Die Heidegger-Hütte. Erkundung eines Denk-Raums [1. ed.] 9783770568383, 9783846768389


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German Pages 171 Year 2023

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Table of contents :
Frontmatter
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Titel
Impressum
Inhalt
1. Die Höhenlage
Der heimliche König
Die Einsamkeit der Berge
Sein und Zeit … und Raum
2. Das Fundament
Der Einzug
Schwierige Nachbarschaft
Die Hütte als Resonanzraum
3. Der Sturm
Schöpferische Landschaft
Ein Sturm, der durch das Denken zieht
Wohnsitz des Denkens
4. Der Berg
Der ontische Vorrang der Seinsfrage
Die Angst und das Nichts
Heimkehr in die Ruhelosigkeit
5. Das Gipfeltreffen
Bergsteigen als philosophische Taktik
Philosophie als existentielle Erfahrung
Rhetorik der Überwältigung
6. Das Feuer
Flammen einer neuen Zeit
Der Philosoph als Führer
Das Rektorat
7. Das Lager
Ruhm und Revolution
Paradigma des Arbeitslagers
Das Wissenschaftslager
8. Der Niedergang
Die Legende vom „irren Sprung“
Ringen um Anerkennung
Am Tiefpunkt
9. Das Gästebuch
Pilgernde Bewunderer
Der Spiegel zu Gast auf der Hütte
Der Brunnenstern
10. Die Kehre
Der schmale Grat
Von Chauffeuren und Chimären
Am Ende heimatlos?
Backmatter
Nachwort „Wir werden ja vollkommenversoziologisiert!“
Über den Autor
Literatur und Bildnachweis
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Die Heidegger-Hütte. Erkundung eines Denk-Raums [1. ed.]
 9783770568383, 9783846768389

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Martin Ludwig Hofmann Die Heidegger-Hütte

Martin Ludwig Hofmann

Die Heidegger-Hütte Erkundung eines Denk-Raums

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2023 Brill Fink, Wollmarktstraße 115, D-33098 Paderborn, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. www.fink.de Einbandgestaltung: Ben Waschk, unter Verwendung einer Fotografie des Autors und Elementen von Shutterstock, Finalisierung: Evelyn Ziegler, München Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISBN 978-3-7705-6838-3 (hardback) ISBN 978-3-8467-6838-9 (e-book)

INHALT

1. DIE HÖHENLAGE ............................................................

9

Der heimliche König ........................................................... 11 Die Einsamkeit der Berge .................................................... 13 Sein und Zeit … und Raum ................................................. 15

2. DAS FUNDAMENT .......................................................... 21 Der Einzug ........................................................................... 22 Schwierige Nachbarschaft ................................................... 25 Die Hütte als Resonanzraum ............................................... 31

3. DER STURM .................................................................... 35 Schöpferische Landschaft .................................................... 36 Ein Sturm, der durch das Denken zieht ............................... 40 Wohnsitz des Denkens ......................................................... 43

4. DER BERG ....................................................................... 53 Der ontische Vorrang der Seinsfrage ................................... 54 Die Angst und das Nichts .................................................... 57 Heimkehr in die Ruhelosigkeit ............................................ 60

5. DAS GIPFELTREFFEN ..................................................... 65 Bergsteigen als philosophische Taktik ................................ 67 Philosophie als existentielle Erfahrung ............................... 71 Rhetorik der Überwältigung ................................................ 74

6. DAS FEUER ..................................................................... 79 Flammen einer neuen Zeit .................................................... 81 Der Philosoph als Führer ...................................................... 84 Das Rektorat ......................................................................... 86

7. DAS LAGER .................................................................... 93 Ruhm und Revolution .......................................................... 95 Paradigma des Arbeitslagers ................................................ 99 Das Wissenschaftslager ...................................................... 101

8. DER NIEDERGANG ......................................................... 109 Die Legende vom „irren Sprung“ ....................................... 111 Ringen um Anerkennung ................................................... 117 Am Tiefpunkt ..................................................................... 120

9. DAS GÄSTEBUCH ........................................................... 127 Pilgernde Bewunderer ........................................................ 131 Der Spiegel zu Gast auf der Hütte ....................................... 133 Der Brunnenstern ............................................................... 138

10. DIE KEHRE ..................................................................... 141 Der schmale Grat ................................................................ 143 Von Chauffeuren und Chimären ........................................ 146 Am Ende heimatlos? .......................................................... 148

NACHWORT

„WIR WERDEN JA VOLLKOMMEN VERSOZIOLOGISIERT!“ ..... 153

ÜBER DEN AUTOR ................................................................ 163 LITERATUR UND BILDNACHWEIS ....................................... 165

Für Wolfgang Eßbach und in Erinnerung an Willem van Reijen. Wenn man Denken lernen kann, habe ich es bei Euch beiden getan.

1. Die Höhenlage

„Die großen Philosophen sind ragende Berge, unbestiegen und unbesteigbar. Aber sie gewähren dem Land sein Höchstes und weisen in sein Urgestein.“ Martin Heidegger1

Der Wind ist eisig hier oben. Unten in der Stadt hat der Frühling bereits Einzug gehalten. Die Menschen bevölkern in T-Shirts und kurzen Hosen die Parkanlagen. Aus portablen Lautsprechern dröhnen Hip-Hop-Klänge. Grills werden angefeuert, Fußbälle locker hin und her gespielt. Kinder springen zwischen Erwachsenen herum, die auf Decken liegend versuchen, die ersten Sonnenstrahlen des jungen Jahres einzufangen. Der Feiertag als Frühlingsfest. Hier oben ist davon nichts zu spüren. Hier, auf etwas mehr als 1.100 Metern Höhe, liegt noch Schnee. Dort, wo die Sonne kaum hinkommt, ist der Weg beschwerlich, vor allem mit falschem Schuhwerk. Das Knarzen jeden Schritts hallt von den Baumwipfeln zurück. An manchen Stellen versinkt der Fuß, Nässe tritt in den Schuh ein. Schon am Ratschert weht der Wind so stark, dass wir die Kapuzen unserer Funktionsjacken über unsere Köpfe zie-

1

Martin Heidegger: Beiträge zur Philosophie, (Vom Ereignis), datiert 19361939, hier zitiert nach: Lutz Hachmeister: Heideggers Testament. Der Philosoph, der Spiegel und die SS, Berlin 2014, S. 7.

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DIE HEIDEGGER-HÜTTE

hen müssen. Es ist zwar noch kein Sturm, der hier über uns hinwegzieht, aber der Wind vermittelt eine Ahnung von den Naturgewalten, die hier oben herrschen können. Der Sturm, wir werden auf dieses metaphorische Bild noch zurückkommen. Aber zunächst geht es am Jakobuskreuz rechts in den Wald hinein. Im Winter wird hier eine Loipe gespurt, so dass Sportbegeisterte mit Langlaufski auf diesem durchaus geschichtsträchtigen Weg ihre Bahnen ziehen können. Jetzt, in dieser schwer definierbaren jahreszeitlichen Zwischenphase, liegt zwar noch Schnee, eine Loipe ist jedoch nicht mehr erkennbar. Und auch Menschen sind weit und breit keine unterwegs. Aber wer ist nicht alles auf diesem Waldweg bereits gegangen? Der Physiker und Nobelpreisträger Werner Heisenberg, der Dichter und Holocaust-Überlebende Paul Celan, der Journalist und Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein, der enigmatische HollywoodRebell und Meisterregisseur Terrence Malick, der Philosoph und kritische Theoretiker Herbert Marcuse, um nur ein paar der Bekanntesten zu nennen. Alle mussten sie diesen Weg zu Fuß auf sich nehmen, denn einen direkteren, einen weniger anstrengenden Zugang gibt es nicht. Doch die Strecke ist überschaubar. Nach einigen Windungen durch den Wald zeigt eine Informationstafel den abzweigenden Weg an. Auf einem schmalen Pfad rechts hinunter erreicht man schließlich die Hütte. Und obwohl man eigentlich Abstand halten soll, um das Eigentum und die Privatsphäre der Familie zu schützen, dürften wahrscheinlich viele der Versuchung nicht widerstehen, dem mythischen Ort möglichst nahe zu kommen. Die Rede ist von der Heidegger-Hütte, die oberhalb des Ortskerns von Todtnauberg auf einem Schwarzwaldhügel thront. Wobei „thront“ eine falsche Konnotation mit sich führt. Die Hütte schmiegt sich eher an den Hügel an, als dass sie ihn dominiert. Sie fügt sich ein in die alte Kulturlandschaft. Zurückhaltend und unprätentiös. Jede dominante oder dominierende Geste scheint ihr fremd zu sein. Und das, obwohl in ihr – im Verständnis einiger zumindest – ein König residierte. Hannah

1. DIE HÖHENLAGE

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Arendt, die große deutsch-jüdische Intellektuelle, die vor den Nazis ins Exil geflohen war und in Amerika zur international hochgeachteten Denkerin reifte, hat sicherlich den wesentlichen Einfluss daran gehabt, dass dieses Bild auch nach Heideggers Engagement für den Nationalsozialismus aufrechterhalten werden konnte. Noch am 26. September 1969 sprach sie in einer Laudatio zu Heideggers 80. Geburtstag, die zunächst im Rundfunk übertragen und anschließend als Text veröffentlicht wurde, vom „heimliche[n] König also im Reich des Denkens, das durchaus von dieser Welt doch so in ihr verborgen ist, dass man nie genau wissen kann, ob es überhaupt existiert, dessen Bewohner aber dann doch zahlreicher sind, als man glaubt.“2 Der heimliche König Der heimliche König im Reich des Denkens, ein solcher Ehrentitel, verliehen von niemand Geringerem als Hannah Arendt, knapp ein Vierteljahrhundert nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reichs“, dessen „Führer-Philosoph“ Heidegger werden wollte und dessen „Führer-Rektor“ er kurzzeitig an der AlbertLudwigs-Universität in Freiburg im Breisgau war, verfehlte seine Wirkung nicht. Zumal man damals, in den späten 1960er Jahren nur wusste, dass die junge Hannah Arendt Anfang der 1920er Jahre eine Studentin Heideggers gewesen war. In Marburg, wo der junge, frischberufene Professor Heidegger als sogenannter Zauberer von Marburg zahlreiche Studierende in seinen Bann schlug: „Das Gerücht sagte es ganz einfach: Das Denken ist wieder lebendig geworden“3, so Arendt über den Ruf, der Heidegger damals von Marburg aus vorauseilte. Dass beide einmal deutlich mehr verbunden hatte als eine Lehrer-Schülerin-Beziehung, wurde erst knapp eineinhalb Jahrzehnte später einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Anfang der 2

3

Hannah Arendt, Martin Heidegger: Briefe 1925 bis 1975 und andere Zeugnisse, hrsg. von Ursula Ludz, Frankfurt/M. 1998, S. 182. Ebd.

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DIE HEIDEGGER-HÜTTE

1980er Jahre veröffentlichte Elisabeth Young-Bruehl ihre große Hannah-Arendt-Biographie4, in der erstmals diese eigenartige Liebesbeziehung publik gemacht wurde. Und natürlich entfachte sie, insbesondere unter stereotypischer Betrachtung, die Fantasie zahlreicher Kommentatorinnen und Kommentatoren. Hier die weitgereiste Kosmopolitin, da der fest in der Provinz verwurzelte Eremit. Hier die große Liberale, da der Reaktionär. Hier die jüdische Exilantin, da der Nazi-Mitläufer und zeitweilige Aktivist. Hier die couragierte Unterstützerin Verfolgter, da der feige Denunziant. Stereotype Bilder sind holzschnittartig, sie schaffen Ordnung im Dickicht der Wahrnehmung, meist jedoch um den Preis einer differenzierteren Annäherung an das, was Wirklichkeit genannt werden könnte. Jenseits der Klischeebilder, die Arendt wie Heidegger umgaben, muss ein Band existiert haben, das beide umschlungen hielt. Denn das Besondere dieser Liebesbeziehung war, dass sie ihre Form wandelte, aber trotz harscher Brüche und Abbrüche über Jahrzehnte hinweg ein halbes Jahrhundert anhielt – bis zum überraschend frühen Tod Hannah Arendts im Jahr 1975.5 Erschrecken und Fassungslosigkeit über Heideggers Engagement im „Dritten Reich“ führte zu einer Phase des eisigen Schweigens. Aber schon in den 1950er Jahren nahm Arendt den Gesprächsfaden wieder auf. Irgendwann beichtete Heidegger seiner Frau Elfride seine frühere Liebesbeziehung zu Hannah Arendt, was späteren Zusammentreffen der drei eine pikante Note verlieh. Bei manch einer Autorin und einem Autor verband sich angesichts dieser Konstellation fast so etwas wie Voyeurismus mit echtem Erkenntnisinteresse.6 Und bei manch einer Leserin und einem Leser, so scheint es zumindest, schien dies ebenfalls der Fall zu sein. 4

5

6

Elisabeth Young-Bruehl: Hannah Arendt. Leben, Werk und Zeit, Frankfurt/M. 1986 (engl. Original 1982). Vgl. dazu: Antonia Grunenberg: Hannah Arendt und Martin Heidegger. Geschichte einer Liebe, München 2006 sowie den bereits zuvor zitierten Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Martin Heidegger. Die französische Schriftstellerin Catherine Clément hat beispielsweise einen halbfiktiven Roman über den letzten Besuch Hannah Arendts bei Elfride und

1. DIE HÖHENLAGE

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Die Einsamkeit der Berge „Oft wünsche ich, dass Du Dich so schön erholst wie ich hier oben“, schrieb Martin Heidegger am 21. März 1925 an Hannah Arendt. „Die Einsamkeit der Berge, der ruhige Lebensgang der Gebirgler, die elementare Nähe von Sonne, Sturm und Himmel, die Einfachheit einer verlorenen Spur an einem weiten, tiefverschneiten Hang – all das hält die Seele erst recht fern von allem zerhackten und zergrübelten Dasein.“7 Die Romantisierung des Berglebens als Vehikel des Ausdrucks romantischer Gefühle. Geschrieben hat Heidegger diese Zeilen in Todtnauberg, am einfachen Holztisch seiner schlichten Hütte. Es ist nicht der einzige Brief aus seiner Feder an Hannah Arendt, der nach dieser Transferlogik funktionierte. Hannah Arendt war die große Liebe seines Lebens – neben Elfride, der er zwar nicht treu, aber dennoch lebenslang ehelich und partnerschaftlich verbunden war. Elfride war es auch, die ihm das Refugium in den Schwarzwaldbergen errichtet hatte. Sie hat die Hütte finanziert, die Pläne gezeichnet und den Bauprozess begutachtet. Ganz die praktische Macherin, die dem Denker einen Ort schaffen wollte, an dem er in Ruhe seiner Arbeit nachgehen konnte. Und Heidegger hat sich die Hütte tatsächlich sehr schnell angeeignet, sie mit geistigem Leben erfüllt. Elfride hat den Platz erwählt und den Bau errichtet, Martin hat den Ort und den Raum mythisch aufgeladen. Die Hütte und die spezifische Lebensweise, die in ihr angelegt war, wurden ihm zum Signum seines gesamten Arbeitens. „Des ‚Interessanten‘ wird man unbedürftig, und die Arbeit hat die Gleichmäßigkeit des fernen Schlages eines Holzfällers im Bergwald“,8 führte Heidegger in dem oben zitierten Brief weiter aus. Soll heißen: Was die anderen, vor allem die großbürgerlich

7

8

Martin Heidegger in Freiburg geschrieben, in dem Fakten durch fiktive Dialoge und Szenen ergänzt werden. Catherine Clément: Martin und Hannah, Berlin 2000. Hannah Arendt, Martin Heidegger: Briefe 1925 bis 1975 und andere Zeugnisse, hrsg. von Ursula Ludz, Frankfurt/M. 1998, S. 16. Ebd.

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DIE HEIDEGGER-HÜTTE

sozialisierten Kollegen an der Universität, die bildungsbürgerlichen Damen und Herren in den Konzerthäusern und Kaufhallen, in den Salons und Kunstausstellungen, was all diese nach Erlebnissen gierenden Menschen in den großen Städten da unten als „interessant“ empfanden, verlor hier oben seinen Wert. Da unten das Rauschen des Oberflächlichen, hier oben die Stille tiefer Gedankenarbeit. Das Problem war nur: Was hier oben geistig möglich war, wurde da unten kaum verstanden. Selbst Heidegger persönlich scheint gegen diesen Einfluss der profanen Umweltreize da unten nicht gefeit gewesen zu sein. „Was ich in der Einsamkeit der Berge gearbeitet, liegt wie etwas Fremdes vor mir“,9 gestand er Hannah Arendt in einem Brief vom 18. Dezember 1925. Nicht nur Heidegger, so scheint es, hat die Hütte geistig aufgeladen, sondern ebenso die Hütte den Denker. „We shape our buildings, thereafter they shape us“, lautet ein berühmtes Zitat, das Winston Churchill zugeschrieben wird. Zuerst formen wir die Gebäude, danach formen sie uns. Bei kaum jemandem scheint dies so stark zugetroffen zu haben wie bei Martin Heidegger und seiner Hütte. Otto Friedrich Bollnow, einer von Heideggers Schülern und später selbst ein prominenter Philosophieprofessor, hat diesen Aspekt in seiner großen phänomenologischen Betrachtung des Wohnens prägnant umrissen: „Die innige Verbindung von Mensch und Haus zeigt sich aber nicht nur darin, dass der Mensch seinem Wohnraum den Charakter seines eigenen Wesens aufzuprägen vermag und umgekehrt jenes auf ihn zurückwirft, sondern eben so sehr darin, wie er in seinem Wesen durch seinen Umraum bestimmt wird, und sein Wesen sich wandelt, je nach der Natur seines Umraums.“10 Wer diese dialektische Beziehung zwischen Mensch und Raum nicht zu berücksichtigen weiß, wird kaum in der Lage sein, ein tieferes Verständnis innenarchitektonischer Qualitäten und menschlicher Raumbedürfnisse 9

10

Hannah Arendt, Martin Heidegger: Briefe 1925 bis 1975 und andere Zeugnisse, hrsg. von Ursula Ludz, Frankfurt/M. 1998, S. 50. Otto Friedrich Bollnow: Mensch und Raum, Stuttgart 2004, S. 294.

1. DIE HÖHENLAGE

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zu erlangen. Zumindest Bollnow wird nicht müde, zu betonen, „dass der Mensch nur in der Einheit mit einem konkreten Raum ein bestimmtes Wesen gewinnt. Er hat es nicht ‚an sich‘ und losgelöst vom jeweiligen Raum, sondern gewinnt es erst im konkreten Raum.“11 Anders formuliert: Was wäre aus Heidegger ohne seine Hütte geworden? Wäre er in der Lage gewesen, zu denken, was er gedacht hat? Hätte er ohne diesen konkreten Raum das bestimmte Wesen seiner Seinsphilosophie gefunden? Nach Bollnow ist die Antwort klar: Auch Heidegger hat „es“ nicht „an sich“, auch er gewinnt sein Wesen „erst im konkreten Raum“. Insofern kann man Bollnow folgend konstatieren: Heidegger ohne seine Hütte – das wäre in der Eigentlichkeit dieses Denkens schlichtweg kaum denkbar. Sein und Zeit … und Raum Deutlicher kann die Relevanz des Raums für das dort entwickelte Denken kaum unterstrichen werden: Sein Hauptwerk datierte Heidegger für die Nachwelt zeitlich – und räumlich. „Todtnauberg i. Bad. Schwarzwald zum 8. April 1925“, steht auf der Respektseite von Sein und Zeit, direkt unter der Widmung für Edmund Husserl, den Förderer und damaligen Freund.12 Woanders, so könnte man dies interpretieren, hätten diese Gedanken, die hier gedacht wurden, überhaupt nicht entwickelt werden können. Andrew Benjamin betont ganz in diesem Sinne: „Heideggers Hütte in Todtnauberg ist ein ebenso philosophisches wie architektonisches Ereignis.“13

11 12

13

Otto Friedrich Bollnow: Mensch und Raum, Stuttgart 2004, S. 295. Vgl. dazu die Respektseite in: Martin Heidegger: Sein und Zeit, Frankfurt/M. 1977, Gesamtausgabe, I. Abteilung, Band 2, hrsg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Andrew Benjamin: „Philosophie verorten: Heideggers Hütte“, in: Adam Sharr: Heideggers Hütte, Berlin 2010, S. 12.

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DIE HEIDEGGER-HÜTTE

Diesem Gedanken folgend geht es in diesem Buch um eine Annäherung an diese eigenartige Ikone der Architekturgeschichte, die vor etwas mehr als 100 Jahren im Schwarzwald entworfen und errichtet wurde – übrigens ohne das Zutun einer Architektin oder eines Architekten. Dieser Umstand tat dem Interesse zahlreicher Architekturtheoretiker und Architekturinteressierter jedoch keinen Abbruch. Gemeinsam mit vielen philosophisch interessierten Menschen bilden sie die Schar derer, die real oder virtuell auch heute noch zu Heideggers Hütte pilgern. Sie suchen dort … ja, was suchen sie eigentlich? Dieser Frage werden wir nachzugehen versuchen. Die Hütte – dieses kleine Refugium – wird in den folgenden Kapiteln als Resonanzraum des seinsphilosophischen Denkens Martin Heideggers untersucht. Konkreter formuliert, soll es auf den folgenden Seiten um den Versuch der Durchdringung dieses spezifischen Raumgefüges unter Einbeziehung seiner immateriellen Qualitäten und Bedingtheiten gehen. Ganz dem Raumverständnis Michel Foucaults folgend, der schon vor Jahrzehnten erklärte: „[D]ie Beschreibungen der Phänomenologen haben uns gelehrt, dass wir nicht in einem homogenen und leeren Raum leben, sondern in einem Raum, der mit Qualitäten aufgeladen ist, der vielleicht auch von Phantasmen bevölkert ist.“14 Diesen Phantasmen wollen wir nachspüren, dort oben in der Abgeschiedenheit des Hochschwarzwalds. Wir werden uns den realen und imaginierten Gipfelstürmen aussetzen, die Heideggers Sein in der Hütte prägten. Wir werden dem vielleicht bekanntesten deutschen Philosophen des 20. Jahrhunderts folgen – auf seinen einsamen Touren in schwindelerregende Höhen ebenso wie auf seinen Holzwegen. Und wir werden uns dabei, wie Heidegger selbst es getan hat, tief hineinarbeiten in jenen mythischen Ort, in den sich die profane Berghütte durch ihn verwandelt hat. Wir werden uns neben ihn an den kargen Holztisch setzen. Wir werden mit ihm am Brunnen vor der Hütte Wasser holen, da, wo 14

Michel Foucault: „Andere Räume“, in: Karlheinz Barck u.a. (Hg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1992, S. 37 (34 – 46).

