Wahrscheinlichkeit begründen muss, dass es zu negativen Drittwirkungen kommt.“306 Es sei jedoch nicht zu fordern, dass dies auf den ersten Blick erkennbar ist. Diese Meinung, die wohl noch mit der des EuGH vereinbar scheint, ist jedoch wenig hilfreich, ersetzt sie doch den unbestimmten Rechtsbegriff der Offenkundigkeit durch den einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Der Wunsch nach einem weiteren Abgrenzungskriterium zwischen bezweckter und bewirkter Wettbewerbsbeschränkung ist zwar durchaus nachvollziehbar. Das Abgrenzungsproblem wird durch die Voraussetzung der Offenkundigkeit jedoch nicht gelöst.307 Die dargelegte Einschränkung von bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen durch den EuGH über eine restriktive Auslegung, ist dagegen ausreichend, um das Ziel einer klareren Abgrenzung zu erreichen. Der Rückgriff auf ein weiteres ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Offenkundigkeit ist daher abzulehnen. 6. Legitime Zwecke einer Vereinbarung Im Cartes Bancaires-Urteil bekräftigt der EuGH, dass ein an sich legitimes Ziel einer Vereinbarung nicht die Annahme ausschließt, dass sie insgesamt einen wettbewerbsbeschränkenden Zweck verfolgt.308 Die bereits aufgezeigten Unklarheiten,309 die mit den Aussagen in Beef Industry und Pierre Fabre einhergegangen sind, lassen sich nach den Ausführungen in Cartes Bancaires damit nur so verstehen, dass legitime Zwecke einer Vereinbarung ihre wettbewerbsbeschränkende Zweckrichtung zwar ausgleichen können (Pierre Fabre), jedoch nicht müssen, mit der Folge, dass ein wettbewerbswidriger Zweck trotz legitimer Nebenzwecke angenommen werden kann (Beef Industry).

305

Killick/Jourdan, Cartes Bancaires, Competition Policy International 2014, S. 8 f.; Köckritz, EuZW 2014, 907, 908. 306 Mohr, ZWeR 2015, 1, 16. 307 Kuhn, ZWeR 2014, 143, 167. 308 EuGH, C-67/13 P, Groupement des Cartes Bancaires/Kommission, ECLI:EU: C:2014:2204, Rn. 70. 309 Siehe oben S. 207.

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III. Zwischenergebnis Die Rechtsprechung des EuGH ist in Bezug auf die Abgrenzung zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen nicht einheitlich und zudem in den letzten Jahren schwankend. Wurden früher nur besonders eindeutige Beschränkungen des Wettbewerbs als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen eingeordnet, so weichte der EuGH die Grenzziehung zwischen bezweckten und bewirkten Beschränkungen in den letzten Jahren zunehmend auf. Das Cartes Bancaires-Urteil des EuGH wirkt dieser Entwicklung entgegen. Mit ihm stellt der EuGH klar, dass der Begriff des wettbewerbswidrigen Zwecks eng auszulegen sei. Eine Vereinbarung bezweckt eine Wettbewerbsbeschränkung nur dann, wenn sie ihrer Natur nach wettbewerbsschädlich ist. Um eine klarere Abgrenzung zur Kategorie der bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen zu erreichen, spielen hierbei die potentiellen und tatsächlichen Auswirkungen einer Vereinbarung keine Rolle. Vielmehr kann sich der wettbewerbswidrige Zweck allein aus dem Inhalt sowie den objektiven Zielen und dem rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang der Vereinbarung ergeben. Bestehende gesicherte Erfahrung mit einer bestimmten Art von Vereinbarungen ist nicht erforderlich, kann jedoch unterstützend herangezogen werden.

B. Bewertung der Kommissionsentscheidungen vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung In seiner Cartes Bancaires-Entscheidung äußert sich der EuGH zu den maßgeblichen Prüfungskriterien für bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen. Er betont, dass die Kategorie der bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen restriktiv auszulegen sei. Nachdem die Rechtsprechungslinie des EuGH zuletzt einige Korrekturen erfahren hat, fragt sich, ob die dargestellten Entscheidungen der Kommission in den Sachen Lundbeck, Johnson & Johnson, und Servier diesem Beurteilungsmaßstab entsprechen. Im Folgenden soll deshalb eine Untersuchung der Kommissionsentscheidungen erfolgen, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Einordnung der jeweiligen Vergleichsvereinbarung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung zu legen sein wird. Diese ergibt sich nach Ansicht des EuGH aus dem Inhalt und den Zielen der Vereinbarung sowie aus ihrem rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang. Die Vereinbarungen in der Sache Johnson & Johnson sind dabei mangels das Originalpräparat schützender Patente gesondert zu besprechen und wird vorangestellt (I.). Sodann werden die Entscheidungen in den Fällen Lundbeck und Servier besprochen (II.), wobei die wesentlichen Kriterien der Kommission auf ihre Vereinbarkeit mit der Rechtsprechung des EuGH hin überprüft werden.

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I. Johnson & Johnson 1. Inhalt und Ziele der Vereinbarung Nach der Rechtsprechung des EuGH in der Entscheidung Cartes Bancaires kann sich eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung bereits aus dem Inhalt und den Zielen einer Vereinbarung ergeben. Hierbei ist die Formulierung der Vereinbarung maßgeblich, wobei gerade nicht auf die eventuellen Wirkungen eines vereinbarten Handelns einzugehen ist. In der Sache Johnson & Johnson war das Medikament Fentanyl in den Niederlanden nie patentgeschützt.310 Hier hatten die Unternehmen eine Co-Promotion-Vereinbarung getroffen und regelmäßige Zahlungen an den Generikahersteller vereinbart, die allerdings unabhängig von der erbrachten Gegenleistung bei Markteintritt einer der Parteien oder eines dritten Generikaherstellers eingestellt worden wären. Die Kommission untersucht den Inhalt der Vereinbarung und erblickt in der Koppelung aus Zahlung und Marktfernbleiben311 die Vereinbarung eines „Nicht-Eintritts-Mechanismus“, dessen Ziel es war, die Vertragspartner an der Einführung ihrer Generika zu hindern.312 Die Co-Promotion-Aktivitäten, die von den Generikaherstellern geleistet wurden, stuft die Kommission als in Anzahl und Wirkung unbedeutend ein.313 Zudem überstiegen die tatsächlich geleisteten Geldzahlungen die erwarteten Einnahmen der Generikahersteller bei Markteintritt, was sie zu dem Schluss bringt, dass die Vermögensübertragung in erster Linie nicht für die Dienstleistungen (Co-Promotion), sondern vielmehr für das Marktfernbleiben gedacht war.314 Die Koppelung der Vermögensleistung an das Marktfernbleiben ergibt sich bereits aus dem Inhalt der Vereinbarung. Eine Vereinbarung, die die Einschränkung eines potentiellen Wettbewerbers gegen eine Vermögensübertragung vorsieht, ohne dass sich der Originalhersteller auf ein Patent berufen kann, bietet dabei erhebliches Potential, als Wettbewerbsbeschränkung und damit Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV eingeordnet zu werden. Eine Vereinbarung, bei der der Originalpräparatehersteller den Generikahersteller dafür bezahlt, dass dieser seinen Markteintritt hinauszögert, schränkt letzteren in seiner Handlungsfreiheit erheblich ein. Ohne eine solche Vereinbarung würde zu einem früheren Zeitpunkt ein tatsächlicher Wettbewerb zwischen Original- und Generikahersteller entstehen mit der Folge niedrigerer Medikamentenpreise. Inhalt der Vereinbarung ist die Einschränkung eines Wettbewerbers mit dem objektiven Ziel, dessen Markteintritt hinauszuzögern. Der Inhalt einer derartigen Vereinbarung sowie ihre objektiven Ziele sprechen somit dafür, dass die Vereinbarung ihrer Natur nach als wettbewerbsbeschränkend einzuordnen ist. Ohne die tatsächlich eingetretenen Wirkungen dieser Vereinbarung zu 310 311 312 313 314

KOM, Johnson & Johnson, Rn. 22. KOM, Johnson & Johnson, Rn. 258. „Non-entry mechanism“, KOM, Johnson & Johnson, Rn. 222, 311 ff. KOM, Johnson & Johnson, Rn. 364. KOM, Johnson & Johnson, Rn. 364.

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prüfen, ergibt sich somit bereits aus dem Inhalt eine wettbewerbsbeschränkende Absprache, die als ihrer Natur nach wettbewerbsschädlich einzuordnen ist. Die Einordnung der Vereinbarungen zwischen Johnson & Johnson und den beiden Generikaherstellern Hexal und Sandoz als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen stützt die Kommission insofern auf den Inhalt sowie die objektiven Ziele der Vereinbarung und wurde damit den Ansprüchen gerecht, die der EuGH an eine Prüfung einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung stellt. 2. Rechtlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang Die Kommission untersucht ebenfalls den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang der Vereinbarung und gelangt zu dem Ergebnis, dass jene zu einem Zeitpunkt geschlossen wurde, als ein Markteintritt des Generikaherstellers JanssenCilag unmittelbar bevorstand.315 Die Kommission kommt bei der Untersuchung des wirtschaftlichen Zusammanhangs zu dem Ergebnis, dass die Vereinbarung für beide Parteien wirtschaftlich vorteilhafter war als ein unmittelbarer Wettbewerb zwischen den Unternehmen.316 In Fällen, in denen das Patent bereits abgelaufen ist, nie bestanden hat oder aber die Vereinbarung den Generikahersteller über den zeitlichen und sachlichen Schutzumfang des Patents hinaus einschränkt, vermag der Patentschutz keine Begründung für die dem Generikahersteller auferlegten Einschränkungen zu bieten. In einem solchen Fall geht die Beschränkung der Vereinbarung über die Beschränkung hinaus, die der Patentinhaber bei erfolgreicher Durchsetzung seines Patents hätte erreichen können. Ein bereits abgelaufenes oder nicht verletztes Patent kann nicht von den Parteien im Wege einer Vereinbarung künstlich verlängert oder anderweitig erweitert werden, da es ansonsten den Parteien erlaubt wäre, eine Ausnahme vom Kartellrecht zu formulieren. Wann eine Vereinbarung kartellrechtlich zulässig ist und wann nicht, unterliegt gerade nicht der Disposition der Parteien.317 Eine Vereinbarung, deren Beschränkung über das Patent hinausgeht, kann entsprechend unter keinen Umständen durch dieses Patent gerechtfertigt sein. 3. Zwischenergebnis Die Kommission geht bei ihrer Analyse in der Sache Johnson & Johnson konkret auf den Inhalt der Vereinbarung ein. Anders als in der Cartes Bancaires-Entscheidung des EuG stellt sie nicht auf die möglichen Wirkungen der Vereinbarung ab, sondern auf den Inhalt und die hiermit verfolgten objektiven Ziele. Diese werden insbesondere aufgrund der Höhe der Vermögensleistungen sowie der Koppelung an ein Marktfernbleiben deutlich. Auch der rechtliche und wirtschaftliche Zusam315 316 317

KOM, Johnson & Johnson, Rn. 363. KOM, Johnson & Johnson, Rn. 237. Picht, ZWeR 2014, 83, 94.

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menhang stützt dieses Ergebnis. Da der Originalpräparat Fentanyl des Herstellers Johnson & Johnson zum Zeitpunkt der Vereinbarung nicht patentgeschützt war, ergeben sich insofern für die Kommission nicht die für Pay-for-Delay-Vereinbarungen typischen Probleme. Der Prüfungsmaßstab der Kommission in der Sache Johnson & Johnson ist somit im Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung des EuGH bezüglich der Einordnung einer Vereinbarung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung. II. Lundbeck und Servier Anders als bei Vereinbarungen des Typs Johnson & Johnson, bei denen von Beginn an kein Patent besteht oder dieses bereits abgelaufen ist, scheint es bei Vereinbarungen, die auf den Schutzumfang eines Patents Bezug nehmen, deutlich fraglicher, ob die Vereinbarungen eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken. Ähnlich verhält es sich mit Vereinbarungen, bei denen nicht nur der Bestand des Patents in Frage steht, sondern bei denen bereits die Verletzung des Patents durch das Generikum bestritten wird und deshalb Gegenstand des Rechtsstreits ist. Gleichwohl gelangt die Kommission auch in den Sachen Lundbeck und Servier zu dem Ergebnis, dass es sich jeweils um bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen handelt. Dabei stellt sie vor allem auf die von den Originalherstellern geleisteten Vermögensübertragungen und deren Höhe ab (1.). Außerdem führt sie keine Patentüberprüfung durch (2.), nimmt in der Lundbeck-Sache allerdings auf den Schutzumfang der bestehenden Patente Bezug (3.). Zudem verweist sie als Schutzgut nicht nur auf die Konsumentenwohlfahrt, sondern auf den Wettbewerb als solchen (4.) und sieht in beiden Fällen den Umstand, dass es sich um Streitbeilegungsvereinbarungen handelt, nicht als Rechtfertigungsgrund für die Wettbewerbsbeschränkungen an (5.). Diese Besonderheiten ihrer Argumentation sollen im Folgenden auf ihre Vereinbarkeit mit der Rechtsprechung des EuGH hin überprüft werden. In wieweit die Kommission die Absichten der an den Vereinbarungen beteiligten Parteien beachten durfte, soll ebenfalls 6. Diskutiert werden (6.). Abschließend wird untersucht, ob der rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhang der Vereinbarungen gegen eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung spricht (7.). 1. Kriterium der Vermögensübertragung – Beef Industry-Entscheidung Die Kommission vertritt die Meinung, dass die Verpflichtung der Generikahersteller nicht durch die Stärke von Lundbecks Patenten, sondern durch die Vermögensübertragung erreicht worden sei und die Vereinbarungen somit bereits ihrer Natur nach wettbewerbsschädlich seien.318 318

KOM, Lundbeck, Rn. 821, 871, 959, 1010, 1084, 1171.

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In der Servier Sache verpflichteten sich beide Generikahersteller dazu, bis zum Ablauf der Verfahrenspatente von jeder Form der Vermarktung von Perindopril abzusehen. Die Kommission bezieht dabei die Position, dass eine Limitierung der Verhaltensfreiheit des Generikaherstellers, die im Zusammenhang mit einer hierfür geleisteten Zahlung steht, maßgebliches Kriterium sei. Dem Fokus auf die Vermögensübertragung liegt die Überlegung zugrunde, dass durch diese eine Anreizwirkung entstehe, die die Wettbewerbsstruktur verzerre. Eine Wettbewerbsbeschränkung sieht die Kommission dabei in der Verknüpfung zwischen Vermögensübertragung und der Beschränkung des Generikaherstellers.319 Die Kommission sieht in ihrer Servier-Entscheidung hierbei insbesondere den Wettbewerb als solchen als Schutzgut an und verweist nur vereinzelt auf das Schutzgut der Konsumentenwohlfahrt.320 Der von der Kommission gewählte Ansatz ist in Bezug auf pharmazeutische Patentvergleiche bisher nicht in der Rechtsprechung überprüft worden. Jedoch zieht die Kommission in ihrer Argumentation Parallelen zum EuGH-Urteil in Beef Industry,321 bei dem es um vereinbarte Maßnahmen zwischen Rindfleischherstellern in Irland ging. Aufgrund von Überkapazitäten im Verarbeitungsgewerbe des Rindfleischsektors hatten die Behörden den Unternehmen die Verabschiedung von Maßnahmen nahegelegt, die die Senkung der Kapazitäten zum Ziel hatten.322 Zehn Fleischverarbeitungsgesellschaften gründeten eine juristische Person mit dem Namen Beef Industry Development Society (BIDS), die ihrerseits mit anderen fleischverarbeitenden Unternehmen Vereinbarungen einging. Diese Unternehmen verpflichteten sich dazu, aus dem Verarbeitungsgewerbe auszuscheiden und für eine Dauer von mindestens zwei Jahren nicht in einen Wettbewerb mit den übrigen fleischverarbeitenden Unternehmen zu treten. Im Gegenzug erhielten die ausscheidenden Unternehmen Geldzahlungen von der juristischen Person. Im Kern ging es bei der Vorlage vor dem EuGH in Beef Industry um die Frage, ob eine bezweckte oder bewirkte Wettbewerbsbeschränkung vorliegt.323 Der EuGH geht von einer „bezweckten“ Wettbewerbsbeschränkung aus, indem er den Wortlaut der Vereinbarung untersucht und zum Ergebnis gelangt, dass die Vereinbarungen einen Mechanismus darstellen, der den Marktaustritt einiger Marktteilnehmer fördere und eine gemeinsame Strategie der Rentabilitätssteigerung etabliere.324 Die Beef Indus319

Siehe hierzu bereits S. 185 ff. KOM, Servier, Rn. 1144, 1197; dies hatte sie in der Lundbeck-Entscheidung noch nicht getan: KOM, Lundbeck, Rn. 96, 645, 674, 321 EuGH, Rs. C-209/07, Beef Industry Development, Slg. 2008, I-8637, ECLI:EU: C:2008:643. 322 EuGH, Rs. C-209/07, Beef Industry Development, Slg. 2008, I-8637, ECLI:EU: C:2008:643, Rn. 5. 323 EuGH, Rs. C-209/07, Beef Industry Development, Slg. 2008, I-8637, ECLI:EU: C:2008:643, Rn. 14. 324 EuGH, Rs. C-209/07, Beef Industry Development, Slg. 2008, I-8637, ECLI:EU: C:2008:643, Rn 33. 320

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try-Vereinbarungen wurden damit vom EuGH als bezweckte Wettbewerbsvereinbarungen eingeordnet. Der EuGH urteilt, dass sich eine solche Art der Vereinbarung nicht mit der grundsätzlichen Konzeption des Wettbewerbsrechts in Einklang bringen lasse, nach der jeder Wirtschaftsteilnehmer seine Politik am Markt autonom zu bestimmen habe. Art. 81 Abs. 1 EGV verbiete jede Art der Koordination, die eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lasse.325 Auch der Umstand der zeitlichen Beschränkung der Wettbewerbsverbotsklausel sei nach Meinung des EuGH nicht dazu geeignet, den wettbewerbsbeschränkenden Charakter des Zwecks der Vereinbarung auszuschließen.326 Wenn neben den negativen auch (wettbewerbsrechtlich) positive Ziele mit der Vereinbarung verfolgt würden, so könnten diese nur im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EGV (Art. 101 Abs. 3 AEUV) Berücksichtigung finden. Für die Pay-for-Delay-Problematik besonders relevant erscheint die Einordnung der vereinbarten Zahlungen der BIDS327 an die aus dem Markt ausscheidenden Unternehmen. Die Vereinbarungen sahen vor, dass die im Markt verbleibenden Unternehmen elf Euro pro geschlachtetem Tier über den herkömmlichen Verarbeitungsanteil hinaus an die aus dem Markt ausscheidenden Unternehmen zahlen als Gegenleistung für die Übernahme der Kunden. Der EuGH sieht jedoch diese Zahlungen gleichzeitig als Maßnahme an, die die übrigen im Markt verbleibenden Unternehmen mitbeeinflusse und somit der „natürliche[n] Entwicklung“ von Marktanteilen entgegenstehe.328 Hieraus folgt, dass im Rahmen der Untersuchung des Zwecks einer Vereinbarung durchaus auch auf die sich von der Vereinbarung ausgehenden Zwänge und Anreize abzustellen ist. Eine solche Anreizwirkung geht nach Ansicht der Kommission in ihren Entscheidungen Lundbeck und Servier von der Vermögensübertragung des Patentinhabers an den Generikahersteller aus. Sie stehe dem Anreiz des Markteintritts entgegen und reduziere oder eliminiere diesen sogar.329 Diese Beeinflussung durch die Vermögensübertragung entkoppele das Vergleichsergebnis von der Einschätzung der Parteien Erfolgsaussichten im Prozess und damit auch von der Einschätzung der Stärke des Patents. Aus der Entscheidung Beef Industry geht hervor, dass Vereinbarungen, bei denen ein Wettbewerber aus dem Markt austritt und damit seine eigenständigen Wettbewerbshandlungen beschränkt und im Gegenzug hierfür Vermögensleistungen erhält, 325 EuGH, Rs. C-209/07, Beef Industry Development, Slg. 2008, I-8637, ECLI:EU: C:2008:643, Rn. 34. 326 EuGH, Rs. C-209/07, Beef Industry Development, Slg. 2008, I-8637, ECLI:EU: C:2008:643, Rn. 39. 327 Beef Industry Development Society Ltd. (BIDS). 328 EuGH, Rs. C-209/07, Beef Industry Development, Slg. 2008, I-8637, ECLI:EU: C:2008:643, Rn. 37. 329 KOM, Lundbeck, Rn. 604; Servier, Rn. 1137.

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als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen einzuordnen sind. Dies spricht dafür, dass die Anreizwirkung, die von Vermögensübertragungen ausgeht, bei der Bewertung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen ebenfalls zu beachten ist. Dem steht auch nicht entgegen, dass der EuGH in der Vergangenheit betonte, dass das wirtschaftliche Interesse einer Partei an der Eingehung einer Vereinbarung für das Vorliegen einer Zuwiderhandlung unerheblich sei.330 Hiermit bringt er zum Ausdruck, dass die Bestimmung des Art. 101 AEUV auch dann zur Anwendung kommen könne, wenn der Teilnehmer einer Vereinbarung von ihr nicht profitiert. Umgekehrt bedeutet dies jedoch nicht, dass erhebliche Anreize, die durch eine Vermögensbeteiligung entstehen, keine Berücksichtigung finden sollten. Aus Beef Industry ergibt sich unmissverständlich die Einordnung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung dann, wenn Vermögensanreize gesetzt werden, um den Wettbewerber an der ungehinderten Ausübung seiner autonomen Unternehmenspolitik zu hindern. Der Fall Beef Industry weist zunächst deutliche Parallelen zu den von der Kommission getroffenen Entscheidungen auf. Auch hier handelt es sich um Vereinbarungen, bei denen eine der Parteien eine Entschädigung dafür erhält, dass sie später in den Markt eintritt. Sowohl in der BIDS-Vereinbarung sowie bei Pay-forDelay-Vereinbarungen ergibt sich die Einschränkung der Wettbewerber bereits unmittelbar aus dem Wortlaut der Vereinbarung. Die Vereinbarungen sehen explizit vor, dass sich die bereits bestehenden Wettbewerber aus dem Markt zurückziehen oder potentielle Wettbewerber gar nicht erst in diesen eintreten.331 In Abgrenzung hierzu stellt der EuGH in Cartes Bancaires fest, dass die dortigen Vereinbarungen eine derartige Bestimmung nicht aufwiesen, sondern nur als mögliche und entfernte Folge, einen Markteintritt neuer Wettbewerber erschwerten.332 Die Konstellation in Lundbeck und Servier zeichnet sich gerade dadurch aus, dass ein (zeitlich befristeter) Rückzug der potentiellen Wettbewerber klar vereinbart wird. Der Inhalt ist demnach darauf gerichtet, die Marktstruktur zu verändern bzw. eine anstehende Markstrukturveränderung hinauszuzögern und ist damit viel eher mit BIDS vergleichbar als Cartes Bancaires dies war. Sowohl in den Kommissionsentscheidungen zu Pay-forDelay sowie in der EuGH-Entscheidung Beef Industry spielen Zahlungen an die Wettbewerber eine Rolle, die eine Entschädigung für den Rückzug aus dem Markt darstellen. Wenngleich diese Verbindung in beiden Fällen nicht als solche von den Parteien benannt wurde, ordnet der EuGH den Zahlungen den Zweck zu, auf die Marktstruktur negativ einzuwirken. 330 EuGH, C-195/99 P, Krupp Hoesch/Kommission, Slg. 2003, I-10937, ECLI: EU:C:2003:528, Rn. 86; C-403 und 405/04 P, Sumitomo/Kommission, Slg. 2007, I-729, ECLI:EU:C:2007:52, Rn. 44 ff.; EuG, T-99/04, AC-Treuhand/Kommission, Slg. 2008, II-1501, ECLI:EU:T:2008:256, Rn. 109. 331 So auch: EuGH, C-67/13 P, Groupement des Cartes Bancaires/Kommission, ECLI:EU: C:2014:2204, Rn. 84. 332 EuGH, C-67/13 P, Groupement des Cartes Bancaires/Kommission, ECLI:EU: C:2014:2204, Rn. 85.

