Die Isländer-Geschichten und die Edda: Bilder aus Nordgermanischer Frühzeit [2., neubearb. Aufl.] 3486770934, 9783486770933

Fraktur. Es sind noch keine zwölf Jahre her, da fragte mich ein akademisch gebildeter Mann: "Sagen Sie, die Isländ

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German Pages 40 [42] Year 1939

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Table of contents :
Die Insel am Ende der Welt 7
Die Siedler 8
Staat und Recht 10
Heiden und Christen 13
Der Vergleich 15
Des Freistaates Ende 17
Die Sagamänner 17
Die Isländer-Geschichten 20
Die Edda 28
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Die Isländer-Geschichten und die Edda: Bilder aus Nordgermanischer Frühzeit [2., neubearb. Aufl.]
 3486770934, 9783486770933

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Leopold Weber Die Isländer-Geschichten und die Edda

Leopold Weber

Die Isländer-Geschichten und die Edda Bilder aus Nordgermanischer Frühzeit

2., neubearbeitete Auflage

R. Vldenbourg Verlag/München und Berlin 1939

Bestellnummer 5101

Druck von R. Gldenbourg, München.

Zum Geleit Es sind noch keine zwölf Jahre her, da fragte mich ein akademisch gebildeter Mann: „ Sagen Sie, die Isländer, sind das eigentlich Eskimos oder Lappen ?" Htm, damit hat es sich neuerdings gebessert. Die ver­ dienstvolle Sammlung „Thule" im Verlage von Eugen Diederichs, eine Sammlung, die beide Edden und die Mehrzahl der sogenannten Is­ länder-Sagen überträgt und erläutert, ist, lange vor dem großen Rrieg begonnen, endlich in weitere Rreife gedrungen. Die Arbeiten und Über­ setzungen eines unserer feinsinnigsten Forscher, Andreas Heuslers, und seiner Schüler sind bekannt geworden auch unter Laien, und das „Isländerbuch" Arthur Bonus' hat im Verlage von Georg D. XO. Lallwey, München seine zweite Auflage erlebt, ein Werk, das nicht nur eine geistvolle Einleitung gibt, sondern auch die keineswegs leichte Aufgabe trefflich löst, die schönsten Teile aus den „Sagen" herauszu­ lösen, und Treue der Übertragung mit gutem Deutsch verbindet: es ist daher vor allen andern dem zu empfehlen, der nicht die Muße hat, sich durch das Gestrüpp altisländischer Tradition, Geschlechteraujtzählungen und andere Dinge, die uns fernliegen, durchzuarbeiten. Bei meiner Wiedergabe der Isländer-Geschichten im folgenden habe ich mich mehrfach an meine Schriften „Gisli", „Grettir", „Wi­ kingertreue" gehalten (im Verlage R. Thienemann, Stuttgart), bei der Darstellung des Eddagehalts an mein Buch „Asgard, Die Götter­ sagen unsrer Ahnen" (5$. Tausend, im gleichen Verlage). Den Zitaten aus der Edda liegt meine überttagung (2. Auflage, R. Vldenbourg, München) zugrunde: sie versucht auch die Mythen, die in der Prosa-Edda des Snorri Sturlasohn bewahrt sind, in Versform und Stabreim wiederzugeben, um so ein reicheres Bild der Überlieferung geschlossen vor Augen zu führen.

Inhalt Die Insel am Ende der Welt (7) Die Siedler (8) Staat und Recht (Io) Heiden und Christen (13) Der vergleich (15) Des Freistaates Ende (17) Die Sagamänner (17) Die Isländer-Geschichten (20) Die Edda (28)

Die Insel am Ende -er Welt Hoch droben im Ylotbtn, fernab der Menschenwelt, dehnt sich in Einsamkeit seit den Urzeiten der Erde weithin ein Eiland. Felsküsten au« Basalt drohen finster und steilauf vom Strande. Dahinter ragen im Sonnenschein au« Eiswüsten von Gletschern die Gipfelscharen de« Landes in ewigem Schnee. Unter der Erde aber grollt'« immer und immer wieder dumpf aus der Tiefe hervor. Wasserstrahlen schießen glutheiß, haushoch aus dem Boden. Zum Donner schwillt das Ge­ dröhn. Wettergewölk hat die Gipfel gehüllt, Flammen zucken daraus, der Boden bebt, und krachend speien die Berge Feuerstöße über die Gletscher hinab. Rur; ist auf dem Eiland der Sommer. Dann schrillt aus dem Rüstengewände der Meervögel Rreischen, Robbenscharen sonnen sich quäkend am Strande. Birken- und Weidengehölze, sturmgezauste, er­ grünen, und bunt schillern die Täler im Schmucke von Wiesenblumen und. Rräutern. Des Singschwan« Glockenruf tönt auf der Hochheide über den Seen und de« Edelfalken beutegieriger Schrei unterm Himmel. Lang währt der Winter, kein Morgen erhellt seine Nacht, nur de« Nordlichtes Flammengarben sprühen am dunklen Himmel über dem schweigenden Land. So ist's dort feit tausend und abertausend Jahren gewesen, und unberührt von Menschentritten liegt noch immer da« Eiland. Völker sind erstanden und sind zugrunde gegangen. Christus ist auf der Er­ de erschienen und hat den Menschen die ftohe und stolze Botschaft ihrer himmlischen Rindschaft gebracht. Der Römer Weltreich ist von den Germanen zertrümmert, die Sieger aber haben sich dem Glauben der Besiegten gebeugt und sind Christen geworden. VTur die wilden Wi­ kingerscharen im worden, Dänen, Norweger, Schweden, halten noch fest am Glauben der Väter. Auf stinken Drachenschiffen fahren sie weit über See, durchs sonnige Mittelmeer bi« nach Byzanz, verheeren die Rüsten, plündern als Rrieger, rauschen und handeln als Rauffahrer auch, wie sich'« gerade trifft. Im Frankenreich, in Britannien, in Ir­ land, auf den Hebriden, den Faröerinseln, haben sie Fürstentümer und Rönigreiche unter den Eingeborenen gegründet. In Rußland: in Nowgorod, in Riew hoch ob dem breiten Strom des Dnjepr, herrschen ihre Söhne über den Skythengeschlechtern der Slawen. Da hallen zum ersten Male Menschenlaute auf der einsamen Insel, frommer Gesang schallt in da« Tosen der Brandung: Mönche au«

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Irland find auf gebrechlichen Rahnen ins weite gefahren, um ein menschenfernes Land zu suchen, wo fie unbehelligt ihrem Gott dienen könnten. Aber in Ruhe zu Hausen ist ihnen nicht lange gegönnt, während fernab im Süden das Frankenreich Rarls des Großen unter blutigem Hader der Enkel zerfällt, braust in die Felsenföhrde eines Tages mit geblähtem Segel ein Drachen. Erschrocken fliehen die Mönche. Männer in Helm und Brünne, Äxte und Speere in Händen, springen von Bord. Vladdod, der Norweger, ist mit seiner Gefolgschaft gelandet. Verächtlich durchstöbern die Rrieger der Einfiedler kärgliche Hütten und klimmen zum Gipfel des höchsten Berges empor, weit hinein blicken fie in wüsten von Eis, in rauhe Lavafelder, in grünende Täler darunter, aber vergeblich spähen nach Spuren menschlichen Lebens fie aus. So segeln fie wieder davon und erzählen den staunenden Leuten daheim von dem wundersamen Schneelande ohne Menschen außer den wenigen Ruttenmännchen, die vor ihnen Reißaus genommen. Da macht Gardar, der Schwede, sich dahin auf, umsegelt forschend die Iusel, und nichts als Ode und Einsamkeit erspäht er. Floki wilgerdssohn, der Norwegerwiking, landet drüben im Westen, harrt einen Winter lang aus, und als er im Frühjahr über die Buchten blickt, die vom Treibeise starren, gibt er der Insel den Namen, der ihr geblieben: Island, das Eisland. verlockend zum Einwandern klingt das nicht in den Ohren, wenn manche auch meinen, es ließe sich dort immerhin leben: in den Strömen, die von den Gletschern nieder­ brausen, wimmelt's von Forellen und Lachsen, reich an Gras sind Täler und Almen, fettglänzende Robbenscharen heben neugierig am Strande die Röpfe, die riesigen Wale streichen furchtlos in nächster Nähe durchs Meer. Doch wen gelüstet es wohl, fernab von seines­ gleichen in menschenleerer Gde zu Hausen?

Die Siedler Hot ist«, die es erzwingt. Der erste Siedler auf der Insel taucht auf. Ingolf, ein vornehmer Mann, ist mit seinem Freunde Leif aus Norwegen nach Island gewichen wegen seines Zwistes mit dem Gau­ fürsten Atli. Im Südwesten, in der Rauchbucht mit den heißen, dampf­ wirbelnden (Quellen ringsum baut er sich an, unweit davon, wo jetzt die Häuser Reykjawiks, der Landeshauptstadt, sich reihen. Bald folgen ihm immer wachsende Scharen. Harald Zottelhaar, einer der vielen RIetnkönige in Norwegen, den sie später Harald Harfagri, den Haarschönen nennen, hat gelobt, Haare und Bart nicht eher zu kämmen und scheren, als bis er die andern alle unter seine Herrschaft gezwungen. Illach blutigen Rämpfen hat er's erreicht: in der Bocksföhrde hat er die Flotte der Gegner vernichtet im Iahre 872. Freigebig ist seine Hand denen, die den backen ihm

beugen, aber grausam hart faßt er zu, wo sie Widerstand findet. Für adlige Männer, die ihre Freiheit nicht aufgeben wollen um Vorteil, ist keines Bleibens in Vlorwegen mehr. VTtm, leichten Herzens kann die Heimat mit dem Heerschiffe rauschen und mildere Herren sich suchen, wem Abenteuer des Lebens Lust und Sinn ist, doch schwer wird es denen, die wohl um Beute und Ruhm werben auf Wikingfahrten, wie es Rriegern geziemt, die aber auch bauen und schaffen wollen für Söhne und Enkel: die Stolzesten und die Besten, sollen auch sie aus Haralds Gewalt nur fliehen, um andern Fürsten den steifen Nacken zu beugen? „Auf nach Island, wo keiner Herr über uns ist!" Zu Schiff steigt der Sippenführer mit den Genossen samt Wei­ bern, Rindern und Rnechten. wiehernde Rosse, brüllende Rinder, blökende Schafe werden ins Fahrzeug getrieben, gackerndes Federvieh tragen die Mägde in Rörben herein. Bauholz wird geladen, denn richtigen Wald, so heißt es, gibt es im fernen Eislande nicht. Die Pfeiler de« Hochsitzes, die Tempelfäulen werden sorgsam im Frachtraum ge­ borgen und mitgenommen, was der Drachen an Hausrat tragen kann und an Schätzen. „Land der Väter, leb wohl, eine neue Heimat gilts zu erringen!" Acht Tage dauert bei leidlichem Wetter die Fahrt. Da recken sich die Gipfel der Insel, da glänzen die Gletscherfelder am Himmelssaum auf. Die Pfeiler seines Hochsitzes, über Bord wirft sie der Führer: nicht Eigenwille und Zufall, der Gott, den er sich unter den Göttern zu seinem eigensten Schutzherrn erkoren, soll ihm den Grt weisen, wo ihnen zu hausen bestimmt ist. Der Riel knirscht auf den Strand. Weit genug dehnt sich vor ihnen in der Ode das Tal. Der Häuptling besteigt den Gchsenwagen und um­ fährt mit dem Feuer der lodernden Fackel das Land: so heiligt er e« zu seinem Eigentum sich. Fest zufassen heißt es für jedermann jetzt. Wohnhäuser werden gezimmert, Felsblöcke werden zu Hütten und Ställen gefügt und mit Brettern gedeckt, die Ritzen mit Moos gegen die Winterkälte verstopft, das Gehöft und die Weide umzäunt, und nun wird der Tempel erbaut. Der Führer der Sippe ist Priester zugleich: der Gode wird er daher nach seinem göttlichen Amte geheißen. Er ver­ sammelt zum Opferfest die Gemeinde. Im Halbdunkel des Heiligtums hinter dem Altarstein starrt des Donnergottes, starrt Thors grimmiges Antlitz au« dem Schnitzwerk des Pfostens herab. Des edelsten Ge­ schöpfes unter den Tieren, des Rosses Herz und Eingeweide werden dem Gotte gespendet, vom Fleische schmausen im Tempel die Männer und trinken in tiefen Zügen vom schäumenden Bier. Zweimal im Jahre, im Frühling und Herbst, ruft der Gode seine Leute zum Rat, zum Thing auf geweihtem Grunde zusammen. Bald bauen neben ihnen, an den Rüsten und weiter aufwärts am Strome, bis es die wüsten des Hochlandes wehren, neue Auswandererscharen sich an. Stammesgenoffen sind«, viele kennen einander von Gesicht oder vom Hörensagen noch au« der Heimat. Ein Blut, eine Not, ein Wille führt

