Die Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen: Gläubigergleichbehandlung und Arbeitnehmerschutz [1 ed.] 9783428548866, 9783428148868

In der Insolvenz des Arbeitgebers kann der Insolvenzverwalter in bestimmten Konstellationen Lohnzahlungen, die vor der I

110 66 4MB

German Pages 374 Year 2016

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Die Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen: Gläubigergleichbehandlung und Arbeitnehmerschutz [1 ed.]
 9783428548866, 9783428148868

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 335

Die Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen Gläubigergleichbehandlung und Arbeitnehmerschutz

Von

Arno Doebert

Duncker & Humblot · Berlin

ARNO DOEBERT

Die Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Matthias Jacobs, Hamburg Prof. Dr. Rüdiger Krause, Göttingen Prof. Dr. Sebastian Krebber, Freiburg Prof. Dr. Thomas Lobinger, Heidelberg Prof. Dr. Markus Stoffels, Heidelberg Prof. Dr. Raimund Waltermann, Bonn

Band 335

Die Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen Gläubigergleichbehandlung und Arbeitnehmerschutz

Von

Arno Doebert

Duncker & Humblot · Berlin

Die Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft Hamburg – hat diese Arbeit im Jahre 2015 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-14886-8 (Print) ISBN 978-3-428-54886-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-84886-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im November 2015 von der Bucerius Law School in Hamburg als Dissertation angenommen. Die mündliche Prüfung fand am 10. Dezember 2015 statt. Aktualisierungen wurden bis August 2015 vorgenommen. An erster Stelle meiner Danksagungen steht nicht aufgrund der entsprechenden Gepflogenheiten, sondern mit Fug und Recht mein Doktorvater und Erstgutachter Herr Prof. Dr. Matthias Jacobs. Als Professor im Studium, als Chef während meiner Zeit an seinem Lehrstuhl und als Betreuer meines Promotionsvorhabens förderte er mich stets mit der ihm eigenen Ruhe, Freundlichkeit und Fröhlichkeit. Einen besseren Doktorvater kann man sich nicht wünschen. Meinem Zweitgutachter Herrn Privatdozent Dr. Sebastian Kolbe danke ich für die überraus rasche Erstellung des Gutachtens und die unkomplizierte und freundliche Kommunikation. Dem Hamburger Verein für Arbeitsrecht e.V. danke ich für die Auszeichnung dieser Arbeit mit dem Dissertationspreis 2015, über die ich mich sehr gefreut habe. Der großzügig dotierte Preis trug auf der finanziellen Seite ganz erheblich zu dieser Veröffentlichung bei. Der Kanzlei Reimer Rechtsanwälte, insbesondere Herrn Dr. Tjark Thies, danke ich für den mir gewährten Freiraum zu Beginn meines Berufslebens, der es mir ermöglichte, diese Arbeit fertigzustellen. Meinen Freunden Henning Peters und Olivia Czerny danke ich für verschiedenste Hilfestellung, insbesondere das Korrekturlesen und die Unterstützung bei der Vorbereitung auf die mündliche Prüfung. Meinen Eltern danke ich für die bedingungslose Unterstützung auf allen meinen Wegen im Allgemeinen und die umfassende Förderung meines Promotionsvorhabens im Speziellen. Meinen Entschluss, das echte Arbeitsleben nach dem Studium zum Zweck der Promotion noch länger zu meiden, zogen sie nie in Zweifel und ermöglichten mir mit ihrer Großzügigkeit einen sehr schönen Lebensabschnitt. Das Wichtigste kommt wie immer zum Schluss: Meiner Partnerin Johanna Mester danke ich dafür, dass sie mir stets zur Seite stand und mich in den richtigen Momenten von den Büchern ablenkte. Hamburg, im Januar 2016

Arno Doebert

Inhaltsübersicht A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. Aktuelles Geschehen und Problemstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 II. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 IV. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Insolvenz und Konkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Zur Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3. Arbeitsrechtliche Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Funktionen und Prinzipien des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2. Historische Hintergründe zu Gläubigergleichbehandlung und Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3. Systematischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 4. Zweck der Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 5. Wirkung der Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Historie der Lohnanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 2. Arbeitsverhältnis in Krise und Insolvenz des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. Perspektive des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 4. Einzelne Anfechtungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 5. Rechtsfolgen der erfolgreichen Lohnanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung im Konflikt . . . . . . . . . . . . 245 I. Grundrechtswirkung und -geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 1. Subjektiv-rechtliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 2. Objektiv-rechtliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 II. Aspekte des Arbeitnehmerschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 1. Ratio und Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 2. Ausprägungen des Arbeitnehmerschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 3. Fazit zum Arbeitnehmerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274

8

Inhaltsübersicht III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 1. Vorbemerkung: Zweistufigkeit der par condicio creditorum . . . . . . . . . . . . . . 276 2. Einfachgesetzliche Basis der Gläubigergleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . 278 3. Dogmatische Grundlage der Gläubigergleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . 282 4. Inhalt und Wirkung des Grundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 IV. Verhältnis des Arbeitnehmerschutzes zur Gläubigergleichbehandlung . . . . . . . . 311 1. Kollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 2. Auflösung der Kollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 3. Abwägungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 V. Grundrechtliche Bewertung der Vorsatzanfechtung von Lohnzahlungen . . . . . . 325 VI. Regelungsbedarf? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

D. Regelungsmodelle und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 I. Vorbemerkung: Rechtspolitischer Spielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 II. Anfechtungsrechtliche Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 III. Sozialrechtliche Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 1. Ausdehnung des Insolvenzgeldzeitraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 2. Sonderleistung bei Lohnanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 IV. Haftung der (ehemaligen) Geschäftsleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 E. Exkurs: Rechtsweg für Klagen bei Lohnanfechtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 I. Ausgangslage und Entscheidung des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 II. Vorlage des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 III. Entscheidung des GmS-OGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 IV. Reaktionen und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 F. Zusammenfassung und Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 I. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 II. Wertende Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. Aktuelles Geschehen und Problemstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 II. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 IV. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Insolvenz und Konkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Zur Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3. Arbeitsrechtliche Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Funktionen und Prinzipien des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 a) Zielbestimmung des § 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 b) Grundfunktion in der Wirtschaftsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 c) Sicherung des Rechtsfriedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 d) Gemeinschaftliche Befriedigung und Gläubigergleichbehandlung . . . . . . . 27 e) Universalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 f) Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2. Historische Hintergründe zu Gläubigergleichbehandlung und Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 a) Grundlegendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 b) Römisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 aa) Zwölftafel-Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 bb) Missio in bona . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 cc) Actio Pauliana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 c) Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 aa) Italienisches Statutarrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 bb) Deutsches Partikularrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 d) Gemeines Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 aa) Rolle der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 bb) Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 e) Preußische Konkursordnung von 1855 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 f) Konkursordnung von 1877 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 aa) Rolle der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

10

Inhaltsverzeichnis bb) Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 g) Reform 1974 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 h) Insolvenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 aa) Entstehung der Insolvenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 bb) Ziele der Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (1) Erhöhung der Zahl eröffneter Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 (2) Stärkung des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung . . . . . . 56 (3) Verschärfung der Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (4) Effekt der Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 i) Fazit zu den historischen Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3. Systematischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Begriff und Bedeutung der Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) Verhältnis zur Einzelgläubigeranfechtung nach dem Anfechtungsgesetz 64 c) Eröffnung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 aa) Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (1) Definition und Kriterien der Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . 66 (2) Zahlungseinstellung, § 17 Abs. 2 S. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 bb) Drohende Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 cc) Überschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 d) Überblick: Relevante Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 e) Verhältnis der Anfechtungstatbestände zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 4. Zweck der Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 a) Befriedigungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 b) Anfechtungsgrund der Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung

74

c) Anfechtungsgrund der Anfechtung wegen unentgeltlicher Leistung . . . . . 75 d) Anfechtungsgrund der Deckungsanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 aa) Sanktionierung unredlichen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 (1) Materialien zur Konkursordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 (2) Unredlichkeitstheorie unter der Insolvenzordnung . . . . . . . . . . . . . 79 bb) Durchsetzung der par condicio creditorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 cc) Vertrauens- und Verkehrsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 e) Anfechtungsgrund des § 132 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 f) Präventionsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 g) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 5. Wirkung der Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 a) Theorienstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 aa) Dinglichkeitslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 (1) Klassische Dinglichkeitstheorie nach Hellwig . . . . . . . . . . . . . . . . 88 (2) Sachlich begrenzte relative Unwirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

Inhaltsverzeichnis

11

bb) Schuldrechtliche Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 cc) Haftungsrechtliche Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 b) Relevanz des Streits um die Wirkung der Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . 94 aa) Anfechtbare Schuldbegründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 bb) Insolvenz des Anfechtungsgegners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 (1) Primäranspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (2) Sekundäranspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 cc) Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern des Anfechtungsgegners in das Anfechtungsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 c) Geltendmachung der Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Historie der Lohnanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 a) Konkursordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 b) Insolvenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Arbeitsverhältnis in Krise und Insolvenz des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Grundsatz: Fortbestand des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Übergang der Verfügungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 c) Lohnansprüche in der Insolvenz des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 aa) Einfache Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 bb) Masseforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 cc) Eröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 dd) Relevanz für die Lohnanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 d) Betriebliche Übung verzögerter Lohnzahlungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 e) Arbeitnehmerrechte bei rückständigem Lohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 aa) Zurückbehaltungsrecht der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 bb) Kündigungsrecht der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 cc) Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 dd) Stellen eines Insolvenzantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 f) Insolvenzgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 aa) Entstehung des Konkursausfallgeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 bb) Europarechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 cc) Funktionen und Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 dd) Cessio legis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 ee) Vorfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 g) Betriebsverfassungsrechtliche Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 aa) Interessenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 bb) Sozialplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 h) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

12

Inhaltsverzeichnis 3. Perspektive des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 4. Einzelne Anfechtungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Allgemeine Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 aa) Rechtshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 (1) Verpflichtungsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 (2) Kollektivvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 (3) Verfügungsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 (4) Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 bb) Urheber der Rechtshandlung: Insbesondere zum vorläufigen Verwalter 134 cc) Gläubigerbenachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (1) Banküberweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (2) Weiterarbeit als Kompensation der Benachteiligung . . . . . . . . . . . 138 dd) Verdachtsperiode/Vornahmezeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 b) Nahestehende Personen, § 138 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 aa) Beweislastumkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 bb) Arbeitnehmer als nahestehende Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 c) Bargeschäft, § 142 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 aa) Zweck der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 bb) Anwendungsbereich und Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 cc) Voraussetzungen eines Bargeschäfts im Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . 146 (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (2) Unmittelbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (a) Rechtsprechung des BGH zu Dienstverträgen . . . . . . . . . . . . . 149 (b) Arbeitsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (aa) Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 (bb) Zuordnung von Zahlungen bei Rückständen . . . . . . . . . . 153 (cc) Zeitlicher Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (c) Rechtsprechung des BAG und Reaktion des BGH . . . . . . . . . . 157 (aa) Begründung des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (bb) Kritik des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (cc) Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . 163 (d) Weiterarbeit als Gegenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 d) Anfechtung von Deckungshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (1) Deckungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (2) Kongruenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

Inhaltsverzeichnis

13

bb) Kongruenzanfechtung, § 130 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (1) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (a) Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (aa) Kein anfechtungsrechtlicher Sonderbegriff . . . . . . . . . . . . 168 (bb) Kein einheitliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (b) Eröffnungsantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 (2) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 (a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 (b) Positive Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (c) Kenntnis von Umständen i.S.d. § 130 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . 173 (aa) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (bb) Wirkung und Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (cc) Relevante Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (3) Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 cc) Anfechtung inkongruenter Deckungen, § 131 InsO . . . . . . . . . . . . . . . 192 (1) Inkongruenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (a) Zeitpunkt der Zahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (b) Zahlungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (c) Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (d) Druckzahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 (2) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 e) Unmittelbar nachteilige Rechtshandlungen, § 132 InsO . . . . . . . . . . . . . . . 199 f) Vorsatzanfechtung, § 133 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 aa) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 bb) Gegenstand der Vorsatzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 cc) Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und Kenntnis des Anfechtungsgegners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 (1) Beweisanzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 (a) Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (b) Kongruenz und Inkongruenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (c) Widerlegung der Beweisanzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 (2) Kritik der Literatur und Reaktion der BGH-Richter . . . . . . . . . . . . 211 (a) Systematik und telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (b) Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 (c) Gegenindizien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (d) Vorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (e) Reaktion der Bundesrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (3) Neue Linie von BAG und BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 (a) Bundesarbeitsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

14

Inhaltsverzeichnis (b) Bundesgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 (c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 (4) Referentenentwurf 2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (5) Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 dd) § 133 Abs. 2 InsO: nahestehende Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 g) Unentgeltliche Leistungen, § 134 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 5. Rechtsfolgen der erfolgreichen Lohnanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 a) Pflicht zu Rückgewähr oder Wertersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 aa) Umfang der Rückgewähr: Netto vs. Brutto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 bb) Vollstreckungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 cc) Zinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 dd) Wiederaufleben der Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 b) Anfechtung des Verpflichtungsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 c) Folgen für den Insolvenzgeldanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 d) Rückwirkender sozialrechtlicher Schutz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 e) Geltung von Ausschlussfristen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung im Konflikt . . . . . . . . . . . . 245 I. Grundrechtswirkung und -geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 1. Subjektiv-rechtliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 a) Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 b) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 2. Objektiv-rechtliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 a) Drittwirkung und Schutzpflichtenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 b) Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 c) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 II. Aspekte des Arbeitnehmerschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 1. Ratio und Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 2. Ausprägungen des Arbeitnehmerschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 a) Einfachgesetzlicher Schutz des Einkommens und Existenzminimums . . . 256 b) Verfassungsrechtliche Basis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 aa) Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (1) Arbeitsrecht und Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (2) Lohnanfechtung und Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 bb) Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 cc) Art. 14 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (1) Dogmatische Besonderheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 (2) Eigentum und Lohnanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

Inhaltsverzeichnis

15

dd) Sozialstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (1) Inhalt und Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 (2) Grundrecht auf Gewährleistung des Existenzminimums . . . . . . . . 269 (3) Existenzminimum und Lohnanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 (a) Negativer Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 (b) Positiver Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 3. Fazit zum Arbeitnehmerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 1. Vorbemerkung: Zweistufigkeit der par condicio creditorum . . . . . . . . . . . . . . 276 a) Chancengleichheitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 b) Verteilungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 2. Einfachgesetzliche Basis der Gläubigergleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . 278 a) Insolvenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 b) Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 3. Dogmatische Grundlage der Gläubigergleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . 282 a) Aspekte der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 aa) Iustitia commutativa und iustitia distributiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 bb) Folgerungen für das Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 cc) Billigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 b) Verfassungsrechtlicher Gleichheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 aa) Inhalt und Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 bb) Folgerungen für den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung . . . . . 289 c) Gemeinschaftstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 aa) Rechtsgemeinschaft und Interessengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 bb) Wirtschaftliche Verlustgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 cc) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 d) Ausgleichshaftung aufgrund von Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 e) Eigentumsgarantie, Art. 14 GG und das Gebot effektiven Rechtsschutzes 297 f) Ökonomische Analyse des Rechts: Fiktiver Gläubigervertrag . . . . . . . . . . 299 aa) Insolvenzverfahren als kollektive Selbstbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 bb) Gläubigergleichbehandlung als Risikominimierung . . . . . . . . . . . . . . . 302 cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 g) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 4. Inhalt und Wirkung des Grundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 a) Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 b) Regelungsgehalt: Zulässigkeit von Durchbrechungen . . . . . . . . . . . . . . . . 307 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310

16

Inhaltsverzeichnis IV. Verhältnis des Arbeitnehmerschutzes zur Gläubigergleichbehandlung . . . . . . . . 311 1. Kollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 2. Auflösung der Kollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 a) Verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 b) Praktische Konkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 c) Angemessenheits-Verhältnismäßigkeit nach Ruffert . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 d) Zu berücksichtigende Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 aa) Eingriffsintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 bb) Besondere Schutzwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 cc) Öffentliches Wohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 dd) Leistungsprinzip und Ausgleichshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 ee) Veranlassungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 ff) Funktionsfähigkeit des Insolvenzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 gg) Externe Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 (1) Insolvenzgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 (2) Vollstreckungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 3. Abwägungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 V. Grundrechtliche Bewertung der Vorsatzanfechtung von Lohnzahlungen . . . . . . 325 VI. Regelungsbedarf? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

D. Regelungsmodelle und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 I. Vorbemerkung: Rechtspolitischer Spielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 II. Anfechtungsrechtliche Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 III. Sozialrechtliche Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 1. Ausdehnung des Insolvenzgeldzeitraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 2. Sonderleistung bei Lohnanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 IV. Haftung der (ehemaligen) Geschäftsleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 E. Exkurs: Rechtsweg für Klagen bei Lohnanfechtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 I. Ausgangslage und Entscheidung des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 II. Vorlage des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 III. Entscheidung des GmS-OGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 IV. Reaktionen und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 F. Zusammenfassung und Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 I. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 II. Wertende Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372

A. Einleitung „Das Gerechte ist so wenig wie das Gute oder das Wahre unmittelbar zu ergreifen und ein für allemal festzuhalten: es ist nur Leitbild im verschlungenen Dickicht unseres irdisch-geschichtlichen Daseins.“1

Diese poetische Formulierung Raisers steht aus zwei Gründen am Anfang dieser Arbeit: erstens, weil das hier zu untersuchende Thema, die Anfechtung von Lohnzahlungen, allgemein als äußerst ungerecht empfunden wird, was Anlass zu seiner Untersuchung gibt und zweitens, weil das Zitat den Anspruch und die Einschätzung des Verfassers widerspiegelt. Beabsichtigt ist nicht die Suche nach einer absoluten Wahrheit oder richtigen Lösung. Eine Kapitulationserklärung ist das nicht. Vielmehr wird die Lohnanfechtung als Phänomen an der Schnittstelle von Insolvenz-, Arbeitsund Sozialrecht begriffen, das von verschiedenen Seiten betrachtet werden kann. Damit ist freilich nicht gesagt, dass im Folgenden keine Position zu den rechtlichen Fragen bezogen werden soll.

I. Aktuelles Geschehen und Problemstellungen Die Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen – oftmals kurz als „Lohnanfechtung“ bezeichnet – hat in den letzten Jahren große Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Kurz gesagt, geht es darum, dass Arbeitnehmer, die im Vorfeld der Insolvenz ihres Arbeitgebers noch Lohnzahlungen erhalten haben, diese unter bestimmten Voraussetzungen an den späteren Insolvenzverwalter zurückzahlen müssen. Neben höchstrichterlicher Rechtsprechung2 zu Fällen der Lohnanfechtung wurde in Fachkreisen immer wieder über Urteile von Instanzgerichten3 berichtet. In der Folge gingen die juristische Fachliteratur4 und die Presse5 auf das Phänomen ein. 1

Raiser, ZHR 111 (1948), 75 (77). Insbesondere BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (373); BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602; BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37; BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 585/10, ZInsO 2012, 271; BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63. 3 u. a. AG Gera, Urt. v. 9. 7. 2007 – 4 C 654/07, ZInsO 2007, 1000; LAG Sachsen, Urt. v. 29. 4. 2008 – 7 Sa 457/07; AG Wunsiedel, Beschl. v. 15. 4. 2008 – 2 C 607/07, ZVI 2008, 221; ArbG Koblenz, Urt. v. 22. 1. 2009 – 10 Ca 2058/08, ZInsO 2009, 487; LAG Nürnberg, Urt. v. 31. 3. 2010 – 3 Sa 379/09, juris. 4 Ohne primär rechtswegbezogene Publikationen: Abele, FA 2012, 38; ders., FA 2009, 133; Bandte, in: FS Beuthien, S. 401; Berscheid, jurisPR-ArbR 38/2010 Anm. 2; Bork, EWiR 2009, 275; ders., ZIP 2007, 2337; Cranshaw, ZInsO 2009, 257; Dahl, NJW-Spezial 2010, Heft 21, 2

18

A. Einleitung

Auch die Politik erkannte die Brisanz des Themas: Bereits im Jahr 2007 war die Lohnanfechtung Gegenstand zweier kleiner Anfragen im Bundestag6. Das Bundesministerium der Justiz legte im Jahr 2009 einen Referentenentwurf für eine Änderung der Insolvenzordnung vor, der allerdings nie umgesetzt wurde. Ausschlaggebend für die fortdauernde Behandlung des Themas ist zunächst die offensichtliche politische Brisanz der Situation: Arbeitnehmer werden dazu verpflichtet, ihren bereits „verdienten“ Lohn zurückzuzahlen, obwohl die Position der Belegschaft in der Krise des Arbeitgebers für sich bereits schwierig ist7. Zudem wirft die Lohnanfechtung dogmatische Fragen des Anfechtungsrechts auf, das aufgrund des relativ jungen Alters der Insolvenzordnung insgesamt noch viel Raum zur Diskussion bietet. Selbst der BGH ist der Meinung, dass das Anfechtungsrecht eine Spezialmaterie sei, die einen hohen Grad rechtlicher Abstraktion und Komplexität aufweise8. Weiteres Interesse folgt aus den verschiedenen rechtlichen Berührungspunkten: Die Lohnanfechtung betrifft Aspekte des Arbeits- und Sozialrechts, deren Zusammenspiel mit dem Insolvenzrecht zusätzliche Fragen aufwirft. Die im Jahre 2009 aufgekommene Uneinigkeit zwischen BGH und BAG in der Frage nach der richtigen Rechtswegzuständigkeit für Klagen des Insolvenzverwalters auf Rückzahlung angefochtener Lohnzahlungen9 trug ihr Übriges dazu bei, der Lohnanfechtung auch außerhalb der Insolvenzverwalterpraxis große Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen. Nachdem zwischenzeitlich angenommen wurde, die Problematik habe sich erledigt10, kündigten die Regierungsparteien der 18. Legislaturperiode im Jahr 2013 in ihrem Koalitionsvertrag an, das Problem der Lohnanfechtung zu prüfen11. Neue 661; Grunsky, LMK 2009, 281504; Huber, NJW 2009, 1928; ders. in: FS Ganter (2010), S. 203 ff.; ders., EWiR 2011, 817; Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618; Klinck, AP InsO § 130 Nr. 1; ders., DB 2014, 2455 Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 ff.; ders., DB 2014, 2455 ff.; Laws, ZInsO 2009, 1465; Peters-Lange, info also 2008, 255; Pieper, ZInsO 2009, 1425; Plathner/Sajogo, ZInsO 2012, 581; Ries, ZInsO 2007, 1037; Ries/Doebert, ZInsO 2009, 2367; Sander, ZInsO 2009, 702; Schulz, DZWIR 2009, 254; Siegmann, WuB VI A, § 130 InsO 1.09; Vollrath, ZInsO 2011, 1665; Wegener, NZI 2009, 225; Windel, AP § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14; Wroblewksi, NJW 2012, 894; Zwanziger, BB 2007, 42; ders., DB 2014, 2391. 5 Der Spiegel 20/2009 v. 11. 5. 2009, Artikel „Im Namen des Gesetzes“, S. 110; FocusOnline v. 31. 1. 2009, Artikel „Mitarbeiter müssen Gehalt zurückzahlen“. 6 Vgl. BT-DruckS. 16/6297; BT-DruckS. 16/6488; BT-DruckS. 16/11871; BT-DruckS. 16/ 11928. 7 Wroblewski, ArbuR 2011, 34 (35) spricht von einem fortwährenden „Skandal“. 8 BGH, Beschl. v. 23. 3. 2006 – IX ZB 134/05, ZInsO 2006, 491 (492); so auch Thole, ZIP 2013, 2081 (2084). 9 Dazu unten A. 10 Büchler/Seehafer, BB 2009, 858. 11 Koalitionsvertrag „Deutschlands Zukunft gestalten“, abrufbar unter https://www.cdu.de/ sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf; http://www.spd.de/linkableblob/ 112790/data/20131127_koalitionsvertrag.pdf; jeweils S. 25.

II. Zielsetzung

19

höchstrichterliche Rechtsprechung im Jahr 201412 verstärkte die Aufmerksamkeit und bot Anlass für weitere wissenschaftliche Beiträge13. Das jüngste Resultat der Ankündigung im Koalitionsvertrag findet man im Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz vom 16. März 201514. Er sieht eine spezielle Regelung des Bargeschäftsprivilegs für Arbeitsverhältnisse vor.

II. Zielsetzung Erstes und grundlegendes Ziel dieser Arbeit ist es, die Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen nach der geltenden Rechtslage erstmals in einer zusammenhängenden Arbeit zu beleuchten. Dabei soll aufgezeigt werden, was die konkreten Voraussetzungen einer erfolgreichen Lohnanfechtung de lege lata sind und welche Grenzen insoweit bestehen. Zweites zentrales Anliegen der Untersuchung ist die Bewertung der festgestellten Rechtslage unter dem Gesichtspunkt des Arbeitnehmerschutzes. Das deutsche Recht hält im Bereich des Arbeitsrechts einerseits eine Vielzahl von Instrumenten und Regularien bereit, die dem Schutz von Personen in abhängiger Arbeit dienen. Gegen einen Sonderschutz für Arbeitnehmer in der Insolvenz des Arbeitgebers spricht andererseits der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung als tragendes Prinzip des Insolvenzrechts. Daher sind der dogmatische Hintergrund dieses Grundsatzes und seine Wirkung zu untersuchen. Erst dann kann die Möglichkeit von Lohnanfechtungen in diesem Spannungsfeld von Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung eingeordnet und bewertet werden. Das dritte Ziel besteht sodann darin, vor dem Hintergrund der ersten beiden Komplexe den gesetzlichen Regelungsbedarf in Bezug auf die Lohnanfechtung festzustellen. Die Einführung eines sog. „Arbeitnehmerprivilegs“ im Rahmen der Anfechtung stünde in Konflikt mit dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung. Entgegen diesem Grundsatz hat das Bundesministerium der Justiz15 in den Jahren 2009 und 2015 Referentenentwürfe vorgelegt, die einen Sonderschutz für Arbeitnehmer vorsehen. Neben einer Bewertung der Entwürfe soll eine mögliche Lösung im Sozialrecht dargestellt werden.

12 Siehe v. a. BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (373) und BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602. 13 Aus jüngerer Zeit: Klinck, DB 2014, 2455 ff.; Zwanziger, DB 2014, 2391 ff. 14 Abrufbar unter www.bmjv.de. 15 Seit 2013 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz.

20

A. Einleitung

III. Gang der Untersuchung Am Anfang der Arbeit stehen einige grundlegend Begriffsbestimmungen. Der erste Hauptteil befasst sich im ersten Unterabschnitt mit den allgemeinen Grundlagen der Insolvenzanfechtung. Dazu erfolgt zunächst ein Überblick über die Funktionen und Prinzipien des Insolvenzverfahrens und die historische Entwicklung des Insolvenzrechts. Im Anschluss werden die heutige Systematik des Anfechtungsrechts und die Funktion der unterschiedlichen Anfechtungstatbestände dargestellt. Zum Schluss des ersten Unterabschnitts wird untersucht, wie die Anfechtung wirkt. Im zweiten Unterabschnitt des ersten Hauptteils widmet sich die Arbeit der Lohnanfechtung de lege lata. Nach einem Überblick über die kurze Geschichte der Lohnanfechtung werden die rechtlichen Rahmenbedingungen, in denen dieses Phänomen auftaucht, beschrieben. Kernstück des zweiten Unterabschnitts ist eine umfangreiche Untersuchung der einzelnen Anfechtungstatbestände auf die Frage, inwieweit sie eine Anfechtung von Lohnzahlungen erlauben. Der erste Hauptteil schließt mit den Rechtsfolgen, die sich bei einer erfolgreichen Lohnanfechtung ergeben. Der geltenden Rechtslage nachgeschaltet ist im zweiten Hauptteil die Gegenüberstellung des Arbeitnehmerschutzes einerseits und der Gläubigergleichbehandlung andererseits. Dass die aktuelle Situation vor den beiden Prinzipien dargestellt wird, beruht auf zwei Überlegungen: Zum einen zeigt erst die Untersuchung der geltenden Rechtslage, welche Rechtspositionen und Prinzipien in welcher Intensität betroffen und dementsprechend auf ihr Verhältnis zueinander zu untersuchen sind. Zum anderen ermöglicht diese Reihenfolge dem Leser, sich dem Phänomen in seiner konkreten Gestalt zu nähern, bevor auf abstrakter Ebene der zugrundliegende Konflikt behandelt wird. Am Anfang des zweiten Hauptteils stehen allgemeine Überlegungen zur Wirkung und Geltung von Grundrechten, insbesondere im Privatrecht. Sodann wird untersucht, welche rechtlich greifbaren Aspekte des Arbeitnehmerschutzes durch die Lohnanfechtung betroffen sind. Es folgt eine Erläuterung des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung und dessen dogmatischer Wurzeln sowie seiner Wirkungen. Im Anschluss wird versucht, die beiden vorstehenden Aspekte zueinander in Verhältnis zu setzen, um als Ergebnis des zweiten Hauptteils die Frage zu klären, ob die Möglichkeit der Lohnanfechtung gesetzgeberischen Handlungsbedarf auslöst. Der dritte Hauptteil beschäftigt sich mit möglichen Regelungsmodellen. Dabei werden zunächst die Referentenentwürfe des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz untersucht. Anschließend wird die Alternative einer sozialrechtlichen Lösung erläutert und ein konkreter Regelungsvorschlag gemacht. Im Rahmen eines Exkurses wird der Verlauf des Streits um die Rechtswegzuständigkeit dargestellt.

IV. Begriffsbestimmungen

21

Am Ende der Arbeit stehen eine Zusammenfassung der wesentlichen Untersuchungsergebnisse und eine wertende Schlussbetrachtung.

IV. Begriffsbestimmungen Bevor in die Problematik selbst eingestiegen wird, sollen zunächst einige Begrifflichkeiten geklärt werden, um im Folgenden eine möglichst einheitliche und nachvollziehbare Terminologie gewährleisten zu können. 1. Insolvenz und Konkurs Unter der Geltung der Insolvenzordnung versteht man „Insolvenz“ heute als Oberbegriff für die in §§ 17 ff. InsO geregelten Insolvenzgründe der Zahlungsunfähigkeit, der drohenden Zahlungsunfähigkeit sowie der Überschuldung16. Streng genommen umfasst der Begriff der Insolvenz (lat. solvende non esse) allerdings nur die „Unflüssigkeit“, d. h. die Illiquidität, nicht dagegen die Überschuldung. Insoweit passt der Begriff in Rechtsordnungen nicht richtig, in denen – wie in Deutschland – auch die Überschuldung ein Insolvenzgrund ist17. In der vorliegenden Arbeit soll „Insolvenz“ dennoch im erstgenannten Sinn verwendet werden, um mit der üblichen Terminologie in Einklang zu bleiben. Teilweise wird für den Zustand nach der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auch der Begriff der materiellen Insolvenz gebraucht18, dessen Gegenpart, die formelle Insolvenz, den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschreibt19. Darüber hinaus wird der Begriff der Insolvenz oft als Synonym für den rechtlichen prozessualen Zustand verwendet, in dem sich der Schuldner in der Folge befindet: „XY ist in der Insolvenz“. Der korrekte Begriff für diesen Zustand des Schuldners ist eigentlich der Konkurs (lat. concursus creditorum), der nach seiner Herkunft das „Zusammenlaufen“ der Gläubiger zur gerichtlichen Teilung des Schuldnervermögens, also eine Gesamtvollstreckung beschreibt20. Der Begriff des Konkurses setzt ursprünglich voraus, dass mehrere Gläubiger dem Schuldner gegenüberstehen21. Mit der Ablösung der Konkursordnung durch die Insolvenzordnung wird der Begriff zunehmend gemieden, da er zu sehr mit dem alten Regelwerk verbunden scheint. 16 Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 1; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 9 Rn. 1; Weiland, Par condicio creditorum, S. 9; zu diesen Gründen siehe unten B.I.3.c). 17 Uhlenbruck, DZWIR 2007, 1 (1); kritisch zur Wortwahl des Gesetzgebers auch Jaeger/ Henckel, InsO, Einleitung Rn. 88 ff. 18 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 59; Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 1; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.15; v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 101. 19 Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 1. 20 Becker, Insolvenzrecht, Rn. 24; Bichlmeier, AuR 2011, 193 (193); Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 1. 21 Uhlenbruck, DZWIR 2007, 1 (1).

22

A. Einleitung

Allerdings stellt er auch für das heute geltende Recht einen präziseren Begriff dar, um die Situation eines Schuldners in der Gesamtvollstreckung zu beschreiben. Er wird daher in der vorliegenden Arbeit in dieser Bedeutung verwendet, ohne dass damit ein Verweis auf die alte Rechtslage intendiert ist. Allerdings muss dennoch auf gängige Begriffe wie „Insolvenzanfechtung“, „Insolvenzgläubiger“ oder „Insolvenzschuldner“ zurückgegriffen werden, um im Einklang mit der (unpräzisen) üblichen Nomenklatur zu bleiben22. 2. Zur Insolvenzanfechtung Üblicherweise wird bei den Anfechtungstatbeständen der Insolvenzordnung zwischen der allgemeinen und der besonderen Insolvenzanfechtung unterschieden. Die besondere Insolvenzanfechtung wird als solche bezeichnet, weil sie kein Äquivalent außerhalb der Insolvenz, d. h. in der normalen Gläubigeranfechtung (Einzelgläubigeranfechtung, heute nach dem AnfG), besitzt23. Kodifiziert ist die besondere Insolvenzanfechtung in den §§ 130 bis 132 InsO24. Verkürzt lässt sich sagen, dass die besondere Insolvenzanfechtung zur Ausdehnung der Gläubigergleichbehandlung dient, während die allgemeine Insolvenzanfechtung die Rückabwicklung sachlich ungerechtfertigter Vermögensverschiebungen bezweckt25. Die teilweise Abkopplung der Insolvenzanfechtung von der Voraussetzung verwerflichen Verhaltens – und damit die Entstehung der besonderen Insolvenzanfechtung – fand erst relativ spät statt26. Für die hier interessierenden Konstellationen ist gerade diese jüngere Form der Anfechtung von großem Interesse, wie die Untersuchung der Anfechtungsvoraussetzungen später zeigen wird. Ein wichtiger Begriff für die besondere Insolvenzanfechtung ist die sog. „Krise“. Er beschreibt den Zeitraum ab Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, soweit dieser Zeitpunkt innerhalb der letzten drei Monate vor dem Eröffnungsantrag liegt27. Er ist damit enger als der Begriff der betriebswirtschaftlichen Krise, der ganz allgemein die ernsthafte Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Schuldners oder Schuldnerunternehmens beschreibt28. In dieser Arbeit wird der Begriff der Krise im Zusammenhang mit der Anfechtung in seiner spezifisch anfechtungsrechtlichen Bedeutung verwendet. 22

Kritisch zu diesen Begriffen Jaeger/Henckel, InsO, Einleitung Rn. 89 ff. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.37; Jaeger/Henckel, InsO, § 129 Rn. 3; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 153; v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 6; Zeuner, Anfechtung, Rn. 83. 24 Zeuner, Anfechtung, Rn. 83; a.A. Klinck, S. 164 und Thole, ZZP 121 (2008), 67 (77), die § 132 InsO nicht zu den Fällen der besonderen Insolvenzanfechtung zählen. 25 Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 Rn. 1; siehe dazu ausführlich unten A.I.1. 26 Siehe unten B.I.2.f). 27 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.48; Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 130 Rn. 38. 28 Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 9 Rn. 1. 23

IV. Begriffsbestimmungen

23

3. Arbeitsrechtliche Begriffe Schon aus dem Thema der vorliegenden Arbeit ergibt sich ihr arbeitsrechtlicher Bezug. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Arbeitnehmerbegriff ist dennoch nicht erforderlich. Die hier zu beantwortenden Rechtsfragen setzen voraus, dass auf Seiten des Anfechtungsgegners ein Arbeitnehmer steht. Auch in der bislang zur Lohnanfechtung ergangenen Rechtsprechung war die Arbeitnehmereigenschaft des Anfechtungsgegners, soweit ersichtlich, in keinem Fall zweifelhaft. Daher soll hier der Hinweis auf die allgemein gebräuchliche Definition genügen, die unter einem Arbeitnehmer versteht, wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags zur Arbeit im Dienste eines anderen verpflichtet ist29. Keine besondere Bedeutung kommt im Rahmen der vorliegenden Arbeit der Frage zu, wie man die Vergütung des Arbeitnehmers bezeichnet. Es wird daher im Folgenden überwiegend der als Überbegriff gebräuchliche Terminus „Lohn“30 verwendet, ohne dass in Fällen des Rückgriffs auf die Bezeichnungen „Entgelt“, „Gehalt“ oder „Vergütung“ ein inhaltlicher Unterschied beabsichtigt ist.

29 So bereits Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht I, S. 34 f.; auch heute noch aktuell, siehe nur ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 35. 30 Vgl. ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 389a; siehe auch Junker, Arbeitsrecht, Rn. 237.

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata Im folgenden Kapitel wird untersucht, wie sich die Anfechtung von Lohnzahlungen nach der geltenden Rechtslage gestaltet. Bevor auf die konkreten Fallgestaltungen eingegangen wird, sind jedoch einige grundlegende Punkte zum Insolvenzverfahren und zum Instrument der Anfechtung darzustellen. Dabei soll auch auf die historischen Hintergründe eingegangen werden.

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung Um die Probleme und Besonderheiten der Anfechtung von Lohnzahlungen einordnen zu können, ist ein Blick auf die allgemeinen Grundsätze und die Funktionsweise der Insolvenzanfechtung unerlässlich. Eine ausführliche Darstellung des gesamten Rechtsinstituts und seiner Historie ist nicht beabsichtigt. Sie ist nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit und wurde zudem schon geleistet1. Aufgegriffen werden im Folgenden nur die Aspekte, die einem vertieften Verständnis der Lohnanfechtung und ihrer Folgen dienlich sind. 1. Funktionen und Prinzipien des Insolvenzverfahrens Der Effekt der Insolvenzanfechtung – die Rückführung von Vermögensgegenständen in die Insolvenzmasse – wirkt für Außenstehende teilweise willkürlich oder ungerecht. Das gilt insbesondere für die Deckungsanfechtung nach § 130 InsO, die auch unverdächtige Rechtshandlungen revidiert. Aber auch die Vorsatzanfechtung löst aufgrund der anfechtungsfreundlichen Rechtsprechung des BGH auf Seiten der Anfechtungsgegner regelmäßig Unverständnis aus. Um das Instrument der Insolvenzanfechtung zu begreifen, ist die Kenntnis der Hintergründe des Insolvenzverfahrens erforderlich. Maßgeblich sind die grundlegenden Wertungen des Insolvenzrechts, insbesondere die Ziele und Prinzipien des Insolvenzverfahrens. Sie sind deshalb knapp darzustellen. Eingegangen wird jedoch nur auf Aspekte, die für die Lohnanfechtung von Interesse sind. Dahinstehen kann daher zum Beispiel die Frage

1 u. a. Gerhardt, Systematik, passim; Zeuner, Anfechtung, passim; zur Historie Uhlenbruck, in: FS 100 Jahre KO, S. 3 (6 ff.); zur besonderen Insolvenzanfechtung Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 3 ff.; v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, passim; rechtsvergleichend v. Campe, Insolvenzanfechtung, passim.

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

25

nach einer generalpräventiven Wirkung des Insolvenzverfahrens2 oder die Darstellung der Verfahrensgrundsätze3. a) Zielbestimmung des § 1 InsO Wie sich aus § 1 InsO ergibt, ist das grundlegende Ziel des Insolvenzverfahrens die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger. Dieses Ziel kann zum einen durch Liquidation des Schuldnervermögens und Auskehr des Erlöses an die Gläubiger erreicht werden. Zum anderen kann die Sanierung eines schuldnerischen Unternehmens angestrebt werden, um mit dem später erzielten Erlös die Gläubiger zu befriedigen. Auch die Sanierung steht jedoch im Dienste der gemeinschaftlichen Befriedigung; der Erhalt von Unternehmen ist kein eigenständiges Verfahrensziel4. Es gibt auch keinen Vorrang der Sanierung vor der Liquidation; vielmehr stehen Liquidation und Sanierung als gleichberechtigte Ziele nebeneinander5. Weiterhin soll nach § 1 S. 2 InsO dem Schuldner durch die Restschuldbefreiung eine Rückkehr in die Marktwirtschaft ermöglicht werden6. Da dieser Aspekt für die Frage der Lohnanfechtung bedeutungslos ist, wird im Folgenden auf dieses Ziel des Insolvenzverfahrens nicht weiter eingegangen. Es ist noch zu bemerken, dass der Schutz der Arbeitnehmer nicht mehr ausdrücklich als Ziel des Insolvenzverfahrens ausgewiesen ist. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Insolvenzordnung7 enthielt noch einen zweiten Absatz des § 1, der in S. 1 bestimmte: „Die Interessen des Schuldners und seiner Familie sowie die Interessen des Arbeitnehmers des Schuldners werden im Verfahren berücksichtigt.“

Die Insolvenzordnung enthält einen solchen Passus nicht. Eine andere inhaltliche Ausrichtung kann dieser Abweichung jedoch nicht entnommen werden8. Auch in der Begründung des Entwurfs der Bundesregierung hieß es schon, das Insolvenzverfahren diene nicht dazu „das Arbeitsplatzinteresse der Arbeitnehmer gegenüber Rentabilitätsinteressen durchzusetzen.“9

2

Dazu Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 129 m.w.N.; R. H. Schmidt, Ökonomische Analyse, S. 33. 3 Siehe zur KO Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 5.1 ff. 4 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 109; Uhlenbruck/Pape, § 1 Rn. 1. 5 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 77 f.; v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 19; MüKo-InsO/Ganter/Lohmann, § 1 Rn. 2; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 2 Rn. 4. 6 Hierzu z. B. Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 15; ausführlich Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 26.01 ff. 7 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 9 f., 108 f. 8 MüKo-InsO/Ganter/Lohmann, § 1 Rn. 4. 9 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 76.

26

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

b) Grundfunktion in der Wirtschaftsordnung Allein die Lektüre des § 1 InsO genügt nicht, um Zweck und Funktion eines Insolvenzverfahrens und des ihm zugrundeliegenden Insolvenzrechts zu erfassen. Die Grundfunktion des Insolvenzrechts besteht aus wirtschaftlicher Sicht darin, den Zusammenbruch einer Privatwirtschaft in geordneter Form mit möglichst gerechtem Ergebnis wirtschaftlich sinnvoll zu bereinigen10. Nicht nur in der Krise ist ein funktionstüchtiges Insolvenzrecht eine unverzichtbare Voraussetzung einer freien Marktwirtschaft, in der aufgrund des freien Spiels der Kräfte zwangsläufig Marktteilnehmer wirtschaftlich kollabieren. Im Zusammenbruch sichert ein geordnetes Verfahren den Rechtsfrieden11. Aber bereits außerhalb dieses Stadiums ist für den Wirtschaftsverkehr wichtig, dass eine funktionierende Lösung für den Fall der Insolvenz eines Marktteilnehmers besteht. Das liegt daran, dass moderne Wirtschaftssysteme von einer ständigen Verfügbarkeit von Fremdkapital abhängen. Kredit wiederum ist auf eine funktionierende Haftungsordnung angewiesen12. Gerade in der Insolvenz muss sie sich bewähren, um den Gläubiger vor dem Totalausfall wegen willkürlicher Aufteilung der Haftungsmasse zu schützen. Das Insolvenzrecht wirkt hier schadensbegrenzend für den einzelnen Gläubiger. Dieser Schutz wirkt risikominimierend und senkt damit die Kosten des Kredits. Darüber hinaus können im Insolvenzverfahren die Verbundwerte des Unternehmens durch Fortführung des Betriebs genutzt werden, die bei einer Verwertung zu geringeren Zerschlagungswerten verloren gingen. Damit wirkt das Insolvenzverfahren über die Perspektive des einzelnen Gläubigers hinaus aus gesamtwirtschaftlicher Sicht schadensmindernd13. c) Sicherung des Rechtsfriedens Eine weitere grundsätzliche Funktion des Insolvenzverfahrens ist die Gewährleistung von Rechtsfrieden14. Das Gewaltmonopol liegt in einer rechtsstaatlichen Ordnung beim Staat. Hiermit korrespondiert eine Friedenspflicht des Bürgers, die Selbsthilfemöglichkeiten fast gänzlich ausschließt15. Das gilt nicht erst in der In10 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 75; Weber, in: FS 100 Jahre KO, S. 321 (328); ähnlich Uhlenbruck, in: FS 100 Jahre KO, S. 3 (22). 11 Dazu sogleich, B.I.1.c). 12 Berges, KTS 1957, 49 (57): „Unverzichtbare Voraussetzung jeden Personalkredits ist ein intaktes, funktionierendes Konkursrecht.“ Diese Aussage trifft jedoch genauso für den Realkredit zu, der ohne einen Schutz vor beliebigen Befriedigungshandlungen anderer Gläubiger auch gefährdet ist; ähnlich Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 1 Rn. 1; Thole, JZ 2011, 765 (765); Uhlenbruck, DZWIR 2007, 1 (1). 13 Berges, in: FS 100 Jahre KO, S. 363 (365 f.). 14 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 1.2; Gerhardt, in: FS Weber, S. 181 (182); Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.01, 2.08, 2.13, 2.17; Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 140; Uhlenbruck, RdA 1976, 248 (248); Werres, Grundrechtsschutz, S. 15. 15 Becker, Insolvenzrecht, Rn. 5, 7 ff.; Werres, Grundrechtsschutz, S. 20.

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

27

solvenz des Schuldners: Grundsätzlich ist keine Privatvollstreckung möglich16. Diese Beschränkung lässt sich nur rechtfertigen, wenn der Staat dem entwaffneten Bürger entsprechende rechtsstaatliche Instrumente zur Verfügung stellt, damit er seine Rechte durchsetzen kann17. Außerhalb der Insolvenz kann sich der Bürger durch die Einzelzwangsvollstreckung der Gewalt des Staates bedienen. In der Insolvenz genügt jedoch die Haftungsmasse nicht zur Befriedigung aller Gläubiger, weshalb der Prioritätsgrundsatz durch die Gesamtvollstreckung abgelöst wird18. Indem das Insolvenzrecht in dieser Form die Rechte der einzelnen Gläubiger gegenüber dem Schuldner weiter beschneidet und einander angleicht, verhindert es willkürliche und ungerechte Ergebnisse19. Es reduziert hierdurch die Gefahr „gemeinschädlicher Konflikte“20, und zwar sowohl im Verhältnis der Gläubiger zum Schuldner als auch zwischen den Gläubigern. Gerade bei Konflikten, die Arbeitnehmerinteressen berühren, besteht ein hohes Risiko sozialen Unfriedens. Mehr als andere Gläubigergruppen verfügen Arbeitnehmer aufgrund der gleichgerichteten Interessen und ihrer schieren Personenzahl über ein besonderes Potential physischer Gewalt. Bietet das Insolvenzverfahren – zumindest aus Perspektive der Arbeitnehmer des insolventen Schuldners – keine gerechten Lösungen, besteht die Gefahr, dass sich dieses Potential im Ernstfall realisiert. Auch aus diesem Grund sahen fast alle Insolvenzgesetze in der Geschichte Privilegien für die Arbeitnehmer des Schuldners vor21. Heute wird der Wegfall des noch unter der Konkursordnung geltenden Lohnprivilegs zumindest teilweise durch das Insolvenzgeld abgefangen. Gerade das recht junge Phänomen der Lohnanfechtung wird oft als besonders ungerecht empfunden22. Es birgt folglich besonderes Konfliktpotential. Auch aus diesem Grund ist die hier zu untersuchende Frage relevant, inwieweit solche Anfechtungen zulässig sind oder zulässig sein dürfen. d) Gemeinschaftliche Befriedigung und Gläubigergleichbehandlung Die Insolvenz des Schuldners bedeutet, dass sein Vermögen nicht mehr ausreicht, um seine Gläubiger vollständig zu befriedigen23. Beließe man dem Schuldner in dieser Situation die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen, bestünde die Gefahr, dass der Schuldner zum Nachteil aller oder einzelner Gläubiger das vorhandene 16

ZPO). 17

Becker, Insolvenzrecht, Rn. 8: Eine Ausnahme bildet hier die sog. Vorpfändung (§ 845

Werres, Grundrechtsschutz, S. 20; Weiland, Par condicio creditorum, S. 18. Dazu sogleich, B.I.1.d). 19 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.01; Kohler, Konkursrecht, S. 2. 20 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.01. 21 Zur Historie der Arbeitnehmerprivilegien siehe unten B.I.2. 22 Siehe nur die kleinen Anfragen zum Thema im Bundestag: BT-DruckS. 16/6297; BTDruckS. 16/11871. 23 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 2; Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 1. 18

28

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Vermögen vermindert, verschleudert oder auf sonstige Art ihrem Zugriff entzieht. Um das zu verhindern, wird der normalerweise geltende Prioritätsgrundsatz in der Insolvenz durch den Gleichlauf der Gläubiger (lat.: par condicio creditorum24) abgelöst25. Statt eines Wettlaufs der Gläubiger findet die sog. Gesamtvollstreckung oder Universalexekution statt26. Damit endet der „Kampf aller gegen alle“ (lat. bellum omnium contra omnes)27. Dem Schuldner wird mit der Verfahrenseröffnung die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen entzogen (§ 81 Abs. 1 S. 1 InsO) und dem Insolvenzverwalter zugewiesen (§ 80 Abs. 1 InsO). Auch die Einzelzwangsvollstreckung wird nach § 89 InsO ausgeschaltet. Man spricht hierbei von der Befriedigungs- und Vollstreckungsfunktion des Insolvenzverfahrens (auch exekutorische Funktion)28. Grundsätzlich setzen diese Wirkungen mit der formellen Insolvenz ein29. Insbesondere durch die Insolvenzanfechtung wird die Wirkung der Gläubigergleichbehandlung jedoch in den Zeitraum vor der formellen Insolvenz ausgedehnt30. Über diese Angleichung der Befriedigungschancen hinaus soll die par condicio creditorum bewirken, dass das unzulängliche Schuldnervermögen so gerecht wie möglich auf die Gläubiger verteilt wird. Es geht um „Haftungsverwirklichung unter Knappheitsbedingungen“31. Die Insolvenzordnung sieht grundsätzlich eine Verteilung der unzureichenden Mittel des Schuldners auf die Gläubiger durch eine quotale Befriedigung (vgl. § 38 Abs. 1 InsO) vor, d. h. die Gläubiger erhalten nur einen ihrem Anteil an allen Schulden des Schuldners entsprechenden Teil der vorhandenen Masse. Das betrifft zunächst die Insolvenzgläubiger als „eigentliche Zielgruppe“32 des Insolvenzverfahrens. Das sind nach der Definition des § 38 InsO die persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Neben die Insolvenzgläubiger – oder besser „vor“ die Insolvenzgläubiger – treten die Gruppen der ab- und aussonderungsberechtigten Gläubiger sowie der Massegläubiger. Die dogmatische Begründung und Herleitung der Gläubigergleichbehandlung in der Insolvenz ist seit Jahrzehnten hoch umstritten. Gerade für die hier zu behandelnde 24 Teilweise auch „par conditio creditorum“; zur Herkunft des Begriffs sogleich, siehe unten B.I.2.b). 25 Werres, Grundrechtsschutz, S. 23; zum historischen Hintergrund des Wandels von zeitlicher Priorität zu anteilmäßiger Gläubigerbefriedigung im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, siehe: Gerhardt, Systematik, S. 72 f. 26 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 1.5; Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 8. 27 Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 1 Rn. 1; Weiland, Par condicio creditorum, S. 20. 28 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 5; Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 138. 29 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 17; Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 8. 30 Siehe dazu unten B.I.4.a). 31 Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 138; Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 18. 32 Nerlich/Römermann/Becker, § 1 Rn. 15.

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

29

Problematik der Lohnanfechtung handelt es sich dabei auch nicht nur um graue Theorie. Es geht es um die Frage, ob und warum sich die Arbeitnehmer mit ihren Lohnforderungen gleich (un-)berechtigt in die Reihe der übrigen Insolvenzgläubiger einzufügen haben. Aus diesem Grund sind die rechtlichen Hintergründe der par condicio creditorum später genauer zu untersuchen33. Schon an den vorstehenden Ausführungen lässt sich erkennen, dass die Gläubigergleichbehandlung zwei Aspekte beinhaltet34: Zum einen führt sie zu Chancengleichheit zwischen den Gläubigern im Hinblick auf ihre Befriedigungsmöglichkeiten, indem ihre Handlungsmöglichkeiten sowie die des Schuldners eingeschränkt werden. Zum anderen wirkt sie als Verteilungsprinzip, das die unzulängliche Haftungsmasse zwischen den Gläubigern aufteilt. Auf diese Zweistufigkeit wird später ebenfalls im Rahmen der dogmatischen Hintergründe der par condicio creditorum einzugehen sein35. e) Universalität Nach dem Prinzip der Universalität erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen des Schuldners, gleichgültig wo es sich befindet und hat es dem Insolvenzzweck zuzuführen36. Das erklärt auch den Begriff der Universalexekution, der die „Beschlagnahme und Verwertung des gesamten Vermögens des Schuldners („Gemeinschuldners“) zugunsten aller Gläubiger“ beschreibt37. Daraus folgt weiter, dass kein Gläubiger außerhalb des Insolvenzverfahrens eigenständig Befriedigung anstreben darf; damit liegt der Zusammenhang mit dem oben angesprochenen Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung offen38. f) Sozialadäquanz Nach Ansicht Kilgers ist auch die Sozialadäquanz ein unabdingbarer Grundsatz des Insolvenzrechts39. Das folge schon aus dem verfassungsrechtlich garantierten Sozialstaatsprinzip40. Kilger nennt als Ausprägung „die ausschließliche oder die weitgehende Deckung von Arbeitnehmeransprüchen durch das insolvente Unternehmen.“41 Darüber hinaus gehe es um die Beschränkung der Gläubigerrechte und 33

Unten C.III.3. Häsemeyer, ZZP 107 (1994), 111 (116); ders., Insolvenzrecht, Rn. 2.13 ff. 35 Siehe unten C.III.1. 36 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 5.40 ff.; Kilger, ZRP 1976, 190 (192); es besteht Verwechslungsgefahr mit dem ebenfalls als Universalitätsprinzip benannten Grundsatz des internationalen Insolvenzrechts, wonach ein Insolvenzverfahren im Inland auch im Ausland befindliches Schuldnervermögen erfasst, dazu etwa Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 35.08 ff. 37 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 1.5. 38 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 5.40. 39 Kilger, ZRP 1976, 190 (192). 40 Siehe dazu ausführlich unten C.II.2.b)dd). 41 Kilger, ZRP 1976, 190 (192). 34

30

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

-ansprüche im Interesse der Gläubiger, die er in einer „Schicksalsgemeinschaft“42 verbunden sieht. Über diese Wirkung zwischen den Gläubigern hinaus solle auch mit Hilfe außerschuldnerischer Mittel der Anspruch der sozialen Marktwirtschaft verwirklicht werden, indem man insolvente Unternehmen und die dort vorhandenen Arbeitsplätze rettet. Heute verwirklicht sich dieser Gedanke im Insolvenzgeldanspruch der Arbeitnehmer43. Sozialschutz aus schuldnerischen Mitteln – und damit zu Lasten der übrigen Gläubiger – bietet hingegen die Privilegierung von Sozialplanforderungen nach § 123 InsO. Ob man die Sozialadäquanz als besonderes Prinzip des Insolvenzrechts beschreiben kann, ist zweifelhaft. Die genannten Regelungen stehen zwar im Zeichen des Sozialschutzes. Sie bieten dabei aber nur einen Mindestschutz, während das Insolvenzrecht insgesamt soziale Fragen weitgehend ausblendet. Einige Normen der Insolvenzordnung, insbesondere §§ 113, 120 ff. InsO, relativieren den sozialen Schutz, der außerhalb des Konkurses gilt, sogar. Bereits aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben können Gesetze in unserer Rechtsordnung gewisse soziale Belange nicht völlig ignorieren. Allein deshalb kann Sozialadäquanz aber nicht als Prinzip jeden Rechtsgebietes ausgerufen werden. Konkrete Antworten auf soziale Fragen im Insolvenzrecht lassen sich durch die (Nicht-)Einordnung als Prinzip ohnehin nicht finden. 2. Historische Hintergründe zu Gläubigergleichbehandlung und Insolvenzanfechtung Im Folgenden Abschnitt wird auf die rechtsgeschichtlichen Hintergründe des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung und Insolvenzanfechtung eingegangen. Wie bereits angedeutet wurde44, bewirkt die Anfechtung eine Vorverlagerung der par condicio creditorum und ist damit eine der Ausprägungen dieses Grundsatzes. Daher sollen beide Aspekte in ihrer historischen Entwicklung im Zusammenhang dargestellt werden. Dabei ist keine erschöpfende historische Abhandlung intendiert, die den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde45. Vielmehr sollen die Grundlagen aufgezeigt werden, die für ein Verständnis dieses Prinzips im heutigen Recht von Bedeutung sind. Ebenfalls nicht umfassend dargestellt werden eventuell bestehende Durchbrechungen des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung. Lediglich die Position der Arbeitnehmer muss mit Blick auf die vorliegende Thematik untersucht 42

Kilger, ZRP 1976, 190 (192). Dazu unten B.II.2.f). 44 Oben B.I.1.d). 45 Ausführlich zur Historie des Konkurses Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.1 ff.; Becker, Insolvenzrecht, Rn. 39 ff.; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 7 Rn. 1 ff.; C. Paulus, KTS 2000, 239 ff.; zur Anfechtung Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 3 ff.; v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 36 ff.; zur Gläubigergleichbehandlung GassertSchumacher, Privilegien, S. 3 ff.; Weiland, Par condicio creditorum, S. 23 ff. 43

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

31

werden. Soweit die Historie der Insolvenzanfechtung behandelt wird, soll aufgezeigt werden, dass dieses Instrument ein grundlegendes Problem bekämpft, dem schon in frühen Rechtsordnungen entgegengetreten wurde. Ebenso lässt sich damit belegen, dass die gesetzliche Ausgestaltung der Anfechtung auf unterschiedlichste Arten möglich ist und auch unterschiedlich umgesetzt wurde. Die rechtshistorische Perspektive ermöglicht damit ein vertieftes Verständnis der schwer zu fassenden und eigentümlichen Figur der Insolvenzanfechtung. a) Grundlegendes Kredit bedeutet das Vertrauen des Gläubigers in die Leistungsfähigkeit des Schuldners; es liegt in der Natur der Sache, dass ein solches Vertrauen enttäuscht werden kann46. Stellte man den Kreditgeber in dieser Situation schutzlos, wäre die Kreditvergabe so risikobehaftet, dass faktisch kein vernünftiger Teilnehmer am Rechtsverkehr dazu bereit wäre. Daher müssen alle Rechtsordnungen, in denen Kredit eine Rolle spielt, eine Lösung für Situationen finden, in denen der Kredit enttäuscht wird. Ein erstes Schutzinstrument des Gläubigers gegenüber dem säumigen Schuldner ist die Einzelzwangsvollstreckung47. Bereits altorientalische Rechtsordnungen (v. a. der Codex Hammurabi48) kannten die Einzelzwangsvollstreckung durch Personalexekution, was den Verkauf oder die Verpfändung des Schuldners oder seiner Familie bedeutete49. b) Römisches Recht Ausführlichere Quellen als für das altorientalische Recht liegen für das Römische Recht vor. Insbesondere lässt sich dort anschaulich der sukzessive Wandel von klassischer Personalexekution hin zu modern anmutenden Formen der Vermögensvollstreckung in geordneten Konkursverfahren nachweisen. aa) Zwölftafel-Gesetz In der einschlägigen Literatur wird bei der Beschreibung der Geschichte des Konkurses üblicherweise mit dem Zwölf-Tafel-Gesetz aus dem Jahre 451 v. Chr.

46

Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 1 Rn. 1. Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 1 Rn. 1. 48 Geht auf den babylonischen König Hammurabi zurück (ca. 1728 – 1686 v. Chr.), Thole, JZ 2011, 765 (766). Bemerkenswerterweise kannte der Codex Hammurabi jedoch bereits Ansätze der Restschuldbefreiung; siehe Thole, JZ 2011, 765 (766); Uhlenbruck, DZWIR 2007, 1 (1). 49 Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 7 Rn. 1; Uhlenbruck, DZWIR 2007, 1 (1). 47

32

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

begonnen50. Es bestand noch kein Unterschied zwischen Einzel- und Gesamtvollstreckung, das Verfahren war also auch bei reiner Zahlungsunwilligkeit ohne Insolvenz einschlägig51. Vorgesehen war auch hier noch ein Vollstreckungsverfahren durch Personalexekution, die insbesondere in Form der Schuldknechtschaft des Schuldners oder seiner Familienangehörigen umgesetzt wurde (legis actio per manus iniectionem)52. War der Schuldner mehr als dreißig Tage säumig, konnte ihn der Gläubiger ergreifen und vor Gericht führen; leistete der Schuldner auch nach gerichtlicher Feststellung seiner Schuld nicht, durfte der Gläubiger ihn für sechzig Tage in Privathaft nehmen53. In diesem Zeitraum wurde der Schuldner an drei aufeinanderfolgenden Markttagen zum Prätor gebracht, wo die Höhe seiner Schulden ausgerufen wurde. Befriedigte weder der Schuldner noch ein Dritter in dieser Zeit den Gläubiger, kam es zur finalen Personalexekution54. Der Schuldner konnte entweder getötet oder nach jenseits des Tiber ins Ausland verkauft werden55. In Tafel 3 heißt es dazu: „Am dritten Markttag sollen (die Gläubiger) sich die Teile schneiden. Wenn einer zu viel oder zu wenig abgeschnitten hat, soll dies ohne Nachteil sein.“56

Es ist eine umstrittene Frage der Interpretation der Quelle, ob den Gläubigern tatsächlich das Recht zugestanden war, den Schuldner in Stücke zu schneiden oder ob sie sich lediglich seine Arbeitskraft oder den Verkaufserlös für den versklavten Schuldner entsprechend teilen mussten57. Es ist nicht nachgewiesen, dass es tatsächlich zur Tötung von Schuldnern kam58. Bereits aus praktischen Erwägungen dürfte die Tötung des Schuldners jedenfalls selten gewesen sein, da sie im Gegensatz zum Verkauf keinen Erlös generierte59. Mit der lex Poetelia (ca. 326 v. Chr.) wurde die Tötung als Option abgeschafft und die Position des Schuldknechts verbessert60. 50 Becker, Insolvenzrecht, Rn. 40; Thole, JZ 2011, 765 (765); Uhlenbruck, in: FS 100 Jahre KO, S. 3 ff.; Weiland, Par condicio creditorum, S. 23 ff.; übersetzter Volltext des Zwölftafelgesetzes bei Düll, Zwölftafelgesetz, S. 28 ff. 51 Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 4 f. 52 Düll, Zwölftafelgesetz, S. 33 f.; Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 5; Gerhardt, Systematik, S. 46; Kaser/Hackl, S. 131 ff.; Uhlenbruck, in: FS 100 Jahre KO, S. 3 (7); v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 36. 53 Düll, Zwölftafelgesetz, S. 33; Kaser/Hackl, S. 142 f. 54 Kaser/Hackl, S. 142. 55 Düll, Zwölftafelgesetz, S. 35. 56 Düll, Zwölftafelgesetz, S. 34 f. (Tertiis nundinis partis secanto. Si plus minusve secuerunt, se fraude esto). 57 Kaser/Hackl, S. 144; Thole, JZ 2011, 765 (766); Uhlenbruck, DZWIR 2007, 1 (1). 58 Uhlenbruck, in: FS 100 Jahre KO, S. 7 Fn. 7; zweifelnd auch Kaser/Hackl, S. 144. 59 Uhlenbruck, DZWIR 2007, 1 (2); bereits Kohler geht davon aus, dass es selten zum „Äußersten“ nach dem „unerbittlichen Gesetze“ kam, Kohler, Konkursrecht, S. 4; kritisch dazu jedoch C. Paulus, JZ 2009, 1148 (1150). 60 Becker, Insolvenzrecht, Rn. 40; Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 6; Kaser/Hackl, S. 144; Uhlenbruck, in: FS 100 Jahre KO, S. 7 Fn. 7, der diese Änderung auf 313 v. Chr. datiert.

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

33

Die Besonderheit des Verfahrens aus historischer Warte liegt in der Beteiligung anderer Gläubiger. Unklar ist, ob bei unzulänglichem Erlös eine anteilige Befriedigung vorgesehen war. Vermutlich galt das Prioritätsprinzip fort61. Die übrigen Gläubiger konnten also nur auf ihren Teil hoffen, wenn nach der Befriedigung des vollstreckenden Gläubigers noch Masse verblieb. bb) Missio in bona Erst später vollzog sich ein allmählicher Wandel zur Vermögensexekution. Die Pfändung mittels legis actio per pignoris capionem62, die nur in Bezug auf bestimmte Forderungen, v. a. des öffentlichen und sakralen Rechts, galt63, blieb zunächst die Ausnahme und verschwand später64. Vermutlich schon in der mittleren Republik (ab dem dritten Jahrhundert v. Chr.) kam das sog. „Formularverfahren“ auf, das neben der teilweise fortbestehenden Personalexekution das Novum einer vermögensbezogenen Gesamtvollstreckung (missio in bona debitoris) vorsah65. Der zuerst vollstreckende Gläubiger wurde auf Antrag hin durch den Prätor in das Schuldnervermögen eingewiesen (missio in bona rei servandae causa)66. Die Einweisung erfolgte aufgrund eines klagestattgebenden Urteils, eines Schuldanerkenntnisses oder der Flucht des Schuldners67. Die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners war nicht vorausgesetzt68. Der eingewiesene Gläubiger oder ein von ihm eingesetzter Verwalter übernahm die tatsächliche Gewalt über das Vermögen und hatte es in einer dreißigtägigen Periode vor Abflüssen zu schützen69. In dieser Zeit konnten andere Gläubiger des Schuldners ihre Forderungen anmelden und sich so dem Verfahren anschließen70. Führte die Verwaltung nicht zur Befriedigung der Forderungen, wurde das Vermögen durch Versteigerung verwertet (venditio bonorum)71. Den Zuschlag erhielt derjenige Bieter, der den Gläubigern die höchste Quote auf ihre Forderungen bot72. Die Gläubiger konnten ihren Anteil in Form der Quote direkt vom Meistbietenden (bonorum 61

Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 7. Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 5 f.; Gerhardt, Systematik, S. 50 m.w.N.; Kaser/ Hackl, S. 146 ff. 63 Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 7; Kaser/Hackl, S. 146. 64 Kaser/Hackl, S. 146 f.; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 3. 65 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.2; Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 7 ff.; Kaser/ Hackl, S. 151; wann genau die missio in bona aufkam ist hingegen unklar: Kaser/Hackl, S. 389; Wenger datiert die Entstehung der Vermögensexekution auf ca. 50 v. Chr., Wenger, Institutionen, S. 223. 66 Kaser/Hackl, S. 390; Knütel, in: FS Kreft, S. 1 (11); Wenger, Institutionen, S. 226 f. 67 Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 9. 68 Becker, Insolvenzrecht, Rn. 41; Thole, JZ 2011, 765 (766). 69 Becker, Insolvenzrecht, Rn. 41. 70 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 3; Uhlenbruck, in: FS 100 Jahre KO, S. 7. 71 Kaser/Hackl, S. 394 ff. 72 Kaser/Hackl, S. 397; Kohler, Konkursrecht, S. 5. 62

34

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

emptor) verlangen73. Der Corpus Iuris Civilis enthielt in diesem Zusammenhang, soweit ersichtlich, die erste Kodifikation des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Gläubiger74. Es handelt sich dabei um die landläufig zitierte Digestenstelle Ulp. D. 42, 8. 6, § 7. Diese enthält die folgende Passage: „Qui vero post bona possessa debitum suum recepit, hunc in portionem vocandum exaequandumque ceteris creditoribus: neque enim debuit praeripere ceteris post bona possessa, cum iam par condicio omnium creditorum facta esset.“

Übersetzt bedeutet das: „Wer aber nach Inbesitznahme der Güter eine Forderung einzieht, muss auf seinen Teil verwiesen und an den anderen Gläubigern gleichgestellt werden. Er darf nämlich nicht den anderen zuvorkommen, da schon die Gleichheit der Gläubiger hergestellt ist.“75

Aus dem letzten Halbsatz stammt das heute gängige Schlagwort der „par condicio (omnium) creditorum“ zur Bezeichnung des insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Verbreitet ist auch die Schreibweise „conditio“ vorzufinden. Sie wird teilweise als fehlerhaft eingestuft, da „conditio“ mit „Würzung“, „Eingemachtes“ und „Schöpfung“ zu übersetzen sei76. In dieser Arbeit wird die Schreibweise „condicio“ eingehalten. Wie schon die zitierte Passage zeigt, beschränkte sich die Gleichbehandlung aber auf ein Befriedigungs- und Vollstreckungsverbot nach Beschlagnahme und kann daher in seiner Bedeutung nicht ohne weiteres mit dem heutigen Verständnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes gleichgesetzt werden77. Zwar stellte die quotale Befriedigung durch den bonorum emptor das grundsätzliche Verteilungsprinzip dar78. Eine konsequente Gleichbehandlung der Gläubiger bei der Verteilung des Erlöses gab es jedoch nicht. Die Regeln enthielten viele Durchbrechungen der Gleichbehandlung in Form von Privilegien, insbesondere für dinglich gesicherte Gläubiger79, was hier nicht vertieft werden soll80. Das Römische Recht kannte kein Vorrecht für Arbeitnehmerforderungen81. Da Arbeitsleistungen in erster Linie von Sklaven oder anderen Rechtlosen ausgeführt wurden, hatten Arbeitnehmer insge73 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.2; Thole, JZ 2011, 765 (766); der Schuldner haftete jedoch weiter, sofern er später wieder Vermögen erlangte, Kaser/Hackl, S. 398. 74 Bork, ZIP 2014, 797 (797); Weiland, Par condicio creditorum, S. 24. 75 Übersetzung nach Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 5; ähnlich Bork, ZIP 2014, 797 (797). 76 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 63; Berges, in: FS 100 Jahre KO, S. 363 (373 Fn. 9). 77 Bork, ZIP 2014, 797 (797); v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 11; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 5 ff.; Weiland, Par condicio creditorum, S. 24; Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 95. 78 Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 95. 79 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.2; Weiland, Par condicio creditorum, S. 24 ff. 80 Ausführlich Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 16 ff. 81 Jaeger, KO, 7. A., § 61 Anm. 13; Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, S. 7; Wacke, ZIP 1991, 1472 (1474).

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

35

samt kaum Rechte82, so dass die Abwesenheit eines Privilegs in der Insolvenz nicht überrascht. In der nachklassischen Zeit (ab dem 3. Jahrhundert n. Chr.) setzte sich der „Kognitionsprozess“ gegen das Formularverfahren durch. Er zeichnete sich durch eine wesentlich flexiblere und weniger formale Durchführung aus83. Die starke Rolle der Gläubiger wich einer Zwangsvollstreckung durch staatlichen Zwang84. Die Gesamtvollstreckung kam nur noch bei Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und mehreren Gläubigern in Frage, ansonsten war die Einzelvollstreckung einschlägig85. Auch in der Gesamtvollstreckung wurde die Veräußerung einzelner Vermögensgegenstände möglich (distractio bonorum), anstatt das gesamte Vermögen zu versteigern86. Die Verwaltungsfrist, während der sich Gläubiger dem Verfahren anschließen konnten, betrug für ortsansässige zwei, für auswärtige Gläubiger vier Jahre87. Nach Ablauf der Fristen und Genehmigung durch den Richter wurden die Gegenstände des Schuldnervermögens verkauft und der Erlös an die Gläubiger verteilt; es war weiterhin eine quotale Befriedigung vorgesehen, bei der jedoch zahlreiche Privilegien galten88. Ein Vorrecht für Arbeitnehmer gab es allerdings nach wie vor nicht89. cc) Actio Pauliana Auch die Grundidee der Insolvenzanfechtung ist kein Phänomen der Neuzeit. Schon dem klassischen Römischen Recht war das Problem bekannt, dass zahlungsunfähige Schuldner ihr Vermögen dem Zugriff ihrer Gläubiger zu entziehen versuchten90. Handelte es sich um verwerfliches Verhalten (fraus), waren entsprechende Handlungen nichtig (z. B. die Freilassung von Sklaven) oder die Gläubiger konnten den veräußerten Gegenstand zurückverlangen91. Das justinianische Recht fasste verschiedene Rechtsbehelfe, die sich gegen solch unlautere Vermögensverschiebungen richteten, unter dem Begriff der actio Pauliana zusammen92. Aus der Ausgestaltung dieser Institute wird jedoch abgleitet, dass es primär nicht darum ging, die Gläubigergleichbehandlung zu verwirklichen, sondern deliktisches Verhalten zu 82 83 84 85 86

S. 6. 87

Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 25. Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 26 ff. Kaser/Hackl, S. 623. Kaser/Hackl, S. 624, 626. Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.4; Kaser/Hackl, S. 626 f.; Kohler, Konkursrecht,

Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.4; Kaser/Hackl, S. 628. Kaser/Hackl, S. 628. 89 Wacke, ZIP 1991, 1472 (1474). 90 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 4. 91 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 4. 92 Gerhardt, Systematik, S. 59; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 4; Wacke, ZZP 83 (1970), 418 (420). 88

36

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

sanktionieren93. Entsprechend wurde auch dem Anfechtungsgegner die Teilnahme an dem verwerflichen Verhalten des Schuldners vorgeworfen, von dem er Kenntnis haben musste (eventus fraudis)94. Die actio Pauliana war dabei nicht auf den Fall der Zahlungsunfähigkeit beschränkt, sondern fand auch außerhalb des Konkurses statt. c) Mittelalter Die Entwicklung des Insolvenzrechts setzte sich im Mittelalter fort. In der folgenden Darstellung liegt der Fokus auf den Rechtsordnungen der italienischen Städte und dem deutschen Partikularrecht, da dort die bedeutendsten Quellen des heutigen deutschen Insolvenzrechts anzutreffen sind. Parallel entwickelte sich das Insolvenzrecht in anderen Teilen Europas ebenfalls fort, z. B. in den Niederlanden oder in England95. aa) Italienisches Statutarrecht Eine besondere Rolle in der Entwicklung des heutigen Konkursrechts spielten die Regelungen in den oberitalienischen Handelszentren (Mailand, Florenz, Venedig, Genua, Bergamo) im Mittelalter, da sie das Römische Recht aufgriffen und in Richtung des modernen Konkursrechts weiterentwickelten96. Die italienischen Stadtrechte tendierten dazu, für Einzelkaufleute ein Sonderinsolvenzrecht bereit zu halten, das durch die öffentliche Gewalt vollzogen wurde und im Rahmen einer Gesamtvollstreckung die gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger anstrebte; hierdurch sollte der Dominoeffekt zwischen den geschäftlich eng verbundenen Kaufleuten minimiert werden97. Es gab relativ wenig Vorrechte, z. B. für den Fiskus, bestimmte Ansprüche der Ehefrau und des Mündels98. Arbeitnehmerprivilegien sind nicht überliefert99. Teilweise kannten die italienischen Stadtrechte eine Haftung nahestehender Personen (im selben Haushalt lebend) für Verbindlichkeiten des flüchtigen Schuldners100. Ebenso wurden in bestimmten Verdachtszeiträumen vor dem Konkurs vorgenommene Verfügungen zugunsten naher Verwandter als ipso iure unwirksam 93

Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 8. Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 18.4. 95 Siehe dazu Kohler, Konkursrecht, S. 45 ff.; 57 ff.; Thole, ZZP 121 (2008), 67 (71 f.). 96 Garrido, International Insolvency Review 1995, 25 (28 ff.); Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 34. 97 Garrido, International Insolvency Review 1995, 25 (29); Weiland, Par condicio creditorum, S. 28; Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 96. 98 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.7; Garrido, International Insolvency Review 1995, 25 (33). 99 Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 40. 100 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 13 f.; Kohler, Konkursrecht, S. 15. 94

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

37

erachtet101. Grundsätzlich knüpften die Regeln weiterhin an die verwerfliche Gesinnung des Schuldners an, die jedoch zunehmend unter bestimmten objektiven Umständen angenommen wurde, z. B. bei Unentgeltlichkeit, zeitlicher Nähe zur Insolvenz oder der Flucht des Schuldners102. Klinck sieht dort, wo entsprechende Vermutungsregelungen unwiderleglichen Charakter annahmen, den „Scheideweg, an dem sich das, was man heute besondere Insolvenzanfechtung nennen würde, von der klassischen Anfechtung verselbständigte“103. Erst durch diese Abkehr von der reinen Sanktionierung des dolosen Schuldners wurde die Anfechtung damit zu einem Instrument zur Vorverlagerung der Gläubigergleichbehandlung. Im 17. Jahrhundert vervollständigte sich diese Entwicklung in Frankreich. Das Reglement der Lyoner Kaufmannschaft von 1667 regelte zur Durchsetzung der Gleichbehandlung, dass auch Verfügungen des Schuldners im Zeitraum bis zu zehn Tage vor der Bekanntmachung des Konkurses nichtig waren104. Nach zwischenzeitlicher Abschaffung dieser Regel erlangte sie 1702 Geltung in ganz Frankreich105. bb) Deutsches Partikularrecht Im frühen Mittelalter fanden geregelte Gesamtvollstreckungsverfahren in Deutschland noch nicht statt106. Teilweise war vorgesehen, dass der Gläubiger das Vermögen des säumigen Schuldners durch sog. „Besatzung“ in Beschlag nehmen konnte, wobei jedoch der Prioritätsgrundsatz galt107. Erst im 13. Jahrhundert entwickelte sich in den Stadtrechten größerer deutscher Städte, z. B. in Lübeck und Hamburg, ein mit der Gesamtvollstreckung vergleichbares Institut, bei dem eine anteilige Befriedigung das zuvor geltende Prioritätsprinzip ablöste108. Inwieweit die Entwicklung hin zu Gesamtvollstreckung und Gläubigergleichbehandlung auf der Rezeption der italienischen Stadtrechte beruht, ist nicht eindeutig zu beantworten109.

101

Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 14; Kohler, Konkursrecht, S. 14. Goltdammer, Kommentar und Materialien pr. KO 1855, S. 248; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 14 f. 103 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 15; ähnlich Thole, ZZP 121 (2008), 67 (70 f.); Wacke, ZZP 83 (1970), 418 (422). 104 Gerhardt, Systematik, S. 83; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 15; Kohler, Konkursrecht, S. 20; Wacke, ZZP 83 (1970), 418 (422). 105 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 15; Kohler, Konkursrecht, S. 20, 199. 106 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.9; Weiland, Par condicio creditorum, S. 28. 107 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.9; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 9; Kohler, Konkursrecht, S. 32; Planitz, ZRG GermAbt. 34 (1913), 49 (103); Seuffert, Geschichte und Dogmatik, S. 58; Uhlenbruck, in: FS 100 Jahre KO, S. 3 (89). 108 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 10; Kohler, Konkursrecht, S. 33; Planitz, ZRG GermAbt. 34 (1913), 49 (104); Seuffert, Geschichte und Dogmatik, S. 58. 109 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.09; MüKo-InsO/Stürner, Einleitung Rn. 27; so schon Kohler, Konkursrecht, S. 33. 102

38

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Überhaupt ist die Entwicklung schwer darstellbar, da jede größere Stadt eigene Regeln hatte und starke regionale Unterschiede bestanden110. Auch in der aufkommenden Gesamtvollstreckung wurde jedoch eine tatsächliche Gleichbehandlung nicht praktiziert, weil umfassende Privilegien und Rangordnungen bestanden111. Zu dieser Zeit treten im deutschen Rechtsraum erstmals Privilegien für Lohnforderungen („lidlohn“) des Gesindes in den Stadt- und Landrechten auf112. Der Begriff Lidlohn (teilw. auch Liedlohn oder Litlohn113) beschreibt den Lohn, „den man nach gethaner arbeit, bei beendigung einer dienstzeit oder beschäftigung empfängt.“114 Er taucht in Quellen erstmals im 14. Jahrhundert auf115. Die Vorrechte für solche Lohnansprüche bezogen sich zunächst auf das Hausgesinde im engeren Sinne, d. h. Knecht und Magd, erst später auf andere im Haushalt oder Geschäft des Schuldners Beschäftigte, z. B. Handwerksgesellen und Hirten116. Geschützt waren teilweise auch höhere Angestellte117. Tagelöhner waren hingegen nicht privilegiert, da ihnen die feste Verbindung zum Arbeitgeber abgesprochen wurde118. Das Lidlohnvorrecht bezog sich zu Anfang nicht auf die Situation des Konkurses, sondern schützte das Interesse abhängig Beschäftigter an zeitnaher Lohnzahlung allgemein, z. B. auch im Erbfall119. Vorgesehen waren dabei sehr kurze Fälligkeitsfristen, die teilweise noch eine Auszahlung am selben Tage verlangten120. Der besondere Schutz lag darin, dass bei Nichtleistung Pfändungen durch den Amtmann erfolgen konnten oder Strafzuschläge anfielen121. Unter dem Sachsenspiegel aus dem 13. Jahrhundert war eine vereinfachte prozessuale Durchsetzung vorgesehen, indem das Gesinde das Dienstverhältnis und die Höhe des Lohnes durch eigenen Eid beweisen konnte122. Die Idee der Anfechtung tauchte in deutschen Städten ab dem 13. Jahrhundert auf, da einzelne Städte die Vermögensexekution einführten, was eine Grundvoraussetzung für die Anfechtung ist123. Die typische Reaktion des Schuldners auf die Zah110

Ausführlich zu einzelnen Kodifikationen und ihrer Entwicklung etwa Kohler, Konkursrecht, S. 32 ff.; Planitz, ZRG GermAbt. 34 (1913), 49 ff.; Seuffert, Geschichte und Dogmatik, S. 54 ff. 111 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.10; Garrido, International Insolvency Review 1995, 25 (33 ff.); Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 44 ff.; MüKo-InsO/Stürner, Einleitung Rn. 27. 112 Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 50 f.; Wacke, ZIP 1991, 1472 (1473). 113 Zur Etymologie Wacke, ZIP 1991, 1472 (1473). 114 Grimm, Deutsches Wörterbuch, Stichwort „Liedlohn“. 115 Grimm, Deutsches Wörterbuch, Stichwort „Liedlohn“. 116 Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, S. 7; Wacke, ZIP 1991, 1472 (1473). 117 Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, S. 9. 118 Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, S. 9. 119 Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, S. 8. 120 Wacke, ZIP 1991, 1472 (1473). 121 Wacke, ZIP 1991, 1472 (1473). 122 Wacke, ZIP 1991, 1472 (1474). 123 Gerhardt, Systematik, S. 62.

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

39

lungsunfähigkeit war zu dieser Zeit die Flucht in ein anderes Gerichtsgebiet124. Das ist nachvollziehbar, da es nach mittelalterlichem Recht meist125 einen „Ungehorsam“ darstellte, wenn der Schuldner eine gerichtliche festgestellte Forderung nicht bediente, selbst wenn er ohne eigene Schuld zahlungsunfähig geworden war. Die Sanktion hierfür war drastisch, da nach älterem Recht der Ungehorsam dem Gläubiger das Fehderecht gab, was in der Praxis die Vernichtung von Person und Vermögen bedeutete126. Erst später milderten sich die Folgen zu Verweisung aus Land oder Stadt, Schuldknechtschaft, Schuldhaft oder Gefängnishaft127. Dennoch ordneten die Regelwerke die Flucht als strafwürdiges Verbrechen ein und sanktionierten es mit Ächtung, Verweis aus der Stadt und bei Ergreifung mit Strafe an Leib und Leben128. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich das Wort „fluchtsal“ als Beschreibung des Phänomens, dass der Schuldner in Vorbereitung oder Verbindung mit seiner Flucht Veräußerungen tätigt129. Später verselbstständigte sich der Begriff und umfasste in seiner Bedeutung allgemein betrügerische Veräußerungen zum Zweck der Gläubigerbenachteiligung: Eine tatsächliche Flucht war keine Voraussetzung mehr für die Anwendung der Vorschriften130. Der Vorwurf an den Empfänger der Leistung bestand in seiner Beihilfe zur „fluchtsal“ des Schuldners131. Es war eine verbreitete Folge, dass der Leistungsempfänger und „Fluchthelfer“ als Strafe für die Verbindlichkeiten des Schuldners haftete. Hierbei handelte es sich allerdings nicht um eine Haftung für die ursprüngliche Schuld, sondern vielmehr um einen Schadensersatzanspruch aufgrund der deliktischen Beihilfe zur Flucht132. Vorausgesetzt war die Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligung als subjektives Element 133. Der Umfang der Regeln war sehr unterschiedlich. Teilweise haftete der Helfer nur mit dem empfangenen Gegenstand, teilweise mit dem ganzen eigenen Vermögen134. Die Haftung wandelte sich mit der Zeit insoweit um, als der Helfer nur noch die Beseitigung der Wirkung der gläubigerbenachteiligenden Handlung schuldete. Dementsprechend wurden die getätigten Verfügungen als den Gläubigern gegenüber

124 Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 41; Gerhardt, Systematik, S. 62; Planitz, ZRG GermAbt. 34 (1913), 49 (62 ff.). 125 Je nach regional geltendem Recht, wobei große Unterschiede bestanden, vgl. Gerhardt, Systematik, S. 76. 126 Gerhardt, Systematik, S. 62; Planitz, ZRG GermAbt. 34 (1913), 49 (63). 127 Planitz, ZRG GermAbt. 34 (1913), 49 (63). 128 Gerhardt, Systematik, S. 63 mit Nachweisen aus einzelnen Stadtrechten; siehe auch Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 11 ff. 129 Gerhardt, Systematik, S. 64; Planitz, ZRG GermAbt. 34 (1913), 49 (113 f.). 130 Planitz, ZRG GermAbt. 34 (1913), 49 (113). 131 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 18.4; Gerhardt, Systematik, S. 65; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 11. 132 Gerhardt, Systematik, S. 66; Planitz, ZRG GermAbt. 34 (1913), 49 (86). 133 Gerhardt, Systematik, S. 67. 134 Gerhardt, Systematik, S. 68.

40

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

unwirksam qualifiziert135. Da hiermit Beweisschwierigkeiten verbunden waren, kam es zur Objektivierung der Anfechtungsvoraussetzungen. In diesem Zusammenhang setzten die Regelwerke Zeitabschnitte vor der Flucht fest, in denen die Anfechtung aufgrund der besonderen Verdächtigkeit von Geschäften in zeitlicher Nähe zur Flucht ohne den Nachweis eines konkreten Zusammenhangs mit der „fluchtsal“ möglich war136. d) Gemeines Recht Die Entwicklung des sog. Gemeinen Konkursprozesses vollzog sich auf dem Gebiet des Deutschen Reiches im ausgehenden 17. und im 18. Jahrhundert137. Es handelte sich dabei um nicht kodifizierte Regelungen, die aus Praxis, Doktrin und Partikularrechten entstanden138. Später kam es in Städten und Ländern zu Kodifikationen, die dem gemeinrechtlichen System stark verhaftet waren (z. B. Preußische Hypotheken- und Concursordnung 1722, Hamburger Neue Fallitenordnung 1753, Konkursordnung von Lippe-Detmold 1779, Corpus Iuris Fridericianum 1783 (Preußen) und Preußische Allgemeine Gerichtsordnung 1793139, Zivilprozeßordnung von Braunschweig 1850, badische Zivilprozeßordnung 1864)140. Neben der Rezeption des italienisch-römischen Rechts, den deutschen Stadtrechten sowie den früheren Landesrechten (z. B. das bayrische oder kursächsische Landesrecht) prägten die Lehren des spanischen Autors Salgado de Samoza den gemeinen Konkurs141. Er hatte in seinem Werk „Labyrinthus creditorum concurrentium ad litem per debitorem communem inter illos causatam“ von 1646 römische, italienische und spanische Quellen zum Konkurs zusammengetragen und verarbeitet142. Das von ihm dargestellte Verfahren zeichnete sich vor allem durch eine dominante Rolle des Gerichts aus143. Es galt strenge Universalität, weshalb das Verfahren auch privilegierte Gläubiger einbezog144. Eine Vielzahl von Rechtsmitteln 135

Gerhardt, Systematik, S. 69 m.w.N. Gerhardt, Systematik, S. 74 f.; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 12. 137 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.12; Seuffert, Geschichte und Dogmatik, S. 69. Bei den folgenden Ausführungen ist zu beachten, dass sich das gemeine Recht nicht homogen in Deutschland verbreitete. Es galt zunächst subsidiär gegenüber den Stadtrechten, die es unterschiedlich stark beeinflusste; vgl. Gerhardt, Systematik, S. 83. 138 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.12; Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 52 f.; Goltdammer, Kommentar und Materialien pr. KO 1855, S. 3; Weiland, Par condicio creditorum, S. 30 f. 139 Hierzu Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 16 ff. 140 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.12; Kohler, Konkursrecht, S. 42 f. 141 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.12; Kohler, Konkursrecht, S. 40. 142 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.12. 143 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.12; Goltdammer, Kommentar und Materialien pr. KO 1855, S. 4. 144 Goltdammer, Kommentar und Materialien pr. KO 1855, S. 4. 136

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

41

führte zu überlangen Verfahren. Folglich wird später das Verfahren des Gemeinen Konkursprozesses als zu umständlich und bürokratisch kritisiert. Kohler schreibt in seinem Lehrbuch von 1891 etwa145: „Langwierigkeit und Ergebnislosigkeit der Konkurse bilden eines der hervorstechenden Merkmale der folgenden Zeit. In der Periode nach dem 30jährigen Kriege, in der Periode des furchtbaren Zerfalls und Darniederliegens, wo Konkurs auf Konkurs folgte, da hielt das spanische bureaukratische Verfahren seinen Einzug; die Konkurse wurden zur schrecklichen Plage.“

Der Verlauf des Verfahrens ist hier nicht im Einzelnen darzustellen146. Hervorzuheben ist, dass im gemeinen Konkurs umfassende Privilegien einzelner Gläubigergruppen bestanden147. Gewöhnlich wurden die Gläubiger in fünf Rangklassen eingeteilt, wobei häufig Streit über die genaue Einteilung entstand, was weitere Verzögerungen bedingte148. aa) Rolle der Arbeitnehmer Auch unter dem Gemeinen Konkursprozess gehörte lidlohn zu den absolut privilegierten Forderungen der ersten Rangklasse149. Da – wie gesehen – die Quellen zum Römischen Recht ein solches Privileg nicht kannten, hatten die gemeinrechtlichen Schriftsteller Schwierigkeiten das Lidlohnvorrecht zu begründen150. Sie griffen daher auf die Bibel zurück151. Fruchtbar gemacht wurden dabei v. a. die folgenden Textstellen: Moses V, 24 Vers 14, 15: „Dem Tagelöhner, der bedürftig und arm ist, sollst du seinen Lohn nicht vorenthalten, er sei von deinen Brüdern oder den Fremdlingen, die in deinem Land und in deinen Städten sind, sondern du sollst ihm seinen Lohn am selben Tage geben, dass die Sonne nicht darüber untergehe – denn er ist bedürftig und verlangt danach –, damit er nicht wider dich den HERRN anrufe und es dir zur Sünde werde.“

Moses III, 19 Vers 13: „Du sollst deinen Nächsten nicht bedrücken noch berauben. Es soll des Tagelöhners Lohn nicht bei dir bleiben bis zum Morgen.“

145

Kohler, Konkursrecht, S. 40. Siehe etwa Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.13 ff. 147 Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 53; MüKo-InsO/Stürner, Einführung Rn. 28; Weiland, Par condicio creditorum, S. 28, 33. 148 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.15. 149 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.15; Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 60; Jaeger, KO, 7. A., § 61 Anm. 13. 150 Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 60 Fn. 328. 151 Jaeger, KO, 7. A., § 61 Anm. 13; Wacke, ZIP 1991, 1472 (1474). 146

42

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Brief des Jakobus, 5 Vers 4: „Siehe, der Lohn der Arbeiter, die euer Land abgeerntet haben, den ihr ihnen vorenthalten habt, der schreit, und das Rufen der Schnitter ist gekommen vor die Ohren des Herrn Zebaoth.“

Auch wenn diese Auszüge keinen direkten Bezug zum Konkurs aufweisen, zeigen sie zumindest, dass die Idee eines Sonderschutzes für abhängig Beschäftigte sehr alt ist. Bemerkenswert ist, dass das gemeinrechtliche Lidlohnvorrecht entgegen dem Wortlaut der Bibel gerade Tagelöhner nicht erfasste152. bb) Anfechtung Mit der Geltung des gemeinen Rechts verbreiteten sich in Deutschland wieder die Regeln über die „Paulianische Anfechtung“153 und damit die Anknüpfung an ein unredliches Verhalten des Schuldners. Zu beachten ist, dass das gemeine Recht dem Schuldner von einem bestimmten Zeitpunkt an, spätestens mit Verfahrenseröffnung, die Befugnis entzog, über sein Vermögen zu verfügen154. Hiermit beschränkte sich die nach Römischem Recht noch umfassend geltende Paulianische Klage auf die Zeit vor der Eröffnung155. Die Anforderungen an den subjektiven Tatbestand der actio Pauliana wurden tendenziell verobjektiviert und vereinfacht156. Nach der vordringenden Meinung im gemeinrechtlichen Schrifttum war es nicht mehr erforderlich, dass es dem Schuldner gerade auf die Benachteiligung der Gläubiger ankam; vielmehr sollte die Kenntnis des Schuldners von seiner Zahlungsunfähigkeit genügen, weil ihm damit zugleich die Benachteiligung der Gläubiger durch weitere Verfügungen bewusst sei157. e) Preußische Konkursordnung von 1855 In der weiteren Entwicklung des Konkursrechts ist die Preußische Konkursordnung von 1855 hervorzuheben. Das liegt zum einen in der Abwendung von den bis dahin üblichen gemeinrechtlichen Ansichten, zum anderen an ihren neuartigen Regelungen zur Anfechtung. Die Preußische Konkursordnung von 1855 (pr. KO 1855) war stark vom französischen Code de commerce beeinflusst; sie stellt teilweise sogar eine Übersetzung der französischen Vorschriften dar158. Die herausstechenden Eigenschaften sind eine gestärkte Gläubigerherrschaft anstatt staatlicher Verwal152

Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, S. 8 Fn. 18. Gerhardt, Systematik, S. 78. 154 Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 54. 155 Gerhardt, Systematik, S. 79; Hahn, Materialien, S. 110. 156 Gerhardt, Systematik, S. 80; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 22. 157 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 22. 158 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.21; Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 76; Thieme, in: FS 100 Jahre KO, S. 35 (45); Uhlenbruck, in: FS 100 Jahre KO, S. 3 (12). 153

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

43

tung, Beschränkung der Universalität und eine Beschleunigung des Verfahrens durch Beschränkung der Rechtsmittel159. Obwohl der Umfang der Privilegien im Vergleich zum französischen Vorbild und dem Gemeinen Konkursprozess reduziert wurde160, enthielt auch die Preußische Konkursordnung noch viele Durchbrechungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes in Form einer Rangordnung (§§ 72 ff. pr. KO 1855)161. Herauszustellen ist dabei das Lohnkostenprivileg des § 77 pr. KO 1855: „Die Forderungen der von dem Gemeinschuldner für seinen Haushalt oder für sein Gewerbe angenommenen, im Dienstverhältnisse zu demselben stehenden Personen, insbesondere der Erzieher, Hausoffizianten, Handlungsgehülfen, Handwerksgesellen und Dienstboten, an Honorar, Lohn, Kostgeld und anderen Emolumenten, aus dem letzten Jahre vor der Konkurseröffnung […].“

Als Begründung wurde vorgebracht, dass die Arbeitnehmer auf die Eingehung von Dienstverhältnissen zu ihrem Unterhalt angewiesen seien, ohne dass sie ihre Forderungen absichern könnten162. Zudem sei es ihnen bei ausbleibenden Zahlungen in der Regel nicht möglich, den Dienst sofort zu verlassen163. Es sei ihnen auch nicht zumutbar, bei Fälligkeit sofort eine Klage gegen den Dienstherrn zu erheben. Daher sei der Schutz durch das Vorrecht den Verhältnissen angemessen164. Erstaunlicherweise erfuhr dieses Privileg – im Gegensatz zu den anderen Vorrechten – kaum Kritik in der Literatur165. Das Anfechtungsrecht der Preußischen Konkursordnung von 1855 richtete sich im Wesentlichen nach der Römischen und gemeinrechtlichen actio Pauliana166. Der Einfluss des deutschen Rechts führte aber zur Modernisierung der Anfechtungsvorschriften der §§ 99 ff. pr. KO 1855. Die Anfechtung war erstmals für die Situation innerhalb und außerhalb der Insolvenz getrennt geregelt167. Im Konkurs fanden sich neben den allgemeinen Anfechtungsgründen (Unentgeltlichkeit, Absichtsanfechtung) Regelungen für das neue Instrument einer Deckungsanfechtung, die nicht der Sanktionierung unredlichen Verhaltens, sondern einer Vorverlagerung der par condicio creditorum dient168 : Nach § 100 pr. KO 1855 waren nach Zahlungseinstellung vorgenommene Verfügungen anfechtbar, wobei als subjektive Voraussetzungen die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungseinstellung genüg-

159

Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.21; Thieme, in: FS 100 Jahre KO, S. 35 (45 f.). Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 77; Weiland, Par condicio creditorum, S. 36. 161 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 19; Weiland, Par condicio creditorum, S. 36 f. 162 Goltdammer, Kommentar und Materialien pr. KO 1855, S. 185. 163 Goltdammer, Kommentar und Materialien pr. KO 1855, S. 185. 164 Goltdammer, Kommentar und Materialien pr. KO 1855, S. 186. 165 Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 87. 166 Gerhardt, Systematik, S. 86. 167 Huber, Anfechtungsgesetz, Einführung Rn. 1; Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 13. 168 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 18. 160

44

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

te169. Bei sog. „suspekten Geschäften“, z. B. nachträglichen Besicherungen, Leistungen auf betagte Forderungen oder unbaren Leistungen innerhalb der letzten zehn Tage vor Konkurseröffnung gab es gar keine subjektiven Voraussetzungen mehr; die Gläubigerbenachteiligung war ausreichend170. Darin sieht Klinck „die Keimzelle der heutigen Regelungen der besonderen Insolvenzanfechtung“171. f) Konkursordnung von 1877 Die Gründung des Deutschen Reiches 1871 ermöglichte eine einheitliche Regelung des Konkursrechts für das gesamte Reichsgebiet172. Maßgeblichen Einfluss und Quellencharakter hatten bei der Schöpfung der Konkursordnung insbesondere das französische, preußische und sächsische Recht173. Am 21. Dezember 1876 wurde die Reichskonkursordnung verabschiedet und am 10. Februar 1877 veröffentlicht174. Sie basierte weitgehend auf dem Entwurf einer Deutschen Gemeinschuldordnung, den das preußische Justizministerium im Auftrag des Bundesrats seit 1870 erstellt hatte175. Kurz darauf wurde auch das „Gesetz betreffend die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des Konkursverfahrens“ vom 21. Juli 1879 für die Gläubigeranfechtung außerhalb des Konkurses geschaffen. Beide Gesetze traten am 1. Oktober 1879 in Kraft. Die Konkursordnung wandte sich in ihrer Konzeption endgültig vom gemeinen Konkursprozess ab176. Es gab keine Konzentration aller das Vermögen des Schuldners betreffenden Verfahren am Konkursgericht (sog. vis attractiva) mehr und der Universalitätsgrundsatz wurde zu Gunsten der ab- und aussonderungsberechtigten Gläubiger im Vergleich zum gemeinen Recht eingeschränkt177. Das Gesetz regelte den Konkurs als „staatlich überwachte Selbstverwaltung der Gläubiger“178. Eigentlich setzten sich die Schöpfer der Konkursordnung von 1877 (KO 1877) laut der Begründung zum Gesetzesentwurf auch zum Ziel, eine ausgeprägte Privilegienordnung zu vermeiden: 169 Goltdammer, Kommentar und Materialien pr. KO 1855, S. 253, 256; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 18; v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 37. 170 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 18.4; Goltdammer, Kommentar und Materialien pr. KO 1855, S. 261; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 18; v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 37. 171 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 18. 172 Ausführlich zur Entstehungsgeschichte der KO: Thieme, in: FS 100 Jahre KO, S. 35 ff.; Uhlenbruck, in: FS 100 Jahre KO, S. 3 (13 ff.). 173 Gerhardt, Systematik, S. 82. 174 RGBl. 1877, 351 ff.; Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.22. 175 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.22; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 24; Weiland, Par condicio creditorum, S. 38. 176 Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 96. 177 Uhlenbruck, in: FS 100 Jahre KO, S. 3 (18). 178 Uhlenbruck, DZWIR 2007, 1 (4).

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

45

„Jede, noch so ,gute‘ Vorrechtsordnung ist ein Uebel, je feiner ersonnen, je mehr abgestuft und ausgebildet, ein desto schlimmeres Uebel. […] Jede Bevorzugung des einen Gläubigers enthält eine Rechtskränkung der anderen, die volle Befriedigung des Einen geschieht auf Kosten des Anderen. Die Beseitigung aller Vorrecht muss das Ziel sein, welches die Gesetzgebung nicht aus den Augen verlieren darf […].“179

Dennoch enthielt die verabschiedete Fassung der KO 1877 eine umfassende Vorrechtsordnung180. Die angestrebte weitgehende Gläubigergleichbehandlung war nicht konsequent verwirklicht. Die KO 1877 war vielmehr durch viele Durchbrechungen der par condicio creditorum gekennzeichnet, die sowohl starke dingliche Sicherungen als auch eine umfassenden Privilegien- und Rangordnung umfassten. Zu einer quotalen Befriedigung kam es nur, wenn die verbleibende Masse nicht mehr zur vollständigen Befriedigung aller Gläubiger einer Rangklasse innerhalb einer Gläubigergruppe ausreichte181. Die geschaffenen Vorrechte basierten dabei ausschließlich auf den Gedanken des öffentlichen Wohls und der besonderen Schutzbedürftigkeit bestimmter Gläubigergruppen182. Etwa zwanzig Jahre nach der Verabschiedung der KO 1877 kam es zu einer Neufassung mit Bekanntgabe am 20. Mai 1898183. Diese diente in erster Linie der Anpassung an das neue Bürgerliche Gesetzbuch und enthielt lediglich geringfügige Änderungen und sprachliche Anpassungen184. Allerdings wurden die Normen neu sortiert, so dass die bekannten Regelungen an neuer Stelle zu finden waren. Zu erwähnen ist, dass im Dritten Reich keine maßgeblichen Veränderungen des Anfechtungsrechts erfolgten185. Auch die Privilegienordnung der KO überstand die Weimarer Republik und das Dritte Reich unverändert, obwohl zwischenzeitlich Reformdiskussionen aufkamen186. Dass im „Konkursalltag“187 das nationalsozialistische Gedankengut erhebliche Folgen hatte, steht aber außer Frage, was besonders die antisemitischen Ein- und Übergriffe auf die Beteiligten (v. a. als Verwalter oder Gemeinschuldner) betrifft188.

179

Hahn, Materialien, S. 238. Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 115 ff. 181 Weiland, Par condicio creditorum, S. 55. 182 Hahn, Materialien, S. 239; siehe auch Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 116; Weiland, Par condicio creditorum, S. 39. 183 RGBl. 1898, 230, 369, 612 ff. 184 Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 123. 185 C. Paulus, NZI 2011, 657 (658 f.). 186 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 100; Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 125 ff.; vgl. ausführlich hierzu: Schubert, KTS 1993, 323 ff. 187 C. Paulus, NZI 2011, 657 (659). 188 Lesenswert: C. Paulus, NZI 2011, 657 ff. 180

46

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

aa) Rolle der Arbeitnehmer Auch die KO 1877 enthielt ein recht umfassendes Lidlohnprivileg. Nach § 54 Nr. 1 KO 1877 standen in der Rangfolge an erster Stelle „die für das letzte Jahr vor der Eröffnung des Verfahrens oder dem Ableben des Gemeinschuldners rückständigen Forderungen an Lohn, Kostgeld oder anderen Dienstbezügen der Personen, welche sich dem Gemeinschuldner für dessen Haushalt, Wirtschaftsbetrieb oder Erwerbsgeschäft zu dauerndem Dienste verdungen hatten“. Später war das Privileg in § 61 Nr. 1 Konkursordnung 1898 (KO 1898) geregelt189, verblieb aber an der ersten Rangstelle und damit vor allen übrigen Konkursforderungen. Das Vorrecht der Arbeitnehmer wurde für die KO 1877 ausweislich der Begründung zum Entwurf der KO wie folgt erklärt: „Die auf solche Dienstverhältnisse angewiesenen Personen müssen sich verdingen, ohne daß sie in der Lage sind, ihre Forderungen zu sichern. In der Regel gestatten ihnen die Gesetze bei einmaligem Ausbleiben der Lohnzahlung nicht, den Dienst sofort zu verlassen, entweder müssen sie zuvor kündigen und die Kündigungszeit – oft also noch einen Zahlungstermin – abwarten, oder zuvor die gerichtliche Hülfe in Anspruch nehmen […]. Immer aber erschwert die Natur des Dienstverhältnisses, während der Dauer desselben den Weg der Klage gegen den Dienstherrn zu beschreiten. Durch ein Vorrecht ihnen den nöthigen Schutz zu verleihen, widerspricht weder dem allgemeinen Kredit, noch den Rechten der übrigen Gläubiger. Jedermann weiß, daß für das Hauswesen und Gewerbe erforderliche Personal gehalten werden muß, – das Vorrecht ist insofern erkennbar; nach seinem Umfang kommt es kaum in Betracht für die Gläubiger, ist dagegen von äußerster Erheblichkeit für die in dem Dienste stehenden Personen. Was sie zu fordern haben, ist Vergütung für Dienste und Leistungen, welche dem Geschäft und dem Vermögen des Gemeinschuldners und mit der Konkursmasse den übrigen Gläubigern zum Nutzen gereichen. Diesen gegenüber rechtfertigt daher das Vorrecht sich gewissermaßen aus dem Gesichtspunkt einer nützlichen Verwendung.“190

Auffällig ist die starke inhaltliche Überschneidung mit der Begründung des Arbeitnehmerprivilegs der pr. KO 1855191: die mangelnden Sicherungsmöglichkeiten und die faktisch eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber. Neu ist hingegen das Argument, der Leistungsaustausch mit den Arbeitnehmern komme auch den übrigen Gläubigern zugute; das gilt auch für die Erklärung, dass das Volumen der so privilegierten Forderungen verhältnismäßig gering ausfalle. Diese Erwägungen spiegeln sich in der Eingrenzung der geschützten Personengruppe wieder. Dem Begriff „verdingen“ wurde ein gewisses Maß der Abhängigkeit entnommen und zur Voraussetzung des Arbeitnehmerprivilegs gemacht192. „Sich verdingen“ bedeute, dass der Betreffende seine Selbständigkeit zu Gunsten eines anderen aufgebe und gegenüber dem Dienstbe189 Durch das Gesetz betreffend Änderungen der Konkursordnung vom 17. 5. 1898, RGBl. 1898, 230, 369, 612 ff. 190 Hahn, Materialien, S. 248. 191 Siehe oben B.I.2.e). 192 RG, Urt. v. 3. 11. 1905, RGE 62 (1906), 229 (229); Jaeger, KO, 7. A., § 61 Anm. 14.

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

47

rechtigen ausschließlich oder hauptsächlich zur Leistung von Diensten verpflichtet sei oder zu diesem in einem Abhängigkeitsverhältnis stehe193. Das Reichsgericht legte dar, dass „der wirtschaftlich Schwache“ geschützt werden solle, „der von einem andern mehr oder weniger Abhängige, dessen Tätigkeit der Konkursmasse zugute gekommen sei, und dessen verhältnismäßig geringe Ansprüche ohne erhebliche Beeinträchtigung der übrigen Gläubiger volle Befriedigung im Konkurse finden könnten.“194 Nach Aussage der Motive zur KO 1877 sollte der Schutz hingegen nicht für Tagelöhner oder andere Personen gelten, die sich nur zu einzelnen und nur zu einmaligen Leistungen verdingen195. Hieraus lässt sich der Schluss ziehen, dass es zumindest nicht nur um einen allgemeinen Sozialschutz ging, der ohne Zweifel auch Tagelöhner umfasst hätte; hinzutreten musste die besondere Situation der persönlichen Abhängigkeit, die auf langfristigem Vertrauen basiert. Es wurde allerdings angenommen, dass nach der Novelle von 1898, im Zuge deren der Wortlaut des Privilegs von „zu dauerndem Dienste“ zu „zur Leistung von Diensten“ abgeändert worden war, auch vorübergehende und vereinzelte Dienstleitungen erfasst seien, was Tagelöhner einbezog196. § 54 Nr. 1 KO 1877 und später § 61 Nr. 1 KO 1898 erfassten alle Forderungen, die sich als Gegenwert für die Dienst- oder Arbeitsleistung darstellten, also Lohn, Gehalt, Honorar, Provision, aber auch Gratifikationen, Urlaubsentgelt oder Reisespesen197. Eine Begrenzung der Höhe der privilegierten Forderung war nicht vorgesehen, da man davon ausging, dass die zeitliche Beschränkung auf ein Jahr vor der Konkurseröffnung bereits verhinderte, dass zu hohe Forderungen entstehen198. Trotz des Rangvorzugs blieben die privilegierten Arbeitnehmerforderungen jedoch – zunächst199 – einfache Konkursforderungen, die erst nach den Masseforderungen zu bedienen waren200. Forderungen, die sich auf Zeiträume von über einem Jahr vor Konkurseröffnung bezogen, waren einfache Konkursforderungen ohne Rangvorzug201. In der Praxis führte das Vorrecht der Arbeitnehmer entgegen den Erwartungen des Gesetzgebers zu erheblichen Abschöpfungen aus der Masse, wodurch die Befriedigungschancen der übrigen Gläubiger, insbesondere der ungesicherten Nichtbe-

193

RG, Urt. v. 3. 11. 1905, RGE 62 (1906), 229 (229). RG, Urt. v. 3. 11. 1905, RGE 62 (1906), 229 (229 f.); zustimmend Jaeger, ZZP 50 (1926), 336 (336) und Leo, ZZP 50 (1926), 335. 195 Hahn, Materialien, S. 249; Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, S. 10. 196 Jaeger, KO, 7. A., § 61 Anm. 14. 197 Hahn, Materialien, S. 249; Savaète, AuR 1956, 164 (167) ; Stoldt, KTS 1967, 193 (194). 198 Hahn, Materialien, S. 250. 199 Das änderte sich erst mit dem Gesetz über das Konkursausfallgeld von 1974, siehe dazu sogleich, B.I.2.g). 200 Jaeger, KO, 7. A., § 61 Anm. 7. 201 Savaète, AuR 1956, 164 (167). 194

48

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

vorrechtigten, deutlich sanken202. Die umfassende Kritik an der Vorrangordnung machte auch vor dem Arbeitnehmervorrecht keinen Halt mehr203. So schrieb Ernst Jaeger in seinem Lehrbuch von 1932204 : „Auch das Lidlohnvorrecht ist aus einer Wohltat zur Plage geworden.“

Die Kritiker argumentierten, die tatsächlichen Voraussetzungen, auf denen die Vorrechte beruhten, seien mit dem rechtlichen und gesellschaftlichen Wandel fortgefallen205. Arbeitnehmer hätten tatsächlich inzwischen in Bezug auf ihre Rechtsverfolgung – insbesondere durch die Einführung der Arbeitsgerichtsbarkeit – eine deutlich bessere Position inne, die sogar über die der übrigen Gläubiger hinausginge. Das klassische Unterordnungsverhältnis, das den Arbeitnehmer davon abhielt gegen den Arbeitgeber klageweise vorzugehen und das dem Privileg Pate gestanden habe, gebe es tatsächlich nicht mehr206. Teilweise wurde angeregt, eine Privilegierung nur für Arbeitnehmer zu regeln, die ein besonders geringfügiges Einkommen haben207. Trotz aller Kritik blieb das Lidlohnvorrecht der Arbeitnehmer bis zum Inkrafttreten der Insolvenzordnung am 1. Januar 1999 bestehen208. bb) Anfechtung Die KO 1877 übernahm aus dem preußischen Recht die Aufteilung der Anfechtung im Konkurs einerseits und außerhalb des Konkurses andererseits209. Die Anfechtung innerhalb des Konkursverfahrens war in den §§ 22 – 34 KO 1877210 kodifiziert. Die KO 1877 kannte grundsätzlich drei Anfechtungsgründe: erstens die Benachteiligungsabsicht des Schuldners und die Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon, wobei eine Beweislastumkehr für nahstehende Personen bestand (§ 24 KO 1877); zweitens die Unentgeltlichkeit, mit einem verlängerten Vornahmezeitraum bei Verfügungen zugunsten des Ehegatten (§ 25 KO 1877); drittens waren Rechtsgeschäfte anfechtbar, die zwischen Eröffnungsantrag und Konkurseröffnung vorgenommen wurden, wenn der Anfechtungsgegner Kenntnis von der Zahlungseinstellung oder dem Antrag hatte; im Fall der Inkongruenz waren Rechtshandlungen im 202

Vgl. empirisch Bredow/Christiansen, KTS 1959, 21 (22). Cahn, KuT 1930, 121 (122); Jaeger, DJZ 1930 (1935), (33) 39; ders., Lehrbuch, S. 65. 204 Jaeger, Lehrbuch, S. 65. 205 Jaeger, DJZ 1930 (1935), (33) 39 in Bezug auf die Vorrechte in § 61 Nr. 1 – 4 KO 1898; ders., KO, 7. A., § 61 Anm. 1. 206 Cahn, KuT 1930, 121 (122); Jaeger, Lehrbuch, S. 65; ders., KO, 7. A., § 61 Anm. 13; a.A.: György, KuT 1927, 105 (105). 207 Brass, KuT 1940, 18 (18): Weniger als 3.000 Reichsmark/Jahr. 208 Ab 1974 in modifizierter Form, siehe sogleich B.I.2.g). 209 Gesetz betreffend die Rechtshandlung eines Schuldners außerhalb des Konkursverfahrens v. 21. 7. 1879, RGBl. 1879, 277; dazu Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 13. 210 Später §§ 29 – 42 KO 1898. 203

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

49

Zeitraum bis zu zehn Tage vor Eröffnung oder Antrag anfechtbar (§ 23 KO 1877). Bei dieser dritten Anfechtungsform außerhalb der Absichts- und Freigiebigkeitsanfechtung handelt es sich um eine Form der Deckungsanfechtung. Der Gesetzgeber folgte bei der Ausgestaltung der Deckungsanfechtung dem sog. neufranzösischen oder neuenglischen System, das auch Verfügungen des Schuldners vor Verfahrenseröffnung erfasste, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der andere Teil die Zahlungseinstellung kannte (§ 23 KO 1877)211. Dogmatisch begründete der Gesetzgeber diese Rückerstreckung der par condicio mit dem sog. Konkursanspruch der Gläubiger212. So heißt es in den Motiven zur KO: „Das Zahlungsunvermögen des Schuldners und die Kollision der gegen ihn bestehenden Forderungen erzeugt für jeden Gläubiger den rechtlichen Anspruch, daß nunmehr das gesammte Vermögen zur gesetzlich geregelten Vertheilung unter den sämmtlichen vorhandenen Gläubiger (sic) und nur unter sie verwendet werde.“213

Hatte der spätere Anfechtungsgegner also Kenntnis von der Zahlungseinstellung, wusste er auch um die Verletzung des Konkursanspruchs durch sein Handeln. Diese Unredlichkeit rechtfertigte die Durchbrechung des grundsätzlich bestehenden Vertrauensschutzes214. Obwohl die Literatur dieses dogmatische Konstrukt kritisch aufnahm, wurde die Grundidee einer Rückerstreckung der par condicio auf den Zeitpunkt der materiellen Insolvenz nicht in Frage gestellt215. Die Anfechtungsregeln blieben nahezu unverändert bis zum Inkrafttreten der Insolvenzordnung bestehen, obwohl sie in der Literatur kritisiert wurden216. g) Reform 1974 Mit dem fortschreitenden Funktionsverlust der Konkursordnung verschärfte sich auch die Lage der Arbeitnehmer im Konkurs ihres Arbeitgebers. Wurde das Verfahren mangels Masse nicht eröffnet oder später eingestellt, gingen die Arbeitnehmer trotz des Privilegs leer aus217. Selbst im eröffneten Verfahren erhielten Arbeitnehmer 1973 aufgrund zunehmend geringerer Massen trotz des Rangvorzugs im Durchschnitt nur noch eine Quote von 31,5 % (1974: 32,9 %) auf ihre bevorrechtigten 211

Hahn, Materialien, S. 117; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 25; im Gegensatz dazu war dieses subjektive Element nach dem älteren französischen (auch: altenglischen) System nicht erforderlich, hier reichte die Anfechtbarkeit ohne Weiteres zur Zahlungseinstellung zurück. 212 Hahn, Materialien, S. 44 f.; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 26. 213 Hahn, Materialien, S. 44, ähnlich auch S. 115, 121. 214 Hahn, Materialien, S. 128; kritisch bereits Cosack, Anfechtungsrecht, S. 18 f.; siehe Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 27 m.w.N. 215 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 29. 216 Böhle-Stamschräder, KTS 1959, 66 (68 f.); Kilger, ZRP 1976, 190 (194); Weber, in: FS 100 Jahr KO, S. 321 (347 ff.). 217 Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 147; Jauernig, in: FS Baur, S. 465 (466); Uhlenbruck, KTS 1974, 66 (66); Zeuner, JZ 1976, 1 (1).

50

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Forderungen218. Ein weiteres grundsätzliches Problem lag darin, dass auch Vorauszahlungen auf bevorrechtigte Forderungen gemäß § 170 KO 1898 erst nach dem allgemeinen Prüfungstermin stattfinden konnten; hierdurch entstanden für Arbeitnehmer, die auf den Lohn als Lebensgrundlage angewiesen waren, schwer zu überbrückende Liquiditätsengpässe219. Der Gesetzgeber reagierte mit dem Gesetz über das Konkursausfallgeld vom 17. Juli 1974220. Im Zuge der Reform erhob er die Ansprüche für das letzte halbe Jahr vor Konkurseröffnung zu Masseforderungen dritten Ranges (§ 59 Abs. 1 Nr. 3 lit. a KO 1974), falls sie nicht wegen der Zahlung von Konkursausfallgeld auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangen waren221. Sofern die Masse ausreichte, konnte der Konkursverwalter diese Forderungen nunmehr sofort erfüllen222. Forderungen aus dem siebten bis zwölften Monat vor Eröffnung blieben gem. § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO 1974 an erster Stelle bevorrechtigte Konkursforderungen. Forderungen, die aus dem Zeitraum länger als zwölf Monate vor Konkurseröffnung stammten, waren einfache Konkursforderungen gem. § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO 1974223. Von größerer Bedeutung für den Arbeitnehmerschutz als diese Verschiebungen in der Befriedigungsordnung war jedoch die Einführung des Konkursausfallgeldes, die ebenfalls im Zuge der Reform erfolgte224. Das Konkursausfallgeld sicherte gem. §§ 141a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) rückständige Lohnforderungen der Arbeitnehmer für die vergangen drei Monate vor der Konkurseröffnung. Auf diesen sozialversicherungsrechtlichen Aspekt ist später ausführlicher einzugehen225. Die Einstufung vorkonkurslicher Arbeitnehmerforderungen als Masseforderungen erfuhr Kritik in der Literatur226. Der Hauptvorwurf lag darin, dass die Einordnung systemwidrig sei227: Der Rechtsgrund für diese Forderungen liege nicht im Konkursverfahren, sondern beziehe sich auf die Zeit vor dem Verfahren. Nach dem 218

Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 357. Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 147; Uhlenbruck, KTS 1974, 66 (66); Zeuner, JZ 1976, 1 (1). 220 Drittes Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes, BGBl. I 1974, S. 1481, Inkrafttreten am 20. Juli 1974. 221 Germann, Sozialschutz, S. 78 f.; Hanisch, ZZP 90 (1977), 1 (17); Kilger, NJW 1980, 271 (271); Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, S. 5. 222 BGH, Urt. v. 10. 12. 1980 – VIII ZR 327/79, BGHZ 79, 124 (126); Denck, KTS 1984, 35 (43); Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 148; Weber, FS 100 Jahre KO, S. 321 (358). 223 Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, S. 6. 224 Vgl. hierzu Heilmann, NJW 1975, 1758 (1758 f.). 225 Siehe unten B.II.2.c). 226 Denck, KTS 1984, 35 (46); Hanisch, ZZP 90 (1977), 1 (17); Heilmann, ZRP 1983, 266 (268 f.); Jauernig, in: FS Baur, S. 465 (266); Kilger, NJW 1980, 271 ff.; Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, S. 55; Uhlenbruck, KTS 1974, 66 ff.; Weber, in: FS 100 Jahre KO, S. 321 (323, 357 f.). 227 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 18 f.; Denck, KTS 1984, 35 (35); Hanisch, ZZP 90 (1977), 1 (17); Kilger, NJW 1980, 271 ff.; Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, S. 56; Weber, in: FS 100 Jahre KO, S. 321 (353, 357 f.). 219

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

51

Grundsatz des § 3 Abs. 1 KO 1898 sollten Gläubiger für Ansprüche aus dieser Zeit jedoch Konkursgläubiger sein. Masseschulden und Massekosten hingegen seien nach der Konzeption der Konkursordnung nur solche Forderungen, die dem Zweck des Verfahrens selbst dienten. Auch die faktische Besserstellung der Arbeitnehmer durch die neue Einordnung der Forderungen wurde bezweifelt. In Fällen der Masseunzulänglichkeit oder Massearmut führe die Umstufung von einer Insolvenzforderung ersten Ranges zu einer Masseforderung dritten Ranges zu keiner relevanten Steigerung der Befriedigungsaussichten228. Auch das Ziel einer schnelleren Befriedigung sei selbst bei ausreichender Masse nicht zwangsläufig gewährleistet, da der Verwalter diese Masse unter Umständen noch generieren müsse; in dieser Zeit könnten weiterhin empfindliche Liquiditätslücken für die Arbeitnehmer entstehen229. Henckel nahm an, das neue Instrument des Konkursausfallgeldes mache eine Privilegierung der Arbeitnehmerforderungen in Form eines Masse- oder Rangvorzugs insgesamt entbehrlich230. Aus der heutigen Perspektive waren die Verschiebungen in der Befriedigungsordnung verzweifelte Versuche, die Funktionsfähigkeit der Konkursordnung zu retten, die aus verschiedenen Gründen verloren gegangen war. Mit der Abschaffung der konkursimmanenten Befriedigungsprivilegien für Lohnansprüche durch die neue Insolvenzordnung verliert der Streit um den systematischen Wert der Rangordnung seinen Sinn. Die erstmalige Einführung eines externen Schutzsystems in Gestalt des Konkursausfallgeldes ist jedoch ein wichtiger Schritt in der Rechtsentwicklung, der bis heute von Bedeutung ist. h) Insolvenzordnung Das heutige deutsche Insolvenzrecht ist fast ausschließlich in der am 21. April 1994 verabschiedeten und am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen Insolvenzordnung231 geregelt. Die Insolvenzordnung ist das Produkt einer langen Reformdiskussion232. Da für die spätere Analyse der einzelnen Vorschriften auch die Zielsetzung des gesamten Regelwerks von Bedeutung ist, werden im Folgenden die grundlegenden Ziele der Insolvenzrechtsreform dargelegt.

228 Jauernig, in: FS Baur, S. 465 (266); Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, S. 58; Uhlenbruck, KTS 1974, 66 (67). 229 Denck, KTS 1984, 35 (45). 230 Henckel, ZZP 97 (1984), 369 (373). 231 BGBl. 1994, I S. 2866. 232 Ausführlich zur Gesetzgebungsgeschichte: Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 72 ff.; Becker, Insolvenzrecht, Rn. 50 ff.; Gerhardt, in: FS Leipold, S. 377 ff.; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 8; Pick, NJW 1995, 992 ff.

52

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

aa) Entstehung der Insolvenzordnung Die Konkursordnung galt lange als „Perle der Reichsjustizgesetze“233. Als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts jedoch wirtschaftliche Krisen die Bundesrepublik Deutschland trafen, nahm die Kritik an der Konkursordnung zu234. Als Hauptproblem wurde die Quotenarmut oder Quotenlosigkeit der Verfahren ausgemacht235. Die Massearmut war zur Regel geworden: Zwischen 1977 und 1981 lag die Ablehnungsquote der Verfahren bei ca. 70 %, die durchschnittliche Deckungsquote für einfache Konkursforderungen zwischen 3,2 und 6,1 %236. Zwischen 1985 und 1990 lehnten die Insolvenzgerichte sogar über 75 % der Konkursanträge mangels Masse ab237. In der Literatur war die Rede vom „Konkurs des Konkurses“238. Die Forderung nach einem der sozialen Marktwirtschaft und unserer Rechtsordnung adäquaten Insolvenzrecht kam auf239. Der Gesetzgeber der Insolvenzordnung formulierte später: „Die Konkursordnung ist weithin funktionslos geworden.“240

Das Scheitern der Konkursordnung hatte mehrere Gründe. Sie lagen nicht nur in den Regelungen der Konkursordnung, sondern auch an der grundsätzlich geringen Eigenkapitalquote der Unternehmen241. Aus insolvenzrechtlicher Sicht problematisch war die Anerkennung publizitätsloser Sicherungsrechte, die dazu führten, dass für ungesicherte Gläubiger kaum Befriedigungschancen bestanden242. Weiterhin zehrten die in § 61 KO vorgesehenen Privilegien die verbleibende Masse, insbesondere zu Gunsten des Fiskus243 und der Arbeitnehmer244, aus. Auch die Konkursanfechtung bot keine funktionierende Handhabe zur Massemehrung. Nach einer 1978 veröffentlichten Studie kam es überhaupt nur in jedem fünften Konkursverfahren zu einem Anfechtungsprozess245. Nach der Studie waren die Hauptgründe

233

Jaeger, DJZ 1930, 33 (34). Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 8 Rn. 1. 235 Berges, KTS 1957, 49 (57); Weber, in: FS 100 Jahre KO, S. 321 (334 f.). 236 Plett, ZIP 1982, 905 (906). 237 Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 8 Rn. 1; Pfefferle, ZIP 1984, 147 (147 f.); Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 72. 238 So der Titel eines Aufsatzes von Kilger, KTS 1975, 142 (142 f.); siehe auch ders., ZRP 1976, 190 ff. 239 Kilger, ZRP 1976, 190 (192). 240 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443 S. 72. 241 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 4.3. 242 Kilger, KTS 1975, 142 (148); Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 8 Rn. 1; Weiland, Par condicio creditorum, S. 45. 243 Dazu ausführlich Weiland, Par condicio creditorum, S. 45 und 49 ff. 244 Zu den Privilegien der Arbeitnehmer unter der KO siehe oben B.I.2.f)aa) und B.I.2.g). 245 v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 22; Gessner/Rhode/ Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 215. 234

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

53

dafür Beweisschwierigkeiten, fehlende Mittel zur Führung der Anfechtungsprozesse und zu kurz bemessene Anfechtungsfristen246. Im Jahr 1978 kam es auf Betreiben des damaligen Bundesjustizministers Dr. Hans-Jochen Vogel zur Einsetzung einer Kommission für Insolvenzrecht. Die Ergebnisse wurden in zwei ausführlichen Berichten 1985 und 1986 veröffentlicht247. Die wesentlichen Vorschläge umfassten die Einführung eines einheitlichen Verfahrens für Sanierung und Liquidierung, die Einbeziehung besitzloser Mobiliarsicherheiten in das Verfahren, die Streichung aller Vorrechte der Konkursordnung, die absolute und relative Begrenzung der Sozialplanansprüche der Arbeitnehmer und die Verschärfung des Anfechtungsrechts248. Ausdrücklich sollte die par condicio creditorum wieder gestärkt werden249. Die Kommissionsberichte waren von dem Ansatz geprägt, dass aus sozialen Gründen der Fokus des künftigen Insolvenzrechts auf der Sanierung von Unternehmen anstatt auf deren Liquidierung liegen sollte250. Das Bundesministerium der Justiz erstellte einen Diskussionsentwurf251 und stellte ihn 1988 vor; im Jahr 1989 veröffentlichte das Ministerium sodann einen Referentenentwurf252 für eine künftige Insolvenzordnung, der allerdings nur eine Überarbeitung des Diskussionsentwurfs war253. Die Entwürfe verwarfen den primär auf Sanierung zielenden Ansatz der Kommissionsberichte und vertraten die Gleichwertigkeit von Sanierung und Liquidierung zum Ziele der Gläubigerbefriedigung254. Schließlich entstand der Regierungsentwurf einer Insolvenzordnung255, den der Bundestag seinem Rechtsausschuss zur Beratung überwies. Dessen Arbeit führte zu einigen Anpassungen und Änderungen des Entwurfs256. In dieser neuen Form verabschiedete der Bundestag den Entwurf am 21. April 1994257. Der Bundesrat rief am 20. Mai 1994 den Vermittlungsausschuss an, da die Ländervertretungen den Zeitraum bis zum Inkrafttreten für zu kurz bemessen hielten und hohe Kosten sowie Personalüberlastung befürchteten258. Der Vermittlungsausschuss schlug vor, das neue Gesetz am 1. Januar 1999 in Kraft treten zu lassen. Dem stimmte 246 Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 215; MüKo-InsO/ Kirchhof, vor §§ 129 – 147 Rn. 5. 247 Erster Bericht der Kommission; Zweiter Bericht der Kommission. 248 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 101; vgl. Bauer, Ungleichbehandlung, S. 31; Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 4.13 ff.; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 8 Rn. 4. 249 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 101; Erster Bericht der Kommission, S. 7. 250 Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 8 Rn. 4. 251 Diskussionsentwurf, Band I und II. 252 Referentenentwurf. 253 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 8. 254 Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 8 Rn. 5. 255 RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443. 256 Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, S. 7. 257 BR-DruckS. 336/94. 258 Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, S. 8; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 8 Rn. 8.

54

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

der Bundestag am 17. Juni 1994 zu; der Bundesrat verzichtete am 8. Juli 1994 auf einen Einspruch259. Am 18. Oktober 1994 wurde die Insolvenzordnung schließlich im Bundesgesetzblatt verkündet260. Die Praxis verfolgte und begleitete das Reformvorhaben mit großem Interesse. Im Gravenbrucher Kreis schlossen sich mehrere überregional tätige Insolvenzverwalter zusammen, nahmen Stellung zu den Entwürfen261 und erarbeiteten einen eigenen Alternativentwurf262. Der Gravenbrucher Kreis wandte sich gegen eine umfassende Insolvenzrechtsreform und forderte stattdessen eine kleine Reform in Gestalt einer Anpassung der bestehenden Konkursordnung263. Zu erwähnen sind die Ansichten des Gravenbrucher Kreises hier, weil dessen Vorschlag interessanterweise zwar die Abschaffung des Fiskusprivilegs, nicht hingegen des Arbeitnehmerprivilegs vorsah264. § 61 des Gravenbrucher Entwurfs ordnete Forderungen der Arbeitnehmer auf die Bezüge aus einem Arbeitsverhältnis mit dem Gemeinschuldner als Insolvenzforderungen erster Rangordnung ein265. Zur Begründung führten die Autoren aus, dass auf das Arbeitnehmervorrecht nicht verzichtet werden solle, zumal Arbeitnehmeransprüche für einen Zeitraum, der länger als drei Monate vor Verfahrenseröffnung zurückliegt, nur selten rückständige seien. Für die Arbeitnehmeransprüche aus den letzten drei Monaten vor Eröffnung werde ohnehin regelmäßig Konkursausfallgeld in Anspruch genommen266. Die Ansichten des Gravenbrucher Kreises können freilich nicht als repräsentativ für alle Insolvenzverwalter eingestuft werden. Dennoch zeigen sie zum einen, dass die spätere Gestalt der Insolvenzordnung keineswegs unumstritten war und zum anderen, dass gerade Insolvenzverwalter, deren Nähe zur Praxis wohl niemand bestreiten möchte, nicht auf die Abschaffung des Arbeitnehmerprivilegs pochten. bb) Ziele der Reform Bereits aus den oben dargelegten Gründen für das Scheitern der Konkursordnung lassen sich einige Punkte ableiten, die der Gesetzgeber ins Auge fasste, um ein funktionierendes neues Insolvenzrecht zu schaffen. Neben den sogleich ausführlicher darzustellenden Zielen sei darauf hingewiesen, dass insgesamt eine Deregulierung angestrebt wurde und durch die Schaffung eines Einheitsgesetzes statt der 259

Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, S. 8. BGBl. I 1994, S. 2866. 261 Gravenbrucher Kreis, BB 1986, Beilage 15; ders., ZIP 1989, 468 ff.; ders., ZIP 1990, 476 ff.; ders., ZIP 1992, 657; ders., ZIP 1994, 585 ff. 262 Gravenbrucher Kreis, ZIP 1993, 625 ff. 263 Gravenbrucher Kreis, ZIP 1993, 625 (625). 264 Gravenbrucher Kreis, ZIP 1993, 625 (626). 265 Gravenbrucher Kreis, ZIP 1993, 625 (628); entsprechend privilegiert waren auch die Forderungen der zur betrieblichen Berufsbildung Beschäftigten sowie der in Heimarbeit Beschäftigten. 266 Gravenbrucher Kreis, ZIP 1993, 625 (629). 260

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

55

zuvor bestehenden Trennung zwischen Konkursordnung und Vergleichsordnung eine Vereinfachung erreicht werden sollte267. Indem die Deregulierung den Beteiligten mehr Handlungsspielraum gewährte, sollte durch deren privatautonome Entscheidungen eine aus wirtschaftlicher Sicht effiziente Problemlösung ermöglicht werden268. Der Gesetzgeber vertraute also umfassend auf die Kraft der marktwirtschaftlichen Ordnung und einer daraus folgenden optimalen Ressourcenverteilung durch eine marktkonforme Insolvenzbewältigung. Weitere wichtige Ziele der Reform waren eine endgültige Schuldenbereinigung durch die Restschuldbefreiung269, die Einbeziehung der dinglich gesicherten Gläubiger in das Verfahren270 und die Schaffung eines effizienten Insolvenzplanverfahrens271. (1) Erhöhung der Zahl eröffneter Verfahren Das wohl größte Problem der Konkursordnung bestand darin, dass aufgrund unzureichender Masse zuletzt die Mehrheit der Verfahren nicht mehr eröffnet wurde272. Diese regelmäßige Massearmut zu verhindern war das primäre und grundsätzliche Ziel der Insolvenzrechtsreform. Der Gesetzgeber erachtete die Eröffnung des Verfahrens aus wirtschaftlichen, sozialen und rechtsstaatlichen Gründen für wichtig273 : Nur im Rahmen eines eröffneten Verfahrens könnten die neuen Regelungen überhaupt die Stärken der marktkonformen Insolvenzbewältigung entfalten, was ausdrücklich auch den Arbeitnehmern zu Gute kommen sollte274. Darüber hinaus bestehe in einem geordneten Verfahren die Chance, vergangene Vermögensverschiebungen zu revidieren und drohende Manipulationen zu verhindern275. Als direktes Mittel zur Erhöhung der Zahl eröffneter Verfahren wurde die Beteiligung der dinglich gesicherten Gläubiger an den Verfahrenskosten angesehen276. Auch die Eröffnungsgründe sollten erweitert werden277. Indem bei der Massekostenprüfung künftig nur auf die Massekosten (Verwaltungs- und Gerichtskosten) – und nicht mehr zusätzlich auf die vorrangigen Masseschulden – abgestellt werden sollte, wurden die rechnerischen Hürden der Verfahrenseröffnung gesenkt278. Daneben sollten für den Schuldner oder dessen Organe starke Anreize gesetzt werden, 267

Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 82 ff.; Becker, Insolvenzrecht, Rn. 52; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 4.04. 268 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 78; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 4.05. 269 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 81. 270 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 86 ff. 271 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 90 ff. 272 Siehe oben B.I.2.h)aa). 273 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 80, siehe auch Smid, BB 1992, 501 (504). 274 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 80. 275 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 80. 276 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 80, 86. 277 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 81, 84. 278 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 84.

56

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

einen Insolvenzantrag zu stellen279, v. a. durch die Möglichkeiten der Restschuldbefreiung und der Eigenverwaltung. In unmittelbarem Zusammenhang mit dem Problem der Massearmut steht das Ziel einer möglichst frühen Verfahrenseröffnung280. Regelmäßig bestehen Rettungschancen für ein Schuldnerunternehmen nur, wenn frühzeitig die ordnenden und schützenden Wirkungen eines Insolvenzverfahrens in Kraft treten. Je länger ein Unternehmen sich in der wirtschaftlichen Krise durchschleppt, desto ungünstiger gestalten sich die finanziellen Strukturen durch fortschreitende Auszehrung der Masse. Auch die Beziehungen zu Vertragspartnern können Schaden nehmen, wenn der Schuldner Teile seiner Vertragspflichten wegen zunehmender Schwierigkeiten nicht erfüllt. Im Rahmen der Reformbestrebungen wurde daher schon früh angeregt, den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung zeitlich vorzuziehen281. Umsetzung fand dieses Anliegen durch den neu eingeführten Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit in § 18 Abs. 1 InsO282, der dem Schuldner einen frühzeitigen Eigenantrag ermöglicht, bevor die tatsächliche Zahlungsunfähigkeit eintritt. Auch für die frühe Eröffnung ist die Motivlage der Betroffenen von Bedeutung283, die insoweit z. B. durch die Strafvorschriften bei Insolvenzverschleppung gelenkt wird. Unabhängig von diesen Anpassungen im Bereich der Verfahrensgestaltung, bestand das Hauptproblem in der schlichten Abwesenheit von Masse, die eine Verfahrenseröffnung verhinderte. Vor diesem Hintergrund erlangen die folgenden Punkte ihre Bedeutung, da sie jeweils für sich Mittel gegen die Massearmut sind. (2) Stärkung des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung Ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs strebte der Gesetzgeber der Insolvenzordnung eine erhöhte Verteilungsgerechtigkeit an284. Als ungerecht wurde angesehen, dass privilegierte Gläubiger die Masse soweit auszehrten, dass für die ungesicherten Gläubiger keine Befriedigungschancen verblieben285. Diese Definition von Ungerechtigkeit überrascht in ihrer Kürze, wenn man sich vor Augen hält, dass gerade die Bevorzugung einiger Gläubigergruppen, etwa der Arbeitnehmer, auf Kosten der ungesicherten Gläubiger unter der KO als gerecht angesehen wurde.

279

Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 81. Bork, in: FS Schäfer, S. 593 (597). 281 Erster Bericht der Kommission, S. 347; zuvor etwa Kilger, ZRP 1976, 190 (193); Stoldt, KTS 1976, 191 (198). 282 Pick, NJW 1995, 992 (995); Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 81. 283 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 81. 284 Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 103. 285 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 81. 280

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

57

Intendiert war jedenfalls eine Stärkung der par condicio creditorum, die unter der KO zuletzt aufgrund der Vielzahl von Durchbrechungen kaum noch gewahrt war286. Die starken aber publizitätslosen dinglichen Vorrechte, v. a. in Gestalt von Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübereignung, belasteten die Masse häufig so stark, dass selbst die bevorrechtigten Arbeitnehmer mit ihren Forderungen ausfielen287. Die zunehmende Verbreitung solcher Sicherheiten wurde dafür verantwortlich gemacht, dass viele Verfahren bereits mangels Masse nicht eröffnet wurden oder nur sehr geringe Quoten hervorbrachten288. Die Reform schränkte die Befriedigungsmöglichkeiten der gesicherten Gläubiger allerdings kaum ein, da auch die besitzlosen Sicherungsrechte weiterhin berücksichtigt werden289. Es ist nicht Gegenstand dieser Arbeit, die Frage nach der Berechtigung der dinglichen Sicherungsrechte zu beantworten. Jedenfalls fanden in diesem Bereich durch die Insolvenzrechtsreform keine wesentlichen Veränderungen statt, was sich negativ auf die Befriedigungsaussichten der übrigen Gläubiger auswirkt290. Drastischer ging der Gesetzgeber mit den bestehenden Konkursprivilegien der ungesicherten Gläubiger um. Das Ausufern solcher Vorrechte wurde neben den dinglichen Sicherungsrechten als Hauptproblem der Konkursordnung gesehen291, wodurch der Konkurszweck der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung „nur noch als Farce“ erscheine292. Unter den Insolvenzgläubigern sollte es fortan, anders als zwischen den Konkursgläubigern der KO, keine rangmäßigen Abstufungen mehr geben. Vielmehr sollte eine Gleichbehandlung – innerhalb der Gruppe der ungesicherten, einfachen Insolvenzgläubiger – dergestalt erfolgen, dass sie eine gleichmäßige, anteilsmäßige Befriedigung ihrer Forderungen erhalten. Zu § 61 KO, also gerade zu den Rangprivilegien der Konkursordnung, äußerte sich der Entwurf einer Insolvenzordnung der Bundesregierung wie folgt: „Die Konkursvorrechte beruhen auf keinem einleuchtenden Gedanken. Sie sind wirtschaftlich nicht gerechtfertigt, und sie führen zu ungerechtfertigten Verfahrensergebnissen. […] Mehr Verteilungsgerechtigkeit lässt sich dadurch herstellen, dass die Konkursvorrechte des § 61 Abs. 1 KO und vergleichbare Vorrechte in anderen gesetzlichen Vorschriften ersatzlos wegfallen.“293

286 Erster Bericht der Kommission, S. 341 f.; Bauer, Ungleichbehandlung, S. 28; Stoldt, KTS 1967, 193 (194). 287 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 27; Kilger, KTS 1975, 142 (148); Münzel, MDR 1951, 129 (133 f.). 288 Kilger, KTS 1975, 142 (148); Münzel, MDR 1951, 129 (133); Smid, BB 1992, 501 (502). 289 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 81; absonderungsberechtigte Gläubiger (§§ 49 bis 51 InsO) werden allerdings an den Kosten der Verwertung beteiligt. 290 Sehr kritisch z. B. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 4.08. 291 Erster Bericht der Kommission, S. 342 ff.; Berges, KTS 1959, 53 f.; Böhle-Stamschräder, KTS 1959, 66 (70); Kilger, ZRP 1976, 190 (194). 292 Uhlenbruck, RdA 1976, 248 (250); ähnlich schon Berges, KTS 1959, 53 (54). 293 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 81.

58

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata „Die Entscheidung über den Vor- oder Nachrang einer Gläubigerklasse, die unter den heutigen Verhältnissen regelmäßig auf eine Entscheidung über „Alles oder Nichts“ hinausläuft, läßt sich nicht auf hinreichend überzeugende soziale Gesichtspunkte stützen. Jeder Vorrechtskatalog ist letztlich willkürlich […].“294

Tatsächlich schaffte der Gesetzgeber die bestehenden Privilegien, insbesondere zugunsten der Arbeitnehmer und des Fiskus, ab295. Das entsprach dem Anliegen der Reform, die Insolvenzabwicklung nicht mehr durch besonderen Sozialschutz zu belasten296. In Bezug auf die Arbeitnehmer sah der Gesetzgeber den Aspekt der mangelnden Sicherungsmöglichkeit der Arbeitnehmer als nicht mehr ausreichend zur Rechtfertigung von besonderen Privilegien an297: Denn auch andere Gläubigergruppen hätten keine Möglichkeit ihre Forderungen zu sichern, was z. B. Lieferanten verderblicher Güter betreffe. Es sei jedoch nicht möglich, allen Gläubigern mit fehlenden Sicherungsmöglichkeiten ein Privileg zu gewähren. Die Arbeitnehmer seien ohnehin durch das Konkursausfallgeld hinreichend abgesichert, das nunmehr aufgrund des einheitlichen Verfahrens in allen Fällen des Konkurses weitgehenden Schutz vor Lohnausfällen biete298. Andere Gruppen, deren Privilegien gestrichen wurden, z. B. die Einfirmen-Handelsvertreter i.S.d. § 92a HGB299, erachtete man allein durch die erwarteten höheren Befriedigungsquoten als ausreichend geschützt300. Im Entwurf der Bundesregierung hieß es ohne weitere Erklärung, die Vorrechte ließen sich nur einheitlich beseitigen301. Tatsächlich sah jedoch bereits § 141 Abs. 1 S. 2 dieses Entwurfs vor, dass Verbindlichkeiten aus einem Sozialplan, der nach Verfahrenseröffnung aufgestellt wird, Masseverbindlichkeiten sind. Heute findet sich diese Regelung in § 123 Abs. 2 S. 1 InsO. Ihr kann schwerlich die Eigenschaft als Privileg abgesprochen werden302. Auch sonst wurde die Gläubigergleichbehandlung bei weitem nicht ohne Ausnahmen durchgesetzt303. So blieben außerhalb der Insolvenzordnung mehrere Privilegien zugunsten bestimmter Gläubiger bestehen304 : Zu nennen sind hier etwa §§ 30 ff. Pfandbriefgesetz305, § 32 Depotgesetz306, 294

Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 90. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 4.08; gegen die Abschaffung des Arbeitnehmervorrechts: Kilger, ZRP 1976, 190 (194); dagegen wiederum Lohkemper, KTS 1996, 1 (33). 296 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 76. 297 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 90. 298 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 90; Erster Bericht der Kommission, S. 343; so auch Hanau, ZIP 1989, 422 (426). 299 Vorrecht in § 61 Abs. 1 Nr. 1 lit. c KO 1898. 300 Erster Bericht der Kommission, S. 344; Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 104. 301 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 90. 302 Weiland, Par condicio creditorum, S. 96. 303 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 4.08; Henckel, in: FS Uhlenbruck, S. 19 ff.; Weiland, Par condicio creditorum, S. 95 ff. 304 Becker, Insolvenzrecht, Rn. 35; Henckel, in: FS Uhlenbruck, S. 19 ff.; Weiland, Par condicio creditorum, S. 110. 295

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

59

§§ 38 f. Investmentgesetz307 oder §§ 77a VAG308. Bei diesen Vorrechten geht es jeweils darum, in der Insolvenz bestimmter Einheiten, z. B. Versicherungen oder Banken, die Befriedigungsaussichten einzelner Gläubigergruppen durch Vermögensabspaltungen zu verbessern, wenn diese ihr Geld dem Gläubiger als Vermögensanlage oder zur Alterssicherung anvertraut haben309. Trotz der Durchbrechungen der Gleichbehandlung ist festzuhalten, dass der Gesetzgebers die par condicio creditorum wenigstens innerhalb der Gruppe der ungesicherten Gläubiger stärken wollte. Es gilt, diese Intention bei der Untersuchung der Rechtslage im Blick zu behalten. Und zwar gerade hinsichtlich der Lage der Arbeitnehmer, deren privilegierte Stellung in der Insolvenz des Arbeitgebers vom Gesetzgeber ganz bewusst aufgegeben wurde. (3) Verschärfung der Anfechtung Eine weitere Stellschraube zur Verhinderung von Massearmut ist die Konkursbzw. Insolvenzanfechtung. Sie erfüllte unter der Konkursordnung ihre Aufgaben zuletzt nur noch unzureichend310 und sollte folglich bei der Einführung der Insolvenzordnung verschärft werden, um so den Insolvenzverwaltern die Masseanreicherung zu vereinfachen311. Die grundsätzliche Systematik der Anfechtungstatbestände wurde gegenüber der vorhergehenden Regelung der Konkursordnung im Kern nicht verändert312. Dennoch sollten durch einzelne Anpassungen die Möglichkeiten der Insolvenzverwalter zur Anfechtung verbessert werden: Die Anfechtung, die zuvor nur unter der Konkursordnung, nicht aber unter der Vergleichsordnung vorgesehen war, wurde einheitlich in allen Verfahren ermöglicht313. Die neue Insolvenzordnung sollte zudem durch die Verlängerung der Vornahmefristen die An-

305

Gesetz vom 22. 5. 2005, BGBl. I 2005, S. 1373; zuvor § 35 Hypothekenbankgesetz, dazu Henckel, in: FS Uhlenbruck, S. 19 (20 ff.). 306 Gesetz über die Verwahrung und Anschaffung von Wertpapieren vom 14. 2. 1937, RGBl. 1937, S. 171. 307 Gesetz vom 15. 12. 2003, BGBl. I 2003, S. 2676. 308 Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen vom 12. 5. 1901, RGBl. 1901, S. 139. 309 Becker, Insolvenzrecht, Rn. 35; Henckel, in: FS Uhlenbruck, S. 19 (30). 310 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 156; Erster Bericht der Kommission, S. 399; Gerhardt, in: FS Brandner, S. 605 (605); ders., ZIP 1985, 582 (582); Gessner/Rhode/Strate/ Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 215 f. 311 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443 S. 82, 156; Erster Bericht der Kommission, S. 399; Gerhardt, in: FS Leipold, S. 377 (379); C. Paulus/Schröder, WM 1999, 253 (253); Pick, NJW 1995, 992 (995). 312 MüKo-InsO/Kirchhof, vor §§ 129 – 147 Rn. 7. 313 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 82, 156; MüKo-InsO/Kirchhof, vor §§ 129 – 147 Rn. 7.