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2. Keine Patentüberprüfung notwendig Wesentlicher Unterschied zu der Konstellation in Beef Industry ist, dass in den von der Kommission entschiedenen Fällen eine Beschränkung der (potentiellen) Wettbewerber auch durch die wirksame Durchsetzung der Patente hätte erreicht werden können. Der immaterialgüterrechtliche Schutz gewährt seinem Inhaber das Recht, andere vom Markt auszuschließen und damit das Auftreten von Wettbewerb zu verhindern. Trotz deutlicher Parallelen zwischen Lundbeck und Servier mit der Konstellation in Beef Industry führt die hinzutretende Dimension des immaterialgüterrechtlichen Schutzes dazu, dass die Beef Industry-Entscheidung des EuGH nicht ohne Einschränkung als Präzedenzfall herangezogen werden kann. Die Vereinbarungen zu Lundbeck und Servier sind deshalb nicht ohne weitere Begründung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH einzuordnen. Eine Vereinbarung, die dem Generikahersteller einen bestimmten Termin für die Einführung seines Generikums auferlegt, könnte dabei grundsätzlich als inhaltlich beschränkend angesehen werden, wenn davon auszugehen ist, dass der Generikahersteller möglicherweise sonst früher in den Markt eingetreten wäre. Hierbei ist jedoch das Patent zu beachten. Bei Vereinbarungen, bei denen zwar eine Vermögensübertragung in Verbindung mit der Einschränkung des Generikaherstellers verabredet wird, bei denen aber zugleich die Einschränkungen innerhalb des Schutzumfangs der Patente liegen oder dieser Umstand zumindest unklar ist, fällt die Ermittlung eines wettbewerbswidrigen Zwecks deutlich schwerer. Grundsätzlich hat der Patentinhaber nämlich das Recht, andere von der Benutzung seines Patents auszuschließen. Ginge man umgekehrt davon aus, dass das Patent unwirksam ist, so würde die Vereinbarung unproblematisch als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung einzuordnen sein. Damit kommt es augenscheinlich auf die Frage an, ob das Patent wirksam und verletzt ist. Entscheidende Frage ist demnach, wie sich die Rechtsprechung des EuGH in Bezug auf den Umgang mit Vereinbarungen betreffend Patente und andere Schutzrechte darstellt und ob hieraus Rückschlüsse für die Einordnung von Vereinbarungen des Typs Lundbeck und Servier möglich sind. In mehreren Entscheidungen der 1970er Jahre näherte sich der EuGH der Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Recht des Geistigen Eigentums und dem Kartellrecht. Er führte aus, dass im Grundsatz die gewerblichen Schutzrechte in ihrem Bestand nicht durch das Wettbewerbsrecht berührt werden dürfen, dass jedoch die Ausübung dieser Rechte durchaus unter die Wettbewerbsvorschriften fallen könne.333 Eine solche Ausübung liege dann vor, wenn sie Gegenstand, Mittel oder

333

EuGH, Rs. 40/70, Sirena/Eda, Slg. 1971, 69, ECLI:EU:C:1971:18, Rn. 5.

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Folge einer Kartellabsprache ist.334 Die Kommission folgert hieraus, dass es dem EuGH grundsätzlich nicht darauf ankomme, ob die fragliche Beschränkung innerhalb oder außerhalb des Schutzumfangs liegt.335 Tatsächlich ging es dem EuGH in früheren Entscheidungen eher darum, ob die Benutzung nationaler Schutzrechte zu einer Aufteilung des gemeinsamen Binnenmarkts führt.336 Später urteilte der EuGH, dass Immaterialgüterrechte eine Ausnahme von den Verkehrsfreiheiten sowie dem Kartellrecht darstellten und der Inhaber eines Immaterialgüterrechts den Wettbewerb nur soweit beschränken dürfe, soweit die Beschränkung den „spezifischen Gegenstand dieses Rechts“ betreffe.337 Dies sei beispielsweise bei einem Lizenzvertrag der Fall, der dem Lizenznehmer auch nach Auslaufen des Patents Beschränkungen wie beispielsweise die Gebührenzahlung auferlegt.338 Was aber zum spezifischen Gegenstand des Patents gehört und wann dieser überschritten wird, ist nach wie vor durch den EuGH nur vereinzelt thematisiert worden. Aufschluss hierüber bietet die Entscheidung in der Sache Windsurfing International.339 Hier führte der EuGH aus, dass eine Nichtangriffsabrede nicht dem spezifischen Gegenstand des Patents angehöre. Das Patent schütze nicht davor, selbst angegriffen zu werden, denn es liege im öffentlichen Interesse, alle Hindernisse für die Wirtschaftstätigkeit auszuräumen, die sich aus einem zu Unrecht erteilten Patent ergeben könnten.340 Vorausgesetzt ist dabei, dass die Wettbewerbsbeschränkung spürbar und geeignet ist, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen. Insofern stellt nicht jede Vereinbarung, die über den spezifischen Gegenstand des Patents hinausgeht, auch gleichzeitig eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung des Art. 101 AEUV dar. In der Entscheidung Bayer/Süllhöfer urteilte der EuGH ferner, dass eine in einem Patentlizenzvertrag enthaltene Nichtangriffsabrede aufgrund ihres rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs wettbewerbsbeschränkend sein könne.341 Dabei formulierte der EuGH zwei Ausnahmen für Fälle, in denen der rechtliche und 334 EuGH, Rs. 78/70, Deutsche Grammophon/Metro SB, Slg. 1971, 487, ECLI:EU: C:1971:59, Rn. 6; Rs. 40/70, Sirena/Eda, Slg. 1971, 69, ECLI:EU:C:1971:18, Rn. 9; Rs. 15/ 74, Centrafarm BV/Sterling Drug, Slg. 1974, 1147, ECLI:EU:C:1974:114, Rn. 39/40. 335 KOM, Servier, Rn. 1193. 336 EuGH, Rs. 40/70, Sirena/Eda, Slg. 1971, 69, ECLI:EU:C:1971:18, Rn. 10. 337 EuGH, Rs. 320/87, Ottung/Klee & Weilbach, Slg. 1989, 1177, ECLI:EU:C:1989:195, Rn. 18; Rs. C-10/89, CNL-SUCAL/HAG, Slg. 1990, I-3711, ECLI:EU:C:1990:359, Rn. 12 (hier allerdings in Bezug auf die Warenverkehrsfreiheit). 338 EuGH, Rs. 320/87, Ottung/Klee & Weilbach, Slg. 1989, 1177, ECLI:EU:C:1989:195, Rn. 18. 339 EuGH, C-193/83, Windsurfing International/Kommission, Slg. 1986 – 611, ECLI:EU: C:1986:75. 340 EuGH, Rs. C-193/83, Windsurfing International/Kommission, Slg. 1986 – 611, ECLI:EU:C:1986:75, Rn. 92. 341 EuGH, Rs. 65/86, Bayer/Süllhöfer, Slg. 1988, 5249, ECLI:EU:C:1988:448, Rn. 16, 21.

§ 17 Die Rechtsprechung des EuGH

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wirtschaftliche Zusammenhang einer Nichtangriffsabrede keine Wettbewerbsbeschränkung darstelle. Dies gelte für Nichtangriffsabreden, die im Zusammenhang mit der Einräumung einer kostenlosen Lizenz stünden.342 Ebenso seien Vereinbarungen zu behandeln, die zwar keine kostenlose Lizenz vorsehen, die sich jedoch auf ein Patent auf ein technisch überholtes Verfahren beziehen, von dem das Unternehmen, das die Nichtangriffsverpflichtung eingeht, keinen Gebrauch gemacht hat.343 Die Einschränkungen machte der EuGH aus der Überlegung heraus, dass der Lizenznehmer in beiden Fällen genauso agieren könne, wie er es ohne Vereinbarung der Nichtangriffsabrede gekonnt hätte.344 Für den EuGH scheint deshalb entscheidend zu sein, ob eine Beschränkung des Lizenznehmers vorliegt.345 Diese Sicht des EuGH könnte sich möglicherweise auf Pay-for-Delay-Vereinbarungen übertragen lassen. Hierbei sind solche Pay-for-Delay-Vereinbarungen, die eine Nichtangriffsabrede enthalten, von solchen ohne entsprechenden Inhalt zu unterscheiden. Vereinbarungen, in denen sich der Generikahersteller dazu verpflichtet, die streitigen Patente des Originalherstellers in Zukunft nicht anzugreifen, stellen Vereinbarungen dar, auf die die EuGH-Grundsätze ohne Einschränkung übertragbar sind. Bei derartigen Vereinbarungen liegt es zwar nahe, sie zusätzlich auch der vom EuGH formulierten Ausnahme bei Einräumung einer unentgeltlichen Lizenz gleichzusetzen und sie damit als in jedem Fall kartellrechtlich unbedenklich einzustufen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass sich Pay-for-Delay-Vereinbarungen mit Nichtangriffsabrede in wesentlichen Punkten von der Gewährung einer bloß unentgeltlichen Lizenz unterscheiden. Erstens unterscheiden sich Pay-for-DelayVereinbarungen in ihrer konkreten Ausgestaltung in erheblichem Maße. Exemplarisch sei an dieser Stelle auf Vereinbarungen verwiesen, die eine Co-PromotionKlausel beinhalten, wie in der Sache Johnson & Johnson. Zweitens ist das einer solchen Klausel innewohnende wettbewerbswidrige Potential ungleich schwerer zu ermitteln als bei einer Nichtangriffsabrede. Zum einen kommt anders als bei einer bloß unentgeltlichen Lizenz die Einschränkung des Generikaherstellers hinzu, dass ein Markteintritt nicht sofort, sondern mit Verzögerung erfolgt. Insoweit belassen es die Parteien nicht bei einer Nichtangriffsabrede, sondern vereinbaren zusätzlich ein zeitweiliges Wettbewerbsverbot (Non-Compete-Klausel). Das wettbewerbswidrige Potential einer solchen Vereinbarung ist um ein Vielfaches größer als das einer einfachen Nichtangriffsabrede, da nicht nur der Angriff auf das Patent, sondern auch der Wettbewerb um das dahinterstehende Produkt vermieden werden. Zum anderen enthält die Vereinbarung nicht lediglich eine unentgeltliche Lizenz für den Generikahersteller. Hinzu kommt vielmehr eine Vermögensübertragung, die das Anreizgefüge der Parteien erheblich beeinflusst, sodass keinesfalls davon auszugehen 342 343 344 345

EuGH, Rs. 65/86, Bayer/Süllhöfer, Slg. 1988, 5249, ECLI:EU:C:1988:448, Rn. 17. EuGH, Rs. 65/86, Bayer/Süllhöfer, Slg. 1988, 5249, ECLI:EU:C:1988:448, Rn. 18. Kritisch: Mestmäcker/Schweitzer, § 30, Rn. 87; Schmid, S. 111 f. EuGH, Rs. 65/86, Bayer/Süllhöfer, Slg. 1988, 5249, ECLI:EU:C:1988:448, Rn. 19.

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4. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

ist, dass der Generikahersteller ohne die Vereinbarung mit der Nichtangriffsabrede genauso dastünde wie mit ihr. Pay-for-Delay-Vereinbarungen sind bei konsequenter Anwendung der Rechtsprechung des EuGH deshalb als nicht dem spezifischen Gegenstand des Patents zugehörig anzusehen.346 Sie unterstehen damit der Kontrolle des Art. 101 AEUV. Zwar ist damit nicht geklärt, ob die Vereinbarungen in den Sachen Lundbeck und Servier trotz ihres Patentschutzes als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen einzuordnen sind. Jedoch geht aus der Rechtsprechung des EuGH hervor, dass dies trotz bestehender wirksamer Patente zumindest nicht ausgeschlossen ist. 3. Schutzumfang der Patente bedingt relevant Zwar führt die Kommission keine Überprüfung der Wirksamkeit der in Rede stehenden Patente in den Sachen Lundbeck und Servier durch.347 Allerdings untersucht sie in der Sache Lundbeck, inwieweit die geschlossenen Vereinbarungen über den Schutzumfang der Patente hinausgingen. So war der Originalhersteller Lundbeck Inhaber verschiedener Herstellungsverfahrenspatente, über deren restliche Dauer die Vereinbarungen mit den Generikaherstellern nicht hinausreichten. Die Kommission vertritt jedoch die Ansicht, dass die Verpflichtung der Generikahersteller, von einer generellen Produktion des Wirkstoffs sowie dessen Vertrieb abzusehen, in sachlicher Hinsicht über dasjenige hinausging, was Lundbeck aufgrund seiner Verfahrenspatente in einem Patentverletzungsverfahren vom Gericht hätte zugesprochen werden können.348 Nach Ansicht der Kommission handelt es sich in der Sache Lundbeck somit um einen Fall, bei dem die vertraglichen Limitierungen des Generikaherstellers nicht durch die Durchsetzung bestehender Patente hätte erreicht werden können. Hierbei stellt sich die Frage, ob die Kommission überhaupt zur Berücksichtigung des Schutzumfangs befugt ist. Genau dies bejaht der EuGH in seiner Entscheidung Windsurfing International, bei der er ausführte: „Es ist zwar nicht Sache der Kommission, den Schutzbereich eines Patents zu bestimmen, doch kann sie sich in dieser Hinsicht nicht jeder Beurteilung enthalten, wenn dieser Schutzbereich für die Frage von Bedeutung ist, ob eine Verletzung der Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag [Art. 101 und 102 AEUV] vorliegt. Die Kommission muss nämlich selbst dann, wenn der tatsächliche Schutzbereich eines Patents Gegenstand eines Rechtsstreits vor einem inländischen Gericht ist, ihre Befugnisse gemäß den Bestimmungen der Verordnung Nr. 17/62 wahrnehmen können.“349

346

So auch die Leitlinien zur TT-GVO, Rn. 243. Hierzu ausführlich bereits S. 190 ff. 348 KOM, Lundbeck, Rn. 675. 349 EuGH, C-193/83, Windsurfing International/Kommission, Slg. 1986 – 611, ECLI:EU: C:1986:75, Rn. 26. 347

§ 17 Die Rechtsprechung des EuGH

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Insofern gesteht der EuGH der Kommission in engen Grenzen zu, eine Einschätzung des Schutzumfangs eines Patents vorzunehmen. Umgekehrt bedeutet die vorsichte Formulierung des EuGH jedoch, dass die Kommission nicht die Befugnis hat, die tatsächliche Wirksamkeit eines Patents zu überprüfen.350 Der Umstand, dass die Zugeständnisse des Generikaherstellers nicht über die Durchsetzung von Lundbecks Patenten hätte erreicht werden können, führt die Kommission als zusätzlichen Grund für die Einordnung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung an. Gleichzeitig betont sie sowohl in der Lundbeck- wie auch in Servier-Entscheidung, dass die Frage, ob diese Einschränkungen des Generikaherstellers innerhalb oder außerhalb des Schutzumfangs eines Patents liegen, eine untergeordnete Rolle spielt.351 Vielmehr sei die Anreizwirkung der Vermögensübertragung maßgebliches Kriterium. 4. Schutz des Wettbewerbs als solchem Nach Ansicht der Kommission ist eine Vermögensübertragung dazu geeignet, eine Wettbewerbsbeschränkung herbeizuführen, indem sie erhebliche Anreize für den Generikahersteller bietet, seine unabhängigen Bestrebungen in Bezug auf einen Markteintritt zu limitieren. Eine wesentliche Grundannahme der Kommission ist dabei, dass das Schutzgut nicht lediglich die Konsumentenwohlfahrt ist, sondern auch der Wettbewerb als solcher. Insofern lassen sich auch die ausgedehnten Ausführungen der Kommission bezüglich des potentiellen Wettbewerbs sowie des allgemein herrschenden Wettbewerbsverhältnisses zwischen Original- und Generikahersteller erklären. Diese sind nötig, um die konkrete Wettbewerbsstruktur zwischen Original- und Generikaunternehmen im Einzelfall zu beschreiben. Diese Wettbewerbsstruktur werde nach Meinung der Kommission durch die Vermögensübertragung verzerrt und damit gestört. Dabei schließt die Kommission erst mittelbar auf einen Schaden für den Konsumenten.352 Zwar führt sie an verschiedenen Stellen aus, dass ohne die fragliche Vereinbarung der Generikahersteller seine Markteintrittsbemühungen fortgesetzt hätte und diese wiederum zu mehr Wettbewerb und langfristig auch zu niedrigeren Medikamentenpreisen geführt hätte. Allerdings bleibt ihre Erklärung hierfür in vielen Fällen sehr abstrakt. So geht die Kommission lediglich allgemein davon aus, dass ein einsetzender Generikawettbewerb zu niedrigeren Preisen führt.353 Insbesondere in Fällen, in denen ein Generikawettbewerb durch die Aufrechterhaltung des Patents hätte verhindert werden können, lässt sich nicht zwingend annehmen, dass ein solcher Generikawettbewerb ohne die Vereinbarung in 350 Andere Ansicht: Schmid, S. 142 f., der der Kommission und dem EuGH eine umfassende, rechtliche Würdigung der Erteilungsvoraussetzungen des streitgegenständlichen Patents zugesteht. 351 KOM, Lundbeck, Rn. 660; Servier, Rn. 1186. 352 KOM, Servier, Rn. 1143, 1399 (Vereinbarung Servier-Niche/Unichem); ebenfalls im Rahmen der Auswirkungsprüfung: KOM, Servier, Rn. 1219. 353 KOM, Servier, Rn. 1151, 2133.

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4. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

jedem Fall eingetreten wäre. Die Kommission verweist hier insbesondere auf die schützenswerte Markt- und Wettbewerbsstruktur und damit auf den Wettbewerb als solchen als Schutzgut.354 Insofern fragt sich, ob die Kommission bereits dann auf einen wettbewerbswidrigen Zweck schließen darf, wenn nur mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass die Wettbewerbsstruktur durch die Vereinbarung eingeschränkt wird. Ob und inwieweit eine Wettbewerbsbeschränkung auch dann angenommen werden kann, wenn die Vereinbarung nicht zwangsläufig zu einem Konsumentenschaden führt, stellt der EuGH in seiner Entscheidung GSK/Kommission klar. Der Gerichtshof stellt hier fest, dass die hergebrachten Grundsätze der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung auch auf den Arzneimittelsektor anzuwenden seien.355 Er geht davon aus, dass die Wettbewerbsregeln nicht nur dazu bestimmt seien, nur einzelne Interessen der Verbraucher oder einzelner Marktteilnehmer zu schützen, sondern ebenso „die Struktur des Marktes und damit den Wettbewerb als solchen“.356 So setze „die Feststellung, dass mit einer Vereinbarung ein wettbewerbswidriger Zweck verfolgt wird, nicht voraus, dass dadurch den Endverbrauchern die Vorteile eines wirksamen Wettbewerbs hinsichtlich der Bezugsquellen oder der Preise vorenthalten werden“.357 Zwingend für die Annahme eines wettbewerbswidrigen Zwecks ist demnach nicht, dass die Vereinbarung zu Preisnachteilen des Endverbrauchers führt. Die Annahme der Kommission, wonach eine Vereinbarung bereits dann einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt, wenn sie das potentielle Wettbewerbsverhältnis als solches ausschließt, steht insofern auch in diesem Punkt in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH. 5. Keine Privilegierung von Vergleichsvereinbarungen Möglicher Rechtfertigungsansatz könnte in den Fällen Lundbeck und Servier die Tatsache sein, dass es sich bei der Vereinbarung um eine Vergleichsvereinbarung handelt. In der Entscheidung Bayer/Süllhöfer geht der EuGH davon aus, dass trotz der grundsätzlich positiven Einstellung gegenüber Vergleichsvereinbarungen nicht zwischen Vereinbarungen, die zur Beendigung eines Rechtsstreits geschlossen werden, und Vereinbarungen, mit denen andere Zwecke verfolgt werden, zu differenzieren sei.358 So wurde der damalige Einwand der Kommission, dass die pro354

KOM, Servier, Rn. 1144. EuGH, Rs. C-501, 513, 515, 519/06 P, GSK/Kommission, Slg. 2009, I-9291, ECLI:EU: C:2009:610, Rn. 60. 356 EuGH, Rs. C-501, 513, 515, 519/06 P, GSK/Kommission, Slg. 2009, I-9291, ECLI:EU: C:2009:610, Rn. 63. 357 EuGH, Rs. C-501, 513, 515, 519/06 P, GSK/Kommission, Slg. 2009, I-9291, ECLI:EU: C:2009:610, Rn. 63. 358 EuGH, Rs. 65/86, Bayer/Süllhöfer, Slg. 1988, 5249, ECLI:EU:C:1988:448, Rn. 15. 355

§ 17 Die Rechtsprechung des EuGH

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zessbeendende Wirkung der Vereinbarung positiv zu werten sei, durch den EuGH nicht zugelassen.359 Hieraus folgt, dass eine unterschiedliche Behandlung von Nichtangriffsabreden und anderen Beschränkungen im Rahmen von prozessbeendenden Vergleichen und solchen, die lediglich im Zuge einer Lizenzvereinbarung geschlossen werden, durch den EuGH strikt abgelehnt wird.360 Eine Privilegierung von Vergleichsvereinbarungen gegenüber anderen Vereinbarungen kommt somit nicht in Betracht. Dieser Ansicht ist zuzustimmen. Böte doch eine andere Behandlung den Parteien die Möglichkeit, ihre Vereinbarungen durch die formale Gestaltung gegen Kartellrecht zu immunisieren. 6. Absicht der Parteien Die Kommission bezieht sich in ihren drei Entscheidungen auch auf die Absichten der Parteien und insbesondere die des Originalherstellers.361 Die Absicht der Beteiligten stellt zwar keine notwendigerweise zu prüfende Voraussetzung des Zwecks der Vereinbarung dar, kann jedoch bei der Bewertung herangezogen werden.362 Teilweise wird vertreten, dass bereits das Vorliegen einer Absicht für die Annahme einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung ausreichend sei.363 Hiergegen spricht jedoch einerseits die durch den EuGH vorgegebene Prüfungsstruktur, wonach in erster Linie auf den Inhalt und die Ziele der Vereinbarung abzustellen ist. Die mit der Vereinbarung verfolgte Absicht spielt nach Ansicht des EuGH eine untergeordnete Rolle, da vordergründig auf die objektiven Ziele der Vereinbarung abzustellen sei.364 Außerdem gilt, dass die fehlende Absicht der Parteien ebenso wenig als Argument gegen eine bezweckte Wettbewerbsbeeinträchtigung angeführt werden kann, weshalb umgekehrt eine bestehende Absicht nicht für sich allein schon einen wettbewerbswidrigen Zweck hervorrufen kann.365 Die Beachtung der Parteiabsichten widerspricht nicht den Grundsätzen der bisherigen EuGH-Rechtsprechung, wonach auch subjektive Elemente berücksichtigt werden dürfen.

359

EuGH, Rs. 65/86, Bayer/Süllhöfer, Slg. 1988, 5249, ECLI:EU:C:1988:448, Rn. 15. Andere Ansicht: Schmid, S. 111 f. 361 KOM, Lundbeck, Rn. 803 ff., 950 ff., 1000 ff., 1075 ff., 1161 ff.; Johnson & Johnson, Rn. 334 ff.; Servier, Rn. 1355 ff., 1468 ff., 1609 ff., 1757 ff., 1979 ff. 362 EuGH, C-32/11, Allianz Hungária Biztosító u. a., ECLI:EU:C:2013:160, Rn. 37. 363 Mohr, ZWeR 2015, 1, 16. 364 EuGH, Rs. C-209/07, Beef Industry Development, Slg. 2008, I-8637, ECLI:EU:C:2008:643, Rn. 21; C- 96 – 102/82, 104/82, 105/82, 108/82, 110/82, IAZ International Belgium u. a./Kommission, Slg. 1983, 3369, ECLI:EU:C:1983:310, Rn. 22 ff. 365 GA Wahl, Schlussanträge v. 27. 03. 2014, C-67/13 P, CB/Kommission, ECLI:EU: C:2014:1958, Rn. 109. 360

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4. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

7. Rechtlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang der Vereinbarung Aus der Rechtsprechung des EuGH geht hervor, dass der rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhang bei der Untersuchung des Zwecks einer Vereinbarung zu berücksichtigen ist.366 Eine Vereinbarung, bei der Inhalt und objektive Ziele an sich für einen wettbewerbswidrigen Zweck sprechen, kann in bestimmten Fällen aufgrund des besonderen rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs dennoch als „nicht ihrer Natur nach schädlich für den Wettbewerb“ zu qualifizieren sein.367 Hierbei haben sich bestimmte Fallgruppen herausgebildet, bei denen der wettbewerbswidrige Zweck zu verneinen ist. Ob die Vereinbarungen in Lundbeck und Servier zu einer dieser Fallgruppen gehören wird im Folgenden diskutiert. a) Kein wettbewerbswidriger Zweck aufgrund fehlenden Wettbewerbs Eine dieser Konstellationen betrifft Fälle, bei denen bereits das Vorliegen eines Wettbewerbs zu verneinen ist, weshalb eine Vereinbarung in keinem Fall wettbewerbliche Auswirkungen hervorrufen kann.368 Diese Fragestellung ist bei Pay-forDelay-Vereinbarungen aufgrund des Patentschutzes sowie weiterer markteintrittsrelevanter Kriterien besonders von Bedeutung. Ausreichend für die Annahme eines Wettbewerbs ist jedoch bereits ein lediglich potentieller Wettbewerb. Ein solcher potentieller Wettbewerb war in den Kommissionsfällen gegeben.369 In allen Fällen untersucht die Kommission sehr genau, welche Möglichkeiten die Generikaunternehmen für einen Markteintritt hatten und wie die Unternehmen diese Möglichkeiten jeweils bewerteten. Hierbei gelangt die Kommission zu dem Ergebnis, dass sowohl die Generikaunternehmen als auch die Originalhersteller von einem bevorstehenden Markteintritt ausgingen, obwohl einige Herstellungsverfahren patentgeschützt waren. Mithin gehörte keine der von der Kommission untersuchten Vereinbarung in diese Kategorie ausnahmsweise nicht wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen. b) Kein wettbewerbswidriger Zweck aufgrund fehlender Wirkung auf den Markt Ähnlich verhalten sich solche Fälle, in denen zwar ein Wettbewerb besteht, jedoch die besondere Struktur des Marktes den Schluss zulässt, dass die Vereinbarung 366 Für eine zwingende Berücksichtigung des Zusammenhangs: Fiebig, Bezweckte Wettbewerbsbeschränkung, WuW 2015, 462, 475; beachte die Verwendung von „kann“ in KOM, Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Absatz 3 EG-Vertrag, ABl. 2004, C 101/97. 367 GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 04. 09. 2008, Rs. C-209/07, Beef Industry Development, ECLI:EU:C:2008:467, Rn. 50 ff. 368 EuG, T-374/94, T-375/94, T-384/94, T-388/94, European Night Services u. a./Kommission, Slg. 1998 II-0314, ECLI:EU:T:1998:198, Rn. 139 – 146; GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 04. 09. 2008, Rs. C-209/07, Beef Industry Development, ECLI:EU:C:2008:467; Mohr, ZWeR 2015, 14. 369 Ausführlich oben ab S. 169.