sie zusammen. Schon halten je drei Nachbargoden ihre Thinge ge­ meinsam zu gleicher Zeit und an gleichem Ort ad. Und endlich, sechzig Jahre nach der Entdeckung der Insel durch den Wikinger Naddod, ist die Insel rundum besiedelt. Fernab der Welt Hausen sie nun in harter Bauernarbeit, die einst in Norwegen mächtige Hofbesitzer gewesen. Aber kleine Leute sind sie darum nicht geworden. Stattlich hat sich gar mancher Häuptling seine Halle erbaut und gerichtet. Im Hochsitze mit den geschnitzten Pfeilern, die er aus der Heimat mitgeführt, im purpurgesäumten Gewand, goldne Spangen am Arme, thront er über den Feuern, die langhin inmitten des Saales prasseln und lodern. Ihm zur Seite und ihm gegenüber tafeln auf den Bänken die Sippengenossen. Teppiche, gold»nd silberdvrchwirkte, schimmern rings an den wänden, Schilde, Äxte und Schwerter blinken über den Röpfen der Menge. Auf der (Euter« bank hinten lauschen den Reden, dem Liede des Sängers die Frauen. Stolz hebt der Hausherr das Haupt: fürwahr, nicht als ein Habenichts hat er die Heimat verlassen. Auf Handelsfahrten, auf Abenteuer schickt er die Söhne hinaus, willkommen geheißen werden sie an den Fürstenhöfen im Norden, fernab in Byzanz fechten sie als Gefolgs­ leute des griechischen Raisers jahrelang, bis sie zurückkehren zur Ultima Thule, der Insel am Ende der Welt. Denn nicht nur Hacke und Sen­ se geschwungen und den Pflug geführt haben sie auf dem Eiland da­ heim! Illach den Vogeleiern im steilen Rüstengewände sind sie über jähen Abgründen geklettert, durch die Meeresbrandung sind sie von früh auf mit Angeln und setzen gefahren, den Wal, den Riesen der See, haben sie im schwanken Rahne verfolgt, die Harpune nach dem Ungeheuer geschleudert. In Rampfspielen, im Speerwurf, im Ringen mit den Genossen haben sie ihre Rräfte gemessen, in Gegnerscharen den Ball aus Hartholz über das blanke Eis mit dem Schlägel gegen­ einander getrieben, Rede und Gegenrede scharf;» setzen gelernt. Hengst­ hatz ist ihnen lieb: Roß gegen Roß hetzen sie, spornen mit Stachel­ stäben sie an, bis sie, sich bäumend, wild ineinander verbeißen, und oft genug fallen die Treiber selber, wenn's anders geht, als sie wünschten, übereinander her mir den Stangen. Mancher Jüngling schon hat, bevor er in die Fremde hinauszieht, in Sippenfehden mehr als einen Gegner erschlagen. Wo so viele Stolze und wenig Demütige hausen, gibt's allezeit Rampf, gilt es allezeit, sich zu wehren. Dennoch, bei allem Hader, Jung und Alt spürt's, not tut es ihnen, zu einem Volk unter einem gemeinsamen Recht sich zu einen.

Staat und Recht Ein vielerfahrener Mann ist unter ihnen, der greise Norweger Ulfljor, der sich im Südosten angebaut hat. Ins Mutterland ist er von den Volksgenossen gesandt worden: das Landrecht soll er ihnen IO

schaffen nach dem Vorbild jener Gesetze, unter denen ihre Ahnen drüben gestanden, aber der neuen Weimar angepaßt und dem neuen Leben. Freundlich wird er empfangen, ;u leidlichem Frieden ist'« zwischen den Auswanderern und den Söhnen Rönig Haralds gekommen: denn der Vater schon hat es erfahren, nichts har er gegen die Geflüchteten mit den harren Schädeln auszurichten vermocht, nicht lang genug ist fein Arm gewesen, um übers Meer zum fernen Eiland hinüberzu­ reichen. Und wiederum ste haben die Liebe zum Lande der Väter in ihren Herzen bewahrt: „von draußen nach Osten fahren" heißen fie es immer noch, wenn sie Norwegens Rüsten besuchen, und „nach draußen" kehren ihre Schiffe zu Island zurück. Während aber Ulfljor drüben mir weisen Männern berät, reitet auf sein Geheiß Grim Geitsko, der „Ziegenhuf", von Gau zu Gau durch ganz Island und sucht nach dem Ort, wo da« gemeinsame Thing am tauglichsten zu ragen vermöchte. Dafür entrichtet ihm jedermann, Ropf für Ropf, seinen Pfennig, denn kein Rinderspiel, nicht ohne Ungemach und Gefährde ist'« wahrlich, monatelang über die reißen­ den Gletscherströme und da« Hochland im Schneesturm von Gehöft zu weitentlegenem Gehöfte zu ziehen. Östlich der Rauchbvcht, wo Ingolf als erster Land genommen hat auf Island, dehnt eine Ebene sich, die ist aus den Feuerflüssen der Rrater zu hartem Gesteine erstarrt. Hügelketten säumen ringsum das Feld, über die Hochheide zieht sich niedres Gehölz hin, Berggipfel, vom Glanze des Himmels umblaut, blicken herein. Der Axtfluß windet sich im steinigen Bett durchs Gefild, und Weideplätze grünen an seinen Ufern. Hier gibt es Raum für die Menge, für Reiter und Roß, hier ist in rauher, erhabener Weite der rechte Ort, über rauher und stolzer Geschlechter Geschicke zu raten. Nach drei Sommern und wintern ist Ulfljot im Jahre 930 zurück­ gekehrt au« Norwegen. Durch die Allmannagja, durch die „Allmänner­ schlucht" reiten Scharen um Scharen empor. Hacken und Spaten er­ klirren über dem Thingfeld, Axtschläge hallen: Buden werden zu beiden Seiten de« Stromes gebaut, Steine auf Steine geschichtet, die Wände mit rauhem Wollenstoff überdacht. Der Rand der Allmännerschlucht, wo er am höchsten aufragt, erblitzt im Strahle der steigenden Sonne. Da tritt auf den Felsblock darunter Ulfljot, im Frühwind wehr ihm das Silberhaar um die Schläfen, der Menge Gemurmel zu seinen Füßen verstummt, und den lautlos Lauschenden kündet'« der Greis: „Erreicht ist, wonach ihr verlangt habt — das Landrecht ist euch gesetzt!" Der Ehrfurcht vor den Geistern des Landes gilt das erste Gebor des Gesetzes: wer Islands Rüsten vom Meere her naht, der muß den Drachenschädel über dem Vordersteven des Schiffes entfernen, daß der Anblick des schreckhaft gähnenden Rachens sie nicht verstört. Zur Sommerszeit hat das Allthing alle Jahre auf vierzehn Tage zusammenzutteten. Sobald in der Frühe der Ramm der AllmännerII

schlucht aufleuchtet über der harrenden Menge, eröffnet den Rat alle­ mal einer aus Ingolfs Geschlecht, dem Gedächtnis des ersten Siedlers zu Ehren. Danach steigt der Mann auf den Leisen, dem es anvertraut ist, auf dem Thinge drei Jahre lang nacheinander zu künden, was rechtens auf Island ist — des Gesetzes Sprecher wird er genannt. Das lautet feinem Gehalt nach: dem Besseren gebührt, dem minderen Mann zu gebieten! Die Goden allein sollen tagen im Rat, wo Gesetze geschaffen, geändert und abgeschafft werden, in der Lögretta. Die Goden allein sollen die Richter ins Volksgericht wählen. Der Adel auf der Insel soll herrschen, aber ein Volk von harten, unbändigen Männern ist ihm in die Hände gegeben, und unter den Häuptlingen selber recken sich Röpfe, die nur ihrem Eigenwillen gehorchen. Bändigen soll sie das Recht, doch auch das Recht haben sie sich nach dem Vorbild des Rampfes geschaffen: das letzte Recht des Unter­ legenen bleibt'», den Sieger vor feine Rlinge zu fordern, wie mit dem Schwert um die Beute treten im Gerichtsgang die Gegner gegen­ einander an auf dem Thing mit den Verstandeswaffen der Rede: wer das Gesetz besser zu handhaben weiß, der gewinnt — wer darin fehl­ greift, wer nicht in allem den Rechtsgang geht, wie er festgesetzt ist, der verliert, auch wenn seine Sache gerecht ist. Ja selbst, wenn der Gegner mit roher Gewalt, mit der Übermacht seiner Anhänger den andern verhindert, zu richtiger Zeit vor dem Gericht zu erscheinen, ist dessen Anspruch dahin. So werden oft in der Rechtsfehde auch schließ­ lich die Schwerter gezogen und der Friede des Allrhings gebrochen: das Gericht wird gesprengt. Wem aber sein Recht zuerkannt worden ist von den Richtern, dem ist es damit keineswegs schon verschafft. Ihr Spruch bedeutet ihm nur: straflos darf er sich's ihrem Urteil gemäß vom Gegner erzwingen — wenn er's vermag! Selbst ist der Mann, heißt es letzten Endes auch hier. Al« Rechtloser aus der Gesamtheit des Volkes ausgestoßen wird nur, wer am Allthing geächtet, wer zum „Waldgang" verurteüt wird, wie es nach dem Vorbild im Mutterland heißt. Jedermann darf ihn, wo er ihn antrifft, erschlagen und niemand ihn irgendwie unter­ stützen. Aber den Großen des Landes gilt es als rühmliches Rraftstück, den Verfehmten, wenn er nicht gerade ein gemeiner Verbrecher ist, dem Gesetze und allen Gefahren zu Trotz vor der Verfolgung durch die Verletzten zu bergen. Da haben besonnene Männer, verständige Röpfe, die guten Willens sind, stets zu schlichten und steuern, daß des Staates schwan­ kender Bau nicht zusammenbricht über dem Volke. Der Vergleich ist'« außerhalb des Gerichts, wo solche am kräftigsten wirken, wenn sich die streitenden Scharen, freiwillig oder gezwungen, ihrem Schiedssprüche fügen, nachdem sie die Rräfte in blutigen Fehden gemessen. Da regt sich der Sinn für Gerechtigkeit, der zutiefst in den Starrköpfen steckt, da wird Schuld und Sühne, da wird der Schaden sorgsam nach Billig12

fett abgewogen, den sie einander zugefügt haben an Blut, Ehre und Gut. Freilich, auch da trifft das Urteil härter zumeist den kleinen Mann als den Häuptling, dessen Aufgebot er in der Fehde gefolgt ist, und der Betroffene selbst findet es so in der Ordnung: Leuten un­ gleichen Ranges wird nicht mit gleichem Maße gemessen. Ein neuer Germanenstaat erwächst nach ihrem alten Lebensgesetz auf der weltfernen Insel: noch einmal gehen die Enkel den Weg, den ihre Ahnen im Mutterlande gegangen. Tüchtiges geschafft haben sie, trotz allen Fehden da« karge Land zur Blüte gebracht, gegen Ver­ armung der Volksgenossen durch Gemeindehilfe gesorgt, und dem Unwesen der Landstreicher gesteuert. Ruhmvolles gewirkt haben sie, Grönland entdeckt, und unter Führung Eriks des Roten besiedelt. Und Eriks Sohn Leif ist, vom Sturme nach Westen verschlagen, fern überm Ozean an einer Rüste gelandet, wo er mit Leuten von kupfer­ roter Farbe gekämpft hat und Handel getrieben. So hat er als erster den neuen Weltteil betreten, den wir Amerika heißen, fünf Jahr­ hunderte bevor ihn weiße Männer zum zweiten Male gefunden.

Heiden und Christen Aber nicht alle, die nach Island aufgebrochen, sind mit dem alten Glauben im Herzen hinübergezogen. Unn, die Tochter des Retil Stumpfnase in Norwegen, ist einem nordischen Heerkönige auf Irland, Olaf dem Weißen, zum Weibe ge­ geben worden und wird dort getauft. Unn, die Gedankentiefe, wird sie genannt. Ihr Mann und ihr einziger Sohn fallen im Rampf. Da macht sie sich mit ihren Gesippen nach Island auf und nimmt Land an der Breitföhrde im Westen, wie es sonst Männern nur zusteht, denn sie ist ein Ausnahmeweib. Rreuze, dem Lhristengotte zu Ehren, läßt sie auf­ richten vor ihrem Gehöft. Aber nach ihrem Tode verfallen sie, und ihre Nachkommen opfern wieder den Göttern. Helgi, der Hagre, ihr Schwager, hat sich angebaut an der Inselföhrde im Vlorden. Auch er glaubt an den Christ, doch ruft er zu­ gleich in Seenot und Rampfnot den Donnergott Thor an, daß er ihm helfe. Doppelt genäht, denkt er, hält besser. Solch karge Saat geht sseilich gar bald auf dem harten Boden de« Heidentum« ein, aber da« Heidentum selber beginnt mit der Zeit aus sich heraus zu verfallen. Der Eifer erkaltet unter den Vornehmen des Landes, Zweifel werden wach unter ihnen am Glanze der Heilig­ keit, mit dem die fromme Einfalt der Ahnen die Gestalten der Götter umwoben. Thorstein, Ingimunds Sohn, der als Häuptling im Seetale haust, ruft nicht mehr Thor an, Odin und Freyer: zum Unbekannten betet er, zu Dem, der größer als sie ist: denn Einer nur kann die Sonne und alle Welt geschaffen haben, so meint er, wer immer Er sei.