1. DIE HÖHENLAGE

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der Stern inzwischen entfernt wurde, der Paul Celan bei seinem Besuch dort oben entsetzte. Wir werden einige weitere der prominenten Besucher begleiten, die Heidegger in seiner Hütte die Aufwartung machten. Und bei alldem versuchen wir, uns die Erkenntnis des französischen Ethnologen Marc Augé immer im Bewusstsein zu halten, die Erkenntnis der engen Verbindung des Findens mit dem Erfinden. Oder wie Augé es formulierte: „Der dem Ethnologen und den Eingeborenen gemeinsame Ort ist in gewissem Sinne (nämlich im Sinne des ‚Findens‘) eine Erfindung.“15 In diesem Sinne: Schnüren Sie Ihre Bergstiefel und kommen Sie mit zu diesem besonderen Ort! Gemeinsam er-finden wir die Hütte.

15

Marc Augé: Nicht-Orte, München 2010, S. 51.

2. Das Fundament

Nähert man sich der Hütte von oben, vom Jakobuskreuz kommend, muss man auf den Weg achten, um die zweite Abzweigung nicht zu verpassen. Die erste ist markiert durch ein großes Schild des „Martin-Heidegger-Rundwegs“, den die Gemeinde Todtnauberg vor einigen Jahren angelegt hat. Auf etwas mehr als sechs Kilometern Länge kann man hier wandernd Heidegger nachspüren, immer wieder unterbrochen durch Informationstafeln, die kurze Informationen über Heideggers Verbundenheit mit der Kulturlandschaft des Schwarzwalds und dem einfachen Leben der Bergbauern hier oben bieten. Über seine Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus liest man leider kaum etwas. Fast so, als wollte der Wanderweg das diesbezügliche Schweigen weitertragen, das der Meisterdenker Zeit seines Lebens nicht zu brechen bereit war. Auf besagtem Schild an der ersten Abzweigung zwischen Jakobuskreuz und Berger Höhe ist zu lesen: „Mit ihren letzten Ersparnissen kaufte Elfride Heidegger einem Bauern ein Grundstück ab und ließ nach eigenen Plänen, vom Zimmermann und ‚Göcklehof‘-Bauern Pius Schweitzer die Hütte errichten.“1 Genau genommen waren es nicht die letzten Ersparnisse, sondern ein vorgezogenes Erbteil, das Elfride einsetzte, um ihrem Mann dieses Refugium zu schaffen. Aber es ist richtig, dass es Elfride war, die den Erwerb des Grundstücks und den Bau der Hütte finanzierte. Sie war es auch, die die Pläne entwarf und den Baufortgang beaufsichtigte.

1

Zitiert nach der Informationstafel Nummer 3 „Heideggers Hütte“ des Martin-Heidegger-Wegs in Todtnauberg (Stand: 2021).

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DIE HEIDEGGER-HÜTTE

Insofern ist Rüdiger Safranski, der vor vielen Jahren eine ansonsten hervorragende und nach wie vor mit großem Gewinn zu lesende Heidegger-Biografie vorlegt hat, zu widersprechen, wenn er schreibt: „Einige Zeit vor dem Umzug nach Marburg erwirbt Heidegger in Todtnauberg ein kleines Grundstück, auf dem er eine sehr bescheidene Hütte errichten lässt.“2 Nicht Martin Heidegger hat das Grundstück erworben und die Hütte errichten lassen, sondern seine Frau Elfride, was durchaus Rückschlüsse auf die soziale Rollenverteilung zulässt, die in dieser Ehe herrschte. Für die Dinge des alltäglichen Lebens war die zupackende Elfride verantwortlich. Der tiefsinnige Martin gab sich damit nicht ab, noch nicht einmal bei der Hütte, die eine solche Bedeutung für sein Leben und Denken erlangen sollte. Und was das Finanzielle betraf: Auch hier sorgte Elfride, vor der ersten Berufung Martins auf eine ordentliche Professur, für Sicherheit und Stabilität. Safranski erkennt das auch an, wenn er schreibt: „Er legt selber nicht Hand an. Elfride organisiert und beaufsichtigt alles. Todtnauberg ist von nun an das Domizil seines Rückzugs von der Welt und zugleich die Sturmhöhe seines Philosophierens. Von hier führen alle Wege nach unten.“3 Der Einzug Bevor wir auf die Sturmhöhen des Philosophierens und die Wege nach unten zu sprechen kommen, bleiben wir zunächst noch einige Momente bei der Hütte und der Phase ihrer Errichtung beziehungsweise des Einzugs. „Die Hütte wurde am 9. August 1922 bezogen“, ist auf der oben erwähnten Informationstafel zu lesen.4 So weit, so richtig, doch man sollte dieses Datum in den

2

3 4

Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 151. Ebd. Zitiert nach der Informationstafel Nummer 3 „Heideggers Hütte“ des Martin-Heidegger-Wegs in Todtnauberg (Stand: 2021).

2. DAS FUNDAMENT

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biografischen und gesellschaftlichen Kontext stellen. Denn Martin Heidegger war an diesem Hochsommertag des Jahres 1922 noch einige Jahre von seinem späteren Ruhm entfernt. Als er mit seiner Frau und seinen beiden kleinen Söhnen – zwei und drei Jahre alt – zum ersten Mal die Hütte betrat, war er noch nicht der weltberühmte Philosoph, sondern ein eher unbekannter Privatdozent, angestellt als wissenschaftlicher Assistent mit überschaubaren Einkünften. Heidegger war damals knapp 33 Jahre alt, ein nicht mehr ganz junger Akademiker, der als Familienvater bereits den Druck der Verantwortung spürte und der als Philosoph durchaus unsicheren Zukunftsaussichten entgegensah. Zumal die allgemeinen wirtschaftlichen Bedingungen düster waren. Das Deutsche Reich hatte vier Jahre zuvor den Krieg verloren und war anschließend in sich zusammengefallen. Die neue Republik – von vielen ungeliebt, auch vom Ehepaar Heidegger – musste immense Reparationszahlungen schultern, politische Unruhen erschütterten das Land und die Inflation nahm bereits Fahrt auf. Im folgenden Jahr sollte sie die Sparvermögen von Millionen von Menschen vor aller Augen in Luft auflösen. Kein Zweifel, es herrschte Krisenstimmung als die Heideggers zum ersten Mal ihre neue Hütte betraten. Hier oben, mit diesem wunderbaren Blick über die Wiesen und Felder des Hochschwarzwalds, waren die Krisen und Turbulenzen zwar im übertragenen wie im tatsächlichen Sinne weit weg. Dennoch dürfte ein dunkler Schleier über dem glücklichen Moment der ersten Inaugenscheinnahme des neuen Feriendomizils gelegen haben. Wann würde Martin in der Lage sein, seiner Familie ein adäquates Einkommen zu sichern? Die Hoffnung auf eine Professur hatte sich erst zwei Jahre zuvor zerschlagen. Das war an der Universität Marburg gewesen. Dass dort sein Name erneut für eine Stelle ins Spiel gebracht wurde, sollte Heidegger erst einige Wochen nach dem Bezug der Hütte erfahren. Neun Jahre zuvor war er zum Doktor der Philosophie promoviert worden. Ein ehemaliger Jesuitenschüler aus einfachen Verhältnissen, der seinen Bildungsaufstieg zu nicht unwesentlichen

24

DIE HEIDEGGER-HÜTTE

Teilen den katholischen Strukturen seiner bäuerlichen Heimat zu verdanken hatte. Vom Katholizismus hatte er sich jedoch bald abgewendet und diese Kehre mit dem Wechsel des Studienfachs – von der Theologie zur Philosophie – auch äußerlich sichtbar gemacht. Drei Jahre vor dem Bezug der Hütte hatte er schließlich den Bruch konsequent vollzogen. Doch um welchen Preis? Darauf war damals noch keine Antwort möglich. Im Jahr 1915, gerade einmal zwei Jahre nach der Promotion, wurde Heidegger von der Philosophischen Fakultät der AlbertLudwigs-Universität Freiburg habilitiert. Er verfügte nun über die Venia Legendi, die Lehrbefugnis, doch der Krieg unterbrach viele akademische Tätigkeiten. Die Welt versank im „Großen Krieg“, wie der Erste Weltkrieg damals bezeichnet wurde. Und dem konnte sich auch Heidegger nicht gänzlich entziehen. Doch während andernorts die Materialschlachten des eingegrabenen Stellungskriegs sinnlos tobten, war der nur als eingeschränkt tauglich gemusterte Philosoph als Landsturmmann zunächst für die Postzensur in Freiburg zuständig und später als Wetterbeobachter an verschiedenen Standorten, unter anderem an der Westfront. Während der meisten dieser Tätigkeiten blieb ihm ausreichend Zeit für die Weiterführung seiner philosophischen Studien. Heidegger war nicht, wie sein späterer Freund Ernst Jünger, ein Frontkämpfer im eigentlichen Sinn des Wortes gewesen. Dennoch versetzte ihn das Soldatenleben in Euphorie. In Briefen schwärmte er beispielsweise: „die Fahrt an die Front war wundervoll“. Oder, das Erlebte philosophisch transzendierend: „Das neue Leben, das wir wollen oder das in uns will, hat darauf verzichtet, universal, d.h. unecht und flächig (ober-flächlich) zu sein – sein Besitztum ist Ursprünglichkeit – nicht das ErkünstelteKonstruktive, sondern das Evidente der totalen Intuition.“5 Auch für den Postzensor und Wetterbeobachter, so scheint es, war der Krieg ein inneres Erlebnis, um eine berühmte Wendung Ernst 5

Zitiert nach: Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 106.

2. DAS FUNDAMENT

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Jüngers zu bemühen. Gegen das Erkünstelte-Konstruktive wurden die Ursprünglichkeit und das Evidente der totalen Intuition in Stellung gebracht. Der Ton war gesetzt, der in den folgenden Jahren sein Philosophieren bestimmen sollte. Inspiriert vom Erleben der Front, auch wenn dies im Falle Heideggers eher ein imaginiertes Erleben war, zog er geistige Grenzlinien. Das Echte gegen das Gekünstelte, das Ursprüngliche gegen das Universalistische. Eine Grenzziehung getragen von einer Welle des Vitalismus: „Mir ist es in der Tat eine Lust zu leben – wenn auch manche äußere Entbehrung und mancher Verzicht kommen wird – nur innerlich arme Ästheten und Menschen, die bisher als ‚geistige‘ mit dem Geist nur gespielt haben, wie andere mit Geld und Vergnügen, werden jetzt zusammenbrechen und ratlos verzweifeln – von ihnen wird auch kaum Hilfe und wertvolle Direktiven zu erwarten sein.“6 Nein, auf die innerlich armen Ästheten, die mit dem Geist zu spielen wagten, setzte Heidegger schon damals nicht. Ihm ging es um den Ernstfall. In einem existentiellen Sinne. Da ist einem nicht zum Spielen zumute. Schwierige Nachbarschaft Vier Jahre vor dem Bezug der Hütte, im Jahr 1918, kehrte Heidegger in den Alltag universitären Lebens zurück. Offizielles Fundament seiner Tätigkeit war damals nach wie vor seine Habilitationsschrift Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus, die er noch vor seinem Kriegsdienst eingereicht hatte. Diese Arbeit, so muss man es wohl sagen, versprühte noch nicht jenen Esprit des späteren „Zauberers von Marburg“, der sich anschickte, das Denken neu zu erfinden. Walter Benjamin zumindest echauffierte sich in einem Brief über Heideggers Habilitationsschrift: „Es ist unglaublich, dass sich mit so einer Arbeit, zu deren Abfassung nichts als großer Fleiß und Beherrschung des

6

Zitiert nach: Ebd., S. 105f.

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DIE HEIDEGGER-HÜTTE

scholastischen Lateins erforderlich ist und die trotz aller philosophischer Aufmachung im Grunde nur ein Stück guter Übersetzerarbeit ist, jemand habilitieren kann. Die nichtswürdige Kriecherei des Autors vor Rickert und Husserl macht die Lektüre nicht angenehmer.“7 Hier scheint sich etwas Bahn zu brechen, was über die nüchterne Bewertung einer vielleicht wenig originellen akademischen Qualifikationsarbeit hinausweist. Anders ist die Schärfe kaum zu erklären, die Benjamins Ausführungen kennzeichneten. Doch was war es, was den Kritiker so reizte? Benjamin und Heidegger, das sind – trotz ihrer Vernetzungen in verschiedenen Intellektuellenkreisen – zwei Solitäre in der Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts. Auf den ersten Blick verbindet sie wenig. Auf den zweiten Blick sprechen manche dagegen fast von einer spezifischen Form geistiger Nachbarschaft. Zwei Meisterdenker, deren Wege sich in jungen Jahren auch ganz direkt kreuzten. Benjamin und Heidegger, zwei der größten Philosophen des letzten Jahrhunderts, waren eine kurze Zeit lang an der Freiburger Universität Kommilitonen gewesen. Obwohl sie nachweislich einige Vorlesungen über Epistemologie, Metaphysik und Logik gemeinsam gehört und wohl auch ein Seminar gemeinsam besucht haben, haben sie während ihrer Studienzeit kaum Notiz voneinander genommen. Zumindest gibt es keinerlei Belege, die eine andere Einschätzung rechtfertigen würden. Und dennoch: „Es ist verführerisch, sich vorzustellen, die beiden wären in dem Bergson-Seminar in irgendeiner Weise aufeinander aufmerksam geworden. Doch soweit bekannt, gab es keinerlei persönlichen Kontakt zwischen den zwei Männern, deren Schriften so viele gemeinsame Bezugspunkte aufweisen und deren Leben so unterschiedlich verlief“, erläutern die beiden Benjamin-Biografen Howard Eiland und Michael W. Jennings.8 Was wäre gewesen, wenn sie sich begegnet wären? Hätten sie sich verstanden? Wäre das Trennende stärker gewesen oder das Verbindende? 7

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Zitiert nach: Howard Eiland, Michael W. Jennings: Walter Benjamin. Eine Biographie, Berlin 2020, S. 162. Ebd., S. 53.

2. DAS FUNDAMENT

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Der deutsch-niederländische Philosoph Willem van Reijen hat vor mehr als zwei Jahrzehnten als einer der ersten auf die erstaunlichen Übereinstimmungen in zentralen Denkfiguren Benjamins und Heideggers hingewiesen, was damals durchaus für Kritik sorgte.9 Schließlich war der lebensweltliche und biografische Spannungsbogen, den van Reijen zu überbrücken versuchte, tatsächlich groß: Hier, der von den Nationalsozialisten ins Exil getriebene freischaffende Intellektuelle, der sich in prekären Verhältnissen in Paris durchschlagen musste und der sich schließlich auf der Flucht vor den Schergen des „Dritten Reichs“ das Leben nahm. Dort, der arrivierte Ordinarius, der sich schon vor der sogenannten „Machtergreifung“ für Adolf Hitler begeisterte und der sich danach den Nazis als „Führer-Rektor“ andiente und von einer philosophischen Durchdringung der nationalsozialistischen Umwälzungen träumte. Willem van Reijen kam Anfang der 1960er Jahren nach Freiburg, um dort sein Philosophiestudium fortzuführen, das er zunächst an der Universität Löwen in Belgien begonnen hatte. Sein Hauptantrieb war damals gewesen, noch beim alten Heidegger persönlich zu studieren. Und dies ist ihm zumindest teilweise auch tatsächlich gelungen, als er zum Heraklit-Seminar zugelassen wurde, das Heidegger gemeinsam mit Willem van Reijens späterem Doktorvater Eugen Fink im Wintersemester 1966/67 durchführte.10 Später, in seiner eigenen Arbeit, konzentrierte sich van Reijen zunächst vor allem auf die Auseinandersetzung mit der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, allen voran der legendären Gründergeneration um Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Anschließend setzte er sich jahrzehntelang vor allem mit Walter Benjamin auseinander, dem originellen Außenseiter, der organisatorisch nur lose als freier Mitarbeiter mit dem Institut für Sozialforschung verbunden war, der aber intellektuell

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Vgl. dazu: Willem van Reijen: Der Schwarzwald und Paris. Heidegger und Benjamin, München 1998. Diese Schilderung folgt van Reijens Darstellung in: ders.: Der Schwarzwald und Paris. Heidegger und Benjamin, München 1998, S. 7.

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als eine der Schlüsselfiguren der ersten Generation der sogenannten Frankfurter Schule betrachtet werden muss. Über Walter Benjamin fand Willem van Reijen schließlich zur Beschäftigung mit Martin Heidegger zurück. Und bei der zeitgleichen Auseinandersetzung mit den beiden Denkern entdeckte er erstaunliche Parallelen. „Mit Themen wie ‚Gelassenheit‘ und ‚Rettung‘ bei Heidegger korrespondieren ‚Warten‘ und ‚Erlösung‘ bei Benjamin. Überlegungen zum ‚letzten Gott‘ bei Heidegger zeigen Parallelen mit Benjamins Gedanken zum ‚Messias‘“, erläuterte van Reijen11 und machte deutlich, dass es ihm vor allem darauf ankomme, zu zeigen, dass „Heidegger und Benjamin von Anfang an mit ihrer Philosophie revolutionäre Absichten verknüpften“.12 Die Revolution, sie liegt dem metaphysisch inspirierten Marxisten Benjamin natürlich nicht fern. Aber auch Heidegger, so Willem van Reijens These, wollte die Revolution, zunächst in der Philosophie, später für eine gewisse Zeit auch ganz praktisch in der Politik und in der Sphäre des gesellschaftlichen Lebens. Revolution ist nicht gleich Revolution. Und trotz einiger Übereinstimmungen scheint die Unterströmung ihrer jeweiligen Denksysteme fundamental unterschiedlich zu sein. Benjamin scheint dies auch gespürt zu haben, was die oben zitierte harsche Ablehnung der Habilitationsschrift Heideggers nahelegt. Walter Benjamin hat Heidegger wahrgenommen, andersherum gibt es dafür keine Belege. Aber Benjamin hat Heidegger alles andere als geschätzt. Auch später nicht, nachdem Heidegger sein Magnum Opus Sein und Zeit vorgelegt hatte, für das er viel gerühmt wurde und große Aufmerksamkeit erfuhr. Die Ablehnung ging so weit, dass Walter Benjamin und Bertolt Brecht im Jahr 1930 sogar einen Lesekreis ins Leben rufen wollten, dessen Ziel unter anderem darin bestehen sollte, „den Heidegger zu zertrümmern“.13 Diese Zertrümmerungsidee haben Benjamin und Brecht 11 12 13

Ebd., S. 12. Ebd., S. 18. Zitiert nach: Howard Eiland, Michael W. Jennings: Walter Benjamin. Eine Biographie, Berlin 2020, S. 459.

2. DAS FUNDAMENT

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wohlgemerkt drei Jahre vor Heideggers öffentlichem Eintreten für den Nationalsozialismus formuliert. Es war offenkundig nicht der nationalsozialistische Mitläufer, der die beiden provozierte. Es war der Denker der Seinsphilosophie, der von den beiden als reaktionär empfunden wurde. Heideggers Engagement für das „Dritte Reich“ machte das Ganze für Benjamin selbstredend noch schlimmer. Seine Biografen Howard Eiland und Michael W. Jennings sprechen für die Zeit danach von einer offenen „Aversion gegenüber dem Freiburger Philosophen, dessen Weltruhm ihn [Benjamin] schwermütig stimmte und mit bösen Vorahnungen erfüllte“.14 Was hier nachträgliche Interpretation, was zeitbezogene Diagnose ist, sei an dieser Stelle dahingestellt. Fest steht: In seinem eigentlichen Werk bezog sich Benjamin praktisch nicht auf Heidegger. Die Ausnahmen stellen zwei kurze Abschnitte in seinem fragmentarisch gebliebenen und mehr als tausendseitigen Passagen-Werk dar, jener großen Schrift, an der Benjamin über die gesamten Jahre seines Exils hinweg gearbeitet hatte und die sein Magnum Opus hätte werden sollen – was sie posthum nach Benjamins Wiederentdeckung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch tatsächlich geworden ist, trotz ihres unfertigen Zustands. In diesen beiden Abschnitten konzipierte Benjamin Heidegger als Protagonisten eines phänomenologischen Denkens der Geschichtlichkeit, von dem er sich mit seinem eigenen metaphysisch unterfütterten historischen Materialismus scharf abzugrenzen suchte. „Was die Bilder von den ‚Wesenheiten‘ der Phänomenologie unterscheidet, das ist ihr historischer Index. (Heidegger sucht vergeblich die Geschichte für die Phänomenologie abstrakt, durch die ‚Geschichtlichkeit‘ zu retten.)“, so Benjamin,15 der hier seinem Antipoden lediglich Raum zwischen den Klammern zubilligte. Dieser Raum war das minimal Notwendige, um Heidegger die Vergeblichkeit seines Tuns zu attestieren.

14 15

Ebd., S. 673. Walter Benjamin: Das Passagen-Werk, Gesammelte Schriften, Bd. V.1, herausgegeben von Rolf Tiedemann, Frankfurt/M. 1991, S. 577.

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Das Bild ist für Benjamin ein zentraler Begriff seiner medientheoretisch unterfütterten Philosophie – und dieser Begriff sollte klar differenziert sein vom vermeintlich ähnlich klingenden phänomenologischen Terminus der Wesenheit. Denn Benjamin weiter: „Jede Gegenwart ist durch diejenigen Bilder bestimmt, die mit ihr synchronistisch sind: jedes Jetzt ist das Jetzt einer bestimmten Erkennbarkeit. In ihm ist die Wahrheit mit Zeit bis zum Zerspringen geladen.“16 Diese Synchronführung der jeweiligen Gegenwart mit ihren Bildern meint Benjamin, wenn er vom historischen Index des Bildes spricht, und zwar in einem das Geschichtliche dialektisch transzendierenden Sinn: „Nicht so ist es, daß das Vergangene sein Licht auf das Gegenwärtige oder das Gegenwärtige sein Licht auf das Vergangne wirft, sondern Bild ist dasjenige, worin das Gewesene mit dem Jetzt blitzhaft zu einer Konstellation zusammentritt. Mit andern Worten: Bild ist die Dialektik im Stillstand.“17 Etwa hundert Seiten später verweist Benjamin ein zweites Mal auf Heidegger, indem er in einer Notiz schreibt: „Lebenswichtiges Interesse, eine bestimmte Stelle der Entwicklung als Scheideweg zu erkennen. An einem solchen steht zur Zeit das neue geschichtliche Denken, das durch höhere Konkretheit, Rettung der Verfallszeiten, Revision der Periodisierung überhaupt und im Einzelnen charakterisiert ist und dessen Auswertung in reaktionärem oder revolutionäre(m) Sinne sich jetzt entscheidet. In diesem Sinne bekundet in den Schriften der Surrealisten und dem neuen Buche von Heidegger sich ein und dieselbe Krise in ihren beiden Lösungsmöglichkeiten.“18 Unnötig, zu erwähnen, welche Lösungsmöglichkeit Benjamin, der Freund des Surrealismus, für die zielführende hielt. Das Verhältnis zwischen Benjamin und Heidegger ist vielschichtig, es ist von Überlagerungen und Differenzen, von Übereinstimmungen und Grenzziehungen geprägt. Und von einer besonderen Form der tief verankerten Ablehnung, zumindest von 16 17 18

Ebd., S. 578. Ebd. Ebd., S. 676.