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keinerlei Wirkung auf den Markt haben kann und deshalb keinerlei negative Folgen für den Wettbewerb zu befürchten seien. Zu einem solchen Ergebnis kam das EuG in der Sache GSK.370 Da der pharmazeutische Sektor mit seiner besonders regulierten Struktur dadurch gekennzeichnet sei, dass die Preise für Originalmedikamente nicht durch die Unternehmen, sondern durch staatliche Stellen bzw. Krankenkassen vorgegeben sind und damit „dem Spiel von Angebot und Nachfrage entzogen“ seien, könne die Unterbindung eines Parallelhandels mit diesen Arzneimitteln keinen Einfluss auf die Preisbildung ausüben.371 Das EuG verneinte deshalb den wettbewerbswidrigen Zweck der Vereinbarung unter Verweis auf die fehlende Möglichkeit der Auswirkung auf die Preise für Endabnehmer. Dem tritt der EuGH jedoch entgegen, indem er betont, dass nicht nur ein Einfluss auf die Preise des Endverbrauchers eine Rolle spiele, sondern Art. 101 AEUV vielmehr „die Struktur des Marktes und damit den Wettbewerb als solchen“ schütze.372 Selbst die Annahme, dass eine Pay-for-Delay-Vereinbarung keinen Einfluss auf Preise habe, führt somit nicht zum Ausschluss eines wettbewerbswidrigen Zwecks, wenn sich dieser aus Inhalt und objektiven Zielen ergibt. Überdies kommt bei Pay-for-Delay-Vereinbarungen hinzu, dass zwischen Generikahersteller und Originalhersteller ein ganz anderer Preiswettbewerb herrscht als zwischen verschiedenen Anbietern miteinander substituierbarer Originalpräparate. Generikahersteller bieten ihre Nachahmerprodukte für gewöhnlich erheblich preiswerter an als die Originale. Der hierdurch entstehende Preisdruck kann letztlich auch zur Senkung der Preise für das Original führen. Denn eine Regulierung der Originalpreise hat den Zweck, die Kosten der Krankenkassen und damit die Staatsausgaben zu begrenzen. Eine Senkung der Preise infolge von Wettbewerbsdruck ist dem Originalhersteller deshalb nicht verwehrt. c) Kein wettbewerbswidriger Zweck aufgrund ambivalenter Wirkung auf den Markt Eine weitere Fallgruppe betrifft Vereinbarungen, deren Auswirkungen auf den Wettbewerb ambivalent sind, da sich wettbewerbsfördernde als auch wettbewerbswidrige Zwecke die Waage halten und die fördernden Zwecke, wie die Öffnung eines neuen Markts oder der Zutritt eines neuen Wettbewerbers zu einem Markt, sich mit den schädlichen Folgen die Waage halten. In derartigen Fällen nahm der EuGH bereits mehrfach an, dass die Beschränkung des Wettbewerbers zulässig sei.373 In der 370 EuG, T-168/01, GlaxoSmithKline Services/Kommission, Slg. 2006, II-2969, ECLI:EU: T:2006:265. 371 EuG, T-168/01, GlaxoSmithKline Services/Kommission, Slg. 2006, II-2969, ECLI:EU: T:2006:265, Rn. 141. 372 EuGH, C-501, 513, 515, 519/06 P, GSK/Kommission, Slg. 2009, I-9291, ECLI:EU: C:2009:610, Rn. 63. 373 EuGH, C-56/65, LTM/Maschinenbau Ulm, Slg. 1966, 282, 304, ECLI:EU:C:1966:38; Rs. 258/78, Nungesser/Kommission, Slg. 1982, 2015, ECLI:EU:C:1982:211, Rn. 44 – 58: Vergabe einer offenen Lizenz zur Verteilung einer neuen Technologie; Rs. 26/76, Metro/ Kommission, Slg. 1977, 1875, ECLI:EU:C:1977:167, Rn. 20 – 22; GAin Trstenjak, Schluss-

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Entscheidung LTM/Maschinenbau Ulm geht der Gerichtshof davon aus, dass das Vorliegen einer Wettbewerbsstörung dann zweifelhaft erscheine, wenn sich die Vereinbarung gerade für das Eindringen eines Unternehmens in ein Gebiet, in dem es bisher nicht tätig war, als notwendig erweist.374 Dass eine Vergleichsvereinbarung, die auf der einen Seite einen verzögerten Markteintritt sowie auf der anderen Seite Vermögensübertragungen zum Inhalt hat, in diesem Sinne notwendig ist, ist auszuschließen. Denn den an einem Patentrechtstreit beteiligten Parteien ergeben sich verschiedenste alternative Gestaltungsmöglichkeiten der Einigung, die den Interessen gerecht werden. Hinzu kommt, dass diese Einschränkung zurückhaltend angewendet werden sollte. Zum einen postuliert der EuGH, dass wettbewerbsfördernde (Neben-)Zwecke die Einstufung als Vereinbarung, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt, nicht ausschließen. Zum anderen spielen positive Marktauswirkungen eher bei der Prüfung von Art. 101 Abs. 3 AEUV eine Rolle und sollten deshalb im Rahmen der Prüfung des Art. 101 Abs. 1 AEUV nur eingeschränkt beachtet werden. d) Kein wettbewerbswidriger Zweck aufgrund eines positiven Hauptzwecks Die vierte Fallgruppe betrifft Nebenabreden, die für sich genommen wettbewerbsbeschränkende Zwecke verfolgen, die jedoch für die Verfolgung eines wettbewerbsneutralen oder wettbewerbsfördernden Hauptziels notwendig sind.375 Dies sind beispielsweise Wettbewerbsverbote im Rahmen von Unternehmenskäufen376 oder Tätigkeitsbeschränkungen, die für die Bestimmung des Standesrechts freier Berufe erforderlich377 sind. Im Kontext von Pay-for-Delay-Vereinbarungen ließe sich einwenden, dass diese dem Zweck dienen, geistige Eigentumsrecht zu schützen.378 Im Zusammenhang mit dieser Fallgruppe betont der EuGH jedoch, dass die Wettbewerbsbeschränkung notwendig sein muss, um das Hauptziel zu erreichen. Eine solche Notwendigkeit ist jedoch bei Pay-for-Delay-Vereinbarungen nicht gegeben.379 Die einvernehmliche Beilegung von Rechtsstreiten ist auch über Vereinba-

anträge v. 04. 09. 2008, Rs. C-209/07, Beef Industry Development, ECLI:EU:C:2008:467, Rn. 53. 374 EuGH, C-56/65, LTM/Maschinenbau Ulm, Slg. 1966, 282, 304, ECLI:EU:C:1966:38. 375 GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 04. 09. 2008, Rs. C-209/07, Beef Industry Development, ECLI:EU:C:2008:467, Rn. 54. 376 EuGH, Rs. 42/84, Remia/Kommission, Slg. 1985, 2545, ECLI:EU:C:1985:327, Rn. 19 f. 377 EuGH, Rs. C-309/99, Wouters u. a., Slg. 2002, I-1577, ECLI:EU:C:2002:98, Rn. 97. 378 So Lundbeck, in: EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 448. 379 So auch: EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 453 ff.

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rungen anderen Inhalts möglich. Dies zeigen sowohl die statistischen Daten der Kommission als auch die Untersuchung der Parteiinteressen.380 e) Zwischenergebnis Bei der Frage, ob ein wettbewerbswidriger Zweck vorliegt, ist der rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhang einer Vereinbarung zu betrachten. Der rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhang kann auch dazu führen, dass die eigentlich aufgrund ihres Inhalts und ihrer Ziele als eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckende Vereinbarung ausnahmsweise nicht als eine solche einzuordnen ist. In der Rechtsprechung des EuGH haben sich verschiedene Fallgruppen hierfür herausgebildet. Gemein ist ihnen, dass aufgrund ihres besonderen Zusammenhangs davon auszugehen ist, dass eine Vereinbarung zu keiner Wettbewerbsbeschränkung führt. Pay-for-Delay-Vereinbarungen, deren rechtlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang Besonderheiten aufweist, fallen jedoch regelmäßig nicht unter die Fallgruppen, für die Ausnahmen anerkannt sind. Weder lag bei den Vereinbarungen, die die Kommission untersuchte, kein Wettbewerb vor, noch war es gänzlich auszuschließen, dass es zu einer Beschränkung des Wettbewerbs kommt. Die Kommission kann insofern auf den potentiellen Wettbewerb zwischen den Unternehmen sowie die Beschränkung des Wettbewerbs als solchen abstellen. III. Zwischenergebnis Die Herangehensweise der Kommission an die Fälle Johnson & Johnson, Lundbeck und Servier ist durch einige Besonderheiten gekennzeichnet. Ihr Hauptaugenmerk legt die Kommission auf die Anreizwirkung, die die Vermögensübertragung auf den Generikahersteller als potentiellen Wettbewerber hat. Dieser Anreiz führe zur Beschränkung des Generikaherstellers, was wiederum als Wettbewerbsbeschränkung einzuordnen sei. Dass die mit einer Zahlung oder anderweitigen Vermögensübertragung verbundenen Anreize relevant sein können, zeigt die Rechtsprechung des EuGH in der Entscheidung Beef Industry. Hier nimmt der EuGH eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung an. In Anlehnung an die Rechtsprechung im Fall Beef Industry ist anzunehmen, dass insbesondere die Anreizwirkung einer Vermögensübertragung bei der Auslegung des wettbewerbswidrigen Zwecks eine Rolle spielt. Hindert dieser Anreiz den potentiellen Wettbewerber daran, eine unabhängige Strategie im Wettbewerb zu verfolgen, so spricht dies auch bei Pay-forDelay-Vereinbarungen für das Vorliegen eines wettbewerbswidrigen Zwecks. Die Kommission vermeidet es, die Überprüfung der Wirksamkeit der dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Patente vorzunehmen. Sie geht davon aus, dass die Frage nach der Wirksamkeit keine Rolle spiele, wenn die Anreizwirkung der Vermögensübertragung hoch sei. Zwar besteht zu dieser Annahme keine Rechtspre380

Ausführlich zur Interessenlage der Unternehmen ab S. 66.

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chung durch den EuGH, allerdings ergibt sich aus den Urteilen Bayer/Süllhöfer und Windsurfing International, dass der EuGH Vereinbarungen, die über den spezifischen Gegenstand eines Patents hinausgehen, der vollumfänglichen Überprüfung des Art. 101 AEUV unterstellt. Durch die Verabredungen der Co-Promotion-Vereinbarung im Fall Johnson & Johnson sowie der Vereinbarungen der Nichtangriffsabreden in Kombination mit Wettbewerbsverboten und Vermögensübertragungen in den Fällen Lundbeck und Servier ergibt sich deshalb, dass die Patentrechte der Originalunternehmen einer Einordnung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen zumindest nicht entgegenstehen. Zwar untersucht die Kommission in den vorliegenden Fällen nicht die Wirksamkeit der Patente. Jedoch berücksichtigt sie, ob die Vereinbarungen über den zeitlichen und sachlichen Schutzumfang hinausgingen. Hierbei kommt sie im Verfahren Lundbeck zu dem Ergebnis, dass Lundbeck durch die Durchsetzung seiner Patente nicht das gleiche Ergebnis hätte erzielen können wie durch die geschlossenen Vereinbarungen, weshalb der sachliche Schutzumfang überschritten sei. Diese Überlegungen sind nach der Rechtsprechung des EuGH zulässig. Auch die Berücksichtigung dieses Umstands scheint nach der Rechtsprechung des EuGH in der Entscheidung Windsurfing International geboten. In der Servier-Entscheidung vertritt die Kommission, dass das relevante Schutzgut nicht lediglich die Konsumentenwohlfahrt sei, sondern auch der Wettbewerbsprozess als solcher. Sie betreibt dabei erheblichen Aufwand, das Wettbewerbsumfeld des pharmazeutischen Sektors zu beschreiben und insbesondere die Wettbewerbsstrukturen zwischen Original- und Generikaherstellern im Vorfeld der Markteinführung von Generika aufzuzeigen. Das Abstellen auf den Wettbewerb als solchen ist auf die Entscheidung des EuGH in GSK/Kommission zurückzuführen. Hier führt der EuGH aus, dass eine Wettbewerbsbeschränkung nicht den zwingenden Schaden des Konsumenten nach sich ziehen müsse. Die Kommission kann folglich auch dann von einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung ausgehen, wenn eine Vereinbarung ihrer Natur nach eine Beschränkung des Wettbewerbsprozesses darstellt und dies nicht zwingend zu einem Nachteil des Konsumenten führt. Klarheit besteht auch darüber, dass nach der Rechtsprechung des EuGH in Bayer/ Süllhöfer keine Sonderbehandlung von prozessbeendenden Patentvergleichen gegenüber anderen Vereinbarungen im Sinne des Art. 101 AEUV angebracht ist. Auch diesen Umstand berücksichtigt die Kommission in ihren Entscheidungen. Die Kommission stellt in ihren Entscheidungen zu Pay-for-Delay auch immer wieder auf die Absicht der Parteien ab, die sie aus internen Dokumenten der an den Vereinbarungen beteiligten Parteien ableitet. Diesem Vorgehen ist nicht zu widersprechen, da es mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang steht. Dieser betont, dass die Absicht der Parteien zwar nicht als Hauptkriterium für oder gegen einen wettbewerbswidrigen Zweck heranzuziehen ist, jedoch die Annahme eines solchen stützen könne.

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Auch bei der Beachtung des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs der Vereinbarungen hätte die Kommission unter Berücksichtigung der EuGHRechtsprechung zu keinem anderen Ergebnis kommen müssen. Die Fallgruppen, bei denen der rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhang gegen eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung spricht, waren in den von der Kommission untersuchten Fällen nicht einschlägig. Die Hinzuziehung der EuGH-Rechtsprechung zeigt, dass die Kommission bei ihrer Bewertung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen hergebrachte Grundsätze beachtet. Ihrer Einordnung der Vereinbarungen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen steht die Rechtsprechung des EuGH nicht entgegen.381 Die vielbeachtete Cartes Bancaires-Entscheidung hat klargestellt, dass der Fokus bei der Einordnung einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung auf dem Inhalt, den Zielen sowie dem rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang einer Vereinbarung liegt und nicht auf den möglichen Auswirkungen. Die Vorgehensweise der Kommission in ihren Entscheidungen Lundbeck, Johnson & Johnson und Servier hält diesen Vorgaben stand.

C. Stellungnahme I. Vereinbarungen mit Vermögensübertragung oberhalb der Gewinnschwelle Die Beef Industry Entscheidung hat gezeigt, dass Vereinbarungen, bei denen ein starker wirtschaftlicher Anreiz gesetzt wird, damit sich der Wettbewerber in seiner autonomen Wirtschaftstätigkeit Beschränkungen unterwirft, nicht durch das Kartellrecht toleriert werden. Diese Anreizwirkung besteht auch bei Pay-for-DelayVereinbarungen in erheblichem Maße.382 Anders als in Beef Industry ist bei Pay-forDelay-Vereinbarungen das Verhalten des Generikaherstellers unter Umständen auch auf den Patentschutz des Originalmedikaments zurückzuführen. Im Prozess, in dem es (auch) um die Wirksamkeit des Patents selbst geht, bestehen Zweifel am Ausgang des Verfahrens. Das Ausmaß der Zweifel beeinflusst die Handlungen der Parteien. Bei lediglich geringen Zweifeln an der Wirksamkeit des Patents, ist davon auszugehen, dass der Generikahersteller eher zu Zugeständnissen an den Patentinhaber bereit ist, als wenn erhebliche Zweifel an dem Bestand des Patents bestehen und damit zu rechnen ist, dass das Patent nicht wirksam zur Abwehr des Generikaherstellers eingesetzt werden kann. Selbst wenn die Zweifel an der Wirksamkeit erheblich sind, bleibt immer eine Restunsicherheit über den Ausgang des Patentprozesses. Dies ist selbst dann der Fall, wenn das gleiche Patent in einem anderen Staat bereits für nichtig erklärt wurde. Dieses geringe Maß an Unsicherheit darüber, dass 381

So auch Fischmann, S. 414. Eingehend zur Anreizwirkung, die von einer hohen Vermögensübertragung ausgeht, ab S. 237. 382

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das Patent für unwirksam erklärt wird, hat dennoch eine Wirkung auf die Handlungsweise der Parteien. Eine Beschränkung, die sich der Generikahersteller auferlegt, ohne dass er hierfür eine Entschädigung durch den Patentinhaber erhält, ist unmittelbar auf die mit dem Ausgang des Verfahrens verbundene Unsicherheit zurückzuführen und läge damit im Rahmen des kartellrechtlich Erlaubten. Kommt jedoch als Anreizkriterium neben der Unsicherheit über den Ausgang des Verfahrens eine Vermögensleistung des Patentinhabers hinzu, so können Selbstbeschränkungen des Generikaherstellers nicht mehr ausschließlich auf die Wirkungen des Patents zurückgeführt werden. Es entsteht ein Anreizgemenge. Seinen Höhepunkt erreicht die Anreizwirkung durch Vermögensübertragung, wenn der Generikahersteller durch die Vermögensleistung wirtschaftlich besser gestellt wird, als im Falle des Obsiegens im Patentprozess. Dies ist dann der Fall, wenn die Vermögensleistung des Patentinhabers die erwarteten Gewinne des Generikaherstellers übersteigt. Sobald der Generikahersteller sich einem derart starken Anreiz gegenübergestellt sieht, spielt für ihn die Unsicherheit bezüglich des Ausgangs des Patentverfahrens nicht nur eine untergeordnete, sondern gar keine Rolle mehr. Ganz gleich, von welcher Wahrscheinlichkeit des Obsiegens im Prozess die Parteien ausgehen bzw. ob überhaupt ein Patent besteht; der Anreiz für ein Marktfernbleiben ist im Falle einer Vermögensübertragung oberhalb der Gewinnschwelle stets größer. Dies führt zur völligen Entkoppelung des Vergleichsergebnisses von der eigentlichen Risikoeinschätzung der Wettbewerber. In einem solchen Fall sind die Beschränkungen des Generikaherstellers lediglich auf die Vermögensübertragung des Patentinhabers rückführbar. Von einer „Ausübung“ des Patentrechts kann in Bezug auf die Vergleichsvereinbarung keine Rede mehr sein, da das Patent zu einem unwichtigen Parameter in der Entscheidungsfindung des Generikaherstellers wird. Es handelt sich somit um einen Fall, in dem eine Absprache stattfindet, deren Wesen auch in Beef Industry zum Vorschein kommt. Das Patent ist lediglich Gegenstand bzw. Mittel dieser Absprache. Der potentielle Wettbewerb zwischen Original- und Generikahersteller wird durch Zahlung einer Summe, die die erwarteten Gewinne des Generikaherstellers übersteigt, ausgeschlossen, ohne dass hierfür eine mit dem Patent zusammenhängende Erklärung bestünde. Hiergegen lässt sich einwenden, dass ohne eine entsprechende Vermögensleistung und im Falle des Obsiegens des Patentinhabers, dieser über den Weg der Unterlassungsklage zum gleichen Ergebnis hätte kommen können, wie mit der Vermögensübertragung, weshalb kein wirksamer Wettbewerb verhindert worden sei. Genau diese Argumentation verkennt jedoch zwei wesentliche Punkte: Zum einen schützt Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht lediglich den bestehenden, sondern auch bereits den potentiellen Wettbewerb. Dieser ist im pharmazeutischen Sektor bereits durch solche Bestrebungen gekennzeichnet, mithilfe derer der Generikahersteller den Weg für eine nicht patentverletzende Produktion seines Generikums frei machen kann. Diese Form des Wettbewerbs als solchem wird durch das Kartellrecht geschützt. Einigen sich die Parteien darauf, auf die Durchführung dieser Form des Wettbewerbs zu verzichten und ist Grund hierfür nicht die Unsicherheit über den Ausgang eines

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Verfahrens, sondern eine Vermögensleistung, so wird eben jener Wettbewerb ausgeschlossen, ohne dass dies mithilfe der patentrechtlichen Durchsetzung möglich gewesen wäre. Zum anderen spiegelt das erzielte Vergleichsergebnis gerade nicht das gegenseitige Nachgeben im Patentprozess aufgrund beiderseitiger Unsicherheit über den Ausgang des Verfahrens wider, sondern ist einzig auf die Vermögensleistung des Patentinhabers zurückzuführen. Hätte der Patentinhaber keine Vermögensleistung an den Generikahersteller getätigt, so ist anzunehmen, dass das Vergleichsergebnis auch auf Seiten des Generikaherstellers ein anderes gewesen wäre. Insbesondere wäre hier zu erwarten, dass der Generikahersteller weniger Zugeständnisse machen würde oder aber Zugeständnisse des Patentinhabers anstelle der Zahlung fordern würde. Hierbei ist vor allem an einen früheren Markteintritt zu denken. Liegt eine Vermögensübertragung oberhalb der Gewinnschwelle vor, ist dies ein starkes Indiz für das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung und damit einem Verstoß gegen Kartellrecht.383 In den Fällen, Lundbeck und Servier, hatten die Originalhersteller jeweils Beträge an die Generikaunternehmen gezahlt, die oberhalb dessen lagen, was die Generikaunternehmen nach Kalkulation des Originalherstellers im Falle eines Markteintritts verdienen würden.384 In beiden Fällen ging die Kommission zutreffend davon aus, dass es sich um bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen handelt. Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH, da es sich wie gezeigt um Wettbewerbsbeschränkungen handelt, die ihrer Natur nach schädlich für dessen Funktionieren sind.

II. Vereinbarungen unterhalb der Gewinnschwelle Die Einordnung von Vereinbarungen bei denen die Vermögensübertragung unterhalb der Gewinnschwelle des Generikaherstellers liegt, fällt ungleich schwerer. Hier ist nicht eindeutig zu bestimmen, ob die Beschränkungen des Generikaherstellers auf die Vermögensleistung oder die Unsicherheit über den Ausgang des Patentverfahrens ausschlaggebend sind. Aus der Rechtsprechung des EuGH ist kein Maßstab ersichtlich, der an diese Art von Vereinbarungen angelegt werden könnte. Wohl aber ist durch die Entscheidung des EuGH in Cartes Bancaires klargestellt worden, dass der Begriff der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung eng auszulegen ist. Deshalb sind Vereinbarungen, bei denen nicht mit Sicherheit ermittelt werden kann, ob sie den Wettbewerb durch ihren Inhalt oder ihre objektiven Ziele einschränken, im Zweifel nicht als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen einzuordnen. Das Cartes Bancaires-Urteil wird es der Kommission zukünftig deutlich schwerer machen, zweifelhafte Wettbewerbsbeschränkungen als bezweckt einzuordnen.385 Insofern ist zweifelhaft, ob die Kommission mit ihrem generellen Ansatz 383 384 385

So auch: Drexl, IIC 2009, 751, 753; Haedicke, ZGE 2011, 263, 277. KOM, Servier, Rn. 1343 f. (Vereinbarung Servier-Niche). Köckritz, EuZW 2014, 901, 908.