60

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

fechtung erleichtern314. Zunächst wurde die zuvor in § 41 KO geregelte einjährige Ausschlussfrist durch eine zweijährige Verjährungsfrist gem. § 146 InsO ersetzt, die mit der Verfahrenseröffnung zu laufen beginnt315. Bei der Schuldrechtsmodernisierung im Jahr 2004 passte der Gesetzgeber die Fristen an die allgemeine dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) an. Hierdurch wird dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit gegeben, ausführlicher und gründlicher nach Anfechtungslagen zu suchen316. Die Kehrseite besteht freilich in einer größeren Unsicherheit von Geschäftspartnern, die erst nach frühestens317 drei Jahren auf den Bestand ihres Rechtserwerbs vertrauen können. Auch der Zeitraum im Vorfeld des Insolvenzverfahrens, in dem Rechtshandlungen der Anfechtung unterliegen, sollte ausgedehnt werden318. Während § 33 KO die Anfechtung kongruenter Deckungen bei Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungseinstellung gem. § 30 KO bis zu sechs Monate vor der Verfahrenseröffnung erlaubte, sieht § 130 InsO eine dreimonatige Frist vor dem Insolvenzantrag vor. Da sich nach der heutigen Rechtslage das Eröffnungsverfahren oftmals genau über drei Monate erstreckt319, sind die praktischen Unterschiede gering. Umfassender waren die Veränderungen für die Anfechtung inkongruenter Deckungen. Nach § 30 Nr. 2 KO war die Anfechtung bis höchstens zehn Tage vor dem Eröffnungsantrag möglich. Nunmehr liegt die Frist bei drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfordert bei Rechtshandlungen im letzten Monat vor der Eröffnung keinerlei Kenntnis des Anfechtungsgegners. Verkürzt wurde hingegen die Frist bei der Absichtsanfechtung. Hier trat an die Stelle der dreißigjährigen Frist des § 41 Abs. 1 S. 3 KO die Zehnjahresfrist in § 133 Abs. 1 S. 1 InsO. Bei der hier wenig relevanten Anfechtung unentgeltlicher Leistungen (§ 134 InsO, früher § 32 KO) verlängerte der Reformgesetzgeber die Frist von einem bzw. zwei320 auf vier Jahre321. Weitere Verschärfungen sollten durch Abschaffung der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen oder deren erleichterte Nachweisbarkeit erfolgen322. Der Regierungsentwurf sah eine Gleichstellung der grob fahrlässigen Unkenntnis mit der Kenntnis im subjektiven Tatbestand der Deckungsanfechtung vor323, die jedoch in

314

Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 156; Beschlussempf. d. Rechtsausschusses, BT-DruckS. 12/7302, S. 150. 315 MüKo-InsO/Kirchhof, § 146 Rn. 2; C. Paulus/Schröder, WM 1999, 253 (257). 316 C. Paulus/Schröder, WM 1999, 253 (257). 317 Wegen Hemmung oder Neubeginn kann der Zeitraum noch darüber hinausgehen. 318 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 156; Vergleich der Rechtslage bei Kirchhof, ZInsO 1998, 3 ff. 319 Diese Praxis hängt mit den Möglichkeiten des Insolvenzgeldes zusammen, dazu unten B.II.2.f). 320 Für Geschäfte zwischen Ehegatten. 321 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 74. 322 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 156. 323 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 156.

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

61

dieser Form keinen Eingang in die endgültige Fassung fand324. § 130 Abs. 3 InsO enthält eine Beweislastumkehr für nahestehende Personen. Insgesamt fiel die Verschärfung der Anfechtung weniger drastisch aus, als die Absichtserklärungen des Gesetzgebers es zunächst vermuten lassen. Auch hier gilt es jedoch, die grundsätzliche Intention im Bewusstsein zu behalten, wenn man einzelne Tatbestände auslegt. (4) Effekt der Reform Der Gesetzgeber hat die von ihm ausgerufenen Ziele einer verstärkten Gläubigergleichbehandlung und einer verschärften Anfechtung in Angriff genommen, jedoch nicht ohne Durchbrechungen umgesetzt325. Nach nunmehr rund fünfzehnjähriger Geltung der Insolvenzordnung lässt sich empirisch bewerten, inwieweit der Gesetzgeber sein grundsätzliches Anliegen – die Bekämpfung der Masse- und Quotenarmut – erreicht hat. Im Jahr 2013 gab es in der Bundesrepublik 25.995 Unternehmensinsolvenzen (2012: 28.297); in 19.488 Fällen wurde dabei das Insolvenzverfahren eröffnet, in 6.507 Fällen wurde der Antrag mangels Masse abgewiesen326. Das bedeutet eine Eröffnungsquote von ca. 74,9 %. Das Ziel einer erhöhten Anzahl eröffneter Verfahren hat die Insolvenzordnung damit bislang erfüllt327. Zu den Befriedigungsquoten der Gläubiger stehen nur weniger umfassende Datenquellen zur Verfügung. Eine Tendenz liefert zumindest eine Studie zu Verfahren bei Unternehmensinsolvenzen in Nordrhein-Westfalen, die in den Jahren 2004 bis 2007 eröffnet wurden328 : Trotz – oder gerade aufgrund – eines hohen Anteil eröffneter Verfahren (68,9 %) waren die verbliebenen Unternehmensvermögen in drei Viertel aller Regelverfahren so niedrig, dass am Ende keinerlei Masse zur Verteilung an die Insolvenzgläubiger verblieb329. In den Regelverfahren, bei denen eine Schlussverteilung stattfand, betrug die durchschnittliche Befriedigungsquote der Insolvenzgläubiger 3,6 %. Betrachtet man nur solche Regelverfahren, bei denen tatsächlich Ausschüttungen an Insolvenzgläubiger erfolgten, liegt deren Befriedigungsquote mit durchschnittlich 5,4 % nur wenig höher330. Nach Ansicht der Durchführenden hat die Insolvenzrechtsreform damit bislang nicht zu einer deutlichen Verbesserung der Befriedigungsaussichten der ungesicherten Gläubiger in 324

Siehe dazu unten ausführlicher B.II.4.d)bb)(2)(c)(aa). Sehr kritisch dazu Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 4.08. 326 Statistisches Jahrbuch 2014, S. 515 f. 327 So auch Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 131 Fn. 12; Meier, Privilegien des Fiskus, S. 11; zur Analyse für Kapitalgesellschaften in den Jahren 2004 bis 2007 bei Haarmeyer/Beck/ Frind, ZInsO 2008, 1179 ff. 328 Kranzusch/Icks, Quoten der Insolvenzgläubiger. 329 Kranzusch/Icks, Quoten der Insolvenzgläubiger, S. 34. 330 Kranzusch/Icks, Quoten der Insolvenzgläubiger, S. 34. 325

62

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Regelverfahren geführt331. Nach einer auf Hamburg bezogenen Statistik mit Daten aus dem Jahr 2009 lag die durchschnittliche Befriedigungsquote der ungesicherten Gläubiger in Unternehmensinsolvenzen hingegen mit 9,34 % deutlich darüber, was sich auch mit den Zahlen aus den Vorjahren deckt332. Ohne umfassendes Datenmaterial für das Bundesgebiet lässt sich der Erfolg der Insolvenzrechtsreform insoweit kaum bewerten. Selbst bei einer Befriedigungsquote von ca. 10 % ist jedenfalls die Aussage in der Begründung des Regierungsentwurfs, dass ungesicherte Gläubiger durch die insgesamt erhöhten Quoten einen ausreichenden Schutz erhalten333, zweifelhaft. Auch Arbeitnehmern wäre mit einer Befriedigung von 10 % ihrer Lohnansprüche – im Regelfall erst mehrere Jahre nach deren Erarbeitungszeitpunkt – kaum gedient. Mit dem Wegfall ihres Privilegs hat für Arbeitnehmer damit das Insolvenzgeld die zentrale Bedeutung. Außerhalb seiner Schutzwirkung müssen auch Arbeitnehmer mit einem weitgehenden Ausfall ihrer Forderungen rechnen. i) Fazit zu den historischen Betrachtungen Bereits im römischen Recht entwickelt sich die Grundidee einer Gesamtvollstreckung, in der mehrere Gläubiger ihrem gemeinsamen Schuldner gegenüberstehen. Mit der missio in bona erscheint erstmals der Gedanke einer Gleichbehandlung der Gläubiger im Sinne einer quotalen Befriedigung. Schon hier zeigt sich, was sich in der Insolvenzrechtsgeschichte bis heute bestätigt: Eine vollständige Gläubigergleichbehandlung findet nicht statt; in allen Rechtsordnungen bestanden und bestehen Durchbrechungen in Form von Vorrechten334. Das gilt auch für die Insolvenzordnung. Privilegien für Arbeitnehmer enthalten seit dem frühen Mittelalter fast alle Konkursordnungen in Form sog. Lidlohnvorrechte335. Mit der Insolvenzordnung wird das Vorrecht der Arbeitnehmer erstmals seit seiner Entstehung abgeschafft. Auch die Anfechtung bestimmter Rechtshandlungen ist dem Römischen Recht bereits bekannt. Es geht dabei jedoch zunächst nur darum, unredliches Verhalten zu revidieren. Der Grundgedanke der besonderen Insolvenzanfechtung, die eine Vorverlagerung der Gläubigergleichbehandlung bewirkt, entwickelt sich zuerst im italienischen Statutarrecht und in Frankreich durch zunehmende Verobjektivierung des subjektiven Merkmals der Unredlichkeit. Tatbestände einer besonderen Insolvenzanfechtung tauchen für den deutschen Rechtskreis erstmals in der preußischen Konkursordnung von 1855 auf und sind damit ein vergleichsweise junges Instrument. 331

Kranzusch/Icks, Quoten der Insolvenzgläubiger, S. 37. Frind, ZInsO 2011, 169 (173). 333 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443 S. 90. 334 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 3.31, 5.37; Füßmann, Gläubigergleichbehandlung, S. 34; Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 305, 324 f.; Häsemeyer, KTS 1982, 507 (511); Jackson, The Yale Law Journal 1982, 857 (859); Weiland, Par condicio creditorum, S. 26, 299. 335 Garrido, International Insolvency Review 1995, 25 (44); Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 317. 332

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

63

Da in Fällen der Lohnanfechtung regelmäßig keine Unredlichkeit vorliegt oder nachgewiesen werden kann, ist dieser Entwicklungsschritt für die entsprechenden Konstellationen von zentraler Bedeutung. Dass überhaupt Lohnanfechtungen möglich wurden, ist jedoch durch die jüngste Geschichte des Insolvenzrechts bedingt: Zum einen entzog der Gesetzgeber den Arbeitnehmern mit Blick auf die Zielsetzung einer verstärkten Gleichbehandlung der Gläubiger ihren Sonderschutz. Die Abschaffung des Arbeitnehmerprivilegs führt dazu, dass bei Zahlungen an Arbeitnehmer in der Krise eine Benachteiligung der übrigen Gläubiger vorliegen kann; erst dieser Umstand ermöglicht die Anfechtung336. Zum anderen erhöht die allgemeine Verschärfung des Anfechtungsrechts für Insolvenzverwalter die Chancen erfolgreicher Lohnanfechtungen. 3. Systematischer Überblick An dieser Stelle ist ein Blick auf die Systematik der Anfechtungsnormen der Insolvenzordnung zu werfen, um die verschiedenen Ansatzpunkte der Anfechtungstatbestände verstehen zu können. Dabei ist das Verhältnis der Insolvenzanfechtung zu den Regelungen der Gläubigeranfechtung zu erläutern. Das erfordert eine knappe Darstellung, unter welchen Voraussetzungen es überhaupt zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kommt. Sodann werden die relevanten Tatbestände der Insolvenzanfechtung kursorisch vorgestellt und ihr Verhältnis zueinander geklärt. a) Begriff und Bedeutung der Anfechtung Der Begriff „Anfechtung“ oder „Insolvenzanfechtung“ ist sprachlich ungünstig. Zum einen suggeriert er eine Nähe zum Anfechtungsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches, die tatsächlich nicht besteht337. Die Insolvenzanfechtung hat mit der Anfechtung des BGB (§§ 119 BGB) außer der Bezeichnung nichts gemein338. Zum anderen vermittelt der Begriff dem Unbedarften den Eindruck, das Insolvenzverfahren oder die Illiquidität des Schuldners werde angefochten, was freilich nicht der Fall ist339. Auch wenn die Insolvenzanfechtung nur in der besonderen Situation des Insolvenzverfahrens anwendbar ist, darf ihre Bedeutung nicht unterschätzt werden. Es handelt sich um „eine der für den Gesamtbau der Vermögensrechtsordnung grund336

Siehe unten B.II.1. Gerhardt, Systematik, S. 144; Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 Rn. 50; HK-InsO/Kreft, § 129 Rn. 67; zur Geschichte des Begriffs in Bezug auf die Frage der Gestaltungswirkung der Anfechtung s. Gerhardt, Systematik, S. 113 ff. 338 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 18.8; Gerhardt, Systematik, S. 144; Gottwald/Huber, § 46 Rn. 8; so bereits Kleinfeller, DJZ 1903, 386 (386 f.) und Lenhard, ZZP 26 (1909), 165 (172). 339 Sehr kritisch zur Sprache der Insolvenzordnung: Jaeger/Henckel, InsO, Einleitung Rn. 88 ff. 337

64

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

legenden Begrenzungen privater Gestaltungsmacht“340. Schließlich ist regelmäßig bei der Vornahme einer Rechtshandlung nicht erkennbar, ob sich diese bei späterer Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als anfechtbar entpuppt. Zum einen ist in der Regel dem Handelnden im Rechtsverkehr die finanzielle Situation des Vertragspartners nicht bekannt. Zum anderen ist nicht absehbar, wann ggf. ein Insolvenzantrag erfolgt und ob damit die Handlung später in die Anfechtungsfristen fällt. Somit muss die potentielle Anfechtbarkeit – eigentlich – bei jeder Rechtshandlung bedacht werden. b) Verhältnis zur Einzelgläubigeranfechtung nach dem Anfechtungsgesetz Die Insolvenzanfechtung ist mit dem außerhalb des Konkurses geltenden Institut der Gläubigeranfechtung341 (auch Einzelgläubigeranfechtung oder Einzelanfechtung) verwandt, das heute im Anfechtungsgesetz342 (AnfG) niedergelegt ist. Beide Instrumente basieren auf einem gemeinsamen Gedanken: Der anfechtbar aufgegebene Vermögenswert ist nach der Wertung der Rechtsgüterzuordnung zur Befriedigung der Gläubiger desjenigen bestimmt, aus dessen Vermögen das aufgegebene Recht stammt. Dieser Wert bleibt also für die Haftungsrealisierung nicht dem Empfänger und dessen Gläubigern, sondern dem anfechtungsberechtigten Gläubiger bzw. den Insolvenzgläubigern vorbehalten343. Während die Insolvenzanfechtung auf die Situation der Gesamtvollstreckung beschränkt ist, handelt es sich bei der Gläubigeranfechtung um ein Instrument der Einzelzwangsvollstreckung344. Hieraus folgt die unterschiedliche Zielrichtung: Die Gläubigeranfechtung findet im Interesse eines Einzelgläubigers statt (§ 2 AnfG) und ermöglicht diesem den Zugriff auf einen Vermögensgegenstand des Schuldners, der zuvor dem Schuldnervermögen in einer ihn benachteiligenden Weise entzogen wurde345. Voraussetzung ist allerdings, dass der anfechtende Gläubiger einen vollstreckbaren Schuldtitel erlangt hat (§ 2 AnfG). Der Gegenstand wird bei der Einzelanfechtung nicht in das Schuldnervermögen zurückgezogen, sondern dem anfechtenden Gläubiger zur Verfügung gestellt, soweit es zu seiner Befriedigung erforderlich ist (§ 11 Abs. 1 S. 1 AnfG). Die Insolvenzanfechtung findet demgegenüber im Interesse der Gläubigergesamtheit statt, weshalb der anfechtbar weggegebene Gegenstand wieder der Masse zugeführt wird346.

340

G. Paulus, AcP 155 (1956), 277 (279). Zu den dogmatischen Hintergründen z. B. Thole, ZZP 121 (2008), 67 (84 ff.). 342 Gesetz über die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des Insolvenzverfahrens vom 5. 10. 1994, BGBl. I 1994, S. 2911, Inkrafttreten am 1. 1. 1999. 343 Gerhardt, Systematik, S. 164; MüKo-InsO/Kirchhof, vor §§ 129 – 147 Rn. 42. 344 KPB/Bork, vor § 129 Rn. 15; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 129 Rn. 15. 345 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 18.2; Thole, ZZP 121 (2008), 67 (87). 346 Zu den Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung, siehe unten B.I.5 und B.II.5. 341

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

65

Die Anfechtungsgründe in §§ 3, 4, 6 AnfG entsprechen inhaltlich den Tatbeständen der Insolvenzanfechtung nach §§ 133, 134, 135 InsO zur Anfechtung vorsätzlicher Benachteiligungen, unentgeltlicher Leistungen und von Gesellschafterdarlehen347. Keine Entsprechung im Anfechtungsgesetz haben hingegen die Regelungen der §§ 130 – 132 InsO, die daher auch als besondere Insolvenzanfechtung bezeichnet werden348. Das Verhältnis der Einzelanfechtung zur Insolvenzanfechtung ist ausdrücklich im Anfechtungsgesetz (§§ 16 – 18 AnfG) geregelt: Danach geht die Insolvenzanfechtung vor, wenn ein Insolvenzverfahren eröffnet ist349. Mit Verfahrenseröffnung wird der Insolvenzverwalter gem. § 16 AnfG berechtigt, die bis dahin von Insolvenzgläubigern (§ 38 InsO) erhobenen Anfechtungsansprüche zu verfolgen. Die Insolvenzgläubiger verlieren damit ihren Rückgewähranspruch aus § 11 AnfG350. Die Einzelanfechtung kann dann nur noch massefreie Gegenstände betreffen351. Nach § 17 Abs. 1 AnfG wird ein zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung rechtshängiges Verfahren über einen Anfechtungsanspruch im Zeitpunkt der Eröffnung unterbrochen. Der Insolvenzverwalter kann den Prozess gem. § 17 Abs. 1 S. 2 AnfG aufnehmen. Dieses Verhältnis von Einzelanfechtung und Insolvenzanfechtung entspricht dem Grundsatz352, dass in der Insolvenz die Gläubigergleichbehandlung den Prioritätsgrundsatz der Einzelzwangsvollstreckung verdrängt353. Die Anfechtung von Lohnzahlungen an einen Arbeitnehmer durch den Schuldner nach dem Anfechtungsgesetz, also außerhalb der Insolvenz des Schuldners, ist grundsätzlich denkbar. Als Anfechtungsgrund käme aufgrund der Entgeltlichkeit von Lohnzahlungen354 nur eine Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung in Betracht (§ 3 AnfG). Die Voraussetzungen stimmen dabei mit denjenigen der Vorsatzanfechtung innerhalb der Insolvenz überein355, die später dargestellt werden356. Handelt es sich beim Schuldner um ein Unternehmen, wird es in der Regel bei ausbleibenden Zahlungen an die Gläubiger zu einem Insolvenzverfahren kommen, so dass die Einzelanfechtung ausscheidet. Das gilt nicht, sofern der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen wird (§ 26 InsO).

347 KPB/Bork, vor § 129 Rn. 17; Huber, Anfechtungsgesetz, Einführung Rn. 22; § 3 Rn. 4, § 4 Rn. 4, § 6 Rn. 4. 348 Siehe schon oben A.IV.2. 349 KPB/Bork, vor § 129 Rn. 16; Huber, Anfechtungsgesetz, § 16 Rn. 1; MüKo-InsO/ Kirchhof, vor §§ 129 – 147 Rn. 42. 350 KPB/Bork, vor § 129 Rn. 16; Huber, Anfechtungsgesetz, § 16 Rn. 7. 351 KPB/Bork, vor § 129 Rn. 16. Huber, Anfechtungsgesetz, § 16 Rn. 4. 352 Siehe oben B.I.1.d). 353 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 79. 354 Siehe dazu unten B.II.4.g). 355 Huber, Anfechtungsgesetz, § 3 Rn. 4. 356 Siehe unten B.II.4.f).

66

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

c) Eröffnung des Insolvenzverfahrens Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens dient nicht nur zur Abgrenzung von der Einzelanfechtung, sondern ist Voraussetzung für die Zulässigkeit der Insolvenzanfechtung357. Nach § 27 InsO wird das Insolvenzverfahren durch Beschluss des Insolvenzgerichts eröffnet. Voraussetzung ist gem. § 13 InsO ein Eröffnungsantrag, den der Insolvenzschuldner selbst oder dessen Gläubiger stellen können. Hier zeigt sich der Grundsatz, dass Anfang und Ende des Insolvenzverfahrens der Initiative der beteiligten Parteien abhängen358. Das deutsche Recht kennt kein von Amts wegen eröffnetes Insolvenzverfahren. Für die vorliegende Thematik bedeutet das zum einen, dass auch Arbeitnehmer als Gläubiger durch einen Insolvenzantrag das Verfahren einleiten können. Zum anderen folgt daraus, dass die Arbeitnehmer sich nicht darauf verlassen dürfen, dass eine öffentliche Stelle diese Aufgabe übernimmt, wenn die Gläubiger sowie der Schuldner nichts unternehmen. Die Gründe, aus denen ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, sind in §§ 17 – 19 InsO festgelegt. Es handelt sich um die Zahlungsunfähigkeit, die Überschuldung und bei Eigenantrag des Schuldners den Grund der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Die Zahlungsunfähigkeit ist auch für die Tatbestände der Insolvenzanfechtung sowohl auf objektiver wie auf subjektiver Ebene von Bedeutung359. Daher sind im Folgenden die Eröffnungsgründe in ihren Grundlinien darzustellen. aa) Zahlungsunfähigkeit § 17 Abs. 1 InsO bestimmt die Zahlungsunfähigkeit als „allgemeinen Eröffnungsgrund“. Er gilt für alle Arten von Anträgen und Verfahrensarten360. Auch in der Praxis ist er der häufigste Grund für die Verfahrenseröffnung361. (1) Definition und Kriterien der Zahlungsunfähigkeit Gem. § 17 Abs. 2 S. 1 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Obwohl der Gesetzgeber in dieser Norm die Rechtsprechung zur Konkursordnung kodifizierte, übernahm er die Merkmale der Dauerhaftigkeit und der Wesentlichkeit des schuldnerischen Unvermögens nicht362. Es wurde befürchtet, dass sonst das Ziel einer frühen Verfahrens357 Braun/de Bra, § 130 Rn. 24; KPB/Ehricke, § 129 Rn. 3; MüKo-InsO/Kayser, § 129 Rn. 192. 358 Uhlenbruck/Wegener, § 13 Rn. 2; zur KO Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 5.4 ff. 359 Siehe dazu unten B.II.4.d)bb)(1)(a). 360 MüKo-InsO/Eilenberger, § 17 Rn. 4. 361 MüKo-InsO/Eilenberger, § 17 Rn. 1; Nerlich/Römermann/Mönning/Gutheil, § 17 Rn. 1; Jaeger/Müller, InsO, § 17 Rn. 1. 362 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 114; MüKo-InsO/Eilenberger, § 17 Rn. 1, 5; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 17; Uhlenbruck/Mock, § 17 Rn. 4.

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

67

eröffnung vereitelt werden könne363. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass auch ohne ausdrückliche Normierung selbstverständlich sei, dass eine nur vorübergehende Zahlungsstockung oder ganz geringfügige Liquiditätslücken keine Zahlungsunfähigkeit begründen364. Damit bleibt unter der Insolvenzordnung die Abgrenzung der Zahlungsunfähigkeit von einer reinen Zahlungsstockung von wesentlicher Bedeutung. Maßgeblich ist dabei – wie schon unter der KO – das Merkmal der Dauerhaftigkeit365. Der IX. Zivilsenat des BGH stellte mit einem Grundsatzurteil vom 24. Mai 2005366 die Leitlinien für die Abgrenzung zwischen Zahlungseinstellung und Zahlungsstockung auf: Danach ist eine bloße Zahlungsstockung anzunehmen, wenn ein Zeitraum von drei Wochen nicht überschritten wird. Beträgt eine innerhalb dieses Zeitraums nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 % seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird. Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners hingegen 10 % oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist. (2) Zahlungseinstellung, § 17 Abs. 2 S. 2 InsO Da die vorstehenden Kriterien für Außenstehende in der Praxis schwer zu erkennen sind, stellt § 17 Abs. 2 S. 2 InsO die widerlegliche Vermutung367 auf, dass Zahlungsunfähigkeit in der Regel anzunehmen ist, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Die Zahlungseinstellung ist kein eigener Eröffnungsgrund, sondern ein von außen wahrnehmbares Kennzeichen der Zahlungsunfähigkeit368. Entsprechend liegt eine Zahlungseinstellung nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der Schuldner objektiv zahlungsunfähig ist und dieser Zustand für die beteiligten Verkehrskreise erkennbar nach außen in Erscheinung tritt; die tatsächliche

363

Referentenentwurf, Begründung S. 17 f. Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 114. 365 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 53; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.20; v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 105. 366 BGH, Urt. v. 24. 5. 2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134 (139 ff.); siehe auch MüKoInsO/Eilenberger, § 17 Rn. 18a; Uhlenbruck/Mock, § 17 Rn. 28. 367 MüKo-InsO/Eilenberger, § 17 Rn. 28; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.21; Uhlenbruck/Mock, § 17 Rn. 146; v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 108; insbesondere kann die Vermutung durch die Aufnahme aller Zahlungen widerlegt werden, siehe BGH, Urt. v. 8. 12. 2005 – IX ZR 182/01, ZInsO 2006, 94. 368 MüKo-InsO/Eilenberger, § 17 Rn. 27; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.21; Jaeger/ Müller, InsO, § 17 Rn. 28. 364

68

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht aus369. Dabei kann der Befund der Zahlungseinstellung anhand einzelner Beweisanzeichen oder einer Gesamtschau von Indizien erfolgen, die auf die Zahlungseinstellung hindeuten; in diesem Fall ist keine Feststellung der genauen Höhe der Verbindlichkeiten des Schuldners oder einer Unterdeckung von mehr als 10 % erforderlich370. Die äußere Erkennbarkeit der Zahlungseinstellung kann aus unterschiedlichsten Tatsachen resultieren, am offensichtlichsten durch eine entsprechende Mitteilung des Schuldners an seine Gläubiger, auch in Verbindung mit einer Stundungsbitte371. Es genügen aber auch indirekte Anzeichen, wie gehäufte Pfändungen durch einen Gerichtsvollzieher, Einstellung des Geschäftsbetriebs oder die Verhaftung wegen Vermögensdelikten372. Hervorzuheben ist, dass nach Ansicht des BGH die schleppende Zahlung von Löhnen an Arbeitnehmer des Schuldners auf die Zahlungseinstellung hindeutet373. Auf die äußere Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit wird später im Rahmen der subjektiven Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung noch einzugehen sein374. bb) Drohende Zahlungsunfähigkeit Zweiter Grund für eine Verfahrenseröffnung ist die drohende Zahlungsunfähigkeit. Dieser Eröffnungsgrund ist Ausdruck des Bemühens des Gesetzgebers, eine frühe Verfahrenseröffnung zu ermöglichen und für Schuldner lukrativ zu gestalten375. Die drohende Zahlungsunfähigkeit gilt jedoch nur als Eröffnungsgrund, wenn der Eröffnungsantrag vom Schuldner gestellt wird (sog. Eigenantrag). Sie ist in der Praxis bislang wenig relevant. Die Bedeutung für diese Arbeit ergibt sich vielmehr aus dem Anfechtungsrecht: § 133 Abs. 1 S. 2 InsO stellt die Vermutung auf, dass der Anfechtungsgegner den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners kannte, wenn er wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Die drohende Zahlungsunfähigkeit ist in § 18 Abs. 2 InsO definiert. Danach droht der Schuldner zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage 369 BGH, Urt. v. 29. 3. 2012 – IX ZR 40/10, ZInsO 2012, 976 (977); BGH, Urt. v. 14. 2. 2008 – IX ZR 38/04, ZInsO 2008, 378.BGH, Urt. v. 21. 06. 2007 – IX ZR 231/04, NJW-RR 2007; BGH, Urt. v. 25. 10. 2001 – IX ZR 17/01, BGHZ 149, 100 (108); BGH, Urt. v. 11. 7. 1991 – IX ZR 230/90, NJW 1992, 624. 370 BGH, Urt. v. 29. 3. 2012 – IX ZR 40/10, ZInsO 2012, 976 (977). 371 BGH, Urt. v. 4. 10. 2001 – IX ZR 81/99, ZInsO 2001, 1049; Nerlich/Römermann/ Mönning/Gutheil, § 17 Rn. 26, 37; Uhlenbruck/Mock, § 17 Rn. 166. 372 Nerlich/Römermann/Mönning/Gutheil, § 17 Rn. 37; Jaeger/Müller, InsO, § 17 Rn. 32; Uhlenbruck/Mock, § 17 Rn. 158 ff. 373 BGH, Urt. v. 14. 2. 2008 – IX ZR 38/04, ZInsO 2008, 378. 374 Siehe unten B.II.4.d)bb)(2). 375 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 84; MüKo-InsO/Drukarczyk, § 18 Rn. 3; siehe dazu oben B.I.2.h)bb)(1).

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

69

sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Maßgeblich ist in der Praxis die Prognose anhand eines Finanzplans376. Mit dem Wort „voraussichtlich“ enthält § 18 Abs. 2 InsO ein prognostisches Element. Nach Ansicht des Gesetzgebers soll die Norm so zu verstehen sein, dass der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlicher sein muss als deren Vermeidung377. cc) Überschuldung Der dritte Eröffnungsgrund ist die Überschuldung. Er gilt nur für juristische Personen (§ 19 Abs. 1 InsO), kapitalistisch organisierte Gesellschaften (§ 19 Abs. 3 InsO) und nicht rechtsfähige Vereine (§ 19 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 1 S. 2 InsO)378. Erforderlich ist eine zweistufige Prüfung, wie sich heute aus § 19 Abs. 2 InsO ergibt379: Zunächst ist zu festzustellen, dass das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, d. h. dass die Passiva die Aktiva in Form der Liquidationswerte übersteigen. Sodann ist zu prüfen, ob nicht die Fortführung des Unternehmens nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist. In diesem Fall ist das Schuldnervermögen anhand der Fortführungswerte (going-concern-Werte) zu bewerten380. Eine nähere Darstellung ist hier nicht geboten, da dieser Eröffnungsgrund für die Insolvenzanfechtung über die reine Verfahrenseröffnung hinaus keine Rolle spielt: Die §§ 130 ff. InsO knüpfen nur an die Zahlungsunfähigkeit an, nicht aber an die Überschuldung. d) Überblick: Relevante Tatbestände Der folgende Abschnitt gibt einen knappen Überblick über die relevanten Normen der Insolvenzanfechtung unter der Insolvenzordnung. Obwohl oftmals von „der Insolvenzanfechtung“ die Rede ist, zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass die einzelnen Anfechtungstatbestände unterschiedliche Zwecke verfolgen und daher anhand ihrer Voraussetzungen unterschiedliche Fallkonstellationen betreffen. Es soll dargestellt werden, welche Tatbestände das geltende Insolvenzrecht überhaupt kennt und welche Relevanz sie für die Lohnanfechtung haben, ohne dabei die Details vorwegnehmen zu wollen. Damit wird zugleich die weitere Untersuchung auf die-

376

Ausführlich MüKo-InsO/Drukarczyk, § 18 Rn. 23 ff.; siehe auch Nerlich/Römermann/ Mönning, § 18 Rn. 32; Uhlenbruck/Mock, § 18 Rn. 18 ff. 377 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 115. 378 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.15. 379 Jaeger/Müller, InsO, § 17 Rn. 28 ff.; v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 115. 380 Die Details, insbesondere die Reihenfolge der Prüfung, sind dabei umstritten, siehe Becker, Insolvenzrecht, Rn. 428; MüKo-InsO/Drukarczyk/Schüler, § 19 Rn. 21 ff.; Nerlich/ Römermann/Mönning, § 19 Rn. 17 ff.; Jaeger/Müller, InsO, § 17 Rn. 28; Uhlenbruck/Mock, § 19 Rn. 38 ff.

70

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

jenigen Tatbestände eingeschränkt, die überhaupt für Lohnanfechtungen eingesetzt werden können. § 129 InsO ist die Grundnorm der Insolvenzanfechtung381. Die Norm zeigt die allgemeinen Voraussetzungen auf, die für jede Insolvenzanfechtung gelten. Erforderlich sind gem. § 129 InsO eine Rechtshandlung, die Gläubigerbenachteiligung und ein dazwischen bestehender Zurechnungszusammenhang. Der Verweis auf die §§ 130 bis 146 InsO in § 129 Abs. 1 InsO macht deutlich, dass die allgemeinen Voraussetzungen des § 129 Abs. 1 InsO allein nicht für eine Anfechtung genügen382, sondern zu diesen die speziellen Voraussetzungen der unterschiedlichen Anfechtungstatbestände der §§ 130 ff. InsO hinzutreten oder durch sie modifiziert werden383. Ebenfalls allgemeinen Charakter haben §§ 137 bis 142 InsO. § 138 InsO definiert für den gesamten Abschnitt, was unter einer „nahestehenden Person“ zu verstehen ist; nach Abs. 1 Nr. 3 sowie Abs. 2 Nr. 3 sind dabei auch solche Personen nahestehend, die sich auf Grund einer dienstvertraglichen Verbindung zum Schuldner über dessen wirtschaftliche Verhältnisse unterrichten können. § 139 InsO regelt die Berechnung der Anfechtungsfristen und § 140 InsO, in welchem Zeitpunkt eine Rechtshandlung als vorgenommen gilt. Besonders wichtig ist zudem § 142 InsO, der die eingeschränkte Anfechtbarkeit von Bargeschäften festlegt. Für Lohnanfechtungen ist diese Vorschrift von herausragender Bedeutung, da sie die Anfechtung pünktlicher Lohnzahlungen verhindert384. Ebenfalls von allgemeinem Charakter sind die §§ 143 bis 145 InsO, die die Rechtsfolgen einer erfolgreichen Anfechtung regeln. Die §§ 130 bis 136 InsO beinhalten die eigentlichen Anfechtungstatbestände. Die Insolvenzordnung unterscheidet bei der Anfechtung nach der Art der Rechtshandlung und stellt für die verschiedenen Arten jeweils eigene Tatbestände zur Verfügung. Die §§ 130 und 131 InsO enthalten die sog. Deckungsanfechtung. § 130 InsO ermöglicht die Anfechtung kongruenter Deckungen, also solcher Rechtshandlungen, durch die der Anfechtungsgegner das erhält, was ihm in dieser Form grundsätzlich zusteht. Obwohl die Bezeichnung als Kongruenzanfechtung fragwürdig ist385, soll sie im Folgenden mangels besserer Begrifflichkeiten verwendet werden, um die Anfechtung nach § 130 InsO zu betiteln. § 131 InsO regelt die Anfechtung inkongruenter Deckungen, also von Sicherungs- oder Befriedigungshandlungen, die der Anfechtungsgegner nicht, nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte. Es ist umstritten, ob § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO systema381

Laws, ZInsO 2009, 1465. Kohn-Löffelmann, Insolvenzanfechtung in Europa, S. 51. 383 MüKo-InsO/Kayser, § 129 Rn. 5. 384 Wann eine Lohnzahlung pünktlich ist, stellt dabei eine schwierige Frage dar, die später zu untersuchen ist, siehe untenB.II.4.c)cc). 385 Die Kongruenz ist keine Voraussetzung des § 130 InsO, vielmehr unterfallen ihm auch inkongruente Deckungen. Aufgrund der geringeren Voraussetzungen der Inkongruenzanfechtung (§ 131 InsO) entfaltet in diesem Fall § 130 InsO allerdings keine eigene Bedeutung, siehe Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.46. 382

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

71

tisch einen Fall der besonderen Insolvenzanfechtung darstellt oder ob es sich um einen auf inkongruente Deckungen bezogenen Unterfall der Absichtsanfechtung handelt. Diese Frage kann hier dahinstehen386. Mit dem Arbeitsentgelt erhält der Arbeitnehmer grundsätzlich das, was ihm nach dem vertraglichen Abwicklungsplan zusteht. Für Lohnanfechtungen ist § 130 InsO daher der mit Abstand wichtigste Tatbestand. Ihm gilt in der folgenden Untersuchung das Hauptaugenmerk. Aus der Kongruenz von Lohnzahlungen folgt zugleich, dass die Anfechtung nach § 131 InsO regelmäßig ausscheidet. Denkbar ist sie nur in besonderen Fällen, z. B. bei nicht im Vertrag vorgesehener Entlohnung des Arbeitnehmers mit Wertgegenständen aus dem Betriebsvermögen. § 132 Abs. 1 InsO ermöglicht die Anfechtung unmittelbar nachteiliger Rechtsgeschäfte des Schuldners. Diese sog. „Verschleuderungsanfechtung“387 richtet sich vornehmlich gegen die Begründung von Verbindlichkeiten in der wirtschaftlichen Krise des Schuldners, bei denen das Äquivalenzverhältnis der Leistungen zu Lasten des Schuldners gestört ist388. § 132 Abs. 2 InsO erstreckt die Anfechtbarkeit auf sonstige masseverkürzende Rechtshandlungen des Schuldners, was in erster Linie Unterlassungen betrifft389. Für Fälle der Lohnanfechtung scheidet § 132 InsO aus390, da die spezielleren §§ 130, 131 InsO bei der Erfüllung oder Sicherung von Verbindlichkeiten des Schuldners gegenüber Insolvenzgläubigern vorgehen und § 132 InsO damit ausschließen391. Angefochten werden könnte mit § 132 InsO hingegen die Begründung oder Änderung eines Arbeitsvertrages im kritischen Zeitraum. Für Lohnanfechtungen ist neben § 130 vor allem die Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO bedeutsam, wie nicht zuletzt einige der höchstrichterlich entschiedenen Fälle zeigen392. Insbesondere der lange Anfechtungszeitraum von zehn Jahren und die Anwendbarkeit auf Bargeschäfte machen die Vorsatzanfechtung dabei zu einer scharfen Waffe für den Insolvenzverwalter. Weniger wichtig ist der andere klassische Tatbestand der allgemeinen Insolvenzanfechtung, die Anfechtung unentgeltlicher Leistungen des Schuldners nach § 134 InsO. Bei Lohnanfechtungen fehlt es schon an der Unentgeltlichkeit, da die Arbeitnehmer ihre Arbeitsleistung bereits erbracht haben und dem Schuldnervermögen damit ein Gegenwert zuge386

Siehe dazu unten B.II.4.d)bb)(3). So etwa v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 193; Eichberger, Konkursanfechtung, S. 87; Henckel, ZIP 1982, 391 (393); kritisch zu diesem Begriff Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.66 Fn. 326. 388 MüKo-InsO/Kayser, § 132 Rn. 1. 389 Nerlich/Römermann/Nerlich, § 132 Rn. 4. 390 Laws, ZInsO 2009, 1465 (1468). 391 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 159; BGH, Urt. v. 17. 11. 1958 – II ZR 224/ 57, BGHZ 28, 344 (346); v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 193; Eichberger, Konkursanfechtung, S. 89 f.; Gerhardt, ZIP 1985, 582 (586); Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.67; Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 132 Rn. 4; MüKo-InsO/Kayser, § 132 Rn. 5. 392 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37; BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 585/10, ZInsO 2012, 271; BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63. 387

72

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

flossen ist. Auch hier sind jedoch Sonderfälle denkbar, auf die später eingegangen wird. §§ 135 und 136 InsO enthalten schließlich Anfechtungstatbestände, die die Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder der Einlage eines stillen Gesellschafters betreffen. Diese Sondertatbestände sind schon mangels Gesellschafterstellung der Arbeitnehmer für Lohnanfechtungen nicht fruchtbar zu machen. Sie werden im Folgenden nicht weiter behandelt. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in erster Linie die Deckungsanfechtung nach § 130 InsO sowie die Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO für die Lohnanfechtung und damit für die vorliegende Arbeit von Interesse sind. Die Anfechtung inkongruenter Deckungen (§ 131 InsO), die Verschleuderungsanfechtung (§ 132 InsO) und die Anfechtung unentgeltlicher Leistungen (§ 134 InsO) sind nur in Sonderkonstellationen relevant. Sie sind am Rande zu untersuchen. Ganz ausgeblendet werden hingegen die Sondertatbestände der §§ 135, 136 InsO. e) Verhältnis der Anfechtungstatbestände zueinander Die verschiedenen Anfechtungstatbestände bestehen grundsätzlich nebeneinander und kommen kumulativ zum Tragen393. Insbesondere sind die §§ 130, 131 InsO nicht vorrangig gegenüber der allgemeinen Insolvenzanfechtung, v. a. der Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO)394. Im Fall von Lohnanfechtungen machten dementsprechend Insolvenzverwalter in veröffentlichten Fällen regelmäßig die Anfechtung sowohl nach § 130 als auch nach § 133 InsO geltend. Eine Ausnahme von der Parallelität der Anfechtungstatbestände besteht im bereits angesprochenen395 Verhältnis der Verschleuderungsanfechtung (§ 132 InsO) gegenüber der Deckungsanfechtung nach §§ 130, 131 InsO: Aufgrund des Charakters der § 132 Abs. 1 und 2 InsO als Auffangtatbestände gehen diesen in Fällen von Erfüllungsgeschäften die Tatbestände der Deckungsanfechtung nach §§ 130, 131 InsO als leges speciales vor396. 4. Zweck der Insolvenzanfechtung Warum die Anfechtung von Lohnzahlungen überhaupt möglich ist, lässt sich nur vor dem Hintergrund des Zwecks der Insolvenzanfechtung verstehen. Der Blick auf diese dogmatischen Hintergründe der Anfechtung ermöglicht ein Verständnis des Interessengefüges zwischen Verwalter, Gläubigern, Arbeitnehmern und Schuldner. 393 BGH, Urt. v. 15. 3. 1972 – VIII ZR 159/70, BGHZ 58, 240 (241) zu den entsprechenden Tatbeständen der KO; Bork/Bork, Handbuch, Kap. 1. Rn. 13; Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 Rn. 14; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 129 Rn. 21; Zeuner, Anfechtung, Rn. 6; zur KO Eichberger, Konkursanfechtung, S. 18. 394 Huber, NJW 2009, 1928 (1929); MüKo-InsO/Kirchhof, vor §§ 129 – 147 Rn. 94. 395 Siehe oben B.I.3.d). 396 Jaeger/Henckel, InsO, § 129 Rn. 250; Zeuner, Anfechtung, Rn. 6, 151.

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

73

Nur so kann später das telos der Anfechtung in der Auslegung der einzelnen Tatbestände fruchtbar gemacht werden. Die verschiedenen Anfechtungstatbestände der Insolvenzordnung verfolgen unterschiedliche Zwecke, wobei das Gewicht der einzelnen Aspekte variiert397. Wie bereits die historischen Betrachtungen zeigen398, besteht der wichtigste Unterschied in den abweichenden Stoßrichtungen der klassischen Absichtsanfechtung einerseits und der jüngeren Deckungsanfechtung anderseits399. Mit Bezug auf das Thema dieser Arbeit ist dabei von besonderem Interesse, inwieweit die Tatbestände sich jeweils als Ausprägungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes darstellen. Nur wenn sie zur Verwirklichung der par condicio creditorum dienen, müssen sich eventuelle Ausnahmen von der Anfechtbarkeit überhaupt an diesem Grundsatz messen lassen. a) Befriedigungsfunktion Allgemein ausgedrückt lässt sich sagen, dass die Anfechtung dazu dient, der Masse Vermögensgegenstände wieder zuzuführen, die vor der Verfahrenseröffnung in einer die spätere Masse beeinträchtigenden Weise aus dem Vermögen des Schuldners abgeflossen sind400. Die Anfechtung steht damit im Einklang mit dem allgemeinen Ziel des Insolvenzverfahrens, nämlich der Befriedigung der Gläubiger401. Maßgeblich für diesen Zweck ist der bereits beschriebene Übergang von der Einzelvollstreckung zur Gesamtvollstreckung: Für den Zeitraum nach der formellen Insolvenz wird der Schutz der Gläubigerinteressen erreicht, indem der Rechtserwerb vom Schuldner weitgehend unmöglich gemacht wird, vgl. §§ 80 Abs. 1, 81, 89, 91 InsO402. Schon ab dem Zeitpunkt der materiellen Insolvenz ist die vollständige Befriedigung aller Gläubiger jedoch nicht mehr möglich. Da der Eröffnungsbeschluss durch das Insolvenzgericht grundsätzlich keine Rückwirkung entfaltet, könnte ein Gläubiger, der kurz vor der Verfahrenseröffnung noch Befriedigung erlangt hat, diese behalten. Nur aufgrund der besonderen Anfechtungsvorschriften können Transaktionen aus diesem Zeitraum revidiert werden403. Die Absichts- und Schenkungsanfechtung greifen in ihren Wirkungen aus anderen – sogleich zu erläuternden – Gründen404 noch darüber hinaus in die Vergangenheit zurück. 397

Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.01; Thole, ZZP 121 (2008), 67 (68 ff.). Siehe oben B.I.2. 399 Thole, ZZP 121 (2008), 67 (70). 400 BGH, Urt. v. 28. 3. 1985 – IX ZR 115/84, ZIP 1985, 816 (817); BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (373); Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 18.3; v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 8. 401 Siehe oben B.I.1.a) und B.I.1.d). 402 Siehe bereits oben B.I.1.d). 403 Bork, in: FS Schäfer, S. 593 (596); Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.02; G. Paulus, AcP 155 (1956), 277 (315); Weiland, Par condicio creditorum, S. 78, 84 f. 404 Unten B.I.4.b) und B.I.4.c). 398

74

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Die Masse wird durch die Rückführung der Vermögenswerte angereichert, wodurch die Chancen einer Verfahrenseröffnung sowie die Befriedigungsaussichten der übrigen Gläubiger steigen405. Damit liegt die erste Funktion der Insolvenzanfechtung – die sogenannte Befriedigungsfunktion – offen. Sie erstreckt sich auf alle Anfechtungstatbestände. Daher findet sie in der Insolvenzordnung ihren Ausdruck im Tatbestandsmerkmal der Gläubigerbenachteiligung in der Generalnorm des § 129 InsO: Nur solche Rechtshandlungen unterliegen der Anfechtung, die die Befriedungsmöglichkeiten der Gläubiger verschlechtern406. Damit ist allerdings noch nicht geklärt, aus welchem Grund diese Transaktionen revidiert werden407. Dabei ist zwischen den unterschiedlichen Anfechtungstatbeständen zu differenzieren, die jeweils unterschiedliche Stoßrichtungen haben408. Am wichtigsten sind die klassischen drei Anfechtungsarten, die auch die Insolvenzordnung kennt409: Die besondere Insolvenzanfechtung (§§ 130 – 132 InsO), die Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung (sog. Vorsatzanfechtung, früher „Absichtsanfechtung“) und die Anfechtung unentgeltlicher Leistungen (sog. Schenkungsanfechtung, § 134 InsO). b) Anfechtungsgrund der Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung Einfach ist die Diagnose des Anfechtungsgrundes bei der Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung, die heute in § 133 InsO geregelt ist. Sie knüpft an ein unredliches Verhalten an und sanktioniert es410. Die rechtshistorischen Hintergründe der Anfechtung, die bereits angesprochen wurden, zeigen, dass dieser Anfechtungsgrund in früheren Rechtsordnungen der zentrale Grund für die Anfechtung war411. Dementsprechend setzten bereits die der Anfechtung entsprechenden Rechtsbehelfe im klassischen und nachklassischen Römischen Recht den Nachweis voraus, dass Schuldner und Anfechtungsgegner mit Schädigungsabsicht zu Lasten

405 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 7 f.; Eichberger, Konkursanfechtung, S. 2; Gerhardt, ZIP 1985, 582 (582); Gottwald/Huber, § 46 Rn. 3; MüKo-InsO/Kirchhof, vor §§ 129 – 147 Rn. 3; für den angloamerikanischen Rechtskreis: McCoid II, Virginia Law Review, 1981, 249 (261). 406 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 8. 407 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 9. 408 Bork, in: FS Schäfer, S. 593 (599); Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.01. 409 Siehe ausführlicher zur Systematik unten B.I.3. 410 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (379); Bork, in: FS Schäfer, S. 593 (599); Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.07; Jensen, NZI 2013, 471 (471); v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 49. 411 Siehe oben B.I.2.; im Übrigen so auch v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 9; Gerhardt, Systematik, S. 45 ff.

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

75

der Gläubiger gehandelt hatten412. Auch heute noch sind die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen das wesentliche Merkmal der Absichtsanfechtung413. Maßgeblich ist, dass der Anfechtungsgegner, der den zu missbilligenden Vorsatz des Schuldners kennt, gegenüber den übrigen Gläubigern weniger schutzwürdig ist414. Um eine Sanktion gegenüber dem Gläubiger geht es hingegen, zumindest nach der aktuellen Ausgestaltung des § 133 Abs. 1 InsO, nicht, denn das reine Wissen um den Vorsatz des Schuldners rechtfertigt keine Sanktion; es begründet nur die fehlende Schutzwürdigkeit415. Die Gleichbehandlung der Gläubiger ist ebenfalls kein tragender Grund der Absichtsanfechtung416. Zwar führt auch die Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung zur Anreicherung der Masse und ermöglicht damit im Ergebnis eine spätere Gleichbehandlung der Gläubiger bei der Verteilung der Masse417. Der Grund für die Anfechtbarkeit liegt aber nicht in einem Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser hat nämlich im bis zu zehnjährigen Anfechtungszeitraum den Prioritätsgrundsatz noch gar nicht abgelöst. Dementsprechend setzt die Vorsatzanfechtung auch den Eintritt der materiellen Insolvenz nicht voraus418. Der noch geltende Prioritätsgrundsatz erfährt vielmehr durch die Vorsatzanfechtung wegen des sozial inadäquaten Verhaltens des Schuldners eine Durchbrechung419. c) Anfechtungsgrund der Anfechtung wegen unentgeltlicher Leistung Wenig problematisch ist auch, dass bestimmte Transaktionen der Anfechtung allein aufgrund ihrer Unentgeltlichkeit unterliegen. Es ist ein allgemeiner Rechtsgedanke, dass der Empfänger einer unentgeltlichen Leistung weniger schutzwürdig ist als der Empfänger einer entgeltlichen Leistung (umgesetzt z. B. in §§ 528, 816

412 Siehe oben B.I.2.b)cc); auch v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 9; Gerhardt, Systematik, S. 56 f., 60. 413 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.07. 414 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 19.11; Braun/de Bra, § 133 Rn. 3; MüKo-InsO/ Kayser, § 133 Rn. 1. 415 Überzeugend Bork, ZIP 2014, 797 (803). 416 BGH, Urt. v. 18. 3. 2010 – IX ZR 57/09, ZInsO 2010, 807 (808); BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (379); Bork/Bork, Handbuch, Kap. 5 Rn. 2; KPB/Bork, § 133 Rn. 2; ders., ZIP 2014, 797 (803); Foerste, ZInsO 2013, 897 (900); Schoppmeyer, ZIP 2009, 600 (602); ders., NZI 2005, 185 (186, 189); Weiland, Par condicio creditorum, S. 193; missverständlich Henckel, in: FS Nagel, S. 93 (99). 417 Bork, ZIP 2014, 797 (803); Weiland, Par condicio creditorum, S. 91. 418 Bork, ZIP 2014, 797 (802); Schoppmeyer, ZIP 2009, 600 (602). 419 Bork/Bork, Handbuch, Kap. 5 Rn. 2; Jaeger/Henckel, InsO, § 133 Rn. 2; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 133 Rn. 5.

76

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Abs. 1 S. 2, 822, 988 BGB)420. In der Situation der Insolvenz, bei der zwischen dem Bestandsinteresse des Empfängers und dem Befriedigungsinteresse der Gläubiger abzuwägen ist, ist der Anfechtungsgegner vor dem Hintergrund dieses Rechtsgedankens nicht schutzwürdig, wenn durch seinen unentgeltlichen Erwerb die anderen Gläubiger gleichzeitig Einbußen erleiden421. Gegenüber diesem Aspekt der geringen Schutzwürdigkeit tritt der Gedanke der Gläubigergleichbehandlung in den Hintergrund422. Zwar ermöglicht die durch Anfechtung genierte Masse als Reflex eine gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger. Der Grund dafür, dass der Gläubiger etwas zurück zu gewähren hat, liegt aber in seiner mangelnden Schutzwürdigkeit wegen des unentgeltlichen Erwerbs. Im bis zu vierjährigen Anfechtungszeitraum gilt grundsätzlich noch das Prioritätsprinzip. Von einer Verletzung des rückwirkenden Gleichbehandlungsgrundsatzes kann also nicht die Rede sein. d) Anfechtungsgrund der Deckungsanfechtung Größere Schwierigkeiten bereitet die Frage nach dem Grund, aus dem die Tatbestände der Deckungsanfechtung (§§ 130 – 132 InsO) die Folgen bestimmter Rechtshandlungen revidieren. Auch hier ist mit dem Hinweis auf die Wirkung der Deckungsanfechtung, nämlich dem rückwirkenden Schutz des für die Gläubiger haftenden Schuldnervermögens bereits in der Krise423, nicht gesagt, aus welchem Grund die Anfechtung greift. Wie ausgeführt worden ist424, liegt der klassische Ausgangspunkt der Insolvenzanfechtung in einem unredlichen Verhalten des Schuldners und der Teilnahme des Gläubigers daran. Mit der zunehmenden Verobjektivierung der subjektiven Tatbestandsmerkmale entstand nach und nach das Instrument, das man heute als Deckungsanfechtung bezeichnet. Die oben beschriebene Befriedigungsfunktion425 legt den Schluss nahe, dass der Zweck dieser Deckungsanfechtung darin besteht, eine gerechte (Chancen-)Verteilung und damit

420

Bork/Bork, Handbuch, Kap. 6 Rn. 2; Braun/de Bra, § 134 Rn. 1; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.08; Jaeger/Henckel, InsO, § 134 Rn. 2; Gottwald/Huber, § 49 Rn. 2; MüKoInsO/Kayser, § 134 Rn. 1. 421 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443 S. 160 f.; Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 19.1; Bork/Bork, Handbuch, Kap. 6 Rn. 2; v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 10; Gerhardt, ZIP 1985, 582 (588); Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.08; Nerlich/Römermann/ Nerlich, § 134 Rn. 2. 422 BGH, Urt. v. 15. 3. 1972 – VIII ZR 159/70, BGHZ 58, 240 (243) zu § 32 KO; FK-InsO/ Dauernheim, § 134 Rn. 2; Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 134 Rn. 2; Gottwald/Huber, § 49 Rn. 2; HK-InsO/Thole, § 134 Rn. 2. 423 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 8; Eichberger, Konkursanfechtung, S. 17; Meier, Privilegien des Fiskus, S. 12; Pfefferle, Konkursanfechtung, S. 56; R. H. Schmidt, AG 1981, 35 (41); kritisch und mit dem Hinweis, eine raschere Verfahrenseröffnung sei sinnvoller: Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.15. 424 Zur Historie siehe oben B.I.2. 425 B.I.4.a).

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

77

eine Gleichbehandlung im Vorfeld der Insolvenz zwischen den Gläubigern im Vorfeld der formellen Insolvenz zu gewährleisten. Bereits unter der Geltung der Konkursordnung war umstritten, in welchem Verhältnis der ursprüngliche Unredlichkeitsgedanke zur Rückerstreckung der Gläubigergleichbehandlung steht426. Gegenüber stehen sich in dieser Frage die Vertreter der sog. Unredlichkeitstheorie427 einerseits und der Gleichbehandlungstheorie andererseits. Nach Ansicht der Unredlichkeitstheorie liegt auch der Deckungsanfechtung die Sanktionierung unredlichen Verhaltens zugrunde; der Eingriff in bereits erlangte Vermögenspositionen durch die Anfechtung bedarf bei diesem Verständnis einer besonderen Rechtfertigung in Gestalt der subjektiven Voraussetzung einer unredlichen Gesinnung des Gläubigers428. Die unredliche Absicht des Schuldners und die Bösgläubigkeit des Anfechtungsgegners wird danach bei Vorliegen bestimmter objektiver Tatsachen gesetzlich vermutet oder fingiert429. Nach Ansicht der Gleichbehandlungstheorie hat sich die Deckungsanfechtung hingegen vollständig von der ursprünglichen Idee der actio Pauliana abstrahiert; nach dieser Ansicht bewirkt die Deckungsanfechtung nur die Vorverlagerung der par condicio creditorum, die allerdings aufgrund von Vertrauensschutzaspekten in Gestalt der subjektiven Tatbestandsmerkmale durchbrochen wird. Der Unterschied zwischen den Ansichten liegt damit in den Vorzeichen, d. h. in einer Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses430. Nach der Unredlichkeitstheorie haben Rechtshandlungen in der Krise grundsätzlich Bestand. Sie sind nur anfechtbar, wenn unredlich gehandelt wurde. Nach der Gläubigergleichbehandlungstheorie hingegen sind Rechtshandlungen wegen des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung grundsätzlich anfechtbar, die Unanfechtbarkeit aus Gründen des Verkehrs- und Vertrauensschutzes bildet davon eine Ausnahme431. aa) Sanktionierung unredlichen Verhaltens Zunächst ist zu klären, ob der Deckungsanfechtung heute noch der Gedanke zugrunde liegt, den unredlich erlangten Besitz des anfechtbar befriedigten Gläubigers zu sanktionieren432.

426

Siehe z. B. v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 10 ff.; Pfefferle, ZIP 1984, 147 (151 f.). Der Begriff geht zurück auf Canaris, in: FS 100 Jahre KO, S. 73 (78). 428 Gerhardt, in: FS 100 Jahre KO, S. 111 (130 f.); ders., Systematik, S. 215 ff.; Lorenz, KTS 1961, 147 (159). 429 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 11 f. 430 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 12; Eichberger, Konkursanfechtung, S. 19; Pfefferle, Konkursanfechtung, S. 60. 431 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 12; Canaris, in: FS 100 Jahre KO, S. 73 (78); so auch Pfefferle, Konkursanfechtung, S. 58 f. 432 v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 49. 427

78

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

(1) Materialien zur Konkursordnung Unter der Geltung der Konkursordnung galt die Begründung des Gesetzgebers naturgemäß als gewichtige Argumentationsquelle. Da die Anfechtungsnormen der Insolvenzordnung in ihrer Grundausrichtung mit denen der Konkursordnung übereinstimmen433, ist diese Konzeption auch für die heutigen Normen bedeutsam. Die Aussagen in den Materialien lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Nach der Zahlungseinstellung oder dem Antrag auf Konkurseröffnung sei jeder Akt der Befriedigung eines Konkursgläubigers eine Verletzung des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung434. Vor diesem Zeitpunkt sollte eine Anfechtung grundsätzlich nur aufgrund einer Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners möglich sein435. Diese Absicht sollte angenommen werden, wenn der Schuldner im Bewusstsein seiner bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit handelte. Das entsprechende Bewusstsein des Schuldners sei jedoch schwer nachzuweisen, was die pauschale Rückerstreckung rechtfertige, wenn „der Ausbruch der Zahlungsunfähigkeit jener begünstigenden Handlung auf dem Fuße gefolgt ist.“436 Der Umfang der Frist von zehn Tagen in § 23 Nr. 2 KO 1877 sei dabei „mehr oder weniger willkürlich.“437 Maßgeblich ist nach diesem System also der Zeitpunkt der Zahlungseinstellung oder des Eröffnungsantrages438: Vorher geht es um Unredlichkeit, danach um Gläubigergleichbehandlung. Dementsprechend enthielt § 23 Nr. 2 KO 1877 (später § 30 Nr. 2 KO 1898) zwei unterschiedliche Anfechtungsgründe439. Zum einen die Anfechtbarkeit inkongruenter Deckungen für die Zeit nach der Zahlungseinstellung oder dem Eröffnungsantrag, die auf dem Gedanken der Gläubigergleichbehandlung beruhte. Zum anderen die Anfechtung für den vorhergehenden Zeitraum von zehn Tagen, die einen Unterfall der Absichtsanfechtung darstellte, der sich auf inkongruente Deckungen bezog440. Aus dem Anfechtungsgrund dieses Sonderfalles lässt sich nicht schließen, die Deckungsanfechtung knüpfe insgesamt an einem unredlichen Verhalten an. Unter dem Strich zeigt also eine genauere Analyse der Materialien zur KO, dass sie für die Deckungsanfechtung allgemein nicht auf das verwerfliche Verhalten der Beteiligten abstellte, sondern für den Zeitraum nach der Zahlungseinstellung oder dem Eröffnungsantrag auf die Idee der Gläubigergleichbehandlung.

433

MüKo-InsO/Kirchhof, vor §§ 129 – 147 Rn. 7. Hahn, Materialien, S. 133. 435 Hahn, Materialien, S. 133. 436 Hahn, Materialien, S. 133. 437 Hahn, Materialien, S. 133. 438 BGH, Urt. v. 15. 12. 1994 – IX ZR 24/94, BGHZ 128, 196 (198 f.); v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 13; Henckel, ZIP 1982, 391 (394). 439 BGH, Urt. v. 15. 12. 1994 – IX ZR 24/94, BGHZ 128, 196 (198 f.); Henckel, ZIP 1982, 391 (394 f.). 440 Henckel, ZIP 1982, 391 (394 f.). 434

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

79

Dementsprechend interpretierte auch der BGH die Tatbestände der besonderen Insolvenzanfechtung als Instrument zum Schutz der Gläubigergleichbehandlung441. (2) Unredlichkeitstheorie unter der Insolvenzordnung Auch nach der Insolvenzrechtsreform kann an diesem Befund festgehalten werden. Die Materialien zur Insolvenzordnung enthalten zwar keine explizite Stellungnahme zur Unredlichkeitstheorie442. Allerdings erklärt die Begründung zu §§ 145, 146 RegE-InsO (entsprechen §§ 130, 131 InsO) die subjektiven Voraussetzungen auf Seiten des Anfechtungsgegners mit Verkehrsschutzargumenten und gerade nicht als Auslöser der Anfechtung wegen Unredlichkeit443. Es bestehen weitere schwerwiegende Bedenken gegen die Unredlichkeitstheorie. Bei der Anfechtung kongruenter Deckungen widerspricht das Element des unredlichen Verhaltens schon der tatbestandlichen Fassung des § 130 InsO444. Der Gläubiger treibt bei kongruenten Deckungen lediglich ein, was „ihm genau jetzt, genau hier und in genau dieser Weise zusteht“445. Im Übrigen erlauben sowohl § 130 als auch § 131 InsO die Anfechtung von Rechtshandlungen Dritter446. Die Unredlichkeit des Schuldners kann aber nicht der Grund der Anfechtung sein, wenn dieser selbst gar nicht handelt447. Gegen die Unredlichkeitstheorie wurde weiterhin vorgebracht, dass die Rückschlagsperre, die eine Ergänzung des § 131 InsO darstelle, keine subjektiven Elemente habe; diese objektive Ausrichtung ohne Durchbrechungen aus Gründen des Vertrauensschutzes sei mit dem Unredlichkeitsgedanken nicht vereinbar448. Soweit ersichtlich wird die Unredlichkeitstheorie heute nicht mehr vertreten449. Die mittlerweile einhellige Meinung im Schrifttum sieht den Grund der De-

441 BGH, Urt. v. 15. 3. 1972 – VIII ZR 159/70, BGHZ 58, 240 (242 f.); BGH, Urt. v. 25. 9. 1972 – VIII ZR 216/71, BGHZ 59, 230 (232); im ersten dieser Urteile überging der BGH dabei sogar den Unterschied zwischen der Anfechtung vor und nach der Zahlungseinstellung in § 30 Nr. 2 KO. 442 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 13. 443 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 158; v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 13. 444 So zu § 30 KO 1898 schon Canaris, in: FS 100 Jahre KO, S. 73 (78); vgl. auch v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 14; Pfefferle, Konkursanfechtung, S. 54. 445 Canaris, in: FS 100 Jahre KO, S. 73 (78). 446 Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 Rn. 136; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 130 Rn. 33, § 131 Rn. 10. 447 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 14; Canaris, in: FS 100 Jahre KO, S. 73 (78). 448 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 13; Pfefferle, ZIP 1984, 147 (151). 449 Zuvor wurden etwa die Ausführungen Hirtes, in: Uhlenbruck/Hirte12, § 130 Rn. 50 entsprechend interpretiert, siehe KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 104 Fn. 351. Allerdings widersprechen die Aussagen zum Normzweck in Uhlenbruck/Hirte12, § 130 Rn. 1 dieser Interpretation. In der 13. Auflage hat Hirte die Terminologie angepasst und verwendet den Begriff der Unredlichkeit nicht mehr, Uhlenbruck/Hirte13, § 130 Rn. 50.

80

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

ckungsanfechtung nicht mehr in der Sanktionierung unredlichen Verhaltens des Schuldners und der Teilnahme des Anfechtungsgegners daran450. bb) Durchsetzung der par condicio creditorum Nachdem nun geklärt ist, dass heute die Unredlichkeit nicht mehr der Grund der Deckungsanfechtung ist, verbleibt zur Erklärung der Deckungsanfechtung der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung. Dem entspricht die fast allgegenwärtige Standardaussage, dass die Insolvenzanfechtung eine Vorverlagerung der par condicio creditorum in den Zeitraum vor der Verfahrenseröffnung bewirke451. Hierdurch komme es zu einer Erweiterung der Gleichbehandlung in Bezug auf den Zeitraum, den Umfang und den Adressatenkreis452. Damit ist allerdings nur die Wirkung beschrieben, ohne deren Grund zu erklären. Tatsächlich besteht die Gefahr bei der Erklärung der Deckungsanfechtung mit der Gläubigergleichbehandlung in einen Zirkelschluss zu geraten, wenn man zugleich die Gläubigergleichbehandlung anhand der tatbestandlichen Regelungen der Anfechtung erklärt453. Im Rahmen der Insolvenzrechtsreform und der Umsetzung der Deckungsanfechtung der Insolvenzordnung erfolgte keine Begründung für die Erstreckung der par condicio in den Zeitraum vor der Verfahrenseröffnung; vielmehr wurde diese Eigenschaft der besonderen Insolvenzanfechtung vorausgesetzt454. Ohne die Frage nach der dogmatischen Basis des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung an dieser Stelle vertiefen zu wollen, lässt sich dessen Vorverlagerung durch die Deckungsanfechtung wie folgt erklären: Der Übergang vom Prioritätsprinzip auf die Gläubigergleichbehandlung erfolgt unter der Insolvenzordnung grundsätzlich erst mit der formellen Insolvenz455. Schon ab dem Zeitpunkt 450 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 14; Canaris, in: FS 100 Jahre KO, S. 73 (78); Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.47; Pfefferle, Konkursanfechtung, S. 52 ff.; ders., ZIP 1984, 147 (151 f.); Schoppmeyer, NZI 2005, 185 (187); v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 50; zur KO: Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 19.21; Eichberger, Konkursanfechtung, S. 17 f.; Häsemeyer, KTS 1982, 507 (526). 451 Siehe etwa BGH, Urt. v. 28. 2. 2008 – IX ZR 213/06, ZInsO 2008, 374 (375); BGH, Urt. v. 15. 3. 1972 – VIII ZR 159/70, BGHZ 58, 240 (243) zu § 30 KO; BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (379); BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, ZInsO 2014, 1108 (1110); Berges, KTS 1957, 49 (53); Bork, in: FS Schäfer, S. 593 (595); ders., ZIP 2014, 797 (802); v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 11; Canaris, in: FS 100 Jahre KO, S. 73 (78); Eichberger, Konkursanfechtung, S. 9, 17; Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 9; MüKo-InsO/Kirchhof, vor §§ 129 – 147 Rn. 1 ff.; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 33; ders., DB 2014, 2455 (2457); Pfefferle, Konkursanfechtung, S. 56; Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 142; v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 51; Zeuner, Anfechtung, Rn. 1. 452 Canaris, in: FS 100 Jahre KO, S. 73 (78); McCoid II, Virginia Law Review, 1981, 249 (260); v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 50. 453 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 34; Thole, ZZP 121 (2008), 67 (74). 454 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 30 f. 455 Siehe bereits oben B.I.4.a).

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

81

der materiellen Insolvenz führt die volle Befriedigung eines Gläubigers aufgrund der unzulänglichen Haftungsmasse jedoch dazu, dass die Befriedigungschancen der übrigen Gläubiger entsprechend sinken456. Ab dem Zeitpunkt, in dem diese Unzulänglichkeit des Vermögens eintritt, sollen solche Vorteile einzelnen Gläubigern durch privatautonomes Handeln nicht mehr zugutekommen457. Anderenfalls könnten einzelne Gläubiger vor Verfahrenseröffnung das Schuldnervermögen so weit auszehren, dass die übrigen Gläubiger kaum noch Chancen auf Befriedigung hätten. Die Rückerstreckung auf den Zeitpunkt der materiellen Insolvenz drückt sich deutlich in den Tatbeständen der §§ 130, 131 InsO aus, die an der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners anknüpfen. Das gilt auch für § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Zwar lässt dessen Wortlaut den Schluss zu, es komme nicht auf die Zahlungsunfähigkeit an. Der Verzicht auf dieses Merkmal beruht jedoch darauf, dass innerhalb der Monatsfrist die materielle Insolvenz unwiderleglich vermutet wird458. Maßgeblich ist also auch hier die Rückerstreckung auf diesen Zeitpunkt. Zudem erlaubt § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Anfechtung nach dem Eröffnungsantrag. Der Eröffnungsantrag ist zwar keine direkte Ausprägung der materiellen Insolvenz, wird jedoch als gleichwertige Krisentatsache gewertet, weil auch nach einem Antrag die Gläubiger nicht mehr auf die Zahlungsfähigkeit des Gläubigers vertrauen dürfen459. Die Überschuldung ist hingegen kein Anknüpfungspunkt für die Rückerstreckung. Zwar erkennt die Insolvenzordnung die Überschuldung als Eröffnungsgrund an (§ 19 InsO)460. Aus Gründen der Rechtssicherheit wird im Rahmen der Anfechtungstatbestände jedoch nur auf die Zahlungsunfähigkeit oder einen Eröffnungsantrag abgestellt, da die Überschuldung nach außen kaum zu erkennen ist461. Es lässt sich also feststellen, dass die Deckungsanfechtung ab dem Zeitpunkt der materiellen Insolvenz die Befriedigung eines Gläubigers verhindert, weil sie auf Kosten der übrigen Gläubiger erfolgt. Dem schließt sich logisch die Frage an, warum im Fall der Insolvenz ein Gläubiger auf die Befriedigungsaussichten der anderen Gläubiger Rücksicht nehmen muss. Klinck legt überzeugend dar, dass zur Rechtfertigung der Deckungsanfechtung nicht der schlichte Hinweis genüge, die Befriedigung eines Gläubigers auf Kosten der anderen sei ungerecht462. Die Rechtsordnung verbiete ein solches Vorgehen eines Gläubigers zu Lasten der anderen nicht generell, was sich insbesondere in der Insolvenzfestigkeit bestimmter dinglicher Sicherheiten 456

Schoppmeyer, ZIP 2009, 600 (603). Erster Bericht der Kommission, S. 403; Hahn, Materialien, S. 115, 121; Weiland, Par condicio creditorum, S. 85. 458 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 158; Bork/Schoppmeyer, Handbuch, Kap. 8 Rn. 4, 132; ders., NZI 2005, 185 (187); Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 144. 459 Schoppmeyer, NZI 2005, 185 (187). 460 Siehe oben B.I.3.c)cc). 461 Schoppmeyer, NZI 2005, 185 (186); so zur KO bereits Hahn, S. 119; Erster Bericht der Kommission, S. 403 f. 462 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 45. 457

82

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

ausdrücke463. Auch sonst gelte stets das Prioritätsprinzip, und zwar selbst in Fällen, in denen die Befriedigung des einen Gläubigers zu Lasten eines anderen Gläubigers erfolge464. Der Grund für diese Beschneidung der Rechte des einzelnen Gläubigers wird zumeist im Verhältnis zwischen den Gläubigern gesehen465. Dann hängt die genaue Erklärung der Deckungsanfechtung davon ab, wie man die Wirkung der par condicio creditorum dogmatisch herleitet466. Einen anderen Ansatz vertritt Klinck, der die Deckungsanfechtung als Instrument zur Korrektur des Funktionsversagens der privatautonomen Allokation sieht467. Grundsätzlich herrsche der Prioritätsgrundsatz, dessen Einschränkung aufgrund seiner Bedeutung für die Privatautonomie einer besonderen Rechtfertigung bedürfe468. Im Falle unzureichender Haftungsmasse wirkten Befriedigungshandlungen nach dem Prioritätsgrundsatz faktisch zu Lasten Dritter, was einen Verstoß gegen deren Privatautonomie darstelle469. Hier versage die Allokationsfunktion der Vertragsfreiheit und bedürfe einer Korrektur, die in Gestalt der besonderen Insolvenzanfechtung erfolge. Klincks Ansicht soll hier keiner ausführlichen Kritik unterzogen werden, was den Rahmen dieser Arbeit sprengen und ihr Ziel verfehlen würde. Auch für Klinck ist jedenfalls maßgeblich, dass die Befriedigung des einen Gläubigers nach dem Eintritt der materiellen Insolvenz zwangsläufig zum Nachteil der anderen Gläubiger gereicht. Dass die Deckungsanfechtung eine Rückwirkung der Gläubigergleichbehandlung bewirkt, stellt er nicht in Frage, auch wenn seine Erklärung hierfür neue Wege geht. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Deckungsanfechtung der Insolvenzordnung die Gläubigergleichbehandlung auf den Zeitpunkt der materiellen Insolvenz zurückerstreckt, weil ab diesem Zeitpunkt der Vorteil des einen Gläubigers zum Nachteil der anderen gereicht. cc) Vertrauens- und Verkehrsschutz Die Vorverlagerung der Gläubigergleichbehandlung kann nicht ohne Einschränkungen wirken. Sonst müsste bei jeder Rechtshandlung die Möglichkeit einer späteren Anfechtung bedacht werden. Das wäre mit dem komplexen Rechts- und Wirtschaftsverkehr nicht zu vereinbaren. Es wäre kein Vertrauen mehr möglich und 463

Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 38 ff. Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 35 ff.: Verkaufe etwa der Schuldner die gleiche Sache an zwei Gläubiger, sei selbstverständlich, dass nur der Gläubiger Eigentümer werde, dem der Schuldner die Sache zuerst übereigne. 465 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.03; Jensen, NZI 2013, 471 (472); Weiland, Par condicio creditorum, S. 84; siehe Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 45 ff. mit zahlreichen Nachweisen. 466 Siehe unten C.III.3. 467 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 63 ff., zusammenfassend S. 89. 468 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 64. 469 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 66 ff. 464

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

83

jede Transaktion müsste zusätzlich, z. B. durch dingliche Sicherheiten, geschützt werden470. Von potentiell sinnvollen Geschäften würde aus Vorsicht Abstand genommen oder es entstünden jedenfalls erhöhte Kosten für die Bestellung von Sicherheiten oder die Informationsbeschaffung hinsichtlich der finanziellen Lage des Schuldners471. Daher sind die Tatbestände der Deckungsanfechtung in subjektiver Hinsicht aus Gründen des Vertrauens- und Verkehrsschutzes eingeschränkt472. Der Verkehrsschutz wird auf individueller Ebene umgesetzt, indem die subjektiven Voraussetzungen der Deckungsanfechtung das Vertrauen des einzelnen Gläubigers in den Bestand der Transaktion schützen473. Nur bei Vorliegen des subjektiven Tatbestandes in der Person des Anfechtungsgegners ist die Anfechtung möglich. Das ist gerechtfertigt, da im Zeitpunkt der Rechtshandlung keinerlei Einschränkungen der Verfügungsmacht des Schuldners bestehen474. Entsprechend hat der Geschäftspartner bei vertragsgemäßer Abwicklung der Transaktionen grundsätzlich keinen Anlass zum Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Schuldners. Er ist in diesen Fällen schutzwürdig und sein Interesse am Bestand der Rechtsposition überwiegt das Interesse der übrigen Gläubiger an der Rückabwicklung475. Der gute Glaube eines Erwerbers ist nach allgemeinen Grundsätzen unschädlich, wenn die entsprechenden Fakten öffentlich bekannt gemacht wurden476. Eine solche Veröffentlichung erfolgt bei den für die Deckungsanfechtung relevanten Tatsachen, nämlich der Zahlungsunfähigkeit oder der Stellung eines Insolvenzantrags, allerdings nicht477. Daher kann der Anfechtungsgegner gutgläubig in Bezug auf die Abwesenheit solcher Krisenmerkmale sein, was die Gewährung von Vertrauensschutz rechtfertigt478. 470 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (38); v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 16; Windel, AP ArbGG 1979 § 2 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14, sub. III.1.a). 471 Bork, in: FS Schäfer, S. 593 (600). 472 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 157 f.; Bork, in: FS Schäfer, S. 593 (600); v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 7, 16 f.; Canaris, in: FS 100 Jahre KO, S. 73 (78); Eichberger, Konkursanfechtung, S. 17; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.47; Jaeger/Henckel, InsO, § 130 Rn. 8; Jensen, NZI 2013, 471 (472); Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 170 ff., 300; ders., AP InsO § 130 Nr. 1; Pfefferle, Konkursanfechtung, S. 58 f.; KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 104; ders., ZIP 2009, 600 (603); ders., NZI 2005, 185 (186 f.); Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 142 f.; v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 53; siehe auch UNCITRAL Legislative Guide on Insolvency Law, 2005, www.uncitral.org, Tz. 154. 473 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 16; Eichberger, Konkursanfechtung, S. 17; Schoppmeyer, NZI 2005, 185 (187); v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 53. 474 Bork, in: FS Schäfer, S. 593 (600). 475 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 16. 476 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 18; Henckel, ZIP 1982, 391 (394). 477 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 17 f.; Jaeger/Henckel, InsO, § 130 Rn. 8; ders., ZIP 1982, 391 (394). 478 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 18.

84

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Nicht bei allen Rechtshandlungen wird der Vertrauens- und Verkehrsschutzes in gleichem Maße gewährt. Das Schutzniveau unterscheidet sich stufenartig je nach der Art der Rechtshandlung, ihrer objektiven Verdächtigkeit und der Beziehung zwischen Schuldner und Anfechtungsgegner479. Auf der Ebene der subjektiven Voraussetzungen geht es dabei v. a. um die Beweislastverteilung480. Inkongruente Deckungen gelten als grundsätzlich verdächtig, weshalb § 131 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO die Kenntnis des Anfechtungsgegners unwiderleglich vermuten und entsprechend keine subjektiven Voraussetzungen enthalten481. Weiterhin sehen § 130 Abs. 3 und § 131 Abs. 2 S. 2 InsO eine Beweislastumkehr bezüglich der Kenntnis von Krisentatsachen gegenüber nahestehenden Personen vor. dd) Zwischenergebnis Nach mittlerweile einhelliger und zustimmungswürdiger Ansicht liegt der Grund für die Deckungsanfechtung der Insolvenzordnung darin, dass ab dem Zeitpunkt der materiellen Insolvenz des Schuldners die Befriedigung eines Gläubigers auf Kosten der Übrigen nicht gerechtfertigt ist. Durchbrochen wird dieser Grundsatz durch die subjektiven und zeitlichen Schranken der Tatbestände aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Die Sanktionierung unredlichen Verhaltens ist hingegen kein Grund der heutigen Deckungsanfechtung. Dieser Befund wirkt wegen des eindeutigen Meinungsbildes auf den ersten Blick trivial. Für die hier zu behandelte Thematik muss man sich seine Konsequenz jedoch vor Augen führen: Weder dem schuldnerischen Arbeitgeber, der in der Krise an seine Arbeitnehmer leistet, noch dem Arbeitnehmer selbst wird bei einer Deckungsanfechtung der Vorwurf gemacht, in irgendeiner Weise verwerflich oder unredlich gehandelt zu haben. Gerade diese Unabhängigkeit der Deckungsanfechtung von jeglichem anrüchigen Verhalten der Beteiligten ruft bei Fachfremden – v. a. natürlich bei Anfechtungsgegnern – oft Unverständnis und den Eindruck hervor, die Anfechtung sei ungerecht. e) Anfechtungsgrund des § 132 InsO Die Verschleuderungsanfechtung des § 132 InsO wird üblicherweise gemeinsam mit den Tatbeständen der Deckungsanfechtung (§§ 130, 131 InsO) zur besonderen Insolvenzanfechtung zusammengefasst482. Es ist allerdings zweifelhaft, ob diese 479 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 17; Eichberger, Konkursanfechtung, S. 18; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 268; zur Abstufung insbes. Pfefferle, Konkursanfechtung, S. 117 ff.; ders., ZIP 1984, 147 (153). 480 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 18; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 268; zur Abstufung insbes. Pfefferle, Konkursanfechtung, S. 117 ff. 481 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 158 f. 482 Jaeger/Henckel, § 129 Rn. 3; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 132 Rn. 3; KPB/ Schoppmeyer, § 132 Rn. 2; Zeuner, Anfechtung, Rn. 83.

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

85

gemeinsame Einordnung in Bezug auf den Grund der Anfechtbarkeit richtig ist. Da § 132 InsO – wie gesehen – für die Anfechtung von Entgeltzahlungen nicht fruchtbar zu machen ist, soll dieses Problem hier nur knapp angesprochen werden483. Zu unterscheiden ist insoweit zwischen den beiden Absätzen des § 132 InsO. § 132 Abs. 1 InsO ermöglicht die Anfechtung unmittelbar gläubigerbenachteiligender Rechtsgeschäfte. Teilweise wird angenommen dieser Tatbestand diene dem Gleichbehandlungsgrundsatz, indem er verhindere, dass durch fehlerhafte Äquivalenzbestimmungen die Masse zu Gunsten eines Gläubigers aber zu Lasten der übrigen Insolvenzgläubiger ausgezehrt wird484. Häsemeyer bezeichnet diesen Anfechtungstatbestand als Vorteilsabschöpfung zu Gunsten der Insolvenzgläubiger485. Gegen diese Ansicht wird vorgebracht, § 132 InsO unterfielen nur Handlungen auf schuldrechtlicher Ebene oder Verfügungen zu Gunsten von Personen, die zuvor keine Insolvenzgläubiger waren; die Befriedigungsrangfolge der Insolvenzgläubiger könne daher nicht betroffen sein486. Wenn der Anfechtungsgegner erst durch das potentiell anfechtbare Kausalgeschäft zum Insolvenzgläubiger werde oder ein Leistungsempfänger zuvor kein Gläubiger war, könne es nicht um die Frage der Gleichbehandlung der Gläubiger ab Eintritt der Krise gehen487. § 132 Abs. 2 InsO stellt den unmittelbar nachteiligen Rechtsgeschäften des Abs. 1 mittelbar nachteiligen Rechtshandlungen gleich, durch die der Schuldner ein Recht verliert, nicht mehr geltend machen kann oder durch die ein vermögensrechtlicher Anspruch gegen ihn erhalten oder durchsetzbar wird. Der Tatbestand dient nicht der Gläubigergleichbehandlung, sondern dem allgemeinen Schutz des Haftungsvermögens vor Verfahrenseröffnung488. Dementsprechend können auch Schuldner des Insolvenzschuldners durch diesen Tatbestand betroffen sein, etwa wenn ein Erlassvertrag angefochten wird489. Es kann offensichtlich nicht um die Gleichbehandlung zwischen den Gläubigern gehen, da keiner von ihnen betroffen ist. Im Ergebnis sollte § 132 InsO also in Bezug auf seinen materiellen Gehalt nicht mit der Deckungsanfechtung über einen Kamm geschoren werden490. Die gemeinsame Einordnung als besondere Insolvenzanfechtung lässt sich nur mit dem for-

483 Siehe hierzu u. a. Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 160 ff.; Thole, ZZP 121 (2008), 67 (80 ff.). 484 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.06, 21.37; MüKo-InsO/Kayser, § 132 Rn. 1; Weiland, Par condicio creditorum, S. 89 f. 485 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.06, 21.66. 486 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 161; Thole, ZZP 121 (2008), 67 (80 f.). 487 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 160 f.; Thole, ZZP 121 (2008), 67 (81). 488 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.09, 21.73; Weiland, Par condicio creditorum, S. 90; a.A. KPB/Schoppmeyer, § 132 Rn. 2; nicht differenzierend Nerlich/Römermann/Nerlich, § 132 Rn. 3. 489 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.73; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 160. 490 So auch Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 164.

86

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

mellen Argument begründen, dass für diese Tatbestände keine entsprechenden Tatbestände außerhalb der Insolvenz bestehen. f) Präventionsfunktion Für alle Anfechtungstatbestände gemeinsam lässt sich die Frage stellen, ob ihnen auch eine Präventions- oder Ordnungsfunktion zugrunde liegt. Theoretisch kann ein funktionierendes Anfechtungsrecht Schuldner, Gläubiger und Dritte davon abhalten, später anfechtbare Rechtshandlungen vorzunehmen491. Die Unterbindung solcher Rechtshandlungen oder Rechtsgeschäfte hat eine wirtschaftliche Dimension, indem bei Ausbleiben von Vermögensabflüssen die Fortführungschancen des Unternehmens vergrößert werden492. Das gilt umso mehr, wenn die Chancen der Gläubiger in der Krise noch Vermögen zur Seite zu schaffen reduziert oder ausgeschlossen werden und hierdurch ein Anreiz entsteht, frühzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen493. Tatsächlich hält sich die präventive Wirkung der Anfechtungsvorschriften jedoch stark in Grenzen494. Die Rechtsfolgen der Anfechtung haben keinen Sanktionscharakter, wenn man von den Zinsen absieht. Daher kann es der Gläubiger auf einen Versuch ankommen lassen, denn schlechter als ohne den Versuch wird er nicht stehen; schlimmstenfalls wird der status quo ante wieder hergestellt und ihm fallen die Kosten einer eventuellen Rechtsverfolgung sowie die frustrierten Transaktionskosten zur Last495. Deliktsansprüchen aus § 823 Abs. 2 BGB ist der Anfechtungsgegner nicht ausgesetzt, da die Anfechtungsregeln keine Schutzgesetze im Sinne dieser Norm sind496. Der mögliche Nutzen einer potentiell anfechtbaren Handlung überwiegt damit regelmäßig aus Perspektive des Gläubigers das Risiko497. Demnach geht von der Anfechtbarkeit höchstens eine geringe Steuerungswirkung aus498.

491 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (373); v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 18; R. H. Schmidt, Ökonomische Analyse, S. 63 f.; ders., AG 1981, 35 (38); Thole, ZZP 121 (2008), 67 (75); ders., ZIP 2013, 2081 (2084); v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 38, 53 f. 492 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 18; McCoid II, Virginia Law Review, 1981, 249 (262 f.) 493 Bork, in: FS Schäfer, S. 593 (597); Gehrlein, NZI 2014, 481 (482). 494 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 137; zum Schweizer Recht Schmid, KTS 2010, 307 (322). 495 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 137; McCoid II, Virginia Law Review, 1981, 249 (264 f.); Steffek, KTS 2007, 451 (480 f.). 496 Bork, in: FS Schäfer, S. 593 (597 f.). 497 McCoid II, Virginia Law Review, 1981, 249 (264). 498 KPB/Bork, Vor § 129 Rn. 43; ders., in: FS Schäfer, S. 593 (597); Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 137.

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

87

Auch einen Anreiz für den Schuldner einen Insolvenzantrag zu stellen bietet die Insolvenzanfechtung nicht499. Schon aufgrund der Bargeschäftsausnahme (§ 142 InsO)500 schließt die theoretische Gefahr von Anfechtungen den Schuldner nicht vom Geschäftsverkehr aus und zwingt ihn damit auch nicht zum Eigenantrag501. Darüber hinaus ist ohnehin fraglich, ob Schuldner und Gläubiger im allgemeinen Rechtsverkehr potentielle Anfechtungslagen und deren rechtliche Bewertung derart genau im Auge behalten502. Das gilt auch für die Fälle der Lohnanfechtung. Die Arbeitnehmer haben keinen Grund die verspäteten Zahlungen nicht anzunehmen. Erstens wird den wenigsten Arbeitnehmern bekannt sein, was die Insolvenzanfechtung überhaupt ist. Zweitens gehen sie davon aus, dass sie ihren Lohn durch die vorherige Arbeit „verdient“ haben, was bei kongruenten Deckungen schließlich an sich auch zutrifft. Und drittens können sie selbst bei Kenntnis der Anfechtbarkeit die Zahlung ohne weiteres Risiko annehmen, da auch im schlimmsten Fall nur die Rückforderung des gezahlten Betrages an den Insolvenzverwalter droht. g) Ergebnis Als Ergebnis ist festzuhalten, dass die Anfechtung eine wichtige Funktion für die Gläubigerbefriedigung erfüllt. In Bezug auf den Grund der Anfechtbarkeit bestehen wesentliche Unterschiede zwischen den einzelnen Tatbeständen. Während die Schenkungs- und Vorsatzanfechtung auf dem Gedanken beruhen, dass der Anfechtungsgegner weniger schutzwürdig ist, liegt der Grund der Deckungsanfechtung in der Vorverlagerung der Gleichbehandlung der Gläubiger. Die Deckungsanfechtung hat sich dabei inzwischen so weit von den paulianischen Wurzeln der Insolvenzanfechtung losgelöst, dass sie nicht mehr zur Sanktionierung unredlichen Verhaltens dient. Ihre subjektiven Voraussetzungen sind Ausprägungen des Verkehrs- und Vertrauensschutzes und limitieren insoweit die Anfechtbarkeit. Eine ausgeprägte präventive Wirkung im Sinne von Verhaltenssteuerung kommt der Insolvenzanfechtung nach dem geltenden Recht nicht zu. 5. Wirkung der Anfechtung Wer sich mit der Insolvenzanfechtung beschäftigt, kann die Frage nach ihrer rechtlichen Wirkung nicht ausblenden. In Bezug auf das Ziel der Anfechtung – die Wiederherstellung der Zugriffslage ohne die fragliche Rechtshandlung – besteht grundsätzlich Einigkeit503. Über die dogmatische Einordnung des Anfechtungsan499 500 501 502 503

Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 137. Dazu ausführlich unten B.II.4.c). Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 137. Schmid, KTS 2010, 307 (322). Kindl, NZG 1998, 321 (322).

88

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

spruchs rankt sich jedoch seit langem ein komplizierter Streit, der bei Weitem nicht abgeschlossen ist504. An dieser Stelle soll es genügen, die Hauptansichten knapp darzustellen und zu zeigen, warum der Streit für die vorliegende Thematik nicht entscheidend ist. a) Theorienstreit Die vertretenen Meinungen können in drei Hauptrichtungen unterteilt werden: Die Dinglichkeitslehren, die schuldrechtliche Lehre und die haftungsrechtliche Theorie505. Raum für diesen Streit besteht nach wie vor, weil zum einen der Wortlaut der Rechtsfolgennorm (§ 143 InsO) verschiedene Interpretationen erlaubt und zum anderen der Gesetzgeber im Rahmen der Insolvenzrechtsreform den Streit bewusst – teilweise – offen ließ506. aa) Dinglichkeitslehren Nach den Ansichten, die sich der Dinglichkeitslehre zuordnen lassen, sind die anfechtbaren Rechthandlungen unwirksam oder werden durch die Anfechtung unwirksam. Die Theorie wurde von Hellwig507 bereits Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt. (1) Klassische Dinglichkeitstheorie nach Hellwig Hellwig vertrat die Ansicht, die Wirkung der Konkursanfechtung als auch der Gläubigeranfechtung sei die relative ex tunc Unwirksamkeit der Rechtshandlung aufgrund Gestaltungsaktes in Form einer Willenserklärung des Anfechtungsberechtigten508. Damit werde die ursprüngliche vermögensrechtliche Situation vor der angefochtenen Handlung wiederhergestellt509. Er begründete diese Ansicht zunächst damit, dass das Reichsrecht nach der Reform von 1898 den Ausdruck „Anfechtung“ einheitlich in dem Sinne verwende, dass die angefochtene Rechtshandlung keine

504 Ausführlich dazu etwa Gerhardt, Systematik; Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung. 505 Gute Übersichten bei Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 18.6 ff.; v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 256 ff.; Gerhardt, Systematik, S. 1 – 17; Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 15 ff. 506 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 157; Erster Bericht der Kommission, S. 402; v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 255; Gerhardt, in: FS Brandner, S. 605 (606); Kindl, NZG 1998, 321 (323). 507 Hellwig, ZZP 26 (1899), 474 (477 f.). 508 Hellwig, ZZP 26 (1899), 474 (477 f.); ihm folgend Crome, Bürgerliches Recht, Bd. 1, S. 353 f.; fälschlicherweise ordnet v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 256 beide als Vertreter einer absoluten Unwirksamkeit ein. 509 Hellwig, ZZP 26 (1899), 474 (478 f.).

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

89

Rechtswirkung erzeuge, wenn eine Anfechtung erklärt wurde510. Insofern bestehe ein Gleichlauf mit der allgemeinen Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB511. Der Wortlaut des § 29 KO 1898 („als den Konkursgläubigern gegenüber unwirksam angefochten werden“) stütze diese These512. Andere Autoren513 nahmen die Idee der relativen dinglichen Unwirksamkeit auf und vertraten sie in unterschiedlichen Ausprägungen. Uneinheitlich beantworteten sie insbesondere die Frage, ob die Unwirksamkeit erst durch den gestaltenden Rechtsakt der Anfechtung eintritt (sog. Rechtsgestaltungstheorie)514 oder kraft Gesetzes bereits mit der Vornahme der anfechtbaren Rechtshandlung515 vorliegt516. Auf die einzelnen Ansichten517 und ihr Für und Wider muss hier nicht eingegangen werden, da die klassischen Dinglichkeitslehren durch die Rechtsentwicklung ohnehin obsolet geworden sind. Der Gesetzgeber der Insolvenzordnung verzichtete auf alle sprachlichen Hinweise in den Anfechtungstatbeständen, auf die sich zuvor die Anhänger einer dinglichen Unwirksamkeit gestützt hatten518. Die Begründung des Regierungsentwurfs führt dazu aus, dass sich zuvor bereits die Ansicht durchgesetzt habe, „daß die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung nicht als relative Unwirksamkeit aufzufassen ist […]“519. Heute wird die klassische Dinglichkeitstheorie nicht mehr vertreten520 und gilt als widerlegt521. Lediglich Marotzke522 folgt einem verwandten Modell, worauf sogleich einzugehen ist. (2) Sachlich begrenzte relative Unwirksamkeit Letzter Vertreter der Dinglichkeitslehre ist, soweit ersichtlich, Marotzke523, der jedoch deutliche Modifikationen im Vergleich zum ursprünglichen Modell vor510

Hellwig, ZZP 26 (1899), 474 (476); hierzu ausführlich: Gerhardt, Systematik, S. 3 f. Hellwig, ZZP 26 (1899), 474 (477); dagegen G. Paulus, AcP 155 (1956), 277 (287), der von „Assimilationseifer“ spricht; dazu auch Gerhardt, Systematik, S. 4. 512 Hellwig, ZZP 26 (1899), 474 (477). 513 Crome, Bürgerliches Recht, Bd. 1, S. 354; Geib, AcP 113 (1915), 335 (357 f.); Hellmann, SeuffBl. 70 (1905), 401 (406); Lenhard, ZZP 38 (1909), 165 (189 f.). 514 Crome, Bürgerliches Recht, Bd. 1, S. 354; Hellwig, ZZP 26 (1899), 474 (478); Kohler, Konkursrecht, S. 208. 515 Lenhard, ZZP 38 (1909), 165 (165 f., 177); Geib, AcP 113 (1915), 335 (362). 516 Zu dieser Frage nach heutiger Rechtslage, siehe unten B.I.5.c). 517 Siehe m.z.N. Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 15 ff. 518 MüKo-InsO/Kirchhof, vor §§ 129 – 147 Rn. 26; Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 20. 519 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 157; vgl. Kindl, NZG 1998, 321 (322). 520 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 256. 521 K. Schmidt, JZ 1990, 619 (621). 522 Marotzke, KTS 1987, 1 (1 ff.). 523 Marotzke, KTS 1987, 1 (1 ff.); ders., KTS 1987, 569 (573 f.); ders., KTS 1979, 40 (42, insbes. Fn. 5); ohne nähere Ausführungen noch daran festhaltend ders., JR 1998, 31 (31) sowie 511

90

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

nimmt. Er geht von einer inter omnes wirkenden („personal absoluten“) Unwirksamkeit aus, die jedoch in sachlicher Hinsicht beschränkt („sachlich relativ“) ist; demnach sei eine angefochtene Rechtshandlungen nur in dem sachlichen Umfang unwirksam, der für die Verwertung des anfechtbar weggegebenen Gegenstandes zugunsten der Masse oder der Befriedigung des einzelnen Gläubigers im Rahmen der Einzelanfechtung erforderlich ist524. Unübersehbar ist die Nähe zur – sogleich zu erörternden – haftungsrechtlichen Theorie525, was auch Marotzke selbst erkennt526. Allerdings geht Marotzke, anders als die Vertreter der haftungsrechtlichen Theorie, davon aus, dass dem Verwalter dingliche Rückgewähransprüche zustehen527. Gegen Marotzkes Theorie von der sachlich beschränken Unwirksamkeit wird vorgebracht, dass die genaue Bedeutung seiner Konstruktion nicht deutlich werde528. Außerdem sei die wertmäßige Beschränkung der Unwirksamkeit dem deutschen Recht fremd529. Darüber hinaus bereite die Begründung dinglicher Ansprüche des Verwalters vor dem Hintergrund der Rechtsfolgennorm des § 143 InsO Schwierigkeiten, da sie einen schuldrechtlich ausgestalteten Rückgewähranspruch vorsehe530. bb) Schuldrechtliche Lehre Die zweite klassische Ansicht zur Wirkung der Anfechtung ist die sog. schuldrechtliche Theorie, die wiederum in verschiedenen Varianten auftritt und heute wohl herrschende Auffassung ist531. Wesentlichen und grundlegenden Anteil an ihrer Entwicklung hatte Ernst Jaeger532. Die Entstehung der schuldrechtlichen Lehren kann als Reaktion auf die Schwächen der dinglichen Theorien gesehen werden533. Anders als nach den Dinglichkeitslehren sollen die anfechtbaren Rechtshandlungen nach Ansicht der Vertreter der schuldrechtlichen Theorien dinglich wirksam sein oder bleiben; die Wirkung der Anfechtung bestehe in einem Schuldverhältnis zwischen Anfechtungsgegner und dem anfechtenden Gläubiger (im Fall der Einders., Gegenseitige Verträge, Rn. 7.120 Fn. 334; de lege ferenda für die dingliche Unwirksamkeit anfechtbarer Vollstreckungsakte auch Nowack, KTS 1992, 161 (175). 524 Marotzke, KTS 1987, 1 (5 f.). 525 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 18.11; Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 19, der von einem „haftungsrechtlichen Ansatz im dinglichen Gewande“ spricht. 526 Marotzke, KTS 1987, 1 (22). 527 Marotzke, KTS 1987, 1 (23 f.); mit diesem Hinweis Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 20. 528 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 260 f. 529 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 261. 530 So zur KO bereits Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 18.11. 531 So die Einschätzung von HHS/Huber, Teil 1 Rn. 26; Kohn-Löffelmann, Insolvenzanfechtung in Europa, S. 43. 532 Jaeger, KO, 4. A., § 29 Rn. 10; ders., Lehrbuch, S. 152 ff.; siehe zuvor Cosack, Anfechtungsrecht, S. 24 ff. 533 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 261.

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

91

zelanfechtung) bzw. dem Insolvenzverwalter, aus dem sich ein Anspruch auf Rückgewähr des Empfangenen ergebe534. Bei der Insolvenzanfechtung sei der Anspruch in der Regel auf Rückgewähr in Natur gerichtet, also auf Rückübertragung, d. h. Rückübereignung einer Sache oder Rückabtretung einer Forderung535. Teilweise wurde vertreten, es handele sich um einen deliktischen536 oder bereicherungsrechtlichen537 Anspruch. Heute überwiegt hingegen die sog. Lehre von der Legalobligation, die davon ausgeht, es handele sich um einen Anspruch sui generis, der kraft Gesetzes mit Verwirklichung des Anfechtungstatbestandes und der Verfahrenseröffnung entstehe538. Auch die Rechtsprechung vertritt diese Ansicht539. Das wohl grundlegendste Argumente für die schuldrechtliche Lehre ist der Wortlaut des § 143 Abs. 1 InsO (zuvor § 37 KO), der die Rückgewähr als Rechtsfolge vorsieht540. Auch auf § 146 Abs. 1 S. 1 InsO wird verwiesen, der den Begriff „Anfechtungsanspruch“ enthält541. Von Campe wendet ein, § 143 Abs. 1 S. 1 InsO erfasse nach seinem Wortlaut nur die Fälle, in denen ein Vermögensgegenstand veräußert, weggegeben oder aufgegeben wurde und damit nicht die Fälle, in denen die anfechtbare Rechtshandlung in der Begründung einer Forderung gegen den späteren Insolvenzschuldner liege542. Das zeige, dass die Normen nur eine bestimmte Art der Rückgewähr regelten, nicht aber die Wirkung für alle Fälle der Anfechtung beschrieben543. Bereits Cosack, der früh eine schuldrechtliche Lehre vertrat, merkte an, die Einordnung als Legalobligation sei eine „Paraphrase des Gesetzes und deshalb nicht geeignet, uns ein tieferes Verständnis des Anfechtungsrechts zu eröffnen 534 535 536

S. 8. 537

Böhle-Stamschräder, KTS 1959, 66 (68); Jaeger, Lehrbuch, S. 152. Jaeger, Lehrbuch, S. 153; Seuffert, Konkursprozessrecht, S. 220. Petersen, ZZP 10 (1887), 17 (27, 42 ff.); weitere Nachweise bei Gerhardt, Systematik,

Gerhardt, Systematik, S. 162 ff., 261; Menzel, Anfechtungsrecht, S. 24, 29, 232; Wolff, Konkursordnung, § 29 Nr. 1 (S. 158). 538 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 18.12 ff., 18.19; Eichberger, Konkursanfechtung, S. 25; Haas/Müller, ZIP 2003, 49 (51 f.); Graf-Schlicker/Huber, vor §§ 129 – 147 Rn. 8; Jaeger, Lehrbuch, S. 152; Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, § 51 Rn. 13; HmbKomm/Rogge/Leptien, Vorbem. zu §§ 129 ff. Rn. 2 f., § 143 Rn. 2; Rutkowksy, Gläubigeranfechtung, S. 156; Sieber, Gläubigeranfechtung, S. 233; Zeuner, Anfechtung, Rn. 5; mit umfassenden Nachweisen zu den Vertretern: Gerhardt, Systematik, S. 6 f. und Jaeger/Henckel, InsO, § 143 Rn. 7. 539 BGH, Urt. v. 21. 9. 2006 – IX ZR 235/04, ZInsO 2006, 1217 (1218); BGH, Urt. v. 3. 12. 1954 – V ZR 96/53, BGHZ 15, 333 (337); mit weiteren Nachweisen Eckardt, Anfechtungsklage, S. 36 sowie Uhlenbruck/Hirte13, § 143 Rn. 1. 540 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 257; Jaeger, KO, 7. A., § 29 Anm. 10; Kohn-Löffelmann, Insolvenzanfechtung in Europa, S. 45; HK-InsO/Kreft, § 129 Rn. 69; Sieber, Gläubigeranfechtung, S. 23. 541 BGH, Urt. v. 20. 3. 1997 – IX ZR 71/96, BGHZ 135, 140 (150); HHS/Huber, Teil 1 Rn. 30; Gottwald/Huber, § 52 Rn. 7; HK-InsO/Kreft, § 129 Rn. 69. 542 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 261; zur KO entsprechend: Jaeger/Henckel, KO, 9. A., § 37 Rn. 26 f. 543 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.13; Henckel, JuS 1985, 836 (842).

92

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

[…]“544. Angegriffen wurden darüber hinaus die Ergebnisse der schuldrechtlichen Lehre in bestimmten Fallkonstellationen545. Kritisiert wurde etwa, dass die schuldrechtliche Theorie im Fall der Insolvenz des Anfechtungsgegners dem anfechtenden Insolvenzverwalter lediglich eine Insolvenzforderung zubillige546. Als Reaktion hierauf kann die Entwicklung der sog. modifizierten schuldrechtlichen Theorie547 gesehen werden, die von einem schuldrechtlichen Verhältnis ausgeht, dessen Rechtsfolgen aus Systematik und Zweck des Anfechtungsrechts wertend zu ermitteln ist und somit zu einer Art Interessenabwägung führt548. Im Fall der Insolvenz des Anfechtungsgegners gelangt diese Ansicht damit zu einem Aussonderungsrecht549. Auch der BGH geht mittlerweile550 davon aus, die schuldrechtliche Einordnung des Anfechtungsanspruchs stehe der Annahme eines Aussonderungsrechts nicht entgegen, wenn der weggegebene Gegenstand noch bestimmbar im Vermögen des Anfechtungsgegners vorhanden ist551. Ist der Gegenstand nicht mehr unterscheidbar vorhanden, soll nach dieser Ansicht ein Ersatzaussonderungsrecht (§ 48 InsO) oder ein Bereicherungsanspruch gegen die Masse in Betracht kommen552. cc) Haftungsrechtliche Theorie Die dritte klassische Ansicht geht davon aus, dass die angefochtenen und anfechtbaren Rechtshandlungen haftungsrechtlich unwirksam sind. Die Lehre von der haftungsrechtlichen Unwirksamkeit wurde zwar bereits in den 1950er Jahren von Gotthard Paulus entwickelt553, ist aber dennoch die jüngste der drei klassischen Ansichten. Als Vorläufer werden die Arbeiten Menzels554 und Heins555 angesehen, die sich in grundlegender Form mit dem Haftungsgedanken beschäftigten556. Die 544 Cosack, Anfechtungsrecht, S. 25; dies aufgreifend Petersen, ZZP 10 (1887), 17 (47); vgl. Gerhardt, Systematik, S. 10 f. 545 Dazu v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 262; in Bezug auf das Problem eines anfechtbaren Schulderlasses insbesondere G. Paulus, AcP 155 (1956), 277 (284 f.). 546 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 262; siehe zu dieser Konstellation sogleich unten B.I.5.b). 547 So die Terminologie bei HHS/Huber, Teil 1 Rn. 31. 548 Kreft, ZInsO 1999, 370 (372); HHS/Huber, Teil 1 Rn. 28, 31. 549 Kreft, ZInsO 1999, 370 (372); HHS/Huber, Teil 1 Rn. 28; vgl. auch BGH, Urt. v. 24. 6. 2003 – IX ZR 228/02, BGHZ 155, 199 (203). 550 Zuvor anders noch BGH, Urt. v. 11. 1. 1990 – IX ZR 27/89, ZIP 1990, 246 (247). 551 BGH, Urt. v. 23.2003 – IX ZR 251/01, BGHZ 156, 350 (358 ff.). 552 HK-InsO/Kreft, § 129 Rn. 73; wenn der Anfechtungsanspruch nur Wertersatzanspruch ist, soll es sich jedoch nur um eine Insolvenzforderung handeln BGH, Urt. v. 24. 6. 2003 – IX ZR 228/02, BGHZ 155, 199 (203 ff.); HHS/Huber, Teil 1 Rn. 28. 553 G. Paulus, AcP 155 (1956), 277 (324). 554 Menzel, Anfechtungsrecht, insbesondere S. 26 f. 555 Hein, Duldung der Zwangsvollstreckung, passim. 556 Gerhardt, Systematik, S. 13, 156; Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 26 f.; Hinweise auf Menzel und Hein auch bei G. Paulus, AcP 155 (1956), 277 (294 ff.).

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

93

haftungsrechtliche Theorie erfreut sich auch heute großer Beliebtheit557. Die dabei im Detail vertretenen Spielarten sind mannigfaltig und sollen hier nicht ausgebreitet werden558. Maßgeblich ist der ihnen gemeinsame Grundgedanke, dass die dingliche Zuordnung eines Vermögensgegenstandes verschiedene Funktionen hat559. Sie lasse sich aufspalten in die Verfügungsbefugnis, das Recht zur Nutzung und Benutzung, die Ausschließung Dritter und die Haftung; die einzelnen Funktionen könnten dabei unterschiedlichen Personen zugeordnet sein560. Haftungsrechtliche Unwirksamkeit bei der Anfechtung soll bedeuten, dass dinglich zwar ein Erwerb des Gegenstandes stattfindet, die Haftungsfunktion aber beim Veräußerer zugunsten seiner Gläubiger verbleibe561. Der Anfechtungsanspruch ist nach dieser Ansicht nicht identisch mit der in § 37 KO (heute entsprechend § 143 InsO) geregelten Rechtsfolge562. Dieser schuldrechtliche Rückgewähranspruch betreffe nur die Fälle, in denen dem Verwalter aufgrund der – an sich wirksamen – dinglichen Zuordnung die Rechtsmacht fehle auf den betreffenden Gegenstand zuzugreifen, weil er sich nicht im Gewahrsam des Schuldners befinde563. In anderen Konstellationen sei ein solcher schuldrechtlicher Anspruch hingegen nicht notwendig. Werde etwa der Erwerb von Rechten gegen die Masse angefochten, sei keine Rückgewähr erforderlich; vielmehr genüge die Leistungsverweigerung durch den Verwalter aufgrund der haftungsrechtlichen Unwirksamkeit564. Der Vorzug der haftungsrechtlichen Theorie wird darin gesehen, dass sich mit ihr die verschiedenen Fallgruppen und Probleme bei den Rechtsfolgen der Anfechtung am schlüssigsten erklären ließen565. Ihre Kritiker wenden ein, die Aufsplitterung in 557 Braun/de Bra, § 129 Rn. 9; v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 259 ff.; Eckardt, Anfechtungsklage, S. 40 ff.; ders., ZInsO 2004, 888 (889); Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.11 ff.; ders., ZIP 1994, 418 (423); Jaeger/Henckel, KO, 9. A., § 37 Rn. 19 ff.; Henckel, in: FS Nagel, S. 93 (101 ff.); ders., JuS 1985, 836 (841 f.); Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 Rn. 8 f.; Kilger/K. Schmidt, 16. A., § 29 Anm. 2a; Kindl, NZG 1998, 321 (331); Koziol, Gläubigeranfechtung, S. 61; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 143 Rn. 6; Gerhardt, Systematik, S. 233 ff., 262 ff., 341; K. Schmidt, JZ 1990, 619 (621, 623); ders., JZ 1987, 889 (889 ff.); Wacke, ZZP 83 (1970), 418 (422); v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 65. 558 Siehe dazu etwa Eckardt, Anfechtungsklage, S. 37 ff.; Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 26 ff.; v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 61 ff. 559 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 258. 560 Henckel, in: FS Nagel, S. 93 (101); ders., JuS 1985, 836 (841 f.). 561 Gerhardt, Systematik, S. 13; G. Paulus, AcP 155 (1956), 277 (299 f., 304). 562 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 265. 563 Jaeger/Henckel, KO, 9. A., § 37 Rn. 78; ders., JuS 1985, 836 (842); ders., in: FS Nagel, S. 93 (104); G. Paulus, AcP 155 (1956), 277 (325 f.). 564 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 265; Henckel, in: FS Nagel, S. 93 (104); G. Paulus, AcP 155 (1956), 277 (312, 326 f.). 565 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 264 f.; Eckardt, KTS 2005, 15 (29); v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 64 f.

94

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Verfügungsbefugnis und Haftungsfunktion sei der deutschen Rechtsordnung fremd566. Das wiederum bestreiten die Verfechter der haftungsrechtlichen Unwirksamkeit mit dem Argument, es gebe im deutschen Recht durchaus Fälle, in denen Schuld und Haftung auseinanderfielen, etwa im Rahmen von § 1121 Abs. 2 BGB oder § 292 Abs. 2 HGB567. Ebenso wie der schuldrechtlichen Lehre wird auch der Theorie von der haftungsrechtlichen Unwirksamkeit vorgeworfen, sie beschreibe lediglich das positive Recht, ohne es erklären zu können568. Sie sei nicht genau fassbar, indem sie sich an den bestehenden Kategorien vorbei bewege569. Durch die Berufung auf die „leere Worthülse“570 der haftungsrechtlichen Unwirksamkeit werde eine juristische Analyse umgangen571. Vorwürfe dieser Art zeigen vor allem, dass die Vertreter der gegenüberstehenden Theorien offenbar nicht bereit sind, sich überhaupt auf die grundlegenden Ansätze der Gegenmeinungen ernsthaft einzulassen. b) Relevanz des Streits um die Wirkung der Anfechtung Der Streit, bei dem sich heute faktisch nur noch die schuldrechtlichen und die haftungsrechtlichen Ansichten gegenüberstehen, ist nicht nur von akademischem Interesse. Die Theorien gelangen bei einzelnen Fallkonstellationen zu unterschiedlichen Ergebnissen572. Dennoch hat die Auseinandersetzung insgesamt an Bedeutung eingebüßt, nachdem die dingliche Theorie aus dem Diskurs ausgeschieden ist und der BGH sich von einer rein schuldrechtlichen Lösung abgewandt hat. Eingegangen werden soll im Folgenden auf drei Konstellationen, die im Rahmen von Lohnanfechtungen – zumindest theoretisch – Bedeutung erlangen können.

566 Rutkowksy, Gläubigeranfechtung, S. 97 f.; Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 197 ff. 567 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 264 f.; Henckel, in: FS Nagel, S. 93 (101 f.); Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 26; v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 64. 568 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 51. 569 Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 217; wegen „konstruktiver Schwächen“ auch ablehnend Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 18.18. 570 Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 218. 571 Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 217 f. 572 Vgl. zu diesen Konstellationen z. B. Eckardt, KTS 2005, 15 (15 ff.); Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 328 ff.; Gerhardt, Systematik, S. 17 ff.; MüKo-InsO/Kirchhof, vor §§ 129 – 147 Rn. 20 ff.; HK-InsO/Kreft, § 129 Rn. 67 ff.; Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 153 ff.

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

95

aa) Anfechtbare Schuldbegründungen Die erste interessierende Fallgruppe zeichnet sich dadurch aus, dass der Schuldner in der Krise gegenüber einem Dritten eine Schuld in anfechtbarer Weise begründet573. Auch Arbeitnehmern gegenüber ist das denkbar. Der Fall könnte etwa so liegen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmern in der Krise eine Bonuszahlung verspricht, die zuvor nicht im Arbeitsvertrag angelegt war. Nach der Dinglichkeitslehre ist die Schuldbegründung per se unwirksam, als wäre die Rechtshandlung nie geschehen574. Auch die Lehre von der haftungsrechtlichen Unwirksamkeit gelangt zu dem Ergebnis, dass die Schuldbegründung der Masse gegenüber unwirksam ist575. Die Forderung bleibt danach in ihrem Bestand zwar unangetastet, wird im Konkurs aber nicht berücksichtigt576. Nach der schuldrechtlichen Lehre ist die Schuldbegründung hingegen zwar wirksam, das Rückgewährschuldverhältnis konkretisiert sich aber in der Pflicht, das Verpflichtungsgeschäft aufzuheben577 oder die Forderung nicht anzumelden (Unterlassungspflicht)578. Anderenfalls soll der Insolvenzverwalter der Anmeldung auch widersprechen können (heute § 178 Abs. 1 S. 1 InsO)579. Es zeigt sich, dass alle drei Ansätze, wenn auch über unterschiedliche Wege, zum selben Ergebnis gelangen580 : Der Anfechtungsgegner kann die anfechtbar begründete Forderung nicht realisieren. Eine Entscheidung für eine der genannten Auffassungen ist aufgrund dieser Konstellation nicht angezeigt. bb) Insolvenz des Anfechtungsgegners Zweitens sind Fälle von Interesse, in denen über das Vermögen des Anfechtungsgegners ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Es ist auch möglich, dass im Fall einer Lohnanfechtung der betroffene Arbeitnehmer in die Privatinsolvenz gerät und das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet wird. Dieses Szenario ist nicht einmal abseitig, wenn man bedenkt, dass Arbeitnehmer im Vorfeld der Insolvenz 573 Vgl. dazu Gerhardt, Systematik, S. 25 ff.; Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 153 ff. 574 Hellwig, ZZP 26 (1899), 474 (478); vgl. Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 153. 575 Gerhardt, Systematik, S. 331; G. Paulus, AcP 155 (1956), 277 (312, 328). 576 Gerhardt, Systematik, S. 331; G. Paulus, AcP 155 (1956), 277 (312). 577 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 20.5; Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, § 51 Rn. 42. 578 Jaeger, KO, 7. A., § 37 Anm. 5; Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, § 51 Rn. 42; Kohler, Konkursrecht, S. 260 f.; Menzel, Anfechtungsrecht, insbesondere S. 236; Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 154 f. 579 Jaeger, KO, 7. A., § 37 Anm. 5; Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, § 51 Rn. 42; Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 155. 580 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 287.

96

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

ihres Arbeitgebers regelmäßig längerfristige Lohnverzögerungen oder -ausfälle erdulden müssen und damit häufig ihre einzige Einkommensquelle versiegt581. Es ist zu fragen, wie der Anspruch auf Rückgewähr der anfechtbaren Zahlungen im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitnehmers einzuordnen ist, d. h. ob er eine einfache Insolvenzforderung darstellt oder ein Aus- oder Absonderungsrecht begründet. Unterschieden werden muss dabei zwischen dem Primäranspruch einerseits und dem Sekundäranspruch andererseits. (1) Primäranspruch Der Primäranspruch nach § 143 Abs. 1 S. 1 InsO kommt nur im schwer vorstellbaren Fall in Frage, dass der Arbeitnehmer die angefochtene Zahlung in bar erhalten hat und das Geld noch unterscheidbar in seinem Vermögen vorhanden ist, er also etwa die Lohntüte mit ihrem unveränderten Inhalt verwahrt. Im Rahmen des Primäranspruchs gelangen die Vertreter der Dinglichkeitslehren im Fall der Insolvenz des Anfechtungsgegners zu einem Aussonderungsrecht582. Auch die Vertreter der Lehre von der haftungsrechtlichen Unwirksamkeit gehen zumeist davon aus, dass sich das Anfechtungsrecht in dieser Konstellation durchsetzt und zur Aussonderung berechtigt583. Nach der klassischen schuldrechtlichen Theorie kann der Rückgewähranspruch konsequenterweise in der Insolvenz des Anfechtungsgegners lediglich als einfache Konkurs- bzw. Insolvenzforderung geltend gemacht werden584. Bereits oben585 wurde jedoch angedeutet, dass der BGH inzwischen von diesem Verständnis abgerückt ist und nunmehr ein Aussonderungsrecht annimmt, wenn der Gegenstand noch unterscheidbar im Vermögen des Anfechtungsgegners vorhanden ist586. Zur Begründung führt der Senat aus, es sei weniger auf die dogmatische Konstruktion abzustellen als auf die zugrundeliegenden Wertungen, d. h. auf die Frage „welchem Vermögen der umstrittene Gegenstand nach Inhalt und Zweck der gesetzlichen Regelung im maßgeblichen Zeitpunkt zuzuordnen ist.“587 Diese Zu581

Siehe dazu unten B.II.2.c). Crome, Bürgerliches Recht, Bd. 1, S. 354 Fn. 53; von einem Absonderungsrecht geht hingegen Schulz, AcP 105 (1909), 1 (260 f.) aus. 583 Gerhardt, Systematik, S. 334 (Absonderung hingegen bei der Einzelanfechtung); Jaeger/Henckel, KO, 9. A., § 37 Rn. 64 ff.; Jaeger/Henckel, InsO, § 143 Rn. 83; ders., JuS 1985, 836 (842); Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 Rn. 8; Kilger/K. Schmidt, 16. A., § 29 Anm. 7 und § 37 Anm. 12; Kindl, NZG 1998, 321 (330); G. Paulus, AcP 155 (1956), 277, 345 ff.; gegen die Aussonderung ist aber z. B. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.16. 584 RG, Urt. v. 20. 1. 1885 – II 369/84, RGZ 13, 5 (6); BGH, Urt. v. 11. 1. 1990 – IX ZR 27/89, ZIP 1990, 246 (247); Böhle-Stamschräder/Kilger, KO, § 29 Anm. 7; Cosack, Anfechtungsrecht, S. 263; FK-InsO/Dauernheim, § 129 Rn. 6; Jauernig, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 21. A., S. 238 f.; Jaeger, Lehrbuch, S. 155; ders., KO, 7. A, § 29 Anm. 16; Rutkowksy, Gläubigeranfechtung, S. 171. 585 Siehe B.I.5.a)bb). 586 BGH, Urt. v. 23. 10. 2003 – IX ZR 251/01, BGHZ 156, 350 (358 ff.); HHS/Huber, Teil 1 Rn. 27. 587 BGH, Urt. v. 23. 10. 2003 – IX ZR 251/01, BGHZ 156, 350 (358). 582

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

97

ordnung könne auch aus schuldrechtlichen Ansprüchen folgen und dabei von der dinglichen Zuordnung abweichen. Bei der Insolvenzanfechtung sei das der Fall, so dass die betroffenen Gegenstände trotz der dinglich wirksamen Übertragung den Gläubigern des Insolvenzschuldners haften. Zur rechtlichen Konstruktion hatte zuvor Kreft auf § 145 Abs. 1 InsO hingewiesen, der bei weiter Auslegung erlaube, die Gesamtheit der Gläubiger des Anfechtungsgegners als dessen Gesamtrechtsnachfolger zu behandeln588. Der BGH wählt diese Konstruktion nicht ausdrücklich, sondern führt nur allgemein aus, mit § 145 InsO habe der Gesetzgeber „zum Ausdruck gebracht, daß die Zuordnung zur Haftungsmasse sich im allgemeinen unabhängig von der Wirksamkeit des Erwerbsvorgangs durchsetzen soll.“589 Dass der Anfechtungsanspruch zur Aussonderung berechtigt, ist heute die herrschende Auffassung590 und wird auch von Verfechtern der schuldrechtlichen Lehre angenommen591. Es zeigt sich also, dass die verschiedenen Theorien bei dieser Interpretation zum selben Ergebnis gelangen. Im oben angesprochenen Beispiel könnte der Insolvenzverwalter die Lohntüte, d. h. eigentlich ihren Inhalt, gem. § 47 InsO aussondern. Eine tiefere Untersuchung dieser Konstellation soll an dieser Stelle nicht erfolgen, da – wie bereits dargelegt wurde – für Fälle der Lohnanfechtung kaum mit ihr zu rechnen ist592. Ebenfalls nicht vertieft werden soll die Frage, wie es sich auswirkt, wenn die Scheine noch im Vermögen des Anfechtungsgegners vorhanden sind, es aber zu einer Vermischung mit eigenen Geldzeichen des Anfechtungsgegners gekommen ist. Dass ein Arbeitnehmer eine solche Kasse mit großem Bargeldbestand führt und die geleisteten Scheine darin noch vorhanden sind, ist unwahrscheinlich, so dass eine weitere Auseinandersetzung unterbleibt593. (2) Sekundäranspruch Tatsächlich ist nämlich nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht damit zu rechnen, dass der Arbeitnehmer eine in bar erhaltene Lohnzahlung unterscheidbar auf588

Kreft, ZInsO 1999, 370 (372); so auch MüKo-InsO/Ganter, § 47 Rn. 346; MüKo-InsO/ Kirchhof, § 145 Rn. 15; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 145 Rn. 7. 589 BGH, Urt. v. 23. 10. 2003 – IX ZR 251/01, BGHZ 156, 350 (361). 590 MüKo-InsO/Ganter, § 47 Rn. 346; Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 Rn. 8; Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, § 51 Rn. 45; MüKo-InsO/Kirchhof, § 143 Rn. 20a; HK-InsO/Kreft, § 129 Rn. 73; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 143 Rn. 87; vgl. auch die Nachweise in Fn. 583; kritisch aber Eckardt, KTS 2005, 15 (15 ff.). 591 Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 35 Rn. 8, 23, 27, 144 ff.; Haas/Müller, ZIP 2003, 49 (58); Gottwald/Huber, § 52 Rn. 3 f., 7; ders., NZI 2004, 81 (82). 592 Siehe ausführlich etwa Eckardt, KTS 2005, 15 (15 ff.); Haas/Müller, ZIP 2003, 49 (49 ff.). 593 In einem solchen Fall der Vermischung soll dem anfechtenden Verwalter aufgrund seines Miteigentumsanteils ein Aussonderungsrecht aus der Kasse in Höhe der angefochtenen Zahlung zustehen. Nimmt man hingegen einen einfachen Wertersatzanspruch an, gelangt man zu einer einfachen Insolvenzforderung, siehe hierzu Jaeger/Henckel, InsO, § 143 Rn. 66.

98

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

bewahrt, sondern dass das Geld später nicht mehr individuell in seinem Vermögen vorhanden ist594. Die Rückgewähr im Wege des Primäranspruchs scheidet dann als unmöglich aus. Der anfechtende Insolvenzverwalter hat in diesem Fall einen Sekundäranspruch in Gestalt eines Wertersatzanspruchs (§ 143 Abs. 1 S. 2 InsO i.V.m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 292 Abs. 1, 989 BGB) in Höhe des Betrages der angefochtenen Zahlung595. Es ist die allgemeine Ansicht, dass dieser Sekundäranspruch auf Wertersatz schuldrechtlicher Natur gerichtet ist und daher in der Insolvenz des Anfechtungsgegners lediglich als einfache Insolvenzforderung (§ 38 InsO) geltend gemacht werden kann596. Sowohl nach haftungsrechtlicher als auch nach schuldrechtlicher Theorie hat der Insolvenzverwalter kein Aussonderungsrecht. Außerdem erfolgen Lohnzahlungen heute überwiegend per Überweisung597, also mit sog. Giralgeld. Bei solchen mittelbaren Zuwendungen richtet sich der Rückgewähranspruch gegen den tatsächlichen Leistungsempfänger und nicht gegen die Mittelsperson, d. h. die Bank598. Im Fall einer Überweisung ist jedoch die Rückgewähr in natura für den Leistungsempfänger unmöglich. Bei der Anweisung eines Geldbetrages wird eine Forderung des Anweisenden gegen die Empfängerbank übertragen, die bei Gutschrift des Betrages auf dem Empfängerkonto erlischt599. Auch im Falle der Rücküberweisung durch den Leistungsempfänger lebt diese Forderung nicht wieder auf, sondern es entsteht eine neue Forderung600. Damit ist die Rückgewähr gem. § 143 Abs. 1 S. 1 InsO von Anfang an unmöglich und es kommt auch hier nur ein Wertersatzanspruch als Sekundäranspruch in Betracht601. Wie soeben dargelegt wurde, berechtigt dieser den Insolvenzverwalter weder nach schuldrechtlicher noch nach haftungsrechtlicher Lehre zur Aussonderung, sondern kann lediglich als Insolvenzforderung zur Tabelle angemeldet werden. Damit ist festzustellen, dass sich der Theorienstreit um die Wirkung der Anfechtung in den dargestellten Fällen, die zu einem Sekundäranspruch führen, nicht auswirkt.

594

So in Bezug auf Bargeldzahlungen allgemein MüKo-InsO/Kirchhof, § 143 Rn. 30. Bork/Jacoby, Handbuch, Kap. 12 Rn. 40; MüKo-InsO/Kirchhof, § 143 Rn. 30; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 143 Rn. 17. 596 BGH, Urt. v. 24. 6. 2003 – IX ZR 228/02, BGHZ 155, 199 (203); Eckardt, KTS 2005, 15 (31); Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 41 Rn. 109; MüKo-InsO/ Ganter, § 47 Rn. 346; Gerhardt, Systematik, S. 336; Jaeger/Henckel, InsO, § 47 Rn. 116, § 143 Rn. 66, 77; Graf-Schlicker/Huber, § 143 Rn. 19; MüKo-InsO/Kirchhof, § 143 Rn. 20a; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 143 Rn. 87. 597 ErfK/Preis, § 611 Rn. 398. 598 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 283; MüKo-InsO/Kirchhof, § 143 Rn. 96; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 143 Rn. 7e. 599 Jaeger/Henckel, InsO, § 143 Rn. 67; MüKo-InsO/Kirchhof, § 143 Rn. 74. 600 Jaeger/Henckel, InsO, § 143 Rn. 67; MüKo-InsO/Kirchhof, § 143 Rn. 74. 601 Jaeger/Henckel, InsO, § 143 Rn. 67, 114; KPB/Jacoby, § 143 Rn. 40; HmbKomm/ Rogge/Leptien, § 143 Rn. 64. 595

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

99

cc) Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern des Anfechtungsgegners in das Anfechtungsgut Eine ähnliche Konstellation tritt ein, wenn ein Gläubiger des Anfechtungsgegners die Einzelzwangsvollstreckung in den anfechtbar erlangten Gegenstand betreibt. Es ist umstritten, ob der Insolvenzverwalter mit der Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) der Zwangsvollstreckung widersprechen kann. Das hängt grundsätzlich davon ab, ob man seinen anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch als „ein die Veräußerung hinderndes Recht“ im Sinne dieser Norm versteht602. Zunächst ist allerdings festzustellen, dass diese Auseinandersetzung für den absolut überwiegenden Teil der Lohnanfechtungen nicht relevant ist. Sofern die angefochtenen Zahlungen per Überweisung erfolgt sind oder in bar geleisteter Lohn nicht mehr unterscheidbar im Vermögen des Arbeitnehmers vorhanden ist, hat der anfechtende Insolvenzverwalter – wie gesehen603 – nur einen Sekundäranspruch auf Wertersatz. Dieser Zahlungsanspruch richtet sich gegen das gesamte Vermögen des Anfechtungsgegners, wodurch es schon an einem konkreten Haftungsobjekt fehlt604. Daher berechtigt der anfechtungsrechtliche Sekundäranspruch den Insolvenzverwalter nicht zum Widerspruch im Wege des § 771 Abs. 1 ZPO605, was – soweit ersichtlich – nicht bestritten wird. Schwieriger ist die Lösung, wenn das geleistete Bargeld noch individuell im Vermögen des Anfechtungsgegners vorhanden ist, der Insolvenzverwalter also einen anfechtungsrechtlichen Primäranspruch auf Rückgewähr des Geldes hat (§ 143 Abs. 1 S. 1 InsO). Zumindest denkbar ist, dass ein Eigengläubiger des Arbeitnehmers aufgrund eines Zahlungstitels in die vorhandenen Geldzeichen vollstreckt (§§ 803 Abs. 1 S. 1, 808 Abs. 1 ZPO). In diesem Fall wird relevant, ob man den anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch als „ein die Veräußerung hinderndes Recht“ i.S.d. § 771 Abs. 1 ZPO versteht. Bei der dinglichen Theorie ist der Befund eindeutig: Die Möglichkeit der Drittwiderspruchsklage muss bestehen, da das Eigentum aufgrund der Anfechtbarkeit nicht wirksam übergegangen ist606. Auch die Vertreter der haftungsrechtlichen Theorie wollen ganz überwiegend die Drittwiderspruchsklage wegen der haftungsrechtlichen Unwirksamkeit der Übertragung grundsätzlich zulassen607. Weni602

Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 170. Siehe oben B.I.5.b)bb)(2). 604 Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 41 Rn. 109. 605 Fridgen, Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung, S. 75; Gaul, KTS 2007, 133 (151, 165, 176 f.); Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 41 Rn. 109; MüKoInsO/Kirchhof, § 143 Rn. 20a, 85a; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, § 771 Rn. 40. 606 Crome, Bürgerliches Recht, Bd. 1, S. 354 Fn. 53. 607 Bork, Insolvenzrecht, Rn. 268; v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 332 f.; Gerhardt, Systematik, S. 336; Jaeger/Henckel, InsO, § 143 Rn. 88 f.; Kindl, NZG 1998, 321 (330); Stein/ Jonas/Münzberg, ZPO, § 771 Rn. 40; G. Paulus, AcP 155 (1956), 277 (336 ff.); K. Schmidt, JZ 1990, 619 (621 ff.); a.A. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.16; ders., ZIP 1994, 418 (423). 603

100

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

ger eindeutig ist das Meinungsbild bei den Vertretern der schuldrechtlichen Lehre. Bereits das Reichsgericht ließ, obwohl es der schuldrechtliche Lehre anhing, die Drittwiderspruchsklage aufgrund des Anfechtungsanspruchs zu608. Hiergegen wandte sich der BGH mit seinem Urteil 11. Januar 1990 und wies darauf hin, dass der rein schuldrechtliche Anspruch kein Recht i.S.d. des § 771 ZPO sein könne609. Der Anspruch aus § 37 KO (heute § 143 InsO) sei „nicht mit dem Herausgabeanspruch des Eigentümers oder Besitzers vergleichbar, sondern dem Anspruch des Käufers auf Übereignung oder Abtretung des gekauften Gegenstandes.“610 Wie bereits dargestellt wurde, sprach der BGH in Aufgabe seiner Rechtsprechung aus dem vorgenannten Urteil dem Insolvenzanfechtungsanspruch im Jahr 2003 jedoch Aussonderungskraft in der Insolvenz des Anfechtungsgegners zu611. Ausdrücklich formulierte er dieses Ergebnis indes nur für die Aussonderung, nicht hingegen für die Drittwiderspruchsklage. Unter den Vertretern der schuldrechtlichen Lehre im Schrifttum setzt sich dennoch zunehmend die Ansicht durch, dass der Insolvenzverwalter nach § 771 ZPO vorgehen kann612. Ohne die schuldrechtliche Theorie insgesamt einer Kritik unterziehen zu wollen, lässt sich jedenfalls feststellen, dass sie nicht überzeugen kann, soweit sie dem anfechtenden Insolvenzverwalter im Rahmen des primären Rückgewähranspruchs die Drittwiderspruchsklage versagt613. Entgegen der älteren Argumentation des BGH geht der Rückgewähranspruch aus § 143 Abs. 1 S. 1 InsO in seiner Wirkung über einen reinen Verschaffungsanspruch hinaus614. Gerade die jüngere Rechtsprechung des BGH zum Aussonderungsrecht in der Insolvenz des Anfechtungsgegners615 stützt diesen Befund; sie zeigt, dass der Senat die Wirkung des Rückgewähranspruchs wegen des haftungserweiternden Zwecks der Insolvenzanfechtung stärker einschätzt als die eines reinen Verschaffungsanspruchs616. 608

RG, Urt. v. 29. 10. 1897 – III 156/97, RGZ 40, 371 (372). BGH, Urt. v. 11. 1. 1990 – IX ZR 27/89, ZIP 1990, 246 (247 f.); so auch FK-InsO/ Dauernheim, § 129 Rn. 6; Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, § 13 Rn. 23; Jauernig, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 21. A., S. 238 f.; Böhle-Stamschräder/Kilger, KO, § 29 Anm. 22. 610 BGH, Urt. v. 11. 1. 1990 – IX ZR 27/89, ZIP 1990, 246 (247). 611 BGH, Urt. v. 23. 10. 2003 – IX ZR 251/01, BGHZ 156, 350 (358 ff.). 612 Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 1425; Fridgen, Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung, S. 74; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 35 Rn. 8, 23, 27, 144 ff.; Gottwald/Huber, § 51 Rn. 30; HHS/Huber, Teil VII Rn. 135; Kreft, ZInsO 1999, 370 (371 f.); Musielak/Lackmann, ZPO, § 771 Rn. 29; Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 176 ff. 613 So aktuell nur noch wenige Autoren, etwa FK-InsO/Dauernheim, § 129 Rn. 6, 9; Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, § 13 Rn. 23. 614 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 771 Rn. 14; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 1425; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 35 Rn. 23; Musielak/Lackmann, ZPO, § 771 Rn. 29. 615 BGH, Urt. v. 23. 10. 2003 – IX ZR 251/01, BGHZ 156, 350 (358 ff.). 616 Gottwald/Huber, § 51 Rn. 30; HHS/Huber, Teil VII Rn. 135. 609

I. Allgemeines zur Insolvenzanfechtung

101

Bei dieser Interpretation führt damit die schuldrechtliche Theorie zum selben Ergebnis wie dingliche und haftungsrechtliche Theorie, nämlich dass dem anfechtenden Insolvenzverwalter das Interventionsrecht aus § 771 Abs. 1 ZPO zusteht617. dd) Ergebnis Als Ergebnis ist damit festzustellen, dass der Streit um die dogmatische Einordnung der Insolvenzanfechtung für die Konstellationen der Lohnanfechtung nicht relevant ist und eine Entscheidung zwischen den Theorien dahinstehen kann. Ohnehin ist zunehmend eine gewisse Resignation in Bezug auf diese Auseinandersetzung festzustellen. Kirchhof, der zwar grundsätzlich eine schuldrechtliche Ausrichtung vertritt, hält die Anfechtung für „zu eigenartig und vielschichtig ausgestaltet, als dass es uneingeschränkt von einer der dargestellten Theorien allein erfasst werden könnte.“618 Auch der BGH hat kundgetan, dass die Frage nach der Aussonderung des Anfechtungsgegners „mit dem Hinweis auf die Rechtsnatur des Anfechtungsanspruchs nicht hinreichend beantwortet werden kann“.619 Tatsächlich führt die neuere Rechtsprechung des BGH zu einer Einebnung zwischen haftungsrechtlichen und schuldrechtlichen Theorien, die damit weitgehend zu denselben Ergebnissen gelangen620. In Fällen, in denen aus der haftungsrechtlichen Theorie ein schuldrechtlicher Rückgewähranspruch folgt, nähert sich diese Ansicht ohnehin der schuldrechtlichen Lehre an621. Sie wird dementsprechend teilweise als deren Fortentwicklung angesehen, soweit sie über den neuen Aspekt der haftungsrechtlichen Unwirksamkeit andere Fälle, z. B. den anfechtbaren Schulderlass, überzeugender zu lösen vermag622.

617 In der Literatur wird darüber hinaus diskutiert, ob das nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 145 Abs. 2 InsO gilt, der die Anfechtung gegen den Einzelrechtsnachfolger regelt. Da diese Frage nicht von der Wirkungsweise der Anfechtung i.S.d. des dargestellten Theorienstreits abhängt, sei auf die Ausführungen bei v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 332; Eckardt, KTS 2005, 15 (18, 47 f.); Gerhardt, Systematik, S. 336 ff.; K. Schmidt, JZ 1990, 619 (621 ff.) sowie Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 174 ff. verwiesen. 618 MüKo-InsO/Kirchhof, vor §§ 129 – 147 Rn. 37. 619 BGH, Urt. v. 23. 10. 2003 – IX ZR 251/01, BGHZ 156, 350 (359); ähnlich zuvor BGH, Urt. v. 24. 6. 2003 – IX ZR 228/02, BGHZ 155, 199 (203); auch Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 35 Rn. 23 gehen davon aus, dass die Theorien an ihre Grenzen stoßen. 620 HHS/Huber, Teil 1 Rn. 30 f.; Graf-Schlicker/Huber, vor §§ 129 – 147 Rn. 8; Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 Rn. 8 geht sogar davon aus, der BGH habe sich der Sache nach der haftungsrechtlichen Theorie angeschlossen. 621 Kindl, NZG 1998, 321 (323); G. Paulus, AcP 155 (1956), 277 (333 f.); Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 195. 622 Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 195; ähnlich KPB/Bork, Vor § 129 Rn. 9.

102

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

c) Geltendmachung der Anfechtung Vom soeben dargestellten Streit ist richtigerweise623 die Frage zu unterscheiden, ob die Rechtswirkungen der Anfechtung kraft Gesetzes624 eintreten oder ob hierzu ein rechtsgestaltender Anfechtungsakt erforderlich ist (sog. Gestaltungslehre)625. Heute wird, soweit ersichtlich, nicht mehr bestritten, dass die Rechtsfolgen nicht erst durch eine Gestaltungserklärung, sondern ipso iure mit Erfüllung des Anfechtungstatbestandes und der Verfahrenseröffnung eintreten626. Der Begriff „Anfechtung“ beschreibt bei diesem Verständnis nur den Akt, sich auf die kraft Gesetzes eingetretenen Rechtsfolgen („Anfechtbarkeit“) zu berufen, ohne damit eine gestaltende Wirkung anzusprechen627. Um die Rechtsfolgen geltend zu machen, genügt zwar auch eine außergerichtliche Willenserklärung628, zur Hemmung der Anfechtungsfrist des § 146 InsO ist allerdings die Klageerhebung oder eine andere prozessuale Maßnahme gem. § 204 Abs. 1 BGB erforderlich629. Zur Geltendmachung befugt ist im Regelverfahren gem. § 129 Abs. 1 InsO der Insolvenzverwalter630, der nach herrschender Meinung kraft seines Amtes, d. h. in gesetzlicher Prozessstandschaft, handelt631.

623

Siehe zur Unabhängigkeit der Problemfelder voneinander: v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 319; Cosack, Anfechtungsrecht, S. 219; Gerhardt, Systematik, S. 111; Jauernig/ Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, § 51 Rn. 13. 624 So bereits RG, Urt. v. 5. 6. 1931 – VII 414/30, RGZ 133, 46 (48); RG, Urt. v. 29. 3. 1904 – VII. 528/03, RGZ 58, 44 (47); RG, Urt. v. 20. 10. 1899 – II. 177/99, RGZ 44, 92 (93 f.) (zum AnfG) und aus dem älteren Schrifttum; Jaeger, Lehrbuch, S. 152; Kleinfeller, DJZ 1903, 386 (388). 625 Cosack, Anfechtungsrecht, S. 219 ff.; Crome, Bürgerliches Recht, Bd. 1, S. 354; Hellwig, ZZP 26 (1899), 474 (478); Kohler, Konkursrecht, S. 208 f.; Seuffert, Konkursprozessrecht, S. 220. 626 BGH, Beschl. v. 27. 03. 2008 – IX ZR 210/07, ZInsO 2008, 449 (451); BGH, Urt. v. 20. 3. 1997 – IX ZR, BGHZ 135, 140 (149); BGH, Urt. v. 9. 7. 1987 – IX ZR 167/86, BGHZ 101, 286 (288); BGH, Urt. v. 3. 12. 1954 – V ZR 96/53, BGHZ 15, 333 (337); Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 18.13; Bork, ZIP 2014, 1905 (1908); v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 319 f.; Eckardt, KTS 2005, 15 (28); Gerhardt, Systematik, S. 144 f.; Jaeger/Henckel, InsO, § 143 Rn. 103; Bork/Jacoby, Handbuch, Kap. 12 Rn. 9; MüKo-InsO/Kayser, § 129 Rn. 186, 194; HK-InsO/Kreft, § 129 Rn. 82; HmbKomm//Rogge/Leptien, Vorbem. zu §§ 129 ff. Rn. 3; Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 38, 55. 627 Zu dieser Terminologie v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 320. 628 HHS/Bograkos, Teil VII Rn. 43 ff.; v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 321; MüKoInsO/Kayser, § 129 Rn. 194; HK-InsO/Kreft, § 129 Rn. 82. 629 Braun/de Bra, § 129 Rn. 54. 630 Es ist umstritten, wer Inhaber des Anfechtungsrechts ist, ohne dass diese Frage besondere Relevanz hätte, siehe dazu MüKo-InsO/Kayser, § 129 Rn. 192 ff. 631 Bork/Ehricke, Handbuch, Kap. 2 Rn. 4; Jaeger/Henckel, InsO, § 129 Rn. 285; Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 143 Rn. 8; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 129 Rn. 24; Zeuner, Anfechtung, Rn. 2.

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

103

6. Fazit Der vorangegangene allgemeine Überblick zu einigen wichtigen Aspekten des Insolvenzrechts belegt die Eigentümlichkeit und besondere Komplexität des Rechts der Insolvenzanfechtung. Geschuldet sind diese Eigenschaften zum einen der vielschichtigen und langwierigen historischen Entwicklung der Anfechtungsregeln und zum anderen der besonderen Situation des Zusammenbruchs eines Wirtschaftssubjekts an sich. Für die Fragen der Lohnanfechtung lassen sich daraus einige Schlüsse ziehen. Die Insolvenzanfechtung dient zuvorderst der Befriedigung der Gläubiger des Insolvenzschuldners und fügt sich damit in die allgemeine Zweckbestimmung des Insolvenzverfahrens ein. Die einzelnen Tatbestände der Anfechtung basieren dabei auf unterschiedlichen Gründen und dürfen nicht über einen Kamm geschoren werden. Die Ausdifferenzierung der Anfechtungsgründe lässt sich rechtshistorisch zurückverfolgen und beweist das hohe Alter des zugrundliegenden Prinzips, bestimmte Transaktionen im Vorfeld eines Konkurses nicht zu tolerieren. Ebenfalls weit zurückverfolgen lässt sich die Grundidee, die Gläubiger im Konkurs gleich oder zumindest gleichmäßig zu behandeln, ohne dass dieses Prinzip dabei jemals in Reinform umgesetzt worden wäre. Der Gegenstand der vorliegenden Arbeit verdankt seine Existenz allerdings zwei Entwicklungen der jüngeren Geschichte: Zum einen entstand die Idee der Deckungsanfechtung, die sich sukzessive vom Unredlichkeitsgedanken als Rechtfertigungsgrund der Konkursanfechtung abkoppelte. Zum anderen schaffte der Gesetzgeber im Zuge der Insolvenzrechtsreform das insolvenzrechtliche Lohnprivileg der Arbeitnehmer ab und verschärfte insgesamt das Anfechtungsrecht. Festgestellt werden kann weiterhin, dass der alte und anhaltende Streit um die Wirkung der Anfechtung für die Konstellationen der Lohnanfechtung nicht ausschlaggebend ist und im Rahmen dieser Arbeit keiner Entscheidung bedarf.