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Seiten Benjamins gegenüber Heideggers. Willem van Reijen hat zentrale Aspekte dieses besonderen Verhältnisses herausgearbeitet und dabei als einer der ersten vor allem auf die verbindenden Elemente fokussiert. Übrigens wanderte van Reijen in seinen späteren Jahren oft zu Heideggers Hütte, er liebte die Landschaft des Hochschwarzwalds und ließ sich von diesem aufgeladenen Ort inspirieren. Walter Benjamin dagegen war nie hier oben gewesen – und dennoch: Neben den offensichtlichen Nachbarschaften, allen voran in den 1920er Jahren zu Karl Jaspers und später zu einer nennenswerten Zahl ehemaliger Schüler, die eine besondere Nähe zu ihrem einstigen Lehrer pflegten, sollte die besondere und durchaus spannungsgeladene nachbarschaftliche Gemengelage nicht übersehen werden, die Heidegger und Benjamin verband. Nicht ohne Grund gab Willem van Reijen seiner Studie über die beiden Denker den Titel Der Schwarzwald und Paris und verwies damit bereits in der Überschrift auf die jeweilige Raumbezogenheit ihres Denkens. Wäre dieses jeweils auch andernorts möglich gewesen? Benjamin ohne die Pariser Passagen? Heidegger ohne seine Hütte im Schwarzwald? Man kann es sich kaum vorstellen. Die Hütte als Resonanzraum „Die Hütte sitzt einem Sockel auf, der aufgeschüttet wurde und sowohl in den Hang einschneidet als auch aus ihm heraus projiziert wurde“, erläutert Adam Sharr,19 der in seiner Doktorarbeit an einer englischen Architekturfakultät Heideggers Hütte aus der Perspektive des Architekturingenieurs analysierte. Akribisch baute Sharr die Hütte als Modell nach, vermaß die Grundfläche („6 x 7 Meter“20), betrachtete die Bauweise („Sie ist größtenteils aus Holz gebaut und holzgeschindelt.“21) und analysierte den 19 20 21

Adam Sharr: Heideggers Hütte, Berlin 2010, S. 36. Ebd. Ebd.

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Grundriss („Der Grundriss der Hütte ist in vier fast gleich große Teile aufgeteilt. Die zentrale Trennwand entspricht der Zentralachse, die von Norden nach Süden verläuft und an ihrem Ende auf die andere tragende Wand des Gebäudes trifft.“22) Sharrs Arbeit ist der vielleicht deutlichste Versuch, der eigentlich profanen Gestaltsprache der Hütte architekturtheoretischen oder zumindest architekturhistorischen Wert beizumessen. Wir erinnern uns: Keine Architektin und kein Architekt waren bei der Planung, dem Entwurf oder der baulichen Ausführung beteiligt gewesen. Es war die alltagspraktische Elfride Heidegger, die sich Gedanken zur Grundrissanordnung und zur äußeren Form der Hütte gemacht hatte – und sie anschließend von einem Schwarzwälder Tischler bauen ließ. Auch Martin Heidegger war wohl weder in den Entwurfsprozess noch in den Bauprozess nennenswert involviert gewesen. Insofern ist die Äußerung Adam Sharrs – „Heidegger wollte die Hütte klein und elementar. Sie entsprach seinem Bedürfnis nach Einfachheit, nach Resonanz“23 – eher als nachträgliche Interpretation zu bewerten. Und zwar als eine Form der Interpretation, die wie beiläufig Anschluss herstellt an einen Schlüsselbegriff aktueller gesellschaftstheoretischer Debatten, den der Soziologe Hartmut Rosa vor einigen Jahren in den Diskursraum einführte: den Terminus der Resonanz.24 Dieser Begriff und das ihm zugrundeliegende sozialtheoretische Konstrukt sind deutlich erkennbar phänomenologisch geprägt, wenn auch Rosa selbst sein Denken eher in die Tradition der Kritischen Theorie einfügt.25 Zudem verfügt das Konzept der Resonanz über eine starke räumliche bzw. raumbezogene Dimension: „Zwischen dem wahrgenommenen Außenraum und dem psychischen Innenraum 22 23 24

25

Ebd., S. 40. Ebd., S. 73. Vgl. dazu: Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin 2020. Vgl. dazu Hartmut Rosa: „Die angestrebte Soziologie der Weltbeziehung erscheint daher als eine Kritik der historisch realisierten Resonanzverhältnisse – und damit, so hoffe ich, als eine modifizierte und erneuerte Form der Kritischen Theorie.“ Ebd., S. 36.

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scheinen sich spiegelnde Beziehungen einzustellen“, erläutert Hartmut Rosa.26 Es ist ein Gedanke, den wir beim phänomenologisch geprägten Philosophen Otto Friedrich Bollnow bereits kennengelernt haben. Rosa selbst führt weiter aus: „Ebendeshalb scheint unsere leibliche und psychische Weltbeziehung auch von landschaftlichen und architektonischen Räumen – von Wüsten und Bergen, Meeren und Großstadtstraßen, Betonbauten und Holzhütten – beeinflusst zu werden, während diese umgekehrt auch als Spiegel und Projektionsfläche für unsere psychophysischen Verfassungen dienen.“27 Man ist fast geneigt, zu glauben, Rosa hätte konkret Heidegger und seine Hütte im Sinn gehabt, als er hier den Großstadtstraßen und Betonbauten die Holzhütten gegenüberstellte. Zumal der frühere Heideggerschüler Bollnow, den Rosa mehrfach zitiert, ähnliche Assoziationsbilder evoziert, wenn er die idealtypische Wohnung metaphorisch als „Höhle im Berg“ bezeichnet und sie bewusst den „künstlichen Zementgebirgen“ moderner Großstädte gegenüberstellt.28 Mensch und Raum, so hat Bollnow sein großes Werk überschrieben, in dem er der Räumlichkeit und der raumbildenden Wesenheit menschlichen „Da-Seins“ nachspürt. „Wenn man die Analogie auch nicht künstlich übersteigern soll, so kann man das Haus doch in einer gewissen Hinsicht als einen erweiterten Leib betrachten, mit dem sich der Mensch in einer ähnlichen Weise identifiziert und durch den er sich entsprechend in einem größeren Umraum einordnet“, so Bollnow.29 Auf Heidegger angewendet, bedeutet dies, nicht von einer Höhle im Berg, sondern von einer Hütte auf dem Berg zu sprechen, einem Rückzugsort, der seinen höhlenartigen Charakter verliert und der gerade dadurch Schutz bietet, dass er seinen Bewohner den Niederungen des Alltags sprichwörtlich und tatsächlich enthebt, ein Ort, der seinen Bewohner über die Dinge stellt

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Ebd., S. 263. Ebd., S. 263f. Otto Friedrich Bollnow: Mensch und Raum, Stuttgart 2004, S. 192f. Ebd., S. 292.

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und ihm dadurch einen Horizont eröffnet, der unten im hektischen Gewusel des Alltäglichen nicht sichtbar geworden wäre. Ein Resonanzraum, der in seiner kargen Einfachheit eine Haltung gegen die reizüberflutende Moderne mit all ihren Zumutungen geradezu provoziert. Und das in Form einer baulichen Leiberweiterung, die nicht auf dem Gipfel thront, sondern sich zwar weit oben, aber eben nicht ganz oben an den Hang schmiegt, um auf diese Weise den Wetterstürzen und starken Winden nicht zu sehr ausgeliefert zu sein. Eine Haltung, die sich auch bei Heidegger in den kommenden Jahren durchaus erkennen lassen sollte. Michel Foucault, der ebenfalls zu den prägnanten Denkerinnen und Denkern gehörte, die sich mit Raumfragen philosophisch auseinandersetzten, hat einmal geschrieben: „Der Raum unserer ersten Wahrnehmung, der Raum unserer Träume, der Raum unserer Leidenschaften – sie enthalten in sich gleichsam innere Qualitäten; es ist ein leichter, ätherischer, durchsichtiger Raum, oder es ist ein dunkler, steiniger, versperrter Raum; es ist ein Raum der Höhe, ein Raum der Gipfel, oder es ist im Gegenteil ein Raum der Niederung, ein Raum des Schlammes; es ist ein Raum, der fließt wie das Wasser; es ist ein Raum, der fest und gefroren ist wie der Stein oder der Kristall.“30 Die heute mythisch aufgeladene Hütte Heideggers, so werden wir sehen, ist in diesem Foucaultschen Sinne etwas Paradoxales, sie ist leicht und ätherisch und zugleich dunkel und steinig, sie ist ein Raum der Gipfel und zugleich ein Raum der Niederungen, ein Ort, in dem das Denken zunächst fließt wie das Wasser und in dem es später fest und gefroren ist wie der Stein. Nur in dieser paradoxalen Form, so die hier formulierte These, kann die Hütte als Fundament des Heideggerschen Denkens verstanden werden.

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Michel Foucault: „Andere Räume“, in: Karlheinz Barck u.a. (Hg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1992, S. 37f. (34 – 46).

3. Der Sturm

Jeder, der in den Bergen unterwegs ist, kennt die Gefahr plötzlich hereinbrechender Wetterstürze. Die Wucht, mit der hier oben aus gezähmten Winden wilde Stürme werden, überrascht all jene, die nur zu Besuch im Gebirge sind. Die Einheimischen wissen zumeist um diese elementare Kraft und richten sich in der Regel darauf ein. Dass sich die Heidegger-Hütte in geduckter Haltung an den Hang schmiegt, statt herrisch auf dem Gipfel zu thronen, hat in diesem alltagsweltlichen Wissen seine Begründung. Je weniger Widerstand dem Sturm geboten wird, desto weniger Schäden richtet das Unwetter an. Die Stürme hier oben, die realen und die imaginierten, spielen in Heideggers Denken eine zentrale Rolle. „Wenn in tiefer Winternacht ein wilder Schneesturm mit seinen Stössen um die Hütte rast und alles verhängt und verhüllt, dann ist die hohe Zeit der Philosophie“, dieser Satz gehört zu den vielleicht meistzitierten Textstellen Heideggers. Klar und einfach in der Sprache, mit romantischem Anklang und in atmosphärischer Dichte formuliert. Und in diesem Duktus führt Heidegger weiter aus: „Ihr Fragen muss dann einfach und wesentlich werden. Die Durcharbeitung jedes Gedankens kann nicht anders denn hart und scharf sein. Die Mühe der sprachlichen Prägung ist wie der Widerstand der ragenden Tannen gegen den Sturm.“1 Die Philosophie, so lernen wir, steht im Sturm, und mit ihr der selbsterklärte Erneuerer des abendländischen Denkens. Jeder Gedanke, jede sprachliche Wendung muss gleichsam den Naturgewalten abgetrotzt werden. 1

Martin Heidegger: „Schöpferische Landschaft: Warum bleiben wir in der Provinz?“, in: Guido Schneeberger (Hg.): Nachlese zu Heidegger. Dokumente zu seinem Leben und Denken, Bern 1962, S. 216.

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Erst unter diesen Bedingungen wird die geistige Arbeit, die Durcharbeitung jedes Gedankens, wie Heidegger schreibt, hart und scharf. Welch Pathos, welche Wucht! Schöpferische Landschaft Geschrieben hat Heidegger diese Sätze unter der fragenden Überschrift: „Schöpferische Landschaft: Warum bleiben wir in der Provinz?“ Anlass für diese Selbstreflexion war der ehrenvolle zweite Ruf auf eine Professur an der Universität Berlin, den Heidegger Anfang der 1930er Jahre erhielt. Lehren, denken und diskutieren im Zentrum des politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Lebens der damaligen Zeit. Sollte er dies eintauschen gegen seine Professur an der Universität Freiburg? Dieser Ruf, so viel ist klar, war nicht nur eine große Ehre, er war auch eine große Versuchung. Allerdings eine ambivalente. Was müsste er für den Wechsel in die Reichshauptstadt alles aufgeben? Ein Blick aus dem kleinen Fenster der Hütte genügte ihm offenbar, um dies zu erahnen: „Die Schwere der Berge und die Härte ihres Urgesteins, das bedächtige Wachsen der Tannen, die leuchtende, schlichte Pracht der blühenden Matten, das Rauschen des Bergbaches in der weiten Herbstnacht, die strenge Einfachheit der tiefverschneiten Flächen, all das schiebt sich und drängt sich und schwingt durch das tägliche Dasein dort oben.“2 Die alltagsweltliche Erfahrung der Berge schiebt sich ins Leben und in die Arbeit der Menschen hier oben – und damit auch ins Denken des Philosophen, so Heidegger. In diesem Sinne spricht er von einer schöpferischen Landschaft. Könnte er auch ohne diese Landschaft, die ihn in dieser besonderen Art und Weise fordert und auflädt, schöpferisch sein? Könnte er ohne seine Hütte Arbeiten und Denken? Der Verweis auf die Hütte ist an dieser Stelle nicht willkürlich. Heidegger selbst eröffnete diesen reflexiven Aufsatz, mit dem er 2

Ebd.

3. DER STURM

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seine Entscheidung in dieser schwierigen Frage gegenüber der Öffentlichkeit begründete, mit den Worten: „Am Steilhang eines weiten Hochtales des südlichen Schwarzwaldes steht in der Höhe von 1.150 Meter eine kleine Skihütte.“3 Anschließend beschreibt er diese Hütte kurz, erläutert nüchtern ihre schlichte Einfachheit, bestehend aus Wohnküche, Schlafraum und Studierzelle, und lässt die Leser schließlich teilhaben an der Fülle der Landschaft, in die seine Hütte gebettet ist, den Weidflächen, den dunklen Tannen und den klaren Sonnenhimmel, um schließlich abrupt die Leser vor den Kopf zu stoßen: „Das ist meine Arbeitswelt – gesehen mit den betrachtenden Augen des Gastes und des Sommerfrischlers.“4 Soll heißen, dieses Postkartenidyll, das Heidegger gerade vor unsere Augen gezaubert hat, ist das, was wir sehen, oder besser, zu sehen glauben, wenn er von seiner Hütte im Schwarzwald spricht. Es ist die Oberfläche, der die Substanz fehlt. Er selbst sieht das nicht, er selbst erlebt das, nein, noch genauer, er erarbeitet sich die Landschaft dort oben, denn: „Die Arbeit öffnet erst den Raum für diese Bergwirklichkeit.“5 Diese Erfahrung bleibt den städtischen Sommerfrischlern verborgen, die mit großen Augen an sonnigen Tagen die Berge bevölkern. Sie sehen das Postkartenidyll und erleben – nichts. Denn sie erarbeiten sich nichts. Zumindest nichts von echter Tiefe. Doch genau darum geht es Heidegger, um Tiefe und Authentizität, erreichbar nur durch Arbeit, durch alltägliche Arbeit. „Und die philosophische Arbeit verläuft nicht als abseitige Beschäftigung eines Sonderlings“, dies ist ihm wichtig, in aller Deutlichkeit klarzustellen. „Sie gehört mitten hinein in die Arbeit der Bauern.“ Philosophie ist nichts Abgehobenes, sondern etwas Elementares, so ursprünglich wie die Tätigkeiten der Bergbauern. „Wenn der Jungbauer den schweren Hörnerschlitten den Hang hinaufschleppt und ihn alsbald mit Buchenscheiten hoch beladen in gefährlicher Abfahrt seinem Hof zulenkt, wenn der

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Hirt langsam-versonnenen Schrittes sein Vieh den Hang hinauftreibt, wenn der Bauer in seiner Stube die unzähligen Schindeln für sein Dach werkgerecht herrichtet, dann ist meine Arbeit von derselben Art. Darin wurzelt die unmittelbare Zugehörigkeit zu den Bauern.“6 Der Philosoph als natürlicher Arbeiter im Gebirge, der sich einfügt in die entbehrungsreiche Welt der Bergbauern und Hirten hier oben, und der – das ist die entscheidende Differenz – sich grundlegend unterscheidet von den Touristen und Sommerfrischlern, die bei strahlendem Wetter zur Erholung die Wanderwege hier oben bevölkern. Bei diesen handelt sich lediglich um Schönwettergäste, wie Heidegger deutlich macht. Zieht der Sturm auf, kehren sie schleunigst in ihre behüteten städtischen Domizile zurück. Nicht so Heidegger. Zieht hier oben der Sturm auf, dann erst, so haben wir gelernt, ist die hohe Zeit der Philosophie. Dann erst beginnt die wirkliche geistige Arbeit, dann wird den Elementen Substanzielles abgetrotzt. Nach dieser ausführlichen argumentativen Eingliederung, oder besser Einfügung des geistigen Arbeiters in die harte Arbeitswelt der Bergbauern geriet die eigentliche Pointe dieses Aufsatzes fast zur Randnotiz. Im letzten Absatz schreibt Heidegger: „Neulich bekam ich den zweiten Ruf an die Universität Berlin. Bei einer solchen Gelegenheit ziehe ich mich aus der Stadt auf die Hütte zurück.“7 Denn darum geht es ihm. Er musste eine Entscheidung fällen, und mit diesem Aufsatz wollte er diese Entscheidung kundtun. Vor allem aber wollte er sie begründen. Deshalb führte er weiter aus: „Ich höre, was die Berge und die Wälder und die Bauernhöfe sagen. Ich komme dabei zu meinem alten Freund, einem 75jährigen Bauern. Er hat von dem Berliner Ruf in der Zeitung gelesen. Was wird er sagen?“8 Heidegger hebt mit dieser fiktiven oder realen Begegnung nicht nur den Spannungsbogen, vor allem delegiert er – zumindest fiktiv – die Entscheidung in dieser für ihn und seine akade-

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Ebd., S. 216f. Ebd., S. 218. Ebd.

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mische Karriere durchaus weitreichenden Frage an die die unverbildete Weisheit eines alten Bergbauern. Entsprechend deutlich fällt dessen Beschluss aus: „Er schiebt langsam den sicheren Blick seiner klaren Augen in den meinen, hält den Mund straff geschlossen, legt mir seine treu-bedächtige Hand auf die Schulter und – schüttelt kaum merklich den Kopf. Das will sagen: unerbittlich Nein!“9 Es braucht keine Worte. Hier oben versteht man sich auf eine ursprünglichere Weise. Dieser Aufsatz gehört zu den besonders häufig zitierten Texten Heideggers, wahrscheinlich nicht zuletzt aufgrund seiner einfachen Sprache und seinem vermeintlich volkstümlichen Bekenntnis zur heimatlichen Bergwelt und deren einfachen Bewohnerinnen und Bewohnern. Der Text war zunächst als Rundfunkbeitrag konzipiert worden und Ende 1933 in Berlin im Radio zu hören gewesen. Heidegger präsentierte sich hier als Philosoph des Ursprünglichen und des Authentischen, als Denker, der sich nicht davor scheute, sich ganz bewusst in der Provinz zu verorten. Schließlich stellte er im Titel des Aufsatzes die rhetorische Frage „Warum bleiben wir in der Provinz?“ Die ganze Szenerie atmet fast die Wohlfühlromantik eines deutschen Heimatfilms der 1950er Jahre, wenn da nicht die Zeitung irritieren würde, in der dieser Text zum ersten Mal in voller Länge von Heidegger veröffentlicht worden war: Der Alemanne. Kampfblatt der Nationalsozialisten Oberbadens. Platziert war Heideggers Aufsatz als Aufmacher auf Seite eins der Kulturbeilage des NS-Organs am 7. März 1934. Es handelt sich um eine hervorgehobene Positionierung, schließlich schrieb hier nicht nur ein gewöhnlicher Parteigenosse, sondern ein Parteimitglied, das zugleich „Rektor der Universität Freiburg i. Br.“ war, was als Zusatz zur Autorenangabe beigefügt wurde. Dass dieser Veröffentlichungsort in der Nachkriegszeit nicht in Vergessenheit geriet, ist vor allem dem Engagement des Schweizer Privatgelehrten Guido Schneeberger zu verdanken, der Anfang der 1960er Jahre auf eigene Kosten im Eigenverlag zwei Textsammlungen 9

Ebd.

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veröffentlichte, in denen er Texte von Heidegger beziehungsweise Texte mit Bezug zu Heidegger aus der NS-Zeit zusammentrug und veröffentlichte.10 Doch dazu später mehr. Ein Sturm, der durch das Denken zieht Kehren wir zunächst noch einmal einige Jahre zurück, in die euphorische Anfangszeit des Hüttenlebens im Schwarzwald. Zurück zum Sturm, den Heidegger nicht selten bemühte, um auf die Differenz zur eingehegten Lebensweise der Städter in den Metropolen anzuspielen. „Wenn ich oft gepackt bin, springe ich auf den nächsten Berg und lasse mir den Sturm um die Ohren pfeifen“, schrieb er beispielsweise am 14. September 1925 an Hannah Arendt.11 „Meine liebe Hannah! Hier oben ist schon der Herbst eingezogen mit kalten Nächten und wunderbar sonnigen Tagen. Ich habe mich mit viel Schwung in meine Arbeit gefunden und kann ungehemmt durch Beruf auf die Dinge los.“12 Da unten lauerte die Bürokratie, die ermüdende und teilweise stumpfsinnige Arbeit des verbeamteten Hochschullehrers. Hier oben lockte dagegen das stürmische Denken des freien Philosophen. Insofern verwundert es nicht, dass Heidegger seiner jungen Geliebten bekannte: „Diesmal graut mir vor dem Semester – nicht nur weil es mehr Kram bringen wird, sondern weil es mich aus der Produktion herausreißt.“13 Soll heißen, dass der Hochschulbetrieb ihn aus dem intensiven Schreibprozess zu reißen drohte, in dem er sich gerade befand. Heidegger schrieb wie im Rausch an seinem großen Werk, dem Buch, das ihn als echten Philosophen der Welt präsentieren sollte. Als unverfälschten 10

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Guido Schneeberger: Ergänzungen zu einer Heidegger-Biographie, Bern 1960 und ders.: Nachlese zu Heidegger. Dokumente zu seinem Leben und Denken, Bern 1962. Hannah Arendt, Martin Heidegger: Briefe 1925 bis 1975 und andere Zeugnisse, hrsg. von Ursula Ludz, Frankfurt/M. 1998, S. 47. Ebd. Ebd.