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durch die europäischen Gerichte darin unterstützt werden wird, dass bereits bei Vorliegen einer Vermögensübertragung in Kombination mit einer Selbstbeschränkung des Generikaherstellers von einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung auszugehen ist.386 Die von ihr angeführte Rechtsprechung Beef Industry kann in diesem Fall nicht als Präzedenzentscheidung herangezogen werden, da die Unsicherheit über den Ausgang des patentrechtlichen Verfahrens objektiv neben der Anreizwirkung der Vermögensleistung steht und somit nicht sicher geklärt werden kann, welcher der Einflüsse zur Beschränkung des Generikaherstellers geführt haben. Vereinbarungen, bei denen nicht davon auszugehen ist, dass sie bereits ihrer Natur nach wettbewerbsschädlich sind, müssen deshalb einer Prüfung ihrer konkreten Auswirkungen unterzogen werden.

§ 18 Entscheidung des EuG in der Sache Lundbeck Am 8. September 2016 veröffentlichte das EuG seine Entscheidungen in der Sache Lundbeck.387 Die von der Kommission mit Bußgeldern belegten Unternehmen hatten vor Gericht gegen die Entscheidung geklagt. In den sechs Entscheidungen bestätigt das EuG die Kommissionsentscheidung aus dem Juli 2013, wonach die zwischen Lundbeck und den Generikaunternehmen geschlossenen Vereinbarungen als Wettbewerbsverstöße im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV einzuordnen sind. In den Entscheidungen werden alle vorgebrachten Beanstandungen, auf die sich die Klage der Unternehmen stützt, zurückgewiesen. Das Gericht konzentriert sich auf die Fragen, ob die Unternehmen zum Zeitpunkt der Vereinbarungen potentielle Wettbewerber waren und ob die Verträge als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen einzuordnen sind. In beiden Punkten folgt das Gericht der Einschätzung der Kommission.

A. Potentieller Wettbewerb I. Patente schließen potentiellen Wettbewerb nicht aus Das Urteil widmet sich zunächst der Frage, ob zwischen Lundveck und den Generikaunternehmen zum Zeitpunkt der Vereinbarung zumindest ein potentieller Wettbewerb vorlag, ob also die Generikahersteller „reale und konkrete Möglich386

Dies bezweifelt: Hull, 6 J. of Comp.L. & Practice 61, 62 (2015). EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449; T-471/13, Xellia Pharmaceuticals, Alpharma/Kommission, ECLI:EU:T:2016:460; T-470/13, Merck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:452; T-469/13, Generics (UK)/Kommission, ECLI:EU:T:2016:454; T467/13, Arrow/Kommission, ECLI:EU:T:2016:450; T-460/13, Sun Pharmaceuticals, Ranbaxy (UK)/Kommission, ECLI:EU:T:2016:453. 387

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keiten“ eines Marktzutritts hatten.388 Das Gericht betont, dass die Kommission hinsichtlich des Umstands, dass mit einer Markteinführung sicher zu rechnen war, nicht darlegungs- und beweispflichtig ist, sondern dass bereits die Möglichkeit eines Markteintritts ausreicht.389 Dass einige Herstellungsverfahren des Originalherstellers Lundbeck patentgeschützt waren, schließt nach Meinung des EuG nicht von vornherein einen potentiellen Wettbewerb aus. Denn von der Vermutung zugunsten der Wirksamkeit eines Patents dürfe nicht automatisch auf seine Verletzung geschlossen werden.390 Eine Patentverletzung hätte die Patentinhaberseite im Falle der Markteinführung beweisen müssen. Da dies jedoch nicht erfolgt sei und darüber hinaus auch Unklarheit darüber bestanden habe, ob das Patent im Nichtigkeitsprozess Bestand hätte, sei ein potentieller Wettbewerb nicht ausgeschlossen gewesen. Die Kommission sei zurecht davon ausgegangen, dass die Patente keine unüberwindliche Marktzutrittsschranke darstellten.391 Das Patent sei von den Generikaunternehmen nicht als „hinreichend glaubwürdige Drohung“ wahrgenommen worden.392 Darüber hinaus habe keine Sicherheit darüber bestanden, dass der Patentinhaber im Falle der Markteinführung der Generika überhaupt gegen die Generikaunternehmen vorgegangen wäre, noch dass ein solches Vorgehen erfolgreich gewesen wäre.393 Zudem habe die Kommission korrekt herausgearbeitet, dass selbst der Patentinhaber zum Zeitpunkt der Vereinbarungen erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit seiner Patente hatte.394 Die geleisteten Vermögensübertragungen zeigten überdies, dass die Generikahersteller als potentielle Wettbewerber wahrgenommen wurden.395 Den Generikaherstellern hätten mehrere „Handlungspfade“ zur Markteinführung ihrer Generika offen gestanden, aus denen sich reale und konkrete Möglichkeiten der Markteinführung ergaben.396 Gerade diese verschiedenen Handlungsmöglichkeiten seien Ausdruck eines potentiellen Wettbewerbs. Das EuG stimmt insofern mit der Kommission darin überein, dass ab dem Zeitpunkt, in dem der Schutz der Wirkstoffpatente endet, und solange die tatsächliche Verletzung anderer Verfahrenspatente nicht festgestellt sei, nicht von einer absoluten Marktzutrittsschranke der Patente auszugehen sei. Hinzu kämen bedeutende Investitionen der Generikahersteller in die Entwicklung von Generika sowie in die Vorbereitung ihrer Vermarktung, die die baldige Einführung in den Markt vermuten lasse.397

388

EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 98 f. EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 222. 390 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 121. 391 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 124. 392 „Was not perceived at the time as a sufficiently credible threat“, EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 125. 393 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 126. 394 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 145. 395 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 161, 181. 396 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 128. 397 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 129. 389

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4. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

Das Gericht weist dabei auch das Argument zurück, dass es sich bei den möglichen Markteinführungen der Generika um unrechtmäßige At-Risk-Markteinführungen und damit nicht um schützenswerten Wettbewerb gehandelt habe. Die grundsätzliche Vermutung zugunsten der Rechtsmäßigkeit eines einmal erteilten Patents gelte gerade nicht hinsichtlich der Frage, ob diese Patente durch bestimmte Handlungen auch verletzt seien.398 Dies müsse vielmehr durch die Rechtsinhaber in einem Verletzungsverfahren bewiesen werden, in dessen Verlauf es auch um die Frage der Wirksamkeit der Patente gehe und dessen Ausgang keineswegs sicher vorherzusagen sei.399 Solange dieser Nachweis nicht erbracht sei, könne nicht davon ausgegangen werden, dass ein At-Risk-Launch zwangsläufig durch das Patent gesperrt sei.

II. Stellungnahme Angesichts der zunächst angesprochenen Vermutung zugunsten einer Patentwirksamkeit verwundert es, dass das EuG im nächsten Satz eben jene Unsicherheit über den Ausgang des Nichtigkeitseinwands ins Feld führt, um zu verdeutlichen, dass ein At-Risk-Launch nicht zwangsläufig eine Patentverletzung darstellt, sondern eben nur eine potentielle Verletzung.400 Vor dem Hintergrund der Vermutung zugunsten der Wirksamkeit eines Patents sollte dieses Argument jedoch keine Rolle spielen. Vielmehr hätte es ausgereicht, wenn das EuG sich auf die Frage beschränkt hätte, ob das Generikum das Patent überhaupt verletzt. Denn genau diese Frage ist bei Patenten, die lediglich auf bestimmte Verfahrensarten bestehen, keineswegs einfach zu beantworten und bedarf in der Regel eingehender richterlicher Überprüfungen. Im Fall Lundbeck gab es eine Reihe von verschiedenen Herstellungsverfahren, von denen einige mit Sicherheit nicht patentverletzend waren.401 Solange eine Patentverletzung durch die Generika nicht festgestellt wurde, besteht die reale und konkrete Möglichkeit, dass die Markteinführung der Generika rechtmäßig ist und somit auch von einem legitimen potentiellen Wettbewerb ausgegangen werden kann. Der Argumentation bezüglich einer möglichen Nichtigerklärung des Patents hätte es insofern nicht bedurft. Die Ausführungen des EuG könnten allerdings auch dahingehend zu verstehen sein, dass die patentrechtliche Vermutung zugunsten der Patentwirksamkeit sich eben nicht auf kartellrechtliche Erwägungen erstreckt, bei denen es in erster Linie um die Frage nach der realen und konkreten Möglichkeit einer Vermarktung und nicht um die dogmatisch-theoretische Frage ihrer Rechtmäßigkeit geht. Abgesehen von dieser unklaren Formulierung des EuG erscheint die grundsätzliche Argumentationslinie nachvollziehbar: Solange nicht feststeht, dass ein Generikum patentver398 399 400 401

EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 131, 121 f. EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 122. EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 193. EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 196 ff.

§ 18 Entscheidung des EuG in der Sache Lundbeck

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letzend ist und vollständig durch das Patent blockiert werden könnte,402 kann auch nicht von einer unrechtmäßigen Markteinführung des Generikums ausgegangen werden und ein potentieller Wettbewerb ist möglich. Hiergegen könnte man einwenden, dass der Ansatz des EuG damit effektiv zu einer Beweislastumkehr zugunsten der Kommission führt, die lediglich zeigen müsse, dass eine Patentverletzung nicht positiv festgestellt worden sei. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass die Kommission und nun auch das EuG eine Fülle verschiedener Faktoren bei der Frage berücksichtigt, ob mit einem Markteintritt der Generikahersteller zu rechnen gewesen ist. Neben patentrechtlichen Überlegungen spielen insbesondere auch bereits getätigte Investitionen, interne Strategiepapiere der Generikahersteller sowie die Wahrnehmung des Originalherstellers eine Rolle. In Zukunft wird es also nicht ausreichen, wenn die Kommission lediglich darlegt, dass Patentverletzungen zum Zeitpunkt der Vereinbarung nicht positiv festgestellt worden seien.

B. Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen Das EuG legte außerdem einen Schwerpunkt auf die in der Vergangenheit viel diskutierte Frage, ob es sich bei den Vereinbarungen um bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen handelt. Die Kommission qualifizierte die Entscheidungen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen, da die Vermögensübertragung Lundbecks in Kombination mit den Beschränkungen der Generikahersteller den Zweck einer Wettbewerbsbeschränkung erkennen ließen. Die Unternehmen trugen vor, der Kommission seien drei wesentliche Fehler bei der rechtlichen Analyse unterlaufen. Erstens seien die von Lundbeck geleisteten Vermögensübertragungen an die Generikahersteller kein Beleg dafür, dass die Vereinbarungen nicht die Parteibewertung hinsichtlich der Wirksamkeit der zugrundeliegenden Patente widerspiegelten. Zweitens sei die Kommission fälschlich davon ausgegangen, dass durch die Vermögensübertragungen der Anreiz unabhängiger Markteintrittsbemühungen für den Generikahersteller reduziert oder beseitigt werde. Drittens seien die Argumente der Kommission inkonsistent und führten zu einer nicht durchführbaren rechtlichen Analyse.403 In allen drei Punkten folgt das EuG allerdings den Argumenten der Kommission und verwirft die Einwände. I. Vereinbarungen beruhen nicht auf der Bewertung der Patentwirksamkeit Die Kommission stellt in ihrer Lundbeck-Entscheidung fest, dass zwar nicht jede Vermögensübertragung von Seiten des Patentinhabers an den Generikahersteller als 402 403

EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 166. EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 345.

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4. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

kartellrechtlich problematisch gelte,404 dass im Fall Lundbeck jedoch die Zugeständnisse der Generikaunternehmen durch „bedeutende Vermögensübertragungen“ des Patentinhabers Lundbeck erreicht worden seien.405 Dem stimmt das Gericht grundsätzlich zu und widerspricht damit der Ansicht von Lundbeck und mehreren Generikaherstellern. Nach Meinung des EuG könne man bei einer Vermögensübertragung, die mit dem Ausschluss eines Wettbewerbers oder einer Beschränkung der Anreize eines Markteintritts einhergehe, davon ausgehen, dass derartige Beschränkungen nicht aus der Parteibewertung der Stärke des Patents resultieren, sondern als „Abkauf von Wettbewerb“ aufzufassen sind.406 Bemerkenswert ist, dass das EuG die Höhe der Vermögensübertragung als „Indikator für die von den Parteien wahrgenommene Schwäche des Patents zur Zeit der Vereinbarung“ versteht.407 Hier führt das EuG auch die Actavis-Entscheidung des US Supreme Courts an.408 Wie die Kommission geht auch das EuG davon aus, dass die vereinbarten Beschränkungen der Generikahersteller nicht Resultat der subjektiven Parteieinschätzung der Patentstärke seien, wie dies die Unternehmen vorgebracht haben.409 Der Umstand, dass sich die Vermögensübertragungen an den erwarteten Generikaeinnahmen orientierten, sei ein wichtiger Hinweis dafür, dass es sich bei den Zahlungen um den ausschlaggebenden Faktor für die Eingehung der Vereinbarung auf Seiten des Generikaherstellers („Deal Clincher“) gehandelt habe.410 Die Kommission habe nicht unwiderlegbar beweisen müssen, dass die Unternehmen die Wirksamkeit ihrer Patente anzweifelten. Vielmehr habe es ausgereicht, zu zeigen, dass grundsätzlich beim Patentinhaber Unsicherheit darüber bestand, dass dem Generikahersteller ein Markteintritt gelingen würde, ohne dass er hierdurch Patentverletzungen begeht bzw. das Patent für nichtig erklären lässt und an die Stelle dieser Unsicherheit mit der Vereinbarung die Gewissheit des Marktfernbleibens trete. 404

KOM Lundbeck, Rn. 638, 639. KOM Lundbeck, Rn. 660. 406 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 352, „However, where a reverse payyment is combined with an exclusion of competitors from the market or a limitation of the incentives to seek market entry, the Commission rightly took the view that it was possible to consider that such a limitation did not arise exclusively from the parties’ assessments of the strenght of the patents but rather was obtained by means of that payment, constituting, therefore, a buying-off of competition.“ 407 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 353: „The size of a reverse payment may constitute an indicator of the strenth or weakness of a patent, as perceived by the parties to the agreements at the time they were concluded, and of the fact that originator undertaking was not initially convinced of its chances of succeeding in the event of litigation. Similarly, the Supreme Court of the United States has also held that the presence of a significant reverse payment in a patent settlement agreement can provide a workable surrogate for the weakness of a patent without a court having to carry out a detailed analysis of the validity of that patent.“ 408 Siehe zur Kritik an diesem Ansatz S. 122. 409 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 362, 366. 410 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 361. 405

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Zudem sieht das EuG die von den Unternehmen vorgebrachten Gründe für den Abschluss von Pay-for-Delay-Vereinbarungen durchaus als valide Erklärungsansätze an, nicht jedoch als legitime Rechtfertigungen in Bezug auf Art. 101 AEUV. So stelle die von den Unternehmen angeführte Risikoasymmetrie zwischen Patentinhaber und Generikahersteller nach Meinung des EuG zwar eine mögliche Erklärung für das Verhalten der Unternehmen dar. Der Umstand, dass ein bestimmtes Verhalten effizienter oder risikoärmer – für die Parteien einer Vereinbarung also grundsätzlich vorteilhafter – sei, schließe jedoch die Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht aus.411 Eine Vermögensübertragung, die Differenzen zu überbrücken helfe („bridging the gap“), sei insbesondere dann kartellrechtlich problematisch, wenn die Höhe dem Anschein nach an die erwarteten Generikaeinnahmen gekoppelt sei, die dem Streit zugrundeliegenden Patentfragen durch die Vereinbarung nicht gelöst würden sowie wenn die Vereinbarung über den Schutzumfang des Patents hinausgehe.412 II. Vermögensübertragungen als Anreizinstrument Die Unternehmen im Lundbeck-Verfahren waren der Meinung, dass die Vermögensübertragung und die in der Vereinbarung vorgesehenen Beschränkungen den Generikaherstellern nicht den Anreiz nahmen, ihre Vermarktungsbemühungen bzw. ihre juristischen Bemühungen um Nichtigerklärung der Patente aufzugeben.413 Ihrer Meinung nach bleibe trotz Vermögensleistung das Interesse an der gerichtlichen Feststellung, dass die Generika nicht patentverletzend sind, bestehen. Solange nicht explizit eine Nichtangriffsklausel vereinbart werde, müsse davon ausgegangen werden, dass Generikahersteller weiterhin ein Interesse an der Nichtigerklärung der Patente hätten. Nur dann sei von einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 101 AEUV auszugehen, wenn die Beschränkungen des Generikaherstellers über den Schutzbereich des Patents (Scope-of-the-Patent) hinausgingen.414 Die Kommission hatte vertreten, dass auch Vereinbarungen, die innerhalb des Schutzumfangs liegen, als Wettbewerbsbeschränkungen einzuordnen seien, wenn insbesondere die Vermögensübertragung hoch sei und dem Generikahersteller dadurch den Anreiz des Markteintritts nehme. Dem stimmt das EuG zu.415 Selbst wenn die Vermögensübertragung unterhalb der Gewinnschwelle liege, so garantiere sie dem Generikahersteller eine sichere und sofortige Einnahmequelle, ohne die Risiken eines Markteintritts eingehen zu müssen. 411

EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 380; außerdem: EuG, Corus UK/Kommission, T-48/00, Slg. 2004 II-02325, ECLI:EU:T:2004:219, Rn. 73; Dalmine/Kommission, T-50/00, 2004 II-02395, ECLI:EU:T:2004:220, Rn. 211. 412 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 383. 413 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 393. 414 Siehe hierzu ausführlich S. 90 ff. 415 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 399.

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4. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

III. Kommissionsansatz stellt keine undurchführbare Analysemethode dar Als weiteren Mangel der Kommissionentscheidung kritisierten die Unternehmen die unterschiedliche und damit inkonsequente Behandlung von Vereinbarungen mit Vermögensübertragung einerseits und frühzeitigem Markteintritt andererseits. Beide Alternativen besäßen einen wirtschaftlichen Wert.416 Das EuG meint hierzu, dass anders als eine Vermögensübertragung der frühe Markteintritt gerade nicht zum Aufschub, sondern zur Beschleunigung von Wettbewerb führe und deshalb eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt sei.417 Dass die Kommission keine allgemeingültige Formel zur Behandlung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen entwickelt habe, sondern stattdessen eine Reihe von wesentlichen Charakteristika aufgestellt habe, sei nicht zu beanstanden. Insbesondere eine Vermögensübertragung, die die Gewinnschwelle des Generikaherstellers erreiche oder gar überschreite, sei als maßgebliches Merkmal einer kartellrechtswidrigen Vereinbarung deutlich von der Kommission herausgearbeitet worden.418

C. Anwendung der Rechtsprechung des EuGH In der Lundbeck-Entscheidung nimmt das EuG auch abstrakt zu den durch den EuGH aufgestellten Grundsätzen zu bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen Stellung. Der Kommission seien bei der Anwendung der Rechtsprechung aus Beef Industry419 keine Rechtsfehler unterlaufen.420 Sie habe richtigerweise eine Analogie zwischen der Konstellation in Lundbeck und der Vereinbarung in der Beef IndustrySache hergestellt. Beiden Fällen sei gemein, dass Vereinbarungen die unabhängigen Bestrebungen des Markteintritts limitierten.421 In beiden Konstellationen sei ein gemeinsames Vorgehen der Wettbewerber erkennbar, bei dem das Ziel der Rückzug einiger Konkurrenten gegen Kompensation durch die im Markt verbleibenden Wettbewerber sei.422 Zwar hätten anders als in der Lundbeck-Sache in der Entscheidung Beef Industry Patente keine Rolle gespielt. Jedoch sei zu beachten, dass erstens die Patente von Lundbeck nicht geeignet waren, jedwede Form der Generikavermarktung zu verhindern. Zweitens seien Vereinbarungen über Patente in Anwendung der Rechtsprechung des EuGH in der Sache Bayer/Süllhöfer nicht

416

EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 406. EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 411. 418 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 415. 419 EuGH, Rs. C-209/07, Beef Industry Development, Slg. 2008, I-8637, ECLI:EU: C:2008:643; ausführlich zur Rechtsprechung ab S. 221. 420 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 423. 421 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 425. 422 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 428 417

§ 18 Entscheidung des EuG in der Sache Lundbeck

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grundsätzlich von einer kartellrechtlichen Überprüfung ausgeschlossen.423 In beiden Fällen stelle die Vermögensübertragung einen Anreiz zum Rückzug aus dem bzw. Fernbleiben vom Markt dar.424 Die Einordnung der Vereinbarungen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen durch die Kommission sei zudem mit der späteren Cartes Bancaires-Entscheidung des EuGH425 vereinbar. Zwar habe der EuGH betont, dass die Kategorie bezweckter Wettbewerbsbeschränkungen grundsätzlich eng auszulegen sei und sich der wettbewerbswidrige Zweck aus der Vereinbarung selbst ergeben müsse. Diesen Vorgaben entspreche die Entscheidung der Kommission allerdings, indem sie im Rahmen des rechtlichen Zusammenhangs der Vereinbarung auf die Verfahrenspatente von Lundbeck eingegangen sei und dargelegt habe, dass für die Generikahersteller trotz Patentschutz reale und konkrete Möglichkeiten des Marteintritts bestanden hätten.426 Das EuG sieht in den von Lundbeck eingegangenen Vereinbarungen „eine extreme Form der Marktaufteilung und Produktionseinschränkungen“ und gibt der Kommission Recht, was die Einordnung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen betrifft.427

D. Schutzumfang der Patente – Scope of the Patent Die Kommission kommt in ihrer Lundbeck-Entscheidung zum Ergebnis, dass einige der Beschränkungen, zu denen sich die Generikahersteller gegenüber Lundbeck bereit erklärten, über das hinausgingen, was mittels einer gerichtlichen Durchsetzung der Patentrechte hätte erreicht werden können. Sie folgert hieraus, dass einzelne Bestimmungen der Vereinbarungen über den Schutzumfang der Patente hinausgingen und führt dies als eines von mehreren Argumenten dafür an, dass es sich bei den Vereinbarungen um bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen handelt. Lundbeck tritt dieser Sichtweise entgegen.428 Das EuG stellt in seiner Entscheidung nun klar, dass die Kommission beweisbelastet sei und die Vereinbarung zwischen Lundbeck und dem Generikahersteller Merck fälschlich als über den Schutzbereich hinausgehend ausgelegt habe.429 Allerdings sei dieser Fehler nicht entscheidungserheblich, da eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung auch dann anzunehmen sei, wenn die Vereinbarung nicht über den Schutzbereich hinausgehe. Der Hauptvorwurf 423

EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 426 f.; zitiert: EuGH, Rs. 65/86, Bayer/Süllhöfer, Slg. 1988, 5249, ECLI:EU:C:1988:448, Rn. 15. 424 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 430. 425 EuGH, C-67/13 P, Groupement des Cartes Bancaires/Kommission, ECLI:EU: C:2014:2204. 426 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 436. 427 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 428 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 533 ff. 429 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 569 (für die Vereinbarung zwischen Lundbeck und Merck GUK).