Die Seefahrer, die Handel mit den Leuten in den Südländern treiben, gleichmütig lassen sie sich von ihnen mit dem Sinnbild des Rreuzes bezeichnen: so verlangt'« das Geschäft, andernfalls weigern die Christen sich, Waren mit ihnen zu tauschen. Ein Lied nach der weise der alten Götterlieder kommt auf, keck erklingt beim Biergelag in den Hallen der Goden die „Lokasenna", die Lästerung der Äsen durch Loki, den Dämon der Flammen: un­ gebeten erscheint er unter ihnen beim Gastmahl in Ägirs, des Meer­ gottes heiligem Hause, Mord und Trug, Blutschande, Ehebruch wirft er den Himmlischen vor, und keiner der Geschmähten weist ihn zum Schweigen zu bringen, bis er vor Thor« drohend geschwungenem Hammer hohnlachend entflieht. Und manchen schwindet mit der Ehr­ furcht vor dem, was ihn die Väter gelehrt, jede Ehrfurcht vor gött­ lichem Walten: sie glauben, heißt es von ihnen, nur noch an die eigene Rraft. Aber die Menge des Volkes hält am Alten bei alledem fest. Da erscheinen die ersten Lhristenlehrer auf Island. Thorwald Rodransfohn aus Rlammach im Seetal, ein weitgereister Mann, ist im Lande der Sachsen bekehrt und getauft worden vom Priester Friderik, Bischof sogar soll Friderik sein. Den beredet der Isländer, mit ihm zur fernen In­ sel zu fahren, um dort auch seine Gesippen zu taufen. Jahrelang ziehen sie von Gau zu Gau durch das Land, aber wenige sind'« nur, die zu be­ kehren ihnen gelingt, und als am Thinge die beiden es wagen, dem Volke den neuen Glauben zu künden, werden sie de« Landes verwiesen. Da« Rönigtum in Norwegen hat Harald des Haarschönen Enkel, Glas Tryggwissohn sich erkämpft. Jarl Hakon, der die Herrschaft an sich gerissen hatte, der wilde Verfolger de« Christentums, ist erschlagen. Ein Leben voll Abenteuern hat Olaf geführt, bevor er die Rönig«kröne errungen. Nach dem Tode des Gatten hat ihn die Mutter, auf der Flucht vor Jarl Hakon nach Schweden, geboren. Dem Vaterland fern, auf dem Drachenfchiff ist er zu einem gewaltigen Wikingerhelden erwachsen. Auf allen Meeren in Nord, Vst und West hat er geheert. Auf den Felseninseln der Scillys in der Brandung de« Vzeans draußen, hat er einen greisen Einsiedler getroffen: der hat ihm da« trotzige Herz aufgetan für die Botschaft de« Heilands. Nun beginnt er als Rönig für seinen himmlischen Herrn zu werben, freilich nach Wikinger­ art; wo Mahnen und Drohen nicht hilft, bricht er den Widerstand seiner Untertanen mit Feuer und Schwert. Auch nach Island hat er seine Boten entsandt, doch als sie darangehen, die Götterbilder zu Stücken zu schlagen und die Tempel niederzubrennen, werden sie vom empörten Volke verjagt und entrinnen mit knapper VTot zu den Schiffen. Rönig Glas ergrimmt. Ein seltsamer Rirchenmann weilt bei ihm. Dankbrand, einen Grafensohn au« Bremen, hat der Vater in die Priesterkutte gesteckt, doch der wilde Gesell, der er war, ist er geblieben. In Dänemark hat er um ein irisches Mädchen den Nebenbuhler er­ schlagen und ist zu Glas geflohen: den kennt er von dessen Heerfahrten

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her. Das, denkt der König, dürfte der richtige Mann fein, die heid­ nischen Starrköpfe drüben zum Bekennen des wahren Gottes zu zwingen. Im Südosten der Insel landet Dankbrand. Ehrenvoll wird der Gesandte des V7orwegerkönigs vom Häuptlinge Hall „an der Leite" aufgenommen als Gast. Eine Bude wird seinen Leuten und ihm ein­ geräumt. von dort hallt Glockengeläute zum ersten Male auf Island. Die Messe zur Leier des mächtigen Erzengels Michael läuten sie ein. Weihrauchgewölk duftet und dampft, im bläulichen Dunste schimmern geheimnisvoll der Gottesdiener Seidengewänder von Silber und Gold und Edelgestein, und feierlich dröhnt in ftemden Lauten der Lob­ gesang aus den Kehlen der Männer, vom Glanze geblendet, staunen und lauschen di« Heiden: ein großer Gott fürwahr muß es fein, dem Priester in solchen Prachten sich beugen! Leiten-Hall schwankt: einen solchen Schutzherrn über den Wolken zu haben, wäre wohl gut, wie aber, wenn etwa ein Zauber verderblicher Art hinter alledem lauert? Da heißt e« sich vorsehen! Zwei alte gebrechliche Weiber, an denen ohnehin nicht viel zu verderben ist, läßt er von Dankbrand versuchs­ weise ins Tauftvaffer tauchen: unversehrt gehn sie hervor, und LeitenHall samt seinen Gesippen tritt zum Christentum über. Spottlieder auf den Heiland am Kreuz werden gesungen: die Sänger sucht Dankbrand auf und erschlägt sie. Zu Zweikämpfen wird er von den erzürnten Heiden gefordert, und allemal bleibt er der Sieger im Kampf. Besser als die alten Götter die Ihren weiß der Christ, scheinr's, seinen Gefolgsmann auf Erden zu schützen, mächtiger muß Er wohl sein! Männer von Ansehen, Giffur der Weiße, Hjalti Skeggissohn bekehren sich zu ihm. Dennoch muß nach drei Jahren der Ausländer, der Deutsche, flüchtig die Insel verlassen: allzu stark auf­ geräumt hat er unter den Gegnern, allzuviel Bluträcher ihrer Gesippen stellen ihm nach. Auf dem Allthing im Sommer schmäht Hjalti vom Gesetzesfelfen herab erbittert vor allem Volke die Götter: ein verbvhltes Weib, eine Hündin, höhnt er, sei Freyja. Auch er wird verbannt, aber kaum noch setzen die Heiden es durch mit der größeren Menge Gewalt. Glaubenszwist ist aufgerissen unter den Landsleuten. Die Duld­ samen, die sich dem Christentum aus tieferem Erfassen seines Gehalts zugewandt haben, wie der weise Njal, sie treten gegenüber den Eiferern für die neue Lehre zurück.

Der Vergleich Ein Jahr danach ist's. Auf dem Allthing hat sich die Menge fo zahlreich wie nie versammelt. Finstern Blickes mustern Heiden und Christen einander. Hjalti Skeggissohn, raunen sie, ist zurückgekehrt dem Spruch des Gerichtes zu Trotz. Und er erscheint: durch die Scharen

der Freunde und Feinde schreitet er stolz mit seinem Gefolge. Unter dem Gesetzesfelsen machen sie halt, zwei Rreuze, mannshohe, richten sie auf; einer im priestergewande entfacht auf dem Räucherbecken die Rohlen. Weihrauchgewölk weht übers Thingfeld. Sprachlos starren die Heiden. Laut verkündet der Verbannte die Botschaft des Christ. Da tost das Volk auf in zwei Haufen gegeneinander, nach dem Schwert­ knauf greifen die Männer. Indem rast atemlos ein Hirte heran. „Die Erde brennt!" gellt er, „Fever bricht aus dem Boden drüben im Süden!" „Die Götter grollen!" brüllt's aus dem Haufen der Heiden, „drauf und dran: schlagt die Götterverächter!" Die Rlingen hüben und drüben erblitzen. Da werfen sich Häuptlinge zwischen die Scharen. „Gesippen, Landsleute, Nachbarn, brecht den Thingfrieden nicht!" Hell hallt durchs Getöse eine Stimme, Snorri, der Gode von Heiligen­ berg ruft'«, er selber ein Heide: „Toren, brachen nicht vor Jahren auch hier Feuerflüsse zu unsern Füßen hervor? worüber zürnten uns denn da­ mals die Götter? wer hat den Vorteil davon, wenn wir selber einander vernichten? in die Scheiden die Schwerter: Rat gilt'» zu finden, daß wir in Frieden miteinander gedeihen!" Da trennen sich grollend die Scharen. Um Thorgeir, den Gesetzessprecher, treten die Goden zusammen: vermitteln, entscheiden soll er zwischen ihnen, seinem Spruch fügen sollen sich Christen und Heiden. — „Ein schwieriges Werk ist's", sagt Thorgeir, „das ihr mir aufgehalst habt: laßt mich allein!" In seiner Bude legt er sich nieder und zieht den Mantel über den Ropf. So liegt er reglos Tag und Nacht. Inzwischen haben die Gegner Muße, ihr heißes Blut abzukühlen und beiderseits sich zu besinnen. Ein kluger Mann ist er, der Thorgeir. Daß sich dem neuen Glauben auf die Dauer nicht Einhalt tun läßt, sieht er: hinter den Anhängern des Christentums steht der Norwegerkönig voll Begier, sich einzumischen und seiner Herrschaft die Insel zu unterwerfen, aber auch den alten Glauben gilt es zu schonen, um die Heiden nicht allzusehr zu verletzen, denn Sitte und Brauch der Väter ist fest verwachsen mit ihm! Ver­ gleichen, ausgleichen heißt's unter ihnen, daß jeder einen Teil seines Willens erhält und auf den andern verzichtet. Am folgenden Morgen, zur selben Stunde, da sie tags vorher die Schwerter gegeneinander gezogen, wirft er den Mantel vom Ropf und erhebt sich. Zum Thinge rufen heißt er die Menge. Auf dem Felsen steht er über dem Volke und kündet: Rein Staat kann bestehen, wo zweierlei Recht ist! So soll denn der Christenglaube von heute ab öffentlich gelten auf Island, wer aber den Göttern ferner­ hin opfern will, dem ist's nicht verwehrt, nur muß er es im Geheimen verrichten! Und auch Roßfleisch zu essen, wie sie es bisher getan, soll erlaubt sein, denn von dieser liebgewordenen Gewohnheit zu lassen, gefällt weder Heiden noch Christen. So wird dort auf dem Allrhing das Christentum eingeführt im Jahre eintausend nach Christi Geburt. Staatsklugheit hat noch ein­ mal die Leidenschaften gebändigt.

Des Freistaates Ende Airchen bauen die Goden jetzt statt der Tempel, statt des Tempel­ zolles ziehen den Zehnten sie ein. Fest- und Lasttage hält das getaufte Volk, wie das Gesetz es befiehlt, aber vom wehen des Heiligen Geistes in den Herzen haben die wenigsten etwas verspürt. Das alte Recht, Lehde und Blutrache gilt. Bevor sie zu Gewalttaten ausziehen, beten um Beistand sie nun zu dem Christ, und endlich, nachdem drei Menschen­ alter vergangen, fallen auch die Lesseln der Scheu, der Ehre, der Treue, der Zucht, in denen bisher noch der Väter hartes und stolzes Lebensgesetz sie erhalten. Aller Hemmungen los, herrscht statt des Lehderechts die Gewalt. Völlig verwildert das Volk, vergebens mühen sich Männer von Einsicht und frommem Gemüt, vergeben« mühen Priester und Bischöfe sich, dem Unwesen Einhalt zu tun. Die Bischöfe selber verwildern. Heimischen Häuptlingsgeschlechtern ent­ sprossen, sind sie zu großen Landesherren geworden. In Helm und Brünne, das Rreuz in der Linken, in der Rechten das Schwert, stürmen sie ihren Scharen voran in den Streit um die Güter der Welt. Mit ihren Dirnen im Bett werden sie von den Gegnern bei nächtlichen Überfällen gepackt und erschlagen. Lür jeden Lrevel kann man sich Lösung aus der Hand einer solchen Rirche erkaufen. Zum Untergang reif wird der Staat. In den Rämpfen und Schlachten des mächtigen Sturlungengeschlechrs zu Land und zu See mit den Gegnerscharen geht die Lreiheit des Volkes verloren: um die Gunst des Norwegerkönigs gegen die eigenen Landsleute werben die Lührer wechselweis um die Wette. Er nutzt es für sich. Im Iahre 126* müssen sie seiner Herrschaft sich beu­ gen. Ein neues Zeitalter bricht für die Isländer an.

Die Sagamänner Aber das Bild der Vergangenheit, da sie als freie« Volk nach der Väter Gesetzen und Sitten auch unter dem Christentum noch gelebt, haben die Sagamänner bewahtt, und ihre Nachfahren haben es bi« auf unsere Tage gerettet. Die einzigen Zeugnisse aus Germanenmund sind'«, die uns von dem Leben und Treiben in einem ursprünglichen Germanenstaat künden. Saga nämlich ist nicht, was wir unter Götter- und Heldensagen verstehen. Sie singt nicht von himmlischen Mächten und übermensch­ lichen Taten, sie will wirklich Geschehenes geben, wie sie es versteht, in der nüchternen Sprache de« Alltags: Geschichte sein will sie. Erwachse« ist sie im engeren Rreise der Sippe zunächst. In des langen winters immerwährender Nacht, vor den Langfeuern in der Halle des Häuptlings, am Herde im einsamen Bauerngehöft, wird von der Herkunft des Geschlechts unter den Sippengenossen gesprochen,

von den großen Taten der Ahnen und Enkel sowohl wie von der Siedlerarbeit daheim: von Fischfang und Heuarbeit, vom viehtrieb auf den Almen, von Fehden, von Rechtsstreit und Vergleich, von geächteten Männern, die ihr Dasein kummervoll in den Felsöden Listen. Da aber greift ihr Berichten schon über in andere Sippen­ bereiche, denn manch einen der Ihren haben Bande der Freundschaft, die er noch im Mutterlande geschlossen, haben alte Feindschaft und neue Fehde über ganz Island geführt. Auf den Gauthingen im Früh­ jahr und Herbst, im Sommer am Allthing schart sich die Menge be­ gierig lauschend um solche, die am besten und reichsten aus Vergangen­ heit und Gegenwart zu erzählen verstehen. Als Sagamänner werden sie dem Volke lieb und bekannt. Ihr Ehrgeiz erwacht, wenn sie über Meer gefahren sind und auf Irland gelandet, sehen sie: an den Höfen einheimischer Fürsten, die dort neben nordischen Wikingerkönigen herrschen, treten Erzähler auf, die künden in wohlgefügter Rede stundenlang von ihres Volkes Geschicken. Das können nur Meister, die einen Beruf gemacht haben aus ihrer Lust. Freilich, so wie der irische „Fili", der „gelernte" Dichter, es tut mit erhaben prangenden Worten, in Zerrbildern die Abenteuer bis zum Widersinnigen steigernd, daß die Gestalten der Menschen in Dunst und Dämmer gespensterhaft groß darin ragen, so taugt'» nicht der Nordmänner scharfem Blicke und Wirklichkeitssinn. Aber zum weiterbilden am eigenen Werke spornt es sie an. Ihren Bericht aus vergangenen Tagen bauen sie aus mit Bedacht auf die Wirkung, sinnen und modeln in Stunden der Muße daran. Skaldenlieder, die Heldentaten besingen, streuen sie ein, Gebllde voll innerer Glut, fteilich nach seltsamen Meistersängergesetzen überkünstlich gefügt, unsereinem schwer zu entwirren. Zu einer Ävnst eigenen Stils wird das Erzählen auf Island. Zum Runstwerk nach eignem Gesetz erwächst aus dem Geschichtsberichte die Saga. Dennoch, von Mund zu Mund weitererzählt, bleibt sie in ihrer Gestalt und in ihrem Wesenskern der Überlieferung treu. Im lZ. Jahr­ hundert erst, in der Verfallszeit der Sturlungenkämpfe, nach zwei Jahrhunderten des Christentums schon auf der Insel machen sich vaterlandsliebende Männer daran, die Erzählungen, denen sie lausch­ ten, niederzuschreiben. Geistliche sind es meist, aber aus ihrem Christen­ tum schaut da« alte Heidentum unbewußt-treuherzig allenthalben hervor. „Beim Christ" lassen sie die Witwe den Sippenhäuptling beschwören, für ihren ermordeten Mann blutige Rache zu nehmen. Daß Gvnnlaug, der stolze Held, mit den Sakramenten versehen ge­ storben sei und in geweihter Erde begraben, ist ihnen wichtig, und gleich danach zählen sie eifrig und voller Genugtuung auf, wie viele der feindlichen Sippe, Schuldige und Unschuldige, niedergemacht worden seien seinem Tode zur Sühne von den tapfern verwandten. So haben auch sie Gestalt und Gehalt der Saga nur wenig gewandelt. Sparsam ist des Sagamanns Vortrag mit Worten, nie spricht er von seinen Gefühlen, er urteilt nicht, er gestaltet. Äußerlich gelassen