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata Nach den allgemein auf die Insolvenzanfechtung bezogenen Ausführungen im vorstehenden Abschnitt richtet sich die Untersuchung im Folgenden auf die konkrete Situation der Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen. Am Anfang steht hier eine Rückschau auf die recht kurze Historie der sog. Lohnanfechtung (1.). Sodann werden die rechtlichen Rahmenbedingungen eines Arbeitsverhältnisses in der Krise des Arbeitgebers dargestellt (2., 3.). Dem folgt eine Untersuchung der einzelnen Tatbestände der Insolvenzanfechtung vor dem Hintergrund der Lohnanfechtung (4.). Am Ende des Abschnitts sind noch die Rechtsfolgen aufzuzeigen, die sich bei einer erfolgreichen Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen ergeben (5.). Bei dieser Darstellung des Status Quo der Lohnanfechtung soll durch eine umfassende Darstellung der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen und der unterschiedlichen Tatbestände erkennbar werden, welche Rechtspositionen kollidieren

104

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

und welche Folgen die Kollision für die Beteiligten und ihre Rechte hat. Der daraus folgende Befund bildet die Grundlage für den anschließenden Blick auf die Fundamente der identifizierten Rechtspositionen im zweiten Hauptteil. 1. Historie der Lohnanfechtung Wie bereits angesprochen wurde und sich aus den obigen allgemeinen Ausführungen zur Historie der Insolvenzanfechtung ergibt, ist die Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen ein Phänomen der jüngeren Vergangenheit632. a) Konkursordnung Unter der Geltung der Konkursordnung war die Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen nicht per se ausgeschlossen. Sie trat aber praktisch nicht auf, was, wie zu zeigen ist, auf das damals geltende Arbeitnehmerprivileg und die konkrete Ausgestaltung der Anfechtungstatbestände zurückzuführen ist. Die Konkursanfechtung setzte auch unter der Konkursordnung eine Benachteiligung der Konkursgläubiger voraus633. Diese Wirkung fehlte aber, wenn die Befriedigungsmöglichkeiten der Konkursgläubiger nicht verschlechtert waren, weil eine Forderung bedient wurde, die der Konkursverwalter ohnehin später hätte voll befriedigen müssen634. Lohnrückstände für die letzten sechs Monate vor der Eröffnung des Verfahrens waren nach § 59 Abs. 1 Nr. 3 a) KO Masseschulden. Sofern bestehende Rückstände für diesen Zeitraum nicht vor Eröffnung durch den Gemeinschuldner beglichen wurden, waren sie vom Konkursverwalter im späteren Verfahren voll zu befriedigen. Damit führten Zahlungen vor Verfahrenseröffnung außer bei Masseunzulänglichkeit nicht zu einer Benachteiligung der Gläubiger; die Anfechtung schied schon aus diesem Grund aus635. Darüber hinaus bestand für den über diese sechs Monate hinausreichenden Zeitraum bis hin zu einem Jahr vor Verfahrenseröffnung für Lohnansprüche gem. § 61 Abs. 1 Nr. 1 a) KO ein Rangvorzug an erster Stelle. Zahlte der spätere Insolvenzschuldner auf solche Ansprüche, lag ebenfalls keine Gläubigerbenachteiligung vor, da die entsprechenden Zahlungen vom Insolvenzverwalter sowieso noch vor einer Auskehr an die Konkursgläubiger zu leisten gewesen wären636. Grundsätzlich war damit nur eine Anfechtung von Zah632

Die folgenden Ausführungen blenden die Auseinandersetzung über den Rechtsweg für Anfechtungsklagen gegenüber Arbeitnehmer weitgehend aus, siehe dazu unten E. 633 BGH, Urt. v. 21. 4. 1988 – IX ZR 71/87, ZIP 1988, 725 (725); Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 18.21, 18.35 ff. 634 BGH, Urt. v. 24. 10. 1962 – VIII ZR 126/61, KTS 1962, 252 (253); Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 18.41. 635 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (373); BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (38); Bork, ZIP 2007, 2337 (2337); Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197 (197); Huber, in: FS Haarmeyer, S. 111 (115); ders., NJW 2009, 1928 (1929). 636 Huber, NJW 2009, 1928 (1929).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

105

lungen auf Lohnansprüche möglich, die über ein Jahr rückständig waren. Dass solche Konstellationen in der Praxis äußerst unwahrscheinlich sind, zeigen schon die Sachverhalte der bislang veröffentlichten Entscheidungen zur Lohnanfechtung unter der Insolvenzordnung, von denen keiner einen solch langen Rückstand enthält. Auch ohne die Lohnprivilegien der Arbeitnehmer wären Anfechtungen aufgrund der milderen Ausgestaltung der Anfechtungstatbestände kaum möglich gewesen. Das zeigt v. a. der Tatbestand der Kongruenzanfechtung, der für Lohnanfechtungen am wichtigsten ist: Mit § 30 Nr. 1 Fall 2 KO 1898 konnten Rechtshandlungen ab dem Zeitpunkt der Zahlungseinstellung oder des Eröffnungsantrags angefochten werden. Voraussetzung war die Kenntnis des Empfängers von der Zahlungseinstellung oder dem Eröffnungsantrag. Dabei kannte die Konkursordnung jedoch noch keine Erleichterung im Rahmen des subjektiven Tatbestandes, der die Kenntnis von Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen, genügen lässt (heute § 130 Abs. 2 InsO). Wie später noch zu zeigen sein wird637, ist diese Erleichterung in der Praxis für die Frage nach der Anfechtbarkeit von Lohnzahlungen im Rahmen der Kongruenzanfechtung von zentraler Bedeutung. Der Konkursverwalter hätte bei einer Lohnanfechtung unter der Konkursordnung mangels dieser Hilfestellung nur schwer die subjektiven Voraussetzungen auf Seiten des Anfechtungsgegners beweisen können. Der absolute Ausnahmecharakter von Lohnanfechtungen unter der Konkursordnung wird durch den Mangel an veröffentlichten Entscheidungen bestätigt. Die – soweit ersichtlich – einzig einschlägigen Entscheidungen behandeln entweder nur die Frage nach der Zuständigkeit für eine solche Anfechtungsklage638 oder beziehen sich auf Sonderkonstellationen639. b) Insolvenzordnung Erst die Einführung der Insolvenzordnung und die in ihrem Zuge erfolgte Abschaffung der Lohnprivilegien ermöglichten Insolvenzverwaltern Lohnanfechtungen auch in solchen Fällen, in denen der Zahlung kein offensichtlich unredlicher

637

Siehe unten B.II.4.d)bb)(2)(c). LG Bonn, Beschl. v. 16. 6. 1998 – 1 O 160/98, ZIP 1998, 1726 f.; KG, Beschl. v. 22. 3. 1996 – 7 W 660/96, ZIP 1996, 1097; LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 18. 7. 1995 – 4 Ta 72/ 95, ZIP 1995, 1756 (1756 f.); ArbG Rheine, Beschl. v. 5. 6. 1967 – 1 Ca 238 C/67, AP Nr. 1 zu § 30 KO. 639 BAG, Urt. v. 16. 6. 1978 – 3 AZR 783/76, AP Nr. 4 zu § 30 KO (Arbeitgeber tritt dem Arbeitnehmer aufschiebend bedingt durch Konkurseröffnung Rechte aus einer Rückdeckungsversichung für eine Versorgungszusage ab); LAG Hamm, Urt. v. 26. 11. 1997 – 14 Sa 1240/97, ZIP 1998, 920 (Arbeitgeber überreicht vertrautem Chauffeur Barscheck über 25.000 DM). 638

106

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Charakter innewohnte640, sondern in der Krise641 schlicht rückständige Lohnforderungen bedient wurden. Das erste veröffentlichte Urteil in einem solchen Fall erging – soweit ersichtlich – im Jahre 2004 und stammt vom LAG München642. Dem beklagten Arbeitnehmer war im Juli 2002, kurz vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, vom Arbeitgeber noch das Märzgehalt ausgezahlt worden. Die Besonderheit des Falles lag darin, dass diese Zahlung nach dem Eröffnungsantrag und unter Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters erfolgte. Nachdem der vorläufige Verwalter auch zum Insolvenzverwalter bestellt worden war, focht er die Zahlung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 InsO an. Das LAG München bestätigte in seinem Berufungsurteil die erstinstanzliche Entscheidung des ArbG Rosenheim643, das die Anfechtbarkeit und damit einen Rückgewähranspruch des Verwalters nach § 143 Abs. 1 InsO annahm. Die Voraussetzungen des § 130 InsO waren dabei wenig problematisch, da die Zahlung nach dem Eröffnungsantrag erfolgte und der Beklagte diesen Antrag jedenfalls den Umständen nach kannte. Der Zehnte Senat des BAG wies die Revision des beklagten Arbeitnehmers als unbegründet zurück und bestätigte dabei die Begründung der Vorinstanz644. Im Jahre 2007 ergingen die ersten Urteile durch Arbeits- und Amtsgerichte in „klassischen“ Fällen der Lohnanfechtung, d. h. in Fällen, in denen in der Krise rückständige Lohnforderungen von Arbeitnehmern durch den späteren Insolvenzschuldner bedient werden. Das erste veröffentlichte Urteil zu einem solchen Fall erließ – soweit ersichtlich – das Amtsgericht Gera am 9. Juli 2007645. Im zugrunde liegenden Fall waren an den Arbeitnehmer in der Krise Zahlungen auf mehrere Monate rückständige Lohnansprüche geleistet worden. Das Gericht ließ die Anfechtung gegenüber dem Arbeitnehmer nach § 130 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 InsO teilweise zu, was ihm – für ein amtsgerichtliches Urteil – erstaunliche Aufmerksamkeit bescherte646. Es folgten weitere Entscheidungen anderer Gerichte mit unterschied-

640 Etwa Zahlungen hoher Beträge ohne arbeitsvertragliche Grundlage, vgl. zu solchen Sachverhalten etwa LAG Hamm, Urt. v. 26. 11. 1997 – 14 Sa 1240/97, ZIP 1998, 920; KG, Beschl. v. 22. 3. 1996 – 7 W 660/96, ZIP 1996, 1097. 641 Zum Begriff der Krise, siehe oben A.IV.2. 642 Urt. v. 5. 2. 2004 – 2 Sa 774/03, ZInsO 2004, 1157; das erstinstanzliche Urteil des ArbG Rosenheim v. 11. 6. 2003 – 3 Ca 662/03 ist nicht veröffentlicht. 643 ArbG Rosenheim, Urt. v. 11. 6. 2003 – 3 Ca 662/03, n.v. 644 BAG, Urt. v. 27. 10. 2004 – 10 AZR 123/04, BAGE 112, 266; dazu Stiller, ZInsO 2005, 529 (531 ff.). 645 4 C 654/07, ZInsO 2007, 1000; zuvor ergingen bereits Urteile, die jedoch nicht veröffentlicht wurden, siehe etwa ArbG Chemnitz, Urt. v. 20. 04. 2007 – 5 Ca 3677/06; ArbG Nordhausen, Urt. v. 30. 03. 2007 – 4 Ca 1192/06; ArbG Nordhausen, Urt. v. 30. 03. 2007 – 4 Ca 1194/06. 646 Berscheid, jurisPR-InsR 20/2008 Anm. 3; Bork, ZIP 2007, 2337; Ries, ZInsO 2007, 1037; siehe auch die kleine Anfrage der Fraktion der LINKEN im Bundestag (BT-DruckS. 16/ 6297) und die Antwort der Bundesregierung (BT-DruckS. 16/6488).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

107

lichen Ergebnissen647. Schließlich erhielt der BGH im Jahr 2009 die Chance, in zwei Urteilen erste höchstrichterliche Grundlinien für Lohnanfechtungen zu formulieren648. Der IX. Zivilsenat entwickelte dabei eine eher restriktive Linie im Rahmen des subjektiven Tatbestandes, ohne dabei die Anfechtung von Lohnzahlungen per se auszuschließen. Das Bundesministerium der Justiz lieferte in der Folge den Entwurf eines § 130 Abs. 4 InsO, der die Lohnanfechtung nur bei positiver Kenntnis des Arbeitnehmers von der Zahlungsunfähigkeit oder dem Eröffnungsantrag zulassen sollte649. Bis heute hat der Gesetzgeber diesen Entwurf nicht umgesetzt. Nachdem der Streit um den richtigen Rechtsweg für Lohnanfechtungsklagen durch den Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OGB) vom 27. September 2010650 zu Gunsten der Arbeitsgerichtsbarkeit entschieden worden war, verschärfte das BAG mit vier Urteilen vom 6. Oktober 2011651 die Anforderungen an erfolgreiche Lohnanfechtungen. Das prägendste Merkmal dieser Rechtsprechung ist eine weite Auslegung der Bargeschäftsausnahme des § 142 InsO, die auch Zahlungen auf weit rückständige Lohnforderungen erfasst652. Zudem zeigte sich der Sechste Senat beim subjektiven Tatbestand restriktiv, ohne in Widerspruch zu Leitlinien des BGH zu geraten653. Das BAG schränkte die Anfechtungsmöglichkeiten mit einer Entscheidung vom 29. Januar 2014654 zuletzt noch weiter ein, indem es die Anforderungen an eine erfolgreiche Vorsatzanfechtung gegenüber Arbeitnehmern erhöhte. Zugleich nutzte es die Entscheidung, um in einem umfangreichen obiter dictum grundsätzliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von Lohnanfechtungen anzumelden655. Zuletzt äußerte sich wiederum der BGH656 zum Thema und erteilte sowohl der Auslegung des Bargeschäfts durch das BAG657 als auch dessen verfassungsrechtlichen Überlegungen658 eine klare Absage. 647 Siehe etwa (chronologisch): AG Wunsiedel, Beschl. v. 15. 4. 2008 – 2 C 607/07, ZVI 2008, 221; LAG Sachsen, Urt. v. 29. 4. 2008 – 7 Sa 457/07, ZInsO 2008, 1157; LAG Thüringen, Urt. v. 24. 7. 2008 – 3 Sa 411/07, juris; ArbG Marburg, Urt. v. 26. 9. 2008 – 2 Ca 204/08, ZIP 2008, 2432; ArbG Koblenz, Urt. v. 22. 1. 2009 – 10 Ca 2058/08, ZInsO 2009, 487; LG Magdeburg, Urt. v. 23. 9. 2009 – 10 O 229/09, juris. 648 BGH, Urt. v. 15. 10. 2009 – IX ZR 201/08, ZInsO 2009, 2244; BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63. 649 Abgedruckt in NZI Heft 9/2009, S. IX; siehe dazu ausführlicher unten D.II. 650 GmS-OGB, Beschl. v. 27. 9. 2010 – GmS-OGB 1/09, BGHZ 187, 105. 651 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37; 6 AZR 585/10, ZInsO 2012, 271; 6 AZR 731/10, juris; 6 AZR 732/10, ZInsO 2012, 834. 652 Siehe dazu unten B.II.4.c)cc). 653 Auch hierzu später B.II.4.d)bb)(2)(c)(bb). 654 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 ff. 655 Allerdings teilweise einschränkend dann bereits wieder in der Entscheidung BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, ZInsO 2014, 1108 (1111); siehe dazu unten C.II.2.b)dd)(3). 656 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602. 657 Dazu unten B.II.4.c)cc)(2)(c). 658 Dazu unten C.II.2.b)dd)(3).

108

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Parallel zu diesen Entwicklungen wird auf gesetzgeberischer Ebene über das Problem nachgedacht. Im Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2013 zwischen CDU/CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode kündigten die Vertragsparteien an, „das Insolvenzanfechtungsrecht im Interesse der Planungssicherheit des Geschäftsverkehrs sowie des Vertrauens der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ausgezahlte Löhne auf den Prüfstand [zu] stellen“659. Die Ankündigung führte zu einer umfassenden Diskussion im Schrifttum, die sich primär um eine mögliche Änderung des § 133 InsO drehte660. Im September 2014 entstand im Bundesministerium der Justiz und Verbraucherschutz ein sog. Eckpunktepapier zu einer Reform des Anfechtungsrechts, das unter anderem eine Sonderregel für Arbeitnehmer vorsah661. Am 16. März 2015 legte das Bundesministerium den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz (RefE InsO 2015) vor662. Dieser greift die Ansätze des Eckpunktepapiers auf und enthält insbesondere eine Sonderregelung für Arbeitnehmer im Rahmen des Bargeschäftsprivilegs des § 142 InsO663. Die Umsetzung ist noch ungewiss. Als Pionier in der wissenschaftlichen Literatur zur Lohnanfechtung darf Bundesarbeitsrichter Bertram Zwanziger gelten, der bereits Anfang des Jahres 2007 – und damit sogar vor dem Urteil des AG Gera – einen ersten Aufsatz zu den materiellrechtlichen Fragen der Lohnanfechtung veröffentlichte664. Bis heute folgten zahlreiche Beiträge anderer Autoren zur Sache665. Auch wenn durch die Rechtsprechung des BAG nunmehr strenge Anforderungen an erfolgreiche Lohnanfechtungen bestehen, sind sie nach wie vor nicht per se ausgeschlossen. Dabei ist die Rechtslage kompliziert und die Auslegung der anfechtungsrechtlichen Vorschriften durch den BGH und das BAG keineswegs über jeden Zweifel erhaben.

659 Koalitionsvertrag „Deutschlands Zukunft gestalten“, abrufbar unter https:// www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf; http://www.spd.de/ linkableblob/112790/data/20131127_koalitionsvertrag.pdf; jeweils S. 25. 660 Siehe unten B.II.4.f)cc)(2). 661 Dazu unten D.II. 662 Abrufbar unter www.bmjv.de; dazu aus dem Schrifttum: Dahl/Linnenbrink/Schmitz, NZI 2015, 441 ff.; Frind, ZInsO 2015, 1001 ff.; Hölzle, ZIP 2015, 662 ff.; Huber, ZInsO 2015, 713 ff.; Jacobi/Böhme, ZInsO 2015, 721 ff.; Jungclaus/Keller, NZI 2015, 297 ff. 663 Siehe dazu unten D.II. 664 Zwanziger, BB 2007, 42 ff.; später ders., DB 2014, 2391 ff. 665 Siehe oben A. Einleitung, Fn. 4.

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

109

2. Arbeitsverhältnis in Krise und Insolvenz des Arbeitgebers Das Phänomen der Lohnanfechtung tritt nur in der speziellen Situation der Krise des Arbeitgebers auf. Wie bereits aus den Ausführungen des ersten Teils erkennbar ist, hängt die Lohnanfechtung mit vielen anderen Rechtsfragen in Bezug auf das Arbeitsverhältnis in Krise und Insolvenz zusammen. Gemeint sind nicht nur die insolvenzrechtlichen Regelungen zum Arbeitsverhältnis im Konkurs des Arbeitgebers, sondern auch die allgemeinen Rechte des Arbeitnehmers bei Lohnverzug sowie die sozialrechtlichen Regelungen zum Insolvenzgeld. a) Grundsatz: Fortbestand des Arbeitsverhältnisses Zunächst ist der Hinweis geboten, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers grundsätzlich keinen Einfluss auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses hat666. Es besteht nach § 108 Abs. 1 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort667. Das ist keineswegs selbstverständlich, wie andere Rechtsordnungen zeigen668. Allerdings erfährt der Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses in der Insolvenz des Arbeitgebers gewisse Aufweichungen. Nach § 113 S. 1 InsO können Dienstverhältnisse ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung gekündigt werden. Dabei gilt eine Frist von maximal drei Monaten zum Monatsende, außer es ist ohnehin eine kürzere Frist maßgeblich (§ 113 S. 2 InsO). Wird der Arbeitnehmer mit verkürzter Frist gekündigt, steht ihm gem. § 113 S. 3 InsO ein Schadensersatzanspruch wegen der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu, der allerdings nur eine einfache Insolvenzforderung i.S.d. § 38 InsO ist. § 113 InsO enthält keinen eigenen Kündigungsgrund und kein besonderes Kündigungsrecht669. Kündigungen unterliegen weiterhin den allgemeinen Regeln670. Allerdings wird es in der Krise für den Arbeitgeber oftmals möglich sein, die dringenden betrieblichen Erfordernisse i.S.d. § 1 KSchG nachzuweisen, v. a. wenn er den Betrieb oder Betriebsteil stilllegt671. Nach § 120 Abs. 1 S. 2 InsO können Betriebsvereinbarungen, die massebelastende Leistungen vorsehen, ebenfalls mit einer maximal dreimonatigen Frist gekündigt werden. 666

Gamillscheg, Arbeitsrecht I, S. 324; Pieper, ZInsO 2009, 1425 (1426); Schelp, NZA 2010, 1095 (1095). 667 Zuvor zur KO: BAG, Urt. v. 15. 12. 1987 – 3 AZR 420/87, BAGE 57, 152. 668 In England etwa führt die Einsetzung eines Verwalters im Rahmen der Eröffnung eines gerichtlichen Liquidationsverfahrens (winding-up by the court) automatisch zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, vgl. Dennis, Liquidation, S. 85; Fletcher, Law of Insolvency, S. 450. 669 BAG, Urt. v. 5. 12. 2002 – 2 AZR 571/01, ZInsO 2003, 480 (482); KPB/Moll, § 113 InsO Rn. 67; Zwanziger, Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 113 Rn. 1. 670 Zwanziger, Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, Einführung Rn. 148. 671 Vgl. zu den Besonderheiten der Befugzugnis zu eine solche Unternehmerentscheidung in der Insolvenz Zwanziger, Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, Einführung Rn. 157 ff.

110

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

b) Übergang der Verfügungsbefugnis Bereits angesprochen wurde der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Schuldnervermögen auf den Insolvenzverwalter mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 80 Abs. 1 InsO. Schon im Eröffnungsverfahren können je nach Reichweite der angeordneten Sicherungsmaßnahmen und der Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters diese Befugnis auf den Verwalter übergehen oder Verfügungen unter den Vorbehalt seiner Zustimmung gestellt werden (§§ 21 f. InsO). Vom Insolvenzschuldner ohne Befugnis vorgenommene Verfügungen sind gem. § 81 Abs. 1. S. 1 (ggf. i.V.m. § 24 Abs. 1) InsO unwirksam. Leistet der Arbeitgeber in einer solchen Situation Zahlungen an einen Arbeitnehmer, muss dieser das erlangte Geld herausgeben bzw. zurückgewähren672. Weiterhin folgt aus § 80 Abs. 1 InsO, dass der Insolvenzverwalter kraft seiner Amtsstellung in die Arbeitgeberstellung mit allen Rechten und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis eintritt673. Das bedeutet insbesondere, dass nur er fortan berechtigt ist, Kündigungen auszusprechen674. c) Lohnansprüche in der Insolvenz des Arbeitgebers Die Befriedigungsaussichten und Durchsetzungsmöglichkeiten der Gläubiger eines insolventen Schuldners hängen maßgeblich davon ab, wie ihre Forderungen im Insolvenzverfahren eingeordnet werden675. Die Kosten des Verfahrens (Massekosten, § 54 InsO) und sonstige Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) sind gem. § 53 InsO vorab aus der Masse zu berichtigen und werden daher bei ausreichender Masse voll befriedigt. Lediglich die verbleibende Restmasse wird zur quotalen Befriedigung der einfachen Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) verwendet. Aufgrund geringer Insolvenzquoten können Gläubiger solcher Insolvenzforderungen in der Praxis regelmäßig nur einen Bruchteil ihrer Ansprüche realisieren. aa) Einfache Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) § 38 InsO definiert den Begriff der Insolvenzgläubiger als diejenigen persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begrün672 Bei Barzahlungen besteht ein Rückgewähranspruch gem. §§ 985, 812 ff. BGB, vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 17. 02. 2003 – 25 W 9/03, ZInsO 2003, 713 (714); bei Überweisungen ist nach h.M. § 816 Abs. 2 BGB einschlägig, vgl. dazu; HK-InsO/Kayser, § 81 Rn. 23; HmbKomm/Kuleisa, § 81 Rn. 14. 673 BAG, Urt. v. 30. 01. 1991 – 5 AZR 32/90, ZIP 1991, 744; (zur KO); Pieper, ZInsO 2009, 1425 (1426); Stiller, NZI 2005, 77 (77); Zwanziger, Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, Einführung Rn. 106. 674 Zwanziger, Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, Einführung Rn. 106. 675 Lakies, Arbeitsverhältnis in der Insolvenz, Rn. 91; Schelp, NZA 2010, 1095 (1095); Stiller, NZI 2005, 77 (77).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

111

deten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Insolvenzgläubiger können ihre sog. Insolvenzforderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen (§ 87 InsO). Das bedeutet insbesondere, dass Forderungen beim Insolvenzverwalter zur Tabelle angemeldet werden können (§ 174 Abs. 1 S. 1 InsO) und nur in Höhe der Insolvenzquote befriedigt werden. Die Durchsetzung dieser Forderungen im Wege der Zwangsvollstreckung ist für die Dauer des Insolvenzverfahrens ausgeschlossen, § 89 Abs. 1 InsO. Maßgeblich für die Klassifizierung eines Anspruchs als Insolvenzforderung i.S.d. § 38 InsO ist ausweislich dessen Wortlaut, dass der Anspruch zur Zeit der Verfahrenseröffnung begründet war. Ob der Anspruch „begründet“ war, hängt nicht von seiner Fälligkeit, sondern von der Entstehung des dem Anspruch zugrunde liegenden „Schuldrechtsorganismus“ ab, was bedeutet, dass der Rechtsgrund der späteren Entstehung des Anspruchs bereits gelegt sein muss676. Für Arbeitsverhältnisse ist der Zeitpunkt der erbrachten Arbeitsleistung entscheidend677. Dass Arbeitnehmer bei Verfahrenseröffnung regelmäßig Inhaber ausstehender Forderungen sind, ist zum einen auf ihre grundsätzliche Vorleistungspflicht und zum anderen auf das Phänomen unpünktlicher Lohnzahlungen zurückzuführen. Die Vorleistungspflicht des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis ergibt sich bereits aus § 614 S. 1 BGB. Ist die Vergütung nach Zeitabschnitten bemessen, ist sie nach dem Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte zu entrichten (§ 614 S. 2 BGB). In der Praxis sind Lohnansprüche regelmäßig am Monatsende fällig678. Insbesondere im Baugewerbe werden oft Fälligkeiten zum 15. des Folgemonats vereinbart und sind sogar teilweise in Tarifverträgen ausdrücklich zugelassen679. Selbst bei ständig pünktlichen Lohnzahlungen durch den Arbeitgeber haben Arbeitnehmer daher aufgrund ihrer Vorleistungspflicht im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung regelmäßig offene Lohnansprüche für den vorangehenden (Teil-)Zeitabschnitt. In der Praxis zahlen Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern den ihnen zustehenden Lohn allerdings keineswegs stets bei Fälligkeit. In einigen Branchen, auch hier ist wieder das Baugewerbe zu nennen, sind verzögerte Lohnzahlungen und daraus folgende dauerhafte Rückstände keine Seltenheit680. 676 BAG, Urt. v. 24. 9. 2003 – 10 AZR 640/02, ZInsO 2004, 104 (106); Nerlich/Römermann/ Andres, § 38 Rn. 13; Uhlenbruck/Sinz, § 38 Rn. 26. 677 BAG, Urt. v. 24. 9. 2003 – 10 AZR 640/02, ZInsO 2004, 104 (106); BAG, Urt. v. 4. 6. 1977 – 5 AZR 663/75, NJW 1978, 182 (183); Lakies, Arbeitsverhältnis in der Insolvenz, Rn. 95; Schelp, NZA 2010, 1095 (1095); Stiller, NZI 2005, 77 (77 f.). 678 Selten dürften Vereinbarungen sein, wonach der Lohn bereits zum Monatsanfang fällig ist, der Arbeitgeber also in Vorleistung tritt, siehe aber z. B. AG Bremen, Urt. 31. 3. 2006 – 7 C 272/05, juris. 679 Z. B. Bundesrahmen-TV, Baugewerbe, 4. 7. 2002, i. d. F. vom 19. 5. 2006, § 5. 680 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (39); Bandte, in: FS Beuthien, S. 401 (405); Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1665); nach einer Studie aus dem Jahre 1978 hatten Arbeitnehmer bei Verfahrenseröffnung durchschnittlich ausstehende Lohnansprüche für einen Zeitraum von fünf Wochen, siehe Plett, ZIP 1982, 905 (911); Gessner/Rhode/Strate/Ziegert,

112

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Seit der Abschaffung der Lohnprivilegien der Konkursordnung681 im Rahmen der Insolvenzrechtsreform sind bestehende Ansprüche auf Arbeitsentgelt aus der Zeit vor dem Eröffnungsantrag und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur noch einfache Insolvenzforderungen i.S.d. § 38 InsO, vgl. § 108 Abs. 3 InsO682. Die Arbeitnehmer sind grundsätzlich683 darauf verwiesen ihre Forderungen im Feststellungsverfahren nach §§ 174 ff. InsO zur Tabelle anzumelden684. Die Anmeldung sollte in Höhe des Bruttobetrags685 und innerhalb der vom Insolvenzgericht im Eröffnungsbeschluss festgelegten Anmeldefrist von höchstens drei Monaten (§ 28 Abs. 1 InsO) erfolgen686. Einzel- oder tarifvertragliche Ausschlussfristen für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gelten für Insolvenzforderungen nicht687. Wird die Forderung nicht bestritten, gilt sie gem. § 178 Abs. 1 S. 1 InsO als festgestellt und nimmt später an Abschlagsverteilungen (§ 187 Abs. 2 InsO) und ggf. der Schlussverteilung (§ 196 InsO) teil. Die Befriedigungsaussichten der einfachen Insolvenzgläubiger sind dabei in aller Regel schlecht. bb) Masseforderungen Nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO sind Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss, Masseverbindlichkeiten. Das betrifft auch Lohnansprüche für Arbeitsleistungen, die nach der Verfahrenseröffnung zu erbringen sind688. Im Fall der Masseunzulänglichkeit sind diese Forderungen der Arbeitnehmer gem. § 209 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 InsO689 an zweiter Rangstelle hinter den Verfahrenskosten privilegiert690.

Praxis der Konkursabwicklung, S. 358; neuere statistische Daten liegen, soweit ersichtlich, leider nicht vor. 681 Siehe dazu oben B.I.2.h)bb)(2). 682 MüKo-InsO/Ehricke, § 38 Rn. 72; Lakies, Arbeitsverhältnis in der Insolvenz, Rn. 107; Pieper, ZInsO 2009, 1425 (1426); Schelp, NZA 2010, 1095 (1095). 683 Schutz besteht durch das Insolvenzgeld, auf das unten eingegangen wird, siehe B.II.2.f). 684 Zum Procedere ausführlicher Lakies, Arbeitsverhältnis in der Insolvenz, Rn. 114 ff.; Pieper, ZInsO 2009, 1425 (1427) sowie Schelp, NZA 2010, 1095 (1096 f.). 685 Gottwald/Bertram, § 107 Rn. 150; Lakies, Arbeitsverhältnis in der Insolvenz, Rn. 116; Schelp, NZA 2010, 1095 (1096). 686 Allerdings besteht auch nach dem Ablauf noch die Möglichkeit einer verspäteten Anmeldung, siehe Schelp, NZA 2010, 1095 (1096). 687 Siehe unten B.II.5.e). 688 Nerlich/Römermann/Andres, § 55 Rn. 97 f.; Pieper, ZInsO 2009, 1425 (1427); Zwanziger, Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 108 Rn. 27. 689 Ansprüche freigestellter Arbeitnehmer fallen unter § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO. 690 Pieper, ZInsO 2009, 1425 (1428).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

113

cc) Eröffnungsverfahren Im Zeitraum zwischen dem Insolvenzantrag und der Eröffnung des Verfahrens ist danach zu differenzieren, ob ein starker oder schwacher vorläufiger Verwalter eingesetzt wird. Wird dem Schuldner bereits zu diesem Zeitpunkt ein allgemeines Verfügungsverbot oder ein Zustimmungserfordernis des Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 InsO) auferlegt und zudem ein vorläufiger Verwalter eingesetzt (§ 22 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 InsO), geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen – in diesem Fall „starken“ – Verwalter über, § 22 Abs. 1 S. 1 InsO. Nimmt dieser starke Verwalter die Arbeitsleistung an, gehören die daraus resultierenden Lohnansprüche gem. § 55 Abs. 2 S. 2 InsO zu den sonstigen Masseverbindlichkeiten691. Ein schwacher Insolvenzverwalter hingegen kann durch die Entgegennahme der Arbeitsleistung keine entsprechende Wirkung gegenüber der Masse bewirken, so dass es sich in diesem Fall bei den entstehenden Lohnforderungen lediglich um Insolvenzforderungen gem. § 38 InsO handelt. Etwas anderes gilt nur, wenn der schwache vorläufige Verwalter im Rahmen des Eröffnungsbeschlusses vom Insolvenzgericht ermächtigt wurde, Masseverbindlichkeiten zu begründen692. dd) Relevanz für die Lohnanfechtung Erst die grundsätzliche Einordnung rückständiger Lohnansprüche als Insolvenzforderungen ermöglicht die Lohnanfechtung. Zahlungen auf solche rückständigen Ansprüche verkürzen die Masse, verschlechtern damit die Befriedigungsaussichten der übrigen Gläubiger und führen mithin zu einer Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 129 Abs. 1 InsO. Wären Arbeitnehmer hingegen – wie unter der Konkursordnung – im Insolvenzverfahren bei ausreichender Masse ohnehin vorweg als Massegläubiger oder aufgrund eines Rangvorzugs voll zu befriedigen, stünden die Gläubiger bei einer Befriedigung der Arbeitnehmer vor Verfahrenseröffnung im Ergebnis nicht schlechter, als sie ohnehin später im Insolvenzverfahren gestellt würden. Zudem entfiele für den Arbeitgeber der Anreiz im Vorfeld der Insolvenz rückständige Lohnforderungen zu bedienen, da diese ohnehin im späteren Verfahren befriedigt würden. Während der Gesetzgeber die direkten Folgen der Umqualifizierung der Arbeitnehmerforderungen – wenn auch nicht vollständig693 – vorhersah694, erkannte er die Folgeproblematik im Anfechtungsrecht, soweit ersichtlich, nicht.

691

Lakies, Arbeitsverhältnis in der Insolvenz, Rn. 94; Pieper, ZInsO 2009, 1425 (1427); Schelp, NZA 2010, 1095 (1098). 692 BGH, Urt. v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353; Zwanziger, Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 108 Rn. 11. 693 Siehe zu den Schutzlücken unten B.II.5.c). 694 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 90; Erster Bericht der Kommission, S. 343.

114

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

d) Betriebliche Übung verzögerter Lohnzahlungen? Lohnzahlungen erfolgen in Krisenzeiten oftmals nicht pünktlich, sondern auch über längere Zeiträume mit erheblichen Verzögerungen. Vor diesem Hintergrund ist auf ein erstaunliches Urteil des LAG Sachsen695 zur Insolvenzanfechtung einzugehen. Im zugrunde liegenden Fall waren dem Arbeitnehmer seine Bezüge im letzten Jahr vor der Insolvenz stets zeitversetzt um zwei bis drei Monate nach dem jeweiligen Abrechnungsmonat gezahlt worden. Die später vom Insolvenzverwalter angefochtenen Zahlungen erfolgten ebenfalls jeweils ca. drei Monate nach dem Abrechnungszeitraum. Das LAG Sachsen, das in zweiter Instanz über den Rückforderungsanspruch des Insolvenzverwalters zu entscheiden hatte, ging davon aus, dass aufgrund einer betrieblichen Übung die Fälligkeit der Entgeltzahlungen auf den Zeitpunkt drei Monate nach dem jeweiligen Vergütungszeitraum verschoben worden sei696. Durch die regelmäßig verspäteten Zahlungen des Arbeitgebers und die wiederholte Entgegennahme durch den Arbeitnehmer sei die Fälligkeit durch ein „stillschweigendes Übereinkommen“697 entsprechend konkretisiert worden. Aufgrund dieser verschobenen Fälligkeit seien die Lohnzahlungen pünktlich erfolgt. Nach Ansicht des LAG schied die Inkongruenzanfechtung des § 131 InsO deshalb aus (!). Bei dieser Feststellung verkannte das Gericht schon, dass verspätete Leistungen ohnehin nicht inkongruent sind698. Insolvenzrechtliche Relevanz könnte der „Kunstgriff“ des LAG richtigerweise nur für die Frage haben, ob die Zahlung ein sog. Bargeschäft i.S.d. § 142 InsO darstellt und die Deckungsanfechtung deshalb ausgeschlossen ist699. An dieser Stelle soll allerdings nur die Annahme des LAG untersucht werden, dass ständig verspätete Lohnzahlungen eine entsprechend verschobene Fälligkeit durch betriebliche Übung auslösen können. Das Gericht führt dazu aus, es sei grundsätzlich „anerkannt, dass die regelmäßige, mindestens dreimalige Wiederholung einer Leistung durch den Arbeitgeber als konkludentes Angebot ausgelegt (§§ 133, 157 BGB) und dieses durch den Arbeitnehmer nach § 153 BGB [sic, gemeint ist wohl § 151 Abs. 1 BGB700] angenommen werden kann.“701 Voraussetzung sei, dass die Leistung in einem vertraglich nicht geregelten Bereich erbracht wird702. In der Folge entstehe ein entsprechender vertraglicher Anspruch des Arbeitnehmers (Vertragstheorie). Es ist grundsätzlich zutreffend, dass bei einer Interpretation der betriebli695

Urt. v. 29. 4. 2008 – 7 Sa 457/07, ZInsO 2008, 1157. LAG Sachsen, Urt. v. 29. 4. 2008 – 7 Sa 457/07, ZInsO 2008, 1157 (1158). 697 LAG Sachsen, Urt. v. 29. 4. 2008 – 7 Sa 457/07, ZInsO 2008, 1157 (1158). 698 Siehe unten B.II.4.d)cc)(1)(a). 699 Siehe zum Bargeschäftstatbestand bei Arbeitsverhältnissen unten B.II.4.c)cc). 700 Auf diese Norm bei betrieblicher Übung abstellend etwa BAG, Urt. v. 20. 5. 2008 – 9 AZR 382/07, ZIP 2008, 2035 (2036). 701 LAG Sachsen, Urt. v. 29. 4. 2008 – 7 Sa 457/07, ZInsO 2008, 1157 (1158). 702 LAG Sachsen, Urt. v. 29. 4. 2008 – 7 Sa 457/07, ZInsO 2008, 1157 (1158) mit Verweis auf BAG, Urt. v. 27. 06. 1985 – 6 AZR 392/81, AP Nr. 14 zu § 77 BetrVG 1972. 696

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

115

chen Übung im Sinne der Vertragstheorie, d. h. bei Anwendung der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre703, über praktisch jeden Gegenstand des Arbeitsverhältnisses eine Einigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer getroffen werden kann704. Bereits die Annahme des LAG, dass die Fälligkeit im konkreten Arbeitsverhältnis nicht geregelt war, weil der Arbeitsvertrag dazu schwieg, überzeugt allerdings nicht. Gerade für diesen Fall kann auf die dispositive705 Norm des § 614 S. 2 BGB zurückgegriffen werden, welche die Entgeltfälligkeit bei abschnittsweise zu leistenden Diensten auf den Zeitpunkt nach Ablauf des Abschnitts festsetzt. Jedenfalls wich die vom LAG angenommene betriebliche Übung durch die zeitliche Verschiebung der Fälligkeit nach hinten zum Nachteil706 des Arbeitnehmers von dieser Regelung ab. Die Annahme einer betrieblichen Übung zu Lasten des Arbeitnehmers stößt aber auf Bedenken, weil in solchen Fällen besondere Anforderungen an einen feststellbaren Bindungswillen des Arbeitnehmers zu stellen sind707. Die Entbehrlichkeit der Erklärung der Annahme gem. § 151 S. 1 BGB setzt voraus, dass eine solche Erklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende auf sie verzichtet hat. Beides ist bei verzögerten Lohnzahlungen aufgrund von Liquiditätsengpässen des Arbeitgebers nicht anzunehmen. Wegener führt aus: „Keiner der Arbeitnehmer ist mit der verspäteten Lohnzahlung einverstanden. Er duldet sie, weil er keine Alternative hat, wenn er seinen Arbeitsplatz behalten will.“708

Tatsächlich kann aus diesem „Stillhalten“ der Arbeitnehmer nicht ihre Zustimmung zu einer für sie nachteiligen Stundung oder dauerhaft verzögerten Fälligkeit abgeleitet werden709. Die Annahme einer betrieblichen Übung, durch die sich die Entgeltfälligkeit um mehrere Monate nach hinten verschiebt, ist daher abzulehnen. Die Entscheidung des LAG Sachsen, das nicht nur anfechtungsrechtliche, sondern auch arbeitsrechtliche Aspekte und die Rechtsgeschäftslehre verkennt, war offensichtlich vom Wunsch getragen, den Arbeitnehmer um jeden Preis vor der Rückzahlung zu bewahren. Das drückt sich auch darin aus, dass das LAG Sachsen trotz seiner eigenwilligen Auslegung die Revision nicht zuließ710.

703

Siehe dazu ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 220. BAG, Urt. v. 20. 5. 2008 – 9 AZR 382/07, ZIP 2008, 2035 (2036). 705 Zur Abdingbarkeit vgl. ErfK/Preis, § 614 BGB Rn. 2. 706 Auch wenn sich diese betriebliche Übung in der Interpretation des LAG im Ergebnis zu Gunsten des Arbeitnehmers auswirkt, weil dadurch die – vom LAG falsch interpretierte – Inkongruenz entfallen soll. 707 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 225a. 708 Wegener, NZI 2009, 225 (225). 709 Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (160); so auch Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1675). 710 LAG Sachsen, Urt. v. 29. 4. 2008 – 7 Sa 457/07, ZInsO 2008, 1157 (1158). 704

116

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

e) Arbeitnehmerrechte bei rückständigem Lohn Bleiben die Lohnzahlungen durch den Arbeitgeber aus, stellt sich für Arbeitnehmer die Frage, wie sie reagieren sollen. Möglichkeiten, die eigenen Lohnansprüche für den Insolvenzfall des Arbeitgebers abzusichern, haben Arbeitnehmer faktisch nicht711. Neben schlichtem Ausharren stehen als Reaktionsmöglichkeiten demnach nur die Ausübung von Zurückbehaltungsrechten, die Eigenkündigung sowie die Zwangsvollstreckung zur Auswahl. Im Folgenden gilt es diese drei Optionen auf ihre Voraussetzungen und ihren praktischen Nutzen für den Arbeitnehmer hin zu untersuchen. aa) Zurückbehaltungsrecht der Arbeitnehmer Als erstes Mittel bei Lohnrückständen kommt für den Arbeitnehmer in Betracht, seine eigene Arbeitsleistung zurückzuhalten, d. h. bis zur Zahlung des ausstehenden fälligen Entgelts die Arbeit ruhen zu lassen. Das Zurückbehaltungsrecht ergibt sich nach der Rechtsprechung des BAG aus § 273 BGB712. Der Arbeitnehmer muss deutlich machen, dass er die Arbeit gerade aufgrund seines Zurückbehaltungsrechts und wegen eines bestimmten fälligen Anspruchs niederlegt713. Das ist insbesondere bei kollektiver Ausübung von Zurückbehaltungsrechten wichtig, um das Vorgehen von einem Streik abzugrenzen714. Nach der Rechtsprechung darf der Arbeitnehmer seine Leistung allerdings wegen § 242 BGB nicht verweigern, „wenn der Lohnrückstand verhältnismäßig geringfügig ist, nur eine kurzfristige Verzögerung der Lohnzahlung zu erwarten ist, wenn dem Arbeitgeber ein unverhältnismäßig hoher Schaden entstehen kann oder wenn der Lohnanspruch auf andere Weise gesichert ist.“715 Ein Lohnrückstand von eineinhalb Monatsverdiensten gilt grundsätzlich nicht mehr als geringfügig und berechtigt zur Zurückhaltung der Arbeitsleistung716. Die Möglichkeit, dass die Rückstände in einem späteren Insolvenzverfahren durch Insolvenzgeld gesichert sein können, schränkt das Zurückbehaltungsrecht nicht ein, weil im Zeitpunkt der Leistungsverweigerung für den Arbeitnehmer nicht ersichtlich ist, ob es zu einem Insolvenzverfahren kommen wird717. Macht der Arbeitnehmer 711

Heinze, KTS 1980, 1 (4). BAG, Urt. v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 917/06, NZI 2008, 450 (453); BAG, Urt. v. 25. 10. 1984 – 2 AZR 417/83, ZIP 1985, 302 (303); so auch ErfK/Preis, § 611 Rn. 458; teilweise wird auch auf § 320 BGB abgestellt, so etwa MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 611 Rn. 9; der praktische Unterschied liegt in der Möglichkeit der Sicherheitsleistung nach § 273 Abs. 3 BGB. 713 BAG, Urt. v. 25. 10. 1984 – 2 AZR 417/83, ZIP 1985, 302 (303); APS/Dörner/Vossen, § 626 BGB Rn. 200d, 208. 714 Siehe dazu Lieb/Jacobs, Rn. 702 f.; die Unterscheidung ist wichtig, weil für die Zeit des Streiks keine Pflicht zur Entgeltzahlung besteht. 715 BAG, Urt. v. 25. 10. 1984 – 2 AZR 417/83, ZIP 1985, 302 (Leitsatz 2.a). 716 ArbG Hannover, Urt. v. 11. 12. 1996 – 9 Ca 138/96, juris; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 611 Rn. 9. 717 MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 611 Rn. 9. 712

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

117

berechtigterweise sein Zurückbehaltungsrecht geltend, hat er für die Zeit der Ausübung dennoch einen Lohnanspruch gegen den Arbeitgeber (§§ 615, 298 BGB)718. Außerdem ist eine wegen der unterbliebenen Arbeitsleistung ausgesprochene Kündigung in diesem Fall unwirksam719. Theoretisch ist das Zurückbehaltungsrecht mithin ein potentes und für den Arbeitnehmer mit geringem Risiko behaftetes Mittel, um seine Lohnzahlungen gegenüber dem Arbeitgeber zu forcieren720. Tatsächlich ist für die Arbeitnehmer in der Praxis dieses Vorgehen problematisch721. Bei Unternehmen, die sich in einer wirtschaftlichen Krise befinden, entsteht innerhalb der Belegschaft und bei kleineren Unternehmen auch gegenüber der Führungsetage oftmals die Einschätzung, dass man gemeinsam mit viel Arbeit die Situation retten könne. Verweigert der einzelne Arbeitnehmer in diesem Umfeld seine Arbeitsleistung, kann er unter starken „sozialen“ Druck innerhalb der Arbeitsstätte geraten722. Darüber hinaus kann die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts durch signifikante Anteile der Arbeitnehmerschaft in der fragilen Situation des Unternehmens den „Todesstoß“ bedeuten, der eine Sanierung verhindert723, etwa weil die letzten Kunden wegen ausbleibender Lieferungen abspringen724. In solchen Fallgestaltungen sind Arbeitnehmer auch faktisch daran gehindert von ihrem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch zu machen, da sie andernfalls entgegen ihrem eigenen Interesse am Erhalt des Arbeitsplatzes handeln. bb) Kündigungsrecht der Arbeitnehmer Weiterhin besteht für den Arbeitnehmer die Option, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens allein gibt dem Arbeitnehmer kein Kündigungsrecht725. Allerdings besteht bei ausbleibenden Lohnzahlungen die Möglichkeit einer fristlosen Eigenkündigung des Arbeitsverhältnisses726. Voraussetzung ist, dass der Entgeltrückstand für eine erhebliche Zeit besteht oder einen 718 BAG, Urt. v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 917/06, NZI 2008, 450 (453); BAG, Urt. v. 21. 5. 1981 – 2 AZR 95/79, ZIP 1981, 1368 (1371); Lieb/Jacobs, Rn. 216. 719 BAG, Urt. v. 9. 5. 1996 – 2 AZR 387/95, ZIP 1996, 1841 (Leitsatz); APS/Dörner/Vossen, § 626 BGB Rn. 200; Lieb/Jacobs, Rn. 216. 720 Dafür etwa Stiller, ZInsO 2013, 55 (57). 721 Klinck, DB 2014, 2455 (2456); Pieper, ZInsO 2009, 1425 (1437). 722 Zum sozialen Druck für den Fall der Antragsstellung siehe Windel, AP ArbGG 1979 § 2 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14, sub. III.2. 723 Ähnlich Abele, FA 2009, 133 (135). 724 In diesem Fall könnte die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts zudem wegen der nach § 242 BGB gebotenen Rücksicht auf die Arbeitnehmerinteressen unzulässig sein. 725 So zur KO Heilmann, NJW 1975, 1758 (1759). 726 BAG, Urt. v. 26. 7. 2007 – 8 AZR 796/06, NZA 2007, 1419; BAG, Urt. v. 17. 1. 2002 – 2 AZR 494/00, EzA § 628 BGB Nr. 20; BAG, Urt. v. 25. 07. 1963 – 2 AZR 510/62, NJW 1963, 2340; APS/Dörner/Vossen, § 626 BGB Rn. 400.

118

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

erheblichen Betrag umfasst727. Es spielt keine Rolle, ob die Rückstände darauf beruhen, dass der Arbeitgeber zahlungsunwillig oder zahlungsunfähig ist728. Nach der Rechtsprechung des BAG ist grundsätzlich eine vorherige Abmahnung durch den Arbeitnehmer erforderlich729. Dieses Erfordernis entfällt allerdings, wenn ohnehin nicht mit einer Rückkehr des Vertragspartners zu vertragskonformem Verhalten zu rechnen ist730, etwa wenn der Arbeitgeber ankündigt die Rückstände auch in Zukunft nicht begleichen zu können. Im Rahmen der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, wenn der Arbeitgeber substantiiert darlegt, nur für einen zeitlich eng begrenzten Zeitraum nicht zur pünktlichen Lohnzahlung in der Lage zu sein731. Nach § 159 Abs. 1 S. 1 SGB III (früher § 141 Abs. 1 S. 1 SGB III) kann eine Sperrzeit für das Arbeitslosengeld verhängt werden, wenn der Arbeitslose „versicherungswidrig“ handelte ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Nach § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III liegt ein solches versicherungswidriges Verhalten vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat. Maßgeblich ist Frage, ob der kündigende Arbeitnehmer einen wichtigen Grund i.S.d. § 159 Abs. 1 S. 1 SGB III hatte. In einem wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB liegt immer auch ein wichtiger Grund i.S.d. § 159 Abs. 1 SGB III732. Das gilt auch für eine fristlose Eigenkündigung wegen rückständiger Lohnzahlungen733. Den Arbeitnehmern droht folglich keine Sperrfrist, wenn sie berechtigterweise das Arbeitsverhältnis wegen rückständiger Entgeltzahlungen fristlos kündigen734. Dennoch ist den Arbeitnehmern mit dem Hinweis auf ihr Kündigungsrecht nicht geholfen, wenn sie ihre Arbeitsplätze behalten möchten735. Interessant kann diese Option sein, wenn ein Arbeitnehmer bereits einen neuen Arbeitsvertrag bei einem anderen Arbeitgeber in Aussicht hat und dort möglichst rasch einsteigen will. Weiterhin kann die Eigenkündigung dazu dienen, das Auflaufen von mehr als dreimonatigen Lohnrückständen zu verhindern und somit eine vollständige Absicherung durch das Insolvenzgeld zu erreichen736. 727 BAG, Urt. v. 17. 1. 2002 – 2 AZR 494/00, EzA § 628 BGB Nr. 20; MüKo-BGB/Henssler, § 626 Rn. 270. 728 BAG, Urt. v. 26. 7. 2007 – 8 AZR 796/06, NZA 2007, 1419 (1420); APS/Dörner/Vossen, § 626 BGB Rn. 400. 729 BAG, Urt. v. 17. 1. 2002 – 2 AZR 494/00, EzA § 628 BGB Nr. 20. 730 BAG, Urt. v. 26. 7. 2007 – 8 AZR 796/06, NZA 2007, 1419 (1420 f.). 731 MüKo-BGB/Henssler, § 626 Rn. 270. 732 ErfK/Rolfs, § 159 SGB III Rn. 28; APS/Steinmeyer, § 144 SGB III Rn. 69. 733 LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 24. 2. 2005 – L 1 AL 125/03, NZS 2005, 610 (611). 734 Grunsky, LMK 2009, 281504; daher unzutreffend die gegenteilige Ansicht in den Vorbemerkungen der kleinen Anfrage der Fraktion der LINKEN im Bundestag (BTDruckS. 16/11871). 735 LAG Thüringen, Urt. v. 12. 5. 2009 – 7 Sa 413/07, juris; Klinck, DB 2014, 2455 (2456). 736 Dazu sogleich, siehe B.II.2.f)cc).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

119

cc) Zwangsvollstreckung Schließlich kommt für den Arbeitnehmer in Betracht, seine ausstehenden Lohnforderungen im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen, sofern er einen entsprechenden Titel gegen den Arbeitgeber hat. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers scheidet die Vollstreckung allerdings gem. § 89 Abs. 1 InsO aus. Außerdem sind nach § 88 InsO Sicherungen, die im letzten Monat vor dem Insolvenzantrag oder danach im Wege der Zwangsvollstreckung erlangt wurden, unwirksam. Als Sicherungen gelten dabei auch Pfandrechte, die auf Grund von Pfändungen erlangt wurden737. Hat der Arbeitnehmer also Pfändungen in diesem Zeitraum beim Arbeitgeber veranlasst, sind die daraus resultierenden Pfandrechte unwirksam. Fand in der Sperrfrist des § 88 InsO hingegen bereits die Befriedigung des Arbeitnehmers, z. B. durch Ablieferung von gepfändetem Bargeld (§ 815 Abs. 1 ZPO), statt, bleibt diese wirksam, weil § 88 InsO sich ausdrücklich nur auf Sicherungen, nicht aber auf Befriedigungen bezieht738. Darüber hinaus ist die Rechtsprechung des BGH zu berücksichtigen, wonach im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Deckungen im Dreimonatszeitraum stets inkongruent sind und damit der vereinfachten Anfechtung des § 131 InsO unterliegen739. Betreibt der Arbeitnehmer die Zwangsvollstreckung, besteht erhebliche Unsicherheit, ob er die daraus gewonnen Vorteile später wirklich erhält oder behalten kann. Im Übrigen gilt auch bei diesem Vorgehen: Der Arbeitnehmer begibt sich in eine schwierige Situation, wenn er mit der scharfen Waffe des Zwangsvollstreckungsrechts gegen seinen aktuellen Arbeitgeber vorgeht. Hat er ein Interesse an einem längeren Verbleib im Betrieb, wird er kaum zu diesem Mittel greifen. dd) Stellen eines Insolvenzantrags Teilweise wurde auch darauf hingewiesen, dass Arbeitnehmer bei Lohnrückständen einen Insolvenzantrag gegen ihren Arbeitgeber stellen sollten740. Grundsätzlich trifft es zwar zu, dass Arbeitnehmer als Gläubiger zur Antragstellung berechtigt sind (§ 14 InsO). Faktisch würden sie sich aber damit gegen den Arbeitgeber und sogar die übrige Belegschaft wenden, weshalb die Antragstellung faktisch regelmäßig keine ernstzunehmende Option ist741.

737

MüKo-InsO/Breuer, § 88 Rn. 16; Uhlenbruck/Mock, § 88 Rn. 15. Uhlenbruck/Mock, § 88 Rn. 3. 739 Siehe dazu unten B.II.4.d)cc)(1). 740 Ries, ZInsO 2007, 1037 (1038 f.). 741 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (375); Abele, FA 2009, 133 (135) („absurd“); Windel, AP ArbGG 1979 § 2 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14, sub. III.2. spricht von der Gefahr von „Lynchjustiz“. 738

120

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

f) Insolvenzgeld Die vorstehende Darstellung des Arbeitsverhältnisses in der Insolvenz des Arbeitgebers und bei auflaufenden Lohnrückständen hat gezeigt, dass Arbeitnehmer sich in einer schwierigen Situation befinden. Durch die Abschaffung der Lohnprivilegien im Zuge der Insolvenzrechtsreform ist die Absicherung der Arbeitnehmer durch das Insolvenzgeld für sie noch wichtiger geworden als zuvor unter der Konkursordnung. Das Insolvenzgeld steht in engem Zusammenhang mit der Lohnanfechtung und möglichen Privilegien für einzelne Gläubigergruppen. Als Instrument außerhalb des eigentlichen Verfahrens mildert es für Arbeitnehmer die Auswirkungen der Insolvenz des Arbeitgebers und kann somit Privilegien zumindest teilweise ersetzen. aa) Entstehung des Konkursausfallgeldes Auch vor der Einführung des Konkursausfallgeldes waren die Arbeitnehmer nicht schutzlos. Sämtliche Vorläufer der Konkursordnung enthielten Vorrechte für Arbeitnehmerforderungen742. Trotz der Rangprivilegien war die Situation der Arbeitnehmer in der Insolvenz ihres Arbeitgebers unter der Konkursordnung zuletzt so schlecht, dass der Gesetzgeber mit dem Gesetz über Konkursausfallgeld v. 17. Juli 1974743 reagierte. Neben der bereits oben744 dargestellten Umqualifizierung der Arbeitnehmerforderungen in der Verteilungsordnung war die Einführung des Konkursausfallgeldes der zentrale Aspekt dieser Reform. Es handelte sich um die erste Regelung eines solchen Sonderschutzes außerhalb des Insolvenzrechts in Deutschland745. Nach §§ 141a ff. AFG a.F. konnte der Arbeitnehmer seine gesamten Nettobezüge für die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses746 vor der Konkurseröffnung als sog. Konkursausfallgeld von der Bundesanstalt für Arbeit beanspruchen747. Dieser Schutz bestand gem. § 141b Abs. 3 Nr. 1, 2 AFG a.F. auch im Falle einer Abweisung eines Insolvenzantrags mangels Masse. Da diese Fälle zum 742 Hahn, Materialien, S. 248, mit Hinweis auf das gemeine und französische Recht, alle deutschen Partikulargesetze sowie das amerikanische, englische, österreichische und dänische Recht; siehe dazu auch oben die historische Darstellung, B.I.2. 743 Drittes Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes, BGBl. I S. 1481, Inkrafttreten am 20. Juli 1974; geändert durch EGStRG v. 21. 12. 1974, BGBl. I, 3656. 744 Siehe B.I.2.g). 745 Siehe hierzu: Heilmann, NJW 1975, 1758 (1758 f.); kritisch Uhlenbruck, KTS 1974, 66. 746 Es musste sich nicht um die letzten drei Monate vor Eröffnung handeln. Endete das Arbeitsverhältnis vor der Eröffnung, waren dennoch die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses abgedeckt, wobei als zeitlicher Anknüpfungspunkt dann die Beendigung des Arbeitsverhältnisses galt, vgl. Heilmann, NJW 1975, 1758 (1759); das entspricht auch der heutigen Rechtslage, s. u. 747 Bei der cessio legis der ursprünglichen Arbeitnehmeransprüche auf das Arbeitsamt verwandelten (verschlechterten) sich diese von Masseschulden zweiten Ranges zu Konkursforderungen mit Rangvorzug an erster Stelle (§ 59 Abs. 2 KO 1974).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

121

Zeitpunkt der Einführung des Konkursgeldes überwogen und die Konkursverfahren geregelten Privilegien folglich ihren Schutz nicht entfalten konnten, hatte das Konkursgeld in dieser Situation eine besondere Bedeutung748. Die Finanzierung des Konkursausfallgeldes erfolgte – wie auch heute noch749 – in einem durch die Arbeitgeber zu tragenden Umlageverfahren750. Zum damaligen Zeitpunkt wurde der jährliche Aufwand auf etwa 40 Mio. DM geschätzt751. Mit der Insolvenzrechtsreform kodifizierte der Gesetzgeber die Regelungen in §§ 183 ff. SGB III. Terminologisch war nun zur Anpassung an die Insolvenzordnung von Insolvenzgeld statt von Konkursausfallgeld die Rede, inhaltlich wurden die Normen des AFG jedoch praktisch unverändert übernommen752. Da mit der Einführung der Insolvenzordnung alle geltenden Privilegien abgeschafft wurden, rückte das Insolvenzgeld als Schutzinstrument für die Arbeitnehmer noch deutlicher in den Vordergrund753. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011754 wurde das Dritte Buch des SGB umstrukturiert und die Regelungen zum Insolvenzgeld ohne inhaltliche Änderung in die §§ 165 bis 172 SGB III überführt. bb) Europarechtliche Vorgaben Auch das Unionsrecht enthält eine Regelung zu Zahlungsgarantien für nicht erfüllte Arbeitnehmeransprüche. Die betreffenden Richtlinien 80/987/EWG755, 2002/ 74/EG756 und 2008/94/EG757 folgten allerdings erst nach der Einführung solcher Regelungen auf nationaler Ebene und orientierten sich eher an diesen bestehenden Systemen als diese zu beeinflussen758. Dennoch enthalten die unionsrechtlichen Regelungen einige wichtige Mindestanforderungen. So darf der Schutzmechanismus nicht von einer Mindestdauer des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses abhängig sein (Art. 2 Abs. 3 RL 2008/94/EG) und muss mindestens einen dreimonatigen Zeitraum abdecken (Art. 4 Abs. 2 RL 2008/94/EG). 748

Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, S. 121. Siehe unten B.II.2.f)cc). 750 Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 148. 751 Uhlenbruck, KTS 1974, 66 (66). 752 Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 178. 753 Grepl, Insolvenzgeld, S. 9. 754 BGBl. I, S. 2854, Inkrafttreten am 1. 4. 2012. 755 Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 283/23 vom 28. 10. 1980. 756 Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 270/10 vom 8. 10. 2002. 757 Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 283/36 vom 28. 10. 2008; die beiden vorgenannten Richtlinien wurden hierdurch aufgehoben, siehe Artikel 16 und Anhang I Teil A der Richtlinie. 758 Lakies, Arbeitsverhältnis in der Insolvenz, Rn. 135; Zwanziger, Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 108 Rn. 70. 749

122

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

cc) Funktionen und Voraussetzungen Die grundlegende Funktion des Insolvenzgeldes, die Arbeitnehmer vor Lohnausfällen aufgrund der nur quotalen Befriedigung als Insolvenzgläubiger zu schützen, leuchtet ohne weiteres ein759. Von großer Bedeutung ist dabei, dass das Insolvenzgeld schneller gezahlt wird, als es der Fall wäre, wenn die Arbeitnehmer die Auskehrungen im Rahmen des Insolvenzverfahrens abwarten müssten760. Problematischer ist die Frage, ob das Insolvenzgeld auch dazu dienen soll, die Weiterführung und ggf. die Sanierung des insolventen Unternehmens zu ermöglichen761. Das Insolvenzgeld erlaubt dem vorläufigen Insolvenzverwalter, das Unternehmen für einen Zeitraum von maximal drei Monaten fortzuführen, ohne dass für die Masse Lohnkosten anfallen762. Durch die Absicherung entsteht im Eröffnungsverfahren ein „Motivationsanreiz gegenüber den Arbeitnehmern, ihre Arbeitskraft weiterhin zur Verfügung zu stellen“763. Gegen die Nutzung des Insolvenzgeldes zur Aufrechterhaltung des Betriebs bestanden vor dem Hintergrund der früheren RL 80/987/EWG europarechtliche Bedenken, die aber durch die Verabschiedung der RL 2002/74/EG ausgeräumt wurden764. Ein echtes Sanierungsinstrument ist das Insolvenzgeld trotzdem nicht765; die unterstützende Wirkung für den Arbeitgeber und den Verwalter ist vielmehr ein Nebeneffekt, der vom Gesetzgeber und der Bundesagentur für Arbeit gebilligt wird766. Gemäß § 165 Abs. 1 S. 1 SGB III haben Arbeitnehmer einen Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt sind und im Zeitpunkt des Insolvenzereignisses für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Als Insolvenzereignis gelten die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers, die Abweisung des Antrags auf Eröffnung eines solchen Verfahrens mangels Masse oder die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt. Diese drei Ereignisse stehen in keinem Rangverhältnis zueinander, maßgeblich für die Fristrechnung ist der Eintritt 759

Siehe ausführlich zu den Funktionen: Grepl, Insolvenzgeld, passim. Germann, Sozialschutz, S. 73; Sarra, in: International Insolvency Law, S. 312; allerdings für die Praxis immernoch nicht schnell genug, weshalb die Vorfinanzierung eingesetzt wird, siehe dazu sogleich B.II.2.f)ee). 761 Siehe Grepl, Insolvenzgeld, S. 147 ff. 762 Buchalik, NZI 2000, 294 (298); Grepl, Insolvenzgeld, S. 147; kritisch Uhlenbruck, KTS 1980, 81 (85 f.). 763 Frank/Heinrich, NZI 2011, 569 (569). 764 Grepl, Insolvenzgeld, S. 211 ff. 765 BAG, Urt. v. 8. 5. 2014 – 6 AZR 722/12, ZInsO 2014, 1758 (1760); diese Ansicht verschließt allerdings die Augen vor der Bedeutung des Insolvengeldes in der Verwalterpraxis. 766 Frank/Heinrich, NZI 2011, 569 (572); Grepl, Insolvenzgeld, S. 211; Nerlich/Römermann/Hamacher, Vor § 113 Rn. 64. 760

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

123

des frühesten Insolvenzereignisses767. Der Insolvenzgeldzeitraum umfasst die letzten drei dem Insolvenzereignis vorausgehenden Monate des Arbeitsverhältnisses. Das gilt auch, wenn das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Insolvenzereignisses bereits beendet war. In diesem Fall ist zur Ermittlung des Insolvenzgeldzeitraums vom letzten Tag des Arbeitsverhältnisses drei Monate zurückzurechnen768. Aufgrund dieser Bestimmung des Leistungszeitraums kann es für den Arbeitnehmer vorteilhaft sein, das Arbeitsverhältnis wegen bestehender Lohnrückstände zu kündigen769. Über die drei Monate hinausgehende Rückstände wird er durch das Insolvenzgeld später nicht ersetzt bekommen und fällt mit diesen in der Regel weitgehend aus. Kündigt er hingegen bei dreimonatigem Lohnrückstand das Arbeitsverhältnis, kann er diese Rückstände durch Insolvenzgeld voll abdecken und für die darüber hinausgehende Zeit ggf. Arbeitslosengeld beziehen770. Für die Berechnung des Dreimonatszeitraums gilt grundsätzlich das Erarbeitungsprinzip771, auf die Fälligkeit kommt es nicht an. In § 166 SGB III sind die Gründe genannt, die einen Anspruchsausschluss bedingen. Hervorzuheben ist § 166 Abs. 1 Nr. 2 SGB III, wonach für solche Ansprüche keine Absicherung durch Insolvenzgeld besteht, die aufgrund einer angefochtenen oder anfechtbaren Rechtshandlung erworben wurden. Bereits aus dem Wortlaut lässt sich entnehmen, dass hiervon anfechtbare Zahlungen nicht erfasst sind, sondern nur Rechtshandlungen, die in anfechtbarer Weise Ansprüche begründen, etwa Vereinbarungen rückwirkender Lohnerhöhungen oder die Zusage von Sonderzahlungen772. Der erforderliche Antrag auf Insolvenzgeld muss innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis bei der Bundesagentur für Arbeit gestellt werden (§§ 323 Abs. 1, 324 Abs. 3 S. 1 SGB III). Die Höhe des gewährten Insolvenzgeldes richtet sich gem. § 167 Abs. 1 SGB III nach dem Nettoarbeitsentgelt, wobei aber für die Berechnung maximal von einem Bruttoentgelt in Höhe der Bemessungsgrenze auszugehen ist, das sich nach der Regelung der Rentenversicherung richtet (§ 341 Abs. 4 SGB III). Weiterhin wird der Gesamtsozialversicherungsbeitrag gem. § 175 Abs. 1 SGB III für den Insolvenzgeldzeitraum von der Agentur für Arbeit gezahlt, so dass den Arbeitnehmern auch hier keine Nachteile durch die Insolvenz ihres Arbeitgebers entstehen773

767

BSG, Urt. v. 17. 12. 1975 – 7 RAr 17/75, BSGE 41, 121 (Leitsatz); Frank/Heinrich, NZI 2011, 569 (570); Lakies, NZA 2000, 565 (565); zur KO: Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, S. 137 ff. m.w.N. 768 Germann, Sozialschutz, S. 75 f.; Lakies, NZA 2000, 565 (567); Schelp, NZA 2010, 1095 (1097). 769 Siehe oben B.II.2.e)bb). 770 Berscheid, jurisPR-ArbR 27/2005 Anm. 1. 771 Grepl, Insolvenzgeld, S. 14, 56; Schelp, NZA 2010, 1095 (1097); zur entsprechenden Rechtslage unter der KO: Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, S. 83 m.w.N. 772 Cranshaw, ZInsO 2009, 257 (262); Niesel/Brand/Kühl, § 166 Rn. 6; Niesert, NZI 2014, 252 (254). 773 Grepl, Insolvenzgeld, S. 17.

124

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Das Insolvenzgeld wird durch eine monatliche Umlage der Arbeitgeber finanziert (§§ 358 – 361 SGB III). Die Höhe der Umlage berechnet sich nach dem gezahlten Arbeitsentgelt und einem Umlagesatz. Der Umlagesatz wurde bis zum Jahr 2012 jährlich durch Rechtsverordnung festgesetzten und betrug für das Jahr 2012 0,04 %774 (2009: 0,10 %775, 2010: 0,41 %776, 2011: 0,0 %777). Seit 2013 ist der Umlagesatz gesetzlich in § 360 SGB III geregelt und liegt dauerhaft bei 0,15 %778. Die Ausgaben der Bundesagentur für Arbeit für das Insolvenzgeld beliefen sich im Jahr 2010 auf 740.000.000 E (2009: 1.617 Mio.; 2008: 654 Mio.)779. Da Unternehmen, die der Beitragspflicht unterliegen, diese Mehrkosten bei den eigenen Kosten im Rahmen der Preisbildung berücksichtigen und damit auf den Abnehmer abwälzen, setzt sich die Sozialisierung der Kosten fort780. Es darf auch nicht als selbstverständlich angesehen werden, dass die Kosten von allen Arbeitgebern zu bezahlen sind und nicht z. B. aus allgemeinen Steuermitteln. In der Begründung zur Einführung des Konkursgeldes wurde die Belastung der Arbeitgeber damit begründet, dass das Konkursgeld die Sicherung der Arbeitnehmer ersetze, die aufgrund deren Vorleistungspflicht fehle781. dd) Cessio legis Nach § 169 S. 1 SGB III tritt mit dem Antrag auf Insolvenzgeld eine Legalzession ein und die Arbeitsentgeltansprüche gehen als Bruttolohnanspruch782 auf die Bundesagentur für Arbeit über. Es genügt, wenn nur die entfernte Möglichkeit besteht, dass die Leistung von Insolvenzgeld in Betracht kommt783. Die Bundesagentur wird Inhaberin der Forderungen und kann grundsätzlich alle hieraus folgenden Rechte 774 Verordnung zur Festsetzung des Umlagesatzes für das Insolvenzgeld für das Kalenderjahr 2012 v. 2. 12. 2011, BGBl. I, S. 2452. 775 Verordnung zur Festsetzung des Umlagesatzes für das Insolvenzgeld für das Kalenderjahr 2009 v. 2. 1. 2009, BGBl. I 2009, S. 6. 776 Verordnung zur Festsetzung des Umlagesatzes für das Insolvenzgeld für das Kalenderjahr 2010 v. 18. 12. 2009, BGBl. I 2009, S. 3938. 777 Verordnung zur Festsetzung des Umlagesatzes für das Insolvenzgeld für das Kalenderjahr 2011 v. 17. 12. 2010, BGBl. I 2010, S. 2126. 778 Zweites Gesetz zur Änderung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch v. 5. 12. 2012, BGBl. 2012 I S. 2447. 779 Statistisches Jahrbuch 2011, S. 218; in den jüngeren Jahrbüchern wird der Betrag nicht mehr gesondert ausgewiesen. 780 Jauernig, in: FS Baur, S. 467. 781 Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, S. 128 mit Verweis auf Begr. RegE Gesetz über Konkursausfallgeld, BT-DruckS. 7/1750, S. 11. 782 BSG, Urt. v. 20. 6. 2001 – B 11 AL 97/00 R, juris; BAG, Urt. v. 11. 2. 1998 – 5 AZR 159/ 97, ZIP 1998, 868 (869); Schelp, NZA 2010, 1095 (1097); Zwanziger, Arbeitsrecht der Insolvenzordnung§ 108 Rn. 141; a.A. Lakies, Arbeitsverhältnis in der Insolvenz, Rn. 164; Gagel/ Peters-Lange, § 169 SGB III Rn. 8 ff. 783 BAG, Urt. v. 10. 2. 1982 – 5 AZR 936/79, ZIP 1982, 1105.

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

125

geltend machen784. Dabei ist die Bundesagentur für Arbeit stets nur einfache Insolvenzgläubigerin. Grundsätzlich handelt es sich bei den rückständigen Lohnansprüchen, die übergehen, ohnehin um einfache Insolvenzforderungen. Zudem legt § 55 Abs. 3 S. 1 InsO fest, dass Masseverbindlichkeiten, die aus der Tätigkeit eines starken vorläufigen Verwalters entstehen (§ 55 Abs. 2 InsO), nach dem Übergang auf die Bundesagentur für Arbeit von dieser ebenfalls nur als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden können. Das soll die Auszehrung der Masse verhindern und damit die Sanierungschancen erhöhen785. Weiterhin legt § 169 S. 3 SGB III fest, dass die gegen den Arbeitnehmer begründete Insolvenzanfechtung nach dem Anspruchsübergang gegen die Bundesagentur stattfindet. Hierdurch trägt die Bundesagentur für den Insolvenzgeldzeitraum wirtschaftlich das Anfechtungsrisiko786. Das gilt nicht, wenn die angefochtenen Ansprüche anfechtbar erworben wurden (§ 166 Abs. 1 Nr. 2 SGB III), da in diesem Fall der Arbeitnehmer gem. § 166 Abs. 1 Nr. 2 SGB III das erhaltende Insolvenzgeld zu erstatten hat787. Auf den Zusammenhang erfolgreicher Lohnanfechtungen mit dem Insolvenzgeldanspruch ist später noch näher einzugehen788. ee) Vorfinanzierung In der Praxis ist für die Fortführung des Unternehmens die Vorfinanzierung von großer Bedeutung, da ein Turnaround eine motivierte Belegschaft voraussetzt, die auch bei schwierigen Fragen – z. B. dem Abschluss einer Betriebsvereinbarung mit Namensliste (§ 125 InsO) – kooperiert789. Häufig erhalten die Arbeitnehmer in der Krise schon keinen Lohn mehr, obwohl noch kein Insolvenzereignis eingetreten ist, das die Zahlung von Insolvenzgeld auslöst. Außerdem erfordert die Gewährung des Insolvenzgeldes durch die Bundesagentur einige Zeit790. Hierdurch können für die Arbeitnehmer, die zur Lebensführung auf den Lohn angewiesen sind, empfindliche Liquiditätslücken entstehen. Um diese Situation zu verhindern wird in der Praxis, üblicherweise durch den vorläufigen Insolvenzverwalter791, eine Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes organisiert. Es handelt sich dabei um eine alte Praxis, die vor der 784

Grepl, Insolvenzgeld, S. 22; Niesel/Brand/Kühl, § 169 Rn. 6 ff.; Gagel/Peters-Lange, § 169 SGB III Rn. 16. 785 Uhlenbruck/Sinz, § 55 Rn. 103. 786 Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (165); Laws, ZInsO 2009, 1465 (1474). 787 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (374); Laws, ZInsO 2009, 1465 (1474). 788 Siehe unten B.II.5.c). 789 Buchalik, NZI 2000, 294 (298); Friedhoff, ZIP 2002, 497 (499); Grepl, Insolvenzgeld, S. 161. 790 Wisskirchen/Bissels, BB 2009, 2142 (2147). 791 Lakies, Arbeitsverhältnis in der Insolvenz, Rn. 166; Lakies, NZA 2000, 565 (569); Wisskirchen/Bissels, BB 2009, 2142 (2147).

126

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Einführung des Konkursausfallgeldes bereits in Bezug auf solche Forderungen angewandt wurde, die den Lohnprivilegien unterlagen792. Die Vorfinanzierung erfolgt heute üblicherweise im Wege des sog. Forderungskaufverfahrens793: Die Arbeitsentgeltansprüche werden an einen Dritten, in der Regel eine Bank, im Wege eines Forderungskaufs abgetreten (§ 398 BGB), der die Arbeitsentgelte dann vorfinanziert, d. h. den Arbeitnehmern den Betrag in gleicher Höhe auszahlt794. Die Kosten der anfallenden Zinsen sind nicht vom Insolvenzgeld abgedeckt, sondern müssen vom Unternehmen getragen werden795. Die Abtretung von Entgelt- oder Insolvenzgeldansprüchen wird von §§ 170 Abs. 1, 171 S. 1 SGB III ausdrücklich zugelassen. Im Fall der Abtretung von Arbeitsentgelt steht der darauf basierende, später entstehende Insolvenzgeldanspruch gem. § 170 Abs. 1 SGB III dem Zessionar zu. Erforderlich ist allerdings gem. § 170 Abs. 4 S. 1 SGB III die Zustimmung der Bundesagentur zur Übertragung der Ansprüche, die nur erteilt werden darf, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch die Vorfinanzierung der Arbeitsentgelte ein erheblicher Teil der Arbeitsstellen erhalten bleibt (§ 170 Abs. 4 S. 2). Diese Einschränkung beruht darauf, dass das Insolvenzgeld nicht allein zur Anreicherung der Masse vor einer Zerschlagung genutzt werden soll, sondern dem Erhalt von Arbeitsplätzen und dem Schutz der Arbeitnehmer insgesamt dient. Verhindert werden soll ein Missbrauch der Vorfinanzierung zur Insolvenzverschleppung796. Ein solcher Missbrauch liegt nicht vor, wenn der vorläufige Verwalter das Unternehmen fortführt, um sich einen Überblick über die Aktivmasse und die Sanierungschancen zu verschaffen797. g) Betriebsverfassungsrechtliche Besonderheiten Zum weiteren Verständnis der Situation der Arbeitnehmer in der Krise oder Insolvenz des Arbeitgebers ist auch auf die Besonderheiten des Betriebsverfassungsrechts im Rahmen der Insolvenz einzugehen. Nach den Grundregeln der §§ 111, 112 Abs. 1 BetrVG lösen Betriebsänderungen in Betrieben, die regemäßig mehr als zwanzig wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigen und in denen ein Betriebsrat besteht, die Pflicht zum Versuch eines Interessenausgleichs und zur Vereinbarung eines Sozialplans aus. Zwar ist die Insolvenz für sich keine Betriebsänderung798, allerdings wird sie regelmäßig von Maßnahmen begleitet, die eine 792

Uhlenbruck, KTS 1980, 81 (81). Außerdem möglich ist grundsätzlich das sog. Kreditierungsverfahren, das heute aber an Bedeutung verloren hat, siehe dazu Grepl, Insolvenzgeld, S. 150 f.; Gottwald/Obermüller/ Kuder, § 97 Rn. 42. 794 Grepl, Insolvenzgeld, S. 20; Lakies, NZA 2000, 565 (569); Uhlenbruck, KTS 1980, 81 (84). 795 Gottwald/Obermüller/Kuder, § 97 Rn. 45. 796 Siehe dazu Uhlenbruck, KTS 1980, 81 (85 f.); Gottwald/Uhlenbruck/Vuia, § 14 Rn. 98. 797 Gottwald/Uhlenbruck/Vuia, § 14 Rn. 98. 798 Gottwald/Bertram, § 108 Rn. 28. 793

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

127

Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG darstellen, etwa durch (Teil-)Stilllegungen, Einschränkungen oder Aufspaltungen des Betriebs799. aa) Interessenausgleich Führt der Insolvenzverwalter eine Betriebsänderung durch, ohne eine Einigung über einen Interessenausgleich versucht zu haben, ist er gem. § 113 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BetrVG zur Zahlung eines Nachteilsausgleichs in Gestalt einer Abfindung verpflichtet800. Für die Einordnung dieser Forderungen in der Insolvenz gelten die allgemeinen Regeln801. In der Insolvenz vereinfacht und beschleunigt § 121 InsO das Verfahren, indem er grundsätzlich den direkten Weg zur Einigungsstelle ohne einen Vermittlungsversuch durch den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit eröffnet. Außerdem kann der Verwalter gem. § 122 InsO die Zustimmung des Arbeitsgerichts zu Betriebsänderung einholen und dadurch den Anspruch auf Nachteilausgleich nach § 113 BetrVG vermeiden. In der Insolvenz eröffnet § 125 InsO zudem die Möglichkeit eines sog. Interessenausgleichs mit Namensliste. Werden die auf der Liste genannten Arbeitnehmer gekündigt, wird das Vorliegen von dringenden betrieblichen Erfordernissen vermutet und die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft (§ 125 Abs. 2 InsO). bb) Sozialplan Die Betriebsänderung löst – auch in der Insolvenz – die Pflicht zur Aufstellung eines Sozialplans aus. Der Sozialplan ist eine Einigung über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen (§ 112 Abs. 1 BetrVG). Anders als beim Interessenausgleich kann der Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über den Sozialplan ersetzen (§ 112 Abs. 4 S. 2 BetrVG), wodurch diese erzwingbar ist. Grundsätzlich gelten für das Verfahren die allgemeinen Regeln802. Besonderheiten ergeben sich in der Insolvenz durch §§ 123 und 124 InsO. Unter der Konkursordnung war lange problematisch, wie Sozialplanforderungen in der Insolvenz zu behandeln sind803. Heute qualifiziert § 123 Abs. 2 S. 1 InsO die Ansprüche aus einem Sozialplan, der nach der Verfahrenseröffnung aufgestellt wurde, als Masseverbindlichkeiten. Diese Einordnung verstößt gegen die eigentliche Systematik der Qualifizierung von Forderungen in der Insolvenz, weil sie 799

Lakies, Arbeitsverhältnis in der Insolvenz, Rn. 207. Lakies, Arbeitsverhältnis in der Insolvenz, Rn. 231. 801 Insolvenzforderung bei Beschluss und Umsetzung der Betriebsänderung vor Eröffnung, danach Masseforderung nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO; im Eröffnungsverfahren kommt es auf die Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters an, siehe Lakies, Arbeitsverhältnis in der Insolvenz, Rn. 232 f. 802 Lakies, Arbeitsverhältnis in der Insolvenz, Rn. 244. 803 Siehe dazu Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 153 ff. 800

128

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

sich auf Rechtspositionen bezieht, die aus Arbeit resultieren, die vor der Verfahrenseröffnung erbracht wurde804. Sozialplanforderungen werden daher oft als „unechte“ Masseverbindlichkeiten betitelt805. Unabhängig davon, wie man diese Forderungen bezeichnet, handelt es sich jedenfalls um eine Durchbrechung der Gläubigergleichbehandlung im Sinne der quotalen Befriedigung aufgrund besonderer sozialer Schutzwürdigkeit806. Insoweit weicht § 123 Abs. 2 S. 1 InsO von der grundlegenden Intention des Gesetzgebers der Insolvenzordnung ab, der Privilegien weitestgehend abschaffen wollte807. Allerdings beschränkt § 123 InsO den Umfang der zu gewährenden Leistungen in zweierlei Hinsicht: Zum einen darf ein Gesamtbetrag von zweieinhalb Monatsverdiensten pro entlassenem Arbeitnehmer nicht überschritten werden (§ 123 Abs. 1 InsO); zum anderen darf für die Berichtigung der Sozialplanforderungen nicht mehr als ein Drittel der Masse verwendet werden, die ohne einen Sozialplan für die Verteilung an die Insolvenzgläubiger zur Verfügung stünde (§ 123 Abs. 2 S. 2 InsO). Bei einem Verstoß gegen die erstgenannte absolute Grenze ist der Sozialplan unwirksam808. Wird hingegen die relative Grenze überschritten, werden die einzelnen Forderungen anteilig gekürzt (§ 123 Abs. 2 S. 3 InsO). Andere Regeln gelten wiederum für Sozialpläne aus der Zeit vor der Verfahrenseröffnung. Forderungen hieraus sind einfache Insolvenzforderungen (§ 38 InsO), außer der Abschluss erfolgte durch einen vorläufigen Verwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis809. Nach § 124 Abs. 1 InsO kann außerdem ein Sozialplan, der vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, jedoch nicht früher als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag aufgestellt worden ist, sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Betriebsrat widerrufen werden. h) Fazit Die vorstehende Darstellung zeigt, dass die Arbeitnehmer in der Insolvenz ihres Arbeitgebers eine schwache Position innehaben810. Zum einen droht der Verlust des 804

Bauer, Ungleichbehandlung, S. 44; Weiland, Par condicio creditorum, S. 95 f.; sehr kritisch schon zur entsprechenden BAG-Rechtsprechung unter der KO Häsemeyer, KTS 1982, 507 (570). 805 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 44; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 14.01, 14.21; Weiland, Par condicio creditorum, S. 96. 806 Weiland, Par condicio creditorum, S. 96 f.; Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 102 f. 807 Zu dieser Intention, siehe oben B.I.2.h)bb)(2). 808 Lakies, Arbeitsverhältnis in der Insolvenz, Rn. 246; Zwanziger, Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 123 Rn. 37. 809 BAG, Urt. v. 31. 7. 2002 – 10 AZR 275/01, ZInsO 2002, 998 (Leitsatz). 810 So auch BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (375); Fawzy/Köchling, ZInsO 2014, 1073 (1078); Abele, FA 2012, 37 (37); ders., FA 2010, 7 (8); Biebl, in: Jahrbuch des Arbeitsrechts 48 (Dokumentation für das Jahr 2010), S. 63 (65 f.); Fawzy/Köchling, ZInsO 2014, 1073 (1078); Kocher, ZVI 2009, 433 (433 f.).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

129

Arbeitsplatzes aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung, die ggf. mit verkürzten Fristen oder bei einem Interessenausgleich mit Namensliste sogar unter vereinfachten materiellen Voraussetzungen möglich ist. Zum anderen genießen sie als Gläubiger rückständiger Lohnforderungen innerhalb des Insolvenzverfahrens keine Privilegien mehr. Für den Arbeitnehmer ist es schwierig, die Eigenkündigung zu erklären oder Zurückbehaltungsrecht geltend zu machen. Solche Verhaltensweisen können sogar seinem Interesse am Erhalt des Arbeitsplatzes zuwider laufen. Zentrales Schutzinstrument vor finanziellen Ausfällen ist das Insolvenzgeld, das allerdings höchstens für drei Monate Schutz bietet. Übersteigen die Rückstände diesen Zeitraum, droht den Arbeitnehmern der weitgehende Ausfall ihrer Forderungen. Darüber hinaus können sich aus einem Sozialplan Ansprüche der Arbeitnehmer ergeben, die aber bereits durch die absolute Limitierung auf höchstens zweieinhalb Monatsgehälter nur begrenzte Entlastung bieten. Diese schwache Position der Arbeitnehmer führt dazu, dass sie sich oftmals auch bei langzeitigen Lohnrückständen vom Arbeitgeber vertrösten lassen und auf eine irgendwie geartete Sanierung hoffen, um ihren Arbeitsplatz nicht zu verlieren. 3. Perspektive des Insolvenzverwalters Bei der Anfechtung steht dem Anfechtungsgegner als „Gegenspieler“ der Insolvenzverwalter gegenüber. Um zu verstehen, warum es zur Anfechtung von Lohnzahlungen kommt, muss man sich auch die Situation des Insolvenzverwalters vergegenwärtigen. Zunächst ist die Frage zu klären, welche Handlungsspielraum dem Verwalter in rechtlicher Hinsicht zusteht. Gemäß § 60 Abs. 1. S. 1 InsO ist der Insolvenzverwalter allen Beteiligten zum Schadenersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft die Pflichten verletzt, die ihm nach der Insolvenzordnung obliegen. Zu diesen Pflichten gehört es, anfechtbare Rechtshandlungen zu ermitteln und die daraus folgenden Rückgewähransprüche zu verfolgen811. Verletzt er schuldhaft diese Pflicht, können die Gläubiger ihren Quotenschaden, der durch die unterbliebene Geltendmachung entstanden ist, vom Verwalter gem. § 60 Abs. 1 S. 1 InsO ersetzt verlangen812. Allerdings wird vom Insolvenzverwalter nicht verlangt, jedem möglichen Rückgewähranspruch nachzugehen813. Zunächst besteht keine Pflicht zur gerichtlichen Verfolgung eines Anspruchs, wenn das Vorgehen von vornherein keine Aussicht auf Erfolgt hat; der Verwalter muss die Erfolgsaussichten mit der gebotenen Sorgfalt prüfen, wobei ihm aber ein Beurteilungsspielraum zusteht814. Weiterhin muss der 811 Bork, ZIP 2005, 1120 (1120); MüKo-InsO/Brandes/Schoppmeyer, § 60 Rn. 12; Uhlenbruck/Sinz, § 60 Rn. 25. 812 Bork, ZIP 2005, 1120 (1121); BGH, Urt. v. 22. 04. 2004 – IX ZR 128/03, BGHZ 159, 25 (26); Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (158). 813 Ausführlich zur Verfolgungspflicht des Verwalters: Bork, ZIP 2005, 1120 ff. 814 Bork, ZIP 2005, 1120 (1121).

130

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Verwalter berücksichtigen, ob überhaupt eine Chance besteht, den Anspruch beim Anfechtungsgegner zu realisieren, d. h. ob dieser überhaupt über ausreichendes Vermögen verfügt815. Auch wenn der Anspruch so gering ist, dass eine aufwändige Prozessführung demgegenüber wirtschaftlich nicht mehr vertretbar ist, besteht keine Verfolgungspflicht des Verwalters816. Die Verfolgungspflicht gilt auch in Bezug auf die Anfechtung von Lohnzahlungen817. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt ein weiter Handlungsspielraum für den Insolvenzverwalter. Aus der – später zu erörternden – restriktiven Rechtsprechung des BAG, an der sich nunmehr alle Lohnanfechtungen messen lassen müssen, kann der Verwalter ggf. bereits mangelnde Erfolgsaussichten ableiten. Bestehen zwar umfangreiche und begründete Ansprüche, kann der Verwalter von einer Verfolgung dennoch absehen, wenn die finanzielle Situation des betroffenen Arbeitnehmers keine Aussicht auf eine erfolgreiche Realisierung des Anspruchs, auch nicht im Wege der Zwangsvollstreckung, verspricht818. Abgesehen von der Haftungsfrage kann für den Insolvenzverwalter ein Anreiz bestehen, Lohnzahlungen anzufechten, wenn die Anfechtung zu einer signifikanten Mehrung der Masse oder überhaupt erst zu einer kostendeckenden Masse führt819. Nach § 1 Abs. 1 S. 1 der Insolvenzrechtlichen Vergütungsordnung (InsVV)820 bestimmt sich die Vergütung des Insolvenzverwalters nach dem Wert der Insolvenzmasse, auf die sich die Schlussrechnung bezieht. Je größer die Masse ist, desto höher ist schon der Regelsatz der Vergütung (vgl. § 1, 2 InsVV). Daneben kann die Anfechtung von Rechtshandlungen für sich einen Zuschlag bei der Vergütung begründen821. Allerdings wird der durch Lohnanfechtungen generierbare Betrag in der Regel auch im Vergleich zur Gesamtmasse nicht von solchem Gewicht sein, dass daraus für den Verwalter eine deutliche Mehrung seiner Vergütung resultiert. 4. Einzelne Anfechtungstatbestände Nachdem nun die Rahmenbedingungen der Lohnanfechtung beleuchtet wurden, kann das Augenmerk auf die insolvenzrechtliche Kernfrage gelenkt werden, wie sich die Lohnanfechtung unter den Anfechtungstatbeständen de lege lata gestaltet. Dabei 815

Bork, ZIP 2005, 1120 (1122). Bork, ZIP 2005, 1120 (1120); KPB/Lüke, § 60 Rn. 23a. 817 LAG Thüringen, Urt. v. 12. 5. 2009 – 7 Sa 413/07, ZInsO 2010, 688; Bork, ZIP 2007, 2337 (2337 f.); Gottwald/Bertram, § 105 Rn. 31; Laws, ZInsO 2009, 1465 (1465); Pieper, ZInsO 2009, 1425 (1425); Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1665). 818 Bork, ZIP 2007, 2337 (2337). 819 Biebl, in: Jahrbuch des Arbeitsrechts 48 (Dokumentation für das Jahr 2010), S. 63 (64); Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (619). 820 Vom 19. 8. 1998, BGBl. I 1998, 2205, zuletzt geändert durch Gesetz v. 7. 12. 2011, BGBl. I 2011, S. 2582. 821 Gottwald/Keller, § 128 Rn. 17d. 816

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

131

sind die allgemeinen Voraussetzungen ebenso wie die einzelnen Tatbestände darzustellen und darauf zu untersuchen, inwieweit sie Lohnanfechtungen ermöglichen. a) Allgemeine Voraussetzungen Während die einzelnen Anfechtungstatbestände unterschiedliche Voraussetzungen haben, enthält § 129 InsO den allgemeinen Grundsatz, dass eine Rechtshandlung vorliegen muss, die eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger bewirkt. Zudem enthalten alle Anfechtungstatbestände bestimmte Zeiträume im Vorfeld der Antragstellung, in denen Rechtsgeschäfte anfechtbar sind. Auch wenn diese von unterschiedlicher Länge sind, werden ihre gemeinsamen Aspekte im Folgenden dargestellt. Ebenso werden der allgemeine Aspekt der Bargeschäftsausnahme (§ 142 InsO) und die Definition von nahestehenden Personen (§ 138 InsO) untersucht. aa) Rechtshandlung Nach § 129 Abs. 1 InsO ist Gegenstand der Anfechtung grundsätzlich822 eine Rechtshandlung. Im Gesetz findet sich allerdings keine Definition. Lediglich durch § 129 Abs. 2 InsO wird klargestellt, dass eine Unterlassung einer Rechtshandlung gleichsteht. Diese Offenheit des Begriffs ermöglicht es dem Anfechtungsrecht, auf die vielfältigen Wege, auf denen Haftungsverschiebungen stattfinden können, zu reagieren823. Nach der Definition des BGH ist unter einer Rechtshandlung jede Willensbetätigung zu verstehen, die eine rechtliche Wirkung auslöst, gleichgültig ob diese selbst gewollt ist824. Der Begriff ist weit auszulegen825 und erfasst auch rechtsgeschäftsähnliche Handlungen, Realakte und Prozesshandlungen826. Nach § 140 Abs. 1 InsO gilt eine Rechtshandlung als zu dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten. Das ist vornehmlich für die Frage von Bedeutung, ob eine Rechtshandlung noch in den Vornahmezeitraum eines Anfechtungstatbestandes fällt. Wegen des Trennungs- und Abstraktionsprinzips sind Kausal- und Erfüllungsgeschäft grundsätzlich isoliert zu betrachten und müssen auch gesondert angefochten werden827.

822

§ 132 Abs. 1 InsO stellt hingegen auf ein Rechtsgeschäft ab, § 134 Abs. 1 InsO auf eine Leistung. 823 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.28 f.; MüKo-InsO/Kayser, § 129 Rn. 7. 824 BGH, Urt. v. 12. 02. 2004 – IX ZR 98/03, ZInsO 2004, 342 (343); siehe auch Braun/de Bra, § 129 Rn. 10; Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 Rn. 86; MüKo-InsO/Kayser, § 129 Rn. 7. 825 BGH, Urt. v. 9. 7. 2009 – IX ZR 86/08, ZInsO 2009, 1585 (1586) (Bierbrauen als Rechtshandlung); Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 157; MüKo-InsO/Kayser, § 129 Rn. 7. 826 Braun/de Bra, § 129 Rn. 11; Uhlenbruck/Hirte, § 129 Rn. 99 ff. 827 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 28; Eichberger, Konkursanfechtung, S. 28; MüKoInsO/Kayser, § 129 Rn. 57.

132

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

(1) Verpflichtungsgeschäft Prinzipiell ist die Rückforderung von Lohn aufgrund der Anfechtbarkeit des Kausalgeschäfts möglich. Als anfechtbare Rechtshandlung kommt etwa das Eingehen von Arbeitsverträgen, Abfindungsverträgen, Änderungsverträgen oder anderen ergänzenden Vereinbarungen, wie z. B. Ruhegeldzusagen, in Betracht828. Allerdings scheidet eine Anfechtung nach §§ 130, 131 InsO aus, weil bei der Eingehung von Verbindlichkeiten keine Sicherung oder Befriedigung i.S.d. dieser Normen vorliegt829. Es verbleibt die Möglichkeit einer Anfechtung wegen unmittelbarer Gläubigerbenachteiligung (§ 132 InsO) oder vorsätzlicher Benachteiligung (§ 133 InsO)830, auf die später einzugehen ist831. (2) Kollektivvereinbarungen Als anfechtbare Kausalgeschäfte kommen grundsätzlich auch kollektivrechtliche Vereinbarungen in Betracht832. Weder das Sonderkündigungsrecht für Betriebsvereinbarungen (§ 120 InsO), noch die speziellen Widerrufsvorschriften für Sozialpläne (§ 124 InsO) schließen die Anfechtung aus, weil es sich wegen abweichender Rechtsfolgen nicht um leges speciales handelt833. Nach herrschender Meinung gilt das sogar, wenn der Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt hat834. In diesem Fall ist allerdings umstritten, ob § 76 Abs. 5 S. 4 BetrVG die Anfechtungsmöglichkeit einschränkt835. 828 Nerlich/Römermann/Hamacher, § 113 Rn. 27; Gottwald/Bertram, § 105 Rn. 31a; MüKo-InsO/Kayser, § 129 Rn. 13; Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (150); Lohkemper, KTS 1996, 1 (30 f.); Schaub, ZIP 1993, 969 (969). 829 Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (150). 830 Nerlich/Römermann/Hamacher, § 113 Rn. 26; Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (150 ff.). 831 Siehe unten B.II.4.e) und B.II.4.f)bb). 832 Uhlenbruck/Zobel, § 120 Rn. 22; Nerlich/Römermann/Hamacher, § 120 Rn. 51; Jaeger/ Henckel, InsO, § 129 Rn. 49; Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (154 ff.); die Anfechtung von Tarifverträgen ist praktisch irrelevant und wird hier nicht dargestellt. 833 Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (154); allerdings erfolgt der Widerruf nach § 124 InsO unter einfacherern Voraussetzungen, weshalb es in seinem Anwendungsbereich auf die Anfechtung nicht ankommt, siehe Gottwald/Bertram, § 104 Rn. 75 und Jaeger/Henckel, InsO, § 129 Rn. 50. 834 Jaeger/Henckel, InsO, § 129 Rn. 50; MüKo-InsO/Kayser, § 129 Rn. 13 m.w.N.; Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (154 f.); a.A. Gottwald/Bertram, § 104 Rn. 91; da auch Rechtshandlungen Dritter erfasst sind, kommt es auf die genaue Mitwirkung des Schuldners nicht an, vgl. zum Problem unter der KO: Willemsen, ZIP 1982, 649 (651). 835 Dagegen: Jaeger/Henckel, InsO, § 129 Rn. 50; Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (154); dafür: Gottwald/ Bertram, § 104 Rn. 91; Willemsen, ZIP 1982, 649 (651).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

133

Bei der Anfechtung von Kollektivvereinbarungen ist wie bei normalen Verpflichtungsgeschäften zu beachten, dass die Anfechtung nach §§ 130, 131 InsO ausscheidet, wenn eine Deckung fehlt836. § 134 InsO ermöglicht keine Anfechtung von Sozialplänen, weil Sozialplanleistungen nicht unentgeltlich, sondern Fürsorgeleistungen sind837. In Betracht kommen daher nur §§ 132 und 133 InsO. Die Anfechtung ist nicht gegen den Betriebsrat zu richten, sondern gegen den Arbeitnehmer als Empfänger des durch die angefochtene Rechtshandlung aus dem Schuldnervermögen ausgeschiedenen Gegenstandes838. Die Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz im Rahmen des § 133 InsO muss hingegen der Betriebsrat gehabt haben, weil den Arbeitnehmern unter Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 166 Abs. 1 BGB das Wissen ihrer Repräsentanten zugerechnet wird839. (3) Verfügungsgeschäft Für die Lohnanfechtung am wichtigsten ist die Anfechtung des Verfügungsgeschäfts. Lohnzahlungen sind Rechtshandlungen im Sinne des § 129 InsO840. Die einzelnen Verfügungen können angefochten werden, auch wenn der zugrunde liegende Vertrag nicht anfechtbar ist. Bei einer Barzahlung liegt der Charakter einer Rechtshandlung auf der Hand. Aber auch Überweisungen sind Rechtshandlungen841. In diesem Fall wird für den Zeitpunkt i.S.d. § 140 Abs. 1 InsO darauf abgestellt, wann der Anspruch des Zahlungsempfängers auf die Gutschrift entstanden ist, d. h. wann die Empfängerbank den Betrag empfangen hat842. Auf die Frage der Urheberschaft dieser mittelbaren Zuwendungen ist sogleich einzugehen843. Auch eine Tilgungsbestimmung kann selbstständig anfechtbar sein, wenn sie für die Gläubiger nachteilig ist844.

836 Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (154). 837 Jaeger/Henckel, InsO, § 129 Rn. 49. 838 Jaeger/Henckel, InsO, § 129 Rn. 53; Willemsen, ZIP 1982, 649 (649). 839 MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 18; Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (155 f.); Willemsen, ZIP 1982, 649 (649). 840 Pieper, ZInsO 2009, 1425 (1432); Zwanziger, BB 2007, 42 (44). 841 MüKo-InsO/Kayser, § 129 Rn. 12. 842 BGH, Urt. v.20. 6. 2002 – IX ZR 177/99, ZIP 2002, 1408 (1409); Jaeger/Henckel, InsO, § 140 Rn. 28; Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 140 Rn. 64; MüKo-InsO/Kirchhof, § 140 Rn. 11; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 140 Rn. 9 unpräzise auf den „Zahlungseingang“ abstellend Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1668). 843 Siehe unten B.II.4.a)bb). 844 Siehe dazu unten B.II.4.c)cc)(2)(b)(bb).

134

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

(4) Zwangsvollstreckung Ebenfalls denkbar ist, dass der Arbeitnehmer seinen ausstehenden Lohnanspruch im Wege der Zwangsvollstreckung beim Arbeitgeber realisiert. Auch Vollstreckungsakte sind Rechtshandlungen im Sinne des § 129 InsO und können angefochten werden, was § 141 InsO lediglich klarstellt845. Wurde etwa auf Betreiben des Arbeitnehmers eine bewegliche Sache gepfändet, ist diese Pfändung eine anfechtbare Rechtshandlung. Es kommt nicht darauf an, ob die zugrundliegende Forderung anfechtbar erworben wurde846. Eine Anfechtung nach §§ 133, 134 InsO kann allerdings daran scheitern, dass der Schuldner überhaupt nicht an der Vollstreckungshandlung mitgewirkt hat847. Zahlt der Schuldner hingegen an den Gerichtsvollzieher, um eine drohende Zwangsvollstreckungsmaßnahme abzuwenden, liegt eine anfechtbare Rechtshandlung vor848. Eine besondere Rolle spielt die Anfechtung nach § 131 InsO, weil im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Deckungen nach der Rechtsprechung des BGH als inkongruent anzusehen sind849. bb) Urheber der Rechtshandlung: Insbesondere zum vorläufigen Verwalter Grundsätzlich ist nicht erforderlich, dass der Schuldner die Rechtshandlung vorgenommen hat, es genügen Rechtshandlungen eines beliebigen Dritten850. Abweichende Regelungen bestehen für die Anfechtung unmittelbar nachteiliger Rechtshandlungen (§ 132 Abs. 1 InsO: „Rechtsgeschäft des Schuldners“), vorsätzlicher Benachteiligungen (§ 133 Abs. 1 InsO: „die der Schuldner […] vorgenommen hat“) sowie unentgeltlicher Leistungen (§ 134 Abs. 1 InsO: „unentgeltliche Leistung des Schuldners“). Für die übrigen Tatbestände gilt damit, dass auch Zwangsvollstreckungsakte unabhängig von einem Mitwirken des Schuldners anfechtbare Rechtshandlungen sein können, sofern hierdurch einem Insolvenzgläubiger Befriedigung verschafft wurde851. Unproblematisch sind Zahlungen per Überweisung, weil sie als sog. mittelbare Zuwendungen als Rechtshandlungen des Schuldners gelten852. Schwieriger ist hingegen die Frage zu beantworten, inwieweit Zahlungen anfechtbar sind, die ein 845

Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 Rn. 115, § 141 Rn. 5 f.; Gottwald/Huber, § 46 Rn. 28. Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 141 Rn. 6. 847 BGH, Urt. v. 10. 2. 2005 – IX ZR 211/02, BGHZ 162, 143 (147); Gottwald/Huber, § 46 Rn. 28; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 133 Rn. 9. 848 BGH, Urt. v. 27. 5. 2003 – IX ZR 169/02, BGHZ 155, 75 (Leitsatz); Zwanziger, BB 2007, 42 (44). 849 Dazu unten B.II.4.d)bb)(3). 850 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.30; MüKo-InsO/Kayser, § 129 Rn. 35. 851 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.41; im Übrigen dazu bereits soeben B.II.4.a)aa)(4). 852 BGH, Urt. v. 16. 11. 2007 – IX ZR 194/04, BGHZ 174, 228 (237); MüKo-InsO/Kayser, § 129 Rn. 49 f.; HK-InsO/Kreft, § 129 Rn. 28; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 129 Rn. 83; zu den Rechtsfolgen siehe unten B.II.5.a). 846

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

135

vorläufiger Verwalter vorgenommen hat. Dabei ist nach seiner Stellung zu differenzieren853. Ist die Verfügungsbefugnis bereits auf den vorläufigen Verwalter übergegangen (§§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 22 Abs. 1 InsO), scheidet eine spätere Anfechtung seiner Rechtshandlungen aus, weil seine Position bereits soweit der eines endgültigen Insolvenzverwalters angenähert ist, dass sein Handeln im Rechtsverkehr berechtigtes Vertrauen auf den Bestand der Verfügung schafft (vgl. § 55 Abs. 2 InsO)854. Hat hingegen der nur mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestattete vorläufige Verwalter der Befriedigung von Altverbindlichkeiten durch den Schuldner zugestimmt, können die entsprechenden Rechtshandlungen im eröffneten Verfahren angefochten werden855. Es ist sogar unschädlich, wenn der vorläufige Verwalter und der anfechtende Insolvenzverwalter personenidentisch sind856. Auch das BAG hat in einem solchen Fall die Anfechtung einer Lohnzahlung an einen Arbeitnehmer zugelassen, der seinen Verbleib im Unternehmen von der Begleichung seiner Altforderungen abhängig gemacht hatte857. Grenzen können sich allerdings aus § 242 BGB ergeben, wenn ein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand beim Leistungsempfänger geschaffen wurde858. Das kann bei Betriebsfortführungen wichtig sein, da diese regelmäßig von der Kooperation besonders wichtiger Vertragspartner abhängt, welche die Begleichung von Altforderungen zur Bedingung ihrer fortgesetzten Leistung machen859. Bei der Annahme von Vertrauensschutz ist dennoch Zurückhaltung geboten; es widerliefe der Gläubigergleichbehandlung, wenn einzelne Gläubiger aufgrund ihres faktischen Drohpotentials anfechtungsfeste Befriedigung ihrer Altforderungen erzwingen könnten860. Der Schuldner im vorläufigen Verfahren wird hierdurch nicht vom Geschäftsverkehr ausgeschlossen, weil das Bargeschäftsprivileg des § 142 InsO ihm den anfechtungsfesten Leistungsaustausch mit seinen Vertragspartnern ermöglicht861.

853

MüKo-InsO/Kayser, § 129 Rn. 43; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 129 Rn. 44. Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 Rn. 140; Graf-Schlicker/Huber, § 129 Rn. 14; MüKoInsO/Kayser, § 129 Rn. 44; a.A. FK-InsO/Dauernheim, § 129 Rn. 33. 855 Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2005, 324 (324 f.); Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 Rn. 142; MüKo-InsO/Kayser, § 129 Rn. 45; Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (163); Nerlich/Römermann/Nerlich, § 129 Rn. 45; Zwanziger, BB 2007, 42 (45). 856 BGH, Urt. v. 11. 6. 1992 – IX ZR 255/91, BGHZ 118, 374 (380); Graf-Schlicker/Huber, § 129 Rn. 15; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 129 Rn. 45. 857 BAG, Urt. v. 27. 10. 2004 – 10 AZR 123/04, BAGE 112, 266 . 858 BGH, Urt. v. 13. 3. 2003 – IX ZR 64/02, BGHZ 154, 190 (199); BGH, Urt. v. 11. 6. 1992 – IX ZR 255/91, BGHZ 118, 374 (381 f.); Zwanziger, BB 2007, 42 (45). 859 Siehe etwa BGH, Urt. v. 13. 3. 2003 – IX ZR 56/02, ZIP 2003, 855 f.; BGH, Urt. v. 13. 3. 2003 – IX ZR 64/02, BGHZ 154, 190 ff.; Adam, DZWIR 2007, 357 (357). 860 Adam, DZWIR 2007, 357 (360 f.); Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (164). 861 Zum Bargeschäftsprivileg siehe unten B.II.4.c). 854

136

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

cc) Gläubigerbenachteiligung Grundvoraussetzung jeder Insolvenzanfechtung ist gem. § 129 Abs. 1 InsO eine objektive Benachteiligung der Insolvenzgläubiger durch die fragliche Rechtshandlung. Das folgt bereits aus der ratio der Anfechtung, die Benachteiligungen der Gläubiger gerade verhindern oder ausgleichen soll862. Eine solche Benachteiligung der Gläubiger liegt vor, „wenn die Rechtshandlung entweder die Schuldenmasse vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt und dadurch den Gläubigerzugriff auf das Schuldnervermögen vereitelt, erschwert oder verzögert hat; es müssen mit anderen Worten die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die angefochtene Rechtshandlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gewesen sein […].“863 Nach dieser Definition des BGH ist grundsätzlich nur auf die Position der Insolvenzgläubiger abzustellen und die Anfechtung muss ausscheiden, wenn sie nur dem Vorteil von Massegläubigern dienen würde864. Vor diesem Hintergrund ließe sich annehmen, dass im Fall der Masseunzulänglichkeit (§ 208 InsO), in dem keinerlei Masse zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger verbleibt, die Anfechtung von vornherein ausscheiden muss. Allerdings kann die Anfechtung gerade dazu dienen, die Masseunzulänglichkeit zu verhindern865. Dementsprechend lässt die herrschende Meinung die Anfechtung auch bei der Anzeige von Masseunzulänglichkeit zu866. Allerdings kann das nur gelten, so lange die Möglichkeit besteht, dass sich hierdurch die Befriedigungsaussichten auch der Insolvenzgläubiger verbessern867. Unterschieden wird zwischen unmittelbaren und mittelbaren Gläubigerbenachteiligungen. Während die Grundvoraussetzung der Anfechtung eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung ist, setzen einzelne Tatbestände (§§ 132 Abs. 1, 133 Abs. 2 S. 1 InsO) nach ihrem Wortlaut eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung voraus. Bei diesen Tatbeständen ist die unmittelbare Gläubigerbenachteiligung der eigentliche Anfechtungsgrund868. Eine solche unmittelbare Benachteiligung liegt 862

KPB/Ehricke, § 129 Rn. 64; Eichberger, Konkursanfechtung, S. 33. BGH, Urt. v. 16. 11. 2007 – IX ZR 194/04, BGHZ 174, 228 (233 f.). 864 KPB/Ehricke, § 129 Rn. 64; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.18, 21.25; Jaeger/ Henckel, InsO, § 129 Rn. 142; Gottwald/Huber, § 46 Rn. 66; Graf-Schlicker/Huber, § 129 Rn. 20; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 129 Rn. 37. 865 Jaeger/Henckel, InsO, § 129 Rn. 142; Graf-Schlicker/Huber, § 129 Rn. 20. 866 BGH, Urt. v. 19. 7. 2001 – IX ZR 36/99, ZIP 2001, 1641 (1643 f.); Jaeger/Henckel, InsO, § 129 Rn. 142; Graf-Schlicker/Huber, § 129 Rn. 20; MüKo-InsO/Kayser, § 129 Rn. 105a; HKInsO/Kreft, § 129 Rn. 37; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 129 Rn. 89; Pape, ZIP 2001, 901 ff.; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 129 Rn. 39; OLG Hamburg, Urt. v. 22. 3. 2002 – 1 U 55/01, ZIP 2002, 1360 (1361). 867 Jaeger/Henckel, InsO, § 129 Rn. 142; Gottwald/Huber, § 46 Rn. 66; Graf-Schlicker/ Huber, § 129 Rn. 20; die Gegemeinung geht davon aus, dass bei Masseunzulänglichlichkeit die Insolvenzgläubiger durch ihren vollständigen Ausfall erst recht benachteiligt seien, so etwa BGH, Urt. v. 19. 7. 2001 – IX ZR 36/99, ZIP 2001, 1641 (1643 f.); MüKo-InsO/Kayser, § 129 Rn. 105a; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 129 Rn. 89; Pape, ZIP 2001, 901 (904). 868 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.26. 863

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

137

vor, wenn schon mit der Vornahme der Rechtshandlung ohne Hinzutreten weiterer Umstände ein Nachteil für die Insolvenzgläubiger entsteht; wird dem Schuldnervermögen durch die Rechtshandlung eine gleichwertige Gegenleistung zugeführt, scheidet eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung aus869. Ein klassisches Beispiel für eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung ist die Veräußerung einer Sache durch den Schuldner, bei der er keine oder keine angemessene Gegenleistung erhält870. Eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung ist demgegenüber auch anzunehmen, wenn erst nach Abschluss der maßgeblichen Rechtshandlung durch das Hinzutreten weiterer Umstände ein Nachteil für die Insolvenzgläubiger entsteht871. Das ist etwa der Fall, wenn der Schuldner einen Gegenstand im Rahmen eines angemessenen Austauschgeschäfts veräußert, der Erlös aber später nicht mehr für die Befriedigung der Gläubiger zur Verfügung steht872. Eine mittelbare Benachteiligung ist damit stets gegeben, wenn der Insolvenzschuldner einen Gläubiger befriedigt, der sonst Insolvenzgläubiger wäre und sich die Befriedigungsaussichten der anderen Gläubiger entsprechend verschlechtern873. Bei der Zahlung rückständigen Lohns an den Arbeitnehmer in der Krise liegt eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung durch Verkürzung der Aktivmasse unproblematisch vor874. Das Erlöschen des entsprechenden Anspruchs ändert daran nichts. Wäre die Zahlung unterblieben, hätte der Arbeitnehmer nur eine einfache Insolvenzforderung und erhielte statt des vollen Betrages nur – wie die anderen Insolvenzgläubiger – quotale Befriedigung. Die Masse ist also um den Differenzbetrag zwischen voller und quotaler Befriedigung vermindert. Dass im Fall eines Bargeschäfts „zeitgleich“ mit der Zahlung der korrespondierende Wert der Arbeitsleistung in das schuldnerische Vermögen gelangt und den Fortbestand des Betriebs zu Gunsten der Gläubiger ermöglicht, führt nicht zu einem Wegfall der Benachteiligung875. Diese in die Masse gelangten Vorteile ermöglichen

869

BGH, Urt. v. 13. 3. 1997 – IX ZR 93/96, ZIP 1997, 853 (854); MüKo-InsO/Kayser, § 129 Rn. 117. 870 Jaeger/Henckel, InsO, § 129 Rn. 92; MüKo-InsO/Kayser, § 129 Rn. 115; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 129 Rn. 72; zur unmittelbaren Benachteiligung im Rahmen von § 132 InsO siehe weitergehend unten B.II.4.e). 871 BGH, Urt. v. 11. 11. 1993 – IX ZR 257/92, BGHZ 124, 76; Jaeger/Henckel, InsO, § 129 Rn. 118; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 129 Rn. 77. 872 MüKo-InsO/Kayser, § 129 Rn. 122. 873 Jaeger/Henckel, InsO, § 129 Rn. 118; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 129 Rn. 78; v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 91. 874 Ohne nähere Ausführungen angenommen von BGH, Urt. v. 15. 10. 2009 – IX ZR 201/08, ZInsO 2009, 2244 ff.; BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 ff.; siehe auch Klinck, DB 2014, 2455 (2460); Pieper, ZInsO 2009, 1425 (1432); Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1665). 875 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (376).

138

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

den übrigen Gläubigern nicht den gleichen Zugriff, der bei Verbleib der Zahlungsmittel im Vermögen des Schuldners bestünde876. (1) Banküberweisungen Erfolgt die Zahlung per Überweisung, bestehen keine besonderen Probleme. Zwar nahm der BGH früher an, dass in der Regel keine Gläubigerbenachteiligung vorliege, wenn der Schuldner die Mittel für eine Zahlung aus einer lediglich geduldeten Kontoüberziehung schöpft877. Das wurde damit begründet, dass die bloße Duldung einer Überziehung dem Schuldner keinen Anspruch gegen die Bank auf Kredit verschaffe und es daher an einem pfändbaren Gegenstand fehle, über den der Schuldner bei der Zahlung verfüge878. Weil an die Stelle des Anspruchs des Zahlungsempfängers der Aufwendungsersatzanspruch (§§ 670, 675 BGB) der Bank trete, finde aus Sicht der Gläubiger nur ein masseneutraler Gläubigertausch statt, soweit die Bank nicht über besondere Sicherheiten o. ä. verfüge879. Der IX. Senat hat diese Rechtsprechung jedoch nunmehr ausdrücklich aufgegeben, um die Anfechtung im bargeldlosen Zahlungsverkehr nicht zu entwerten880. Die faktische Benachteiligung sieht der BGH bei der Zahlung aus geduldeter Überziehung darin, dass der Schuldner durch Inanspruchnahme des Kredits seine Bonität zugunsten des Anfechtungsgegners einsetze und der daraus resultierende Vermögenswert der Kreditmittel nicht in das Schuldnervermögen gelange, um dort dem Zugriff der Gläubiger zu unterliegen881. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist für die Benachteiligung der Insolvenzgläubiger unerheblich, ob die Mittel für die Zahlung aus einem Guthaben, einer eingeräumten Kreditlinie oder einer geduldeten Überziehung stammen882. (2) Weiterarbeit als Kompensation der Benachteiligung Fraglich ist, ob die Gläubigerbenachteiligung entfällt, wenn durch die nachteilige Rechtshandlung unter dem Strich ein Vorteil für die Masse erkauft wird, weil der Leistungsempfänger zur fortgesetzten Leistungserbringung nur gegen die Befriedigung von Altverbindlichkeiten bereit ist883. In der Rechtsprechung wurden ent876

BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (376). BGH, Urt. v 11. 1. 2007 – IX ZR 31/05, BGHZ 170, 276 (279 ff.); siehe auch BGH, Beschl. v. 27. 3. 2008 – IX ZR 210/07, ZIP 2008, 747 (747); BGH, Beschl. v. 1. 2. 2007 – IX ZB 248/05, ZIP 2007, 601 (602). 878 BGH, Urt. v 11. 1. 2007 – IX ZR 31/05, BGHZ 170, 276 (280 f.). 879 BGH, Urt. v 11. 1. 2007 – IX ZR 31/05, BGHZ 170, 276 (279 f.); BGH, Beschl. v. 1. 2. 2007 – IX ZB 248/05, ZIP 2007, 601 (602). 880 BGH, Urt. v. 6. 10. 2009 – IX ZR 191/05, BGHZ 182, 317 (320 ff.); zustimmend Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 Rn. 190; im Ergebnis auch Jacoby/Mikolajczak, ZIP 2010, 301 ff. 881 BGH, Urt. v. 6. 10. 2009 – IX ZR 191/05, BGHZ 182, 317 (323 f.). 882 BGH, Urt. v. 6. 10. 2009 – IX ZR 191/05, BGHZ 182, 317 (320 ff.); Jacoby/Mikolajczak, ZIP 2010, 301 (308). 883 Siehe dazu Adam, DZWIR 2007, 357 ff. 877

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

139

sprechende Fälle im Rahmen der Frage behandelt, inwieweit ein Gläubiger, der im vorläufigen Verfahren vom Zustimmungsverwalter die Befriedigung von Altverbindlichkeiten erzwingt, später gegenüber einer Anfechtung Vertrauensschutz genießt884. Es lässt sich aber auch allgemeiner fragen, ob es in solchen Fällen nicht schon an einer Gläubigerbenachteiligung fehlt, wenn die Kooperation des Vertragspartners die Verteilungsmasse im Ergebnis vergrößert885. Entsprechend wird teilweise vertreten, dass Arbeitnehmer ihre Weiterarbeit von der Zahlung auf Lohnrückstände abhängig machen könnten und diese Zahlungen später anfechtungsfest seien886. Das überzeugt nicht887. Es ist zwar zuzugeben, dass es dem Schuldner und später dem vorläufigen Insolvenzverwalter leichter gemacht würde, die notwendig Kooperation von Vertragspartnern in der Krise sicherzustellen888. Schwerer wiegt jedoch die Gefahr, dass die par condicio im Anfechtungszeitraum auch von anderen wichtigen Gläubigern, z. B. Rohstoff- oder Energielieferanten, entsprechend ausgehebelt werden könnte889. Die weiter leistenden Gläubiger sind in Bezug auf ihre neue Leistung durch § 142 InsO geschützt890. Ermöglichte man ihnen, anfechtungsfeste Befriedigungen ihrer Altforderungen zu erzwingen, würde jeder fortführungsrelevante Gläubiger seine Kooperation unter diese Bedingung stellen891. Im Ergebnis würde das verbleibende Schuldnervermögen durch die Befriedigung von Altforderungen so stark belastet, dass die Fortführungschancen tatsächlich nicht stiegen, sondern sänken. dd) Verdachtsperiode/Vornahmezeitraum Die Tatbestände der Insolvenzanfechtung sind aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes durch die zeitliche Beschränkung des Rückgriffs limi-

884 Dazu schon oben B.II.4.a)bb); BGH, Urt. v. 9. 12. 2004 – IX ZR 108/04, BGHZ 161, 315; BGH, Urt. v. 13. 3. 2003 – IX ZR 56/02, ZIP 2003, 855 f.; BGH, Urt. v. 13. 3. 2003 – IX ZR 64/ 02, BGHZ 154, 190 ff. 885 In dieser Richtung Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2005, 324 (326). 886 Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2005, 324 (326); Zwanziger, BB 2007, 42 (46); insoweit auf den Vertrauensschutz abstellend, aber mit gleichem Ergebnis Zwanziger, Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, Einführung Rn. 358; ders., BB 2007, 42 (46); Peters-Lange, info also 2008, 255 (258). 887 So auch Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (164 f.); KPB/Ehricke, § 129 Rn. 84. 888 Vgl. BGH, Urt. v. 9. 12. 2004 – IX ZR 108/04, BGHZ 161, 315 (321); Zwanziger, BB 2007, 42 (46). 889 BAG, Urt. v. 27. 10. 2004 – 10 AZR 123/04, BAGE 112, 266; BGH, Urt. v. 13. 3. 2003 – IX ZR 64/02, BGHZ 154, 190 (197 f.); Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (164 f.). 890 Binder, KTS 2006, 1 (6, 13). 891 BGH, Urt. v. 13. 3. 2003 – IX ZR 64/02, BGHZ 154, 190 (197 f.).

140

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

tiert892. Dabei bezieht sich das Vertrauen des Anfechtungsgegners auf das Ausbleiben eines Insolvenzantrags im festgelegten Zeitraum893. Die Länge der Fristen variiert zwischen den Tatbeständen je nach der Schutzwürdigkeit des Anfechtungsgegners894. Der teilweise für diese Fristen gebrauchte Begriff der „Verdachtsperiode“895 ist missverständlich, da er den Eindruck vermittelt, es gehe um den Verdacht der Unredlichkeit des Verhaltens des Schuldners oder des Anfechtungsgegners, was jedoch nach dem obigen Befund896 zumindest bei der Deckungsanfechtung kein Grund für die Anfechtbarkeit ist. Vorzugswürdig ist der neutralere Begriff „Vornahmezeitraum“. Eigentlich handelt es sich beim Vornahmezeitraum nicht um eine allgemeine Voraussetzung, da diese Zeiträume jeweils in den Anfechtungstatbeständen gesondert festgelegt sind. Gemeinsam ist ihnen die Anknüpfung an den Eröffnungsantrag für die Fristberechnung897. Maßgeblich ist nach § 139 InsO der Eingangszeitpunkt des ersten zulässigen Eröffnungsantrags beim Insolvenzgericht. Hinter der Entscheidung des Gesetzgebers für diesen Zeitpunkt steht die Erwägung, dass bei einer Anknüpfung an die Verfahrenseröffnung der Vornahmezeitraum sehr kurz wird, wenn sich das Eröffnungsverfahren über einen längeren Zeitraum streckt898. Zudem erlangen damit die antragsberechtigten Gläubiger, deren Interessen die Anfechtung gerade dient, Einfluss auf den relevanten Zeitpunkt899. §§ 130 – 136 InsO erlauben jeweils auch die Anfechtung im Zeitraum nach dem Eröffnungsantrag900. Rechtshandlungen, die nach der Verfahrenseröffnung vorgenommen wurden, unterliegen hingegen grundsätzlich nicht der Anfechtung, wie sich bereits aus § 129 Abs. 1 InsO ergibt. In diesem Stadium folgt die Unwirksamkeit vielmehr aus §§ 80 ff., 89 und 91 InsO901. b) Nahestehende Personen, § 138 InsO Einige der Anfechtungstatbestände der Insolvenzordnung enthalten eine Verschärfung gegenüber sog. nahestehenden Personen oder greifen direkt auf diese 892 So für die Deckungsanfechtung Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 157 f.; siehe auch v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 16 f.; ausführlich Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 265 ff. 893 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 273. 894 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 18; auch v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 16 f., 73 f. 895 Wohl in Anlehnung an den englischen Begriff der „suspect period“. 896 Siehe oben B.I.4.d)aa)(2). 897 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 156. 898 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 156; Erster Bericht der Kommission, S. 401. 899 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 156; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 274. 900 Dazu Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 291 ff. 901 Zur Frage, ob daneben noch Raum für die Anfechtung besteht siehe Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.31a.

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

141

Gruppe als Tatbestandsmerkmal zurück (§ 133 Abs. 2 S. 1 InsO). Wichtig ist die Einordnung des Anfechtungsgegners als nahestehende Person v. a. für die Frage der Beweislast. aa) Beweislastumkehr Grundsätzlich muss der Insolvenzverwalter die objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Tatbestände beweisen902. §§ 130 Abs. 3, 131 Abs. 2 S. 2 und § 132 Abs. 3 InsO stellen die widerlegliche Vermutung auf, dass der Anfechtungsgegner Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligung hatte, sofern es sich bei ihm um eine nahestehende Person handelt. §§ 130 Abs. 3, 131 Abs. 2 S. 2 und § 132 Abs. 3 InsO sind Fälle der gesetzlichen Beweislastumkehr und stellen nicht nur tatsächliche Vermutungen auf; der Anfechtungsgegner muss also den Beweis erbringen, dass er weder die Zahlungsunfähigkeit noch den Insolvenzantrag kannte und kann sich nicht darauf beschränken, die Vermutung zu erschüttern903. Die ratio der Regelung liegt darin, dass Personen in bestimmten Nähebeziehungen üblicherweise besondere Informationsmöglichkeiten über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners besitzen904. Es ist umstritten, ob sich diese Umkehr auch auf Umstände i.S.d. § 130 Abs. 2 InsO bezieht905. Bejaht man diese Frage mit der herrschenden Meinung906, müsste der Anfechtungsgegner zu seiner Entlastung beweisen, dass er nicht einmal Umstände kannte, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen ließen907. Der Wortlaut spricht gegen eine solche Erstreckung, weil er ausdrücklich nur die Kenntnis der konkreten Merkmale betrifft908. Aus der systematischen Stellung in derselben Norm, allerdings verteilt auf zwei Absätze, lässt sich in beide Richtungen argumentieren909. Fragwürdig ist auch der Rückgriff auf die Gesetzgebungsgeschichte, weil sich durch die späte Änderung des § 130 Abs. 2 InsO (Kenntnis von Umständen statt grober Fahrlässigkeit910) der Bezugs902

Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 130 Rn. 105, § 131 Rn. 21, § 132 Rn. 17; HmbKomm/Rogge/ Leptien, § 130 Rn. 55, § 131 Rn. 42, § 132 Rn. 20; KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 156. 903 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 142 f.; Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 130 Rn. 111; MüKo-InsO/Kayser, § 130 Rn. 67; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 130 Rn. 80; HmbKomm/ Rogge/Leptien, § 130 Rn. 60; HK-InsO/Thole, § 130 Rn. 44. 904 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 161 f.; Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 130 Rn. 111; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 322. 905 Siehe dazu Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 322 ff. 906 Braun/de Bra, § 130 Rn. 46; v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 143; MüKo-InsO/ Kayser, § 130 Rn. 67, § 131 Rn. 64; Jaeger/Henckel, InsO, § 130 Rn. 154, § 131 Rn. 80, § 132 Rn. 35; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 324; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 130 Rn. 80; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 130 Rn. 60; KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 162, § 131 Rn. 160, § 131 Rn. 53; HK-InsO/Thole, § 130 Rn. 44. 907 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 323. 908 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 323; HK-InsO/Thole, § 130 Rn. 42. 909 Für die Erstreckung auf Umstände insoweit HK-InsO/Thole, § 130 Rn. 44. 910 Siehe dazu unten B.II.4.d)bb)(2)(c)(aa).

142

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

punkt wandelte, so dass die vorherigen Begründungen der Gesetzesentwürfe in dieser Frage obsolet wurden911. Die herrschende Meinung argumentiert v. a. mit der Überlegung, dass sich eine Vermutung in Bezug auf Zahlungsunfähigkeit oder Eröffnungsantrag erst recht darauf erstrecken müsse, dass die nahestehende Person als minus auch die zugrundliegenden Umstände kenne912. Auch wenn durch diese Auslegung für nahestehende Personen der Gegenbeweis sehr schwierig wird, überzeugt der vorgebrachte Erst-recht-Schluss der herrschenden Meinung. Wortlaut und Systematik stehen dem nicht entgegen, weil nach Abs. 2 die Kenntnis von Umständen der Kenntnis der Krisenmerkmale gleichsteht und man diese Gleichsetzung mithin auch in Abs. 3 anwenden kann. Folglich ist der herrschenden Meinung darin zuzustimmen, dass sich die Beweislastumkehr des § 130 Abs. 3 InsO und damit auch der Verweises in § 132 Abs. 3 InsO zugleich auf Umstände i.S.d. Abs. 2 beziehen. Gleiches gilt für § 131 Abs. 2 S. 2 InsO in Bezug auf die Beweislast für die Gläubigerbenachteiligung. bb) Arbeitnehmer als nahestehende Personen Wann ein besonderes Näheverhältnis im Sinne des Anfechtungsrechts vorliegt und damit der Anfechtungsgegner als „Insider“913 anzusehen ist, bestimmt § 138 InsO. Vor dem Hintergrund des Themas dieser Arbeit sollen die Erläuterungen dabei auf diejenigen Merkmale beschränken, die eine dienstvertragliche Verbindung des Anfechtungsgegners zum Schuldner betreffen. Ist der Schuldner eine juristische Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, sind nach § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO die Mitglieder des Vertretungs- oder Aufsichtsorgans und persönlich haftende Gesellschafter des Schuldners sowie Personen, die zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligt sind, nahestehende Personen. Nach § 138 Abs. 2 Nr. 2 InsO gilt das auch für andere Personen oder Gesellschaften, die auf Grund einer vergleichbaren gesellschaftsrechtlichen oder dienstvertraglichen Verbindung zum Schuldner die Möglichkeit haben, sich über dessen wirtschaftliche Verhältnisse zu unterrichten. Durch eine Ergänzung914 in § 138 Abs. 1 Nr. 3 InsO gelten seit dem 1. Juli 2007 im Fall einer natürlichen Person als Insolvenzschuldner ebenfalls solche Personen als nahestehend, die sich auf Grund einer dienstvertraglichen Verbindung zum Schuldner über dessen wirtschaftliche Verhältnisse unterrichten können.

911

Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 323 f.; KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 162 dort Fn. 542. Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 324; v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 143; mit Hinweis auf dieses Argument auch Biehl, Insider, S. 149 f. und v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 128. 913 Zu dieser neudeutschen Terminologie etwa Biehl, Insider, S. 2; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.35. 914 Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens v. 13. 4. 2007, BGBl. I 2007, S. 509. 912

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

143

Es stellt sich die Frage, ob und in welchen Fällen Arbeitnehmer zu den dienstvertraglich verbundenen Personen im Sinne der Norm zählen und sich aufgrund dieser Stellung über die wirtschaftliche Situation des Schuldners unterrichten können. In § 155 Nr. 1 des RegE InsO wurde eine solche Person als nahestehend angesehen, „die auf Grund ihrer Position im Unternehmen des Schuldners die Möglichkeit hat, sich über dessen wirtschaftliche Verhältnisse zu unterrichten“915. Zur Begründung wurde angeführt, dass diese Norm Personen erfasse, „die durch ihre Tätigkeit innerhalb des Unternehmens, z. B. als dessen Prokurist, eine besondere Informationsmöglichkeit über seine wirtschaftlichen Verhältnisse haben.“916 Der Bezug auf eine dienstvertragliche Verbindung wurde erst durch den Rechtsausschuss eingebracht917, ohne dass eine Begründung erfolgte918. Eine „wesentliche inhaltliche Änderung“919 war offenbar nicht gewollt920. In Bezug auf § 138 Abs. 2 Nr. 2 InsO lässt sich schon aus dem Wortlaut entnehmen, dass die Stellung des dienstvertraglich Verbundenen mit der Stellung von in Nr. 1 genannten Personen vergleichbar sein muss, d. h. mit Mitgliedern des Vertretungs- oder Aufsichtsorgans und persönlich haftenden Gesellschaftern des Schuldners sowie Personen, die zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligt sind. In § 138 Abs. 1 Nr. 3 InsO wurde eine entsprechende Vergleichbarkeit nicht kodifiziert. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass ein gewisser Gleichlauf bei der Beurteilung dienstvertraglicher Beziehungen innerhalb des § 138 InsO gewollt ist, unabhängig davon, ob der Schuldner eine natürliche oder juristische Person ist921. Maßgeblich ist, ob sich der Anfechtungsgegner in einer Stellung befand, die mit derjenigen der in Abs. 1 Nr. 1 genannten Personen vergleichbar ist. Die Vergleichbarkeit wiederum ist danach zu bestimmen, ob entsprechende Informationsmöglichkeiten für den Anfechtungsgegner bestanden922. Des Weiteren fordern sowohl Abs. 1 Nr. 3 als auch Abs. 2 Nr. 2, dass der dienstvertraglich Verbundene besondere Unterrichtungsmöglichkeiten hatte. Das ist problematisch, weil die Norm dem Insolvenzverwalter die Beweislast hierfür auferlegt923. Er muss nicht nur eine vergleichbare Stellung beweisen, sondern auch, dass der betreffende Dienstverpflichtete 915

RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 34. Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 163. 917 Beschlussempf. d. Rechtsausschusses, BT-DruckS. 12/7302, S. 58. 918 Beschlussempf. d. Rechtsausschusses, BT-DruckS. 12/7302, S. 174. 919 Beschlussempf. d. Rechtsausschusses, BT-DruckS. 12/7302, S. 174. 920 MüKo-InsO/Stodolkowitz/Bergmann, § 138 Rn. 33; zweifelnd Biehl, Insider, S. 95. 921 So im Ergebnis auch Uhlenbruck/Hirte, § 138 Rn. 12 A; a.A. Graf-Schlicker/Huber, § 138 Rn. 4. 922 BGH, Urt. v. 15. 11. 2012 – IX ZR 205/11, ZInsO 2012, 2335 (2336); BGH, Urt. v. 6. 4. 1995 – IX ZR 61/94, BGHZ 129, 236 (244 f.); Biehl, Insider, S. 82; KPB/Ehricke, § 138 Rn. 23; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 138 Rn. 21; MüKo-InsO/Stodolkowitz/Bergmann, § 138 Rn. 33. 923 BGH, Urt. v. 15. 11. 2012 – IX ZR 205/11, ZInsO 2012, 2335 (2337); BGH, Urt. v. 23. 11. 1995 – IX ZR 18/95, BGHZ 131, 189 (194 f.); kritisch Biehl, Insider, S. 96 ff. 916

144

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

tatsächlich Zugang zu den relevanten Informationen hatte924. Die Zugangsmöglichkeit zu den relevanten Informationen ist das entscheidende Kriterium925. Es ist hingegen unerheblich, ob sich der Anfechtungsgegner tatsächlich informiert hat926. Ob eine besondere Informationsmöglichkeit vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalles, wobei jedoch im Schrifttum für bestimmte Stellungen im Unternehmen allgemeinere Aussagen getroffen werden927. Es lässt sich weitgehende Einigkeit in Bezug darauf feststellen, dass Prokuristen und leitende Angestellte eine solche vergleichbare Verbindung durch Informationsmöglichkeiten innehaben928. Stodolkowitz und Bergmann verlangen allgemeiner, „dass es sich um eine herausgehobene Position handeln muss“929. Auch nach Biehl können nur „qualifizierte Tätigkeiten umfaßt sein, die es erlauben, weitreichende Einsicht in die Vermögensverhältnisse des Insolvenzschuldners zu nehmen.“930 Henckel differenziert zwischen leitenden Angestellten je nach Bereich: So hätten leitende Angestellte in technischen Abteilungen oder im Entwicklungsbereich diese Einsichtsmöglichkeiten nicht ohne Weiteres, während dies für einen im kaufmännischen Bereich tätigen eher und für einen in der Finanzabteilung arbeitenden leitenden Angestellten sicher anzunehmen sei931. Bei Buchhaltern wird man im Einzelfall danach unterscheiden müssen, ob dem entsprechenden Arbeitnehmer ein Gesamtüberblick möglich war932, wofür auch die Größe des Unternehmens zu berücksichtigen ist. Schwierigkeiten bestehen bei der Einordnung von Arbeitnehmern, die in der Organisation und Hierarchie verhältnismäßig tief anzusiedeln sind, aber durch ihre organisatorische oder persönliche Nähe zur Geschäftsleitung besondere Informationsmöglichkeiten besitzen. Das LAG Hamm etwa hielt die Qualifizierung des Chauffeurs eines Geschäftsführers, zu dem sich ein Vertrauensverhältnis gebildet hatte, für „nicht ganz fernliegend“, ließ eine Entscheidung aber dahinstehen933. Biehl nennt als Beispiel für Personen im Sinne des § 138 Abs. 2 Nr. 2 InsO unter anderem die Chefsekretärin934. Es bleibt auch hier dabei: Eine pauschale Gruppenbildung ist 924

Biehl, Insider, S. 97. Jaeger/Henckel, InsO, § 138 Rn. 31. 926 Jaeger/Henckel, InsO, § 138 Rn. 14, 28; Uhlenbruck/Hirte, § 138 Rn. 36. 927 Nur der Kürze der diesbezüglichen Ausführungen geschuldet ist wohl der Verweis auf Arbeitnehmer im Allgemeinen durch v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 144. 928 LG Magdeburg, Urt. v. 23. 9. 2009 – 10 O 229/09, juris (Geschäftsführerin); Biehl, Insider, S. 90 f.; Jaeger/Henckel, InsO, § 138 Rn. 31; Uhlenbruck/Hirte, § 138 Rn. 47; Nerlich/ Römermann/Nerlich, § 138 Rn. 21; MüKo-InsO/Stodolkowitz/Bergmann, § 138 Rn. 34. 929 MüKo-InsO/Stodolkowitz/Bergmann, § 138 Rn. 33. 930 Biehl, Insider, S. 90. 931 Jaeger/Henckel, InsO, § 138 Rn. 31; ähnlich Uhlenbruck/Hirte, § 138 Rn. 47. 932 Pauschal für Buchhalter Jaeger/Henckel, InsO, § 138 Rn. 14, 31; Biehl, Insider, S. 91 zielt nur auf den „Leiter der Buchhaltung“. 933 LAG Hamm, Urt. v. 26. 11. 1997 – 14 Sa 1240/97, ZIP 1998, 920 (921); gegen eine solche Qualifizierung des Chauffeurs, Jaeger/Henckel, InsO, § 138 Rn. 14. 934 Biehl, Insider, S. 91. 925

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

145

nicht möglich, vielmehr muss im Einzelfall geprüft werden, wie weit die Informationsmöglichkeiten des Anfechtungsgegners gehen. Wenn bei hierarchisch tief angesiedelten Arbeitnehmern solche Informationsmöglichkeiten tatsächlich vorliegen, ist allerdings kein Grund ersichtlich, solche Personen von § 138 InsO auszunehmen. Eine Differenzierung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit des Anfechtungsgegners ist in § 138 InsO nicht angelegt. c) Bargeschäft, § 142 InsO Gemäß § 142 InsO ist eine Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, nur anfechtbar, wenn die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO gegeben sind. In der Konkursordnung von 1877 gab es keine entsprechende Regelung. Sie wurde erst später durch höchstrichterliche Rechtsprechung aufgestellt935. Diese Ausnahme für sog. Bargeschäfte oder Bardeckungen kodifizierte der Gesetzgeber in § 142 InsO936. aa) Zweck der Regelung Der Zweck der Regelung besteht darin, den Gemeinschuldner in der Krise nicht vom Geschäftsverkehr auszuschließen937. Durch die Bargeschäftsausnahme kann er im Wege des unmittelbaren Leistungsaustauschs weiter am Markt tätig sein, ohne dass seine Vertragspartner jederzeit mit Anfechtungen rechnen müssen. Die wirtschaftliche Isolierung des Schuldners würde seine geschäftliche Situation zusätzlich verschlechtern938. Das lässt sich am Beispiel der Lohnanfechtung zeigen: Stünde für die Arbeitnehmer fest, dass jeglicher in der Krise ausbezahlter Lohn einem Anfechtungsrisiko unterläge, hätten sie allen Grund, nicht weiter für den Schuldner tätig zu werden. Damit bräche der Betrieb zusammen. Der Schutz eines solchen Bargeschäfts ist gerechtfertigt, da es nach seinen Voraussetzungen939 eine objektive Gläubigerbenachteiligung ausschließt940. Der 935 BGH, Urt. v. 21. 5. 1980 – VIII ZR 40/79, ZIP 1980, 518 ff.; BGH, Urt. v. 21. 12. 1977 – VIII ZR 255/76, BGHZ 70, 177 (184 f.); BGH, Urt. v. 26. 1. 1977 – VIII ZR 122/75, NJW 1977, 718 (718 f.); RG, Urt. v. 26. 4. 1932 – VII 3/32, RGZ 136, 152 (158 f.); RG, Urt. v. 28. 9. 1920 – VII 93/20, RGZ 100, 62 (63 f.); Huber, in: FS Haarmeyer, S. 111 (111); Kayser, in: FS Fischer, S. 267 (269). 936 Kirchhof, ZInsO 1998, 3 (6). 937 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 167; vgl. auch BGH, Urt. v. 13. 4. 2006 – IX ZR 158/05, BGHZ 167, 190 (199); BGH, Urt. v. 30. 9. 1993 – IX ZR 227/92, BGHZ 123, 320 (323); v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 48; Eichberger, Konkursanfechtung, S. 38; Kayser, in: FS Fischer, S. 267 (269); HmbKomm/Rogge/Leptien, § 142 Rn. 1; auch schon RG, Urt. v. 28. 9. 1920 – VII 93/20, RGZ 100, 62 (63). 938 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 38. 939 Zu den Voraussetzungen siehe sogleich, B.II.4.c)cc). 940 BGH, Urt. v. 21. 4. 2005 – IX ZR 24/04, ZIP 2005, 992 (994); Ganter, ZIP 2012, 2037 (2038); Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 142 Rn. 3; Kayser, in: FS Fischer, S. 267 (269).