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4. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

begründe sich nämlich darin, dass die Unternehmen eine Vereinbarung schließen, die die Verzögerung des Generikaeintritts im Austausch gegen bedeutende Vermögensübertragungen bezwecke und die Ungewissheit eines Markteintritts in eine sichere Beschränkung des potentiellen Wettbewerbers umwandle.430 Das für das EuG maßgebliche Kriterium ist somit nicht die Frage des Schutzumfangs der Patente, sondern die Höhe der Vermögensübertragung des Patentinhabers an die Generikahersteller. Aus der Rechtsprechung des EuGH, insbesondere den Urteilen Windsurfing International,431 Beef Industry432 und Centrafarm,433 schließt das EuG, dass der Scopeof-the-Patent-Test keine geeignete Analyse von Pay-for-Delay-Vereinbarungen darstelle.434 So setze der Scope-of-the-Patent-Test voraus, dass das Generikum eines patentgeschützten Originalpräparats patentverletzend sei und damit innerhalb des Schutzumfangs des Patents liege. Zum anderen ignoriere der Scope-of-the-PatentTest den Umstand, dass Patente unter Umständen für ungültig erklärt werden können. Beide Prämissen seien im Fall Lundbeck äußerst unklar gewesen, weshalb bereits die Frage, ob ein Generikum innerhalb oder außerhalb des Schutzumfangs eines Patents liege, einer gerichtlichen Überprüfung bedurft habe und nicht lediglich auf der subjektiv-spekulativen Einschätzung des Patentinhabers habe beruhen dürfen.435 Das Gericht betont, dass im Einzelfall bestimmte Beschränkungen der Generikahersteller auch durch die gerichtliche Durchsetzung der Patente hätten erreicht werden können. Zu beachten sei jedoch, dass das Patentrecht zwar das Recht mit einschließe, sich gegen Rechtsverletzungen zur Wehr zu setzen, nicht jedoch Vereinbarungen zu schließen, durch die tatsächliche oder potentielle Wettbewerber dafür bezahlt würden, nicht in den Markt einzutreten.436

E. Stellungnahme Die Lundbeck-Entscheidung des EuG stellt für die EU-Kommission einen wichtigen Etappensieg dar. Sie ist die erste gerichtliche Entscheidung zu einem Payfor-Delay-Fall in der EU. Ebenso wie bereits der Supreme Court in den Vereinigten Staaten betont das EuG, dass der Scope-of-the-Patent-Test auch nach europäischem Wettbewerbsrecht keine Anwendung findet, sondern insbesondere die Höhe der 430

EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 539, 572 f. EuGH, C-193/83, Windsurfing International/Kommission, Slg. 1986 – 611, ECLI:EU: C:1986:75. 432 EuGH, Rs. C-209/07, Beef Industry Development, Slg. 2008, I-8637, ECLI:EU: C:2008:643. 433 EuGH, Rs. 15/74, Centrafarm BV/Sterling Drug, Slg. 1974, 1147, ECLI:EU: C:1974:114. 434 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 490 ff. 435 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 491 ff. 436 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 495. 431

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Vermögensübertragung Kernkriterium für die Frage der kartellrechtlichen Zulässigkeit der Vereinbarungen ist. Das EuG zog hierbei auch andere Kriterien hinzu. Dass die patentrechtliche Streitigkeit durch die Vereinbarungen im Fall Lundbeck nicht geklärt, sondern lediglich aufgeschoben wurde, sah das EuG ebenfalls als Indiz für den wettbewerbsbeschränkenden Charakter. Ähnlich wertete das Gericht den Umstand, dass die Vereinbarungen keinen festen und frühzeitigen Markteintritt des Generikaherstellers festlegten. Erhebliche Zweifel des Patentinhabers an der Wirksamkeit und der Durchsetzbarkeit seiner Patente sind nach Meinung des Gerichts nicht notwendig. Ausreichend ist vielmehr eine grundsätzliche Unsicherheit („significant uncertainty“) über den möglichen Eintritt von Generikaherstellern in den Markt und dass diese Unsicherheit im Austausch gegen eine Vermögensübertragung ausgeräumt wird.437 Damit ist der Überprüfungsstandard durch das EuG nicht bedeutend konkretisiert worden. Vielmehr bestätigt das EuG, dass eine Fülle von Kriterien im Fall Lundbeck zum Ergebnis führen, dass es sich um bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen handelt. Die Kritik der Unternehmen, dass die Kommission nicht klar angebe, ab wann sie von einer „bedeutenden“ Vermögensübertragung ausgehe,438 teilt das EuG nicht. Vielmehr stimmt das Gericht mit der Kommission darin überein, dass eine Vermögensübertragung, die sich an den erwarteten Einnahmen der Generikahersteller orientiert, starke Anreize für Generikahersteller auslöse, sich mit dem Patentinhaber auf eine Verzögerung des Markteintritts zu verständigen. Wie allerdings eine Vereinbarung mit einer Vermögensübertragung weit unterhalb der Gewinnschwelle zu bewerten ist, wird durch das Urteil nicht thematisiert. Bemerkenswert erscheinen auch die Ausführungen des EuG zur Rechtsprechung des EuGH in der Sache Cartes Bancaires. Die dort festgelegte enge Auslegung der Kategorie bezweckter Wettbewerbsbeschränkungen hält das Gericht für unproblematisch und ordnet die Lundbeck-Vereinbarungen ohne größere Begründung als „eine extreme Form der Marktaufteilung und Produktionseinschränkungen vergleichbar mit Marktausschlussvereinbarungen“ ein.439 Im Hinblick auf die Deutlichkeit des Cartes-Bancaires-Urteils des EuGH und das Vorbringen der Parteien in den mündlichen Verhandlungen vor dem EuG wäre eine eingehendere Auseinandersetzung mit der Abgrenzung zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen allerdings wünschenswert gewesen. Die Entscheidung bedeutet nicht das Ende von Pay-for-Delay-Vereinbarungen und sollte nicht als generelles Verbot jeglicher Formen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen missverstanden werden. Jedoch zeigt sich, dass der Spielraum für Unternehmen, derartige Vereinbarungen zu nutzen, in der EU stark eingeschränkt ist. Zwar ordnete die Kommission in der Sache Servier wohl aus Vorsicht die Vereinbarungen gleichzeitig als bezweckte und bewirkte Wettbewerbsbeschränkungen 437 438 439

EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 382. EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 737. EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 435.

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4. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

ein.440 Das Lundbeck-Urteil des EuG bestätigt nun, dass eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung für Vereinbarungen anzunehmen ist, wenn die Vermögensübertragung der Gewinnschwelle des Generikaherstellers nah kommt. Gleichzeitig sieht das EuG nicht die Gefahr, dass durch das Verbot bestimmter Pay-for-DelayVereinbarungen der Anreiz für Unternehmen, Vergleichsvereinbarungen einzugehen, bedeutend reduziert wird. Das Gericht führt aus, dass durch Verabredung einer Early-Entry-Vereinbarung (ohne Vermögensübertragung) keine kartellrechtlichen Probleme ausgelöst werden.441 Ungeachtet der Kritik,442 die das Urteil auslöste, ist dem EuG grundsätzlich zuzustimmen. Es beleuchtet ausführlich die von den Unternehmen vorgebrachten Angriffspunkte und geht auf die Argumente ein, wenngleich es sie im Ergebnis verwirft. So thematisiert das EuG richtigerweise die Möglichkeiten der Generikaunternehmen, einen erfolgreichen Markteintritt zu vollziehen und die damit zusammenhängende Frage des potentiellen Wettbewerbs. Auch die Einordnung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung sieht das EuG im Fall Lundbeck als korrekt an. Lundbeck und die Generikahersteller haben inzwischen Klagen gegen das Urteil vor dem EuGH eingelegt.443 Zudem steht eine Entscheidung des EuG in der Sache Servier noch aus.

F. Exkurs: Paroxetin-Entscheidung der Brtitischen CMA Im Februar 2016 veröffentlichte die Competition and Markets Authority (CMA) eine Pressemitteilung zu ihrer Paroxetin-Entscheidung.444 Die Untersuchung hatte die CMA begonnen, nachdem sie von der EU-Kommission auf bestimmte Vereinbarungen zwischen Pharmaunternehmen aufmerksam gemacht 440 Lavoie, The end of pay for delay?, 16. 09. 2016, abrufbar unter: http://www.lavoielegal. eu/blog/the-end-of-pay-for-delay-a-bitter-pill-to-swallow-for-lundbeck-and-originator-pharmacompanies. 441 EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 411. 442 A.A.: Colomo, GC Judgment in Case T-472/13, Lundbeck v Commission: on Patents and Schrödinger’s Cat, 13. 09. 2016, abrufbar unter: https://chillingcompetition.com/2016/09/13/gcjudgment-in-case-t-47213-lundbeck-v-commission-on-patents-and-schrodingers-cat/. 443 Lundbeck/Kommission, C-591/16 P; Sun Pharmaceutical Industries und Ranbaxy (UK)/ Kommission, C-586/16 P; Generics (UK)/Kommission, C-588/16 P; Arrow Group und Arrow Generics/Kommission, C-601/16 P; siehe auch: Lundbeck, Pressemitteilung vom 08. 09. 2016, abrufbar unter: http://investor.lundbeck.com/releasedetail.cfm?ReleaseID=988386; Vardy, Lundbeck v European Commission – a rotten decision or effective competition law enforcement?, 20. 10. 2016, abrufbar unter: http://ipkitten.blogspot.de/2016/10/lundbeck-v-europeancommission-rotten.html. 444 CMA, Pressemitteilung vom 12. 02. 2016, CMA fines pharma companies £45 million, abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/news/cma-fines-pharma-companies-45-mil lion.

§ 18 Entscheidung des EuG in der Sache Lundbeck

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worden war.445 Die an den gegenständlichen Vereinbarungen beteiligten Parteien waren Glaxo-Smith-Kline (GSK), Generics UK, Merck sowie Alpharma.446 Die Entscheidung betrifft Verhaltensweisen in den Jahren 2001 – 2004 zwischen dem Originalpräparatehersteller GSK und mehreren Generikaherstellern über das Blockbuster-Antidepressivum Seroxat mit dem Wirkstoff Paroxetin. Das Primärpatent auf den Wirkstoff lief im Januar 1999 aus. Bestimmte Formen und Herstellungsprozesse blieben jedoch patentrechtlich geschützt.447 GSK schloss drei Vereinbarungen mit den Generikaherstellern, die die CMA als Verstöße gegen britisches Kartellrecht sowie gegen Art. 101 sowie Art. 102 AEUV ansieht. Die CMA geht davon aus, dass die Vereinbarungen eine Wettbewerbsbeschränkung sowohl bezwecken als auch bewirken (Art. 101 AEUV). Die Vereinbarungen sahen vor, dass die Generikahersteller keine Generika, sondern eine definierte Menge Original-Paroxetin vertreiben und hierfür zusätzlich von GSK Vermögensübertragungen erhalten würden. Zwei der Vereinbarungen wurden als Vergleichsvereinbarungen im Zuge von Patentstreitigkeiten geschlossen, wobei die patentrechtlich strittigen Fragen, wie die Wirksamkeit des Patents, nicht durch die Vereinbarung geklärt wurden.448 Die CMA betont, dass Vergleichsvereinbarungen grundsätzlich erwünscht seien, sieht jedoch eine reale Möglichkeit gegeben, dass die Patentprozesse zu Ungunsten des Patentinhabers GSK hätten ausgehen können, was zu unabhängigem Generikawettbewerb geführt hätte. Insbesondere im Hinblick auf die „bewirkte“ Wettbewerbsbeschränkung führt die CMA an, dass ohne die Vermögensübertragung weniger restriktive Vereinbarungen geschlossen worden wären oder im weiteren Gerichtsverfahren die reale Möglichkeit der Nichtigerklärung bestanden hätte.449 Nach Meinung der CMA sind die von GSK getätigten Vermögensübertragungen nicht durch legitime wirtschaftliche Gründe zu erklären, sondern nur auf der Basis, dass es profitabler sei, die Generikahersteller durch die Vermögensübertragung zum Aufschub ihrer unabhängigen Markteintrittsbemühungen zu bewegen.450 Die Vermögensübertragungen stufte die CMA auch als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung iSd. Art. 102 AEUV durch GSK ein.451 Die CMA gesteht den Parteien zu, dass zur Zeit der Vereinbarungen bisher noch keine Entscheidung in Bezug auf Pay-for-Delay-Vereinbarungen ergangen war. Aufgrund der 445 CMA, Paroxetine-Entscheidung vom 12. 02. 2016, CE-9531/11, S. 16; hierbei handelte es sich hochwahrscheinlich um Informationen, die die Kommission im Rahmen ihrer Sektoruntersuchung erlangt hatte. 446 CMA, Paroxetine-Entscheidung vom 12. 02. 2016, CE-9531/11, S. 16. 447 Verschiedene Kristallinformen sowie ein Verfahren zur Herstellung einer Tablettenform ohne Wasser, CMA, Paroxetine-Entscheidung vom 12. 02. 2016, CE-9531/11, S. 62. 448 Insofern ähneln die Vereinbarungen denen in der Sache Lundbeck, EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 436. 449 CMA, Paroxetine-Entscheidung vom 12. 02. 2016, CE-9531/11, S. 12. 450 CMA, Paroxetine-Entscheidung vom 12. 02. 2016, CE-9531/11, S. 14. 451 Verstoß gegen Kapitel II des Competition Act 1998.

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4. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

damals unklaren Rechtslage minderte sie deshalb die den Unternehmen auferlegten Bußgelder. Gegen die Entscheidung hat GSK inzwischen Berufung eingelegt.452 Die Entscheidung der CMA stimmt in ihrer Begründung mit den Entscheidungen der EU-Kommission und dem inzwischen durch das EuG verfolgten Ansatz überein. Auch die CMA geht auf das Konzept des potentiellen Wettbewerbs ein und betont das öffentliche Interesse an der Beseitigung von zu Unrecht erteilten Patenten.453 Sie weist auf die grundsätzliche Möglichkeit und Praxis hin, Vereinbarungen im Pharmasektor auch ohne Vermögensübertragungen zu gestalten,454 untersucht eingehend den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang der Vereinbarungen455 und sieht insbesondere die Vermögensübertragung in Verbindung mit Beschränkungen des Gernerikaherstellers als maßgebliches Kriterium für den wettbewerbswidrigen Zweck an.456 Bemerkenswert ist, dass die CMA die Vereinbarungen als sowohl bezweckte als auch bewirkte Wettbewerbsbeschränkungen einordnet, wie es auch die Kommission in der Sache Servier tat.457 Mit der Entscheidung der CMA scheint sich der Kommissionsansatz, wonach eine hohe Vermögensübertragung in Kombination mit Beschränkungen auf Seiten des Generikaherstellers als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung einzuordnen ist, immer weiter durchzusetzen. Zu beachten ist, dass die CMA hier einen Fall zu beurteilen hatte, bei dem der Patentinhaber Geldzahlungen an die Generikahersteller davon abhängig machte, dass diese keine Generika vertreiben. Sowohl die Vermögensübertragung als auch die Beschränkungen des Generikaherstellers waren hierbei unverschleiert und waren somit relativ zu anderen Vereinbarungen458 einfach gelagert. Die Einordnung als Wettbewerbsbeschränkung nach Art. 101 AEUV sowie als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV zeigt, dass die CMA entschlossen gegen derartige Vereinbarungen vorgeht.

§ 19 Ergebnis des vierten Teils Eine Bewertung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen erfolgte auf EU-Ebene zunächst lediglich durch die EU-Kommission. Diese hat drei Entscheidungen veröffentlicht und darin eine klare Linie entwickelt. Hervorzuheben ist zum einen die Annahme eines schützenswerten potentiellen Wettbewerbs zwischen Originalpräparatehersteller und Generikahersteller, der bereits zu einem Zeitpunkt besteht, in 452 Notice of Appeal vom 18. 04. 2016 nach Section 46 des Competition Act 1998, Case 1252/1/12/16. 453 CMA, Paroxetine-Entscheidung vom 12. 02. 2016, CE-9531/11, S. 249. 454 CMA, Paroxetine-Entscheidung vom 12. 02. 2016, CE-9531/11, S. 250. 455 CMA, Paroxetine-Entscheidung vom 12. 02. 2016, CE-9531/11, S. 255 ff. 456 CMA, Paroxetine-Entscheidung vom 12. 02. 2016, CE-9531/11, S. 272. 457 CMA, Paroxetine-Entscheidung vom 12. 02. 2016, CE-9531/11, S. 330 ff. 458 Siehe die Entwicklung der Gestaltung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen ab S. 31.

§ 19 Ergebnis des vierten Teils

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dem der Generikahersteller weder mit der Produktion seines Generikums begonnen hat noch eine Vermarktung bereits erfolgt ist. Indizien für die Annahme eines solchen potentiellen Wettbewerbs sind für die Kommission das Vorliegen einer Vermögensübertragung des Originalpräparateherstellers an den Generikahersteller sowie das Bestehen von Patentstreitigkeiten. Auch setzt die Kommission einen Fokus auf die Frage, ob es sich bei den untersuchten Vereinbarungen um bezweckte oder bewirkte Wettbewerbsbeschränkungen handelt. Diese Unterscheidung spielt insbesondere dann eine Rolle, wenn eine tatsächliche negative Wirkung einer Vereinbarung auf den Wettbewerb schwer nachweisbar ist. Eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung erfordert nämlich nicht, dass tatsächliche Wirkungen der Vereinbarung aufgezeigt werden. In allen Entscheidungen ging die Kommission von einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung aus. Sie stützte dies vor allem auf den besonderen von einer Vermögensübertragung ausgehenden Anreiz für den Generikahersteller, seine Vermarktungsbemühungen zu beschränken. Dieser Anreiz sei dann besonders groß, wenn die Vermögensübertragung die erwarteten Einnahmen des Generikaherstellers im Falle des geplanten Markteintritts übersteige und nicht mit entsprechenden Gegenleistungen des Generikaherstellers zu erklären sei. Der „Vollständigkeit halber“ nimmt die Kommission in der Servier-Entscheidung auch an, dass die Vereinbarungen gleichzeitig eine Wettbewerbsbeschränkung bewirkt haben. Sie verneint in allen Fällen die Freistellung gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV sowie die Freistellung über eine Gruppenfreistellungsverordnung. Der EuGH hat zwar unmittelbar zu Pay-for-Delay-Vereinbarungen keine Entscheidungen getroffen, sich allerdings eingehend mit der Frage der korrekten Abgrenzung von bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeeinträchtigungen beschäftigt. Die Untersuchung der Rechtsprechung der letzten Jahre offenbart ein uneinheitliches Bild. Teils verweist der EuGH bei bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen auf potentielle Folgen einer Vereinbarung und stellt somit auch auf die Wirkungen der Vereinbarung ab. Mit der Cartes-Bancaires-Entscheidung korrigiert der EuGH die aufgeweichte Grenzziehung zwischen bezweckten und bewirkten Vereinbarungen. Hier stellt er klar, dass der Begriff des wettbewerbswidrigen Zwecks eng auszulegen sei und eine Vereinbarung nur dann zu dieser Kategorie gehört, wenn sie ihrer Natur nach wettbewerbsschädlich ist, was sich lediglich aus dem Inhalt sowie den objektiven Zielen und dem rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang ergebe. Potentielle und tatsächliche Auswirkungen der Vereinbarung spielen hierbei keine Rolle. Die Kommissionsentscheidungen werden diesen Grundsätzen des EuGH gerecht. So fokussiert die Kommission ihre Untersuchung auf den Inhalt der Vereinbarung und untersucht die Anreizwirkung der Vermögensübertragung des Originalpräparateherstellers. Dass eine solche Anreizwirkung von Relevanz ist, zeigt das BeefIndustry-Urteil des EuGH, bei dem dieser ebenfalls eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung annimmt. Auch geht die Kommission auf den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang von Vereinbarungen im Pharmabereich und konkret auf den Zusammenhang der untersuchten Vereinbarungen mit den bestehenden Patenten

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4. Teil: Kartellrechtliche Bewertung von Pay-for-Delay in der EU

ein. Ihre Begründungen für die Entscheidungen halten damit den veränderten Anforderungen des Cartes-Bancaires-Urteils und auch der übrigen Rechtsprechung des EuGH stand. Im August 2016 bestätigte das EuG die Kommissionsentscheidung in der Sache Lundbeck. Das EuG legt einen Fokus seiner Entscheidung auf die Bestimmung des potentiellen Wettbewerbs sowie die Einordnung der Vereinbarungen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen. Das EuG sieht einen potentiellen Wettbewerb bereits dann als gegeben an, wenn reale und konkrete Möglichkeiten eines baldigen Markteintritts gegeben sind und bejaht dies auch im Fall Lundbeck. Trotz bestehender Verfahrenspatente Lundbecks hätten die Generikahersteller erhebliche Anstrengungen und Investitionen hinsichtlich der Markteinführung ihrer Generika unternommen und seien dieser sehr nah gewesen. Das EuG erkennt zwar die Vermutung zugunsten der Wirksamkeit von Patenten an, erstreckt diese jedoch ausdrücklich nicht auf die Frage, ob diese Patente durch etwaige Generika auch verletzt werden. Solange diese Patentverletzung nicht gerichtlich festgestellt sei, könnten Patente auch nicht als Marktzutrittshindernis aufgefasst werden. Auch bei der Einordnung der Vereinbarungen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen gibt das EuG der EU-Kommission Recht. Die zwischen Lundbeck und mehreren Generikaherstellern abgeschlossenen Verträge sahen Vermögensübertragungen vor, deren Höhe den erwarteten Einnahmen der Generikahersteller entsprachen. Dies wertet das EuG als besonderes Indiz dafür, dass die Vereinbarungen den „Abkauf“ von (potentiellem) Wettbewerb zum Inhalt hatten. Die Vermögensübertragung tausche die bestehende Unsicherheit des potentiellen Wettbewerbsverhältnisses gegen eine Sicherheit in Form der Beschränkungen des Generikaherstellers aus. Die Vereinbarungen stellten damit eine extreme Form der Marktaufteilung und der Produktionseinschränkung dar und seien deshalb zurecht als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen einzuordnen. Die Entscheidung des EuG erging in einem Pay-for-Delay-Fall, bei dem eine Vielzahl von Charakteristika erfüllt waren, die eine Wettbewerbsbeschränkung vermuten lassen. Das Ergebnis verwundert deshalb nicht. Gleichwohl fallen die Ausführungen des EuG zur grundsätzlichen Abgrenzung zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen knapp aus. Das EuG vermeidet es, für Payfor-Delay-Fälle allgemeinverbindliche Vorgaben zu machen und fokussiert seine Begründung im Wesentlichen auf die besonderen Umstände des Falles. Weitere Erkenntnisse zur allgemeinen Einordnung von Pay-for-Delay-Sachverhalten wird die Entscheidung in der Sache Servier liefern. Auch eine Überprüfung der jetzt ergangenen Entscheidung durch den EuGH bleibt insoweit abzuwarten.

Fünfter Teil

Vergleich zwischen US- und EU-Ansatz und Ausblick § 20 Vergleich zwischen Supreme Court und EU-Kommission Die Ansätze des Actavis-Urteils des Surpeme Courts in den USA und die Entscheidungen der EU-Kommission mit der Bestätigung des EuG in der EU sollen im folgenden Abschnitt miteinander verglichen werden. Hierbei soll auch untersucht werden, welche Schnittmenge zwischen beiden Ansätzen besteht. Eine Rolle spielt dabei auch, inwieweit eventuelle Unterschiede durch Besonderheiten des jeweiligen Kartellrechts oder anderer Rechtstraditionen zu erklären sind. In diesem Teil der Arbeit werden deshalb die Ansätze von Supreme Court und EU-Kommission zunächst auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin untersucht. Sodann wird der Frage nachgegangen, ob eine Übertragung der amerikanischen Überprüfungsansätze ins EU-Recht möglich und sinnvoll erscheint.

A. Vergleich der abstrakten Untersuchungsmethoden Die kartellrechtlichen Bestimmungen in der EU und den USA sind in erheblichem Maße durch die jeweilige Rechtstradition geprägt. In den USA wurde das Kartellrecht maßgeblich durch die Rechtsprechung des Supreme Courts strukturiert. So bildete das Gericht im Laufe der Jahre unterschiedliche Überprüfungsmethoden und Fallgruppen. Im Gegensatz zu den kartellrechtlichen Normen des Sherman Acts von 1890 sind die Kartellrechtsnormen der EU Verträge vergleichsweise jung. Trotzdem wurde auch in der EU die allgemein gehaltenen Formulierungen durch die Rechtsprechung interpretiert und konkretisiert. Dabei sind die Entwicklungen auf beiden Seiten des Atlantiks nicht parallel verlaufen. So besteht in der EU die Tendenz, immer häufiger bezweckte Kartellverstöße anzunehmen.1 Eine solche Entwicklung ist in den USA nicht zu erkennen. Vielmehr geht der Supreme Court zunehmend dazu über, Vereinbarungen nach der Rule of Reason zu untersuchen.2 So versagte der Supreme Court im Actavis-Urteil den Rückgriff auf die Kategorie der per se Be1 2

Kuhn, ZWeR 2014, 143, 146. Siehe hierzu das Ergebnis des dritten Teils dieser Arbeit, S. 161 ff.