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Denker, der jenseits akademischer Sophismen zum Wesentlichen vorzudringen in der Lage war. Als Philosoph, dessen Denken einen Sturm entfachen sollte, in den ehrwürdigen Hallen der Universität – und nach Möglichkeit auch darüber hinaus. Hannah Arendt war nicht die Einzige, die er in dieser Zeit in euphorisch gestimmten Briefen mit seiner Sturmmetaphorik beglückte. „Es ist schon tiefe Nacht – der Sturm fegt über die Höhen, in der Hütte knarren die Balken, das Leben liegt rein, einfach und groß vor der Seele“, schrieb er beispielsweise am 24. April 1926 an seinen Heidelberger Kollegen und damaligen Denkgefährten Karl Jaspers. Und weiter: „Zuweilen begreife ich nicht mehr, dass man da unten so merkwürdige Rollen spielen kann.“14 Es ist das immer wieder leicht modifizierte Motiv, das Heidegger auch seinem Heidelberger Kollegen schickte: Da unten das verkünstelt-verkümmerte Leben bürgerlicher Existenzen, hier oben die Wildheit und Ursprünglichkeit echten Seins. Ein paar Jahre später sollte er diese Gedanken in seinem Aufsatz über die „Schöpferische Landschaft“ zu einer Argumentationskette fügen. Doch noch mussten kokettierende Andeutungen genügen: „Die Einsamkeit der Berge, der ruhige Lebensgang der Gebirgler, die elementare Nähe von Sonne, Sturm und Himmel, die Einfachheit einer verlorenen Spur an einem weiten, tiefverschneiten Hang – all das hält die Seele erst recht fern von allem zerhackten und zergrübelten Dasein“, schrieb er am 21. März 1925 an Hannah Arendt. „Des ‚Interessanten‘ wird man unbedürftig, und die Arbeit hat die Gleichmäßigkeit des fernen Schlages eines Holzfällers im Bergwald.“15 Auch hier tauchen sie also wieder auf, die Bilder und Motive, die Heidegger in dieser Zeit nicht müde wurde, zu wiederholen und zu modifizieren. Hatte er seine Position im Feld der akademischen Philosophie auch noch nicht gefunden, in seiner eigentlichen Seinsform war er bereits angekommen. Das wurde er nicht müde, zu betonen. 14

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Zitiert nach: Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 166. Hannah Arendt, Martin Heidegger: Briefe 1925 bis 1975 und andere Zeugnisse, hrsg. von Ursula Ludz, Frankfurt/M. 1998, S. 16.

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Die Hütte und die in ihr angelegte archaische Lebensweise, das war die Seinsform, die er leben wollte, diese und keine andere. Den meisten professoralen Kollegen gegenüber fühlte er sich fremd und er begann, seine kulturelle Andersartigkeit bewusst zu inszenieren. Der großbürgerlichen Attitüde vieler Kollegen setzte er den provozierenden Habitus des kleinbürgerlichen Bergbauern entgegen. „Ich habe schon verlernt, wie die ‚Welt‘ aussieht, und werde mir vorkommen wie ein Gebirgler, der zum ersten Mal in die Stadt hinabsteigt“, schrieb er nicht ohne Selbstironie in einem seiner Todtnauberger Briefe an Hannah Arendt.16 Überhaupt Hannah Arendt: „Oft wünsche ich, dass Du Dich so schön erholst wie ich hier oben“, schrieb er 1925 an seine gerade einmal 19-jährige Geliebte.17 Doch auf der Hütte besucht, hat sie ihn nie. Den mythischen Ort kannte sie nur aus Heideggers Erzählungen, aus seinen Briefen und Schwärmereien. In Freiburg, im Stadthaus der Heideggers, war sie in späteren Jahren gewesen, das schon. In Todtnauberg nie. Vielleicht liegt darin ein Grund dafür, dass sie die Überhöhungen, die Heidegger ihr von der Hütte gespiegelt hatte, in späteren Jahren weitertrug, insbesondere die Sturmmetaphorik, die für Heidegger in den 1920er Jahren so bedeutsam war. In der bereits erwähnten vielzitierten Laudatio zu Heideggers 80. Geburtstag sagte sie im Jahr 1969: „Denn der Sturm, der durch das Denken Heideggers zieht – wie der, welcher uns nach Jahrtausenden noch aus dem Werk Platos entgehenweht – stammt nicht aus dem Jahrhundert. Er kommt aus dem Uralten, und was er hinterlässt, ist ein Vollendetes, das wie alles Vollendete heimfällt zum Uralten.“18 Mehr Liebesbeweis geht kaum. Es ist gleichsam die ultimative Ehrung, die Arendt hier öffentlich ausspricht. Das Herausheben aus diesem von Irrungen und Wirrungen durchzogenen Jahrhundert, die Gleichsetzung mit Platon – und das Ganze in einer Sprache, die sich der Sturmmetapher bedient, die für Heidegger so bedeutsam war. All das – 16 17 18

Ebd., S. 47. Ebd., S. 16. Ebd., S. 192.

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und das ist das Bemerkenswerte – kein Vierteljahrhundert nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reichs“, dem Heidegger sich angedient und das Arendt verfolgt und ins Exil getrieben hatte. Die Auseinandersetzung mit Heidegger wird hier von niemand geringerem als der vielleicht berühmtesten jüdischen Denkerin dieser Zeit auf eine andere Ebene der reflexiven Betrachtung gehoben, der Sturm, der durch sein Denken ziehe, so lernten wir, komme aus dem Uralten, sprich aus dem Überzeitlichen, was er hinterlasse, so Hannah Arendt, sei ein Vollendetes. Wie anders sollte man diese Worte verstehen, wenn nicht als Freistellung von aller kleinlicher Kritik? Wer könnte schon etwas Vollendetes kritisieren wollen? Und vor allem, wie sollte man dies bewerkstelligen? Wohnsitz des Denkens An einer anderen Stelle dieser Laudatio schlägt Hannah Arendt selbst den Bogen zwischen diesem metaphorischen Sturm, der Heideggers Denken durchziehe, und seiner Berghütte, in der er sich diesen Stürmen aussetzte und die ihm und seinem Denken zugleich Schutz bot. „Der Wohnsitz, von dem Heidegger spricht, liegt metaphorisch gesprochen abseits von den Behausungen der Menschen“, führt Arendt aus, „und wiewohl es auch an diesem Orte sehr stürmisch zugehen kann, so sind doch diese Stürme noch um einen Grad metaphorischer, als wenn wir von den Stürmen der Zeit sprechen; gemessen an anderen Orten der Welt, den Orten der menschlichen Angelegenheiten, ist der Wohnsitz des Denkens ein ‚Ort der Stille‘.“19 Der Meisterdenker als Eremit, der Starphilosoph als Einsamer vom Berg und seine Hütte in Todtnauberg als Wohnsitz des Denkens, Heidegger dürfte bei diesen Worten dahingeschmolzen sein. Das war seine Hannah, hier war endlich eine Person, die ihn wirklich verstand.

19

Ebd., S. 187.

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Die Berghütte als Ort der Stille im Sturm des Denkens. Nicht alle folgen jedoch dieser von Heidegger so intensiv herbeigeschriebenen Metapher, die Arendt in ihrer Laudatio mit zusätzlicher Legitimität und Wirkmacht ausstattete. Der Schweizer Kulturjournalist Hans-Peter Kunisch beispielsweise führt mit leisem Spott aus: „Heidegger hat mit Todtnauberg einen Ort gefunden, an dem er auf mittlerer Höhe ein Gefühl von Gipfel und Ausgesetztsein simulieren kann.“20 Für den Schweizer Autor handelt es sich bei Heideggers Hütte also lediglich um eine Form des als ob, bei der Heidegger so tun könne, als ob das Leben hier oben ausgesetzt sei. Die Simulation, so kann man diesen Satz interpretieren, ersetze die existenzielle Dramatik, die Heidegger hier oben nicht selten heraufbeschwor. Aber was heißt schon ‚hier oben‘? Bei der Todtnauberger Hütte handelt es sich für Kunisch nicht um eine Behausung ‚da oben‘, sondern um eine Hütte „auf mittlerer Höhe“, also gleichsam um einen Ort, der ohne echte Anstrengung erreicht werden könne. Wirklich „oben“ sieht für Kunisch anders aus. Aus Perspektive eines Schweizers, der ganz andere Alpenriesen in wesentlich dramatischeren Bergpanoramen gewohnt sein dürfte, mag diese Einschätzung naheliegend sein. Schließlich befinden sich in seiner Heimat die meisten Viertausender der gesamten Alpen. Darunter aus Stein und Eis geformte Dramen wie das Matterhorn, die Eiger Nordwand oder der Monte Rosa, letzterer zugegebenermaßen als Grenzgebirge nur zu einem Teil. Im Vergleich zu diesen Riesen entlocken die sanften Bergzüge des Schwarzwalds einem Schweizer Betrachter nur ein leises Lächeln. Und dennoch tut man Heidegger wahrscheinlich Unrecht, wenn man sein Hüttenleben lediglich als Simulation, als Inszenierung verstünde. Im historisch-biographischen Kontext betrachtet, war die Hütte mit ihrer Lage im Südschwarzwald ein Refugium, das sich das junge Ehepaar Heidegger 1922 gerade eben so leisten konnte. Wie wir gesehen haben, musste Elfride 20

Hans-Peter Kunisch: Todtnauberg. Die Geschichte von Paul Celan, Martin Heidegger und ihrer unmöglichen Begegnung, München 2020, S. 149.

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sogar einen vorgezogenen Teil ihres Erbes einbringen, um die Hütte finanzieren zu können. Ein Chalet in den Schweizer Alpen wäre mit diesen Mitteln schlicht nicht realisierbar gewesen. Hinzu kommt der pragmatische Aspekt der Erreichbarkeit. Vor hundert Jahren, als der automobile Verkehr noch in den Kinderschuhen steckte, war selbst die Reise von Freiburg nach Todtnauberg durchaus mit Mühen verbunden. Und weder Martin noch Elfride Heidegger besaßen damals einen Führerschein. Erst etwas mehr als ein Jahrzehnt später sollte Elfride dies nachholen. Die Erreichbarkeit spielte eine zentrale Rolle. Nur aufgrund dieser trotz aller Mühsal einigermaßen guten Erreichbarkeit konnte sich die Hütte zum eigentlichen Arbeitsort für Heidegger entfalten. Nur deshalb konnte sie zum regelmäßig aufgesuchten Fluchtort werden, einem Fluchtort, der allerdings nahe genug an seiner Universität blieb, um den notwendigen professoralen Verpflichtungen nachzukommen. Heidegger war ein Eremit, allerdings einer, der auf seine verbeamtete Stelle nicht verzichten wollte und konnte. Zwar finden sich einige Äußerungen, wie diese in einem Brief an Jaspers vom 23. September 1925: „Hier oben ist es herrlich – am liebsten bliebe ich gleich bis zum Frühjahr hier oben bei der Arbeit. Nach der Gesellschaft der Professoren habe ich kein Verlangen. Die Bauern sind viel angenehmer und sogar interessanter.“21 Dennoch kam Heidegger all seinen universitären Verpflichtungen nach. Vielleicht kann man es auf die einprägsame Formel bringen: Er war damals so oft wie nötig in der Universität, und so oft wie möglich in seiner Hütte im Schwarzwald. Insofern trifft das Wort vom „Wohnsitz des Denkens“ durchaus zu. Heidegger kam nach Todtnauberg zum Denken, zum Arbeiten und zum Schreiben. Und, was noch wichtiger war, er dachte hier oben anders, als es ihm unten in der Stadt vermocht war. „Was ich in der Einsamkeit der Berge gearbeitet, liegt wie etwas Fremdes vor mir“, gestand

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Heidegger zitiert nach: Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 166.

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er im Jahr 1925 in einem Brief an Hannah Arendt.22 Das oben Erarbeitete fügte sich nicht so einfach in die Welt da unten. Es war, so schien es, von diesem spezifischen „Wohnsitz des Denkens“ initiiert und zugleich von ihm aufgeladen. Der Ort war präsent in diesem Denken. Zahlreiche Heidegger-Interpreten folgten und folgen dieser Darstellung, und sie tun dies mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Recht. Und dennoch ist diese Darstellung mit einer Unschärfe behaftet, die in manch einer Legendenbildung unterschlagen wird. Denn Heidegger hat zwar wesentliche Teile seines Werks in Todtnauberg erarbeitet, jedoch nicht zwingend in seiner spartanischen Berghütte. Der Grund dafür ist einfach. Für eine Familie mit zwei kleinen Kindern war die Hütte schlicht zu klein. Heidegger fühlte sich durch den Lärm der Kinder gestört, obwohl sie häufig mit strenger Hand zur Ruhe angehalten wurden. Um in Ruhe arbeiten zu können, mietete Heidegger sich deshalb in einem nahegelegenen Bauernhof ein separates Zimmer. Hier – in diesem angemieteten Zimmer und nicht in der legendären Hütte – schrieb er viele der eigentlich der Hütte zugeschriebenen Texte. Auch die wesentlichen Teile von Sein und Zeit. Die Hütte, Ort mythischer Zuschreibungen, war in der profanen Realität also häufig nicht der Ort der tatsächlichen Denkarbeit. Natürlich ist die Symbolik der kargen Hütte, die einigermaßen einsam sich an den Hang schmiegt, ein wesentlich wirkmächtigeres Bild als ein angemietetes Zimmer in einem bewirtschafteten Bauernhof. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass das Bild der sturmerprobten Hütte die Wirklichkeit des Mietszimmers überlagert. „Symbolische Welten haben die Eigentümlichkeit, dass sie für die Menschen, die sie als Erbe übernommen haben, eher ein Mittel des Wiedererkennens sind als ein Mittel der Erkenntnis: ein geschlossenes System, in dem alles Zeichen ist, ein Ensemble aus Codes, für das manche den Schlüssel besitzen und

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Zitiert nach: Hannah Arendt, Martin Heidegger: Briefe 1925 bis 1975 und andere Zeugnisse, hrsg. von Ursula Ludz, Frankfurt/M. 1998, S. 50.

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von denen sie die Gebrauchsweise kennen, dessen Existenz jedoch von allen anerkannt wird, partiell fiktive, aber effektive Totalitäten, Kosmologien, von denen man meinen möchte, sie seien erdacht worden, um den Ethnologen Freude zu bereiten“, schreibt der französische Kulturwissenschaftler Marc Augé. Und weiter: „Denn die Phantasien der Ethnologen treffen in diesem Punkt die Phantasien der von ihnen erforschten Eingeborenen.“23 Man könnte fast meinen, Augé hätte beim Verfassen dieser Zeilen Heidegger und seine Hütte im Sinn gehabt, und die Rezeption, die diese besondere denkräumliche Verbindung im Verlauf des letzten Jahrhunderts erlebt hat. Wir können aber davon ausgehen, dass dem nicht so war. Die Hütte war für Heidegger ein Ort des Rückzugs, ein Ort, der ein Denken in ihm freisetzte, das er andernorts vielleicht nicht für sich erschlossen hätte. Sie war ein Ort der authentischen Verwurzelung im einfachen Leben der Bergbauern. Sie war zugleich ein Ort der Inszenierung, nicht im Sinne einer Simulation, wie oben ausgeführt, aber doch in Form einer bewusst herbeigeführten Repräsentation, mit dem klaren Ziel eines Distinktionsgewinns gegenüber seinen als bürgerlich angepasst empfundenen Kolleginnen und Kollegen. Und last not least war sie ein Ort der Imagination, der Überhöhung und der Phantasie. Und zwar gleichermaßen für Heidegger wie für seine Schülerinnen und Schüler, für seine Anhängerinnen und Anhänger und auch für seine Kritikerinnen und Kritiker. Und erst in dieser heterogenen Vielgestaltigkeit lässt sich die spezifische Raumqualität erahnen, die diese Berghütte für Heidegger ausmachte – und die sie bis heute ausmacht für die breite Schar der Heidegger-Exegetinnen und -Exegeten. Um mit den Worten Michel Foucaults zu sprechen: „Der Raum, in dem wir leben, durch den wir aus uns herausgezogen werden, in dem sich die Erosion unseres Lebens, unserer Zeit und unserer Geschichte abspielt, dieser Raum, der uns zernagt und auswäscht, ist selber auch ein heterogener Raum. Anders gesagt: wir leben nicht in 23

Marc Augé: Nicht-Orte, München 2010, S. 41.

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einer Leere, innerhalb derer man Individuen und Dinge einfach situieren kann. Wir leben nicht innerhalb einer Leere, die nachträglich mit bunten Farben eingefärbt wird. Wir leben innerhalb einer Gemengelage von Beziehungen, die Platzierungen definieren, die nicht aufeinander zurück zu führen und nicht miteinander zu vereinen sind.“24 In diesem Verständnis, so könnte man im Fall der HeideggerHütte ergänzen, bietet die Hütte einen phänomenologischen Raum, an dessen Schindeln der Wind zerrt und an dessen Scheiben die Regentropfen peitschen. Ein Raum, der umtost wird von Stürmen, realen und fiktiven, die alles in Frage stellen, was bisher gedacht wurde.

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Michel Foucault: „Andere Räume“, in: Karlheinz Barck u.a. (Hg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1992, S. 38.

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Todtnauberg ist nicht Davos. Hier, im südlichen Schwarzwald, gibt es keinen Jetset, kein Gletscherpanorama und kein Weltwirtschaftsforum. Man trifft hier auch keine russischen Oligarchen und keine amerikanischen Milliardäre. Und doch kann man Todtnauberg – zumindest für Heidegger – als Zauberberg begreifen, um jene Wendung zu entlehnen, mit der Thomas Mann dem Schweizer Kurort Davos ein unsterbliches literarisches Denkmal geschaffen hat. Denn Todtnauberg ist der Ort, an dem der sogenannte „Zauberer von Marburg“, wie Heidegger als jungberufener Philosophieprofessor in den 1920er Jahren von einigen seine Studentinnen und Studenten bezeichnet wurde, tatsächlich zu zaubern begann. Hier schrieb er jenes Werk, das seinen philosophischen Ruhm begründete und trotz aller späteren Irrungen bis heute aufrecht hält – hier schrieb Heidegger Sein und Zeit. Keine kleinliche akademische Abhandlung, deren Zweck darin bestanden hätte, seine professorale Position beruflich zu stabilisieren. Nein, in diesem Werk ging es darum, die vielleicht grundlegendste Frage unserer menschlichen Existenz zu verhandeln: „Die Frage nach dem Sinn von Sein soll gestellt werden“, so Heidegger.1 Es ist die ganz große Frage, der Heidegger nachgehen wollte, allerdings im ganz Kleinen des alltäglichen Lebens, das von der akademischen Philosophie damals kaum Beachtung erfuhr. Geschrieben ist das Werk im typischen Heidegger-Sound, was sicherlich einen guten Teil seines Zaubers ausmacht: „Die Seinsfrage zielt daher auf eine apriorische Bedingung der Möglichkeit 1

Martin Heidegger: Sein und Zeit, Gesamtausgabe, I. Abteilung, Band 2, hrsg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Frankfurt/M. 1977, S. 6.

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nicht nur der Wissenschaften, die Seiendes als so und so Seiendes durchforschen und sich dabei je schon in einem Seinsverständnis bewegen, sondern auf die Bedingung der Möglichkeit der vor den ontischen Wissenschaften liegenden und sie fundierenden Ontologien selbst“, führt Heidegger aus.2 Einfacher gesprochen: Die Frage nach dem Sinn von Sein ist allen anderen wissenschaftlichen und philosophischen Fragen vorgelagert. Sie ist selbst der Ontologie, der philosophischen Lehre vom Seienden, vorgelagert. Sie müsse, so Heidegger, als das unausgesprochene Fundament aller Ontologie und damit allen Denkens und aller Wissenschaft verstanden werden. Der ontische Vorrang der Seinsfrage Diese Fundamentalstellung bezeichnet Heidegger als „ontischen Vorrang der Seinsfrage“. Die entsprechende Erläuterung setzt er bewusst kursiv, um ihre Bedeutung selbst der flüchtigen Leserin und dem flüchtigen Leser, so es diese bei der Lektüre von Sein und Zeit überhaupt gibt, noch einmal zusätzlich zu verdeutlichen: „Alle Ontologie, mag sie über ein noch so reiches und festverklammertes Kategoriensystem verfügen, bleibt im Grunde blind und eine Verkehrung ihrer eigensten Absicht, wenn sie nicht zuvor den Sinn von Sein zureichend geklärt und diese Klärung als ihre Fundamentalaufgabe begriffen hat.“3 Deutlicher kann kaum formuliert werden, warum Sein und Zeit für Heidegger und für viele seiner Anhängerinnen und Anhänger als Grundstein einer Erneuerung der gesamten abendländischen Philosophie verstanden wird. Alles bisherige Denken über das Sein und das Seiende sei blind gewesen, so Heidegger, weil es die Frage nach dem Sinn von Sein bislang nicht gestellt habe. Erst er selbst, so Heidegger, mache sich nun auf, diese bislang verschlossene Tür zu öffnen,

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Ebd., S. 15. Ebd.

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die den Weg zum Fundament unserer Existenz und unseres Denkens erschließen wird. Den Zugang zu dieser Tür, so Heidegger, finden wir nicht in den ausdifferenzierten Sphären moderner Wissenschaften oder in den geistigen Höhen philosophischen Denkens, den Zugang finden wir im alltäglichen Leben der Menschen – und gerade diese Wendung macht sicherlich eine weitere revolutionäre Qualität seines Denkens aus. Heidegger unternimmt große philosophische Anstrengungen, um so etwas Geringgeschätztes wie den Alltag zu ergründen. Heidegger selbst spricht vom Dasein und er erläutert: „Das Dasein ist ein Seiendes, das nicht nur unter anderem Seienden vorkommt. Es ist vielmehr dadurch ontisch ausgezeichnet, dass es diesem Seienden in seinem Sein um dieses Sein selbst geht.“4 Es ist wie immer bei Heidegger, man muss seine Sätze in der Regel mindestens zwei- oder dreimal lesen, um ihren Sinngehalt zu entschlüsseln. In diesem Sinne, versuchen wir es: Das Dasein, so Heidegger, sei ontisch ausgezeichnet, nehme also eine seinsmäßig herausgehobene Rolle ein, da es nicht einfach ein Seiendes unter anderen Formen des Seienden sei, sondern im Dasein gehe es um das Sein – und zwar ganz selbstverständlich und unverstellt um das eigene authentische Sein. Zur Verdeutlichung kontrastiert Heidegger dies mit den Wissenschaften. Er schreibt: „Wissenschaften sind Seinsweisen des Daseins, in denen es sich auch zu Seiendem verhält, das es nicht selbst zu sein braucht.“5 Wissenschaften nehmen also eine reflexive Stellung ein, sie eröffnen Möglichkeitsräume jenseits des eigenen Seienden. Das eigene Dasein dagegen, die eigene nackte Existenz, ist mir gegeben. Es ist mein Sein, dem ich mich stellen muss, und dies geschehe vornehmlich unbewusst in den scheinbar profanen Widrigkeiten unseres alltäglichen Lebens. Deshalb nimmt das Dasein in seiner alltäglichen Form diese herausgehobene Rolle in Heideggers seinsphilosophischer Analyse ein.