146

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

BGH hat darin sogar den „Rechtsgrund“ der Regelung gesehen941. Ein Bargeschäft kann allerdings durchaus eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung bewirken; anderenfalls hätte § 142 InsO keinen Anwendungsbereich, weil § 129 InsO eine Anfechtung bei fehlender Benachteiligung der Gläubiger ohnehin nicht zulässt942. Zutreffend ist demnach nur die Feststellung, dass bei Vorliegen eines Bargeschäfts keine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung erfolgt943. bb) Anwendungsbereich und Wirkung Die herrschende Meinung wendet § 142 InsO nur im Rahmen des Tatbestandes des § 130 InsO, also bei kongruenten Deckungen an944. Für inkongruente Deckungen kann § 142 InsO danach nicht eingreifen. Bei solchen inkongruenten Geschäften kann nicht von einem ausgeglichenen Leistungsaustausch gemäß dem ursprünglichen Abwicklungsplan ausgegangen werden, was für sich schon die Annahme eines Bargeschäfts ausschließt945. Ebenso scheidet eine Anwendung auf Anfechtungen nach § 132 Abs. 1 InsO aus, weil die Voraussetzung der Äquivalenz bei unmittelbar nachteiligen Rechtshandlungen nie vorliegen kann946. Die maßgebliche Wirkung des § 142 InsO ist also der Ausschluss der Anfechtung einer kongruenten Deckung nach § 130 InsO, wenn die Voraussetzungen eines Bargeschäfts erfüllt sind947. Wie schon der Wortlaut zeigt, bleibt die Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO davon unberührt. cc) Voraussetzungen eines Bargeschäfts im Arbeitsverhältnis Ein Bargeschäft liegt gem. § 142 InsO vor, wenn für die Leistung des Schuldners unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt ist. Im 941

BGH, Urt. v. 30. 9. 1993 – IX ZR 227/92, BGHZ 123, 320 (323). Ganter, ZIP 2012, 2037 (2037); Kayser, in: FS Fischer, S. 267 (270). 943 Ganter, ZIP 2012, 2037 (2038); Jaeger/Henckel, InsO, § 142 Rn. 7; MüKo-InsO/ Kirchhof, § 142 Rn. 9. 944 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1603); BGH, Urt. v. 20. 1. 2011 – IX ZR 58/10, ZInsO 2011, 421 (423); BGH, Urt. v. 7. 3. 2002 – IX ZR 223/01, BGHZ 150, 122 (130); BGH, Urt. v. 30. 9. 1993 – IX ZR 227/92, BGHZ 123, 320 (328); LAG Nürnberg, Urt. v. 16. 5. 2012 – 2 Sa 566/11, ZInsO 2013, 94 (96); Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.40; Huber, in: FS Haarmeyer, S. 111 (112); Kayser, in: FS Fischer, S. 267 (272); MüKo-InsOKirchhof, § 142 Rn. 21; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 142 Rn. 4; a.A.: Lwowski/Wunderlich, in: FS Kirchhof, S. 301 (301 f.); C. Paulus, ZGR 2006, Sonderheft 17, 435 (438); Zwanziger, DB 2014, 2391 (2391). 945 BGH, Urt. v. 23. 9. 2010 – IX ZR 212/09, ZInsO 2010, 1929 (1933); BGH, Urt. v. 19. 12. 2002 – IX ZR 377/99, ZInsO 2003, 324 (328); Kayser, in: FS Fischer, S. 267 (272). 946 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.40. 947 Kohn-Löffelmann, Insolvenzanfechtung in Europa, S. 148. 942

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

147

Rahmen der vorliegenden Arbeit stellt sich die Frage, wann die Abwicklung von Arbeitsverhältnissen als Bargeschäft i.S.d. § 142 InsO zu qualifizieren ist. (1) Allgemeines Dabei ist zunächst festzustellen, dass die Bargeschäftsausnahme grundsätzlich auch im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen gilt948 und auf Arbeitsverhältnisse anzuwenden ist949. Die Annahme eines Bargeschäfts setzt zunächst voraus, dass Leistung und Gegenleistung im Sinne einer festen Absprache miteinander verknüpft sind950. Das ergibt sich aus der Formulierung „für die“ im Tatbestand951. Eine solche Parteivereinbarung liegt in Form des Arbeitsvertrags vor. Als weitere Voraussetzung sieht § 142 InsO vor, dass die ausgetauschten Leistungen objektiv gleichwertig sein müssen, sog. Wertäquivalenz952. Bei Gleichwertigkeit liegt lediglich eine sog. „Vermögensumschichtung“953 vor, durch die keine unmittelbare Benachteiligung der Gläubiger eintritt954. Die Gleichwertigkeit der ausgetauschten Leistungen im Falle der Lohnanfechtung birgt keine besonderen Schwierigkeiten955. Soweit die Vergütung des Arbeitnehmers nicht völlig von der marktüblichen Höhe abweicht, besteht ein weiter Spielraum der Vertragsparteien bei der Bewertung der Arbeitsleistung durch die vereinbarte Lohnhöhe. Leistet der Insolvenzschuldner nur Teilzahlungen für die Leistungen des Gläubigers, berührt das die Gleichwertigkeit nicht956. Des Weiteren ist zu erwähnen, dass es für § 142 InsO keine Rolle spielt, ob die Leistung dem Schuldnervermögen erhalten geblieben ist957. Eine solche mittelbare Gläubigerbenachteiligung schließt ein Bargeschäft nicht aus958. Die Norm bezweckt 948

Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 142 Rn. 31; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 142 Rn. 3. Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (159); Zwanziger, BB 2007, 42 (43). 950 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 167; BGH, Urt. v. 23. 9. 2010 – IX ZR 212/09, ZInsO 2010, 1929 (1932); Kayser, in: FS Fischer, S. 267 (270); HmbKomm/Rogge/Leptien, § 142 Rn. 3. 951 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 167; BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1603). 952 BGH, Urt. v. 7. 3. 2002 – IX ZR 223/01, BGHZ 150, 122 (131); v. Campe, Insolvenzanfechtung, S.48; Eichberger, Konkursanfechtung, S. 39; Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 142 Rn. 23; Kohn-Löffelmann, Insolvenzanfechtung in Europa, S. 148; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 142 Rn. 10 f. 953 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1603); BGH, Urt. v. 30. 09. 1993 – IX ZR 227/92, BGHZ 123, 320 (323); so auch HmbKomm/Rogge/Leptien, § 142 Rn. 10. 954 HmbKomm/Rogge/Leptien, § 142 Rn. 10. 955 Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (621). 956 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1603); MüKo-InsO/ Kirchof, § 142 Rn. 12. 957 MüKo-InsO/Kirchhof, § 142 Rn. 4a; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 142 Rn. 2. 958 MüKo-InsO/Kirchhof, § 142 Rn. 4a, 11. 949

148

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

nicht den unbedingten Erhalt des Vermögens, sondern soll dem Schuldner ermöglichen, auch in der Krise wirtschaftlich tätig zu bleiben959. Demnach ist unerheblich, ob die Arbeitsleistung noch als zählbarer (Mehr-)Wert im Vermögen des Schuldners erkennbar ist, etwa in Form von produzierten Gütern. Es genügt, dass der Arbeitnehmer überhaupt seine Arbeitsleistung erbracht hat. (2) Unmittelbarkeit Für die Lohnanfechtung von zentraler Bedeutung ist das Kriterium der Unmittelbarkeit. Es setzt voraus, dass ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen den Leistungen besteht, wobei eine „gewisse Zeitspanne“ unerheblich sein soll960. Die genaue Grenze der Erheblichkeit ist je nach Einzelfall zu bestimmen961. Dabei sind die Gepflogenheiten des Rechtsverkehrs unter Berücksichtigung der Art des konkreten Geschäfts zu beurteilen962. In der Begründung des Regierungsentwurfs wird ausgeführt, dass ein Rechtsgeschäft jedenfalls dann nicht mehr unter die Bargeschäftsausnahme fallen soll, wenn es „den Charakter eines Kreditgeschäfts annimmt“963. Eine genaue Definition, was ein „Kreditgeschäft“ in diesem Sinne ist, wird nicht gegeben. Maßgeblich ist wohl, ob ein Zahlungsaufschub stattgefunden hat964. Nach der Rechtsprechung des BGH soll die Annahme eines Bargeschäfts demnach schon bei einer Stundung um nur eine Woche ausgeschlossen sein, wenn sie darauf beruht, dass der Schuldner im Zeitpunkt der Fälligkeit nicht zahlen kann965. Daraus ist zum einen zu schließen, dass es nicht um eine freiwillige Kreditgewährung des Gläubigers gehen soll, sondern auch ein eigenmächtiges „sich Kredit nehmen“ die Annahme eines Bargeschäfts ausschließt966. Zum anderen kann daraus geschlossen werden, dass ein Bargeschäft ausscheidet, wenn die verlängerte Zeitspanne zwischen den Leistungen darauf beruht, dass sich der Schuldner bereits in Zahlungsschwierigkeiten befindet967. Um bei eigener Vorleistungspflicht den Schutz des 959

Siehe dazu oben B.II.4.c)aa). Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 167; Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 142 Rn. 27. 961 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1603); Uhlenbruck/Ede/ Hirte, § 142 Rn. 29. 962 BGH, Urt. v. 13. 4. 2006 – IX ZR 158/05, BGHZ 167, 190 (199); BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (38); HmbKomm/Rogge/Leptien, § 142 Rn. 5. 963 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 167; in diesem Sinne auch BGH, Urt. v. 16. 11. 2006 – IX ZR 239/04, ZInsO 2007, 31; BGH, Urt. v. 19. 12. 2002 – IX ZR 377/99, ZInsO 2003, 324 (328); Ganter, ZIP 2012, 2037 (2039); Jaeger/Henckel, InsO, § 142 Rn. 3; Kayser, in: FS Fischer, S. 267 (271); HK-InsO/Kreft, § 142 Rn. 2. 964 Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (159). 965 BGH, Urt. v. 19. 12. 2002 – IX ZR 377/99, ZInsO 2003, 324 (328); HmbKomm/Rogge/ Leptien, § 142 Rn. 7. 966 Ganter, ZIP 2012, 2037 (2039); Jaeger/Henckel, InsO, § 142 Rn. 37; MüKo-InsO/ Kirchhof, § 142 Rn. 15; HK-InsO/Kreft, § 142 Rn. 6. 967 Ganter, ZIP 2012, 2037 (2039). 960

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

149

§ 142 InsO zu genießen, muss der Gläubiger demnach seinen Anspruch zügig durchsetzen oder sich von vornherein absichern. Häsemeyer hält demgegenüber für entscheidend, ob eine Vorleistung des Gläubigers vorgelegen habe968; in diesem Fall müsse die Annahme eines Bargeschäfts ausscheiden. Der Schutz des Bargeschäfts sei nur gerechtfertigt, wenn die gleichzeitige Schuldnerleistung vereinbart und auch dementsprechend erbracht wurde. Diese Ansicht ist zu eng, wie das Beispiel von Arbeitsverhältnissen zeigt. Dieser Vertragstyp sieht schon gesetzlich eine Vorleistungspflicht des Arbeitnehmers vor (vgl. § 614 BGB). Nach Häsemeyers Ansicht käme auch bei planmäßig abgewickelten Arbeitsverhältnissen die Annahme eines Bargeschäfts nicht in Betracht. Hierdurch müssten sich Arbeitnehmer veranlasst sehen, in der Krise die zuvor stets praktizierte Abwicklung des Arbeitsvertrags abzulehnen und auf tägliche Entlohnung, am besten vor der Arbeit, zu bestehen. Das verstieße eklatant gegen die Grundidee des § 142 InsO, den Schuldner nicht vom Geschäftsverkehr auszuschließen. Häsemeyers Ansicht ist daher abzulehnen969. Es verbleibt nur die Möglichkeit einer Einzelfallbetrachtung unter der etwas unsicher anmutenden Abgrenzung der Rechtsprechung zwischen Bar- und Kreditgeschäft. (a) Rechtsprechung des BGH zu Dienstverträgen Besondere Probleme bereitet die Bestimmung des Merkmals der Unmittelbarkeit im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen, insbesondere Arbeitsverhältnissen. Während sich bei einem einmaligen Austauschgeschäft die Leistungen und damit auch die Unmittelbarkeit ihrer Erbringung genau bestimmen lassen, ist die entsprechende Feststellung in Dauerschuldverhältnissen schwierig. Vor dem Urteil des BGH vom 10. Juli 2014970 bezogen sich die veröffentlichten höchstgerichtlichen Entscheidungen971 und Äußerungen im Schrifttum972 größtenteils auf die Anfechtbarkeit von Zahlungen an Sanierungsberater im Rahmen von Dienstverträgen oder Auftragsverhältnissen. In einem vielbeachteten Urteil vom 13. April 2006973 stellte der BGH grundlegende Richtlinien für die Anwendung des § 142 InsO auf Dienstverhältnisse auf. In 968

Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.41 Fn. 198; ders., JuS 1986, 851 (855). Vgl. Ganter, ZIP 2012, 2037 (2038). 970 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 ff., dazu unten B.II.4.c) cc)(2)(c). 971 BGH, Urt. v. 6. 12. 2007 – IX ZR 113/06, ZInsO 2008, 101; BGH, Urt. v. 13. 4. 2006 – IX ZR 158/05, BGHZ 167, 190; BGH, Urt. v. 18. 7. 2002 – IX ZR 480/00, ZInsO 2002, 876; BGH, Urt. v. 28. 1. 1988 – IX ZR 102/87, KTS 1988, 336; BGH, Urt. v. 17. 11. 1958 – II ZR 224/57, NJW 1959, 147. 972 U.a: Lwowski/Wunderlich, FS Kirchhof, S. 301 ff.; Jaeger/Henckel, InsO, § 142 Rn. 35 ff.; Kirchhof, ZInsO 2005, 340 ff.; Meyer, DZWIR 2003, 6 ff. 973 BGH, Urt. v. 13. 4. 2006 – IX ZR 158/05, BGHZ 167, 190 ff. 969

150

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Frage stand die Anfechtung einer Entgeltzahlung an einen anwaltlichen Sanierungsberater, der sein Honorar einige Wochen nach seinem Tätigwerden von der späteren Insolvenzschuldnerin erhalten hatte. Der Senat stellte zutreffend fest, dass eine gegenseitige Zuordnung der Leistungen – und damit eine Beurteilung ihrer Gleichwertigkeit sowie ihres unmittelbaren Austauschs – nur vorgenommen werden kann, wenn die Leistungen gegenständlich oder abschnittsweise teilbar sind; diese Leistungsteile müssten „zeitnah“ ausgetauscht werden974. Nach Ansicht des BGH soll ein Bargeschäft in Fällen anwaltlicher Beratung ausscheiden, wenn die Vergütung mehr als 30 Tage nach dem Beginn der Tätigkeit geleistet wird975. Der Senat leitete den Zeitraum von 30 Tagen aus der Verzugsfrist des § 286 Abs. 3 BGB her, da dieser „in Ermangelung anderer Anhaltspunkte als Maßstab für einen unmittelbaren Leistungsaustausch dienen“976 könne. (b) Arbeitsverhältnisse Das BAG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die vom BGH zu anwaltlichen Beratern entwickelten Grundsätze nicht ohne weiteres auf Lohnzahlungen im Arbeitsverhältnis übertragbar seien977. Arbeitnehmer und andere Dienstverpflichtete sind zwar nach der gesetzlichen Grundkonzeption gleichermaßen zur Vorleistung verpflichtet, wobei die Gegenleistung mit Beendigung der Tätigkeit fällig wird (§ 614 S. 1 BGB). Im vom BGH entschiedenen Fall wäre die Vergütung des Anwalts demzufolge am Ende seiner Beratung fällig geworden. In einem solchen Fall könnte – wenn sich die Erledigung der Angelegenheit hinzieht – geraume Zeit zwischen der ersten Dienstleistung des Anwalts und der späteren Fälligkeit und Zahlung verstreichen; stellte man bei der Frage der Unmittelbarkeit auf die Zeit zwischen Fälligkeit und Zahlung ab, wäre trotzdem bei einigermaßen pünktlicher Zahlung immer von einem Bargeschäft auszugehen978. In diesem Fall ist die Ansicht des BGH, nicht an die Fälligkeit, sondern den Zeitpunkt der Leistungserbringung anzuknüpfen, zustimmungswürdig979.

974

BGH, Urt. v. 13. 4. 2006 – IX ZR 158/05, BGHZ 167, 190, (201); vgl. auch BGH, Urt. v. 6. 12. 2007 – IX ZR 113/06, ZInsO 2008, 101 (102); BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (38); § 142 Rn. 19; Ganter, ZIP 2012, 2037 (2039); MünchKomm-InsO/ Kirchhof, § 142 Rn. 19; HK-InsO/Kreft, § 142 Rn. 5; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 142 Rn. 3. 975 BGH, Urt. v. 13. 4. 2006 – IX ZR 158/05, BGHZ 167, 190 (201). 976 BGH, Urt. v. 13. 4. 2006 – IX ZR 158/05, BGHZ 167, 190 (201). 977 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (39); zustimmend Jacobs/ Doebert, ZInsO 2012, 618 (621); zuvor schon Windel, AP § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14 (sub. III.3.). 978 Ganter, ZIP 2012, 2037 (2040). 979 Ganter, ZIP 2012, 2037 (2039 f.).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

151

Im Unterschied zur anwaltlichen Tätigkeit980 gilt für Arbeitsverhältnisse allerdings zusätzlich § 614 S. 2 BGB, der vorsieht, dass die Vergütung, wenn sie nach Zeitabschnitten bemessen ist, nach dem Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte zu entrichten ist. Bei Arbeitsverhältnissen ist regelmäßig der Kalendermonat ein solch abgrenzbarerer Abschnitt, für den der Arbeitgeber das entsprechende Monatsgehalt entrichtet981. Unabhängig davon, wann die Fälligkeit im Einzelfall eintritt, kann zwischen Leistung und Fälligkeit kein beliebig langer Zeitraum entstehen, weil die von § 614 S. 2 BGB vorgesehene abschnittsweise Fälligkeit das verhindert. Sie bewirkt im Arbeitsverhältnis einen monatlichen „Schnitt“. Im Gegensatz zu Arbeitnehmern können Rechtsanwälten Vorschüsse für ihre Tätigkeit verlangen (§ 9 RVG, früher: § 17 BRAGO)982. Hierdurch können sie ihre eigenen Vorleistungen stärker als Arbeitnehmer minimieren und sicherstellen, dass die Zahlung ihres Honorars anfechtungsfest ist. Es ist festzuhalten, dass die vom BGH für anwaltliche Beratung entwickelte Anknüpfung an den Beginn der Leistungserbringung nicht auf Arbeitsverhältnisse übertragbar ist. (aa) Anknüpfungspunkt Damit ist freilich noch keine positive Aussage dazu getroffen, wie genau die Unmittelbarkeit in Arbeitsverhältnissen zu bestimmen ist. Konkret geht es um die Frage, ob für den zeitlichen Zusammenhang nur auf den Zeitpunkt der Arbeitsleistung selbst oder auch auf die Fälligkeit des Lohnanspruchs abzustellen ist. Nach der Bargeschäftskonzeption des Sechsten Senats des BAG liegt ein Bargeschäft immer vor, wenn sich eine Zahlung auf Arbeitsleistungen in den vorangehenden drei Monaten bezieht983. Maßgeblich ist danach nur der zeitliche Abstand zwischen der Arbeitsleistung selbst und der dafür erbrachten Lohnzahlung. Nach dieser Ansicht ist der Zeitpunkt der Fälligkeit des Lohnanspruchs für die Unmittelbarkeit des Leistungsaustauschs im Arbeitsverhältnis unerheblich. Die Anknüpfung an Leistung und Gegenleistung für die Bestimmung der Unmittelbarkeit ist im Ausgangspunkt richtig und schon im Wortlaut des § 142 InsO angelegt. Wie bereits dargelegt wurde984, bestimmt sich die Unmittelbarkeit aber nach der Verkehrsauffassung; zu berücksichtigen sind dabei die Art der Leistung und die Gepflogenheiten

980 Gemeint sind einzelne Beratungsleistungen, wie sie dem BGH-Urteil (Fn. 973) zugrunde lagen. Anders ist die Rechtslage im Fall eines Dauermandats zu beurteilen, wo auch von einer abschnittweisen Leistungserbringung i.S.d. § 614 S. 2 BGB auszugehen ist. 981 Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (621); zur Gegenansicht des BAG (dauernde Leistung) siehe unten B.II.4.c)cc)(2)(c). 982 Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (621 f.). 983 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (39), dazu sogleich B.II.4.c) cc)(2)(c). 984 Siehe oben B.II.4.c)cc)(2).

152

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

des Geschäftsverkehrs985. Für die Verkehrsauffassung eines engen zeitlichen Zusammenhangs spielt aber der Zeitpunkt der Fälligkeit eine entscheidende Rolle und darf nicht einfach ignoriert werden986. Andernfalls übergeht man den vertraglichen Abwicklungsplan, wie ihn die Parteien einvernehmlich konzipiert haben. Schließlich sind die Arbeitsvertragsparteien darin frei, die Fälligkeit des Lohnanspruchs festzulegen, z. B. für den 15. des laufenden Monats genauso wie für den 15. des Folgemonats987. Erhält der Arbeitnehmer den Lohn am Ende des Folgemonats, wäre die Zahlung – auch nach seiner eigenen Wahrnehmung – im ersten Fall um sechs Wochen verzögert, im zweiten Fall nur um zwei Wochen. Dieser Unterschied ist für die Verkehrsauffassung eines Leistungsaustauschs im engen zeitlichen Zusammenhang offensichtlich relevant. Dem entspricht es, dass ein Arbeitnehmer, der dem Arbeitsvertrag entsprechend am 15. Februar das Entgelt für Januar erhält, nicht annehmen wird, den Lohn für den 1. Januar sechs Wochen verspätet erhalten zu haben, sondern genau pünktlich988. Es ist nicht ersichtlich, warum die Bedeutung der Fälligkeit in der Krise plötzlich ausgeblendet werden soll989. Daher ist auch in der Krise die übliche Vertragsabwicklung trotz gegebenenfalls weitgehender Vorleistungspflichten des Arbeitnehmers ein Bargeschäft. Das bedeutet, dass jedenfalls Lohnzahlungen bei Fälligkeit den Tatbestand des § 142 InsO erfüllen. Es zeigt sich, dass die Fälligkeit des Entgeltsanspruchs zur Feststellung des Bargeschäftscharakters zu berücksichtigen ist. Diese Ansicht entspricht auch der überwiegenden Meinung im Schrifttum990. Windel hatte sich demgegenüber bereits vor der Entscheidung des BAG gegen die Berücksichtigung der Fälligkeit ausgesprochen991. Seiner Meinung nach führe die Berücksichtigung der Fälligkeit im Zusammenhang mit der Anwendung eines fixen Bargeschäftszeitraums zum Problem einer „flexiblen Zeitbestimmung“992. Das 985 Jaeger/Henckel, InsO, § 142 Rn. 15; HK-InsO/Kreft, § 142 Rn. 5; Lwowski/Wunderlich, FS Kirchhof, S. 301 (308). 986 Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (622); zustimmend Lütcke, NZI 2014, 350 (352). 987 Gerade im Baugewerbe sind Fälligkeiten zum 15. des Folgemonats teilweise tarifvertraglich ausdrücklich zugelassen, vgl. z. B. Bundesrahmen-TV, Baugewerbe, 4. 7. 2002, i. d. F. vom 19. 5. 2006, § 5. 988 So schon Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (622). 989 Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (622). 990 Abele, FA 2009, 133 (136); ders., FA 2012, 38 (38); Jaeger/Henckel, InsO, § 142 Rn. 37; Jaeger-Henckel, KO, § 30 Rn. 116; Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 142 Rn. 31; Huber, in: FS Ganter (2010), 203 (209); ders., in: FS Haarmeyer, S. 111 (114); ders., NJW 2009, 1928 (1929); Jacobs, NJW 2009, 1932 (1933); Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (622); Kolbe, in: Bieder/ Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (159); Laws, ZInsO 2009, 1465 (1470); Smid, DZWIR 2010, 45 (53); Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1666); Wegener, NZI 2008, 225 (225); Zwanziger, BB 2007, 42 (43); wohl auch Bork, ZIP 2007, 2337 (2339); Ries, ZInsO 2007, 1037 (1038); siehe auch OLG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 3. 2. 2010 – 5 U 97/09, juris; a.A. Zwanziger, DB 2014, 2391 (2392). 991 Windel, AP § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14 (sub. III.3). 992 Windel, AP § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14 (sub. III.3).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

153

Entgelt für Arbeitsleistungen zu Beginn einer Abrechnungsperiode sei einen Monat länger anfechtungsfest nachzahlbar als die Vergütung für den letzten Tag der Abrechnungsperiode. Windel hält diese abweichende Behandlung innerhalb eines Abrechnungszeitraums für „ungereimt“993. Tatsächlich ist es lediglich die Folge der abschnittsweisen Abrechnung bei Vorleistungspflicht einer Vertragspartei. Der unterschiedliche zeitliche Abstand zwischen dem ersten Tag der Abrechnungsperiode im Vergleich zum letzten Tag im Verhältnis zum Zeitpunkt der Zahlung des Entgelts ist dieser Art der Vertragsabwicklung immanent994. Es ist nicht ungereimt, dass ein Arbeitnehmer bei vereinbarter Fälligkeit zum 15. des Folgemonats am ersten Tag des Abrechnungsmonats für etwa sechs Wochen in Vorleistung tritt, am letzten Tag hingegen nur noch für ca. zwei Wochen. Entgegen der Ansicht des BAG und Windels ist es daher vorzugswürdig, bei Dauerschuldverhältnissen mit regelmäßiger abschnittweiser Pflicht zur Gegenleistung, d. h. auch bei Arbeitsverhältnissen, auf den zeitlichen Abstand zwischen der vorher festgelegten Fälligkeit und der Zahlung abzustellen995. Nur auf diesem Weg berücksichtigt man die Verkehrsauffassung eines engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen den Leistungen hinreichend. (bb) Zuordnung von Zahlungen bei Rückständen Leistet der Arbeitgeber in der Krise bei bestehenden Lohnrückständen noch Zahlungen an die Arbeitnehmer, ist zu fragen, auf welche Zeiträume sich diese Zahlungen jeweils beziehen996. Die Zuordnung ist von Bedeutung, da sie bei einer Zahlung rückständigen Lohns entscheidend dafür sein kann, ob noch ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang i.S.d. § 142 InsO angenommen werden kann. Grundsätzlich richtet sich die Zuordnung der Zahlung nach der Tilgungsbestimmung des Schuldners, vgl. § 366 Abs. 1 BGB. Sie ergibt sich in der Praxis aus den Angaben auf der Lohnabrechnung oder dem Verwendungszweck der Überweisung997. Fehlt eine ausdrückliche Tilgungsbestimmung, wird sich regelmäßig aus § 366 Abs. 2 BGB ergeben, dass die älteste Schuld getilgt werden soll. Das entspricht auch dem Willen des Arbeitgebers998. Das kann allerdings dazu führen, dass eine Zahlung anfechtbar ist, die bei anderer Tilgungsbestimmung (auf die jüngsten Ansprüche) als Bargeschäft geschützt wäre. Um das zu verhindern, schlägt Windel eine zweckorientierte Rechtsfortbildung des § 366 Abs. 2 BGB vor, wonach in der Krise die Tilgung derjenigen Forderung bewirkt wird, welche der Gläubiger unter anfech993

Windel, AP § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14 (sub. III.3). Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (622). 995 Siehe zu Arbeitsverhältnissen die Nachweise in Fn. 990; allgemein zu Dauerschuldverhältnissen: MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 142 Rn. 19; für Dienst- und Geschäftsbesorgungsverträge: FK-InsO/Dauernheim, § 142 Rn. 8; Jaeger/Henckel, InsO, § 142 Rn. 37. 996 Windel spricht von einer „Tilgungsproblematik“, AP § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14 (sub. III.4.). 997 Berscheid, ZInsO 2003, 498 (504). 998 Windel, AP § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14 (sub. III.4.). 994

154

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

tungsrechtlichen Gesichtspunkten am ehesten behalten darf999. Darüber hinaus schlägt er vor „ohne Rücksicht auf den konkreten Tilgungsbezug“ dem Arbeitnehmer so viel Lohn zu belassen, wie ihm nach der für richtig gehaltenen Auslegung des § 142 InsO zusteht1000. Das überzeugt nicht1001. Zum einen steht eine derartige Sonderauslegung für eine einzelne Gläubigergruppe im klaren Widerspruch zum Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung1002. Zum anderen kollidiert sie mit den Vorgaben des EuGH zur Auslegung der Insolvenzschutz-Richtlinie (RL 80/987/EWG)1003. Nach dessen Rechtsprechung im Fall „Regeling“1004 ist Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie dahingehend auszulegen, dass im Fall eines Arbeitnehmers, der offene Entgeltansprüche sowohl für Beschäftigungszeiten hat, die vor dem Bezugszeitraum der Garantieleistungen liegen, auf den sich diese Vorschrift bezieht, als auch für den Bezugszeitraum selbst, die vom Arbeitgeber während des Bezugszeitraum geleisteten Arbeitsentgeltzahlungen vorrangig den vorher entstandenen Ansprüchen des Arbeitnehmers zuzurechnen sind1005. Begründet wird diese Auslegung damit, dass anderenfalls der Umfang des dem Arbeitnehmer gewährten Schutzes durch das Insolvenzgeld von der willkürlichen Entscheidung des Arbeitgebers abhinge, wann er die Lohnnachzahlung leistet1006. Es ist schwer vorstellbar, diese Auslegung nur sozialrechtlich vorzunehmen, anfechtungsrechtlich andererseits die Tilgung der jüngsten Forderung anzunehmen, um ein Bargeschäft annehmen zu können. Daher sind Zahlungen des Arbeitgebers auf offene Entgeltansprüche bei fehlender Tilgungsbestimmung gem. § 366 Abs. 2 BGB auf die ältesten Forderungen anzurechnen. Wird die Zahlung unter einer eindeutigen Tilgungsbestimmung auf die jüngste Schuld – und damit anfechtungsfest – geleistet, kommt zudem eine Anfechtung der Tilgungsbestimmung in Betracht. Der BGH hat die Möglichkeit einer solchen Anfechtung in einem Urteil zur Lohnanfechtung angesprochen, im Ergebnis aber offen gelassen1007. Die besseren Argumente sprechen dafür, eine solche Anfechtung zuzulassen. Der Begriff der Rechtshandlung ist weit auszulegen1008. Er umfasst jedes 999

Windel, AP § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14. (sub. III.4.). Windel, AP § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14. (sub. III.4.). 1001 So auch Ganter, ZIP 2012, 2037 (2044), der die Konstruktion für unnötig hält. 1002 Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (623); zum Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung, siehe unten C.III. 1003 Berscheid, jurisPR-InsR 20/2008 Anm. 3; ders., ZInsO 2003, 498 (504). 1004 EuGH, Urt. v. 14. 7. 1998 – C-125/97, NZA 1998, 1109. 1005 EuGH, Urt. v. 14. 7. 1998 – C-125/97, NZA 1998, 1109 (Leitsatz 1); im Anschluss BSG, Urt. v. 25. 6. 2002 – B 11 AL 90/01 R, ZInsO 2002, 1049 (1051); LSG Niedersachsen/Bremen, Urt. v. 18. 4. 2008 – L 12 AL 273/05, ZInsO 2009, 1128 (nur Leitsatz abgedruckt, siehe juris für Volltext). 1006 EuGH, Urt. v. 14. 7. 1998 – C-125/97, NZA 1998, 1109 (1110); BSG, Urt. v. 25. 6. 2002 – B 11 AL 90/01 R, ZInsO 2002, 1049 (1051). 1007 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1607). 1008 Siehe Fn. 825. 1000

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

155

von einem Willen getragene Handeln vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, das eine rechtliche Wirkung auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann1009. Die rechtliche Wirkung der Tilgungsbestimmung, nämlich die Zuordnung der Leistung, ist unproblematisch. Fraglich ist, ob die Leistungsbestimmung eine nachteilige Veränderung des Schuldnervermögens bewirkt. Der Nachteil erfolgt zunächst durch den Abfluss der Leistung aus dem Vermögen, d. h. durch die Zahlung selbst. Allerdings bewirkt erst die Tilgungsbestimmung, dass die Zahlung anfechtungsfrei ist. Sie stellt eine Zahlung anfechtungsfrei, die ohne Tilgungsbestimmung nach den Regeln des § 366 Abs. 2 BGB anfechtbar wäre. Noch zur Konkursordnung hat etwa das OLG Nürnberg entschieden, dass eine Tilgungsbestimmung selbstständig anfechtbar sei1010. Zwar erging diese Entscheidung zu § 32 Nr. 1 KO, der eine „Verfügung“ voraussetzt. Da der Begriff der Rechtshandlung weiter als der konkursrechtliche Begriff der Verfügung ist, ist es vorzugswürdig, unter der Insolvenzordnung erst recht die Anfechtung der Leistungsbestimmung zuzulassen1011. (cc) Zeitlicher Zusammenhang Es verbleibt die Frage, wie groß die zeitliche Verzögerung zwischen Fälligkeit und Zahlung des Arbeitslohns sein darf, damit der Leistungsaustausch noch unmittelbar i.S.v. § 142 InsO ist. In der Literatur werden hierzu verschiedene Ansichten vertreten. Dabei wird nicht bei allen Autoren klar, ob sie an der Arbeitsleistung oder an der Fälligkeit anknüpfen. Zwanziger hält „einige Tage“1012 für angemessen. Vage bleibt auch Klinck, der fordert, dass die Zahlung „einigermaßen pünktlich“ zu erfolgen hat1013. Huber, Kolbe und Wegener sehen die Grenze bei drei Wochen nach Fälligkeit1014. Ebenfalls vorgeschlagen wird eine Frist von 30 Tagen1015, was der Ansicht des BGH im Fall eines anwaltlichen Beraters entspricht1016. Andere Autoren sehen eine zeitliche Grenze von vier Wochen1017 oder einem Monat1018 als ange1009 BGH, Urt. v. 14. 12. 2006 – IX ZR 102/03, BGHZ 170, 196 (199 f.); BGH, Urt. v. 5. 2. 2004 – IX ZR 473/00, ZInsO 2004, 499 (500). 1010 OLG Nürnberg, Urt. v. 19. 12. 1989 – 1 U 3158/89, NJW-RR 1991, 109 (110). 1011 Der Gesetzgeber wollte die Anfechtungsmöglichkeiten bewusst erweitern, siehe Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 160. 1012 Zwanziger, BB 2007, 42 (43). 1013 Klinck, AP InsO § 130 Nr. 1 (sub. III.). 1014 Huber, NJW 2009, 1928 (1929); ders., in FS Ganter (2010), S. 203 (209); Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (159); Wegener, NZI 2009, 225 (225). 1015 Uhlenbruck/Vallender, § 22 Rn. 168; Berscheid, juris PR-ArbR 38/2010 Anm. 2; Bork, ZIP 2007, 2337 (2338 f.); Ganter, ZIP 2012, 2037 (2040); Laws, ZInsO 2009, 1465 (1469); Andres/Leithaus-Leithaus, InsO, 2. A., § 142 Rn. 4. 1016 BGH, Urt. v. 13. 4. 2006 – IX ZR 158/05, BGHZ 167, 190 ff. 1017 Abele, FA 2009, 133 (133). 1018 Berscheid, juris PR-ArbR 38/2010 Anm. 2; Biebl, in: Jahrbuch des Arbeitsrechts 48 (Dokumentation für das Jahr 2010), S. 63 (64); Laws, ZInsO 2009, 1465 (1470); ErfK/Müller-

156

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

messen. Windel schlägt mit einer Frist von „zwei, höchstens drei Monate[n]“ die mit Abstand längste Zeitspanne vor1019. Der IX. Senat des BGH1020 begründete – wie bereits angesprochen wurde1021 – die von ihm aufgestellte 30-Tagesfrist mit der Verzugsgrenze in § 286 Abs. 3 S. 1 BGB. Schon die Erklärung, dass auf diese Norm mangels anderer Anhaltspunkte zurückgegriffen werde1022, zeigt, dass diese Begründung wenig belastbar ist. Im Übrigen wurde oben1023 dargelegt, dass die Ausführungen des BGH zu anwaltlichen Dienstleistungen nicht direkt auf Arbeitsverhältnisse übertragbar sind. Auch Ganter scheint auf den Verzug abstellen zu wollen, wenn er ausführt, die „Zahlung nach Verzugseintritt kann beim besten Willen nicht mehr als „zeitnah“ privilegiert werden.“1024 Maßgeblich sei daher eine Zahlung bis spätestens am 30. Tag des auf die Abrechnungsperiode folgenden Monats1025. Gleichzeitig möchte er ein Bargeschäft ablehnen, wenn zum Zeitpunkt der Zahlung schon der Lohn für den nächsten Zeitabschnitt fällig war1026. Dass diese zweigleisige Orientierung an Verzug und monatlicher Abrechnung nicht aufgeht, folgt schon daraus, dass nicht alle Monate 30 Tage haben. Darüber hinaus ignoriert Ganter – zu Unrecht1027 – die vertragliche Fälligkeit und greift stattdessen immer gem. § 614 S. 2 BGB auf das Ende des Monats zurück1028. Der erste Teil seiner Begründung wurde bereits zuvor von einigen der Autoren, die eine Frist von 30 Tagen oder einem Monat vertreten, vorgebracht; auch sie rechtfertigen die Länge der vorgeschlagenen Frist damit, dass es sich um die übliche Lohnperiode handele1029. Erfolge bei abschnittsweisem Leistungsaustausch die Lohnzahlung zu einem Zeitpunkt, in dem bereits die nächste periodische Zahlung fällig sei, liege ein kreditorisches Geschäft vor1030. Nach insolvenzrechtlicher Glöge11, InsO Einführung Rn. 24; Pieper, ZInsO 2009, 1425 (1431); Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 22 Rn. 168. 1019 Windel, AP § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14 (sub. III.3.). 1020 BGH, Urt. v. 13. 4. 2006 – IX ZR 158/05, BGHZ 167, 190 (201). 1021 Siehe oben B.II.4.c)cc)(2)(a). 1022 BGH, Urt. v. 13. 4. 2006 – IX ZR 158/05, BGHZ 167, 190 (201). 1023 B.II.4.c)cc)(2)(b). 1024 Ganter, ZIP 2012, 2037 (2044). 1025 Ganter, ZIP 2012, 2037 (2044). 1026 Ganter, ZIP 2012, 2037 (2044). 1027 Zur Frage des richtigen Anknüpfungspunktes, siehe oben B.II.4.c)cc)(2)(b)(aa). 1028 Ganter, ZIP 2012, 2037 (2044). 1029 Ausdrücklich: Berscheid, juris PR-ArbR 38/2010 Anm. 2; Biebl, in: Jahrbuch des Arbeitsrechts 48 (Dokumentation für das Jahr 2010), S. 63 (64); Bork, ZIP 2007, 2337 (2338); Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (623); ErfK/Müller-Glöge11, InsO Einführung Rn. 24; Ries, ZInsO 2007, 1037 (1038); Uhlenbruck/Vallender, § 22 Rn. 168. Auch hier ist der Hinweis angebracht, dass die übliche Lohnperiode nicht 30 Tage, sondern einen Monat beträgt. 1030 Berscheid, juris PR-ArbR 38/2010 Anm. 2; Bork, ZIP 2007, 2337 (2338); Ries, ZInsO 2007, 1037 (1038).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

157

Dogmatik kann aber bei einer Kreditgewährung kein Bargeschäft mehr angenommen werden1031. Tatsächlich spricht der Wortsinn des § 142 InsO dafür, keinen „unmittelbaren“ Leistungsaustausch anzunehmen, wenn für bereits abgelaufene Austauschzeiträume Nachzahlungen geleistet werden. Die abwechselnde, gewissermaßen rhythmische, Leistungsabfolge ist dann nämlich aus dem Tritt geraten. Spätestens in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitnehmer trotz Fälligkeit der nächsten Lohnzahlung weiter arbeitet, geht er über seine Vorleistungspflicht hinaus1032. Er arbeitet weiter, weil er an die fortbestehende Leistungsfähigkeit seines Arbeitgebers glaubt. Dieses Verhalten ist schon begrifflich die Gewährung eines Kredits. „Kredit“ bedeutet nicht nur „die einer Person oder einem Unternehmen kurz- oder langfristig zur Verfügung stehenden fremden Geldmittel oder Sachgüter“1033 oder ein „gewährter Zahlungsaufschub; Stundung“1034, sondern auch das „Vertrauen in die Fähigkeit und Bereitschaft einer Person oder eines Unternehmens, bestehende Verbindlichkeiten ordnungsgemäß und zum richtigen Zeitpunkt zu begleichen“1035. Es wurde bereits ausgeführt, dass ein Kredit im Sinne der insolvenzrechtlichen Dogmatik zum Bargeschäft nicht voraussetzt, dass der Gläubiger den Zahlungsaufschub freiwillig gewährt hat1036. Dass der Arbeitgeber sich den Kredit beim Arbeitnehmer durch schlichte Nichtleistung selbst verschafft, ist für die Annahme eines kreditorischen Geschäfts unerheblich. Für das Abstellen auf den Ablauf einer weiteren Lohnperiode als maßgebliche Grenze für die Annahme eines Bargeschäfts spricht damit, dass sich diese Lösung widerspruchsfrei in die allgemeinen anfechtungsrechtlichen Dogmatik einfügt. Sie überzeugt auch, weil es sich um ein für alle Beteiligten leicht nachvollziehbares Kriterium handelt. Im Sinne einer in sich stimmigen Rechtslage sollte dieser Grenzziehung entsprechend ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit des nächsten Monatslohns bei ausgebliebener Zahlung für den Vormonat den Arbeitnehmern ihr Zurückbehaltungsrecht zugestanden werden1037. (c) Rechtsprechung des BAG und Reaktion des BGH Eine andere Konzeption verfolgt allerdings das BAG, das nach dem Beschluss des GmS-OGB vom 27. Mai 20101038 nunmehr das letzte Wort in Fällen der Lohnanfechtung hat1039. Der Sechste Senat des BAG greift in seiner Grundsatzentscheidung

1031 1032 1033 1034 1035 1036 1037 1038 1039

Siehe oben B.II.4.c)cc). Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (623). Duden, Fremdwörterbuch, Stichwort „Kredit“. Duden, Fremdwörterbuch, Stichwort „Kredit“. Duden, Fremdwörterbuch, Stichwort „Kredit“. B.II.4.c)cc)(2). Zum Zurückbehaltungsrecht, siehe oben B.II.2.e)aa). GmS-OGB, Beschl. v. 27. 9. 2010 – GmS-OGB 1/09, BGHZ 187, 105. Zur Rechtswegfrage siehe unten E.

158

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

zur Lohnanfechtung den Vorschlag Windels1040 auf und stellt den Grundsatz auf, dass eine Zahlung für vom Arbeitnehmer in den vorhergehenden drei Monaten erbrachte Arbeitsleistungen grundsätzlich ein Bargeschäft ist1041. Zu beachten ist, dass das BAG bei der Fristberechnung nicht auf die Fälligkeit, sondern allein auf die Arbeitsleistung abstellt1042. Es nimmt dabei eine tagesgenaue Subsumtion vor, die zu einer unterschiedlichen Behandlung der einzelnen Arbeitstage innerhalb einer Abrechnungsperiode führt1043. (aa) Begründung des BAG Im Folgenden soll die Begründung des BAG einer kritischen Würdigung unterzogen werden, wobei die in der obigen Analyse vorgebrachten Argumente nicht vollständig wiederholt werden. Die Behandlung der Ansicht des BAG erfolgt hier getrennt von den vorstehenden Ausführungen, weil diese Rechtsprechung in Ergebnis und Begründung so weit von der insolvenzrechtlichen Dogmatik und den zuvor ergangenen Äußerungen im Schrifttum abweicht, dass eine gemeinsame Abhandlung kaum möglich ist. Das BAG begründet zunächst seine mangelnde Orientierung an der Rechtsprechung des BGH zu Dienstverhältnissen1044 in Anlehnung an Windel1045 damit, dass im Arbeitsverhältnis nicht abschnittsweise, sondern dauernd geleistet werde1046. Auf einen solchen dauernden Leistungsaustausch seien die Grundsätze des BGH zum abschnittsweisen Leistungsaustausch daher nicht übertragbar. Auch wenn dem im Ergebnis zuzustimmen ist1047, ist die Annahme einer „dauernden“ Leistung zweifelhaft. Maßgeblich für die Feststellung eines Bargeschäfts ist nicht eine abschnittsweise Leistung, sondern ein abschnittsweiser Leistungsaustausch. Betrachtet man den Leistungsaustausch im Arbeitsverhältnis als Ganzes, findet dieser in Abschnitten statt1048: Der Arbeitnehmer erhält für seine Arbeit jeden Monat seinen Lohn. Die Arbeitsleistung eines Monats und das dafür bezahlte Entgelt können ohne 1040

Windel, AP § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14 (sub. III.3.). BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (39); am selben Tag ergingen zum gleichen Themenkomplex die weiteren Entscheidungen 6 AZR 585/10, ZInsO 2012, 271; 6 AZR 731/10, juris; 6 AZR 732/10, ZInsO 2012, 834; zustimmend: Abele, FA 2012, 38 (40); Hoffmann-Remy, BB 2012, 582 f.; Wroblewski, NJW 2012, 894 (897); ablehnend: Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197 (208 f.); Ganter, ZIP 2012, 2037 (2043); Huber, EWiR 2011, 817 f.; Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (624); Klinck, DB 2014, 2455 (2459); Plathner/Sajogo, ZInsO 2012, 581 (584). 1042 Ablehnend dazu oben B.II.4.c)cc)(2)(b)(aa). 1043 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (38); dazu Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (623). 1044 Siehe oben B.II.4.c)cc)(2)(a). 1045 Windel, AP § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14 (sub. III.3.). 1046 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (39); ähnlich Zwanziger, DB 2014, 2391 (2392). 1047 Zur mangelnden Übertragbarkeit siehe oben B.II.4.c)cc)(2)(b). 1048 Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (621). 1041

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

159

weiteres getrennt betrachtet und einander zugeordnet werden. Genau das geschieht üblicherweise in der Lohnabrechnung. Die größere Besonderheit in der BAG-Rechtsprechung liegt jedoch in der Wahl der Dreimonatsfrist, die im Vergleich zu den Vorschlägen der Literatur1049 sehr lang ist. In seiner Begründung führt der Sechste Senat aus, die genauen zeitlichen Grenzen des unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs ließen sich nicht allgemeingültig, sondern nur anhand der Verkehrsauffassung bestimmen; damit hänge die Feststellung eines Bargeschäfts von der Art der ausgetauschten Leistungen und davon ab, in welcher Zeitspanne der Austausch nach den Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs vollzogen werde1050. Verspätete Lohnzahlungen seien in nicht wenigen Branchen schon fast die Regel1051. Das spreche für eine lange Frist. Brinkmann bezweifelt bereits die empirische Richtigkeit der Behauptung verbreiteter Verzögerungen1052. Außerdem ist fragwürdig, ob Arbeitnehmer, die über längere Zeit ihren Lohn nur mit Verzögerung erhalten, diese Lohnzahlungen als unmittelbaren Leistungsaustausch im Sinne einer verkehrsüblichen Vertragsabwicklung wahrnehmen1053. Treffend führt Ganter gegen die Argumentation des BAG an, dass „eine Unsitte, dadurch, dass sie mehr und mehr einreißt, noch nicht zur Verkehrssitte“1054 werde. Ohnehin könnte eine solche Gepflogenheit aufgrund der gebotenen Einzelfallbetrachtung nur in den entsprechenden Branchen eine Ausdehnung des Bargeschäftszeitraums rechtfertigen, nicht aber in anderen Bereichen1055. Schwerer wiegt ein weiterer Mangel der Argumentation des Senats: Wendete man dieses Argument auf andere Gläubiger an, bei denen typischerweise verzögerte Leistungen stattfinden, z. B. Lieferanten, müssten in einigen Branchen pauschal enorm lange Bargeschäftszeiträume angenommen werden1056. Im Ergebnis käme es zu einer starken Entwertung des § 130 InsO, die nicht überzeugen kann1057. Zur Begründung der Dreimonatsfrist führt das BAG zudem aus, Arbeitnehmer pflegten Forderungen für Arbeitsleistungen der letzten drei Monate „im Hinblick auf den in § 183 Abs. 1 S. 1 SGB III festgesetzten Insolvenzgeldzeitraum zumeist als abgesichert anzusehen“1058. Aus diesem Grund liege nach der maßgeblichen Verkehrsauffassung bei einer Entgeltzahlung in Bezug auf Arbeitsleistungen in den 1049

Siehe oben B.II.4.c)cc)(2)(b)(cc). BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (38 f.). 1051 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (39). 1052 Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197 (208); zustimmend BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1604); dagegen Zwanziger, DB 2014, 2391 (2392). 1053 Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (623). 1054 Ganter, ZIP 2012, 2037 (2043). 1055 Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (623); zustimmend BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1604). 1056 Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197 (209). 1057 Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197 (209). 1058 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (39); dies aufgreifend wiederum BAG, Urt. v. 8. 5. 2014 – 6 AZR 722/12, ZInsO 2014, 1758 (1760). 1050

160

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

vorangegangenen drei Monaten der erforderliche enge zeitliche Zusammenhang noch vor. Dieser Rückgriff auf den Insolvenzgeldzeitraum ist willkürlich und verkennt die Funktion des Bargeschäftsprivilegs1059. § 142 InsO schützt das Vertrauen des Vertragspartners in den Bestand unmittelbar abgewickelter Geschäfte mit dem Schuldner und nicht das Vertrauen, dass eigene Forderungen im Falle der Insolvenz des Schuldners von einer dritten Stelle – hier der Bundesagentur für Arbeit – beglichen werden1060. Das BAG verweist desweiteren auf den Zweck des § 142 InsO, den Gemeinschuldner in der Krise nicht vom Geschäftsverkehr auszuschließen, soweit die Gläubigergesamtheit nicht beeinträchtigt wird1061. In der Krise setze der Fortbestand des Unternehmens als funktionelle Einheit auch die Weiterarbeit der Arbeitnehmer trotz Zahlungsrückständen voraus. Die Arbeitnehmer seien zur Weiterarbeit nur bereit, wenn sie durch das Insolvenzgeld gesichert seien. Die Anfechtbarkeit von Zahlungen, die Arbeitsleistungen der vorhergehenden drei Monate entlohnten, schließe den Schuldner faktisch vom Geschäftsverkehr aus und widerspreche damit dem telos des § 142 InsO. Es ist richtig, dass der Verbleib und die Kooperation der Arbeitnehmer eine wesentliche Voraussetzung einer erfolgreichen Sanierung sind. Es ist aber nicht Zweck des § 142 InsO, alle Rechtshandlungen von der Anfechtung auszunehmen, die in irgendeiner Form einen mittelbar positiven Effekt für das Schuldnerunternehmen oder dessen Gläubiger haben1062. Eine solche Auslegung überdehnt den als Ausnahmeregel konzipierten §142 InsO und schränkt damit das Institut der Insolvenzanfechtung, das der Gesetzgeber bewusst schärfen wollte1063, über Gebühr ein1064. Die Argumentation ließe sich auf andere Gläubiger übertragen1065. Jeder Lieferant oder Darlehensgeber könnte anfechtungsfest stark verspätete Leistungen des Schuldners erhalten, solange seine fortgesetzte Kooperation für die Sanierung elementar ist und er dementsprechend bei Laune gehalten werden muss. Die vom BAG postulierte Auslegung des § 142 InsO führt im Ergebnis zu einer Besserstellung der Arbeitnehmer gegenüber anderen Gläubigern, die im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers der Insolvenzordnung und dem Grundsatz der

1059 Mit deutlicher Ablehnung auch Huber, in: FS Haarmeyer, S. 111 (122 ff.), der die Argumentation des BAG für eine petitio principii hält. 1060 Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (623); zustimmend Ganter, ZIP 2012, 2037 (2043); ähnlich Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197 (209). 1061 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (39) in offensichtlicher Anlehnung an Windel, AP § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14 (sub. III.3.); zu diesem Zweck siehe oben B.II.4.c)aa). 1062 Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (623); Kayser, in: FS Fischer, S. 267 (272 f.). 1063 Siehe oben B.I.2.h)bb)(3). 1064 Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (623); Kayser, in: FS Fischer, S. 267 (272 f.). 1065 Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197 (209); Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (623 f.).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

161

Gläubigergleichbehandlung steht1066. Es ist festzuhalten, dass die vom BAG aufgestellten Leitlinien zur Anwendung des § 142 InsO im Rahmen von Arbeitsverhältnissen abzulehnen sind1067. Sie fügen sich nicht in die insolvenzrechtliche Dogmatik ein, überdehnen den Zweck der Vorschrift und führen zu einer nicht im Gesetz angelegten Privilegierung der Arbeitnehmer. (bb) Kritik des BGH Auch der BGH nutzte die Chance, der Auslegung des § 142 InsO durch das BAG eine deutliche Absage zu erteilen. Die Möglichkeit hierzu bot sich dem BGH entgegen der eigentlichen Zuständigkeit1068 der Arbeitsgerichtsbarkeit nur, da er als Rechtsmittelgericht gemäß § 17a Abs. 5 GVG die Zulässigkeit des Rechtswegs nicht zu prüfen hatte. Mit seinem Urteil vom 10. Juli 20141069 stellte der IX. Senat eine eigene Konzeption zum Bargeschäftsprivileg im Arbeitsverhältnis auf und begründete diese umfassend. Das Bargeschäftsprivileg soll danach gelten, sofern die Gegenleistung des Arbeitgebers binnen 30 Tagen nach der Fälligkeit bewirkt wird. Für den Anknüpfungspunkt schließt sich der BGH der herrschenden Auffassung der Literatur an1070 : Maßgeblich sei nicht die Arbeitsleistung, sondern die Fälligkeit des Entgelts1071. Es entspreche dem allgemeinen Rechtsverkehr, dass Lohnzahlungen monatlich erfolgten, wobei deren Fälligkeit kollektivvertraglich modifizierbar sei1072. Die unterschiedliche Abwicklung von Arbeitsverträgen im Vergleich zu anwaltlichen Dienstleistungsbeziehungen lasse eine Übertragung der dort geltenden Rechtssätze nicht zu1073. An den Beginn der Tätigkeit des Arbeitnehmers könne aufgrund seiner Vorleistungspflicht nicht angeknüpft werden, da zu diesem Zeitpunkt sein Vergütungsanspruch noch gar nicht entstanden sei1074. Bei der Frage der Unmittelbarkeit übernimmt der IX. Senat grundsätzlich seine Rechtsprechung zu Dienstverhältnissen; zur Herleitung der 30-Tagesfrist greift er wiederum ohne 1066 Huber, ZInsO 2013, 1049 (1054); Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (627); Kreft, ZIP 2013, 241 (252); Plathner/Sajogo, ZInsO 2012, 581 (585). 1067 So auch: Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197 (208 f.); Ganter, ZIP 2012, 2037 (2043); Huber, in: FS Haarmeyer, S. 111 (122); ders., EWiR 2011, 817 f.; Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (624); Kreft, ZIP 2013, 241 (252); Plathner/Sajogo, ZInsO 2012, 581 (584); nun auch BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1605). 1068 Siehe dazu unten E.; wie es zur Zuständigkeit in erster Instanz kam, ergibt sich aus den vorinstanzlichen Urteilen nicht, siehe LG Siegen, Urt. v. 29. 7. 2013 – 3 S 35/12, juris sowie AG Siegen, Urt. v. 5. 4. 2012 – 14 C 2967/11, juris. 1069 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 ff.; ablehnend: Zwanziger, DB 2014, 2391 ff. Das Urteil enthält maßgebliche Aussagen zum subjektiven Tatbestand des § 133 InsO in Fällen eines unmittelbaren Leistungsaustausches, siehe dazu unten B.II.4.f)cc). 1070 Siehe Fn. 990. 1071 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1606). 1072 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1606). 1073 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1606); zu diesen Rechtssätzen siehe oben B.II.4.c)cc)(2)(a). 1074 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1606).

162

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

weitere Erläuterung auf § 286 Abs. 3 BGB zurück1075. Zusätzlich weist er jedoch darauf hin, dass bei kürzeren Abrechnungsperioden ein Bargeschäft bereits dann ausscheide, wenn zum Zeitpunkt der Zahlung bereits der Lohn für den nächsten Abschnitt fällig war1076. Der Anknüpfung an die Fälligkeit durch den BGH ist nach den obigen Überlegungen zuzustimmen1077. Weniger überzeugend ist das starre Festhalten an der 30Tagesfrist. Diese Handhabung ignoriert die unterschiedliche Länge der Abrechnungszeiträume aufgrund simpler kalendarischer Gegebenheiten; diese können ohne ersichtliche Nachteile durch das Abstellen auf eine Monatsfrist berücksichtigt werden1078. Bemerkenswert ist, mit welcher Vehemenz der BGH sich in den Urteilsgründen gegen die Dreimonatsregel des BAG wendet1079. In der Begründung greift er die oben dargestellten Kritikpunkte der Literatur weitgehend auf. Darüber hinaus drückt der BGH seine Missbilligung für die Auffassung des BAG durch den Hinweis aus, dessen Auslegung sei mit der Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht vereinbar1080. Der Gesetzgeber habe bei Schaffung der Insolvenzordnung bewusst auf die Privilegierung einzelner Gläubigergruppen verzichtet1081. Diese gesetzgeberische Entscheidung führe zu einem geschlossenen System, so dass fehlende Privilegien gerade nicht als Gesetzeslücke betrachtet werden könnten1082. Bei § 142 InsO handele es sich um eine Ausnahmeregelung, so dass „aus rechtsmethodischen Gründen für eine erweiternde Auslegung von vornherein kein Raum“ sei1083. Der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung gelte auch im Anfechtungsrecht; ein privilegierter Zugriff einzelner Gläubiger könne nur von Gesetzes wegen eingeräumt werden1084. Eine unterschiedliche Handhabung der anfechtungsrechtlichen Tatbestandsmerkmale je nach Gläubigergruppe laufe „letztlich auf eine Zuteilung der Masse aufgrund richterlicher Billigkeitsentscheidung hinaus.“1085

1075

BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1605). BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1606). 1077 Siehe oben B.II.4.c)cc)(2)(b)(aa). 1078 Siehe oben B.II.4.c)cc)(2)(b)(cc). 1079 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1604). 1080 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1604), unter Bezugnahme auf Huber, ZInsO 2013, 1049 (1054) und Kreft, ZIP 2013, 241 (250 f.), der die Verfassungswidrigkeit allerdings in Bezug auf die Rechtswegfrage anspricht. 1081 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1604); dazu ausführlich oben B.I.2.h)bb)(2); siehe auch Huber, ZInsO 2013, 1049 (1054 f.). 1082 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1605). 1083 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1604) unter Bezugnahme auf Ganter, ZIP 2012, 2037 (2038); dagegen Zwanziger, DB 2014, 2391 (2393). 1084 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1605); vgl. auch Huber, in: FS Haarmeyer, S. 111 (115) entspricht weitgehend ders., ZInsO 2013, 1049 (1054). 1085 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1605). 1076

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

163

Interessant ist zudem das Argument des BGH, die Privilegierung einer Gläubigergruppe führe zwangsläufig zur Schlechterstellung der übrigen Gläubiger; werde dabei deren Quote vermindert, steige das Risiko von Folgeinsolvenzen, was zu Lasten der dort beschäftigten Arbeitnehmer gehe1086. Auf diese Fragen der Gleichbehandlung wird später vertieft einzugehen sein1087. (cc) Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung Der Vorwurf des BGH, die Auslegung des BAG sei mit der Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht vereinbar, weil sich das Gericht über die Schranken richterlicher Rechtsfortbildung hinwegsetze, kann nicht unkommentiert bleiben. Zwanziger widerspricht diesem Vorwurf mit dem Argument, es handele sich schon gar nicht um Rechtsfortbildung, sondern um die weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals „unmittelbar“1088. Maßgeblich für die Verfassungsmäßigkeit der Dreimonatsrechtsprechung ist – wie Zwanziger zu Recht ausführt1089 – ob sich das BAG noch im Bereich einer weiten Auslegung bewegt oder ob es das Recht fortbildet, also etwas Neues schafft. Wann ein Gericht das Gesetz noch auslegt und wo die Grenzen zur Rechtsfortbildung liegen, ist nicht abschließend geklärt1090. Der BGH argumentiert gegen die Rechtsprechung des BAG mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Einordnung von Sozialplanabfindungen im Konkurs1091. Die damals vom BAG geschaffene „Rangstelle Null“1092 ging in ihrer schöpferischen Reichweite sicherlich über die Dreimonatsrechtsprechung hinaus. Nach der vom BGH in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist maßgeblich, ob die gesetzlichen Regelungen einen Anhaltspunkt dafür bieten, zu dem vom Gericht gefundenen Ergebnis zu gelangen1093. In jüngeren Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, dass es seine Kontrolle darauf beschränkt, ob das Fachgericht die gesetzgeberische Grundentscheidung respektiert und von den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung in vertretbarer Weise Gebrauch gemacht hat1094. Ein Verstoß liege vor, wenn die Interpretation „den Wortlaut des Gesetzes hintanstellt und sich über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers 1086

BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1605). Siehe unten C.III. 1088 Zwanziger, DB 2014, 2391 (2393). 1089 Zwanziger, DB 2014, 2391 (2393). 1090 Ossenbühl, in: HStR V, § 100 Rn. 50. 1091 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1605); siehe BVerfG, Beschl. v. 19. 10. 1983 – 2 BvR 485/80, 2 BvR 486/80, BVerfGE 65, 182 ff. 1092 BAG – Großer Senat –, Beschl. v. 13. 12. 1978 – GS 1/77, BAGE 31, 177 ff. 1093 BVerfG, Beschl. v. 19. 10. 1983 – 2 BvR 485/80, 2 BvR 486/80, BVerfGE 65, 182, 191. 1094 BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 3. 3. 2015 – 1 BvR 3226/14, juris; BVerfG, Beschl. v. 25. 1. 2011 – 1 BvR 918/10, BVerfGE 128, 193 (210); BVerfG, Beschl. v. 3. 4. 1990 – 1 BvR 1186/89, BVerfGE 82, 6 (11 f.). 1087

164

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

hinwegsetzt“1095. Auf der anderen Seite genüge es nicht, dass eine Entscheidung am einfachen Recht gemessen objektiv fehlerhaft ist1096. Mit dem Merkmal der Unmittelbarkeit enthält § 142 InsO zumindest ein gesetzlich fixiertes Einfallstor für eine weite Auslegung. Einen solchen Ansatzpunkt gab es für die „Rangstelle Null“ demgegenüber in § 61 KO nicht. Zudem ist zwar nach der hier vertretenen Auffassung aus der Gesetzgebungsgeschichte der Insolvenzordnung zu schließen, dass der Gesetzgeber alle Privilegien für einzelne Gruppen abschaffen wollte. Allerdings findet man ausdrückliche Aussagen mit diesem Inhalt nur in Bezug auf die Privilegien des § 61 KO oder „entsprechende“ Regelungen1097. Für das Anfechtungsrecht im Allgemeinen oder das Bargeschäftsprivileg im Speziellen gibt es aber – soweit ersichtlich – keine derartigen Aussagen1098. Man wird dem BAG daher nicht vorwerfen können, sich über den „klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers“ hinwegzusetzen. Faktisch führt die Dreimonatsrechtsprechung dennoch zu einer gruppenspezifischen Privilegierung der Arbeitnehmer1099. Sie ist abzulehnen. Verfassungswidrig ist sie nach der hier vertretenen Auffassung aber nicht1100. (d) Weiterarbeit als Gegenleistung Einen eigenen Begründungsansatz zur Verhinderung von Lohnanfechtungen vertritt Wroblewski1101. Er möchte der verspäteten Entgeltzahlung als Gegenleistung die künftige Bereitstellung der Arbeitskraft gegenüberstellen1102. Die Arbeitnehmer kreditierten aufgrund ihrer Vorleistungspflicht den Arbeitgeber durch ihre Weiterarbeit, obwohl ihnen bei Rückständen ein Leistungsverweigerungsrecht zustehe. Der Austausch von Entgelt gegen Weiterarbeit beruhe auf einer konkludenten Vereinbarung durch Zahlung einerseits und Weiterarbeit andererseits1103. Die Weiterarbeit folge unmittelbar nach der Entgeltzahlung und sei auch gleichwertig, weil durch sie Wertschöpfung beim Schuldner stattfinde. Nach dieser Konstruktion soll die Entgeltzahlung mithin als Bargeschäft von der Kongruenzanfechtung ausgenommen sein.

1095

BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 3. 3. 2015 – 1 BvR 3226/14, juris; BVerfG, Beschl. v. 25. 1. 2011 – 1 BvR 918/10, BVerfGE 128, 193 (210). 1096 BVerfG, Beschl. v. 25. 1. 2011 – 1 BvR 918/10, BVerfGE 128, 193 (209); BVerfG, Urt. v. 7. 6. 2005 – 1 BvR 1508/96, BVerfGE 113, 88 (103); BVerfG, Entsch. v. 10. 6. 1964 – 1 BvR 37/ 63, BVerfGE 18, 85 (92 f.). 1097 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 81, 90. 1098 So auch Zwanziger, DB 2014, 2391 (2393). 1099 Siehe oben B.II.4.c)cc)(2)(c)(aa). 1100 So ohne nähere Begründung auch Marotzke, JZ 2014, 1118 (1118). 1101 Wroblewski, NJW 2012, 894 (895 ff.); ähnlich Zwanziger, DB 2014, 2391 (2392). 1102 Wroblewski, NJW 2012, 894 (895). 1103 Wroblewski, NJW 2012, 894 (896).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

165

Schon die Annahme einer konkludenten Verknüpfung der Entgeltnachzahlung mit der Weiterarbeit überzeugt nicht. Bereits im Jahr 2004 hat das BAG in einer ähnlichen Konstellation die Annahme einer neuen, „vom Schuldgrund des Arbeitsvertrags losgelöste[n] Verpflichtung“ abgelehnt1104. In der Zusage der Nachzahlungen durch den Arbeitgeber sah das BAG im zugrundeliegenden Fall lediglich die Bekundung von Erfüllungsbereitschaft bezüglich der bereits aus dem Arbeitsvertrag und der Vorleistung des Arbeitnehmers ergebenden Zahlungspflichten1105. Dem ist zuzustimmen. Der Gegenwert zur verspäteten Lohnzahlung liegt in den bereits zuvor erbrachten und insoweit abgeschlossenen Arbeitsleistungen. Die fortgesetzte Arbeit ist nicht die Gegenleistung für diese Zahlungen1106. Vielmehr stehen den neuen Arbeitsleistungen synallagmatisch die hierfür wiederum entstehenden neuen Entgeltforderungen gegenüber1107. Schlägt man beim ursprünglichen Leistungsaustausch „Lohn gegen Arbeit“ auf Seiten des Arbeitnehmers die Weiterarbeit zu, kann ohnehin keine Kongruenz mehr angenommen werden1108. Nur eine der Parteivereinbarung entsprechende und damit kongruente Leistung kann aber überhaupt ein Bargeschäft sein1109. Im Übrigen ist zweifelhaft, ob bei einer solchen zusätzlichen Gegenleistung des Arbeitnehmers in Form der Weiterarbeit noch von einer Gleichwertigkeit der ausgetauschten Leistungen ausgegangen werden könnte. Gegen eine über die ursprüngliche Verknüpfung von Arbeit und Lohn hinausgehende Auslegung des § 142 InsO spricht zudem, dass diese dem Ausnahmecharakter der Norm nicht gerecht wird1110. Selbst wenn eine ausdrückliche Vereinbarung über einen Austausch „Entgelt gegen Weiterarbeit“ vorläge, wäre die Annahme eines Bargeschäfts abzulehnen. Hier gilt, was für die Frage der Gläubigerbenachteiligung bereits ausgeführt wurde1111: Bei einer derartigen Anwendung der Norm könnte jeder dauerhaft mit dem Schuldner verbundenen Gläubiger seine fortgesetzte Kooperation von der Zahlung auf Altforderungen abhängig machen, ohne eine spätere Anfechtung fürchten zu müssen. Damit würde das Institut der Insolvenzanfechtung über Gebühr und gegen den Willen des Gesetzgebers entwertet. Der Ansatz Wroblewskis ist abzulehnen1112. 1104

BAG, Urt. v. 27. 10. 2004 – 10 AZR 123/04, ZInsO 2005, 388 (389). BAG, Urt. v. 27. 10. 2004 – 10 AZR 123/04, ZInsO 2005, 388 (389). 1106 Ganter, ZIP 2012, 2037 (2043); vgl. auch OLG Stuttgart, Urt. v. 24. 7. 2002 – 3 U 14/02, ZIP 2002, 1900 (1902). 1107 Ganter, ZIP 2012, 2037 (2044); für rückständige Stromrechnungen entsprechend BGH, Urt. v. 30. 1. 1986 – XI ZR 79/85, BGHZ 97, 87 (94); für das Arbeitsverhältnis so nun auch BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1604). 1108 KPB/Pape, § 22 Rn. 104. 1109 BGH, Urt. v. 23. 9. 2010 – IX ZR 212/09, ZInsO 2010, 1929 (1932). 1110 Ganter, ZIP 2012, 2037 (2038); zum Ausnahmecharakter der Norm siehe BGH, Urt. v. 23. 9. 2010 – IX ZR 212/09, ZInsO 2010, 1929 (1933). 1111 Siehe oben B.II.4.a)cc)(2). 1112 So auch Ganter, ZIP 2012, 2037 (2043); Klinck, DB 2014, 2455 (2460). 1105

166

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

(3) Zwischenergebnis Nach zutreffender Ansicht ist bei der Feststellung eines Bargeschäfts im Arbeitsverhältnis auf den Abstand zwischen der Fälligkeit des Lohns und der hierauf erfolgenden Zahlung abzustellen. Fehlt eine Tilgungsbestimmung, ist die Zahlung der ältesten offenen Forderung zuzurechnen. Die Annahme eines unmittelbaren Leistungsaustauschs i.S.d. § 142 InsO ist ab dem Zeitpunkt ausgeschlossen, in dem der Lohn für die nächsten Abrechnungszeitraum fällig wird. Die Dreimonatsrechtsprechung des BAG ist abzulehnen, verletzt die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung aber nicht. d) Anfechtung von Deckungshandlungen Als erste Gruppe der Anfechtungstatbestände sind die §§ 130, 131 InsO darauf zu untersuchen, inwieweit sie die Anfechtung von Lohnzahlungen ermöglichen. aa) Allgemeines Die §§ 130 und 131 InsO befassen sich mit der Anfechtung sog. Deckungshandlungen und werden dementsprechend unter dem Begriff „Deckungsanfechtung“ zusammengefasst. (1) Deckungshandlung Unter einer Deckung versteht man eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung seiner Forderung gegen den Schuldner gewährt oder ermöglicht hat (§§ 130 Abs. 1, § 131 Abs. 1 InsO)1113. Wie oben gesehen, handelt es sich bei den Arbeitnehmern in Bezug auf ihre Lohnforderungen aus der Zeit vor der Verfahrenseröffnung um Insolvenzgläubiger i.S.d. § 38 InsO1114. In Fällen der Lohnanfechtung liegt die Deckung in der Auszahlung des rückständigen Arbeitsentgelts. Ob die Zahlung in bar oder im Wege einer Überweisung erfolgt, ist für das Vorliegen einer Deckung unerheblich. (2) Kongruenz Maßgeblich für die Abgrenzung des § 131 InsO von § 130 InsO ist das Kriterium der sog. Kongruenz bzw. Inkongruenz. Im Rahmen des § 130 InsO ist eine Definition der „Kongruenz“ eigentlich nicht erforderlich; denn der Tatbestand ist entgegen der Überschrift „Kongruenzanfechtung“ nicht auf kongruente Deckungen beschränkt,

1113 1114

Zum Zweck der Deckungsanfechtung siehe oben B.I.4.d)bb). Siehe oben B.II.2.c)aa).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

167

sondern erlaubt ebenso die Anfechtung inkongruenter Deckungen1115. Nur im Rahmen des § 131 InsO, der Inkongruenz voraussetzt, ist die Unterscheidung zwischen Kongruenz und Inkongruenz bedeutsam. Daher erfolgt eine genauere Untersuchung zur Inkongruenz von Lohnzahlungen später bei § 131 InsO1116. Dennoch muss bereits an dieser Stelle kurz auf das Kriterium der Kongruenz eingegangen werden, um die Bedeutung des § 130 InsO für die Lohnanfechtung zu verdeutlichen: Eine Deckung ist kongruent, wenn der Gläubiger auf die entsprechende Sicherung oder Befriedigung einen vertraglichen Anspruch hat, d. h. ihm diese gebührt1117. Erforderlich ist, dass die erbrachte Leistung mit der geschuldeten identisch ist, was voraussetzt, dass der Schuldner die geschuldete Leistung gemäß der vertraglichen Vereinbarung zur richtigen Zeit und in der richtigen Art erbringt (vgl. § 131 InsO). Eine verspätete Leistungserbringung durch den Schuldner ist jedoch grundsätzlich kongruent, weil die Insolvenzgläubiger durch die Verspätung in der Regel nicht benachteiligt sind1118. Daraus folgt, dass Lohnzahlungen, auch wenn sie verspätet erfolgen, in aller Regel kongruente Deckungen sind1119. Der Arbeitnehmer erhält mit der Lohnzahlung nur das, was ihm nach dem vertraglichen Pflichtenprogramm auch gebührt; an der Kongruenz ändert die Zahlung des Lohns im Wege einer Banküberweisung nichts, weil sie verkehrsüblich ist1120. Aufgrund der Kongruenz, d. h. der fehlenden Inkongruenz, ist § 130 InsO der wichtigste Anfechtungstatbestand im Rahmen von Lohnanfechtungen. bb) Kongruenzanfechtung, § 130 InsO § 130 InsO erlaubt die Anfechtung von Deckungen innerhalb einer Vornahmefrist von drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag oder in der Zeit nach dem Antrag. § 130 InsO ist uneingeschränkt in Fällen anwendbar, in denen die Rechtshandlung in der Lohnzahlung eines Arbeitgebers an den Arbeitnehmer in der Krise besteht1121.

1115 Braun/de Bra, § 130 Rn. 9; v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 99; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.46; Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 130 Rn. 6; v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 144 f. 1116 Siehe unten B.II.4.d)cc)(1). 1117 Braun/de Bra, § 130 Rn. 9; MüKo-InsO/Kayser, § 130 Rn. 1; Nerlich/Römermann/ Nerlich, § 130 Rn. 5; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 130 Rn. 1. 1118 MüKo-InsO/Kayser, § 131 Rn. 40a. 1119 Huber, in: FS Ganter, S. 203 (209); ders., in: FS Haarmeyer, S. 111 (114); Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1666 f.). 1120 MüKo-InsO/Kayser, § 131 Rn. 11. 1121 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (38).

168

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

(1) Objektiver Tatbestand Die objektiven Voraussetzungen einer Rechtshandlung1122, einer Deckung1123 und einer Gläubigerbenachteiligung1124 wurden bereits oben untersucht, worauf verwiesen sei. (a) Zahlungsunfähigkeit Wie alle Tatbestände der besonderen Insolvenzanfechtung1125 setzt § 130 Abs. 1 InsO voraus, dass die anfechtbare Rechtshandlung nach dem Eintritt der materiellen Insolvenz vorgenommen wurde1126. (aa) Kein anfechtungsrechtlicher Sonderbegriff Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit ist im Insolvenzrecht einheitlich zu verstehen1127. Das ist schon aus Gründen der Rechtsklarheit sinnvoll. Daher ist die Legaldefinition der Zahlungsfähigkeit des § 17 Abs. 2 InsO auch im Anfechtungsrecht anzuwenden1128. Das Kriterium der Zahlungsunfähigkeit wurde schon im Rahmen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens dargestellt1129. Danach liegt grundsätzlich Zahlungsunfähigkeit vor, wenn der Schuldner in einem Zeitraum von mehr als drei Wochen 10 % oder mehr der fälligen Gesamtverbindlichkeiten nicht erfüllen kann. Auch § 17 Abs. 2 S. 2 InsO, der bei vorliegender Zahlungseinstellung die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit aufstellt, ist im Rahmen der §§ 129 ff. InsO anzuwenden1130. Zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit kann daher ebenfalls auf die obigen Ausführungen verwiesen werden1131. Demgegenüber reichen weder die nur drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) noch die Überschuldung (§ 19 InsO) 1122

B.II.4.a)aa). B.II.4.d)aa)(1). 1124 B.II.4.a)cc). 1125 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 59; zur Frage, ob eine Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO nach dem Eröffnungsantrag auch ohne Zahlungsunfähigkeit möglich ist, siehe sogleich B.II.4.d)bb)(1)(b). 1126 Jaeger/Henckel, InsO, § 130 Rn. 110; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 130 Rn. 12. 1127 BGH, Urt. v. 29. 3. 2012 – IX ZR 40/10, ZInsO 2012, 976 (977); BGH, Beschl. v. 13. 6. 2006 – IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457 (1458). 1128 BGH, Urt. v. 29. 3. 2012 – IX ZR 40/10, ZInsO 2012, 976 (977); Braun/de Bra, § 130 Rn. 16; Jaeger/Henckel, InsO, § 130 Rn. 110; Uhlenbruck/Hirte, § 130 Rn. 33; MüKo-InsO/ Kayser, § 130 Rn. 28; HK-InsO/Thole, § 130 Rn. 18; KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 68 f.; Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1668); Zeuner, Anfechtung, Rn. 100; a.A.: Henckel, in: FS Gerhardt, S. 361 (362 f.); Nerlich/Römermann/Nerlich, § 130 Rn. 10. 1129 B.I.3.c)aa). 1130 BGH, Urt. v. 29. 3. 2012 – IX ZR 40/10, ZInsO 2012, 976 (977); BGH, Urt. v. 12. 10. 2006 – IX ZR 228/03, ZInsO 2006, 1210 (1211); BGH, Urt. v. 20. 11. 2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178 (184); Braun/de Bra, § 130 Rn. 16; Jaeger/Henckel, InsO, § 130 Rn. 110; Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 130 Rn. 39; KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 69, 89; Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1671). 1131 Siehe oben B.I.3.c)aa)(2). 1123

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

169

aus, um eine Anfechtung zu rechtfertigen, wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 130 Abs. 1 InsO ergibt1132. (bb) Kein einheitliches Verfahren Im Anfechtungsprozess muss der Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit festgestellt werden, weil bei Vornahme der Rechtshandlung die Zahlungsunfähigkeit bereits bestanden haben muss. Gerade bei einer Serie von angefochtenen Zahlungen führt das zu diffizilen Untersuchungen des genauen Datums, ab dem der Schuldner zahlungsunfähig war1133. Die Feststellung des Zeitpunkts der Zahlungsunfähigkeit muss in jedem Anfechtungsprozess neu getroffen werden. Da die allgemeinen Zuständigkeitsregeln von ZPO und GVG gelten, sind für die einzelnen Anfechtungsklagen oft unterschiedliche Gerichte zuständig1134. Gerade bei Klagen über Lohnanfechtungen werden aufgrund der vom GmsOGB1135 zugesprochenen Zuständigkeit die Arbeitsgerichte eine eigene Prüfung der Zahlungsunfähigkeit vornehmen, deren Ergebnis gegebenenfalls von dem der ordentlichen Gerichte abweicht, obwohl es um dasselbe Insolvenzverfahren geht. Die für jede Klage neu vorzunehmende Feststellung war auch unter der Konkursordnung für das entsprechende Merkmal der Zahlungseinstellung vorgesehen. Schon früh wurde gefordert, dass das Konkursgericht hierzu eine einheitliche, die übrigen Gerichte bindende Feststellung treffen solle1136. Eine entsprechende Regelung kennt das deutsche Insolvenzrecht bis heute nicht. Der Vorschlag eines einheitlichen Feststellungsverfahrens wurde nicht aus dem Regierungsentwurf1137 in die Insolvenzordnung übernommen1138, weil eine übermäßige Belastung des Insolvenzgerichts befürchtet wurde1139. Dieses Vorgehen wurde kritisiert1140. Wenn in unterschiedlichen Anfechtungsprozessen vor verschiedenen Gerichten unterschiedliche Zeitpunkte der materiellen Insolvenz angenommen werden, können gleichzeitig erfolgte Deckungen an verschiedene Gläubiger an einem Gericht anfechtbar sein, am anderen hingegen nicht1141. Das ist kaum mit dem Grundsatz der 1132 Jaeger/Henckel, InsO, § 130 Rn. 110; MüKo-InsO/Kayser, § 130 Rn. 28c; HK-InsO/ Thole, § 130 Rn. 22; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 130 Rn. 12; KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 92. 1133 Siehe beispielhaft die Urteile OLG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 3. 2. 2010 – 5 U 97/09, juris; LG Magdeburg, Urt. v. 23. 9. 2009 – 10 O 229/09, juris. 1134 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 62. 1135 GmS-OGB, Beschl. v. 27. 9. 2010 – GmS-OGB 1/09, BGHZ 187, 105; siehe dazu B.II.1.b) und E. 1136 Böhle-Stamschräder, KTS 1959, 66 (69); Kilger, ZRP 190 (194). 1137 § 157 RegE InsO, vgl. Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 164 ff. 1138 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 60; KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 160. 1139 Beschlussempf. d. Rechtsausschusses, BT-DruckS. 12/7302, S. 174. 1140 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 62 f.; Eichberger, Konkursanfechtung, S. 64; Gerhardt, in: FS Brandner, S. 605 (618 f.); Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 139 Rn. 7. 1141 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 164.

170

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Gläubigergleichbehandlung zu vereinbaren1142. Auch das Argument der Überlastung des Insolvenzgerichts ist zweifelhaft. Dem zusätzlichen Aufwand des Insolvenzgerichts stünde eine deutliche Entlastung der mit Anfechtungsklagen befassten Gerichten gegenüber, die unter dem Strich eher zu einer Entlastung der Justiz beitragen würde1143. (b) Eröffnungsantrag Der Eröffnungsantrag ist der Anknüpfungspunkt für den dreimonatigen Vornahmezeitraum der Kongruenzanfechtung (§ 139 Abs. 1 InsO). Gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist die Anfechtung aber auch im Zeitraum nach dem Antrag, und zwar bis zur Eröffnung des Verfahrens1144, möglich. Nach der ganz überwiegenden Ansicht im Schrifttum erlaubt § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Anfechtung nach dem Eröffnungsantrag auch dann, wenn zum Zeitpunkt der Rechtshandlung noch keine Zahlungsunfähigkeit vorlag1145. Diese Konstellation kann entstehen, wenn die Zahlungsunfähigkeit zwischen dem Antrag und der Eröffnung eintritt oder die Eröffnung auf drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung beruht. (2) Subjektiver Tatbestand Die Anfechtung nach § 130 Abs. 1 InsO setzt des Weiteren voraus, dass der Gläubiger im Zeitpunkt der Rechtshandlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners (Nr. 1 und 2) oder den Eröffnungsantrag kannte (nur Nr. 2). Handelt es sich beim Anfechtungsgegner um eine nahestehende Person i.S.d. § 138 InsO, wird die Kenntnis gem. § 130 Abs. 3 InsO vermutet1146. In den hier relevanten Konstellationen der Lohnanfechtung ist der subjektive Tatbestand, d. h. die Frage nach dem Wissen des Arbeitnehmers um die finanziell kritische Lage seines Arbeitgebers, regelmäßig ein zentrales Problem1147. Vor diesem Hintergrund ist zu untersuchen, welche Anforderungen zu stellen sind. (a) Allgemeines Unter der Konkursordnung und im Rahmen der Insolvenzrechtsreform wurde angezweifelt, ob überhaupt ein subjektiver Tatbestand bei der Deckungsanfechtung vorausgesetzt werden sollte1148. Die Kritiker der subjektiven Merkmale gingen davon 1142

Eichberger, Konkursanfechtung, S. 64. v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 63. 1144 Jaeger/Henckel, InsO, § 130 Rn. 109; MüKo-InsO/Kayser, § 130 Rn. 52. 1145 Braun/de Bra, § 130 Rn. 23; Jaeger/Henckel, InsO, § 130 Rn. 110; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 130 Rn. 26; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 130 Rn. 14; KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 100; v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 110 f.; kritisch Gerhardt, in: FS Brandner, S. 605 (616 ff.). 1146 Siehe dazu oben B.II.4.b). 1147 So auch Huber, in: FS Ganter, S. 203 (207). 1148 Siehe zur Historie ausführlich Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 297 ff. 1143

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

171

aus, dass bereits der durch die objektiven Tatbestandsmerkmale indizierte Verstoß gegen die Gläubigergleichbehandlung die Anfechtbarkeit rechtfertige, so dass ein zusätzliches subjektives Element auf der Empfängerseite nicht erforderlich sei1149. Eine solche Lösung entspräche einer Rückschlagsperre, die sich nicht nur auf Vollstreckungshandlungen, sondern auch auf freiwillige Deckungen bezieht. Diese Ansicht basiert aber offenbar auf der Vorstellung, dass die Kenntnis des Anfechtungsgegners ein Element ist, das die Anfechtbarkeit bestimmter Transaktionen rechtfertige1150. Es wurde demgegenüber bereits oben gezeigt, dass der Grund der Deckungsanfechtung eben nicht im zu missbilligenden Verhalten der Beteiligten liegt, sondern in der neutral zu betrachtenden Verletzung der Gleichbehandlung der Gläubiger1151. Der subjektive Tatbestand der Deckungsanfechtung ist dabei als Ausdruck des Verkehrs- und Vertrauensschutzes zu verstehen1152. Schon die Schöpfer der Konkursordnung verzichteten dementsprechend bei der Entwicklung der besonderen Konkursanfechtung nicht auf subjektive Tatbestandsmerkmale: Der gewählte sog. neufranzösische Weg sah subjektive Voraussetzungen vor, um das Vertrauen des Verkehrs in den Bestand der getätigten Transaktionen zu schützen1153. Dieser Gedanke gilt auch für § 130 InsO. Da dem Anfechtungsgegner in den Fällen des § 130 InsO die Deckung nach dem ursprünglichen Abwicklungsplan des Vertrages zustand1154, hat er grundsätzlich ein berechtigtes und schützenswertes Vertrauen in den Bestand der erfolgten Abwicklung. Dieses Vertrauen ist aber nicht schutzwürdig, wenn der Anfechtungsgegner Kenntnis davon hat, dass die Transaktion zu Lasten der übrigen Gläubiger geht, weil der Schuldner bereits zahlungsunfähig ist. Die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit (oder des Eröffnungsantrags als äußeres Zeichen derselben) rechtfertigt daher im Rahmen des § 130 InsO die Einschränkung des grundsätzlich bestehenden Vertrauensschutzes1155.

1149 Böhle-Stamschräder, KTS 1959, 66 (68); Hanisch, ZZP 90 (1977), S. 1 (21 f.); Häsemeyer, KTS 1982, 507 (560 f.); Weber, KTS 1959, 80 (83); ders., in: FS 100 Jahre KO, S. 321 (348 f.); dagegen Gerhardt, in: FS 100 Jahre KO, S. 111 (130 f.); vgl. zur Insolvenzrechtsreform Pfefferle, Konkursanfechtung, S. 114. 1150 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 298. 1151 B.I.4.d). 1152 Siehe oben B.I.4.d)cc). 1153 Siehe oben B.I.2.f)bb). 1154 Siehe oben B.II.4.d)aa)(2). 1155 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 157 f.; Bork, in: FS Schäfer, S. 593 (600); v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 7, 16 f.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.47; Jaeger/ Henckel, InsO, § 130 Rn. 8; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 170 ff., 300; ders., AP InsO § 130 Nr. 1; KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 104; ders., ZIP 2009, 600 (603); ders., NZI 2005, 185 (186 f.); v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 53.

172

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

(b) Positive Kenntnis Der subjektive Tatbestand des § 130 Abs. 1 InsO ist erfüllt, wenn der Gläubiger zur Zeit der Rechtshandlung1156 die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners oder im Fall des § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO den Eröffnungsantrag kannte. Unter Kenntnis versteht man für sicher gehaltenes, positives Wissen1157. Es genügt nicht, dass der Anfechtungsgegner die Zahlungsunfähigkeit nur für möglich hielt oder billigend in Kauf nahm1158. Die Definition der Zahlungsunfähigkeit des § 17 Abs. 2 InsO ist auch im Rahmen der §§ 130 ff. InsO maßgeblich1159. Das bedeutet zum einen, dass der Gläubiger positive Kenntnis i.S.v. § 130 Abs. 1 InsO hat, wenn er weiß, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (vgl. § 17 Abs. 2 S. 1 InsO)1160. Zum anderen ist wegen § 17 Abs. 2 S. 2 InsO bei Kenntnis einer Zahlungseinstellung grundsätzlich zu vermuten, dass der Anfechtungsgegner auch die Zahlungsunfähigkeit kannte1161. Nach der Rechtsprechung kennt der Anfechtungsgegner die Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung als komplexe Rechtsbegriffe allerdings nur, wenn er in der Lage ist, die Liquidität oder das Zahlungsverhalten des Schuldners wenigstens laienhaft zu bewerten1162. Für die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 Abs. 1 InsO ist folglich bei Anwendung der Kriterien der Rechtsprechung1163 erforderlich, dass der Gläubiger einen Überblick über die in den nächsten drei Wochen fällig werdenden Verbindlichkeiten und über die zur Tilgung vorhandenen Geldmittel hat; aus diesen Informationen muss der Gläubiger sodann den Schluss ziehen, dass der Schuldner wesentliche Teile (10 %) der fällig werdenden Verbindlichkeiten nicht wird tilgen können1164. 1156

Zum relevanten Zeitpunkt bei Lohnanfechtungen, siehe oben B.II.4.a)aa). BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 (67); BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (40); MüKo-InsO/Kayser, § 130 Rn. 33; HmbKomm/Rogge/ Leptien, § 130 Rn. 16; KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 110. 1158 MüKo-InsO/Kayser, § 130 Rn. 33; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 302; Jaeger/Henckel, InsO, § 130 Rn. 117; Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 130 Rn. 61. 1159 Siehe oben B.II.4.d)bb)(1)(a)(aa). 1160 Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1670). 1161 BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 (66 f.); BGH, Urt. v. 12. 10. 2006 – IX ZR 228/03, ZInsO 2006, 1210 (1211); BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (40); Jaeger/Henckel, InsO, § 130 Rn. 118; MüKo-InsO/Kayser, § 130 Rn. 31; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 305; ders., AP InsO § 130 Nr. 1 (sub. II.3.); KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 113. 1162 BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 (67); BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (40); MüKo-InsO/Kayser, § 130 Rn. 33; Klinck, AP InsO § 130 Nr. 1. 1163 Siehe oben B.I.3.c)aa)(1). 1164 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (40); BGH, Urt. v. 12. 10. 2006 – IX ZR 228/03, ZInsO 2006, 1210 (1212); OLG Celle, Urt. v. 30. 10. 2008 – 13 U 130/08, ZInsO 2009, 386 (387); MüKo-InsO/Kayser, § 130 Rn. 33; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 303 f. 1157

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

173

Eine derart genaue Kenntnis kann dem Gläubiger, auch wenn er Arbeitnehmer des Schuldners ist, in der Praxis kaum nachgewiesen werden, weil er in aller Regel weder alle Verbindlichkeiten des Schuldners noch dessen genauen Bestand an Zahlungsmitteln kennt1165. Entsprechend ist in der Praxis vornehmlich nach der Kenntnis der Zahlungseinstellung zu fragen1166. Allerdings ist zu beachten, dass es sich bei § 17 Abs. 2 S. 2 InsO um eine widerlegliche Vermutung handelt, die vom Anfechtungsgegner erschüttert werden kann1167. Klinck weist zu Recht darauf hin, dass sich auch bei Anwendung des § 17 Abs. 2 S. 2 InsO die Beweisschwierigkeiten des Insolvenzverwalters nicht wesentlich reduzieren1168. Auch hier ist zur Abgrenzung von einer Zahlungsstockung eine gewisse Dauerhaftigkeit und Wesentlichkeit zu fordern1169. Selbst wenn man mit der Rechtsprechung die Zahlungsstockung anhand von Indizien zu begründen sucht1170, wird man bei der Beurteilung dieser Indizien fordern müssen, dass sie die Annahme einer dauerhaften und wesentlichen Zahlungseinstellung tragen. Die Kenntnis entsprechender Indizien wird dem Anfechtungsgegner ähnlich schwer nachzuweisen sein wie die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit selbst1171. (c) Kenntnis von Umständen i.S.d. § 130 Abs. 2 InsO Weil in der Praxis der Insolvenzverwalter – auch unter Zuhilfenahme von § 17 Abs. 2 S. 2 InsO – selten die positive Kenntnis des Arbeitnehmers beweisen kann1172, ist die Beweiserleichterung1173 des § 130 Abs. 2 InsO im Rahmen des subjektiven Tatbestands der Kongruenzanfechtung die zentrale Norm. Nach § 130 Abs. 2 InsO steht der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen. (aa) Entstehungsgeschichte Unter der Konkursordnung setze die Anfechtung nach § 30 Nr. 1 Fall 2 KO 1898 voraus, dass dem Anfechtungsgegner die Zahlungseinstellung oder der Eröffnungsantrag bekannt war. Eine dem § 130 Abs. 2 InsO entsprechende Erleichterung 1165 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 304; ders., AP InsO § 130 Nr. 1 (sub. II.2.); Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1670). 1166 Huber, in: FS Ganter, S. 203 (208); so auch Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 304. 1167 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 305. 1168 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 305 f.; ders., AP InsO § 130 Nr. 1 (sub. II.3.). 1169 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 306; ders., AP InsO § 130 Nr. 1 (sub. II.3.); zu diesen Merkmalen siehe oben B.I.3.c)aa)(1). 1170 Siehe oben B.I.3.c)aa)(2). 1171 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 306; ders., AP InsO § 130 Nr. 1 (sub. II.3.). 1172 Bandte, in: FS Beuthien, S. 401 (404); Klinck, AP InsO § 130 Nr. 1; ders., Insolvenzanfechtung, S. 304. 1173 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (41); Klinck, AP InsO § 130 Nr. 1; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 130 Rn. 18.

174

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

kannte die Konkursordnung nicht. Rechtsprechung und Literatur legten die Norm zunächst ebenfalls eng aus, so dass weder Kennenmüssen noch die Kenntnis von Tatsachen, aus denen sich die Zahlungseinstellung ergibt, genügten1174. In einer späteren Entscheidung zur Konkursordnung führte der BGH allerdings aus, dass es genüge, „wenn der Anfechtungsgegner aus den ihm bekannten Tatsachen und dem Verhalten des Schuldners in natürlicher Betrachtungsweise den zutreffenden Schluß zieht, daß jener wesentliche Teile seiner ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten im Zeitraum etwa des nächsten Monats nicht wird tilgen können.“1175 Dabei könnten aus der Kenntnis der Tatsachen beweismäßige Schlüsse auf die Kenntnis der Zahlungseinstellung gezogen werden; demnach sei die Kenntnis der Zahlungseinstellung „für denjenigen zu vermuten, der die zugrundeliegenden Tatsachen kennt, an die jedermann mit seiner Verkehrserfahrung verständigerweise die Erwartung knüpft, daß der Schuldner wesentliche Zahlungen so gut wie sicher nicht wird erbringen können.“1176 Der zweite Vorgänger des § 130 InsO ist § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO1177, der in den neuen Bundesländern galt. Danach konnte der Verwalter Rechtshandlungen des Schuldners anfechten, wenn sie nach der Zahlungseinstellung oder dem Antrag auf Eröffnung der Gesamtvollstreckung gegenüber Personen vorgenommen wurden, denen zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder der Antrag auf Eröffnung der Gesamtvollstreckung bekannt war oder den Umständen nach bekannt sein musste. Der letzte Passus wurde so interpretiert, dass schon leichte Fahrlässigkeit schädlich sein sollte1178. Um auf die Beweisschwierigkeiten der Insolvenzverwalter1179 unter der Konkursordnung zu reagieren und dem Ziel einer Verschärfung des Anfechtungsrechts1180 gerecht zu werden, war im Rahmen der Insolvenzrechtsreform zunächst in Anlehnung an das österreichische Recht1181 vorgesehen, die grob fahrlässige Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags genügen zu lassen1182. 1174 BGH, Urt. v. 18. 5. 1955 – IV ZR 14/55, WM 1955, 1468 (1471); RG, Urt. v. 14. 3. 1919 – VII. 377/18, RGZ 95, 152 (153); RG, Urt. v. 14. 5. 1889 – III 89/89, RGZ 23, 112 (114 f.); Jaeger, KO, 7. A., § 30 Anm. 17; Böhle-Stamschräder/Kilger, KO, § 30 Anm.9); Kilger/ K. Schmidt, 17. A., § 30 KO Anm. 9); vgl. Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1669). 1175 BGH, Urt. v. 27. 4. 1995 – IX ZR 147/94, ZIP 1995, 929 (931). 1176 BGH, Urt. v. 27. 4. 1995 – IX ZR 147/94, ZIP 1995, 929 (931 f.). 1177 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 158. 1178 BGH, Urt. v. 19. 7. 2001 – IX ZR 36/99, ZIP 2001, 1641 (1642); nur grobe Fahrlässigkeit: Kilger/K. Schmidt, 17. A., § 10 GesO Anm. 2)d). 1179 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 139; Gerhardt, in: FS Brandner, S. 605 (615); Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 215. 1180 Siehe oben B.I.2.h)bb)(3). 1181 § 31 Abs. 1 Nr. 2 öKO, heute § 31 Abs. 1 Nr. 3 der österreichischen Insolvenzordnung. 1182 Erster Bericht der Kommission, S. 405; Referentenentwurf, Begründung S. 146; Gerhardt, in: FS Brandner, S. 605 (615); Eichberger, Konkursanfechtung, S. 128; zum Vorschlag der Insolvenzrechtsreformkommission insoweit s. Gerhardt, in: FS Leipold, S. 377

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

175

Die bekannte Figur der groben Fahrlässigkeit wurde dabei gewählt, um das Anfechtungsrecht aus seiner „scheinesoterischen Isoliertheit“1183 zu befreien und an das materielle Recht (vgl. z. B. § 932 Abs. 2 BGB) anzupassen. Auch der Regierungsentwurf einer Insolvenzordnung sah diesen Maßstab noch vor1184. Aufgrund der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses wurde das Kriterium der groben Fahrlässigkeit mit der Begründung aufgegeben, dass die Anfechtung von Deckungsgeschäften im Interesse der Rechtssicherheit nicht zu weit ausgedehnt werden dürfe; grobe Fahrlässigkeit sei als unscharfer Begriff zu meiden1185. Stattdessen wurde die in § 130 Abs. 2 BGB nunmehr kodifizierte Figur der Kenntnis von Umständen, die „zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen“, gewählt1186. Damit schuf der Gesetzgeber einen neuen Begriff im Rahmen der subjektiven Merkmale1187. (bb) Wirkung und Voraussetzungen Die dogmatische Einordnung des neu geschaffenen subjektiven Maßstabs des § 130 Abs. 2 InsO ist problematisch. Aus der dargestellten Entstehungsgeschichte lässt sich jedenfalls ableiten, dass das Kriterium des § 130 Abs. 2 InsO strenger ist als die grobe Fahrlässigkeit1188. Grob fahrlässige Unkenntnis nimmt der BGH grundsätzlich bei einem Handeln an, „bei dem die erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Falle jedem hätte einleuchten müssen.“1189 Grob fahrlässige Unkenntnis im Rahmen des § 932 BGB liegt nach Ansicht des BGH vor, wenn die dem Erwerber bekannten Umstände derart waren, dass er zur Erkenntnis des fehlenden Eigentums „auch ohne ein besonders sorgfältiges und pflichtbewußtes Verhalten, insbesondere auch ohne besonders hohe Aufmerksamkeit und besonders gründliche Überlegung hätte gelangen können.“1190 Über diesen (385); in Österreich genügte allerdings sogar leicht fahrlässige Unkenntnis, s. Gerhardt, in: FS Brandner, S. 605 (615, dort Fn. 44). 1183 Gerhardt, in: FS Brandner, S. 605 (615) in Anlehnung an Balz, EWiR 1987, 1009 (1009). 1184 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 32, 158, beim Erwerb von Rechten an Grundstücken sollte ausnahmesweise positive Kenntnis erforderlich sein. 1185 Beschlussempf. d. Rechtsausschusses, BT-DruckS. 12/7302, S. 173. 1186 Kritisch v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 139; Gerhardt, in: FS Brandner, S. 605 (616); ders., in: FS Leipold, S. 377 (385); KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 105; v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 123. 1187 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.50; v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 51. 1188 BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 (67); Jaeger/Henckel, § 130 Rn. 121; ders., in: FS Gerhardt, S. 366; ders., in: Kölner Schrift, S. 813 (824 f.); Klinck, AP InsO § 130 Nr. 1. 1189 BGH, Urt. v. 23. 5. 1956 – VI ZR 34/56, WM 1956, 884 (885); zuvor schon BGH, Urt. v. 11. 5. 1953 – IV ZR 170/52, BGHZ 10, 14 (16). 1190 BGH, Urt. v. 23. 5. 1956 – VI ZR 34/56, WM 1956, 884 (885).

176

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Maßstab muss der Kenntnisstand des Anfechtungsgegners also hinausgehen. Mit dieser Erkenntnis ist dem Rechtsanwender im Einzelfall freilich wenig geholfen. (a) Umstände und zwingender Schluss Der IX. Senat des BGH führt in seinem Grundsatzurteil zur Lohnanfechtung aus, dass § 130 Abs. 2 InsO voraussetze, dass der Insolvenzgläubiger die tatsächlichen Umstände kennt, aus denen bei zutreffender rechtlicher Bewertung die Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt; dann könne er sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er den an sich zwingenden Schluss von den Tatsachen auf den Rechtsbegriff selbst nicht gezogen habe1191. Die Kenntnis einzelner Tatsachen, die für eine Zahlungseinstellung oder Zahlungsunfähigkeit sprechen, könne nicht genügen, wenn diese nur die ungewisse Möglichkeit einer Zahlungsunfähigkeit befürchten ließen; der zwingende Schluss aus den Indiztatsachen auf die Zahlungsunfähigkeit könne vom Gläubiger vielmehr nur gezogen werden, wenn sich ein redlich Denkender, der vom Gedanken auf den eigenen Vorteil nicht beeinflusst ist, angesichts der ihm bekannten Tatsachen der Einsicht nicht verschließen könne, der Schuldner sei zahlungsunfähig1192. Das BAG greift in seinem grundlegenden Urteil zur Insolvenzanfechtung die Ausführungen des BGH zu § 130 Abs. 2 InsO ohne relevante inhaltliche Modifikationen auf1193. Der Wortlaut der Rechtssätze sowie die in der Entscheidung des IX. Senats angegebenen Quellen zeigen, dass sich der BGH stark an den Arbeiten Henckels1194 und Krefts1195 orientierte. Auf die von diesen Autoren angeführte Anlehnung an die Rechtsprechung zu §§ 819, 990 BGB verzichtet der BGH wohl bewusst. Gegen den Rückgriff auf die Normen wird vorgebracht, dass sie sich jeweils auf rechtliche Wertungen (Eigentum, Recht zum Besitz) bezögen; demgegenüber handele es sich bei den auf die Zahlungsunfähigkeit hindeutenden Umständen nicht um eine rechtliche Würdigung, sondern um feststellbare Tatsachen1196. Über die Frage, inwieweit Begriffe wie Eigentum oder Zahlungsunfähigkeit und ihre Voraussetzungen rechtlicher oder tatsächlicher Natur sind, lässt sich trefflich streiten. Weil nach hiesiger Ansicht die Antwort auf die inhaltliche Auslegung des § 130 Abs. 2 InsO im Ergebnis keine Auswirkung hat, ist darauf nicht weiter einzugehen. Das betrifft auch die ebenfalls rein terminologische Frage, ob die Wirkung des § 130 Abs. 2 InsO damit beschrieben werden kann, dass sie die „Rechtsblindheit“1197 des Anfechtungsgegners mit der positiven Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit gleichsetze. 1191

BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 (67). BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 (67 f.). 1193 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (41). 1194 Jaeger/Henckel, § 130 Rn. 121; ders., in: Kölner Schrift, S. 813 (826). 1195 HK-InsO/Kreft5, § 130 Rn. 29. 1196 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 308; KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 115. 1197 Mit dieser Begrifflichkeit Gerhardt, in: FS Brandner, 605 (615 f.); Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.50; MüKo-InsO/Kayser, § 130 Rn. 1; Kocher, ZVI 2009, 433 (434); kritisch Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 307 f.; KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 115. 1192

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

177

Henckel und Kreft wurde in der Literatur1198 insoweit widersprochen, als sie davon ausgehen, dass § 130 Abs. 2 InsO voraussetze, dass sich „der Anfechtungsgegner bewusst der Erkenntnis entzogen hat, dass diese Tatsachen als Zahlungseinstellung oder Eröffnungsantrag zu werten sind […]“1199. Es bedürfe neben der Tatsachenkenntnis gerade keiner Einsicht oder Bewertung durch den Schuldner1200. Bei genauerer Lektüre der kritisierten Textstellen zeigt sich jedoch, dass der Passus des „sich bewusst Verschließens“ von Kreft und Henckel zwar bei der Darstellung der Rechtsprechung zu § 819 BGB verwendet wird, bei deren Transfer auf § 130 Abs. 2 InsO aber nicht erneut auftaucht. In der Sache gehen beide davon aus, dass es genügt, wenn sich ein redlich Denkender angesichts der dem Anfechtungsgegner bekannten Tatsachen der Erkenntnis oder Einsicht „nicht verschließen konnte“1201. Es handelt sich also nur scheinbar um eine abweichende Meinung. Unbestritten ist jedenfalls, dass der Anfechtungsgegner die in § 130 Abs. 2 InsO angesprochenen Umstände positiv kennen muss1202. Der Kreis dieser Umstände muss auch mehr erfassen als diejenigen Umstände, die schon im Rahmen des § 130 Abs. 1 InsO als Indiztatsachen die positive Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungsunfähigkeit begründen. Anderenfalls liefe § 130 Abs. 2 InsO leer1203. Auf der anderen Seite dürfen die Indiztatsachen auch im Rahmen von Abs. 2 berücksichtigt werden, wenn erst durch ihr Zusammenspiel mit weiteren Umständen dessen Tatbestand erfüllt ist1204. Aus den dem Anfechtungsgegner bekannten Umständen muss der Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit zwingend sein. Weil § 130 Abs. 2 InsO nur auf die Kenntnis der Umstände abstellt und die Zahlungsunfähigkeit gerade nicht bekannt sein muss1205, kann es auf die vom Anfechtungsgegner gezogenen Schlussfolgerungen nicht ankommen1206. Der zwingende Schluss ist vielmehr abstrahiert von seinem individuellen Vorstellungshorizont zu betrachten. Die herrschende Meinung stellt darauf ab, ob sich ein redlich und vernünftig Denkender angesichts der Tatsachen der Einsicht nicht verschließen könne, dass der Schuldner zahlungsunfähig war oder den Er1198

Sander, ZInsO 2009, 702 (704, 706). Jaeger/Henckel, § 130 Rn. 121; ähnlich HK-InsO/Kreft5, § 130 Rn. 28. 1200 Sander, ZInsO 2009, 702 (706). 1201 Jaeger/Henckel, § 130 Rn. 121; HK-InsO/Kreft5, § 130 Rn. 29. 1202 BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 (67); BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (41); Gottwald/Huber, § 47 Rn. 30; ders., in: FS Haarmeyer, S. 111 (125); MüKo-InsO/Kayser, § 130 Rn. 34 f.; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 308; HK/ Kreft, § 130 Rn. 29; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 130 Rn. 18; Sander, ZInsO 2009, 702 (704); KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 116; Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1672); Zeuner, Anfechtung, Rn. 118. 1203 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 308 f. 1204 Gottwald/Huber, § 47 Rn. 30; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 316. 1205 Jaeger/Henckel, § 130 Rn. 121; Gottwald/Huber, § 47 Rn. 30; HK/Kreft, § 130 Rn. 29; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 130 Rn. 18; Zeuner, Anfechtung, Rn. 118. 1206 Sander, ZInsO 2009, 702 (706). 1199

178

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

öffnungsantrag gestellt hat1207. Kirchhof schlägt den Maßstab eines durchschnittlich geschäftserfahrenen, unvoreingenommenen Gläubigers1208 vor. Zu klären bleibt, wie stark man bei dieser Betrachtung abstrahieren muss, d. h. inwieweit man bei unterschiedlichen Arten von Gläubigern deren individuellen oder gruppenspezifischen Eigenschaften wie Informationsmöglichkeiten oder Geschäftserfahrung zu beachten hat. In seinem ersten Urteil zur Lohnanfechtung differenziert der BGH bei der Erkenntnisfähigkeit zwischen institutionellen Gläubigern einerseits und Arbeitnehmern andererseits; während für erstere die Nichtzahlung von Löhnen und Sozialversicherungsbeiträgen auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hindeute, sei das für die Arbeitnehmer nicht der Fall1209. Bei seiner Argumentation geht der IX. Senat allerdings v. a. auf die unterschiedlichen Informationsmöglichkeiten ein, nicht auf die unterschiedlichen Fähigkeiten, aus den bekannten Tatsachen den Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu ziehen. Richtigerweise handelt es sich dabei um zwei getrennt zu betrachtende Aspekte1210, zwischen denen der BGH nicht konsequent differenziert. Dennoch lässt sich den Ausführungen entnehmen, dass die individuelle Sachkunde berücksichtigt wird. Sander trägt diesen Standpunkt klarer vor; er führt aus, dass sich die Zahlungsunfähigkeit unterschiedlichen Gläubigern gegenüber auch in unterschiedlicher Weise äußere1211. Je nach der Beziehung zum Schuldner hätten die Gläubiger eigene Erkenntnismöglichen und Erkenntnisfähigkeiten1212. Obwohl es sich bei der Zahlungsunfähigkeit um ein objektives Merkmal handele, sei es nicht sinnwidrig, wenn bei der Prüfung im subjektiven Tatbestand auf diese Eigenheiten der Anfechtungsgegner Rücksicht genommen werde1213. Auch Dauernheim stellt darauf ab, ob gerade „die Berufs- und Geschäftskreise des Anfechtungsgegners mit ihrer Verkehrserfahrung“1214 an die bekannten Tatsachen verständlicherweise die Erwartung knüpfen, dass der Schuldner zahlungsunfähig ist. Schoppmeyer möchte die individuelle Sachkunde des Gläubigers bei der objektiven Betrachtung einbeziehen1215. Unklar bleibt der Standpunkt des BAG. Der Sechste Senat formuliert ausdrücklich, es gehe darum, dass aus den bekannten Umständen die Zahlungsunfähigkeit 1207 BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 (67 f.); BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (41); Braun/de Bra, § 130 Rn. 32; Jaeger/Henckel, § 130 Rn. 121; ders., in: Kölner Schrift, S. 813 (826); Gottwald/Huber, § 47 Rn. 30; HK-InsO/Thole, § 130 Rn. 29; Pieper, ZInsO 2009, 1425 (1433); KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 116; Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1669); v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 124. 1208 MüKo-InsO/Kirchhof2, § 130 Rn. 36; ebenso MüKo-InsO/Kayser, § 130 Rn. 36; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 130 Rn. 19. 1209 BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 (68 f.). 1210 Vgl. Schulz, DZWIR 2009, 254 (257 f.). 1211 Sander, ZInsO 2009, 702 (705). 1212 Sander, ZInsO 2009, 702 (705); zustimmend Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1671 f.). 1213 Sander, ZInsO 2009, 702 (705). 1214 FK-InsO/Dauernheim, § 130 Rn. 39; so auch Zeuner, Anfechtung, Rn. 118. 1215 KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 117.

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

179

objektiv folgt1216. Maßgebend sei „nicht der individuelle Schuldvorwurf, sondern der individuelle Wissensstand.“1217 Aus diesen Ausführungen lässt sich keine Aussage dazu entnehmen, ob dieser objektive Maßstab bei allen Anfechtungsgegners der gleiche ist oder ob eine gruppenspezifische Betrachtung möglich ist. Allerdings beruft sich der Sechste Senat an der entscheidenden Stelle auf Kirchhof1218, der bei der Frage nach dem zwingenden Schluss ausdrücklich auf einen rein objektiven Maßstab eines durchschnittlich geschäftserfahrenen, unvoreingenommenen Gläubigers abstellt. Nach hiesiger Ansicht sprechen die besseren Argumente dafür, die Frage, ob der Schluss von den Tatsachen auf die Zahlungsunfähig zwingend war, mit Kirchhof objektiv zu bestimmen. Klinck weist überzeugend darauf hin, dass der Wortlaut des § 130 Abs. 2 InsO „zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit … schließen lassen“ rein objektiv sei und es daher auf die individuelle Fähigkeit des Gläubigers, die Tatsachen richtig zu bewerten, nicht ankommen könne1219. Aus der dargestellten Entstehungsgeschichte des § 130 Abs. 2 InsO lassen sich jedenfalls keine gegenteiligen Schlüsse ziehen. Zwar ist es auf den ersten Blick willkürlich oder ungerecht, einen einfachen Arbeiter mit einem Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer über einen Kamm zu scheren. Tatsächlich zeigt sich aber, dass die Unterschiede zwischen den Gläubigern bei der Frage nach dem individuellen Wissensstand hinreichend berücksichtigt werden und nicht noch zusätzlich in das objektive Kriterium des zwingenden Schlusses hineingetragen werden müssen1220. Zusammenfassend lässt sich die Wirkung des § 130 Abs. 2 InsO also damit beschreiben, dass ein Anfechtungsgegner, der Umstände positiv kennt, aus denen ein objektiver Dritter in Gestalt eines durchschnittlich geschäftserfahrenen, unvoreingenommenen Gläubigers den Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit gezogen hätte, so behandelt wird, als ob er die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit selbst gehabt hätte. (b) Dogmatische Einordnung Soweit ersichtlich, wird nicht bestritten, dass der von der Norm aufgestellte Zusammenhang unwiderleglich ist1221. Darin ist ein wichtiger Unterschied zu § 17 1216

BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (41). BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (41). 1218 MüKo-InsO/Kirchhof2, § 130 Rn. 36; auch OLG Frankfurt, Urt. v. 16. 1. 2003 – 3 U 89/ 02, ZInsO 2003, 381 (381); HmbKomm/Rogge/Leptien, § 130 Rn. 19; wohl auch v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 124, der befürchtet, die neue Regelung könne sich zu Lasten der weniger geschäftserfahrenden Gläubiger auswirken. 1219 Klinck, AP InsO § 130 Nr. 1 (sub. II.5.b); auch KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 116 betont den objektiven Charakter. 1220 So auch Schulz, DZWIR 2009, 254 (257 f.). 1221 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (41); Gerhardt, in: FS Brandner, S. 605 (616); Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.50; Gottwald/Huber, § 47 Rn. 30; Graf-Schlicker/Huber, § 130 Rn. 28; ders., in: FS Ganter, S. 203 (208); MüKo-InsO/Kayser, 1217

180

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Abs. 2 S. 1 InsO zu sehen1222. Teilweise wird in der Literatur § 130 Abs. 2 InsO eine (unwiderlegliche) Vermutung gesehen1223. Henckel führt demgegenüber aus, dass § 130 Abs. 2 InsO keine Vermutung und keine Beweislastregel sei, weil die Norm genau angebe, welche Kenntnisse erforderlich sind1224. Ihm ist insoweit zuzustimmen, als § 130 Abs. 2 InsO nicht die Vermutung aufstellt, dass der Schuldner die Zahlungsunfähigkeit tatsächlich kannte. Vielmehr kommt es wegen der Kenntnis der Umstände auf die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit nicht mehr an. Auf die in der Rechtsanwendung erzielbaren Ergebnisse hat die dogmatische Umschreibung der Norm allerdings keinerlei Auswirkung1225 und mag hier dahinstehen. (w) Erkundigungspflichten Der BGH hat in der Vergangenheit angenommen, dass Presseartikel bei institutionellen Gläubigern Erkundigungspflichten auslösen können, deren Verletzung die grob fahrlässige Unkenntnis von der Zahlungsunfähigkeit zu begründen vermöge1226. In seinem Urteil vom 19. Februar 2009 führte der IX. Senat des BGH aus, dass eine Erkundigungspflicht jedenfalls nicht für Kleingläubiger oder Arbeitnehmer bestehe1227. Die Rechtsprechung zu den Erkundigungspflichten erging allerdings zu § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO, der grob fahrlässige Unkenntnis genügen ließ1228. Da sich der Gesetzgeber der Insolvenzordnung bewusst von diesem Maßstab abgewendet hat, können diese Erkundigungspflichten nicht auf das geltende Anfechtungsrecht übertragen werden1229. Das gilt nicht nur für Kleingläubiger, sondern ganz allgemein: Erkundigungspflichten lassen sich weder aus § 130 Abs. 1 noch aus Abs. 2 ableiten1230.

§ 130 Rn. 36; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 130 Rn. 18; KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 115; HK-InsO/Thole, § 130 Rn. 33; Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1669); v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 123. 1222 Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1671); siehe zum Zusammenspiel mit § 17 InsO sogleich, B.II.4.d)bb)(2)(c)(bb)(iii). 1223 So etwa Gerhardt, in: FS Brandner, S. 605 (616); Graf-Schlicker/Huber, § 130 Rn. 28; Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (624); KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 115; Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1669). 1224 Jaeger/Henckel, InsO, § 130 Rn. 120. 1225 So auch Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1669). 1226 BGH, Urt. v. 19. 7. 2001 – IX ZR 36/99, ZIP 2001, 1641 (1642 f.). 1227 BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 (70 f.); LAG Thüringen, Urt. v. 12. 5. 2009 – 7 Sa 413/07, ZInsO 2010, 688. 1228 Siehe oben B.II.4.d)bb)(2)(c)(aa). 1229 BAG, Urteil vom 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (42); Sander, ZInsO 2009, 702 (704); Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1669). 1230 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (42); Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (625); MüKo-InsO/Kayser, § 130 Rn. 34, 39a; Klinck, AP InsO § 130 Nr. 1 (sub. II.5.b); Sander, ZInsO 2009, 702 (704); Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1669).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

181

(d) Zusammenhang mit § 17 Abs. 2 InsO Der objektive Gehalt des § 17 Abs. 2 InsO, der die Definition der Zahlungsunfähigkeit (S. 1) sowie die Vermutung ihres Vorliegens bei Zahlungseinstellung (S. 2) enthält, wurde bereits dargestellt1231. Ebenfalls angesprochen wurde die Anwendbarkeit dieser Rechtssätze im Rahmen des subjektiven Tatbestands der Kongruenzanfechtung1232. Zu beantworten bleibt die Frage nach dem Zusammenspiel dieser Regeln mit der Beweiserleichterung des § 130 Abs. 2 InsO. Vor dem Hintergrund des § 17 Abs. 2 S. 1 InsO und dessen allgemeiner Auslegung führt die Kenntnis des Gläubigers, dass der Schuldner binnen drei Wochen mehr als 90 % seiner Verbindlichkeiten nicht erfüllen können wird, bereits zu positiver Kenntnis im Sinne des § 130 Abs. 1 InsO1233. Umstände, die zu dieser Liquiditätsbilanz beitragen, können auch im Rahmen des § 130 Abs. 2 InsO berücksichtigt werden1234. Um einen eigenen Anwendungsbereich zu haben, muss § 130 Abs. 2 InsO weitere Umstände erfassen, die sich nicht (direkt) auf die Liquiditätsbilanz beziehen1235. Als Beispiele zu nennen sind etwa erfolglose Vollstreckungsversuche beim Schuldner oder die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen1236. Die Zahlungsunfähigkeit und ihr genauer Zeitpunkt sind in der Praxis schwer zu beweisen, was erst recht gilt, wenn es um die Kenntnis des Anfechtungsgegners davon geht. Entlastung schafft § 17 Abs. 2 S. 2 InsO, der festlegt, dass die Zahlungseinstellung eine widerlegliche Vermutung1237 für die Zahlungsunfähigkeit begründet. Weil nach der Rechtsprechung von BGH und BAG dieser Zusammenhang gleichsam für den subjektiven Tatbestand des § 130 InsO gelten soll, begründet die Kenntnis der Zahlungseinstellung die Vermutung, dass auch Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit vorlag1238. In diesem Sinne stellt dann die Zahlungseinstellung einen Umstand dar, der den Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit zwingend macht1239. 1231

Siehe oben B.I.3.c)aa). Siehe oben B.II.4.d)bb)(2)(b). 1233 Siehe oben B.II.4.d)bb)(2)(b). 1234 So auch Gottwald/Huber, § 47 Rn. 30; MüKo-InsO/Kayser, § 130 Rn. 35; Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1670). 1235 Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1670). 1236 Für weitere Beispiele siehe sogleich, B.II.4.d)bb)(2)(c)(cc). 1237 Siehe Fn. 367. 1238 BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 (66 f.); BGH, Urt. v. 12. 10. 2006 – IX ZR 228/03, ZInsO 2006, 1210 (1211); BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (40); LAG Thüringen, Urt. v. 9. 9. 2010 – 6 Sa 16/10, juris; Berscheid, jurisPR-ArbR 38/ 2010 Anm. 2; Jaeger/Henckel, InsO, § 130 Rn. 118; MüKo-InsO/Kayser, § 130 Rn. 31; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 305; ders., AP InsO § 130 Nr. 1 (sub. II.3.); Meier, Privilegien des Fiskus, S. 17; KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 113; Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1671). 1239 BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 (66 f.); KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 117; Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1671); Zeuner, Anfechtung, Rn. 118. 1232

182

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Sander1240 und Vollrath1241 sehen die Gefahr einer Kollision, weil die in § 17 Abs. 2 S. 2 InsO aufgestellte Vermutung widerlegt werden könne, während der Schluss von der Zahlungseinstellung auf die Zahlungsunfähigkeit nach § 130 Abs. 2 InsO unwiderleglich sei. Bei dieser Rechtslage könne der Anfechtungsgegner die objektive Zahlungseinstellung (und damit die Zahlungsunfähigkeit) widerlegen, seine Kenntnis davon hingegen nicht1242. Zur Lösung schlagen sie vor, die Vermutung des § 17 Abs. 2 S. 2 InsO auch im Rahmen des § 130 Abs. 2 InsO anzuwenden, d. h. bei Kenntnis der Zahlungseinstellung auch die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit zu vermuten, ohne dass diese Vermutung aber widerlegt werden kann1243. Um der Diskrepanz zwischen der Widerleglichkeit der Vermutung in § 17 Abs. 2 S. 2 InsO zur Unwiderleglichkeit der Vermutung des § 130 Abs. 2 InsO Rechnung zu tragen, soll nach der Ansicht Sanders der anfechtende Insolvenzverwalter die Kenntnis von Tatsachen, die geeignet sind, beim Anfechtungsgegner Zweifel an der Zahlungsunfähigkeit hervorzurufen, widerlegen müssen1244. Diese Lösung sieht auf den ersten Blick elegant aus, ist aber nicht erforderlich. Schon die Bedenken gegen eine leichtere Beweisbarkeit des subjektiven Tatbestandes im Vergleich zum objektiven Tatbestand werden nicht geteilt. Es handelt sich um zwei zu trennende Aspekte. Der objektive Tatbestand bildet die Grundvoraussetzung. Liegt er nicht vor, etwa weil die in § 17 Abs. 2 S. 2 InsO aufgestellte Vermutung widerlegt wird, kommt es auf den subjektiven Tatbestand nicht mehr an. Dass für den subjektiven Tatbestand die Vermutung durch ihre Unwiderleglichkeit verschärft wird, ist die Reaktion darauf, dass innere Tatsachen allgemein schwer beweisbar sind. Auch unter Zuhilfenahme von § 130 Abs. 2 InsO muss dem Anfechtungsgegner die tatsächliche Kenntnis der konkreten Umstände nachgewiesen werden. Im Rahmen des objektiven Tatbestands genügt es hingegen, wenn die Umstände vorlagen, ohne dass die Vorstellungswelt des Anfechtungsgegners irgendeine Rolle spielt. Es ist daher nicht widersprüchlich, wenn auf der subjektiven Ebene die Vermutungswirkung durch ihre Unwiderleglichkeit gestärkt wird. Bei der Gesamtbetrachtung der Indizientatsachen, die dem Anfechtungsgegner bekannt sind, müssen hingegen freilich zu seinen Gunsten solche Tatsachen berücksichtigt werden, die den Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit weniger zwingend machen. (cc) Relevante Umstände Aus dem Vorstehenden folgt, dass eine Gesamtbetrachtung der dem Arbeitnehmer bekannten Umstände vorzunehmen ist, bei der sowohl solche Tatsachen berücksichtigt werden müssen, die für die Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung des Arbeitgebers sprechen, als auch solche, die dagegen sprechen. Es schließt sich 1240 1241 1242 1243 1244

Sander, ZInsO 2009, 702 (706). Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1671). Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1671). Sander, ZInsO 2009, 702 (706 f.); Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1671). Sander, ZInsO 2009, 702 (706 f.); dem folgend Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1671 f.).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

183

die Frage an, welche Umstände der Anfechtungsgegner kennen muss, damit der Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag zwingend ist. Der Maßstab für den erkennenden Richter ergibt sich aus der allgemeinen zivilrechtlichen Regel des § 286 Abs. 1 ZPO, wonach er nach freier Überzeugung zu entscheiden hat, ob er eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr erachtet. Maßgeblich ist eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, die dem Richter die persönliche Gewissheit verschafft, dass der Anfechtungsgegner Umstände kannte, die insgesamt den zwingenden Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit erlaubten1245. Es ist festzustellen, dass die Kenntnis eines Eröffnungsantrags im Rahmen des § 130 Abs. 2 InsO keine weiteren Schwierigkeiten bereitet. Zu Beginn des Eröffnungsverfahrens wird der bestellte vorläufige Verwalter regelmäßig im Betrieb auftreten, wonach die Arbeitnehmer die Kenntnis von einem Insolvenzantrag nicht leugnen können1246. Größere Probleme bereitet die Anwendung des § 130 Abs. 2 InsO auf das Tatbestandsmerkmal der Zahlungsunfähigkeit. Weder aus der Norm selbst noch aus der Entstehungsgeschichte lassen sich konkreten Kriterien oder Beispiele für solche Tatsachen entnehmen, die den zwingenden Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit auslösen1247. Das BAG führt zutreffend aus, wann solche Umstände vorlägen, lasse sich generell nur schwer umschreiben1248. Im Schrifttum findet man katalogartige Auflistungen von Tatsachen, die als Umstände i.S.d. § 130 Abs. 2 InsO im Rahmen von Lohnanfechtungen in Betracht kommen1249. Auch das BAG liefert in seinem Urteil vom 6. Oktober 2011 eine Aufzählung relevanter Umstände: „Die Kenntnis des Anwachsens von Rückständen, die Kenntnis der Nichteinhaltung von Zahlungszusagen, insbesondere vom Schuldner selbst vorgeschlagener Ratenzahlungen, die Kenntnis des Rückstands mit fälligen Sozialversicherungsbeiträgen, die Kenntnis des erneuten Entstehens von Rückständen nach vorheriger (teilweiser) Befriedigung des Gläubigers, die Kenntnis der Nichtzahlung oder der schleppenden Zahlung von Löhnen und Gehältern, die Kenntnis der Häufung von Klagen und Zwangsvollstreckungen, die Kenntnis der verstärkten Inanspruchnahme von Bürgen des Schuldners, Informationen durch den Schuldner, z. B. bei Betriebsversammlungen, sowie Presseberichte über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens des Schuldners.“1250 1245

Instruktiv zur beweisrechtlichen Dogmatik Huber, in: FS Ganter, S. 203 (204 ff.). BAG, Urt. v. 27. 10. 2004 – 10 AZR 123/04, ZInsO 2005, 388 (389); Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 317; Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1668). 1247 BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63; BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (41). 1248 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (41); so auch Pieper, ZInsO 2009, 1425 (1429); Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1673). 1249 Huber, in: FS Ganter, S. 203 (212 ff.); Laws, ZInsO 2009, 1465 (1472); Ries/Doebert, ZInsO 2009, 2367 (2370); allgemein FK-InsO/Dauernheim, § 130 Rn. 41 ff.; KPB/Schoppmeyer, § 130 Rn. 118. 1250 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (41). 1246

184

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

An dieser Stelle soll nicht der Versuch einer vollständigen Aufzählung möglicher Umstände vorgenommen werden. Dieser wäre ohnehin zum Scheitern verurteilt, weil fast jede denkbare Tatsache potentiell ein Umstand i.S.d. § 130 Abs. 2 InsO sein kann. Einzugehen ist im Folgenden aber auf einzelne Umstände, die besonders wichtig sind oder deren Handhabe dogmatische Fragen aufwirft. (a) Lohnrückstände Ein zentraler Umstand i.S.d. § 130 Abs. 2 InsO sind die bestehenden Lohnrückstände. Weil bei regelmäßiger und pünktlicher Zahlung des Lohns die Deckungsanfechtung wegen § 142 InsO ausscheidet1251, liegen in Konstellationen, in denen die Lohnanfechtung in Betracht kommt, fast immer längere Lohnrückstände vor1252. Zu berücksichtigen sind v. a. die Höhe der rückständigen Beträge und die Dauer der Verzögerung, das Verhältnis von Zahlungen zu den Gesamtrückständen, die Intervalle zwischen erfolgenden Zahlungen und ob der Arbeitgeber vollständige oder nur teilweise Zahlungen geleistet hat1253. Des Weiteren ist zu fragen, ob der Arbeitnehmer wusste, dass bei anderen Arbeitnehmern Rückstände aufgelaufen waren1254. In einem der früheren Instanzurteile zur Lohnanfechtung zog das AG Wunsiedel eine radikale Schlussfolgerung: „Wenn ein Arbeitgeber den Lohn für seine Arbeitnehmer nicht fristgerecht bezahlen kann und seine Arbeitnehmer immer noch weiter vertröstet, drängt dies zwingend den Schluss auf, dass der Arbeitgeber keine Mittel mehr zur Erfüllung der Lohnforderungen hat und deshalb zahlungsunfähig ist.“1255

Gegen eine derart strenge Handhabung wandte sich kurz darauf der IX. Senat des BGH. In seinem ersten Grundsatzurteil zur Lohnanfechtung stellte er den Leitsatz auf, dass die Kenntnis des Arbeitnehmers davon, dass der Arbeitgeber in der Krise noch Zahlungen auf rückständige Lohnforderungen erbringt und außerdem noch anderen Arbeitnehmern Lohn schuldig ist, allein nicht den Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung des Arbeitgebers rechtfertige1256. Dem Arbeitnehmer fehle der erforderliche Gesamtüberblick über die Liquiditäts- oder Zahlungslage des schuldnerischen Unternehmens1257. Das BAG hat diese Recht1251

Siehe dazu oben B.II.4.c). Die Vorsatzanfechtung bleibt auch bei pünklicher Zahlung möglich, siehe dazu unten B.II.4.f). 1253 BGH, Urt. v. 15. 10. 2009 – IX ZR 201/08, ZInsO 2009, 2244 (1245); Huber, in: FS Ganter, S. 203 (212). 1254 BGH, Urt. v. 15. 10. 2009 – IX ZR 201/08, ZInsO 2009, 2244 (1245); Huber, in: FS Ganter, S. 203 (212). 1255 AG Wunsiedel, Beschl. v. 15. 4. 2008 – 2 C 607/07, ZVI 2008, 221 (222). 1256 BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 (Leitsatz a); zustimmend Klinck, AP InsO § 130 Nr. 1 (sub. II.5.a). 1257 BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 (69). 1252

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

185

sprechung aufgegriffen und bestätigt1258. Diese Auslegung ist folgerichtig, aber nicht unproblematisch. Fordert man mit dem BGH eine solche umfassende Kenntnis des Liquiditätsstandes, rückt § 130 Abs. 2 InsO inhaltlich der positiven Kenntnis des Abs. 1 sehr nahe. Smid widerspricht der Linie des BGH vehement; er meint, dass schleppende Lohnzahlungen entgegen der Ansicht des IX. Senats ein deutlicher Hinweis auf die Zahlungsunfähigkeit seien1259. Arbeitgeber zahlten den Lohn nur dann schleppend, wenn das Geld tatsächlich fehle, weil Arbeitgeber in kleinen oder mittelständigen Unternehmen das Ausbleiben von Lohnzahlungen regelmäßig persönlich rechtfertigen müssten1260. Geht man, wie hier, davon aus, dass im Rahmen des § 130 Abs. 2 InsO eine Gesamtwürdigung der bekannten Umstände vorzunehmen ist, kann auch aus der schleppenden Lohnzahlung allein die Erfüllung des subjektiven Tatbestandes abgeleitet werden, etwa wenn diese stark ausgeprägt sind und keine Umstände vorliegen, die gegen die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers sprechen. Problematisch ist zudem, inwieweit bei der Beurteilung von Lohnrückständen auf die Zahlungsmoral des konkreten Arbeitgebers in der Vergangenheit abgestellt werden kann1261. Das Ergebnis dieser Differenzierung wäre, dass ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitgeber in der Vergangenheit stets pünktlich gezahlt hat, bei ausbleibenden Zahlungen eher einer Lohnanfechtung ausgesetzt wäre, als ein Arbeitnehmer, dessen Lohn schon im Vorfeld häufig unpünktlich geleistet wurde. Bei lebensnaher Betrachtung darf ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitgeber trotz offensichtlicher Liquiditätsschwierigkeiten über einen längeren Zeitraum nicht zahlungsunfähig geworden ist, eher davon ausgehen, dass es auch in Zukunft so bleibt. Es bestehen daher keine begründeten Bedenken dagegen, die bisherige Zahlungsmoral des Arbeitgebers in die vorzunehmende Gesamtbetrachtung einzustellen1262. (b) Geschäftserfahrenheit des Arbeitnehmers und Gruppenbildung des BGH Fraglich ist zudem, inwieweit die Geschäftserfahrenheit des einzelnen Arbeitnehmers bei der Auslegung des § 130 Abs. 2 InsO im Einzelfall zu berücksichtigen ist. Dabei sei zunächst auf die obigen Ausführungen verwiesen, wonach die Frage, ob der Schluss im Sinne des § 130 Abs. 2 InsO zwingend war, objektiv, d. h. unabhängig von der Geschäftserfahrenheit des Anfechtungsgegners, zu beantworten ist1263.

1258 1259 1260 1261 1262 1263

BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (42). Smid, DZWIR 2010, 45 (54). Smid, DZWIR 2010, 45 (54). Huber, in: FS Ganter, S. 203 (212 f.). So auch Pieper, ZInsO 2009, 1425 (1434). Siehe oben B.II.4.d)bb)(2)(c)(bb)(i).

186

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Der BGH schuf in seiner kurzen Regentschaft über die Lohnanfechtung eine Differenzierung nach Gläubigergruppen1264. Den Urteilen vom 19. Februar 20091265 und vom 15. Oktober 20091266 kann eine Einteilung der Arbeitnehmerschaft in wenigstens zwei Gruppen entnommen werden1267. Die erste Gruppe bilden danach die einfachen Arbeitnehmer. Die zweite Gruppe besteht aus den Arbeitnehmern, die „in der Informationshierarchie (des Unternehmens) nicht auf unterster Ebene“ stehen, wozu der IX. Senat den im zu entscheidenden Fall von der Anfechtung betroffenen Bauleiter zählte1268. Neben diesen Gruppen stehen die Gläubiger mit Insiderkenntnissen, v. a. dienstvertraglich verbundene Berater wie Sanierungs- oder Steuerberater, auf die hier nicht näher einzugehen ist, da es sich nicht um Arbeitnehmer handelt1269. Eine weitere Gruppe bilden nach der Rechtsprechung des BGH offenbar die „institutionellen Gläubiger“ wegen ihrer besonderen Informationsmöglichkeiten1270. Die Einteilung der Arbeitnehmer in Gruppen hilft bei der konkreten Rechtsanwendung kaum weiter1271. Auch das BAG hat in seiner Grundsatzentscheidung zur Lohnanfechtung hervorgehoben, dass die Stellung oder Funktion des Arbeitnehmers bei der Beurteilung, ob der Arbeitnehmer positive Kenntnis von Vermutungstatsachen hatte „nicht per se maßgebend“ sei1272. Das trifft zu1273. Maßgeblich ist allein, welche Umstände der Arbeitnehmer kannte, nicht welche Umstände er aufgrund seiner Stellung hätte kennen können. Die Position im Unternehmen wird daher nur 1264 Eine Unterteilung der Arbeitnehmerschaft in diesem Sinne enthielt auch das amerikanische Insolvenzarbeitsrecht. Das Lohnprivileg in der bis 1979 geltenden Section 64(a)(2) des Bankruptcy Act of 1898, 11 U.S.C. § 104 (a)(2) war auf „workmen, servants, clerks, or … salesmen“ beschränkt; Jackson/Kronman erklären diese Differenzierung damit, dass diesen „untergeordneten“ Arbeitnehmergruppen aufgrund ihrer schlechten Informationslage nicht die Möglichkeit zustehe, die finanzielle Lage des Arbeitgebers und damit die eigenen Befriedigungsaussichten zu überwachen und darauf zu reagieren. Die Privilegierung durch Absicherung des Lohnanspruchs gleiche diesen Nachteil – zumindest teilweise – aus, siehe Jackson/Kronman, The Yale Law Journal 1979, 1143 (1160 Fn. 61). 1265 BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 ff. 1266 BGH, Urt. v. 15. 10. 2009 – IX ZR 201/08, ZInsO 2009, 2244. Im Anschluss ausdrücklich auch LAG Nürnberg, Urt. v. 31. 3. 2010 – 3 Sa 379/09, juris. 1267 Dies aufgreifend LAG Thüringen, Urt. v. 12. 5. 2009 – 7 Sa 413/07, juris; Huber, in: FS Ganter, S. 203 (203, 211) geht von drei Gruppen aus, weil er die Arbeitnehmer in der Finanzbuchhaltung oder mit kaufmännischen Leitungsfunktionen als eigene Gruppe neben den Arbeitnehmern betrachtet, die „nicht auf unterster Ebene“ stehen. Außerdem scheint er die „einfachen Arbeitnehmer“ nicht als eigene Gruppe zu zählen, ebenda S. 211. 1268 BGH, Urt. v. 15. 10. 2009 – IX ZR 201/08, ZInsO 2009, 2244 (2246). 1269 Soweit der Schuldner eine Gesellschaft ist, handelt es sich gem. § 138 Abs. 2 Nr. 2 InsO um nahestehende Person, so dass nach § 130 Abs. 3 InsO die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder dem Eröffnungsantrag zu vermuten ist, siehe dazu oben B.II.4.b). 1270 BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 (71). 1271 So auch Huber, in: FS Ganter, S. 203 (211). 1272 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (42). 1273 So auch Abele, FA 2009, 133 (135); Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (625).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

187

relevant, wenn mit der Position unmittelbar die Kenntnis konkreter Umstände verbunden ist1274. Ohnehin wäre eine unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern aufgrund ihrer Stellung im Unternehmen, abstrahiert vom konkreten Wissensstand, nicht mit dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung zu vereinbaren1275. In § 130 InsO ist eine Differenzierung nur nach dem individuellen Wissensstand angelegt. Diese Differenzierung entspricht der vertrauensschützenden Funktion des subjektiven Tatbestandes der Insolvenzanfechtung1276. Eine Differenzierung nach sozialen oder wirtschaftlichen Hierarchieebenen kennt die Insolvenzordnung nicht. Daraus folgt die Antwort darauf, ob auch Arbeitnehmer in hierarchisch niedrig angesiedelten Positionen der Anfechtung ausgesetzt sind, wenn sie mehr oder weniger zufällig Umstände i.S.d. § 130 Abs. 2 InsO erfahren. Regelmäßig bemüht wird hier als Beispiel die Sekretärin der Geschäftsleitung, die im Tagesgeschäft umfassenden Einblick in die Lage des Unternehmens hat oder der Chauffeur, dem der Geschäftsführer sein Leid über die finanzielle Situation des Unternehmens klagt1277. Kann ihnen die Kenntnis von Umständen i.S.d. § 130 Abs. 2 InsO nachgewiesen werden, sind Anfechtungen möglich, unabhängig davon, aus welcher Quelle und auf welchem Wege der Arbeitnehmer die Informationen erhalten hat. (w) Branchenspezifische Zahlungsgewohnheiten und gesamtwirtschaftliche Lage Das BAG begründet seine extensive Auslegung des Bargeschäftsprivilegs unter anderem damit, dass verspätete Lohnzahlungen in nicht wenigen Branchen schon fast die Regel seien1278. Dieser Gedanke ließe sich auch für den subjektiven Tatbestand der Deckungsanfechtung fruchtbar machen. Danach wäre allein die Zugehörigkeit des Arbeitgebers zu einer bestimmten Branche als Umstand zu berücksichtigen, der gegen die Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung des Arbeitgebers spricht, weil in diesem Wirtschaftszweig auch ohne vorliegende Zahlungsunfähigkeit Lohnzahlungen häufig verspätet erfolgen. Dabei ist freilich schon fraglich, ob bei den Lohnverzögerungen in der Branche, auf die Bezug genommen wird, nicht in vielen Fällen tatsächlich Zahlungsunfähigkeit vorlag. Vor allem ist aber sehr zweifelhaft, ob eine entsprechende Schlussfolgerung aus den allgemeinen Zahlungsgewohnheiten einer Branche gezogen werden kann. Erforderlich ist im Rahmen des § 130 Abs. 2 InsO, dass der Anfechtungsgegner die tatsächlichen Umstände kennt, aus denen bei zutreffender rechtlicher Bewertung die Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt1279. Die tatsächlichen Umstände müssen dabei einen gewissen Grad 1274

Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (625); Ries/Doebert, ZInsO 2009, 2367 (2370). Kritisch in dieser Richtung Schulz, Anm. DZWIR 2009, 256 (257); Smid, DZWIR 2010, 45 (54). 1276 Dazu oben B.I.4.d)cc). 1277 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (42); Abele, FA 2009, 133 (135); Ries/Doebert, ZInsO 2009, 2367 (2370). 1278 BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (39); siehe bereits oben B.II.4.c)cc)(2)(c). 1279 Siehe oben B.II.4.d)bb)(2)(c)(bb)(i). 1275

188

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

der Konkretisierung erreichen, sonst lassen sie gar keinen Schluss auf die Liquiditätssituation des einzelnen Unternehmens zu. Das muss spiegelbildlich auch für Umstände gelten, die gegen die Zahlungsunfähigkeit sprechen. Es ist nicht ersichtlich, warum insoweit ein breiterer Maßstab gelten sollte. Es wurde bereits festgestellt, dass die (schlechten) Zahlungsgewohnheiten des konkreten Arbeitgebers in der Vergangenheit zu Gunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden können1280. Man sollte aber nicht alle Unternehmen einer Branche in einen Topf werfen. In der Praxis gibt es z. B. auch in der oftmals kritisierten Baubranche natürlich Unternehmen, die seit Jahr und Tag Lohnzahlungen auf den Punkt leisten. Daher kann nach hiesiger Ansicht aus der branchenüblichen Zahlungsmoral keine Erkenntnis darüber gewonnen werden, ob ein konkreter Arbeitnehmer als Anfechtungsgegner Kenntnis i.S.d. § 130 Abs. 2 InsO aufwies1281. In die entgegengesetzte Richtung geht der Ansatz Hubers in Bezug auf die gesamtwirtschaftliche Lage. In einem Aufsatz über die Lohnanfechtung zog er das Fazit, dass der subjektive Tatbestand aufgrund der Finanzkrise des Jahres 2009 eher erfüllt sein könne, weil den Arbeitnehmern die wirtschaftlich schlechte Situation der Arbeitgeber bekannt sei1282. Dieser Gedanke ließe sich auch auf die folgenden Finanzkrisen, etwa in den Jahren 2012/2013, übertragen. Die Argumente gegen eine branchenspezifische Wertung sprechen erst Recht gegen diese noch abstraktere Betrachtung. Unternehmen sind auch von Krisen, die die ganze Volkswirtschaft erfassen, sehr individuell betroffen. Ein Rückschluss von der allgemeinwirtschaftlichen Situation auf die Lage des Einzelunternehmens ist daher zu vage, um einen zwingenden Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 130 Abs. 2 InsO zuzulassen1283. (d) Sonderwissen von Gremienmitgliedern Ein weiteres Problemfeld wurde von Zwanziger bereits im ersten Aufsatz1284 zur Lohnanfechtung aufgeworfen. Dort vertrat er die Ansicht, dass die Kenntnis von Tatsachen, die auf die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers hindeuten, nicht zu Lasten von Arbeitnehmern berücksichtigt werden dürften, wenn diese Kenntnisse im Rahmen von betriebsverfassungsrechtlichen Gremien erworben worden seien; andernfalls sei das Benachteiligungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG verletzt1285. Nach dieser Norm dürfen Mitglieder des Betriebsrats sowie diverser anderer Gremien wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden. In der Literatur hat

1280

B.II.4.d)bb)(2)(c)(cc)(i). Ähnlich Pieper, ZInsO 2009, 1425 (1434), die allerdings die branchenüblichen Gepflogenheiten als ein zu berücksichtigendes Kriterium im Rahmen der Gesamtabwägung sieht. 1282 Huber, NJW 2009, 1928 (1931 f.). 1283 So auch Ries/Doebert, ZInsO 2009, 2367 (2370). 1284 Zwanziger, BB 2007, 42 ff. 1285 Zwanziger, BB 2007, 42 (44). 1281

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

189

diese Auffassung Zustimmung1286, aber auch deutliche Ablehnung1287 erfahren. Dabei ist Zwanziger jedenfalls insoweit zuzustimmen, als er postuliert, das Verbot der Benachteiligung wegen Betriebsratsarbeit gelte auch in der Insolvenz, wie die Einbindung des Betriebsrat in das Insolvenzverfahren (§§ 120 ff. InsO) zeige1288. Kolbe führt gegen den Sonderschutz von Gremienmitgliedern bei der Anfechtung an, dass bei einer solchen Bevorzugung im Insolvenzverfahren die Mandatsträger einen Sondervorteil annehmen und behalten dürften, obwohl sie um die gläubigerbenachteiligende Wirkung der Zahlungen wüssten1289. Damit würde das Betriebsverfassungsrecht einen starken Anreiz für die Gremienmitglieder setzen, in der Krise den eigenen Vorteil zu suchen, was im „krassen teleologischen Widerspruch zum Anfechtungsrecht“ stünde, und dem „Mitbestimmungsfilz“ Vorschub leisten könne1290. Auch Laws spricht sich gegen einen solchen Anfechtungsschutz für Gremienmitgliedern aus1291. Der Insolvenzverwalter handle bei einer Anfechtung nicht als Arbeitgeber oder dessen „Rechtsnachfolger“, sondern materiell-rechtlich und prozessual im eigenen Namen und aus eigenem Recht, jedoch mit Wirkung für und gegen die Masse1292. Er werde in Erfüllung der ihm insolvenzrechtlich obliegenden Pflichten tätig, die durch § 78 S. 2 BetrVG nicht eingeschränkt würden1293. In diesem Zusammenhang ist zunächst festzustellen, dass nach der Rechtsprechung nicht nur Benachteiligungen durch den Arbeitgeber, sondern auch durch Dritte erfasst sind, wobei es auf eine Benachteiligungsabsicht nicht ankommt; maßgeblich ist danach allein die objektive Schlechterstellung gegenüber Nichtbetriebsratsmitgliedern1294. Auch der Insolvenzverwalter ist also grundsätzlich an das Verbot gebunden. Dass die Mandatsträger ihr Sonderwissen weder vom Arbeitgeber noch vom Insolvenzverwalter in der Absicht vermittelt bekommen haben, später Anfechtungsschuldner zu werden, ist ebenso unerheblich.

1286

Kocher, ZVI 2009, 433 (437); Peters-Lange, info also 2008, 255 (258 f.). Laws, ZInsO 2009, 1465 (1472); Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (162). 1288 Zwanziger, BB 2007, 42 (44); eine solche Entrechtung von Gremienmitgliedern in der Insolvenz wäre normativ auch ungünstig, da sie für Arbeitgeber einen Anreiz bieten könnte, ein Insolvenzverfahren anzustreben, um von den eingeschränkten Rechten der betroffenen Arbeitnehmer zu profitieren; siehe zu diesem Problemkreis des sog. Forum Shoppings, Kimhi/ Doebert, ZInsO 2013, 357 ff. 1289 Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (162). 1290 Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (162). 1291 Laws, ZInsO 2009, 1465 (1472). 1292 Laws, ZInsO 2009, 1465 (1472). 1293 Laws, ZInsO 2009, 1465 (1472). 1294 BAG, Beschl. v. 20. 1. 2010 – 7 ABR 68/08, NZA 2010, 777 (777); ErfK/Kania, § 78 BetrVG Rn. 7. 1287

190

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

§ 78 S. 2 BetrVG verbietet allerdings nur Benachteiligungen, die nicht auf sachlichen Gründen, sondern auf der Tätigkeit als Betriebsratsmitglied beruhen1295. Auch nach der Rechtsprechung des BAG folgt aus § 78 S. 2 BetrVG nicht, dass „jedweder im Zusammenhang mit der Betriebsratstätigkeit entstehende „Nachteil“ auszugleichen ist“1296. Als Beispiele für verbotene Benachteiligungen werden vom BAG und in den einschlägigen Kommentaren Kündigungen und nachteilige Veränderungen der Arbeitsbedingungen genannt1297. Es handelt sich dabei um gezielte Maßnahmen, bei denen Mandatsträger vom Arbeitgeber „abgestraft“ werden. Die Schlechterstellung durch die Anfechtbarkeit von Zahlungen beruht hingegen auf dem erhöhten Wissensstand des Mandatsträgers. Sie folgt nur mittelbar aus der Amtstätigkeit, aus der das Sonderwissen herrührt. Die Differenzierung nach dem individuellen Wissensstand ist zweifelsohne ein sachliches Kriterium, das – wie gesehen1298 – aus der vertrauensschützenden Funktion des subjektiven Tatbestands der Anfechtungsnormen folgt. Um zu klären, ob auch die mittelbare Schlechterstellung durch den Erwerb von Sonderwissen im Rahmen der Gremienarbeit eine Benachteiligung i.S.d. § 78 S. 2 BetrVG ist, muss das telos der Norm untersucht werden. Der Zweck von § 78 BetrVG besteht darin, die Unabhängigkeit der betriebsverfassungsrechtlichen Mandatsträger zu schützen1299. „Jedes Betriebsratsmitglied soll ohne Furcht vor Maßregelungen und Sanktionen des Arbeitgebers sein Amt ausüben können“1300. Es ist nicht ohne weiteres ersichtlich, inwieweit durch die Anfechtbarkeit die Unabhängigkeit der Gremienmitglieder beeinflusst sein soll. Es ist möglich, dass sie aus Furcht vor der Anfechtung ihr Engagement im Gremium reduzieren, um unwissend zu bleiben, indem sie etwa von Sitzungen fernbleiben oder die Entgegenahme von Informationen durch den Arbeitgeber verweigern. Dass ein solches Verhalten tatsächlich stattfindet, ist nicht sehr wahrscheinlich. Zudem wäre die Folge in einer Verschlechterung der Arbeit des Betriebsrats zu sehen, die aber nicht dessen Unabhängigkeit tangiert. Außerdem stehen der Gefahr der Anfechtbarkeit auch erhebliche individuelle Vorteile gegenüber, die den Mandatsträgern durch den erhöhten Wissensstand entstehen. Indem die Gremienmitglieder vor den übrigen Arbeitnehmern entscheidende Informationen erlangen, genießen sie etwa bei der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle in derselben Branche einen relevanten 1295

BAG, Beschl. v. 20. 1. 2010 – 7 ABR 68/08, NZA 2010, 777 (777); ErfK/Kania, § 78 BetrVG Rn. 7. 1296 BAG, Beschl. v. 20. 1. 2010 – 7 ABR 68/08, NZA 2010, 777 (778). 1297 BAG, Urt. v. 12. 2. 1975 – 5 AZR 79/74, BB 1975, 701 (701); ErfK/Kania, § 78 BetrVG Rn. 7. 1298 Siehe oben B.I.4.d)cc). 1299 BAG, Beschl. v. 20. 1. 2010 – 7 ABR 68/08, NZA 2010, 777 (777); BAG, Urt. v. 12. 2. 1975 – 5 AZR 79/74, BB 1975, 701 (701); ErfK/Kania, § 78 BetrVG Rn. 1; APS/Künzl, § 78 BetrVG Rn. 1, 35. 1300 BAG, Beschl. v. 20. 1. 2010 – 7 ABR 68/08, NZA 2010, 777 (777); BAG, Urt. v. 12. 2. 1975 – 5 AZR 79/74, BB 1975, 701 (701).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

191

Vorsprung. Auch im Rahmen von Verhandlungen mit dem aktuellen Arbeitgeber verstärkt sich ihre Position durch den erhöhten Informationsstand. Demnach sprechen nach hiesiger Ansicht die besseren Argumente dafür, § 78 S. 2 BetrVG nicht auf Fälle anzuwenden, in denen Arbeitnehmer aufgrund ihrer Gremientätigkeit das Wissen erlangen, das zur Erfüllung des objektiven Tatbestands der Anfechtung führt. Hinzu kommt, dass die Rechtsfolge des § 78 S. 2 BetrVG für eine Ausschaltung des subjektiven Tatbestands der Insolvenzanfechtung nicht tauglich ist. Rechtsgeschäfte, die gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen, sind gem. § 134 BGB nichtig1301. Weiterhin können über § 823 Abs. 2 BGB Schadensersatzansprüche bestehen1302, was allerdings Verschulden voraussetzt. Wie sich aus § 78 BetrVG die Fiktion von Unwissenheit konstruieren lassen soll, ist nicht nachvollziehbar. Ohnehin dürfte nicht ernsthaft vertreten werden, dass ein Verschulden des Arbeitgebers oder Insolvenzverwalters vorliegt, wenn er den Betriebsrat über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens umfassend und wahrheitsgemäß aufklärt. Als Zwischenergebnis ist damit festzuhalten, dass bei der Anfechtung gegenüber Gremienmitgliedern kein Sonderschutz geboten ist, sondern allein der nachweisbare tatsächliche Wissensstand maßgeblich ist. Im Zusammenhang mit dem Betriebsrat lässt sich weiter fragen, ob die Zurechnung von Sonderwissen, über das der Betriebsrat verfügt, zu Lasten des einzelnen Arbeitnehmers möglich ist. Grundsätzlich wird im Rahmen des Anfechtungsrechts einer Person gem. § 166 Abs. 1 BGB das Wissen seines gesetzlichen oder gewillkürten Vertreters zugerechnet1303. Jedenfalls im Zusammenhang mit dem konkreten Rechtsgeschäft, nämlich der angefochtenen Lohnzahlung, handelt der Betriebsrat nicht als Vertreter des Arbeitnehmers. Außerdem liegt das telos der Zurechnung darin, dass die arbeitsteilige Organisation den Arbeitgeber (oder die Gesellschaft) nicht besserstellen darf als wenn er selbst tätig geworden wäre1304. Dieser Gedanke passt nicht für Arbeitnehmervertreter, die zum Schutz der Arbeitnehmer tätig werden. Rechnete man ihre Kenntnis den Arbeitnehmern zu, würde dieser Zweck konterkariert, indem die Interessenvertretung einen Nachteil für den einzelnen Arbeitnehmer mit sich brächte. Das Wissen der Arbeitnehmervertretung schadet dem einzelnen Arbeitnehmer im Rahmen der Anfechtung nicht.