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5. Teil: Vergleich zwischen US- und EU-Ansatz und Ausblick

schränkung und verlangte die Anwendung einer strukturierten Rule of Reason.3 Insbesondere die von EU-Kommission und Supreme Court für die Anwendung auf Pay-for-Delay-Vereinbarungen gewählten Methoden weisen zumindest in ihrer abstrakten Form erhebliche Unterschiede auf, die im Folgenden beschrieben werden. I. Rule of Reason Die vom Supreme Court für die Überprüfung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen favorisierte Rule of Reason bildet die „goldene Mitte“ zwischen der strengen Einordnung in eine per se kartellrechtswidrige Kategorie der Vereinbarung und dem Scope-of-the-Patent-Test, bei dem die Vereinbarung gegen Kartellrecht immunisiert ist, solange sie inhaltlich nicht über den sachlichen und zeitlichen Rahmen des Patents hinausgeht. Die Rule of Reason orientiert sich traditionell an einer Dreischrittprüfung, bei der zunächst negative, wettbewerbswidrige Auswirkungen der Vereinbarung untersucht werden. Anschließend werden etwaige hinreichend wettbewerbsfördernde Zwecke ermittelt und beide gegenübergestellt. Schließlich wird geprüft, ob die positiven Zwecke auch durch weniger wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen hätten verwirklicht werden können.4 Mit der Rule of Reason ist es dem Gericht somit möglich, eine umfassende Prüfung und Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. II. Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen Demgegenüber besteht in der EU die Möglichkeit, eine Prüfung einer bewirkten oder einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung durchzuführen. Dabei weist die Prüfung einer bewirkten Wettbewerbsbeschränkung große Parallelen zur Rule of Reason auf. Bei beiden wird eine Auswirkungsanalyse vorgenommen, bei der die negativen Auswirkungen einer Vereinbarung untersucht werden. Anders als die Rule of Reason werden bei der Prüfung einer bewirkten Wettbewerbsbeschränkung aber wettbewerbsfördernde Wirkungen deutlich eingeschränkter berücksichtigt. Bereits aus dem Aufbau von Art. 101 AEUV ergibt sich eine zweistufige Prüfung, bei der zunächst nur die negativen Effekte einer Vereinbarung berücksichtigt werden (Abs. 1) und erst im zweiten Schritt eventuelle wettbewerbsfördernde Auswirkungen Berücksichtigung finden (Abs. 3).5 So ist eine Freistellung gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV nur möglich, wenn die Vereinbarung zu bestimmten Vorteilen bei Verbrauchern zu einer Verbesserung der Warenerzeugung bzw. -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts führt.

3

Siehe oben ab S. 103. Siehe hierzu die detaillierte Darstellung der Rule of Reason ab S. 115. 5 Grave/Nyberg, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rn. 10. 4

§ 20 Vergleich zwischen Supreme Court und EU-Kommission

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Die EU-Kommission und inzwischen auch das EuG haben Pay-for-Delay-Vereinbarungen bisher als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen eingeordnet. Lediglich aus dem Inhalt, den Zielen sowie dem rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang einer Vereinbarung ergibt sich deren Wettbewerbswidrigkeit, ohne dass auf die tatsächlichen Auswirkungen dieser Vereinbarung einzugehen ist. Eine Prüfung der positiven und negativen Auswirkungen der konkreten Vereinbarung unterbleibt deshalb im Gegensatz zur Analyse nach einer Rule of Reason. Die Einordnung einer Vereinbarung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung ist insoweit mit der Kategorie der per se Kartellverstöße in den USA zu vergleichen. So findet die per se Kategorie ähnlich wie die Feststellung eines wettbewerbswidrigen Zwecks bei Kernbeschränkungen – wie beispielsweise Preisabsprachen – statt.6 Ein Unterschied ist jedoch, dass im US-Recht eine Freistellung durch den Beleg positiver Wettbewerbsauswirkungen nicht möglich ist. Auf den ersten Blick weichen die gewählten Überprüfungsansätze somit stark voneinander ab. Die vorgenommene Analyse des amerikanischen Ansatzes zeigt jedoch, dass der Supreme Court sich mit der konkreten Ausgestaltung der Rule of Reason von der allgemeinen Untersuchungsmethode der Rule of Reason entfernt und eine veränderte Struktur in Bezug auf Pay-for-Delay-Vereinbarungen vorgibt.7 Ob und wieweit der amerikanische vom europäischen Ansatz abweicht, kann somit nicht mit einem Vergleich der abstrakten Untersuchungsmethoden, Rule of Reason und Prüfung einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung, beantwortet werden, sondern nur nach konkreter Gegenüberstellung der tatsächlich hinzugezogenen Kriterien und Merkmale.

B. Vergleich der Untersuchungsmethoden in Bezug auf Pay-for-Delay-Vereinbarungen Der Supreme Court hat in seiner Actavis Entscheidung für die Anwendung der Rule of Reason auf Pay-for-Delay-Vereinbarungen mehrere Konkretisierungen vorgenommen. Diese führen dazu, dass bestimmte Faktoren nicht oder nur eingeschränkt berücksichtigt werden dürfen. Hierzu gehört insbesondere die Wirksamkeit des dem Rechtsstreit zugrundeliegenden Patents.8 Andere Faktoren werden durch den Supreme Court besonders hervorgehoben. So stellt die Höhe der Vermögensübertragung das ausschlaggebende Kriterium für die Bewertung der Vereinbarung nach der Rule of Reason dar. Diese Vorgaben führen einerseits dazu, dass die Verteidigungsmöglichkeiten der Unternehmen eingeschränkt werden. Andererseits reduzieren sich hiermit auch die Darlegungsanforderungen an die Kläger in einem 6 Texaco Inc. v. Dagher, 547 U.S. 1 (2006); Catalano, Inc. v. Target Sales, Inc., 446 U.S. 643, 647 (1980). 7 Siehe S. 116 ff. 8 Siehe S. 151.

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5. Teil: Vergleich zwischen US- und EU-Ansatz und Ausblick

Kartellprozess. Die vom Supreme Court strukturierte Rule of Reason rückt damit deutlich näher an den Ansatz der Kommission heran. Gleichzeitig führt der besondere Fokus der Kommission und des EuG auf die konkrete Wettbewerbsstruktur der Vereinbarung und deren Einschränkung dazu, dass der rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhang einer Vereinbarung besonders ausführlich geprüft und untersucht wird. Zwar geht die Kommission dabei nicht so weit, eine Auswirkungsprüfung vorzunehmen, allerdings genügt der bloße Hinweis auf den Inhalt der Vereinbarung nicht. Insofern findet nach der Untersuchungsmethode der Kommission keine starre Einordnung jeder Pay-for-DelayVereinbarung als kartellrechtswidrig statt, sondern die individuellen Umstände des Einzelfalls sind maßgeblich. Es zeigt sich, dass beide Ansätze nicht so wesentlich voneinander abweichen, wie auf den ersten Blick zu vermuten ist. Übereinstimmung besteht zwischen US- und EU-Ansatz hinsichtlich der Überzeugung, dass eine kartellrechtliche Überprüfung von Patentvergleichen auch dann möglich ist, wenn die getroffenen Vereinbarungen inhaltlich nicht über den Schutzbereich der Patente hinausgehen.9 Weder in der EU noch in den USA wird der Scope-of-the-Patent-Test angewendet. Darüber hinaus ist beiden Untersuchungsmethoden gemein, dass sie auf das Kriterium der Vermögensübertragung abstellen und hierbei insbesondere deren Höhe maßgeblich ist. Außerdem wird das dem Rechtsstreit zugrundeliegende Patent sowohl in den USA als auch in der EU nicht auf seine Wirksamkeit hin überprüft. Schließlich stellen beide Ansätze das Schutzgut der Konsumentenwohlfahrt in den Mittelpunkt. Die konkrete Anwendung dieser Kriterien lässt wiederum auch kleinere aber bedeutende Unterschiede erkennen, die im Folgenden herausgearbeitet werden. I. Vermögensübertragung als zentrales Kriterium Gemeinsam ist den Ansätzen in der EU und USA die Festlegung auf das Merkmal der Vermögensübertragung als zentrales Kriterium bei der Überprüfung des wettbewerbswidrigen Potentials einer Vereinbarung. So vertritt der Supreme Court, dass eine hohe Vermögensleistung als Abkauf des Risikos eines eintretenden Wettbewerbs zu sehen ist und somit das Potential schädlicher Wettbewerbseffekte mit sich bringe.10 Auch die Kommission führt in ihren Entscheidungen aus, dass eine Vermögensübertragung in Kombination mit der Beschränkung des Generikaherstellers in bestimmten Fällen als Wettbewerbsbeschränkung einzuordnen sei. Allerdings gelangen Kommission und Supreme Court auf ganz unterschiedliche Weise zu diesem Schluss. 9

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2230 (2013): „But we do not agree that that fact, or characterization, can immunize the agreement from antitrust attack“; In re Cipro Cases I & II, 61 Cal.4th 116, 161 (S.Ct.Cal. 2015); KOM; Servier, Rn. 1118 ff. 10 Siehe S. 122 ff.

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Die EU-Kommission führt in ihren Entscheidungen aus, dass die Vermögensübertragung das früh beginnende Wettbewerbsverhältnis zwischen Originalpräparate- und Generikahersteller verzerre und durch die Vermögensübertragung ein Ergebnis erreicht werde, das nicht auf der jeweiligen Bewertung der Erfolgsaussichten der Patentprozesse entspricht. Dabei betreibt die Kommission viel Aufwand, dieses Wettbewerbsverhältnis zu untersuchen und insbesondere dessen frühe Stadien vor Generikaeintritt herauszuarbeiten. Die Vermögensübertragung führe ab einer gewissen Höhe zu derartigen Anreizverzerrungen, dass von einer Wettbewerbsbeschränkung auszugehen sei. Auch die Kommission berücksichtigt mögliche Gründe für die Vermögensübertragung, wie beispielsweise legitime Formen der Gegenleistung.11 Diese spielen insgesamt im EU-Ansatz jedoch eine untergeordnete Rolle. Der Supreme Court verfolgt demgegenüber eine andere Linie. Seiner Ansicht nach ist die Vermögensübertragung vor allem ein Zeichen dafür, dass der Patentinhaber Zweifel an der Wirksamkeit seines Patents habe und die Zahlung als Aufteilung von „Monopolgewinnen zur Erhaltung der Monopolsituation“12 getätigt werde. So sei eine hohe und ungerechtfertigte Vermögensübertragung als „Abkauf des Wettbewerbsrisikos“ zu verstehen. Wobei dieses Wettbewerbsrisiko bereits durch die besonderen Regelungen des Hatch Waxman Acts verursacht werde.13 Anders als die Kommission sieht der Supreme Court die Vermögensübertragung außerdem als Indiz für die Schwäche des Patents an.14 II. Höhe der Vermögensübertragung und Perspektive Beide Ansätze stellen außerdem auf die konkrete Höhe der Vermögensübertragung ab. So führt der Supreme Court in Actavis aus, dass eine hohe Vermögensübertragung (large Payment) als taugliches Indiz für ein besonders schwaches Patent diene und somit dafür spreche, dass mit der Vereinbarung negative Wettbewerbseffekte hervorgerufen würden.15 Auch die Kommission stellt in ihren Entscheidungen maßgeblich auf die Höhe der Vermögensübertragung des Patentinhabers ab. Für die Kommission spielt dabei eine entscheidende Rolle, ob die Vermögensübertragung an die Gewinnschwelle des Generikaherstellers heranreicht. Je näher sie dieser Schwelle kommt, desto eher geht 11

KOM, Servier, Rn. 1143. FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 (2013). 13 Zum Abkauf des Wettbewerbsrisikos siehe S. 123 ff.; zu den Bestimmungen des HatchWaxman Acts siehe S. 71 ff. 14 Siehe S. 122; zwar zitiert auch das EuG in seiner Lundbeck-Entscheidung diese Passage des Actavis-Urteils, allerdings nur um die These zu stützen, dass die spätere Nichtigerklärung des Patents zumindest nicht ausgeschlossen war. Grundsätzlich stimmt das EuG der Kommission zu, dass die Vermögensübertragung einen ungerechtfertigten Anreiz für den Generikahersteller setze: EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 352 f. 15 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 (2013). 12

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5. Teil: Vergleich zwischen US- und EU-Ansatz und Ausblick

die Kommission von einer wettbewerbsschädlichen Vereinbarung aus. Dies bestätigt das EuG in seinem Lundbeck-Urteil.16 Zwar stellen beide Ansätze auf die Höhe der geleisteten Vermögensübertragung ab, allerdings betrachten Supreme Court und EU-Kommission die Vermögensübertragung aus unterschiedlichen Perspektiven. 1. Supreme Court nimmt Perspektive des Patentinhabers ein Die Gewinnschwelle spielt für den Supreme Court lediglich eine untergeordnete Rolle.17 So erwähnt er das Merkmal nur am Rande. Viel wichtiger ist dem amerikanischen Gericht, ob die Vermögensübertragung allgemein durch legitime Gegenleistungen des Generikaherstellers oder ersparte Prozesskosten gerechtfertigt ist.18 Hierbei zeigt sich ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen beiden Ansätzen. Der Supreme Court versucht mittels des Merkmals der Vermögensübertragung, die Gründe für die Entscheidung des Patentinhabers, die Vermögensübertragung zu tätigen, zu ermitteln. Für den Supreme Court kommt es darauf an, weshalb der Patentinhaber die Vermögensübertragung leiste. Lägen legitime Begründungen vor, die die Vermögensübertragung aus Sicht des Patentinhabers erklärten, so bestünden keine wettbewerbsrechtlichen Bedenken. Fehle es hingegen an ausreichenden Gegenleistungen oder ersparten Prozesskosten, so sei anzunehmen, dass der Patentinhaber die Vermögensübertragung leiste, um seine Monopolgewinne aufrechtzuerhalten und mit dem Generikahersteller zu teilen.19 Der Supreme Court legt somit seiner Analyse die Perspektive des Patentinhabers zugrunde. Ähnlich argumentiert auch der Supreme Court of California, der ein erhöhtes Payment als Grund für die Annahme ansieht, dass der Patentinhaber den Generikahersteller für das Marktfernbleiben bezahlt, „da der Patentinhaber ansonsten wenig Anreiz für die Eingehung einer Vergleichsvereinbarung zu einem derart hohen Preis“ gehabt hätte.20 2. EU-Kommission nimmt Perspektive des Generikaherstellers ein Die Kommission setzt zwar an ähnlichen Kriterien für die Bewertung an, untersucht mit diesen allerdings die Frage, zu welchen Anreizen für den Generikahersteller die Vermögensübertragung führt und wie sich diese auf die besondere Wettbewerbsstruktur auswirken. Die Kommission stellt in ihren Entscheidungen darauf ab, inwieweit die Vermögensübertragung den Generikahersteller dazu bewegt, von seinen unabhängigen Bestrebungen der Markteinführung des Generikums 16 17 18 19 20

EuG, T-472/13, Lundbeck/Kommission, ECLI:EU:T:2016:449, Rn. 354. FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2235 (2013). FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2237 (2013). Ebd. In re Cipro Cases I & II, 61 Cal.4th 116, 154 (S.Ct.Cal. 2015).

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abzusehen oder diese aufzuschieben. Sie betont hierbei, dass die subjektiven Gründe des Patentinhabers zwar berücksichtigt werden könnten, jedoch nicht elementar seien für die Frage, ob ein wettbewerbswidriger Zweck vorliegt. Das Abstellen auf die Anreizwirkung der Vermögensübertragung verdeutlicht, dass die Kommission stärker als der Supreme Court die Perspektive des Generikaherstellers als Empfänger der Vermögensleistung bei der Bewertung des wettbewerbswidrigen Potentials einer Vermögensübertragung einnimmt. Die unterschiedlichen eingenommenen Perspektiven von Supreme Court und EUKommission haben auf Auswirkungen auf die Behandlung ersparter Prozesskosten sowie bei der Frage, warum keine Überprüfung des Patents notwendig sei. III. Ersparte Verfahrenskosten Ein wesentlicher Unterschied zwischen US- und EU-Ansatz ist die Miteinbeziehung der ersparten Verfahrenskosten. Der Supreme Court stellt an verschiedenen Stellen klar, dass eine Vermögensübertragung dann legitim sei und damit keine kartellrechtlichen Bedenken auslöse, wenn sie nicht über die ersparten Verfahrenskosten des Patentinhabers hinausgehe.21 Hierbei bemisst sich die Höhe nach der Erwartung des Patentinhabers zur Zeit des Vergleichsschlusses. Dann nämlich bestünden nicht dieselben Bedenken, dass der Patentinhaber seine „Monopolprofite dafür nutze, das Risiko der Patentnichtigerklärung zu vermeiden.“22 Ähnliche Erwägungen finden sich in den Entscheidungen der EU-Kommission hingegen nicht. Grund hierfür ist der besondere Stellenwert, der Vergleichsvereinbarungen in den USA prozessökonomisch zukommt. Insbesondere Patentverfahren sind dort deutlich kostspieliger als in der EU.23 Hinzu kommt, dass in den USA in aller Regel nicht der Verlierer des Prozesses auch die Kosten der Gegnerseite zu tragen hat, sodass auch ein gewonnener Prozess nicht ohne Kostenrisiko ist. Eine frühzeitige einvernehmliche Beendigung des Verfahrens liegt deshalb in der Regel im allseitigen Interesse und macht den Prozessvergleich zum wichtigen Institut des amerikanischen Prozessrechts. Deshalb verweist die Kommission zu Recht darauf, dass in der EU die vergleichsbedingte vorzeite Beendigung des Prozesses für beide Parteien zu Kostenersparnissen führt und somit kein legitimer Grund für eine Vermögensübertragung von der einen auf die andere Partei darstelle.24 Ein wichtiger Unterschied scheint außerdem die bereits angesprochene Perspektive zu sein, die die amerikanischen Gerichte bei der Bewertung der Vermögensübertragung einnehmen. So hängt die Kartellrechtswidrigkeit insbesondere 21 22 23 24

FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 (2013). Ebd. Hierzu ab S. 38. KOM, Lundbeck, Rn. 1068; Servier, Rn. 1189.

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5. Teil: Vergleich zwischen US- und EU-Ansatz und Ausblick

davon ab, welche Gründe der Patentinhaber für die Vermögensübertragung hatte. Nach Ansicht der US Gerichte kann dann ausgeschlossen werden, dass der Patentinhaber seine „Monopolprofite“ für den „Abkauf von Wettbewerb“ nutze, wenn er lediglich seine erwarteten zukünftigen Verfahrenskosten an den Generikahersteller zahle. Dann nämlich leiste er nur diejenigen Zahlungen, die er ohnehin für die Fortführung des Prozesses ausgewendet hätte.25 IV. Überprüfung des Patents Die Unterschiede der eingenommenen Perspektive führen letztlich auch zu einer unterschiedlichen Herangehensweise an die Frage, ob die Überprüfung des Patents notwendig ist. Der Supreme Court verweist darauf, dass das zugrundeliegende Patent selbst nicht auf seine Wirksamkeit untersucht zu werden brauche, sondern die Vermögensübertragung als ein Indiz für Zweifel des Patentinhabers an der wirksamen Durchsetzbarkeit seines Patents herangezogen werden könne.26 Diese häufig kritisierte27 Argumentation findet sich in den Entscheidungen der Kommission hingegen nicht. Vielmehr untersucht die Kommission in ihren Pay-for-Delay-Entscheidungen sehr genau, ob eine Markteinführung eines Generikums zumindest zeitnah möglich schien, als die Vereinbarung getroffen wurde. Hierbei stellt sie nicht einzig auf die Patentwirksamkeit ab, sondern auch auf die Möglichkeiten des Generikaherstellers, Verfahren zu erforschen, die wiederum nicht patentverletzend sind. Insofern untersucht sie, ob Patente oder andere Hindernisse zum Zeitpunkt der Vereinbarung eine absolute Marktzugangsschranke darstellten. Berücksichtigt wird auch die Parteieinschätzung über den Ausgang der Verfahren. Die Kommission schließt also nicht aus dem bloßen Vorliegen der Vermögensübertragung auf bestehende Zweifel an der Wirksamkeit des Patents bzw. dessen Verletzung, sondern zieht hierfür interne Einschätzungen der Parteien heran und berücksichtigt auch das Verhalten der Parteien, wie Forschungsvorhaben und Vermarktungsvorbereitungen. Die Vermögensübertragung selbst verknüpft sie nicht mit der Stärke oder der Schwäche des Patents. Vielmehr stellte sie auf den mit ihr einhergehenden Anreiz ab, der zu einer Einschränkung des potentiellen Wettbewerbs führe. V. Schutzgut: Konsumentenwohlfahrt und Wettbewerb als solcher Die EU-Kommission geht in ihren Entscheidungen Lundbeck und Johnson & Johnson lediglich auf den Schutz der Konsumentenwohlfahrt ein. Insofern unterscheidet sich dieser Ansatz nicht von dem des Supreme Courts. In der Servier25 Vgl. auch die Erwägungen des Supreme Court of California: In re Cipro Cases I & II, 61 Cal.4th 116, 153 f. (S.Ct.Cal. 2015). 26 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 f. (2013). 27 Siehe S. 151 ff.

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Entscheidung scheint die Kommission jedoch über diesen Ansatz hinauszugehen und führt nicht nur die Konsumentenwohlfahrt als Schutzgut an, sondern auch den Schutz des „Wettbewerbs als solchen“.28 Ein Reverse Payment Settlement könne einen potentiellen Wettbewerber beseitigen und die Marktstruktur damit verzerren, was zur Reduktion des Risikos eines Wettbewerbs führe sowie zur Entspannung des Wettbewerbsdrucks beitrage, der auf dem Originalhersteller laste.29 Derartige Ausführungen finden sich in der Entscheidung zu Actavis nicht. Der Supreme Court erwähnt vielmehr den Einfluss von Generikakonkurrenz auf Preise und die hiermit einhergehenden Vorteile für Verbraucher.30

C. Übertragungsmöglichkeit des amerikanischen Ansatzes Die obigen Ausführungen verdeutlichen, dass die Unterschiede zwischen US- und EU-Ansatz deutlich geringer sind, als dies auf den ersten Blick scheint.31 Die amerikanische Debatte um das Thema Pay-for-Delay ist deutlich älter als die europäische und konnte sich über viele Jahre entwickeln. Die EU-Kommission konnte bereits in ihrer Sektoruntersuchung und später auch in ihren Entscheidungen auf die in den USA gemachten Erfahrungen zurückgreifen. Gleichwohl zeichnet sich der Ansatz des amerikanischen Supreme Courts dadurch aus, dass er im Bereich prokompetitiver Wirkungen mehr Flexibilität zulässt. So wird durch die Anwendung der Rule of Reason grundsätzlich ein größerer Spielraum für die Berücksichtigung positiver Auswirkungen der Vereinbarung, wie zum Beispiel ersparte Verfahrenskosten, gelassen, als beim Ansatz der EU-Kommission. Es fragt sich somit, inwieweit eine Übertragbarkeit des US-Ansatzes für den EU-Ansatz in Betracht kommt und ob eine solche Übertragung auch wünschenswert ist. I. Übertragungsmöglichkeit des amerikanischen Ansatzes Der Supreme Court geht in seiner Entscheidung sehr genau auf den besonderen Hatch-Waxman-Kontext der untersuchten Vereinbarung ein. So nimmt er an, dass dieses Gesetz die gerichtliche Überprüfung von Patenten begrüße. Deshalb sei ein Payment als Abkauf eines Wettbewerbsrisikos anzusehen, das durch die besonderen Bestimmungen des Hatch-Waxman Acts gerade geschaffen werden soll. Insbesondere die dort vorgesehene 180-tägige Exklusivität für den erstanmeldenden Gene-

28

KOM, Servier, Rn. 1144, zitiert hierbei: EuGH, C-8/08, T-Mobile Netherlands, Slg. 2009 I-04529, ECLI:EU:C:2009:343, Rn. 38 f. 29 KOM, Servier, Rn. 1144. 30 Siehe S. 121. 31 So auch: Anthanasiadou, Lundbeck v. Commission, 10. 10. 2016, abrufbar unter: https:// papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2851449.