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Ebd., S. 16. Ebd., S. 17.

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In der Folge weitet Heidegger den eingangs formulierten Vorrang der Seinsfrage auf das Dasein aus, und das gleich in dreifacher Weise: Erstens als ontischen Vorrang, so wie er es uns bereits in den betrachteten Textpassagen erläutert hat, zweitens als ontologischen Vorrang und schließlich drittens als ontisch-ontologischen Vorrang. Auch wenn es ungewöhnlich sein mag, spreche ich Sie als Leserin oder Leser hier direkt an: Bitte legen Sie das Buch jetzt nicht zur Seite, auch wenn Heidegger Ihnen an dieser Stelle einiges abverlangt. Ontisch, ontologisch, ontischontologisch? Wer soll das auseinanderhalten? Vielleicht hilft eine eingängige definitorische Unterscheidung, die Heideggers Biograph Rüdiger Safranski in sehr einfachen Worten formuliert hat: „Der Ausdruck ontisch bezeichnet alles, was es gibt. Der Ausdruck ontologisch bezeichnet das neugierige, staunende, erschreckte Denken darüber, dass es mich gibt und dass es überhaupt etwas gibt.“6 Mit dieser Differenzierung im Hinterkopf wenden wir uns wieder Heidegger zu: „Das Dasein hat sonach einen mehrfachen Vorrang vor allem anderen Seienden. Der erste Vorrang ist ein ontischer: dieses Seiende ist in seinem Sein durch Existenz bestimmt.“ Damit spricht Heidegger den ontischen Vorrang an, den wir oben bereits kennengelernt haben. „Der zweite Vorrang ist ein ontologischer: Dasein ist auf dem Grunde seiner Existenzbestimmtheit an ihm selbst ‚ontologisch‘.“ Hier kommt jenes staunende und erschreckte Denken zum Tragen, das Safranski in seiner oben zitierten Differenzierung formuliert hat. „Dem Dasein gehört nun aber gleichursprünglich – als Konstituens des Existenzverständnisses – zu: ein Verstehen des Seins alles nicht daseinsmäßigen Seienden. Das Dasein hat daher den dritten Vorrang als ontisch-ontologische Bedingung der Möglichkeit aller Ontologien.“7 Das bedeutet, dass alles Seiende immer auf der Grundlage und mit dem Horizont des Daseins verstanden wird. Deshalb, so Heidegger, habe sich das Dasein „als das vor allem 6

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Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 174. Martin Heidegger: Sein und Zeit, Frankfurt/M. 1977, S. 18.

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anderen Seienden ontologisch primär zu Befragende erwiesen.“8 Aus diesem dreifachen Grund also ist das Dasein in seiner alltäglichen Form die erste und wichtigste Seinsform, die es zu untersuchen gilt, wenn man die Frage nach dem Sinn des Seins ernsthaft zu stellen versucht. Die Angst und das Nichts Über mehr als 500 Seiten hinweg seziert Heidegger in seinem Hauptwerk das Dasein, er diskutiert Möglichkeiten und Grenzen, wie diese zentrale Seinsform analytisch gefasst werden könne. Er führt den Begriff des In-der-Welt-seins als „Grundverfassung des Daseins“ ein,9 einer auf Alltäglichkeit ausgerichteten Verfassung des Seins. In für seine Verhältnisse recht klaren Worten macht er deutlich: „Das In-der-Welt-sein und sonach auch die Welt sollen im Horizont der durchschnittlichen Alltäglichkeit als der nächsten Seinsart des Daseins zum Thema der Analytik werden. Dem alltäglichen In-der-Welt-sein ist nachzugehen, und im phänomenalen Anhalt an dieses muss so etwas wie Welt in den Blick kommen.“10 Dieser Maxime folgend analysiert er die alltagsprägende Dingwelt des Zeugs, die erst in ihrer Struktur als Zuhandenes seinsmäßig erfassbar werde. Er setzt sich mit der Räumlichkeit des Daseins auseinander, dem Raum-geben und dem Umhaften der Umwelt. Und er führt den Begriff des Man ein, als Umschreibung für jene moderne Seinsform, die von „den Anderen“ in besonderem Maße geprägt ist, und nicht zuletzt deshalb zur Durchschnittlichkeit verdammt zu sein scheint. „Wir genießen und vergnügen uns, wie man genießt; wir lesen, sehen und urteilen über Literatur und Kunst, wie man sieht und urteilt“, schreibt Heidegger nicht ohne Spott.11 Und 8 9

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Ebd. Das zweite Kapitel von Sein und Zeit trägt beispielsweise den Titel „Das Inder-Welt-sein überhaupt als Grundverfassung des Daseins“, vgl. dazu: ebd., S. 71-84. Ebd., S. 89. Ebd., S. 169.

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noch deutlicher: „Das Man ist überall dabei, doch so, dass es sich auch schon immer davongeschlichen hat, wo das Dasein auf Entscheidung drängt.“12 Das Man sei zwar ein Existenzial, so lernen wir bei Heidegger, aber es lasse die existentielle Tiefe vermissen, die das Dasein ausmache. Wo das Sein als Dasein auf Entscheidung drängt, löst sich das Man auf. Oder, wie Heidegger, bildmächtig schreibt: Es schleicht sich davon. Heidegger setzt sich mit dem Gerede auseinander und der Geworfenheit unseres Daseins, vor allem aber mit der „Grundbefindlichkeit der Angst“.13 Die Angst nimmt im seinsphilosophischen Kategoriensystem Heideggers eine herausgehobene Stellung ein und sie ist für ihn etwas völlig anderes als die Furcht. Letzteres empfinden wir vor etwas Konkretem, wir fürchten uns vor Spinnen, vor Blitzeinschlägen oder vor finanziellem Ruin. Angst dagegen ist unbestimmt und geht viel tiefer. In den Worten Heideggers klingt das folgendermaßen: „Wie unterscheidet sich phänomenal das, wovor die Angst sich ängstet, von dem, wovor die Furcht sich fürchtet? Das Wovor der Angst ist kein innerweltliches Seiendes.“14 Angst hat keinen konkreten Bezugspunkt, sie geht wesentlich tiefer als die Furcht. Die Angst zersetzt unsere Welt, sie stellt sprichwörtlich alles in Frage und sie macht auch vor der Grundfrage nach dem Sinn des Seins nicht halt. Die Angst löst unsere Welt auf und führt uns ins Nichts. Oder ist das Nichts die Welt? Ist Nichts das Fundament der Welt? „Wir haben keine Angst, sondern sind Angst“, schreibt Willem van Reijen in einer Reflexion über Heideggers Sein und Zeit und ergänzt: „Das eigentliche Dasein ist die Entschlossenheit, das Nichts auf sich zu nehmen.“15 Doch wie macht man das? Das Nichts auf sich nehmen? Um hier den Versuch einer Antwort unternehmen zu können, muss zwischen die Angst und das Nichts ein dritter zentraler Begriff Heideggers geschoben werden: das

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Ebd., S. 170. Ebd., S. 244. Ebd., S. 247. Willem van Reijen: Martin Heidegger, Paderborn 2009, S. 22.

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Sein zum Tode – und damit der Aspekt der Zeitlichkeit. Wir wissen um unsere Endlichkeit, wir wissen, dass unser Sein dem Tode entgegengeht. Und dieses Wissen kann uns erdrücken, uns die Kraft zum Leben rauben. Wie eng das Sein zum Tode mit der Angst verbunden ist, macht Heidegger selbst an anderer Stelle deutlich, wenn er schreibt: „Das Sein zum Tode ist wesenhaft Angst.“16 Auf der anderen Seite kann das Sein zum Tode uns aber auch neue Freiräume eröffnen, Möglichkeiten, die wir uns allerdings jeweils einzeln und jeweils eigenständig erarbeiten müssen. „Im Sein zum Tode verhält sich das Dasein zu ihm selbst als einem ausgezeichneten Seinkönnen“, so Heidegger.17 Das Wissen um die Endlichkeit kann befreiend wirken, mehr noch: Es kann existenzielle Freiheit schaffen. Genau das meint Willem van Reijen, wenn er davon spricht, dass es darum gehe, die Entschlossenheit aufzubringen, das Nichts auf sich zu nehmen. Damit umschreibt er einen Schlüsselgedanken Heideggers: „Das Dasein ist eigentlich selbst in der ursprünglichen Vereinzelung der verschwiegenen, sich Angst zumutenden Entschlossenheit.“18 Auch diesen Satz muss man wahrscheinlich zweimal lesen, um ihn richtig zu verstehen: Erst die Entschlossenheit, also eine Lebenshaltung, die sich nicht vor der Angst in Zerstreuungen flüchtet, eine Lebenshaltung, die den Tod und seine Zumutungen nicht ausblendet, sondern die sich im Gegenteil dieser zutiefst existenziellen Angst stellt, und zwar still und individuell, ist für Heidegger Dasein im eigentlichen Sinn des Begriffs. Wer Heidegger so liest, bekommt eine Ahnung davon, warum die französischen Existenzialisten den deutschen Seinsphilosophen begeistert rezipierten und weshalb Jean-Paul Sartre im Jahr 1943 seinem philosophischen Hauptwerk den Titel Das Sein und das Nichts gab.19 Manche halten diese Verbindung, die französische Existenzialisten zum deutschen Seinsphilosophen suchten, 16 17 18 19

Martin Heidegger: Sein und Zeit, Frankfurt/M. 1977, S. 353. Ebd., S. 335. Ebd., S. 427. Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie, hrsg. von Traugott König, Reinbek bei Hamburg 2016.

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für ein Missverständnis, andere für eine schlüssige Kontextualisierung. Vielleicht gilt auch bei diesem Disput, was Heidegger am Ende von Sein und Zeit für einen wesentlich grundlegenderen Streit formuliert hat: „Der Streit bezüglich der Interpretation des Seins kann nicht geschlichtet werden, weil er noch nicht einmal entfacht ist.“20 Er selbst hat sich zwar bemüht, aber mehr als eine vorsichtige Frage wagt auch er am Ende seiner epochemachenden Abhandlung nicht zu formulieren: „Offenbart sich die Zeit selbst als Horizont des Seins?“21 Dann bricht das Buch ab. Heimkehr in die Ruhelosigkeit Rüdiger Safranski formuliert es in aller Deutlichkeit: „Sein und Zeit war ein Torso. Zwei Teile waren geplant. Noch nicht einmal der erste wurde fertig, obwohl Heidegger unter Termindruck zuletzt Tag und Nacht daran arbeitete.“22 Zurückgezogen in Todtnauberg, eingemietet bei einem benachbarten Bauernhof, schrieb und redigierte er fast bis zur Erschöpfung. Es war ein Schreibprozess, der sich über mehr als zwei Jahre hinzog. Wolfram Eilenberger spricht gar von einem „Schreibrausch“.23 Und doch blieb das Werk unvollendet. Heidegger hat sich zwar immer wieder vorgenommen, den ersehnten zweiten Band zu schreiben, zur Veröffentlichung gebracht hat er ihn jedoch nie. Sein und Zeit blieb ein Teilstück. Ein Meisterwerk zwar, aber ein unvollendetes. Ein Umstand, der Heidegger sehr schmerzte und ihn jahrelang dazu brachte, über die Konzeption des zweiten Bands zu brüten. Friedrich-Wilhelm von Herrmann, der langjährige Privatassistent Martin Heideggers und spätere Herausgeber von Heideggers Schriften, attestiert diesem frühen Hauptwerk 20 21 22

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Martin Heidegger: Sein und Zeit, Frankfurt/M. 1977, S. 577. Ebd. Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 197. Wolfram Eilenberger: Zeit der Zauberer. Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919-1929, Stuttgart 2019, S. 261.

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den „Charakter eines vorübergehenden Aufenthalts“, allerdings betont er, dass „nur im Durchgang durch es der Zugang zur Seinsfrage und auch zu seinen [Heideggers] späteren Schriften gewonnen werden kann“.24 Wer Heidegger begreifen will, so der Privatassistent, der später selbst Philosophieprofessor an der Universität Freiburg wurde, muss also durch Sein und Zeit hindurch – und muss dabei eben auch das Unfertige aushalten, das Rohe und Unbehauene, das sich darin spiegelt, fast so als hätten sich die karge Berglandschaft und das einfache Hüttenleben in dieses Werk eingeschrieben. Das einfache Bergleben hat Heidegger von Anfang an in den Bann geschlagen. Es hat ihn an seine eigene ländlich geprägte Kindheit in Meßkirch erinnert. Gleich nach dem Bezug der Hütte im Sommer 1922 hat er so viel Zeit wie möglich hier oben verbracht. Und bald hat er auch angefangen, hier oben zu arbeiten. Schon am 11. September 1922 schreibt er an seine Frau Elfride: „Ich muss sagen, wenn ich meine Hüttenmanuskripte, die ich mit habe, ansehe, sind sie alles andere als nicht gut gelungen.“25 Es ist eine badisch-alemannisch verbrämte Form des Selbstlobs, die Heidegger hier verwendet. Alles andere als nicht gut gelungen. Er hätte auch schreiben können, die Texte seien sehr gut geworden. Aber so direkt spricht man in diesem Winkel Deutschlands in der Regel nicht. Und schon gar nicht, wenn es um einen selbst geht. Nicht schlecht, das muss in Baden reichen als eine der höchsten Lobesfloskeln. Kein Zweifel, das Hüttenleben inspirierte ihn, es wurde zum Resonanzraum seines Denkens. Oder, wie Wolfram Eilenberger es formuliert: „Die unheimliche Heimeligkeit einer Berghütte im wütenden Sturm erfährt Heidegger als das ihm nächstliegende Pendant für eben jene große und seelenruhige Intensität, die ihm die Erfahrung des Philosophierens selbst ist. Als Idealbild eines

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Friedrich-Wilhelm von Herrmann: „Nachwort des Herausgebers“, in: Martin Heidegger: Sein und Zeit, Frankfurt/M. 1977, S. 583. Zitiert nach: Wolfram Eilenberger: Zeit der Zauberer. Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919-1929, Stuttgart 2019, S. 140.

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zum Denken gespannten Daseins.“26 Und dieses zum Denken gespannte Dasein entlud sich produktiv im Schreibprozess, der zu Sein und Zeit führte. Wann er konkret damit angefangen hatte, ist schwer zu sagen. Vorarbeiten lassen sich recht weit zurückverfolgen. Sicher ist, dass sich der Arbeitsprozess spätestens ab Sommer 1925 intensiviert hatte. Zwei Jahre später – 1927 – erschien das Werk und machte seinen Autor praktisch über Nacht zum weithin bekannten Philosophiestar. Sein und Zeit wurde von der Fachwelt als Ereignis wahrgenommen. Der „Zauberer von Marburg“ hatte damit gezeigt, dass er auch außerhalb des Hörsaals zaubern konnte. Obwohl die Erschöpfung nach dieser Zeit der intensiven Arbeit spürbar war, nutzte Heidegger die Gunst der Stunde und bewarb sich auf die Nachfolge seines berühmten Lehrers, dem er Sein und Zeit gewidmet hatte. Edmund Husserl ging in Pension und Martin Heidegger wurde ein Jahr nach der Veröffentlichung von Sein und Zeit tatsächlich auf Husserls Philosophielehrstuhl an die Universität Freiburg berufen. Er stieg damit vom außerplanmäßigen Professor zum Ordinarius auf. Vor allem aber empfand er die Rückkehr nach Freiburg als Heimkehr im vollumfänglichen Sinn des Wortes. Hier war er zuhause, hier fühlte er sich am richtigen Ort. Und hier lebte und arbeitete er gleichsam am Fuße jenes Schwarzwaldbergs, auf dem seine Hütte stand. Zum Wintersemester 1928/29 nahm er die Lehrtätigkeit an seiner ehemaligen Alma Mater auf. So oft es seine Verpflichtungen von nun an zuließen, konnte er dem ungeliebten Stadtleben entfliehen, um die Ruhe und Einsamkeit des Berglebens aufzusuchen. Doch wer vermutet, dass Heidegger mit dieser Heimkehr und diesem Lebensstil einen Rückzug in die Behaglichkeit suchte, der irrt. Im Gegenteil: „Freiburg wird noch einmal die Probe für mich werden, ob etwas von Philosophie da ist oder ob alles in Gelehrsamkeit aufgeht“, schrieb er am 24. November 1928 an Karl Jaspers.27 26 27

Ebd., S. 267. Zitiert nach: Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 217.

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Das bedeutete: In der Sicherheit des Ordinariats wollte er sich nicht einrichten. Er wollte einen anderen Weg wählen als den, den viele seiner von ihm missachteten bildungsbürgerlichen Kollegen gingen. Er wollte Philosoph bleiben, nicht affektierter Gelehrter werden. Das machte er auch mit seiner Antrittsvorlesung im Sommer 1929 deutlich. Sein Vortrag trug zwar den durchaus akademisch klingenden Titel „Was ist Metaphysik?“, doch was er an diesem Tag ausführte, verwirrte nicht wenige seiner Zuhörerinnen und Zuhörer. „Das Nichts ist ursprünglicher als das Nichts“, erklärte Heidegger in diesem feierlichen Rahmen seinem irritierten Publikum. Es war eine bewusst paradoxale Formulierung, die den Gesetzen der Logik trotzte. Denn wie kann etwas ursprünglicher als es selbst sein? Doch das Nichts folgte offenkundig einer eigenen Logik und Heidegger war ihr auf der Spur. Allerdings konnte das Publikum nicht allzu lange über diesen Aspekt sinnieren, denn der Gedanke ging weiter: Das Nichts, so Heidegger, „bricht auf in der tiefen Langeweile, in den Abgründen des Daseins.“28 Das war der eigentliche Punkt, den er machen wollte: Die Langeweile als Abgrund des Daseins, aus dem heraus das Nichts aufbricht. Damit hatte Heidegger Themenfelder in die ehrwürdigen Hallen philosophischer Hörsäle geholt, die bisher kaum in ihnen verhandelt wurden. Das Dasein in seiner alltäglichen Ausprägung und das Phänomen der Langeweile, das wahrscheinlich jede und jeder kennt, das aber bislang kaum Gegenstand philosophischer Reflexionen war. Es war die Langeweile, vor der Heidegger nicht nur philosophisch graute. Auch in seinem persönlichen Leben, in seinem eigenen Dasein, schien er der Langeweile entfliehen zu wollen, indem er sich erneut in Arbeit stürzte. An seine Frau Elfride schrieb er in dieser Zeit: „Nach dem Überdruck der ‚Publikation‘ [Sein und Zeit] war ein Ausruhen gekommen – ich merke es ist vorbei damit u. der Dämon beginnt schon recht unheimlich wieder zu wühlen u. zu drängen.“29 28 29

Zitiert nach: ebd., S. 60. Zitiert nach: Wolfram Eilenberger: Zeit der Zauberer. Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919-1929, Stuttgart 2019, S. 341.

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Die Rückkehr nach Freiburg – und damit auch nach Todtnauberg – war für Heidegger insofern eine Art Heimkehr in die Ruhelosigkeit. Der Dämon begann schon wieder zu wühlen, wie Heidegger es formulierte. Glücklicherweise wusste er, diesen Dämon in Formen erhöhter Produktivität zu sublimieren. Er arbeitete intensiv, vor allem aber gelang es ihm, diese Intensität auf die Katheder der Hörsäle und in die Sitzreihen der Seminarräume zu transportieren, in denen er lehrte und seine Gedanken vortrug. Es ging ihm nicht um klassische Wissensvermittlung, es ging ihm um existentielle Erfahrungen, die er auslösen wollte. Oder, wie Rüdiger Safranski es formuliert: „Heidegger will seine Hörer hineinstürzen lassen in die große Leere, sie sollen das Grundrauschen der Existenz hören, er will den Augenblick eröffnen, da es um nichts mehr geht, kein Weltgehalt sich anbietet, woran man sich festhalten oder mit dem man sich füllen kann.“30 Heidegger suchte nicht das Wägen von Argumenten, nicht das Führen klassischer Diskussionen. Heidegger ging es um Überwältigung – und diese existentiell gefärbte Intention prägte seine Auftritte und seine Rhetorik.

30

Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 220.

5. Das Gipfeltreffen

Heideggers Hütte liegt auf mittlerer Höhe, darüber haben wir bereits gesprochen. Zwar schreibt der Architekturtheoretiker Adam Sharr freundlich: „Auf 1.021 Meter Höhe liegt Todtnauberg, unterhalb der Baumgrenze, aber immer noch im Mikroklima des Gebirges. Das Wetter kann sehr schnell wechseln, da hohe Bergketten und tief eingeschnittene Täler lokale Klimaextreme nach sich ziehen.“1 Trotzdem bleibt festzuhalten, dass sich hier existentielle Bergerfahrungen wahrscheinlich lediglich in der Imagination erleben lassen. Die Dramatik, die sich den Menschen in den Alpen und in den noch höheren Gebirgszügen dieser Welt bietet, sucht man im Schwarzwald vergebens. Und doch dürften die langen Aufenthalte in Todtnauberg, die intensive Praxis des Skifahrens im Winter und die ausführlichen Spaziergänge im Sommer, Heidegger einen Vorteil verschafft haben, als er sich im Frühjahr 1929 nach Davos aufmachte. Hier, in dem damals schon legendären Kurort in den Alpen, sollten die zweiten Davoser Hochschulkurse stattfinden. Für ihn, den selbsterklärten Philosophen vom Berg, der das einfache Leben in den kargen Höhenlagen pries, war es ein leichtes, sich zu akklimatisieren. Zumindest inszenierte er seine Auftritte neben den philosophischen Diskursrunden und Vorträgen in diesem Sinne als bergsteigerisches Heimspiel. Anders erging es seinem Diskurspartner – manche sprachen auch von Kontrahenten – Ernst Cassirer, der von Hamburg aus in die Alpen gereist war. „Vielleicht war es unklug und unzuträglich, dass er, geboren und gewohnt, nur ein paar Meter über dem 1

Adam Sharr: Heideggers Hütte, Berlin 2010, S. 27.