1301 BAG, Beschl. v. 20. 1. 2010 – 7 ABR 68/08, NZA 2010, 777 (777); ErfK/Kania, § 78 BetrVG Rn. 8; APS/Künzl, § 78 BetrVG Rn. 56. 1302 BAG, Urt. v. 12. 2. 1975 – 5 AZR 79/74, BB 1975, 701 (702); APS/Künzl, § 78 BetrVG Rn. 57. 1303 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.53; Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 130 Rn. 79; MüKoInsO/Kayser, § 130 Rn. 41; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 130 Rn. 74. 1304 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.53.

192

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

(3) Beweislast Die Beweislast für die Voraussetzungen der Anfechtung trägt der Insolvenzverwalter1305. Das umfasst auch die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungsunfähigkeit oder von Umständen, die zwingend darauf hindeuten1306. Eine Erleichterung für den Insolvenzverwalter enthält § 130 Abs. 3 InsO, der die Kenntnis vermutet, wenn der Anfechtungsgegner zu den nahestehenden Personen i.S.d. § 138 InsO zählt1307. (4) Zwischenergebnis Die Deckungsanfechtung nach § 130 InsO ist für Lohnanfechtungen die zentrale Norm, soweit man die Rechtsprechung des BAG zum Bargeschäftsprivileg ausblendet1308. Die entscheidende Hürde für den anfechtenden Insolvenzverwalter liegt im subjektiven Tatbestand. Regelmäßig ist die zentrale Frage, ob dem Arbeitnehmer Umstände bekannt waren, die gem. § 130 InsO zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit hindeuteten. Ob der Arbeitnehmer einen solchen Wissensstand hatte, ist anhand einer Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Die Gesamtbetrachtung muss sich auf den konkreten Arbeitnehmer, den konkreten Arbeitgeber und das konkrete Arbeitsverhältnis beziehen. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Lohnrückstände, wobei auch die bisherige Zahlungsmoral zu Gunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sein kann. Eine objektive Betrachtung ist bei der Frage anzulegen, ob die bekannten Tatsachen den Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit zwingend machten. Einen Sonderschutz für Arbeitnehmervertreter gibt es in diesem Zusammenhang nicht: Auch Mandatsträger müssen sich an ihrem individuellen Wissensstand messen lassen. cc) Anfechtung inkongruenter Deckungen, § 131 InsO Der zweite Tatbestand, der aus dem früheren § 30 KO hervorging, ist § 131 InsO1309. Nach dieser Norm ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte. Es handelt sich um die Anfechtbarkeit sog. inkongruenter Deckungen. Im Vergleich zur Schwesternorm des § 130 InsO erleichtert § 131 InsO die Anfechtung durch den Verzicht auf subjektive Tatbestandsmerkmale erheblich, wenn als erschwerender

1305

Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 158; Jaeger/Henckel, InsO, § 130 Rn. 153; Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 130 Rn. 105; Huber, in: FS Ganter, S. 203 (217); MüKo-InsO/Kayser, § 130 Rn. 61. 1306 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.50; MüKo-InsO/Kayser, § 130 Rn. 65. 1307 Siehe dazu oben B.II.4.b). 1308 Dazu oben B.II.4.c)cc)(2)(c). 1309 Ausführlicher zur Historie Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 325 ff.

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

193

Umstand die Inkongruenz der Deckung vorliegt1310. Der Grund dafür ist eine besondere Verdächtigkeit der Rechtshandlung, die für den Gläubiger erkennbar war1311. Werden Vertragsbeziehungen abweichend vom ursprünglichen Plan abgewickelt, liegt der Verdacht nahe, dass ungerechtfertigte Prioritäten gesetzt wurden1312 und es um die Solvenz des Schuldners nicht gut bestellt ist. Dieser Wertung liegt die Annahme zugrunde, dass nur ein in der Krise befindlicher Schuldner zu inkongruenten Deckungen bereit ist1313. Zudem kann die Inkongruenz darauf schließen lassen, dass der Anfechtungsgegner in Kenntnis der Krise den Schuldner zu einer vom ursprünglichen Abwicklungsplan abweichenden Leistung gedrängt oder gezwungen hat1314, um sich einen Vorteil gegenüber anderen Gläubigern zu verschaffen. Die Besonderheit von § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO liegt darin, dass er die Anfechtbarkeit unabhängig davon zulässt, ob der Schuldner zum Zeitpunkt der Rechtshandlung zahlungsunfähig oder überschuldet war und ob der Gläubiger hiervon Kenntnis hatte1315. § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO verzichtet zwar nicht auf die Zahlungsunfähigkeit, stellt aber keinerlei subjektive Voraussetzungen auf. Eine Sonderstellung im Tatbestand des § 131 InsO nimmt dessen Abs. 1 Nr. 3 ein, wonach Handlungen, die innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden sind, der Anfechtung unterliegen, wenn dem Gläubiger zur Zeit der Handlung bekannt war, dass sie die Insolvenzgläubiger benachteiligte. Nach der herrschenden Meinung handelt es sich um einen besonderen Fall der Vorsatzanfechtung1316. Begründet wird diese Einordnung damit, dass der Tatbestand nicht auf die materielle Insolvenz des Schuldners abstelle1317. Dieses Argument ist allerdings wenig überzeugend, weil auch § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO auf das Merkmal der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung verzichtet und dennoch „einen Prototyp der auf das Gleichbehandlungsgebot gestützten und daher rein objektiv formulierten Anfechtungsregel darstellt.“1318 Die dogmatische Einordnung

1310 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 158; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.46; MüKo-InsO/Kayser, § 131 Rn. 1. 1311 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 158; v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 98; Kohn-Löffelmann, Insolvenzanfechtung in Europa, S. 154; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 131 Rn. 60. 1312 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 98; Pfefferle, Konkursanfechtung, S. 91. 1313 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 328 ff.; Erster Bericht der Kommission, S. 406 f. 1314 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 325 f., 329. 1315 BAG, Urt. v. 19. 5. 2011 – 6 AZR 736/09, ZInsO 2011, 1560 (1561); Nerlich/Römermann/Nerlich, § 131 Rn. 53. 1316 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 159; Erster Bericht der Kommission, S. 407; v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 60; Schoppmeyer, NZI 2005, 185 (187); a.A. MüKo-InsO/ Kayser, § 131 Rn. 49; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 156 ff.; Thole, ZZP 121 (2008), 67 (78 ff.). 1317 Schoppmeyer, NZI 2005, 185 (187). 1318 Thole, ZZP 121 (2008), 67 (79).

194

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

spielt für die Anwendung der Norm im Einzelfall allerdings keine Rolle1319, so dass auf eine vertiefte Auseinandersetzung mit dieser umstrittenen Frage verzichtet werden kann. Da die Bargeschäftsausnahme des § 142 InsO nicht auf inkongruente Deckungen anwendbar ist1320, kann § 131 InsO trotz der einschränkenden Rechtsprechung des BAG1321 Lohnanfechtungen ermöglichen. (1) Inkongruenz Anders als für die Kongruenz1322, ist im Rahmen von § 131 InsO eine Definition des Merkmals „Inkongruenz“ erforderlich. Maßgeblich ist, dass der Gläubiger die Deckung nicht, nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte. Inkongruenz liegt vor, wenn die erhaltende Deckung von dem abweicht, was der Gläubiger als Insolvenzgläubiger nach Maßgabe des Schuldverhältnisses im Leistungszeitpunkt tatsächlich zu beanspruchen hatte, also eine Abweichung vom vertraglichen Abwicklungsplan besteht1323. Die Kongruenz der Deckung mit dem obligatorisch Geschuldeten ist eng auszulegen1324, was zu einem weiten Anwendungsbereich des § 131 InsO führt. In der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses sind vielerlei Fallgestaltungen denkbar, die zu einer Abweichung vom vertraglichen Plan führen. Im Folgenden ist auf die Aspekte einzugehen, die im Rahmen der Lohnanfechtung von besonderer Bedeutung sind. (a) Zeitpunkt der Zahlung Eine Deckung ist nicht zu der Zeit zu beanspruchen, wenn der Anspruch noch betagt, d. h. noch nicht fällig ist1325. Nicht von § 131 InsO erfasst sind hingegen 1319 MüKo-InsO/Kayser, § 131 Rn. 49; teilweise (Nerlich/Römermann/Nerlich, § 131 Rn. 64) wird allerdings vertreten, wegen der Zugehörigkeit zur Vorsatzanfechtung könne der Tatbestand nur auf Rechtshandlungen des Schuldners angewandt werden. Im Wortlaut der Norm finden sich dafür keinerlei Anhaltspunkte (kritisch auch KPB/Schoppmeyer, § 131 Rn. 148). Da bei Lohnanfechtungen die Rechtshandlung ganz regelmäßig vom Schuldner ausgeht, wird dieser Aspekt nicht weiter vertieft. 1320 Siehe oben B.II.4.c)bb). 1321 Siehe oben B.II.4.c)cc)(2)(c). 1322 Siehe oben B.II.4.d)aa)(2). 1323 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 97; FK-InsO/Dauernheim, § 131 Rn. 3; Jaeger/ Henckel, InsO, § 131 Rn. 3; MüKo-InsO/Kayser, § 131 Rn. 9; Ries, EWiR 2008, 187 (188); KPB/Schoppmeyer, § 131 Rn. 30. 1324 BGH, Urt. 9. 1. 2003 – IX ZR 85/02, ZInsO 2003, 178 (179); BGH, Urt. v. 15. 11. 1960 – V ZR 35/59, BGHZ 33, 389 (393); v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 100; Gottwald/Huber, § 47 Rn. 41; MüKo-InsO/Kayser, § 131 Rn. 11; KPB/Schoppmeyer, § 131 Rn. 39; kritisch Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 338. 1325 BGH, Urt. v. 9. 6. 2005 – IX ZR 152/03, ZInsO 2005, 766 (766 f.); v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 102; FK-InsO/Dauernheim, § 131 Rn. 17; Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 131

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

195

verspätete Zahlungen, wie sie in Fällen der Lohnanfechtung regelmäßig vorliegen1326. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Norm, denn ab Fälligkeit hat der Gläubiger die Leistung zu beanspruchen. Außerdem benachteiligt eine verspätete Leistung die übrigen Gläubiger regelmäßig nicht1327. Inkongruenz kann demnach nur in Fällen angenommen werden, in denen Arbeitnehmern ihr Entgelt vor dessen Fälligkeit ausbezahlt wird1328. Vor dem Hintergrund, dass in der Praxis in der Krise des Arbeitgebers oftmals Lohnrückstände auflaufen, sind solche Fallgestaltungen eher theoretisch. Zudem ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung auch eine verfrühte Zahlung als kongruent anzusehen ist, wenn die Zeitspanne der Verfrühung die voraussichtliche Dauer des Zahlungsvorgangs nicht nennenswert überschreitet; diese Zeitspanne soll bei Überweisungen im Inland fünf Tage betragen1329. Danach ist festzuhalten, dass das Merkmal „nicht zu der Zeit“ für Lohnanfechtungen keine erhebliche Bedeutung hat. (b) Zahlungsmittel Eine Deckung, die der Gläubiger nicht in der Art zu beanspruchen hat, kann vorliegen, wenn Zahlungsmittel verwendet werden, die nicht im Einklang mit dem zugrundliegenden Vertrag stehen. Das klassische Beispiel dafür ist die Abtretung einer Forderung gegen einen Dritten, wenn eigentlich Zahlung geschuldet ist. Allerdings ist eine Deckung, die von der vertraglichen geschuldeten Leistung abweicht, nicht inkongruent, wenn die Abweichung von der geschuldeten Leistung nur geringfügig oder verkehrsüblich ist1330. Der BGH und die Literatur bewerten die Zahlung per Banküberweisung oder mit einem eigenen Scheck als verkehrsüblich, auch wenn grundsätzlich Barzahlung geschuldet war1331. In der heutigen Arbeitswelt Rn. 13; Jaeger/Henckel, InsO, § 131 Rn. 23; Gottwald/Huber, § 47 Rn. 42; MüKo-InsO/ Kayser, § 131 Rn. 40; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 131 Rn. 31; kritisch zu dieser Voraussetzung Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 330 f. mit dem Hinweis, in der Krise befindliche Schuldners würden gerade nicht vor Fälligkeit leisten. 1326 BGH, Urt. v. 6. 4. 1995 – IX ZR 61/94, ZIP 1995, 1021 (1029), nicht abgedruckt in BGHZ 129, 236 ff.; MüKo-InsO/Kayser, § 131 Rn. 40a; daher sind die Ausführungen des LAG Sachsen (Urt. v. 29. 4. 2008 – 7 Sa 457/07, ZInsO 2008, 1157) sehr fragwürdig, auch wenn sich das Gericht mit seiner eigentümlichen Erfindung einer betrieblichen Übung verspäteter Lohnzahlungen (dazu oben B.II.2.d)) dem Problem entzieht. 1327 MüKo-InsO/Kayser, § 131 Rn. 40a. 1328 Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1666). 1329 BGH, Urt. v. 9. 6. 2005 – IX ZR 152/03, ZInsO 2005, 766; Jaeger/Henckel, InsO, § 131 Rn. 28; Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1666); Zwanziger, BB 2007, 42 (44). 1330 BGH, Urt. 9. 1. 2003 – IX ZR 85/02, ZInsO 2003, 178 (179); Jaeger/Henckel, InsO, § 131 Rn. 13; MüKo-InsO/Kayser, § 131 Rn. 11; KPB/Schoppmeyer, § 131 Rn. 40, 61. 1331 BGH, Urt. 9. 1. 2003 – IX ZR 85/02, ZInsO 2003, 178 (179); v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 103; FK-InsO/Dauernheim, § 131 Rn. 16; Eichberger, Konkursanfechtung, S. 137; KPB/Schoppmeyer, § 131 Rn. 61; MüKo-InsO/Kayser, § 131 Rn. 11; Jaeger/Henckel,

196

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

ist die Lohnzahlung per Banküberweisung der Regelfall. Nach den soeben dargestellten Grundsätzen führt diese Praxis nicht zur Inkongruenz, selbst wenn nach dem Arbeitsvertrag eine Barzahlung geschuldet ist. Inkongruenz ist hingegen anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zur Erfüllung seines Entgeltanspruchs vom Arbeitgeber einen Kundenscheck erhält1332. Anders als bei der Zahlung mit einem eigenen Scheck ist bei der Hingabe fremder Schecks eine inkongruente Deckung anzunehmen1333. Das gilt auch bei der Erfüllung von Entgeltansprüchen durch die Übereignung von Waren, die im Rahmen der Geschäftstätigkeit produziert wurden1334. Weder hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Befriedigung solcher Art, noch ist diese Zahlungsmethode verkehrsüblich. Vielmehr drückt sich in ihr die für inkongruente Deckungen typische Situation aus, dass der Schuldner über keine eigenen Zahlungsmittel mehr verfügt. (c) Zwangsvollstreckung Ein weiterer relevanter Aspekt ist die anfechtungsrechtliche Handhabe von Zwangsvollstreckungshandlungen eines Gläubigers. Der BGH und das BAG vertreten inzwischen1335 die gefestigte Auffassung, dass eine Deckung inkongruent ist, wenn sie im Zeitraum bis zu drei Monate vor dem Insolvenzantrag im Wege der Zwangsvollstreckung erlangt wurde1336. Nach Ansicht des BAG ist sogar eine Abfindung für den Arbeitnehmer, die aus einem gerichtlichen Vergleich resultiert und im Wege der Zwangsvollstreckung befriedigt wurde, der Anfechtung nach § 131 Abs.1 Nr. 1 InsO ausgesetzt1337. Nach dieser Ansicht sind Deckungen, die im Wege der Zwangsvollstreckung oder unter dem Druck ihrer Androhung erfolgen, Befriedigungen, die der Gläubiger „nicht in der Art“ zu beanspruchen hat. Der BGH begründet diese Auslegung mit dem Vorrang der Gesamtvollstreckung (und damit der par condicio creditorum) vor der Einzelvollstreckung in der Krise: Wenn für die Gläubigergesamtheit keine InsO, § 131 Rn. 13, 15; Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 131 Rn. 6; v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, S. 162. 1332 AG Bremen, Urt. 31. 3. 2006 – 7 C 272/05, juris; Huber, NJW 2009, 1928 (1929); Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (162); Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1666). 1333 BGH, Urt. v. 30. 9. 1993 – IX ZR 227/92, BGHZ 123, 320 (324 f.); OLG Celle, Urt. v. 5. 5. 1958 – 1 U 23/58; NJW 1958, 1144 (1145); MüKo-InsO/Kayser, § 131 Rn. 35. 1334 Pieper, ZInsO 2009, 1424 (1431); Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1666). 1335 Beide Gerichte vertraten lange die gegenteilige Auffassung, siehe BGH, Urt. v. 26. 2. 1969 – 8 ZR 41/67, WM 1969, 374; BAG, Urt. v. 17. 6.1997 – 9 AZR 753/95, NZA 1998, 446. 1336 BGH, Urt. v. 22. 1. 2004 – IX ZR 39/03, BGHZ 157, 350 (353); BGH, Urt. v. 9. 9. 1997 – IX ZR 14/97, BGHZ 136, 309 (310); BAG, Urt. v. 19. 5. 2011 – 6 AZR 736/09, ZInsO 2011, 1560 (1561); BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, ZInsO 2014, 1108 (1109); so auch LAG Nürnberg, Urt. v. 16. 5. 2012 – 2 Sa 566/11, ZInsO 2013, 94 (95); dazu Stiller, ZInsO 2013, 55 (55). 1337 BAG, Urt. v. 19. 5. 2011 – 6 AZR 736/09, ZInsO 2011, 1560.

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

197

Aussicht mehr bestehe, aus dem Vermögen des Schuldners volle Deckung zu erhalten, trete die Befugnis des Einzelnen zur Rechtsdurchsetzung mit staatlichen Zwangsmitteln hinter dem Schutz der Gläubigergesamtheit zurück1338. Der Einsatz staatlicher Machtmittel zeige im Übrigen, dass der Gläubiger die Deckung ohne hoheitliche Hilfe nicht habe erhalten können1339. Dem hat sich die Literatur größtenteils angeschlossen1340. Henckel führt als weiteres Argument für die Anfechtbarkeit an, dass ein Gläubiger, der im Wege der Zwangsvollstreckung vorginge, sich nicht auf seine Arglosigkeit bezüglich der Vermögensverhältnisse des Schuldners berufen könne1341. Schon die Erforderlichkeit der Zwangsvollstreckung1342 zur Durchsetzung des Anspruchs begründe für den vollstreckenden Schuldner den Verdacht, dass der Schuldner nicht zahlungsfähig sei1343. Die verschärfte Haftung gegenüber § 130 Abs. 1 InsO rechtfertige sich daraus, dass der Gläubiger bei der Zwangsvollstreckung aktiv auf das unzureichende Schuldnervermögen einwirke und damit die anderen Gläubiger von ihrer Befriedigung ausschließe1344. Auf den ersten Blick verwundert die damit verbundene Feststellung, dass ein Gläubiger, der auf gesetzlich bereitgestellte Instrumente zurückgreift, die ihm die Durchsetzung eines bestehenden Anspruchs ermöglichen, die auf diesem Wege erlangte Befriedigung oder Sicherung nicht „in der Art“ zu beanspruchen haben soll1345. Vergegenwärtigt man sich jedoch die Grundentscheidung des Gesetzgebers, in der Insolvenz das Prioritätsprinzips konsequent durch ein System der Gesamtvollstreckung abzulösen1346, ist das Resultat konsequent. Das Interesse an der geordneten Vollstreckung im Interesse der Gläubigergesamtheit überlagert in dieser Situation das Befriedigungsinteresse des einzelnen Gläubigers. Das BAG weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass darin kein Verstoß gegen die Garantie des Eigentums des Art. 14 GG liege, da es sich bei der Inkongruenzan1338 BGH, Urt. v. 22. 1. 2004 – IX ZR 39/03, BGHZ 157, 350 (353); BGH, Urt. v. 9. 9. 1997 – IX ZR 14/97, BGHZ 136, 309 (312); so auch BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, ZInsO 2014, 1108 (1110); BAG, Beschl. v. 31. 08. 2010 – 3 ABR 139/09, ZIP 2011, 629 (629). 1339 BGH, Urt. v. 9. 9. 1997 – IX ZR 14/97, BGHZ 136, 309 (311); auch BAG, Urt. v. 19. 5. 2011 – 6 AZR 736/09, ZInsO 2011, 1560; so auch Jaeger/Henckel, InsO, § 131 Rn. 50 – 53. 1340 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 111; FK-InsO/Dauernheim, § 131 Rn. 29; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.55, 21.61; Jaeger/Henckel, InsO, § 131 Rn. 50; MüKo-InsO/ Kayser, § 131 Rn. 26; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 131 Rn. 11; KPB/Schoppmeyer, § 131 Rn. 122; kritisch hingegen: Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 19.37 f. 1341 Jaeger/Henckel, InsO, § 131 Rn. 52; so auch v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 111; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.55; KPB/Schoppmeyer, § 131 Rn. 121; Stiller, ZInsO 2013, 55 (55). 1342 Oder die Androhung der Zwangsvollstreckung, dazu sogleich unten B.II.4.d)cc)(1)(d). 1343 Jaeger/Henckel, InsO, § 131 Rn. 52; ähnlich nunmehr BAG, Urt. v. 8. 5. 2014 – 6 AZR 722/12, ZInsO 2014, 1758 (1761). 1344 Jaeger/Henckel, InsO, § 131 Rn. 53; so auch Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.55. 1345 In diese Richtung Söhl, ArbRAktuell 2014, 249. 1346 Siehe oben B.I.1.d).

198

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

fechtung um eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums handele1347. Auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liege nicht vor1348. Die Ungleichbehandlung kongruenter und inkongruenter Deckungen sei sachlich gerechtfertigt. Der Einsatz von Zwangsmittel oder deren Androhung beseitigten aus objektiver Sicht die Freiwilligkeit der Leistung1349. Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich der Gesetzgeber im Jahr 2005 bewusst gegen die Verabschiedung einer Gesetzesänderung1350 entschied, wonach die Inkongruenz einer Deckung nicht mehr allein daraus folgen sollte, dass sie im Wege der Zwangsvollstreckungshandlungen erlangt wurde1351. In einem weiteren Urteil stellte der Sechste Senat des BAG darüber hinaus fest, dass kein Verstoß gegen Art. 1 des Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 20. März 1952 (EMRK) i. d. F. des Protokolls Nr. 111352 vorliege1353. Die EMRK hat in Deutschland den Rang eines einfachen Gesetzes1354. Nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 hat jede natürliche oder juristische Person das Recht auf Achtung ihres Eigentums. Allerdings legt Absatz 2 fest, dass Absatz 1 nicht das Recht des Staates beeinträchtige, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums im Einklang mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern oder sonstigen Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält. Das BAG führt aus, dass Abs. 2 ein Inhalts- und Schrankenbestimmung sei, die nicht enger sei als diejenige des Art. 14 GG. Das Anfechtungsrecht, insbesondere § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO, schaffe einen angemessenen Ausgleich zwischen den Erfordernissen des Allgemeininteresses und den Anforderungen des Individualrechtsschutzes1355. (d) Druckzahlungen Nach Ansicht von BGH und BAG liegt Inkongruenz bereits vor, wenn der Schuldner unter dem Druck einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung1356 oder unter Androhung eines Insolvenzantrags1357 leistet, sog. Druckzah1347 BAG, Beschl. v. 31. 8. 2010 – 3 ABR 139/09, ZIP 2011, 629 (631); siehe auch BAG, Urt. v. 8. 5. 2014 – 6 AZR 722/12, ZInsO 2014, 1758 (1761). 1348 BAG, Urt. v. 8. 5. 2014 – 6 AZR 722/12, ZInsO 2014, 1758 (1760); BAG, Urt. v. 24. 10. 2013 – 6 AZR 466/12, ZInsO 2014, 141 (145). 1349 BAG, Urt. v. 8. 5. 2014 – 6 AZR 722/12, ZInsO 2014, 1758 (1761). 1350 Entwurf eines Gesetzes zum Pfändungsschutz der Altervorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung vom 15. August 2005, BT-DruckS. 16/886. 1351 BAG, Urt. v. 19. 5. 2011 – 6 AZR 736/09, ZInsO 2011, 1560 (1562); LAG BerlinBrandenburg, Urt. v. 4. 9. 2012 – 3 Sa 661/12, ZInsO 2013, 91 (93); siehe Zeuner, Anfechtung, Rn. 126, 144. 1352 Inkrafttreten am 1. 11. 1998, in Deutschland ratifiziert durch Gesetz v. 24. 7. 1995 (BGBl II 1995, S. 578). 1353 BAG, Urt. v. 8. 5. 2014 – 6 AZR 722/12, ZInsO 2014, 1758 (1760). 1354 BVerfG, Beschl. 14. 10. 2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (313). 1355 BAG, Urt. v. 8. 5. 2014 – 6 AZR 722/12, ZInsO 2014, 1758 (1761). 1356 BGH, Urt. v. 11. 4. 2002 – IX ZR 211/01, NJW 2002, 2568 (2568 f.); BAG, Urt. v. 8. 5. 2014 – 6 AZR 722/12, ZInsO 2014, 1758 (1759); BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13,

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

199

lung. Durch die Androhung solcher Maßnahmen zeige der handelnde Gläubiger, dass er davon ausgeht, dass das Vermögen des Schuldners nicht zur vollen Befriedigung aller Gläubiger ausreiche1358. Ohnehin liege der gesetzliche Zweck des Insolvenzantrags nicht darin, dem einzelnen Gläubiger zur Durchsetzung seiner Ansprüche zu verhelfen1359. (2) Zwischenergebnis Die Annahme der Inkongruenz einer Befriedigung oder Sicherung im Wege der Zwangsvollstreckung sowie bei Druckzahlungen führt dazu, dass sich Arbeitnehmer, sofern sie auf diesen Wegen Befriedigung ihrer Lohnforderungen suchen, einem stark erhöhten Anfechtungsrisiko aussetzen. Insoweit bieten weder die Einzelvollstreckung noch die Drohung mit dem Gerichtsvollzieher oder einem Insolvenzantrag Arbeitnehmern eine anfechtungsfeste Handhabe gegenüber ihrem Arbeitgeber. Dieses Ergebnis trägt zur oben1360 dargestellten problematischen Situation der Arbeitnehmer in der Insolvenz ihres Arbeitgebers bei, ist jedoch im System des geltenden Insolvenzanfechtungsrechts zutreffend. e) Unmittelbar nachteilige Rechtshandlungen, § 132 InsO Nur am Rande behandelt werden soll hier die Anfechtung unmittelbar nachteiliger Rechtshandlungen des Schuldners gem. § 132 InsO, die teilweise als „Verschleuderungsanfechtung“1361 bezeichnet wird. Denn, wie bereits dargelegt wurde1362, eignet sich dieser Anfechtungstatbestand wegen des Vorrangs der Deckungsanfechtung nicht für die Anfechtung von Lohnzahlungen. In Betracht kommt aber die Anfechtung nachteiliger Verpflichtungsgeschäfte, z. B. von Abschlüssen sowie Änderungen von Arbeitsverträgen oder Sondervereinbarungen, die die Tilgung von Altverbindlichkeiten vorsehen1363. Für Sozialpläne, die in den letzten drei Monaten ZInsO 2014, 1108 (1109); BAG, Beschl. v. 31. 08. 2010 – 3 ABR 139/09, ZIP 2011, 629 (629); auch LAG Nürnberg, Urt. v. 16. 5. 2012 – 2 Sa 566/11, ZInsO 2013, 94 (95); LAG BerlinBrandenburg, Urt. v. 4. 9. 2012 – 3 Sa 661/12, ZInsO 2013, 91 (92); MüKo-InsO/Kayser, § 131 Rn. 26c; KPB/Schoppmeyer, § 131 Rn. 127; a.A. v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 112 f.; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 131 Rn. 45. 1357 BAG, Urt. v. 27. 3. 2014 – 6 AZR 989/12, ZInsO 2014, 1386 (1388); BGH, Urt. v. 8. 12. 2005 – IX ZR 182/01, ZInsO 2006, 94 (96); MüKo-InsO/Kayser, § 131 Rn. 26d; HmbKomm/ Rogge/Leptien, § 131 Rn. 14; KPB/Schoppmeyer, § 131 Rn. 132. 1358 MüKo-InsO/Kayser, § 131 Rn. 26c. 1359 BGH, Urt. v. 8. 12. 2005 – IX ZR 182/01, ZInsO 2006, 94 (96); vgl. auch KPB/ Schoppmeyer, § 131 Rn. 132. 1360 Siehe oben B.II.2.h). 1361 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 193; Eichberger, Konkursanfechtung, S. 87; Henckel, ZIP 1982, 391 (393): „Masseverschleuderung“; Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 Rn. 15. 1362 Siehe oben B.I.3.d). 1363 Gottwald/Bertram, § 105 Rn. 31a; Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (150 f.); Zwanziger, BB 2007, 42 (45).

200

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

vor dem Insolvenzantrag zustande gekommen sind, enthält § 124 InsO eine Sonderregelung, die einen Widerruf ermöglicht1364. § 132 InsO setzt eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung voraus. Das Rechtsgeschäft muss selbst unmittelbar, also ohne Hinzutreten weiterer Umstände zur Gläubigerbenachteiligung geführt haben1365. Die unmittelbare Benachteiligung ist anhand des konkreten Wertverhältnisses von Leistung und Gegenleistung zu bestimmen1366. Bei Abschluss oder Änderung eines Arbeitsvertrages liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn unangemessen hohe Bezüge vereinbart werden, ohne dass hierfür eine gleichwertige Gegenleistung vereinbart wird1367. Problematisch ist dann, wie oft bei Arbeitsleistungen, die Bestimmung der objektiven Gleichwertigkeit1368. Allgemein gilt für Austauschverträge der Maßstab der Marktüblichkeit1369. Auf ihn ist auch im Arbeitsverhältnis abzustellen1370. Kolbe weist zu Recht darauf hin, dass an eine betriebsübliche Vergütung nicht sinnvoll angeknüpft werden könne, da eine solche auch vorliege, wenn der Arbeitgeber allen Arbeitnehmern unüblich hohe Löhne zahle1371. Bei der Bestimmung der marktüblichen Vergütung auf überbetrieblicher Ebene können einschlägige Tarifverträge als Anhaltspunkte heran gezogen werden1372. Mit Rücksicht auf die Grundordnung der Marktwirtschaft muss den Parteien jedoch ein erheblicher Spielraum bei der Beurteilung gewährt werden, welchen Wert die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers hat1373. Insbesondere firmenspezifisches Wissen, das persönliche Netzwerk des Arbeitnehmers, besondere individuelle Fähigkeiten oder schlicht die fehlende Verfügbarkeit entsprechender Personen auf dem Arbeitsmarkt können eine Vergütung, die über den tariflichen Werten liegt, als angemessen erscheinen lassen. Weiterhin ist bei der Bewertung der Leistungen zu beachten, dass der Arbeitnehmer nur die Erbringung der Dienste schuldet, nicht aber einen bestimmten Erfolg1374. 1364

MüKo-InsO/Kayser, § 132 Rn. 7. v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 193; FK-InsO/Dauernheim § 132 Rn. 6; MüKoInsO/Kayser, § 132 Rn. 11; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 132 Rn. 16. 1366 MüKo-InsO/Kayser, § 132 Rn. 12; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 132 Rn. 9. 1367 Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (150); zur Unangemessenheit von Honorarvereinbarungen mit Sanierungsberatern siehe HmbKomm/Rogge/Leptien, § 132 Rn. 11, 11a. 1368 Zum Problem der Gleichwertigkeit im Synallagma des Arbeitsverhältnisses allgemein, s. Gast, Schlechtleistung des Arbeitnehmers, passim. 1369 Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 132 Rn. 9; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 132 Rn. 10. 1370 Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (150). 1371 Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (150). 1372 Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (150). 1373 So auch Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (150). 1374 Gottwald/Bertram, § 105 Rn. 31a. 1365

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

201

Weitere Voraussetzung der Anfechtung nach § 132 InsO ist, dass der Anfechtungsgegner Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hatte (§ 132 Abs. 1 Nr. 1 InsO) bzw. den Eröffnungsantrag oder die Zahlungsunfähigkeit kannte (§ 132 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Es kann auf die obigen Ausführungen zum subjektiven Tatbestand des § 130 InsO verwiesen werden1375. f) Vorsatzanfechtung, § 133 InsO Nach § 133 Abs. 1 S. 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Nach S. 2 wird diese Kenntnis vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte. § 133 Abs. 2 InsO enthält einen Sonderfall der Vorsatzanfechtung für entgeltliche Verträge mit nahestehenden Personen1376 und kehrt dabei nach herrschender Meinung1377 die Beweislast um. aa) Bedeutung Wie oben dargestellt wurde, ist die Vorsatzanfechtung – früher „Absichtsanfechtung“ – in ihrer ursprünglichen Gestalt, der actio pauliana, die älteste Form der Insolvenzanfechtung1378. Auch heute ist die Vorsatzanfechtung noch einer der zentralen Tatbestände des Anfechtungsrechts der Insolvenzordnung. C. Paulus bezeichnet sie als das „tragfähigste[s] Vehikel zur Massemaximierung“1379. Für Lohnanfechtungen ist § 133 InsO aus zwei Gründen besonders bedeutsam: Zum einen erlaubt der zehnjährige Vornahmezeitraum die Anfechtung von Rechtshandlungen, die mit der Deckungsanfechtung nicht mehr angreifbar sind. Zum anderen erklärt § 142 InsO Rechtshandlungen, die als Bargeschäft von der Kongruenzanfechtung ausgenommen sind, als anfechtbar nach § 133 Abs. 1 InsO. Vor dem Hintergrund der extensiven Auslegung des § 142 InsO durch das BAG1380 verbleibt Insolvenzverwaltern für die Anfechtung auch innerhalb des dreimonatigen Bargeschäftszeitraums in erster Linie das Instrument des § 133 Abs. 1 InsO1381. Auch 1375

Siehe oben B.II.4.d)bb)(2). Siehe zu dieser Kategorie oben B.II.4.b); vgl. auch MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 1. 1377 BGH, Urt. v. 1. 7. 2010 – IX ZR 58/09, ZInsO 2010, 1489 (1490); FK-InsO/Dauernheim, § 133 Rn. 3; Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 133 Rn. 183; MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 39; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 133 Rn. 54, 61. 1378 Siehe historische Darstellung oben B.I.2. 1379 C. Paulus, in: FS Fischer, S. 445 (457). 1380 Siehe oben B.II.4.c)cc)(2)(c). 1381 Vgl. Huber, ZInsO 2013, 1049 (1055); zur Frage der Anwendbarkeit der Vorsatzanfechtung im Dreimonatszeitraum siehe unten B.II.4.f)cc)(2). 1376

202

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

dessen Durchschlagskraft hat das BAG mit seiner Entscheidung vom 29. Januar 2014 allerdings stark eingeschränkt1382. Den scharfen Rechtsfolgen des § 133 InsO stehen grundsätzlich strenge Voraussetzungen gegenüber. In den vergangenen Jahren hat der BGH eine anfechtungsfreundliche Linie vertreten und damit die Anfechtungen nach § 133 Abs. 1 InsO für Insolvenzverwalter zu einer vielversprechenden Option gemacht1383. Der ehemalige Vorsitzende des IX. Senats des BGH, Gero Fischer, begründet diese Grundausrichtung mit der systematischen Funktion des Anfechtungsrechts1384. Es gestatte die Rückabwicklung von Geschäften, die in der normalen Rechtsordnung außerhalb der Insolvenz wirksam seien. Das Anfechtungsrecht verlange gerade kein schuldhaftes oder allgemein missbilligenswertes Verhalten. Die anfechtbare Rechtshandlung sei regelmäßig nicht nach den allgemeinen Regelungen als sittenwidrig (§ 138 BGB) oder als unerlaubte Handlung (§ 826 BGB) zu werten1385. Würden die Anforderungen an das Anfechtungsrecht in die Nähe dieser allgemeinen Regeln angehoben, werde das Anfechtungsrecht ohne Not entschärft. Es könne nicht übersehen werden, dass eine Entwicklung weg von einer reinen actio Pauliana zu einem Anfechtungsrecht stattgefunden habe, das gerade auch Rechtshandlungen betrifft, die unter allgemeinen Aspekten als unverdächtig und unangreifbar gelten. § 133 Abs. 1 InsO sei auch kein Tatbestand, der lediglich besondere Verwerflichkeit sanktionieren solle. Vielmehr handele es sich um einen „Grundtatbestand zur Verwirklichung des insolvenzrechtlichen Gläubigerschutzes“1386. Teile des Schrifttums werfen dem BGH vor, in der Anwendung des § 133 Abs. 1 InsO über das Ziel hinauszuschießen; einige Autoren üben deutliche Kritik an der weiten Auslegung des subjektiven Tatbestands und der Anwendung der Vermutungsregeln1387. Die Ankündigung von CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode1388, das Anfechtungsrecht „auf den Prüfstand“ zu stellen, führte zu einer umfangreichen Diskussion im Schrifttum. Sie kann im Rahmen dieser

1382

Siehe dazu unten B.II.4.c)cc)(2)(c). Bork, ZIP 2004, 1684 (1684 ff.); Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (152); Schoppmeyer, ZIP 2009, 600 (600); Vallender, NJW 2011, 1491 (1495); Foerste, ZInsO 2013, 897 (897) sieht in dieser veränderten Rechtsprechung eine „diskrete Revolution“, die zu wenig diskutiert worden sei. 1384 Fischer, NZI 2008, 588 (591). 1385 Fischer, NZI 2008, 588 (591); vgl. auch MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 1b. 1386 Fischer, NZI 2008, 588 (591.). 1387 Foerste, ZInsO 2013, 897 ff.; Jensen NZI 2013, 471 ff.; Knospe, ZInsO 2014, 748 (759); Lütcke, NZI 2014, 350 (352); ders., ZInsO 2013, 1984 ff.; C. Paulus, in: FS Fischer, S. 445 ff.; Priebe, ZInsO 2013, 2479 ff.; Schoppmeyer, ZIP 2009, 600 ff.; zurückhaltend: Thole, ZIP 2013, 2081 ff. 1388 Koalitionsvertrag „Deutschlands Zukunft gestalten“, abrufbar unter https:// www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf; http://www.spd.de/ linkableblob/112790/data/20131127_koalitionsvertrag.pdf; jeweils S. 25. 1383

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

203

Arbeit nicht umfassend dargestellt werden. Dennoch soll unten1389 auf die wesentlichen Positionen und Argumente eingegangen werden. Gerade bei der Lohnanfechtung spielt die konkrete Handhabung des § 133 Abs. 1 InsO aufgrund der weiten Auslegung des Bargeschäftsprivilegs durch das BAG eine wichtige Rolle. Zudem ist zu beachten, dass wegweisenden Entscheidungen von BGH und BAG Fälle der Lohnanfechtung zu Grunde lagen1390. bb) Gegenstand der Vorsatzanfechtung Anfechtbar sind nach § 133 InsO alle Rechtshandlungen i.S.d. § 129 InsO1391. § 133 InsO fordert allerdings eine Rechtshandlung des Schuldners. Er muss die Rechtshandlung selbst vorgenommen haben oder zumindest an ihr beteiligt gewesen sein1392. Bei normalen Zahlungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer liegt diese Voraussetzung unproblematisch vor. Neben reinen Zahlungen können auch Kausalgeschäfte nach § 133 InsO angefochten werden. Vollstreckungshandlungen sind in der Regel nicht nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar, da die Handlung vom Vollstreckungsorgan vorgenommen wird und es damit an einer Rechtshandlung des Schuldners fehlt1393. Eine hinreichende Beteiligung des Schuldners liegt nach der Rechtsprechung des BGH allerdings etwa vor, wenn der Schuldner einen Scheck ausstellt und an den vollstreckungsbereiten Vollziehungsbeamten übergibt1394 oder die Betriebskasse in Erwartung des Vollstreckungsversuchs gezielt auffüllt, um eine Befriedigung des Gläubigers zu ermöglichen1395. Zuletzt erfordert die Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO eine zumindest mittelbare Benachteiligung der übrigen Gläubiger1396. In Fällen der Lohnanfechtung, bei denen Zahlungen aus dem – unzureichenden – Vermögen des Schuldners fließen, ist diese Voraussetzung ohne weiteres erfüllt.

1389

Siehe unten B.II.4.f)cc)(2). Siehe unten B.II.4.f)cc)(3). 1391 Siehe oben B.II.4.a)aa). 1392 BGH, Urt. v. 25. 11. 1964 – VIII ZR 289/62, WM 1965, 14 (15); BGH, Urt. v. 3. 2. 2011 – IX ZR 213/09, ZInsO 2011, 574 (574 f.); v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 237; FK-InsO/ Dauernheim, § 133 Rn. 5; MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 7; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 133 Rn. 3. 1393 BGH, Urt. v. 3. 2. 2011 – IX ZR 213/09, ZInsO 2011, 574 (574 f.); BGH, Urt. v. 10. 2. 2005 – IX ZR 211/02, BGHZ 162, 143 (147); FK-InsO/Dauernheim, § 133 Rn. 7; MüKo-InsO/ Kayser, § 133 Rn. 9; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 133 Rn. 6. 1394 BGH, Urt. v. 14. 6. 2012 – IX ZR 145/09, ZInsO 2012, 1318 (1319). 1395 BGH, Urt. v. 3. 2. 2011 – IX ZR 213/09, ZInsO 2011, 574 (575); allgemein zu ermöglichenden Handlungen, MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 8 ff. 1396 BGH, Urt. v. 11. 3. 2004 – IX ZR 160/02, ZInsO 2004, 616 (617); BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (376); FK-InsO/Dauernheim, § 133 Rn. 10; MüKo-InsO/ Kayser, § 133 Rn. 11. 1390

204

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

cc) Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und Kenntnis des Anfechtungsgegners Der Schuldner muss nach § 133 Abs. 1 InsO im Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung mit dem Vorsatz gehandelt haben, die Gläubiger zu benachteiligen. Hierbei genügt ein pauschaler, allgemeiner Benachteiligungsvorsatz1397. Ausreichend ist dolus eventualis1398. Diese zuvor schon zu § 31 KO geltende Auslegung hat der Gesetzgeber kodifiziert, indem er den Terminus „Vorsatz“ statt der vorherigen Formulierung „Absicht“ wählte1399. Demnach handelt der Schuldner mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, wenn er die Benachteiligung seiner Gläubiger als Erfolg seiner Rechtshandlung will oder sie als mutmaßliche Folge – sei es auch als unvermeidliche Nebenfolge eines an sich erstrebten anderen Vorteils – erkennt und billigend in Kauf nimmt1400. Es genügt, dass der Schuldner die Benachteiligung seiner Gläubiger im wirtschaftlichen Sinne will; die rechtlichen Zusammenhänge muss er nicht kennen1401. Der Schuldner handelt ohne Vorsatz, wenn er die Benachteiligung zwar für möglich hält, aber erwartet oder wünscht, dass sie nicht eintritt1402. Auf den Vorsatz darf nicht allein aus der objektiv vorliegenden Gläubigerbenachteiligung geschlossen werden, da das den Erfordernissen eines subjektiven Tatbestandsmerkmals nicht gerecht würde1403. § 133 Abs. 1 InsO setzt zudem voraus, dass der Anfechtungsgegner Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners hatte. Die Beweislast hierfür liegt beim Insolvenzverwalter1404. Erforderlich ist positive Kenntnis vom Vorsatz des Schuldners1405. Es ist nicht erforderlich, dass der Anfechtungsgegner alle Umstände, aus denen sich die Benachteiligungsabsicht des Gemeinschuldners ergibt, im Einzelnen kennt; vielmehr reicht es aus, wenn er im Allgemeinen von der Gläubiger-

1397

v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 237; MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 13, 16. BGH, Urt. v. 13. 3. 1997 – IX ZR 93/96, ZIP 1997, 853 (855); BGH, Urt. v. 27. 5. 2003 – IX ZR 169/02, BGHZ 155, 75 (84); v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 238; FK-InsO/Dauernheim, § 133 Rn. 11 MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 13; Schoppmeyer, ZIP 2009, 600 (601). 1399 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 160; FK-InsO/Dauernheim, § 133 Rn. 1; MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 2; Fawzy/Köchling, ZInsO 2014, 1073 (1074). 1400 BGH, Urt. v. 18. 12. 2008- IX ZR 79/07, ZIP 2009, 573; OLG Hamm, Urt. v. 13. 4. 2010 – I-27 U 133/09, ZInsO 2010, 1004; MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 13. 1401 MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 13. 1402 BGH, Urt. v. 26. 2. 1969 – VIII ZR 41/67, WM 1969, 374 (376); FK-InsO/Dauernheim, § 133 Rn. 11; Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 133 Rn. 35; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 133 Rn. 21. 1403 BGH, Urt. v. 04. 12. 1997 – IX ZR 47/97, ZIP 1998, 248 (251); FK-InsO/Dauernheim, § 133 Rn. 11; MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 23. 1404 BAG, Urteil vom 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 (42); Uhlenbruck/Ede/ Hirte, § 133 Rn. 59; MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 19. 1405 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 240; FK-InsO/Dauernheim, § 133 Rn. 21; Nerlich/ Römermann/Nerlich, § 133 Rn. 38. 1398

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

205

benachteiligungsabsicht des Gemeinschuldners wusste1406. Ein eigener Vorsatz des Gläubigers, die übrigen Gläubiger zu benachteiligen, ist nicht erforderlich1407. Der Schuldner und der Anfechtungsgegner müssen auch nicht nach einer festen Absprache gehandelt haben1408. Die schwierige Beweislage für den Insolvenzverwalter erleichtert § 133 Abs. 1 S. 2 InsO: Die Kenntnis des Anfechtungsgegners wird vermutet, wenn er wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Nach der Rechtsprechung des BGH greift diese Vermutung schon, wenn der Gläubiger Umstände kannte, die bei objektiver Betrachtung zwingend auf eine drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit hindeuteten1409. Da bei drohender Zahlungsunfähigkeit jeder Vermögensabfluss automatisch zu einer Benachteiligung der anderen Gläubiger führt, leitet sich nach Ansicht des BGH die Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligung grundsätzlich schon aus der Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit ab, sofern es sich um einen gewerblich tätigen Schuldner handelt1410. Damit ist § 133 Abs. 2 S. 1 InsO auf eine Voraussetzung reduziert: Die Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit1411. Die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners ist wiederum anzunehmen, wenn die schleppende oder ganz ausbleibende Tilgung seiner Forderung bei einer Gesamtbetrachtung der für den Anfechtungsgegner ersichtlichen Umstände ein ausreichendes Indiz für eine zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit ist; zu berücksichtigen sollen dabei insbesondere die Art der Forderung, die Person des Schuldners und der Zuschnitt seines Geschäftsbetriebs sein1412. Zu weiteren Umständen sei auf die obigen Ausführungen zur Deckungsanfechtung verwiesen1413. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass die Umstände im Zusammenhang mit § 133 Abs. 1 S. 2 InsO nur zwingend auf die drohende Zahlungsunfähigkeit hindeuten müssen. 1406 BGH, Urt. v. 19. 12. 2002 – IX ZR 377/99, ZInsO 2003, 324 (330); MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 19a; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 133 Rn. 39. 1407 BGH, Urt. v. 23. 5. 1985 – IX ZR 124/84, ZIP 1985, 1008 (LS); FK-InsO/Dauernheim, § 133 Rn. 21; MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 19. 1408 BGH, Urt. v. 17. 7. 2003 – IX ZR 272/02, ZInsO 2003, 850 (851); Meier, Privilegien des Fiskus, S. 25; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 133 Rn. 38. 1409 BGH, Urt. v. 15. 3. 2012 – IX ZR 239/09, ZInsO 2012, 696 (697 f.); BGH, Urt. v. 8. 10. 2009 – IX ZR 173/07, ZInsO 2009, 2148 (2149); BGH, Urt. v. 20. 11. 2008 – IX ZR 188/07, ZInsO 2009, 145 (146); BGH, Urt. v. 17. 7. 2003 – IX ZR 215/02, ZIP 2003, 1900 (1902); MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 24b; kritisch: Jensen, NZI 2013, 471 (473). 1410 BGH, Urt. v. 26. 4. 2012 – IX ZR 74/11, BGHZ 193, 129 (Rn. 20); BGH, Urt. v. 20. 11. 2008 – IX ZR 188/07, ZInsO 2009, 145 (146); BGH, Urt. v. 24. 5. 2007 – IX ZR 97/06, ZInsO 2007, 819 (821 f.); BGH, Urt. v. 13. 5. 2004 – IX ZR 190/03, ZInsO 2004, 859 (860 f.); KPB/ Bork, § 133 Rn. 55; MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 24d. 1411 Jensen, NZI 2013, 471 (473); Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1672). 1412 BGH, Urt. v. 1. 7. 2010 – IX ZR 70/08, ZInsO 2010, 1598 (1599); BGH, Urt. v. 13. 8. 2009 – IX ZR 159/06, ZInsO 2009, 1909 (1911). 1413 Siehe oben B.II.4.d)bb)(2)(c)(cc).

206

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Maßgeblich ist eine Gesamtbetrachtung, bei der auch Gegenindizien zu berücksichtigen sind. Wichtig ist in Bezug auf Arbeitsverhältnisse v. a. die neue Rechtsprechung zur bargeschäftsähnlichen Lage, insbesondere bei Anwendung der großzügigen Dreimonatsregel des BAG. Gegen die Kenntnis des Arbeitnehmers soll es nach Ansicht des BGH auch sprechen, wenn der betroffene Arbeitnehmer zugunsten des Unternehmens noch eine selbstschuldnerische Bürgschaft übernimmt, weil dieses Entgegenkommen darauf hindeute, dass er nicht von einer existenziellen Gefährdung seines Arbeitgebers ausgegangen sei1414. Das ist auf den ersten Blick überzeugend. Allerdings kann man sich ebenso fragen, ob die Tatsache, dass der Arbeitgebers auf eine Bürgschaft des Arbeitnehmers angewiesen ist, bei letzterem nicht erst recht den Verdacht wecken muss, dass der Arbeitgeber sich in einer ernsthaften Krise befindet. Die Auseinandersetzung mit dem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz einerseits und der darauf bezogenen Kenntnis des Anfechtungsgegners andererseits verläuft in Wissenschaft und Rechtsprechung weitestgehend parallel. In der folgenden Darstellung werden daher beide Voraussetzungen gemeinsam behandelt. Für die tatrichterliche Beweiswürdigung gilt, was oben bereits zum subjektiven Tatbestand der Deckungsanfechtung ausgeführt wurde1415 : Der Richter muss sich im Wege der freien Beweiswürdigung (§ 286 Abs. 1 ZPO) entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr erachtet, worüber er nach freier Überzeugung zu befinden hat1416. Eine Gesamtbetrachtung ist erforderlich, um die nach außen erkennbaren Tatsachen danach zu bewerten, ob sie auf subjektiver Seite den Vorsatz im Sinne des § 133 Abs. 1 InsO bzw. die darauf bezogene Kenntnis des Anfechtungsgegners begründen. Die Rechtsprechung behilft sich bei diesem schwierigen Prozess mit der Bildung von Fallgruppen und dem Rückgriff auf Indizien1417. (1) Beweisanzeichen Die wichtigsten Indizien in der Praxis sind die Inkongruenz der Deckung und die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit. Nach der Rechtsprechung und der herrschenden Ansicht in der Literatur handelt es sich dabei allerdings nur um Beweisanzeichen, nicht jedoch um Vermutungen i.S.d. § 292 ZPO1418. Sie dürfen nach Ansicht des BGH gerade „nicht schematisch im Sinne einer vom anderen Teil zu widerlegenden Vermutung angewandt werden“1419. 1414

BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1607). Siehe oben B.II.4.d)bb)(2)(c)(cc). 1416 MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 22. 1417 Siehe MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 27 ff.; van Marwyk, ZInsO 2014, 1734 ff. 1418 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1607); Fischer, NZI 2008, 588 (592). 1419 BGH, Urt. v. 10. 1. 2013 – IX ZR 13/12, ZInsO 2013, 179 (182). 1415

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

207

Im Folgenden werden die Beweisanzeichen zunächst dargestellt, um anschließend die diesbezügliche Kritik der Literatur und die „neue Linie“ der Rechtsprechung darzustellen und zu hinterfragen. (a) Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit Die Rechtsprechung nimmt den Vorsatz in der Regel an, wenn der Schuldner seine eigene – auch nur drohende – Zahlungsunfähigkeit kennt und damit weiß, dass sein Vermögen nicht ausreicht, um alle Gläubiger zu befriedigen1420. Diese Annahme rechtfertigt der BGH mit § 133 Abs. 1 S. 2 InsO, der eigentlich die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungsunfähigkeit betrifft. Für den Schuldner könnten keine strengeren Anforderungen in Bezug auf den Zustand der Liquiditätslage gelten als für den Anfechtungsgegner1421. Aus der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit folge bei gewerblichen Schuldnern bei lebensnaher Betrachtung stets die zweite Voraussetzung des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO, dass das Vermögen nicht ausreichen werde, um alle Gläubiger zu befriedigen1422. (b) Kongruenz und Inkongruenz Eine weitere bedeutsame Weichenstellung hängt von der Art der betroffenen Rechtshandlung ab: Bei inkongruenten Geschäften gelten wesentlich weniger strenge Anforderungen an den Nachweis des Vorsatzes1423. Das beruht auf einer Rechtsprechung, die der BGH schon unter der Konkursordnung entwickelte1424 und unverändert auf § 133 Abs. 1 InsO übertragen hat1425. Die herrschende Meinung wertet die Inkongruenz dabei als (starkes) Beweiszeichen für einen Benachteiligungsvorsatz des Schuldners1426. Zur Begründung 1420

BGH, Urt. v. 22. 5. 2014, IX ZR 95/13, ZInsO 2014, 1326 (1328); BGH, Urt. v. 13. 4. 2006 – IX ZR 158/05, BGHZ 167, 190 (195); OLG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 3. 2. 2010 – 5 U 97/ 09, juris; FK-InsO/Dauernheim, § 133 Rn. 14; Fischer, NZI 2008, 588 (592); Kayser, WM 2013, 293 (295); HK-InsO/Thole, § 133 Rn. 16 m.w.N.; van Marwyk, ZInsO 2014, 1734 (1735); MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 14 spricht von einem „wesentlichen Indiz“; dagegen: Jensen, NZI 2013, 471 (472); Schoppmeyer, ZIP 2009, 600 (605). 1421 BGH, Urt. v. 13. 4. 2006 – IX ZR 158/05, BGHZ 167, 190 (195); Fischer, NZI 2008, 588 (599 f.); MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 26. 1422 BGH, Urt. v. 29. 9. 2011 – IX ZR 202/10, ZInsO 2012, 138 (139); vgl. zur Begründung Gehrlein, NZI 2014, 481 (483) und Kayser, WM 2013, 293 (295). 1423 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 239; MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 29. 1424 BGH, Urt. v. 3. 4. 1968 – VIII ZR 23/66, WM 1968, 683; Fischer, NZI 2008, 588 (588 f.); MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 29 m.w.N. 1425 Vgl. BGH, Urt. v. 11. 3. 2004 – IX ZR 160/02, ZInsO 2004, 616 (618); BGH, Urt. v. 18. 12. 2003 – IX ZR 199/02, BGHZ 157, 242 (250 f.); BGH, Urt. v. 17. 7. 2003 – IX ZR 272/02, ZInsO 2003, 850 (851); siehe auch Fischer, NZI 2008, 588 (589); Kayser, WM 2013, 293 (295). 1426 BGH, Urt. v. 8. 12. 2011 – IX ZR 156/09, ZInsO 2012, 171 (172); BGH, Urt. v. 11. 3. 2004 – IX ZR 160/02, ZInsO 2004, 616 (618); BGH, Urt. v. 18. 12. 2003 – IX ZR 199/02, BGHZ 157, 242 (250 f.); BGH, Urt. v. 3. 4. 1968 – VIII ZR 23/66, WM 1968, 683; OLG Hamm, Urt. v. 13. 4. 2010 – I-27 U 133/09, ZInsO 2010, 1004 (1006); FK-InsO/Dauernheim, § 133 Rn. 15;

208

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

verweisen Rechtsprechung und Literatur darauf, dass Schuldner im Allgemeinen nicht bereit seien, anderes oder mehr oder früher zu leisten, als sie schuldeten; täten sie es dennoch zu Gunsten eines Gläubigers, liege der Verdacht nahe, dass dieser zum Nachteil der übrigen Gläubiger begünstigt werden solle1427. Die Stärke des Beweiszeichens hängt von der Intensität der Inkongruenz ab1428, d. h. wie weit die angefochtene Rechtshandlung vom ursprünglichen Abwicklungsplan der Parteien abweicht. Es wurde bereits dargelegt, dass zwei der wichtigsten Fallgruppen der Inkongruenz die Befriedigung im Wege der Zwangsvollstreckung und nach Drohung mit derselben sind1429. Inkongruenz liegt aber nur vor, wenn die entsprechenden Rechtshandlungen im Dreimonatszeitraum des § 131 InsO erfolgt sind1430. Nur für diesen Zeitraum verdrängt der durch das Anfechtungsrecht zurückwirkende Grundsatz der par condicio creditorum den Prioritätsgrundsatz der Einzelzwangsvollstreckung1431. Während diese Differenzierung für § 131 InsO offensichtlich unerheblich ist, da wegen des Vornahmezeitraums eine Anfechtung ohnehin ausscheidet, ist sie im Rahmen von § 133 Abs. 1 InsO bedeutsam. Dennoch bleiben Zwangsvollstreckungshandlungen außerhalb der Dreimonatsfrist des § 131 InsO nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar, allerdings nicht unter den erleichterten Anforderungen, die für inkongruente Deckungen gelten; anderenfalls würde über § 133 Abs. 1 InsO die zeitliche Beschränkung des § 131 InsO unterlaufen1432. Bei sog. Druckzahlungen ist zu differenzieren: Droht der Gläubiger außerhalb des Dreimonatszeitraums mit der Zwangsvollstreckung, liegt keine Inkongruenz vor, weil die Drohung ein legitimes Mittel ist, solange der Prioritätsgrundsatz gilt1433. Droht der Gläubiger hingegen mit der Stellung eines Insolvenzantrags, ist auch außerhalb dieses Zeitraums Inkongruenz anzunehmen:

Fischer, NZI 2008, 588 (592.); Kayser, WM 2013, 293 (296); MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 29; Kirchhof, in: FS für Fischer, S. 285 (295); Schoppmeyer, ZIP 2009, 600 (606). 1427 BGH, Urt. v. 30. 1. 1997 – IX ZR 89/96, ZIP 1997, 513 (514); OLG Hamm, Urt. v. 13. 4. 2010 – I-27 U 133/09, ZInsO 2010, 1004; FK-InsO/Dauernheim, § 133 Rn. 15; MüKo-InsO/ Kayser, § 133 Rn. 29; ders., WM 2013, 293 (296). 1428 BGH, Urt. v. 18. 12. 2003 – IX ZR 199/02, BGHZ 157, 242 (252); MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 31b; ders., WM 2013, 293 (299); ders., NJW 2014, 422 (424). 1429 Siehe dazu oben B.II.4.d)cc)(1)(c) und B.II.4.d)cc)(1)(d). 1430 BGH, Urt. v. 19. 9. 2013 – IX ZR 4/13, ZInsO 2013, 2213 (2214); BGH, Urt. v. 27. 5. 2003 – IX ZR 169/02, BGHZ 155, 75 (80); FK-InsO/Dauernheim, § 133 Rn. 17. 1431 BGH, Urt. v. 27. 5. 2003 – IX ZR 169/02, BGHZ 155, 75 (80); BGH, Urt. v. 11. 4. 2002 – IX ZR 211/01, NJW 2002, 2568 (2568 f.). 1432 BGH, Urt. v. 27. 5. 2003 – IX ZR 169/02, BGHZ 155, 75 (83); FK-InsO/Dauernheim, § 133 Rn. 17; MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 31a. 1433 BGH, Urt. v. 27. 5. 2003 – IX ZR 169/02, BGHZ 155, 75 (83); Kayser, NJW 2014, 422 (426).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

209

„Denn der Insolvenzantrag ist niemals ein geeignetes Mittel, um Ansprüche außerhalb eines Insolvenzverfahrens durchzusetzen.“1434

Nach der Rechtsprechung des BGH können kongruente Deckungen ebenfalls nach § 133 Abs. 1 InsO angefochten werden. Im Jahr 2005 brachte die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf1435 ein, der unter anderem vorsah, dass die Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO im Fall der Kongruenz nur unter der Voraussetzung möglich sein sollte, dass ein „unlauteres Verhalten“ des Schuldners vorliegt. Hierdurch sollte die Anfechtung kongruenter Deckungen eingeschränkt werden1436. Der Entwurf wurde nicht umgesetzt. Der BGH stellte nach seiner früheren Rechtsprechung im Fall der Kongruenz einer Deckung erhöhte Anforderungen an den Nachweis des Benachteiligungsvorsatzes1437. Dem lag die Annahme zu Grunde, dass der Schuldner bei kongruenten Deckungen in erster Linie handle, um seine Verbindlichkeiten zu erfüllen1438. Die Vorsatzanfechtung sollte daher nur in Betracht kommen, wenn nachweisbar sei, dass es dem Schuldner stärker auf die Benachteiligung der übrigen Gläubiger als auf die berechtigte Befriedigung des Anfechtungsgegners ankam1439. Allein das Bewusstsein, nicht alle Gläubiger voll befriedigen zu können, sollte grundsätzlich nicht ausreichen1440. Konnte hingegen nachgewiesen werden, dass der Schuldner aus bestimmten Motiven einen Gläubiger auf Kosten der Übrigen bevorzugt hatte, etwa weil dieser mit einem Insolvenzantrag drohte, sollte Vorsatz anzunehmen sein1441. Zwischenzeitlich hat sich der BGH von dieser Linie entfernt und wertet die Kongruenz an sich nicht mehr als Indiz gegen den Vorsatz1442. 1434 BGH, Urt. v. 18. 12. 2003 – IX ZR 199/02, BGHZ 157, 242 (247); siehe auch Kayser, WM 2013, 293 (297); HmbKomm/Rogge/Leptien, § 133 Rn. 36; kritisch KPB/Bork, § 133 Rn. 41. 1435 Entwurf eines Gesetzes zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung vom 15. August 2005, BT-DruckS. 16/886. 1436 Begr. RegE Entwurf eines Gesetzes zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung vom 15. August 2005, BT-DruckS. 16/886, S. 12; Kirchhof, in: FS für Fischer, S. 284 (284). 1437 BGH, Urt. v. 13. 5. 2004 – IX ZR 190/03, ZInsO 2004, 859 (860); BGH, Urt. v. 24. 5. 2007 – IX ZR 97/06, ZInsO 2007, 819 (821); dazu Kirchhof, in: FS für Fischer, S. 285 (285 f., 295), der in der Kongruenz ein „Beweisanzeichen gegen die bewusste Inkaufnahme der Benachteiligung“ sieht; FK-InsO/Dauernheim, § 133 Rn. 18; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 133 Rn. 34; Schoppmeyer, ZIP 2009, 600 (607). 1438 Kirchhof, in: FS für Fischer, S. 285 (292); Nerlich/Römermann/Nerlich, § 133 Rn. 21; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 133 Rn. 34. 1439 BGH, Urt. v. 19. 3. 1998 – IX ZR 22/97, juris; FK-InsO/Dauernheim, § 133 Rn. 18; MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 33; Kirchhof, in: FS für Fischer, S. 285 (285 f.). 1440 BGH, Urt. v. 18. 4. 1991 – IX ZR 149/90, ZIP 1991, 807 (809); FK-InsO/Dauernheim, § 133 Rn. 18. 1441 BGH, Urt. v. 27. 5. 2003 – IX ZR 169/02, BGHZ 155, 75 (83 f.); FK-InsO/Dauernheim, § 133 Rn. 18. 1442 BGH, Urt. v. 5. 6. 2008 – IX ZR 17/07, ZInsO 2008, 738 (739); BGH, Urt. v. 29. 11. 2007 – IX ZR 121/06, BGHZ 174, 314 (321 f.); dazu Schoppmeyer, ZIP 2009, 600 (600).

210

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

(c) Widerlegung der Beweisanzeichen Eine Art Gegengewicht zu den oben genannten Beweisanzeichen bilden in der Rechtsprechung des BGH bestimmte Umstände, die in entgegengesetzter Richtung als Indiz gegen den Benachteiligungsvorsatz gewertet werden. Die Indizwirkung beruht auf der Annahme, dass der Schuldner in bestimmten Konstellationen typischerweise von einer anfechtungsrechtlich unbedenklichen Willensrichtung geleitet war und das Bewusstsein der Benachteiligung anderer Gläubiger infolgedessen in den Hintergrund getreten ist1443. Das soll etwa gelten, wenn die Rechtshandlung Bestandteil eines ernsthaften, aber gescheiterten Sanierungsversuchs war1444. Das Konzept muss allerdings im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung mindestens in den Anfängen schon in die Tat umgesetzt gewesen sein und für den Schuldner die ernsthafte Aussicht auf Erfolg begründet haben1445. Für die Prognose der Durchführbarkeit soll es auf die Beurteilung eines unvoreingenommenen, branchenkundigen Fachmanns ankommen, dem die vorgeschriebenen oder üblichen Buchhaltungsunterlagen vorliegen1446. Zudem sollte es nach der Rechtsprechung des BGH, die dieser zunächst bis zum Jahr 2009 vertrat, gegen den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz sprechen, wenn die anfechtbare Rechtshandlung Teil eines unmittelbaren Austauschs gleichwertiger Leistungen war1447. Ein Schuldner handele in der Regel nicht mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, wenn er eine kongruente Gegenleistung für die von ihm empfangene Leistung erbringe, welche zur Fortführung seines eigenen Unternehmens nötig sei und den Gläubigern im allgemeinen nütze1448. Die Äußerungen des IX. Senats nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung1449 zu diesem Indiz des Leistungsaustauschs beschränkten sich allerdings auf zwei Beschlüsse mit knapper Begrün-

1443

BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1607). BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1607); BGH, Urt. v. 8. 12. 2011 – IX ZR 156/09, ZInsO 2012, 171 (172); BGH, Urt. v. 12. 11. 1992 – IX ZR 236/91, ZIP 1993, 276 (279); FK-InsO/Dauernheim, § 133 Rn. 16; Fischer, NZI 2008, 588 (590, 593); MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 37; ders., WM 2013, 293 (299); HmbKomm/Rogge/Leptien, § 133 Rn. 18. 1445 BGH, Urt. v. 8. 12. 2011 – IX ZR 156/09, ZInsO 2012, 171 (172); BGH, Urt. v. 12. 11. 1992 – IX ZR 236/91, ZIP 1993, 276 (279); FK-InsO/Dauernheim, § 133 Rn. 16; Ganter, WM 2014, 49 (52); MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 37; ders., WM 2013, 293 (296). 1446 BGH, Urt. v. 4. 12. 1997 – IX ZR 47/97, ZIP 1998, 248 (251); MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 37; HmbKomm/Rogge/Leptien, § 133 Rn. 18. 1447 BGH, Beschl. v. 24. 9. 2009 – IX ZR 178/07, juris; siehe auch Fischer, NZI 2008, 588 (594); Ganter, WM 2014, 49 (51) m.w.N.; Kayser, WM 2013, 293 (298); zur neuen Entwicklung der Rechtsprechung sogleich. 1448 BGH, Beschl. v. 16. 7. 2009 – IX ZR 28/07, ZInsO 2010, 87 (87). 1449 Zuvor und unter Anwendung des Unlauterkeitsmerkmals gab es mehrere Entscheidungen, vgl. etwa BGH, Urt. v. 10. 7. 1997 – IX ZR 234/96, ZIP 1997, 1551 (1553); vgl. Foerste, WM 2014, 1213 (1214) m.w.N. 1444

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

211

dung; eine weitere Konturierung erfolgte zunächst nicht1450. Vielmehr ging der IX. Senat in späteren Entscheidungen, die die Anfechtung kongruenter Bargeschäfte nach § 133 Abs. 1 InsO zum Gegenstand hatten, auf das Gegenindiz des unmittelbaren Leistungsaustauschs nicht mehr ein1451. Der BGH hat weiterhin in Bezug auf das Indiz der Inkongruenz angenommen, dessen Wirkung werde sukzessive durch Zeitablauf widerlegt; je länger die Rechtshandlung zurückliege, desto weniger falle die Inkongruenz der Deckung ins Gewicht1452. Kayser erklärt diese Rechtsprechung damit, dass der Fortbestand des Unternehmens das Indiz widerlege1453. Zwar überzeugt der Ansatz, dass es schwerer fällt, dem Schuldner den Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung zu unterstellen, wenn schon der zeitliche Abstand zur Verfahrenseröffnung dagegen spricht, dass der Schuldner gerade im Hinblick auf eine zeitnah zu erwartende Insolvenz handelte. Allerdings sollte diese Vermutung nicht überdehnt werden. Viele schuldnerische Unternehmen halten sich in der Phase vor der Insolvenz durch Stundungen, Gesellschafterdarlehen und weitere verzweifelte Maßnahmen überraschend lang über Wasser. Geplant wird in diesen Fällen nur von Tag zu Tag. Man überschätzt die Prognosefähigkeiten der Entscheidungsträger, wenn man unterstellt, diese könnten absehen, wann in Zukunft endgültig mit der Einleitung des Verfahrens durch einen Drittantrag zu rechnen ist. Selbst die Vorhersehbarkeit eines Eigenantrags dürfte oftmals nicht zu unterstellen sein, da die Entscheidungsträger, insbesondere in kleineren Unternehmen, oftmals in der Hoffnung auf eine Rettung diese Option ausblenden bis keinerlei Handlungsspielraum mehr besteht. (2) Kritik der Literatur und Reaktion der BGH-Richter Durch die generöse Anwendung der Beweisanzeichen in der Praxis und die gleichzeitige Zurückhaltung bei der Annahme entkräftender Umstände wurde die Durchsetzung einer Vorsatzanfechtung einfacher, vor allem im Verhältnis zur Deckungsanfechtung1454. Hierdurch gewann § 133 Abs. 1 InsO für Insolvenzverwalter große Anziehungskraft. In der Literatur1455 stieß der Bedeutungszuwachs der Vorsatzanfechtung auf deutliche Kritik1456 und führte zu einer umfangreichen rechts1450 Foerste, WM 2014, 1213 (1214); zu den neuen Tendenzen von BAG und BGH sogleich, B.II.4.f)cc)(3). 1451 BGH, Urt. v. 24. 1. 2013 – IX ZR 11/12, ZInsO 2013, 384 (385); dazu Foerste, WM 2014, 1213 ff.; Lütcke, NZI 2014, 350 (353). 1452 BGH, Urt. v. 18. 12. 2003 – IX ZR 199/02, BGHZ 157, 242 (252). 1453 Kayser, WM 2013, 293 (299). 1454 Einen Überblick bietet van Marwyk, ZInsO 2014, 1734 ff. 1455 Neben der Literatur kritisierten auch Wirtschaftsverbände das geltende Anfechtungsrecht, siehe dazu Bork, ZIP 2014, 797 (808); Fawzy/Köchling, ZInsO 2014, 1073 ff.; Lütcke, ZInsO 2013, 1984 (1984) sowie Thole, ZIP 2013, 2081 ff. 1456 Neben den im Folgenden dargestellten Argumenten wurde von Fawzy/Köchling, ZInsO 2014, 1073 ff. der Vorwurf erhoben, die Vereinfachung der Anfechtung führe vermehrt zur Anfechtung allein zur Gebührengenerierung zu Gunsten der Verwalter (dagegen wiederum

212

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

dogmatischen und -politischen Diskussion, an der sich auch mehrere aktive sowie ehemalige Mitglieder des IX. Senats rege beteiligten. (a) Systematik und telos Den zentralen Angriffspunkt für die Kritik an der Rechtsprechung bildet das systematische Verständnis der Vorsatzanfechtung im Verhältnis zur Deckungsanfechtung. Foerste argumentiert, unter der Konkursordnung sei die Deckungsanfechtung der Vorsatzanfechtung vorrangig gewesen, wenn keine unlautere Begünstigung vorgelegen habe; das habe dem Vertrauensschutz kongruenter Deckungen gedient1457. An dieser Konzeption habe der Gesetzgeber der Insolvenzordnung festhalten wollen1458. Aus der allgemeinen Verschärfung des Anfechtungsrechts habe der Verzicht auf das Kriterium der Unlauterkeit nicht abgeleitet werden können1459. Insbesondere könne die verschärfte Handhabung des § 133 Abs. 1 InsO im Vergleich zur Vorgängernorm des § 31 KO nicht mit der Umstellung des Wortlauts von „Absicht“ auf „Vorsatz“ begründet werden1460. Schon unter der KO habe die Rechtsprechung den Eventualvorsatz des Schuldners genügen lassen1461. Systematisch sei zu beachten, dass der Gesetzgeber die Anfechtung kongruenter Deckungen nach § 130 InsO wegen Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungsunfähigkeit auf einen Zeitraum von drei Monaten beschränkt habe; diese Grundentscheidung dürfe nicht durch eine extensive Auslegung des § 133 Abs. 1 InsO unterlaufen werden1462. Zudem führe die weite Auslegung des § 133 Abs. 1 InsO zu systematischen Folgeproblemen: So werde die Schutzfunktion des § 142 InsO beeinträchtig, da dieser für § 133 Abs. 1 InsO gerade nicht gilt1463. Auch Jensen äußert deutliche Kritik an der Auslegung des § 133 Abs. 1 InsO durch den BGH1464. Seine Argumentation setzt vor allem an der jeweiligen Schutzrichtung der Anfechtungstatbestände an. Der BGH verkenne die abweichende Zwecksetzung der Deckungsanfechtung auf der einen und der Vorsatzanfechtung auf der anderen Seite; aus der Kenntnis der eigenen Zahlungsunfähigkeit könne nicht Ludwig, ZInsO 2014, 1729 (1731 ff.)). Da es sich nicht um eine anfechtungs-, sondern vergütungsrechtliche Frage handelt, soll sie hier nicht weiter vertieft werden. 1457 Foerste, ZInsO 2013, 897 (898 f.); gegen einen Vorrang der Deckungsanfechtung unter der Insolvenzordnung Huber, in FS Haarmeyer, S. 111 (115). 1458 Foerste, ZInsO 2013, 897 (899); kritisch Thole, ZIP 2013, 2081 (2082). 1459 Foerste, ZInsO 2013, 897 (899). 1460 Foerste, ZInsO 2013, 897 (897). 1461 Foerste, ZInsO 2013, 897 (897). 1462 Foerste, ZInsO 2013, 897 (900); besonders zweifelhaft sei es, wenn dabei im Rahmen des § 133 Abs. 1 InsO bereits die Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit zur Anfechtbarkeit führe; ähnlich Fawzy/Köchling, ZInsO 2014, 1073 (1075); Schoppmeyer, ZIP 2009, 600 (603); Thole, ZIP 2013, 2081 (282) spricht von einem „insolvenzrechtlichen Abstandsgebot“. 1463 Foerste, ZInsO 2013, 897 (900); so schon Schoppmeyer, ZIP 2009, 600 (604). 1464 Jensen, NZI 2013, 471 ff.

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

213

abgeleitet werden, dass der Schuldner auch mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehandelt habe1465. Anderenfalls werde die Vorsatzanfechtung entgegen ihrem eigentlichen Zweck1466 zu einem Instrument der Gläubigergleichbehandlung umgestaltet1467. Aus der Missachtung des jeweiligen telos folge die Fehlvorstellung, die beiden Tatbestände stünden in einem Stufenverhältnis1468 ; vielmehr bestehe aufgrund der abweichenden Schutzrichtung ein kategorialer Unterschied1469. Weiterhin widerspreche der Schluss von der drohenden Zahlungsunfähigkeit auf den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners dem Willen des Gesetzgebers, der bewusst auf eine dem § 133 Abs. 1 S. 2 InsO entsprechende Vermutungsregel verzichtet habe1470. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Rückgriff auf den zeitlich wesentlich weiter zurückgreifenden § 133 Abs. 1 InsO im Vergleich zu § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO nur den zusätzlichen Nachweis erfordere, dass der Schuldner selbst seine Zahlungsunfähigkeit gekannt habe1471. Bork billigt die Rechtsprechung des BGH zu § 133 Abs. 1 InsO grundsätzlich, wendet sich aber gegen das Indiz der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Nach seiner Ansicht sanktioniert § 133 Abs. 1 InsO sozial inadäquates Verhalten des Schuldners; ein solches liege bei Zahlungen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit vor, wie sich aus der strafrechtlich bewehrten Pflicht zur Antragsstellung (§ 15a InsO) und der zivilrechtlichen Haftung der Geschäftsführung für Zahlungen nach diesem Zeitpunkt (§ 64 S. 1 GmbHG, § 92 Abs. 2 AktG) ergebe1472. Soziale Inadäquanz könne nach diesem Maßstab bei nur drohender Zahlungsunfähigkeit nicht angenommen werden, da in dieser Situation keine Pflicht, sondern nur das Recht zur Antragsstellung bestehe1473. Auch der Gläubiger verdiene insoweit stärkeren Vertrauensschutz, als er bei drohender Zahlungsunfähigkeit keinen Insolvenzantrag stellen könne1474. (b) Interessenlage Lütcke kritisiert die tatsächlichen Folgen des erhöhten Anfechtungsrisikos. Er argumentiert, dass die Situation der Gläubiger in der Krise des Geschäftspartners nach der aktuellen Auslegung der Anfechtungsnormen sehr ungünstig sei1475. 1465

Jensen, NZI 2013, 471 (471); so schon Schoppmeyer, NZI 2005, 185 (189). Siehe dazu oben B.I.4.b). 1467 Jensen, NZI 2013, 471 (472); ähnlich Lütcke, ZInsO 2013, 1984 (1986). 1468 So aber Fischer, NZI 2008, 588 (594); Schoppmeyer, ZIP 2009, 600 (604). 1469 Jensen, NZI 2013, 471 (471, 476); siehe auch Bork, ZIP 2014, 797 (804); im Ausgangspunkt zustimmend auch Thole, ZIP 2013, 2081 (283); Huber, EWiR 2014, 291 (292) führt bildlich aus, die Tatbestände stünden nicht in einem Stufenverhältnis, sondern lägen in verschiedenen Gebäuden. 1470 Jensen, NZI 2013, 471 (473). 1471 Jensen, NZI 2013, 471 (473); siehe auch Foerste, ZInsO 2013, 897 (901). 1472 Bork, ZIP 2014, 797 (808); ähnlich zuvor Fischer, NZI 2008, 588 (591). 1473 Bork, ZIP 2014, 797 (808); auch Ganter, WM 2014, 49 (50). 1474 Bork, ZIP 2014, 797 (808); ähnlich Schoppmeyer, ZIP 2009, 600 (607). 1475 Lütcke, ZInsO 2013, 1984 (1988). 1466

214

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Mögliche Handlungsoptionen, z. B. Mahnungen, Kündigungen, Ratenzahlungsvereinbarungen, führten im Ergebnis nur zu einer noch leichteren Anfechtbarkeit anschließender Transaktionen; dem Gläubiger bliebe nur, schon bei ersten Krisenanzeichen kompromisslos die Befriedigung im Wege der Zwangsvollstreckung ohne Mitwirkungshandlungen des Schuldners zu suchen und jegliche Leistungen an den Schuldner einzustellen1476. Diese Gedanken gelten auch, und zwar im besonderen Maße, für die Arbeitnehmer in der Krise des Arbeitgebers. Arbeitnehmer haben bei ausbleibenden Lohnzahlungen kaum zielführende Handlungsoptionen1477. Der Rat zur sofortigen Vollstreckung hilft Arbeitnehmern in der Regel nicht: Durch Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den in der Krise befindlichen Arbeitgeber torpediert der Arbeitnehmer gewöhnlich seine persönliche Stellung im Unternehmen. Auch in der Vorstellung des Arbeitnehmers dürfte eine erfolgreiche Vollstreckung die Liquidität des Arbeitgebers noch weiter schwächen und das Risiko der Insolvenz und des drohenden Arbeitsplatzverlustes noch erhöhen. (c) Gegenindizien Die Literatur greift auch die Rechtsprechung zur Widerlegung des subjektiven Tatbestand bei Vorliegen eines Sanierungskonzepts an: Soweit an ein solches Konzept, das den Benachteiligungsvorsatz widerlegen könne, die Anforderung gestellt werde, dass auch ein branchenkundiger Fachmann dieses für tragfähig erachte, werde die subjektive Frage nach dem Benachteiligungsvorsatz mit der Frage nach der objektiven Sachkunde des Schuldners vermengt1478. Es sei zudem fraglich, ob das Kriterium der begonnenen Umsetzung nicht erneute Abgrenzungsprobleme mit sich bringe1479 und ob es tatsächlich geeignet sei, die Seriosität und Geeignetheit des Sanierungsversuchs zu belegen1480. Durch das Erfordernis der Inzugsetzung würden Sanierungsberater diskriminiert, weil sie mit der Einforderung ihrer Honorare bis zum Umsetzungsphase warten müssten1481. Für den Gläubiger sei, sofern er überhaupt Einblick in das Sanierungskonzept habe, kaum einzuschätzen, ob das Konzept den Anforderungen an Schlüssigkeit und Ernsthaftigkeit genüge1482.

1476 Lütcke, ZInsO 2013, 1984 (1988); s. auch Fawzy/Köchling, ZInsO 2014, 1073 (1078 f.); Jensen, NZI 2011, 798 ff. 1477 Siehe oben B.II.2.h). 1478 Jensen, NZI 2013, 471 (472); dagegen: Ganter, WM 2014, 49 (52). 1479 Thole, ZIP 2013, 2081 (2087). 1480 Foerste, ZInsO 2013, 897 (901). 1481 Thole, ZIP 2013, 2081 (2087). 1482 Lütcke, ZInsO 2013, 1984 (1990).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

215

(d) Vorschläge Neben der umfangreichen Kritik liefern Literatur und Praxis eine Vielzahl von Anregungen, wie mit § 133 Abs. 1 InsO in Zukunft umzugehen sei1483. Nach der Ansicht von Foerste und Jensen ist die Anfechtung kongruenter Deckungen nach § 133 Abs. 1 InsO schon nach geltendem Recht auf unlautere Vermögensverschiebungen beschränkt1484. Foerste hält den Wortlaut des § 133 Abs. 1 S. 1 InsO insoweit für zu weit geraten, als er eine solche Einschränkung nicht enthält1485. Diese Beschränkung entspreche der Rechtsprechung des BGH zur KO sowie zur Insolvenzordnung bis zum Jahr 2003, nach der kongruente Deckungen faktisch nicht der Vorsatzanfechtung unterlagen1486. Noch weiter gehen einige Wirtschaftsverbände. Sie fordern, im Wortlaut des § 133 InsO den vollständigen Ausschluss der Vorsatzanfechtung von kongruenten Deckungen zu verankern1487. Fawzy und Köchling plädieren dafür, § 133 Abs. 1 InsO insoweit zu reformieren, dass im Fall kongruenter Deckungen auf subjektiver Seite die Absicht des Schuldners, seine Gläubiger zu benachteiligen, erforderlich ist1488. Bork setzt dagegen an dem von ihm kritisierten Indiz der Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit an. Da diese Rechtsprechung mit dem Wortlaut von § 133 Abs. 1 S. 2 InsO kollidiere, sollen nach seiner Meinung kongruente Deckungen vom Anwendungsbereich des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO ausgenommen werden; diese Änderung würde nach Ansicht Borks zu keiner wesentlichen Entwertung der Vorsatzanfechtung führen1489.

1483

Überblicke bei Bork, ZIP 2014, 797 (809 ff.); Fawzy/Köchling, ZInsO 2014, 1073 (1080 ff.); Thole, ZIP 2013, 2081 (2085 ff.). 1484 Foerste, ZInsO 2013, 897 (902); Jensen, NZI 2013, 471 (471); zuvor: C. Paulus, in: FS Fischer, S. 445 (456 f.); kritisch Bork, ZIP 2014, 797 (799 f.); Lütcke, ZInsO 2013, 1984 (1991); Thole, ZIP 2013, 2081 (2083, 2085). Betroffene Gläubiger sollen nach Foerstes Ansicht sogar eine Urteilsverfassungsbeschwerde in Betracht ziehen; dagegen Bork, ZIP 2014, 797 (806) und Thole, ZIP 2013, 2081 (2082). 1485 Foerste, ZInsO 2013, 897 (901). 1486 Vgl. die detaillierte historischen Aufarbeitungen bei Fischer, NZI 2008, 588 (589 f.) und Foerste, ZInsO 2013, 897 (897 f.); siehe auch Bork, ZIP 2014, 797 (805); Fawzy/Köchling, ZInsO 2014, 1073 (1074). 1487 Dazu Bork, ZIP 2014, 797 (809) mit Fundstellen der Stellungnahmen der Verbände. 1488 Fawzy/Köchling, ZInsO 2014, 1073 (1080 f.); maßgeblich soll sein, dass es dem Schuldner mehr auf die Benachteiligung ankomme, als auf die Erfüllung seiner Leistungspflicht; dagegen Bork, ZIP 2014, 797 (810); Thole, ZIP 2013, 2081 (2085). Bereits früher hatte v. Campe die frühere Rechtsprechung so interpretiert, dass dolus directus 1. Grades erforderlich sei, v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 238. 1489 Bork, ZIP 2014, 797 (808, 810); auch Ganter, WM 2014, 49 (49) spricht sich gegen die Indizwirkung der nur drohenden Zahlungsunfähigkeit aus; dagegen Gravenbrucher Kreis, ZInsO 2014, 1704 (1706).

216

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Weiterhin vorgeschlagen wird neben einer Verkürzung des Anfechtungszeitraums auch die ausdrückliche Privilegierung einzelner Gläubigergruppen1490. (e) Reaktion der Bundesrichter Die Kritik verhallte nicht ungehört. Godehard Kayser, der seit 2010 Vorsitzender des IX. Senats ist, setzt sich in eigenen Veröffentlichungen mit den Vorwürfen auseinander1491. Während er die Kritik als „im Großen und Ganzen“ für nicht sachlich berechtigt erachtet, gibt er dennoch an, der IX. Senat sei in der Tendenz darauf bedacht, „die Anforderungen an die Darlegung der Vermutungsgrundlagen zu präzisieren, teilweise auch zu erhöhen.“1492 Die von den Kritikern geforderten Änderungen erforderten keine Umgestaltung der Insolvenzordnung, sondern könnten de lege lata umgesetzt werden1493. Unterstützung in dieser Einschätzung erhält Kayser von seinem Kollegen im IX. Senats, Markus Gehrlein1494, sowie dem vorherigen Vorsitzenden des IX. Senats, Hans Gerhard Ganter1495. Kayser verteidigt die Rechtsprechung des BGH mit der grundsätzlichen Überlegung, auch für das Anfechtungsrecht seien die Beweisregeln der ZPO anzuwenden1496. Der Schluss auf subjektive Tatbestandsmerkmale, u. a. im Rahmen des § 133 Abs. 1 InsO, sei regelmäßig nur durch Rückgriff auf objektive Indizien möglich1497. Zu unterscheiden hiervon seien Vermutungen i.S.d. § 292 ZPO, die vom Gegner nicht nur erschüttert, sondern durch Antritt des Gegenbeweises entkräftet werden müssten1498. Liege allerdings ein starkes Beweisanzeichen vor, z. B. die Inkongruenz, könne das allein für den Nachweis des subjektiven Tatbestands ausreichen, wenn es nicht durch andere Umstände entkräftet werde1499. Die richtige Balance zwischen Vertrauensschutz und dem Gläubigerinteresse an der Anfechtbarkeit sei über die vorzunehmende Gesamtwürdigung zu erreichen1500. Im Ergebnis führe die Recht1490 Zu diesen Vorschlägen: Bork, ZIP 2014, 797 (809 ff.); Fawzy/Köchling, ZInsO 2014, 1073 (1080 ff.) jeweils m.w.N. 1491 Kayser, WM 2013, 293 ff.; ders., NJW 2014, 422 ff.; zustimmend van Marwyk, ZInsO 2014, 1734 (1737). 1492 Kayser, WM 2013, 293 (293); ähnlich ders., NJW 2014, 422 (423); vgl. auch Gehrlein, NZI 2014, 481 (486); zustimmend Lütcke, ZInsO 2013, 1984 (1991). 1493 Kayser, NJW 2014, 422 (422). 1494 Gehrlein, NZI 2014, 481 ff. 1495 Ganter, WM 2014, 49 ff.; für die Linie der Rechtsprechung insgesamt auch Thole, ZIP 2013, 2081 (2088). 1496 Kayser, WM 2013, 293 (295). 1497 Kayser, WM 2013, 293 (295); siehe auch Bork, ZIP 2014, 797 (805); Fischer, NZI 2008, 588 (592); Schoppmeyer, ZIP 2009, 600 (606). 1498 Kayser, WM 2013, 293 (295); so schon Fischer, NZI 2008, 588 (592). 1499 Kayser, WM 2013, 293 (296); ders., NJW 2014, 422 (425). 1500 Kayser, NJW 2014, 422 (424); ähnlich Ganter, WM 2014, 49 (49); Gehrlein, NZI 2014, 481 (486); Schoppmeyer, ZIP 2009, 600 (605); auch Bork, ZIP 2014, 797 (799 f.) ordnet die Diskussion um § 133 Abs. 1 InsO als Frage der Beweisführung ein, nicht als Problem des objektiven Tatbestands.

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

217

sprechung des IX. Senats zu angemessenen Ergebnissen1501. Kayser räumt allerdings ein, der Aspekt der Gesamtwürdigung sei „bei ständiger Betonung der Indizwirkungen […] etwas in Vergessenheit geraten.“1502 Die Kritik der Literatur, der zeitliche Rahmen der Deckungsanfechtung werde überspielt, gehe fehl. An die Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO würden zum einen zusätzliche Anforderungen gestellt1503. Zum anderen lasse die vorzunehmende Gesamtwürdigung dem Anfechtungsgegner die Möglichkeit, entlastende Umstände vorzubringen1504. Das folge bereits aus der richterlichen Pflicht zur umfassenden Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls1505. Eine Beschränkung der Vorsatzanfechtung auf Fälle unlauteren Verhaltens verkenne den Wortlaut der Norm, die allein Vorsatz fordere1506. Zudem könne die Vorsatzanfechtung ihrer Funktion des Masseschutzes unter dieser zusätzlichen Voraussetzung nicht erfüllen1507. Die zuletzt durch das ESUG1508 bekräftigte gesetzgeberische Vorstellung eines sanierungsfreundlichen Insolvenzrechts spreche nicht gegen eine effektive Anwendung der Anfechtungsnormen1509. Nach Gehrlein gefährdet die Einschränkung der Anfechtung das grundlegende Ziel der Insolvenzrechtsreform, möglichst viele Verfahrenseröffnungen zu ermöglichen1510. Auch eine generelle Einschränkung der Indizien-Rechtsprechung lehnt Kayser ab: Könne man den Benachteiligungsvorsatz nicht aus der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit ableiten, sei die Vorsatzanfechtung von Deckungen „weitgehend entwertet“, weil das Beweisanzeichen der Inkongruenz außerhalb des Dreimonatszeitraums nicht aus der Androhung der Zwangsvollstreckung abzuleiten sei1511. Zur Verteidigung der Beweisanzeichen argumentiert Kayser weiter, dass ohne sie § 133 Abs. 1 InsO unter dem Strich keinen über § 826 BGB und die strafrechtlichen Schutzgesetze hinausgehenden Anwendungsbereich habe1512. Ein weitergehender 1501

Kayser, NJW 2014, 422 (428); so auch Ganter, WM 2014, 49 ff.; für eine stärkere Orientierung an Fallgruppen plädiert Thole, ZIP 2013, 2081 (2084). 1502 Kayser, WM 2013, 293 (298); ähnlich ders., NJW 2014, 422 (427). 1503 So auch Bork, ZIP 2014, 797 (806). 1504 Kayser, WM 2013, 293 (295); ders., NJW 2014, 422 (422); auch Bork, ZIP 2014, 797 (807). 1505 Kayser, WM 2013, 293 (298); ders., NJW 2014, 422 (427); so zuvor Fischer, NZI 2008, 588 (592). 1506 Kayser, WM 2013, 293 (296); ders., NJW 2014, 422 (425); so auch Bork, ZIP 2014, 797 (804, 807); Fischer, NZI 2008, 588 (591); Gehrlein, NZI 2014, 481 (483). 1507 Kayser, WM 2013, 293 (296); ders., NJW 2014, 422 (425); zustimmend Gehrlein, NZI 2014, 481 (483); kritisch: Bork, ZIP 2014, 797 (804, 807). 1508 Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen v. 07. 12. 2011, Inkrafttreten am 1. 3. 2012, BGBl. I 2011, 2582. 1509 Kayser, NJW 2014, 422 (423); so aber Fawzy/Köchling, ZInsO 2014, 1073 (1077 f.). 1510 Gehrlein, NZI 2014, 481 (482); siehe zu diesem Ziel oben B.I.2.h)bb)(1). 1511 Kayser, WM 2013, 293 (295); siehe dazu schon oben B.II.4.f)cc)(1)(b). 1512 Kayser, NJW 2014, 422 (422); zuvor Fischer, NZI 2008, 588 (592).

218

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Schutz von Raten- und Teilzahlungen sei nicht angezeigt, auch wenn diese im Rahmen eines Sanierungsversuchs erfolgt seien. Gläubiger, die durch die Annahme von Teilleistungen einen Beitrag zur Sanierung bringen wollten, seien nicht per se schutzwürdig, da ihr Entgegenkommen gleichfalls zu einem fortgesetzten Ausbluten des Unternehmens führen könne1513. Dennoch lassen sich Kaysers Äußerungen einige Zugeständnisse entnehmen. So vertritt er die Ansicht, das Beweisanzeichen der Inkongruenz sei insoweit einzuschränken, als es nur gelten solle, wenn sich der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt in einer Liquiditätskrise befunden habe1514. Solange das Unternehmen hinreichend liquide sei, stütze dieser objektive Umstand die Annahme, der Schuldner habe in der berechtigen Erwartung gehandelt, alle Gläubiger befriedigen zu können1515. Das entspreche nunmehr auch der Linie des IX. Senats des BGH1516. Kayser betont zudem die Möglichkeit des Anfechtungsgegners, die Indizien zu entkräften1517. Insbesondere könne zu den entlastenden Umständen eine „bargeschäftsähnliche Lage“1518 gehören, d. h. ein gleichwertiger Leistungsaustausch im engen zeitlichem Zusammenhang; in diesem Fall spreche vieles dafür, dass der Schuldner die fragliche Rechtshandlung primär aus Interesse an der Gegenleistung vorgenommen habe und gerade nicht mit dem Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung1519. Hiermit greift Kayser erkennbar die bereits dargestellte1520 frühere Rechtsprechung zum unmittelbaren Leistungsaustausch auf, von der sich der BGH zwischenzeitlich offenbar abgewandt hatte. (3) Neue Linie von BAG und BGH Die dargestellte Auseinandersetzung um die Vorsatzanfechtung fand schnell Niederschlag in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und zwar – und hieraus folgt die Relevanz der vorstehenden Darstellung – jeweils in Fällen der Lohnanfechtung.

1513

Kayser, NJW 2014, 422 (423). Kayser, NJW 2014, 422 (425). 1515 Kayser, NJW 2014, 422 (425). 1516 Kayser, NJW 2014, 422 (425) mit Verweis auf BGH, Urt. v. 7. 11. 2013 – IX ZR 248/12, ZInsO 2013, 2376 ff. 1517 Kayser, NJW 2014, 422 (427 f.). 1518 Kritisch zu dieser Figur Huber, EWiR 2014, 291 (292). 1519 Kayser, WM 2013, 293 (298); ders., NJW 2014, 422 (426). Dabei soll es jedoch gerade nicht um den (objektiven) Tatbestand des § 142 InsO gehen, sondern um eine reine Beweisfrage im Rahmen des § 133 Abs. 1 InsO, was auch die abweichende Terminologie erklärt. Zustimmend Bork, ZIP 2014, 797 (807); Lütcke, ZInsO 2013, 1984 (1990). 1520 Siehe oben B.II.4.f)cc)(1)(c). 1514

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

219

(a) Bundesarbeitsgericht Zunächst griff der Sechste Senat des BAG in einer Entscheidung vom 29. Januar 20141521 die Kritik der Literatur auf und nahm sie zum Anlass, die subjektiven Anforderungen an erfolgreiche Vorsatzanfechtungen von Lohnzahlungen zu erhöhen; Ansatzpunkt war dabei neben dem Vorsatz des Schuldners auch die darauf bezogene Kenntnis des Anfechtungsgegners im Allgemeinen und des Arbeitnehmers im Speziellen. Das BAG spricht sich gegen eine zu lockere Handhabung der subjektiven Kriterien des § 133 Abs. 1 InsO aus. Diese führe dazu, dass die Vorsatzanfechtung im Ergebnis an der Deckungsanfechtung „vorbeiziehe“, d. h. dem im Anfechtungsrecht angelegten Stufenverhältnis der Tatbestände nicht gerecht werde1522. Hierdurch werde auch die Bargeschäftsausnahme des § 142 InsO unterlaufen. Die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit müsse als Indiz einzelfallbezogen auf seine Beweiskraft geprüft werden, was sowohl für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Insolvenzschuldners, als auch für die entsprechende Kenntnis des Anfechtungsgegners gelte1523. Die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung seien nicht stets schon dann zu bejahen, wenn der Arbeitgeber zahlungsunfähig war und der Arbeitnehmer davon wusste1524. Liege ein Bargeschäft oder eine bargeschäftsähnliche Lage vor, sei daher im Einzelfall genau zu prüfen, ob tatsächlich der Rückschluss auf den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Anfechtungsgegners möglich sei1525. Das BAG nimmt dabei insbesondere Bezug auf die ältere Rechtsprechung des BGH zum unmittelbaren Leistungsaustausch1526. Die Steilvorlage für diese Rückorientierung hatte der Vorsitzende des IX. Senats, Kayser, selbst geliefert, indem er in seinen Veröffentlichungen diesen Aspekt wieder ins Spiel gebracht hatte1527. Das BAG unterstreicht seine Zurückhaltung im Rahmen des subjektiven Tatbestands zudem mit der Aussage, auch unter Anwendung der Indizienrechtsprechung des BGH könne die Beweisstärke des Beweisanzeichens der erkannten Zahlungsunfähigkeit im Einzelfall so schwach ausfallen, dass der Rückschluss auf den Vorsatz nicht mehr möglich sei1528. 1521 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 ff.; zustimmend Lütcke, NZI 2014, 350 ff.; zu den grundrechtlichen Aspekten, die sich aus dem obiter dictum in diesem Urteil ergeben, siehe unten C.II.2.b)dd). 1522 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (379); so auch Fawzy/Köchling, ZInsO 2014, 1073 (1073 f.); Lütcke, NZI 2014, 350 (352); Schoppmeyer, ZIP 2009, 600 (604); kritisch zum Begriff des Stufenverhältnisses: Huber, EWiR 2014, 291 (292); Jensen, NZI 2013, 471 ff. 1523 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (378). 1524 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (378). 1525 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (379). 1526 Siehe oben B.II.4.f)cc)(2)(c). 1527 Siehe oben B.II.4.f)cc)(2)(e). 1528 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (379) unter etwas fragwürdigem Rückgriff auf Kayser, in: FS Fischer, 267 (282), der aber offenbar nicht die Stärke des

220

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Die hohen Anforderungen, die das BAG damit erkennbar an den Nachweis des subjektiven Tatbestands des § 133 Abs. 1 InsO stellt, gewinnen besondere Bedeutung, wenn man sich zugleich seine weite Auslegung der Bargeschäftsausnahme vor Augen führt1529. Das BAG schloss durch diese Signalentscheidung die Lücke, die für Lohnanfechtungen nach der Dreimonatsrechtsprechung im Rahmen des § 142 InsO verblieb, noch weiter. (b) Bundesgerichtshof Auch der BGH nutzte Mitte des Jahres 2014 die Chance, wie von seinem Vorsitzenden angekündigt1530, „die Anforderungen an die Darlegung der Vermutungsgrundlagen zu präzisieren, teilweise auch zu erhöhen.“1531 Interessanterweise war Anlass ein Fall der Lohnanfechtung, obwohl solche Sachverhalte nach der Entscheidung des GmS-OGB in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit fallen1532. Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte war eröffnet, weil der Anfechtungsgegner in diesem Fall ein Gesellschafter-Geschäftsführer war1533. Während der BGH im ersten Teil des Urteils die Auslegung des § 142 InsO durch das BAG scharf angreift1534, schließt er sich dessen Rechtsprechung zur Handhabung der Beweisanzeichen weitgehend an1535. Obwohl der konkrete Fall keinen wirklich Anlass zur Auseinandersetzung mit möglichen Gegenindizien bietet, weil der IX. Senat schon keine Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit annimmt1536, betont das Gericht die nunmehr maßgeblichen Grundsätze zur Entkräftung solcher Beweisanzeichen: Die Indizwirkung sowohl der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit als auch der Inkongruenz könne entfallen, wenn die Umstände des Einzelfalls ergäben, dass der Schuldner von einer anfechtungsrechtlich unbedenklichen Willensrichtung gelenkt war und das Bewusstsein der Gläubigerbenachteiligung dadurch in den Hintergrund getreten sei; ein solches Gegenindiz könne etwa ein ernsthafter, aber gescheiterter Sanierungsversuch sein1537. Dieser Rechtssatz entspricht der auch schon früher ständigen Rechtsprechung des BGH1538. Ausführlicher Indizes selbst, sondern dessen Entkräftung meint; ähnlich für das Indiz der Inkongruenz: Fischer, NZI 2008, 588 (592); dem BAG zustimmend: van Marwyk, ZInsO 2014, 1734 (1737); Schoppmeyer, ZIP 2009, 600 (606); kritisch zur bargeschäftsähnlichen Lage: Huber, EWiR 2014, 291 (292). 1529 Siehe oben B.II.4.c)cc)(2)(c). 1530 Siehe bereits oben B.II.4.f)cc)(2)(e). 1531 Kayser, WM 2013, 293 (293); ähnlich ders., NJW 2014, 422 (423); vgl. auch Gehrlein, NZI 2014, 481 (486); dies begrüßend Lütcke, ZInsO 2013, 1984 (1991). 1532 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 ff. 1533 Bork, ZIP 2014, 1905 (1908 dort Fn. 21). 1534 Dazu bereits oben B.II.4.c)cc)(2)(c). 1535 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1607 ff.). 1536 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1607). 1537 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1607). 1538 Siehe oben B.II.4.f)cc)(2)(c).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

221

begründet der IX. Senat, dass zu den Gegenindizien auch eine „bargeschäftsähnliche“ Lage zähle: Im Fall eines gleichwertigen Leistungsaustauschs könne dem Schuldner die dadurch eintretende mittelbare Gläubigerbenachteiligung nicht bewusst geworden sein1539. Bei einer kongruenten Zug-um-Zug Leistung gegen eine zur Unternehmensfortführung unverzichtbare Gegenleistung, die den Gläubigern im Allgemeinen nützt, handele der Schuldner daher in der Regel nicht mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz1540. Damit kehrt der BGH zu seiner bis zum Jahre 2009 vertretenen Rechtsprechung zum unmittelbaren Leistungsaustausch zurück und tauft diese nunmehr als „bargeschäftsähnliche Lage“. Im Hinblick auf den konkret zu entscheidenden Fall führt der IX. Senat aus, unverzichtbar für die Geschäftsfortführung sei auch „die Tätigkeit der Arbeitnehmer, deren Mitwirkung für jede betriebliche Wertschöpfung unabdingbar ist.“1541 Bei bargeschäftlich abgewickelten Arbeitsverhältnissen scheide daher regelmäßig der Benachteiligungsvorsatz aus, sofern die betroffene Arbeitsleistung für die Fortführung unerlässlich ist. Dabei ist allerdings zu beachten, dass der BGH für den zeitlichen Zusammenhang als Voraussetzung des Bargeschäfts – auch im Rahmen des subjektiven Tatbestands des § 133 Abs. 1 InsO – in Abweichung zum BAG – eine Grenze von 30 Tagen annimmt1542. (c) Bewertung Die neue höchstrichterliche Rechtsprechung verdient unter dem Strich Zustimmung. Der Verweis des BAG1543 auf ein „Stufenverhältnis“ zwischen §§ 133 und 130 InsO, mit dem zuvor schon Fischer1544 argumentierte, bietet allerdings keine tragende Grundlage für die Handhabe des § 133 Abs. 1 InsO. Wie in der Literatur zu Recht vorgetragen wird, ist die Annahme eines solchen Stufenverhältnisses verfehlt, da beide Normen unterschiedlichen Zwecken dienen1545. Wie Thole überzeugend darlegt, lässt sich aus diesem Unterschied der Schutzrichtung ohnehin keine wesentliche Erkenntnis für das Verhältnis der Normen zueinander gewinnen1546. Gerade wegen des unterschiedlichen Schutzzwecks ist es ebenso möglich, Deckungsgeschäfte nach § 133 Abs. 1 InsO einer leichteren Anfechtbarkeit zu unterwerfen als unter §§ 130, 1539

BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1607). Der IX. Senat zitiert als Beleg nonchalant einen Aufsatz seines eigenen Vorsitzenden (Kayser, WM 2013, 239 ff.). 1540 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1607); wie das dortige Zitat des BGH zeigt, handelt es sich um eine Art Rückkehr zur früheren Rechtssprechung (BGH, Urt. v. 10. 7. 1997 – IX ZR 234/96, ZIP 1997, 1551 (1553). Bei der zweiten zitierten Entscheidung handelt es sich um einen Beschluss aus 2009, der nur eine sehr knappe Begründung enthält (BGH, Beschl. v. 16. 7. 2009 – IX ZR 28/07, ZInsO 2010, 87). 1541 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1607). 1542 Dazu oben B.II.4.c)cc)(2)(c). 1543 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (379). 1544 Fischer, NZI 2008, 588 (594); Kayser, WM 2013, 293 (298). 1545 Bork, ZIP 2014, 797 (804); Huber, EWiR 2014, 291 (292); Jensen, NZI 2013, 471 ff. 1546 Thole, ZIP 2013, 2081 (2083).

222

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

131 InsO1547. Eine solche Auslegung widerspräche freilich dem erkennbaren gesetzgeberischen Willen, wenn für §§ 130, 131 kein eigenständiger Anwendungsbereich verbliebe1548. Dabei handelt es sich um die rein systematische Überlegung, dass eine überflüssige Norm vom Gesetzgeber nicht gewollt sein kann. Eine Überlagerung des § 130 InsO von § 133 Abs. 1 InsO durch die Rechtsprechung droht aber nicht, solange diese sich im Rahmen der Gesamtabwägung hinreichend Spielraum belässt, um für die Vorsatzanfechtung mehr zu fordern als die reine Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit1549. Den Entscheidungen von BGH und BAG kann man entnehmen, dass bei Austauschgeschäften im Rahmen der Betriebsfortführung der Fokus eher auf den Aspekt gelegt wird, dass der Schuldner das Unternehmen retten will, als auf eine mögliche Benachteiligungsabsicht. Diese Grundausrichtung kann auf die Anfechtung gegenüber anderen Gläubigergruppen übertragen werden, die für die fortgesetzte Geschäftstätigkeit erforderlich sind, z. B. Lieferanten oder Grundversorger. Es ist noch nicht absehbar, wie stark hierdurch die Anfechtungsmöglichkeiten insgesamt beschnitten werden. Mit Blick auf die Lohnanfechtung ist unklar, wann die Mitwirkung eines Arbeitnehmers „unabdingbar“ oder „unerlässlich“ ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Unternehmen keine Arbeitnehmer beschäftigen, die sie überhaupt nicht brauchen. Sofern kein auffälliger Personalüberhang besteht, ist daher fast jeder Arbeitnehmer unabdingbar. Auch Arbeitnehmer, die nicht unmittelbar an der Kerntätigkeit des Geschäftsbetriebs beteiligt sind, sind für einen dauerhaften Fortbestand des Unternehmens bedeutsam. Es wäre zu kurzfristig gedacht, wenn etwa Mitarbeiter im Marketing eines produzierenden Betriebs, in Abgrenzung zu den in der Herstellung tätigen Arbeitnehmern als nicht unerlässlich angesehen würden, weil sich ihre Leistungen erst mittel- oder langfristig auf die Umsätze des Unternehmens auswirken. Privilegiert werden soll der Versuch einer dauerhaften Betriebsfortführung, nicht der Notbetrieb unter Reduzierung auf einen rentablen Geschäftsteil, der auf lange Sicht alleine nicht überlebensfähig ist. Trotz der Betonung der Gesamtbetrachtung ist zu erwarten, dass der BGH in zukünftigen Entscheidungen weitere Leitlinien für eine praxistaugliche Handhabe des subjektiven Tatbestands des § 133 Abs. 1 InsO aufstellen wird1550, sofern ihm der Gesetzgeber nicht zuvorkommt. Bork weist zu Recht darauf hin, dass der Gesetzgeber frei sei, „für die heutige Zeit festzulegen, was man unter fraus im 21. Jahrhundert verstehen will, ob man also beispielsweise im subjektiven Tatbestand dolus eventualis, Absicht, unlauteres oder gar kollusives Verhalten verlangt.“1551 Zu be1547 1548 1549 1550 1551

Thole, ZIP 2013, 2081 (2082). Thole, ZIP 2013, 2081 (2082). Thole, ZIP 2013, 2081 (2082). Das fordert etwa Lütcke, ZInsO 2013, 1984 (1991). Bork, ZIP 2014, 797 (801); zuvor ähnlich Fischer, NZI 2008, 588 (591).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

223

denken sei dabei zum einen die Positionierung im internationalen Rechtsvergleich1552 und zum anderen die Frage der Stimmigkeit im Regelungssystem1553. (4) Referentenentwurf 2015 Am 16. März 2015 veröffentlichte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz1554. Der Entwurf sieht vor, dass in § 133 Abs. 1 RefE InsO 2015 eine „unangemessene Benachteiligung“ zur Voraussetzung der Vorsatzanfechtung erhoben wird. Eine solche unangemessene Benachteiligung soll nach dem neuen § 133 Abs. 1 S. 2 RefE InsO 2015 nicht vorliegen, wenn für die Leistung des Schuldners unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, die zur Fortführung seines Unternehmens oder zur Sicherung seines Lebensbedarfs erforderlich ist oder die Rechtshandlung Bestandteil eines ernsthaften Sanierungsversuchs ist. Letztlich würde damit die jüngere Rechtsprechung zu Gegenindizien1555 kodifiziert1556. Eine wirkliche Verbesserung der Rechtssicherheit ginge damit aber nicht einher, da der Gesetzestext mit den Formulierungen „unmittelbar“, „erforderlich“, „ernsthaft“ und „Sanierungsversuch“ wiederum unbestimmte Rechtsbegriffe enthält1557. Nach der Begründung des Entwurfs soll der Insolvenzverwalter zudem beweisen müssen, dass die Rechtshandlung nicht unter die Ausschlusskriterien des § 133 Abs. 1 S. 2 RefE InsO 2015 fällt1558. Anhaltspunkte für diese Beweislastverteilung sucht man im vorgeschlagenen Gesetzestext allerdings vergebens1559. Auch der Begriff der Unangemessenheit selbst bringt keinen Mehrwert, da es eine „angemessene Benachteiligung“ nach der Systematik des Anfechtungsrechts nicht

1552

Da sich diese Frage auf Ausgestaltung des Anfechtungsrechts insgesamt bezieht und eine umfassende internationale Studie erforderte, wird sie hier nicht vertieft, lesenswert Bork, ZIP 2014, 797 (801 ff.). 1553 Bork, ZIP 2014, 797 (801). 1554 Beil. ZIP 12/2015 v. 20. 3. 2015, S. 1, zudem abrufbar unter www.bmjv.de; siehe dazu Dahl/Linnenbrink/Schmitz, NZI 2015, 441 ff.; Hölzle, ZIP 2015, 662 ff.; Huber, ZInsO 2015, 713 ff.; Jacobi/Böhme, ZInsO 2015, 721 ff.; Jungclaus/Keller, NZI 2015, 297 ff.; siehe zu den Änderungsvorschlägen zu § 142 InsO unten D.II. 1555 Siehe oben B.II.4.f)cc)(1)(c). 1556 Dahl/Linnenbrink/Schmitz, NZI 2015, 441 (443); Hölzle, ZIP 2015, 662 (668 f.); Huber, ZInsO 2015, 713 (716 f.); Jacobi/Böhme, ZInsO 2015, 721 (722); Jungclaus/Keller, NZI 2015, 297 (297 f.); kritisch zur Umsetzung im Entwurf: Frind, ZInsO 2015, 1001 (1007). 1557 Frind, ZInsO 2015, 1001 (1008); Hölzle, ZIP 2015, 662 (668); Huber, ZInsO 2015, 713 (716 f.). 1558 Begr. RefE InsO 2015, S. 11. 1559 Jungclaus/Keller, NZI 2015, 297 (298).

224

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

gibt oder es in diesen Fällen bereits an der Grundvoraussetzung einer Gläubigerbenachteiligung fehlt1560. Nach § 133 Abs. 2 RefE InsO 2015 soll bei Sicherungen und Befriedigungen, d. h. bei Deckungen, die Anfechtungsfrist auf vier Jahre begrenzt werden. Die praktischen Auswirkungen – und damit der Gewinn an Rechtssicherheit – würde sich in Grenzen halten, da ein Rückgriff über mehr als vier Jahre in der Praxis schon jetzt sehr selten ist1561. Unklar ist zudem, warum auch inkongruente Deckungen, die nach der herkömmlichen Anschauung als besonders verdächtig gelten, durch eine verkürzte Frist geschützt werden sollen1562. § 133 Abs. 3 S. 1 RefE InsO 2015 sieht vor, dass in Fällen kongruenter Deckungen die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Gläubigerbenachteiligung nicht aus der Kenntnis der drohenden, sondern nur der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit abgeleitet werden kann. Diese Änderung bringt für Anfechtungsgegner keine wesentliche Verbesserung, da regelmäßig der Beweis der Zahlungsunfähigkeit über den Nachweis der Zahlungseinstellung leichter fällt als der Nachweis der drohenden Zahlungsunfähigkeit, der die Erstellung stichtagsbezogener Liquiditätsbetrachtungen erfordert1563. Zuletzt sieht § 133 Abs. 3 S. 2 RefE InsO 2015 vor, dass die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Vorsatz des Schuldners nicht allein daraus abgeleitet werden kann, dass dem Schuldner im Rahmen der Zwangsvollstreckung eine Ratenzahlung gewährt wurde oder er „im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs um eine Zahlungserleichterung nachgesucht hat“. Auch in diesem Zusammenhang ist der Gewinn an Rechtssicherheit gering: Wann sich die Bitte um Stundungen oder Ratenzahlungen noch im Rahmen der „Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs“ bewegt, ist offen1564. Tatsächlich schwingt mit entsprechenden Bitten ganz regelmäßig die Aussage mit, dass dem Schuldner eine volle Zahlung aktuell nicht möglich ist1565. Wenn die Anfrage ausdrücklich auf das Unvermögen hinweist, würde auch § 133 Abs. 3 S. 2 RefE InsO 2015 dem Anfechtungsgegner nicht helfen; auf der anderen Seite genügt eine Ratenzahlung allein nicht zur Begründung der Vorsatz-

1560 Dahl/Linnenbrink/Schmitz, NZI 2015, 441 (443); Hölzle, ZIP 2015, 662 (668); Huber, ZInsO 2015, 713 (716). 1561 Dahl/Linnenbrink/Schmitz, NZI 2015, 441 (444); Jacobi/Böhme, ZInsO 721 (724); Jungclaus/Keller, NZI 2015, 297 (299); a.A. Frind, ZInsO 2015, 1001 (1008). 1562 Huber, ZInsO 2015, 713 (717). 1563 Hölzle, ZIP 2014, 662 (669); Jungclaus/Keller, NZI 2015, 297 (299); a.A. Huber, ZInsO 2015, 713 (717). 1564 Dahl/Linnenbrink/Schmitz, NZI 2015, 441 (445); Jacobi/Böhme, ZInsO 2015, 721 (723). 1565 Hölzle, ZIP 2015, 662 (669); vgl. auch Frind, ZInsO 2015, 1001 (1008).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

225

anfechtung. Das entspricht aber ohnehin der differenzierten Rechtsprechung des BGH zu Ratenzahlungsvereinbarungen1566. Insgesamt überzeugt der Entwurf – insbesondere mit seinen Vorschlägen zur Vorsatzanfechtung – nicht1567. Er wirkt dogmatisch unausgereift. Der vorgeschlagene Normtext enthält eine Reihe neuer unbestimmter Rechtsbegriffe, wodurch die Rechtssicherheit nicht entscheidend erhöht würde; die Verwendung des Merkmals der Unangemessenheit und die Kodifizierung von Regelbeispielen sind handwerklich fragwürdig1568. (5) Fazit und Ausblick Die Auseinandersetzung um die Vorsatzanfechtung lässt sich auf zwei wesentliche Punkte herunterbrechen: Zum einen geht es um die Schwierigkeiten, subjektive Tatbestandsmerkmale sinnvoll auszufüllen, ohne sie weder völlig zu verobjektivieren noch ihren Nachweis faktisch unmöglich zu machen. Ein Patentrezept gibt es nicht, was daran liegt, dass man nicht in den Kopf des Betroffenen schauen kann. Zum anderen ist die Diskussion ein Ausdruck des ewigen Konflikts zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit. BAG und BGH haben durch die Betonung der Gesamtbetrachtung und den vorsichtigeren Umgang mit den Beweisanzeichen das Rad zumindest leicht in Richtung Einzelfallgerechtigkeit gedreht. Ob die Instanzgerichte der für sie daraus folgenden Aufgabe gerecht werden, wird sich zeigen. Das weitere Schicksal des jüngsten Referentenentwurfs aus dem Jahr 2015 bleibt abzuwarten. Die vorgeschlagenen Normen wirken unausgereift. Die Diskussion in Fachkreisen ist aber noch nicht beendet. Es darf nicht aus den Augen verloren werden, dass sich der Gesetzgeber im Rahmen der Insolvenzrechtsreform erst vor knapp 15 Jahren dafür entschied, das Anfechtungsrecht scharf auszugestalten, um die Zahl der eröffneten Verfahren zu maximieren und die Sanierungschancen durch Masseanreicherung zu erhöhen; diese Grundentscheidung sollte nicht leichtfertig über Bord geworfen werden1569. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Veröffentlichungen der Senatsmitglieder deutlich machen, dass der BGH seine eigene Rechtsprechung zu § 133 Abs. 1 InsO reflektiert und kritisch hinterfragt. Dem

1566

So auch Dahl/Linnenbrink/Schmitz, NZI 2015, 441 (444 f.); Frind, ZInsO 2015, 1001 (1009); Huber, ZInsO 2015, 713 (718); zu dieser Rechtsprechung ausführlich Priebe, ZInsO 2013, 2479 ff. 1567 So auch Dahl/Linnenbrink/Schmitz, NZI 2015, 441 (446); Frind, ZInsO 2015, 1001 (1005 f., 1010); Jacobi/Böhme, ZInsO 721 (724); Jungclaus/Keller, NZI 2015, 297 (301); differenzierend Huber, ZInsO 2015, 713 (720 f.). 1568 Jacobi/Böhme, ZInsO 721 (724); Jungclaus/Keller, NZI 2015, 297 (300). 1569 So auch Fischer, NZI 2008, 588 (591); Gehrlein, NZI 2014, 481 (482); Thole, ZIP 2013, 2081 (2088).

226

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

IX. Senat sollte Zeit gegeben werden, die angekündigte Konturierung seiner Rechtsprechung zu entwickeln1570. dd) § 133 Abs. 2 InsO: nahestehende Personen Gegenüber nahestehenden Personen i.S.d. § 138 InsO vereinfacht § 133 Abs. 2 InsO die Anfechtung, indem die widerlegliche Vermutung1571 aufgestellt wird, der Anfechtungsgegner habe den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners gekannt. § 133 Abs. 2 S. 1 InsO stellt allerdings keine allgemeine Beweislastumkehr für Abs. 1 auf, sondern erfasst nur die Eingehung entgeltlicher Verträge mit nahestehenden Personen1572, wie sich schon aus dem Wortlaut der Norm ergibt. Abs. 2 verdrängt die Anfechtung nach Abs. 1 nicht, sondern soll sie nur erleichtern1573. Für Anfechtungskonstellationen außerhalb der zeitlichen Reichweite des Abs. 2 kann der Stellung als nahestehende Person im Rahmen des § 133 Abs. 1 InsO indizielle Bedeutung für die Frage der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz zukommen1574. Der vereinfachten Anfechtbarkeit liegt die Annahme zu Grunde, dass die persönliche Nähe zum Schuldner eine erhöhte Gefahr für eine Bevorzugung zu Lasten der übrigen Gläubiger begründet1575. Maßgeblich ist der mit der Sonderstellung verbundene Wissensvorsprung1576. Wie oben dargelegt wurde, muss bei Arbeitnehmern im Einzelfall geprüft werden, ob ihre Position eine derartige Informationsmöglichkeit bietet, ohne dass es auf die hierarchische Stellung per se ankommt1577. § 133 Abs. 2 InsO setzt anders als Abs. 1 eine unmittelbare Benachteiligung der Gläubiger voraus1578. Sie fehlt bei Erhalt einer gleichwertigen Gegenleistung1579, die bei Lohnzahlungen in Gestalt der zuvor erbrachten Arbeitsleistung regelmäßig vorliegt. Zudem ist § 133 Abs. 2 InsO nur auf entgeltliche Verträge anzuwenden. Dieser Begriff ist weit auszulegen1580. Nach der Rechtsprechung zur Vorgängernorm 1570 Ähnlich Bork, ZIP 2014, 797 (809), der davon ausgeht, die Korrekturen könnten von der Rechtsprechung besser geleistet werden als vom Gesetzgeber; vgl. auch Ganter, WM 2014, 49 (49); Thole, ZIP 2013, 2081 (2088). 1571 Siehe Fn. 1377. 1572 BGH, Urt. v. 15. 11. 2012 – IX ZR 205/11, ZInsO 2012, 2335 (2336). 1573 MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 39. 1574 BGH, Urt. v. 15. 11. 2012 – IX ZR 205/11, ZInsO 2012, 2335 (2336). 1575 MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 1. 1576 Kayser, WM 2013, 293 (300); Nerlich/Römermann/Nerlich, § 133 Rn. 54. 1577 Siehe oben B.II.4.b)bb). 1578 Zu den Anforderungen siehe oben B.II.4.a)cc). 1579 BGH, Urt. v. 15. 12. 1994 – IX ZR 153/93, BGHZ 128, 184 (187); MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 44; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 133 Rn. 60. 1580 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1607); BGH, Urt. v. 1. 7. 2010 – IX ZR 58/09, ZInsO 2010, 1489 (1490); MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 40.

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

227

§ 31 Nr. 2 KO waren auch reine Erfüllungsgeschäfte erfasst1581. Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber der Insolvenzordnung den Anwendungsbereich demgegenüber einschränken wollte1582. In der Gesetzesbegründung wird ausdrücklich Bezug auf die Vorgängernorm genommen, ohne dass zum Vertragsbegriff weitere Ausführungen erfolgen1583. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2012 führte der IX. Senat hingegen aus, die reine Erfüllung einer bestehenden Verbindlichkeit erfülle den Tatbestand des § 133 Abs. 2 S. 1 InsO nicht1584. Im Urteil vom 10. Juli 2014 gab der BGH hingegen an, dass auch reine Erfüllungsgeschäfte zu den entgeltlichen Verträgen gerechnet würden, wobei das Entgelt in der Befreiung von der Schuld liege1585. Einzig erkennbarer Unterschied zwischen den jeweiligen Ausführungen des BGH ist, dass im erstgenannten Urteil von „Erfüllung“, im zweitgenannten von einem „Erfüllungsgeschäft“ die Rede ist. Den Tatbeständen lässt sich insoweit aber kein tatsächlicher Unterschied entnehmen. Ob sich die Urteile tatsächlich widersprechen, lässt sich daher nicht abschließend klären. Maßgeblich für den Vertragsbegriff i.S.d. § 133 Abs. 2 S. 1 InsO ist, ob die fragliche Rechtshandlung auf einer Willensübereinstimmung zwischen Schuldner und Gläubiger beruht1586. Für die Lohnanfechtung folgt daraus Folgendes: Übergibt und übereignet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Bargeld, liegt ein entgeltlicher Vertrag in Gestalt des dinglichen Geschäfts vor. Anders ist das bei einer Banküberweisung: Der Überweisungsauftrag, den der Arbeitgeber seiner Bank erteilt, beruht zwar auf einem Zahlungsdiensterahmenvertrag (§ 675 f Abs. 2 BGB) der Parteien. Der Überweisungsauftrag selbst ist aber eine einseitige rechtsgeschäftliche Gestaltungserklärung des anweisenden Kontoinhabers1587. § 133 Abs. 2 S. 1 InsO greift in diesem Fall nicht. Es mag auf den ersten Blick willkürlich wirken, dass Barzahlung und Überweisung abweichend zu beurteilen sind. Der Unterschied ist jedoch durch das Kriterium der Willensübereinstimmung gerechtfertigt. Das Bargeld muss der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber entgegennehmen. Er hat hingegen keinerlei Einfluss darauf, ob und wann der Arbeitgeber eine Überweisung an ihn tätigt. Unter dem Strich spielt § 133 Abs. 2 InsO für Lohnanfechtung nach dem Vorstehenden kaum eine Rolle, was sich zunächst aus den Voraussetzungen der unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung und eines entgeltlichen Vertrages ergibt. Daneben unterfallen Arbeitnehmer überwiegend nicht dem Begriff der nahestehenden Person. Den besonderen Informationszugang des Arbeitnehmers kann der 1581

BGH, Urt. v. 15. 2. 1990 – IX ZR 149/88, WM 1990, 649 (651); RG, Urt. v. 15. 5. 1891 – III 44/91, RGZ 27, 130 (132 f.); MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 40. 1582 BGH, Urt. v. 1. 7. 2010 – IX ZR 58/09, ZInsO 2010, 1489 (1490); MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 40. 1583 RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 160. 1584 BGH, Urt. v. 15. 11. 2012 – IX ZR 205/11, ZInsO 2012, 2335 (2336). 1585 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1607). 1586 Jaeger/Henckel, § 133 Rn. 59; MüKo-InsO/Kayser, § 133 Rn. 40a. 1587 MüKo-HGB/Häuser, Recht des Zahlungsverkehrs, Überweisungsverkehr Rn. B44; Schimansky/Bunte/Lwowski/Mayen, § 49 Rn. 3.

228

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Insolvenzverwalter nur schwer beweisen. Verfügt er über die entsprechenden Nachweise, wird aufgrund der von der Rechtsprechung angewandten Vermutungsregeln oftmals schon der Tatbestand des Abs. 1 erfüllt sein, so dass es auf die besondere Wirkung des Abs. 2 nicht mehr entscheidend ankommt. Dieser Befund wird dadurch belegt, dass in den bislang zur Lohnanfechtung veröffentlichen Urteilen § 133 Abs. 2 InsO nur am Rande erwähnt wurde. ee) Zwischenergebnis § 133 Abs. 1 InsO hatte für Lohnanfechtungen neue Bedeutung gewonnen, nachdem das BAG mit seiner extensiven Auslegung des § 142 InsO die Chancen der Anfechtung nach § 130 InsO stark eingeschränkte. Nachdem das BAG auch die Anforderungen an den Beweis der subjektiven Voraussetzungen in seiner Entscheidung vom 29. Januar 2014 erhöht hat und der BGH sich dieser Linie im Wesentlichen angeschlossen hat, sind auch die Erfolgsaussichten von Lohnanfechtungen nach § 133 Abs. 1 InsO mager. Hervorzuheben ist im diesem Zusammenhang vor allem das Gegenindiz der bargeschäftsähnlichen Lage. Auch wenn sich das BAG im konkreten Fall aufgrund der zeitlichen Nähe des Leistungsaustauschs nicht näher mit den zeitlichen Voraussetzungen der „bargeschäftsähnlichen Lage“ im Arbeitsverhältnis beschäftigte, ist davon auszugehen, dass es auch in diesem Rahmen die großzügige Dreimonatsrechtsprechung1588 für anwendbar hält. Es ist nicht zu erwarten, dass das BAG sich insoweit der scharfen Kritik des BGH beugen wird, zumal dieser für Lohnanfechtungen in der Regel nicht zuständig ist. Für Insolvenzverwalter besteht die Möglichkeit erfolgreicher Lohnanfechtung damit nur noch in Ausnahmefällen: Entweder wenn die Zahlungen mehr als drei Monate verspätet waren oder wenn besondere Umstände des Einzelfalles derart deutlich auf den Benachteiligungsvorsatz und die Kenntnis des Arbeitnehmers davon schließen lassen, dass auch das Gegenindiz der bargeschäftsähnlichen Lage nicht mehr entkräftend wirkt. g) Unentgeltliche Leistungen, § 134 InsO Eine Anfechtung nach § 134 InsO wegen unentgeltlicher Leistung wird nur in Sonderfällen zur Rückgewähr von Lohnzahlungen führen und soll daher hier nur knapp angesprochen sein. Maßgebliche Voraussetzung ist die objektive Voraussetzung der unentgeltlichen Leistung, während § 134 InsO keinen subjektiven Tatbestand enthält1589.

1588

Siehe oben B.II.4.c)cc)(2)(c). MüKo-InsO/Kayser, § 134 Rn. 1; allerdings spielt die Willensrichtung der Parteien eine Rolle für die Frage, ob eine Gegenleistung erbracht werden sollte, ebenda Rn. 40. 1589

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

229

Die Unentgeltlichkeit ist bei Erfüllungsgeschäften nach dem Kausalverhältnis zu bestimmen; die Leistung an sich ist neutral1590. In Fällen der Lohnanfechtung leistet der Arbeitgeber die Zahlung aufgrund der synallagmatisch gegenüberstehenden Arbeitsleistung, die der Arbeitnehmer in aller Regel sogar bereits erbracht hat. Es fehlt damit schon die Unentgeltlichkeit. Selbst Gratifikationen und Weihnachtsgelder, die der Arbeitgeber den Arbeitnehmern freiwillig gewährt, sind nicht als unentgeltlich zu klassifizieren; es handelt sich um zusätzliche Vergütung für die geleisteten Dienste1591. Die Entgeltlichkeit fehlt hingegen, wenn die Zahlung als Belohnung aus Dankbarkeit erfolgt1592. So ließ das LAG Hamm die Anfechtung nach § 37 KO und § 10 Abs.1 Nr. 3 GesO von Überstundenvergütungen zu, da die Überstunden laut Vertrag bereits mit dem Grundentgelt abgegolten waren1593. In diesem Fall hatte sich zwischen dem angestellten Chauffeur und dem Geschäftsführer ein „Vertrauensverhältnis“ gebildet. Kurz vor Zusammenbruch übergab der Geschäftsführer dem Chauffeur einen Barscheck über 25.000 DM, der angeblich zur Überstundenabgeltung dienen sollte. Da der Chauffeur eine entsprechende Abmachung nicht beweisen konnte, lag nach Ansicht des LAG Hamm eine unentgeltliche Leistung vor, die zurück zu gewähren war. Schon der ausgefallene Sachverhalt zeigt, dass es sich um einen Sonderfall handelt, dessen Bewertung auf die typischen Konstellationen der Lohnanfechtung nicht übertragbar ist1594. 5. Rechtsfolgen der erfolgreichen Lohnanfechtung Nach der Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen ist im Folgenden zu untersuchen, welche Rechtsfolgen bei einer erfolgreichen Lohnanfechtung eintreten. Um Wiederholungen zur obigen Darstellung der Wirkung der Anfechtung1595 zu vermeiden, werden die Rechtsfolgen der §§ 143 bis 146 InsO in Fällen der Lohnanfechtung nur knapp zusammengefasst. Gründlicher soll hingegen an dieser Stelle auf die arbeits- und sozialrechtlichen Besonderheiten eingegangen werden.

1590 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 205; FK-InsO/Dauernheim, § 134 Rn. 9; MüKoInsO/Kayser, § 134 Rn. 19; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 134 Rn. 8. 1591 BGH, Urt. v. 12. 12. 1996 – IX ZR 76/96, WM 1997, 277; BAG, Urt. v. 29. 6. 1954 – 2 AZR 13/53, BAGE 1, 36 (39); v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 208; Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 134 Rn. 154. 1592 Uhlenbruck/Ede/Hirte, § 134 Rn. 154; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 134 Rn. 35. 1593 LAG Hamm, Urt. v. 26. 11. 1997 – 14 Sa 1240/97, ZIP 1998, 920. 1594 So auch Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (168). 1595 Siehe oben B.I.5.

230

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

a) Pflicht zu Rückgewähr oder Wertersatz § 143 Abs. 1 S. 1 InsO ordnet die Rückgewähr des Vermögensabflusses zur Masse an, die grundsätzlich in Natur zu erfolgen hat1596. Dieser Primäranspruch kommt bei der Lohnanfechtung nur zum Tragen, wenn der Arbeitnehmer die fragliche Zahlung in bar erhalten hat und sie noch unterscheidbar in seinem Vermögen vorhanden ist. In diesem schwer vorstellbaren Fall richtet sich der Anspruch auf die Herausgabe der konkreten Geldscheine1597. Ist die Rückgewähr in Natur nicht möglich, besteht als sekundäre Rechtsfolge ein Wertersatzanspruch, den § 143 Abs. 1 S. 2 InsO regelt. Danach gelten die Vorschriften über die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Bereicherung, bei der dem Empfänger der Mangel des rechtlichen Grundes bekannt ist, entsprechend. Das bedeutet insbesondere, dass der Rückgewährschuldner der verschärften Haftung des § 819 Abs. 1 BGB unterliegt und sich außer in Fällen des § 134 InsO nicht auf Entreicherung berufen kann (vgl. § 143 Abs. 2 InsO)1598. Ein Sekundäranspruch wegen Unmöglichkeit der Rückgewähr entsteht insbesondere, wenn die fragliche Transaktion im Wege einer Banküberweisung erfolgt ist. Das folgt daraus, dass bei der Überweisung die übertragene Forderung im Moment der Gutschrift auf dem Empfängerkonto erlischt1599. Der Wertersatzanspruch scheitert auch nicht an § 143 Abs. 1 S. 2 InsO i.V.m. §§ 987 Abs. 2, 989 BGB wegen fehlenden Verschuldens des Anfechtungsgegners. Die Unmöglichkeit der Rückgewähr beruht auf der Annahme durch den Gläubiger, die dieser stets zu vertreten hat1600. Bei Überweisungen handelt es sich um Fälle sog. mittelbarer Zuwendungen. Aus pragmatischen Erwägungen wird in diesen Fällen nach der Rechtsprechung der Anfechtungsgegner so behandelt, als habe der Schuldner direkt an ihn geleistet, sofern für ihn erkennbar war, dass die Zuwendung auf dem Willen des Schuldners beruhte; die beteiligten Banken sind hingegen als bloße Leistungsmittler der Anfechtung nicht ausgesetzt1601. An den vorstehenden Grundsätzen ändert sich grundsätzlich nichts, wenn der Rückgewährschuldner ein Arbeitnehmer des Insolvenzschuldners ist oder war1602. Insbesondere kann sich der Arbeitnehmer wegen § 143 Abs. 1 S. 2 InsO i.V.m. § 819 1596 MüKo-InsO/Kirchhof, § 143 Rn. 1; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 143 Rn. 8; Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung, S. 59. 1597 Vgl. MüKo-InsO/Kirchhof, § 143 Rn. 29. 1598 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (373); BAG, Urt. v. 19. 5. 2011 – 6 AZR 736/09, ZInsO 2011, 1560 (1563); LAG Thüringen, Urt. v. 24. 7. 2008 – 3 Sa 411/ 07, juris; Peters-Lange, info also 2008, 255 (259); Stiller, NZI 2005, 77 (78). 1599 Jaeger/Henckel, InsO, § 143 Rn. 67, 114; KPB/Jacoby, § 143 Rn. 40; HmbKomm/ Rogge/Leptien, § 143 Rn. 64. 1600 MüKo-InsO/Kirchhof, § 143 Rn. 79. 1601 BGH, Urt. v. 6. 10. 2009 – IX ZR 191/05, BGHZ 182, 317 (323); Eichberger, Konkursanfechtung, S. 32; v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 283; Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 Rn. 263 ff. und § 143 Rn. 77; Jacoby/Mikolajczak, ZIP 2010, 301 (305). 1602 BAG, Urt. v. 19. 5. 2011 – 6 AZR 736/09, ZInsO 2011, 1560 (1563); Peters-Lange, info also 2008, 255 (259).

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

231

Abs. 1 BGB nicht auf Entreicherung berufen1603, auch wenn er das Geld für seinen allgemeinen Lebensunterhalt ausgegeben hat. Zu seiner Entstehung muss der Rückgewähranspruch nicht erst geltend gemacht werden. Vielmehr entsteht er „automatisch“ mit der Eröffnung des Verfahrens1604. aa) Umfang der Rückgewähr: Netto vs. Brutto § 143 Abs. 1 S. 1 InsO stellt für den Umfang des Anfechtungsanspruchs auf den Abfluss aus dem Schuldnervermögen ab. Bei der Lohnanfechtung ist also unproblematisch das Nettoentgelt, wie es dem Arbeitnehmer überwiesen oder ausgehändigt wurde, herauszugeben oder wertmäßig zu ersetzen1605. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob auch vom Arbeitgeber abgeführte Lohnsteuer und der Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag vom Anfechtungsanspruch umfasst sind. Die Rechtsfolgen der Anfechtung richten sich nicht nach allgemeinem Bereicherungsrecht, sondern aufgrund der Rechtsfolgenverweisung in § 143 Abs. 1 S. 2 InsO nach den Regeln für den bösgläubigen Besitzer; daher sind die Grundsätze für den Umfang der Rückerstattung überzahlten Lohns bei der Anfechtung nicht anwendbar1606. Daran ändert auch § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV nichts, wonach die Zahlung des vom Beschäftigten zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht gilt1607. Mit dieser Fiktion wollte der Gesetzeber den Arbeitnehmeranteil an den Sozialabgaben der Anfechtung entziehen1608. Der BGH hat der Konstruktion jedoch eine deutliche Absage erteilt1609. Die Konsequenzen dieser Rechtsprechung für Anfechtungen gegenüber Sozialversicherungsträgern und deren Einzugsstellen sollen hier nicht weiter behandelt werden. In seinem Grundsatzurteil zu § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV1610 legte der BGH aber, quasi als Nebenprodukt seiner Argumentation, 1603

BAG, Urt. v. 19. 5. 2011 – 6 AZR 736/09, ZInsO 2011, 1560. Siehe oben B.I.5.c). 1605 BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, ZInsO 2014, 1108 (1112); BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (372); Cranshaw, jurisPR-InsR 23/2008 Anm. 4; MüKoInsO/Kirchhof, § 143 Rn. 50; Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (152); Laws, ZInsO 2009, 1465 (1473). 1606 Cranshaw, ZInsO 2009, 257 (258); Laws, ZInsO 2009, 1465 (1473); zu diesen Fällen ausführlich Lüderitz, BB 2010, 2629 ff. 1607 BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, ZInsO 2014, 1108 (1112); Kolbe, in: Bieder/ Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (152). 1608 MüKo-InsO/Kayser, § 129 Rn. 78d; diese Intention hat der Gesetzgeber in den Materialien offensichtlich bewusst nicht artikuliert, vgl. dazu BGH, Urt. v. 5. 11. 2009 – IX ZR 233/ 08, NZI 2009, 886 (888). 1609 BGH, Urt. v. 5. 11. 2009 – IX ZR 233/08, NZI 2009, 886; bestätigt durch BGH, Urt. v. 30. 9. 2010 – IX ZR 237/09, ZIP 2010, 2209; BGH, Urt. v. 7. 4. 2011 – IX ZR 118/10, ZIP 2011, 966. 1610 BGH, Urt. v. 5. 11. 2009 – IX ZR 233/08, NZI 2009, 886. 1604

232

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

die wesentlichen Aspekte für die Lohnanfechtung dar: Die Fiktion dürfe jedenfalls nicht dazu führen, dass der Arbeitnehmer verpflichtet werde, „den mit Erfüllung des Bruttolohnanspruchs fiktiv in sein Vermögen übernommenen Arbeitnehmeranteil des Gesamtsozialversicherungsbeitrages dem Insolvenzverwalter des Arbeitgebers nach § 143 InsO zurück zu gewähren.“1611 Diese Folge liefe dem arbeitnehmerschützenden Zweck des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV zuwider1612. Soweit der Arbeitgeber Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge abgeführt hat, muss der Insolvenzverwalter die Anfechtung folglich gegen das Finanzamt oder die Sozialversicherung richten1613. Vom Arbeitnehmer kann hingegen nur der Nettolohn, so wie er ihm ausbezahlt wurde, verlangt werden1614. Diese Rechtsfolge steht im Einklang mit den sozialrechtlichen Regeln: Nach § 167 Abs. 1 SGB III besteht der Anspruch auf Insolvenzgeld in Höhe des Nettoarbeitsentgelts, das sich ergibt, wenn das auf die monatliche Beitragsbemessungsgrenze begrenzte Bruttoarbeitsentgelt um die gesetzlichen Abzüge vermindert wird1615. bb) Vollstreckungsschutz Erwirkt der Insolvenzverwalter nach einer erfolgreichen Lohnanfechtung einen Titel und leitet die Vollstreckung ein, greifen zum Schutz des Arbeitnehmers die allgemeinen Regeln der ZPO zum Pfändungsschutz. Dabei gelten insbesondere die Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen nach § 850c ZPO, sofern der Anspruch nicht aus Rücklagen oder durch Pfändung anderer Vermögensgegenstände befriedigt werden kann1616. Maßgeblich ist der „neu“ erwirtschaftete Arbeitslohn, auf den für die Befriedigung des Anfechtungsanspruchs zugegriffen wird. Nach § 54 Abs. 4 SGB I können auch sozialrechtliche Ansprüche auf laufende Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden. § 850c ZPO gilt damit ebenso, wenn der betroffene Arbeitnehmer Arbeitslosengeld oder Rente empfängt1617. Die Pfändungsgrenzen gelten allerdings nur im Vollstreckungsverfahren. Der Anfechtungsanspruch besteht zunächst in der vollen Höhe der anfechtbar getätigten Zahlungen. Das kann dazu führen, dass dem Arbeitnehmer durch die Anfechtung

1611

BGH, Urt. v. 5. 11. 2009 – IX ZR 233/08, NZI 2009, 886 (887). BGH, Urt. v. 5. 11. 2009 – IX ZR 233/08, NZI 2009, 886 (887); BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, ZInsO 2014, 1108 (1112); so zuvor schon Cranshaw, ZInsO 2009, 257 (259). 1613 BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, ZInsO 2014, 1108 (1112); Cranshaw, jurisPRInsR 23/2008 Anm. 4. 1614 Siehe Fn. 1605. 1615 Cranshaw, ZInsO 2009, 257 (258); Laws, ZInsO 2009, 1465 (1474). 1616 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (374); Hamann/Böing, jurisPRArbR 7/2014 Anm. 1; Peters-Lange, info also 2008, 255 (260). 1617 Peters-Lange, info also 2008, 255 (260). 1612

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

233

Lohnbestandteile entzogen werden, die als laufendes Einkommen nach § 850c ZPO in der Einzelzwangsvollstreckung dem Zugriff der Gläubiger entzogen wären1618. Niesert hat in Anlehnung an ein später zu erörterndes obiter dictum des BAG1619 gefordert, die §§ 850 ff. ZPO auf Rechtsfolgenseite bei Lohnanfechtungen entsprechend anzuwenden1620. Es handele sich um die Vollstreckung in den Arbeitslohn, „der nur zufällig bereits ausgezahlt wurde und sich insoweit im günstigsten Fall in Bankguthaben oder sonstige Vermögensgegenstände umgewandelt“1621 habe. Dass auf eine Lohnzahlung und nicht das „normale“ Vermögen des Arbeitnehmers zugegriffen werde, ergebe sich aus der Idee des Anfechtungsrechts, gerade die anfechtbare Vermögensverschiebung rückgängig zu machen1622. Das überzeugt nicht. Der ZPO liegt systematisch eine Trennung von Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren zu Grunde; diese sind voneinander unabhängig1623. Dementsprechend richten sich die Schutznormen der §§ 850 ff. ZPO an das Vollstreckungsgericht1624, nicht das Prozessgericht. Auch in Fällen der Lohnanfechtung ist diese Trennung sinnvoll, wie folgendes Beispiel zeigt: Gewinnt der betroffene Arbeitnehmer im Lotto, nachdem er in einem Lohnanfechtungsprozess unterlegen ist, besteht kein Grund, den Anspruch des Verwalters zu kürzen. Der Zweck des Pfändungsschutzes für Arbeitseinkommen ist, dem schuldnerischen Arbeitnehmer ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen1625. Dieser Zweck rechtfertigt nicht, im Beispielsfall die Vollstreckungsmöglichkeiten des Verwalters von vornherein auf die Pfändungsfreigrenzen zu beschneiden. Der Verwalter kann schließlich in das freie Vermögen des Anfechtungsgegners vollstrecken, ohne dessen Existenzminimums zu gefährden. cc) Zinsen Der aus der Anfechtung resultierende Anspruch unterliegt der Verzinsung. Nach der Rechtsprechung von BGH und BAG ist der Zahlungsanspruch ab dem Tag nach der Insolvenzeröffnung zu verzinsen1626. Das folgt aus § 143 Abs. 1 S. 2 InsO i.V.m. § 819 Abs. 1 BGB, der auf die Regeln für Prozesszinsen (§§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 1618 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (374); zur Frage, ob dies Anlass zu einer verfassungskonformen Auslegung der Anfechtungsnormen gibt, siehe unten C.II.2.b) dd)(3); vgl. zudem Niesert, NZI 2014, 252 (254). 1619 Siehe unten C.IV.2.a). 1620 Niesert, NZI 2014, 252 (254); dagegen Klinck, AP InsO § 133 Nr. 2 (sub. II.). 1621 Niesert, NZI 2014, 252 (254). 1622 Niesert, NZI 2014, 252 (254). 1623 MüKo-ZPO/Rauscher, Einleitung Rn. 21. 1624 MüKo-ZPO/Smid, § 850 Rn. 16. 1625 Nikisch, Arbeitsrecht, S. 31; MüKo-ZPO/Smid, § 850 Rn. 1. 1626 BAG, Urt. v. 8. 5. 2014 – 6 AZR 722/12, ZInsO 2014, 1758 (1761); BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, ZInsO 2014, 1108 (1112); BGH, Urt. v. 1. 2. 2007 – IX ZR 96/04, BGHZ 171, 38 (43); MüKo-InsO/Kirchhof, § 143 Rn. 88.