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rollt er die Bilder der Vergangenheit auf, Tat gegen Tat setzt er in ihrem eigenen scharfen Licht gegeneinander, mehr nicht. Aber darin, wie er es tut, kann, wer Ohren zu hören hat, den Schlag seines Herzens vernehmen. So sind die Leute auch, die er schildert. Ihre Leidenschaft braust nicht, sie brennt verborgen tief in der Brust, wie unter der Eisdecke ihrer Gletscher der Feuerstrom im Erdinnern kocht. Egils Bruder, Thorolf Skallagrimsfohn, ist als Gefolgsmann des angelsächsischen Rönig« Aethelstan auf der Winheide gegen die Schot­ ten gefallen. Aethelstan trägt die Schuld daran, der ihn Egils warnen zum Trotz dem Verderben ausgesetzt hat. Bei dem Gelage nach der gewonnenen Schlacht sitzt Egil dem Rönige gegenüber, wie zum Rampfe gerüstet, den Helm auf dem Haupt, zu Füßen den Schild, das Schwert auf den Rnien. In grimmigem Schweigen blickt er zum Herr­ scher im Hochsitz empor. Seine Braven zucken, er reckt sie, und er zieht sie tief auf die Nasenwurzel hinab. Er reißt das Schwert halbwegs aus der Scheide und stößt es wieder zurück. Auch der Rönig nimmt nun fein Schwert auf und legt es aufs Rnie. So sitzen sie trotzig und stumm einander lange Zeit gegenüber. Endlich steht Aethelstan auf, streift einen Goldreif vom Arme, fetzt ihn auf die Spitze der Rlinge und streckt ihn Egil hin übers Feuer. Da steht auch der auf und holt sich den Ring mit seiner Schwertspitze von der des Rönigs herab. Ietzt glätten sich seine Brauen, die Waffen legt er ab, die Loten­ klage spricht er dem Bruder und greift nach dem Trinkhorn. Er ist versöhnt: Aethelstan hat seine Schuld am Tode Thorolfs an­ erkannt und sie mit dem wergeld, dem Werte des Mannes entspre­ chend, gebüßt. Arnkel, ein Häuptling im Gebiete der Breitföhrde, zögert, den Totschlag an einem seiner Mannen vor Gericht zu verfolgen. Da tritt die Witwe vor ihn: sie wehklagt nicht, sie rauft nicht ihr Haar und sie fleht nicht: sie hebt des Erschlagenen Haupt aus dem Mantel und streckt es ihm hin. „Der Mann, dem der Ropf hier gehörte, hätte sich schwerlich geweigert, wenn du ermordet wärst, den Gerichtsgang für dich zu gehen!" Auch wenn die Leidenschaft laut wird, zwingt sie den Sturm in der Brust, und ihre kalte Bitterkeit nur verrät, was sie leidet. Helgi har den Gatten der schwangeren Gudrvn erschlagen. Sie geht wie zufällig zu ihm und seinen Genossen hin, bleibt stehen und unter­ hält sich gelassen mit ihnen — um sich jeden zu merken, der mit dabei war. Helgi tritt auf sie zu und trocknet an ihrem Schurze das Blut ihres Mannes, das von seinem Speerblatt herabtrieft. Sie lächelt. — „Gehässig und schändlich gehandelt heiße ich das!" ruft einer seiner Gefährten empört. — „Laß dir's nicht leid sein", entgegnet ihm Helgi, „unter dieser Schürze, denke ich, wächst mein Mörder heran!" Er hat verstanden, warum sie unter ihnen sich umsieht, und gibt es ihr mit Tat und Wort zu verstehen: Feindschaft ohne Er­ barmen!

Die Isländer-Geschichten In solchen Bildern gestaltet der Sagamann seine Welt. Von WaffenlLrm klirrt ste, und blutig genug geht'« darin zu, denn nicht um das Leben im Frieden de» Alltags ist'» ihm zu tun: das wird neben­ bei nur geschildert. Aber „Mord und Totschlag allein und sinnlose Prügelgeschichten" sind'» nicht, reicht die wilde Lust an Grausamkeit, an Zerstörung ist es, die daraus spricht, auch nicht die Freude am Aben­ teuer allein. Unerbittlich zeigt die Sage es auf, wie aus verderblicher Tat die verderbliche Folge erwächst und zum Verhängnis sich webt. Da erhebt sich über den Abenteurer der Held, der furchtlos feines Weges schreitet, wie es fein Gewissen ihm weist, und das Sterbenmüssen hin­ nimmt als etwas, das keines Aufheben« wert ist. Im Bett vom Spieße des Gegners durchbohtt, sagt Westetn gelassen: „Das hat gesessen!" Atli, der den Tod seines Bruders gerächt hat, lächelt, vom Speer des Feindes an den Pfosten der eigenen Türe genagelt. „Diese breiten Speereisen kommen jetzt, scheint es, überall auf!" („Rerls, wollt ihr denn ewig leben!" hat Friedrich der Große seinen weichenden Grena­ dieren zugerufen.) „Das Leben ist der Güter höchstes nicht!" hallt es aus der Saga immerzu durch den Rampflärm, und im Liede de» Hohen kündete die Edda: Dein Vieh, es stirbt, die Vettern sterben. Einmal stirbst endlich auch du! Eines nur weiß ich, das ewig dauert: Es richtet den Toten fein Ruf! Für die Sippe, die Freunde, die Bundesgenossen mit allem, mit dem Gut und dem Leben einzusteh'n bis zum letzten, ist dem Manne das erste Gebot, eine Pflicht selbst dann noch, wenn die Seinen im Unrechte sind. Snorri, der Gode von Heiligenberg, schätzt seinen Gegner, den edlen Arnkel hoch über den eigenen Thingmann, dessen Ränkesucht ihm bekannt ist, ihm aber hilft er gegen den besseren Mann und das bessere Recht, denn wider Recht, denn wider Treue, wie sie der Vlordmann auf­ faßt, wider Ehre und Ansehn geht es dem Häuptling, wenn'» von ihm heißt, er läßt die Seinen im Stich. „Right or wrong, my country!“ sagt der Angelsachse, wenn es darauf ankommt, noch heut: recht oder unrecht, zu meinem Land stehe ich! Und so heilig ist das dem Genossen gegebene Wort, daß es unverbrüchlich gehalten wird, auch wenn es dem Geber zum Schaden unredlich erschlichen ist durch den andern. Thorkel nimmt den Thorbjörn auf dessen verlangen willig in seinen Schutz, der aber hat ihm verschwiegen, daß er in Fehde steht mit einem über­ mächtigen Gegner. „Ich zweifle", sagt der überlistete bitter, als er's erfähtt, „daß ich mich dir so leicht verpflichtet haben würde, hättest du es mir vorher gesagt!" Deswegen bleibt er seinem Versprechen doch tteu und teilt mit dem, der ihn ttog, die Gefahr.

Rechtlos dagegen ist dem Freund seiner Freunde der Feind. Ihn zu schonen, solang er noch schaden könnte, ist Schwäche. Den Ahnungs­ losen aus dem Hinterhalt zu erschlagen, schändet nicht, gilt als ein ehrlicher Sieg. List und Lüge sind wie Schwert und Speer Waffen, die unbedenklich der Rrieger, und ohne getadelt ;u werden, gebraucht. Minderwertig aber ist, wer dabei in weibischer Gehässigkeit aufgeht, wer dem Gegner die Achtung versagt, die ihm gebührt, und Heimtücke, Neidingstat, ist auch dem Feind gegenüber verpönt. Immerhin kann, wer sich am Gegner vergangen hat, der V*Ieti>mg selbst noch ver­ söhnen, wenn er sonst nur ein rechter Mann ist und seine Schandtat nicht ;u bemänteln versucht. Hrafn lehnt, zu Tode wund, vor seinem Nebenbuhler am Baum und bittet den Sieger um Wasser. Im Helme holte Gunnlaug und bietet es ihm. Da schlägt Hrafn dem Entblößten mit letzter Rraft das Schwert in den Schädel. — „Niederträchtig ist das!" ruft der Getragne. — „Das ist es," sagt Hrafn, „aber ich gönne dir nicht, in Helgas Armen zu ruhen!" Und Gunnlaug« letztes Lied lautet: In dem Sturm der Schwerter wußte Hrafn zu streiten wacker wider Gunnlaug, wie er's stets erwiesen. Zeugen seid ihr alle, keinem zagen Manne, Trog er mich zuletzt auch, lasse ich das Leben! verächtlich wird erst, wer zu seinen Taten nicht stehen und der Verantwortung ausweichen will: ein „Arger", der ärgste Feigling ist er dem nor&mann. „Ein ganzer Rerl", der seine Eigenart durchsetzt im Guten sowohl wie im Bösen, wird letzten Endes höher geachtet als einer, der edler aber weniger festen Sinnes ist. Tüchtigkeit ist die höchste Tugend des Mannes. „Ein Gewaltmensch durchaus" ist Hrafnkel, der mächtigste Häuptling im Osten der Insel. Wer ihm sich nicht fügt, Freund oder Feind, ist seine« Lebens nicht sicher: den eignen Gefolgs­ mann, der fein Gebot im Drange der V7ot übertreten und heimlich das Lieblingsroß seines Herrn geritten hatte, erschlägt er — und bleibt hochangesehen. Seine Herrenehre hat er gewahrt! So weit unter dem Himmel Vlordleute wohnen, hallt die Welt wider vom Ruhm des größten Skalden und Wikingers auf Island. Hatt gegen sich ist Egil Skallagrimssohn, unduldsam gegen andre. Habgier ist seinem Heldensinne gesellt: den Teil am Sühnegelde für Thorolf, den gefallenen Bruder, der dem Vater gebühtt, hält er ihm hartnäckig vor, den Sohn, dessen ftiedlicher Sinn ihn verdrießt, bringt er um einen Teil seines Erbes: als Greis, dem Tode nah, versenkt er seine Silberschätze heimlich im Sumpf und verkündet höhnisch die Tat. Die Achseln zucken die Leute wohl über solch störrisches Tun, doch nicht ohne stilles Behagen dabei: „ein ganzer Rerl" ist ihr wilder Held bis zuletzt in stattem Eigenwillen geblieben. So wachsen auch die Rinder in völliger Freiheit ihres willens bei­ nahe heran. Gezüchtigt werden sie nur in seltenen Fällen: der ganze

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Rerl vertraut auch aufdie Entwicklung seines Sohnes zu einem solchen. Kreilich hat es den Nachteil, daß er, wenn er selber die Wildheit seines Blutes nicht zu zähmen weiß, sie auch an seinen Rindern nicht zu dämpfen versteht. Grettir, der Unband, Asmunds Sohn, wird vom Vater auf die Alm zum Pferdehüten geschickt. In der Wut über da» störrische Lieblingsroß des Alten reißt er ihm mit dem Messer das Kell von dem Rücken. Asmund tobt. Grettir lacht und bleibt ungestraft, so sehr ihm der Vater auch droht. In Streit geraten ist Skallagrim mit seinem Sohne Egil, dem Rnaben. Er packt ihn, um ihn zu Boden zu schmettern. Skallagrim» alte Rindemagd wirft sich zwischen die beiden und trennt sie. Zur flacht fehlt Egil bei Tisch. Er ist in die Rüche gegangen und hat den Lieb­ lingsknecht des Vaters erschlagen. Skallagrim erfährt es und schweigt. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamme: seine verletzte Ehre hat der Rnabe gerächt. Skallagrim sieht es ein: er selber hätte wohl ähnlich in solchem Kalle gehandelt. Anders steht'» um die Krauen: untertan ist die Beschützte dem Schützer, unfrei ist nach den Landesgesetzen das Weib. Der Vater, der Vormund darf sie nach Gutdünken vergeben: willenlos wird sie aus seinen Händen in die des Gatten getan. Kreilich lockert das Leben das starre Gesetz: stolzer und trotziger Männer stolze und trotzige Töchter lassen sich nicht so leicht wie Sachen behandeln. Hallgerd wird von ihrem Vater, dem Goden im Lachsachtal ohne ihre Zustimmung vermählt. Sie läßt den ihr aufgezwungenen Gatten alsbald durch ihren tückischen Ziehvater erschlagen. Als sich wieder ein Kreier einstellt, wird zuallererst sie um ihren willen befragt. Und wer seine Tochter lieb hat und achtet, tut'» ohnedies. So räumt es auch die Billigkeit der ver­ letzten Krau ein, sich von ihrem Manne eigenmächtig zu scheiden. Asgerd mißbraucht'»: Thorkel, ihr Mann, der sie nicht ohne Grund der Un­ treue verdächtigt, will sie aus dem Ehebett weisen. „Immerzu," höhnt sie, „so erkläre ich mich vor Zeugen geschieden von dir wegen der Ehren­ kränkung, die ich erlitten, und nehme mein Weibergut mit!" Hochgeschätzt wird die tüchtige Hausfrau, frei schalten und walten läßt sie ihr Mann in ihrem Bereich mit Mägden und Rnechten. Ia, über ihr Bereich hinaus wissen sich manche Geltung und Anerkennung zu schaffen. Unn, die Gedankentiefe, die gleich einem Häuptlinge Land nimmt, bleibt nicht allein. Ein richtiges Mannweib, stolz und gescheit, ist Thorbjörg, die Dicke: in ihres Gatten, des Gauhäuptlings, Abwesen­ heit führt sie die Geschäfte und herrscht. Sie reitet zu ihrer Sennhütte hinauf. Da sieht sie einen Haufen Rleinbauern, die haben aus dem Hinterhalte Grettir, den Starken, den größten „waldgänger" Islands, überfallen und ihn gebunden, um ihn zu hängen. „Laßt ihn los!" herrscht sie ihre Thingleute an. „Arg, Grettir", ruft sie, „hat dich dein Schicksal im Stiche gelassen, daß solche Iammerkerle dich greifen konnten!" Sie führt den Befreiten mit sich und bietet ihm Obdach. Wenig erfreut ist der Gode davon, sie aber spricht: „Oft genug hat sich