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Meeresspiegel zu atmen, sich plötzlich in diese extremen Gegenden befördern ließ, ohne wenigstens einige Tage an einem Platze von mittlerer Lage verweilt zu haben.“2 Diese Gedanken, die Thomas Mann in den Kopf seines Protagonisten Hans Castorp platzierte, der in Manns Roman ebenfalls von Hamburg nach Davos reiste, können durchaus auf Cassirers Situation übertragen werden. Zumindest zwang Cassirer eine Grippe ins Bett, kaum dass er seine ersten Diskursbeiträge in Davos gehalten hatte. Den Protokollen kann man entnehmen, dass es einige Tage dauerte, bevor er wieder ins Tagungsgeschehen eingreifen konnte. Thomas Mann hat Davos mit dem Zauberberg ein literarisches Denkmal geschaffen, das fünf Jahre vor diesem philosophischen Gipfeltreffen erschienen war. Wir können davon ausgehen, dass beide, Heidegger und Cassirer, als kulturell hellwache Zeitgenossen das Buch kannten. Heidegger soll es gleich im Erscheinungsjahr gemeinsam mit Hannah Arendt gelesen haben. Und wir können ebenfalls davon ausgehen, dass auch vielen zeitgenössischen Beobachterinnen und Beobachtern sowie vielen späteren Chronistinnen und Chronisten dieses besonderen Davoser Philosophentreffens der Zauberberg als fiktiver Rahmen bei der Interpretation der realen Ereignisse diente. Das legt auch Heideggers Biograph Rüdiger Safranski nahe, wenn er schreibt: „Dort oben in Davos hatte Thomas Mann in seinem 1924 erschienen Roman ‚Der Zauberberg‘ den Humanisten Settembrini und den Jesuiten Naphta ihre große Debatte führen lassen. Es waren Archetypen der Geisterschlacht dieser Epoche.“ Und er ergänzt: „Teilnehmer der Davoser Hochschulwoche fühlten sich tatsächlich an jenes imaginäre Ereignis erinnert.“3 Ein philosophischer Disput als Ereignis. So etwas gibt es nicht allzu häufig in dieser eher stillen Disziplin der geistigen Arbeit. Und doch schreibt auch Wolfram Eilenberger, der dieses Gipfeltreffen der Geistesgeschichte unlängst in seinem philosophischen 2

3

Thomas Mann: Der Zauberberg, Frankfurt/M. 2020 (erstmals erschienen 1924), S. 13. Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 212.

5. DAS GIPFELTREFFEN

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Bestseller Zeit der Zauberer eindrucksvoll in Szene gesetzt hat: „Die Davoser Disputation zwischen Ernst Cassirer und Martin Heidegger gilt heute als einschneidendes Ereignis in der Geschichte des Denkens. In den Worten des amerikanischen Philosophen Michael Friedman stellt sie gar die maßgebliche ‚Wegscheide für die Philosophie des 20. Jahrhunderts‘ dar.“4 Große Worte für ein Aufeinandertreffen zweier Professorenkollegen im Rahmen einer akademischen Konferenz. Ein Ereignis, so alltäglich, dass es zunächst selbst in den engen Grenzen der Fachdisziplin keine größere Aufmerksamkeit auf sich zog. Erst in der Retrospektive wurde die volle Bedeutung ermessen, die in diesem besonderen Moment des Gipfeltreffens zweier der originellsten Denker des vergangenen Jahrhunderts lag. Bergsteigen als philosophische Taktik Die Davoser Hochschulkurse des Jahres 1929 fanden vom 17. März bis 6. April statt. Sie waren als gleichermaßen internationale wie interdisziplinäre akademische Zusammenkunft konzipiert. Irgendwann, so hofften die Veranstalterinnen und Veranstalter, könnte aus diesen Zusammenkünften für den mondänen heilklimatischen Bergort eine Universität erwachsen. Eine Hoffnung, die sich zwar nicht erfüllen sollte, die aber zu verstehen hilft, warum die Veranstalterinnen und Veranstalter kaum Mühen und Kosten scheuten. Gewohnt und gedacht wurde während der Davoser Hochschulkurse standesgemäß in einem Nobelhotel. Neben Heidegger und Cassirer nahmen unter anderen der Chirurg Ferdinand Sauerbruch, der Politiker und Philosoph Kurt Rietzler oder der Romanist Henri Tronchon teil. Aus heutiger Sicht noch erstaunlicher liest sich die Liste der damals in Davos anwesenden Studierenden: Leo Strauss, Emanuel Lévinas, Karl Mannheim, Norbert Elias, Rudolf Carnap,

4

Wolfram Eilenberger: Zeit der Zauberer. Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919-1929, Stuttgart 2019, S. 24.

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Joachim Ritter oder Otto Friedrich Bollnow. Namen, die in späteren Jahren die intellektuellen Diskussionen ihrer Disziplinen maßgeblich mitbestimmen sollten. Im Davos des Jahres 1929 lag die Diskurshoheit allerdings noch bei der älteren Generation, also bei Heidegger und Cassirer. Bei wem genau? Dies sollten die Debatten dieser Tage erweisen. Das Leitthema der philosophischen Tagung lautete: „Was ist der Mensch?“ Eine deutliche Bezugnahme auf Immanuel Kant, der diese berühmte Frage einst formuliert hatte. Kant und seinem Denken sollten sich die beiden Professoren stellen: Heidegger und Cassirer, zwei Gelehrte, die in nahezu allen Aspekten unterschiedlicher kaum sein konnten. Auf der einen Seite Ernst Cassirer, der großbürgerliche Intellektuelle aus Hamburg. Zum Zeitpunkt des Davoser Disputs bereits 54 Jahre alt. Ein vielfach als brillant gefeierter Denker, der sich der Rationalität des Neukantianismus verschrieben hatte und der trotz zahlreicher Behinderungen, die er als Akademiker mit jüdischen Wurzeln erleben musste, schon seit zehn Jahren Ordinarius für Philosophie an der neugegründeten Universität der Hansestadt war. Eng verbunden mit Aby Warburg und dessen kulturwissenschaftlicher Bibliothek, hatte er in den vergangenen Jahren eine umfassende dreibändige Philosophie der symbolischen Formen erarbeitet, die seinen ohnehin schon vorhandenen Ruhm noch zusätzlich mehrte. Auf der anderen Seite Martin Heidegger, aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammend, der seinen bäuerlichen Habitus teilweise bewusst in Opposition zum großbürgerlichen Verhalten seiner Kollegenschaft inszenierte. Anekdoten dazu gab es sowohl aus seiner Marburger Zeit als auch aus Freiburg nicht gerade wenige. Heidegger war bei diesem Zusammentreffen der deutlich Jüngere, gerade mal 39 Jahre alt und sein Ruf auf das Ordinariat in Freiburg lag kaum ein Jahr zurück. Eineinhalb Jahrzehnte trennten die beiden, doch schwerer als dieser Altersunterschied wogen die inhaltlichen Differenzen. Statt neukantianischer Rationalität fühlte sich Heidegger der von ihm begründeten Fundamentalontologie verpflichtet, deren Grundlegung er zwei Jahre zuvor mit Sein und Zeit der Öffentlichkeit präsentiert hatte.

5. DAS GIPFELTREFFEN

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Nach eigenem Verständnis hatte er damit die Philosophie zurückgeholt ins wirkliche Leben, ihr ein neues Fundament geschaffen im alltäglichen Leben. Der Leipziger Student Ludwig Englert hatte in Davos an der Tagungswoche teilgenommen und im Anschluss eine Nachbetrachtung zu Papier gebracht, in der die Differenz der beiden Hauptkontrahenten in klaren Worten zusammengefasst war: „Während im Mittelpunkt der Cassirer'schen Betrachtungsweise jenes autonome Reich des Geistes steht, richtet sich das Heidegger'sche Denken in erster Linie auf die Welt des besorgenden Handelns, auf den Umgang mit zuhandenem Zeug.“5 Ludwig Englert machte in den folgenden Zeilen deutlich, welcher dieser beiden Positionen es gelang, die Sympathien vor allem der jungen Zuhörerinnen und Zuhörer zu gewinnen. Um die Pointe vorwegzunehmen: Es waren seiner Darstellung nach nicht die Schlüssigkeit der Argumentation oder die Originalität des Gedachten, die den Ausschlag gaben. Es war, wie wir es heute nennen würden, die performative Kraft der Selbstinszenierung, die regelrecht überwältigend gewirkt zu haben schien. „Wir Jungen haben nun einmal eine Vorliebe für das Persönliche und Unmittelbare, und noch mehr als die Philosophie eines Mannes interessiert uns, was für ein Mensch er sei“, erklärte Englert6 in einem fast schon entschuldigenden Tonfall. Es scheint, als wäre sich Heidegger dieser überwältigenden Wirkung seiner Selbstinszenierung sehr bewusst gewesen. Zumindest verhielt er sich exakt so, dass er insbesondere bei den jüngeren Teilnehmerinnen und Teilnehmern diesen als „persönlich“ und „unmittelbar“ empfundenen Eindruck hinterließ. Er gab sich ausgesprochen selbstbewusst und nahbar. Schließlich war er in den Bergen. Seinem Terrain. Und er zeigte allen demonstrativ, dass er sich hier heimisch fühlte. So oft es ging, schnürte er die Skischuhe und ging mit Studierenden und anderen 5

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Ludwig Englert: „Als Student bei den zweiten Davoser Hochschulkursen (März 1929), in: Guido Schneeberger: Nachlese zu Heidegger. Dokumente zu seinem Leben und Werk, Bern 1962, S. 2. Ebd., S. 4.

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Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf die Piste. Ganz anders als sein Kontrahent Cassirer, der offenkundig weder die Ausrüstung noch die Kompetenz mitbrachte, um steile Abfahrten zu meistern. Der Stadtmensch Cassirer fremdelte mit der hochalpinen Landschaft, zudem machte ihm die dünne Luft zu schaffen und solchermaßen sportliche Betätigungen waren ohnehin nicht seine Sache. Verbunden mit seinem großbürgerlichen Habitus ließ ihn diese Zurückhaltung in den Stunden zwischen den Vorträgen und Disputen deutlich distanzierter wirken. Heidegger dagegen schien mit seinem Verhalten wie beiläufig zu veranschaulichen, dass seine Philosophie mitten im Leben stehe, dass es ihm nicht um abgehobenes Denken, sondern um eine existenzielle Auseinandersetzung mit dem Dasein gehe. Eine Auseinandersetzung, die sich gerade in der alltäglichen Praxis zu erweisen habe. In diesem Verständnis – und Heidegger schien darauf abgezielt zu haben – können Skifahren und Bergsteigen zu philosophisch relevanten Tätigkeiten werden, zumindest in einem taktischen Sinne. Insbesondere die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer schienen diese nonverbalen Lektionen zu verstehen. „Ganz besonders freuten wir uns, die Dozenten auch zum Skilauf ausziehen zu sehen, und es erschien uns für Heidegger von symbolhafter Bedeutung, dass er gerade jenes Wort von Nietzsche zitierte, ein Philosoph müsse ein guter Bergsteiger sein“, so der junge Chronist Ludwig Englert.7 Der Punkt ging eindeutig an Heidegger. Und es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass er wie beiläufig Nietzsches Wort vom Philosophen als gutem Bergsteiger zitiert hatte. Der Kontrast könnte kaum größer sein: Heidegger inszenierte sich unverhohlen als nietzscheanischen Kraftmenschen, während Cassirer sich im Grand Hotel von den Nachwirkungen einer Grippeerkrankung erholte. Dass Heidegger diese Rolle mitsamt ihrem provozierenden Potenzial bewusst einnahm, wird in einem Brief deutlich, den er an seine damalige Geliebte Elisabeth Blochmann schrieb: „In schöner Müdigkeit, voll von Sonne und 7

Ebd.

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Freiheit der Berge, noch den ganzen klingenden Schwung der weiten Abfahrten im Körper, kamen wir dann immer abends in unserer Skiausrüstung mitten hinein in die Eleganz der abendlichen Toiletten. Diese unmittelbare Einheit von sachlich forschender Arbeit und völlig gelockertem und freudigen Skilauf war für die meisten Dozenten und Hörer etwas Unerhörtes.“8 Gerade diese unterschwellige Empörung seiner akademischen Kolleginnen und Kollegen schien den Genuss noch zu erhöhen, den er aus seinem wenig standesgemäßen Verhalten zog. Philosophie als existentielle Erfahrung Bereits sein erster Auftritt in Davos wirkte wohlinszeniert. Bei der feierlichen Eröffnung der Hochschulkurse am Vormittag des 17. März 1929 fehlte Heidegger. Er folgte damit offenkundig der Maxime, dass sich rar machen müsse, wer begehrt sein möchte. Der Abwesende als Hauptfigur, auf die sich paradoxaler Weise das Interesse richtet. So blieb es den ganzen Tag über. Auch beim großen Eröffnungsdiner am Abend glänzte er zunächst durch Abwesenheit, wie sich Toni Cassirer, Ernst Cassirers Frau, einige Jahre später erinnerte: „Alle Gäste waren in Abendtoiletten erschienen, die Herren alle im Frack. Vor Ablauf der zweiten Hälfte des Diners, das durch lange Ansprachen ausgedehnt worden war, öffnete sich die Tür, und ein kleiner, ganz unscheinbarer Mann betrat, scheu wie ein Bauernkind, das man durch die Türe eines Schlosses stößt, den Saal.“9 Heidegger betrat die Szenerie. Bei dieser von Toni Cassirer verfassten Beschreibung muss in Rechnung gestellt werden, dass sie erst zwei Jahrzehnte nach der Davoser Hochschulwoche zu Papier gebracht wurde. Man muss

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Zitiert nach: Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 213. Toni Cassirer: „Cassirer und Heidegger in Davos“, in: Guido Schneeberger: Nachlese zu Heidegger. Dokumente zu seinem Leben und Werk, Bern 1962, S. 7.

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keine Anhängerin oder Anhänger des Radikalen Konstruktivismus sein, um zu wissen, dass sich Erinnerungen im Lauf der Zeit verformen. In diesem besonderen Fall kommt hinzu, dass Toni Cassirer bei dieser Niederschrift ihrer Erinnerung an die Begegnung mit Heidegger alles andere als neutral gestimmt gewesen sein dürfte. Sie hatte in der Zwischenzeit längst von Heideggers Engagement für den Nationalsozialismus erfahren. In den Jahren nach diesem Gipfeltreffen in Davos war das Leben der beiden Starphilosophen höchst unterschiedlich verlaufen: Während sich Heidegger in Freiburg zum „Führer-Rektor“ wählen ließ und von einer Rolle als nationalem „philosophischen Führer der Führerbewegung“ träumte, musste Cassirer mit seiner Frau vor den Nazi-Schergen ins Exil fliehen. Insofern wäre es durchaus nachvollziehbar, dass Toni Cassirer Heidegger bewusst in einem schlechten Licht erscheinen lassen wollte. Als unbeholfenen Kleinbürger, der nicht recht wusste, wie er sich zu verhalten habe, und der eben deshalb „scheu wie ein Bauernkind“ wirkte. Auf der anderen Seite wäre es aber auch denkbar, dass Heidegger in seinen ersten Momenten in Davos tatsächlich etwas scheu und unsicher gewirkt haben mochte. Denn ein Hotel der Nobelklasse, noch dazu in einem mondänen Alpenkurort wie Davos, hatte er höchstwahrscheinlich zuvor noch kaum betreten. Es war eine Art der Umgebung, die ihm fremd war und die mit ihren kultivierten, großbürgerlichen Codes durchaus verunsichernd auf ihn gewirkt haben konnte. Falls dem so war, so muss man jedoch festhalten, hatte sich Heidegger schnell gefangen. Vielleicht hat er auch nur seine etwaige Verunsicherung durch teilweise ostentativ zur Schau gestelltes Selbstbewusstsein kompensiert, wer weiß das schon? Auf jeden Fall strotzte er vor Angriffslust, sobald er ans Katheder trat. In den Vorlesungen und Diskussionsrunden schien er ebenso sehr in seinem Element zu sein, wie an den Berghängen der Davoser Alpen. Und für nicht wenige wirkte er dabei auch ebenso elegant. „Das Haupterlebnis der Tagung bildete für uns die Auseinandersetzung zwischen Heidegger und Cassirer und sie standen darum sehr oft im Zentrum der Unterhaltung“,

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schrieb der Chronist Ludwig Englert.10 Das war – auch wenn es aus heutiger Sicht anders erscheinen mag – alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Denn die Davoser Hochschulkurse waren keine rein philosophisch ausgerichtete Veranstaltung, sondern ein interdisziplinäres wissenschaftliches Forum. Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Naturwissenschaft, Medizin, Nationalökonomie, Rechtswissenschaft und Sprachwissenschaft waren ebenso anwesend. Und dass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Disziplinen schwertaten mit den oft hermetisch abgeschlossen wirkenden Gedankengebäuden philosophischer Fachdiskussionen, kann man sich leicht vorstellen. Ludwig Englert, damals Student am Institut für Geschichte der Medizin an der Universität Leipzig und damit selbst ebenfalls kein akademischer Philosoph, führte aus, wie manch eine Teilnehmerin und manch ein Teilnehmer „den Ausführungen der beiden Philosophen oft recht hülflos gegenüber stand, vieles nicht verstand und an dem tieferen Sinn und der tieferen Bedeutung solcher Auseinandersetzungen vorbeisah“.11 Er spricht gar von einem „Widerwillen“, den manche zunächst in Bezug auf die Veranstaltungen von Heidegger und Cassirer entwickelt hätten. Seltsame Fragen, vorgetragen in einer seltsamen Sprache von zwei seltsamen Männern, so dürften das viele empfunden haben. Eine philosophische Fachdebatte, die allenfalls für philosophische Insider von Belang zu sein schien. Insofern war es eine besondere Leistung Heideggers und Cassirers, dass es ihnen gelang, den Widerwillen in Teilen ihrer Zuhörerschaft zu überwinden – und ihn am Ende nicht selten sogar in Faszination zu verwandeln. „Es ist vielleicht das Hauptergebnis der diesjährigen Hochschulkurse, dass viele einsahen, wie eng die tiefsten Fragen der Metaphysik gerade mit den Problemen zusammenhängen, die uns junge Menschen, die wir ganz lebensnah sein wollen, angehen, und dass jede Möglichkeit, uns zu 10

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Ludwig Englert: „Als Student bei den zweiten Davoser Hochschulkursen (März 1929), in: Guido Schneeberger: Nachlese zu Heidegger. Dokumente zu seinem Leben und Werk, Bern 1962, S. 4. Ebd., S. 5.

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verständigen, fehlt, wenn wir uns nicht mit tiefem Ernste in die schwierigsten Probleme der Philosophie einarbeiten“, fasste Ludwig Englert diese Transformation in Worte.12 Philosophie als existentielle Erfahrung – ein Denken, das direkt die Probleme der Menschen adressiert, ganz praktisch, ganz lebensnah, und doch in einer Sprache, die das Alltägliche transzendiert. Auch wenn diese Bewertung freilich deutlich stärker auf Heideggers Positionen zutraf als auf die Ernst Cassirers, muss dennoch festgehalten werden, dass Heidegger sicherlich den neukantianisch geprägten Hintergrund benötigte, den Cassirer in seinen Beiträgen aufgespannt hatte, um vor diesem die existentielle Kraft seiner seinsphilosophischen Erläuterungen zur vollen Geltung zu bringen. Rhetorik der Überwältigung Cassirer war ein Meisterdenker, scharf in der Analyse, klar in der Argumentation. Wie sind symbolische Formensysteme organisiert? Welche Funktion erfüllt die Form in anthropologischer Hinsicht? Durch Formen werden Strukturen erst erfahrbar, sie dienen philosophisch gesprochen der Sinngebung, psychologisch gesprochen der Wahrnehmung. Es ist eine schlüssige Argumentation, die Cassirer mit klarer Stimme und in präganten Sätzen vortrug. Dennoch muss konstatiert werden: Cassirer vermochte zu überzeugen, aber nicht zu begeistern. Ganz anders Heidegger. Die wichtigste Aufgabe der Philosophie sei es, „aus dem faulen Aspekt eines Menschen, der bloß die Werke des Geistes benutzt, gewissermaßen den Menschen zurückzuwerfen in die Härte seines Schicksals.“13 Es sind Sätze wie dieser, die den Zuhörenden regelrecht den Atem zu rauben schienen. Hier, so empfanden es nicht wenige, verließ die Philosophie die Ebene der 12 13

Ebd. Zitiert nach: Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 215.

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rein rationalen Beschäftigung und wurde zur direkten existentiellen Erfahrung. „Die Differenz beider Gelehrten liegt in verschiedenen letzten Grundpositionen, die wir in jener unvergesslichen Arbeitsgemeinschaft erleben durften, und die mit Notwendigkeit zur Verschiedenheit ihrer Auffassungen drängte und sich in ihrer Einstellung zum Menschen als endlichem Wesen offenbarte“, fasste Ludwig Englert14 dieses Erlebnis zusammen. Die Differenz in den Grundpositionen der beiden Denker führte tatsächlich zu radikal unterschiedlichen Bewertungen des Menschen als endliches Wesen. Gerade das Bewusstsein dieser Endlichkeit weist den Weg zum Nukleus des Heideggerschen Denkens, wie wir ihn bereits kennengelernt haben: Leben als Sein zum Tode. Erst, wer diese existenzielle Grundbedingtheit menschlichen Lebens begriffen, mehr noch, nur wer diese Geworfenheit verinnerlicht habe, so Heidegger, sei überhaupt in der Lage, so etwas wie Freiheit in den Blick nehmen zu können. Insofern gehe es gerade nicht darum, kulturelle Leistungen wie das Entwickeln symbolischer Formensysteme aufzutürmen, sondern vielmehr müssten diese kulturellen Überhöhungen beiseitegeschoben werden, um den Blick auf das seinsphilosophische Fundament unserer Existenz freizumachen. Oder wie Rüdiger Safranski es formulierte: „Für Heidegger besteht das Problem darin, dass der Mensch sich in der selbstgeschaffenen Kultur festlebt, auf der Suche nach Halt und Geborgenheit, und dadurch das Bewusstsein seiner Freiheit verliert. Es gilt, dieses Bewusstsein wieder zu erwecken. Das leiste keine Philosophie des Kulturbehagens. Man müsse das Dasein vor seine ursprüngliche Nacktheit und Geworfenheit bringen.“15 Es war seine uns bereits bekannte Rhetorik der Überwältigung, die Heidegger in Davos virtuos praktizierte. Verbunden

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Ludwig Englert: „Als Student bei den zweiten Davoser Hochschulkursen (März 1929), in: Guido Schneeberger: Nachlese zu Heidegger. Dokumente zu seinem Leben und Werk, Bern 1962, S. 1. Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 215.