234

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

BGB) verweist. Die Höhe der geschuldeten Zinsen beträgt dabei gem. § 288 Abs. 1 S. 2 BGB fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Die erhöhte Verzinsung mit neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 288 Abs. 2 BGB scheidet in Fällen der Lohnanfechtung aus. Nach zutreffender Rechtsprechung des BAG ist das Arbeitsverhältnis kein Vertrag im Sinne des § 288 Abs. 2 BGB1627. Hält man den Anfechtungsanspruch nicht für einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis1628, kommt man zum selben Ergebnis, da dann konsequenterweise nicht von einer Entgeltforderung i.S.d. § 288 Abs. 2 BGB ausgegangen werden kann. Im Zuge der jüngeren Reformdiskussionen hat der Gravenbrucher Kreis vorgeschlagen, die Verzinsung von Anfechtungsansprüchen neu zu regeln. Eine grundsätzliche Verzinsung ab Verfahrenseröffnung soll danach nur für §§ 134 und 135 InsO gelten, während bei den anderen Anfechtungstatbeständen nur bei einem unredlichen Anfechtungsgegner oder einer nahestehenden Person Zinsen anfallen sollen1629. In allen anderen Fällen soll danach die Verzinsung erst ab dem Eintritt des Verzugs erfolgen1630. Der Referentenentwurf vom 16. März 2015 sieht in § 143 Abs. 1 S. 3 RefE InsO 2015 ebenfalls vor, dass die Verzinsung an die allgemeinen Verzugsregelungen anknüpft1631. Die Umsetzung ist ungewiss. Das Ansinnen ist überzeugend, da es der fragwürdigen Praxis mancher Insolvenzverwalter entgegenwirkt, Anfechtungsansprüche, von denen der Anfechtungsgegner im Zweifel keinerlei Kenntnis hat, so spät wie möglich einzufordern, um die verhältnismäßig hohe Verzinsung zu Gunsten der Masse zu nutzen. dd) Wiederaufleben der Forderung Weitere Folge der erfolgreichen Anfechtung ist, dass nach § 144 Abs. 1 InsO die ursprüngliche Forderung wiederauflebt, wenn der Anfechtungsgegner das Erlangte zurückgewährt. Nach Abs. 2 ist eine Gegenleistung aus der Insolvenzmasse zu erstatten, soweit sie dort noch unterscheidbar vorhanden ist oder soweit die Masse um ihren Wert bereichert ist. Die beiden Absätze schließen sich gegenseitig aus1632. Während Abs. 1 die Anfechtung von Erfüllungsgeschäften des Schuldners betrifft, regelt Abs. 2 die Folgen für die Gegenleistung des Anfechtungsgegners bei der Anfechtung des Kausalgeschäfts1633. Bei der Lohnanfechtung wird in aller Regel nur das Erfüllungsgeschäft angefochten. Demzufolge lebt die Lohnforderung des Arbeitnehmers nach § 144 Abs. 1 1627 1628 1629 1630 1631 1632 1633

BAG, Urt. v. 23. 2. 2005 – 10 AZR 602/03, BAGE 114, 13 (20 f.). Zu dieser Frage im Rahmen der Rechtswegfrage unten E. Gravenbrucher Kreis, ZInsO 2014, 1704 (1705). Gravenbrucher Kreis, ZInsO 2014, 1704 (1705). Abrufbar unter www.bmjv.de. Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 144 Rn. 9; MüKo-InsO/Kirchhof, § 144 Rn. 3. MüKo-InsO/Kirchhof, § 144 Rn. 3.

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

235

InsO wieder auf. Es handelt sich dann allerdings um eine gewöhnliche Insolvenzforderung, die zur Tabelle angemeldet werden kann und nur quotal befriedigt wird1634. Bei durchschnittlichen Quoten von unter 10 %1635 ist dem Arbeitnehmer hierdurch freilich nicht geholfen. b) Anfechtung des Verpflichtungsgeschäfts Als anfechtbare Rechtshandlung kommt auch der Abschluss von Arbeitsverträgen, Abfindungsverträgen, Änderungsverträgen oder anderen ergänzenden Vereinbarungen in Betracht1636. Die Anfechtung solcher Verpflichtungsgeschäfte im Arbeitsverhältnis ist nur in Ausnahmekonstellationen denkbar und hat in den veröffentlichten Urteilen bislang keine wesentliche Rolle gespielt1637. Daher sollen die Rechtsfolgen nur in gebotener Kürze behandelt werden. Selbstverständlich gilt auch im Rahmen des Anfechtungsrechts das Trennungsund Abstraktionsprinzip; Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft sind gesondert zu betrachten1638. Bei erfolgreicher Anfechtung des Arbeitsvertrags entfällt dieser als Rechtsgrund1639. Das gilt auch nach der schuldrechtlichen Theorie, die allerdings nicht von einer automatischen Unwirksamkeit ausgeht, sondern die Pflicht des Anfechtungsgegners zur Aufhebung des Schuldverhältnisses zwischenschaltet1640. Wird ein Änderungsvertrag zu einem Arbeitsvertrag angefochten, bleibt der ursprüngliche Vertrag grundsätzlich bestehen1641. Mit Wegfall des Kausalgeschäfts entfallen offene Ansprüche des Arbeitnehmers aus dem Vertrag und leben auch nicht gem. § 144 Abs. 1 InsO wieder auf. Bereits geleistete Zahlungen können nach §§ 812 ff. BGB kondiziert werden1642. Hat der Arbeitnehmer vorgeleistet, kann ihm ein Massebereicherungsanspruch aus § 144 Abs. 2 S. 1 InsO zustehen1643. Aufgrund des fehlenden Rechtsgrunds werden allerdings regelmäßig auch die geleisteten Zahlungen selbst anfechtbar, insbesondere weil die Deckung inkongruent 1634

Cranshaw, ZInsO 2009, 257 (263). Siehe oben B.I.2.h)bb)(4). 1636 Siehe oben B.II.4.a)aa)(1). 1637 Vgl. Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (152). 1638 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (374); Gottwald/Bertram, § 105 Rn. 33; Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 Rn. 103. 1639 Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 Rn. 103, 416; MüKo-InsO/Kirchhof, § 143 Rn. 54a; Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (153). 1640 Siehe oben B.I.5.b)aa); vgl. auch MüKo-InsO/Kirchhof, § 143 Rn. 16a. 1641 BAG, Urt. v. 19. 1. 2006 – 6 AZR 529/04, BAGE 117, 1 (10); MüKo-InsO/Kirchhof, § 143 Rn. 16a. 1642 Gottwald/Bertram, § 105 Rn. 33; Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 R. 103. 1643 Eckardt, ZInsO 2004, 888 (895). 1635

236

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

wird1644. In diesem Fall muss der Insolvenzverwalter Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft gesondert anfechten1645. Die Rückgewähr erfolgter Zahlungen richtet sich bei Erfolg nach den allgemeinen Regeln1646. c) Folgen für den Insolvenzgeldanspruch Richtiger Anfechtungsgegner und damit auch Anspruchsgegner ist grundsätzlich der Empfänger des anfechtbar erlangten Rechts1647, d. h. bei der Lohnanfechtung der Arbeitnehmer. Lebt nach erfolgreicher Anfechtung der Lohnanspruch des Arbeitnehmers gem. § 144 Abs. 1 InsO wieder auf, kann der Arbeitnehmer für den daraus folgenden Ausfall bei der Agentur für Arbeit Insolvenzgeld beantragen, soweit der wiederbelebte Anspruch aus den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzereignis stammt1648. Der Anspruchsausschluss des § 166 Abs. 1 Nr. 2 InsO bezieht sich nur auf anfechtbar erworbene Ansprüche und berührt den Insolvenzgeldanspruch wegen anfechtbar erlangter Zahlungen daher nicht1649. Für den Insolvenzverwalter besteht die Möglichkeit, die Anfechtung gegenüber den Arbeitnehmern zu „erklären“1650 und sich von diesen den dadurch entstehenden Insolvenzgeldanspruch gegen die Agentur für Arbeit abtreten zu lassen1651. Auf diese Weise kann der Insolvenzverwalter die Ansprüche vollständig und frei von Vollstreckungsrisiken realisieren, ohne dass den Arbeitnehmern unter dem Strich ein Schaden entsteht1652. Voraussetzung ist allerdings, dass der Arbeitnehmer rechtzeitig einen Antrag auf Insolvenzgeld stellt, damit ein abtretbarer Anspruch überhaupt zur Entstehung kommt1653. Die Anfechtung ändert allerdings nichts an der Begrenzung des Insolvenzgelds auf einen Zeitraum von drei Monaten: Ein Anspruch besteht daher nicht, wenn der dreimonatige Insolvenzgeldzeitraum im Rahmen des Eröffnungsverfahrens ausge-

1644

Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 R. 103; MüKo-InsO/Kirchhof, § 143 Rn. 54. Eckardt, ZInsO 2004, 888 (895); Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 129 R. 103. 1646 Siehe oben B.II.5.a). 1647 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (372); MüKo-InsO/Kirchhof, § 143 Rn. 5; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 143 Rn. 52. 1648 BAG, Urt. v. 8. 5. 2014 – 6 AZR 722/12, ZInsO 2014, 1758 (1760); BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (374); Cranshaw, ZInsO 2009, 257 (263); Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung, S. 145 (165); Laws, ZInsO 2009, 1465 (1474); Gagel/Peters-Lange, § 166 SGB III Rn. 14. 1649 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (374); Gottwald/Bertram, § 105 Rn. 33; Cranshaw, ZInsO 2009, 257 (263); Laws, ZInsO 2009, 1465 (1474); Gagel/PetersLange, § 166 SGB III Rn. 14. 1650 Die Erklärung ist für die Entstehung des Anspruchs unerheblich, siehe oben B.I.5.c). 1651 Stiller, ZInsO 2013, 2047 ff.; eine Abtretung des Anspruchs ist grundsätzlich möglich, siehe Beck/Depré/Braun/Wierzioch, § 29 Rn. 99. 1652 Stiller, ZInsO 2013, 2047 (2049). 1653 Stiller, ZInsO 2013, 2047 (2050 f.). 1645

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

237

schöpft wurde1654 oder die Anfechtung Lohnansprüche außerhalb des Insolvenzgeldzeitraums betrifft. Es handelt sich um eine Schutzlücke, die der Gesetzgeber offenbar nicht vorhergesehen hat1655. Die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf der Insolvenzordnung geht davon aus, soziale Härten entstünden für die Arbeitnehmer durch die Abschaffung des Lohnprivilegs wegen des Insolvenzgelds nicht1656. Ein ersatzloser Ausfall des Arbeitnehmers nach einer Lohnanfechtung droht auch aufgrund von § 324 Abs. 3 S. 1 SGB III. Danach ist das Insolvenzgeld innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen. Das BAG kritisiert zu Recht, dass diese Frist die Position des Arbeitnehmers weiter verschlechtert; schon schlichte Unkenntnis der Ausschlussfrist kann dazu führen, dass der Arbeitnehmer leer ausgeht1657. Die Situation wird zwar durch § 324 Abs. 3 S. 2 SGB III etwas abgemildert. Danach wird Insolvenzgeld geleistet, wenn die Frist aus nicht selbst zu vertretenden Gründen versäumt wurde und der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes nachgeholt wird. In Fällen der Lohnanfechtung ist regelmäßig kein vom Arbeitnehmer zu vertretender Grund anzunehmen1658. Es ist aber nicht eindeutig festzustellen, wann bei der Lohnanfechtung der Hindernisgrund wegfällt. Er liegt meist in der Unkenntnis der Anfechtbarkeit der betroffenen Zahlung. Der Arbeitnehmer hat dann spätestens mit dem Erhalt des Forderungsschreibens des Insolvenzverwalters Kenntnis1659. Plant der Arbeitnehmer, sich gegen die Forderung zur Wehr zu setzen, wird er oftmals nicht daran denken, einen (vorsorglichen) Antrag auf Insolvenzgeld zu stellen. Unterliegt der Arbeitnehmer und muss an den Verwalter zahlen, steht der Ablauf der Ausschlussfrist einem Insolvenzgeldanspruch entgegen. Einen weiteren relevanten Aspekt regelt § 169 S. 3 SGB III: Hat der Arbeitnehmer einen erfolgsversprechenden Antrag auf Insolvenzgeld bei der Agentur für Arbeit gestellt1660, richtet sich die Anfechtung bezüglich solcher Lohnansprüche, die

1654 BAG, Urt. v. 8. 5. 2014 – 6 AZR 722/12, ZInsO 2014, 1758 (1760); BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (374); Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197 (215); Klinck, DB 2014, 2455 (2456); Kocher, ZVI 2009, 433 (433 f.). 1655 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (374); Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197 (215); Dahl, NJW-Spezial 2010, Heft 21, 661. 1656 RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 90; Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197 (215). 1657 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (375). 1658 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (375); Cranshaw, ZInsO 2009, 257 (264); Peters-Lange, info also 2008, 255 (262). 1659 Das BAG meint hingegen, auch eine die Anfechtung bejahende Entscheidung der Tatsacheninstanzen oder der Eintritt der Rechtskraft einer solchen Entscheidung kämen als Zeitpunkt in Betracht, BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (375); ebenso Stiller, ZInsO 2013, 2047 (2050). 1660 Siehe dazu oben B.II.2.f)dd).

238

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

in den Insolvenzgeldzeitraum fallen, gegen die Bundesagentur für Arbeit. Diese ist fortan richtige Anfechtungsgegnerin1661. d) Rückwirkender sozialrechtlicher Schutz? Erhält der Arbeitnehmer aus den vorgenannten Gründen nach erfolgreicher Anfechtung kein Insolvenzgeld, wird der ihm entstehende Schaden sozialrechtlich nicht abgefangen. Einen rückwirkenden Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe gewährt das Gesetz in diesen Fällen nicht1662. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld I (§ 136 Abs. 1 SGB III) besteht nicht, weil der Arbeitnehmer im maßgeblichen Zeitpunkt nicht beschäftigungslos i.S.d. § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III und mithin nicht arbeitslos war. Ein Anspruch auf die Grundsicherung in Form des Arbeitslosengeld II (§ 19 Abs. 1 S. 1 SGB II) scheitert an § 37 Abs. 2 S. 1 SGB II, wonach die Grundsicherung für Zeiten vor der Antragstellung nicht gezahlt wird. Das BAG hat darauf hingewiesen, dass der Arbeitnehmer auch nachträglich keine Sozialhilfe (§ 17 Abs. 1 SGB XII) beziehen könne, weil nach § 18 Abs. 1 SGB XII die Leistung erst einsetze, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen1663. Das BAG macht nicht klar, warum es auf das SGB XII zurückgreift, das aufgrund des Nachrangprinzips des § 2 Abs. 1 SGB XII hinter den Regelungen für Erwerbsfähige, d. h. insbesondere des SGB II und III, zurücktritt. Im Ergebnis trifft es allerdings zu, dass auch kein Anspruch auf Sozialhilfe besteht: Sofern der Arbeitnehmer die später angefochtene Lohnzahlung pünktlich empfängt, hat die Behörde im Zeitpunkt des Leistungsempfangs keine Kenntnis von den Leistungsvoraussetzungen1664. Auf die Frage, ob für vergangene Zeiträume überhaupt Notlagenhilfe gewährleistet werden kann, kommt es wegen der klaren Regel in § 18 Abs. 1 SGB XII nicht an1665. Eine in Anlehnung an § 18 Abs. 2 SGB XII denkbare rückwirkende Leistungsgewähr scheidet ebenfalls aus, weil auch sie an eine frühere Kenntniserlangung anknüpft1666. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob eine abweichende Beurteilung geboten ist, wenn die Behörde von längeren Lohnrückständen Kenntnis hatte und die auf diese Rückstände geleistete Lohnzahlung später angefochten wird. Die Behörde kann im Zeitraum, in dem die Rückstände auflaufen, den Arbeitnehmer nicht auf die Selbsthilfepflicht des § 27 Abs. 1 SGB XII verweisen, da eigenes 1661 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (372); Gottwald/Bertram, § 105 Rn. 33; Huber, EWiR 2014, 291 (292); MüKo-InsO/Kirchhof, § 143 Rn. 5a; Klinck, DB 2014, 2455 (2456); Laws, ZInsO 2009, 1465 (1474); Zwanziger, BB 2007, 42 (46). 1662 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (375). 1663 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (375). 1664 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (375). 1665 Zur Frage, ob rückwirkende Leistungen möglich sind, wenn diese bei der Entscheidung der Behörde vergangenheitsbezogen sind, siehe Grube/Wahrendorf/Grube, SGB XII Einleitung Rn. 146. 1666 Grube/Wahrendorf/Grube, SGB XII § 18 Rn. 29 f.

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

239

Einkommen und Vermögen den Anspruch nur ausschließen, wenn sie präsent sind und die Notlage dadurch tatsächlich beseitigt werden kann1667. Allerdings gilt dennoch der sozialrechtliche Grundsatz „keine Hilfe für die Vergangenheit“1668 ; dieser soll nur durchbrochen werden, wenn der Zeitablauf dadurch entsteht, dass die Behörde ab Kenntniserlangung noch Zeit benötigt, um das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen zu verifizieren1669. Bei der Lohnanfechtung resultiert der Zeitablauf hingegen aus der zwischenzeitlichen Zahlung und anschließenden Anfechtung, nicht aus dem zeitlichen Arbeitsaufwand der Behörde. Darüber hinaus wird angenommen, dass die Kenntnis des Sozialhilfeträgers wieder entfallen kann1670, was im Falle der Lohnnachzahlung durch den Arbeitgeber anzunehmen wäre. Durch die Rückgewähr in Folge der Anfechtung entsteht dann eine neue Notlage, von der die Behörde erst später Kenntnis erlangt. Auch in diesem Fall scheidet daher die rückwirkende Gewähr von staatlichen Hilfeleistungen aus. e) Geltung von Ausschlussfristen? Auf der Rechtsfolgenseite haben sich Rechtsprechung und Literatur mit der Frage befasst, ob die Rückzahlungsansprüche nach erfolgreichen Lohnanfechtungen Ausschluss- oder Verfallklauseln unterfallen. Zu unterscheiden sind gesetzliche, tarifvertragliche und arbeitsvertragliche Ausschlussfristen. Ausschlussfristen dienen dazu, in kurzer überschaubarer Zeit Klarheit über das Bestehen von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis zu schaffen, d. h. Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu schaffen1671. Die frühere gesetzliche Ausschlussfristen für Anfechtungsansprüche in § 41 Abs. 1 KO und § 10 Abs. 2 GesO hat der Gesetzgeber bei Einführung der InsO durch die Verjährung nach § 146 InsO ersetzt1672. Andere gesetzliche Ausschlussfristen gelten nicht. In vielen tariflichen Regelwerken ist allerdings vorgesehen, dass Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis binnen bestimmter, verhältnismäßig kurzer Fristen geltend gemacht werden müssen. Anderenfalls ist ihre Geltendmachung ausgeschlossen1673. Auch individualvertraglich können solche Klauseln grundsätzlich wirksam vereinbart werden, sogar in Formulararbeitsverträgen1674. 1667

Grube/Wahrendorf/Grube, SGB XII § 27 Rn. 4. Dazu Grube/Wahrendorf/Grube, SGB XII Einleitung Rn. 139 ff. 1669 Grube/Wahrendorf/Grube, SGB XII § 18 Rn. 29 f. 1670 BVerwG, Urt. v. 15. 6. 2000 – 5 C 35/99, DVBl 2000, 1694 ff.; Grube/Wahrendorf/ Grube, SGB XII § 18 Rn. 31. 1671 BAG, Urt. v. 18. 12. 1984 – 1 AZR 588/82, BAGE 47, 343 (349); Bandte, in: FS Beuthin, S. 401 (406); Stiller, ZInsO 2012, 869 (869). 1672 Siehe dazu MüKo-InsO/Kirchhof, § 146 Rn. 2 ff. 1673 So z. B. die Klausel in BAG, Urt. v. 24. 10. 2013 – 6 AZR 466/12, ZInsO 2014, 141. 1674 BAG, Urt. v. 28. 9. 2005 – 5 AZR 52/05, BAGE 116, 66 (71); BAG, Urt. v. 2. 3. 2004 – 1 AZR 271/03, BAGE 109, 369 (381 f.); BAG, Urt. v. 24. 3. 1988 – 2 AZR 630/87, NZA 1989, 101 ff. 1668

240

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Während die ganz überwiegende Ansicht in der Literatur eine Anwendbarkeit tariflicher Ausschlussfristen auf Anfechtungsansprüche ablehnte1675, nahmen in jüngerer Zeit einzelne Stimmen an, dass bei Lohnanfechtungen die Ausschlussfristen griffen1676. Auch einzelne instanzgerichtliche Urteile fielen in diese Richtung aus1677. Zur Begründung verweisen die Gerichte auf die Rechtsprechung des BAG und des GmS-OGB zur Rechtswegfrage, wonach der Anspruch bei der Lohnanfechtung aus dem Arbeitsverhältnis stamme1678. Nach Ansicht der 7. Kammer des LAG Nürnberg steht es den Tarifvertragsparteien frei, den zeitlichen Rahmen für die Geltendmachung des Anfechtungsanspruchs zu regeln. Das LAG Niedersachsen führt zudem aus, die Ausschlussfristen seien neben der Verjährungsnorm des § 146 InsO anwendbar1679. Es müsse den Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses Rechnung getragen werden, insbesondere dem Interesse des Arbeitnehmers, seine Ansprüche auf Insolvenzgeld rechtzeitig geltend zu machen1680. Die beiden vorgenannten Urteile hat das BAG in der Revisionsinstanz kassiert1681. Das BAG hatte bereits unter der Konkursordnung für die Konkursforderung eines Arbeitnehmers gegen den insolventen Schuldner entschieden, dass tarifvertragliche Ausschlussfristen durch die abschließenden Regeln des Konkursverfahrens zur Anmeldung und Geltendmachung von Forderungen verdrängt würden1682. Zur Insolvenzordnung hatte es zudem im Jahr 2003 entschieden, dass der Rückforderungsanspruch des § 143 Abs. 1 InsO wegen anfechtbar übertragener Rechte aus einer Versicherung tarifvertraglichen Ausschlussfristen nicht unterfalle1683. Das BAG hat diese Rechtsprechung ausdrücklich auch für Ansprüche aus der Lohnanfechtung bestätigt1684. Richtigerweise unterschied das BAG dabei zwei As1675

Siehe Froehner, NZI 2012, 833 (834) m.z.N.; Ries, ZInsO 2012, 1751 ff. Bandte, in: FS Beuthin, S. 401 (406 f.). 1677 LAG Nürnberg, Urt. v. 30. 4. 2012 – 7 Sa 557/11, ZIP 2012, 2263; LAG Niedersachsen, Urt. v. 22. 3. 2012 – 7 Sa 1052/11, NZI 2012, 862 ff. 1678 LAG Nürnberg, Urt. v. 30. 4. 2012 – 7 Sa 557/11, ZIP 2012, 2263 (2264); LAG Niedersachsen, Urt. v. 22. 3. 2012 – 7 Sa 1052/11, NZI 2012, 862 (863); so auch Bandte, in: FS Beuthin, S. 401 (406 f.); siehe zur Rechtswegfrage unten E. 1679 LAG Niedersachsen, Urt. v. 22. 3. 2012 – 7 Sa 1052/11, NZI 2012, 862 (864). 1680 LAG Niedersachsen, Urt. v. 22. 3. 2012 – 7 Sa 1052/11, NZI 2012, 862 (864). 1681 BAG, Urt. v. 24. 10. 2013 – 6 AZR 466/12, ZInsO 2014, 141; BAG, Urt. v. 3.7. 2014 – 6 AZR 451/12, juris. 1682 BAG, Urt. v. 18. 12. 1984 – 1 AZR 588/82, BAGE 47, 343 (347 ff.). 1683 BAG, Urt. v. 19. 11. 2003 – 10 AZR 110/03, BAGE 108, 367 (373 f.); zustimmend Ries, ZInsO 2012, 1751 (1751 f.); Stiller, ZInsO 2012, 869 (871). 1684 BAG, Urt. v. 24. 10. 2013 – 6 AZR 466/12, ZInsO 2014, 141 ff.; zustimmend Froehner, NZI 2014, 133 (134); bestätigt in BAG, Urt. v. 3.7. 2014 – 6 AZR 451/12, juris; BAG, Urt. v. 8. 5. 2014 – 6 AZR 465/12, ZInsO 2014, 1384; BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, ZInsO 2014, 1108 (1111 f.); ebenso zuvor BGH, Beschl. v. 2. 4. 2009 – IX ZB 182/08, NZI 2009, 313 (315); LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12. 9. 2012 – 4 Sa 1166/12, ZInsO 2013, 89; LAG Nürnberg, Urt. v. 16. 5. 2012 – 2 Sa 566/11, ZInsO 2013, 94 (96 f.); LAG Thüringen, Urt. v. 24. 7. 2008 – 3 1676

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

241

pekte: zum einen die Frage, ob der Anfechtungsanspruch ein Anspruch „aus dem Arbeitsverhältnis“ ist und zum anderen, ob die Tarifparteien wirksame Regelungen bezüglich dieses Anspruchs treffen können. Die erste Frage bejahte der Sechste Senat1685. Es genüge ein Zusammenhang zwischen dem Anspruch und dem Arbeitsverhältnis. Erforderlich sei, dass der betreffende Lebensvorgang eine enge Verknüpfung mit dem Arbeitsverhältnis aufweise. Unter die Verfallklausel fielen „alle Ansprüche, die sich aus den Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ergeben oder die in eng mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen rechtlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihren Entstehungsgrund haben.“1686 Auch der Anspruch aus § 143 Abs. 1 S. 1 InsO erfülle als Rückabwicklung arbeitsvertraglicher Leistungen dieses Kriterium. Das BAG nahm dabei Bezug auf die zu seinen Gunsten ergangene Entscheidung des GmS-OGB. Dieser hatte in der Rechtswegfrage angenommen, bei einem Lohnanfechtungsprozess handele sich um eine Rechtsstreitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis1687. Die zweite Frage beantwortete das BAG hingegen negativ: Der Rückgewähranspruch könne nicht aufgrund der Klausel verfallen, da er außerhalb der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien stehe1688. Das aus § 143 Abs. 1 S. 1 InsO resultierende gesetzliche Schuldverhältnis unterfalle nicht der in § 1 Abs. 1 TVG normierten Kompetenz der Tarifparteien. Die Anfechtungsnormen der Insolvenzordnung bildeten ein vom Gesetzgeber vorgegebenes, in sich geschlossenes Regelungssystem, das den Besonderheiten der Materie Rechnung trage und wegen des Ziels der abschließenden Gesamtregelung zwingenden Charakter aufweise. Zu berücksichtigen sei zudem das gesetzgeberische Ziel, die Insolvenzanfechtung im Gegensatz zur Konkursordnung zu verschärfen1689. Vor diesem Hintergrund könne aus der Ersetzung der früheren Ausschlussfristen der § 41 Abs. 1 KO und § 10 Abs. 2 GesO mit der Verjährungsregelung in § 146 InsO nicht geschlossen werden, der Gesetzgeber habe den Weg für tarifvertragliche Ausschlussfristen frei machen

Sa 411/07, juris; Froehner, NZI 2012, 833 (834); Kreft, ZIP 2013, 241 (248); Stiller, ZInsO 2012, 869. 1685 BAG, Urt. v. 24. 10. 2013 – 6 AZR 466/12, ZInsO 2014, 141 (142); a.A. Froehner, NZI 2012, 833 (833); Stiller, ZInsO 2012, 869 (869). 1686 BAG, Urt. v. 24. 10. 2013 – 6 AZR 466/12, ZInsO 2014, 141 (142); vgl. auch Stiller, ZInsO 2012, 869 (870) m.w.N. 1687 GmS-OGB, Beschl. v. 27. 9. 2010 – GmS-OGB 1/09, BGHZ 187, 105, s. unten E. 1688 BAG, Urt. v. 24. 10. 2013 – 6 AZR 466/12, ZInsO 2014, 141 (143); ebenso LAG Nürnberg, Urt. v. 16. 5. 2012 – 2 Sa 566/11, ZInsO 2013, 94 (97); Stiller, ZInsO 2013, 55 (58). 1689 BAG, Urt. v. 24. 10. 2013 – 6 AZR 466/12, ZInsO 2014, 141 (143); zu diesem Ziel siehe oben B.I.2.h)bb)(3).

242

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

wollen1690. Der Verstoß der Tarifnorm gegen vorrangiges Recht führe zu ihrer Unwirksamkeit, so dass der Anspruch bis zur Verjährung durchsetzbar sei. Soweit das BAG die Unwirksamkeit der Ausschlussfrist mit der fehlenden Regelungsmacht der Tarifpartien begründet, kann die Argumentation nicht ohne Weiteres auf individualvertragliche Ausschlussfristen übertragen werden, da die Parteien des Arbeitsvertrags § 1 TVG nicht beachten müssen. Allerdings führt das BAG aus, die Verjährungsregelung des § 146 InsO normiere eine abschließende zeitliche Begrenzung des Anfechtungsrechts1691. Daraus lässt sich schließen, dass nach Ansicht des BAG auch einzelvertragliche Ausschlussfristen den Anfechtungsanspruch nicht hindern können. Der Entscheidung ist zuzustimmen: Tarifliche und arbeitsvertragliche Ausschlussfristen hindern die Lohnanfechtung nicht1692. Durch die Einordnung des Anfechtungsanspruchs als Anspruch „aus dem Arbeitsverhältnis“ vermeidet das BAG, sich in Widerspruch zum GmS-OGB zu setzen. Es ist auch zutreffend, dass die Insolvenzordnung im Allgemeinen und das Anfechtungsrecht im Speziellen ein abschließendes Regelungsregime bilden, in das von den Tarifparteien und den Parteien des Arbeitsvertrags nicht eingegriffen werden kann. Anderenfalls müsste man Ausschlussfristen auch in anderen Vertragsbeziehungen auf Anfechtungsansprüche durchschlagen lassen1693. Dann wäre jedem Lieferanten oder Dienstleister zu entsprechenden Klauseln zu raten und das Anfechtungsrecht des Verwalters wäre entwertet. Die Anwendung der Klauseln liefe zudem auf eine Ungleichbehandlung der Gläubiger voraus, weil einzelne Gläubiger mit Hilfe der Klausel anfechtbar erhaltene Vermögenswerte behalten dürften1694. Aufgrund der Begründung des BAG können auch weiter gefasste Ausschlussklauseln den Anfechtungsanspruch nicht zu Fall bringen1695. Das ist im Sinne der Rechtssicherheit zu begrüßen; anderenfalls müssten Insolvenzverwalter nach der Verfahrenseröffnung umgehend alle Arbeitsverhältnisse bezüglich der Anfech1690

BAG, Urt. v. 24. 10. 2013 – 6 AZR 466/12, ZInsO 2014, 141 (143); so zuvor BAG, Urt. v. 19. 11. 2003 – 10 AZR 110/03, BAGE 108, 367 (374), dazu Kreft, ZIP 2013, 241 (245); LAG Nürnberg, Urt. v. 16. 5. 2012 – 2 Sa 566/11, ZInsO 2013, 94 (96). 1691 BAG, Urt. v. 24. 10. 2013 – 6 AZR 466/12, ZInsO 2014, 141 (143); auch Froehner, NZI 2012, 833 (833); Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 146 Rn. 1a; MüKo-InsO/Kirchhof, § 146 Rn. 5; Stiller, ZInsO 2012, 869 (872). 1692 So auch Froehner, NZI 2014, 133 (134); Hamann/Böing, jurisPR-ArbR 7/2014 Anm. 1; Uhlenbruck/Hirte/Ede, § 146 Rn. 1a; MüKo-InsO/Kirchhof, § 146 Rn. 5; Ries, ZInsO 2012, 1751 ff.; Windel, AP § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14; mit anderer Begründung: Stiller, ZInsO 2012, 869 (869 ff.). 1693 Zur Gleichbehandlung der Vertragsbeziehungen im Rahmen der § 129 ff. InsO siehe LAG Nürnberg, Urt. v. 16. 5. 2012 – 2 Sa 566/11, ZInsO 2013, 94 (97). 1694 Stiller, ZInsO 2012, 869 (872). 1695 So bezog sich die Klausel im Fall des ArbG Marburg, Urt. v. 26. 9. 2008 – 2 Ca 204/08, ZIP 2008, 2432 ff. auf „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen“.

II. Reichweite und Wirkung der Lohnanfechtung de lege lata

243

tungsmöglichkeiten und der tarifrechtlichen Situation untersuchen1696. Zu diesem Zeitpunkt liegt der Fokus des Verwalters im Fall der Fortführung jedoch auf einer möglichen Sanierung. Es widerspräche auch den Interessen der Arbeitnehmer, wenn in diesem Stadium die Ressourcen des Verwalters auf die Prüfung und Geltendmachung von Sonderaktiva verwendet werden müssten. 6. Fazit Aus den vorstehenden Ausführungen lässt sich für die Lohnanfechtung de lege lata das folgende Gesamtergebnis ableiten: Außerhalb von Sonderkonstellationen kommen für die Lohnanfechtung vor allem § 130 Abs. 1 Nr. 1 und § 133 Abs. 1 InsO in Betracht. Aufgrund der abzulehnenden Dreimonatsrechtsprechung des BAG schränkt das Bargeschäftsprivileg des § 142 InsO bei kongruenten Deckungen die Anfechtungsmöglichkeiten massiv ein. Im Rahmen des subjektiven Tatbestands von § 130 Abs. 1 InsO ist für den Verwalter der Nachweis, dass der Arbeitnehmer Kenntnis von Umständen i.S.d. Abs. 2 hatte, das entscheidende Hindernis. Das BAG hat diese Hürde hoch gehängt und damit eine arbeitnehmerfreundliche Linie vorgegeben. Diese Zurückhaltung setzt sich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Vorsatzanfechtung fort. BAG und BGH betonen für die Voraussetzung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes und der diesbezüglichen Kenntnis des Anfechtungsgegners in jüngerer Zeit die Bedeutung der Gesamtabwägung. Ohne die Indizienrechtsprechung aufzugeben, entschärfen die Bundesrichter die Wirkung der Vorsatzanfechtung, indem sie die Bedeutung der Gegenindizien stärken. Bei (verspäteten) Lohnzahlungen schränkt insbesondere das wiederbelebte Kriterium des unmittelbaren Leistungsaustauschs die Anfechtbarkeit stark ein. Unter dem Strich haben Lohnanfechtungen daher nach der geltenden Rechtslage nur Aussicht auf Erfolg, wenn die fraglichen Zahlungen mehr als drei Monate nach der Arbeitsleistung erfolgt sind oder der Verwalter nachweisen kann, dass der Arbeitnehmer klare Hinweise auf die Krise seines Arbeitgebers hatte. Völlig ausgeschlossen sind Lohnanfechtungen hingegen nicht. Das ist der entscheidende Befund für die später aufzuwerfenden Fragen. Für die Rechtsfolgen der Lohnanfechtung gelten die allgemeinen Bestimmungen. Im Fall der Rückgewähr kann dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Insolvenzgeld gegen die Agentur für Arbeit zustehen. Allerdings bietet dieses Instrument keine umfassende Sicherheit, sondern enthält deutliche Schutzlücken.

1696 Froehner, NZI 2012, 833 (834); Hamann/Böing, jurisPR-ArbR 7/2014 Anm. 1; Stiller, ZInsO 2012, 869 (870); Weber, KTS 1961, 49 (49); a.A. LAG Niedersachsen, Urt. v. 22. 3. 2012 – 7 Sa 1052/11, NZI 2012, 862 ff.; auch Bandte, in: FS Beuthin, S. 401 (406), der genau das vom Verwalter verlangt.

244

B. Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen de lege lata

Der Arbeitnehmer hat nur begrenzte Möglichkeiten, in der Krise des Arbeitgebers eigene Ansprüche zu verfolgen, ohne Anfechtungslagen zu schaffen.

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung im Konflikt Die vorstehenden Ausführungen zur geltenden Rechtslage lassen erkennen, dass sich bei der Lohnanfechtung der zentrale Konflikt zwischen dem Arbeitnehmerschutz und der Gläubigergleichbehandlung als tragendem Prinzip des Insolvenzverfahrens abspielt. Es gilt, diese beiden Aspekte auf Inhalt und Wirkung zu untersuchen und gegenüberzustellen. Vorgeschaltet sind einige Überlegungen zur Frage anzustellen, inwieweit die hinter Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung stehenden Grundrechte im Zivilrecht Wirkung entfalten. Ziel ist es, am Ende des zweiten Teils feststellen zu können, ob in Bezug auf das Phänomen der Lohnanfechtung Regelungsbedarf besteht.

I. Grundrechtswirkung und -geltung Zunächst ist für die folgende Darstellung auf den terminologischen Unterschied zwischen Wirkung und Geltung der Grundrechte hinzuweisen, um Unklarheiten zu vermeiden. Während mit der Geltung die Frage angesprochen ist, wer Adressat des Normgehalts ist, beschreibt die Wirkung die Folge daraus1. Klinck führt treffend aus, dass eine Wirkung der Grundrechte zwischen Privaten auch dann festzustellen sei, wenn sich der Normbefehl nur an Gesetzgeber oder die Rechtsprechung richte2. Das Arbeitsrecht ist trotz seines sozialen Einschlags Teil der Privatrechtsordnung3. Das gilt jedenfalls für das Individualarbeitsrecht und den von der Lohnanfechtung betroffenen Entgeltanspruch des Arbeitnehmers, der sich aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags gegen den Arbeitgeber und im Fall der Insolvenz gegen den Insolvenzverwalter richtet. Auch das Insolvenzrecht ist Teil des (Wirtschafts-) Privatrechts4. Insbesondere das Recht der Insolvenzanfechtung regelt einen privaten Konflikt, indem es zu einer Massemehrung zu Lasten des Anfechtungsgegners führt,

1

Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 92 dort Fn. 2 m.w.N. Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 92. 3 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 424; Gamillscheg, Arbeitsrecht, S. 11, 29; ders., AcP 164 (1964), 385 (404); Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 71. 4 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 75; Berges, KTS 1957, 49 (51); Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 1.05; Hueck, Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 74; Uhlenbruck/Pape, § 1 Rn. 2; Uhlenbruck, in: FS 100 Jahre KO, S. 3 (5). 2

246

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

die zugleich eine möglichst weitgehende Befriedigung der Gläubigergesamtheit ermöglicht5. Aus dem Befund, dass sowohl die betroffene Rechtsposition des Arbeitnehmers als auch die Normen, die den Eingriff regeln, Teil des Privatrechts sind, ergibt sich eine wichtige Folgefrage: Inwieweit wirken Rechtssätze, die über einfachgesetzliche Normen hinausgehen, auf die maßgeblichen Rechtsverhältnisse ein? Oder anders gesagt: Lassen sich aus den Wertungen der Grundrechte Erkenntnisse über den Konflikt von Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung gewinnen? Angesprochen sind damit die verschiedenen Grundrechtsfunktionen und -wirkungen. Relevant ist die Frage zum einen für das Verhältnis zwischen Anfechtungsgegner und staatlicher Gewalt in Gestalt von Gesetzgeber und Jurisdiktion (subjektiv-rechtliche Dimension). Zum anderen geht es um das Verhältnis des Anfechtungsgegners zu den übrigen Gläubigern des Schuldners, d. h. um die Wirkung zwischen Privaten (objektiv-rechtliche Dimension)6. 1. Subjektiv-rechtliche Dimension Üblicherweise wird im Verhältnis zwischen dem Einzelnen und dem Staat zwischen der Wirkung der Grundrechte als Abwehrrechte, Leistungsrechte und Gleichbehandlungsrechte differenziert7. Die Grundrechte sind zunächst und zuvorderst als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat ausgestaltet; sie gewähren eine Freiheitssphäre, in die der Staat nicht eingreifen darf8. Trotz des bewussten Verzichts auf soziale Grundrechte lassen sich nach überwiegender Ansicht aus dem Grundgesetz auch Ansprüche auf Leistung im Sinne von positivem Tun ableiten, etwa im Rahmen der Existenzsicherung9. Als dritte Funktion wird den Grundrechten die Funktion von Gleichbehandlungsrechten zugesprochen10. Dieser Aspekt ist für den Schutz des Arbeitnehmers bei der Lohnanfechtung nicht weiter relevant, bei der Frage nach der Gläubigergleichbehandlung hingegen von Bedeutung. Er ist dort spezifisch zu untersuchen11 und wird daher an dieser Stelle nicht näher behandelt. 5 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 92, 95; ausführlich zur Einordnung des Insolvenzrechts: Lepa, Insolvenzordnung und Verfassungsrecht, S. 25 ff. 6 Zur Unterscheidung zwischen subjektiv- und objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten siehe Dreier/Dreier, Vorb. Rn. 82; Ipsen, Grundrechte, Rn. 53 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Müller-Franken, Vorb. v. Art. 1 Rn. 16; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck, Art. 1 Rn. 168 ff. jeweils m.w.N. 7 Dreier/Dreier, Vorb. Rn. 82; Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Rn. 13 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Klein/Müller-Franken, Vorb. v. Art. 1 Rn. 17. 8 BVerfG, Urt. v. 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/51 (Lüth), BVerfGE 7, 198 (204); Dreier/Dreier, Vorb. Rn. 82; Preis, Arbeitsrecht, S. 176; v. Münch/Kunig/v. Münch/Kunig, Vorb Art. 1 – 19 Rn. 15. 9 Dreier/Dreier, Vorb. Rn. 89; zum Existenzminimum siehe unten C.II.2.b)dd)(1). 10 Dreier/Dreier, Vorb. Rn. 91 ff. 11 Siehe unten C.III.3.b).

I. Grundrechtswirkung und -geltung

247

Im Rahmen der Lohnanfechtung tritt der Staat in zwei Funktionen auf: als Gesetzgeber, der das Anfechtungsrecht und sozialrechtliche Schutznormen verantwortet und als Rechtsprechung, die diese Normen anzuwenden hat und unter Umständen den Arbeitnehmer zur Rückzahlung seines Lohns zu Gunsten der Gläubigergesamtheit verurteilt12. Der Insolvenzverwalter hingegen wird zwar vom Insolvenzgericht bestellt, handelt aber jedenfalls bei der Insolvenzanfechtung zuvorderst im Interesse der Gläubiger, nicht des Staats. a) Gesetzgebung Dass der Gesetzgeber an die Grundrechte gebunden ist, ergibt sich ausdrücklich aus Art. 1 Abs. 3 GG. In Art. 20 Abs. 3 GG ist zudem die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung normiert. Im Rahmen der vorliegenden Fragestellung geht es für den Gesetzgeber zunächst um die Ausgestaltung von Gleichbehandlung oder Privilegierung der Gläubiger im Rahmen von Insolvenzverfahren. Es handelt sich im Ausgangspunkt um eine zivilrechtliche Frage. Dass auch der Privatrechtsgesetzgeber an die Grundrechte gebunden ist, darf mittlerweile als unbestritten gelten13. Dementsprechend misst das BVerfG zivilrechtliche Normen am Maßstab der Grundrechte14. Als zweiter Punkt ist im Rahmen der Lohnanfechtung zu fragen, inwieweit aus den Grundrechten eine Pflicht des Gesetzgebers abgeleitet werden kann, den Arbeitnehmer durch ausgleichende Leistungen, z. B. durch das Insolvenzgeld, vor Lohnausfällen zu schützen. Auch ein Unterlassen des Gesetzgebers kann grundsätzlich einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 3 GG begründen15. Das setzt einen hinreichend konkretisierten Gesetzgebungsauftrag oder eine Schutzpflichtenlage voraus16. Soweit man europarechtliche Vorgaben als Auftrag genügen lässt17, erfüllen die §§ 165 ff. SGB III jedenfalls die Anforderungen der einschlägigen Richtlinien18. 12

Keine ersichtliche Relevanz für die grundrechtlichen Fragen hat das Auftreten der Agentur für Arbeit, die über den Insolvenzgeldanspruch des Arbeitnehmers entscheidet. Die gesetzlichen Vorgaben lassen hier wenig Spielraum für die Leistungsverwaltung. 13 Dreier/Dreier, Vorb. Rn. 97; Schmidt-Bleibtreu/Klein/Müller-Franken, Vorb. v. Art. 1 Rn. 36; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck, Art. 1 Rn. 192; ausführlich dazu: Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 155 f.; und Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 91 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 91 ff.; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1565 f.; jeweils m.w.N.; zum Umfang der Bindung siehe Lepa, Insolvenzordnung und Verfassungsrecht, S. 56 ff. und Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 159 f. Dabei geht es um die objektiv-rechtliche Dimension, dazu sogleich. 14 Vgl. für Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG etwa BVerfG, Beschl. v. 4. 11. 1987 – 1 BvR 1611/84, 1 BvR 1669/84, BVerfGE 77, 263 (270); Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 90 m.w.N. 15 BVerfG, Entsch. V. 20. 2. 1957 – 1 BvR 441/53, BVerfGE 6, 257 (264); Dreier/Dreier, Art. 1 III Rn. 54; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck, Art. 1 Rn. 192; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1283 ff. 16 Dreier/Dreier, Art. 1 III Rn. 54; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1284 ff. 17 Vgl. Dreier/Dreier, Art. 1 III Rn. 54 dort Fn. 146. 18 Siehe dazu oben B.II.2.f)bb).

248

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

Einen ausdrücklichen grundgesetzlichen Auftrag zur Lohn- oder Existenzsicherung gibt es nicht. Es ist schon umstritten, inwieweit sich aus dem Abwehrgehalt der Grundrechte überhaupt Leistungspflichten ableiten lassen19. Das BVerfG ist von einer Verletzung der Schutz- und Handlungspflicht durch den Gesetzgeber zunächst nur ausgegangen, wenn dieser untätig blieb oder die getroffenen Maßnahmen evident unzureichend waren20. Bei dieser engen Auslegung ließe sich heute, nachdem fast alle Lebensbereiche reguliert sind, kaum ein Unterlassen des Gesetzgebers begründen21. Berücksichtigt man die überragende Bedeutung der Grundrechte und die ausdrückliche Bindung des Gesetzgebers nach Art. 1 Abs. 3 GG, ist es daher überzeugender, die Ableitung von Leistungsansprüchen aus dem Abwehrgehalt der Grundrechte auch bei partiellem Unterlassen des Gesetzgebers zuzulassen22. Auch bei dieser Auslegung muss aber „die Handlungspflicht tatbestandsmäßig so konkret bestimmbar [sein], daß das Bundesverfassungsgericht daraus eine Rechtsfolge ableiten kann, die nicht in den politischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers eingreift.“23 Dementsprechend hat das BVerfG immer wieder betont, dass dem Gesetzgeber in sozialen Fragen „ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsfreiraum“ zusteht24. b) Rechtsprechung Nach Art. 1 Abs. 3 GG ist auch die Rechtsprechung an die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht gebunden. Bei genauer Betrachtung sind dabei allerdings 19 Dafür etwa Stern, Staatsrecht III/1, S. 1287 f.; dagegen Dreier/Dreier, Vorb. Rn. 90, jeweils mit zahlreichen w.N. 20 BVerfG, Urt. v. 10. 1. 1995 – 1 BvF 1/90 u. a., BVerfGE 92, 26 (46); BVerfG, Beschl. v. 29. 10. 1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83, BVerfGE 77, 170 (214 f.); BVerfG, Beschl. v. 14. 1. 1981 – 1 BvR 612/72, BVerfGE 56, 54 (71); kritisch: Stern, Staatsrecht III/1, S. 1286; nach BVerfG, Beschl. v. 19. 12. 1951 – 1 BvR 220/51, BVerfGE 1, 97 (105) sollte sogar willkürliches Unterlassen erforderlich sein. 21 Stern, Staatsrecht III/1, S. 1286. 22 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 159 f.; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck, Art. 1 Rn. 192; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1286 m.w.N.; es ist richtig, dass der Anspruchsgehalt aufgrund der Unschärfe der grundrechtlichen Normbefehle in die Nähe des Sozialstaatsgebots gerät, vgl. Dreier/Dreier, Vorb. Rn. 90; ähnlich v. Münch/Kunig/v. Münch/Kunig, Vorb Art. 1 – 19 Rn. 23. Allerdings sind Abgrenzungsschwierigkeiten kein sinnvolles Argument gegen den Anspruch per se. 23 Stern, Staatsrecht III/1, S. 1288. 24 BVerfG, Urt. v. 28. 1. 1992 – 1 BvR 1025/82, 1 BvL 16/83, 10/91, BVerfGE 85, 191 (212); siehe auch BVerfG, Beschl. v. 19. 12. 1951 – 1 BvR 220/51, BVerfGE 1, 97 (105); BVerfG, Beschl. v. 13. 1. 1984 – 1 BvR 848, 1047/77 u. a., BVerGE 59, 231 (263); BVerfG, Beschl. v. 29. 10. 1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83, BVerfGE 77, 170 (214 f.); BVerfG, Beschl. v. 30. 11. 1988 – 1 BvR 1301/84, BVerfGE 79, 174 (202); BVerfG, Beschl. v. 7. 2. 1990 – 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, 242 (255); BVerfG, Beschl. v. 29. 5. 1990 – 1 BvL 20, 26, 184, 4/86, BVerfGE 82, 60 (80); BVerfG, Beschl. v. 23. 10. 2013 – 1 BvR 1842/11, 1 BvR 1843/11, BVerfGE 134, 204 (223 f.); siehe für das Arbeitsrecht: Badura, RdA 1999, 8 (8).

I. Grundrechtswirkung und -geltung

249

zwei Wirkungsrichtungen zu unterscheiden25. Zum einen besteht eine organbezogenformelle Bindung, die v. a. die gerichtliche Verfahrensgestaltung betrifft26. Sie ist betroffen, soweit der Richter in Ausübung staatlicher Gewalt dem Bürger gegenübertritt27. Für die Lohnanfechtung ist dieser Aspekt nicht von weiterer Bedeutung. Zum anderen sind die Gerichte verpflichtet, die Grundrechte im Rahmen der gerichtlichen Entscheidungen zu beachten; es geht um den Inhalt des Rechtsprechungsakts28. Zugleich besteht allerdings eine Bindung der Rechtsprechung an das Gesetz, Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG. Es widerspräche der Gewaltenteilung, wenn ein Gericht unter Hinweis auf Art. 1 Abs. 3 GG einfache Gesetze mit dem Hinweis auf einen Verstoß gegen die Grundrechte außer Acht lassen könnte. Aufgelöst wird diese Spannungslage durch die Möglichkeit der Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG und das Instrument der verfassungskonformen Auslegung29. Der verfassungskonformen Auslegung sind jedoch Grenzen gesetzt. Die Rechtsprechung kann und darf die Fehler des Gesetzgebers nicht in jedem Fall korrigieren: Greift eine gerichtliche Entscheidung in die Grundrechte eines Beteiligten ein, weil sie verfassungswidriges Gesetzesrecht anwendet, liegt daher der relevante Verstoß gegen Verfassungsrecht bei der Legislative30. Mit dem Befund, dass die Gerichte in Bezug auf den Inhalt ihrer Entscheidungen an die Grundrechte gebunden sind, ist noch nichts über den Umfang des auf diesem Wege zu beachtenden Schutzes gesagt. Gerichte müssen den grundrechtlichen Schutz nur beachten, soweit er reicht31. Inwieweit gelten also die Grundrechte, wenn der Insolvenzverwalter im Fall der Lohnanfechtung seinen Anspruch gegen den Arbeitnehmer gerichtlich durchzusetzen sucht? Unabhängig davon, ob der Rechtsstreit vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit oder der Arbeitsgerichtsbarkeit stattfindet, handelt es sich um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit, also einen Zivilprozess32. Daraus folgt die Frage, inwieweit zwischen den privaten Parteien des Zivilprozesses Grundrechte wirken, die das Gericht binden.

25

Stern, Staatsrecht III/1, S. 1429. Dreier/Dreier, Art. 1 III Rn. 81; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1437 ff. 27 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 3. 10. 1979 – 1 BvR 726/78, BVerfGE 52, 203 (207); Dreier/ Dreier, Art. 1 III Rn. 81. 28 Dreier/Dreier, Art. 1 III Rn. 82. 29 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 108 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 129 f.; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1475 ff., 1583; Dreier/Dreier, Art. 1 III Rn. 82 ff. unterscheidet zusätzlich zwischen verfassungskonformer und verfassungsorienterter Auslegung. 30 Medicus, AcP 192 (1992), 35 (48); Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 129. 31 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 122; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1486; eine direkte Bindung des Gerichts im Verhältnis zum Einzelnen kann allerdings bestehen, wenn das Gericht bei der Rechtsfindung schöpferisch tätig wird und dabei „staatlich verantwortetes Recht“ schafft, siehe Ruffert, ebenda, S. 126 f. 32 Siehe § 2 Abs. 1 Nr. 3) ArbGG, der eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit voraussetzt. 26

250

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

2. Objektiv-rechtliche Dimension Bereits die Lektüre von Art. 1 Abs. 3 GG zeigt, dass das Grundgesetz nicht von einer unmittelbaren Bindung des Einzelnen an die Grundrechte ausgeht33. Die Frage der Grundrechtsgeltung und -wirkung zwischen Privatrechtssubjekten ist ein Klassiker der Grundrechtsdogmatik und seit der Schaffung des Grundgesetzes Gegenstand einer Vielzahl verfassungsgerichtlicher Entscheidungen und eines fast unüberschaubaren wissenschaftlichen Diskurses34. Er kann hier nicht vertieft werden. Nur die für die vorliegende Untersuchung relevanten Aspekte sind knapp darzustellen. Es ist hilfreich, sich die betroffenen privatrechtlichen Beziehungen zu vergegenwärtigen. Zunächst sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch das Arbeitsverhältnis verbunden. Im Fall der Lohnanfechtung tritt sodann der Insolvenzverwalter dem Arbeitnehmer gegenüber. Abgesehen vom Vergütungsanspruch handelt der Verwalter dabei allerdings nicht eigennützig, sondern im Interesse der Gläubigergesamtheit, zu deren Gunsten eine erfolgreiche Anfechtung wirkt. Die dritte relevante Beziehung versteckt sich in dieser Gläubigergesamtheit: Es geht um das Verhältnis der Gläubiger untereinander. a) Drittwirkung und Schutzpflichtenlehre Dass Privatrechtssubjekte selbst an die Grundrechte gebunden seien, entsprach der maßgeblich von Nipperdey entwickelten und zwischenzeitlich vom BAG35 vertretene Lehre der unmittelbaren Drittwirkung; diese wird, soweit ersichtlich, heute nicht mehr vertreten36. Es geht also darum, inwieweit die staatliche Gewalt, wenn sie Einfluss auf die Beziehung zwischen Privaten nimmt, inhaltlich an die Grundrechte gebunden ist. Bereits 1956 entwickelte Dürig37 den Ansatz, dass die Grundrechte nicht nur Rechte des Einzelnen gegenüber der öffentlichen Gewalt begründeten, sondern Ausdruck einer objektiven Werteordnung seien, die auch das bürgerliche Recht beeinflusse. Diesem Ansatz schloss sich das BVerfG in der sog. Lüth-Entscheidung an38. Es ging zunächst von einer mittelbaren Drittwirkung39 der 33 Vgl. Ipsen, Grundrechte, Rn. 68; auch eine Analogie scheidet insoweit aus, siehe Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 156 f. 34 Ausführlich dazu Canaris, AcP 184 (1984), 201 ff.; Medicus, AcP 192 (1992), 35 (45 ff.); Stern, Staatsrecht III/1, S. 1509 ff. sowie aus jüngerer Zeit Ruffert, Vorrang der Verfassung, passim. 35 BAG, Urt. v. 10. 5. 1957 – 1 AZR 479/55, juris; BAG, Urt. v. 3. 12. 1954 – 1 AZR 150/54, BAGE 1, 185 (193 f.). 36 Siehe Gamillscheg, Arbeitsrecht, S. 136; ders., AcP 164 (1964), 385 (406); Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 93; Preis, Arbeitsrecht, S. 178 f.; anders in Bezug auf Art. 9 Abs. 3 GG, der insoweit eine Besonderheit ist. 37 Dürig, in: FS Nawiasky, S. 157 ff.; ders., AöR 81 (1956), 117 ff. 38 BVerfG, Urt. v. 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/51 (Lüth), BVerfGE 7, 198 (205). 39 Zur heutigen Ablehnung dieses Begriffs statt vieler: Ipsen, Grundrechte, Rn. 70 m.w.N.

I. Grundrechtswirkung und -geltung

251

Grundrechte im Privatrecht aus, bei der die zivilrechtlichen Generalklauseln als Einfallstore der grundrechtlichen Wertungen fungierten40. In späteren Entscheidungen hat das BVerfG die dogmatischen Konsequenzen der Ausstrahlungswirkung der Grundrechte ausgeweitet. Nach der sog. Schutzpflichtenlehre, die zuvor in der Literatur entwickelt worden war41, besteht eine Pflicht des Staats, den Einzelnen vor Verletzungen seiner Grundrechte durch Dritte zu schützen42. Als Ansatzpunkt für diese Grundrechtsfunktion werden der Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG, der den Schutz der Menschenwürde zur „Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ erhebt, sowie die bereits erwähnte objektive Wertentscheidung des Verfassungsgebers herangezogen43. Nach nunmehr herrschender Ansicht können den Staat in Bezug auf alle Freiheitsgrundrechte Schutzpflichten treffen44. Inhalt und Umfang der Pflicht bestimmen sich nach dem jeweils zugrunde liegenden Grundrechtsgut45. Gerade im Bereich des Privatrechts stößt man dabei auf Schwierigkeiten. Während sich etwa das Schutzgut des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) recht klar bestimmen lässt und seit langem entsprechenden zivilrechtlichen Schutz genießt, ist die konkrete Bestimmung für andere Grundrechte – namentlich die normativen Grundrechte der Artt. 12 und 14 GG – mit großen Unsicherheiten behaftet46. Als Zwischenfazit kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass die Grundrechte nach der überzeugenden herrschenden Lehre über die Schutzpflicht des Staats auf das Verhältnis zwischen Privaten einwirken. b) Gesetzgebung Nichts gesagt ist damit über die Frage, wie diese Einwirkung tatsächlich erfolgt. Auf zivilrechtlicher Ebene tritt der Staat dem Arbeitnehmer im Fall der Lohnanfechtung primär als Insolvenzrechtsgesetzgeber und Zivilrichter gegenüber. 40

BVerfG, Urt. v. 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/51 (Lüth), BVerfGE 7, 198 (204); Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 14; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1543 ff. 41 Grundlegend Canaris, AcP 184 (1984), 201 ff.; siehe auch Medicus, AcP 192 (1992), 35 (68); ausführlich Isensee, in: HStR IX, § 191 passim. 42 BVerfG, Urt. v. 25. 2. 1975 – 1 BvF 1/74 u. a., BVerfGE 39, 1 (41); nunmehr ständige Rspr.; zur historischen Entwicklung siehe ausführlich: Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 20 ff., 141 ff. sowie Stern, Staatsrecht III/1, S. 1574 ff. m.w.N.; für das Arbeitsrecht Badura, RdA 1999, 8 (8 f.). 43 Schmidt-Bleibtreu/Klein/Müller-Franken, Vorb. v. Art. 1 Rn. 23; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 158 ff. 44 BVerfG, Urt. v. 10. 1. 1995 – 1 BvF 1/90 u. a., BVerfGE 92, 26 (46); Schmidt-Bleibtreu/ Klein/Müller-Franken, Vorb. v. Art. 1 Rn. 23; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 159. 45 BVerfG, Urt. v. 28. 5. 1993 – 2 BvF 2/90 u. a., BVerfGE 88, 203 (251) für Art. 2 Abs. 2 GG; Isensee, in: HStR IX § 191 Rn. 56 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Klein/Müller-Franken, Vorb. v. Art. 1 Rn. 23; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 161; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 158 f., 167; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1572. 46 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 159, 168.

252

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

Für den Privatrechtsgesetzgeber folgt die Bindung an die Grundrechte bereits subjektiv-rechtlich aus Art. 1 Abs. 3 GG47. Die Schutzpflicht gebietet ein Handeln des Gesetzgebers, wenn anderenfalls faktische Grundrechtsverletzungen des Einzelnen – auch durch Private – drohen48. Mit der Schutzpflichtenlehre in Verbindung mit dem Gesichtspunkt der objektiven Werteordnung lässt sich folgerichtig nicht nur eine bestandsschützende, sondern auch eine fördernde Staatstätigkeit begründen49. Die von den Grundrechten ausstrahlende objektive Werteordnung fungiert insoweit für die Legislative als „Direktive und Leitgrundsatz für die Ausgestaltung“ des einfachen Rechts50. Damit richtet sich die Schutzwirkung auch im privatrechtlichen Kontext gegen strukturelle Ungleichgewichtslagen51. Ruffert weist allerdings zu Recht darauf hin, dass die Umverteilung keine Aufgabe der grundrechtlichen Schutzpflichten sei; vielmehr aktiviere eine aus der Ungleichgewichtslage resultierende Rechtsverletzung die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates52. Kurz gesagt kann auch mit der Schutzpflichtenlehre stets nur festgestellt werden, ob eine Pflicht der Legislative zu schützenden Maßnahmen besteht, nicht aber in welcher Form53. Bei der Erfüllung von Schutzpflichten besteht für den Gesetzgeber ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsfreiraum54. Das gilt insbesondere bei der Normierung von Sozialverpflichtungen im Zivilrecht55, weil in dieser Konstellation anderen Privatrechtssubjekten Gemeinwohlpflichten auferlegt werden, was wiederum einen Eingriff in deren Grundrechte zur Folge hat56. Mit Klinck57 kann dieser Konflikt für das Gebiet der Insolvenzanfechtung und das vorliegende Thema verdeutlicht werden: Bei der Lohnanfechtung stehen sich der Arbeitnehmer und die Gläubigergesamtheit gegenüber. Die Anfechtung zu Lasten 47

Stern, Staatsrecht III/1, S. 1565; siehe dazu oben C.I.1.a). Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 186, 223 ff.; Badura, in: FS Herschel, S. 22; Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 285 ff.; Dreier/Dreier, Vorb. Rn. 97 weist zu Recht daraufhin, dass sich bei dieser Bindung subjektiv- und objektiv-rechtliche Aspekte vereinen. 49 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 159. 50 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 66; vgl. auch BVerfG, Urt. v. 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/ 51 (Lüth), BVerfGE 7, 198 (204). 51 BVerfG, Beschl. v. 23. 10. 2013 – 1 BvR 1842/11, 1 BvR 1843/11, BVerfGE 134, 204 (223); BVerfG, Beschl. v. 7. 2. 1990 – 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, 242 (255); vgl. auch Stern, Staatsrecht III/1, S. 1586 ff. 52 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 199 f. 53 Dreier/Dreier, Vorb. Rn. 103; Hesse, Verfassunsgrecht, Rn. 350; Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 281; vgl. auch BVerfG, Urt. v. 10. 1. 1995 – 1 BvF 1/90 u. a., BVerfGE 92, 26 (46). 54 Siehe oben C.I.1.a). 55 Zur Möglichkeit privatrechtlicher Lösung sozialer Probleme siehe Stern, Staatsrecht III/ 1, S. 1567 f. 56 BVerfG, Beschl. v. 7. 2. 1990 – 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, 242 (255); Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385 (396); Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 104, 107; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1570, 1581. 57 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 107 f. 48

I. Grundrechtswirkung und -geltung

253

des Arbeitnehmers lässt sich mit dem Schutz der Rechte der Gläubigergesamtheit begründen, während sie für den Arbeitnehmer einen Eingriff darstellt. Anders herum ließe sich eine Privilegierung des Arbeitnehmers mit staatlichen Schutzpflichten begründen, führte aber spiegelbildlich zu einem Eingriff in die Rechtsposition der Gläubigergesamtheit. Es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, die Positionen der verschiedenen Betroffenen in Einklang zu bringen, was gemeinhin als praktische Konkordanz bezeichnet wird58. c) Rechtsprechung Oben wurde bereits dargelegt, dass die Rechtsprechung bei der Rechtsfindung an die Grundrechte gebunden ist59. Der Schwerpunkt der Verantwortung für den Schutz des Arbeitnehmers im Rahmen des Anfechtungsrechts liegt allerdings bei der Legislative60. Sie entscheidet über mögliche Privilegien einzelner Gläubigergruppen und die tatbestandlichen Voraussetzungen erfolgreicher Anfechtungen. Zwar ist zuzugeben, dass auch die Rechtsprechung maßgeblichen Einfluss auf die Anforderungen für erfolgreiche Anfechtungen in der Praxis ausübt. So hat sich etwa das BAG, insbesondere durch die weite Handhabung des Bargeschäftsprivilegs61, redlich bemüht, einen Sonderschutz für Arbeitnehmer zu konstruieren. Dennoch gilt als Grundsatz: Die Gerichte sind an das geltende Recht gebunden62. Für die Wirkungsrichtung dieser Bindungswirkung kann wiederum der Gedanke der Schutzpflichten fruchtbar gemacht werden63. Die zuvor beschriebene mittelbare Drittwirkung über die Generalklauseln, die vom erkennenden Richter zu beachten ist, ist ein Teilaspekt der Schutzpflicht, die in ihrer Gesamtwirkung weiter ist64. Aufgrund seiner Schutzpflicht hat der erkennende Richter die privatrechtlichen Normen insgesamt „grundrechtskonform auf die Privatrechtsbeziehung anzuwenden.“65 Das geschieht im Wege der verfassungskonformen und verfassungsorien58 BVerfG, Beschl. v. 23. 10. 2013 – 1 BvR 1842/11, 1 BvR 1843/11, BVerfGE 134, 204 (223); BVerfG, Beschl. v. 19. 10. 1993 – 1 BvR 567/89, 1 BvR 1044/89, BVerfGE 89, 214 (231); Badura, RdA 1999, 8 (9); Gamillscheg, Arbeitsrecht, S. 140 f.; Hesse, Verfassunsgrecht, Rn. 72, 355; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 105; Preis, Arbeitsrecht, S. 183; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1570. 59 Siehe oben C.I.1.b). 60 Allgemein für das Zivilrecht: Dreier/Dreier, Vorb. Rn. 102; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1578; für das Arbeitsrecht Badura, RdA 1999, 8 (9). 61 Siehe oben B.II.4.c)cc)(2)(c). 62 Siehe oben C.I.1.b); Hesse, Verfassunsgrecht, Rn. 355; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1582 f. 63 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 165; Preis, Arbeitsrecht, S. 183; Stern, Staatsrecht III/1, S. 951. 64 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 144 ff., 253; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1584. 65 Stern, Staatsrecht III/1, S. 1578, 1582; speziell für das Anfechtungsrecht: Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 108 f.

254

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

tierten Auslegung66. Der Umfang der Grundrechtswirkung im Privatrecht ist somit zum einen durch die Grenzen der verfassungskonformen Auslegung begrenzt67. Zu beachten sind dabei die gesetzgeberischen Wertungen und in den zivilrechtlichen Normen angelegte Rechtsgüterabwägungen68. Zum anderen limitieren die in den Grundrechten selbst angelegten Rechtsgüter und die daraus folgenden Schutzpflichten die Drittwirkung69. Dementsprechend gilt es, die bei der Lohnanfechtung einschlägigen Grundrechte auf die Reichweite ihres Schutzes zu untersuchen.

II. Aspekte des Arbeitnehmerschutzes Das deutsche Arbeitsrecht breitet einen großen Schutzschirm über Arbeitnehmer aus. Mit Bezug auf die hier interessierenden Aspekte der Lohnanfechtung ist zu klären, woher der Schutz stammt, wie er wirkt und wie weit er reicht. Vor Augen halten muss man sich dabei zwei Aspekte: zum einen die Frage, ob und inwieweit ein Schutz des Arbeitnehmers vor der Rückzahlung seines Lohns rechtlich geboten ist, zum anderen, ob, wenn eine solche Rückforderung stattfindet, der Staat kompensierend tätig werden muss70. 1. Ratio und Herkunft Eine umfassende historische Herleitung des Arbeitnehmerschutzes kann und soll hier nicht erfolgen71. Um den für die vorliegende Fragestellung im Raum stehenden Sonderschutz des Arbeitnehmers einordnen zu können, müssen zumindest ratio und Herkunft der Sonderstellung des Arbeitnehmers in unserer Rechtsordnung geklärt werden. Der grundsätzliche Gedanke, sozial schwächere Glieder in einer Gemeinschaft zu schützen, ist zeitlos. Das Gewicht, das diesem Schutz zugestanden wird, hängt von wirtschafts- und sozialpolitischen Prioritäten ab und unterliegt entsprechenden Schwankungen72. Der Sonderschutz, den das Arbeitsrecht gewährt, basiert auf der besonderen Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers in arbeitsrechtlichen Bezie-

66

Dreier/Dreier, Art. 1 III Rn. 82 ff.; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1583; für das Arbeitsrecht: Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385 (403 ff.). 67 Stern, Staatsrecht III/1, S. 1583. 68 Stern, Staatsrecht III/1, S. 1583 unter anderem mit Verweis auf BVerfG, Urt. v. 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/51 (Lüth), BVerfGE 7, 198 (205). 69 Stern, Staatsrecht III/1, S. 1585. 70 Ob der Staat in dieser Richtung tätig werden soll, ist eine politsche Frage. 71 Siehe dazu: Gamillscheg, Arbeitsrecht, S. 4 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht, S. 13 ff.; Preis, Arbeitsrecht, S. 23 ff. 72 Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385 (427); Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 11.

II. Aspekte des Arbeitnehmerschutzes

255

hungen73. Die sogenannte strukturelle Unterlegenheit74 folgt aus den Grundstrukturen eines kapitalistischen Wirtschaftssystems. Für Arbeitgeber besteht der Anreiz, die Wertschöpfung durch ihre Arbeitnehmer zu maximieren und gleichzeitig die dafür anfallenden Kosten zu minimieren75. Soweit der Arbeitnehmer nicht über außergewöhnliche Qualifikationen verfügt, ist er für den Arbeitgeber beliebig gegen einen anderen Arbeitnehmer austauschbar. Ein entsprechender Wechsel des Vertragspartners ist für den Arbeitnehmer schwieriger76. Da der Lohn für seine Arbeitsleistung die Lebensgrundlage des Arbeitnehmers ist, steht er unter dem ständigen Druck, seine Arbeitsleistung in Lohn umzusetzen77. Die menschenfeindlichen Exzesse des Kapitalismus im 19. Jahrhundert provozierten die ersten gesetzlichen Maßnahmen zum Schutz des Arbeitnehmers im modernen Industriestaat78. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewann in Deutschland, unter Geltung des „neuen“ Grundgesetzes, der soziale Schutzgedanke verstärkte Bedeutung79. Mit Blick auf die vorliegende Thematik ist dabei die Einführung des Konkursausfallgeldes im Jahr 1974 hervorzuheben80. Interessanterweise ist der besondere Schutz des Arbeitnehmers im Konkurs deutlich älter: Nach den obigen Feststellungen81 enthielten bereits im Mittelalter eine Vielzahl von Konkursgesetzen in Gestalt von Lidlohnvorrechten einen Sonderschutz für Arbeitnehmer. Erst mit Einführung der Insolvenzordnung beseitigte der Gesetzgeber dieses Privileg vollständig und verwies den Arbeitnehmer auf den sozialrechtlichen Schutz durch das Insolvenzgeld. 2. Ausprägungen des Arbeitnehmerschutzes Ziel der folgenden Untersuchung ist es, herauszufinden, welches Gewicht Verfassungs- und Gesetzgeber den für die Lohnanfechtung relevanten Aspekten des Arbeitnehmerschutzes einräumen. Zu differenzieren ist dabei zwischen der einfachund der grundgesetzlichen Ebene. Zunächst soll im Folgenden ein Überblick über die einfachgesetzlichen Regelungen gegeben werden. Anschließend ist aufzuzeigen, auf welcher verfassungsrechtlichen Basis dieser Schutz ruht. Diese grundlegenden Wertungen können später in Verhältnis zu den Rechtspositionen der anderen Be73

Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385 (390 f.); Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 424. Dazu Gamillscheg, Arbeitsrecht, S. 9 m.w.N. 75 Vgl. Söllner, RdA 1968, 437 (437 f.), der allerdings das Problem weniger im Kapitalismus als in der Struktur größerer Betriebe sieht. 76 Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385 (408). 77 Nikisch, Arbeitsrecht, S. 31. 78 Siehe dazu Gamillscheg, Arbeitsrecht, S. 6 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht, S. 15 ff.; Preis, Arbeitsrecht, S. 24 f. 79 Gamillscheg, Arbeitsrecht, S. 15 f.; Preis, Arbeitsrecht, S. 29 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 11. 80 Dazu oben B.II.2.f)aa). 81 Siehe oben B.I.2. 74

256

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

troffenen gesetzt werden, um zu klären, in welchem Umfang ein Sonderschutz der Arbeitnehmer in der Insolvenz des Arbeitgebers zulässig oder geboten ist. Die Darstellung beschränkt sich dabei auf die für die Lohnanfechtung relevanten Gesichtspunkte: Bei den angefochtenen Transaktionen handelt es sich um Entgeltzahlungen an den Arbeitnehmer. Zum einen ist daher zu untersuchen, welchen Schutz die Rechtsordnung für den Lohnanspruch und die bei seiner Erfüllung in das Vermögen des Arbeitnehmers gelangten Mittel gewährt. Zum anderen folgt aus der Tatsache, dass der Lohn in aller Regel die Lebensgrundlage des Arbeitnehmers bildet, die Frage, inwieweit die Rechtsordnung die Existenzgrundlage des Arbeitnehmers schützt. a) Einfachgesetzlicher Schutz des Einkommens und Existenzminimums Der Schutz von Arbeitnehmern in Bezug auf ihr Einkommen und die Sicherung eines Existenzminimums findet zunächst Niederschlag auf einfachgesetzlicher Ebene. Aus diesen Regelungen können keine tragenden Rückschlüsse auf die Zulässigkeit der Lohnanfechtung gezogen werden, da sie mit dem Anfechtungsrecht auf gleicher Stufe stehen. Allerdings hat im Rahmen einer Gegenüberstellung der Prinzipien des Arbeitnehmerschutzes und der Gläubigergleichbehandlung der rechtliche Status quo außerhalb des Insolvenzrechts eine Bedeutung82. Zudem ermöglicht die einfachgesetzliche Ausgestaltung zumindest indirekt einen Rückschluss auf die Konturen des grundrechtlich gebotenen Sonderschutzes, sofern man unterstellt, dass anderenfalls das BVerfG eingegriffen hätte. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf sein Entgelt ist grundsätzlich ein normaler zivilrechtlicher Anspruch, und zwar auch wenn sein Inhalt von kollektiven Regelwerken beeinflusst wird. Der Vergütungsanspruch unterliegt besonderem Schutz. Dem liegt in erster Linie der Gedanke zu Grunde, dass der Arbeitnehmer und seine Familie auf das Arbeitseinkommen als Existenzgrundlage angewiesen sind83. Die wohl wichtigste Ausprägung dieses Gedankens ist der Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen nach §§ 850 ff. ZPO84, der oben bereits angesprochen wurde85. § 850a ZPO erklärt bestimmte Bezüge, etwa Teile von Überstundenvergütungen, Studiengeld oder Blindengeld, für absolut unpfändbar. Zweck der Norm ist es, Anreize für Mehrarbeit aufrecht zu erhalten und aus Billigkeitserwägungen be82

Siehe zu solchen „externen Faktoren“ unten C.IV.2.d)ff). Junker, Arbeitsrecht, Rn. 255; Nikisch, Arbeitsrecht, S. 31, 416; Preis, Arbeitsrecht, S. 403; zum Existenzminimum als Ausprägung des Sozialstaatsgebots siehe BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (373); Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 242, sowie unten C.II.2.b)dd)(1). 84 Nikisch, Arbeitsrecht, S. 31; siehe auch MüKo-ZPO/Smid, § 850 Rn. 2: „erhebliches rechtspolitisches Gewicht“. 85 Siehe oben B.II.5.a)bb). 83

II. Aspekte des Arbeitnehmerschutzes

257

stimmte auf sozialen Gründen basierende Sonderzahlungen dem Arbeitnehmer zu belassen86. In Abstufung dazu schützt § 850b ZPO bestimmte Renten und rentenähnliche Bezüge vor der Pfändung, allerdings nur sofern eine Befriedigung aus dem übrigen Vermögen möglich und die Pfändung nicht unbillig ist (Abs. 2). Die Regelung ist das Ergebnis einer Abwägung zwischen der Existenzsicherung des Schuldners und dem Befriedigungsinteresse des Gläubigers87. Das „Kernstück bei der Erreichung der sozialpolitischen Zielsetzungen der Pfändungsschutzregelungen“88 bilden allerdings die in § 850c ZPO normierten Pfändungsgrenzen für wiederkehrendes Einkommen. Die Pfändungsgrenzen hat der Gesetzgeber dabei pauschaliert und bundeseinheitlich geregelt89. Auch diese Begrenzung der Höhe ist das Ergebnis einer Abwägung zwischen dem Schutz des schuldnerischen Arbeitnehmers und des Gläubigers90. Der Eingriff in die Rechtsposition des Gläubigers ist angemessen, weil jeder Vollstreckung das Risiko eines insolventen Schuldners immanent ist und die Grenze lediglich durch einen Mindeststandard angehoben wird91. Indem § 850c Abs. 2 ZPO über den Grundbetrag hinausgehenden Mehrverdienst dem Arbeitnehmer zum Teil belässt, wird darüber hinaus dessen eigene Motivation zur Steigerung seines Einkommens aufrechterhalten92. Um den Anforderungen des bargeldlosen Zahlungsverkehrs gerecht zu werden, führte der Gesetzgeber im Jahr 2009 das sog. Pfändungsschutzkonto ein93. § 850k Abs. 1 ZPO schützt einen den Freibeträgen des § 850c ZPO entsprechenden monatlichen Betrag vor dem Zugriff der Gläubiger durch Kontenpfändung und begründet damit einen vorgelagerten Pfändungsschutz94. Der in den §§ 850 ff. ZPO gewährte Mindestschutz wird an verschiedenen Stellen durch Regelungen im Schuld- und Insolvenzrecht flankiert95 : § 400 BGB schützt den Arbeitnehmer vor sich selbst, indem er die Abtretung unpfändbarer Forderungen 86 Musielak/Becker, ZPO, § 850a Rn. 1; Saenger/Kemper, § 850a Rn. 1; Nikisch, Arbeitsrecht, S. 424. 87 MüKo-ZPO/Smid, § 850b Rn. 1. 88 MüKo-ZPO/Smid, § 850c Rn. 1. 89 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (373). 90 Nikisch, Arbeitsrecht, S. 420; v. a. auf das Sozialstaatsprinzip abstellend Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 242 f. Im Verhältnis zur Generalklausel des § 765a ZPO ist davon auszugehen, dass nach §§ 850 ff. ZPO zulässige Pfändungen keine besondere Härte begründen (vgl. Saenger/Kindl, § 765a Rn. 3), so dass auf diese Norm nicht näher einzugehen ist. 91 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 243. 92 Musielak/Becker, § 850c Rn. 1; Nikisch, Arbeitsrecht, S. 423 f.; zweifelnd MüKo-ZPO/ Smid, § 850c Rn. 5. 93 Gesetz zur Reform des Kontopfändungsschutzes v. 7. 7. 2009, Inkrafttreten am 10. 7. 2009, BGBl. I 2009, 1707. 94 Saenger/Kemper, § 850k Rn. 2; MüKo-ZPO/Smid, § 850b Rn. 1 f. 95 Zum Folgenden: Junker, Arbeitsrecht, Rn. 255 f.; Nikisch, Arbeitsrecht, S. 434 ff.; Preis, Arbeitsrecht, S. 404 f.

258

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

ausschließt. Ebenso kann nach § 1274 Abs. 2 i.V.m. § 400 BGB der unpfändbare Lohnanteil nicht verpfändet werden. § 394 S. 1 BGB führt zu einem Aufrechnungsverbot für den Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer, wiederum innerhalb der Grenzen der §§ 850 ff. ZPO. Im Rahmen der Privatinsolvenz des Arbeitnehmers fallen die nach §§ 850 ff. ZPO unpfändbaren Lohnanteile nach § 36 Abs. 1 S. 2 InsO nicht in die Insolvenzmasse96. Keine besondere Bedeutung kommt demgegenüber heute dem Lohnschutz durch das sog. Truckverbot nach § 107 Abs. 1 und 2 GewO zu, das den Arbeitgeber zur Befriedigung des Entgeltanspruchs in Euro verpflichtet und einer Ersetzung durch Sachbezüge Grenzen setzt97. Zu bemerken ist allerdings, dass der Gesetzgeber auch in diesem Zusammenhang auf die Pfändungsfreigrenzen zurückgreift, indem er die Überlassung von Waren der Höhe nach auf den pfändbaren Lohnanteil begrenzt (§ 107 Abs. 2 S. 5 GewO). Eine eigenständige Schutzeinrichtung für den Lohnanspruch des Arbeitnehmers bildet das Insolvenzgeld nach den §§ 165 ff. SGB III, das oben dargestellt wurde98. Anders als die soeben beschriebenen Schutznormen beschränkt es sich nicht auf die Sicherung eines Existenzminimums mit Motivationszuschlag, sondern umfasst den vollen Nettolohnanspruch bis zur Höhe der Bemessungsgrenze für maximal drei Monate. Sollte das Insolvenzgeld nur das Existenzminimum sichern, hätte eine Orientierung an den Pfändungsgrenzen nahegelegen. Dementsprechend ergibt sich aus der Begründung zum des Entwurfs eines Gesetzes über das Konkursausfallgeld, dass der Gesetzgeber nicht den Schutz des Existenzminimums anstrebte, sondern eine volle Sicherung des tatsächlichen Anspruchs, weil der Arbeitnehmer diesen erarbeitet habe99. Keine Regelungen des Lohnschutzes im hiesigen Sinne sind die Entgeltfortzahlungstatbestände. Sie gewähren in Abweichung zum Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“100 Vergütungsansprüche, obwohl der Arbeitnehmer keine Leistung erbracht hat. Im Fall der Lohnanfechtung liegt die Sache aber anders, denn der Arbeitnehmer hat geleistet und sein Anspruch besteht grundsätzlich. Gleiches gilt für die vom Sozialgesetzbuch gewährten Leistungen auf Arbeitslosengeld. Aus dem Vorstehenden lässt sich folgende Erkenntnis ziehen: Die Rechtsordnung schützt das Einkommen des Arbeitnehmers grundsätzlich nur in Höhe eines Existenzminimums mit Motivationszuschlag vor dem Zugriff durch den Arbeitgeber, durch Dritte oder auch durch den Arbeitnehmer selbst. Die umfassende An-

96

Vgl. dazu BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (373). Siehe dazu Nikisch, Arbeitsrecht, S. 417 ff.; Preis, Arbeitsrecht, S. 403 f. 98 B.II.2.f). 99 Begr. RegE Gesetz über Konkursausfallgeld, BT-DruckS. 7/1750, S. 12; erstaunlich wenig ergiebig dazu: Grepl, Insolvenzgeld, passim. 100 Siehe dazu Gamillscheg, Arbeitsrecht, S. 325; Preis, Arbeitsrecht, S. 593. 97

II. Aspekte des Arbeitnehmerschutzes

259

spruchssicherung durch das Insolvenzgeld ragt aus dieser Systematik heraus, ist aber zeitlich beschränkt. b) Verfassungsrechtliche Basis Ausdrückliche Regelungen zum Schutz des Lohnanspruchs des Arbeitnehmers oder zur Sicherung seiner Position in der Insolvenz des Arbeitgebers enthält das Grundgesetz, wenig überraschend, nicht. Es gilt daher zu untersuchen, inwieweit sich Vorgaben für einen Sonderschutz aus den Grundrechten oder dem Sozialstaatsprinzip gewinnen lassen101. aa) Art. 1 Abs. 1 GG Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG erklärt die Würde des Menschen für unantastbar. Die Menschenwürde ist das höchste Rechtsgut innerhalb der Verfassung102. Das BVerfG hat dazu die sogenannte Objektformel entwickelt: „Mit ihm [Begriff der Menschenwürde] ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Menschenwürde in diesem Sinne ist nicht nur die individuelle Würde der jeweiligen Person, sondern die Würde des Menschen als Gattungswesen. Jeder besitzt sie, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status.“103

(1) Arbeitsrecht und Menschenwürde In Bezug auf das Arbeitsrecht wurde hieraus insbesondere auf die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und seine Verpflichtung zu menschengerechter Arbeitsgestaltung geschlossen104. Söllner begründete etwa die Betriebsverfassung mit der Schutz der Menschenwürde im Betrieb, weil der Arbeitnehmer sonst „zu einem reinen Produktionsfaktor und zum bloßen Objekt von Leitungs- und Kontrollmaßnahmen herabgewürdigt“ werden könne105. Diese Anwendung des Art. 1 Abs. 1 GG geht zu weit und ist auch nicht erforderlich, da die betroffenen Rechtspositionen über spe-

101 Auf die Frage, inwieweit das Grundgesetz auf zivilrechtliche Normen ausstrahlt, die aus der Zeit vor seinem Inkrafttreten stammen, wird hier nicht näher eingegangen. Im Ergebnis besteht eine solche Wirkung, siehe dazu knapp Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 2 und ausführlich Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 31 ff., 47. 102 BVerfG, Urt. v. 21. 6. 1977 – 1 BvL 14/76, BVerfGE 45, 187 (227); Schmidt-Bleibtreu/ Klein/Hofmann, Art. 1 Rn. 7; v. Münch/Kunig/Kunig, Art. 1 Rn. 4. 103 BVerfG, Beschl. v. 20. 10. 1992 – 1 BvR 698/89, BVerfGE 87, 209 (228); auch BVerfG, Beschl. v. 17. 1. 1979 – 1 BvR 241/77, BVerfGE 50, 166 (175); kritisch zur Objektformel Dreier/ Dreier, Art. 1 I Rn. 53. 104 v. Münch/Kunig/Kunig, Art. 1 Rn. 36 „Arbeitsleben“; Söllner, RdA 1968, 437 (438). 105 Söllner, RdA 1968, 437 (437).

260

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

zifischere Grundrechte, nicht zuletzt die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), geschützt sind. (2) Lohnanfechtung und Menschenwürde In jüngerer Zeit hat Niesert argumentiert, die Lohnanfechtung verstoße generell gegen die Menschenwürde des Arbeitnehmers (Art. 1 Abs. 1 GG), weil sie „die Arbeitskraft und damit den Arbeitnehmer selbst zum bloßen Objekt der Vollstreckung“106 mache. Es trifft zwar zu, dass sich aus Art. 1 S. 2 GG eine Schutzpflicht des Staates für die Menschenwürde ergibt, die auch bei Eingriffen durch Dritte gilt107. Die von Niesert vorgeführte Subsumtion überzeugt aber nicht. Die „normale“ Vollstreckung des Anfechtungsanspruchs findet in den Grenzen der Schuldnerschutzvorschriften und der Pfändungsfreigrenzen statt108. Diese Regelungen sind bereits Ausdruck des Schutzes der Menschenwürde109. Warum die Vollstreckung des Anfechtungsanspruchs innerhalb dieser Grenzen eine Behandlung eines Menschen sein soll, welche die Achtung des Wertes vermissen lässt, die einem jeden Menschen um seiner selbst willen zukomme, bleibt im Dunkeln und wird von Niesert auch nicht vertieft. Der Hinweis ist angebracht, dass bei einer allzu großzügigen Argumentation mit der Garantie der der Menschenwürde deren Bagatellisierung droht110. Der Aspekt der Menschenwürde lässt sich allerdings auch von der leistungsrechtlichen Seite betrachten. Unterstellt man, dass das Anfechtungsrecht in den als Existenzminimum definierten materiellen Mindestbestand des Arbeitnehmers eingreift, könnte ein Ausgleich von staatlicher Seite geboten sein. Das BVerfG hat es zunächst abgelehnt, aus Art. 1 Abs. 1 GG Leistungsrechte abzuleiten111. Im Beschluss zur Hinterbliebenenrente112 führte es aus, dass weder Art. 1 Abs. 1 GG noch Art. 2 Abs. 2 S. 1 ein Grundrecht des Einzelnen auf gesetzliche Regelung von Ansprüchen auf angemessene Versorgung durch den Staat begründeten. Später hat es im Beschluss zur Waisenrente eine Pflicht der staatlichen Gemeinschaft angenommen, die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, ohne allerdings Art. 1 GG zu erwähnen113. Seit der Kindergeldentscheidung stützt das BVerfG die Pflicht des Staates zur Gewähr dieser Mindestvoraussetzungen auf „Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsgrundsatz des Art. 20 Abs. 1 106

Niesert, NZI 2014, 252 (255). Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann, Art. 1 Rn. 3, 8; v. Münch/Kunig/Kunig, Art. 1 Rn. 25. 108 Siehe oben B.II.5.a)bb). 109 Dreier/Dreier, Art. 1 I Rn. 148; v. Münch/Kunig/Kunig, Art. 1 Rn. 36 „Existenzminimum“. 110 Zu dieser Trivialisierung siehe Dreier/Dreier, Art. 1 I Rn. 47 f. 111 Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann, Art. 1 Rn. 42; Sachs/Höfling, Art. 1 Rn. 30. 112 BVerfG, Beschl. v. 19. 12. 1951 – 1 BvR 220/51, BVerfGE 1, 97 (Leitsatz 4). 113 BVerfG, Beschl. v. 18. 6. 1975 – 1 BvL 4/74, BVerfGE 40, 121 (Rn. 44); Sachs/Höfling, Art. 1 Rn. 30. 107

II. Aspekte des Arbeitnehmerschutzes

261

GG“114. Dabei soll der Staat zum einen verpflichtet sein, das Existenzminimum erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern, zum anderen dürfe er dem Bürger das selbst erzielte Einkommen über diese Schwelle hinaus nicht entziehen115. Um den Gehalt des Sozialstaatsgebots nicht vorwegzunehmen, ist auf den genauen Inhalt des Anspruchs auf die Gewährung des Existenzminimums erst später einzugehen116. bb) Art. 12 Abs. 1 GG Als nächstes ist zu fragen, ob sich aus Art. 12 Abs. 1 GG Erkenntnisse für die Zulässigkeit der Lohnanfechtung gewinnen lassen. Nach Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG haben alle Deutschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Das Schutzgut ist in erster Linie die Wahlfreiheit des Einzelnen117. Die Berufsfreiheit wirkt insoweit primär als subjektives Abwehrrecht118. Diese Wahlfreiheit wird durch die Lohnanfechtung nicht tangiert. Allerdings hat das BVerfG im Apothekenurteil ausgeführt: „Art. 12 Abs. 1 schützt die Freiheit des Bürgers in einem für die moderne arbeitsteilige Gesellschaft besonders wichtigen Bereich: er gewährleistet dem Einzelnen das Recht, jede Tätigkeit, für die er sich geeignet glaubt, als ,Beruf‘ zu ergreifen, d. h. zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen.“119

Daraus lässt sich ableiten, dass ein Teilaspekt der Berufsfreiheit darin besteht, dem Einzelnen die Möglichkeit zu geben, die eigene Existenz wirtschaftlich zu sichern120. Im Fall der erfolgreichen Lohnanfechtung entsteht ein Anspruch des Insolvenzverwalters gegen den Arbeitnehmer, wodurch dem Arbeitnehmer trotz des Wiederauflebens seines Entgeltanspruchs (§ 144 Abs. 1 InsO) faktisch121 das als Gegenleistung für seine Arbeit Erlangte entzogen wird.

114 BVerfG, Beschl. v. 29. 5. 1990 – 1 BvL 20/84 u. a., BVerfGE 82, 60 (85); aus jüngerer Zeit v. a. BVerfG, Urt. v. 9.2. 2010 – 1 BvL 1/09 u. a., BVerfGE 125, 175 (222). 115 BVerfG, Beschl. v. 29. 5. 1990 – 1 BvL 20/84 u. a., BVerfGE 82, 60 (85). 116 Siehe unten C.II.2.b)dd)(1). 117 Dreier/Wieland, Art. 12 Rn. 31. 118 Sachs/Mann, Art. 12 Rn. 16; Maunz/Dürig/Scholz, Art. 12 Rn. 47; Dreier/Wieland, Art. 12 Rn. 73. 119 BVerfG, Entsch. v. 11. 6. 1958 – 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377 (397). 120 Badura, in: FS Herschel, S. 20 (24, 33); ders., RdA 1999, 8 (10); Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 253; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 428; Maunz/Dürig/Scholz, Art. 12 Rn. 32. 121 Ries, ZInsO 2012, 1751 (1756) betont zwar zu Recht, dass der Anfechtungsanspruch dem Rechtsgrund der angefochtenen Transaktion grundsätzlich neutral gegenübersteht. Bei grundrechtlicher Betrachtung kann jedoch nicht ausgeblendet werden, dass dem Arbeitnehmer sein Arbeitslohn entzogen wird und er hierfür nur eine meist magere Quotenaussicht erhält.

262

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

In diesem wirtschaftlich-materiellen Bereich ist der Schutzbereich der Berufsfreiheit von der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG abzugrenzen. Das BVerfG hat für diese Abgrenzung einen klaren Maßstab vorgegeben: „Art. 14 Abs. 1 GG schützt das Erworbene, das Ergebnis der Betätigung, Art. 12 Abs. 1 GG dagegen den Erwerb, die Betätigung selbst […]. Greift somit ein Akt der öffentlichen Gewalt eher in die Freiheit der individuellen Erwerbs- und Leistungstätigkeit ein, so ist der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG berührt; begrenzt er mehr die Innehabung und Verwendung vorhandener Vermögensgüter, so kommt der Schutz des Art. 14 GG in Betracht.“122

Die Anfechtung greift nach diesem Maßstab in das Erworbene ein, schmälert hingegen die zukünftigen Chancen des Arbeitnehmers nicht. Art. 12 Abs. 1 GG ist also auch in der Dimension der Existenzsicherung nicht von der Lohnanfechtung berührt. Diesen Befunde stützen weitere Überlegungen zum Schutz der Existenzsicherung123 im Allgemeinen und den Fallgestaltungen bei der Lohnanfechtung im Speziellen: Die Anfechtung greift in aller Regel nur durch, wenn Lohnrückstände entstanden sind, auf die der Arbeitgeber mit Verzögerung zahlt. Da die Sicherung der Existenz durch Arbeitslohn ein kontinuierlicher Vorgang ist, kann die verspätete Zahlung das Problem der Existenzsicherung für den eigentlichen Bedarfszeitraum nicht rückwirkend lösen124. Dementsprechend hat bereits Jaeger darauf hingewiesen, dass sich das Vorrecht der Arbeitnehmer nach § 61 KO 1877 nicht auf den Gedanken der Existenzsicherung stützen lasse, da das Lidlohnvorrecht in die Vergangenheit ziele, während Existenzsicherung immer auf Gegenwart und Zukunft gerichtet sei125. cc) Art. 14 GG Soweit die Lohnanfechtung in „das Erworbene“ eingreift, steht nach der obigen Schutzbereichsabgrenzung des BVerfG eine Verletzung des durch Art. 14 GG geschützten Eigentums im Raum.

122 BVerfG, Entsch. v. 16. 3. 1971 – 1 BvR 52/66 u. a., BVerfGE 30, 292 (335); dazu Maunz/ Dürig/Scholz, Art. 12 Rn. 147. 123 Die Existenzsicherung darf nicht mit dem Schutz des Existenzminimums verwechselt werden. Bei Ersterer geht es um das Ergebnis der Arbeit, bei Letzterem hingegen um einen materiellen Grundbestand, dessen Herkunft unerheblich ist (also aus Arbeit oder sozialrechtlichen Instrumenten). 124 Zum Unterhaltsrecht hat das Reichsgericht (Urt. v. 23. 9. 1885 – Sechster Zivilsenat 139/ 95, Blätter für Rechtsanwendung, Erg. Bd. 14, 1896, S.110 f.) ausgeführt: „Man nimmt an, daß die Noth, in der die Verpflichtung ihren Grund hat, überwunden ist und hinterher nicht mehr abgestellt werden kann […].“ 125 Jaeger, ZZP 50 (1926), 336 (336); vgl. dazu auch Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, S. 165.

II. Aspekte des Arbeitnehmerschutzes

263

(1) Dogmatische Besonderheit Bei Art. 14 GG ist die Besonderheit zu beachten, dass es sich um ein sog. normgeprägtes Grundrecht handelt, dessen Schutzgut von der Legislative durch die Gesetze definiert werden muss (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG)126. Hieraus folgt die Gefahr von Zirkelschlüssen, wenn man die Bindung des Gesetzgebers an einem Schutzbereich zu messen sucht, der von ihm zuvor selbst definiert wurde127. Aus Art. 14 Abs. 1 GG selbst ist zunächst nur die sog. Institutsgarantie zu entnehmen, wonach der Gesetzgeber einen „Kernbereich des Eigentums“ bestimmen und schützen muss128. Zu diesem Kernbereich gehört sowohl die Privatnützigkeit, also die Zuordnung des Eigentumsobjekts zu einem Rechtsträger, dem es als Grundlage privater Initiative von Nutzen sein soll, als auch die grundsätzliche Verfügungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand129. Im über den Kern hinausgehenden Bereich hat der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des BVerfG die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes zu einem gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen130. Dabei steht ihm ein politischer Gestaltungsspielraum zu131. Keine wesentliche Bedeutung kommt im Rahmen von Art. 14 GG der Abgrenzung zwischen der Funktion als Abwehrrecht und der Wirkung als Schutzpflicht zu132. Die Institutsgarantie gewährleistet im Rahmen des Art. 14 GG bereits einen grundlegenden Schutz, der bei anderen Grundrechten erst über die Schutzpflichtenlehre konstruiert werden muss133. (2) Eigentum und Lohnanfechtung Nach nunmehr allgemeiner Ansicht umfasst der Schutzbereich des Art. 14 GG nicht nur das Sacheigentum, sondern diejenigen vermögenswerten Rechtspositionen, 126 v. Münch/Kunig/Kunig, Art. 1 Rn. 47; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 111 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 104 ff.; Dreier/Wieland, Art. 14 Rn. 25. 127 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 112; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 105, 188; Dreier/Weiland, Art. 14 Rn. 126. 128 BVerfG, Beschl. v. 15. 7. 1981 – 1 BvL 77/78, BVerfGE 58, 300 (339); BVerfG, Entsch. v. 18. 12. 1968 – 1 BvR 638/64 u. a., BVerfGE 24, 367 (389); Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 111, 113; Maunz/Dürig/Papier, Art. 14 Rn. 11; Dreier/Weiland, Art. 14 Rn. 125. 129 BVerfG, Beschl. v. 2. 3. 1999 – 1 BvL 7/91, BVerfGE 100, 226 (241); Maunz/Dürig/ Papier, Art. 14 Rn. 14; Dreier/Weiland, Art. 14 Rn. 125. 130 BVerfG, Beschl. v. 2. 3. 1999 – 1 BvL 7/91, BVerfGE 100, 226 (240 f.); v. Münch/Kunig/ Kunig, Art. 1 Rn. 56; Maunz/Dürig/Papier, Art. 14 Rn. 38; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 111; Seuffert, ZIP 1986, 1157 (1158); ausführlich und im Allgemeinen für das Anfechtungsrecht untersucht dies Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 127 ff. 131 BVerfG, Beschl. v. 15. 7. 1987 – 1 BvR 488/86 u. a., BVerfGE 76, 220 (239); BVerfG, Beschl. v. 10. 7. 1958 – 1 BvF 1/58, BVerfGE 8, 71 (79); Dreier/Weiland, Art. 14 Rn. 127. 132 Ausführlich zur Frage, ob normgeprägte Grundrechte überhaupt Schutzpflichten auslösen: Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 186 ff. 133 Dreier/Weiland, Art. 14 Rn. 176.

264

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

die das bürgerliche Recht einem privaten Rechtsträger als Eigentum zuordnet134. Damit ist jede Verkürzung einer vermögenswerten Position zunächst ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 14 GG, auch wenn die Positionen erst durch den Gesetzgeber eingeräumt wurden135. Im Fall der Lohnanfechtung hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Zuge der Lohnzahlung das Geld bereits übereignet oder im Fall einer bargeldlosen Zahlung seinen Auszahlungsanspruch gegen die eigene Bank an die Empfängerbank abgetreten. Hieraus resultiert ein Wertersatzanspruch des Insolvenzverwalters aus § 143 Abs. 1 InsO136. Im Rahmen seiner Realisierung wird auf einzelne Vermögenswerte des Anfechtungsgegners zugegriffen, was einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG konstituiert137. Der durch die Institutsgarantie geschützte Kernbereich des Eigentums ist durch das Anfechtungsrecht hingegen nicht berührt138, weil weder die personelle Zuordnung noch die Veräußerungsbefugnis an sich in Frage gestellt wird. Der Zugriff auf die Eigentumsrechte des Anfechtungsgegners erfolgt nur unter besonderen Voraussetzungen und in abgrenzbaren Konstellationen139. Bei abstrakter Betrachtung kann man feststellen, dass die Anfechtungsvorschriften den Lohnanspruch des Arbeitnehmers insgesamt entwerten, indem sie seine Durchsetzbarkeit beeinträchtigen140. Beispielsweise reduzieren §§ 131, 133 InsO die Chancen des Gläubigers, eine im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Zahlung behalten zu dürfen. Das BAG hat dazu ausgeführt, dass die Lohnforderungen der Arbeitnehmer, wie alle anderen Forderungen auch, von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG geschützt seien; ob durch § 131 InsO ein Eingriff in die Forderung erfolgt, ließ der Sechste Senat allerdings dahinstehen und verwies auf das Wiederaufleben der Forderung nach § 144 Abs. 1 InsO141. Nach der Rechtsprechung des BVerfG sei ein Eingriff in das Eigentum an der Forderung nur anzunehmen, wenn die Forderung wirtschaftlich vollständig entwertet würde142. Bei Lektüre der zitierten Entscheidung ist dort das Kriterium in dieser Schärfe nicht zu finden. Ohnehin ist eine Differenzierung zwischen einer vollständigen und fast vollständigen wirtschaftlichen Entwertung willkürlich. Nach hiesiger Ansicht greifen die Anfechtungsnormen daher in das Eigentum an der betroffenen Forderung ein. Mit dieser Feststellung ist freilich noch nichts über die Zulässigkeit des Eingriffs gesagt. Es lässt 134

BVerfG, Beschl. v. 19. 6. 1985 – 1 BvL 57/79, BVerfGE 70, 191 (199); v. Münch/Kunig/ Bryde, Art. 14 Rn. 12. 135 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 114. 136 Siehe oben B.II.5.a). 137 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 115. 138 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 127. 139 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 127. 140 In diese Richtung wohl: BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, ZInsO 2014, 1108 (1110). 141 BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, ZInsO 2014, 1108 (1110). 142 BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, ZInsO 2014, 1108 (1110) unter Verweis auf BVerfG, Beschl. v. 26. 4. 1995 – 1 BvL 19/94, 1 BvR 1454/94, BVerfGE 92, 262.

II. Aspekte des Arbeitnehmerschutzes

265

sich in diesem Zusammenhang jedenfalls feststellen, dass die §§ 129 ff. InsO den Kernbereich des Eigentums nicht berühren. Maßgeblich für die Bewertung der Lohnanfechtung ist damit die Frage nach einer zulässigen Inhalts- und Schrankenbestimmung oder Enteignungsgrundlage143. Die Abgrenzung dieser beiden Eingriffsarten ist wegen der unterschiedlichen Anforderungen zwar bedeutsam, kann für die Normen der Insolvenzanfechtung allerdings leicht beantwortet werden. Nach der Rechtsprechung des BVerfG zeichnet sich eine Enteignung durch den Entzug konkreter Rechtspositionen aus, die der hoheitlichen Güterbeschaffung dient; ist mit dem Entzug bestehender Rechtspositionen der Ausgleich privater Interessen beabsichtigt, könne es sich demgegenüber nur um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums handeln144. Nach diesem Kriterium sind die Anfechtungsnormen unproblematisch als Inhalts- und Schrankenbestimmungen zu klassifizieren145. Nach Ansicht des BAG „gebieten auch arbeitsrechtliche Besonderheiten keine abweichende Beurteilung.“146 Soweit ersichtlich ist, wird das Gegenteil nicht vertreten. Die Anfechtungsnormen müssen also die Anforderungen an Inhalts- und Schrankenbestimmungen erfüllen. Dazu müssen sie Rücksicht auf den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nehmen und die betroffenen Interessen in einem angemessenen Verhältnis zueinander in Einklang bringen. Inwieweit diese Anforderungen durch die §§ 129 ff. InsO in der Situation der Lohnanfechtung erfüllt sind, kann erst später untersucht werden147, wenn die Hintergründe der Gläubigergleichbehandlung als Gegenpart der Abwägung beleuchtet worden sind. dd) Sozialstaatsprinzip Als allgemeinere Quelle für den Gedanken des Arbeitnehmerschutzes in der Verfassung ist zudem das Sozialstaatsprinzip anzuführen. Das Grundgesetz enthält zwar – aufgrund der bewussten Entscheidung des Verfassungsgebers148 – keine echten sozialen Grundrechte149, wie etwa ein Recht auf Arbeit. Nach der sog. So143

Allgemein für die Anfechtung: Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 115 ff. BVerfG, Beschl. v. 22. 5. 2001 – 1 BvR 1512/97, 1 BvR 1677/97, BVerfGE 104, 1 (9 f.); BVerfG, Urt. v. 23. 11. 1999 – 1 BvF 1/94, BVerfGE 101, 239 (259). 145 BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, ZInsO 2014, 1108 (1110); BAG, Beschl. v. 31. 8. 2010 – 3 ABR 139/09, ZIP 2011, 629 (631); für die Modifizierung von Forderungen durch das Insolvenzrecht allgemein: Seuffert, ZIP 1986, 1157 (1158); ausführlich Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 116 ff m.w.N. 146 BAG, Beschl. v. 31. 8. 2010 – 3 ABR 139/09, ZIP 2011, 629 (631). 147 Siehe unten C.IV.2. 148 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 130; Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-DruckS. 12/6000, S. 75 f. 149 Dreier/Dreier, Vorb. Rn. 81; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 256 f. m.w.N. 144

266

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

zialstaatsklausel in Art. 20 Abs. 1 GG ist die Bundesrepublik Deutschland aber ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Nach Art. 28 Abs. 1 GG muss die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. (1) Inhalt und Wirkung Es ist also zu klären, welche konkreten Inhalte und Wirkungen dem Prinzip entnommen werden können. Nach herrschender Ansicht ist das Sozialstaatsprinzip eine sog. Staatszielbestimmung150. Eine im Jahr 1982 einberufene Sachverständigenkommission zum Thema „Staatszielbestimmungen, Gesetzgebungsaufträge“, definierte den Begriff wie folgt: „Staatszielbestimmungen sind Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die der Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Aufgaben – sachlich umschriebener Ziele – vorschreiben. Sie umreißen ein bestimmtes Programm der Staatstätigkeit und sind dadurch eine Richtlinie oder Direktive für das staatliche Handeln, auch für die Auslegung von Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften.“151

Das Sozialstaatsprinzip ist demnach in erster Linie als Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber zu verstehen152, ohne unmittelbare Handlungsanweisungen zu enthalten153. Badura hat es als „Wegweiser der Politik“ umschrieben154. Es entfaltet insoweit eine objektiv-rechtliche Wirkung und ist nicht nur eine leere Formel oder ein Blankett155. Es ist allerdings festzustellen, dass der Begriff „sozial“ im Wortlaut der Artt. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 GG wenig Anhaltspunkte für die Suche nach dem Gehalt des

150 Badura, DÖV 1989, 491 (493); Dreier/Dreier, Art. 20 (Einführung) Rn. 10; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 143; v. Münch/Kunig/Schnapp, Art. 20 Rn. 55; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 257. 151 SVK Staatszielbestimmungen 1983, Rn. 7; dies bestätigend Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-DruckS. 12/6000, S. 77 f.; so auch Badura, DÖV 1989, 491 (493). 152 SVK Staatszielbestimmungen 1983, Rn. 7; Badura, DÖV 1989, 491 (493); Gamillscheg, Arbeitsrecht I, S. 132; Dreier/Gröschner, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 32; Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann, Art. 14 Rn. 27; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 139; Nikisch, Arbeitsrecht, S. 36 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 257; Münch/Kunig/Schnapp, Art. 20 Rn. 50. 153 BVerfG, Beschl. v. 19. 12. 1951 – 1 BvR 220/51, BVerfGE 1, 97 (105); BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1605); Badura, DÖV 1989, 491 (494); v. Münch/ Kunig/Schnapp, Art. 20 Rn. 55. 154 Badura, DÖV 1989, 491 (492); siehe auch Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 257; Seiler, JZ 2010, 500 (504). 155 Gamillscheg, Arbeitsrecht I, S. 132; Dreier/Gröschner, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 21; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 257; v. Münch/Kunig/Schnapp, Art. 20 Rn. 49.

II. Aspekte des Arbeitnehmerschutzes

267

Prinzips bietet156. Das Prinzip ist in seiner „unbestimmten Vieldeutigkeit“157 „wertausfüllungsbedürftig“158. Das BVerfG führt dazu aus: „Das Sozialstaatsprinzip enthält einen Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber […]. Es verpflichtet ihn, für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze zu sorgen […]. Darüber hinaus gebietet es staatliche Fürsorge für Einzelne oder Gruppen, die aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände oder gesellschaftlicher Benachteiligungen an ihrer persönlichen oder sozialen Entfaltung gehindert sind […]. Wie der Gesetzgeber diesen Auftrag erfüllt, ist mangels näherer Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips seine Sache […].“159

Hieraus lassen sich als programmatische Einzelpunkte der Abbau sozialer Ungerechtigkeit, der Schutz von sozial und wirtschaftlich Schwachen sowie die Herstellung eines materiellen Mindeststandards, der zur Entfaltung von Freiheit erforderlich ist, ableiten160. Ruffert weist zu Recht darauf hin, dass dabei zwei Wirkungsdimensionen zu unterscheiden sind: zum einen das Verhältnis des Einzelnen zum Staat, was in erster Linie die Gewährung von Geld- und Sachleistungen betrifft; zum anderen das Verhältnis zwischen Privaten, wobei es um den Ausgleich sozialer Gegensätze im Sinne einer sozialen Gerechtigkeit geht161. Im Verhältnis des Einzelnen zum Staat ist fraglich, inwieweit das Prinzip den Rückschluss auf konkrete Ansprüche zulässt. Schon aufgrund seiner Unbestimmtheit bildet das Sozialstaatsprinzip kein eigenes Grundrecht und enthält kein subjektives Recht des Einzelnen162. Spiegelbildlich dient es ebenso wenig als Grundlage zur unmittelbaren Beschränkung der Grundrechte163. Allerdings enthalten die sozial ausgerichteten Grundrechte, die Ausprägungen des Sozialstaatsprinzips sind164, eine solche subjektive Dimension165. Der Gehalt des Sozialstaatsprinzips geht aber nicht „über die Summe seiner Einzelausprägungen“166 hinaus. Dementsprechend trägt das Sozialstaatsgebot keinen eigenen Mehrwert, sondern hat „lediglich affirmatorischen Charakter“167. Insbesondere kann dem Sozialstaatsgebot kein Gebot entnommen 156

Zur Kritik an diesem Begriff vgl. Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 73 f. Badura, DÖV 1989, 491 (497). 158 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 134. 159 BVerfG, Beschl. v. 27. 4. 1999 – 1 BvR 2203/93, 1 BvR 897/95, BVerfGE 100, 271 (284). 160 v. Münch/Kunig/Schnapp, Art. 20 Rn. 51; ähnlich in seiner Definition des Sozialstaats: Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 119; siehe auch Dreier/Gröschner, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 37 ff. 161 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 257 f. 162 BVerfG, Beschl. v. 17. 6. 1953 – 1 BvR 668/52, BVerfGE 2, 336 (338 f.); Badura, DÖV 1989, 491 (495); Dreier/Gröschner, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 21; Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Hofmann, Art. 14 Rn. 28; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 139, 143. 163 BVerfG, Beschl. v. 13. 1. 1982 – 1 BvR 848/77 u. a., BVerfGE 59, 231 (263); SchmidtBleibtreu/Klein/Hofmann, Art. 14 Rn. 28. 164 Badura, DÖV 1989, 491 (495); Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 119. 165 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 121. 166 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 138. 167 v. Münch/Kunig/Schnapp, Art. 20 Rn. 55. 157

268

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

werden, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang zur Verfügung zu stellen168. Eine prominente Ausnahme bildet die Gewähr eines materiellen Mindestbestandes, die üblicherweise im Zusammenspiel mit Art. 1 Abs. 1 GG unter dem Stichwort des menschenwürdigen Existenzminimums abgeleitet wird169. Weitgehend ungeklärt ist die Einwirkung des Sozialstaatsgebots auf das Verhältnis zwischen mehreren Privatrechtssubjekten170. Problematisch ist insbesondere, inwieweit sich eine gesetzgeberische Pflicht zum Ausgleich von Ungleichgewichtslagen verfassungsrechtlich mit dem Sozialstaatsprinzip begründen lässt171. Gerade im Bereich des Arbeitsrechts kann man eine Reihe von Schutzvorschriften als Resultat des sozialstaatlichen Gestaltungsauftrags verstehen172. Gleiches wurde ohne nähere Begründung auch für das Recht der Insolvenzanfechtung behauptet173, was aber nicht überzeugt. Es kann zwar angenommen werden, dass dem Insolvenzverfahren insgesamt eine soziale Komponente innewohnt, soweit es im Rahmen von Reorganisationen den Erhalt von Arbeitsplätzen ermöglicht174. Mit dem Anfechtungsrecht hängt diese Dimension allerdings nicht zusammen. Ein sanierungsfreundliches Insolvenzrecht ist theoretisch auch ohne Anfechtungsnormen denkbar. Jedenfalls ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers auf dem Gebiet des Privatrechts besonders weit175, weil stets mehrere Rechtspositionen betroffen sind, die in die Abwägung einfließen. Dabei ergeben sich die betroffenen Rechte, die der Gesetzgeber zu beachten hat, bereits aus den Grundrechtspositionen der einzelnen Betroffenen. Droht ihre Verletzung, kann die Schutzpflichtenlehre mit Bezug auf das einzelne Grundrechtsgut die Erforderlichkeit legislatorischer Maßnahmen stringenter erklären als der Rückgriff auf das unscharfe Sozialstaatsprinzip176. Konkrete Erkenntnisse, wie der Gesetzgeber bestimmte privatrechtliche Konfliktlagen zu lösen hat, können dem Sozialstaatsprinzip in dieser Dimension dem-

168 BVerfG, Beschl. v. 8. 6. 2004 – 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412 (445); Dreier/Gröschner, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 21. 169 Dazu sogleich C.II.2.b)dd)(2). 170 Umfassend dazu Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 219 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 256 ff. 171 Siehe Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 270 ff. 172 Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385 (389); ders., Arbeitsrecht I, S. 132 f. Dreier/ Gröschner, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 42 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht, S. 36. 173 Ohne nähere Begründung: OLG Brandenburg, Urt. v. 21. 3. 2002 – 8 U 32/01, ZInsO 2002, 530 (532); Stiller, ZInsO 2013, 55 (57). 174 Hanau, Gutachten für den 54. Deutschen Juristentag, E 118. 175 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 141; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 258 spricht von einer absoluten Gestaltungsfreiheit. 176 Ähnlich Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 273, der sich allerdings gleichzeitig gegen die Begründung sozialer Mindeststandards aufgrund der Grundrechte ausspricht, ebenda S. 270.

II. Aspekte des Arbeitnehmerschutzes

269

nach nicht entnommen werden177. Anders sah das offenbar der Große Senat des BAG178: In seiner Entscheidung zur Rangordnung der Sozialplanansprüche im Konkurs aus dem Jahr 1978 begründete er die bevorzugte Befriedigung dieser Ansprüche damit, dass eine schlechtere Einordnung der Ansprüche aufgrund ihrer „sozialen Bedeutung mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG) nicht vereinbar“ sei. Das BVerfG kassierte diese Entscheidung, weil das BAG die aus dem Grundsatz der Rechts- und Gesetzesbindung des Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung „eindeutig“ überschritten habe179. Auch für das hier zu behandelnde Thema lassen sich dementsprechend keine konkreten Rechtsfolgen aus dem Sozialstaatsprinzip ableiten: Die Frage nach der Gebotenheit eines Sonderschutzes der Arbeitnehmer vor der Lohnanfechtung kann mit Verweis auf das Sozialstaatsprinzip nicht beantwortet werden. (2) Grundrecht auf Gewährleistung des Existenzminimums Bereits 1956 hatte Dürig den Gedanken entwickelt, dass die Menschenwürde betroffen sei, „wenn der Mensch gezwungen ist, ökonomisch unter Lebensbedingungen zu existieren, die ihn zum Objekt erniedrigen.“180 Aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ließe sich eine Staatspflicht zur Gewährung des Existenzminimums herleiten, womit ein subjektives öffentliches Recht des unverschuldet Hilfsbedürftigen auf Fürsorge korrespondiere181. Es seien nicht nur die zum bloßen körperlichen Überleben erforderlichen Güter erfasst, „sondern auch jene, ohne die ein kulturell-sittliches und religiöses Ausleben der Menschennatur unmöglich ist.“182 Nach anfänglicher Zurückhaltung183 hat sich das BVerfG dieser Ansicht angeschlossen184 und rekurriert nunmehr zur Begründung ebenfalls auf die Garantie der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG185 und das Sozialstaatsprinzip186. Es schuf damit eine Ausnahme von der sonst eher abstrakten Handhabung des Sozialstaats177 Entsprechend für das Privatrecht im Allgemeinen: Badura, DÖV 1989, 491 (494); Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 258, 270 ff. 178 BAG – Großer Senat –, Beschl. v. 13. 12. 1978 – GS 1/77, BAGE 31, 177 ff. 179 BVerfG, Beschl. v. 19. 10. 1983 – 2 BvR 485/80, 2 BvR 486/80, BVerfGE 65, 182 (191). 180 Dürig, AöR 81 (1956), S. 117 (131), Hervorhebung im Original; aus dieser Zeit ähnlich auch BVerwG, Urt. v. 24. 6. 1954 – V C 78.54, BVerwGE 1, 159 (161 f.). 181 Dürig, AöR 81 (1956), 117 (132); die Sicherung eines „sozialen Minimums“ leitete auch Gamillscheg aus dem Sozialstaatsprinzip ab, Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385 (389). 182 Dürig, AöR 81 (1956), 117 (142). 183 Überblick zur Entwicklung oben C.II.2.b)aa)(2). 184 Grundlegend BVerfG, Beschl. v. 29. 5. 1990 – 1 BvL 20, 26, 184, 4/86, BVerfGE 82, 60 (80, 85). 185 Siehe oben C.II.2.b)aa). 186 Siehe oben C.II.2.b)dd).

270

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

begriffs. Dieser Rechtsprechung liegt der Gedanke zugrunde, dass die Ausübung der grundrechtlich verbürgten Freiheiten überhaupt erst möglich ist, wenn der Einzelne über einen materiellen Grundbestand zum Selbsterhalt verfügt187. Im Urteil zum Hartz IV-Regelsatz aus dem Jahr 2010 sprach das BVerfG erstmals von einem „Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“188. Art. 1 Abs. 1 GG begründe durch die Pflicht des Staats zum Schutz der Menschenwürde den Anspruch, während das Sozialstaatsgebot dem Gesetzgeber den Auftrag erteile, jedem ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern; dabei komme dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum bei den unausweichlichen Wertungen zu, die mit der Bestimmung der Höhe des Existenzminimums verbunden seien189. Es soll sich dabei um ein neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG eigenständiges Grundrecht190 handeln und unverfügbar sein, allerdings der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber bedürfen191. Der Leistungsanspruch erstrecke sich nicht nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind; das Existenzminimum müsse auch die Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfassen192. Der konkrete Umfang des Anspruchs hinge von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab; komme der Gesetzgeber seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Bestimmung dieses Existenzminimums nicht hinreichend nach, sei das einfache Recht im Umfang seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig193. Aufgrund des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers sei die Kontrolle durch das BVerfG auf die Prüfung beschränkt, ob die Leistungen evident unzureichend seien194. Das so umrissene Existenzminimum ist in zwei Dimensionen relevant: Es bildet zum einen die Vorgabe für ein Mindestmaß verfassungsrechtlich gebotener Leistungen des Staats (status positivus). Zum anderen definiert es einen Mindestbestand, der vor dem staatlichen Zugriff zu schützen ist (status negativus), was bislang vor 187

Andeutungsweise BVerfG, Beschl. v. 29. 5. 1990 – 1 BvL 20, 26, 184, 4/86, BVerfGE 82, 60 (80, 85); Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 100; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 266. 188 BVerfG, Urt. v. 9.2. 2010 – 1 BvL 1/09 u. a., BVerfGE 125, 175 (222); dazu ausführlich Seiler, JZ 2010, 500 ff.; bestätigt durch BVerfG, Urt. v. 18.7. 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, BVerfGE 132, 134 ff. 189 BVerfG, Urt. v. 9.2. 2010 – 1 BvL 1/09 u. a., BVerfGE 125, 175 (222). 190 In der Literatur wurde die Entscheidung unterschiedlich aufgenommen, siehe dazu Sachs/Höfling, Art. 1 Rn. 32 m.w.N. 191 BVerfG, Urt. v. 9.2. 2010 – 1 BvL 1/09 u. a., BVerfGE 125, 175 (222). 192 BVerfG, Urt. v. 9.2. 2010 – 1 BvL 1/09 u. a., BVerfGE 125, 175 (223). 193 BVerfG, Urt. v. 9.2. 2010 – 1 BvL 1/09 u. a., BVerfGE 125, 175 (224). 194 BVerfG, Urt. v. 9.2. 2010 – 1 BvL 1/09 u. a., BVerfGE 125, 175 (225 f.).

II. Aspekte des Arbeitnehmerschutzes

271

allem für steuerrechtliche Fragestellungen relevant war195. Der Grund der Notlage ist unerheblich. Der Anspruch gegen den Staat besteht auch, wenn der Eingriff eines Dritten die existenzbedrohende Situation auslöst196. Dementsprechend lässt sich den Ausführungen des BVerfG eine Geltung des neuen Grundrechts nur in der Dimension zwischen dem Einzelnen und dem Staat entnehmen, nicht aber für den Bereich der Güterverteilung zwischen Privaten197. Der Schutz vor dem staatlichen Zugriff auf das Existenzminimum wirkt dennoch in der Gestalt der Vorschriften zum Vollstreckungsschutz (§§ 811 ff., 850 ff. ZPO) bedeutsam auf den Privatrechtsverkehr ein198. Ruffert weist allerdings zu Recht darauf hin, dass von einer Existenzsicherung durch Aufgabenprivatisierung in diesem Sinne nicht die Rede sein könne, weil sich der Vollstreckungsschutz gerade gegen den staatlichen Eingriff in Gestalt des Vollstreckungsakts richte und nicht gegen das Privatrechtssubjekt, zu dessen Gunsten die Vollstreckung stattfinde199. Eher nebenbei wies das BVerfG im Hartz IV-Urteil auf einen Aspekt hin, der auch für das hiesige Thema bedeutsam ist: Im Zusammenhang mit der ständigen Aktualisierung des Bedarfs führte es aus, dass „der elementare Lebensbedarf eines Menschen grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden kann, in dem er besteht“200. Angesprochen ist damit der Grundsatz in praeteritum non vivitur (lat. in der Vergangenheit wird nicht gelebt), der vor allem als Grundsatz im Unterhaltsrecht eine Rolle spielt201. (3) Existenzminimum und Lohnanfechtung Welche Schlüsse lassen sich danach aus dem grundrechtlichen Schutz des Existenzminimums für das Thema der Lohnanfechtung ziehen? Nach den soeben dargestellten Dimensionen der Gewährleistung kommt einerseits ein negativer Schutz vor dem Zugriff auf das Existenzminimum in Betracht und anderseits ein positiver Anspruch auf ausgleichende staatliche Leistungen im Falle eines bereits erfolgten Eingriffs. (a) Negativer Schutz Im Sinne eines negativen Schutzes hat auch das BAG in einem umfangreichen obiter dictum für Fälle von kongruenten Deckungen erwogen, das „im Entgelt enthaltene Existenzminimum“ durch eine verfassungskonforme Auslegung der 195 BVerfG, Beschl. v. 20. 8. 1997 – 1 BvR 1300/89, juris; BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (373); Sachs/Höfling, Art. 1 Rn. 34; Seiler, JZ 2010, 500 (503). 196 Sachs/Höfling, Art. 1 Rn. 51. 197 Aus der Zeit vor dem Hartz IV-Urteil: Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 266. 198 Medicus, AcP 192 (1992), 35 (66); Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 341. 199 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 341. 200 BVerfG, Urt. v. 9.2. 2010 – 1 BvL 1/09 u. a., BVerfGE 125, 175 (225). 201 MüKo-BGB/Born, § 1613 Rn. 1.

272

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

§§ 129 ff. InsO von der Anfechtung auszunehmen202. Der Gesetzgeber habe bei der Abschaffung des Arbeitnehmerprivilegs möglicherweise das Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht hinreichend berücksichtigt203. „In Wechselwirkung mit dem durch Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG gewährleisteten Recht auf persönliche Entfaltung im vermögensrechtlichen und beruflichen Bereich“ verbiete dieses Grundrecht dem Staat auch, auf den Kernbestand des selbst erzielten Einkommens zuzugreifen204. Bei der Durchsetzung des Anfechtungsanspruchs sei das aktuelle Existenzminimum durch das geltende Vollstreckungsrecht geschützt; es sei fraglich, ob für die verfassungsrechtliche Beurteilung danach differenziert werden könne, ob der Zugriff auf das Existenzminimum sofort oder nachgelagert erfolge205. Diese Argumentation und ihr Resultat, nämlich eine betragsmäßige Reduzierung möglicher Lohnanfechtungsansprüche, wirken zunächst nicht abwegig. Bei näherer Betrachtung zeigen sich jedoch einige Widersprüche zu den vom BVerfG gestalteten Konturen des Grundrechts auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Zunächst ist festzustellen, dass eine derartige Kappung des Anfechtungsanspruchs zu Lasten der übrigen Gläubiger ginge und faktisch zu einer Umverteilung führen würde. Eine solche Wirkung zwischen Privaten hat das BVerfG dem Grundrecht auf das Existenzminimum aber gerade nicht zugewiesen, sondern es nur im Verhältnis des Einzelnen zum Staat beschrieben. In seiner Folgeentscheidung vom 10. Juli 2014 wandte sich auch der BGH in ähnlicher Weise gegen die Ideen des BAG: Es sei nicht Aufgabe der Gläubigergemeinschaft, sondern des Staates, etwaige durch eine Insolvenz zu Lasten bestimmter Gläubiger hervorgerufene unzumutbare Härten auszugleichen206. Das Sozialstaatsprinzip könne „bereits im Ansatz nicht zur Korrektur jeglicher hart oder unbillig erscheinender Einzelregelungen dienen.“207 Das Sozialstaatsprinzip enthalte infolge seiner Weite und Unbestimmtheit keine unmittelbaren Handlungsanweisungen, die durch die Gerichte ohne gesetzliche Grundlage in einfaches Recht umgesetzt werden könnten208. 202 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (373 ff.); vorsichtig zustimmend: Huber, EWiR 2014, 291 (292); kritisch Klinck, AP InsO § 133 Nr. 2 (sub. II.). Das obiter dictum fiel außergewöhnlich umfangreich aus. Lütcke sieht darin zutreffend eine deutliche Positionierung des BAG, sowie eine „Segelanleitung“ für die Instanzgerichte, Lütcke, NZI 2014, 350 (351). 203 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (373). 204 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (373). 205 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (373 f.). 206 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1604) unter Bezugnahme auf Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1675); Ganter, ZIP 2012, 2037 (2044); Plathner/Sajogo, ZInsO 2012, 581 (584;) Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (627); Huber, ZInsO 2013, 1049 (1053); Lütcke, NZI 2014, 350 (351). 207 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1606). 208 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1605).

II. Aspekte des Arbeitnehmerschutzes

273

Außerdem ist zu beachten, dass die Schuldnerschutzvorschriften der ZPO bereits das Existenzminimum des Anfechtungsgegners schützen209. Sollte ausnahmsweise ein Anfechtungsanspruch bestehen, obwohl der Arbeitnehmer die Lohnzahlungen pünktlich erhalten hat, ist für ihn in der Vergangenheit keine Lücke entstanden und sein aktuelles Existenzminimum ist durch die ZPO hinreichend geschützt. Gingen der angefochtenen Transaktion längere Lohnrückstände voraus, kann die spätere Reduzierung des Anfechtungsanspruchs die eigentliche Gefährdung für das Existenzminimum nicht mehr beseitigen: Diese liegt in der Vergangenheit, nämlich in dem Zeitraum, in dem der Arbeitnehmer keinen Lohn erhalten hat. Nach den oben bereits wiedergegebenen Ausführungen des BVerfG zum Existenzminimum kann „der elementare Lebensbedarf eines Menschen grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden […], in dem er besteht“210. Ein rückwirkender Schutz des Existenzminimums lässt sich mit den von BVerfG dargelegten Grundsätzen demnach nicht begründen. Das BAG hat in einer kurz darauf ergangenen Entscheidung selbst dargelegt, dass der Gesetzgeber seinem dem Sozialstaatsprinzip zu entnehmenden Auftrag, soziale Sicherungssysteme gegen die Wechselfälle des Lebens zu schaffen, für Fälle, in denen der Arbeitnehmer in der kritischen Zeit des § 131 InsO erhebliche Entgeltrückstände im Wege der Zwangsvollstreckung beitreibt, genügt habe211. Bei längeren Lohnrückständen sei dem Arbeitnehmer zuzumuten, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, um sodann seine Ausfälle über das Arbeitslosengeld und Insolvenzgeld zu minimieren212. Als Zwischenergebnis ist festzustellen, dass sich eine Reduzierung des Anfechtungsanspruchs aufgrund des aus Art. 1 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip folgenden Grundrechts auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht konsistent begründen lässt. (b) Positiver Schutz In Betracht kommt weiterhin ein Leistungsanspruch gegen den Staat aus dem Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Ist der Arbeitnehmer im Zeitpunkt, in dem die Anfechtung durchgesetzt wird, auf staatliche Leistungen angewiesen, kann er diese unter den allgemeinen Voraussetzungen beziehen. Die empfangenen Leistungen sind durch das Vollstreckungsrecht vor der Reduzierung auf ein Niveau unterhalb des Existenzminimums geschützt213. Fraglich kann also nur sein, ob das Existenzminimum gleichsam in der Rückschau, nämlich für den Zeitraum, für den das angefochtene Entgelt gezahlt wurde, durch staatliche Leistungen zu gewährleisten ist. Auch in der leistungsrechtlichen Di209 Klinck, DB 2014, 2455 (2462); ders., AP InsO § 133 Nr. 2 (sub. II.); Lütcke, NZI 2014, 350 (351). 210 BVerfG, Urt. v. 9.2. 2010 – 1 BvL 1/09 u. a., BVerfGE 125, 175 (225). 211 BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, ZInsO 2014, 1108 (1111). 212 BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, ZInsO 2014, 1108 (1111). 213 Siehe oben B.II.5.a)bb).

274

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

mension ist die Gegenwartsbezogenheit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu berücksichtigen. Das BVerfG betrachtet bei der Frage nach dem Anspruch auf das Existenzminimum, wie gesehen, nur den aktuellen Bedarf. Bestanden in der Vergangenheit Lohnrückstände, ist dieser Bedarfszeitraum bereits abgeschlossen und irrelevant. Die Konsequenz eines vollen und kompensationslosen Zugriffs des Insolvenzverwalters mag in Konstellationen der Lohnanfechtung hart sein. Sie ist aber in der Konzeption des Existenzminimums als Minimalschutz angelegt. Anderenfalls würde unter Verweis auf das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums eine Art Grundeinkommen geschützt, ohne dass es auf die Bedürftigkeit des Begünstigten ankäme. (4) Zwischenergebnis Im Ergebnis lässt sich für das Problem der Lohnanfechtung wenig Erkenntnisgewinn aus dem Sozialstaatsprinzip ziehen. Konkrete Rechte können ihm nur in seiner Konkretisierung als Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums entnommen werden. Der dadurch gewährleistete Schutz ist aber gegenwartsbezogen und zwingt weder zu einer Beschneidung des Anfechtungsanspruchs noch zur Gewähr kompensatorischer staatlicher Leistungen. 3. Fazit zum Arbeitnehmerschutz Nach der vorstehenden Untersuchung ist festzustellen, dass allein die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG eine rechtlich konkret handhabbare Aussage zum verfassungsrechtlichen Schutz des Arbeitnehmers bei der Lohnanfechtung enthält: Die Anfechtungsnormen greifen in zweierlei Form in die Position des Arbeitnehmers ein: Zum einen entwerten sie abstrakt die Lohnforderung des Arbeitnehmers. Zum anderen ermöglichen sie den Zugriff auf konkrete Vermögensgegenstände des Arbeitnehmers. Fraglich ist also, ob die §§ 129 ff. InsO die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Inhalts- und Schrankenbestimmungen i.S.d. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG erfüllen. Mit dem hiesigen Fazit, dass Menschenwürdegarantie, Berufsfreiheit, Sozialstaatsgebot und das neue Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums keine zwingenden Aussage zur Unzulässigkeit der Lohnanfechtung enthalten, ist allerdings keineswegs gesagt, dass ein weitergehender Schutz der Arbeitnehmer nicht gesetzlich zulässig oder sogar rechtspolitisch wünschenswert ist.

III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung

275

III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung Der Gesetzgeber begründete die Abkehr von einem sozialen Sonderschutz der Arbeitnehmer innerhalb der Insolvenzordnung mit dem Ziel, den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung zu stärken214. Bevor geklärt werden kann, wie die Spannung zwischen dem oben dargestellten Eingriff in die Eigentumsposition des Arbeitnehmers und dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung aufzulösen ist, müssen Inhalt und Wirkung dieses Grundsatzes betrachtet werden. Die insolvenzrechtliche Literatur ist gespickt von Bekenntnissen zum Grundsatz der par condicio creditorum: Er wird bezeichnet als Grundprinzip des Insolvenzverfahrens215, als der tragende Gedanke und das Kernstück des Konkursrechts216, als wichtigster Grundsatz des Insolvenzrechts217, als unbestrittener alleiniger oberster Konkursgrundsatz218 oder als Grundgesetz des Konkurses219. Smid sieht ihn als Voraussetzung und Leistung eines jeden funktionstüchtigen Insolvenzrechts220. Hanisch meint, er sei „für jede Form der Insolvenzbereinigung als Ausgangspunkt zeitlos und unverzichtbar“221. Andere Stimmen schätzen die Bedeutung der par condicio creditorum hingegen geringer ein: Henckel stellt fest, „daß der Gleichbehandlungsgrundsatz des Insolvenzrechts kein absolutes Prinzip“ sei, weil auch im Konkurs Ungleiches ungleich zu behandeln sei222. Flessner sah vor dem Hintergrund der Konkursordnung und deren strikter Rangordnung die Geltung der Gläubigergleichbehandlung an sich als sehr eingeschränkt an223. Die Durchbrechungen für dinglich gesicherte Gläubiger entsprächen den Erfordernissen der realen Wirtschaft und müssten auch in der Insolvenz akzeptiert werden; für Sanierungsverfahren bedeute das den „Abschied von der par conditio creditorum“224. Auch Klinck meint, der Wert des Grundsatzes sei nicht sehr groß, da er sowieso nur dort greife, wo nicht aus abweichenden Regelungen aus der Zeit vor der Insolvenz etwas anderes gelte, vor allem aufgrund bestellter Sicher214

Siehe oben B.I.2.h)bb)(2). v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 11; Berges, KTS 1957, 49 (56); Pfefferle, Konkursanfechtung, S. 57. 216 BGH, Urt. v. 20. 1. 2000 – IX ZR 58/99, BGHZ 143, 332 (Rn. 12); BGH, Urt. v. 13. 7. 1983 – VIII ZR 246/82, BGHZ 88, 147 (151); Böhle-Stamschräder, KTS 1959, 66 (68); Eichberger, Konkursanfechtung, S. 2; Killinger, Insolvenzanfechtung, S. 56. 217 R. H. Schmidt, AG 1981, 35 (37); Berges, KTS 1957, 49 (56); Bauer, Ungleichbehandlung, S. 1. 218 Berges, in: FS 100 Jahre KO, S. 363 (372). 219 Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, S. 164. 220 Smid, DZWIR 2011, 133 (134). 221 Hanisch, ZZP 90 (1977), 1(4); Pfefferle, Konkursanfechtung, S. 131. 222 Henckel, in: FS Uhlenbruck, S. 19 (30); ähnlich Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 12 Rn. 10. 223 Flessner, ZIP 1981, 113 (117 f.). 224 Flessner, ZIP 1981, 113 (118). 215

276

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

heiten225. Noch deutlicher wird Knospe: Er hält den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung für eine „Monstranz“, die die Insolvenzrechtler gleich einem „Zauberstab“ hervorholten, wenn es gelte, Kritik am Insolvenz- und Insolvenzanfechtungsrecht abzuwehren226. Die Verankerung dieses Grundsatzes sei in der Insolvenzordnung „allenfalls beiläufig und oberflächlich erfolgt.“227 Knospe misst der par condicio insgesamt eine geringe Bedeutung bei und begründet diese Einschätzung primär damit, dass die Konturen und der Adressatenkreis des Grundsatzes weitgehend im Unklaren lägen und sich einer klaren rechtlichen Bestimmung entzögen228. Vorsichtiger geht Bauer vor; er leitet seine Untersuchung des Gleichbehandlungsgrundsatzes mit der Frage ein, ob die Gläubigergleichbehandlung im Insolvenzverfahren überhaupt als geboten gelten müsse229. Auch wenn das der Fall sei, stünden die Inhalte und Grenzen noch nicht fest. Ein striktes Gebot der absoluten Gleichbehandlung sei nicht die einzig denkbare Möglichkeit; ebenso käme beispielsweise in Betracht, lediglich ein Willkürverbot anzunehmen. Erst die Feststellung des konkreten Inhalts ermögliche eine Untersuchung, welche Anforderungen an Durchbrechungen zu stellen seien230. Dieser differenzierten Ansicht ist zuzustimmen. Nur der genaue Blick auf den Gehalt des Grundsatzes kann seine Reichweite und Bedeutung offenlegen. Daher ist die par condicio creditorum im Folgenden zu untersuchen. Die Darstellung soll sich auf das Wesentliche beschränken, auch wenn die vorhandenen Auseinandersetzungen mit dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung genug Stoff für weitaus umfangreichere Reflexionen böten231.

1. Vorbemerkung: Zweistufigkeit der par condicio creditorum Um die Klarheit der folgenden Untersuchung zu erhöhen, muss vorab auf die zwei Schichten des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes hingewiesen werden. Diese Differenzierung geht auf Häsemeyer232 zurück und wurde in jüngeren wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit der par condicio creditorum übernommen233. 225

Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 64 f. Knospe, ZInsO 2014, 861 (861). 227 Knospe, ZInsO 2014, 861 (867). 228 Knospe, ZInsO 2014, 861 (869 f.). 229 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 62. 230 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 62; ähnlich Berges, in: FS 100 Jahre KO, S. 363 (372). 231 Siehe etwa allein zu diesem Thema Weiland, Par condicio creditorum, passim; für Europa: Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, passim. 232 Häsemeyer, ZZP 107 (1994), 111 (116); ders., Insolvenzrecht, Rn. 2.13 ff. 233 Bork, ZIP 2014, 797 (798); Knospe, ZInsO 2014, 861 (865 ff.); Weiland, Par condicio creditorum, S. 12 ff.; Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 75 ff., 181 ff. 226

III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung

277

Danach bezieht sich die Gleichbehandlung in einer ersten Stufe auf die Chancengleichheit bei der Rechtsdurchsetzung, während es auf der zweiten Stufe um die Gleichmäßigkeit oder Proportionalität der Befriedigung geht. a) Chancengleichheitsprinzip Die erste Schicht, die Häsemeyer als die Chancengleichheit der Gläubiger bezeichnet, drückt sich in erster Linie durch die Ablösung des grundsätzlich geltenden Prioritätsprinzips durch die strengeren Regeln der Gesamtvollstreckung bei der Verfahrenseröffnung aus: Der einzelne Gläubiger kann nicht mehr auf Kosten der Gläubigergesamtheit vom Schuldner Sicherheiten oder Befriedigung erlangen234. Der Übergang zu einer gesetzlichen Haftungsordnung bewirkt eine Angleichung der Kraftverhältnisse der Gläubiger bei der Rechtsdurchsetzung235 und hat eine friedensstiftende Funktion236. Das Prinzip der Chancengleichheit bei der Haftungsverwirklichung bildet jedoch keinen Maßstab dafür, wie die Gleichbehandlung bei der Verteilung auszugestalten ist237, d. h. insbesondere ob und wann Vorrechte einzelner Gläubiger gerechtfertigt sind. Diese erste Stufe ist eine Grundvoraussetzung für die zweite Stufe eines gerechten Verteilungsprinzips238. Ohne ein solch ordnendes Element, das die Zugriffsmöglichkeiten der Gläubiger kanalisiert, kann eine Verteilung – unabhängig davon wie sie ausgestaltet ist – nicht sinnvoll erfolgen. b) Verteilungsprinzip Auf der zweiten Stufe geht es um Gleichbehandlung in Gestalt von Gleichmäßigkeit. Die par condicio creditorum wirkt in dieser Dimension als Verteilungsprinzip239. Häsemeyer bezeichnet diesen Aspekt auch als materielle Gläubigergleichbehandlung240. Es geht dabei um die Frage, wie die Positionen der Gläubiger untereinander und gegenüber dem Schuldner konkret ausgestaltet sind oder sein sollten. Die Antwort auf diese Frage sollte auch erklären, welche Privilegien im Konkurs als Durchbre234

Häsemeyer, ZZP 107 (1994), 111 (116); ders., Insolvenzrecht, Rn. 2.13 ff.; Weiland, Par condicio creditorum, S. 12, 21; Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 76; Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 324 spricht von einem „Ordnungsprinzip“. 235 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.14; Weiland, Par condicio creditorum, S. 14. 236 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.01, 2.13; Weiland, Par condicio creditorum, S. 10; Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 76. 237 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.14. 238 Weiland, Par condicio creditorum, S. 15. 239 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 5.36; Häsemeyer, KTS 1982, 507 (515); Weiland, Par condicio creditorum, S. 14; Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 77; ausführlich zum Verteilungsaspekt: Garrido, International Insolvency Review 1995, 25 ff. 240 Häsemeyer, ZZP 107 (1994), 111 (116).

278

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

chungen der Gleichbehandlung anzuerkennen sind, was insbesondere dingliche Vorrechte betrifft241. Angesprochen ist damit eine mögliche Rangordnung bei der Befriedigung242. Nach Häsemeyer gehört auch die Frage, in welchem Umfang die Gläubigergleichbehandlung sich durch die Insolvenzanfechtung in den vorgelagerten Zeitraum erstrecken soll, zur zweiten Schicht243. Wiórek hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Anfechtung auf der ersten Stufe zur Chancengleichheit beiträgt, indem sie bestimmte Akte der Einzelbefriedigung im Vorfeld des Insolvenzverfahrens revidiert244. Auf die Zuordnung der Insolvenzanfechtung ist später noch einzugehen245. Während auf der ersten Stufe das rein formelle Kriterium des Übergangs in ein Gesamtvollstreckungsverfahren entscheidend ist, spielt auf der zweiten Stufe auch ein Element der Abwägung eine Rolle, bei dem auch besondere Eigenschaften der Gläubiger(gruppen) zu berücksichtigen sind, z. B. besondere Schutzbedürftigkeit246. c) Bewertung Die von Häsemeyer entwickelte Differenzierung der beiden Stufen ist für das Verständnis der par condicio creditorum sehr hilfreich und trägt zur Klarheit im wissenschaftlichen Diskurs bei. Für die vorliegende Arbeit sind beide Stufen von Interesse. Das Prinzip der Chancengleichheit kann möglicherweise erklären, warum die Befriedigung des Arbeitnehmers revidiert wird. Die zweite Stufe hingegen kann für die Frage fruchtbar gemacht werden, inwieweit im Rahmen dieses Rückgriffs und der anschließenden Verteilung eine Sonderbehandlung der Arbeitnehmer zu rechtfertigen ist. Wie die beiden Stufen dogmatisch zu begründen sind, wird unterschiedlich beantwortet, worauf später einzugehen ist247. 2. Einfachgesetzliche Basis der Gläubigergleichbehandlung Eine erste Aussage über die tatsächliche Bedeutung des Gläubigergleichbehandlungsprinzips erlaubt einen Blick auf seine Verwirklichung innerhalb des geltenden Insolvenzrechts248.

241

Häsemeyer, ZZP 107 (1994), 111 (116). Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 78. 243 Häsemeyer, ZZP 107 (1994), 111 (116). 244 Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 77. 245 Siehe unten C.III.2.b). 246 Weiland, Par condicio creditorum, S. 87; Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 77. Häsemeyer, KTS 1982, 507 (517) stellt in der Konsequenz seines dogmatischen Konzepts hingegen auf einen „Einfluss- oder Verwantwortungsausgleich“ ab, dazu unten C.III.3.c). 247 Siehe unten C.III.3. 248 Zur Konkursordnung vgl. Hueck, Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 74 ff. 242

III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung

279

a) Insolvenzordnung § 1 Satz 1 InsO legt fest, dass das Insolvenzverfahren dazu dient, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen. Hierin wird teilweise die grundlegende Verankerung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für das Insolvenzrecht gesehen249. Allerdings weisen andere Autoren zu Recht darauf hin, dass sich aus diesem Programmsatz zunächst nur eine „gemeinschaftliche Befriedigung“ entnehmen lasse, die sich in der Ablösung des Prioritätsgrundsatzes ausdrücke250. Ob die gemeinsame Befriedigung auch eine gleichmäßige Befriedigung sein muss, lässt der Wortlaut offen251. Er enthält allerdings einen Hinweis auf eine Wirkung der Gemeinsamkeit im Rahmen der Verteilung. Mangels abweichender Angaben ist es naheliegend, sie als gleichmäßige Verteilung zu verstehen. Die proportionale Verteilung ist damit das Regelkonzept252 im Insolvenzverfahren. Diese Auslegung stützt auch die klare gesetzgeberische Konzeption, die Gleichbehandlung der Gläubiger durch die Einführung der Insolvenzordnung zu stärken253. Über jeden Zweifel erhaben ist die Ansicht, in § 1 InsO sei die Gleichbehandlung kodifiziert, dennoch nicht. Die gesamte Insolvenzordnung ist vom Prinzip der Gleichbehandlung der Gläubiger durchwoben254, der Grundsatz ist „allgegenwärtig“255. Ausprägungen des Chancengleichheitsprinzips sind dabei unter anderem die Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren (§ 21 InsO)256, das Verfügungsverbot des Insolvenzschuldners (§ 80 Abs. 1 InsO), die Rückschlagsperre (§ 88 InsO)257, das Vollstreckungsverbot (§ 89 InsO)258, die Zuweisung bestimmter Ansprüche zur Masse (§ 92 InsO) und die

249 MüKo-InsO/Ganter/Lohmann, § 1 Rn. 52; HmbKomm/A. Schmidt, § 1 Rn. 17; K. Schmidt/K. Schmidt, § 1 Rn. 5; Windel, JURA 2002, 230 (231). 250 Jaeger/Henckel § 1 Rn. 6; Knospe, ZInsO 2014, 861 (863); Weiland, Par condicio creditorum, S. 10. 251 Bork, ZIP 2014, 797 (798) meint, man könne, müsste das aber nicht so verstehen. 252 K. Schmidt/K. Schmidt, § 1 Rn. 5; Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 8 spricht von der „Leitidee“. 253 So auch Meier, Privilegien des Fiskus, S. 45 f. unter Verweis auf Begr. RegE InsO, BTDruckS. 12/2443, S. 81; a.A. Knospe, ZInsO 2014, 861 (863). Siehe zum Reformziel der gestärken Gleichbehandlung oben B.I.2.h)bb)(2). 254 Zu den einfachgesetzlichen Ausprägungen der par condicio in der InsO ausführlich Meier, Privilegien des Fiskus, S. 45 ff.; Hermreck, Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz, passim. Jeweils mit Bezug auf die höchstrichterliche Rechtsprechung Bork, ZIP 2014, 797 (798 f.). Anders Knospe, ZInsO 2014, 861 (863 f.), der die Gleichbehandlung nicht als allgemeines Prinzip des Verfahrens ausmachen kann. 255 Häsemeyer, KTS 1982, 507 (509). 256 Weiland, Par condicio creditorum, S. 94. 257 Weiland, Par condicio creditorum, S. 93. 258 Während der Wohlverhaltensperiode im Restschuldbefreiungsverfahren § 294 Abs. 1 InsO.