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Grettir als einer der kühnsten Melden bewährt: höher noch als bisher wirst du geachtet werden, wenn es heißt, daß dein Weib einen solchen verfehmten zu bergen gewagt hat!" Zu Heldinnen wachsen Frauen in unverbrüchlicher Treue. Gisli, der Skalde und kühne Rämpe, der mit Aud, seinem Weibe, in herzlicher Eintracht lebt, wird geächtet. Ausgestoßen aus der Gemeinschaft der Menschen, irrt er, von Verfolgern gehetzt, von furchtbaren Träumen gequält, durch die Wildnis, aber immer wieder treibt ihn die Sehnsucht aufs Gehöft zurück zu seinem Weibe. Unter dem Hause hat er sich zum Versteck eine Höhle gegraben. Die Verfolger suchen Aud auf. Eyjolf, der Führer der Schar, hält ihr das Elend vor Augen, in das sie sich stürzt, jeden Vorteil verspricht er ihr, wenn sie ihm ihres Mannes Aufenthalt angibt und bietet ihr einen Beutel voll Silber. — „Laß mich das Geld sehen!" sagt sie. Er reicht ihr den Beutel. Da schlägt sie ihm den mit aller Wucht ins Gesicht, und blutüberströmt prallt er zurück. „Habe das von Weiberhand, Schurke, und Schmach und Spott dazu, solange du lebst!" „Erschlagt die Hündin!" schreit Eyjolf. Doch die Hand zu solchem V7eidingswerk will keiner seiner Mannen erheben. In sein letztes Felsenversteck flieht Gisli. Aud folgt ihm. Die Gegner umzingeln sie. Von hinten klimmt einer über die Rlippen zu ihnen empor. Aud erblickt ihn und schlägt mit dem Rnüppel nach ihm, er stürzt, aber zwei, die ihm folgen, reißen sie mit sich hinab. „Seit langem wußte ich'-", ruft Gisli, „daß ich ein gutes Weib habe, nun aber spür' ich'« erst ganz, wie gut sie mir ist!" Und ehe er sich zum Todeskampf unter die Gegner herabstürzt, reißt es sich ihm von den Lippen: Sieh mich zaglos sterben, wie ich stets gestritten, Meines Lebens Freude, o du Vielgeweue! wie aber Frauen aus weiblicher Eigenmacht über die Männer Gewalt gewinnen im Guten und, verhehlen läßt es sich nicht, mehr noch im Bösen, davon weiß die Saga oft genug zu berichten. Furchtbar räumt die Blutrache auf unter den Geschlechtern der Insel, aber barer Streit wilder Gewalttaten gegen Gewalt ist es nicht. Blindwütend soll die Rache der Leidenschaft nicht entspringen, sie ist ein „Gericht, das kalt verzehrt werden muß", heißt es, und „Rasch nehmen Rnechte nur Rache, aber ein Lump, wer sie läßt!" Sie ist für den Horb* mann auch eine sittliche Pflicht, das verletzte Recht herzustellen, das Gesetz selber erkennt ihre Selbsthilfe an, und schwer lastet sie oft auf dem Rächer. Thorgrim erschlägt westein, den Freund, der seinen Schwager an der Gattenehre gekränkt hat, Gisli, der Frieden zwischen ihnen zu stiften gesucht hat, tötet um westein, den ermordeten Freund, Thorgrim, den Mann seiner Schwester, und sie wieder muß um ihren Mann den geächteten Bruder, ihren besten Berater, verfolgen lassen, bis auch er unter rächenden Schwertstreichen fällt, wo die Ehre ge­ bietet, haben alle anderen Gefühle zu schweigen. Freilich, nicht immer wird Rache in solchem, dem Empfinden des Nordmannes sittlichem

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&inm geübt, und da sind es nun vor allem die Frauen, die Ränke spinnen und Hetzen, bis sie den Funken der Feindschaft in der Brust der Männer zu wilder, allesverzehrender Flamme entfachen. Einer Brün­ hilde gleich, stolz, schön und spröde, wächst Gvdrun Oswifstochter im Vaterhaus auf. Rjattan, der Sohn Olafs, des Goden zu Herdenholzen im Lachsachtal, ein gerader und kühner Gesell, sucht sie öfter auf an den warmen (Quellen vor ihrem Gehöfte. Bolli, sein bester Freund, sein Vetter und Ziehbruder, begleitet ihn immer dabei. Eltern und Rinder sind gute Freunde, und all« Welt findet, Rjattan und Gudrvn schauten, als wären sie eigen« füreinander geschaffen. Als er sich mit Bolli zur Fahtt nach Norwegen aufmacht, ist sie wenig damit zufrieden: er soll sie mitnehmen, verlangt sie. Er weist es ab und bittet sie, drei Winter auf ihn zu watten. In ihrem Stolze gekränkt, will sie Bindendes ihm nicht versprechen. So scheiden sie. In Norwegen gelangt Rjattan zu hohen Ehren als Gefolgsmann des Rönigs Olaf Tryggwissohn. Ingibjörg, des Rönigs Schwester, steht es gerne, wenn er sie zur Zwiesprache aufsucht: oft und lange sitzen sie beieinander. Bolli will nach Island zurückfahren. „Ich glaube," sagt er beim Abschied zum Freunde, „daß der Rönig einen Gefolgsmann wie dich kaum mehr freigeben wird, auch scheinst du selber so große Lust an deinen Ge­ sprächen mit der Rönigsschwester zu finden, daß dich nicht nach Island verlangen wird!" „Rede nicht so töricht", entgegnet ihm Rjattan, „sondern grüße mir die Gesippen und Frevnde!" Gudrun erwähnt er nicht eigens. Heimgekehrt, sucht Bolli an den warmen (Quellen sie auf. Er berichtet ihr von Norwegen und auch, was die Leute raunen über Rjattans Gespräche mit der Schwester des Rönigs. Sie wird bluttot. „Gute Botschaft", sagt sie schroff, „so erhält er das Weib, dessen er wett ist!" Htm wirbt Bolli um sie. Lange weigert sie sich, endlich wird sie von den Gesippen beiderseits übettedet und willigt ein. Im Jahr darauf bittet Rjattan den Rönig um Urlaub nach Island: zögernd nur erteilt ihn dem Gefolgsmanns Olaf und schenkt ihm ein kostbares Schwett. Ingibjörg reicht ihm beim Abschied ein Ropftuch aus Seide, mit golddurchwirkter Leiste geschmückt. „Lege es Gudrun Oswifstochter ums Haupt: die Frauen bei euch daheim sollen daran erkennen, daß e« keine Bauernmagd gewesen ist, mit der du hierzuland ttauliche Zwiesprache gepflegt!" Als Rjattan in der Breitföhrde landet, ist Gudrun Bollis Weib. Da schlingt er der sanften Hrefna das kostbare Tuch der Rönigstochter um die ettötende Stirn und hält Hochzeit mit ihr. Gudrun erfährt'«. Haß steigt in ihr auf gegen Rjattan: den Schmuck, der ihr zugedacht war, soll die Nebenbuhlerin ttagen. Auf einem Gelage bei Olaf, Rjattans Vater, erscheint mit den Ihren auch Gudrun. Nachdem die Gäste heimgeritten sind, vermißt Rjattan fein Schwett, das Rönigsgefchenk: im Sumpfe, nahe dem Weg, auf dem die von den warmen (Quellen heimgeritten, wird es, bis zum Griffe im Moore versenkt, ohne Scheide gefunden. Bei dem Gegenbesuch Olafs und seiner Söhne auf dem Gehöfte der Nachbarn vermißt 2*

Hrefna am nächsten Morgen ihren Ropfschmuck. Rjartan stellt Bolli zur Rede. „Allerhand Dinge kommen uns weg, und wir vermuten, in euer Gehege sind sie gelaufen!" Gudrun reckt sich auf und erwidert: „Da störst du in ein Feuer, Rjartan, das gerade du lieber nicht aufrühren solltest: vielleicht ist hier jemand, der ein besseres Recht auf den Ropfschmuck besitzt als Hrefna! doch darüber denkt, wie ihr wollt, mir gefällt'« jedenfalls, daß dein Weib nicht mehr prangen kann in dem Schmucke!" Erbittert scheiden die Gäste. Rjartan zieht Mannschaft zusammen, reitet zu den warmen (Quellen hinüber, umzingelt ringsum das Haus und hält die Leute darin drei Tage lang eingeschlossen, so daß keiner, um seine Notdurft zu verrichten, hinaus kann. Dann zieht er ab. Jetzt hetzt Gudrun die Ihren auf, Rache zu nehmen. Eine« Morgens ist sie bei Sonnenaufgang schon auf den Füßen, tritt an die Lagerstatt der Brüder und faßt den Ältesten an. Er fragt, was sie in aller Frühe schon wolle. „Besser als zu Häuprlingssöhnen", höhnt sie, „taugt ihr zu Bauerntöchtern, scheint mir: Rjartan, der uns Schmach angetan hat, reitet heut in der Vlähe vor­ über — ihr wißt es und schlaft!" Da springen die Brüder vom Lager und greifen nach ihren Waffen. Bolli aber will nicht zum Rampfe gegen den alten Freund zieh'n. — „So hat auch unser Zusammensein", ruft sie, „von jetzt ab ein Ende!" Da reitet er mit. Gudrun setzt sich ans Spinnrad und wirbelt den Faden in Hast, als gält' es ihr Leben. Gegen Abend erfährt sie: Rjartan liegt niedergestreckt am Schlucht­ weg, und Bolli war'«, der dem Freunde die Todeswunde versetzt. Sie eilt ihm entgegen. „Große Taten sind heute geschehen: Garn für zwölf Ellen Tuch hab' ich gesponnen, und du hast Rjartan erschlagen!" Er blickt ihr in« Gesicht und spricht bitter: „wie bleich du bist, Gudrun! so sehr erbleichen wirst du kaum, wenn du es einst hörst, daß ich draußen auf der Morderde liege!" Und nun folgt eine blutige Tat auf die andere. Bolli, von Rjartans Gesippen heimgesucht, fällt. Bollis Sohn wächst heran, und Helgi, Bollis Mörder, wird auf dem Rachezuge erschlagen. Sie aber bekennt es als Greisin dem Sohn: „Am schlimmsten hab' ich dem mitgespielt, der mir der Liebste gewesen!" Schwer haben es in solchen Zeiten Männer, die „ganze Rerle" sind und doch gütigen Wesens dabei, die langmütig sind, billig und ge­ recht selbst in der Leidenschaft noch. Gunnar von Leitenende, im Süden der Insel, steht auf der Walstatt, in Gedanken versunken, über den Leichen der Gegner, die ihn ungestraft lange gereizt, „wackre Arbeit hast du geschafft", ruft Rolskegg, sein Bruder, „aber lang har's gebraucht, bis du zur Hellebarde gegriffen!" „Muß ich darum weniger tapfer als andre sein", entgegnet ihm Gunnar, „weil es mir nicht so viel Freude wie ihnen macht, Menschen zu töten?" In treuer Freund­ schaft hält er zusammen mit Vkjal, dem älteren Manne, dem weisen. Ihre Frauen haben sich entzweit. Hallgerd, Gunnar« Weib, hochmütig und ränkevoll, stiftet ihre Rnechte an, Hausleute Njals zu erschlagen. Bergthora erwidert ihr mir dem gleichen. Den Pflegevater der Njals-