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mit seiner wenig subtilen Inszenierung als anarchisch-nietzscheanischer Kraftmensch, der vormittags gemeinsam mit den Studierenden auf Berge stieg, um diese mit gekonnten Schwüngen anschließend auf Skiern hinabzugleiten, und der abends dann solchermaßen gestärkt, geistig Höhenmeter um Höhenmeter erklomm, entwickelte er auf viele seiner Zuhörerinnen und Zuhörer eine intensive Wirkung. Der Philosoph Heidegger schien als Mensch von seinem Werk und seiner Argumentation kaum noch trennbar zu sein. Alle Facetten fügten sich ineinander und erzeugten ein faszinierendes Gesamtbild. Die Philosophie, so empfanden es seine Anhängerinnen und Anhänger, ragte plötzlich weit in das Leben hinein. Und in was für ein Leben! Von transzendenten Fundierungen befreit – und dennoch voller Kraft und Virilität. „Was für eine Philosophie man habe, dass dies davon abhänge, was für ein Mensch man sei, ist uns an diesen beiden Männern nicht nur klar, sondern zur Gewissheit geworden“, erklärte in diesem Sinne Ludwig Englert .16 Mensch und Werk, so schien es, ließen sich nicht länger trennen. Das Schwärmerische, das durch diese Wörter hindurchscheint, erinnert an die Empfindungen Hans Castorps, die Thomas Mann seinen Protagonisten in Davos fühlen ließ: „Dieses Emporgehobenwerden in Regionen, wo er noch nie geatmet und wo, wie er wusste, völlig ungewohnte, eigentümlich dünne und spärliche Lebensbedingungen herrschten, – es fing an, ihn zu erregen, ihn mit einer gewissen Ängstlichkeit zu erfüllen.“17 Darum ging es auch Heidegger hier oben, um die Ängstlichkeit, oder mehr noch: um die Angst und um die Erregung, die sie mit sich bringt. „Wie weit hat die Philosophie die Aufgabe, frei werden zu lassen von der Angst?“, fragte Heidegger seine Zuhörerschaft – und gab direkt im Anschluss seine Antwort in Form

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Ludwig Englert: „Als Student bei den zweiten Davoser Hochschulkursen (März 1929), in: Guido Schneeberger: Nachlese zu Heidegger. Dokumente zu seinem Leben und Werk, Bern 1962, S. 5. Thomas Mann: Der Zauberberg, Frankfurt/M. 2020, S. 13.

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einer zweiten, zugespitzten Frage: „Oder hat sie nicht die Aufgabe, den Menschen gerade radikal der Angst auszuliefern?“18 Man kann sich die Stille plastisch vorstellen, die geherrscht haben dürfte, nachdem Heidegger diese Worte ausgesprochen hatte. Er hatte nichts weniger als eine radikale Verschiebung dessen formuliert, was als Aufgabe der Philosophie zu gelten habe. Nach Heidegger ging es nicht mehr um eine Suche nach Wahrheit oder um ein Ringen um Werte, es ging von jetzt an darum, die Menschen der Angst auszuliefern, ihnen jeden zivilisatorischen Schutz wegzuziehen, um sie auf diese Weise zum Wesentlichen ihres Daseins vordringen zu lassen. Ernst Cassirer konnte tun, was er wollte. Gegenüber dieser überwältigenden Radikalität musste seine nüchterne Analytik geradezu harmlos wirken. So blieb am Ende seiner Frau Toni nichts anderes übrig als enttäuscht zu bekunden: „Im großen ganzen (sic!) ging Heidegger bei den Studenten als Sieger hervor“, allerdings vergaß sie nicht, die Begründung dafür hinterherzuschicken: „weil er dem Zeitgeschehen ganz anders entgegenkam als Ernst.“19 Der Zeitgeist begünstigte Heidegger, das erkannte sie an. Philosophisch jedoch schenkte sie ihm den Gipfelsieg nicht.

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Zitiert nach: Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 215. Toni Cassirer: „Cassirer und Heidegger in Davos“, in: Guido Schneeberger: Nachlese zu Heidegger. Dokumente zu seinem Leben und Werk, Bern 1962, S. 8.

6. Das Feuer

Das Lodern, das Zischen, das Sprühen der Funken. Es war das sinnlich Fassbare, das ihn am Feuer faszinierte. Pathetisch gesprochen: die brennende Selbstaufgabe bis hin zum Verglühen. Oft hatte er abends Holzscheite zusammengesucht und vor seiner Hütte in Todtnauberg ein Lagerfeuer entzündet. Manchmal auch im Kreis seiner engsten Studierenden, die er von Zeit zu Zeit in den Schwarzwald einlud. Eine solche Einladung galt als Ritterschlag und war nur den besten und engagiertesten Schülern vorbehalten. Man saß im Kreis, schaute ins Feuer, debattierte und hörte dem Meisterdenker zu. Heidegger empfand Feuer als archaisches Erlebnis, das über die eigene neuzeitliche Existenz hinauswies. Insofern dürfte er an diesem kühlen und verregneten Juniabend ganz in seinem Element gewesen sein. Der Regen peitschte, doch die dicken Tropfen machten ihm nichts aus. Die verweichlichten Bürokraten hatten wegen des schlechten Wetters die Sonnenwendfeier abgesagt. Was wussten die schon von Stürmen, von Winden, die aus den Jahrtausenden zu uns wehen? In seiner Hütte hatte er Stürme erlebt, die überhaupt erst die besten Gedanken aus ihm herausgepresst hatten. Ihn zumindest schreckte deshalb das Unwetter nicht. Und die Jugend, diese neue starke Generation, die heranreifte und die zu führen er berufen war, ebenso wenig. Es war eine neue Zeit und er half mit, die Scheite zu stapeln, damit das Feuer lodern konnte. Dann ergriff er mit fester Stimme das Wort. Nicht als Philosoph, nicht als Professor, sondern als Rektor, als Führer der Universität: „Sommersonnenwende 1933! – Die Tage vergehen, sie werden wieder kürzer. Unser Mut aber steigt, das kommende

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Dunkel zu durchbrechen. Niemals dürfen wir blind werden im Kampf. Flamme künde uns, leuchte uns, zeige uns den Weg, von dem es kein Zurück mehr gibt! Flammen zündet, Herzen brennt!“1 Seine Magnifizenz, der neugewählte Rektor der Universität Freiburg, hatte gesprochen. Und seine Aufforderung – „Flammen zündet, Herzen brennt!“ – dürfte tatsächlich den Weg zu den heißen Herzen der zumeist studentischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser inoffiziellen Sonnenwendfeier im Universitätsstadion gefunden haben. Ein Journalist der lokalen Zeitung beschrieb die Szenerie damals in ergriffenen Worten: „Dunkle, schwere Wolken huschten am Firmament dahin, und als die Funken des Holzstoßes in östlicher Richtung davonstoben, lag über dem Ganzen eine ungemein feierliche, ernste Stimmung. Schweigend schaute ein jeder den gewaltigen Brand, die Uniformen der Teilnehmer leuchteten markant im Schein des Feuers. Dann wieder strömte unbarmherziger Regen über den weiten Platz, der dicht besetzt war von den Studenten.“2 Zu Heideggers flammender Ansprache ergänzte er: „Dieser kurze, aber inhaltsreiche Feuerspruch passte so ganz in die ernste feierliche Sonnenwendstimmung, die alle erfasst hatte. Gierig fraß das Feuer weiter in den Holzstämmen, mächtig sprangen die Funken in die dunkle Nacht empor, in der der Hoffnungsstrahl einer deutschen, blühenden akademischen Jugend als Licht aufstieg. Aus begeisterten Kehlen mitgesungen, stieg das HorstWessel-Lied in die Nacht hinauf, die Fahnen senkten sich. Dann zogen die Kolonnen, wie sie gekommen waren, vor den Ehrengästen vorbei.“3 Eine neue Zeit hatte begonnen. Eine Zeit, in der es loderte und in der es zischte. Eine Zeit, in der die Funken sprühten. Eine Zeit, in der Fackeln getragen wurden, allerdings 1

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Zitiert nach: O.V.: „Die Sonnenwendfeier der Freiburger Studenten“, in: Freiburger Zeitung, Abendausgabe, 26. Juni 1933, S. 7, zitiert nach: Guido Schneeberger (Hg.): Nachlese zu Heidegger. Dokumente zu seinem Leben und Denken, Bern 1962, S. 71. Ebd., S. 70. Ebd., S. 71.

6. DAS FEUER

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nicht die Fackeln der Aufklärung. Im Gegenteil: Diese rationale Verblendung bodenlosen Geistes, galt es zu überwinden. Und er, Martin Heidegger wollte seinen Beitrag dazu leisten. Er wollte nicht nur als Beobachter am Rand stehen. „Man muss sich einschalten“, soll er damals zu Karl Jaspers gesagt haben.4 Flammen einer neuen Zeit Diese Flammen einer neuen Zeit wurden für alle sichtbar und propagandistisch wirksam in Form von Fackelzügen in die größeren und kleineren Städte des Reichs getragen. Nicht selten waren es Studierende, die – angestachelt durch ihre Professoren – hier besonders in Erscheinung traten. Die Studentenschaft der Universität Freiburg rief zum Beispiel auf: „Schickt uns aus den Büchereien, Buchhandlungen und Antiquariaten alle Schriften und Bücher, die der Verbrennung anheimfallen sollen. Jeder bringe, was er findet, oder melde es zur Abholung durch uns. Das Feuer der Vernichtung wird uns zugleich zur lodernden Flamme des begeisterten Ringens um den deutschen Geist, die deutsche Sitte und den deutschen Brauch.“ Denn, so erklärten die Freiburger Studenten weiter: „Die deutsche Studentenschaft ist entschlossen, den geistigen Kampf gegen die jüdisch-marxistische Zersetzung des deutschen Volkes bis zur völligen Vernichtung durchzuführen.“ 5 Manchmal verraten Wörter mehr als es den Sprechenden oder Schreibenden in den jeweiligen Momenten bewusst ist. Die bittere Wahrheit dieser Ankündigung – „bis zur völligen Vernichtung“ – sollte sich in den folgenden Jahren auf grausame Art erweisen. Im Frühsommer des Jahres 1933 war der industrielle Massenmord noch nicht geplant, doch der Vernichtungswille wurde bereits ganz selbstverständlich formuliert. Zunächst waren 4

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Zitiert nach: Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 259. Studentenschaft der Universität Freiburg: „Aufruf“, in: Breisgauer Zeitung, 8. Mai 1933, S. 3, zitiert nach: Guido Schneeberger (Hg.): Nachlese zu Heidegger. Dokumente zu seinem Leben und Denken, Bern 1962, S. 29f.

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es Bücher, die dem Feuer überantwortet werden sollten. Im Rahmen einer konzertierten Aktion wurden am 10. Mai 1933 in allen größeren Städten des Reiches Scheiterhaufen errichtet. Der größte von ihnen loderte in der Reichshauptstadt Berlin und auch hier wurden die jugendlichen Zündler von ihren Professoren angestiftet. „Als Auftakt zur öffentlichen Bücherverbrennung auf dem Opernplatz hielt der neue Ordinarius für politische Pädagogik in Berlin, Professor Alfred Baeumler, die erste Vorlesung seines Kollegs ‚Wissenschaft, Hochschule und Staat‘“, war in der Breisgauer Zeitung zu lesen.6 Als wollte der Autor dieses Artikels die philosophische Unterströmung der Aktion unterstreichen, beschreibt er anschließend, wie die Studierenden nach der „begeistert aufgenommenen Vorlesung“ sich auf dem Hegel-Platz versammelten, „von wo aus sie in geschlossenem Zuge mit Fackeln und klingendem Spiel“ weiterzogen, bis sie schließlich „unter Gesang durch die Straßen zum Brandenburger Tor und die Linden entlang nach dem Opern-Platz“ kamen. Die vielfach in die braune Kluft der Nationalsozialisten gekleideten Studenten „marschierten auf den weiten Platz und warfen ihre Fackeln in den in der Mitte errichteten Scheiterhaufen.“ Es herrschte Volksfeststimmung, als es zum Höhepunkt kam, der fotografisch und filmisch festgehalten wurde, um ihn anschließend propagandistisch nutzen zu können: „Unter dem Jubel der Menge wurden um 23.20 Uhr die ersten Bücher der mehr als 20.000, die heute auf diesem Scheiterhaufen als symbolischer Akt verbrannt werden, in die Flammen geworfen.“7 Darunter Werke von Sigmund Freud, Karl Marx, Albert Einstein, Kurt Tucholsky und Bertolt Brecht. Und vieler weiterer Autorinnen und Autoren, für die in der neuen Zeit des sogenannten „Dritten Reichs“ kein Platz mehr war. Die Vernichtung dessen, was als jüdisch-marxistisches Denken diffamiert wurde, hatte begonnen. 6

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O.V.: „Wider den undeutschen Geist. Große Kundgebung der Berliner Studentenschaft“, in: Breisgauer Zeitung, 12. Mai 1933, S.2, zitiert nach: Guido Schneeberger (Hg.): Nachlese zu Heidegger, Bern 1962, S. 33. Ebd., S. 34.

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In Freiburg kämpften die Nationalsozialisten im Frühsommer 1933 derweil mit schlechtem Wetter. Der Regen hatte den Braunhemden bei der ein oder anderen Bücherverbrennung das Leben schwergemacht. „Wegen nichtendenwollenden (sic!) Regens am Samstagabend musste die Kundgebung auf dem Münsterplatz abgesagt werden“, ließ Der Alemanne, das Kampfblatt der Nationalsozialisten Oberbadens verlautbaren. Doch das Kampfblatt wusste seine Leserinnen und Leser sogleich zu beruhigen: „Der symbolische Verbrennungsakt von Schmutz- und Schundliteratur wird am Mittwoch, dem 21. Juni, bei der Sonnenwendfeier des Kampfbundes für Deutsche Kultur auf dem Universitätsstadion nachgeholt werden.“ Und überhaupt: „Die große Masse der Bücher wurde schon auf dem Exerzierplatz verbrannt.“8 Auf dieser – ebenfalls verregneten – Sonnenwendfeier im Freiburger Universitätsstadion hat Heidegger, wie wir bereits gesehen haben, gerufen: „Flamme künde uns, leuchte uns, zeige uns den Weg, von dem es kein Zurück mehr gibt!“ Wenn jemand wusste, welche Macht Wörter haben, wenn jemand wusste, wie Sprache einzusetzen sei, dann ein Magier der Sprache wie Martin Heidegger. An anderer Stelle hat er einmal ausgeführt: „Das Denken, gehorsam dem Seyn, sucht diesem das Wort.“ Und noch präziser: „Das Denken des Seyns ist die Sorge für den Sprach-gebrauch.“9 Er dürfte sich der Wirkung seiner Worte also durchaus bewusst gewesen sein, als er rief: ... zeige uns den Weg, von dem es kein Zurück mehr gibt.10

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Bann Südbaden: „Die Bücherverbrennung der Hitler-Jugend“, in: Der Alemanne. Kampfblatt der Nationalsozialisten Oberbadens, 20. Juni 1933, S. 12, zitiert nach: Guido Schneeberger (Hg.): Nachlese zu Heidegger, Bern 1962, S. 66 Martin Heidegger: Aus der Erfahrung des Denkens. 1910-1976, Gesamtausgabe, I. Abteilung, Band 13, hrsg. von Hermann Heidegger, Frankfurt/M. 1983, S. 33 (Schreibweise „Sprach-gebrauch“ im Original). Heinrich Heine hatte 112 Jahre zuvor in seinem Drama Almansor die berühmten Sätze zu Papier gebracht: „Das war ein Vorspiel nur. Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“

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Der Philosoph als Führer Die jahrelange konsequente Abwertung von Rationalität und Logik im Namen einer romantisch aufgeladenen Seinsphilosophie, die das Leben aus anderen, vermeintlich ursprünglicheren Zuflüssen begreifbar machen wollte, schien ihr tragisches Ziel erreicht zu haben. Stolz verkündete Heidegger auf einer Wissenschaftstagung: „Wir haben uns losgesagt von der Vergötzung eines boden- und machtlosen Denkens. Wir sehen das Ende der ihm dienstbaren Philosophie.“11 Welches Denken als ‚boden- und machtlos‘ zu verstehen war, lag auf der Hand. Es handelte sich um kaum verhohlenen Antisemitismus, den Heidegger hier wie an zahlreichen anderen Stellen kultivierte. Er nutzte das Zerrbild des jüdischen Geistes, der unfähig sein sollte, echte Wurzeln zu schlagen, der bodenlos, also ohne echte Ortsbindung, über den Erdball zog und mit kühl kalkulierender Rationalität die jeweils ursprüngliche Kultur infiltrierte. Diese Form der Philosophie, die sich jüdischer Rationalität dienstbar gemacht hatte, schien hinweggefegt zu werden vom Feuer der nationalsozialistischen Revolution. Damit endlich schien Platz geschaffen zu werden für ein neues Denken, das zum Ursprünglichen zurückführte: „Wir sind dessen gewiss, dass die klare Härte und die werkgerechte Sicherheit des unnachgiebigen einfachen Fragens nach dem Wesen des Seins wiederkehren. Der ursprüngliche Mut, in der Auseinandersetzung mit dem Seienden an diesem entweder zu wachsen oder zu zerbrechen, ist der innerste Beweggrund des Fragens einer völkischen Wissenschaft“, versuchte Heidegger, sein philosophisches Denken mit der nationalsozialistischen Bewegung zu verknüpfen. Und er ergänzte: „Denn der Mut lockt nach vorn, der Mut löst sich vom Bisherigen, der Mut wagt das Ungewohnte und Unberechenbare.“12 Sich

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Martin Heidegger: „Bekenntnis zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“, zitiert nach: Guido Schneeberger (Hg.): Nachlese zu Heidegger. Dokumente zu seinem Leben und Denken, Bern 1962, S. 149. Ebd.

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selbst sah er dabei in der Rolle des Philosophenkönigs, oder zeitkontextuell präziser formuliert: des Philosophen als Führer. Eine kurze Zeit lang schienen nationalsozialistische Medien ihm diese Rolle tatsächlich zuzugestehen: „Wie unser Führer, so ist auch der Philosoph Martin Heidegger durch Willenskraft und Geistesstärke aus den engen Verhältnissen eines unbedeutenden Landstädtchens zu der überragenden Position innerhalb der wissenschaftlichen Welt emporgewachsen, und wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir gerade in diesem Ursprung, in der nie verleugneten Verbundenheit mit der bäuerlichen Heimat jene Kraft ableiten, die in Martin Heidegger die moderne Philosophie über den toten Punkt hinweg zu neuen, fruchtbaren Problemen zu führen vermochte“, jubelte beispielsweise die Zeitung Der Alemanne. Kampfblatt der Nationalsozialisten Oberbadens.13 Anlass für diese hymnisch formulierte Anerkennung, die das Höchste zum Ausdruck brachte, was NS-Organe damals zu Papier bringen konnten: den Vergleich, ja fast schon die Gleichsetzung mit dem Führer, war der öffentlich vollzogene Eintritt in die NSDAP am 1. Mai 1933. Heidegger trat am „Tag der nationalen Arbeit“ in die Partei ein, die diesen neu geschaffenen Feiertag nutzte, um propagandistisch wirksam eine neue Form der „Volksgemeinschaft“ zu inszenieren. Überall im Reich wurden die großen Plätze geschmückt, uniformierte Massen marschierten in Festzügen durch die Straßen, der Führer hielt in Berlin eine Rede, die über die Volksempfänger bis in die entlegensten Winkel des Reiches übertragen wurde. Es war die feierliche Vorderseite einer Medaille, die auf ihrer Kehrseite die brutale Zerschlagung der Gewerkschaften und Arbeiterparteien zu verdecken versuchte. Fackelzüge, Singspiele und die Errichtung von Konzentrationslagern fügten sich im neuen „Reich“ ganz einträchtig zu einem neuen Ganzen.

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H.E.: „Der Philosoph Heidegger in die NSDAP eingetreten“, in: Der Alemanne. Kampfblatt der Nationalsozialisten Oberbadens, 3. Mai 1933, S. 2, zitiert nach: Guido Schneeberger (Hg.): Nachlese zu Heidegger. Dokumente zu seinem Leben und Denken, Bern 1962, S. 23f.

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In vielen Städten wurden an diesem Tag, feierlich Bäume gepflanzt, die sogenannten „Hitler-Eichen“. Das Neue sollte Wurzeln schlagen im Alten. Heidegger zeigte seine Verwurzelung in der neuen Bewegung durch seinen Parteieintritt. Und er vollzog diesen nicht nur als Privatmann, sondern als neugewählter Rektor der Universität Freiburg. „Wir Freiburger sind stolz darauf, dass dieser überragende Denker an unserer Hohen Schule wirkt, und dass er sich, indem er einen ehrenvollen Ruf abwies, bereit erklärt hat, dauernd mit unserer schönen Heimat, die auch die seine ist, verbunden zu bleiben“, erklärte die NS-Presse. Doch die Wurzeln in der Heimat waren das eine, die Wurzeln in der NSBewegung das viel wesentlichere: „Eine unendlich höhere Genugtuung empfinden wir jedoch als Nationalsozialisten in dem Bewusstsein, dass dieser große Mann in unseren Reihen, in den Reihen Adolf Hitlers steht.“14 Dass er das tat, dass er fest in den Reihen des Führers stand, dies wollte er möglichst deutlich unter Beweis stellen. Sein Arbeitsbereich war die Universität, hier wollte er wirken, sie wollte er umbauen. Es galt, die Hochschule exemplarisch im Geist der nationalsozialistischen Idee als „Führer-Universität“ neu zu schaffen. Als Kaderstätte, in der starke Volksgenossen geformt werden, die anschließend ihre Rolle als Führungsnachwuchs im neuen Deutschland einnehmen konnten. Und er wollte dies exemplarisch tun, so dass das Freiburger Beispiel im ganzen Reich seine Wirkung entfalten konnte. Das Rektorat Viel wurde in den vergangenen Jahrzehnten geschrieben über Heideggers Rektorat. Manchmal wurde dabei angedeutet, dass sich sein Engagement für den Nationalsozialismus im Wesentlichen in dieser gerade mal ein Jahr währenden Leitungsfunktion erschöpft habe. Jüngere Forschungen zeigen jedoch, dass seine

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Ebd.