280

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

Einschränkungen der Aufrechnung (§§ 94 ff. InsO)259. Dementsprechend legt der BGH aufgrund des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes massemindernde Regelungen grundsätzlich eng und masseerhaltende Vorschriften weit aus260. Aber auch die Gleichbehandlung im Sinne von Proportionalität261 ist an verschiedenen Stellen der Insolvenzordnung verankert: Die quotale Befriedigung der Insolvenzgläubiger ergibt sich aus der Zusammenschau der §§ 38, 174 ff., 187 f., 195 InsO262. Im Verfahren der Masseunzulänglichkeit sieht § 209 Abs. 1 InsO innerhalb der Rangstufen die Befriedigung der Masseverbindlichkeiten „nach dem Verhältnis ihrer Beträge“ vor. Auch im Rahmen eines Insolvenzplanes entfaltet die par condicio creditorum Wirkung als Verteilungsprinzip, da gem. § 226 InsO alle Mitglieder einer Gläubigergruppe gleich zu behandeln sind und 245 Abs. 2 Nr. 3 InsO die Gleichbehandlung zur negativen Voraussetzung des Obstruktionsverbots erhebt. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass sich aus den vorstehenden Normen stets nur eine gleichmäßige Verteilung innerhalb vordefinierter Gruppen ergibt263. So findet bereits in der Gruppe der Insolvenzgläubiger faktisch eine Rangabstufung statt, indem einigen Forderungen gem. § 39 InsO ein Nachrang zugewiesen wird264 oder sie nicht von der Restschulbefreiung erfasst werden (§ 302 InsO)265. Darüber hinaus kann von einer gleichmäßigen Verteilung in Bezug auf dinglich gesicherte Gläubiger nicht die Rede sein266. b) Insolvenzanfechtung Mit Blick auf das Thema der vorliegenden Arbeit ist insbesondere relevant, ob auch die Insolvenzanfechtung eine Ausprägung der par condicio creditorum ist. Erste Anhaltspunkte lassen sich den gemeinsamen Voraussetzungen entnehmen. Die Auswahl des Begriffs „Rechtshandlung“, der nach allgemeiner Ansicht weit auszulegen ist267, lässt den Schluss zu, dass die Anfechtung den umfassenden Schutz

259

Weiland, Par condicio creditorum, S. 70, 75. Bork, ZIP 2014, 797 (799) m.w.N. 261 Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 79 bezeichnet dies als formelle Gläubigergleichbehandlung; diese Terminologie aufgreifend Weiland, Par condicio creditorum, S. 13. 262 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 17.10; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 12 Rn. 10; Weiland, Par condicio creditorum, S. 61; siehe auch Knospe, ZInsO 2014, 861 (863). 263 Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 10; Hueck, Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 75. 264 Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 10; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 17.13 ff.; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 12 Rn. 10. 265 Bork, ZIP 2014, 797 (799). 266 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 16; Knospe, ZInsO 2014, 861 (863); Meier, Privilegien des Fiskus, S. 45; Werres, Grundrechtsschutz, S. 141. 267 Siehe dazu oben B.II.4.a)aa). 260

III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung

281

der gesetzlichen Haftungsordnung und -abwicklung ermöglichen soll268. Die Weite dieses Merkmals führt jedenfalls zu keiner relevanten Einschränkung der Anfechtung und dient damit dem Prinzip der Chancengleichheit; Ausdruck des Verteilungsprinzips ist diese Voraussetzung hingegen nicht, denn sie enthält keine Aussage zur Zuordnung der so generierten Vermögensmasse269. Auch der Voraussetzung einer mittelbaren Gläubigerbenachteiligung lässt sich zunächst nur der Schutz der Haftungsordnung und -abwicklung entnehmen. Dieser Schutz unterstützt zwar im Ergebnis die Chancengleichheit, regelt jedoch nicht das Verhältnis der Gläubiger untereinander270. Bei der Betrachtung der einzelnen Anfechtungstatbestände der Insolvenzordnung muss aufgrund der unterschiedlichen Stoßrichtungen der Tatbestände differenziert werden. Dass die Tatbestände teilweise eine einfachgesetzliche Ausprägung der par condicio sind, wurde oben bereits angesprochen271. Wie sich aus dem Befund zu den Möglichkeiten der Lohnanfechtung de lege lata ergibt272, sind dabei nur die Deckungsanfechtung und die Vorsatzanfechtung von weiterem Interesse. Nach hiesigem Verständnis ist das telos der Deckungsanfechtung darin zu sehen, eine Befriedigung im Vorfeld des Insolvenzverfahrens nicht zu dulden, wenn das Schuldnervermögen zum Zeitpunkt der Deckung nicht zur Befriedigung aller Gläubiger ausreicht und daher jede Schmälerung zu Lasten der übrigen Gläubiger ginge273. In dieser Funktion verwehrt die Anfechtung einzelnen Gläubiger Vorteile und stellt damit rückwirkend Chancengleichheit her274. Ein Maßstab für die Verteilung des schuldnerischen Vermögens und die hierbei zu beachtenden Vorrechte kann daraus indessen nicht abgeleitet werden275. Die Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO knüpft demgegenüber nicht an der materiellen Insolvenz des Schuldners an und dient damit nicht der Vorverlagerung der Gläubigergleichbehandlung276, auch nicht im Sinne des Chancengleichheitsprinzips277. Der Zweck der Vorsatzanfechtung beschränkt sich vielmehr auf die Haftungsverwirklichung, indem Transaktionen, die die Haftungszuordnung des schuldnerischen Vermögens verletzen und aufgrund ihrer Motivation als unbillig erachtet werden, revidiert werden278. Daraus folgt zweierlei: Erstens können Ein268

Weiland, Par condicio creditorum, S. 80. Weiland, Par condicio creditorum, S. 80. 270 Weiland, Par condicio creditorum, S. 82 f. 271 Siehe oben B.I.4.d)bb). 272 Siehe oben B.II.6. 273 Siehe oben B.I.4.d)bb). 274 Weiland, Par condicio creditorum, S. 85 ff. 275 Weiland, Par condicio creditorum, S. 87, 89. 276 Bork, ZIP 2014, 797 (802); siehe dazu oben B.I.4.b). 277 Weiland, Par condicio creditorum, S. 90 f. Anders Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 77, der nicht zwischen den Anfechtungstatbeständen differenziert. 278 Bork, in: FS Schäfer, S. 593 (599); Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.77 f. 269

282

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

griffe durch die Vorsatzanfechtung nicht mit dem Hinweis auf die Gläubigergleichbehandlung gerechtfertigt werden279. Zweitens sind Einschränkungen der Vorsatzanfechtung keine Verletzungen der par condicio creditorum. Das bedeutet allerdings nicht, dass § 133 Abs. 1 InsO die Ungleichbehandlung von Gläubigern seinerseits rechtfertigt; eine solche Ungleichbehandlung ist im Tatbestand nicht angelegt280. c) Ergebnis Beide Schichten des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung sind in der Insolvenzordnung umfassend verwirklicht. Dabei ist die Deckungsanfechtung eine Ausprägung des Chancengleichheitsprinzips, während die Vorsatzanfechtung sich nicht direkt mit der par condicio creditorum in Verbindung bringen lässt. 3. Dogmatische Grundlage der Gläubigergleichbehandlung Mit dem Befund, dass die par condicio creditorum in der Insolvenzordnung wirkt und u. a. die Deckungsanfechtung begründet, ist noch keine Aussage dazu getroffen, worauf das Prinzip gründet und welcher Wert ihm im Verhältnis zu anderen Rechtssätzen zukommt. Es geht dabei nicht um die historische Entwicklung der par condicio creditorum281. Das Alter und die Entwicklungsgeschichte allein können nicht die ratio für ein derart eingriffsintensives Rechtsprinzip bilden282. Im Folgenden ist daher zu untersuchen, welche Überlegungen es rechtfertigen, die Position des Einzelnen im Rahmen des Insolvenzverfahrens zu Gunsten der Gläubigergesamtheit – oder sogar der gesamten Volkswirtschaft – zu beschneiden. Wie bereits angedeutet wurde283, würde eine umfassende Untersuchung dieser Frage den Rahmen der Arbeit sprengen. Dennoch soll versucht werden, die möglichen Ansätze darzustellen und aufzuzeigen, welcher Erkenntnisgewinn für die Fragen der Lohnanfechtung daraus zu gewinnen ist. a) Aspekte der Gerechtigkeit Teilweise wird als Begründung für die gleichmäßige Verteilung des Verlusts unter den Gläubigern auf die Gerechtigkeit verwiesen284. Eine konkrete Aussage über die 279

Bork, ZIP 2014, 797 (803). Bork, ZIP 2014, 797 (803). 281 Siehe dazu oben B.I.2. 282 Hingegen scheint Knospe, ZInsO 2014, 861 (861 f.) davon auszugehen, die historische Herleitung hindere anderweitige Erkärungsversuche. 283 Siehe oben B.I.2. 284 MüKo-InsO/Ganter/Lohmann, § 1 Rn. 51; Windel, JURA 2002, 230 (231 f.); vgl. Häsemeyer, KTS 1982, 507 (515) m.w.N.; siehe auch Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 11 mit unklarem Verweis auf „Seuffert“. 280

III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung

283

Reichweite der Gleichbehandlung ist damit noch nicht getroffen. Daraus folgt die Frage, was man unter Gerechtigkeit im Rahmen von Gleichbehandlungsfragen versteht. Es handelt sich um ein altes Problem. Üblich ist die Unterscheidung zwischen iustitia commutativa (ausgleichende Gerechtigkeit) und iustitia distributiva (Verteilungsgerechtigkeit), die auf Aristoteles zurückgeführt wird285. aa) Iustitia commutativa und iustitia distributiva Nach der aristotelischen Lehre geht es bei der iustitia commutativa um den gerechten Ausgleich im Rechtsverkehr, also bei Austauschverträgen um ein Gleichgewicht der Leistungen. Danach soll auf keiner Seite Gewinn oder Verlust entstehen, was sich in Zahlen ausdrücken lässt. Maßgeblich ist die Beziehung zwischen einzelnen Subjekten innerhalb einer Gemeinschaft286. Im Gesamtwarenverkehr realisiert sich diese Gerechtigkeit im Zahlungsmittel Geld, durch das der Wert der Leistungen abgebildet und damit messbar wird. In einer Marktwirtschaft ergibt sich der Wert der einzelnen Leistung aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage287. Traditionell wird dieses Prinzip dem Zivilrecht zugeordnet288. Die ausgleichende Gerechtigkeit sei danach die Konsequenz der privatautonomen Selbstgestaltung, die Unterschiede der Rechtstellung der Beteiligten berücksichtigt289. Dagegen zeichnet sich die iustitia distributiva durch die Verteilung von Gütern und Lasten aus. Sie ist im Verhältnis des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft zu verorten290 und wird dementsprechend mit dem öffentlichen Recht assoziiert291. Diese Dimension der Gerechtigkeit lässt sich nicht arithmetisch ausdrücken, sondern ist eine Frage der Angemessenheit. In diesem Zusammenhang wird regelmäßig auf die auch bei Ulpian zu findende Definition der Gerechtigkeit „suum cuique tribuere“292 zurückgegriffen, die sich mit „jedem das seine“ übersetzen lässt293. Ein Beispiel dieser Dimension der Gerechtigkeit ist der progressive Steuersatz, der den Reichen verhältnismäßig stärker besteuert als den Armen294. Als Parole lässt sich die Forderung nach der Gleichbehandlung von Gleichem und der Ungleichbehandlung von Ungleichem formulieren. 285

Windel, JURA 2002, 230 (231).; vgl. hierzu und im Folgenden: Zippelius, Rechtsphilosophie, § 16 II; siehe auch Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 125 ff. 286 Zippelius, Rechtsphilosophie, § 16 II (S. 82 f.). 287 Zippelius, Rechtsphilosophie, § 16 II (S. 82 f.). 288 Windel, JURA 2002, 230 (231); siehe auch Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 126. 289 Windel, JURA 2002, 230 (231). 290 Siehe Fn. 286. 291 Häsemeyer, KTS 1982, 507 (516); Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 126; Windel, JURA 2002, 230 (231). 292 Vgl. hierzu: Waldstein, in: FS Flume, S. 213 ff. 293 Der gesamte Satz lautet: „Die Gerechtigkeit ist der beständige und dauerhafte Wille, jedem sein Recht zuteil werden zu lassen“, vgl. Waldstein, in: FS Flume, S. 213 (225). 294 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 125; Zippelius, Rechtsphilosophie, § 16 II (S. 83).

284

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

bb) Folgerungen für das Insolvenzrecht Welche Erkenntnisse lassen sich aus den beiden vorgenannten Dimensionen der Gerechtigkeit für die Gläubigergleichbehandlung im Insolvenzverfahren gewinnen? Es wurde bereits angesprochen, dass das Insolvenzrecht in Deutschland dem Bereich des Privatrechts zugeordnet wird295. Teile der Literatur schließen daraus, dass öffentlich-rechtliche Ansatzpunkte die Gläubigergleichbehandlung nicht rechtfertigen und zugleich nicht-zivilrechtliche Erwägungen eine Durchbrechung der Gleichbehandlung nicht begründen könnten296. Anderenfalls werde Privatvermögen für gesamtwirtschaftliche oder soziale Zwecke verwendet, wofür keine Rechtfertigung bestehe297. Wer öffentliche Zwecke fördern wolle, müsse hierzu auch auf öffentliche Mittel zurückgreifen. Gleiches gelte auch für die Situation der Arbeitnehmer, deren sozialpolitisch gerechtfertigter Schutz nicht zu Lasten der übrigen Gläubiger erfolgen solle; vielmehr sei an sozialpolitische Mittel zu denken, v. a. das Insolvenzgeld298. Schon der Ausgangspunkt dieser Argumentation, das Insolvenzrecht sei allein der iustitia commutativa zu unterwerfen, ist zweifelhaft. Die iustitia distributiva kann nicht nur bei der Verteilung von Volksvermögen eine Rolle spielen, sondern auch innerhalb kleinerer Gemeinschaften gelten, also bei der Verteilung limitierter Ressourcen auf einen feststehenden Adressatenkreis299. Genau um eine solche Konstellation geht es im Konkurs300. Gegen ein rein an der ausgleichenden Gerechtigkeit orientiertes Verständnis des Privatrechts hat sich zudem Raiser ausgesprochen: Der Gleichheitsgrundsatz, der als iustitia distributiva zu verstehen ist, könne zwar dort nicht gelten, „wo die Vertragsfreiheit noch als Ordnungsprinzip unseres Sozial- und Wirtschaftslebens in voller Kraft steht.“301 Eine Durchbrechung soll seiner Meinung nach aber bei einem besonderen Machtungleichgewicht der Marktteilnehmer gerechtfertigt sein302. Gehe es darum, einen Mangel zu verteilen, weil der freie Wettbewerb seine ordnende Kraft in einer Situation nicht mehr entfalte, sei der Rückgriff auf das Prinzip der

295

Siehe oben C.I. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.18 f.; ders., KTS 1982, 507 (515 f.); Windel, JURA 2002, 230 (231). 297 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.19; Windel, JURA 2002, 230 (231). 298 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.20. 299 Zippelius, Rechtsphilosophie, § 16 II 1 (S. 83) unter Bezugnahme auf Thomas von Aquin, Summa Theologica, II II Qu. 61 Art. 1 Repl. Obj. 3; ähnlich Raiser, ZHR 111 (1948), 75 (92). 300 Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 326; Raiser, ZHR 111 (1948), 75 (80); Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 89. 301 Raiser, ZHR 111 (1948), 75 (92). 302 Raiser, ZHR 111 (1948), 75 (93); ähnlich Zippelius, Rechtsphilosophie, § 16 II 2 (S. 84). 296

III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung

285

Gleichbehandlung geboten303. Nach dieser Ansicht gelten demnach sowohl die ausgleichende als auch die verteilende Gerechtigkeit im Insolvenzverfahren304. Unterstellt man dementsprechend einen Einfluss der iustitia distributiva auf das Insolvenzrecht, kann die Rechtsphilosophie keine allgemeingültige Antwort auf die Frage nach der eigentlichen Substanz und richtigen Handhabung der par condicio creditorum liefern305. Nach Zippelius gehört die Formel „Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln“ zu den „Luftblasen, die im Strom der Zeiten immer obenauf sind.“306 Der Grund dafür ist, dass ausgleichende Gerechtigkeit einen externen Maßstab benötigt, der vorgibt, was gleich und was ungleich ist307. Plastisch formulierte Kelsen, dass die Formel „Jedem das Seine“ nur brauchbar sei, wenn vorher feststehe, was „das Seine“ ist308. Auch Radbruch meint: „In beiden Richtungen bedarf die Gerechtigkeit, sollen aus ihr Sätze richtigen Rechts abgeleitet werden können, der Ergänzung durch andere Grundsätze.“309

Schon in der Auswahl des Vergleichsmaßstabs ist ein wertendes Element verwirklicht310. Dieses wiederum ergibt sich aus der jeweiligen Gesellschaftsordnung, insbesondere der sozialen Verfassung311. Das ist klassischer Rechtspositivismus. Dagegen wendet sich Waldstein, der die Rolle des Naturrechts hervorhebt312. In die Untiefen dieses Konflikts soll sich diese Arbeit nicht wagen. Unabhängig von einer Position dazu muss festgestellt werden, dass sich aus ius naturale kein Normbefehl für die Ausgestaltung der Gläubigergleichbehandlung im Konkurs ableiten lässt. Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass sich aus dem Begriff der Gerechtigkeit kein Mehrwert für die Frage nach der Gläubigergleichbehandlung im Allgemeinen und der Lohnanfechtung im Speziellen gewinnen lässt.

303 304

S. 89.

Raiser, ZHR 111 (1948), 75 (93). Vgl. Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 326; Wiórek, Gläubigergleichbehandlung,

305 Vgl. allgemein Raiser, ZHR 111 (1948), 75 (77); Zippelius, Rechtsphilosophie, § 16 II 2 (S. 84). 306 Zippelius, Rechtsphilosophie, § 16 II 2 (S. 84). 307 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 126; Zippelius, Rechtsphilosophie, § 16 II 2 (S. 84 f.) 308 Kelsen, Gerechtigkeit, S. 23; ders., Reine Rechtslehre, S. 366 f.; dagegen: Waldstein, in: FS Flume, S. 213 (225 ff.). Er sieht in Ulpians „suum cuique tribuere“ die Tugend, gerecht sein zu wollen. Ein inhaltlicher Gewinn für konkrete Fragen ist damit aber auch nicht zu erzielen. 309 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 126 f. 310 Raiser, ZHR 111 (1948), 75 (97). 311 Zippelius, Rechtsphilosophie, § 16 II 2 (S. 84 f.); Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 328. 312 Waldstein, in: FS Flume, S. 213 (229 f.).

286

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

cc) Billigkeitsprinzip Teilweise wird in der Literatur der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung mit dem schlichten Hinweis begründet, der Zugriff des Einzelnen sei unbillig, wenn das schuldnerische Vermögen nicht mehr zur vollständigen Befriedigung aller Gläubiger ausreiche313. Bork folgert aus der Einordnung als Billigkeitsprinzip, dass im Rahmen der Verteilungsordnung einzelne Gläubiger(gruppen) bevorzugt werden könnten, wenn höherrangige Rechtsgüter solche Ausnahmen rechtfertigen314. Einige Vertreter dieser Ansicht weisen ergänzend darauf hin, dass es sich bei der Gleichbehandlung schlicht um den kodifizierten Willen des Gesetzgebers handle, der zu befolgen sei315. Nach den vorstehenden Betrachtungen zur Gerechtigkeit drängt sich die Frage auf, wie Billigkeit und Gerechtigkeit voneinander zu unterscheiden sind. Radbruch erklärt dazu, dass Gerechtigkeit den Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Norm sehe, Billigkeit hingegen im Einzelfall ihr eigenes Gesetz suche, wobei dieses wiederum generalisierbar sein müsse316. Während sich Gerechtigkeit also aus allgemeinen Grundsätzen ableite, gehe es bei der Billigkeit um eine intuitive Erkenntnis des richtigen Rechts aus der „Natur der Sache“; es handele sich um unterschiedliche Wege zu einem identischen Ziel317. Diese Verwandtschaft drückt sich auch im Mehrwert für die konkrete Rechtsfindung aus: Der Hinweis auf die Billigkeit bietet keine juristische Erklärung und ermöglicht demnach auch keine wertende Gegenüberstellung mit anderen Prinzipien oder Rechtspositionen318. Auch der Hinweis auf die gesetzliche Fixierung in der Insolvenzordnung hilft nicht weiter319. b) Verfassungsrechtlicher Gleichheitsgrundsatz Von einigen Stimmen in der Literatur wird vertreten, dass der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung sich auf den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz des

313 Bork, in: FS Schäfer, S. 593 (595); Füßmann, Gläubigergleichbehandlung, S. 45; Jaeger, Lehrbuch, S. 1; Killinger, Insolvenzanfechtung, S. 56, 62; Knospe, ZInsO 2014, 861 (864); Kohn-Löffelmann, Insolvenzanfechtung in Europa, S. 36 f.; Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 88 f.; Zeuner, Anfechtung, Rn. 1. 314 Bork, ZIP 2014, 797 (799 f.). 315 Foerste, Rn. 11; Killinger, Insolvenzanfechtung, S. 61; ähnlich Berger, ZZP 121 (2008), 407 (413 f.), der die Gleichbehandlung als rein verfahrensrechtliches Verteilungsprinzip beurteilt, das gleichrangig neben dem Prioritätsprinzip stehe. 316 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 127. 317 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 127. 318 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 45, 58 dort Fn. 111; vgl. auch Berges, KTS 1957, 1957, 49 (56 ff.), der meint Billigkeitserwägungen seien die ketzerischste Antwort auf die Frage der rechtlichen Grundlagen der Gläubigergleichbehandlung, ebenda (50). 319 Knütel, in: FS Kreft, S. 1 (10).

III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung

287

Art. 3 Abs. 1 GG stützen lasse320. Es ist daher erforderlich, sich Inhalt und Wirkung dieses Grundsatzes zu vergegenwärtigen, um sodann seinen Wert für die Frage der Gläubigergleichbehandlung klären zu können. aa) Inhalt und Wirkung Zunächst ist der Hinweis geboten, dass die folgenden Überlegungen in engem Zusammenhang mit den obigen Ausführungen zur Frage nach Gerechtigkeit durch Gleichbehandlung stehen, auf die verwiesen sei321. An dieser Stelle geht es um die grundgesetzlich fixierte Form des Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs. 1 GG. Nach einer gebräuchlichen Formulierung lässt sich der Inhalt des Gleichheitssatzes als das Gebot zusammenfassen, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln322. In seinen ersten Entscheidungen zum Gleichheitssatz interpretierte das BVerfG den Gleichheitssatz als Willkürverbot323. Diese Handhabe lässt sich auf das methodische Dilemma zurückführen, dass für den allgemeinen Gleichheitssatz, anders als für die speziellen Gleichheitssätze, kein spezieller zu vergleichender Gesichtspunkt (tertium comparationis) vorgegeben ist324. Diese Unbestimmtheit erlaubte lediglich unpassende Vergleichskriterien, die sich auf keinen sachlichen Grund stützen ließen, als willkürlich zu verwerfen325. Seit 1980 bedient sich das BVerfG der sogenannten „neuen Formel“326. Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG liegt danach vor, „wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“327. Der rechtfertigende 320

Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 5.37; Eichberger, Konkursanfechtung, S. 15 f.; Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 325 ff.; Jeremias, Insolvenzaufrechnung, S. 119; Kilger, ZRP 1976, 190 (192); Marotzke, ZInsO 2010, 2163 (2180); Smid, BB 1992, 501 (503); mit Bezügen zu Art. 3 Abs. 1 GG und zur Eigentumsgarantie: Meier, ZInsO 2010, 1121 (1128); ders., Privilegien des Fiskus, S. 45; vor der Verabschiedung des Grundgesetzes (v. 23. Mai 1949, BGBl. 1949 S. 1) ging auch Raiser davon aus, dass das Gleichheitsprinzip für die Befriedigung der Gläubiger im Konkursrecht gelte, ZHR 111 (1948), 75 (80). 321 Siehe oben C.III.3.a). 322 BVerfG, Beschl. v. 7. 11. 1995 – 2 BvR 413/88, 2 BvR 1300/93, BVerfGE 93, 319 (348); BVerfG, Urt. v. 23. 10. 1951 – 2 BvG 1/51, BVerfGE 1, 14 (52); Dreier/Heun, Art. 3 Rn. 19 m.w.N. 323 BVerfG, Urt. v. 23. 10. 1951 – 2 BvG 1/51, BVerfGE 1, 14 (52 f.); Dreier/Heun, Art. 3 Rn. 19; Schmidt-Bleibtreu/Klein/Krieger, Art. 3 Rn. 30; Sachs/Osterloh/Nußberger, Art. 3 Rn. 8 f.; Sachs, JuS 1997, 124 (124). 324 Dreier/Heun, Art. 3 Rn. 18; Schmidt-Bleibtreu/Klein/Krieger, Art. 3 Rn. 21; Sachs/ Osterloh/Nußberger, Art. 3 Rn. 1; Sachs, JuS 1997, 124 (124). 325 Sachs, JuS 1997, 124 (125). 326 BVerfG, Beschl. v. 7. 10. 1980, BVerfGE 55, 72 (88 ff.); Dreier/Heun, Art. 3 Rn. 21; Schmidt-Bleibtreu/Klein/Krieger, Art. 3 Rn. 31; Sachs/Osterloh/Nußberger, Art. 3 Rn. 13; Sachs, JuS 1997, 124 (126 ff.). 327 BVerfG, Beschl. v. 7. 10. 1980 – 1 BvL 50/79 u. a., BVerfGE 55, 72 (88).

288

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

Grund muss also in einem angemessenen Verhältnis zur Ungleichbehandlung stehen328. Zusammenspiel und Abgrenzung von Willkürverbot und Verhältnismäßigkeitsprinzip lassen sich aus der Rechtsprechung des BVerfG nicht klar entnehmen und werden in der Literatur unterschiedlich interpretiert329. Der Erste Senat praktizierte zunächst eine tatbestandliche Trennung des Art. 3 Abs. 1 GG, wonach bei einer unterschiedlichen Behandlungen von Personengruppen das Kriterium der Verhältnismäßigkeit galt, bei der Ungleichbehandlung unterschiedlicher Sachverhalte das Willkürkriterium330. Mangels sinnvoller Einteilbarkeit von Lebenssachverhalten unter diese beiden Fallgruppen331 wandte sich das BVerfG in jüngerer Zeit einem integrierten Verständnis der beiden Maßstäbe zu332. Danach ergeben sich aus Art. 3 Abs. 1 GG „je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. […] Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen“.333 Der letzte Satz zeigt, dass ein reiner Willkürmaßstab ausscheidet; stattdessen gilt am unteren Ende der Skala ein auf eine Evidenzprüfung reduzierter Maßstab der Verhältnismäßigkeit334. Die Anforderungen an die Angemessenheit hängen davon ab, wie stark sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirkt335. Weiterhin gilt: Je näher das Differenzierungskriterium sich den persönlichen Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 GG annähert, desto eingeschränkter ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers336. Die Bindung des Gesetzgebers an den abwehrrechtlichen Gehalt des Art. 3 Abs. 1 GG ist unbestritten,337 und zwar auch bei der Privatrechtssetzung338. Bei der ge328 BVerfG, Beschl. v. 15. 3. 2000 – 1 BvL 16/96, BVerfGE 102, 68 (87); vgl. Dreier/Heun, Art. 3 Rn. 21; Sachs/Osterloh/Nußberger, Art. 3 Rn. 14; Sachs, JuS 1997, 124 (129) m.w.N. 329 Sachs/Osterloh/Nußberger, Art. 3 Rn. 25 ff.; Sachs, JuS 1997, 124 (128), jeweils m.w.N. 330 BVerfG, Beschl. v. 8. 10. 1991 – 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348 (361); Dreier/Heun, Art. 3 Rn. 21; Sachs, JuS 1997, 124 (126). 331 Kritisch Sachs/Osterloh/Nußberger, Art. 3 Rn. 27; Sachs, JuS 1997, 124 (128), jeweils m.w.N. 332 Schmidt-Bleibtreu/Klein/Krieger, Art. 3 Rn. 32 f.; Sachs/Osterloh/Nußberger, Art. 3 Rn. 30 unter Bezug auf BVerfG, Beschl. v. 24. 1. 2012 – 1 BvL 21/11, BVerfGE 130, 131 (142 f.). 333 BVerfG, Beschl. v. 24. 1. 2012 – 1 BvL 21/11, BVerfGE 130, 131 (68 f.). 334 Sachs/Osterloh/Nußberger, Art. 3 Rn. 33. 335 BVerfG, Beschl. v. 24. 1. 2012 – 1 BvL 21/11, BVerfGE 130, 131 (141 f.); Sachs/Osterloh/Nußberger, Art. 3 Rn. 32; Sachs, JuS 1997, 124 (127). 336 BVerfG, Beschl. v. 26. 1. 1993 – 1 BvL 38/92 u. a., BVerfGE 88, 87 (96); SchmidtBleibtreu/Klein/Krieger, Art. 3 Rn. 33. 337 Dreier/Heun, Art. 3 Rn. 46; Schmidt-Bleibtreu/Klein/Krieger, Art. 3 Rn. 18.

III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung

289

setzlichen Ausgestaltung des Zivilrechts steht der Legislative ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu339. „Es ist nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen hat.“340 Nach der herrschenden Meinung lässt sich der Norm keine gesetzgeberische Schutzpflicht zur Herstellung faktischer Gleichheit im Sinne sozialer Gleichstellung entnehmen341. Dem ist zuzustimmen. Anderenfalls würde aus Art. 3 Abs. 1 GG gleichzeitig ein Gebot der Gleichbehandlung und der Ungleichbehandlung entnommen, was widersinnig ist342. Die Rechtfertigung für legislatorische Ungleichbehandlungen kann sich aber aus anderen Rechtfertigungsgründen ergeben343. bb) Folgerungen für den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung Soweit die Gläubigergleichbehandlung im Konkurs auf den allgemeinen Gleichheitssatz gestützt wird, beschränken sich die Autoren oftmals auf knappe Hinweise ohne echte Begründung344. Baur und Stürner führen dazu aus: „Ein Befriedigungssystem ohne Privilegien entspricht so wenig dem Gleichheitssatz wie eine Kumulation von Privilegien bar jeder formalen Gleichheit; der Gleichheitssatz verlangt die Balance. Jedes Insolvenzrecht, das sie findet, verwirklicht die par conditio creditorum. Par conditio creditorum bedeutet also gemeinschaftliche Befriedigung, die Gleiches gleich, aber Ungleiches ungleich behandelt.“345

Eichberger346 meint, im Konkurs befänden sich die Gläubiger in der gleichen Ausgangslage. Daher müsse ihnen das Gesetz Chancengleichheit bei der Verwirklichung ihrer Rechte einräumen, was durch das Prinzip der Gläubigergleichbehandlung geschehe. Durchbrechungen müssten durch sachliche Gründe gedeckt sein, die auch in wirtschafts- und sozialpolitischen Erwägungen liegen könnten347.

338

Dreier/Heun, Art. 3 Rn. 69; Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 326; Schmidt-Bleibtreu/Klein/Krieger, Art. 3 Rn. 13; Raiser, ZHR 111 (1948), 75 (90); Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 119 m.w.N. 339 BVerfG, Beschl. v. 16. 10. 1984 – 1 BvR 513/78, BVerfGE 67, 329 (341). 340 BVerfG, Beschl. v. 16. 10. 1984 – 1 BvR 513/78, BVerfGE 67, 329 (346). 341 v. Münch/Kunig/Boysen, Art. 3 Rn. 47; Dreier/Heun, Art. 3 Rn. 66 ff.; differenzierend: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Krieger, Art. 3 Rn. 1 m.w.N. 342 v. Münch/Kunig/Boysen, Art. 3 Rn. 49; Dreier/Heun, Art. 3 Rn. 67. 343 v. Münch/Kunig/Boysen, Art. 3 Rn. 49; Dreier/Heun, Art. 3 Rn. 67. 344 Siehe z. B. Jeremias, Insolvenzaufrechnung, S. 119; Kilger, ZRP 1976, 190 (192); Marotzke, ZInsO 2010, 2163 (2180). 345 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 5.37. 346 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 15; a.A. Windel, JURA 2002, 230 (231); Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.18, 2.19. 347 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 15; ähnlich Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 325 ff.

290

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

Knospe führt gegen einen Rückgriff auf Art. 3 Abs. 1 GG das Argument an, dass dieser Rückgriff in der grundrechtlichen Literatur keine Stütze finde348. Das überzeugt nicht. Mögliche Versäumnisse der Wissenschaft belegen nicht die Wahrheit oder Unwahrheit einer These. Interessanter ist der Einwand Wiringer-Seilers, der allgemeine Gleichheitsgrundsatz genüge nicht als Grundlage für die par condicio creditorum, weil zur sozialen Marktwirtschaft als Ordnungsprinzip der Leistungswettbewerb gehöre349. Aus der Wirtschaftsverfassung ergebe sich kein zwingender Grund dafür, Gläubiger, die aufgrund einer für den Schuldner besonders wertvollen Leistung in der Lage waren, sich Sonderrechte oder Sicherheiten zu verschaffen, unterschiedslos in die Schicksalsgemeinschaft der übrigen Gläubiger einzureihen350. Hiergegen wendet Eichberger wiederum ein, dass dem Prinzip des Leistungswettbewerbs in der sozialen Marktwirtschaft gerade keine uneingeschränkte Geltung zukomme. Zudem sei in der Krise üblicherweise kein freier Leistungswettbewerb mehr gewährleistet351. Die von Gläubigern erlangten Vorrechte beruhten dann nicht mehr auf einer besonderen Leistung, sondern wirtschaftlicher Macht. Das sei für sich schon eine Wettbewerbsverzerrung. Deshalb müsse der allgemeine Gleichheitssatz des Verfassungsrechts auch im Konkursverfahren gelten, und zwar konkretisiert durch die par condicio creditorum352. Gegen die Begründung der Gleichbehandlung mit dem Allgemeinen Gleichheitssatz argumentiert auch Bauer353. Anderenfalls genügten für eine Durchbrechung des Grundsatzes sachliche Gründe aller Art, also auch in Gestalt von wirtschafts-, sozial- oder finanzpolitischen Gründen; mit solchen Erwägungen der Verteilungsgerechtigkeit könne aber sowohl eine Einführung als auch eine Abschaffung von Privilegien begründet werden, da diese Erwägungen „rechtspolitisch beinahe beliebig sein könnten“354. Folglich könne der allgemeine Gleichheitssatz nicht als tragende Begründung für die Gläubigergleichbehandlung angesehen werden355. Bauers Kritik setzt an einer von ihm unerwünschten Folge an und schließt daraus, dass der Grund falsch sei. Sie kann in ihrer Schlussfolgerung daher nicht überzeugen. Seine Ausführungen treffen allerdings das grundlegende Problem der Anwendung des Art. 3 Abs. 1 GG auf konkrete Rechtsprobleme. Dieses offenbar sich auch in den von Eichberger und Wiringer-Seiler vorgetragenen Argumenten: Sie streiten darum, ob und wann Gläubiger gleich oder ungleich sind. Auf diese Frage kann der 348

Knospe, ZInsO 2014, 861 (862). Wiringer-Seiler, Anfechtungsrecht, S. 92. 350 Wiringer-Seiler, Anfechtungsrecht, S. 92. 351 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 16. 352 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 15. 353 Bauer, ZInsO, 2010, 1432 (1435); ders., Ungleichbehandlung, S. 66 f.; zustimmend Knospe, ZInsO 2014, 861 (863). 354 Bauer, ZInsO, 2010, 1432 (1435); ähnlich Knospe, ZInsO 2014, 861 (862). 355 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 67. 349

III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung

291

allgemeine Gleichheitssatz keine Antwort geben. Solange kein Maßstab für die zu treffende Beurteilung von Gleichheit und Ungleichheit bereit steht, lassen sich mit Art. 3 Abs. 1 GG fast beliebige Gleich- oder Ungleichbehandlungen rechtfertigen356. Es kann an dieser Stelle auf die obigen Ausführungen zu den Fragen nach Gerechtigkeit durch Gleichheit verwiesen werden357. Die Feststellung, dass der allgemeine Gleichheitssatz jedenfalls eine Ungleichbehandlung in seiner Mindestaussage als ungerecht ausweist, wenn gar kein sachlicher Unterschied besteht358, ermöglicht für die Gläubigergleichbehandlung keine echten Erkenntnisse. Im Konkurs weisen alle betroffenen Gläubigergruppen ihre eigenen Besonderheiten auf, die sich im Kampf um Sonderrechte vorbringen lassen und regelmäßig vorgebracht werden. Die par condicio creditorum kann demnach zwar als Ausprägung des Gleichheitssatzes verstanden werden. Dieser bildet zudem ein Prüfungskorsett für die Verfassungskonformität der im Insolvenzverfahren stattfindenden Gleich- und Ungleichbehandlungen. Eine eigenständige Erklärung für die Gleichbehandlung der Gläubiger bietet Art. 3 Abs. 1 GG aber nicht, weil der Ausgangspunkt der Gleichheit erst durch externe Rechtssätze und Wertungen gefunden werden kann. c) Gemeinschaftstheorien Einen anderen Ansatzpunkt wählen die sog. Gemeinschaftstheorien, die in verschiedenen Spielarten die Gläubigergleichbehandlung anhand eines Gemeinschaftsverhältnisses zwischen den Gläubigern zu erklären versuchen359. aa) Rechtsgemeinschaft und Interessengemeinschaft Eine grundlegende Aussage dazu findet sich in den Motiven zur Konkursordnung360. Dort heißt es, die Gläubiger träten kraft Gesetzes in eine Gemeinschaft (communio incidens) ein. Durch die Forderungsmehrheit, das Zahlungsunvermögen des Schuldners und die Kollision aller Gläubiger entstünde eine rechtliche Gemeinschaft, die das Verhältnis der Gläubiger zueinander charakterisiere. Der daraus resultierende Konkursanspruch begründe die rechtlichen Beschränkungen der Be356 Schmidt-Bleibtreu/Klein/Krieger, Art. 3 Rn. 22; Sachs, JuS 1997, 124 (124); s. auch Henckel, in: FS Uhlenbruck, S. 19 (30), der allerdings den Arbeitnehmerschutz als zwingend erachtet. 357 Siehe oben C.III.3.a)bb). 358 Zippelius, Rechtsphilosophie, § 16 II 2 (S. 84 f.); nach den obigen Grundsätzen handelt es sich um eine Evidenzkontrolle, die in ihrer Intensität dem Willkürmaßstab entspricht. 359 Kohler, Konkursrecht, S. 1: Verlustgemeinschaft; György, KuT 1927, 105 (105): Gefahrgemeinschaft; BGH, Urt. v. 6. 10. 2005 – IX ZR 36/02, ZInsO 2006, 38 (39); Meier, Privilegien des Fiskus, S. 41; Pfefferle, Konkursanfechtung, S. 57: Schicksalsgemeinschaft. 360 Zum Folgenden: Hahn, Materialien, S. 110; dazu Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 53 sowie Knütel, in: FS Kreft, S. 1 (11).

292

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

friedungsrechte des einzelnen Gläubigers. Zweck und Inhalt der Gemeinschaft sei die gemeinschaftliche Befriedigung, weshalb kein Gläubiger außerhalb des gemeinschaftlichen Verfahrens seinen Anspruch ausüben dürfe. In der Literatur wurde bereits unter der Konkursordnung herausgearbeitet, dass es sich um eine echte Rechtsgemeinschaft nicht handeln könne, weil es an einem gemeinsamen Recht der Gläubiger fehlt361. Als Reaktion darauf lässt sich der Versuch sehen, die par condicio creditorum mit einer zwischen den Gläubigern bestehenden Interessengemeinschaft zu erklären362. Diese entstehe, weil das Schuldnervermögen nicht mehr zur Erfüllung der zunächst unabhängig voneinander bestehenden Forderungen ausreiche363. Die Gläubiger verbinde das Interesse an der optimalen Verwertung und gleichmäßigen Verteilung des schuldnerischen Vermögens364. Der kollektive Verzicht auf den Wettlauf der Gläubiger biete Schutz vor den Zufallsergebnissen des Prioritätsprinzips, das zudem zu Schuldnerwillkür und kollusivem Zusammenwirken einzelner Gläubiger mit dem Schuldner animiere365. Die anteilsmäßige Kürzung bei der Erfüllung der Forderungen folge aus Treu und Glauben366. Aus der Perspektive der Gemeinschaft als solcher – nicht einzelner Mitglieder – erscheine die anteilige Befriedigung wirtschaftlich geboten367. In jüngerer Zeit hat Wiringer-Seiler in Anlehnung an die Theorie einer Interessengemeinschaft versucht, die par condicio creditorum als spezielle Ausprägung des § 242 BGB in einer Sondersituation zu erklären368. Aufgrund der Interessengemeinschaft hätten die Gläubiger als spezielle Schutzpflicht in der Gemeinschaft die

361

Berges, KTS 1957, 49 (50); Jaeger, KO, 7. A., § 3 Anm. 47 ff.; ders., Lehrbuch, 63 f.; siehe dazu Nerlich/Römermann/Becker, § 1 Rn. 22; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 54; Knütel, in: FS Kreft, S. 1 (11); Windel, JURA 2002, 350 (352) m.w.N. 362 Eidenmüller, ZHR 160 (1996), 343 (368 ff.); Hueck, Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 138; Knütel, in: FS Kreft, S. 1 (11); Jaeger, KO, 7. A., § 3 Anm. 47; ders., Lehrbuch, 63 f.; Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 89; Wiringer-Seiler, Anfechtungsrecht, S. 96; Wüst, in: FS Wilburg, S. 257 (270); s. auch Jauernig, ZIP 1980, 318 (323 f.), der jedoch gleichzeitig darlegt, dass gesicherte Gläubiger offenbar gerade keine gemeinsame Zielrichtung wollten, sondern andere Gläubiger vom Zugriff auf ihr Sicherungsgut abzuschotten suchten. 363 Hueck, Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 141; Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 89. 364 Hueck, Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 138; Jaeger, Lehrbuch, S. 63 f.; Jauernig, ZIP 1980, 318 (323). 365 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 68. 366 So schon das Reichsgericht für einen Fall der Vorratsschuld (Zuckerrübensamen), RG, Urt. v. 3. 2. 1914 – II 625/13, RGZ 84, 125 ff.; dazu Berges, KTS 1957, 49 (54); Hueck, Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 138 f.; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 55. 367 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 68; Hueck, Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 142, 210. 368 Wiringer-Seiler, Anfechtungsrecht, S. 97.

III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung

293

Pflicht, masseverringernde Handlungen zum Nachteil der übrigen Gläubiger zu unterlassen369. bb) Wirtschaftliche Verlustgemeinschaft Berges versuchte die Gleichbehandlung aus einer wirtschaftlichen Perspektive zu erklären. Er sah als Grundlage für die Gemeinschaft die gemeinsame Teilnahme an der betrieblichen Aktivität des Schuldners durch Kreditierung mit Fremdkapital, das dieser treuhänderisch verwalte370. Mit Eintritt der Insolvenz ende diese „treuhänderische Geschäftsführung“371 und die Macht über das verbliebene Kapital falle den Gläubigern zu372. Die aus dem Wagnis folgende Gewinnchance setze sich in der Insolvenz auf der Kehrseite als anteilige Verlustbeteiligung fort373. Beschränkt werde in der Gemeinschaft nicht die einzelne Forderung, sondern die Haftung374. Berges zog dabei Parallelen zur Gemeinschaft der Gläubiger einer Vorratsschuld; aus der Unzulänglichkeit des Befriedigungsvorrats folge eine „Vorratsgemeinschaft“, die zugleich zur rechtlichen Beschränkung des Zugriffs auf das Restvermögen und der Ausübung der Anteilsrechte des Einzelnen führe375. Die Gleichbehandlung sei Folge einer im Voraus getroffenen „konkludenten Verteilungsabrede für den Fall schuldlosen Geschäftsfehlschlags.“376 Diese entspreche „den Grundsätzen kaufmännischer Billigkeit.“377 Im „größeren Geschäftsverkehr“ enthalte der Rechtsgrund von Vorweg-Leistungen für den Fall aus ihnen erwachsender Forderungskonkurrenz das „konsortiale Element anteilsmäßiger Berücksichtigung“378. cc) Kritik Die Gemeinschaftstheorien bieten zunächst eine plausibel erscheinende Erklärung für die Beziehung zwischen den Gläubigern. Bei näherem Hinsehen bestehen jedoch erhebliche Zweifel an der Annahme einer Gemeinschaft. Ein gemeinsames Beschlagsrecht am Schuldnervermögen als Basis einer Rechtsgemeinschaft lässt sich nicht mit der Gläubigergleichbehandlung begründen, wenn zugleich aus dem Beschlagsrecht die Gleichbehandlung abgeleitet wird; an-

369 370 371 372 373 374 375 376 377 378

Wiringer-Seiler, Anfechtungsrecht, S. 97. Berges, KTS 1957, 49 (52); ders., in: FS 100 Jahre KO, S. 363 (366, 373). Berges, in: FS 100 Jahre KO, S. 363 (373). Berges, in: FS 100 Jahre KO, S. 363 (373); ders., KTS 1957, 49 (53). Berges, in: FS 100 Jahre KO, S. 363 (379). Berges, KTS 1957, 49 (54 f.). Berges, KTS 1957, 49 (52). Berges, in: FS 100 Jahre KO, S. 363 (373). Berges, in: FS 100 Jahre KO, S. 363 (373). Berges, in: FS 100 Jahre KO, S. 363 (373).

294

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

derenfalls entsteht ein Zirkelschluss379. Ebenso kann unter Hinweis auf eine Interessengemeinschaft die Vorverlagerung der Gleichbehandlung nicht ohne logischen Bruch mit der Anfechtung erklärt werden, wenn zugleich die Gemeinschaft erst durch die Anfechtung entsteht380. Aber auch die Annahme einer Interessengemeinschaft im eröffneten Verfahren ist fragwürdig; die Annahme eines gemeinsamen Interesses liegt fern381. Die Interessen der einzelnen Gläubiger, nämlich jeweils die maximale Befriedigung der eigenen Forderung, stehen vielmehr im Gegensatz zueinander382. Gleiches gilt für die Annahme einer im Voraus getroffenen konkludenten Verteilungsabrede zwischen den Gläubigern im Sinne von Berges. Tatsächlich dürfte jeder Gläubiger im Zeitpunkt der Kreditierung den Willen haben, vollständig und primär befriedigt zu werden, sofern bei seiner Willensbildung die Möglichkeit einer Insolvenz des Schuldners überhaupt eine Rolle spielt. Klinck stellt zudem überzeugend dar, dass auch die Idee Berges einer Beschränkung der Haftungsseite der Forderungen nicht mit der Relativität der Schuldverhältnisse vereinbar sei, die den einzelnen Forderungen zugrunde liegen383. Gegen die Schutzpflichten-Theorie Wiringer-Seilers spricht, dass eine mit den in § 311 Abs. 2 BGB normierten vorvertraglichen Schuldverhältnissen vergleichbare Verbindung zwischen den Gläubigern nicht besteht; die vorvertraglichen Schutzpflichten beruhen auf einer rechtlichen Sonderverbindung, die aus der Inanspruchnahme von Vertrauen resultiert384. Die Insolvenzgläubiger handeln hingegen unabhängig voneinander und bilden eine zufällige Schicksalsgemeinschaft, aus der sich keine Schutzpflichten ableiten lassen385. Selbst wenn man von einer irgendwie gearteten Gemeinschaft ausgeht, ist nicht nachvollziehbar, warum der bestehenden Knappheit im Wege der Gleichbehandlung zu begegnen ist und nicht z. B. nach dem Prioritätsprinzip; diese Frage können die Gemeinschaftstheorien nicht beantworten386. Dabei fehlt schon im Ausgangspunkt eine Begründung, warum die Gläubigerrechte gleichwertig sind387. Spiegelbildlich 379 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 69; Berges, KTS 1957, 49 (50); Windel, JURA 2002, 350 (352). 380 Häsemeyer, KTS 1982, 507 (524); Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 55. 381 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 13; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 56; Haarmeyer, KTS 1982, 523 f.; Füßmann, Gläubigergleichbehandlung, S. 39; Windel, JURA 2002, 230 (232); gegen dieses Argument Hueck, Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 141 f. 382 Nerlich/Römermann/Becker, § 1 Rn. 22; Häsemeyer, KTS 1982, 507 (523); Windel, JURA 2002, 350 (352). 383 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 54; ein Argument, das Berges selbst gegen die Interessengemeinschaft vorgebracht hatte, siehe Berges, KTS 1957, 49 (52). 384 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 13. 385 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 14. 386 So R. H. Schmidt, AG 1981, 35 (38); R. H. Schmidt, Ökonomische Analyse, S. 43; Bauer, Ungleichbehandlung, S. 68. 387 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.25.

III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung

295

bieten die Gemeinschaftstheorien keine handhabbaren Kriterien, wann und wie Durchbrechungen der Gleichbehandlung zu rechtfertigen sind388. d) Ausgleichshaftung aufgrund von Einflussnahme Ein weiterer vielbeachteter Ansatz stammt von Häsemeyer. Ähnlich den Gemeinschaftstheorien sucht er den Grund für die par condicio creditorum im Verhältnis der Gläubiger untereinander389. Der Blick auf das Verhältnis der Gläubigergesamtheit zum Insolvenzschuldner genüge nicht, weil in dieser Dimension die Haftung außer Frage stehe und der Gleichbehandlungsgrundsatz aus beliebigen Gründen durchbrochen werden könnte390. Der Grund für die Gleichbehandlung liege in der notwendigen Einflussnahme der Konkursgläubiger auf das Vermögen des Gemeinschuldners und dessen Haftung durch die Begründung und Abwicklung von Rechtsverhältnissen mit dem Schuldner; in der Insolvenz setze sich diese gegenseitige Einwirkung dadurch fort, dass jede Befriedigung einer Gläubigerforderung aus der begrenzten Masse bei den anderen Gläubigern zu einem entsprechenden Verlust führe391. Die quotale Befriedigung sei angemessen, „weil die höhere Forderung den größeren Gläubigereinfluss, die folgenreicheren Umsetzungen im Schuldnervermögen anzeigt.“392 Angesprochen ist damit eine wechselseitige „Verantwortung“ der Gläubiger für die nicht vollständige Tilgung der Forderungen, also eine Art Mitverantwortlichkeit für die Insolvenz393. Folge dieser Betrachtung soll eine absolute Wirkung der par condicio creditorum sein, was bedeutet, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht „zu beliebigen Zwecken oder wegen besonderer Umstände in der Person einzelner Gläubiger außer Kraft gesetzt werden“ könne394. Sozial-, wirtschafts- und fiskalpolitische Gründe könnten Durchbrechungen nicht begründen395. Die Grenzen der Gleichbehandlung sollen sich vielmehr aus dem Aspekt des Einfluss- oder Verantwortungsausgleichs bestimmen396. Das bedeutet, dass Ungleichbehandlungen von Forderungen aufgrund 388 Häsemeyer, KTS 1982, 507 (524); ders., Insolvenzrecht, Rn. 2.25; exemplarisch begründet Hueck Durchbrechungen mit „besonderen Umständen“ und verweist schlicht auf die gesetzliche Regelung in § 61 KO, Hueck, Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 211. 389 Häsemeyer, KTS 1982, 507 (515 ff.); ders., Insolvenzrecht, Rn. 2.18, 2.25 f. 390 Häsemeyer, KTS 1982, 507 (510). 391 Häsemeyer, KTS 1982, 507 (517); ders., Insolvenzrecht, Rn. 2.26; Bauer, ZInsO 2010, 1432 (1435); Berges, in: FS 100 Jahre KO, S. 363 (372 ff.), wobei darauf hinzuweisen ist, dass Berges eher zu den Vertretern der Gemeinschaftstheorie zu zählen ist, die sich in diesem Aspekt aber auf genau diese wirtschaftlichen Überlegungen beruft. 392 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.33; ähnlich ders., KTS 1982, 507 (530). 393 Häsemeyer, KTS 1982, 507 (517); ders., Insolvenzrecht, Rn. 2.26. 394 Häsemeyer, KTS 1982, 507 (517); so auch Bauer, Ungleichbehandlung, S. 83. 395 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.20. 396 Häsemeyer, KTS 1982, 507 (517).

296

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

unterschiedlicher Abwicklungsstadien oder Besicherungen des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses gerechtfertigt sein können397. Für die Arbeitnehmer folge die Pflicht zur Ausgleichshaftung daraus, dass ihre Arbeitsplätze auf dem Kredit und sonstigen Leistungen der übrigen Gläubiger geschaffen und erhalten würden398. Zugleich meint Häsemeyer, dass Gläubiger des Arbeitgebers, die die Vorteile der Arbeitsleistung in Anspruch nehmen wollten, den Dauerschuldcharakter des Arbeitsverhältnisses und die darauf folgende geringere Flexibilität und Mobilität in Rechnung stellen müssten399. Das rechtfertige eine Teilenthaftung400, d. h. eine Privilegierung. Inzwischen vertritt Häsemeyer jedoch die Ansicht, dass das haftungsrechtliche Ausgleichsprinzip auch für Arbeitnehmer umfassend gelte und ein erforderlicher Schutz über das Sozialrecht zu erfolgen habe401. Die Idee der gegenseitigen Ausgleichshaftung hat in der Literatur viel Zuspruch erhalten402. Einige Stimmen kritisieren die Theorie aber auch: Eichberger meint, dass die Einflussnahme auf das Schuldnervermögen nicht primär gewollt sei, sondern nur die Reflexwirkung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit und der damit verbundenen Einwirkung auf fremdes Vermögen sei403. Zudem spreche die je nach Höhe der Forderung unterschiedliche Einflussmöglichkeit der Gläubiger nicht zwingend für eine Gleichbehandlung404. Hierzu ist allerdings zu sagen, dass zum einen den Gläubigern ihr Einfluss auf fremdes Vermögen bewusst sein dürfte und zum anderen Häsemeyer eine bewusste Einwirkung nicht behauptet. Die Differenzierung je nach Forderungshöhe stellt zumindest einen bei abstrakter Betrachtung nachvollziehbaren kausalen Zusammenhang zwischen Einfluss und Niedergang des Schuldners her. Klinck lobt zwar den eigenständigen Erklärungsversuch, hält die pauschale Haftung der Gläubiger, die an keiner vertraglichen Abrede oder rechtswidrigen Handlung anknüpfe, hingegen für dogmatisch nicht fassbar und ihre Wirkungen für vage405. Häsemeyers Modell führe zu holzschnitthaften Ergebnissen, weil Forderungen entweder nur quotal zu befriedigen seien oder aber aufgrund der Enthaftung

397

Windel, JURA 2002, 230 (232). Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.27; dagegen Weiland, Par condicio creditorum, S. 305. 399 Häsemeyer, KTS 1982, 507 (520). 400 Häsemeyer, KTS 1982, 507 (569). 401 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.20, 2.27. 402 Smid, BB 1992, 501 (505); ders., Grundzüge, S. 9; Weiland, Par condicio creditorum, S. 301 ff.; Windel, JURA 2002, 230 (232); ähnlich, mit Bezügen zur Eigentumsgarantie (s. o.) und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes Bauer, Ungleichbehandlung, S. 71. 403 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 10. 404 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 10 f.; so auch Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 62. 405 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 59 f., 63: Die Haftung sei „diffus“; ähnlich zuvor Berger, ZZP 121 (2008), 407 (414). 398

III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung

297

voll befriedigt würden406. Weiterhin wurde kritisiert, dass eine Einflussnahme auf das Schuldnervermögen bei Gläubigern, die Forderungen aus Delikt oder ungerechtfertigter Bereicherung haben, nicht vorliege407. Tatsächlich ist Häsemeyers Argument für deren Gleichbehandlung, nämlich die Unmöglichkeit der Rückrechnung der folgenden Vermögensumsetzungen, nicht überzeugend. Trotz der teils berechtigten Kritik ist festzustellen, dass Häsemeyers Theorie der Ausgleichshaftung einen überzeugenden und schlüssigen Ansatz zur Erklärung der Gleichbehandlung bietet408, ohne auf die problematische Figur einer Interessengemeinschaft zurückgreifen zu müssen. Das Kriterium des Einflusses auf das Schuldnervermögen fungiert als einheitlicher Anknüpfungspunkt für Differenzierungen409 und ist greifbarer als der reine Verweis auf die Billigkeit. Weil der Einfluss unterschiedlich gemessen und beurteilt werden kann, vermag das recht offene Modell allerdings kaum Antworten auf konkrete Kollisionsfragen zu geben. e) Eigentumsgarantie, Art. 14 GG und das Gebot effektiven Rechtsschutzes In jüngerer Zeit hat Bauer, anscheinend inspiriert von Stürner410, einen neuen Ansatz entwickelt, um den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung dogmatisch zu begründen: Er leitet die par condicio creditorum aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ab411. Interessanterweise erklärt Bauer die Gleichbehandlung gleichzeitig mit Häsemeyers Modell der wechselseitigen Ausgleichshaftung und im Falle bewusster Kreditgewährung ohne Sicherheiten mit einer konkludenten Vorausabrede412. Bauer knüpft bei der Rechtsprechung des BVerfG an, wonach schuldrechtliche Forderungen von der Eigentumsgarantie geschützt sind413. Insoweit wirke das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes414. Der Staat müsse als Ausgleich für sein Gewaltmonopol den Gläubigern Verfahren zugänglich machen, die eine effektive 406

Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 60. Bauer, Ungleichbehandlung, S. 82. 408 So auch Berger, ZZP 121 (2008), 407 (413). 409 Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 86. 410 MüKo-InsO/Stürner, Einleitung Rn. 77. 411 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 72 ff.; ders., ZInsO 2010, 1432 (1435 f.); ähnlich Meier, Privilegien des Fiskus, S. 152; ders., ZInsO 2010, 1121 (1128), der von von Bezügen zur Eigentumsgarantie und dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz ausgeht; ein Hinweis auf Art. 14 GG findet sich auch bei Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.20. 412 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 81; ders., ZInsO 2010, 1432 (1435). 413 BVerfG, Beschl. v. 9. 1. 1991 – 1 BvR 929/89, BVerfGE 83, 201 (208 f.); Bauer, Ungleichbehandlung, S. 72; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 140; Seuffert, ZIP 1986, 1157 (1158), jeweils m.w.N. 414 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 72 unter Bezug auf MüKo-InsO/Stürner, Einleitung Rn. 77. 407

298

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

Vollstreckung der Ansprüche ermöglichen415. Solange ausreichend Masse zur Befriedigung aller Gläubiger vorhanden sei, biete die Vollstreckungsmöglichkeit unter Geltung des Prioritätsprinzips hinreichenden Schutz der Eigentumspositionen der Gläubiger416. Erweise sich das Schuldnervermögen bei ex ante Betrachtung als unzureichend zur Befriedigung aller Gläubiger, sei das Institut des Insolvenzverfahrens insgesamt verfassungsrechtlich geboten417. Der Ausschluss der Einzelvollstreckung sei allerdings nur so lange gerechtfertigt, als er auf bestmögliche Einzelbefriedigung abziele418. Anderenfalls sei die Rechtsschutzgarantie nach Artt. 14, 19 Abs. 4 GG verletzt419. Im Konkurs setze sich der Eigentumsschutz der Forderung fort420. Im Falle des unzureichenden Schuldnervermögens greife jede Befriedigungshandlung eines Gläubigers mittelbar in die nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentumsrechte der übrigen Gläubiger ein421. Zwar garantiere Art. 14 Abs. 1 GG nicht die Werthaltigkeit der Forderungen; dennoch sei der Staat gehalten, eine optimale Verwirklichung der durch die Eigentumsgarantie geschützten Forderungen zu ermöglichen422. Der Staat könne eine Befriedung nach dem Prioritätsprinzip, das notwendig zu einem Eingriff in Eigentumsgarantie und Rechtsschutzgarantie der übrigen Gläubiger führe, nicht zulassen. Bei gleichzeitiger Betrachtung aller Gläubiger liege in der Zulassung von Befriedigung nach Priorität das Gegenteil von Rechtsgewährung, nämlich die Verhinderung effektiver Rechtsdurchsetzung423. Weil der Eigentumsschutz zu Gunsten aller Gläubiger greife, deren Forderungen sich nur in der Höhe unterschieden, könne allein die quotale Verteilung zu einem für alle Gläubiger verfassungskonformen Ergebnis im Sinne optimaler Befriedigung führen424. Ein hinreichender Eigentumsschutz bestehe auch nicht, wenn wegen besonderer Privilegien einzelner Gläubigergruppen zur Befriedigung der normalen Insolvenzgläubiger keine Masse verbleibe425. Rechtfertigungsgründe für Durchbrechungen der Gleichbehandlung könnten sich nur aus insolvenzspezifischen, „d. h. dem Insolvenzverfahren und der Garantie des Eigentums und des effektiven Rechtsschutzes immanente[n]“ Um-

415

Bauer, Ungleichbehandlung, S. 72; Werres, Grundrechtsschutz, S. 22; für die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen: Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 19 IV Rn. 139. 416 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 73. 417 Werres, Grundrechtsschutz, S. 22 f. 418 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 74, 83. 419 Bauer, ZInsO 2010, 1432 (1435). 420 Bauer, ZInsO 2010, 1432 (1435); Werres, Grundrechtsschutz, S. 24, 55 ff., 192. 421 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 72. 422 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 73; siehe auch Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 7.1. 423 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 73; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 7.1 sehen im Insolvenzverfahren daher ein „verfassungsrechtlich garantiertes Institut“. 424 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 74. 425 Bauer, ZInsO 2010, 1432 (1435).

III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung

299

ständen ergeben426. Bauer integriert damit quasi den Aspekt der Ausgleichshaftung in den Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG, weil nur nach diesem Konzept ein optimaler Schutz der Rechtsinhaber möglich sei. Bauer führt aus, dass dieses Verständnis auch die Anfechtbarkeit kongruenter Deckungen erkläre. Schon in der Krise könne die Einzelzwangsvollstreckung aufgrund des unzulänglichen Schuldnervermögens keinen hinreichenden Rechtsschutz bieten427. Hieraus folge die Erstreckung der par condicio creditorum in die Zeit vor der Verfahrenseröffnung durch die Anfechtungsvorschriften. Bauers argumentativer Ansatzpunkt eines grundrechtlichen Schutzes der Forderungen in der Insolvenz ist überzeugend und für Rechtfertigung und Ausgestaltung des Insolvenzverfahrens von großer Bedeutung. Sein Konzept lässt allerdings einige Fragen offen, was erklärt, warum Bauer zusätzlich auf eine konkludente Gläubigerabrede und Häsemeyers Modell der Ausgleichshaftung zurückgreift428. Unklar ist etwa die Beurteilung öffentlicher Gläubiger: Nach ganz überwiegender Ansicht sind juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht Träger von Grundrechten, also auch nicht im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 GG429. In fast jeder Insolvenz bestehen Forderungen öffentlicher Gläubiger. Aus deren Perspektive und im Verhältnis der anderen Gläubiger zu ihnen kann die Gleichbehandlung nicht auf Art. 14 Abs. 1 GG gestützt werden. Weiterhin verfängt Bauers Begründung dafür, dass nur insolvenzrechtliche Gründe Ungleichbehandlungen rechtfertigen könnten, nicht. Weil in Art. 14 Abs. 2 GG ausdrücklich die Sozialpflichtigkeit des Eigentums festgelegt ist, kann aus der Eigentumsgarantie nicht überzeugend abgeleitet werden, dass Durchbrechungen der Gleichbehandlung aus Gründen des Allgemeinwohls unzulässig seien430. f) Ökonomische Analyse des Rechts: Fiktiver Gläubigervertrag Ein weiterer Ansatz zur Erklärung des Insolvenzverfahrens und der Gläubigergleichbehandlung stammt von R. H. Schmidt, der sich insoweit an einer prominenten Strömung im anglo-amerikanischen Insolvenzschrifttum orientiert431. R. H. Schmidt wählt als Ausgangspunkt die Methode der ökonomischen Analyse des Rechts, die sich unter Rückgriff auf das Instrumentarium der Ökonomie mit der Bewertung der 426

Bauer, Ungleichbehandlung, S. 74. Bauer, Ungleichbehandlung, S. 75 ff.; zum effektiven Rechtsschutz durch das Anfechtungsrecht auch Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 148. 428 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 81 ff. 429 BVerfG, Beschl. v. 8. 4. 1998 – 1 BvR 1680/93 u. a., BVerfGE 98, 17 (47); BVerfG, Beschl. v. 14. 4. 1987 – 1 BvR 775/84, BVerfGE 75, 192 ff.; BVerfG, Beschl. v. 2. 5. 1967 – 1 BvR 578/63, BVerfGE 21, 362 ff.; Maunz/Dürig/Papier, Art. 14 Rn. 206 m.w.N. 430 Zu solchen Inhalts- und Schrankenbestimmungen siehe Seuffert, ZIP 1986, 1157 (1158). 431 R. H. Schmidt, Ökonomische Analyse, passim; ders., AG 1981, 35 ff. 427

300

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

Effizienz von Regelungen und Gesetzen beschäftigt432. Bei der Bewertung von Regelungsmöglichkeiten fragt die ökonomische Methode nach der Allokationseffizienz im Sinne einer Ressourcenverteilung, durch die eine Maximierung von Nutzen (utility) für die Gesamtheit der beteiligten Subjekte erfolgt433. R. H. Schmidt greift für seine Analyse bei der Messung der Effizienz auf das Kriterium der sog. „Pareto-Optimalität“ zurück, wonach eine Situation gesellschaftlich besser als eine andere sein soll, wenn der Nutzen oder die Wohlfahrt in der ersten Situation für keine Person geringer und für mindestens eine Person größer ist als in der anderen Situation434. aa) Insolvenzverfahren als kollektive Selbstbindung Die erste Frage lautet, warum das Prioritätsprinzip überhaupt durch ein geordnetes Insolvenzverfahren ersetzt wird. Zur Lösung betrachtet R. H. Schmidt die Interessen der am Konkurs Beteiligten. Da in einem laufenden Konkurs die Kollision der beteiligten Interessen einen Konsens ausschließe, abstrahiert er sie zeitlich von der konkreten Situation435. Um das zu erreichen, stellt er die Frage, wie die Beteiligten in einer fiktiven zeitlich vorgelagerten Gesetzesberatung entscheiden würden, wenn zu diesem Zeitpunkt die jeweils zugewiesene Rolle als Schuldner, gut gesicherter Gläubiger oder ungesicherter Gläubiger in einer späteren Insolvenz noch offen wäre436. Auch Thomas H. Jackson greift auf eine solche Konstruktion zurück, die er als „creditors’ bargain“ bezeichnet437: „A more profitable line of pursuit might be to view bankruptcy as a system designed to mirror the agreement one would expect the creditors to form among themselves were they able to negotiate such an agreement from an ex ante position.“438 432 Kimhi/Doebert, ZInsO 2013, 357 ff.; Kirchner, Ökonomische Theorie, S. 7 ff.; Schäfer/ Ott, Lehrbuch, S. XXXIII. 433 Bork, in: FS Schäfer, S. 593 (594); Janson, Ökonomische Theorie, S. 88; die Definition des genauen Maßstabs ist ein zentrales Problem der ökonomischen Analyse, siehe Kirchner, Ökonomische Theorie, S. 9 m.w.N; Salzberger, in: FS Schäfer, S. 23 (30). 434 R. H. Schmidt, Ökonomische Analyse, S. 22; ähnliche Definition bei Balz, ZIP 1988, 273 (279); Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 75; in der neuen Literatur wird vermehrt auf das sog. Kaldor/Hicks-Kriterium zurückgegriffen, wonach eine Zustandsveränderung (oder Transaktion) effizient ist, wenn ihre Profiteure einen so großen Gewinn haben, dass sie diejenigen Personen, die schlechter gestellt werden (Verlierer) daraus kompensieren könnten und den Gewinnern nach dieser Kompensation dennoch ein Vorteil verbliebe, siehe dazu Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 75; Ott/Schäfer, JZ 1988, 213 (218); Posner, Economic Analysis, S. 17 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 19 f. 435 R. H. Schmidt, Ökonomische Analyse, S. 20; ebenso Jackson, The Yale Law Journal 1982, 857 (865). 436 R. H. Schmidt, Ökonomische Analyse, S. 20. 437 Jackson, The Yale Law Journal 1982, 857 (859 f.); auch Posner, Economic Analysis, S. 546. 438 Jackson, The Yale Law Journal 1982, 857 (860).

III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung

301

R. H. Schmidt folgert, dass unter diesen Voraussetzungen das Ergebnis der fiktiven Beratung so ausfallen müsse, dass für alle Betroffenen zusammen eine möglichst günstige Regelung vereinbart werde; auf diese Weise lasse sich eine Struktur finden, die unter ökonomischen Gesichtspunkten eine gesamtwirtschaftlich optimale Lösung im Sinne einer Wohlfahrtsmaximierung biete439. In Bezug auf die Insolvenzsituation nennt R. H. Schmidt drei Aspekte, die dazu führen, dass die fiktive Beratung ein geordnetes kollektives Verfahren der Fortgeltung des Prioritätsprinzips vorziehen müsse440: Erstens verändere sich im Zustand der tiefen Verschuldung die Motivlage des Unternehmers. Da sein Anteil der Haftung gering, sein Anteil an möglichen Gewinnen hingegen hoch sei, werde er im Eigeninteresse zu risikoreicheren Geschäften tendieren, die dem Interesse der Gläubiger widersprechen. Durch die Eröffnung eines geordneten Verfahrens könne diese erhöhte Risikobereitschaft des Schuldners eingedämmt werden. Zweitens hätten Gläubiger die Möglichkeit, durch konsequente Eintreibung ihrer Forderungen den Schuldner zum wirtschaftlichen Zusammenbruch zu bringen. Während dieses Vorgehen aus der Perspektive des handelnden Gläubigers vorteilhaft sei, folgten daraus für die übrigen Gläubiger Nachteile, d. h. unter dem Strich eine Wertvernichtung441. Zudem entständen jedem einzelnen Gläubiger in einem freien Kampf um Befriedigung und Sicherstellung Kosten in Gestalt sog. Verteilungskosten442. Aus der Perspektive des Kollektivs der Gläubiger stehe diesen Kosten aber kein Vorteil gegenüber, so dass sie bei einem gemeinsamen Verzicht auf den Verteilungskonflikt eingespart werden könnten443. Drittens ermögliche das Prioritätsprinzip den Gläubigern unter Umständen, ein Unternehmen zu zerschlagen, obwohl der Erlös dabei geringer ausfällt als bei einer möglichen Fortführung der Funktionseinheit444. Um diese negativen Effekte auf die Gesamtwohlfahrt zu verhindern, sei eine Einrichtung geboten, die die Gläubiger dazu bringt, immer auch im Interesse der anderen Gläubiger zu handeln445. Dementsprechend müsse im Gesamtinteresse das Prioritätsprinzip durch ein geregeltes Verfahren ersetzt werden. Dass kein tatsächlicher Vertrag in dieser Richtung geschlossen werde, beruhe darauf, dass die Gläubiger sich regelmäßig nicht kennen würden und im maßgeblichen Zeitpunkt im Vorfeld der Insolvenz auch nicht mit der Insolvenz des Schuldners rechneten446. In 439 R. H. Schmidt nimmt bei seiner Untersuchung zur Vereinfachung an, dass es nur um finanzielle Vorteile und Interessen geht, d. h. sein Modell ist allein an der wirtschaftlichen Effizient orientiert, AG 1981, 35 (37); siehe auch R. H. Schmidt, Ökonomische Analyse, S. 22 f. 440 R. H. Schmidt, Ökonomische Analyse, S. 27 ff. 441 Nachteile entstehen auch durch erhöhte Kosten bei individueller Rechtsverfolgung, siehe hierzu sogleich. 442 Im englischen „strategic costs“, Jackson, The Yale Law Journal 1982, 857 (862, 866). 443 Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 638; Schmid, KTS 2010, 307 (315). 444 So auch Jackson, The Yale Law Journal 1982, 857 (862, 864). 445 R. H. Schmidt, Ökonomische Analyse, S. 29. 446 R. H. Schmidt, Ökonomische Analyse, S. 44 f.; Jackson, The Yale Law Journal 1982, 857 (866 f.).

302

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

einer fiktiven vorgelagerten Beratung würden sich die Gläubiger hingegen vernünftigerweise einer solchen „rationalen kollektiven Selbstbindung“ unterwerfen447. R. H. Schmidt liefert damit zunächst eine Erklärung für die erste Schicht der Gleichbehandlung, d. h. das Chancengleichheitsprinzip448. bb) Gläubigergleichbehandlung als Risikominimierung Basierend auf dem gleichen Modell einer fingierten zeitlich vorgezogenen Einigung versucht R. H. Schmidt auch die verteilungsrechtliche Dimension des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung als fiktiven Gläubigervertrag zu erklären449. Ansatzpunkt ist die Überlegung, dass kein Gläubiger im Vorfeld wisse, wie er beim Verteilungskampf später abschneiden werde. Somit bestehe für alle das Risiko, zu spät zu kommen und gar nichts mehr zu erlangen. Vor diesem Hintergrund müsse sich jeder rational handelnde Gläubiger mit der späteren Gleichbehandlung einverstanden erklären, um sich gegen das bestehende Verteilungsrisiko nach dem Prinzip „alles oder nichts“ abzusichern450. cc) Bewertung Gegen das Modell des fiktiven Gläubigervertrages wird vorgebracht, dass ein entsprechendes Einverständnis gerade nicht bei allen Gläubigern angenommen werden könne451. Insbesondere wirtschaftlich mächtigere Gläubiger würden eine solche Gleichbehandlung ablehnen, da sie ein Zuvorkommen anderer Gläubiger gerade nicht zu befürchten hätten. Fehle damit aber die (hypothetische) Zustimmung aller Gläubiger, könne in dem fingierten Vertrag auch nicht der Grund für die Gläubigergleichbehandlung liegen452. Diese Kritik misst dem Grad der Abstrahierung, auf dem die Annahme des fiktiven Vertrages beruht, nicht genug Bedeutung bei: Keiner der Beteiligten soll nach dem Modell R. H. Schmidts Kenntnis von seiner späteren Position haben und kann deshalb nicht sinnvoll auf eine spätere eventuell bestehende wirtschaftliche Macht spekulieren. Die von R. H. Schmidt vorgetragene Konstruktion einer abstrahierten vorgezogenen Beratung erinnert stark an Rawls’ „Schleier der Unwissenheit“453. R. H. 447 R. H. Schmidt, AG 1981, 35 (37); siehe auch Jackson, The Yale Law Journal 1982, 857 (860, 862), der im gleichen Zusammenhang auf die bekannte theoretische Figur des „Gefangenendillemas“ (prisoner’s dilemma) hinweist. 448 Dazu oben C.III.1.a). 449 R. H. Schmidt, Ökonomische Analyse, S. 44 ff.; R. H. Schmidt, AG 1981, 35 (38 ff.). 450 R. H. Schmidt, Ökonomische Analyse, S. 44; ders., AG 1981, 35 (38); ähnlich: Jackson, The Yale Law Journal 1982, 857 (862). 451 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 12. 452 Eichberger, Konkursanfechtung, S. 12. 453 Rawls, Theory of Justice, S. 118 ff.; vgl. Zippelius, Rechtsphilosophie, § 16 III 1 (S. 85 ff.).

III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung

303

Schmidt selbst gibt an, dass er auf Rawls’ Theorem erst nach der Entwicklung der eigenen Position aufmerksam geworden sei454. Rawls hatte in seiner Gerechtigkeitstheorie („Theorie der Gerechtigkeit als Fairness“) für die Suche nach der Gerechtigkeit folgende Frage entwickelt455: Welche Grundsätze würden freie und vernünftige Menschen in ihrem eigenen Interesse annehmen, wenn sie von der Gleichheit aller Beteiligten ausgingen und die Grundverhältnisse ihres Zusammenlebens regeln wollten? Der zu erwartende Konsens basiert nach Ansicht Rawls’ auf der Berücksichtigung aller Interessen durch alle Betroffenen. Im Ergebnis führe dieses Vorgehen zu einer Maximierung des Allgemeinwohls. Zu beachten ist allerdings, dass Rawls annimmt, eine ungleiche Güterverteilung sei zulässig, wenn erwartet werden könne, dass sie zu Vorteilen für die Allgemeinheit führe, insbesondere für die Schwächergestellten456. Mit Blick auf den Konkurs ließen sich damit Durchbrechungen der par condicio creditorum begründen. In Bezug auf einen möglichen Sonderschutz für Arbeitnehmer ist der objektive Mehrwert eines solchen sozialen Schutzes auch nach strikt ökonomischen Maßstäben erkennbar. Dieser läge schon im Wert des sozialen Friedens an sich, weil die Volkswirtschaft Kosten spart, wenn Ausfälle und Schäden durch Streik, sozialen Unfrieden oder sogar Bürgerkriege ausbleiben. Den konkreten Nutzen in einer Modellrechnung zu beziffern ist jedoch kaum möglich, wenn nicht unmöglich. Wieviel ist der soziale Frieden wert? Andere Effekte und Interessen sind ebenso schwer zu bewerten. In der Folge bleibt der „veil of ignorance“ ein hypothetisches Denkmodell. Ihn als praktisches Verfahren bei der Gerechtigkeitsfindung zu verwenden, ist aufgrund der niemals vollständigen Abwesenheit subjektiver Komponenten – selbst in der Person eines neutralen Dritten – unmöglich. Schwerer wiegt für den Anwender jedoch der Makel, in dem dieses Modell dem Gleichheitsgrundsatz457 entspricht: Vor die Kollision von Interessen und Rechtspositionen gestellt, versagt es; konkrete Entscheidungskriterien kann das Modell nicht liefern458. Wie der Gleichheitsgrundsatz kann es für die Inhalte nur auf die in der jeweiligen Rechts- und Gesellschaftsordnung bereits vorhandenen Wertentscheidungen zurückgreifen. Es ist eine „ausfüllungsbedürftige Formel“459. Gleiches gilt für den „creditors’ bargain“. Eine objektive Berechnungsmethode, mit der aus rein ökonomischer Sicht die Effekte bestimmter Regelungen abgebildet werden können, existiert nicht. Das sieht auch R. H. Schmidt460. Entsprechend formuliert Jackson: 454 455 456 457 458 459 460

R. H. Schmidt, Ökonomische Analyse, S. 21 Fn. 1. Rawls, Theory of Justice, S. 118 ff. Rawls, Theory of Justice, S. 53; Zippelius, Rechtsphilosophie, § 16 III 1 (S. 86). Siehe oben C.III.3.b)bb). Zippelius, Rechtsphilosophie, § 16 III 2 (S. 86 f.). Zippelius, Rechtsphilosophie, § 16 III 2 (S. 87). R. H. Schmidt, Ökonomische Analyse, S. 96.

304

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

„Thus, to say that bankruptcy is designed to solve a common pool problem is not to tell us how to design the rules that do that well.“461

Die Ideen der ökonomischen Analyse des Rechts werden hier dennoch nicht abgelehnt. Sie erlauben interessante Erkenntnisse zur wirtschaftlichen Effizienz von Regelungen462. Insbesondere bietet diese Theorie einen Ansatzpunkt, wie sozialpolitische Erwägungen und Gegebenheit über den Aspekt des gesellschaftlichen Gesamtwohls in den Abwägungsprozess des Gesetzgebers einbezogen werden können. Zudem gilt es zu beachten, dass die ökonomische Analyse wesentlichen Einfluss auf die Insolvenzrechtsreform und damit das heutige deutsche Insolvenzrecht hatte463. Die Reduzierung auf den Maßstab der Ökonomie bildet allerdings zugleich eine Schwäche. Schließlich ist der Gesetzgeber keineswegs gezwungen, stets nur die ökonomisch effizienteste Lösung zu wählen464. In Bezug auf die vorliegende Thematik bleibt eine modellhafte Betrachtung des Interessenkonflikts zu vage, um konkrete Schlussfolgerungen für die Zulässigkeit der Lohnanfechtung ziehen zu können. g) Ergebnis Die vorstehende Betrachtung hat verdeutlicht, dass die seit jeher umstrittene Frage nach der dogmatischen Grundlage der par condicio creditorum nicht leicht zu beantworten ist. Das belegt auch der seit über hundert Jahren anhaltende Diskurs zu diesem Thema, bei dem sich nach wie vor kein Konsens abzeichnet. Aus Definitionen wie „Jedem das Seine“, „Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln“ oder dem veil of ignorance lässt sich nichts Konkretes ableiten. In Bezug auf das suum cuique meint von Lübtow allerdings treffend: „Das suum cuique ist des öfteren als inhaltsleeres Prinzip bezeichnet worden, aus dem sich keine positiven Rechtsregeln ableiten ließen, zumal auch der Wertmaßstab unbestimmt bleibe, nach dem die Zuteilung erfolgen solle. Aber diese Unvollkommenheit teilt es mit jeder anderen Formulierung der Gerechtigkeitsidee überhaupt.“465

Abstrakte Gerechtigkeitserwägungen können für konkrete Rechtsfragen, wie im vorliegenden Rahmen für die Lohnanfechtung, keine Antworten liefern. Ohne externe Orientierungspunkte gilt das ebenso für den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz. Dass die Idee der Gläubigergleichbehandlung der Gerechtigkeit durch Gleichheit als Zielvorstellung nicht entspricht oder sogar entspringt, ist damit nicht gesagt. 461

Jackson, Logics and Limits, S. 18. Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 75. 463 Bork, in: FS Schäfer, S. 593 (593 f.); dazu Kimhi/Doebert, ZInsO 2013, 357 (361 f.). 464 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 75. 465 von Lübtow, ZSS RA 66 (1948), 460 (515); ausführlich Waldstein, in: FS Flume, S. 213 (225 ff.). 462

III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung

305

Die Annahme einer echten Rechtsgemeinschaft scheitert an einem mangelnden gemeinsamen Recht der Gläubiger. Begründet man das gemeinsame Recht mit dem Insolvenzbeschlag, droht ein Zirkelschluss. Eine Interessengemeinschaft ist abzulehnen, weil ein wirkliches gemeinsames Interesse nicht gegeben ist. Häsemeyers Theorie der Ausgleichshaftung als Spiegelbild des vorherigen Einflusses bietet das dogmatisch wohl schlüssigste Modell, wobei die konkrete Bewertung des Einflusses nicht ohne weiteres greifbar ist. Keine überzeugende Erklärung bietet dieser Ansatz für Ansprüche aus unerlaubter Handlung oder ungerechtfertigter Bereicherung. Die Theorie lässt sich auch nicht in einen verfassungsrechtlichen Rahmen einordnen. Normen oder gerichtliche Entscheidungen können unter der geltenden Rechtsordnung nicht für verfassungswidrig erklärt werden, weil sie dem Prinzip der Ausgleichshaftung widersprechen. Damit ist Häsemeyers Modell vielmehr der Leitfaden für ein rechtspolitisch wünschenswertes, systematisch stimmiges Insolvenzrecht. Bauers Begründung anhand der Eigentumsgarantie und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ermöglicht am ehesten die Beantwortung verfassungs- und grundrechtlicher Kollisionsfragen. Wie und warum die par condicio creditorum bei dieser Deutung zu Gunsten und zu Lasten öffentlicher Gläubiger wirken soll, bleibt allerdings offen. Für die im Rahmen dieser Arbeit maßgebliche Gegenüberstellung des Arbeitnehmerschutzes mit dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung ergeben sich damit für die par condicio creditorum zwei zu berücksichtigende Aspekte: der Eigentumsschutz der (übrigen) Gläubiger aus Art. 14 Abs. 1 GG und aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes sowie der etwas weichere Aspekt des Einflusses der Gläubiger – auch der Arbeitnehmer – auf das Schuldnervermögen. Es liegt auf der Hand, dass diese Kriterien keine eindeutigen Antworten im Sinne von falsch und richtig oder gerecht und ungerecht erlauben. Sie bieten aber jedenfalls mehr Substanz als der Verweis auf reine Billigkeit oder den Willen des Gesetzgebers. 4. Inhalt und Wirkung des Grundsatzes Ist die dogmatische Grundlage des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung damit – wenigstens für die Betrachtung im Rahmen dieser Arbeit – geklärt, stellt sich die Frage nach seinem Inhalt. Nicht gemeint ist die einfachgesetzliche Ausprägung in der Insolvenzordnung466, sondern der abstrakte Gehalt vor dem Hintergrund der dogmatischen Wurzeln. Bereits oben wurde dargestellt, dass bei der Betrachtung der par condicio creditorum zwei Aspekte oder Schichten des Grundsatzes unterschieden werden können: das Chancengleichheitsprinzip und das Verteilungsprinzip467. An dieser 466 467

Dazu oben C.III.2. Siehe oben C.III.1.

306

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

Stelle geht es nunmehr um die Frage, wen der Grundsatz bindet und welche Anforderungen an die Rechtfertigung von Durchbrechungen zu stellen sind. Ausgangspunkt für diese Überlegungen sind die obigen Ergebnisse zur dogmatischen Grundlage der par condicio creditorum468. a) Adressat Bei der Frage nach den Adressaten des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist zwischen der einfachgesetzlichen und der verfassungsrechtlichen Ebene zu unterscheiden. Dass die Normen der Insolvenzordnung bei der Abwicklung des Insolvenzverfahrens den Insolvenzverwalter binden, liegt auf der Hand; Gleiches gilt für das Insolvenzgericht, soweit es den Insolvenzverwalter kontrolliert und selbst über Durchbrechungen der Gleichbehandlung entscheidet469. Das folgt bereits aus Art. 97 Abs. 1 GG. In der verfassungsrechtlichen Dimension geht es nach dem Ergebnis der obigen Untersuchung um die Bindungswirkung des Art. 14 Abs. 1 GG und des Gebots effektiven Rechtschutzes. Dass Gesetzgebung und Rechtsprechung an Art. 14 Abs. 1 GG gebunden sind, ergibt sich unproblematisch aus Art. 1 Abs. 3 GG und der Garantie des Instituts des Eigentums470. Ebenso richtet sich das Gebot effektiven Rechtsschutzes an die öffentliche Gewalt471. Weniger klar ist die Bindung auf verfassungsrechtlicher Ebene in Bezug auf den Insolvenzverwalter als Träger der sozialen und wirtschaftlichen Macht in der Insolvenz. Eine Bindung nach Art. 1 Abs. 3 GG scheidet aus, da der Insolvenzverwalter, auch nach der herrschenden Amtstheorie, kein öffentliches, sondern ein privates Amt ausübt472. Allein Adam hat vertreten, dass der Insolvenzverwalter als Beliehener auftrete und in der Folge an die Grundrechte gebunden sei473. Das ist jedoch abzulehnen, da der Verwalter nicht über eigene Hoheitsbefugnisse verfügt, sondern vielmehr einer Kontrolle durch das Insolvenzgericht unterliegt und sich bei verschiedenen vollstreckungsrechtlichen Handlungen eines Gerichtsvollziehers 468

C.III.3.g). Knospe, ZInsO 2014, 861 (862), der sich allerdings im selben Aufsatz selbst widerspricht, wenn er sieben Seiten später (869) angibt, der Insolvenzverwalter scheide als Adressat aus, weil er berechtigt sei, die Gläubiger ungleich zu behandeln. 470 Werres, Grundrechtsschutz, S. 60; siehe dazu oben C.I.1.a), C.I.2.b) und C.II.2.b)cc)(1). 471 Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 7.33; für Art. 19 IV GG entsprechend Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 19 IV Rn. 85. Allerdings ergibt sich nach überwiegender Auffassung im Zivilrecht dieses Gebot nicht aus Art. 19 IV GG, sondern aus der übergelagerten und aus dem Rechtsstaatsgebot folgenden Garantie der Gewährleistung effektiven Rechtsschutz, siehe Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 7.33. 472 Uhlenbruck/Mock, § 80 Rn. 57; das gilt auch für anderen vertretenen Theorien zur Stellung des Insolvenzverwalters, vgl. den Überblick bei MüKo-InsO/Ott/Vuia, § 80 Rn. 26 ff. 473 Adam, Probleme des Konkursverfahrens, S. 135 ff.; dazu Lepa, Insolvenzordnung und Verfassungsrecht, S. 230 ff. 469

III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung

307

bedienen muss; er verfügt nicht selbst über die erforderliche staatliche Zwangsgewalt474. Der Insolvenzverwalter tritt mithin als Privatrechtssubjekt auf475. Eine Wirkung der Grundrechte im Verhältnis zwischen den Gläubigern und dem Verwalter besteht nur mittelbar aufgrund der Schutzpflichtenlehre476. Gleiches gilt für die Gläubiger. Für diese kann nach den obigen Ausführungen zusätzlich auf den Aspekt der gegenseitigen Ausgleichshaftung verwiesen werden. b) Regelungsgehalt: Zulässigkeit von Durchbrechungen Nach dem obigen Befund ist der par condicio creditorum unter der Insolvenzordnung hohe Bedeutung zuzumessen477. Wie schon der landläufige Name sagt, handelt es sich dabei aber „nur“ um einen Grundsatz, so dass Ausnahmen möglich bleiben478 – und auch Realität sind. Weiland formuliert passend, dass sich eine rechtsdogmatische oder sogar verfassungsrechtliche Unzulässigkeit von Privilegierungen nur schwer begründen ließe479. Auch die Insolvenzordnung enthält keine formelle Gleichbehandlung aller Gläubiger bei der Verteilung der Masse, sondern nur innerhalb der einzelnen Rangklassen480. Dennoch sprechen gewichtige Gründe gegen einen zu großzügigen Umgang mit der Möglichkeit, zugunsten einzelner Gläubigergruppen die par condicio creditorum zu durchbrechen. Das belegt schon eine einfache Überlegung: Bei einer zu lockeren Handhabung höhlen sich die verschieden Vorrechte untereinander und gegenseitig aus, entwerten sich und konterkarieren am Ende ihren eigentlichen Zweck481. Zudem sinken mit jedem Gläubigerprivileg die Chancen auf eine erfolgreiche Sanierung von insolventen Unternehmen482. Das ist rechtspolitisch offensichtlich vom Gesetzgeber nicht gewollt und schädigt die Gläubiger, wenn der Fortführungswert eines schuldnerischen Unternehmens über dem Zerschlagungswert liegt. Rechtshistorisch bildet die Konkursordnung wohl das jüngste Beispiel für eine entsprechende Fehlentwicklung in Richtung einer umfassenden Privilegienordnung483. Die Sonderrechte der Konkursordnung beruhten vorwiegend auf Wertentscheidungen in Bezug

474

Lepa, Insolvenzordnung und Verfassungsrecht, S. 231 f. Lepa, Insolvenzordnung und Verfassungsrecht, S. 232. 476 Ähnlich Knospe, ZInsO 2014, 861 (862), dessen Formulierung allerdings eher auf die klassische mittelbare Drittwirkung über die zivilrechtlichen Generalklauseln hindeutet. 477 Siehe oben C.III.2. 478 Bork, ZIP 2014, 797 (799); Uhlenbruck, RdA 1976, 248 (254): „Ganz ohne Konkursprivilegien wird man auch im Rahmen künftiger Reformen nicht auskommen können.“ 479 Weiland, DZWIR 2011, 224 (228). 480 Siehe oben C.III.2.a). 481 Garrido, International Insolvency Review 1995, 25 (51). 482 Stapper/Jacobi, WM 2009, 1493 (1497). 483 Siehe oben B.I.2.f). 475

308

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

auf die Schutzwürdigkeit der betroffenen Forderungen und deren Inhaber484. Bereits 1932 prägte Jaeger in diesem Zusammenhang den bekannten Satz: „Das Vorrecht ist der Feind des Rechts.“485

Uhlenbruck meinte dazu, dass „eine weitere Aushöhlung der Massen durch Sicherungs-, Fiskal- und Sozialansprüche den Konkurs als Rechtsinstitut überflüssig“ mache.486 Dementsprechend begründete der Gesetzgeber die Abschaffung der Konkursvorrechte bei der Einführung der Insolvenzordnung damit, dass eine dem sozialen Schutzbedürfnis angemessene Einordnung von Gläubigerklassen in einen Privilegienkatalog unmöglich und damit willkürlich sei487. Die erste Voraussetzung für eine Durchbrechung ergibt sich aus den vorstehenden Überlegungen zum Adressatenkreis, zum Grundsatz der Gewaltenteilung sowie zu Artt. 20 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG: Aufgrund der Bindung an das Gesetz darf die Rechtsprechung keine Privilegien schaffen, die nicht vom Gesetzgeber vorgesehen sind488. Das gilt auch im Anfechtungsrecht489. Daraus folgt auf dem Fuße die Frage, wann der Gesetzgeber zulässigerweise Privilegien für einzelne Gläubigergruppen schaffen darf. Die Antwort hängt wiederum davon ab, welche Meinung man zur dogmatischen Grundlage und Wirkung der par condicio creditorum vertritt. Dem Ergebnis der obigen Untersuchung entsprechend wird hier auf die Eigentumsgarantie in Verbindung mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes und den Gedanken der Ausgleichshaftung aufgrund gegenseitiger Einflussnahme abgestellt. Diese Ausrichtung orientiert sich primär an den Überlegungen Bauers490 und Häsemeyers491. Bauer geht aufgrund seiner Ansicht zur dogmatischen Grundlage der par condicio creditorum von der grundsätzlichen Unzulässigkeit einer Wiedereinführung allgemeiner Privilegien aus492. Sofern aufgrund der Vorrechte einzelner Gläubiger die Aussetzung des Prioritätsprinzips nicht durch ein adäquates Institut zur Rechtsverfolgung ersetzt werde, liege hierin eine unzulässige Verletzung der Eigentumsga484

Meier, Privilegien des Fiskus, S. 49. Jaeger, Lehrbuch, S. 64. 486 Uhlenbruck, in: FS 100 Jahre KO, S. 3 (34). 487 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 90; dazu oben B.I.2.h)bb)(2). 488 BVerfG, Beschl. v. 19. 10. 1983 – 2 BvR 485/80, 2 BvR 486/80, BVerfGE 65, 182 (191 f.); BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1604); BGH, Urt. v. 24. 5. 2007 – IX ZR 41/05, ZIP 2007, 1338 (1340); dazu mit Bezug auf die Insolvenzordnung Meier, Privilegien des Fiskus, S. 153; ders., ZInsO 2010, 1121 (1128); mit Bezug auf die Rechtswegfrage Kreft, ZIP 2013, 241 (250). 489 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1604); BGH, Urt. v. 5. 7. 2007 – IX ZR 256/06, BGHZ 173, 129 (139 ff.); Bork, ZIP 2014, 797 (799). 490 Siehe oben C.III.3.e). 491 Siehe oben C.III.3.d). 492 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 128 f.; ähnlich im Ergebnis Meier, Privilegien des Fiskus, S. 41. 485

III. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung

309

rantie in Verbindung mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes; eine Rechtfertigung hierfür ließe sich nicht aus sozial- oder fiskalpolitischen Erwägungen gewinnen493. Bauer meint, dass lediglich insolvenzspezifische Gründe eine Privilegierung rechtfertigen könnten. Entsprechend Häsemeyer494 müsse also der Enthaftungsgrund nicht in der Beziehung zwischen Schuldner und Gläubiger, sondern in der Beziehung der Gläubiger untereinander liegen495. Diese Integration der Ausgleichshaftung in das verfassungsrechtliche Korsett des Art. 14 Abs. 1 GG überzeugt nicht. Nach der Rechtsprechung des BVerfG hat der Gesetzgeber im über die Institutsgarantie hinausgehenden Bereich die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes zu einem gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen496. Dass soziale Aspekte für die Grenzen des Eigentums von Bedeutung sind, bestätigt Art. 14 Abs. 2 GG ausdrücklich497. Wenn das Eigentum der Gläubiger in diesem einschränkbaren Umfang geschützt ist, bezieht sich auch das Gebot effektiven Rechtsschutzes nur auf die so definierte Eigentumsgarantie. Nach hiesiger Ansicht lässt sich demnach aus dem grundrechtlichen Fundament der par condicio creditorum nicht ableiten, dass Privilegien aus Gründen des Gemeinwohls verfassungsrechtlich stets unzulässig sind. Damit ist nicht gesagt, dass sie rechtspolitisch wünschenswert oder aus insolvenzrechtlicher Sicht sinnvoll sind. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an den weiten Gestaltungsspielraum, den das BVerfG dem Gesetzgeber in sozialen Fragen, gerade im Rahmen des Privatrechts, zugesteht498. Bei der innerhalb dieses Freiraums stattfindenden Abwägung können allerdings Aspekte der systematischen Schlüssigkeit sowie das Interesse an einer für die Gesamtheit der Beteiligten bestmöglichen Haftungsordnung Berücksichtigung finden. Hier kommen die Gedanken Häsemeyers ins Spiel: Nach Häsemeyer, der von einer auf gegenseitigem Einfluss basierenden Ausgleichshaftung ausgeht499, stellen Insolvenzvorrechte die privilegierten Gläubiger von ihrer Haftung frei, während die übrigen Gläubiger mit ihren Forderungen einseitig haften500. Erforderlich sei ein besonderer Enthaftungsgrund501. Maßgeblich sei 493

Bauer, Ungleichbehandlung, S. 129. Dazu sogleich. 495 Bauer, Ungleichbehandlung, S. 84. 496 BVerfG, Beschl. v. 2. 3. 1999 – 1 BvL 7/91, BVerfGE 100, 226 (240 f.); v. Münch/Kunig/ Kunig, Art. 1 Rn. 56; Maunz/Dürig/Papier, Art. 14 Rn. 38; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 111; Seuffert, ZIP 1986, 1157 (1158); ausführlich und im Allgemeinen für das Anfechtungsrecht untersucht dies Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 127 ff. 497 Siehe oben C.III.3.e). 498 Siehe oben C.I.2.b). 499 Siehe oben C.III.3.d). 500 Häsemeyer, KTS 1982, 507 (531); ders., Insolvenzrecht, Rn. 2.35 siehe auch Weber, in: FS 100 Jahre KO, S. 321 (357). 494

310

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

insoweit der Aspekt des Einfluss- oder Verantwortungsausgleichs502. Die Enthaftung sei nur gerechtfertigt, wenn der Einfluss auf das Vermögen des Schuldners – und damit auf die Rechtsstellung der anderen Gläubiger – deutlich hinter dem der übrigen Insolvenzgläubiger zurückbliebe503. Unterschiede in der Person oder der Funktion des Gläubigers sollen nach diesem Maßstab irrelevant sein. Weil die Enthaftung spiegelbildlich zur weitergehenden Haftung der übrigen Gläubiger führe, gehe es nicht nur um die Frage, ob die Privilegierung gerechtfertigt sei, sondern auch um die Rechtfertigung der gleichzeitigen Zurücksetzung der übrigen Gläubiger504. 5. Fazit Der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung hat zwei Stufen: Auf der ersten Stufe erfordert er Chancengleichheit zwischen den Gläubigern. Auf der zweiten Stufe zielt er auf eine gerechte Verteilung der vorhandenen Vermögenswerte im Sinne gleichmäßiger Verteilung. Eine besondere Ausprägung der par condicio creditorum ist die Deckungsanfechtung. Die Insolvenzordnung setzt im Grundsatz beide Stufen um, hält die Gleichbehandlung aber nicht ohne Einschränkungen durch, wie etwa der Schutz dinglich gesicherter Gläubiger zeigt. Die dogmatische Begründung des Grundsatzes ist seit jeher umstritten. Für die Auseinandersetzung mit konkreten Kollisionsfragen ist der Rückgriff auf den Eigentumsschutz der Gläubiger aus Art. 14 Abs. 1 GG und das Gebot effektiven Rechtsschutzes unter ergänzender Berücksichtigung des Einflusses der Gläubiger auf das Schuldnervermögen der vielversprechendste Ansatz. Der Grundsatz bindet die staatliche Gewalt. Im Verhältnis zwischen den beteiligten Privatrechtssubjekten einschließlich des Insolvenzverwalters besteht eine Bindung nur mittelbar aufgrund der Schutzpflichtenlehre. Dem Gesetzgeber steht es dennoch frei, Privilegien zu normieren, wobei ihm grundsätzlich ein weiter Einschätzungsspielraum zusteht. Nach der hier vertretenen Ansicht hat er dabei allerdings zu berücksichtigen, dass jede Privilegierung spielbildlich die übrigen Gläubiger zurücksetzt. Erforderlich ist daher stets eine behutsame Abwägung der betroffenen Rechtspositionen, bei der auch das Interesse an einem schlüssigen und funktionstüchtigen Insolvenzrecht zu beachten ist.

501

Häsemeyer, KTS 1982, 507 (531). Häsemeyer, KTS 1982, 507 (517). 503 Häsemeyer, KTS 1982, 507 (559). 504 Häsemeyer, KTS 1982, 507 (531); Weber, in: FS 100 Jahre KO, S. 321 (357); so auch BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1605), allerdings ohne Rückgriff auf das Modell Häsemeyers. 502

IV. Verhältnis des Arbeitnehmerschutzes zur Gläubigergleichbehandlung

311

IV. Verhältnis des Arbeitnehmerschutzes zur Gläubigergleichbehandlung Nach der vorstehenden Darstellung der relevanten Aspekte des Arbeitnehmerschutzes und des Gehalts der par condicio creditorum drängt sich die Frage auf, in welchem Verhältnis diese beiden Punkte zueinander stehen. 1. Kollision In dieser Arbeit wurde der Ansatz verfolgt, für die verschiedenen Aspekte, soweit möglich, eine verfassungsrechtliche Verankerung zu finden. Darauf aufbauend soll nunmehr eine Auflösung anhand grundrechtsdogmatischer Grundsätze versucht werden. Das ist sinnvoll, weil das Insolvenzrecht – wie alle anderen Rechtsbereiche – den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes unterliegt505. An diese Vorgaben ist insbesondere der Gesetzgeber gebunden. Er ist verpflichtet, konfligierende Rechte mit Verfassungsrang mit dem Ziel der Optimierung zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besondere Bedeutung zukommt506. Aus grundrechtsdogmatischer Sicht liegt eine Grundrechtskollision vor, wenn verschiedene Grundrechtsträger dasselbe Grundrecht oder verschiedene Grundrechte mit der Folge gegenseitiger Freiheitsbeeinträchtigung in Anspruch nehmen507. Nach den vorstehenden Betrachtungen stehen sich der Arbeitnehmer als potentieller Anfechtungsgegner und die Gläubigergesamtheit gegenüber, wobei sich beide auf den Schutz des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG berufen können508. Weil die verfügbaren Mittel im Konkurs unzureichend sind, beeinträchtigt jede Besserstellung eines Gläubigers die subjektiven Rechte der anderen509. Betrachtet man den Konflikt jeweils nur aus der Perspektive einer dieser Seiten, liegt eine abwehrrechtliche Konstellation vor, die nach dem klassischen Dreiklang „Schutzbereich, Eingriff, Rechtfertigung“ aufzulösen wäre. Im Rahmen des Art. 14 GG ist auf der

505

Werres, Grundrechtsschutz, S. 17. BVerfG, Beschl. v. 23. 10. 2013 – 1 BvR 1842/11, 1 BvR 1843/11, BVerfGE 134, 204 (223); BVerfG, Beschl. v. 19. 10. 1993 – 1 BvR 567/89, 1 BvR 1044/89, BVerfGE 89, 214 (231); BVerfG, Beschl. v. 27. 11. 1990 – 1 BvR 402/87, BVerfGE 83, 130 (143); Badura, RdA 1999, 8 (9); Gamillscheg, Arbeitsrecht, S. 140 f.; Hesse, Verfassunsgrecht, Rn. 72, 355; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 105; Preis, Arbeitsrecht, S. 183; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1570; Werres, Grundrechtsschutz, S. 17, 63. 507 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 72; Stern, Staatsrecht III/2, S. 607 m.w.N. 508 BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, ZInsO 2014, 1108 (1110); vgl. Henckel, in: FS Gerhardt, S. 361 (378). 509 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1605); Henckel, in: FS Gerhardt, S. 361 (378). 506

312

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

Ebene der Rechtfertigung eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung erforderlich510. Die Rechtfertigung für den Eingriff in das Eigentum des Arbeitnehmers läge bei der Vorsatzanfechtung in der Schrankenbestimmung des § 133 Abs. 1 InsO und damit in der mangelnden Schutzwürdigkeit des Erwerbs aufgrund sozial inadäquaten Verhaltens und dem Schutz der übrigen Gläubiger, ohne dass es jedoch um den Aspekt der Gleichbehandlung geht511. In Fällen der Deckungsanfechtung ist die Rechtfertigung in der par condicio creditorum und damit nach dem oben Gesagten512 in der eigentumsrechtlichen Position der Gläubigergesamtheit zu suchen513. Sollte demgegenüber die Deckungsanfechtung zu Gunsten einer Gläubigergruppe entschärft oder ausgeschlossen werden, wäre aus Perspektive der Gläubigergesamtheit nach der Rechtfertigung dieses Eingriffs in die Gleichbehandlung und damit nach der aufgrund Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Position des Arbeitnehmers zu fragen514. Es zeigt sich: Unabhängig, von welcher Seite man das Problem angeht, stehen sich bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Positionen des Arbeitnehmers und der Gläubigergesamtheit gegenüber. Wie ist dieser Konflikt aufzulösen? Das BVerfG hat in einer Entscheidung zum Mietrecht die für die Kollision gegenläufiger und jeweils nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützter Rechtspositionen ausgeführt515 : „Der Gesetzgeber muß in Erfüllung seines Auftrages aus Art. 14 I 2 GG die beiden miteinander konkurrierenden Eigentumspositionen inhaltlich ausgestalten, gegeneinander abgrenzen und die jeweiligen Befugnisse so bestimmen, daß die beiden Eigentumspositionen angemessen gewahrt werden. […] Der Gesetzgeber muß die schutzwürdigen Interessen beider Seiten berücksichtigen und in ein ausgewogenes Verhältnis bringen.“

Gefordert ist damit eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Interessenabwägung516. Dass sowohl Gleichbehandlung als auch der Schutz des Arbeit510 Dazu für die Inkongruenzanfechtung BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, ZInsO 2014, 1108 (1110). 511 Siehe oben zum Zweck der Vorsatzanfechtung, B.I.4.b); zur grundrechtlichen Bewertung der Vorsatzanfechtung von Lohnzahlungen, siehe unten C.V. 512 Siehe oben C.III.3.g). 513 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 138; aus dieser Richtung nähert sich auch das BAG der Frage nach der Verfassungskonfirmität der Lohnanfechtung, siehe BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, ZInsO 2014, 1108 (1110); vgl. auch Seuffert, ZIP 1986, 1157 (1158), der den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung ohne genauere Betrachtung des dogmatischen Fundaments als Rechtfertigungsgrund ansieht. 514 Undifferenziert insoweit Zwanziger, DB 2014, 2391 (2393), der meint, die Einschränkung der Anfechtbarkeit sei keine Gewährung eines Insolvenzvorrechts; von einem Arbeitnehmersonderrecht durch die Rechtsprechung des BAG spricht hingegen Klinck, DB 2014, 2455 (2455). 515 BVerfG, Beschl. v. 26. 5. 1993 – 1 BvR 208/93, BVerfGE 89, 1 (8). 516 Stern, Staatsrecht III/2, § 82 (S. 624).

IV. Verhältnis des Arbeitnehmerschutzes zur Gläubigergleichbehandlung

313

nehmers jeweils für sich legitime Zwecke sind und die Anfechtung oder eine mögliche Privilegierung zur Verfolgung des jeweiligen Zwecks geeignet und erforderlich sind, steht nicht ernsthaft in Frage. Maßgeblich ist damit jeweils der Aspekt der Angemessenheit517. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich auch kein wesentlich anderer Prüfungsmaßstab ergäbe, sofern man auf Art. 3 Abs. 1 GG als Fundament der par condicio creditorum abstellte518 : Oben wurde dargestellt, dass sich aus Art. 3 Abs. 1 GG nur ein Prüfungsrahmen für die Gläubigergleichbehandlung ergibt, der darauf angewiesen ist, durch externe Wertungen aufgefüllt zu werden. Wollte man die Frage nach der Zulässigkeit der Lohnanfechtung am allgemeinen Gleichheitssatz messen, käme es als ebenso auf die gerade genannten kollidierenden Rechtsgüter an. Nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG wäre auch hier eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen519. Noch bevor im Folgenden versucht wird, die kollidierenden Positionen gegenüberzustellen, ist auf die Grenzen dieser Vorgehensweise hinzuweisen. Der beschränkte Aussagegehalt der Verfassung und ihr hoher Abstraktionsgrad erlauben es nicht, aus ihr eine vollständige Dogmatik des Privatrechts abzuleiten520. Zudem besteht aufgrund der Unbestimmtheit der grundrechtlichen Normen das Risiko, bewusst oder unbewusst rechtspolitische Wertungen in die Abwägung einfließen zu lassen. Neuner schreibt dazu treffend: „Die Auslegung der Verfassung birgt in besonderer Weise die Gefahr, dass deren einzelne Bestimmungen von dem jeweiligen Interpreten zur Durchsetzung politischer Präferenzen und Beliebigkeiten instrumentalisiert werden.“521

In dieser Arbeit wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass dem Gesetzgeber bei Normierung von Privat- und Sozialrecht ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zusteht. Dementsprechend ist auch die Festlegung der Reichweite der Insolvenzanfechtung eine rechtspolitische Entscheidung, insbesondere wenn man auf das Merkmal der Sozialadäquanz abstellt522. Zu Recht weist Henckel darauf hin, dass man in der Verfassung vergeblich nach einem Kriterium für die Auflösung des Interessenkonflikts zwischen dem Anfechtungsgegner und der Gläubigergesamtheit sucht523.

517

Stern, Staatsrecht III/2, § 82 (S. 619); ähnlich in Bezug auf ein mögliches Fiskusprivileg: Meier, ZInsO 2010, 1121 (1128). 518 Für Nachweise zu den Vertretern siehe oben C.III.3.b)bb). 519 Siehe oben C.III.3.b)aa). 520 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 105 ff.; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 5; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 49 f. 521 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 5; im Bezug auf das Sozialstaatsgebot Badura, DÖV 1989, 491 (493); siehe auch Stern, Staatsrecht III/2, § 82 (S. 621). 522 C. Paulus, in: FS Fischer, S. 445 (449); Bandte, in: FS Beuthien, S. 401 (409). 523 Henckel, in: FS Gerhardt, S. 378.

314

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

Das bedeutet freilich nicht, dass die folgende Auseinandersetzung mit dem Abwägungsmechanismus und den zu berücksichtigenden Faktoren sinnlos oder überflüssig wäre. Sie kann aber die gesetzgeberische Entscheidung weder ersetzen noch vorhersagen. 2. Auflösung der Kollision Es gibt keine einfache Antwort auf die Frage, wie Grundrechtskollisionen aufzulösen sind524. Insbesondere gibt es keine Rangordnung der Grundrechte525, was in der vorliegenden Konstellation ohnehin nicht weiterhelfen würde, da die beiden betroffenen Positionen den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG genießen. a) Verfassungskonforme Auslegung Eine mögliche Reaktion auf die Betroffenheit der grundrechtlich geschützten Position der Arbeitnehmer besteht in der verfassungskonformen Auslegung der Anfechtungsvorschriften. Das BAG hat in einem obiter dictum genau das in Betracht gezogen526. Der Sechste Senat sprach dabei die Möglichkeit an, in Fällen von Bardeckungen oder bargeschäftsähnlichen Lagen das Existenzminimum dem Zugriff des Insolvenzverwalters zu entziehen527. Zwar handele es sich bei dem anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch um einen gesetzlichen Anspruch; auch für diesen seien jedoch die verfassungsrechtlichen Vorgaben zu beachten528. Der in der Insolvenzordnung verankerte Schutz des unpfändbaren Einkommens zeige, dass die diesem Schutz zu Grunde liegenden verfassungsrechtlichen Erwägungen auch im Insolvenzverfahren Geltung entfalteten529. Es sei zweifelhaft, ob es für den Zugriff auf das Existenzminimum darauf ankommen könne, ob dieser sofort, d. h. im Rahmen der Zwangsvollstreckung, oder nachgelagert durch die Insolvenzanfechtung erfolge530. Eine praktisch handhabbare Lösung liege in einer verfassungskonformen Auslegung der §§ 129 ff. InsO, bei der das in der Tabelle des § 850c ZPO definierte Existenzminimum anfechtungsfrei gestellt werde531. Im Ergebnis ließ der Senat die Frage, ob eine solche Lösung angezeigt sei, aber offen, weil die Voraus524

Ausführlich Stern, Staatsrecht III/2, § 82 (S. 602 ff.). Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385 (428); Stern, Staatsrecht III/2, § 82 (S. 609). 526 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (373 ff.); dazu in Bezug auf die Argumentation anhand des Existenzminimums ablehnend bereits oben C.II.2.b)dd)(3)(a). 527 Für inkongruente Deckungen soll die Reduktion nicht gelten, BAG, Urt. v. 8. 5. 2014 – 6 AZR 722/12, ZInsO 2014, 1758 (1760); BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, ZInsO 2014, 1108 (1111). 528 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (373). 529 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (374). 530 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (374). 531 BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (375). 525

IV. Verhältnis des Arbeitnehmerschutzes zur Gläubigergleichbehandlung

315

setzungen der Anfechtung nach seiner Ansicht im konkreten Fall bereits nicht erfüllt waren. Neben den systematischen Gründen, die gegen die vorgeschlagene verfassungskonforme Auslegung sprechen532, bestehen auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive erhebliche Bedenken. Die Reduktion der Anfechtungsnormen würde im Ergebnis zu einer Besserstellung der Arbeiternehmer führen. Die Besserstellung würde auf Kosten der übrigen Gläubiger erfolgen533 und damit deren nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition beeinträchtigen, ohne dass eine Grundlage für diese Einschränkung im Gesetz erkennbar wäre. Aufgrund der Gewaltenteilung und der Gesetzesbindung der Judikative muss die Schaffung von Privilegien der Legislative vorbehalten bleiben und darf nicht durch die Rechtsprechung erfolgen, was oben bereits erläutert wurde534. Der vorgeschlagene Weg einer verfassungskonformen Auslegung durch den Rechtsanwender ist mithin keine tragbare Lösung für die vorliegende Kollisionslage535. b) Praktische Konkordanz Nach der herrschenden und nunmehr auch vom BVerfG vertretenen Ansicht ist es Aufgabe des Gesetzgebers, kollidierende Rechtsgüter in ein Verhältnis der praktischen Konkordanz zu bringen536. Dabei ist jede der grundrechtlich werthaften Positionen zu ihrer größtmöglichen Geltung zu verhelfen, wobei die gegenseitigen Grenzziehungen verhältnismäßig sein müssen537. Mit Blick auf das Privatrecht gilt vor dem Hintergrund der hier vertretenen Schutzpflichtenlehre538 also, dass der Staat die betroffenen Schutzsphären der Privatrechtssubjekte miteinander in Einklang zu bringen hat539. Stern hat aus der Rechtsprechung des BVerfG abgeleitet, dass eine abstrakt-konkrete Abwägung vorzunehmen ist, bei der die konkret-individuellen Aspekte gegenüberzustellen sind, wobei allerdings auch abstrakte Kriterien, wie das Ziel einer funktionierenden staatlichen Ordnung, zu berücksichtigen sind540.

532

Siehe oben C.II.2.b)dd)(3)(a). BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1605); BGH, Beschl. v. 2. 4. 2009 – IX ZB 182/08, NZI 2009, 313 (316). 534 C.III.4.b). 535 So auch BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1604 f.). 536 Siehe bereit oben C.I.2.b); vgl. ausführlich Stern, Staatsrecht III/2, § 82 (S. 625 ff.). 537 Hesse, Verfassungsrecht, Rdn. 72, 317 ff.; Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 105; Stern, Staatsrecht III/2, § 82 (S. 626 f.). 538 Siehe oben C.I.2.a). 539 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 104 f.; vgl. auch Stern, Staatsrecht III/2, § 82 (S. 633). 540 Stern, Staatsrecht III/2, § 82 (S. 609, 627). 533

316

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

Es ist zuzugestehen, dass die Auflösung von Konflikten im Wege der praktischen Konkordanz nur „ein äußerst grobes Raster“541 darstellt. Mangels konkreter Maßstäbe verbleibt nur eine Gegenüberstellung und Abwägung der Positionen, also eine Art Güterabwägung542. Erforderlich ist immer ein „politisches Werten und Gestalten“543, wobei dem Gesetzgeber ein weiter Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zusteht544. Die Grundrechte geben insoweit nur „Leitlinien“ vor545. Die Grenzen liegen im Unter- und im Übermaßverbot546. In dieser Unbestimmtheit kann dennoch keine Schwäche gesehen werden. Gerade in sensiblen Wertfragen gibt es regelmäßig nicht nur eine „richtige“ Lösung. c) Angemessenheits-Verhältnismäßigkeit nach Ruffert In der Literatur wird teilweise bezweifelt, dass das Prinzip der praktischen Konkordanz für die Überprüfung gesetzgeberischen Handelns im Bereich des Privatrechts geeignet sei547. Das für das Polizeirecht entwickelte Verhältnismäßigkeitsprinzip sei nicht auf mehrpolige Rechtsverhältnisse angelegt, wie sie dem Privatrecht zugrunde liegen; im Gegensatz zu einer klassischen Zweck-Mittel-Abwägung stellten sich im Privatrecht Fragen der Güterverteilung, die sich nicht mit einfachen Erforderlichkeitserwägungen lösen ließen548. Für Kollisionsfragen im Privatrecht möchte Ruffert daher in Anlehnung an Medicus den Maßstab einer besonderen „Angemessenheits-Verhältnismäßigkeit“ anlegen549. Deren Ziel soll die gerechte Güterverteilung unter privaten Rechtssubjekten sein550. Dabei müsse auf „alle beteiligten Grundrechte in ihrem Verhältnis zueinander und zu anderen verfassungsrechtlichen Werten“ abgestellt werden551. In dieser Gestalt gleicht die „Angemessenheits-Verhältnismäßigkeit“ der zuvor darstellten Figur der praktischen Konkordanz552 ; beide Vorgehensweisen münden in 541

Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 68; ähnlich Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 105 ff. Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 68 f.; in Bezug auf das Anfechtungsrecht Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 107. 543 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 203. 544 BVerfG, Beschl. v. 7. 2. 1990 – 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, 242 (255); Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 106, 108; Medicus, AcP 192 (1992), 35 (55 f.). 545 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 107. 546 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 105 f.; dazu ausführlich Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 99 ff., 208 ff. 547 Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 183 f.; Medicus, AcP 192 (1992), 35 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 99. 548 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 100. 549 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 101; Medicus, AcP 192 (1992), 35 (52). 550 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 101. 551 Medicus, AcP 192 (1992), 35 (60). 552 Zu diesem Grundsatz bei der Gesetzgebung im Anfechtungsrecht: Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 104 ff. 542

IV. Verhältnis des Arbeitnehmerschutzes zur Gläubigergleichbehandlung

317

einer Gegenüberstellung der betroffenen Interessen mit dem Ziel einer optimalen Verwirklichung einer Mehrzahl kollidierender Individualpositionen553. d) Zu berücksichtigende Aspekte Eine allgemeine Prüfung, ob das Anfechtungsrecht an sich als Inhalts- und Schrankenbestimmung verhältnismäßig ist, kann und soll hier nicht erfolgen554. Nur anhand der gegebenen und bereits dargestellten Rechtslage soll im Folgenden die Konstellation von Lohnanfechtungen untersucht werden. Angestrebt wird dabei keine abschließende Aufzählung aller denkbaren Argumente, sondern ein Blick auf die wichtigsten Überlegungen und die zu bedenkenden Rahmenbedingungen. aa) Eingriffsintensität Im Rahmen der klassischen Verhältnismäßigkeitsprüfung ist auf der Stufe der Angemessenheit nach der Eingriffsintensität zu fragen555. Nach dem obigen Befund556 greift die Anfechtung gegenüber dem Arbeitnehmer in dessen nach Art. 14 Abs. 1 GG geschütztes Eigentum ein, ohne den Kernbereich des Eigentums zu verletzen. Weil der Arbeitnehmer Gegenstände aufgeben muss, die sich bereits in seinem Eigentum befinden, liegt ein schwerer Eingriff vor. Zwar lebt sein Anspruch nach § 144 Abs. 1 InsO wieder auf. Bei den regelmäßig geringen Quotenaussichten in der Praxis kann darin aber nur eine geringfügige Milderung der Eingriffsintensität gesehen werden. Soweit die Gefahr der Anfechtung den Lohnanspruch abstrakt entwertet, ist der darin zu sehende Eingriff hingegen oberflächlich und betrifft die übrigen Gläubiger ebenfalls. Eine Einschränkung der Lohnanfechtung griffe in die ebenfalls nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsposition der übrigen Gläubiger ein, weil durch die verschlechterte Quotenaussicht der wirtschaftliche Wert der geschützten Forderungen absänke557. Die Annahme einer leichten Eingriffsintensität liegt nahe, weil die Gläubiger nur über eine Forderung, nicht aber über konkrete Sachen oder Zahlungsmittel verfügen und aufgrund der Insolvenz ihres Schuldners die Forderungen ohnehin nicht voll werthaltig sind. Zwar sind Forderungen bilanziell ebenso zu berücksichtigen wie andere Vermögensgegenstände und werden in der Wirtschaft ebenso gehandelt, wenn auch mit Sicherheitsabschlägen. Dennoch wohnt Forderungen ein Element der Unsicherheit inne, das grundsätzlich erst mit ihrer Reali-

553

Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 101. Siehe hierzu Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 128 ff. 555 Die bekannteste Ausprägung dieses Prinzips ist die Dreistufenlehre aus dem Apothekenurteil, BVerfG, Entscheidung v. 11. 6. 1958 – 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377. 556 Siehe oben C.II.2.b)cc)(2). 557 Vgl. Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 147 ff. 554

318

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

sierung erlischt558. Dabei ist der Eingriff in die Forderungen der Gläubiger weniger eingriffsintensiv als der Eingriff nach einer abgeschlossenen Transaktion. Aus der Insolvenz des Schuldners einen geringeren Schutz abzuleiten, ist hingegen nicht überzeugend. Es gibt keinen Rechtssatz, wonach die Verschlechterung einer ungünstigen Position weniger eingriffsintensiv ist als eine gleichartige Verschlechterung einer günstigen Position. Unter dem Strich kann damit festgestellt werden, dass der Eingriff in das Eigentum des Arbeitnehmers schwerer wiegt als ein möglicher Eingriff in die Quotenaussicht der übrigen Gläubiger durch eine Einschränkung der Anfechtung559. bb) Besondere Schutzwürdigkeit Ein weiterer Aspekt, der mit der zuvor angesprochenen Eingriffsintensität zusammenhängt, ist die Frage nach der besonderen Schutzwürdigkeit der Arbeitnehmer. Historisch zeigt sich, dass Arbeitnehmerprivilegien im Konkurs stets auf die besondere Schutzwürdigkeit der Betroffenen gegründet wurden560. Verschiedene internationale Organisationen, etwa die Weltbank, die UNCITRAL (United Nations Commission on International Trade Law) oder die ILO (International Labour Organization) weisen ebenfalls darauf hin, dass ein Sonderschutz erforderlich sei561. Die besondere Schutzwürdigkeit wird regelmäßig damit erklärt, dass der Lohn die Existenzgrundlage des Arbeitnehmers ist562. Wie bereits dargetan wurde563, kann aufgrund der Gegenwartsbezogenheit des Schutzes des Existenzminimums aus diesem Aspekt zwar unter Umständen auf die Rechtfertigung eines Rangprivilegs, nicht aber auf die Unzulässigkeit der Lohnanfechtung geschlossen werden. Die besondere Schutzwürdigkeit der Arbeitnehmer wird weiterhin damit begründet, dass diese den Arbeitgeber aufgrund ihrer Vorleistungspflicht (§ 614 BGB) kreditieren, aber kaum eine Möglichkeit haben, ihre Forderungen gegenüber dem

558

u. a. aus der Anfechtung kann sich sich freilich eine fortdauernde Unsicherheit ergeben. Vgl. auch Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 149: „Aus den grundrechtlich geschützten Interessen des Anfechtungsgegners, gegen den sich der mit dem Recht der besonderen Insolvenzanfechtung verbundene Eingriff richtet, ergeben sich weitaus strengere und konkretere verfassungsrechtliche Vorgaben als aus den grundrechtlich geschützten Interessen der anderen Gläubiger, deren Schutz es dient.“ 560 Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 317; Henckel, in: FS Uhlenbruck, S. 19 (30); zur KO: Borst, KuT 1938, 122 (124); Bredow/Christiansen, KTS 1959, 21 (22); György, KuT 1927, 105 (105). 561 Ausführlich Sarra, in: International Insolvency Law, S. 295 (300 ff.) m.w.N. 562 BAG – Großer Senat –, Beschl. v. 13. 12. 1978 – GS 1/77, BAGE 31, 177 (204); Garrido, International Insolvency Review 1995, 25 (51); Germann, Sozialschutz, S. 5; Jacobs, NJW 2009, 1932 (1934); Jauernig, in: FS Baur, S. 478; Zeuner, JZ 1976, 1 (1). 563 C.II.2.b)dd)(3). 559

IV. Verhältnis des Arbeitnehmerschutzes zur Gläubigergleichbehandlung

319

Arbeitgeber abzusichern564. Das allgemeine Schutzinstrument der Zug-um-Zug Leistung steht dem Arbeitnehmer nur eingeschränkt zur Verfügung. Das folgt bereits aus seiner Vorleistungspflicht; zudem ist die Ausübung von Zurückbehaltungsrechten in der Praxis für den Arbeitnehmer sehr problematisch565. Andere Sicherungsinstrumente stehen ihm faktisch nicht zur Verfügung. Dem Arbeitnehmer ist es auch nicht möglich, sein Risiko zu diversifizieren oder zu spekulieren, da er auf den Lohn als Lebensgrundlage angewiesen ist566. Das unterscheidet ihn von anderen Gläubigern, z. B. Banken, gewerblichen Vermietern und Lieferanten. Allerdings kann dieses Argument auch für eine Privilegierung anderer Gläubigergruppen ins Feld geführt werden567, z. B. bezüglich des oft als Beispiel bemühten „kleinen“ Handwerkers, dessen Betrieb schon bei einzelnen Forderungsausfällen bedroht sein kann. Ebenso schutzlos sind freie Mitarbeiter oder Subunternehmer des Arbeitgebers568. Ihnen steht im Gegensatz zu den Arbeitnehmern nicht einmal Insolvenzgeld zu569. Auch der private Bauherr seines Eigenheims ist in der Insolvenz seines Bauunternehmers schutzwürdig570. Es zeigt sich also, dass die Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers nicht wirklich „besonders“ ist und sich mit diesem Argument eine Vielzahl von Privilegien rechtfertigen ließe571. Der Gesetzgeber der Insolvenzordnung ging davon aus, dass Privilegien nicht mehr mit der sozialen Schutzbedürftigkeit einzelner Gruppen zu rechtfertigen seien572. Für die Arbeitnehmer entstünden durch die Abschaffung ihres Vorrechts keine sozialen Härten. Durch das Insolvenzgeld, den Pensionssicherungsverein und die Privilegierung von Sozialplänen bestehe ausreichender Schutz573. Damit ist bereits die Frage des externen Faktors der sozialrechtlichen Sicherung angesprochen, auf den später einzugehen ist574.

564 Garrido, International Insolvency Review 1995, 25 (51); Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 339; Germann, Sozialschutz, S. 4 f.; Grepl, Insolvenzgeld, S. 7; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.23; Henrich, RdA 1974, 37 (37); Korobkin, American Bankruptcy Institute Law Review 1996, 5 (6); Uhlenbruck, RdA 1976, 248 (248, 253); ders., KTS 1974, 66 (66); Wacke, ZIP 1991, 1472 (1473). 565 Siehe oben B.II.2.e)aa). 566 Korobkin, American Bankruptcy Institute Law Review 1996, 5 (6); siehe auch R. H. Schmidt, AG 1981, 35 (44); ders., Ökonomische Analyse, S. 92, der diesen Gedanken im Rahmen seiner fiktiven Gläubigerberatung anwendet und folgert, dass diese aufgrund der unterschiedlichen Fähigkeit zur Risikotragung entsprechende Privilegien regeln würden. 567 So auch Klinck, DB 2014, 2455 (2456); Stiller, ZInsO 2013, 55 (56). 568 Stiller, ZInsO 2013, 55 (56). 569 Stiller, ZInsO 2013, 55 (56). 570 Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, S. 164. 571 Klinck, DB 2014, 2455 (2456). 572 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 90. 573 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 90. 574 Siehe unten C.IV.2.d)gg)(1).

320

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

cc) Öffentliches Wohl Verschiedene Durchbrechungen der Gläubigergleichbehandlung, insbesondere Fiskusprivilegien, wurden in der Vergangenheit mit dem „öffentlichen Wohl“ begründet, was heute als überholt gelten muss575. Es fehlt bereits an einer sinnvollen Definition des Begriffs576. Ein Aspekt des öffentlichen Wohls könnte mit Bezug zur Lohnanfechtung höchstens im sozialen Frieden gesehen werden. So weist Neuner allgemein darauf hin, dass die soziale Ausgewogenheit des Zivilrechts für den Frieden in der Gesellschaft unabdingbar sei577. Tatsächlich ist die Lohnanfechtung ein Phänomen, dessen Verbreitung aufgrund der oben erarbeiteten Voraussetzungen so gering ist, dass eine echte Gefährdung des sozialen Friedens innerhalb der Gesellschaft fern liegt. Aufgrund der geringen Belastung der Arbeitgeber durch die Finanzierung des Insolvenzgeldes578 ist nicht zu befürchten, dass diese Mehrbelastung die Funktionalität der Wirtschaft spürbar beeinträchtigen würde. dd) Leistungsprinzip und Ausgleichshaftung Ein weiterer Aspekt, der bei der vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigen sein könnte, ist das Leistungsprinzip. Es gehört zu den tragenden Grundsätzen der Wirtschaftsordnung579. Nach dem Leistungsprinzip ist der Nutzen einer Person für bestimmte Rechtsfolgen, insbesondere die Zuordnung von Eigentumspositionen580, ausschlaggebend581. Danach ließe sich die privilegierte Befriedigung eines Gläubigers in der Insolvenz damit rechtfertigen, dass er zuvor mehr geleistet hat als andere Gläubiger und damit höheren Nutzen für die Gesamtheit der Gläubiger gebracht hat582. Teilweise wird dementsprechend in der Literatur die Ansicht vertreten, Warenund Geldkreditgeber ermöglichten erst die unternehmerische Tätigkeit; die Insolvenzfestigkeit der Sicherheiten dieser Gläubiger vergünstige das erforderliche Kapital, weshalb sie gesamtwirtschaftlich wünschenswert sei583. Die Kapitalvergabe sei Voraussetzung für die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Inanspruchnahme von Dienstleistern584 ; der Beitrag von Gläubigern, die Kapital zur Verfügung stellen, sei 575

Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 338. Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 338. 577 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 232. 578 Siehe oben B.II.2.f)cc). 579 Dorndorf, Kreditsicherungsrecht, S. 42; Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 330. 580 Malinka, Leistung und Verfassung, S. 72 ff. 581 Dorndorf, Kreditsicherungsrecht, S. 42, 45; Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 330. 582 Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 330 unter Bezug auf Dorndorf, Kreditsicherungsrecht, S. 47 ff.; Stürner, ZZP 94 (1981), 263 (270 f.). 583 Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 330; Stürner, ZIP 1982, 761 (768); ders., ZZP 94 (1981), 263 (270 f.). 584 So auch Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.27.; ders., KTS 1982, 507 (520). 576

IV. Verhältnis des Arbeitnehmerschutzes zur Gläubigergleichbehandlung

321

höher zu bewerten als die Leistungen der anderen Gläubiger585. Dieser Mehrwert drücke sich wiederum dadurch aus, dass solchen leistungsstarken Gläubigern Sicherheiten bestellt würden586. Dagegen ist einzuwenden, dass die Bestellung einer Sicherheit grundsätzlich nichts über den Wert der Leistung für den Schuldner aussagt; ob eine Sicherheit bestellt wird, hängt auch von anderen Faktoren ab, etwa von der reinen Marktmacht oder von der Möglichkeit der Informationserhebung, die bei Großgläubigern typischerweise weit besser ist als bei Kleingläubigern587. Weiterhin ist beim komplexen Zusammenspiel von Kapital und Arbeit in einem Unternehmen kaum feststellbar, ob eine Gläubigergruppe mehr leistet als eine andere. Ebenso ließe sich behaupten, dass die Lieferung von Maschinen oder Rohstoffen wertlos sei, wenn niemand die darauf bezogene Arbeit verrichtete588. Eine belastbare Bewertung der Nützlichkeit der Beiträge der Gläubiger zum Unternehmen ist kaum möglich, was etwa Häsemeyer dazu veranlasste, sein Modell der Ausgleichshaftung grundsätzlich allein an der Forderungshöhe ansetzen zu lassen589. Aus dem Leistungsprinzip lassen sich mithin für die hier vorzunehmende Abwägung keine weiterführenden Erkenntnisse ableiten. ee) Veranlassungsprinzip Als Kehrseite des Leistungsprinzips lässt sich das Veranlassungsprinzip einordnen, wonach bei Grundrechtskollisionen derjenige zurücktreten soll, der den Interessenkonflikt verursacht hat590. Auch hier dürfte sich in der Gegenüberstellung von Arbeitnehmer und Gläubigergesamtheit wie beim Leistungsprinzip keine allgemeine Aussage dazu treffen lassen, wer die Kollision, d. h. den Konkurs, verursacht hat. Insoweit ist Häsemeyer zuzustimmen: „Eine Rückrechnung auf nutzen- oder schadensstifende Wirkungen der einzelnen Rechtsverhältnisse erscheint schon deshalb als ausgeschlossen, weil dafür allein die Entscheidungen des späteren Gemeinschuldners maßgebend waren.“591

Der überwiegende Teil der Gläubiger tritt aufgrund bewusster Entscheidung in eine Vertragsbeziehung mit dem Schuldner ein und muss bei lebensnaher Betrachtung erkennen, dass es andere Gläubiger gibt, mit denen eine Kollision entstehen 585

Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 330; Stürner, ZZP 94 (1981), 263 (270 f.); ähnlich Stiller, ZInsO 2013, 55 (56). 586 Dorndorf, Kreditsicherungsrecht, S. 47 ff.; kritisch Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 150. 587 Klinck, Insolvenzanfechtung, S. 78. 588 Vgl. Häsemeyer, KTS 1982, 507 (517), der meint, einer sozialpolitischen Bewertung der Wirtschaftsfaktoren Arbeit und Kapital sei keine ausschlaggebende Bedeutung zuzumessen. 589 Vgl. Häsemeyer, KTS 1982, 507 (517). 590 Stern, Staatsrecht III/2, § 82 (S. 655). 591 Häsemeyer, KTS 1982, 507 (517).

322

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

könnte. Etwas anderes gilt lediglich für unfreiwillige Gläubiger wie Sozialversicherungsträger oder Gläubiger deliktischer Forderungen. Inwieweit dieser Aspekt der unfreiwilligen Gläubigerschaft eine Privilegierung rechtfertigt, wird insbesondere in Bezug auf ein Fiskusprivileg diskutiert592. Weil auch Arbeitnehmer ihren Arbeitgeber grundsätzlich im Wege einer autonomen Entscheidung aussuchen593, soll die Frage hier nicht weiter vertieft werden. ff) Funktionsfähigkeit des Insolvenzrechts Dass ein funktionierendes Insolvenzrecht für eine Marktwirtschaft von zentraler Bedeutung ist, um Kredit zu ermöglichen und Rechtsfrieden sowie Kalkulationssicherheit zu schaffen, wurde oben dargelegt594. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Gleichbehandlung der Gläubiger: Die historische Perspektive zeigt, dass es kaum gelingt, bei der Privilegierung einer Gruppe von Gläubigern stehen zu bleiben595. Bevorzugt man eine Art von Gläubigern, besteht die Gefahr, dass auch andere Gläubigergruppen aufgrund des „Dammbruchs“ auf ein eigenes Vorrecht drängen596. Der Funktionsverlust der Konkursordnung am Ende des 20. Jahrhunderts ist ein abschreckendes Beispiel dafür, welche Folgen eine ausgeprägte Privilegienordnung zeitigen kann597. In diese Richtung ist auch die deutliche Absage des Gesetzgebers der Insolvenzordnung an entsprechende Privilegien zu verstehen: „Die herkömmlichen Vorrechte lassen sich nur einheitlich beseitigen.“598

Auch wenn sich dieses Interesse an der Funktionstüchtigkeit des Insolvenzverfahrens nicht an einer konkreten grund- oder verfassungsrechtlichen Position festmachen lässt, ist es im Rahmen der Abwägung doch ein entscheidender Faktor. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gerade Arbeitnehmer von einem funktionierenden Insolvenzverfahren profitieren können, weil es die Chancen auf den Erhalt des betroffenen Unternehmens und damit der Arbeitsplätze verbessert.

592

Mit dieser Begründung für ein Fiskusprivileg etwa RegE Haushaltsbegleitgesetz 2011 (HBeglG 2011), ZIP 2010, 1722; siehe auch Knospe, ZInsO 2014, 861 (874) m.w.N. 593 A.A. Jauernig, in: FS Baur, S. 478, der den Arbeitnehmer in einem faktischen Zwang sieht, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Solange sozialrechtlich das Existenzminimum gesichert ist, kann von einem absoluten Zwang aber wohl nicht die Rede sein. Selbst wenn man von einem grundsätzlichen Zwang ausgeht, irgendeine Stelle anzunehmen, ist bei rein tatsächlicher Betrachtung festzustellen, dass Arbeitnehmer sich ihren Arbeitgeber genau aussuchen. 594 Siehe oben B.I.1.b). 595 Weiland, Par condicio creditorum, S. 296; siehe zur Historie oben B.I.2. 596 Dahl, NJW-Spezial 2010, Heft 21, 661 (662); Weiland, Par condicio creditorum, S. 296; Stellungnahme des Deutschen Anwaltverein (DAV) vom 9. 9. 2009 zum Entwurf eines geänderten § 130 InsO (Stellungnahme Nr. 47/09), abrufbar unter www.anwaltverein.de. 597 Weiland, Par condicio creditorum, S. 296; siehe dazu oben B.I.2.h)aa). 598 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 90.

IV. Verhältnis des Arbeitnehmerschutzes zur Gläubigergleichbehandlung

323

Der Absolutheitsanspruch, der sich aus dem Aspekt der Funktionstüchtigkeit ableitet, nämlich dass es überhaupt keine Befriedigungsrechte geben soll, ist schwerlich mit dem oben genannten Ziel vereinbar, die kollidierenden Belange in einen schonenden Ausgleich zu bringen. Umso wichtiger ist die Frage, ob ein Interessenausgleich im Sinne praktischer Konkordanz trotz der Ablehnung jeglicher Vorrechte hergestellt werden kann, indem der Eingriff in die Position des Arbeitnehmers anderweitig kompensiert wird. Darauf ist im Folgenden einzugehen. gg) Externe Faktoren Die hier als externe Faktoren bezeichneten Aspekte liegen außerhalb des Insolvenzrechts und bewirken zu einem gewissen Grad eine Kompensation oder Limitierung des Eingriffs in die Position der Arbeitnehmer. Solche Faktoren modifizieren zum einen die Eingriffsintensität. Zum anderen kann der oben angesprochene Aspekt der Schutzwürdigkeit, der als Rechtfertigung für Privilegien angeführt wird599, an Gewicht verlieren600. Damit wirken externe Faktoren indirekt auf das Ergebnis der vorzunehmenden Abwägung ein601. (1) Insolvenzgeld Der wichtigste kompensatorische Faktor in Fragen der Lohnanfechtung liegt in der Möglichkeit der Arbeitnehmer, für die von der Anfechtung betroffenen Zeiträume Insolvenzgeld von der Agentur für Arbeit zu erhalten602. Dementsprechend ging der Gesetzgeber der Insolvenzordnung davon aus, dass sich Privilegien nicht mehr mit der sozialen Schutzbedürftigkeit einzelner Gruppen rechtfertigen ließen603. Für die Arbeitnehmer entstünden durch die Abschaffung ihres Vorrechts keine sozialen Härten, weil durch das Insolvenzgeld, den Pensionssicherungsverein und die Privilegierung von Sozialplänen ausreichender Schutz bestehe604. Oben wurde herausgearbeitet, dass trotz des möglichen Insolvenzgeldbezugs in Fällen der Lohnanfechtung Schutzlücken bestehen, insbesondere aufgrund der zeitlichen Begrenzung dieses Instruments605. Es liegen keine empirischen Befunde dazu vor, in welchem relativen Verhältnis diese Lücke zu den vom Insolvenzgeld 599

Siehe oben C.IV.2.d)bb). Garrido, International Insolvency Review 1995, 25 (51); Gassert-Schumacher, Privilegien, S. 333, 340; vgl. Bork, ZIP 2014, 797 (800); in diese Richtung auch Henckel, in: FS Uhlenbruck, S. 19 (30), der meint, Arbeitnehmer seien zwar besonders schutzbedürftig, der Gesetzgeber dürfe aber wählen, wie er diesem Bedürfnis nachkomme. 601 Vgl. Bork, ZIP 2014, 797 (800). 602 Dazu oben B.II.5.c). 603 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 90. 604 Begr. RegE InsO, BT-DruckS. 12/2443, S. 90; so auch LAG Nürnberg, Urt. v. 16. 5. 2012 – 2 Sa 566/11, ZInsO 2013, 94 (96); Stiller, ZInsO 2013, 55 (57). 605 Siehe oben B.II.5.c); ebenso BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (374). 600

324

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

abgefangenen Anfechtungen steht. Dennoch lässt sich wohl sagen, dass das Insolvenzgeld für eine große Zahl von Lohnanfechtungskonstellationen eingreift und insoweit kompensatorisch wirkt. In diesem Zusammenhang meint das BAG, der Arbeitnehmer müsse bei Entgeltrückständen, die drei Monate erreichten oder überstiegen, abwägen, ob er das Arbeitsverhältnis gleichwohl als erhaltenswert ansehe; entschiede er sich für den Erhalt des Arbeitsverhältnisses, nehme er in Kauf, mit Entgeltrückständen, die vom Insolvenzgeld nicht mehr abgedeckt seien, auszufallen606. Mit seiner Annahme, die Arbeitnehmer würden sich insoweit interessengerecht verhalten, habe der Gesetzgeber seine Einschätzungsprärogative nicht überschritten.607 (2) Vollstreckungsschutz Ein weiterer externer Faktor liegt im Vollstreckungsschutz der ZPO, der oben bereits thematisiert wurde608. Er bewirkt, dass auch bei erfolgreicher Anfechtung nicht in das vom Gesetzgeber definierte Existenzminimum eingegriffen wird609. Er kompensiert damit zwar den Eingriff nicht, limitiert jedoch die Eingriffsintensität und schränkt den Rechtfertigungsgrund der besonderen Schutzwürdigkeit ein. 3. Abwägungsergebnis Unter Berücksichtigung der vorstehenden Aspekte ergibt sich für die angestrebte Abwägung mit dem Ziel der Herstellung praktischer Konkordanz das folgende Bild. Der Eingriff in das Eigentum des Arbeitnehmers durch die Lohnanfechtung wiegt grundsätzlich schwerer als ein potentieller Eingriff in die Eigentumsposition der Gläubigergesamtheit durch eine Einschränkung der Anfechtung. Die Schutzwürdigkeit der Arbeitnehmer ist kein Alleinstellungsmerkmal und könnte zur Rechtfertigung unterschiedlichster Gläubigerprivilegien herangezogen werden. Schon durch einzelne Vorrechte wird jedoch die Funktionalität des Insolvenzrechts bedroht, was den Gesetzgeber der Insolvenzordnung zur Abschaffung der klassischen Vorzugsrechte bewog. Die Intensität des Eingriffs durch die Lohnanfechtung wird durch die externen Faktoren des Insolvenzgelds und des Vollstreckungsschutzes deutlich abgemildert. Dennoch verbleiben Schutzlücken. Weil der Vollstreckungsschutz der ZPO einen Eingriff in das aktuelle Existenzminimum verhindert, ist die Schutzlücke nicht so groß, dass dem Gesetzgeber vorgeworfen werden kann, seinen Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum überschritten zu haben.

606

BAG, Urt. v. 8. 5. 2014 – 6 AZR 722/12, ZInsO 2014, 1758 (1760). BAG, Urt. v. 8. 5. 2014 – 6 AZR 722/12, ZInsO 2014, 1758 (1760). 608 Siehe oben B.II.5.a)bb) sowie C.II.2.b)aa)(2). 609 Siehe auch Antwort der Bundesregierung v. 21. 9. 2007 auf die Kleine Anfrage v. 5. 9. 2007, BT-DruckS. 16/6488, S. 6 (zu Frage 6b); Klinck, DB 2014, 2455 (2462). 607

V. Grundrechtliche Bewertung der Vorsatzanfechtung von Lohnzahlungen

325

Die grundsätzliche Möglichkeit der Lohnanfechtung ist damit unter grundrechtsdogmatischen Gesichtspunkten nicht verfassungswidrig. Demgegenüber spricht bei einer Betrachtung der vorstehenden Aspekte von der anderen Seite viel dafür, dass eine insolvenzrechtliche Regelung, wonach die Lohnanfechtung ausgeschlossen würde, nicht mit der nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Position der übrigen Gläubiger zu vereinbaren wäre610. Der durch das Insolvenzgeld abgemilderte Eingriff in die Position des Arbeitnehmers ist keine hinreichende Rechtfertigung. Schutzwürdig sind nicht nur Arbeitnehmer. Eine ausgeprägte Vorrangordnung gefährdete die Funktionalität des Insolvenzrechts und verschlechterte die Befriedigungsaussichten der Gläubigergesamtheit über den reinen Masseverlust durch das Anfechtungsverbot hinaus. 4. Fazit Bei Lohnanfechtung stehen sich die Rechtspositionen der Arbeitnehmer als potentieller Anfechtungsgegner und der Gläubigergesamtheit gegenüber. Beide Positionen unterliegen dem Schutz des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG. Die in der Literatur vorgeschlagene Auflösung des Konflikts durch eine verfassungskonforme Auslegung der Anfechtungsnormen ist abzulehnen. Vielmehr sind die kollidierenden Individualpositionen gegenüberzustellen und mit dem Ziel einer jeweils optimalen Verwirklichung der betroffenen Interessen in ein angemessenes Verhältnis zu bringen. Die Anfechtung von Lohnzahlungen ist unter grundrechtsdogmatischen Gesichtspunkten insbesondere mit Blick auf den Schutz durch das Insolvenzgeld und den Vollstreckungsschutz nicht per se verfassungswidrig. Ein gesetzlicher Ausschluss der Lohnanfechtung verstieße nach der hier vertretenen Ansicht hingegen wegen der daraus folgenden Verletzung der Rechtsposition der übrigen Gläubiger und der allgemeinen Gefährdung der Funktionstüchtigkeit des Insolvenzrechts gegen die Eigentumsgarantie.

V. Grundrechtliche Bewertung der Vorsatzanfechtung von Lohnzahlungen Die Vorsatzanfechtung gründet nicht auf dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung611. Dennoch verwirklicht sich in der Vorsatzanfechtung auch der Schutz der eigentumsrechtlichen Position der Gläubiger. Die Vorsatzanfechtung muss einen Mindestschutz vor gläubigerfeindlichen Verfügungen bieten, um die Beschränkung 610 Mit Hinweis auf die Gläubigergleichbehandlung, allerdings ohne Rückgriff auf das GG, im Ergebnis auch Klinck, DB 2014, 2455 (2462). 611 Siehe oben B.I.4.b).

326

C. Arbeitnehmerschutz und Gläubigergleichbehandlung

der Gläubigerrechte aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols zu kompensieren; anderenfalls würde die nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Position der Gläubiger der Willkür des Schuldners preisgegeben und weitgehend entwertet612. Zu fragen ist, ob das telos der Vorsatzanfechtung in einem angemessenen Verhältnis zu dem Eingriff in die Eigentumsposition des Arbeitnehmers steht und § 133 InsO mithin eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung ist. Erforderlich ist nach der oben dargestellten Judikatur des BVerfG, dass der Gesetzgeber die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes zu einem gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis bringt, wobei ihm ein politischer Gestaltungsspielraum zusteht613. Bei der vom Gesetzgeber geforderten Abwägung der Interessen und Belange sind, mit Ausnahme der par condicio creditorum, die gleichen Aspekte zu berücksichtigen wie bei der Deckungsanfechtung: Die Eingriffsintensität bei der Vorsatzanfechtung entspricht grundsätzlich derjenigen bei der Deckungsanfechtung614. Sie kann jedoch aufgrund der weiter zurückgreifenden Anfechtbarkeit darüber hinausgehen, weil mit zunehmendem Zeitablauf das Vertrauen in den Erhalt des empfangenden Gegenstandes wächst. Allerdings setzt § 133 Abs. 1 InsO die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Gläubigerbenachteiligung voraus. Besteht die Kenntnis, kann auch bei längerem Zeitablauf kein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der Transaktion angenommen werden. Zugleich liegt in der Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners und der darauf bezogenen Kenntnis des Anfechtungsgegners der Rechtfertigungsgrund, d. h. im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 GG ein „Belang des Gemeinwohls“. Ließe man vorsätzliche Gläubigerbenachteiligungen zu, könnten Schuldner ihr Vermögen im Vorfeld der Insolvenz anfechtungsfrei den Gläubigern entziehen. Durch den daraus resultierenden Funktionsverlust des Anfechtungsrechts entstünde der Allgemeinheit ein Schaden, weil der Rechtsfrieden bedroht wäre und die Kosten für Kapital stiegen, um das erhöhte Risiko aufzufangen. Bei einer Freistellung der Arbeitnehmer von den Folgen der Vorsatzanfechtung wäre entsprechend den obigen Überlegungen damit zu rechnen, dass auch andere Gruppen auf Vorrechte drängten615. Das würde die Funktionstüchtigkeit des Anfechtungsrechts und damit die des Insolvenzrechts insgesamt gefährden. Führt man sich vor Augen, dass die Arbeitnehmer durch das Insolvenzgeld und die Vollstreckungsschutznormen geschützt sind616, liegt der Eingriff in ihr Eigentum wohl noch im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums617. Es sind 612

Lind, Zur Auslegung von § 133 InsO, S. 21; MüKo-InsO/Stürner, Einleitung Rn. 77. Siehe oben C.II.2.b)cc)(1). 614 Siehe oben C.IV.2.d)aa). 615 Siehe oben C.IV.2.d)ff). 616 Siehe oben C.IV.2.d)gg). 617 Ohne nähere Begründung und mit Verweis auf ein Urteil des BVerfG zur Verfassungskonformität der außerinsolvenzrechtlichen Anfechtung unentgeltlicher Leistungen hält Lind § 133 InsO insgesamt für verfassungskonform, siehe Lind, Zur Auslegung von § 133 InsO, S. 42. 613

VI. Regelungsbedarf?

327

jedenfalls nach den obigen Ausführungen618 keine Gründe ersichtlich, die allein Arbeitnehmer betreffen und trotz deren Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligung eine besondere Schutzwürdigkeit begründen.