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5. Teil: Vergleich zwischen US- und EU-Ansatz und Ausblick

rikahersteller und der mit einer ANDA-IV-Anmeldung ausgelöste Mechanismus32 stellten nach Meinung des Gerichts den Grund für die besondere Struktur und das Reverse Payment dar. Damit macht der Supreme Court allerdings auch deutlich, dass seine Ausführungen auf den Bereich des Hatch-Waxman Acts beschränkt sind und nicht ohne Weiteres auf andere Wirtschaftssektoren übertragen werden können.33 Eben dieser Umstand spricht auch gegen die pauschale Übertragung des amerikanischen Ansatzes ins EU-Recht. Denn hier existieren keine dem Hatch-Waxman Act vergleichbaren Anreizinstrumente. Ebenso kommen in der EU keine BottleneckKonstellationen vor.34 Hinzu kommen die bereits angesprochenen grundsätzlichen Unterschiede zwischen den abstrakten Überprüfungsmethoden der Rule of Reason und der „bewirkten Wettbewerbsbeschränkung“ nach Art. 101 AEUV. Die Rule of Reason lässt einen deutlich flexibleren Umgang mit positiven Wettbewerbsauswirkungen einer Vereinbarung zu als das EU-Recht über Art. 101 Abs. 3 AEUV. Auch insofern erscheint eine Übertragung amerikanischer Untersuchungsmethoden schwierig. Gleichwohl könnte eine Lehre aus der amerikanischen Rechtsprechung sein, einen Mittelweg für die Überprüfung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen zu wählen. Genau dies tat der Supreme Court in seiner Actavis-Entscheidung, indem er weder die per-se-Einordnung noch den Scope-of the-Patent-Test als geeignete Überprüfungsmethode ansah. Die stattdessen gewählte Rule of Reason gewährleistet ein hohes Maß an Flexibilität. Übertragen auf das EU-Recht würde dies bedeuten, hier eher eine Untersuchung nach dem Standard für bewirkte und nicht für bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen durchzuführen. Dies gilt insbesondere für Vereinbarungen, bei denen die Vermögensübertragung unterhalb der Gewinnschwelle des Generikaherstellers liegt. Bei diesen Vereinbarungen kann der Überlegung der Kommission, dass die Vermögensübertragung einen zu großen Anreiz zur Aufgabe der Vermarktungsbemühungen setzt, nicht mehr gefolgt werden.35 Die Untersuchung einer bewirkten Wettbewerbsbeschränkung setzt neben eine Marktabgrenzung auch eine Untersuchung der tatsächlichen Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb voraus. Die Kartellbehörden müssten somit stärker auf den Einzelfall eingehen und auch positive Auswirkungen einer Vereinbarung berücksichtigen. II. Eingeschränkte Notwendigkeit einer Übertragung des US-Ansatzes Selbst wenn man zu dem Ergebnis käme, dass eine Übertragung des amerikanischen Ansatzes des Supreme Courts grundsätzlich möglich ist, so bleibt fraglich, 32

Hierzu ausführlich ab S. 72. Zu dieser Frage ausführlich ab S. 154 ff. 34 Vereinbarungen zwischen Patentinhaber und erstanmeldendem Generikahersteller, die zu einer effiktiven Blockade weiterer Generikahersteller führen; siehe auch S. 76 f. 35 Hierzu bereits ausführlich ab S. 239. 33

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ob eine Übertragung überhaupt von Vorteil wäre. Hiergegen spricht, dass der USAnsatz insbesondere hinsichtlich seiner Begründung deutliche Schwächen aufweist. Der Supreme Court nimmt bei der Untersuchung der Höhe der Vermögensübertragung die Perspektive des Patentinhabers ein und sieht ein large Payment als Indiz dafür, dass der Patentinhaber Zweifel an der Stärke seines Patents habe und seine Monopolstellung durch die Zahlung künstlich aufrechterhalten wolle. Hiermit begründet der Supreme Court auch, warum es nicht notwendig sei, eine inzidente Patentüberprüfung vorzunehmen.36 Die Untersuchung in dieser Arbeit hat jedoch ergeben, dass die Bereitschaft zur Zahlung hoher Summen beim Patentinhaber selbst dann vorliegen kann, wenn er von der Stärke seines Patents überzeugt ist. Die Bereitschaft zur Zahlung kann nämlich auch auf die Risikoasymmetrie zwischen Patentinhaber und Generikahersteller im Pharmasektor zurückzuführen sein. So beseitigt die Vergleichsvereinbarung mit dem Generikahersteller Risiken und versetzt den Patentinhaber in die Lage, langfristig planen zu können. Die Argumentation des Supreme Courts überzeugt deshalb in diesem Zusammenhang nicht. Die Sicht der Kommission, wonach auf den Anreiz auf Seiten des Generikaherstellers abzustellen sei, ist dagegen einleuchtend. Durch die Vermögensübertragung wird dem Generikahersteller der Anreiz genommen, eine Markteinführung zu betreiben. Damit wird das natürliche Marktverhalten potentieller Wettbewerber verzerrt und der Wettbewerb hierdurch beschränkt. In diesem Punkt ist eine Übertragung des zurecht kritisierten US-Ansatzes nicht angeraten. Dies wird grundsätzlich auch dadurch unterstrichen, dass der Kommissionsansatz in sich schlüssig und überzeugend ist, es insofern keiner Übertragung weiterer Kriterien bedarf. Die Kommission stellt im Allgemeinen auf die gleichen Kriterien ab, wie der Supreme Court, wobei sie einige Modifikationen vornimmt. Hierzu gehören die genaue Herausarbeitung des potentiellen Wettbewerbsverhältnisses, die Untersuchung der Höhe der Vermögensübertragung in Abhängigkeit zur Gewinnschwelle des Generikaherstellers sowie eine Anpassung der Rechtfertigungsmöglichkeiten für eine Vermögensübertragung. Nach alledem ist eine Übertragung des amerikanischen Ansatzes in das EURecht nur sehr eingeschränkt möglich und überdies auch nicht erforderlich. Zweckmäßig erscheint einzig die Annäherung an die Rule of Reason durch Anwendung der Prüfung einer „bewirkten“ Wettbewerbsbeschränkung für Vereinbarungen, deren Vermögensübertragung unterhalb der Gewinnschwelle des Generikaherstellers liegt.

36 FTC v. Actavis, Inc., 133 S.Ct. 2223, 2236 (2013): „An unexplained large reverse payment itself would normally suggest that the patentee has serious doubts about the patent’s survival.“

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§ 21 Ergebnis des fünften Teils Nach der Spruchpraxis der Kommission und des EuG stellen die untersuchten Vereinbarungen bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen dar, bei denen eine Auswirkungsanalyse entbehrlich ist. Demgegenüber fordert der Supreme Court eine Untersuchung nach der Rule of Reason, bei der die tatsächlichen Auswirkungen der Vereinbarung zu betrachten sind. Der Supreme Court vertritt damit auf den ersten Blick einen weniger strikten Ansatz als die Kommission. Seine Rule of Reason entspricht im EU-Recht am ehesten der Prüfung einer bewirkten Wettbewerbsbeschränkung. Nach Gegenüberstellung der beiden konkreten Untersuchungsansätze ist jedoch erkennbar, dass die Rule of Reason nach der Lesart des Supreme Courts dem Ansatz der Kommission deutlich ähneltn. Beide Ansätze kommen ohne die Überprüfung des Patents aus und untersuchen stattdessen die Höhe der Vermögensübertragung in Relation zu den Gegenleistungen des Generikaherstellers. Der Ansatz des Supreme Courts lässt auch ersparte Prozesskosten als legitime Gründe für eine Vermögensübertragung zu. Diese sind nach Meinung der Kommission in der EU nicht abzugsfähig, was damit zusammenhängt, dass in den USA Prozesskosten bei Patentstreitigkeiten in der Regel deutlich höher ausfallen und jede Partei ihre Kosten selbst tragen muss. Trotzdem ist festzuhalten, dass sich beide Ansätze sehr ähneln und durch Supreme Court und Kommission in ihrer konkreten Anwendung auf Pay-forDelay-Vereinbarungen deutlich weniger voneinander abweichen als die abstrakten Voraussetzungen der Rule of Reason bzw. der Kategorie der bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen.37 Überhaupt hat der Supreme Court einen klaren und strukturierten Ansatz geschaffen, der allerdings im Bereich der prokompetitiven Auswirkungen mehr Flexibilität zulässt als der Ansatz der EU-Kommission un des EuG. Parteien haben mit ihm die Möglichkeit, zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses einzuschätzen, ob die gezahlten Vermögensübertragungen im Nachhinein durch ersparte Prozesskosten oder legitime Formen der Gegenleistungen zu rechtfertigen sind. Demgegenüber erscheint die Untersuchungsmethode der Kommission an anderer Stelle deutlich flexibler, da sie keine klare Grenze für die Höhe der Vermögensübertragung zieht. Vielmehr erscheint die Herangehensweise der EU-Kommission und des EuG davon abzuhängen, wie sehr die Struktur des potentiellen Wettbewerbs durch die Vermögensübertragung beeinträchtigt worden ist. Somit ist für sie nicht nur die Höhe der Vermögensübertragung entscheidend, sondern auch der rechtliche und wirtschaftliche Rahmen, in den sich die Vergleichsvereinbarung einfügt. Berücksichtigt wird insbesondere auch, wie nah der Generikahersteller der Produktion und Einführung eines Generikums war. Dieses Kriterium spielt beim amerikanischen Ansatz keine Rolle. Der EU-Kommission ist es mit ihrem Ansatz also deutlich besser 37 Clancy/Geradin/Lazerow, S. 16, abrufbar unter: http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm? abstract _id=2345851; wohl auch a.A.: Fischmann, 2016, S. 452.

§ 22 Ausblick

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möglich, auf die Besonderheiten des Wettbewerbsumfelds des Einzelfalls Rücksicht zu nehmen. In diesem Punkt ist der EU-Ansatz flexibler als die Lösung des Supreme Courts, bietet allerdings weniger Rechtssicherheit. Unternehmen sollten bei der Vereinbarung von Vergleichen, die eine Vermögensübertragung des Patentinhabers zum Gegenstand haben, möglichst weit unterhalb der Gewinnschwelle des Generikaherstellers bleiben, um eine Ahndung durch die EU-Kommission zu vermeiden. Die Unterschiede zwischen US- und EU-Ansatz zeigen auf, dass die EU von den Erkenntnissen und Schwierigkeiten des amerikanischen Begründungsansatzes lernen konnte. So hat es die EU-Kommission vermieden, zu sehr auf die Stärke des Streitpatents einzugehen. Vielmehr konzentriert sie ihre Untersuchung auf den potentiellen Wettbewerb und die mit der Vermögensübertragung einhergehende Anreizwirkung. Aufgrund der Schwächen des amerikanischen Ansatzes erscheint eine Übertragung dortiger Vorgehensweisen nicht erforderlich.

§ 22 Ausblick *

Der Staat greift ein

Die Praxis der Kartellbehörden in den USA und der EU steht im Zeichen einer verstärkten Vorgehensweise gegen Pharmaunternehmen, die mit potentiellen Wettbewerbern Vereinbarungen eingehen. Der zunehmenden Entwicklung in der USRechtsprechung, Vereinbarungen mit Verweis auf bestehende Patente gegen Kartellrecht zu immunisieren, trat der US Supreme Court entschieden entgegen. Er folgte damit im Grundsatz der Linie der FTC. In der EU bestätigte jüngst das EuG die Lundbeck-Entscheidung der EU-Kommission und hielt damit die Bußgeldentscheidungen aufrecht. Die Entwicklungen in beiden großen Volkswirtschaften laufen somit parallel und zeigen, dass Kartellbehörden und Gerichte Pay-for-Delay-Vereinbarungen nicht völlig der Gestaltung durch private Interessen überlassen. Eine Umkehrung dieses Prozesses erscheint dogmatisch kaum mehr möglich, wenngleich ein endgültiges Wort durch den EuGH noch aussteht. *

Das subjektive Interesse der Unternehmen

Dieser Entwicklung stehen verständliche wirtschaftliche Interessen der Unternehmen gegenüber. Der Inhaber eines Patents ist durch Art. 14 GG in seinem freien Umgang mit Patenten geschützt. Patente stellen für forschende Pharmaunternehmen ein wichtiges Mittel dar, sich im Wettbewerb gegenüber Generikaunternehmen zu behaupten. Hinzu kommt das berechtigte Interesse, frei darüber zu entscheiden, wem ein Patent durch Lizenzierung oder Übertragung zur Verfügung gestellt, und auf welche Art und Weise patentrechtliche Vereinbarungen gestaltet werden. Patentvereinbarungen bieten deshalb für pharmazeutische Unternehmen elementar wichtige Handlungsmöglichkeiten. Entsprechend nachvollziehbar ist, dass Unternehmen die Ahndung bestimmter Pay-for-Delay-Vereinbarungen durch Kartellbehörden und

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5. Teil: Vergleich zwischen US- und EU-Ansatz und Ausblick

Gerichte als Einschränkung dieser Freiheit auffassen und ihr vehement entgegentreten. *

Der Pharmasektor im Besonderen

Neben den subjektiven Interessen der Unternehmen sind außerdem die Strukturen der gesamten Pharmabranche auf das Patentrecht ausgerichtet. Die hohe Anzahl an Patenten auf pharmazeutische Stoffe und Verfahren ist Gradmesser dafür, wie stark dieser Wirtschaftssektor auf Forschung und Entwicklung ausgerichtet ist. Insbesondere forschende Pharmaunternehmen sind in erheblichem Umfang vom Patentrecht abhängig. Nur das Patentrecht gewährleistet eine ausreichend sichere Erwerbsaussicht, ohne die Forschung im Pharmasektor schlicht nicht profitabel wäre und zum Erliegen kommen würde. Durch die Aussicht auf den Patentschutz erhalten Originalpräparatehersteller Planungssicherheit. Investitionen in Forschung und Entwicklung stellen ein hohes wirtschaftliches Risiko dar, wenn nicht durch das Patentrecht die ausschließliche Nutzbarkeit der Erfindung für einen bestimmten Zeitraum gewährleistet wäre. Pay-for-Delay-Vereinbarungen zeigen deutlich, dass der Patentinhaber unter bestimmten Umständen – ähnlich einer Versicherung – darüberhinaus zu Zugeständnissen an Mitkonkurrenten bereit ist, um seine Planungssicherheit aufrechtzuerhalten. Sogar dann, wenn er von der Wirksamkeit und Stärke seines Patents überzeugt ist, kann eine Risikobewertung dazu führen, dass er zu Zugeständnissen in Form von Vermögensübertragungen bereit ist, um selbst die geringe Gefahr einer Prozessniederlage auszuschließen. *

Das Interesse des Staates

Demgegenüber haben die Kartellbehörden naturgemäß den Erhalt des Wettbewerbs im Blick. Hintergrund sind in erster Linie die Verbraucherinteressen. Dort, wo der Staat selbst „Zahler“ von Gesundheitskosten ist (Sozialhilfe, Zuschüsse zu Versicherungskassen, etc.), liegt zusätzlich ein fiskalisches Interesse an niedrigen Arzneimittelkosten auf der Hand. Nur ein fairer und unverfälschter Wettbewerb führt zu möglichst niedrigen Preisen, von denen wiederum die Verbraucher profitieren. Wirtschafts- und Eigentumsinteressen müssen gegen das Interesse an einem ungehinderten Wettbewerb abgewogen werden. Letzten Endes sind die kartellrechtlichen Verbotsnormen das Ergebnis dieser Abwägung zwischen Eigentums- und Freiheitsschutz auf der einen Seite und dem staatlichen Interesse an einem unbeschränkten Wettbewerb auf der anderen. *

Welche Vereinbarungen sind verboten und welche erlaubt?

Sowohl in den USA als auch in der EU betonen die Wettbewerbsbehörden, bestätigt durch die Gerichte, dass das Verbot für (Pay-for-Delay-)Vereinbarungen gilt, bei denen Unternehmen Gewinne untereinander aufteilen und dies zum Nachteil der Verbraucher geschieht. Hiervon ist dann auszugehen, wenn die Vermögensübertragung des Patentinhabers an einen potentiellen Wettbewerber ausschlaggebend dafür ist, dass sich der Wettbewerber aus dem Markt zurückzieht oder seine Bemühungen

§ 22 Ausblick

269

des Eintritts aufgibt. Insofern sind sich die Wettbewerbsbehörden darin einig, dass potentielle Wettbewerber dann Vereinbarungen miteinander schließen dürfen, wenn die Vereinbarung Ergebnis legitimer Marktmechanismen ist. Zu diesen Mechanismen gehört in erster Linie die subjektive Parteieinschätzung der „Überlebenswahrscheinlichkeit“ des Patents im Prozess. Deshalb ist beispielsweise eine Vereinbarung unbedenklich, bei der die Parteien von einer Überlebenswahrscheinlichkeit des Patents im Prozess von 50 % ausgehen und deshalb einen Markteintritt nach 50 % der verbleibenden Patentdauer vereinbaren. Vermögensübertragungen sind solange möglich, wie nicht die Vermutung besteht, dass die Vermögensübertragung einen wesentlichen Einfluss auf das Verhandlungsergebnis – insbesondere einen vereinbarten, verzögerten Zeitpunkt des Generikaeintritts – hat. Erst durch eine hohe und ansonsten nicht zu rechtfertigende Vermögensübertragung fügt der Patentinhaber ein Element hinzu, das dort so vom Gesetzgeber nicht vorgesehen ist und angesichts der Beschränkungen eines Wettbewerbers eine Verzerrung der ansonsten legitim wirkenden Marktmechanismen darstellt. Dass die Vereinbarung von beiden Vertragsparteien freiwillig geschlossen wird und sich der Patentinhaber auf oben beschriebene Interessen beruft, vermag das Vorgehen der Parteien zwar zu erklären, nicht jedoch zu rechtfertigen. *

Pay-for-Delay-Vereinbarungen können Kartellrechtsverletzungen darstellen

Maßgeblich ist, dass ohne das Element „Vermögensübertragung“ der Patentinhaber seinen Wettbewerber nicht dazu hätte bringen können, seine wettbewerbsrelevanten Vorbereitungshandlungen einzustellen oder hinauszuschieben. Insbesondere im pharmazeutischen Sektor stellen jene Vorbereitungshandlungen jedoch elementare Ausprägungen des bereits früh vor Markteintritt beginnenden Wettbewerbs dar. Dementsprechend wichtig ist auch ihr Schutz vor einer illegitimen Einflussnahme durch Marktakteure. Deshalb werden solche Pay-for-Delay-Vereinbarungen zutreffend als unzulässige Vereinbarungen angesehen, bei denen der Generikahersteller eine Vermögensübertragung erhält, die seiner Gewinnprognose für den Fall der Generikaeinführung entspricht. Denn dann ist es für den Generikahersteller profitabler, einer Vereinbarung zuzustimmen und seinen Markteintritt hinauszuschieben. Der Anreiz des Markteintritts und seiner Erwerbsaussichten wird vom Anreiz der Vermögensübertragung überlagert. Jede Beschränkung, zu der sich der Generikahersteller in diesem Stadium bereit erklärt, ist somit auf die Vermögensübertragung zurückzuführen. Vereinbarungen, die einen frühen Markteintritt beinhalten, der vor dem regulären Patentende liegt, sind deshalb dann nicht wettbewerbsschädlich, wenn sie keine oder nur eine geringe, deutlich unterhalb der Gewinnschwelle liegende Vermögensübertragung vorsehen. In einem solchen Fall müssen die Kartellbehörden darlegen und gegebenenfalls beweisen, weshalb diese Vereinbarung eine Wettbewerbsbeschränkung darstellt.

270 *

5. Teil: Vergleich zwischen US- und EU-Ansatz und Ausblick

Trotz der Einschränkung bleibt den Unternehmen ein weiter Handlungsspielraum

Dieses Ergebnis schränkt Unternehmen in ihrer Handlungsfreiheit zwar ein, hindert sie jedoch nicht grundsätzlich daran, (Vergleichs-)Vereinbarungen zu schließen, um Patentstreitigkeiten einvernehmlich zu regeln. Die in dieser Arbeit dargestellten Entscheidungen betreffen in der Tat lediglich einen kleinen Teil des Handlungsspielraums, der Unternehmen bei der Gestaltung von Vergleichsvereinbarungen zur Verfügung steht. Einzig die Mittel, den Generikahersteller zum Abschluss einer Vereinbarung zu bewegen, sind eingeschränkt worden. Problematisch ist in erster Linie eine hohe Vermögensübertragung an den Generikahersteller. Erlaubt bleibt weiterhin die Vereinbarung eines Markteintrittsdatums, das mitunter weit in der Zukunft liegt (allerdings nicht über das Patentende hinaus). Eine solche Vereinbarung würde das Ergebnis einer Risikoeinschätzung der Parteien widerspiegeln und wäre deshalb nicht zu beanstanden. Dem Patentinhaber bleibt auch die Möglichkeit, mit dem Generikahersteller einen Lizenzvertrag zu schließen, der die Zahlung von Gebühren vorsieht. Dass pharmazeutischen Unternehmen durch die jetzige Rechtslage der Weg zu streitbeilegenden Vereinbarungen nach wie vor nicht verstellt ist, belegen empirische Daten: So sahen bereits vor den Entscheidungen der Kommission 78 % der Vereinbarungen entweder gar keine Restriktionen des Generikaherstellers vor oder aber diese gingen nicht mit einer Vermögensübertragung des Originalpräparateherstellers einher.38 In den USA wird dies durch Zahlen der FTC bestätigt.39 Auch nach den Entscheidungen der Kartellbehörden und der Gerichte zeigt sich, dass Pharmaunternehmen keinesfalls von der Möglichkeit Abstand nehmen, patentrechtliche Vergleichsvereinbarungen einzugehen. Vermehrt werden inzwischen Early-Entry-Vereinbarungen geschlossen, die auch ohne eine zusätzliche Vermögensübertragung auskommen.40 *

Es wird zunehmend Rechtssicherheit entstehen

Zu erwarten ist, dass sich in näherer Zukunft mit weiteren gerichtlichen Entscheidungen einheitliche Maßstäbe herausbilden werden und damit zunehmend Rechtssicherheit entstehen kann. Dies liegt nicht zuletzt im Interesse der betroffenen Unternehmen, deren Planungsicherheit durch die ungeklärte Rechtslage der letzten Jahre erheblich beeinträchtigt war. Mit der Lundbeck-Entscheidung des EuG ist nun in der EU ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung erfolgt.

38

KOM, Pharmaceutical Sector Inquiry, Rn. 743. FTC, Overview of Agreements Filed in FY 2014, S. 1, abrufbar unter: https://www.ftc. gov/system/files/documents/reports/agreements-filled-federal-trade-commission-under-medic are-prescription-drug-improvement/160113mmafy14rpt.pdf. 40 KOM, 6. Monitoring-Bericht, Rn. 46; siehe auch zu den Ergebnissen des Monitorings S. 48 ff. 39

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung § 1 Bei Pay-for-Delay-Vereinbarungen handelt es sich um Vereinbarungen zwischen Originalpräparatehersteller und Generikahersteller, bei denen sich der Generikahersteller zum Aufschub der Generikavermarktung bereit erklärt und eventuelle Angriffe der Patente des Originalpräparateherstellers unterlässt. Gleichzeitig erhält er vom Originalpräparatehersteller hierfür eine Gegenleistung, in Form einer Geldzahlung oder anderer nicht-monetärer Formen. § 2 Für Vereinbarungen der untersuchten Art eignen sich die Begriffe: Pay-forDelay-Vereinbarungen sowie Reverse-Payment Settlements. Der erstgenannte Begriff ist allerdings deskriptiver und trägt auch dem Umstand Rechnung, dass bei derartigen Vereinbarungen gerade die Kombination aus Zahlung des Originalherstellers und Einschränkung des Generikaherstellers kartellrechtliche Bedenken auslöst. § 3 Bei Pay-for-Delay-Vereinbarungen liegen zwei wesentliche Kriterien vor: die Vermögensübertragung (Pay) und die Einschränkung des Generikaherstellers (Delay). Beide Merkmale können unterschiedlichste Formen annehmen. Die Vermögensübertragung kann durch eine direkte Geldzahlung erfolgen. Denkbar ist auch, dass der Generikahersteller für eine von ihm erbrachte Leistung eine überhöhte Gegenleistung erhält oder der Originalhersteller ihm eine Leistung unter Wert anbietet. Eine besondere Form der Vermögensübertragung stellt die Vereinbarung dar, in der sich der Originalhersteller verpflichtet, dem Generikahersteller für eine bestimmte Dauer keine Konkurrenz durch ein eigenes autorisiertes Generikum zu machen (No-Authorized-Generics-Vereinbarung). Die Einschränkung des Generikaherstellers kann ebenso auf unterschiedliche Weise erfolgen. Beispielsweise verpflichten sich Generikahersteller zum Aufschub der Vermarktung bis zur Klärung der Patentfrage. Auch kann eine Beschränkung verschiedene Generikamedikamente betreffen. In den USA ist es außerdem vorgekommen, dass Generikahersteller durch Ausnutzung besonderer regulatorischer Bestimmungen andere Generikahersteller von der Vermarktung abgehalten haben. § 4 Da Arzneimittel in aller Regel durch Patente geschützt sind, stellt sich bei der Vermarktung von Generikamedikamenten häufig die Frage, ob diese aus patentrechtlicher Sicht zulässig ist. Gleichzeitig stellen Abstimmungen zweier potentieller Konkurrenten eine Gefahr für die ungehinderte Entfaltung des Wettbewerbs dar. Somit treffen Patentrecht und Kartellrecht im Rahmen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen aufeinander. Langfristig verfolgen beide Rechtsgebiete allerdings ähnliche Ziele, nämlich die Entstehung eines dynamischen Wettbewerbs. Ein Ausgleich