söhne läßt Hallgerd durch Gunnars aufgeblasenen Vetter ermorden, den Mörder läßt Bergthora niedermachen durch ihre Söhne. Aber vergeblich höhnt Hallgerd ihren Mann einen Feigling, vergeblich wirft Bergthora Vkjal vor, der Sippschaft drüben zeige er allzuviel Langmut. Immer wieder wissen die Freunde es gütlich untereinander zu schlichten: Schmach gegen Schmach, Mord gegen Mord wägen sie nach Gerechtig­ keit ab, und derselbe Beutel voll SUbers wandett als Bußgeld wechsel­ weis aus der Hand des einen verletzten in des anderen Hand. Uner­ schüttert steht Vljal der weise dem Freunde allzeit zur Seite auch in den zahllosen Fehden mir den Nachbarn, die Hallgerd ihm erweckt. Es nutzt nichts, daß Gunnar sie scharf verwarnt und einmal sogar empört mit einem Backenstreiche sie züchtigt. Da zieht das verderben über ihm sich zusammen. Nacht tst's. Im Obergemach ihres Hauses schläft er mit Hallgerd. Ihr treuer Wächter, der Rüde Sam, liegt auf dem Dache, den Aopf zwischen den Pfoten. Im Dunkel schleichen die Scharen der Gegner heran. Einer, der den Hund kennt, lockt ihn leis. Arglos springt Sam zu ihm herab, da wittert er den MLnnerhaufen im Finstern und fähtt dem Verräter mit wütendem Biß in die Weiche. Eine Axt schlägt ihm in den Schädel, gell heult er noch einmal, dem Herren zur Warnung, hinaus. Gunnar in der Schlafkammer droben fähtt auf die Füße. „Übel mitgespielt ward dir, scheint e«, Freund Sam, und mir bedeutet es wohl, daß ich dir nachfolgen soll!" Er greift nach dem Bogen, die Pfeile schwirren. Mann um Mann der Angreifer fällt. Das Dach zu erklimmen, versuchen sie hehlings, er schmettett sie mit der Hellebarde hinab. Sie werfen Seile über den Giebel, sie winden ihm das Dach überm Haupte herab. Thorbrand Thorlakssohn klettett wie eine Ratze am Balken empor, Gunnars Bogensehne schlägt er mit dem Schwette entzwei und stürzt, von der Spitze der Hellebarde durchbohtt. Hastig ruft Gunnar, ein paar ihrer Haarsträhnen solle ihm Hallgerd zusammenflechten zur Sehne. — „Liegt dir viel daran 7" fragt sie lauernd. — „Mehr nicht und weniger nicht als mein Leben!" „So zahl ich dir den Backenstreich heim, den du mir schlugst: nichts sollst du haben von mir!" „Recht so", entgegnet Gunnar gelassen, „seinen Ruhm sucht sich ein jeder nach dem, wie sein Herz ihm beschaffen!" n«4> langem Rampf mit der Übermacht fällt er. „Einen gewaltigen Bullen haben wir da zur Strecke gebracht!" ruft Gissur. Aber der greise Njal lebt noch. Als sein Ältester, Skarphedin, mit Gunnars Sohn Högni sich zum Rachezug rüstet, sieht ein Hirte des Abends: aus dem Grabhügel des Helden strahlt es hervor, aufrecht sitzt Gunnar im Glanze frohen Gesichtes und singt. Die Ver­ geltung über die Mörder ergeht. Oft streift jetzt njal einsam, fernab vom Gehöft und murmelt, tief in Gedanken versunken: von der Lehre des Christ hat er vernommen, und im Zwiespalt mit dem Glauben der Väter bewegt ihm die frohe Botschaft des Heilands das Herz. Da bereiten die eigenen Söhne ihm das Verderben: den Thrain Sigfussohn haben sie erschlagen, der einst untätig dabei saß, während ihr Pflegevater ermordet ward. VTjal, dem 26

Friedensstifter, gelingt es noch einmal, die verletzte Sippe zum Ver­ gleich ohne Blutvergießen zu bringen. Zur Sühne nimmt er Höskuld, Thrains unmündigen Rnaben zu sich, zieht ihn auf, lieb wird er ihm wie ein eigenes Rind, er verschafft ihm ein Godentum, daß er Hildigunn, die stolze Nichte des mächtigen Häuptlings Flosi, heimführen kann. Eifersucht auf den Ziehbruder beginnt sich unter Njals Söhnen zu regen. Der Tückebold Mord hetzt sie auf und verleumdet Höskuld so lange, bis sie ihn eines Tages erschlagen. In tiefem Gram steht Njal über der Leiche. „Lieber wär'« mir, ich hätte zwei Söhne verloren, und dieser hier lebte noch!" Gereizt spottet der grimmige Skarphedin: „verzeihlich ist'«, daß es dir so nahe geht bei deinem Alter!" „Das Alter ist's nicht", erwidert der Greis, „aber was daraus folgt, sehe ich: das ist unser aller verderben!" Seine versuche scheitern, die Mord­ sache gütlich zu schlichten: Flosi, von der Witwe unaufhörlich gestachelt, zieht Mannschaft zusammen, umringt mit gewaltiger Übermacht das Haus, aber die Njalssöhne, Skarphedin an der Spitze, schlagen die Angreifer unter schweren Verlusten zurück, bis Flosi es knirschend erkennt: mit den Waffen allein vermag er es nicht, sie zu zwingen. Da läßt er Feuer legen ans Haus. Flammen züngeln und lohen zum Dache hinauf. „Vljal, komm' heraus!" ruft er, „du bist ohne Schuld!" Der Greis tritt auf die Schwelle und schüttelt den Ropf. „Zu alt bin ich, um den Tod meiner Söhne rächen zu können, und in Schanden zu leben, begehre ich nicht!" „Hausmutter", ruft Flosi, „komm heraus — dich wollte ich um alles nicht drinnen verbrennen!" Sie tritt dem Greise zur Seite. „Jung ward ich Njal zum Weibe gegeben: da gelobte ich ihm, ein Schicksal solle über uns beide ergehn!" Sie kehren ins brennende Haus zurück, nebeneinander legen sie sich aufs Ehebett nieder, lassen ein Gchfenfell über sich breiten und schlagen das Rreuz über sich. Rrachend stürzt das flammende Dach über ihnen zusammen und begräbt sie mit ihren Söhnen. Im Morgengrauen scharen die Mordbrenner sich um die rauchenden Trümmer. Ein Mann kommt gelaufen und ruft: „So ist es denn wahr: eine Großtat ward hier vollbracht!" „Großtat — oder auch Übeltat!" spricht Flosi, „verschieden werden die Leute es heißen, aber ändern daran läßt sich nichts mehr!" So schauen die Geschichten, Großtaten und Übeltaten aus, von denen die Sage erzählt, und ihrer Weisheit letzter Schluß lautet: niemand kann seinem Schicksal entgehen, aber das Schicksal erwächst einem jeden auch aus der eigenen Brust, und Heldentum heißt, allen Gewalten von außen zu Trotz sich selber getreu bleiben bis in den Tod. Härteren Sinnes in einer rauheren Zeit waren unsre Ahnen als wir: manches, was ihnen als gut oder böse galt, wetten wir anders, in einem aber sind sie uns überlegen geblieben — offen und ehrlich haben sie sich zu ihren Taten und Trieben bekannt, wahrhafter sind sie gewesen als wir! Denn der Atem der Wahrhaftigkeit ist's, der letzten Endes jede Att sittlicher Anschauung adelt, in welchen vergänglichen Formen sie immer auf Erde erscheint.

Di« Edda Zeugnisse aber au» viel älterer Zeit noch haben die Isländer uns bewahrt. Snorri Srvrlasohn, väterlicherseits ein Nachkomme jenes Goden Snorri, der bei -er Einführung des Christentums auf dem All­ thing die Wut der entzweiten Menge beschwichtigt hatte, mütterlicher­ seits ein später Enkel des großen Wikingers und Skalden Egil Skallagrimsohn, dieser Snorri war ein hervorragender Staatsmann aus dem berühmten Geschlecht der Stvrlungen, zugleich Geschichts­ schreiber und Dichter. Er wurde in den Fehden seines Geschlechts 12*1 von den Gegnern in seiner Wohnung überfallen und ermordet. Sein Hauptwerk, die Heimskringla, der „Weltenkreis", behandelt die Geschichte des norwegischen Königtums von seinem sagenhaften Ur­ sprung an bis gegen Ende des 12. Jahrhunderts. Daneben hatte er einen Leitfaden für Skalden verfaßt, der unter dem Namen der Prosa-Edda des Snorri bekannt ist. Dieses Lehrbuch für Poeten ent­ hält unter anderm auch eine Reihe von heroischen und mythischen Erzählungen, die auf ältere Überlieferung in Liedform deuten. Eine solche Vorlage wurde dann in der Tat, freilich erst im 17. Jahrhundert, vom Bischof Brynjolf Sweinssohn auf Skalholt in Island entdeckt, der unermüdlich nach Zeugnissen für die Rultur seine« Volkes in heidnischer Zeit forschte. Es ist die Lieder-Edda. Die Heldensagen, die diese beiden Edden enthalten, geben uns nun merkwürdigerweise in der Hauptsache unser eigenes Sagengut zurück, und zwar in älteren Fassungen, als sie sich bei uns erhalten haben: unter Franken, Burgundern, Angelsachsen, Dänen während der Zeit der Völkerwanderung erwachsen, sind sie auf Handelswegen nach Nor­ wegen gelangt, ihr Inhalt ist zum Teil in altnordische Liedform gegossen worden, ist mit den Siedlern nach Island hinübergewandert und in treuem Gedächtnis bewahrt worden. In den Ländern ihres Ursprungs aber sind sie unter der strengeren Einwirkung des Christentums teils in Vergessenheit geraten, teils haben sie sich selbständig weiterentwickelt und den veränderten Zeitanschauungen angepaßt, so daß uns die alt­ nordischen Dichtungen allein ihren ursprünglichen Inhalt und Gehalt vor Augen führen. In unsrem großen Nibelungenepos aus dem 12. Jahrhundert z. B. lockt Lhriemhilde bekanntlich ihre Brüder ins Hunnenland, um Siegfrieds Ermordung an ihnen zu rächen, während es in der Edda ganz anders zugeht: wohl trauert sie auch dort in tiefem Leid um ihren unter Zustimmung der Brüder ermordeten Gatten, aber sich dafür an den Blutsverwandten rächen zu wollen, kommt ihr nicht in den Sinn — sie sucht vielmehr die Mörder zu schützen, die ihr zweiter Mann, Etzel, heimtückisch zu sich geladen hat, um sie ihres Goldschatzes zu berauben, und als es ihr mißlingt und sie gefallen sind, vernichtet ihre Rache den Hunnenkönig und ihre eigenen Rinder von ihm. Die Sippe, die Blutsverwandten stehen ihr eben trotz allem Übel, das sie ihr zugefügt haben, näher als der Angeheiratete, als Siegfried, so heiß

sie ihn liebt. So rückt der Wandel der Anschauungen nicht nur den inneren Gehalt in eine andere sittliche Beleuchtung, sondern er ver­ kehrt damit zugleich die äußere Handlung geradezu in ihr Gegenteil. Ohne die altnordische Überlieferung wäre uns diese Einsicht unmög­ lich gewesen. Am meisten Dank aber schulden wir den Isländern dafür, daß sie uns fast alles, was wir vom Götterglauben der Germanen wissen, er­ halten haben, denn die kümmerlichen Spuren, die sonst bekannt sind, werden erst durch die beiden Edden bis zu einem gewissen Grade erhellt und vervollständigt, mag auch die Götterwelt Ln den Hordlanden Be­ sonderheiten und vom Gemeingermanischen abweichende Eigenheiten aufweisen. Freilich bringen auch die Edden nicht unmittelbar religiöse Bekennmisse oder Weihegesänge, sondem Dichtungen, die gleich Helden­ sagen von den Taten und Schicksalen der Himmelsherrscher künden, überdies enthalten sie kaum alles, was einst in den Hallen der Häupt­ linge gesagt und gesungen ward von den Äsen und ihren Gegnem. Es ist, wie wenn wir am Himmelsrand einen Zug von eisglänzen­ den Alpengipfeln auftauchen sehen. Von Gipfeln: der zusammen­ hängende Grundstock der Höhenwelt ist an vielen Stellen von Hebel« verdeckt und verdunkelt. Dennoch läßt sich aus den Gipfelgestalten immerhin ein gut Teil des Grundstocks erschließen, ein anderer zum mindesten erahnen. Die Wissenschaftler legen den Ursprung der Mythen auf sehr ver­ schiedene weise aus. Sie suchen ihn, je nachdem, aus den Andrücken der Hatvrerscheinungen auf den Menschen zu deuten, aus dem Wechsel der Jahreszeiten, aus den Gestirnen, aus den wogenden Gestalten des Hebels sogar. Andre meinen, ihn aus den Träumen der primitiven erklären zu können, wieder andere aus dem sogenannten Seelenglau­ ben der Alwordern, aus dem Glauben an die Beseeltheit aller Dinge in der Welt. Sie werden jeder an seinem Teil recht haben, aber auf eines, auf das wichtigste, gehen sie dabei feiten ein, auf den Urgrund, meine ich, aus dem erst, wie Edgar Dacque es ausführt, die mythischen Vorstellungen alle miteinander quellen, auf den Urgrund, der als ein Ewiges in der Seele des Menschen ruht: auf ihre dichterisch-schöpferische Begabung, die sie befähigt, ja sie zwingt, alles, was sie außer sich erblickt und in sich erlebt, ihrer Auffassung gemäß zu Weltbildem zu gestalten und nach dem sittlichen Gesetz, das ihrem Wesen eingepflanzt ist, zu ordnen und zu wetten. Freilich reichen solche Auffassungen und Vorstellungen von den niedrigsten bei primitiven Völkern bis zu hocherhabenen bei begnadeten Ge­ schlechtern. Da dürfen wir denn getrost sagen: wir Germanen besitzen in den Göttergeschichten nicht etwa nur eine phantastisch-bunte Sagen­ folge, sondern einen Mythos, der sich an Tiefe des welterfaffens und an Gestaltungsvermögen ungefcheut mit dem der Hellenen messen kann, einen Mythos, der in Bildern von urwüchsiger Rraft ein ur­ sprüngliches Lebensgefühl zur Darstellung bringt, wie es sich durch die