VI. Regelungsbedarf? Der Gesetzgeber muss also nach dem vorstehenden Ergebnis und vor dem Hintergrund der Schutzpflichtenlehre aktuell keine weiteren Maßnahmen ergreifen, um auf das Phänomen der Lohnanfechtung zu reagieren. In Übereinstimmung mit diesem Ergebnis sah die Bundesregierung im Jahr 2007 keinen Anlass zu einer Gesetzesänderung619. Auch der Gravenbrucher Kreis ging Mitte des Jahres 2014 nicht von entsprechendem Handlungsbedarf aus620. Demgegenüber griffe ein Anfechtungsverbot gegenüber Arbeitnehmern aufgrund des weitgehenden Schutzes der Arbeitnehmer ohne hinreichenden Rechtfertigungsgrund in die Rechte der übrigen Gläubiger ein und wäre damit verfassungswidrig, jedenfalls aber im Interesse eines funktionierenden Insolvenzrechts nicht wünschenswert621. Hingegen läge es innerhalb des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums, wenn durch eine sozialrechtliche Lösung die bestehenden Schutzlücken geschlossen würden, worauf sogleich einzugehen ist.

618

Siehe oben C.IV.2.d)bb). Antwort der Bundesregierung v. 21. 9. 2007 auf die Kleine Anfrage v. 5. 9. 2007, BTDruckS. 16/6488, S. 4 f. (zu Frage 4). 620 Gravenbrucher Kreis, ZInsO 2014, 1704 (1705). 621 Entsprechend die Antwort der Bundesregierung v. 21. 9. 2007 auf die Kleine Anfrage v. 5. 9. 2007, BT-DruckS. 16/6488, S. 4 f. (zu Frage 4). 619

D. Regelungsmodelle und Kritik In diesem dritten und letzten Teil verbleiben vor dem Hintergrund der bisherigen Untersuchung zwei Fragen zur Klärung: zum einen, wie die bereits erfolgten Bemühungen der Bundesregierung um einen Ausschluss der Lohnanfechtung zu bewerten sind, wobei die Antwort sich größtenteils schon aus den vorstehenden Ergebnissen ergibt. Zum anderen sollen Überlegungen dazu angestellt werden, wie eine sozialrechtliche Lösung ausgestaltet sein könnte.

I. Vorbemerkung: Rechtspolitischer Spielraum Was an verschiedener Stelle in dieser Arbeit bereits anklang, soll an dieser Stelle noch einmal ins Gedächtnis gerufen werden: Sowohl im Privat- als auch im Sozialrecht besteht ein erheblicher Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers1. Innerhalb dieses Freiraums sind Lösungen oftmals allein eine Frage der jeweils vertretenen rechtspolitischen Position. Obwohl das Insolvenzrecht manchmal – zu Unrecht – als Randmaterie wahrgenommen wird, sind die Regelungen wirtschafts- und sozialpolitisch höchst umstritten. Das belegen eindrücklich die umfassenden Diskussionen zur Insolvenzrechtsreform in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts2. Besonders problematisch ist die Ausgestaltung der Gläubigergleichbehandlung und möglicher Durchbrechungen3. Pick vergleicht die Aufgabe, die gegensätzlichen Interessen in der Insolvenz zu einem gerechten Ausgleich zu bringen, mit der „Quadratur des Kreises“4. Auch die Reichweite des Anfechtungsrechts ist eine rechtspolitische Frage, die in verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedlich gelöst wird5. In den Motiven zur Konkursordnung von 1855 heißt es dazu:

1

Siehe oben C.I.1.a). Siehe zur Reform oben B.I.2.h)aa). 3 Rechtsvergleichend in Bezug auf die Stellung der Arbeitnehmer: Sarra, in: International Insolvency Law, S. 295 ff. 4 Pick, NJW 1995, 992 (994). 5 Bandte, in: FS Beuthien, S. 401 (409); Gerhardt, Systematik, S. 107; C. Paulus, in: FS Fischer, S. 445 (449); bezüglich der Anfechtbarkeit kongruenter Deckungen rechtvergleichend Bork, ZIP 2014, 794 (800 ff.). 2

II. Anfechtungsrechtliche Reformvorschläge

329

„Die Aufgabe der Gesetzgebung ist eine sehr schwierige. Auf der einen Seite kommt es darauf an, solchen betrüglichen, den Schein der Wahrheit und Gesetzlichkeit annehmenden, in vielartiger Gestaltung und Verschleierung erscheinenden Dispositionen der Schuldner entgegen zu wirken, und auf der anderen Seite muß die rechte Grenze gefunden werden, damit die Freiheit des Eigenthums nicht zu sehr beschränkt, den Rechten redlicher Personen nicht zu nahe getreten wird und störende Eingriffe in den Privatverkehr vermieden werden.“6

Diese Ausgangslage sollte man im Auge haben. Wer Gesetzesänderungen im Anfechtungsrecht einfordert oder sich vehement gegen solche wendet, handelt meist aus wohlverstandenen Interessen und nicht aufgrund wissenschaftlich begründeter Erkenntnisse.

II. Anfechtungsrechtliche Reformvorschläge Von verschiedenen Seiten wurde gefordert, das Insolvenzrecht zu modifizieren, um Lohnanfechtungen zu verhindern. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass der Effekt einer solchen Privilegierung nicht nur im Anfechtungsrecht selbst geregelt werden könnte. Ebenso kann die Anfechtung ausgeschlossen werden, indem bestimmte Ansprüche zu Masseverbindlichkeiten erklärt werden, weil damit stets die allgemeine anfechtungsrechtliche Voraussetzung der Gläubigerbenachteiligung fehlen würde7. Das ist etwa für solche Verbindlichkeiten geregelt, die der vorläufige Insolvenzverwalter, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist, vor der Eröffnung eingeht (§ 55 Abs. 2 InsO). Bereits kurz nachdem das Phänomen der Lohnanfechtung bekannt wurde, forderten Peters-Lange8 und Kocher9 in der Fachliteratur, dass die Anfechtungstatbestände zum Schutz der Arbeitnehmer modifiziert werden sollten, ohne allerdings konkrete Vorschläge zu unterbreiten. Im Jahr 2009 legte das Bundesministerium der Justiz schließlich einen im Anfechtungsrecht angesiedelten Gesetzesvorschlag vor10. Dem § 130 InsO sollte danach der folgende Absatz 4 angefügt werden: „(4) Ist der Insolvenzgläubiger ein Arbeitnehmer des Schuldners und besteht die anfechtbare Rechtshandlung in einer Zahlung des Arbeitsentgelts später als drei Wochen nach Fälligkeit, so ist diese nur anfechtbar, wenn der Arbeitnehmer positive Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder dem Eröffnungsantrag hatte.“

Nach der Begründung des Entwurfs sollte hierdurch unter „Fortentwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung“ Rechtssicherheit geschaffen werden. Nur bei positiver Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags sei es ge6

Goltdammer, Kommentar und Materialien pr. KO 1855, S. 31. Vgl. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 21.42. 8 Peters-Lange, info also 2008, 255 (265); später dafür auch Biebl, in: Jahrbuch des Arbeitsrechts 48 (Dokumentation für das Jahr 2010), S. 63 (71 f.). 9 Kocher, ZVI, 2009, 433, (437). 10 Abgedruckt u. a. in NZI Heft 9/2009, S. IX, abrufbar unter www.beck-online.de. 7

330

D. Regelungsmodelle und Kritik

rechtfertigt, dem Arbeitnehmer die betroffenen Lohnnachzahlungen wieder zu entziehen. Der Deutsche Anwaltverein lehnte in seiner Stellungnahme das Vorhaben ab11: Der Vorschlag widerspreche dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung und damit dem Willen des Gesetzgebers der Insolvenzordnung. Bei Normierung eines Privilegs bestehe die Gefahr, dass auch andere Gruppen Sonderrechte einforderten12. Die praktische Relevanz der Lohnanfechtung sei gering, auch aufgrund der restriktiven Rechtsprechung. Sei erkennbar, dass die Anfechtungsansprüche nicht werthaltig seien, müsse der Insolvenzverwalter sogar von einer Verfolgung absehen, um sich nicht schadensersatzpflichtig zu machen. Das insolvenzrechtliche Schrifttum lehnte den Vorschlag ebenfalls überwiegend ab13. Huber argumentierte, dass der vorgeschlagene Absatz 4 überflüssig sei, weil bereits § 130 Abs. 1 S. 1 InsO die positive Kenntnis des Anfechtungsgegners fordere; sinnvoller sei, wenn man eine solche Regelung überhaupt wolle, im Rahmen des Absatz 2 eine Ausnahme zu normieren14. Auch die Kodifizierung des Drei-WochenZeitraums bringe keinen Mehrwert, da nach den anerkannten Maßstäben zum Bargeschäft gem. § 142 InsO in diesen Konstellationen eine Anfechtung ohnehin ausgeschlossen sei. Da die Regelung alle Arbeitnehmer über einen Kamm schere, gehe sie entgegen der Begründung in Bezug auf Arbeitnehmer mit Insiderwissen über eine Kodifizierung der Rechtsprechung des BGH hinaus15. Das Vorhaben des Bundesministeriums verlief zunächst im Sande und wurde nicht umgesetzt16. Knospe meint dazu plastisch, bisherige Versuche, das Anfechtungsrecht zu modifizieren, seien an „den hervorragend bewachten Klippen des Insolvenzrechts wirkungslos zerschellt.“17 Im Zuge der jüngeren Diskussion um die Reichweite der Vorsatzanfechtung18 schlugen verschiedene Verbände eine Einschränkung der Vorsatzanfechtung vor19. Insbesondere Wroblewski regte einen Sonderschutz für Arbeitnehmer im Anfech-

11 Stellungnahme des Deutschen Anwaltverein (DAV) vom 9. 9. 2009 zum Entwurf eines geänderten § 130 InsO (Stellungnahme Nr. 47/09), abrufbar unter www.anwaltverein.de. 12 So auch Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197 (215). 13 Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197 (215); Dahl, NJW-Spezial 2010, Heft 21, 661 (662); Huber, in: FS Ganter, S. 203 (215 f.); ders., EWiR 2014, 291 (292); Ries/Doebert, ZInsO 2009, 2367 (2371); Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1675); gegen eine Privilegierung im Rahmen des § 133 Abs. 1 InsO auch Fawzy/Köchling, ZInsO 2014, 1073 (1080). 14 Huber, in: FS Ganter, S. 203 (216); ähnlich Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197 (214). 15 Huber, in: FS Ganter, S. 203 (216); so auch Dahl, NJW-Spezial 2010, Heft 21, 661 (662). 16 Biebl, in: Jahrbuch des Arbeitsrechts 48 (Dokumentation für das Jahr 2010), S. 63 (65). 17 Knospe, ZInsO 2014, 748 (761). 18 Dazu oben B.II.4.f)cc)(2). 19 Überblick bei Bork, ZIP 2014, 797 (808 ff.).

II. Anfechtungsrechtliche Reformvorschläge

331

tungsrecht an. In seiner Stellungnahme vor dem Rechtsausschuss des Bundestages forderte er die Einfügung eines § 129 Abs. 3 InsO, mit folgendem Wortlaut20: „Arbeitsentgelt unterliegt nicht der Insolvenzanfechtung.“

Im September 2014 wurde zudem bekannt, dass im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ein Schreiben über die „Eckpunkte für eine Reform des Anfechtungsrechts“ verfasst worden war; es war offenbar zunächst nur als interne Diskussionsgrundlage gedacht, wurde in Fachkreisen aber weitergereicht und erntete im Schrifttum deutliche Ablehnung21. Das Eckpunktepapier sah unter anderem eine weitergehende Privilegierung von Bargeschäften, auch im Rahmen des § 133 Abs. 1 InsO vor, wenn die fraglichen Transaktionen zur Fortführung des Unternehmens erforderlich sind; eine solche Konstellation sei insbesondere bei Lohnzahlungen eines insolventen Arbeitgebers naheliegend, wenn dadurch die Arbeitnehmer zum Zweck der Betriebsfortführung an den Arbeitgeber gebunden werden sollten. Konkret wurde in dem Schreiben vorgeschlagen, die Dreimonatsrechtsprechung des BAG zu § 142 InsO zu kodifizieren, wodurch das Vertrauen der Arbeitnehmer gestärkt und für Rechtssicherheit gesorgt werde22. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz setzte die Ansätze aus dem Eckpunktepapier im März 2015 in einem Referentenentwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz um23. Zum Schutz der Arbeitnehmer sieht § 142 S. 3 RefE InsO 2015 vor, dass ein enger zeitlicher Zusammenhang und damit ein unmittelbarer Leistungstausch bei der Zahlung von Arbeitsentgelt anzunehmen ist, „wenn der Zeitraum zwischen Arbeitsleistung und Gewährung des Arbeitsentgelts drei Monate nicht übersteigt.“ Damit würde – wie im Eckpunktepapier angedacht – die Dreimonatsrechtsprechung des BAG24 kodifiziert25. Das insolvenzrechtliche Schrifttum lehnt die vorstehenden Reformvorschläge zu Recht ab26. Soweit die neuen Regelungen zu einer gruppenspezifischen Einschränkung der Deckungsanfechtung führen, sind sie nach den obigen Befunden27 nicht mit 20 Stellungnahme vom 2. 4. 2014, abrufbar unter www.bundestag.de; in diesem Sinne zuvor Wroblewski, NJW 2012, 894 (898); dazu Fawzy/Köchling, ZInsO 2014, 1073 (1080). 21 Abrufbar etwa unter www.mittelstandsverbund.de; dazu Bork, ZIP 2014, 1905 ff.; Klinck, DB 2014, 2455 (2455). 22 Dafür auch Knospe, ZInsO 2014, 748 (759). 23 Beil. ZIP 12/2015 v. 20. 3. 2015, S. 1, zudem abrufbar unter www.bmjv.de; siehe dazu bereits oben im Zusammenhang mit § 133 InsO, B.II.4.f)cc)(4). 24 Dazu oben B.II.4.c)cc)(2)(c). 25 Huber, ZInsO 2015, 713 (719); Jungclaus/Keller, NZI 2015, 297 (298). 26 Bork, ZIP 2014, 1905 (1907 f.); Dahl/Linnenbrink/Schmitz, NZI 2015, 441 (445); Frind, ZInsO 2015, 1001 (1009); Fawzy/Köchling, ZInsO 2014, 1073 (1080); Gravenbrucher Kreis, ZInsO 2014, 1704 (1705); Hölzle, ZIP 2015, 662 (670); Huber, EWiR 2014, 291 (292); Klinck, DB 2014, 2455 (2462); vorsichtig kritisch Jungclaus/Keller, NZI 2015, 297 (298). 27 Siehe oben C.IV.3.

332

D. Regelungsmodelle und Kritik

dem Schutz der eigentumsrechtlichen Position der übrigen Gläubiger zu vereinbaren28. Fawzy und Köchling argumentieren ergänzend, dass ein Arbeitnehmerprivileg die Auswirkungen der Anfechtungspraxis nur „sektoral“ lindern könne, was dem Rechtsfrieden unter dem Strich nicht diene29. Anfechtungsrechtliche Normen, die einen Sonderschutz für Arbeitnehmer kodifizieren, sind danach abzulehnen.

III. Sozialrechtliche Lösung Von verschiedener Seite wurde vorgeschlagen, die Problematik der Lohnanfechtung sozialrechtlich zu lösen30. Der BGH formuliert etwa, es sei „nicht Aufgabe der Gläubigergemeinschaft, sondern des Staats, etwaige durch eine Insolvenz zulasten bestimmter Gläubiger hervorgerufene unzumutbare Härten auszugleichen.“31 Bevor auf konkrete Gestaltungsmöglichkeiten eingegangen wird, ist zu betonen, dass eine Erweiterung des sozialrechtlichen Schutzes nach den Ergebnissen dieser Arbeit nicht verfassungsrechtlich geboten ist, sondern im Ermessen der Legislative liegt. Die folgenden Überlegungen bewegen sich damit im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums und sind dementsprechend als rechtspolitischer Natur zu kennzeichnen. Die sozialrechtliche Schutzlücke folgt in erste Linie daraus, dass ein Anspruch auf Insolvenzgeld ausscheidet, wenn der Verwalter später Lohnzahlungen anficht und der Insolvenzgeldzeitraums im Rahmen einer Betriebsfortführung im vorläufigen Insolvenzverfahren bereits ausgeschöpft wurde; weniger einschneidend ist die zweimonatige Ausschlussfrist nach § 324 Abs. 3 S. 1 SGB III, weil nach dessen Satz 2 an die Kenntnis von der Anfechtbarkeit angeknüpft werden kann32. Dennoch können Arbeitnehmern bei Lohnanfechtungen hierdurch Einbußen entstehen. 1. Ausdehnung des Insolvenzgeldzeitraums Eine naheliegende und keineswegs neue Idee ist es, den Insolvenzgeldzeitraum über die aktuelle dreimonatige Begrenzung auszuweiten. Bereits Anfang der 80er 28 So auch Bork, ZIP 2014, 1905 (1907 f.); auf den Verstoß gegen die par condicio hinweisend auch Frind, ZInsO 2015, 1001 (1009); Hölzle, ZIP 2015, 662 (669) meinte, die Grundlage der Differenzierung sei dogmatisch nicht zu klären. 29 Fawzy/Köchling, ZInsO 2014, 1073 (1080). 30 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1605); Bork, ZIP 2007, 2337 (2340); Brinkmann, ZZP 125 (2012), 107 (215 f.); Dahl, NJW-Spezial 2010, Heft 21, 661 (662); Dahl/Linnenbrink/Schmitz, NZI 2015, 441 (446); Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 (627); Klinck, DB 2014, 2455 (2462); Kreft, ZIP 2013, 241 (252); Lütcke, NZI 2014, 350 (351, 353); Vollrath, ZInsO 2011, 1665 (1675). 31 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 (1605). 32 Siehe oben B.II.5.c).

III. Sozialrechtliche Lösung

333

Jahre schlug Hanau vor, den Konkursgeldzeitraum auf ein halbes Jahr vor der Konkurseröffnung auszuweiten33. Im Zuge der Insolvenzrechtsreform forderte der Deutsche Richterbund (DRB) gemeinsam mit dem Bund der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit (BRA) in einer Stellungnahme gegenüber dem Bundesministerium der Justiz im Jahre 1990 die Grundkonzeption des Insolvenzgeldes zu überdenken34. Danach sei eine Ausgestaltung als Sanierungsinstrument möglich. Bei einer Ausdehnung des Zeitraums auf sechs Monate könne eine Aufspaltung für die Zeit vor und nach der Verfahrenseröffnung vorgenommen und jeweils für drei Monate Insolvenzgeld gewährt werden. Berscheid griff den Vorschlag später auf35. Das Modell ist mit der heutigen Konzeption, wonach das Insolvenzgeld kein Sanierungsinstrument36 sein soll, nicht zu vereinbaren. Diese Konzeption ist freilich nicht über jeden Zweifel erhaben. Die Frage nach der Zulässigkeit und Sinnhaftigkeit einer grundsätzlichen Umgestaltung des Insolvenzgeldes würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und soll hier nicht weiter vertieft werden. Eine schlichte Ausweitung des Insolvenzgeldzeitraums auf sechs Monate vor der Verfahrenseröffnung schlug der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Entwurf eines Einführungsgesetzes zur InsO vor37. Damit sollte eine Schlechterstellung der Arbeitnehmer durch die Abschaffung der Konkursvorrechte kompensiert werden. Berscheid hat zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Ausweitung nicht gegen die europarechtlichen Vorgaben38 verstieße, die nur Mindest-, nicht aber Maximalzeiträume vorschreiben39. In Bezug auf das vorliegende Thema würde eine entsprechende Ausweitung theoretisch das Risiko senken, dass der Insolvenzgeldzeitraum im Fall einer späteren Anfechtung bereits voll ausgeschöpft ist. Eine allgemeine Verlängerung des Zeitraums würde aber zu einer erheblichen Kostenbelastung führen, die auf die Arbeitgeber umgelegt werden müsste. Zugleich wäre eine schwerwiegende Änderung der Sanierungspraxis zu erwarten, weil vorläufige Insolvenzverwalter, der heutigen Vorgehensweise entsprechend, eine möglichst lange Insolvenzgeldvorfinanzierung anstreben würden, um den Betrieb ohne Personalkosten im vorläufigen Verfahren fortzuführen. Es würde sich mithin um eine recht schwerwiegende und teure Änderung handeln, um einem überschaubaren Problem, der Lohnanfechtung, zu begegnen.

33 34 35 36 37 38 39

Hanau, Gutachten für den 54. Deutschen Juristentag, E 66 ff., E 119. Stellungnahme, S. 11 f. Berscheid, ZInsO 2003, 498 (502 f.). Siehe oben B.II.2.f)cc). BT-DruckS. 12/3803, S. 129 zu Nr. 31. Siehe dazu oben B.II.2.f)bb). Berscheid, ZInsO 2003, 498 (502 f.).

334

D. Regelungsmodelle und Kritik

2. Sonderleistung bei Lohnanfechtung Eine feinere Korrektur könnte darin bestehen, im Fall der Lohnanfechtung eine kompensatorische Zahlung zu gewähren, die unabhängig vom normalen Insolvenzgeldzeitraum ist. Brinkmann hält es für denkbar, „den Schutz des Insolvenzgelds dergestalt auszudehnen, dass der Versicherungsschutz auch dann greift, wenn Arbeitnehmer im Wege der Deckungsanfechtung Arbeitsentgelt zurückzahlen müssen, das sie in den letzten drei Monaten vor Antragsstellung – gleich für welchen Zeitraum – erhalten haben.“40 Diese Lösung könne auch verhindern, dass die Motivation der Arbeitnehmer unter der Angst vor Lohnanfechtungen litte; der Insolvenzverwalter könne dann stets darauf verweisen, dass die betroffenen Arbeitnehmer schadlos gestellt werden und das aus der Anfechtung Erlangte der Masse – und damit auch den Arbeitnehmern – zu Gute komme41. Dieser Ansatz ist überzeugend. Er schlösse die bestehende Schutzlücke weitestgehend. Ein Schutz vor Lohnanfechtungen über § 133 Abs. 1 InsO könnte ebenso erwogen werden; vor dem Hintergrund der fehlenden Schutzwürdigkeit des Anfechtungsgegners, die § 133 Abs. 1 InsO zugrunde liegt, wäre ihre Rechtfertigung allerdings schwieriger. Konsequenterweise wäre dann auch § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO, der eine Sonderform der Vorsatzanfechtung darstellt, auszunehmen. Die von Brinkmann vorgeschlagene Beschränkung auf Zahlungen in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag ergäbe sich in diesem Fall bereits aus der Anknüpfung an die Deckungsanfechtung, die stets nur Rechtshandlungen in diesem Zeitraum erfasst. Der finanzielle Mehraufwand für diesen Sonderschutz dürfte überschaubar sein. Zwar ist nicht auszuschließen, dass die Zahl der Lohnanfechtungen zukünftig zunimmt, weil Verwalter aufgrund der sozialrechtlichen Absicherung weniger Hemmungen an den Tag legen und nicht fürchten müssen, auf einen zahlungsunfähigen Anfechtungsgegner zu stoßen. Aber selbst in diesem Fall dürfte der für die Sondersicherung erforderliche Aufwand im Vergleich zum „normalen“ Insolvenzgeld, auch im Rahmen von Vorfinanzierungen, kaum ins Gewicht fallen. Um die Kosten kontrollierbar zu halten, könnte zudem eine Begrenzung auf einen Betrag von maximal drei Monatsgehältern festgesetzt werden. Der bestehenden Systematik des SGB III entsprechend müsste der Anspruch auf die Sonderleistung in § 165 SGB III geregelt werden. Systematisch ist es dabei am überzeugendsten, einen neuer Absatz 1a) einzufügen. Anders als in Absatz 1 bezöge sich der Anspruch nur auf das Insolvenzereignis der Verfahrenseröffnung, da bei einer Abweisung oder Aussichtlosigkeit mangels Masse (§ 165 Abs. 1 Nr. 2, 3 SGB III) eine Anfechtung ohnehin ausscheidet. Ein entsprechender Hinweis im Wortlaut zur Klarstellung wäre vorteilhaft. Um das auslösende Ereignis der Anfechtung adäquat zu beschreiben, ist ein Verweis auf die einschlägigen Anfechtungsnormen die knappste und zugleich verständlichste Lösung. Die Beschreibung der Grundvor40 41

Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197 (215). Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197 (215 f.).

III. Sozialrechtliche Lösung

335

aussetzung, nämlich der Rückgewährpflicht zur Insolvenzmasse, kann terminologisch an § 143 Abs. 1 InsO angelehnt werden. Eine Lösung, wonach der Anspruch auf die Sonderleistung bereits bei Inanspruchnahme durch den Insolvenzverwalter entsteht und die Anfechtung sodann gem. § 169 S. 1 und 3 SGB III gegenüber der Agentur für Arbeit stattfindet, wäre schwer umzusetzen. Sie widerspräche der geltenden Systematik der Insolvenzgeldregelungen, die hier nicht in Frage gestellt werden soll. Danach ist die Bundesagentur für Arbeit gem. § 169 S. 1 und 3 SGB III nur Anfechtungsgegnerin, wenn die Anfechtung erfolgt, nachdem der Insolvenzgeldantrag gestellt worden ist42. Der Insolvenzgeldantrag für die hier vorgeschlagene Sonderleistung kann aber erst gestellt werden, wenn die Anfechtung, d. h. eine Inanspruchnahme durch den Verwalter, erfolgt ist. Zuvor steht eine Rückgewährpflicht schließlich überhaupt nicht im Raum. Eine Konstruktion, bei der sich der Insolvenzverwalter von vornherein nur an die Agentur wenden muss, ist ohnehin nicht sinnvoll. Nur der Arbeitnehmer kann bei Inanspruchnahme prüfen, ob die vom Insolvenzverwalter vorgetragene Tatsachengrundlage, auf die der Anspruch gestützt wird, überhaupt zutrifft. Die Bezugnahme auf die Pflicht zur Rückgewähr – und nicht die Rückgewähr selbst – ermöglicht es dem Arbeitnehmer, den eigenen Anspruch auf die Sonderleistung gegen die Agentur an den Insolvenzverwalter erfüllungshalber abzutreten. Das verhindert, dass der Arbeitnehmer die erforderliche Liquidität vorstrecken muss und erst später die Kompensation von der Agentur erlangen kann. Es besteht auch keine Besorgnis, dass Arbeitnehmer aufgrund der Rückgewährpflicht die Sonderleistung in Anspruch nehmen, ohne dass eine Rückgewähr tatsächlich erfolgt, etwa weil der Insolvenzverwalter auf die Durchsetzung des Anfechtungsanspruchs verzichtet. Verwalter werden von einem solchen Verhalten tunlichst Abstand nehmen, weil sie für die Nichtverfolgung des werthaltigen Anspruchs persönlich haften43. Für die Beschränkung der Höhe kann auf die Definition in § 167 Abs. 1 SGB III Bezug genommen werden. Die Deckelung in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze ist auch für die Sonderleistung angemessen, da der besondere Schutz bei sehr hohen Einkommen nicht in voller Höhe erforderlich ist, um die Interessen des Arbeitnehmers zu wahren. Der neue § 165 Abs. 1a) SGB III könnte also lauten: „1a) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben darüber hinaus im Fall des Abs. 1 Nr. 1 einen Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie aufgrund der §§ 130, 131 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO Entgeltzahlungen zur Insolvenzmasse zurückzugewähren haben. Der Anspruch besteht höchstens in Höhe des Arbeitsentgelts für drei Monate gemäß § 167 Abs. 1 SGB III.“

Einer Modifikation des Anspruchsausschlusses für anfechtbar erworbene Ansprüche in § 166 Abs. 1 Nr. 2 SGB III bedarf es nicht, da die betroffenen Zahlungen nicht auf einem anfechtbaren Erwerb beruhen, sondern nur selbst anfechtbar sind44. 42 43 44

BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 (372 f.). Siehe oben B.II.3. Dazu schon oben B.II.2.f)cc).

336

D. Regelungsmodelle und Kritik

Erforderlich ist hingegen eine Regelung in § 324 Abs. 3 SGB III, der die Ausschlussfrist für das Insolvenzgeld regelt. Eine Anknüpfung an das Insolvenzereignis, wie sie S. 1 vorsieht, macht für den Sonderschutz keinen Sinn, weil zu diesem Zeitpunkt die Anfechtbarkeit weder dem Verwalter noch dem Arbeitnehmer bekannt ist. Wenn man überhaupt eine Ausschlussfrist regeln will, sollte an die tatsächliche Rückgewähr angeknüpft werden. Erst in diesem Moment wird für den Arbeitnehmer der eigene Bedarf für die Leistung offensichtlich. Die Regelung verhindert außerdem, dass gegen den Arbeitnehmer ein Anspruch auf Rückgewähr besteht, sein Anspruch auf die Sonderleistung aber schon ausgeschlossen ist. Ein Hinweis darauf, dass die Antragsstellung bereits ab der Inanspruchnahme durch den Verwalter möglich ist, scheint entbehrlich. § 324 Abs. 3 S. 4 SGB III könnte lauten: „Insolvenzgeld nach § 165 Abs. 1a) SGB III ist abweichend von S. 1 innerhalb einer Ausschlußfrist von zwei Monaten nach der Rückgewähr zur Insolvenzmasse zu beantragen.“

Eine gesonderte Norm, die einen Hinweis auf das Antragserfordernis im Sinne einer Rechtsbehelfsbelehrung durch den anfechtenden Insolvenzverwalter vorschreibt, ist nicht erforderlich. Es ist zu erwarten, dass die Verwalter schon im eigenen Interesse an einem solventen Schuldner entsprechende Hinweise geben werden.

IV. Haftung der (ehemaligen) Geschäftsleitung Eine weitere Regelungsmöglichkeit soll an dieser Stelle nur kurz angesprochen sein: Macht man sich klar, aufgrund wessen Versäumnissen die Voraussetzungen der Lohnanfechtung überhaupt erst entstehen, wäre eine Haftung des Geschäftsleitungsorgane einer schuldnerischen Gesellschaft für die Ausfälle der Arbeitnehmer45 gerechtfertigt. Der Arbeitgeber ist es, der die Lohnrückstände auflaufen lässt, die ein Bargeschäft ausschließen. Sein Gebaren begründet die Kenntnis des Arbeitnehmers von der Zahlungsunfähigkeit oder dem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz. Es könnte dementsprechend überlegt werden, eine Organhaftung für offene Arbeitnehmeransprüche im Allgemeinen46 oder Schäden durch Lohnanfechtung im Speziellen zu normieren. In Kanada etwa haften Geschäftsführer in der Insolvenz nach verschiedenen Gesetzen für offene Lohnansprüche der Arbeitnehmer der Gesellschaft47. Allerdings liegt in Fällen, in denen Lohnansprüche offen geblieben sind, regelmäßig auch eine Insolvenzverschleppung vor, die zur Haftung der handelnden Personen nach § 64 GmbHG oder §§ 92, 93 AktG führt. Die Erfahrung zeigt, dass die Geschäftsführer als Privatpersonen die immensen Ansprüche, die aus diesen Normen 45 Im Rahmen der oben skizzierten sozialrechtlichen Lösung entstünde der Schaden der Agentur für Arbeit, was ebenfalls einen Rückgriff rechtfertigen könnte. 46 Vgl. Sarra, in: International Insolvency Law, S. 296. 47 Press/McKie, Employment, S. 16 ff.; Sarra, in: International Insolvency Law, S. 309.

IV. Haftung der (ehemaligen) Geschäftsleitung

337

resultieren, oftmals nicht annähernd begleichen können. Die Werthaltigkeit sogar noch darüber hinausgehender Haftungsansprüche ist daher sehr zweifelhaft. Gerade bei größeren Unternehmen könnten aufgrund der Vielzahl von Arbeitnehmern bereits bei kurzen Rückständen enorme Haftungssummen entstehen. Wichtiger als eine wirkliche Schadloshaltung der Arbeitnehmer aufgrund einer solchen Haftung wäre der Effekt, Geschäftsführer zu einer dauerhaften und pünktlichen Erfüllung von Entgeltansprüchen anzuhalten48. Es ist dieser Aspekt der Handlungssteuerung, der zu einer näheren Untersuchung der Thematik einlädt, die an dieser Stelle aber nicht erfolgen kann und soll.

48

Vgl. Sarra, in: International Insolvency Law, S. 309.

E. Exkurs: Rechtsweg für Klagen bei Lohnanfechtungen Zum Schluss der vorliegenden Untersuchung sind noch einige Bemerkungen zur Frage angebracht, welcher Gerichtsweg für Lohnanfechtungsklagen zuständig ist: Die ordentlichen Gerichte oder die Arbeitsgerichtsbarkeit? Diese Bemerkungen können aus zwei Gründen knapp gehalten werden: Zum einen hat der Rechtsweg grundsätzlich keinen Einfluss auf die materiellrechtliche Rechtslage, die Gegenstand dieser Arbeit ist. Zumindest theoretisch1 sollte eine gerichtliche Entscheidung bei identischer Sachlage gleich ausfallen, unabhängig davon, ob ein Amtsgericht oder Arbeitsgericht entscheidet. Schließlich liegt beiden in der Sache derselbe Sachverhalt vor und beide haben dieselben Normen anzuwenden. Zum anderen hat der GmS-OGB mit seinem Beschluss vom 27. September 20102 in der Sache das letzte Wort gesprochen3. Zuvor wurde die Frage wissenschaftlich umfassend und aus verschiedensten Blickwinkeln beleuchtet4. Es ist daher überflüssig, alle vorgebrachten Argumente zu wiederholen. Die folgenden – knappen – Bemerkungen sind dennoch erforderlich. Die Rechtswegfrage gehört zum vorliegenden Thema und ist in der historischen Perspektive untrennbar mit ihm verbunden. Erst die Brisanz einer verbissenen Zuständigkeitsstreitigkeit zwischen zwei obersten Gerichtshöfen brachte dem Phänomen der Lohnanfechtung eine Aufmerksamkeit in Fachkreisen ein, die ihm durch eine Handvoll instanzgerichtlicher Entscheidungen nicht zuteil geworden wäre. Zudem verbirgt sich hinter der Auseinandersetzung ein Kampf um die Deutungshoheit im Insolvenzrecht, der weit über die Thematik der Lohnanfechtung hinausgeht. Zuletzt zeigen das Urteil des BGH vom 10. Juli 20145 sowie jüngere Äuße-

1 Dass etwa die Auslegung des § 142 InsO durch BAG einerseits und BGH andererseits stark auseinanderfällt (siehe oben B.II.4.c)cc)(2)(c)), ist daher bedenklich. 2 GmS-OGB, Beschl. v. 27. 9. 2010 – GmS-OGB 1/09, BGHZ 187, 105. 3 Das wird teils aufgrund verfassungsrechtlicher Erwägungen anders gesehen, dazu sogleich. 4 Bandte, in: FS Beuthien, S. 401 (403); Berscheid, jurisPR-ArbR 10/2011 Anm. 5; Biebl, in: Jahrbuch des Arbeitsrechts 48 (Dokumentation für das Jahr 2010), S. 63 ff.; Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197 (198 ff.); Jacobs, NJW 2009, 1932; ders., in: FS Kreutz, S. 145 ff.; Kirchhof, ZInsO 2008, 1293 ff.; Kreft, ZInsO 2009, 578 ff.; Walker, in: FS Bauer, S. 1051 ff.; Windel, AP § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14 (sub. II.). 5 BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, ZInsO 2014, 1602 ff.

I. Ausgangslage und Entscheidung des BAG

339

rungen im Schrifttum6, dass eine friedfertige Koexistenz von BGH und BAG in Anfechtungsfragen nicht zu erwarten ist.

I. Ausgangslage und Entscheidung des BAG Unter der Konkursordnung wurde von den Instanzgerichten die Rechtswegzuständigkeit der ordentlichen Gerichte für Lohnanfechtungsklagen angenommen7. Auch nachdem die Insolvenzordnung in Kraft getreten war, blieb es zunächst dabei8. Die Literatur ging ebenfalls ganz überwiegend von der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte aus9. Das BAG entschied hingegen am 27. Februar 200810, dass für solche Klagen der Arbeitsrechtsweg eröffnet sei. In der recht knappen Begründung argumentierte der Fünfte Senat, dass der Insolvenzverwalter als Rechtsnachfolger des insolventen Arbeitgebers i.S.d. § 3 ArbGG handele, was sich insbesondere aus §§ 80 Abs. 1 und 108 Abs. 1 InsO ergebe11. Die Parteien führten einen bürgerlichen Rechtsstreit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus einem Arbeitsverhältnis (§ 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG) oder jedenfalls über Ansprüche, die mit einem Arbeitsverhältnis in rechtlichem oder unmittelbar wirtschaftlichem Zusammenhang stünden (§ 2 Abs. 1 Nr. 4a ArbGG). Das Rückgewährverhältnis nach der Insolvenzanfechtung sei zwar ein gesetzliches, jedoch auf die „Rückabwicklung einer arbeitsrechtlichen Leistungsbeziehung gerichtet“12. Die anzuwendenden Regeln der Insolvenzordnung enthielten eine „Mehrzahl unbestimmter Rechtsbegriffe […], deren Anwendung durch spezifisch arbeitsrechtliche Fragestellungen beeinflusst“ werde13. Einige Instanzgerichte schlossen sich dieser Ansicht an14. Die Reaktionen im Schrifttum waren gemischt: Während manche Autoren, die dem Insolvenzrecht 6

V. a. Kreft, ZIP 2013, 241 ff. LG Bonn, Beschl. v. 16. 6. 1998 – 1 O 160/98, ZIP 1998, 1726 f.; KG, Beschl. v. 22. 3. 1996 – 7 W 660/96, ZIP 1996, 1097; LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 18. 7. 1995 – 4 Ta 72/ 95, ZIP 1995, 1756 (1756 f.); ArbG Rheine, Beschl. v. 5. 6. 1967 – 1 Ca 238 C/67, AP Nr. 1 zu § 30 KO; vgl. BGH, Beschl. v. 2. 4. 2009 – IX ZB 182/08, NZI 2009, 313 (314) und Kreft, ZInsO 2009, 578 (579) jeweils m.z.N. 8 LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 22. 7. 2005 – 4 Ta 178/05, NZI 2005, 644; vgl. dazu BGH, Beschl. v. 2. 4. 2009 – IX ZB 182/08, NZI 2009, 313 (314); Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197 (199); Kreft, ZIP 2013, 241 (241); ders., ZInsO 2009, 578 (579) jeweils m.w.N. 9 v. Campe, Insolvenzanfechtung, S. 323; Kreft, ZInsO 2009, 578 (579) m.z.N. 10 BAG, Beschl. v. 27. 2. 2008 – 5 AZB 43/07, BAGE 126, 117 ff. 11 BAG, Beschl. v. 27. 2. 2008 – 5 AZB 43/07, BAGE 126, 117 (118). 12 BAG, Beschl. v. 27. 2. 2008 – 5 AZB 43/07, BAGE 126, 117 (119). 13 BAG, Beschl. v. 27. 2. 2008 – 5 AZB 43/07, BAGE 126, 117 (119). 14 ArbG Marburg, Urt. v. 26. 9. 2008 – 2 Ca 204/08, ZIP 2008, 2432; LAG Nürnberg, Beschl. v. 8. 12. 2008 – 2 Ta 187/08, NZI 2009, 132 f.; LAG Thüringen, Beschl. v. 6. 2. 2008 – 1 Ta 157/ 07, juris. 7

340

E. Exkurs: Rechtsweg für Klagen bei Lohnanfechtungen

nahestehen, teils harsche Kritik übten15, pflichtete das arbeitsrechtliche Schrifttum dem BAG überwiegend bei16. Von Lohnanfechtungen bedrohte Arbeitnehmer erhoben aufgrund der unklaren Rechtslage teilweise Klage vor den Arbeitsgerichten, um deren Zuständigkeit zu forcieren17. Das erklärt, warum die Arbeitnehmer in einigen der veröffentlichten Urteile als Kläger einer negativen Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO und nicht, wie es die Konstellation in der Sache vermuten ließe, als Beklagte einer Leistungsklage auftreten18. Die Rechtsmittelgerichte waren gem. § 17a Abs. 1 GVG, § 48 ArbGG an den vom Erstgericht angenommenen Rechtsweg gebunden.

II. Vorlage des BGH Der BGH zeigte sich mit der Ansicht des BAG nicht einverstanden und legte mit Beschluss vom 2. April 2009 dem GmS-OGB die Frage zur Klärung vor19. Der BGH argumentierte in den umfangreichen Entscheidungsgründen, dass die Lohnanfechtung nicht zu einer Umkehrung von Ansprüchen aus dem Arbeitsrecht führe; die Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung seien allein nach den Rechtssätzen der Insolvenzordnung zu beurteilen20. Der Rückgewähranspruch habe seinen Ursprung im materiellen Insolvenzrecht; die Anfechtung abstrahiere in Bezug auf die betroffene schuldrechtliche Leistungsbeziehung21. Der Arbeitsvertrag sei nur der tatbestandliche Anknüpfungspunkt für den Anfechtungsanspruch. Eine echte Rückabwicklung könne nur zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien erfolgen, nicht im Verhältnis zum Insolvenzverwalter22. Der Anspruch aus § 143 InsO sei hingegen ein originärer Anspruch des Insolvenzverwalters, mit dessen Amt er untrennbar verbunden sei; dem Arbeitgeber stünde eine entsprechende Möglichkeit der Rückforderung nicht zu23. Bei der Prüfung der Ansprüche komme es auf spezifisch insolvenzrechtliche Fragestellungen an; eine besondere arbeitsrechtliche Auslegung

15 Bork, ZIP 2008, 1041 (1049); Dahl, NJW-Spezial 2010, Heft 9, 277 (278); Hess, NZI 2009, 705 ff.; Huber, NJW 2009, 1928 (12928); Humberg, NZI 2009, 834 ff.; Kirchhof, ZInsO 2008, 1293 ff.; Kreft, ZInsO 2009, 578 ff.; Siegmann, WuB VI A. § 130 InsO 1.09, 557 (559). 16 Bandte, in: FS Beuthien, S. 401 (403); Berkowsky, NZI 2008, 422 (422); Cranshaw, jurisPR-InsR 23/2008 Anm. 4; Jacobs, NJW 2009, 1932; ders., in: FS Kreutz, S. 145 ff.; Zwanziger, BB 2009, 668 (668). 17 Der Entscheidung BAG, Beschl. v. 15. 7. 2009 – GmS-OGB 1/09, NZA 2009, 1056 lässt sich eine Art Handlungsanweisung in dieser Richtung entnehmen. 18 Vgl. z. B. LAG Nürnberg, Urt. v. 31. 3. 2010 – 3 Sa 379/09, juris. 19 BGH, Beschl. v. 2. 4. 2009 – IX ZB 182/08, NZI 2009, 313 ff. 20 BGH, Beschl. v. 2. 4. 2009 – IX ZB 182/08, NZI 2009, 313 (314). 21 BGH, Beschl. v. 2. 4. 2009 – IX ZB 182/08, NZI 2009, 313 (315). 22 BGH, Beschl. v. 2. 4. 2009 – IX ZB 182/08, NZI 2009, 313 (315). 23 BGH, Beschl. v. 2. 4. 2009 – IX ZB 182/08, NZI 2009, 313 (314).

III. Entscheidung des GmS-OGB

341

sei schon aus Gründen der Gläubigergleichbehandlung unzulässig24. Es handele sich demnach nicht um eine Rechtsstreitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG25. Ein wirtschaftlicher Zusammenhang gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4a ArbGG sei ebenfalls nicht gegeben, da dieser Begriff eng auszulegen sei und lediglich Nebenabreden umfassen solle, die ihren Ursprung in dem zu Grunde liegenden Austauschverhältnis hätten und ohne dieses nicht zu Stande gekommen wären26. Darüber hinaus sei der Insolvenzverwalter nicht als Rechtsnachfolger des Arbeitgebers i.S.d. § 3 ArbGG zu qualifizieren, da ihm die entsprechenden Ansprüche niemals zustehen könnten; eine Rechtsnachfolge setze aber gerade das voraus. Auch bei einer weiten Auslegung des Begriffs des Rechtsnachfolgers scheide eine Anwendung des § 1 ArbGG auf Fälle der Lohnanfechtung aus27. Das BAG bekräftige in der Folgezeit demgegenüber seine Ansicht in einem eigenen Beschluss noch einmal und machte damit den Weg für eine Entscheidung des GmS-OGB frei28.

III. Entscheidung des GmS-OGB Am 27. September 2010 beschloss schließlich der GmS-OGB, dass für Klagen des Insolvenzverwalters gegen Arbeitnehmer des Schuldners auf Rückgewähr von bereits geleistetem Lohn aus § 143 Abs. 1 InsO der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gegeben ist29. In der Begründung der Entscheidung schloss sich der GmSOGB im Wesentlichen den Erwägungen des BAG an. Maßgeblich für die Zuordnung zum Arbeitsverhältnis sei nicht die Anspruchsgrundlage, sondern die enge Verknüpfung eines Lebensvorgangs mit dem Arbeitsverhältnis30. Bei der Lohnanfechtung liege eine Rückabwicklung des Arbeitsverhältnisses vor, bei der im Gegenzug zur Rückgewähr des verdienten Entgelts der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 144 Abs. 1 InsO wiederauflebe31. Maßgeblich für die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit sei auch der Zweck der Sonderzuständigkeit, die in der schnelleren und kostengünstigen Abwicklung der Verfahren, den besonderen Kenntnissen der ehrenamtlichen Richter und dem Arbeitnehmerschutz durch Gebührenfreiheit liege32. Der Insolvenzverwalter sei zudem für die Zeit des Insol-

24 25 26 27 28 29 30 31 32

BGH, Beschl. v. 2. 4. 2009 – IX ZB 182/08, NZI 2009, 313 (316). BGH, Beschl. v. 2. 4. 2009 – IX ZB 182/08, NZI 2009, 313 (315). BGH, Beschl. v. 2. 4. 2009 – IX ZB 182/08, NZI 2009, 313 (316 f.). BGH, Beschl. v. 2. 4. 2009 – IX ZB 182/08, NZI 2009, 313 (319). BAG, Beschl. v. 15. 7. 2009 – GmS-OGB 1/09, NZA 2009, 1056 ff. GmS-OGB, Beschl. v. 27. 9. 2010 – GmS-OGB 1/09, BGHZ 187, 105 (107 f.). GmS-OGB, Beschl. v. 27. 9. 2010 – GmS-OGB 1/09, BGHZ 187, 105 (109). GmS-OGB, Beschl. v. 27. 9. 2010 – GmS-OGB 1/09, BGHZ 187, 105 (109 f.). GmS-OGB, Beschl. v. 27. 9. 2010 – GmS-OGB 1/09, BGHZ 187, 105 (110).

342

E. Exkurs: Rechtsweg für Klagen bei Lohnanfechtungen

venzverfahrens faktischer Arbeitgeber i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG, weil die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis auf ihn übergingen33.

IV. Reaktionen und Ausblick Wie zu erwarten, erntete die Entscheidung des GmS-OGB höchst unterschiedliche Reaktionen34. Besonders deutlich wandte sich Gerhard Kreft, der ehemalige Vorsitzende des IX. Zivilsenats des BGH gegen die Entscheidung35. Das Anfechtungsrecht sei stets unabhängig von dem Rechtsgebiet, zu dem die angefochtene Rechtshandlunge gehört, zu betrachten36. Der Beschluss verstoße gegen die verfassungsrechtliche Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG), da die Entscheidung die Willkürgrenze überschreite37. Sie verstoße zudem gegen die Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG)38. Die Zuweisung von Anfechtungsklagen an die Arbeitsgerichtsbarkeit setze sich über die Entscheidung des Gesetzgebers der Insolvenzordnung und des Anfechtungsgesetzes hinweg, solche Streitigkeiten stets der ordentlichen Gerichtsbarkeit zuzuordnen39. Auch der „Verlierer“ des Streits, der IX. Senat des BGH, konnte sich mit der Zuständigkeit des Arbeitsgerichtsbarkeit offensichtlich nicht anfreunden. In einem Beschluss vom 19. Dezember 2012 entschied er, dass die ordentlichen Gerichte für Anfechtungen von Lohnzahlungen zuständig seien, wenn sie von einem Dritten erbracht wurden40. Da der Dritte nicht Arbeitgeber sei, rücke der Insolvenzverwalter nicht in seine Position ein; bei der späteren Rückforderung der Zahlung scheide daher die Zuständigkeit der Arbeitgerichtsbarkeit aufgrund von § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG aus, weil keine Rechtsstreitigkeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis im Sinne der Norm vorliege41.

33

GmS-OGB, Beschl. v. 27. 9. 2010 – GmS-OGB 1/09, BGHZ 187, 105 (111 f.). Zustimmend: Berscheid, jurisPR-ArbR 10/2011 Anm. 5; Windel, AP § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14 (sub. II. .); Wroblewski, ArbuR 2011, 34 f ; kritisch: Bork, EWiR 2010, 765 f.; Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197 (216); Kreft, ZIP 2013, 241 ff.; Ries, ZInsO 2010, 2382 ff.; neutral: Biebl, in: Jahrbuch des Arbeitsrechts 48 (Dokumentation für das Jahr 2010), S. 63; Huber, ZInsO 2011, 519 (519 f.). 35 Kreft, ZIP 2013, 241 ff. 36 Kreft, ZIP 2013, 241 (243). 37 Kreft, ZIP 2013, 241 (249 f.); auf die verfassungsrechtliche Dimension der Rechtswegfrage hatte bereits Brinkmann hingewiesen, ZZP 125 (2012), 197 (199 f.). 38 Kreft, ZIP 2013, 241 (242). 39 Kreft, ZIP 2013, 241 (250 f.). 40 BGH, Urt. v. 19. 12. 2012 – IX ZB 27/12, ZInsO 2012, 1538 ff.; zustimmend: Kreft, ZIP 2013, 241 (251). 41 BGH, Urt. v. 19. 12. 2012 – IX ZB 27/12, ZInsO 2012, 1538 (1538 f.). 34

IV. Reaktionen und Ausblick

343

Auf einen Beitrag zu diesem „Nachhutsgefecht“42 soll hier verzichtet werden. Die Annahme der Verfassungswidrigkeit ist jedenfalls überzogen. Unabhängig davon, ob man die Auslegung der Zuständigkeitsnormen für richtig hält, bewegt sich die Auslegung des GmS-OGB im zulässigen Rahmen des Vertretbaren43. Nicht zu übersehen sind allerdings Folgeprobleme, die durch den unterschiedlichen Rechtsweg entstehen. Offen liegt die Divergenz zwischen BGH und BAG aktuell vor allem bei der Auslegung des Bargeschäftsprivilegs44. Wünschenswert wäre ein konstruktiver Dialog auf höchstrichterlicher Ebene45. Die teilweise geäußerte Besorgnis, dass nunmehr auch Sonderzuständigkeiten der Finanz-, Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit in Anfechtungssachen bestehen könnten46, hat sich hingegen bislang als unbegründet erwiesen47. Die Lohnanfechtung bleibt auch in dieser Hinsicht eine Besonderheit.

42

Windel, AP § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14 (sub. I.). So auch Windel, AP § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14 (sub. I.). 44 Dazu oben B.II.4.c)cc)(2)(c). 45 Von einem Diskussionsangebot des BAG spricht auch Zwanziger, DB 2014, 2391 (2393). 46 Vgl. Huber, ZInsO 2011, 519 ff.; Kreft, ZIP 2013, 241 (251); Poertzgen/Meyer, NZI 2011, 477 ff.; Windel, AP § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14 (sub. II.3.). 47 BGH, Beschl. v. 24. 3. 2011 – IX ZB 36/09, ZInsO 2011, 723; BFH, Beschl. v. 5. 9. 2012 – VII B 95/12, ZInsO 2012, 2048. 43

F. Zusammenfassung und Schlussbetrachtung I. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse 1. Die Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen ist ein rechtspolitisch hochbrisantes Thema, das in der Zeit seit dem Jahr 2007 in der Fachwelt und Politik viel Aufmerksamkeit erfahren hat. Neben zwei Bundesgerichten hat sich eine Vielzahl von Wissenschaftlern aus dem arbeits-, insolvenz- und sozialrechtlichen Bereich zu der Thematik geäußert. 2. Das Insolvenzrecht ist wesentlicher Bestandteil des Wirtschaftsrechts in einem marktwirtschaftlichen System und sichert den Rechtsfrieden. Das geltende Insolvenzrecht zielt auf die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger und schränkt zu diesem Zweck die individuellen Rechte der Gläubiger und des Schuldners ein. 3. Das heutige Insolvenzrecht ist Produkt einer mehr als zweitausendjährigen Entwicklung. Bereits das römische Recht kannte die Idee einer Gleichbehandlung der Gläubiger. In der historischen Entwicklung wurde dieses Prinzip nie vollständig umgesetzt. Alle Rechtsordnungen kannten Durchbrechungen zu Gunsten einzelner Gläubigergruppen. 4. Lohnvorrechte für Arbeitnehmer im Konkurs des Arbeitgebers findet man seit dem frühen Mittelalter in fast allen Konkursordnungen. Mit der Insolvenzordnung wurde das Vorrecht der Arbeitnehmer in Deutschland erstmals seit seiner Entstehung vollständig abgeschafft. 5. Das Römische Recht kannte bereits das Instrument der Insolvenzanfechtung, bei der es jedoch zunächst nur um die Revidierung unredlichen Verhaltens ging. Die Idee einer Vorverlagerung der Gläubigergleichbehandlung in den Krisenzeitraum entwickelte sich erst deutlich später durch Verobjektivierung des subjektiven Merkmals der Unredlichkeit. Tatbestände einer besonderen Insolvenzanfechtung findet man für den deutschen Rechtskreis erstmals in der preußischen Konkursordnung von 1855. 6. Die Anfechtung von Lohnzahlungen wurde erst durch die beiden zuvor beschriebenen Entwicklungen möglich: die Entstehung der besonderen Insolvenzanfechtung, die im Zuge der Insolvenzrechtsreform noch verschärft wurde, und die Abschaffung des Lohnprivilegs. Die ersten veröffentlichten Urteile und wissenschaftlichen Beiträge zum Thema stammen aus dem Jahr 2007. 7. Die Insolvenzanfechtung dient der Befriedigung der Gläubiger des Insolvenzschuldners und entspricht damit der allgemeinen Zweckbestimmung des Insolvenzverfahrens. Die einzelnen Anfechtungstatbestände gründen auf unter-

I. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

345

schiedlichen Zwecken und sind insoweit differenziert zu betrachten. Während die Vorsatzanfechtung ein sozial inadäquates Verhalten revidiert, dient die Deckungsanfechtung der Vorverlagerung des Prinzips der Gleichbehandlung auf den Zeitpunkt der materiellen Insolvenz. 8. Der Streit um die Wirkung der Anfechtung ist für die Konstellationen der Lohnanfechtung nicht ausschlaggebend. 9. Das Arbeitsverhältnis besteht in der Insolvenz des Arbeitgebers grundsätzlich fort. Lohnforderungen aus der Zeit vor der Verfahrenseröffnung sind einfache Insolvenzforderungen im Sinne des § 38 InsO und können nur zur Insolvenztabelle angemeldet werden. 10. Der Arbeitnehmer kann bei ausbleibenden Lohnzahlungen ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeit geltend machen, das Arbeitsverhältnis kündigen, einen Insolvenzantrag stellen oder versuchen, seine Forderungen gegenüber dem Arbeitgeber im Wege der Zwangsvollstreckung zu realisieren. Die Reaktionsmöglichkeiten sind für den Arbeitnehmer teils nicht zielführend, teils aus rechtlichen und faktischen Gründen nur sehr eingeschränkt umsetzbar. Insgesamt ist die Position der Arbeitnehmer in Krise und Insolvenz des Arbeitgebers schwach. 11. Nach der gesetzgeberischen Konzeption erfolgt der Schutz des Arbeitnehmers in der Insolvenz des Arbeitgebers auf sozialrechtlicher Ebene durch das Instrument des Insolvenzgeldes. Der dadurch gebotene Schutz ist allerdings zeitlich und in der Höhe begrenzt und unterliegt Ausschlussfristen. Obwohl das Insolvenzgeld kein Sanierungsinstrument sein soll, wird es von Insolvenzverwaltern mit Hilfe der Insolvenzgeldvorfinanzierung genutzt, um im vorläufigen Verfahren Betriebe mit verringerter Kostenlast fortzuführen. Der Gesetzgeber billigt diese Praxis. 12. Insolvenzverwalter können sich einer persönlichen Haftung aussetzen, wenn sie von der Verfolgung werthaltiger Ansprüche absehen. Das gilt auch für mögliche Lohnanfechtungen. Ein Anreiz für die Anfechtung von Lohnzahlungen kann darüber hinaus aus vergütungsrechtlichen Erwägungen bestehen, wobei dieser Aspekt als wenig relevant einzustufen ist. 13. Die anfechtungsrechtliche Grundvoraussetzung einer Rechtshandlung wird weit ausgelegt und führt für die Lohnanfechtung zu keinerlei Einschränkungen. Auch die Voraussetzung einer Gläubigerbenachteiligung ist in Konstellationen der Lohnanfechtung regelmäßig unproblematisch gegeben. 14. Arbeitnehmer können nahestehende Personen i.S.d. § 138 InsO sein. Maßgeblich ist eine Feststellung im Einzelfall, bei der es auf die besonderen Möglichkeiten des Informationszugangs ankommt. Bei normalen Arbeitnehmern genügen die Informationsmöglichkeiten für die Annahme einer nahestehenden Person regelmäßig nicht. 15. Ein privilegiertes Bargeschäft im Sinne des § 142 InsO setzt einen Leistungsaustausch im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang voraus. Im Rahmen von Arbeitsverhältnissen ist richtiger Anknüpfungspunkt die Fälligkeit des Entgeltan-

346

F. Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

spruchs. Bei fehlender Tilgungsbestimmung sind Zahlungen des Arbeitgebers auf offene Entgeltansprüche auf die ältesten Forderungen anzurechnen; in Betracht kommt im Übrigen eine Anfechtung der Tilgungsbestimmung. Ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang besteht nicht mehr, wenn bereits das Entgelt für die nächste Lohnperiode fällig ist. Dieser Ansicht folgt inzwischen auch der BGH. 16. Die Rechtsprechung des BAG, wonach ein Bargeschäft vorliegt, wenn der Arbeitnehmer das Entgelt innerhalb von drei Monaten nach der Arbeitsleistung erhält, ist abzulehnen. Sie widerspricht der insolvenzrechtlichen Dogmatik und begründet einen gesetzlich nicht angelegten Sonderschutz für Arbeitnehmer. 17. Die Weiterarbeit ist im Rahmen des § 142 InsO keine zu berücksichtigende Gegenleistung. 18. Lohnanfechtungen erfolgen in der Regel, auch bei Verspätung, als kongruente Deckungen. Zentrales Kriterium für Kongruenzanfechtungen von Lohnzahlungen ist der subjektive Tatbestand, insbesondere die Frage, ob der Arbeitnehmer Kenntnis von Umständen i.S.d. § 130 Abs. 2 InsO hatte. Erforderlich ist eine umfassende Gesamtbetrachtung der dem Arbeitnehmer bekannten Umstände, bei der sowohl solche Tatsachen berücksichtigt werden müssen, die für die Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung des Arbeitgebers sprechen, als auch solche, die dagegen sprechen. Erkundigungspflichten treffen den Arbeitnehmer grundsätzlich nicht. 19. Einen Sonderschutz für Betriebsräte und andere Arbeitnehmervertreter gibt es auf der Ebene des subjektiven Tatbestands nicht. Mandatsträger müssen sich an ihrem individuellen Wissensstand messen lassen. 20. Inkongruenz von Lohnzahlungen kann sich daraus ergeben, dass die Zahlung im Wege der Zwangsvollstreckung oder unter Androhung der Vollstreckung oder eines Insolvenzantrags erfolgt. Die Anfechtung ist in diesen Fällen stark erleichtert. Die Handlungsoptionen des Arbeitnehmers bei Lohnrückständen sind dadurch weiter eingeschränkt. 21. Die Anfechtung nach § 132 InsO wegen unentgeltlicher Leistungen kommt bei unverhältnismäßig hohen Entgeltvereinbarungen in Betracht. Da die Gleichwertigkeit von Arbeit und Leistung allgemein schwer zu bewerten ist, scheidet die Anfechtung nach § 132 InsO in der Regel aus. 22. Die Vorsatzanfechtung gewinnt ihre Bedeutung für Lohnanfechtungen erst aus der weiten Auslegung des § 142 InsO durch das BAG, von der § 133 Abs. 1 InsO nicht betroffen ist. 23. In der Anfechtungspraxis sind die sog. Beweisanzeichen nach der Rechtsprechung des BGH von überragender Bedeutung. Ihre großzügige Handhabung hat in jüngerer Zeit zu umfassenden Diskussionen um die Auslegung des § 133 Abs. 1 InsO und ggf. erforderliche legislatorische Korrekturen geführt. In neueren Entscheidungen von BGH und BAG wird das Erfordernis einer Gesamtbetrachtung betont und Indizien, die gegen den Benachteiligungsvorsatz sprechen, verstärkte

I. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

347

Aufmerksamkeit gewidmet. Vor dem Hintergrund dieser neuen Linie ist ein korrektiver Eingriff durch den Gesetzgeber entbehrlich. 24. Die Rückgewähranspruch aus erfolgreichen Lohnanfechtungen richtet sich nach den allgemeinen Regeln. Der Anspruch besteht in Höhe des ausgezahlten Nettoentgelts. Bei der Vollstreckung des Anfechtungsanspruchs gelten Vollstreckungsschutzvorschriften in Bezug auf das aktuelle Einkommen des Arbeitnehmers. Eine analoge Anwendung auf den Rückzahlungsanspruch, wodurch dieser gekürzt würde, ist abzulehnen. 25. Für die zurückgezahlten Entgeltbeträge kann der Arbeitnehmer Insolvenzgeld beantragen. Dabei gilt jedoch die allgemeine Anspruchsgrenze von drei Monaten, was bei einer vorherigen Ausschöpfung des Insolvenzgeldzeitraums zu Schutzlücken führt. Für den Arbeitnehmer kann sich auch die sozialrechtliche Ausschlussfrist als problematisch erweisen, wobei diesem Problem mit einer großzügigen Auslegung der Nachantragsfrist abgeholfen werden kann. 26. Hat der Arbeitnehmer nach erfolgter Anfechtung keinen Anspruch auf Insolvenzgeld, besteht auch kein anderweitiger sozialrechtlicher Schutz. Dieser kann rückwirkend nicht beantragt und gewährt werden. 27. Ausschlussklauseln für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind auf den Anfechtungsanspruch nicht anzuwenden. 28. Nach der geltenden Rechtslage und der abzulehnenden Rechtsprechung des BAG haben Lohnanfechtungen nur Aussicht auf Erfolg, wenn die Zahlungen mehr als drei Monate nach der Arbeitsleistung erfolgt sind oder der Verwalter nachweisen kann, dass der Arbeitnehmer klare Hinweise auf die Krise seines Arbeitgebers hatte. Völlig ausgeschlossen sind Lohnanfechtungen de lege lata nicht. 29. Eine konkret handhabbare Aussage zum Arbeitnehmerschutz vor Lohnanfechtungen enthält allein die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG. Dementsprechend greifen die Anfechtungsnormen in zweierlei Form in Position des Arbeitnehmers ein. Sie entwerten abstrakt die Lohnforderung des Arbeitnehmers und ermöglichen den Zugriff auf konkrete Vermögensgegenstände des Arbeitnehmers. 30. Aus dem Sozialstaatsprinzip lassen sich aufgrund seiner Unbestimmtheit konkrete Rechte nur in seiner Konkretisierung als Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums entnehmen. Der bezüglich des Existenzminimums gewährleistete Schutz ist gegenwartsbezogen und erfordert nicht zwingend die Beschneidung des Anfechtungsanspruchs oder die Gewähr kompensatorischer staatlicher Leistungen nach Lohnanfechtungen 31. Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger lässt sich in seiner Wirkung in die zwei Schichten beschreiben: das Chancengleichheits- und das Verteilungsprinzip. Beide Schichten sind in der Insolvenzordnung umfassend verwirklicht. Dabei ist die Deckungsanfechtung eine Ausprägung des Chancengleichheitsprinzips, während die Vorsatzanfechtung sich nicht direkt mit der par condicio creditorum in Verbindung bringen lässt.

348

F. Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

32. Der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung lässt sich am überzeugendsten aus dem Eigentumsschutz der Gläubiger aus Art. 14 Abs. 1 GG und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes herleiten. Der Aspekt des gegenseitigen Einflusses der Gläubiger auf das Schuldnervermögen bietet zwar selbst keine verfassungsrechtliche Substanz, kann aber innerhalb vorzunehmender Abwägungs- und Verhältnismäßigkeitsentscheidungen berücksichtigt werden. 33. In der verfassungsrechtlichen Dimension ist primärer Adressat des Grundsatzes der Gesetzgeber. Aufgrund der Bindung an das Gesetz darf die Rechtsprechung grundsätzlich keine Privilegien schaffen, die nicht vom Gesetzgeber vorgesehen sind. 34. Bei der Frage nach Durchbrechungen des Grundsatzes muss der Gesetzgeber die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes zu einem gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Aus Art. 14 Abs. 2 GG folgt, dass auch soziale Gesichtspunkte berücksichtigt werden können. Dem Gesetzgeber steht bei der Ausgestaltung des Privatrechts, insbesondere in Bezug auf soziale Fragen, ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu. 35. Bei der Lohnanfechtung kommt es zu einer grundrechtlichen Kollisionslage, in der sich der Arbeitnehmer als potentieller Anfechtungsgegner und die Gläubigergesamtheit gegenüberstehen, wobei sich beide auf den Schutz des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG berufen können. Der Gesetzgeber ist angehalten, die Positionen in einen Zustand der praktischen Konkordanz zu bringen. 36. In Fällen der Deckungsanfechtung führt nach der hier vertretenen Ansicht die erforderliche Abwägung zu dem Ergebnis, dass die Lohnanfechtung grundsätzlich nicht verfassungswidrig ist. Maßgeblich für diese Beurteilung ist der weitgehende Schutz der Arbeitnehmer durch das Insolvenzgeld und die Vollstreckungsschutzvorschriften der ZPO. Demgegenüber griffe ein explizites Anfechtungsverbot in die Position der Gläubiger ein. Der Eingriff wäre durch die Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer nicht hinreichend gerechtfertigt. Dabei ist wiederum der Schutz der Arbeitnehmer durch Insolvenzgeld und Vollstreckungsschutz von zentraler Bedeutung. 37. Die vom BMJV und dem Schrifttum vorgeschlagenen Modifikationen des Anfechtungsrechts zu Gunsten der Arbeitnehmer sind abzulehnen. Angedacht werden kann hingegen, die sozialrechtlichen Schutzlücken beim Insolvenzgeld zu schließen. Vorzugswürdig ist eine auf Lohnanfechtungen bezogene Sonderleistung, die vom normalen Insolvenzgeldzeitraum abgekoppelt ist.

II. Wertende Schlussbetrachtung

349

II. Wertende Schlussbetrachtung Das Phänomen der Lohnanfechtung, das erst im Jahr 2007 öffentlich bekannt wurde, hat eine bemerkenswerte Entwicklung genommen: Zunächst als Randerscheinung instanzgerichtlicher Irrungen betrachtet, schaffte es den Weg nicht nur in den Bundestag, sondern auch zu den höchsten Bundesgerichten, wo es einen heftigen Streit um die Zuständigkeit auslöste, den schließlich der GmS-OGB entscheiden musste. Die Folge dieser Entscheidung, die gefürchtete „Rechtswegspaltung“, beschäftigt Wissenschaft und Praxis nach wie vor. Ausschlaggebend für das andauernde Interesse an der Materie ist deren soziale Brisanz: Arbeitnehmer gehören ohnehin zu den größten Verlierern in der Krise und Insolvenz des Arbeitgebers. Während sie um ihren Arbeitsplatz bangen, bleiben ihnen wenig adäquate Reaktionsmöglichkeiten, wenn Lohnzahlungen verspätet oder gar nicht erfolgen. Je schlechter die Ausbildung und je niedriger die hierarchische Position des Arbeitnehmers ist, desto verzichtbarer und austauschbarer ist er für den Arbeitgeber. Damit trifft die Insolvenz die Schwächsten am härtesten. Und wer sich gegen die Lohnrückstände nicht wehren kann, setzt sich erst Recht der Gefahr der Lohnanfechtung aus. Nach der geltenden Rechtslage besteht allerdings auch ein weitgehender Schutz der Arbeitnehmer auf sozialrechtlicher Ebene. Der Gesetzgeber ist zudem fortwährend bemüht, die Sanierungschancen im Rahmen des Insolvenzverfahrens zu verbessern, wovon auch die betroffenen Arbeitnehmer profitieren. Einen vollumfänglichen Schutz für die Arbeitnehmer in der Insolvenz kann es – genau wie für alle anderen Betroffenen – ohnehin nicht geben. Selbst wenn die Solidargemeinschaft die finanziellen Verluste des Arbeitnehmers abfinge, könnte sie die Wirkung eines möglichen Arbeitsplatzverlusts nicht kompensieren. Nach den Ergebnissen der obigen Untersuchung kann das Problem der Lohnanfechtung am besten durch eine sozialrechtliche Sonderleistung entschärft werden. Abzuraten ist von einem Eingriff in die Anfechtungsvorschriften. Die Insolvenzrechtsreform liegt nur 15 Jahre zurück. Fortdauernde Reformdiskussionen und Eingriffe in die Regelungen kosten Kraft und werden niemals zu allgemeiner Zufriedenheit führen: Das ist das Wesen des Konkurses. Damit schließt sich der Kreis zum einleitenden Zitat Raisers, das Uhlenbruck für das Insolvenzrecht konkretisiert hat: „Es hat zu keiner Zeit ein ideales Konkursverfahren gegeben. Es wird auch wohl niemals ein ideales Konkursrecht geben.“1

1

Uhlenbruck, in: FS 100 Jahre KO, S. 3 (5).

Literaturverzeichnis Abele, Roland: Rechtsweg für Entgeltanfechtungsklagen des Insolvenzverwalters, FA 2010, 7 – 8. – Anfechtung von Entgeltzahlungen durch den Insolvenzverwalter, FA 2012, 38 – 40. – Anfechtung von Entgeltzahlungen durch den Insolvenzverwalter – BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, FA 2009, 133 – 136. Adam, Norbert: Ausgewählte Probleme des Konkursverfahrens in verfassungsrechtlicher Sicht, Frankfurt am Main 1986, zitiert als: Adam, Probleme des Konkursverfahrens. Adam, Roman F.: Betriebsfortführung und Gleichbehandlung der Insolvenzgläubiger, DZWIR 2007, 357 – 361. Ascheid, Reiner/Preis, Ulrich/Schmidt, Ingrid (Hrsg.): Kündigungsrecht, Großkommentar zum gesamten Recht der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, 4. Auflage, München 2012, zitiert als: APS/Bearbeiter. Badura, Peter: Arbeit als Beruf (Art. 12 Abs. 1 GG), in: Festschrift für Wilhelm Herschel zum 85. Geburtstag, München 1982, S. 21 – 35, zitiert als: Badura, in: FS Herschel. – Arbeitsrecht und Verfassungsrecht, RdA 1999, 8 – 13. Balz, Manfred: Aufgaben und Struktur des künftigen einheitlichen Insolvenzverfahrens, ZIP 1988, 273 – 294. – Kurzkommentar zu BGH, Urt. v. 9. 7. 1987 – IX ZR 167/86, EWiR 1987, 1009 – 1010. Bandte, Jürgen: Kenntnis des Arbeitnehmers von der Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers – ein Zwischenruf aus der Praxis, in: Festschrift für Volker Beuthien zum 75. Geburtstag, München 2009, S. 401 – 409, zitiert als: Bandte, in: FS Beuthien. Bauer, Joachim: Unzulässigkeit der Wiedereinführung eines Fiskusvorrechts im Insolvenzverfahren, ZInso 2010, 1432 – 1437. – Ungleichbehandlung der Gläubiger im geltenden Insolvenzrecht, Berlin 2007, zitiert als: Bauer, Ungleichbehandlung. Baumbach, Adolf/Lauterbach, Wolfgang/Albers, Jan/Hartmann, Peter: Kommentar zur Zivilprozessordnung mit FamFG, GVG und anderen Nebengesetzen, 73. Auflage, München 2015, zitiert als: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO. Baur, Fritz/Stürner, Rolf: Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Band II, Insolvenzrecht, Heidelberg 1990, zitiert als: Baur/Stürner, Insolvenzrecht. Baur, Fritz/Stürner, Rolf/Bruns, Alexander: Zwangsvollstreckungsrecht, 13. Auflage, Heidelberg 2006, zitiert als: Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht. Beck, Siegfried/Depré, Peter: Praxis der Insolvenz, 2. Auflage, München 2010, zitiert als: Beck/Depré/Bearbeiter.

Literaturverzeichnis

351

Becker, Christoph: Insolvenzrecht, 3. Auflage, Köln 2010, zitiert als: Becker, Insolvenzrecht. Berger, Christian: Haftungsrechtliche Verteilungsprinzipien an der Schnittstelle von Einzelzwangsvollstreckung und Insolvenz, ZZP 121 (2008), 407 – 426. Berges, August Maria: Die rechtlichen Grundlagen der Gläubigergleichbehandlung im Konkurs, KTS 1957, 49 – 58. – Vergleich und Konkurs in der Evolution der Marktwirtschaft, in: Festschrift Einhundert Jahre Konkursordnung, 1977, S. 363 – 399, zitiert als: Berges, in: FS 100 Jahre KO. – Zur Einschränkung der Konkursvorrechte, KTS 1959, 53 – 54. Berkowsky, Wilfried: Aktuelle arbeitsrechtliche Fragen in Krise und Insolvenz, NZI 2008, 422 – 424. Berscheid, Ernst-Dieter: Hohe Anforderungen an Insolvenzanfechtung gegenüber Arbeitnehmern, Anmerkung zu LAG Nürnberg, Urt. v. 31. 3. 2010 – 3 Sa 379/09, jurisPR-ArbR 38/2010 Anm. 2. – Antrag auf Insolvenzeröffnung als EG-rechtlich maßgeblicher Zeitpunkt für den Insg-Anspruch, ZInsO 2003, 498 – 504. – Anfechtung von Zahlungen des Schuldners durch den (endgültigen) Insolvenzverwalter, Anmerkung zu BAG, Urt. v. 27. 10. 2004 – 10 AZR 123/04, jurisPR-ArbR 27/2005 Anm. 1. – Rechtsweg für Insolvenzanfechtung, Anmerkung zu GmSOGB, Beschluss vom 27. 09. 2010 – GmS-OGB 1/09, jurisPR-ArbR 10/2011 Anm. 5. Bichlmeier, Wilhelm: Reform des Insolvenz- und Sanierungsrechts, AuR 2011, 193 – 199. Biebl, Josef: Der Rechtsweg für die Klage des Insolvenzverwalters auf die Rückgewähr vom Schuldner geleisteter Arbeitsvergütung nach § 143 Abs. 1 InsO, in: Jahrbuch des Arbeitsrechts – Dokumentation für das Jahr 2010, zitiert als: Biebl, in: Jahrbuch des Arbeitsrechts 2010. Biehl, Kristof: Insider im Insolvenzverfahren, Herne/Berlin 2000, zitiert als: Biehl, Insider. Binder, Jens-Hinrich: Zur Insolvenzbeständigkeit masseschädigender Rechtshandlungen unter Mitwirkung des vorläufigen Insolvenzverwalters, KTS 2006, 1 – 38. Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Staat, Verfassung, Demokratie – Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt am Main, 1991, zitiert als: Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie. Böhle-Stamschräder, A.: Reformbedürftigkeit des Konkursrechts, KTS 1959, 66 – 73. Böhle-Stamschräder, A. (Begr.)/Kilger, Joachim (Bearb.): Kommentar zur Konkursordnung, 14. Auflage, München 1983, zitiert als: Böhle-Stamschräder/Kilger, KO. Bork, Reinhard: Die Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen, ZIP 2007, 2337 – 2340. – Kurzkommentar zu BGH v. 19. 2. 2009, EWiR 2009, 275 – 276. – Ökonomische Analyse des Insolvenzanfechtungsrechts, in: Festschrift für Hans-Bernd Schäfer zum 65. Geburtstag, Wiesbaden 2008, zitiert als: Bork, in: FS Schäfer. – Einführung in das Insolvenzrecht, 7. Auflage, Tübingen 2014, zitiert als: Bork, Insolvenzrecht.

352

Literaturverzeichnis

– Verfolgungspflicht – Muss der Insolvenzverwalter alle Forderungen einziehen?, ZIP 2005, 1120 – 1124. – Die Renaissance des § 133 InsO, ZIP 2004, 1684 – 1693. – Anfechtung als Kernstück der Gläubigergleichbehandlung, ZIP 2014, 797 – 810. – Grundtendenzen des Insolvenzanfechtungsrechts, ZIP 2008, 1041 – 1049. – Kurzkommenar zu GmS-OGB, Beschls. v. 27. 9. 2010 – GmS-OGB 1/09, EWiR 2010, 765 – 766. – (Hrsg.): Handbuch des Insolvenzanfechtungsrechts, Köln 2006, zitiert als: Bork/Bearbeiter, Handbuch. Borst: Zur Neuregelung des Konkursrechts, KuT 1938, 122 – 124. Brass: Ueberalterte Vorrechte, KuT 1940, 18 – 19. Braun, Eberhard (Hrsg.): Kommentar zur Insolvenzordnung, 6. Auflage, München 2014, zitiert als: Braun/Bearbeiter. Bredow/Christiansen: Zur Frage der Reformbedürftigkeit der Konkursvorrechte, KTS 1959, 21 – 24. Brinkmann, Moritz: Die Insolvenzanfechtung gegenüber Arbeitnehmern – Reflexionen über ein juristisches Lehrstück in drei Akten, ZZP 125 (2012), 197 – 216. Brox, Hans/Walker, Wolf-Dietrich: Zwangsvollstreckungsrecht, 10. Auflage, München 2014, zitiert als: Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht. Buchalik, Robert: Faktoren einer erfolgreichen Eigenverwaltung, NZI 2000, 294 – 301. Büchler, Frank/Seehafer, Bernadette: „Anfechtung von Arbeitsentgelt hat sich künftig im Regelfall erledigt“, BB-Kommentar, BB 2009, 858. Bundesministerium der Justiz (Hrsg.): Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, Köln 1985, zitiert als: Erster Bericht der Kommission. – Zweiter Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, Köln 1986, zitiert als: Zweiter Bericht der Kommission. – Referentenentwurf Gesetz zur Reform des Insolvenzrechts, Köln 1989, zitiert als: Referentenentwurf. – Diskussionsentwurf Gesetz zur Reform des Insolvenzrechts, Band I, Köln 1988, Band II: Ergänzungen, Köln 1989, zitiert als: Diskussionsentwurf. Cahn, Hugo: Umgestaltung der Konkursordnung, KuT (KTS) 1930, 121 – 124. Campe, Moritz von: Insolvenzanfechtung in Deutschland und Frankreich, Köln u. a. 1996, zitiert als: v. Campe, Insolvenzanfechtung. Canaris, Claus-Wilhelm: Grundrechte und Privatrecht, AcP 184 (1984), 201 – 246. – Aktuelle insolvenzrechtliche Probleme des Zahlungsverkehrs und des Effektenwesens, in: Festschrift Einhundert Jahre Konkursordnung, 1977, S. 73 – 109, zitiert als: Canaris, in: FS 100 Jahre KO.

Literaturverzeichnis

353

Cosack, Konrad: Das Anfechtungsrecht der Gläubiger eines zahlungsunfähigen Schuldners innerhalb und außerhalb des Konkurses nach deutschem Reichsrecht, Stuttgart 1884, zitiert als: Cosack, Anfechtungsrecht. Cranshaw, Friedrich L.: Anfechtung gegenüber Arbeitnehmern – Schutz des Arbeitnehmers durch den Anspruch auf Insolvenzgeld oder restriktive Auslegung der Anfechtungsregeln?, ZInsO 2009, 257 – 264. – Anfechtung von Lohnzahlungen an Arbeitnehmer, Anmerkung zu ArbG Marburg, Urt. v. 26. 9. 2008 – 2 Ca 204/08, jurisPR-InsR 23/2008 Anm. 4. Crome, Carl: System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band I, Tübingen/Leipzig 1900, zitiert als: Crome, Bürgerliches Recht, Bd. 1. Dahl, Michael: Der Rechtsweg für Lohnanfechtungsklagen, NJW-Spezial 2010, Heft 9, 277 – 278. – Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen, NJW-Spezial 2010, Heft 21, 661 – 662. Dahl, Michael/Linnenbrink, Frank/Schmitz, Daniel: Der Referentenentwurf zur Reform des Insolvenzanfechtungsrechts – eine kritische Betrachtung, NZI 2015, 441 – 446. Denck, Johannes: Die Arbeitnehmermasseschuld – Ansätze zur Bewältigung eines Systembruchs, KTS 1984, 35 – 52. Dennis, Vernon: Liquidation, London 2011, zitiert als: Dennis, Liquidation. Der Bundesminister des Innern/Der Bundesminister der Justiz: Staatszielbestimmungen, Gesetzgebungsaufträge, Bericht der Sachverständigenkommission vom 6. September 1983, Bonn 1983, zitiert als: SVK Staatszielbestimmungen 1983. Dorndorf, Eberhard: Kreditsicherungsrecht und Wirtschaftsordnung: Zur materiell- und konkursrechtlichen Dogmatik der Mobiliarsicherungsrechte, Heidelberg 1986, zitiert als: Dorndorf, Kreditsicherungsrecht. Dreier, Horst (Hrsg.): Grundgesetz, Kommentar, Band I: Präambel, Artikel 1 – 19, 2. Auflage, Tübingen 2004; Band II: Artikel 20 – 80, 2. Auflage, Tübingen 2006, zitiert als: Dreier/ Bearbeiter. Duden: Band 5, Fremdwörterbuch, 7. Auflage, Mannheim 2001, zitiert als: Duden, Fremdwörterbuch. Düll, Rudolf: Das Zwölftafelgesetz, 7. Auflage, Zürich 1995, zitiert als: Düll, Zwölftafelgesetz. Dürig, Günter: Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde – Entwurf eines praktikablen Wertsystems der Grundrechte aus Art. 1 Abs. I in Verbindung mit Art. 19 Abs. II des Grundgesetzes, AöR 81 (1956), 117 – 157. – Grundrechte und Zivilrechtsprechung, in: Maunz, Theodor, Vom Bonner Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung, Festschrift für Hans Nawiasky, München 1956, S. 157 – 190, zitiert als: Dürig, in: FS Nawiasky. Eckardt, Diederich: Aspekte einer „Vorteilsanrechnung“ im Anfechtungsrecht, ZInsO 2004, 888 – 896. – Die Anfechtungsklage wegen Gläubigerbenachteiligung, Bielefeld 1994, zitiert als: Eckardt, Anfechtungsklage.

354

Literaturverzeichnis

– Anfechtung und Aussonderung – Zur Haftungspriorität des Insolvenzanfechtungsanspruchs im Verhältnis zu den Eigengläubigern des Anfechtungsgegners, KTS 2005, 15 – 51. Eichberger, Christian: Die besondere Konkursanfechtung – Analyse der geltenden Bestimmungen und der Reformentwürfe, Regensburg 1990, zitiert als: Eichberger, Konkursanfechtung. Eidenmüller, Horst: Die Banken im Gefangenendilemma: Kooperationspflichten und Akkordstörungsverbot im Sanierungsrecht, ZHR 160 (1996), 343 – 373. – Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, Mechanismen der Unternehmensreorganisiation und Kooperationspflichten im Reorganisationsrecht, Köln 1999, zitiert als: Eidenmüller, Unternehmenssanierung. Fawzy, Oliver/Köchling, Marcel: Die Reform der Vorsatzanfechtung, oder: die größte Baustelle des Insolvenzrechts?, ZInsO 2014, 1073 – 1082. Fischer, Gero: Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bei kongruenter Deckung, NZI 2008, 588 – 594. Flessner, Axel: Grundfragen des künftigen Sanierungsrechts, ZIP 1981, 113 – 119. Fletcher, Ian F.: The Law of Insolvency, 4. Auflage, London 2009, zitiert als: Fletcher, Law of Insolvency. Foerste, Ulrich: Insolvenzrecht, 5. Auflage, München 2010, zitiert als: Foerste, Insolvenzrecht. – Die Ausdehnung der Vorsatzanfechtung – ein rechtsstaatliches Problem, ZInsO 2013, 897 – 902. – Zum Ausschluss der Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO) bei „bargeschäftsähnlicher Lage“, WM 2014, 1213 – 1217. Frank, Achim/Heinrich, Jens: Insolvenzgeldansprüche von Arbeitnehmern nach einem gerichtlich bestätigten Insolvenzplan – Divergenzen zwischen Sozial- und Insolvenzrecht, NZI 2011, 569 – 573. Fridgen, Alexander: Die Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung – Vorsatzanfechtung unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes, Hamburg 2009, zitiert als: Fridgen, Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung. Friedhoff, Heinrich C.: Sanierung einer Firma durch Eigenverwaltung und Insolvenzplan, ZIP 2002, 497 – 500. Frind, Frank: Fortgeschriebene Verfahrenskennzahlenauswertung – was Insolvenzverwalter leisten können, Ergebnisauswertungsbericht der Erhebungen beim AG Hamburg unter Einschluss der Verfahrenskennzahlen 2009, ZInsO 2011, 169 – 178. – Referentenentwurf Anfechtungsrecht: Vom Schein der Feinjustierung zur Steigerung der Rechtsunsicherheit, ZInsO 2015, 1001 – 1010. Froehner, Jan: Zur Anwendbarkeit tarifvertraglicher Ausschlussfristen auf Insolvenzanfechtungsansprüche – zugleich Anmerkung zu LAG Niedersachen (sic!) vom 22. 3. 2012 – 7 Sa 1052/11, NZI 2012, 862, NZI 2012, 833 – 835. – Anmerkung zu BAG, Urt. v. 24. 10. 2013 – 6 AZR 466/12, NZI 2014, 133 – 134.

Literaturverzeichnis

355

Füßmann, Helga: Die Auswirkungen des reformierten Insolvenzanfechtungsrechts auf das Prinzip der Gläubigergleichbehandlung, Aachen 2001, zitiert als: Füßmann, Gläubigergleichbehandlung. Gagel, Alexander (Begr.): Kommentar zum Sozialgesetzbuch II/III, Grundsicherung und Arbeitsförderung, Loseblatt, Band 1, Stand März 2015, zitiert als: Gagel/Bearbeiter. Gamillscheg, Franz: Arbeitsrecht I: Arbeitsvertrags- und Arbeitsschutzrecht, 8. Auflage, München 2000, zitiert als: Gamillscheg, Arbeitsrecht. – Die Grundrechte im Arbeitsrecht, AcP 164 (1964), 385 – 445. Ganter, Hans Gerhard: Bargeschäfte (§ 142 InsO) von Dienstleistern, ZIP 2012, 2037 – 2045. – Weiterentwicklung der Rechtsprechung zu § 133 InsO, WM 2014, 49 – 54. Garrido, José M.: The Distributional Question in Insolvency: Comparative Aspects, International Insolvency Review 1995, 25 – 53. Gassert-Schumacher, Heike: Privilegien in der Insolvenz, Frankfurt am Main u. a. 2002, zitiert als: Gassert-Schumacher, Privilegien. Gast, Arendt: Die Schlechtleistung des Arbeitnehmers im Synallagma des Arbeitsvertrags, Berlin 2014, zitiert als: Gast, Schlechtleistung des Arbeitnehmers. Gaul, Hans Friedhelm: Sicherung der Gläubiger- und Insolvenzanfechtung durch Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes – zugleich ein Beitrag zur vollstreckungsrechtlichen Durchsetzung des Anfechtungsrechts, KTS 2007, 133 – 177. Gaul, Hans Friedhelm/Schilken, Eberhard/Becker-Eberhard, Ekkehard: Zwangsvollstreckungsrecht, 12. Auflage, München 2010, zitiert als: Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht. Gehrlein, Markus: Anfechtungsrecht in der Insolvenz – Praxiserfahrung und Reformbedarf, NZI 2014, 481 – 487. Geib, Otto: Die Zwangsvollstreckung in den anfechtbaren Erwerb eines Kriegsteilnehmers, AcP 113 (1915), 335 – 375. Gerhardt, Walter: Aspekte zur Wechselwirkung zwischen Konkursrecht und Wirtschaftsleben, in: Festschrift für Friedrich Weber, Berlin 1975, zitiert als: Gerhardt, in: FS Weber. – Gereimtes und Ungereimtes im Anfechtungsrecht der neuen Insolvenzordnung, in: Festschrift für Hans Erich Brandner, 1996, 605 – 619, zitiert als: Gerhardt, in: FS Brandner. – Die systematische Einordnung der Gläubigeranfechtung, Göttingen 1969, zitiert als: Gerhardt, Systematik. – Von der Insolvenzrechtsreformkommission bis zum geltenden Insolvenzrecht, in: Festschrift für Dieter Leipold zum 70. Geburtstag, Tübingen 2009, S. 377 – 390, zitiert als: Gerhardt, in: FS Leipold. – Insolvenzverfahren und Einzelzwangsvollstreckung – Die Wirksamkeit von Vollstreckungsakten während eines Sequestrationsverfahrens, zugleich unter dem Aspekt von Anfechtbarkeit und Rückschlagsperre, in: Festschrift Einhundert Jahre Konkursordnung, 1977, S. 111 – 137, zitiert als: Gerhardt, in: FS 100 Jahre KO. – Zur Reform des Insolvenzrechts: das Anfechtungsrecht im Konkurs, ZIP 1985, 582 – 592.

356

Literaturverzeichnis

Germann, Winrich: Grenzen und Möglichkeiten des Sozialschutzes der Arbeitnehmer im Konkurs, Göttingen 1976, zitiert als: Germann, Sozialschutz. Gessner, Volkmar/Rhode, Barbara/Strate, Gerhard/Ziegert, Klaus A.: Die Praxis der Konkursabwicklung in der Bundesrepublik Deutschland – eine rechtssoziologische Untersuchung, Köln 1978, zitiert als: Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung. Goltdammer, Theodor: Kommentar und vollständige Materialien zur Konkurs-Ordnung vom 8. Mai 1855 und zu dem Gesetze betreffend die Befugniß der Gläubiger zur Anfechtung der Rechtshandlungen zahlungsunfähiger Schuldner außerhalb des Konkurses vom 9. Mai 1855, Berlin 1858, zitiert als: Goltdammer, Kommentar und Materialien pr. KO 1855. Gottwald, Peter (Hrsg.): Insolvenzrechtshandbuch, 5. Auflage, München 2015, zitiert als: Gottwald/Bearbeiter. Graf-Schlicker, Marie Luise (Hrsg.): Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Auflage, Köln 2014, zitiert als: Graf-Schlicker/Bearbeiter. Gravenbrucher Kreis: Alternativentwurf des Gravenbrucher Kreises zum Regierungsentwurf einer Insolvenzordnung, ZIP 1993, 625 – 632. – Stellungnahme zu den Reformvorschlägen der Kommission für Insolvenzrecht, herausgegeben von Volker Grub, Bruno M. Kübler, Jobst Wellensiek, BB 1986, Beilage 15. – Stellungnahme zum Diskussionsentwurf eines Insolvenzrechtsreformgesetzes, ZIP 1989, 468 – 475. – Große Insolvenzrechtsreform gescheitert, ZIP 1990, 476 – 479. – „Große“ oder „kleine“ Insolvenzrechtsreform?, ZIP 1992, 657 – 661. – Gravenbrucher Kreis: Appell gegen die Verabschiedung der Insolvenzrechtsreform, ZIP 1994, 585 – 587. – Vorschlag des Gravenbrucher Kreises zur Reform des Anfechtungsrechts, Stand Juli 2014, ZInsO 2014, 1704 – 1707. Grepl, Maike: Die Funktion des Insolvenzgeldes, Hamburg 2008, zitiert als: Grepl, Insolvenzgeld. Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch, Band 12, Leipzig 1854 – 1961, zitiert als: Grimm, Deutsches Wörterbuch. Grunsky, Wolfgang: Anmerkung zu BGH, Urteil vom 19. 02. 2009 – IX ZR 62/08, LMK 2009, 281504. Gundlach, Ulf/Frenzel, Volkhard/Schmidt, Nikolaus: Die Anfechtung einer mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters vorgenommenen Rechtshandlung, DZWIR 2005, 324 – 327. Haarmeyer, Hans/Beck, Julian/Frind, Frank: Die Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts im Lichte der Statistik insolvenzgerichtlicher Eröffnungsquoten, ZInsO 2008, 1179 – 1188. Haarmeyer, Hans/Huber, Michael/Schmittmann, Jens M. (Hrsg.): Praxis der Insolvenzanfechtung, Köln 2012, zitiert als: HHS/Bearbeiter. Haas, Ulrich/Müller, Henning: Der Insolvenzanfechtungsanspruch in der Insolvenz des Anfechtungsgegners, ZIP 2003, 49 – 59.

Literaturverzeichnis

357

Hahn, Karl: Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Vierter Band: Die gesammten Materialien zur Konkursordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, sowie zu dem Gesetze, betreffend die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des Konkursverfahrens, vom 21. Juli 1879, Berlin 1881, zitiert als: Hahn, Materialien. Hamann, Wolfgang/Böing, Britta: Fehlende Anwendbarkeit tariflicher Ausschlussfristen auf den Rückforderungsanspruch nach Insolvenzanfechtung, Anmerkung zu BAG 6. Senat, Urt. v. 24. 10. 2013 – 6 AZR 466/12, jurisPR-ArbR 7/2014 Anm. 1. Hanau, Peter: Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen durch Maßnahmen im Unternehmens-, Arbeits-, Sozial- und Insolvenzrecht : Gutachten für den 54. Deutschen Juristentag, Nürnberg 1982, zitiert als: Hanau, Gutachten für den 54. Deutschen Juristentag. – Harmonisierung von Arbeits- und Insolvenzrecht, ZIP 1989, 422 – 427. Hanau, Peter/Adomeit, Klaus: Arbeitsrecht, 14. Auflage, Neuwied 2007, zitiert als: Hanau/ Adomeit, Arbeitsrecht. Hanisch, Hans: Zur Reformbedürftigkeit des Konkurs- und Vergleichsrechts, ZZP 90 (1977), 1 – 38. Häsemeyer, Ludwig: Die Gleichbehandlung der Konkursgläubiger, KTS 1982, 507 – 575. – Insolvenzrecht, 4. Auflage, Köln/München 2007, zitiert als: Häsemeyer, Insolvenzrecht. – Rezension zu Aderhold: Auslandskonkurs im Inland und Summ: Anerkennung ausländischer Konkurse in der Bundesrepublik Deutschland, ZZP 107 (1994), 111 – 118. – Aktuelle Tendenzen in der Rechtsprechung zur Konkurs- und Einzelanfechtung, ZIP 1994, 418 – 424. – Vertragsabwicklung, Aufrechnung und Anfechtung im Konkurs – BGHZ 89, 189, JuS 1986, 851 – 856. Heilmann, Hans: Die Rechtslage des Arbeitnehmers im Konkurs des Arbeitgebers, NJW 1975, 1758 – 1763. – Aspekte zur Insolvenzrechtsreform, ZRP 1983, 266 – 270. Hein, Wolfgang: Duldung der Zwangsvollstreckung, Breslau 1911, zitiert als: Hein, Duldung der Zwangsvollstreckung. Heinze, Meinhard: Aspekte der Insolvenzrechtsreform – ausgehend vom Beschluß des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 13. 12. 1978, KTS 1979, S. 15 ff., KTS 1980, 1 – 13. Hellmann, Friedrich: Die rechtliche Natur der Gläubigeranfechtung, Dr. J. A. Seuffert’s Blätter zur Rechtsanwendung (SeuffBl.) 70 (1905), 401 – 425. Hellwig, Konrad Maximilian: Anfechtungsrecht und Anfechtungsanspruch nach der neuen Konkursordnung, ZZP 26 (1899), 474 – 491. Henckel, Wolfram: Die Gläubigeranfechtung – ein taugliches Mittel zur Beseitigung von Verkürzungen der Konkursmasse?, ZIP 1982, 391 – 399. – Zur Auslegung anfechtungsrechtlicher Normen, in: Festschrift für Walter Gerhardt, Köln 2004, S. 361 – 378, zitiert als: Henckel, in: FS Gerhardt. – Grenzen der Vermögenshaftung, JuS 1985, 836 – 842.

358

Literaturverzeichnis

– Die letzten Vorrechte im Insolvenzverfahren, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck zum 70. Geburtstag, Köln 2000, S. 19 – 31, zitiert als: Henckel, in: FS Uhlenbruck. – Reform des Insolvenzrechts, ZZP 97 (1984), 369 – 395. – Die internationalprivatrechtliche Anknüpfung der Konkursanfechtung, in: Festschrift für Heinrich Nagel zum 75. Geburtstag, Münster 1987, S. 93 – 111, zitiert als: Henckel, in: FS Nagel. – Insolvenzanfechtung, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Auflage, Herne/Berlin 2000, S. 813 – 857, zitiert als: Henckel, in: Kölner Schrift. Henrich, Hermann: Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden: Sicherung rückständiger Arbeitsentgelte bei Konkursen, RdA 1974, 37 – 38. Hermreck, Christina: Der Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz im deutschen und polnischen Insolvenzrecht, Hamburg 2006, zitiert als: Hermreck, Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz. Hess, Harald: Der Rechtsweg für die Insolvenzanfechtung von Erfüllungshandlungen des Schuldners am Beispiel rückständiger Lohnzahlungen des Arbeitgebers an die Arbeitnehmer, NZI 2009, 705 – 708. Hesse, Konrad: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Auflage, Heidelberg 1999, zitiert als: Hesse, Verfassungsrecht. Hoffmann-Remy, Till: Kurzanmerkung zu BGH, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, BB 2012, 582 – 583. Hölzle, Gerrit: GeVAR in Verzug? – Zur Reform des Insolvenzanfechtungsrechts – Moderate Justierung oder Systemeingriff?, ZIP 2015, 662 – 670. Huber, Michael: Insolvenzanfechtung rückständiger Lohnzahlungen an Arbeitnehmer, NJW 2009, 1928 – 1932. – Der anfechtungsrechtliche Indizienprozess – am Beispiel der Kongruenzanfechtung rückständiger Lohnzahlungen an Arbeitnehmer, in: Festschrift für Gerhard Ganter zum 65. Geburtstag, München 2010, S. 203 – 220, zitiert als: Huber, in: FS Ganter. – Kommentar zum Anfechtungsgesetz, 10. Auflage, München 2006, zitiert als: Huber, Anfechtungsgesetz. – Anmerkung zu BGH, Urt. v. 23. 10. 2003 – IX ZR 252/01 (BGHZ 156, 350), NZI 2004, 81 – 82. – Kurzkommentar zu BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10 (LAG Nürnberg), EWiR 2011, 817 – 818. – Das anfechtungsrechtlich privilegierte, aber janusköpfige Bargeschäft nach § 142 InsO, in: Insolvenz und Sanierung – auf der Dauerbaustelle geht es weiter, Festschrift für Hans Haarmeyer zum 65. Geburtstag, Köln 2013, S. 111 – 127, zitiert als: Huber, in: FS Haarmeyer. – Das anfechtungsrechtlich privilegierte, aber janusköpfige Bargeschäft nach § 142 InsO, ZInsO 2013, 1049 – 1056. – Zur Vorsatzanfechtung von Lohnzahlungen im Wege des Bargeschäfts, Anmerkung zu BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, EWiR 2014, 291 – 292.

Literaturverzeichnis

359

– Kein Rechtsweg für Insolvenzanfechtungsklagen gegen Sozialversicherungsträger zum Sozialgericht, ZInsO 2011, 519 – 523. – Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und dem Anfechtungsgesetz, ZInsO 2015, 713 – 721. Hueck, Alfred/Nipperdey, Hans Carl: Lehrbuch des Arbeitsrecht, 7. Auflage, Erster Band, Berlin/Frankfurt a.M. 1963, zitiert als: Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht I. Hueck, Götz: Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, München 1958, zitiert als: Hueck, Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung. Humberg, Andreas: Rechtswegeröffnung bei der Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen – ein Fall für den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, NZI 2009, 834 – 836. Ipsen, Jörn: Staatsrecht II: Grundrechte, 17. Auflage, München 2014, zitiert als: Ipsen, Grundrechte. Isensee, Josef/Kirchhof, Paul (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V: Rechtsquellen, Organisation, Finanzen, 3. Auflage, Heidelberg 2007, Band IX: Allgemeine Grundrechtslehren, 3. Auflage, Heidelberg 2011, zitiert als: Bearbeiter, in: HStR. Jackson, Thomas H.: Bankruptcy, Non-Bankruptcy Entitlements, and the Creditors’ Bargain, The Yale Law Journal 1982, 857 – 907. – The Logics and Limits of Bankruptcy Law, Washington D.C. 1986, zitiert als: Jackson, Logics and Limits. Jackson, Thomas H./Kronman, Anthony T.: Secured Financing and Priorities among Creditors, The Yale Law Journal 1979, 1143 – 1182. Jacobi, Christoph Alexander/Böhme, Benjamin: Praxistest zu den geplanten Änderungen des Anfechtungsrechts gemäß Referentenentwurf des BMJV v. 16. 3. 2015, ZInsO 2015, 721 – 724. Jacobs, Matthias: Rechtsweg bei Anfechtungsklage des Insolvenzverwalters gegen Arbeitnehmer des Insolvenzschuldners, NJW 2009, 1932 – 1934. – Der Rechtsweg bei der Insolvenzanfechtung gegenüber dem Arbeitnehmer, in: Festschrift für Peter Kreutz zum 70. Geburtstag, Köln 2010, S. 145 – 160, zitiert als: Jacobs, in: FS Kreutz. Jacobs, Matthias/Doebert, Arno: Die Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen in der Rechtsprechung des BAG – Anmerkung zu BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, ZInsO 2012, 37 sowie BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 585/10, ZInsO 2012, 271, ZInsO 2012, 618 – 627. Jacoby, Florian/Mikolajczak, Christian: Gläubigerbenachteiligung bei Zahlung mittels Bank und sonstiger Dritter – Zugleich Besprechung BGH v. 6. 10. 2009 – IX ZR 191/05, ZIP 2009, 2009, ZIP 2010, 301 – 308. Jaeger, Ernst: Lehrbuch des Deutschen Konkursrechts, 8. Auflage, Berlin/Leipzig 1932, zitiert als: Jaeger, Lehrbuch. – Fünfzig Jahre Konkursordnung, DJZ 1930 (1935), 33 – 40. – Anmerkung zu OLG Hamburg, Urteil v. 7. 9. 1925 – Bf. V 353/25, ZZP 50 (1926), 336 – 337.

360

Literaturverzeichnis

– Kommentar zur Konkursordnung, 6. und 7. Auflage, Band 1(§§ 1 – 46), Berlin/Leipzig 1931, Band 2 (§§ 47 – 244, Einführungsgesetze, Richtlinien, Nachtrag und Sachregister), Berlin/ Leipzig 1936, zitiert als: Jaeger, KO, 7. A. – Kommentar zur Konkursordnung und den Einführungsgesetzen, 3. und 4. Auflage, Band 1 (§§ 1 – 70), Berlin 1907, zitiert als: Jaeger, KO, 4. A. – (Begr.): Insolvenzordnung, Großkommentar, 1. Auflage, Erster Band §§ 1 – 55, Berlin 2004, Vierter Band §§ 129 – 147, Berlin 2008, zitiert als: Jaeger/Bearbeiter, InsO. – Konkursordnung, Großkommentar, 9. Auflage, Berlin/New York 1997, §§ 1 – 42, zitiert als: Jaeger/Henckel, KO, 9. A. Janson, Gunnar: Ökonomische Theorie im Recht, Anwendbarkeit und Erkenntniswert im allgemeinen und am Beispiel des Arbeitsrechts, Berlin 2004, zitiert als: Janson, Ökonomische Theorie. Jauernig, Othmar: Sozialpolitische Rahmenbedingungen einer Insolvenzrechtsreform, in: Festschrift für Fritz Baur, Tübingen 1981, S. 465 – 482, zitiert als: Jauernig, in: FS Baur. – Zwangspool von Sicherungsgläubigern im Konkurs, ZIP 1980, 318 – 327. – Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, Ein Studienbuch, 21. Auflage, München 1999, zitiert als: Jauernig, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 21. A. Jauernig, Othmar/Berger, Christian: Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, Ein Studienbuch, 23. Auflage, München 2010, zitiert als: Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungsund Insolvenzrecht. Jensen, Thore: „Stufenverhältnis“ zwischen §§ 130, 131 InsO und § 133 InsO?, NZI 2013, 471 – 476. – Vollstreckt gnadenlos!, NZI 2011, 798 – 801. Jeremias, Christoph: Internationale Insolvenzaufrechnung, Tübingen 2005, zitiert als: Jeremias, Insolvenzaufrechnung. Jungclaus, Martin/Keller, Christoph: Der Referentenentwurf des BMJV für ein Gesetz zur Reform des Anfechtungsrechts, NZI 2015, 297 – 301. Junker, Abbo: Grundkurs Arbeitsrecht, 14. Auflage, München 2015, zitiert als: Junker, Arbeitsrecht. Kaser, Max/Hackl, Karl: Das Römische Zivilprozessrecht, 2. Auflage, München 1996, zitiert als: Kaser/Hackl. Kayser, Godehard: Der Rechtsgedanke des Bargeschäfts, in: Festschrift für Gero Fischer, München 2008, S. 267 – 284, zitiert als: Kayser, in: FS Fischer. – Die Entkräftung der die Insolvenzanfechtung begründenden Vermutungen und Indizien, WM 2013, 293 – 301. – Vorsatzanfechtung im Spannungsverhältnis von Gläubigergleichbehandlung und Sanierungschancen, NJW 2014, 422 – 428. Kelsen, Hans: Was ist Gerechtigkeit?, Wien 1953, zitiert als: Kelsen, Gerechtigkeit. – Reine Rechtslehre, 2. Auflage, Wien 1960, zitiert als: Kelsen, Reine Rechtslehre.

Literaturverzeichnis

361

Kilger, Joachim: Die Reformbedürftigkeit des Konkurs- und Vergleichsrechts, ZRP 1976, 190 – 194. – Der Konkurs des Konkurses, KTS 1975, 142 – 166. – Problematische „Masseschulden“, NJW 1980, 271 – 273. Kilger, Joachim/Schmidt, Karsten: Kommentar zur Konkursordnung mit Gesamtvollstreckungsordnung, 16. Auflage, München 1993, zitiert als: Kilger/K. Schmidt, 16. A. – Kommentar zu den Insolvenzgesetzen, KO / VglO / GesO, 17. Auflage, München 1997, zitiert als: Kilger/K. Schmidt, 17. A. Killinger, Johann: Insolvenzanfechtung gegen Insider, Berlin 1991, zitiert als: Killinger, Insolvenzanfechtung. Kimhi, Omer/Doebert, Arno: Insolvenzrecht, Forum Shopping und das Butner-Prinzip – Gedanken zur ökonomischen Analyse des Arbeitsrechts der Insolvenzordnung, ZInsO 2013, 357 – 365. Kindl, Johann: Die Rechtsfolgen der Gläubiger- und Konkursanfechtung bei der Veräußerung von beweglichen Sachen und Forderungen, NZG 1998, 321 – 331. Kirchhof, Hans-Peter: Anfechtungsrecht und Gläubigerinteressen, ZInsO 1998, 3 – 6. – Anfechtbarkeit der Vergütung vorinsolvenzlicher Berater und Vertreter des Schuldners im folgenden Insolvenzverfahren, ZInsO 2005, 340 – 347. – Fraudulös, betrüglich, unlauter – Versuche zur Einschränkung des Vorsatzbegriffs im Sinne von § 133 InsO, in: Haftung und Insolvenz, Festschrift für Gero Fischer zum 65. Geburtstag, München 2008, S. 285 – 295, zitiert als: Kirchhof, in: FS Fischer. – Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für Anfechtungsklagen?, ZInsO 2008, 1293 – 1295. Kirchhof, Hans-Peter/Stürner, Rolf/Lwowski, Hans-Jürgen (Hrsg.): Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, Band 1, 3. Auflage, München 2013, Band 2, 3. Auflage, München 2013, zitiert als: MüKo-InsO/Bearbeiter. – Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, Band 2, 2. Auflage, München 2008, zitiert als: MüKo-InsO/Bearbeiter2. Kirchner, Christian: Ökonomische Theorie des Rechts: Überarbeitete und ergänzte Fassung eines Vortrages gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 16. Oktober 1996, Berlin 1997, zitiert als: Kirchner, Ökonomische Theorie. Kleinfeller, G.: Die Wirkung der Gläubiger-Anfechtung, DJZ 1903, 386 – 388. Klinck, Fabian: Anmerkung zu BGH, Urteil vom 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, AP InsO § 130 Nr. 1. – Anmerkung zu BAG, Urteil vom 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, AP InsO § 133 Nr. 2. – Die Grundlagen der besonderen Insolvenzanfechtung, Berlin/Boston 2011, zitiert als: Klinck, Insolvenzanfechtung. – Die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit von Lohnzahlungen in der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung, DB 2014, 2455 – 2462. Knospe, Armin: Scharfes Schwert oder harmlose Gerechtigkeitsregel? – Die insolvenzrechtliche Monstranz der Gläubigergleichbehandlung, ZInsO 2014, 861 – 876.

362

Literaturverzeichnis

– Insolvenzanfechtung versus Arbeitnehmerinteressen: Bringt der Koalitionsvertrag Veränderungen beim Bargeschäft, ZInsO 2014, 748 – 761. Knütel, Rolf: Verteilungsgerechtigkeit, in: Verschulden, Haftung, Vollstreckung, Insolvenz, Festschrift für Gerhart Kreft zum 65. Geburtstag, Recklinghausen 2004, S. 1 – 18, zitiert als: Knütel, in: FS Kreft. Kocher, Eva: Die Insolvenzanfechtung von Entgeltzahlungen an Arbeitnehmer/innen, ZVI 2009, 433 – 438. Kohler, Josef: Lehrbuch des Konkursrechts, Stuttgart 1891, zitiert als: Kohler, Konkursrecht. Kohn-Löffelmann, Cordelia: Insolvenzanfechtung in Europa – Vergleich der Anfechtungsvorschriften von Deutschland, der Schweiz und Frankreich, Hamburg 2008, zitiert als: KohnLöffelmann, Insolvenzanfechtung in Europa. Kolbe, Sebastian: Insolvenzanfechtung und Arbeitsrecht, in: Bieder, Marcus/Hartmann, Felix (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung im deutschen und europäischen Arbeitsrecht, Tagungsband der Assistententagung im Arbeitsrecht 2011 in Osnabrück, Tübingen 2012, S. 145 – 170, zitiert als: Kolbe, in: Bieder/Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung. Korobkin, Donald R.: Employee Interests in Bankruptcy, American Bankruptcy Institute Law Review 1996, 5 – 34. Koziol, Helmut: Grundlagen und Streitfragen der Gläubigeranfechtung, Wien/New York, 1991, zitiert als: Koziol, Gläubigeranfechtung. Kranzusch, Peter/Icks, Annette: Institut für Mittelstandsforschung Bonn: Die Quoten der Insolvenzgläubiger in Regel- und Insolvenzplanverfahren, Bonn 2009, zitiert als: Kranzusch/ Icks, Quoten der Insolvenzgläubiger. Kreft, Gerhart: Ausgesuchte Probleme des Anfechtungsrechts, ZInsO 1999, 370 – 373. – Der Rechtsweg für Insolvenzanfechtungsklagen, ZIP 2013, 241 – 252. – Zum Rechtsweg für insolvenzrechtliche Anfechtungsklagen, ZInsO 2009, 578 – 584. – (Hrsg.): Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 7. Auflage, Heidelberg u. a. 2014, zitiert als: HK-InsO/Bearbeiter. – Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 5. Auflage, Heidelberg u. a. 2008, zitiert als: HK-InsO/Bearbeiter5. Kübler, Bruno M./Prütting, Hanns (Hrsg.): Das neue Insolvenzrecht, InsO/EGInsO, 2. Auflage, Köln 2000, zitiert als: Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht. Kübler, Bruno M./Prütting, Hanns/Bork, Reinhard (Hrsg.): Kommentar zur Insolvenzordnung, Loseblatt, Band I, Stand April 2015, Band II, Stand April 2015, zitiert als: KPB/Bearbeiter. Lakies, Thomas: Der Anspruch auf Insolvenzgeld (§ 183 SGB III), NZA 2000, 565 – 569. – Das Arbeitsverhältnis in der Insolvenz, Berlin 2010, zitiert als: Lakies, Arbeitsverhältnis in der Insolvenz. Laws, Ralf: Die insolvenzrechtliche Anfechtung von Lohnzahlungen, ZInsO 2009, 1465 – 1475. Lenhard, Alfred: Natur und Wirkung der Gläubigeranfechtung, ZZP 38 (1909), 165 – 219.

Literaturverzeichnis

363

Leo, Carl: Anmerkung zu OLG Hamburg, Urteil v. 7. 9. 1925 – Bf. V 353/25, ZZP 50 (1926), 335. Lepa, Brita: Insolvenzordnung und Verfassungsrecht, Berlin 2002, zitiert als: Lepa, Insolvenzordnung und Verfassungsrecht. Lieb, Manfred/Jacobs, Matthias: Arbeitsrecht, 9. Auflage, Heidelberg u. a. 2006, zitiert als: Lieb/Jacobs. Lind, Thorsten Patric: Zur Auslegung von § 133 InsO, insbesondere im System der Anfechtungstatbestände, Bristol/Berlin 2006, zitiert als: Lind, Zur Auslegung von § 133 InsO. Lohkemper, Wolfgang: Die Bedeutung des neuen Insolvenzrechts für das Arbeitsrecht, KTS 1996, 1 – 44. Lorenz, Robert: Anfechtbarkeit einer Aufrechnung gemäß § 30 Ziff. 2 KO im Anschlußkonkurs, KTS 1961, 147 – 150. Lübtow, Ulrich von: De iustitia et iure, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung, Band 66 (1948), S. 458 – 565. Lüderitz, Martin: Rückforderung von Vergütung – brutto oder netto?, BB 2010, 2629 – 2635. Ludwig, Eckehard: Ein Plädoyer für den Status quo des § 133 InsO oder: Geteiltes Leid ist halbes Leid, ZInsO 2014, 1729 – 1733. Lütcke, Niklas: Insolvenzanfechtung von im Wege des Bargeschäfts erfolgten Lohnzahlungen – BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372, NZI 2014, 350 – 353. – Vorsatzanfechtung – Andeutung einer Kurskorrektur durch den BGH?, ZInsO 2013, 1984 – 1992. Lwowski, Hans-Jürgen/Wunderlich, Nils-Christian: Neues zum Bargeschäft – Zugleich Anmerkungen zu BGH, Urt. v. 18. 7. 2002 – IX ZR 480/00, ZInsO 2002, 876 = WM 2002, 1808, in: Insolvenzrecht im Wandel der Zeit – Festschrift für Hans-Peter Kirchhof, Recklinghausen 2003, zitiert als: Lwowski/Wunderlich, in: FS Kirchhof. Malinka, Hartmut: Leistung und Verfassung – Das Leistungsprinzip in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Berlin 2000, zitiert als: Malinka, Leistung und Verfassung. Mangoldt, Hermann v./Klein, Friedrich/Starck, Christian (Hrsg.): Das Bonner Grundgesetz, Band 1: Präambel, Artikel 1 bis 19, 4. Auflage, München 1999, zitiert als: v. Mangoldt/ Klein/Starck/Bearbeiter. Marotzke, Wolfgang: Anmerkung zu BGH, Urt. v. 20. 3. 1997 – IX ZR 71/96 (BGHZ 135, 140), JR 1998, 31 – 32. – Der Einfluß des Konkurses auf vor Verfahrenseröffnung getätigte Vorauszessionen, KTS 1979, 40 – 52. – „Dingliche“ Wirkungen der Gläubiger- und Konkursanfechtung, KTS 1987, 1 – 25. – Gegenseite Verträge im neuen Insolvenzrecht, 3. Auflage, Neuwied/Kriftel 2001, zitiert als: Marotzke, Gegenseitige Verträge. – Rechtsprobleme des Gläubigerzugriffs auf anfechtbar zedierte Forderungen des Schuldners, KTS 1987, 569 – 596.

364

Literaturverzeichnis

– Sinn und Unsinn einer insolvenzrechtlichen Privilegierung des Fiskus, ZInsO 2010, 2163 – 2180. – Anmerkung zu BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, JZ 2014, 1118 – 1120. Marwyk, Markus van: Der Nachweis der Zahlungsunfähigkeit anhand von Beweisanzeichen – Gewichtung und Widerlegung – im Rahmen des § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO, ZInsO 2014, 1734 – 1738. Maunz, Theodor/Dürig, Günter (Begr.): Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, Band I: Texte, Artikel 1 – 5, Stand: März 2014, zitiert als: Maunz/Dürig/Bearbeiter. McCoid II, John C.: Bankruptcy, Preferences, and Efficiency: An Expression of Doubt, Virginia Law Review 1981, 249 – 273. Medicus, Dieter: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Privatrecht, AcP 192 (1992), 35 – 70. Meier, Jan-Philipp: Die Wiedereinführung von Insolvenzvorrechten durch das Hauptportal – § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV, die Ziele des Koalitionsvertrages und das Sparpaket, ZInsO 2010, 1121 – 1129. – Privilegien des Fiskus und der Sozialversicherungsträger in der Unternehmensinsolvenz, Frankfurt am Main 2010, zitiert als: Meier, Privilegien des Fiskus. Menzel, Adolf: Das Anfechtungsrecht der Gläubiger nach österreichischem Rechte, Wien 1886, zitiert als: Menzel, Anfechtungsrecht. Meyer, Henning: Zur Anfechtbarkeit von Beraterhonoraren und der Reichweite der Barausnahme des § 142 InsO bei Geschäftsbesorgungen, DZWIR 2003, 6 – 10. Müller-Glöge, Rudi/Preis, Ulrich/Schmidt, Ingrid: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 15. Auflage, München 2015, zitiert als: ErfK/Bearbeiter. – Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 11. Auflage, München 2011, zitiert als: ErfK/Bearbeiter11. Münch, Ingo von/Kunig, Philip: Grundgesetz, Kommentar, Band 1: Präambel bis Art. 69, 6. Auflage, München 2012, zitiert als: v. Münch/Kunig/Bearbeiter. Münzel, Karl: Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübereignung, MDR 1951, 129 – 134. Musielak, Hans-Joachim (Hrsg.): Kommentar zur Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz, 12. Auflage, München 2015, zitiert als: Musielak/Bearbeiter, ZPO. Nerlich, Jörg/Römermann, Volker (Hrsg.): Kommentar zur Insolvenzordnung, 28. Ergänzungslieferung, Stand Januar 2015, München 2015, zitiert als: Nerlich/Römermann/Bearbeiter. Neuner, Jörg: Privatrecht und Sozialstaat, München 1999, zitiert als: Neuner, Privatrecht und Sozialstaat. Niesel, Klaus (Begr.)/Brand, Jürgen (Hrsg.): Kommentar zum Sozialgesetzbuch III: Arbeitsförderung, 6. Auflage, München 2012, zitiert als: Niesel/Brand/Bearbeiter. Niesert, Burkhard: Grenzen der Anfechtung von Arbeitslohn, NZI 2014, 252 – 255. Nikisch, Arthur: Arbeitsrecht, I Band: Allgemeine Lehren und Arbeitsvertragsrecht, 3. Auflage, Tübingen 1961, zitiert als: Nikisch, Arbeitsrecht.

Literaturverzeichnis

365

Nowack, Regine: Rückschlagsperre und Anfechtbarkeit von Vollstreckungsakten – ein Beitrag zur Reform des Insolvenzrechts, KTS 1992, 161 – 177. Oehlerking, Jürgen: Die Auswirkungen der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers auf die Bezüge der Arbeitnehmer, Göttingen 1981, zitiert als: Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Pape, Gerhard: Zulässigkeit der Insolvenzanfechtung nach Anzeige der Masseinsuffizienz – Bemerkungen zu LG Hamburg, Urt. v. 16. 3. 2001 – 303 O 310/00, ZIP 2001, 711, ZIP 2001, 901 – 905. Pape, Gerhard/Uhlenbruck, Wilhelm/Voigt-Salus, Joachim: Insolvenzrecht, 2. Auflage, München 2010, zitiert als: Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus. Paulus, Christoph G.: Zur Auslegung anfechtungsrechtlicher Vorschriften, in: Festschrift für Gero Fischer, München 2008, S. 445 – 458, zitiert als: C. Paulus, in: FS Fischer. – Das Recht der Insolvenzanfechtung und Gläubigerschutz, in: Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, 2006 (ZGR-Sonderheft 17), 435 – 450. – Konkursrecht im Dritten Reich, NZI 2011, 657 – 663. – Ein Kaleidoskop aus der Geschichte des Insolvenzrechts, JZ 2009, 1148 – 1155. – Entwicklungslinien des Insolvenzrechts, KTS 2000, 239 – 249. Paulus, Christoph G./Schröder, Wolfgang: Über die Verschärfung des Rechts der Insolvenzanfechtung, WM 1999, 253 – 257. Paulus, Gotthard: Sinn und Formen der Gläubigeranfechtung, AcP 155 (1956), 276 – 374. Petersen, Julius: Zur Lehre vom Anfechtungsrecht, ZZP 10 (1887), 17 – 71. Peters-Lange, Susanne: Anfechtbarkeit von Lohnzahlungen durch den Insolvenzverwalter. Probleme und Gegenstrategien, info also 2008, 255 – 264. Pfefferle, Roland: Zur Reform der Konkursanfechtung und der Rückschlagsperre, ZIP 1984, 147 – 156. – Konkursanfechtung und Rückschlagsperre – Überlegungen zum geltenden Recht und zu dessen Reform anhand der derzeitigen Ungleichbehandlung der Geld- und Naturalansprüche, Heidelberg 1982, zitiert als: Pfefferle, Konkursanfechtung. Pick, Eckhart: Die (neue) Insolvenzordnung – ein Überblick, NJW 1995, 992 – 997. Pieper, Nicole: Lohn- und Gehaltszahlungen in der Insolvenz des Arbeitgebers, ZInsO 2009, 1425 – 1437. Planitz, Hans: Studien zur Geschichte des deutschen Arrestprozesses, ZRG Germanistische Abteilung, Band 34 (1913), S. 49 – 140. Plathner, Jan Markus/Sajogo, Dirk: Trendwende bei Insolvenzanfechtung rückständiger Lohnzahlungen an Arbeitnehmer, ZInsO 2012, 581 – 585. Plett, Konstanze: Zur Soziallastigkeit von Insolvenzverfahren aus empirischer Sicht, ZIP 1982, 905 – 915. Poertzgen, Christoph/Meyer, Benedikt: Sozialgerichtsweg für Anfechtungsansprüche?, NZI 2011, 477 – 480.

366

Literaturverzeichnis

Posner, Richard A.: Economic Analysis of Law, 8. Auflage, Austin 2011, zitiert als: Posner, Economic Analysis. Preis, Ulrich: Arbeitsrecht, Individualarbeitsrecht, Lehrbuch für Studium und Praxis, 4. Auflage, Köln 2012, zitiert als: Preis, Arbeitsrecht. Press, Richard E./McKie, Melinda: Employment in tough times – Interplay between employment and Insolvency, Employment Law Conference 2009 – Paper 5.1, zitiert als: Press/ McKie, Employment. Priebe, Klaus: Risiko Ratenzahlung – ein Gespenst geht um in Deutschland: die Vorsatzanfechtung, § 133 InsO – Auch eine Anmerkung zu BGH, Urt. v. 6. 12. 2012 – IX ZR 3/12, ZInsO 2013, 190, ZInsO 2013, 2479 – 2489. Radbruch, Gustav: Rechtsphilosophie, 6. Auflage, Stuttgart 1963, zitiert als: Radbruch, Rechtsphilosophie. Raiser, Ludwig: Der Gleichheitsgrundsatz im Privatrecht, ZHR 111 (1948), 75 – 101. Rauscher, Thomas/Krüger, Wolfgang: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Nebengesetzen, Band 2, 4. Auflage, München 2012, zitiert als: MüKo-ZPO/Bearbeiter. Rawls, John: ATheory of Justice, Revised Edition, Harvard/Cambridge, Mass. 1999, zitiert als: Rawls, Theory of Justice. Ries, Stephan: Kurzkommentar zu BGH, Urt. v. 29. 11. 2007 – IX ZR 30/07, ZInsO 2008, 91, EWiR 2008, 187 – 188. – Anfechtung der Zahlung von Arbeitnehmerlöhnen (Anm. zu AG Gera, Urt. v. 9. 2. 2007 – 4C 654/07, ZInsO 2007, 1000), ZInsO 2007, 1037 – 1039. – Zersplitterung statt Rechtsvereinheitlichung (!) – Warum vergisst der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe seine gesetzlichen Grundlagen (?), Urteilsanmerkung zu GmS-OBG, Beschl. v. 27. 9. 2010 – GmS-OBG 1/09, ZInsO 2010, 2382 – 2385. – Insolvenz(anfechtungs)recht – wohin bist Du geraten?, Urteilsanmerkung zu LAG Niedersachsen, Urt. v. 22. 3. 2012 – 7 Sa 1052/11, ZInsO 2012, 1751 – 1757. Ries, Stephan/Doebert, Arno: Insolvenzrechtliche Anfechtung der verspäteten Zahlung rückständigen Arbeitslohns – Ab wann schadet zuviel Wissen? Anm. zu BGH, Urt. v. 15. 10. 2009 – IX ZR 201/08, ZInsO 2009, 2244; zugleich mit Gegenüberstellung zu BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, ZInsO 2009, 515, ZInsO 2009, 2367 – 2371. Ruffert, Matthias: Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, Tübingen 2001, zitiert als: Ruffert, Vorrang der Verfassung. Rutkowsky, Stefan: Rechtsnatur und Wirkungsweise der Gläubigeranfechtung – unter besonderer Berücksichtigung der Einzelfälle anfechtbarer Rechtshandlungen, Bonn 1969, zitiert als: Rutkowsky, Gläubigeranfechtung. Sachs, Michael: Die Maßstäbe des allgemeinen Gleichheitssatzes – Willkürverbot und sogenannte neue Formel, JuS 1997, 124 – 130. – (Hrsg.): Grundgesetz, Kommentar, 7. Auflage, München 2014, zitiert als: Sachs/Bearbeiter. Säcker, Franz Jürgen/Rixecker, Roland (Hrsg.): Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 4 (§§ 611 – 704 BGB, EFZG, TzBfG, KSchG), 6. Auflage, München

Literaturverzeichnis

367

2012, Band 8 (Familienrecht II: 1589 – 1921, SGB VIII), 6. Auflage 2012, zitiert als: MüKoBGB/Bearbeiter. Saenger, Ingo (Hrsg.): Zivilprozessordnung, FamFG, Europäisches Verfahrensrecht, Handkommentar, 6. Auflage, Baden-Baden 2015, zitiert als: Saenger/Bearbeiter. Salzberger, Eli: Law and Economics in the 21“ Century, in: Internationalisierung des Rechts und seine ökonomische Analyse, Festschrift für Hans-Bernd Schäfer zum 65. Geburtstag, Wiesbaden 2008, S. 23 – 36, zitiert als: Salzberger, in: FS Schäfer. Sander, Volker: Die Kenntnis des Arbeitnehmers von der Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers bei rückständigen Lohn- und Gehaltszahlungen – Anm. zu BGH v. 19. 2. 2009, ZInsO 2009, 702 – 708. Sarra, Janis: Widening the Insolvency Lens: The Treatment of Employee Claims, in: International Insolvency Law – Themes and Perspectives, edited by Paul J. Omar, Padstow 2008, S. 295 – 334, zitiert als: Sarra, in: International Insolvency Law. Savaète, Eugen: Dienst- und Arbeitsverhältnisse im Konkurs des Arbeitgebers, AuR 1956, 164 – 171. Schäfer, Hans-Bernd/Ott, Claus: Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 5. Auflage, Berlin/Heidelberg 2012, zitiert als: Schäfer/Ott, Lehrbuch. Schaub, Günter: Die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Arbeitsrecht im Konkurs, ZIP 1993, 969 – 980. Schelp, Thomas: Arbeitnehmerforderungen in der Insolvenz, NZA 2010, 1095 – 1101. Schimansky, Herbert/Bunte, Hermann-Josef/Lwowski, Hans-Jürgen: Bankrechts-Handbuch, 4. Auflage, München 2011, zitiert als: Schimansky/Bunte/Lwowski/Bearbeiter. Schmid, Jean-Daniel: Rechtsökonomische Überlegungen zur Überschuldungsanfechtung im Konkurs, KTS 2010, 307 – 326. Schmidt, Andreas (Hrsg.): Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 5. Auflage, Köln 2015, zitiert als: HmbKomm/Bearbeiter. Schmidt, Karsten: Konkursanfechtung und Drittwiderspruchsklage, JZ 1990, 619 – 626. – Zwangsvollstreckung in anfechtbar veräußerte Gegenstände – Eine Untersuchung zur Funktionsweise der Gläubigeranfechtung, JZ 1987, 898 – 895. – (Hrsg.): Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch, Band 6: Bankvertragsrecht, 3. Auflage, München 2014, zitiert als: MüKo-HGB/Bearbeiter. – Insolvenzordnung, InsO mit EuInsVO, Kommentar, 18. Auflage, München 2013, zitiert als: K. Schmidt/Bearbeiter. Schmidt, Reinhard H.: Die ökonomische Grundstruktur des Insolvenzrechts, AG 1981, 35 – 44. – Ökonomische Analyse des Insolvenzrechts, Wiesbaden 1980, zitiert als: R. H. Schmidt, Ökonomische Analyse. Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Klein, Franz (Begr.): GG Kommentar zum Grundgesetz, 13. Auflage, Köln 2014, zitiert als: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bearbeiter. Schoppmeyer, Heinrich: § 133 Abs. 1 InsO versus §§ 130, 131 InsO: Ist die Deckungsanfechtung nur ein Unterfall der Vorsatzanfechtung?, ZIP 2009, 600 – 609.

368

Literaturverzeichnis

– Besondere und allgemeine Insolvenzanfechtung am Beispiel der Anfechtung von Zwangsvollstreckungen, NZI 2005, 185 – 194. Schubert, Werner: Die Insolvenzrechtsreform in der Weimarer Zeit und in der NS-Zeit, KTS 1993, 323 – 350. Schulz, Dietmar: Anmerkung zu BGH, Urt. v. 19. 2. 2009 – IX ZR 62/08, DZWIR 2009, 254 – 258. Schulz, Fritz: System der Rechte auf den Eingriffserwerb, AcP 105 (1909), 1 – 485. Seiler, Christian: Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. 2. 2010, JZ 2010, 500 – 505. Seuffert, Lothar: Deutsches Konkursprozeßrecht, Leipzig 1899, zitiert als: Seuffert, Konkursprozessrecht. – Zur Geschichte und Dogmatik des Konkursrechts, Erste Abteilung: Die Rechtsverhältnisse der Aktivmasse, Nördlingen 1888, zitiert als: Seuffert, Geschichte und Dogmatik. Seuffert, Walter: Verfassungsrechtliche Fragen zu den Reformvorschlägen der Kommission für Insolvenzrecht, ZIP 1986, 1157 – 1165. Sieber, Florian: Die Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung innerhalb und außerhalb des Insolvenzverfahrens, Hamburg 2008, zitiert als: Sieber, Rechtsnatur der Gläubigeranfechtung. Siegmann, Matthias: Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen; keine Erkundigungspflicht des Arbeitnehmers, Anmerkung zu BGH, Urt. v. 19. Februar 2009, WuB VI A. § 130 InsO 1.09, 557 – 560. Smid, Stefan: Struktur und systematischer Gehalt des deutschen Insolvenzrechts in der Judikatur des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (VIII, Teil 2), DZWIR 2010, 45 – 61. – Kurze kritische Anmerkung zu den Änderungen der Insolvenzordnung durch Art. 3 und 4 Haushaltsbegleitgesetz 2011, DZWIR 2011, 133 – 136. – Gleichbehandlung der Gläubiger und Wiederherstellung eines funktionsfähigen Insolvenzrechts als Aufgaben der Insolvenzrechtsreform, BB 1992, 501 – 513. – Grundzüge des Insolvenzrechts, 4. Auflage, München 2002, zitiert als: Smid, Grundzüge. Söhl, Bernhard: Insolvenzanfechtung von unter drohender Zwangsvollstreckung erlangten Vergütungszahlungen, Anmerkung zu BAG, Urt. v. 27. 2. 2014 – 6 AZR 367/13, BeckRS 2014, 68696, ArbRAktuell 2014, 249. Söllner, Alfred: Betrieb und Menschenwürde, RdA 1968, 437 – 439. Stapper, Florian/Jacobi, Christoph Alexander: Insolvenzanfechtung und Gesetzgebung durch die Hintertür: Zum ersten Geburtstag von § 28e Abs. 1 Satz 2 SGV IV, WM 2009, 1493 – 1497. Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 2011, Wiesbaden 2011, zitiert als: Statistisches Jahrbuch 2011. – Statistisches Jahrbuch 2014, Wiesbaden 2014, zitiert als: Statistisches Jahrbuch 2014. Steffek, Felix: Das englische Recht der Insolvenzanfechtung – ein funktionaler Vergleich unter besonderer Berücksichtigung kapitalgesellschaftsrechtlicher Aspekte, KTS 2007, 451 – 483.

Literaturverzeichnis

369

Stein, Friedrich/Jonas, Martin (Begr.): Kommentar zur Zivilprozessordnung, 22. Auflage, Band 7 (§§ 704 – 827), Tübingen 2002, zitiert als: Stein/Jonas/Bearbeiter, ZPO. Stern, Klaus: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III: Allgemeine Lehren der Grundrechte, 1. Halbband, München 1988, 2. Halbband, München 1994, zitiert als: Stern, Staatsrecht III/1 und III/2. Stiller, Jörn U.: Anfechtbarkeit einer mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters erfolgten Lohnzahlung, Anm. zu BAG, Urt. v. 27. 10. 2004 – 10 AZR 123/04, ZInsO 2005, 529 – 531. – Unterfallen Insolvenzanfechtungsansprüche auf Rückgewähr geleisteter Arbeitsvergütung gegenüber Arbeitnehmern arbeitsvertraglichen oder tarifvertraglichen Ausschlussfristen?, ZInsO 2012, 869 – 873. – Insolvenzanfechtungsklagen gegenüber Arbeitnehmern wegen Lohnzahlung vor den Arbeitsgerichten: Offene und (vermeintlich) geklärte Rechtsfragen – Zugleich Urteilsanmerkung zu LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 4. 9. 2012 – 3 Sa 661/12, ZInsO 2013, 91, LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12. 9. 2012 – 4 S 1166/12, ZInsO 2013, 89 und LAG Nürnberg, Urt. v. 16. 5. 2012 – 2 Sa 566/11, ZInsO 2013, 94, ZInsO 2013, 55 – 58. – Insolvenzgeld und Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen – Abtretung von Insolvenzgeldansprüchen an den Insolvenzverwalter erfüllungshalber nach § 364 Abs. 2 BGB, ZInsO 2013, 2047 – 2052. Stoldt, Egon: Die Konkursvorrechte der Arbeitnehmer und der Sozialversicherungsträger im Rahmen des heutigen Konkursverfahrens. Eine Besprechung des Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 5. 7. 1967 (KTS 1967, 231), KTS 1967, 193 – 198. Stürner, Rolf: Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen durch Maßnahmen im Unternehmens- und Insolvenzrecht, ZIP 1982, 761 – 772. – Aktuelle Probleme des Konkursrechts – Zur Neubearbeitung des Jaegerschen Kommentars, ZZP 94 (1981), 263 – 310. Thieme, Jürgen: Zur Entstehung der Konkursordnung, in: Festschrift Einhundert Jahre Konkursordnung, 1977, S. 35 – 69, zitiert als: Thieme, in: FS 100 Jahre KO. Thole, Christoph: Vom Totengräber zum Heilsbringer? – Insolvenzkultur und Insolvenzrecht im Wandel, JZ 2011, 765 – 774. – Die tatbestandlichen Wertungen der Gläubigeranfechtung, ZZP 121 (2008), S. 67 – 93. – Die Kritik an der Ausdehnung der Vorsatzanfechtung auf dem Prüfstand, ZIP 2013, 2081 – 2088. Thomas von Aquin: Summa Theologica, Übersetzung ins Englische, abrufbar unter: www.gutenberg.org, zitiert als: Thomas von Aquin, Summa Theologica. Uhlenbruck, Wilhelm: Einhundert Jahre Konkursordnung, in: Festschrift Einhundert Jahre Konkursordnung, 1977, S. 3 – 34, zitiert als: Uhlenbruck, in: FS 100 Jahre KO. – Betriebsverfassungsgesetz 1972 und Insolvenzrechtsreform, RdA 1976, 248 – 254. – Zur Geschichte des Konkurses, DZWIR 2007, 1 – 5. – Zum Entwurf eines Gesetzes über Konkursausfallgeld, KTS 1974, 66 – 69. – Die Vorfinanzierung von Konkursausfallgeld, KTS 1980, 81 – 92.

370

Literaturverzeichnis

– (Hrsg.): Kommentar zur Insolvenzordnung, 14. Auflage, München 2015, zitiert als: Uhlenbruck/Bearbeiter. – Kommentar zur Insolvenzordnung, 13. Auflage, München 2010, zitiert als: Uhlenbruck/ Bearbeiter13. – Kommentar zur Insolvenzordnung, 12. Auflage, München 2003, zitiert als: Uhlenbruck/ Bearbeiter12. Vallender, Heinz: Die Entwicklung des Regelinsolvenzverfahrens im Jahre 2010, NJW 2011, 1491 – 1496. Vollrath, Robert: Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen, ZInsO 2011, 1665 – 1675. Wacke, Andreas: Zur Geschichte und Dogmatik der Gläubigeranfechtung, ZZP 83 (1970), 418 – 435. – Lidlohn geht vor allen Schulden, ZIP 1991, 1472 – 1474. Waldstein, Wolfgang: Zu Ulpians Definition der Gerechtigkeit (D 1, 1, 10 pr.), in: Festschrift für Werner Flume zum 70. Geburtstag, Köln 1978, S. 213 – 232, zitiert als: Waldstein, in: FS Flume. Walker, Wolf-Dietrich: Rechtswegzuständigkeit für Insolvenzanfechtungsklagen gegen Arbeitnehmer auf Vergütungsrückzahlung, in: Festschrift für Jobst-Hubertus Bauer zum 65. Geburtstag, München 2010, S. 1051 – 1064, zitiert als: Walker, in: FS Bauer. Weber, Friedrich: Der Verwalterwechsel während der Ausschlussfrist des § 41 KO, KTS 1961, 49 – 61. – Fragen der Gestaltung des Konkursverfahrens in rechtspolitischer und rechtsvergleichender Sicht, KTS 1959, 80 – 88. – Ziele und Wege der Insolvenzrechtsreform, in: Festschrift Einhundert Jahre Konkursordnung, 1977, S. 321 – 360, zitiert als: Weber, in: FS 100 Jahre KO. Wegener, Burghard: Anfechtung von Lohnzahlungen, Kommentar zu BGH v. 19. 2. 2009, NZI 2009, 225 – 226. Weiland, Stefan: Wi(e)der die Privilegierung der öffentlich-rechtlichen Gläubiger, DZWIR 2011, 224 – 232. – Par condicio creditorum – Der insolvenzrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz und seine Durchbrechungen zugunsten öffentlich-rechtlicher Gläubiger, Frankfurt am Main u. a. 2010, zitiert als: Weiland, Par condicio creditorum. Wenger, Leopold: Institutionen des Römischen Zivilprozessrechts, München 1925, zitiert als: Wenger, Institutionen. Werres, Stefan: Grundrechtsschutz in der Insolvenz, Berlin 2007, zitiert als: Werres, Grundrechtsschutz. Wiedersperg, Axel Freiherr von: Die besondere Anfechtung in der Insolvenz, Frankfurt am Main 2001, zitiert als: v. Wiedersperg, Die besondere Anfechtung in der Insolvenz. Willemsen, Heinz Josef: Die Anfechtung vorkonkurslicher Sozialpläne, ZIP 1982, 649 – 653. Wimmer, Klaus (Hrsg.): Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung mit EuInsVO, InsVV und weiteren Nebengesetzen, 8. Auflage, Köln 2015, zitiert als: FK-InsO/Bearbeiter.

Literaturverzeichnis

371

Windel, Peter A.: Der insolvenzrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz und seine Auswirkungen auf die Abwicklung schwebender Austauschverträge, JURA 2002, 230 – 235. – Anmerkung zu Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss v. 27. 9. 2010 – GmS-OBG 1/09, AP § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 14. Wiórek, Piotr Marcin: Das Prinzip der Gläubigergleichbehandlung im Europäischen Insolvenzrecht, Baden-Baden 2005, zitiert als: Wiórek, Gläubigergleichbehandlung. Wiringer-Seiler, Ulrike: Das Anfechtungsrecht im Konkurs: Ein geeignetes Mittel zur Beseitigung der Masseauszehrung durch besitzlose Mobiliarsicherheiten?, München 1988, zitiert als: Wiringer-Seiler, Anfechtungsrecht. Wisskirchen, Gerlind/Bissels, Alexander: „Kontrollierte Insolvenz“: Arbeitsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters, BB 2009, 2142 – 2147. Wolff, Theodor: Die Konkursordnung mit Enführungsgesetz, Nebengesetzen und Ergänzungen, Kommentar, 2. Auflage, Berlin/Leipzig 1921, zitiert als: Wolff, Konkursordnung. Wroblewksi, Andrej: Bargeschäftseinwand gegen Lohnanfechtung, NJW 2012, 894 – 898. – Anmerkung zu GmS-OGB v. 27. 9. 2010, GmS-OGB 1/09, ArbuR 2011, 34 – 35. Wüst, Günther: Vom ungebundenen Individualgläubiger zum rücksichtsvollen Mitgläubiger, in: Festschrift zum 60. Geburtstag von Walter Wilburg, Graz 1965, S. 257 – 272, zitiert als: Wüst, in: FS Wilburg. Zeuner, Mark: Die Anfechtung in der Insolvenz, Ein Handbuch – unter Einbezug des AnfG 1999, 2. Auflage, München 2007, zitiert als: Zeuner, Anfechtung. Zippelius, Reinhold: Rechtsphilosophie, ein Studienbuch, 5. Auflage, München 2007, zitiert als: Zippelius, Rechtsphilosophie. Zwanziger, Bertram: Insolvenzanfechtung und Arbeitsentgelt, BB 2007, 42 – 46. – Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, 4. Auflage, Frankfurt a. M. 2010, zitiert als: Zwanziger, Arbeitsrecht der Insolvenzordnung. – Die Rechtsprechung des BAG zur Insolvenzanfechtung – verfehlt oder gar verfassungswidrig?, DB 2014, 2391 – 2394. – Die im Jahre 2008 bekannt gewordene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in Insolvenzsachen, BB 2009, 668 – 669.

Sachwortverzeichnis Actio Pauliana 35, 201 Anfechtung, Geltendmachung 102 Anfechtung, Wirkung 87 Ausschlussfristen 60, 112, 123, 237, 239 Banküberweisung 98, 133, 134, 138, 167, 195, 227, 230 Bargeschäft 145 Befriedigungsfunktion 73, 76 Betriebliche Übung 114 Betriebsrat 126, 132, 188, 191 Beweisanzeichen 206, 210 Beweislast 84, 141, 192 Billigkeit 286 Dinglichkeitslehren 88 Dreimonatsrechtsprechung 157 Drittwirkung der Grundrechte 250 Druckzahlungen 198 Eigentumsgarantie 262, 297 Einzelgläubigeranfechtung 64 Existenzminimum 256, 260, 269, 271 Fahrlässigkeit 60, 174, 175 Fälligkeit 111, 123, 151 Gemeinschaftstheorien 291 Gerechtigkeit 282, 286 Geschäftsführung, Haftung 336 Geschichte 30, 104 Gläubigerbenachteiligung 136 Gläubigerbenachteiligungsvorsatz 204 Gläubigergleichbehandlung 27, 56, 275 Gleichheitssatz 265, 286 Grundrechtswirkung 245 Haftungsrechtliche Theorie 92 Hierarchie 144, 187 Historie 30, 104

Inkongruenz 192, 194, 207 Insolvenzantrag 66, 119, 183 Insolvenzgeld 120, 236, 323, 332 Insolvenzgeld, Vorfinanzierung 125 Insolvenzrechtsreform 51, 52, 88 Insolvenzverwalter 110, 129, 306 Interessenausgleich 127 Interessengemeinschaft 291 Kenntnis, Gläubigerbenachteiligungsvorsatz 204 Kenntnis, Zahlungsunfähigkeit 170 Kongruenz 166, 194 Konkurs 21 Konkursordnung 42, 44, 49 Krise 22 Kündigungsrecht 109, 117 Leistungsprinzip 320 Lohnanspruch, grundrechtlicher Schutz 259 Lohnanspruch, in der Insolvenz 110, 256 Lohnrückstände 116, 153, 184, 262 Menschenwürde 259, 260, 269 Missio in bona 33 Nahestehende Person 140 Ökonomische Analyse 299 par condicio creditorum 28, 34, 80, 275 Pareto-Kriterium 300 Präventionsfunktion 86 Rechtsblindheit 176 Rechtsfolgen 229 Rechtsfrieden 26, 322 Rechtsgemeinschaft 291 Rechtshandlung 131 Rechtsschutz, effektiver 297, 305 Rechtsweg 338 Römisches Recht 31

Sachwortverzeichnis Schenkungsanfechtung 73, 75, 228 Schuldrechtliche Lehre 90 Schutzpflichtenlehre 250 Sozialadäquanz 29, 313 Sozialplan 127 Sozialstaatsprinzip 265 Überschuldung 69 Unentgeltlichkeit 37, 71, 75, 228 Universalität 29 Unredlichkeitstheorie 76, 79 Verteilungsprinzip 277 Vertrauensschutz 49, 82, 139, 171

373

Vollstreckungsschutz 232, 271, 324 Vorsatzanfechtung 74, 201, 325 Wissenzurechnung 133, 191 Zahlungseinstellung 67 Zahlungsunfähigkeit 66 Zinsen 86, 233 Zurückbehaltungsrecht 116 Zusammenhang, zeitlicher 155 Zwangsvollstreckung 27, 99, 119, 134, 196, 198 Zwölftafel-Gesetz 31