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Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung

beider Rechtsgebiete kann nicht pauschal mit Verweis auf den Schutzumfang vorgenommen werden. Vielmehr ist im Einzelfall unter Bezugnahme des rechtlichen und wirtschaftlichen Kontextes zu ermitteln, ob eine Vereinbarung als „Gegenstand, Mittel oder Folge einer Kartellabsprache“ anzusehen ist. § 5 In den USA muss der Sieger eines Rechtsstreits in der Regel seine Prozesskosten selbst tragen. Somit stellt der Vergleich die einzige Möglichkeit dar, diesem Kostenrisiko zu entgehen. Zwar hat der Supreme Court durch zwei kürzlich ergangene Urteile in Octane Fitness und Highmark diese als American Rule bezeichnete Regel etwas aufgeweicht. Die Ausnahmen gelten jedoch nur in engen Grenzen. Neben dem Kostenaspekt spielt auch die Befriedungsfunktion des Vergleichs eine wichtige Rolle. Der Vergleich ermöglicht den Parteien, eine für beide Seiten vorteilhafte Vereinbarung zu schließen und damit das Risiko des Gerichtsentscheids und möglicher Rechtsmittel zu vermeiden. § 6 Die amerikanische Kartellbehörde FTC überwacht Streitbeilegungsvereinbarungen im pharmazeutischen Sektor seit 2004. Die Zahl der Patentvereinbarungen zwischen Original- und Generikahersteller nimmt stetig zu. In den Jahren 2004 bis 2012 stieg auch die Zahl der Pay-for-Delay-Vereinbarungen. Seit 2013 geht die Zahl dieser Vereinbarungen allerdings zurück, was auf das 2013 ergangene Actavis-Urteil des Supreme Courts zurückzuführen ist. Die EU-Kommission beschäftigt sich seit ihrer 2009 durchgeführten Sektoruntersuchung intensiv mit Pay-for-Delay-Vereinbarungen. Sie führt jährliche Monitorings durch. Auch sie vermeldet eine stetig zunehmende Zahl von Vereinbarungen zwischen Original- und Generikahersteller. Die Zahl der problematischen Vereinbarungen der Kategorie „B.II.“ hat über die Jahre weder deutlich zu- noch abgenommen. Allerdings ist zu beobachten, dass vermehrt Vereinbarungen geschlossen werden, die als kartellrechtlich unbedenklich anzusehen sind. § 7 Neben der EU und den USA treten Pay-for-Delay-Vereinbarungen auch in anderen Staaten auf. So wurden Fälle in Indien und Südkorea dokumentiert und von den Kartellbehörden bzw. den Gerichten geahndet. In Kanada hat sich die Kartellbehörde ohne ersichtlichen Anlass eingehend mit der Problematik auseinandergesetzt und ein strenges Vorgehen gegenüber entsprechenden Vereinbarungen angekündigt. Japan als einer der drei wichtigsten Pharmamärkte kennt keinerlei Pay-forDelay-Vereinbarungen. Dies liegt möglicherweise darin begründet, dass der dortige Generikasektor im Vergleich zur EU und den USA deutlich weniger entwickelt ist. Eine entsprechend starke Konkurrenz zwischen Originalpräparate- und Generikaunternehmen besteht dort nicht. § 8 Bei der Untersuchung der Ursachen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen sind vor allem die besonderen Umstände des pharmazeutischen Sektors auszumachen. So ist im pharmazeutischen Sektor die hohe Qualität eines Arzneimittels zwingende Voraussetzung dafür, dieses überhaupt vertreiben zu dürfen. Ein Generikum muss von gleicher Dosis und Qualität sein, um als bioäquivalent zugelassen zu werden. Somit kommt dem Preis des Produkts ein im Vergleich zu anderen Wirtschafts-

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zweigen deutlich höherer Stellenwert als Abgrenzungsmerkmal auf dem Markt zu. Dies führt dazu, dass ein etablierter Originalhersteller bereits in kurzer Zeit große Teile des Marktes an einen Generikahersteller verliert, sobald dieser sein Generikum vertreibt. Hinzu kommt, dass im Pharmabereich die Kosten für Forschung und Entwicklung besonders hoch ausfallen und die Nachahmung eines einmal entwickelten Medikamentes gleichzeitig besonders einfach ist. Der durch Innovation erzeugte Vorsprung währt ohne Patente im Pharmabereich deshalb nicht lange. Dies verdeutlicht die Wichtigkeit von Patenten für den Schutz vor Generikakonkurrenz. Für den Originalhersteller ist deshalb die Aufrechterhaltung seiner Patente von höchster Priorität und gewährleistet die Amortisierung der Kosten für Forschung und Entwicklung. Eine Pay-for-Delay-Vereinbarung, in der der Generikahersteller verspricht, die Patente nicht weiter anzugreifen, ist eine Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen. § 9 Die vorgenannten Ursachen führen zu einer besonderen Interessenlage auf beiden Seiten. Der Patentprozess stellt für den Originalhersteller ein besonders hohes Risiko dar, selbst wenn er davon ausgeht, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit den Prozess gewinnen wird. Der Generikahersteller hat zum Zeitpunkt des Patentprozesses in der Regel noch keine Patentverletzung begangen, die im Falle des Unterliegens hohe Schadensersatzsummen nach sich ziehen würde. Insofern ist sein Risiko gering. Aufgrund dieses Risikogefälles sieht sich der Generikahersteller in einer deutlich besseren Verhandlungsposition, die es ihm erlaubt in Vergleichsverhandlungen den Originalhersteller zur Vermögensübertragung zu bewegen. § 10 Auch das regulatorische Umfeld des pharmazeutischen Sektors prägt Payfor-Delay-Vereinbarungen. Die Zulassungsregeln in den USA unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von denen in der EU und haben in der Vergangenheit zu einer Verschärfung der wettbewerbsschädlichen Wirkungen von Pay-for-Delay-Vereinbarungen beigetragen. Der Hauptunterschied besteht in der Verbindung zwischen Zulassungsrecht und Patentrecht in den USA. Um einerseits der Existenz und Wichtigkeit von Patenten im Arzneimittelsektor Rechnung zu tragen und andererseits einen möglichst frühzeitigen Markteintritt von Generikaherstellern herbeizuführen, gesteht das US-Zulassungsrecht (Hatch-Waxman Act) dem Generikahersteller, der als erstes eine Paragraf-IV-Anmeldung einreicht, für die Dauer von 180 Tagen die alleinige Zulassung als Generikahersteller zu. Hierfür muss der Generikahersteller eine Anmeldung einreichen, in der er die Unwirksamkeit der das Medikament schützenden Patente angibt, und damit den Patentinhaber in einen Nichtigkeitsprozess zwingt. Diese Regelung begünstigt zum einen, dass Pharmapatente zu einem frühen Zeitpunkt gerichtlich überprüft werden. Zum anderen ist es dem Generikahersteller durch die 180-tägige Exklusivität möglich, andere Generikahersteller vom Markt fernzuhalten, ohne das Generikum selbst vermarkten zu müssen. Er stellt für den Originalhersteller somit den zentralen Konkurrenten dar, der mittels einer Pay-for-Delay-Vereinbarung abgewehrt werden kann.

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§ 11 Obwohl entsprechende Regelungen zweifelsohne wichtige Anreizinstrumente für beide Parteien darstellen, eine Pay-for-Delay-Vereinbarung einzugehen, bilden sie nicht die Hauptursache für derartige Vereinbarungen. Denn Pay-for-DelayVereinbarungen treten auch in der EU auf, obwohl hier vergleichbare Regelungen nicht existieren. Weder sieht das europäische Zulassungsrecht eine 180-tägige Exklusivität vor, noch wird auf andere Weise die Zulassung von Generika von der patentrechtlichen Zulässigkeit ihrer Vermarktung abgängig gemacht. Die Ursachen für Pay-for-Delay-Vereinbarungen finden sich somit in der beschriebenen besonderen Struktur des pharmazeutischen Sektors und der daraus resultierenden Interessenlage der Unternehmen. § 13 In der US-Rechtsprechung hat sich im Laufe der Jahre vor der ActavisEntscheidung des Supreme Courts keine einheitliche Rechtsprechung herausbilden können. Die Berufungsgerichte waren sich uneins darüber, wie Pay-for-DelayVereinbarungen kartellrechtlich zu behandeln sind. Drei Meinungen bildeten sich heraus: Der 6th Circuit sowie der D.C. Circuit vertraten die Meinung, dass es sich um per se kartellrechtswidrige Vereinbarungen handelt. Der 11th Circuit, 2nd Circuit und der Federal Circuit waren demgegenüber der Ansicht, dass Vereinbarungen als kartellrechtlich zulässig zu erachten sind, solange sie inhaltlich nicht über den Schutzumfang des Patents hinausgingen. Der 3rd Circuit vertrat, dass es zur Anwendung des Quick-Look-Approachs kommen müsse, bei dem jede Vermögensübertragung des Patentinhabers an den Generikahersteller als prima facie unrechtmäßige Wettbewerbsbeschränkung angesehen wird und bei der die Beklagten zu beweisen haben, dass entweder die Vermögensübertragung einen anderen Zweck als einen verspäteten Markteintritt hatte oder mit der Vereinbarung positive Auswirkungen auf den Wettbewerb einhergehen. § 14 Der Supreme Court versuchte diesen Circuit Split mit der Actavis-Entscheidung aufzuheben. Nach Meinung des Supreme Courts seien Patentvereinbarungen nicht durch das betreffende Patent gegen Kartellrecht immunisiert, da es im zugrundeliegenden Verfahren gerade um die Frage der Patentwirksamkeit gehe. Ob eine Vereinbarung zulässig sei, hänge sowohl von patentrechtlichen wie auch kartellrechtlichen Gesichtspunkten ab. Beide Rechtsgebiete stünden in einer Wechselwirkung miteinander, die zusammen die Grenzen des patentrechtlichen Monopolrechts bestimme. Für die Überprüfung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen sei eine Prüfung nach der Rule of Reason durchzuführen. Hierbei werden die wettbewerbsfördernden mit den wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen einer Vereinbarung gegeneinander abgewogen. Zentrales Kriterium für wettbewerbsbeschränkende Wirkungen einer Vereinbarung ist nach Ansicht des Supreme Courts die Höhe der Vermögensübertragung, die der Patentinhaber an den Generikahersteller leistet. Auch sei eine hohe Vermögensübertragung ein Indiz für Marktmacht. Nicht notwendig sei es, das Patent selbst zu überprüfen. Denn die Vermögensübertragung selbst sei bereits hinreichendes Indiz dafür, dass der Patentinhaber Zweifel an der Wirksamkeit seines Patents gehabt habe und somit die Vermögensübertragung im Hinblick auf die Einschränkung des Generikaherstellers geleistet hat. Der Supreme

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Court sieht seine Entscheidung nicht als Hindernis für Unternehmen an, Vergleichsvereinbarungen einzugehen. So seien diese immer noch möglich, wenn eine Vermögensübertragung gerechtfertigt sei, oder aber anstelle einer solchen ein frühzeitiger Markteintritt des Generikaherstellers vereinbart werde. Die Entscheidung wird durch das Minderheitenvotum von Richter Roberts kritisiert, der eine ausufernde Anwendung des Kartellrechts fürchtet und im Übrigen einen Bruch mit der bisherigen Rechtsprechung des Supreme Courts sieht. Eine Untersuchung dieser Rechtsprechung ergibt jedoch, dass ein solcher Bruch nicht festzustellen ist. Neu ist allerdings, dass der Supreme Court in aller Klarheit feststellt, dass in streitigen Fällen zwischen Patent- und Kartellrecht auch immer kartellrechtliche Zwecke zu Rate zu ziehen sind. Mit seiner Entscheidung verlangt der Supreme Court die Anwendung der Rule of Reason bei der er jedoch die Modifikation vornimmt, statt tatsächlich eingetretener negativer Effekte auf den Markt den Nachweis einer hohen ungerechtfertigten Vermögensübertragung ausreichen zu lassen. Die Beweislast für die hohe Vermögensübertragung liegt für die Höhe der Vermögensübertragung auf Klägerseite und in Bezug auf die Rechtfertigung auf der Seite der beteiligten Unternehmen. Auch ist die Vermögensübertragung Indiz für die Schwäche des Patents, weshalb eine gesonderte Patentprüfung innerhalb des Kartellrechtsprozesses nicht stattfinden müsse. In Bezug auf die Frage, wann eine Vermögensübertragung vorliegt und ob hierfür auch nicht-monetäre Formen von Vermögen ausreichend sind, ergibt eine Auslegung des Urteils, dass jegliche Arten von Vermögen durch den Supreme Court gemeint sind und beispielsweise auch No-Authorized-Generics-Vereinbarungen hierunter fallen. Eine Vermögensübertragung ist dann ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch zulässige Formen der Gegenleistung durch den Generikahersteller zu erklären ist. Dann nämlich bleibt die Vermutung, dass der Patentinhaber eine Vermögensübertragung für den Abkauf des Wettbewerbsrisikos nutzt. § 16 Die EU-Kommission hat bislang drei Entscheidungen zu Pay-for-DelayVereinbarungen getroffen. Diese ordnete die Kommission in allen Fällen als Verstöße gegen Art. 101 AEUV ein. Hierbei berücksichtigte sie insbesondere den zwischen Originalpräparate- und Generikahersteller bestehenden potentiellen Wettbewerb zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Aus verschiedenen Kriterien wie den Strategien der Unternehmen und den geführten Patentverfahren folgerte sie in jedem Einzelfall, dass mit einer baldigen Markteinführung des Generikums zu rechnen gewesen sei und damit ein potentieller Wettbewerb bestanden habe. Insbesondere sah sie bestehende Patente des Originalherstellers sowie noch fehlende Marktzulassungen für die Generika nicht als absolute Marktzugangsschranken an, die die Möglichkeiten der Generikavermarktung gänzlich zu unterbinden vermochten. Dieser potentielle Wettbewerb ist gleichermaßen von Art. 101 AEUV geschützt wie der tatsächliche Wettbewerb. Weitere Besonderheit des Kommissionsansatzes ist die Einordnung der Vereinbarungen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV. Im Gegensatz zu bewirkten Wettbewerbsbeschränkun-

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gen hatte die Kommission deshalb eine Prüfung der tatsächlichen Wirkungen der Vereinbarungen auf den Wettbewerb nicht zu prüfen. Vielmehr ging sie auf die Vermögensübertragung des Originalherstellers an den Generikahersteller ein. Je näher diese den erwarteten Einnahmen des Generikaherstellers im Falle eines Markteintritts kommt, desto eher geht die Kommission von einem wettbewerbswidrigen Zweck der Vereinbarung aus. § 17 Zwar hat der EuGH bisher keine Entscheidung konkret zu Pay-for-DelayVereinbarungen getroffen, jedoch bieten einige Entscheidungen des EuGH punktuell Auskunft über einzelne von der Kommission aufgeworfene Fragen. Der EuGH hat in seiner Entscheidung Cartes Bancaires klargestellt, dass die Kategorie der bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen eng auszulegen sei und für die Prüfung lediglich auf den Inhalt der Vereinbarung sowie den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang, in dem sie steht abgestellt werden dürfe. Potentielle oder tatsächliche Auswirkungen einer Vereinbarung seien keinesfalls heranzuziehen. Die Untersuchung der Kommissionsentscheidungen ergibt, dass die Begründungen der Kommission im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH stehen. § 18 Dies bestätigte auch das EuG in der Sache Lundbeck. So wertete die Kommission insbesondere die inhaltlichen Bestimmungen der Vereinbarung, wonach der Generikahersteller in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt und gleichzeitig mittels einer Vermögensübertragung belohnt werde, zurecht als besonders wettbewerbsschädlich. Dabei ging sie jedoch nicht auf eventuelle Wirkungen ein, sondern untersuchte vielmehr die besondere Anreizwirkung der Vermögensübertragung in Bezug auf den Generikahersteller. Dabei stellte sie ähnliche Erwägungen an wie der EuGH in seiner Beef Industry-Entscheidung. Hier hatte der EuGH ebenfalls die Anreizwirkung von Vermögensübertragungen als Grund für die Annahme einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung angesehen. § 20 Der Vergleich des US- mit dem EU-Ansatz führt auf den ersten Blick zu der Annahme, dass sehr unterschiedliche Ansätze verfolgt werden. Der Supreme Court verlangt eine Rule of Reason, bei der die tatsächlichen Wirkungen der Vereinbarungen zu untersuchen sind. Die EU-Kommission ordnet die Vereinbarungen stattdessen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen ein, wonach grundsätzlich lediglich der Inhalt und der rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhang der Vereinbarung zu berücksichtigen sind. Beide Ansätze weichen in ihrer abstrakten Grundstruktur somit erheblich voneinander ab. Berücksichtigt man die konkreten Ausgestaltungen beider Ansätze, so nähern sich beide Untersuchungsmethoden jedoch deutlich an. Ebenso wie der Supreme Court untersucht die Kommission in erster Linie die Höhe der Vermögensübertragung und sieht hierin den Schlüssel für die Annahme wettbewerbswidrigen Potentials. Gemein ist beiden Ansätzen außerdem, dass sie ohne die Überprüfung des Streitpatents auskommen. Hierbei unterscheiden sich allerdings die Begründungsansätze. Der Supreme Court sieht die Vermögensübertragung als Indiz dafür, dass der Patentinhaber an der Wirksamkeit seines Patents zweifelt und den Generikahersteller

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deshalb für die Aufgabe seiner Bestrebung, das Patent zu Fall zu bringen, bezahlt. Die Kommission untersucht hingegen die Anreizwirkung der Vermögensübertragung und somit die Auswirkung einer solchen auf Generikaherstellerseite. So berücksichtigt der US-Ansatz den Patentinhaber wohingegen sich der EU-Ansatz der Interessenlage des Generikaherstellers zuwendet. Der Ansatz des Supreme Courts bietet nach einiger Diskussion durch untere Instanzgerichte inzwischen ein gewisses Maß an Rechtssicherheit. Unternehmen können nunmehr einschätzen, welche Vermögensübertragungen an den Generikahersteller gerechtfertigt und damit zulässig sind. Die EU-Kommission hat weniger klar beschrieben, wann eine Vereinbarung als kartellrechtswidrig einzuordnen ist. Einziger Bezugspunkt ist die Höhe der erwarteten Einnahmen des Generikaherstellers. Darüber hinaus formulierte sie jedoch verschiedene Kriterien, die im Einzelfall und als Teil des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs eine Rolle spielen können.

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Stichwortverzeichnis Abbreviated New Drug Application (ANDA) 72 – 79, 81, 83, 87, 88, 94, 98, 99, 108, 114, 116, 118, 122, 131 – 133, 160, 264 Abwehr des Generikaherstellers 29, 77, 237 Actavis-Entscheidung 35, 38, 43, 56, 58, 62, 88, 93 ff., 162, 244, 255, 257, 259, 263, 264, 272, 274 Anreizwirkung 137, 187, 188, 192, 222 – 224, 229, 235, 237 f., 240, 253, 261, 267, 276, 277 Ausschluss eines Marktzutritts 29, 170 Beweislastverteilung 103, 117 – 119, 144, 146, 162, 243, 275 Bottleneck 30, 77, 81, 85, 89, 90, 264 Cartes-Bancaires-Urteil 205, 209, 211 ff., 224, 237, 239, 247, 249, 253, 254 Cash-Starved Generic 148 Circuit Split 88, 97, 129, 160, 274 CMA (Competition and Markets Authority) 164, 250 – 252 Consent Judgement 38, 157 – 159 Co-Promotion-Vereinbarung 26, 147, 148, 166, 185, 219, 227, 236 Datenexklusivität 54, 79, 84, 85, 172, 178 Delay 24, 29 – 31 Department of Justice (DOJ) 80, 92, 93, 99, 105 Dissenting Opinion 104 ff., 121, 122, 125, 148, 155 Effizienzgewinne 121, 197 – 200, 204 Entwicklung von Pay-for-Delay-Vereinbarungen 31, 43, 77 133, 134 Ergänzendes Schutzzertifikat 72, 85, 172 Federal Trade Commission (FTC) 23, 26, 27, 31, 43, 44, 56, 58 – 62, 80, 92 f., 94 ff.,

103, 105, 114, 118, 127, 133, 152, 267, 270, 272 Geldzahlung 26, 53, 90, 96, 112, 117, 125 – 130, 136, 141, 148, 185, 219, 222, 252, 271 Gesicherte Erfahrung 214, 218 Gewinnschwelle 237 – 239, 245, 246, 249, 250, 259, 260, 264, 265, 267, 269 Gewinnspanne 177 Gruppenfreistellungsverordnung 197, 198, 200, 201, 203, 253 Hatch-Waxman Act 71, 72, 75 – 80, 83, 86, 87, 98 – 100, 105, 108, 123, 124, 132, 133, 155, 156, 159, 160, 161, 263, 264, 273 Indizwirkung 101, 116, 122, 123, 141, 142, 152, 174, 175, 179, 185, 186, 191, 239, 249, 259, 262, 274, 275 Innovationswettbewerb 34, 46, 63, 64 Interessenlage siehe Risikolage Klassifizierung 25 – 27 Konsumentenwohlfahrt 121, 221, 229, 236, 258, 262, 263 Large Payment 141 ff., 259, 265 Lebenszyklusstrategie siehe Patentierungsstrategie Markenrechtsprechung 112 Marktzutritt 23, 24, 27, 29, 46, 53, 56, 58, 69, 70, 72, 76, 96, 102, 137, 148, 173, 175 – 177, 179, 201, 241, 254 Marktzutrittsschranke 170 – 175, 177 – 179, 241 Monitoring Berichte 48 ff., 85, 86, 168, 272 No-Authorized-Generics 28, 31, 127, 129, 131 ff. Noerr-Pennington-Doktrin 156 – 159

290 Overpayment

Stichwortverzeichnis 26, 27, 148, 186

Paragraf-IV-Zertifizierung 72 – 74, 81, 83, 98, 273 Patentdurchsetzung 39, 53, 106, 177, 185, 187, 190, 191, 193, 220, 225, 228, 229, 236, 239, 247, 248 Patentierungsstrategie 47, 56, 68 Patentstärke 124, 136, 151, 152, 162, 183, 185, 223, 244 Patentüberprüfung 25, 50, 60, 81, 102, 107, 114, 123, 151 ff., 161, 191, 221, 225, 228, 235, 248, 261 – 263, 265, 266, 276 Patentverlängerung 78 Patentwirksamkeit 151 – 153, 190, 204, 242, 243, 262, 274 Pay-for-Delay-Vereinbarung, Formen siehe Klassifizierung Per-se-Illegality 49, 88 – 92, 114, 117, 120, 149, 161, 168, 177, 217, 255 – 257, 264, 274 Pharmasektor 42, 58, 61, 63, 66, 86, 98, 105, 109, 175, 196, 209, 252, 265, 268 Potentieller Wettbewerb 136, 168, 169 ff., 175, 176, 179, 183, 184, 193 – 197, 219, 225, 229, 232, 235, 238, 240 ff., 252 – 254, 262, 265, 267, 275 Preiswettbewerb 28, 46, 63, 67, 69, 72, 233 Prozesskosten 38 ff., 101, 103, 106, 140, 143 – 146, 160, 162, 190, 192, 198, 260, 261, 266, 272

Scope-of-the-Patent-Test 90, 91, 95, 102 – 104, 109, 110, 113, 114, 126, 130, 161, 188, 245, 248, 256, 258 Sektoruntersuchung 23, 34, 39, 42, 44 ff., 65, 67, 68, 84 – 86, 165, 167, 168, 185, 251, 263, 272 Stare-Dicisis-Doktrin 154 Technologietransfer 198, 200, 201, 204 Turducken-Problem 152 Underpricing 27 Ungerechtfertigte Vermögensübertragung/ Unjustified Payment 114, 121 – 123, 125, 130, 141, 146 ff., 151, 154, 160 – 162, 259 Verfahrenskosten siehe Prozesskosten Vergleichsmöglichkeit 37, 38, 41, 106 Vermögensübertragung 26 ff. 101, 107, 116, 122 f., 134, 138 ff., 141 ff., 175, 179, 185 ff., 221, 237 f., 258, 259

Quick-Look-Approach 89, 92, 103, 114, 117, 119, 120, 144, 161, 274

Wettbewerb als solcher 229, 262 Wettbewerbsbeschränkung – bewirkte 168, 180, 192 – 195, 197, 205, 206, 208, 209, 213, 214, 217, 218, 222, 249, 251 ff., 264 – 266, 275 – bezweckte 165, 168, 180 ff., 206 ff., 243 ff., 252 – 257, 264, 266, 275, 276 – offenkundige 215 ff. Wettbewerbsförderung 38, 115, 121, 124, 144, 150, 198, 233, 234, 256, 274 Writ of Certiorari 93, 97, 127

Risikolage 66 ff., 80 Rule of Reason 89, 91, 92, 101 – 103, 108, 109, 114 ff., 130, 138, 146, 148, 149, 152, 160 – 162, 255 ff., 263 ff., 274 – 276

Zugeständnisse in anderen Verfahren 29 Zusammenhang (rechtlicher und wirtschaftlicher) 182, 212, 213, 221, 227, 232, 235, 237, 258, 276