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Jahrtausende hindurch auch unter uns späten Enkeln erhalten hat, ohne mit dem Christentum in Widerspruch zu geraten. Ein gewaltiges Trauerspiel von Schuld und Sühne der weltlenkenden Mächte und ein herrliches Schauspiel zugleich unversiegbaren Lebens, das aus Verderb und Vergehen in geläuterter Gestalt immer von neuem emporsteigt. Gleich die Schöpfungsgeschichte wuchtet in übermenschlichen Masten ein Reich nordisch-herber Eigenart auf. Ein Abgrund, endlos und leer, gähnt das Weltall, darin brütet zuunterst träge die dumpfe Masse, des Urriesen Leib. Da wälzt sich aus der stummen Leere im Norden krachend das Eisgewände des Gletscherwalles empor. Fern im Süden aber braust das Flammenmeer des Feuerreichs auf, und Funkenscharen stieben über den Urriesen im Schlafe zum Gebirge hin­ über: vom Glmschein des Geistes überloht, schmilzt das Eis, und aus dem Gestein taucht wehenden Haares ein Haupt: befreit entspringt der Äse, der Gott, den Banden des Stoffs, seinem eisigen Rerker. Des Gottes Söhne durchbohren mit Lichtspeeren den dunklen Urriesen drunten und bilden au« seinem Leib«, der leblosen Masse, die Erde, aus der Schädelschale das Himmelsgewölb, aus seinem dampfenden Blute das Meer. Da wächst aus der Tiefe der Weltenbaum auf und breitet sein Lavbdach über das All. Im Gewölke, das um den Wipfel der Welt­ esche wogt, hausen in herrlichen Hallen die Götter und lenken die Welt. Ödin, der Göttervarer in Walhall, dem Heldensaal der Gefällten, ein­ äugig wie der Himmel, der ein Sonnenauge nur hat, zu seinen Füßen zwei riesige Wölfe, zu Häupten zwei nachtschwarze Raben, sein« Boten, die ihm Runde zutragen aus aller Welt, schnell wie ihres Herrn Ge­ danke. Frigg, seine Gattin, die Allmvtter, in Fensalir, ihrem von (Quellen ummurmelten Waldheim, die Hüterin fraulicher Ehre und Zucht. Freyer, der Segenspender, der den Fluren Gedeihen verleiht und auf seinem Goldeber, sonnengleich strahlend, am Himmelsblau hinrollt. Freyja, seine Schwester, die Freundin der Liebenden, die im Schimmer ihres Halsschmuckes auf dem Ratzengespann durch die Luft gleitet, lautlos von weichen Pfoten gezogen. Heimdall, der Himmelswart, der vom Ropfe der Regenbogenbrücke droben scharfen Auges immerzu über die Erde späht bis ans Ende der Welt und hellen Gehöres erlauscht, was immer sich regt: wie der Grashalm auf der wiese sproßt und wie die wolle wächst auf dem Rücken der Schafe. Tyr, der einhändige Schwertgott, der seine Rechte im Rachen des grimmigen Weltenwolfs eingebüßt hat, als ihn die Äsen gefesselt. Und andere mehr. Aber wider ihr ordnendes Schaffen erhebt sich die Wut der Ele­ mente und der Ingrimm der Argen. Aus dem Meere im Sturm reckt die Seeschlange den DrachenschLdel voll Borsten, Wolkenwölfe heulen und rasen hinter Sonne und Mond her über den Himmel, Bergriesen tosen in Felsöden, Frostriesen stampfen eisklirrend, und die Mächte 30

-er Finsternis drohen herauf ans der Unterwelt, wo Hel, die fahle, die Todesgöttin, im Totenreich herrscht. In rastlosem Rampfe schirmen die Götter, die Äsen, das All. Der mächtigste Rämpe unter ihnen ist der Donnergott Thor, der hammer­ schwingende Rotbart. Auch Asathor hießen ihn die nordleute, de« göttlichen Donnerer, oder Wingthor, den Hammerschwinger, Hlorridi, den furchtbaren Brüller. Er ist es, der vor allen andern Göttern aus­ zieht gegen die Riesen: die kraftstrotzenden Thvrsen, die reifrauhen Hrimthursen, die freßgierigen Ioten. Im Wolkenwagen dröhnt Thor einher, aber nicht Rosse sind es, die das Gefährt in wilden Sprüngen dahinreißen, sondern schwarz und zottig mit krummem Gehörn zwei gewaltige Böcke, und ihre langen Bärte fegen dunkel wie Wolken­ strähne über den Himmel. Feurig glühen die Augen des Gottes, weit­ hin dröhnt sein Rampfruf, den Blitzhammer schleudert er, Mjölnir, den Malmer, der krachend herabschnellt. Alle Riesen zittern, wenn Thor im Wetter heraufzieht, und auch die Menschen schaun bange zum Himmel, ob sein Hammer nicht einschlage in Scheune und Haus. Aber wenn er gnädig vorübergerollt ist, dann rauscht der Regen herab auf Fluren und Felder, die Eisriesen sind von Weiden und Almen auf die Gletscher geflohen, und der Bauer zieht zur Arbeit hinaus auf den Acker. Darum heißt Thor auch der Beschützer der Menschen, des Menschenvolkes mächtiger Freund, und am ausführlichsten künden von seinen Abenteuern Sage und Lied. Einst war sein Blitzhammer dem Gotte abhanden gekommen. wild ward Wingthor, als er erwachte: Der Hammer fehlte zu Häupten dem Herrn! Es schwang den Bart, es schwenkte die Haare, überall suchte der Erde Sohn. Die Hot ist groß: wie soll er ohne den Hammer die Riesengeschlechter bekämpfen? Loki, der FeuerdLmon, fliegt in Freyjas Falkengewand durch die Welt, nach ihm zu fahnden. Da hört er, in Thurfenhetm gröhlt Thrym, der Winterriese: er hat ihn gestohlen, acht Rasten tief unter der Erde hält er ihn verwahrt. „nimmermehr holt sich den Hammer vom Riesen, Wer mir zur Frau Freyja nicht bringt!" Entrüstet weigert die Göttin sich, an den Unhold verschachert zu werden. Heimdall, der weise Himmelswart, rät: so soll denn Thor selber als Freyja verkleidet mir den Wolkenböcken nach Thursenheim ziehen, um den Hammer mit List zu erlangen. Da banden sie Thor den Brautschleier um Und schlangen ihm schimmernden Schmuck um den Hals, Schlüssel ließen vom Gurte sie scheppern, über die Füße den Frauenrock fallen,

Schmückten die Brust mit Gesteinen, die breite, Und knüpften ihm kunstvoll zum Rnaufe das Haar. Berge barsten, es brannte die Erde: Odins Sohn zog in der Eisriesen Reich! Der Unhold jauchzt, als er die gewaltige Braut nahen steht. Das Hochzeitmahl wird gerüstet und zum Schlüsse legt der Thurs, um die Ehe zu weihen, den Hammer der Braut in den Schoß. Da lacht das Herz in Hlorridis Leibe, da enthüllt stch der Gott, packt die furchtbare Waffe und schwingt fie: Thrym, den Tölpel, ttaf er als ersten Und schlug zu Trümmern des Thurfen Geschlecht. Go holte den Hammer Hlorridi heim! Und so wiederholt stch alljährlich Thors Abenteuer immer von neuem, denn wenn die winterstürme zu brausen beginnen, verschwinden Blitz und Donner aus der ftoststarren Welt, und erst, wenn die Erde im Brautschmuck des Lenzes erschimmerr, dröhnt Thors Hammer wieder im Wetter. Bei Ägir, dem Herren des Meeres gedachten die Götter ein Festgelage zu feiern, in seiner goldfunkelnden Halle am Grunde der See. Aber der Bräukessel fehlte dem Wirte, der groß genug wäre für so vieler Gäste gewaltigen Durst. Tyr, der Schwettgott, weiß Rat: einer allein besttzt einen solchen, Hymir, der Riese hoch im worden auf der öden Insel im Eismeer. Da macht stch Thor auf die Fahrt, um ihn vom Thurs stch zu leihen, von der Hausftau, der Allgoldnen, die in der Gewalt des Riesen schmachtet, fteudig begrüßt, wattet er auf ihren Gatten. Abend ward es, da stampfte der Unhold, Der hartgemute, ins hallende Haus. vom Angeln kam er, die Eisklumpen klirtten, Der struppige Rinnwald starrte von Reif. Die Bitte Thors schlägt er ab voller Hohn. „Den Ressel des Hymir führt keiner von hinnen, Der nicht den Thurfen an Rraft übertrifft!" wenn es Thor wagt, sein Haupt bei den Rraftproben, die er ihm be­ stimmt, als Pfand zu setzen, so wettet er seinen Ressel dagegen. Da bewährt stch als der Stärkere in allen Stücken der Gott, ja beim Fischen weit draußen im Meere reißt er zum Entsetzen des Riesen an der Angelschnur gar die erdumschlingende Seeschlange vom Grunde herauf. Zischend tobte, zu Tage gezwungen, Das Greuel der Tiefe im Glanze des Lichts, Es heulten die Wölfe auf rings in den Wäldern, Die Erde erbebte, die alte, in Angst!

Von Grauen geschüttelt, schlägt Hymir mit -er Apt in die Angelschnur, sie reißt, und das Scheusal versinkt. Den erbeuteten Ressel über den Ropf gestülpt, zieht Thor siegesstolz ab, und als der Riese heimtückisch mit unzähligen Scharen ihm nachsetzt, zerschmettert der Gott die ganze Sippe samt ihm. Rraftftoh schritt in den Rreis er der Götter: Hymirs Bräukessel brachte er heim. Nun trinken die Äsen zur Sommerszeit alle Bei Ägir im Saale selig ihr Bier! Da wußten unsre Ahnen: wenn die Nebelfchwaden dem Meere ent­ steigen, dampfen sie aus Hymirs Ressel vom Grunde der See — bis der Winter die Eisdecke über sie zieht, und damit der Ressel zurückkehtt in die Hand seines vom Sommertode wiedererstandenen Herrn. Von vielen Rämpfen noch kündet die Sage, die Thor in den wetterschlachten gegen die Unholde des Frostes, der Finsternis und der Gebirgsöden gewann. Seine größte Tat aber war, als er über den Himmelsrand, über Raum und Zeit hinaus zu den Ioten jenseits der Welt drang: ins ewige Dunkel des Alls, wo »»gebändigt die Urkräfte toben. Da schrumpft der Gott sogar vor den Ungeheuren zum Zwerg, so daß er im Gehäuse des Handschuhs, der dem Ioten entfallen, sich zu bergen vermag. Da narren ihn mit Blendwerk in Riesengestalt die Gewalten des Chaos: vergebens sucht er das Trinkhorn, das sie beim Gastmahl ihm vorsetzen, zu leeren; vergebens müht er sich, das Rätzlein, das in den Saal schleicht, wegzuheben vom Boden; vergebens spannt er alle Rraft an, Elli, die greise Amme des Ioten niederzu­ zwingen im Ringkampf! Und doch, selbst das Chaos, das sein Spiel mit ihm treibt, erbebt, da es Zeuge der Götterkraft wird, die er bei dem Spiele entwickelt! Und ins Unsichtbare schwindend, entziehen die Urgewalten sich seinem Blicke, um nicht von ihm gebändigt zu werden, nachdem ihm der Iotenherrscher bekannt hat, was er in Wahrheit vor ihren Augen gewirkt: „Es mündete drunten im Meere mein Trinkhorn — Da tatest du, Thor, einen tiefen Trunk: Stürzend wichen die Wogen vom Sttande, Es fiel zur Ebbe abwätts die Flut. Vom Grunde des Meeres die Midgardschlange Schwangst du als klagendes Rätzlein empor: Es fuhr ihr Rücken herauf aus den Fluten, Bange erbebte uns allen die Brust. Mit Elli rangst du, das war das Alter, Das alle Wesen in Weltenheim zwingt: Helheims Scharen horchten erschrocken, Ächzend wanfte der Weltenbaum!

Einer ist aber unter den Äsen, der ragt auch über Thors Tapfer­ keit und Rraft noch hinaus an geistigem willen und Schöpfergewalt, über allen Göttern thront, wie der Fürst über der Schar seiner Rrieger, Odin, der Himmelsherr. Wenn Thor rastlos den Kammer schwingt gegen die Riesen und im Abenteuer des Rampfes aufgeht, Odin leitet und lenkt den Rampf der Schaffenden und Erhaltenden gegen die zerstörenden Möchte. Odin ist Allvater: er sorgt um die Welt, die er aufgebaut hat, wie der Vater um seine Rinder. Er weiß, daß dem All und den Göttern in dunkler Zukunft der Untergang droht. Er weiß, daß alles, was rechten Sinnes ist, zusammenhalten muß, um dem weltstur; zu wehren. Da sendet er seine Schildjvngftaven aus, die Walküren: die tragen ihm die tapfersten Melden, die in der Schlacht gefallen, auf ihren Luftrossen nach Walhall hinauf. Dort sammelt er die Wiedererweckten um sich, daß sie dereinst mit ihm kämpfen in der letzten Schlacht gegen die Ungeheuer und Unholde, wenn Ragnarök, die Götterdämmerung anbricht. Seinen Sturmhut, dunkel wie die Wetterwolke, zieht Odin tief ins Gesicht, in seinen schwarzblauen Mantel hüllt er sich und geht als Weltenwanderer um, nach dem Rechten zu schauen und zu erforschen, was die Zukunft ihm bringt: Gänge, die keiner zu gehen wagt außer ihm. Bei den wildesten Riesen, bei den weisen der Urjett saß er zu Gast und fragte sie aus. In die Tiefen der Unterwelt stieg er hinab und weckte die Wala, die Seherin, auf von den Toten, daß sie ihm künde von ihrem Wissen. Gdrörir, den Göttertrank, den heiligen Met, brachte er aus finstrer Bergeshöhle auf Adlerfchwingen nach Asgard: wer von dem kostet, dem schwillt der Mut in der Brust, und was er künden will, wird zu Gesang. Vlwr ein Auge hat Odin. Um Weisheit hingegeben hat er das andre. Am Fuße der Weltesche funkelt ein Brunnen, vom Raunen des Laubes umraufcht: weither sprudelt des Weihers Quelle vom Innern der Erde herauf. Dort sitzt der Alte im Silberbarte, Mime, vom Moose vermummt: Es lauscht und lugt in das Licht der Lüfte Der Geist des Gewässers vom Grund. Einst blitzte ein Speer auf im Schatten des Baumes, Es stand am Strande ein Gott: Walvater spähte ins spiegelnde Wasser, Das Haupt im Helme geneigt. „Heimlicher Horcher am Herzen der Erde, Mime, hervor aus der Flut! weise dein Wissen, Geist der Gewässer, Es ruft dich der Walter der Welt!"

ZS

„„willst du dir, Walvater, Weisheit erwerben, Vom Innern der Erde erlauscht, So leihe mir, Odin, dein leuchtendes Auge, Der Tiefe zu schimmerndem Schmuck!"" Lange murmelte Mime mit Vdin Im Dunkel am dämmernden See, Es hörte kein Ohr auf dem Erdenrunde, was heimlich die Herrscher geraunt. Der Reichste ward Odin an Runenweisheit, An zwingender Zaubergewalt — Lerne funkelt in feuchter Tiefe Das Auge des Gottes vom Grund. Dennoch, trotz aller Tapferkeit Thors und allen Hochtaten Odins — der Götter Ende und das Ende der Welt rückt heran. Uber allem Erschaffenen und über seinen Schöpfern noch wirkt nach ewigen Gesetze das Schicksal. Aus dunklen Gründen des eigenen Herzens erwächst das Unheil den Äsen. .Vom listigen Feuerdämon Loki verlockt, haben sie in selbstsichrer Uberhebung dem Eisriesen die holdeste Göttin, Freyja, zum Weibe versprochen, wenn er ihnen die im Rrtege der Göttergeschlechter untereinander zerstörte Asenburg in winterfrist neu zu erbauen vermag, wie aber das Wunderwerk des Frostriesen, gleich einem Eisgebilde funkelnd, vor ihren Augen immer schneller emporwächst, packt sie Entsetzen, denn mit Freyja schwindet aus den Htmmelssälen die Iugend, und den alternden Äsen droht der Verfall ihrer Herrschaft. Da übertreten sie im Drange der Hot das Gebot der Treue, das sie selber der Welt zum Gesetze gegeben: sie brechen ihren Eid, sie täuschen und töten den Riesen. Aber wer sich gegen sein eigenes Innere verfehlt, um sich die Macht zu erhalten, büßt da» Recht zur Macht ein und bricht in sich selber zusammen. Da spüren es die Unholde allenthalben: lockerer werden die Bande der Zucht, grollend rotten sich die Scharen der Ungeheuer zusammen, und die zahllosen Heere der Toten, die Leichengespenster rosen im Aufruhr unter der Erde. Aber noch lebt Balder, Odins und Friggs Sohn, der Lichteste unter den Äsen, „furchtlosen Hebens, dem Frevel fremd". Und so­ lange ein Reiner unter den Göttern noch ist, kann da« Recht nicht völlig vergehen, und die Welt bleibt ttotz allem Frevel bestehen. Da fährt Balder eines Morgens verstört aus dem Schlafe, und Nanna, sein Weib, erschrickt: so bleich ist sein mutiges Antlitz! Schwer gettäumt hat er: Blut troff von Balderheims Wänden, Asenheim schrillte von Wehegeschrei! Zum Thinge unter der Weltesche eilen die Götter und Göttinnen alle, und kummervoll raten sie, was es bedeute, daß Balder so bange geträumt. Vdin aber besteigt seinen Sturmhengst und reitet den Todesweg nieder zur Hel, die Seherin, die Wala, aus

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dem Grabe zu wecken, um zu erfragen, was ihnen droht. Der Boden dröhnt, es heult aus den Rlüften, und wütend tobt an der Rette der Höllenhund (Barm, da er den Göttervater erblickt. Vor dem Grabhügel der Wala hält Odin. Mit zaubermächtigem Liede zwingt er die Seherin der Riesen heraus aus der Gruft. Da taucht die Tote aus dem Hügel im Unterweltsdämmer. Tau­ schwer hängen ihr die greisen Haare ums fahle Gesicht. „wer ruft mir ftemde aus fernen Reichen, Wer hat mir die Mühe des Weges gemacht? Schnee stob nieder, es schlug mich Regen, Tau beträufte mich, tot war ich lang!" „Es glänzen die Lenster der Totenhalle", ruft Odin, „für wen sind die Tische zum Schmause gerichtet, für wen sind die wände geschmückt?" Da hallt es traumbang vorn Hügel: „Auf Balder harrt der blinkende Humpen, Es deckt der Schild den schäumenden Trank: Die Asensöhne in Angst und Elend! Du zwangst mich zu reden — nun laß mich ruhn!" Aber Odin hebt beschwörend den Speer, und nicht eher läßt er die Tote wieder zum Schlafe hinab in die Gruft, bis er alles erfahren, wie's fein wird. Schweigend kehrt er zurück in Walhalls Saal, und stumm bleibt er auf alle angstvollen Fragen der Götter. Bangen packt Balders Mutter, die Himmelsfürstin. Fliegenden Haares eilt Frigg durch« Weltenall und beschwört, was atmet und wächst, was die Erde trägt und was unter der Erde sich birgt, Balder, dem Lichten, kein Leides zu tun: die Thursen im Geklüft, in den Höhlen die Zwerge, die Tiere im Walde, im Wasser den Fisch, die rauschenden Bäume, die reißenden Fluten, die ftessenden Flammen, das Er; im Moore, den starren Stein. Und alle geloben der bangen Mutter mit heiligen Eiden, Balder zu schonen, den Walter des Rechtes, den Welt­ versöhner, denn selbst unter Thursen und Ungeheuern ist keiner ihm feind. Aber einen hat die sorgende Mutter vergessen, den Mistelsproß. Gar zu gering dünkte die Gerte, Schwank und mager wie'n Mägdelein! Da schleicht der Feuerdämon, Loki, der Götterverräter, heran: den Sprößling reißt er an sich, und in seiner Zauberfaust schießt er jäh­ lings zum Speer auf... Alle Äsen und Asinnen jubeln, da Frigg heimkehrt mit ftoher Botschaft: nur Odin schaut schweigend vom Hochsitz. Lächelnd steht Balder im Saal, und seine Brüder erproben, wie ihre Waffen den Schwur halten, den Er; und Gestein und alle Dinge gelobten — von Balders Haupt weg schwirren die Schwerter und Steine, und die sausenden Speere gleiten an ihm vorüber.



Höd allem, der Blindgeborne, steht abseits, einsam und stumm. Da tritt Loki verstohlen zu ihm und drückt ihm den Mistelspeer in die Laust. „Mrs auch du Balder zu Ehren!" zischt er ihm zu. Hinter der Schar der Götter steht Höd und holt blinden Auges zum Wurf aus. Loki führt ihm die Hand. In weitem Bogen, über die Röpfe der Iubelnden weg schwirrt der Speer, und krachend stößt er — in Balders Brust! Im Blut liegt am Boden der Gott. Ein Angstschrei gellt: ent­ seelt stürzt Nanna über ihm nieder, sein Weib. Die Sonne verliert ihren Schein. Durchs Dunkel rennen und rufen die Götter. Den blinden Höd reißt Loki mir sich hinaus in die Nacht. Hur Odin schaut schweigend vom Hochsitz. Ratlos rotten sich auf Erden die Menschen zusammen, scheu lugen die Zwerge hervor zu den Höhlen, verstört starren die Riesen aus den Tälern und von den Gletschern zum finstern Himmel. An Balders Bahre in dumpfem Brüten Standen die Götter vor Grauen stumm: Der Hüter des Rechtes den Ränken erlegen, In ewige« Dunkel da« All gehüllt! Die weinenden Augen wandte die Asin, Die Mutter des Toten, im Trauerkreis. „Ist einer im Himmel unter den Helden, Der Hilfe im Harme der Harrenden bringt? wer wagt«, in die Tiefe dem Toten zu folgen Hinab in die Höhle der hungrigen Hel, Mit goldenen Schätzen die Gier ihr zu stillen, Um Balder zu lösen au« Leichenheim?" Hermod, der stolze, Odin« Sohn, reitet in die Unterwelt nieder. Da sah er im Saale die Schatten sitzen, Rings wie zum Trunk an den Tischen gereiht: Balder erblickte er bleich auf dem Hochsitz, Nanna erkannte er kummergeneigt. Da« Schweigen erschütternd, schallte sein Rufen: „wo birgst du dich, Fürstin, im finstern Gehävs? Balder kam ich vom Tod zu erbitten — Sprich, was verlangst du an Lösung als Lohn?" Da drang aus der Höhle hinten im Dunkel Hohlen Rlanges die Stimme der Hel: „Ich nehme nicht Schmuck und nicht schimmernde Schätze, Ich nehme als Gabe nicht Gold für den Gott!

Wenn Wenn Dann Dann

alle Wesen in Weltenheim weinen, keines die Tränen dem loten versagt, öffn’ ich dem Äsen die eherne Pforte, laß ich ins Leben den Lichten zurück!"...

Da wanderte Frigg durch die endlosen Weiten Im Rreise der Welt mit dem Rrug in der Hand, Dem toten Sohne die Tränen zu sammeln, Von allem, was Balder, den Äsen, geliebt. Da weinten in Midgard der Menschen Geschlechter, Zähren entrollten dem Zwerg im Geklüft, Den trotzigen Riesen entrollten Tränen, Den reißenden Tieren im ragenden Forst. Es Die Es Es

meinten die Wolken droben im Winde, auf dem Wege die Wandernde sahn, weinten die Blätter an Bäumen und Büschen, raute von Tropfen das tote Gestein.

Abend ward es, da traf die Astn In rauhem Gewände das riesige Weib, Lokis Gefährtin, die Feindin des Lichtes, Das Rinn gestützt auf die stemmende Faust. Es zischten ums Haupt ihr die züngelnden Schlangen, Ralt erklang es au« ödem Geklüft: „Warum soll ich weinen um Walhalls Wehe? Was schiert mich Balder, der Bringer der Lust? ,Danklos? heiß ich, die harte Dirne, In nächtiger Höhle vom kleide genährt! Es kennt nicht Tränen mein trockenes Auge: Behalte auf ewig Hel, was sie hat!" Gefallen ist der Hüter des Rechtes. Zum Untergang reif ward das All. In Frevel und Tücke rast, aller Zucht ledig, die Welt. Bruder mordet meuchelnd den Bruder, Die Sippe schänden Geschwistersöhne: Schwertzeit, Schreckzeit, Schildekrachen, Sturmzeit, Wolfzeit heult durch die Welt. Blutüberronnen erschaudert die Erde. Der Sommer schwindet aus den Landen für immer, und der Fimbulwinter, der Gewaltwinter, der letzte auf Erden, bricht an. Bleich schaut die Sonne aus grauem Ge­ wölk ohne Wärme und Rraft. Schneestürme wirbeln, Eishagel prasseln. Da rieselt auch aus den Zweigen des Weltenbaumes das Laub, und kahl ragt er über dem ftoststarren All.

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Und eines Tages saust ein Sturm durch die Aste der Weltesche, -äst der Wipfel tief niederfährt aus dem Fimmel: knirschend erzittert der Stamm, und in den wurzeln erkrachts, als stürzte der Baum. Die Bande der Unholde bersten, und die Ungeheuer wälzen fich empor in die Lüfte. Dort harren im Himmelsglanze vor Asgards Toren die Götter dichtgeschlossen der Leinde, Odin zu Roß an der Spitze, Gungntr, den Speer in der Rechten. In ihre lichte Schar bricht brüllend die finstre Flut, und der Weltkampf entbrennt. Götter, Helden und Unholde fallen. Da donnert über die Regenbogenbrücke im Wettergewölk Surt, der Flammenriese, mit den Feuersöhnen heran. In den Wipfel der Weltesche fährt seine Lohe. Im Brande flammt Asenheim. Der Himmel zerbirst und stürzt krachend nieder zur Erde. Zischend wälzt stch aus dem Meere der Dampf, und in den brausenden Wogen ver­ sinkt das All. Da wird es still, und wie in Urzeiten dampft über den wassern nur das Gewölk. Das ist Ragnarök, -er Götter Sturz und das Ende der Welt. Aber eines Tage« geht ein Wehen, das Atmen des Ewigen Geistes, über die Wasser: auseinander weichen die Nebel, Berggipfel heben sich aus der Flut, und abermals ersteht in jungem Grün aus dem grauen Meere die Erde. Heller noch als die versunkene Sonne erstrahlt eine neue, ihr Rind, aus der See, und wiederum reckt sich und rauscht in ftischem Laube die Weltesche über dem All. Aus der Höhle unter ihrem Stamme treten zwei Menschen, licht wie der Welt­ morgen, stark wie das Lebensverlangen: die haben, während die Welt in Flammen verging, einander in den Armen geschlafen. über der Erde wölbt sich der Himmel von neuem. Wiederum ziehn wie in Urzeiten Götter in Asenheim auf, die Rinder der Alten, und der Väter Rraft blitzt aus ihren Augen verjüngt. Da grünen üppiger als je alle Wiesen, und reichere Frucht tragen die Äcker der Erde. Noch einmal taucht aus der Tief« der Unterwelt der Todesdrache empor, mit den Leichen der Frevler die blutigen Fänge beladen: die schwarzen Schwingen breiter er weithin, gen Himmel zu brausen, aber von seinem Glanze geblendet, sinkt er kraftlos zurück in den Abgrund. Darum, so sagen die Alten, ist uns eines als das Höchste über allem gegeben: tapfer zu leben und tapfer zu sterben! Denn in ewigem Wechsel wandelt sich alles, auch die Götter vergehen, aber das Gött­ liche, dem der Namenlose, der Starke von oben gebietet, es bleibt.

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