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Begeisterung für die NS-Ideologie deutlich vor 1933 belegt werden kann und dass sie bis zum Ende des „Dritten Reichs“ klar erkennbar ist. Spätestens seit der Veröffentlichung der sogenannten Schwarzen Hefte sind die Zweifel daran deutlich geringer geworden. Am 21. April 1933 wurde Martin Heidegger zum Rektor der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau gewählt. Nur sechs Tage, nachdem sein Vorgänger das Amt des Rektors angetreten hatte, gab es somit einen neuen „Führer“ der Hochschule, der besser in die neue Zeit zu passen schien. Denn Wilhelm von Möllendorff, ein Professor für Anatomie, war noch vor der sogenannten „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten gewählt worden. Er war kein Nationalsozialist gewesen und gab sich auch keine erkennbare Mühe als ein solcher zu erscheinen. Direkt, nachdem er sein Amt am 15. April 1933 angetreten hatte, wurde er scharf von den neuen Machthabern und deren Presseorganen angegangen. Dass er die von der nationalsozialistischen Regierung geforderte Zwangsbeurlaubung aller jüdischen Universitätsmitarbeitenden zu verzögern versuchte, erhöhte den Druck auf ihn noch zusätzlich. Entnervt gab er am 20. April auf – unfreiwillig symbolträchtig am Geburtstag des Führers – und trat mit sofortiger Wirkung vom Amt des Rektors zurück. Zwei Jahre später verließ er die Universität Freiburg und wechselte an eine Schweizer Hochschule. Schon am nächsten Tag wurde Heidegger zum neuen Rektor gewählt. „Diese Wahl erfolgte im Zuge der allgemeinen Gleichschaltung. Sie soll eine möglichst vertrauensvolle und enge Zusammenarbeit aller leitenden Stellen gewährleisten“, ließ die Studentenschaft der Universität Freiburg öffentlich verlautbaren15 und fügte damit die Wahl Heideggers in den größeren Kontext der Gleichschaltung ein, die alle Bereiche des öffentlichen Lebens erfassen sollte. Heidegger begann auch sogleich mit der 15

Studentenschaft der Universität Freiburg i. Breisgau: „Zur Wahl des neuen Rektors“, in: Der Alemanne. Kampfblatt der Nationalsozialisten Oberbadens, 24. April 1933, S. 5, zitiert nach: Guido Schneeberger (Hg.): Nachlese zu Heidegger, Bern 1962, S. 16.

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Arbeit, um das Vakuum auszufüllen, das durch den Rücktritt Wilhelm von Möllendorffs entstanden war. Feierlich wurde ihm das Amt erst einen Monat später übertragen, am 27. Mai 1933 in der festlich geschmückten Aula der Universität. Mit Horst-Wessel-Lied, Richard Wagners Huldigungsmarsch und den drei Strophen des Deutschlandlieds – sowie einer langen Liste vielfach braun gefärbter Ehrengäste. „Zum ersten Male konnten sich die Sturmfahnen Adolf Hitlers frei entfalten, und das braune Ehrenkleid gab dem äußern Bild ein neues Gepräge“, schwärmte die NS-Presse.16 Seine Antrittsrede stellte Heidegger unter die Überschrift: Die Selbstbehauptung der deutschen Universität. Obwohl diese Rede nach Kriegsende in der Geschichtswissenschaft kontrovers diskutiert wurde, kann man festhalten, dass sie zwar klar positionierend war, aber nicht so kämpferisch direkt wie andere Vorträge, die er in den kommenden Monaten halten sollte. Heidegger sprach zwar bereits von der „Kampfgemeinschaft der Lehrer und Schüler“, er deutete unverhohlen die Übernahme des Führerprinzips in die Universitätsstruktur an, er sprach von den drei Diensten „Arbeits-, Wehr- und Wissensdienst“, die in der deutschen Universität zu „einer prägenden Kraft sich zusammenfinden“ sollten und er schloss mit dem Platon-Zitat „Alles Große steht im Sturm“.17 Aber er ließ – bewusst oder unbewusst – ausreichend Unschärfen, um späteren Verteidigern Argumente an die Hand zu geben, dass es ihm in diesen Zeiten der Gleichschaltung doch gerade um die „Selbstbehauptung“ der Universität gegangen sei, auch wenn diese Argumentation manche Mühe erforderte. Sein Biograf Rüdiger Safranski lenkte den Blick stattdessen auf die Handlungsebene der Amtsführung des neuen Rektors: „Heidegger hatte nach der Rektoratswahl das Führerprinzip in 16

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Dr. B.: „Feierliche Rektoratsübergabe“, in: Der Alemanne. Kampfblatt der Nationalsozialisten Oberbadens, 28. Mai 1933, S. 11, zitiert nach: Guido Schneeberger (Hg.): Nachlese zu Heidegger, Bern 1962, S. 50. Martin Heidegger: Die Selbstbehauptung der deutschen Universität, Breslau 1933, insbesondere S. 21f.

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Freiburg de facto bereits eingeführt, noch ehe es durch die badische Hochschulreform offiziell etabliert wurde. Er berief über mehrere Monate den akademischen Senat nicht ein und entmachtete ihn dadurch.“ Und Safranski ergänzt: „Seine Mitteilungen und Rundschreiben an die Kollegialorgane und Fakultäten waren in gellendem und befehlendem Ton abgefasst.“18 Noch bevor er offiziell zum „Führer-Rektor“ ernannt werden sollte, gebärdete er sich offenkundig schon als solcher. Auch in anderen Bereichen war er wenig zimperlich: Die Zwangsbeurlaubung der jüdischen Universitätsmitarbeiter, die Wilhelm von Möllendorff zu verzögern versuchte, setzte Heidegger wenige Tage nach seiner Wahl um – als nur kommissarisch im Amt befindlicher Rektor. Bald darauf ließ er eine Ehrengerichtsordnung für die Lehrenden seiner Universität erarbeiten, in der unter anderem zu lesen war: „Wir wollen unsere Körperschaft von minderwertigen Elementen reinigen und künftigen Entartungskampagnen vorbeugen.“19 Den Kontakt zu jüdischen Schülern und Kollegen brach er ab. Auch mit seinem ehemaligen Lehrer und Mentor Edmund Husserl mied er künftig jedes Zusammentreffen. Selbst als Husserl, dem er wenige Jahre zuvor noch sein Hauptwerk Sein und Zeit gewidmet hatte, im Frühjahr 1933 die Lehrerlaubnis entzogen bekam, reagierte Heidegger nicht. Als Husserl 1938 starb, erschien Heidegger nicht auf seiner Beerdigung auf dem Friedhof im Freiburger Stadtteil Günterstal. Heidegger wusste, wo sein Platz war. „Er fühlte sich der Bewegung zugehörig, auch wenn in seiner Heimatgegend die ersten KZs eingerichtet, wenn jüdische Studenten brutal angegriffen und die ersten Proskriptionslisten in der Stadt verteilt werden“, schreibt Rüdiger Safranski.20 Unter Bezugnahme auf Victor Farias, der sich bereits vor zwei Jahrzehnten sehr kritisch mit Heideggers Verhalten im „Dritten Reich“ auseinandergesetzt hatte, schildert Safranski, wie sich Heidegger ganz konkret schützend 18

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Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 286. Zitiert nach: Ebd. Ebd., S. 291.

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vor einen gewalttätigen Mob aus Nazi-Studenten stellte: „Als nationalsozialistische Studenten im Sommer 1933 das Haus einer jüdischen Studentenverbindung stürmten und so gewalttätig dabei vorgingen, dass die Staatsanwaltschaft nicht umhinkonnte, Ermittlungen anzustellen, und sich mit der Bitte um Informationen an den Rektor Heidegger wandte, da lehnte dieser jede weitere Nachforschung ab mit dem Hinweis, dass an dem Überfall nicht nur Studenten beteiligt gewesen seien.“21 Die nationalsozialistisch organisierte Studentenschaft wusste, was sie an ihrem neuen Rektor hatte und zeigte ihre Wertschätzung entsprechend deutlich. Im Juli 1933 „zogen 650 Studenten durch die Kaiserstraße und brachten dann ihrem Rektor einen Fackelzug vor der Universität“, so das NS-Kampfblatt Der Alemanne. Die jugendlichen Braunhemden wollten „das unbegrenzte Vertrauen der Studentenschaft zu ihrem Rektor, Herrn Professor Heidegger, zum Ausdruck bringen“. Denn: „Durch seine Führung und seine Tatkraft gilt die neue Studentenschaft in Freiburg schon heute als mustergültig.“22 Und dieses Vertrauen sollte die ganze Stadt sehen, mehr noch: das ganze Land. Das Feuer der Fackeln loderte und die Studenten erklärten: „In unserem Rektor haben wir einen Führer gefunden, der uns – des sind wir sicher – den Weg zur neuen Hochschule führen wird.“ Es waren revolutionäre Zeiten, die alte als spießig empfundene akademische Kultur musste weichen, um Platz zu schaffen für eine neue militante Geisteshaltung. Heidegger mit seinem antibürgerlichen Gestus schien dafür der richtige Verbündete zu sein: „Durch sein großes Verständnis und seine revolutionäre geistige Haltung ist es schon heute möglich, dass jeden Mittwoch nachmittag (sic!) rund 2000 Studenten zum Geländesport ausziehen, und dass in wohl über 100 Arbeitsgemeinschaften der Fachschaften die geistige Arbeit der großen Umwälzung geleistet wird“,

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Ebd., S. 290. H. B.: „Die neue deutsche Studentenschaft“, in: Der Alemanne. Kampfblatt der Nationalsozialisten Oberbadens, 18. Juli 1933, S. 11, zitiert nach: Guido Schneeberger (Hg.): Nachlese zu Heidegger, Bern 1962, S. 89.

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erklärte die Studentenschaft. „Die nationalsozialistische Revolution an den deutschen Hochschulen marschiert.“23 Und Heidegger, der Philosoph als Führer, ging ihr voran. Die Wirkungen seines energischen Durchgreifens wurden wahrgenommen. Die Universität, dieser historisch gewachsene, schwerfällige und durch unterschiedliche Wissenskulturen nicht leicht steuerbare Organismus, zusammengefügt aus den zahlreichen kleinen „Fürstentümern“ teilweise durchaus exzentrischer Ordinarien-Professoren, zersplittert in die kleinen „Königreiche“ der Fakultäten, mit eigenwilligen Dekanen an ihrer Spitze, veränderte tatsächlich ihr Antlitz: „In wenigen Wochen erhielten die Universitäten ein ganz neues Gesicht. Viel Staub wurde hinausgefegt, und alles unter das Motto gestellt: Arbeitsdienst, Wehrdienst, Wissensdienst“, war keine drei Monate nach Heideggers Wahl in der Freiburger Studentenzeitung zu lesen. Und weiter: „Als ein Beispiel dieser neuen Aufbauarbeit kann die Universität Freiburg i. Br. gelten, wo durch die vertrauensvolle Zusammenarbeit des Rektors und der Studentenschaft mit voller Unterstützung der badischen Regierung das neue Programm mit großer Energie in Angriff genommen wurde.“24 Auch wenn Heidegger und einige seiner Anhänger später versuchten, seine Leistungen in diesen Monaten der Gleichschaltung kleinzureden, bestätigten spätere Historiker: „[S]ein Mitwirken bei der Reform der Studentenschaft und an der Führerverfassung der deutschen Hochschule bahnte entscheidend den Weg zur Ende 1933/Anfang 1934 vollzogenen Hochschulreform im nationalsozialistischen Sinne.“25 Das Führerprinzip hielt Einzug in die Hochschule und Anfang Oktober 1933 bekam Heidegger die entsprechende Anerkennung: Er wurde offiziell zum „FührerRektor“ der Universität ernannt. 23 24

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Ebd., S. 90. A. v. Sch.: „Das neue Gesicht der deutschen Universität“, in: Freiburger Studentenzeitung, 15. Juli 1933, S. 2, zitiert nach: Guido Schneeberger (Hg.): Nachlese zu Heidegger, Bern 1962, S. 85. Bernd Martin: „Heidegger und die Reform der deutschen Universität 1933“, in: Freiburger Universitätsblätter: Martin Heidegger. Ein Philosoph und die Politik, Freiburg 1986, S. 69.

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Der Sturmwind pfiff. Altes, dürres Geäst wurde hinweggefegt. Heidegger kannte das. Oft war er bei Wetterstürzen in seiner Todtnauberger Hütte gesessen, kaum durch die schindelgedeckten Wände vor den elementaren Kräften der Naturgewalt geschützt. Sitzend, denkend, dem Sturmwind lauschend. Ein solches Erlebnis war unten, in den großen, eingehegten Bürgerhäusern der Stadt nicht möglich. Deshalb fehlte auch den Philistern und Spießern dieser Erlebnishorizont. Er dagegen wusste, was es bedeutete, sich im Sturmwind zu befinden. „Alles Große steht im Sturm“, mit diesem Platon-Wort hatte er seine Antrittsrede als Rektor der Universität Freiburg beendet. Ob die versammelten Honoratioren das verstanden hatten? Es spielte keine Rolle, denn auf sie kam es nicht an. Nicht mehr. Es waren revolutionäre Zeiten. Nicht nur in einem profanen politischen Sinn. Für Heidegger ging die Revolution viel tiefer. Sie erfasste den paradigmatischen Rahmen unserer gesamten Existenz, die Grundlagen unseres Seins. Und eine solche Revolution wurde nicht von den Alten getragen, sie wurde von der Jugend befeuert. Die Jungen, die Starken, die Studenten waren es, auf die es ankam. Sie waren die Träger der Revolution, deshalb wendete er sich direkt an sie. Deutsche Studenten, hatte er seinen Aufruf überschrieben: „Die nationalsozialistische Revolution bringt die völlige Umwälzung unseres deutschen Daseins.“ Das Dasein, er dürfte nicht zufällig gleich im ersten Satz einen seiner philosophischen Schlüsselbegriffe verwendet haben, befand sich in einer Umwälzung – und es kam darauf an, diese Umwälzung zu gestalten: „An Euch ist es, in diesem Geschehen

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die immer Drängenden und Bereiten, die immer Zähen und Wachsenden zu bleiben“, forderte Heidegger deshalb die deutschen Studenten auf. „Seid hart und echt in Euerem Fordern. Bleibt klar und sicher in der Ablehnung.“ Werdet keine Philister, keine verweichlichten Bildungsbürger, meinte Heidegger damit. In seinen Worten: „Verkehrt das errungene Wissen nicht zum eitlen Selbstbesitz. Verwahrt es als den notwendigen Urbesitz des führerischen Menschen in den völkischen Berufen des Staates.“1 Das sollten sie werden, die neuen „führerischen Menschen“, die den neuen völkischen Staat aufbauen sollten. Vom „führerischen“ zum Herrenmenschen war es sprachlich kein weiter Weg, Heidegger dürfte sich dessen bewusst gewesen sein. Am Ende kulminierte sein Aufruf in den Zusammenfluss seines philosophischen Hauptbegriffs mit dem umfassenden Bekenntnis zu Adolf Hitler: „Nicht Lehrsätze und ‚Ideen‘ seien die Regeln Eures Seins. Der Führer selbst und allein ist die heutige und künftige deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz.“2 Mehr Treuebekenntnis war nicht möglich: Das Sein ging auf im Führer, heute und in künftiger Zeit. Für alle, die begriffsstutzig waren, hatte Heidegger die Indikativkonjugation ist extra gesperrt gesetzt. Der Führer ist im Sinne des Seins die heutige und die künftige deutsche Wirklichkeit. Dass Heidegger dabei die Ideen in Anführungszeichen gesetzt hatte, kann als kleine Despektierlichkeit gegenüber seinen philosophischen Fachkollegen verstanden werden, die in der universitären Welt für den ideellen Kosmos verantwortlich waren. Sich selbst nahm er dabei selbstredend aus, schließlich hatte er die tiefere Wahrheit der neuen Zeit erkannt. Gleiches forderte er von den Studierenden: „Lernet immer tiefer zu wissen: Von nun an fordert jedwedes Ding Entscheidung und alles Tun Verantwortung. Heil Hitler!“3

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Martin Heidegger: „Deutsche Studenten“, in: Freiburger Studentenzeitung, 3. November 1933, S. 1, zitiert nach: Guido Schneeberger (Hg.): Nachlese zu Heidegger, Bern 1962, S. 135. Ebd., S. 135f. Ebd., S. 136.

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Ruhm und Revolution Heidegger entwickelte sich zum Starphilosophen der neuen Zeit, weit über die Grenzen des deutschen Südwestens hinaus. Er war, in heutigen Worten gesprochen, ein Publikumsmagnet. Wo er auftrat, füllten sich die Hörsäle. Oft mussten die Vorträge über Lautsprecheranlagen zusätzlich in benachbarte Hörsäle übertragen werden, um allen Interessierten zumindest eine akustische Teilnahme zu ermöglichen. Sein Wort hatte Gewicht – und doch überraschte es etwas, als er im September 1933 erneut einen Ruf in die Reichshauptstadt Berlin erhielt, wenige Jahre nachdem er einen solchen abgelehnt hatte. „Dem Rektor der Universität Freiburg, Prof. Dr. Heidegger, wurde vom preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung der Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Berlin angeboten“, schrieb das NS-Kampfblatt Der Alemanne und ergänzte: „Mit dieser Berufung wird ein besonderer politischer Auftrag verbunden sein.“4 Das schien die Chance zu sein, auf die er gewartet hatte. Er konnte nicht mehr nur Führer-Rektor in Freiburg, sondern Führer-Philosoph im gesamten Reich werden. Die südbadischen Nazis zeigten sich betroffen: „Die Übernahme des Lehrstuhls hat Prof. Heidegger vor einigen Jahren abgelehnt. Wenn er dem neuen Rufe folgen würde, entstünde nicht nur ein unersetzbarer Verlust für die Universität Freiburg, sondern auch für den südwestdeutschen Kulturkreis.“5 Würde der große Vordenker seine geliebte Schwarzwaldheimat verlassen? Die Frage wurde dringlicher als ihn nur einen Monat später ein zweiter Ruf einer renommierten, großen Hochschule ereilte. Auch die Münchner Universität wollte den Seinsphilosophen verpflichten. „Der gegenwärtige Rektor der Universität Freiburg i. Br. und Ordinarius für Philosophie, Prof. Dr. M. Heidegger, der 4

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O.V.: „Berufung Professor Heideggers nach Berlin“, in: Der Alemanne. Kampfblatt der Nationalsozialisten Oberbadens, 5. September 1933, S. 11, zitiert nach: Guido Schneeberger (Hg.): Nachlese zu Heidegger, Bern 1962, S. 123. Ebd.

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jüngst als Nachfolger Troeltschs auf den Lehrstuhl für Philosophie an die Universität Berlin berufen worden ist, ist nun gleichzeitig als Nachfolger von Prof. Hoenigswald auf den Lehrstuhl für Philosophie an die Universität München berufen worden“, war in der Frankfurter Zeitung6 zu lesen. Die inoffizielle Hauptstadt der nationalsozialistischen Bewegung und die offizielle Hauptstadt des „Dritten Reichs“ buhlten also zeitgleich um Heidegger. „Nichts könnte gegenwärtig eindringlicher zeigen, welche Bedeutung Prof. Heideggers geistige Führung für die Aufrichtung der neuen deutschen Hochschulerziehung hat“, schrieb die badische NS-Presse.7 Man konnte ihr an dieser Stelle kaum widersprechen. Heideggers Ruhm schien sich zu mehren. Er selbst hielt sich zunächst bedeckt und erklärte nur: „Er werde seine Entscheidung davon abhängig machen, wo und wie er dem Werk Adolf Hitlers am besten dienen könne.“8 Warum er am Ende beide Angebote ausschlug und sich abermals dafür entschied, in Freiburg und damit in nächster Nähe zu seiner Hütte in Todtnauberg zu bleiben, war nicht ganz klar. Offiziell begründete er seine Entscheidung damit, das begonnene Reformwerk – den Umbau der Universität Freiburg in eine straff organisierte Führer-Hochschule – zu Ende bringen zu können. Im NS-Zentralorgan Völkischer Beobachter war Ende Oktober 1933 zu lesen: „Der Freiburger Philosoph Prof. Dr. Heidegger hat sich entschlossen, den an ihn ergangenen ehrenvollen Ruf an die Berliner und Münchner Universität abzulehnen.“ Die Autoren schienen dies ein Stück weit als Affront aufzufassen, zumindest schickten sie eine Erklärung hinterher, die sich ein wenig wie eine Entschuldigung las: „Wie wir von unterrichteter Seite hierzu erfahren, besteht der Grund hierfür lediglich in der Absicht des

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O.V.: „Berufungen“, in: Frankfurter Zeitung, 7. Oktober 1933, S. 3, zitiert nach: Guido Schneeberger (Hg.): Nachlese zu Heidegger, Bern 1962, S. 133. O.V.: „Professor Heidegger auch nach München berufen“, in: Der Alemanne, 5. Oktober 1933, S. 11, zitiert nach: Guido Schneeberger (Hg.): Nachlese zu Heidegger, Bern 1962, S. 132. Zitiert nach: Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 301.

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Philosophen, an der Freiburger Universität verbleiben zu können.“9 Das klang fast so, als ob expressis verbis ausgeschlossen werden musste, dass möglicherweise andere Gründe vorgelegen haben könnten. Wie dem auch sei, die badischen Nazis zumindest jubelten: „Das Verbleiben des Prof. Dr. Heidegger in Freiburg bedeutet nicht nur für die Universität Freiburg, sondern auch für das gesamte badische Land einen großen Gewinn.“10 Dass dies nicht alle Professoren so sahen, die unter Heideggers herrischer Amtsführung zu leiden hatten, war damals nur unter vorgehaltener Hand zu vernehmen. Heidegger hielt sich für einen Revolutionär und inszenierte sich auch so. „In Deutschland ist Revolution, und wir müssen uns fragen: ist Revolution auch in der Universität?“, rief er in die Aula der Universität Heidelberg, wo die Zuhörerinnen und Zuhörer eng zusammengedrängt saßen. Nach einer kurzen Kunstpause gab er sogleich die Antwort: „Nein.“11 Heidegger hielt im Sommer 1933 an der befreundeten Hochschule einen Vortrag über „Die Universität im neuen Reich“. Und auch in Heidelberg war der Andrang so groß, dass neben der Aula auch das Auditorium Maximum geöffnet werden musste, um allen Interessierten die Möglichkeit bieten zu können, den berühmten Philosophen zumindest zu hören. Ein Lautsprecher übertrug den Vortrag in den zweiten Hörsaal. Es bestünde die Möglichkeit, so Heidegger, „dass die Universität den Tod durch Vergessen erleidet und den letzten Rest an Erziehungskraft einbüßt“. Denn: „Bisher ist an den Universitäten geforscht und gelehrt worden wie seit Jahrzehnten. Aus der Forschung sollte Lehre hervorgehen, und zwi-

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O.V.: „Prof. Dr. Heidegger hat abgelehnt“, in: Völkischer Beobachter, 31. Oktober 1933, S. 7, zitiert nach: Guido Schneeberger (Hg.): Nachlese zu Heidegger, Bern 1962, S. 135. O.V.: „Professor Heidegger bleibt in Freiburg“, in: Der Alemanne. Kampfblatt der Nationalsozialisten Oberbadens, 27. Oktober 1933, S. 11, zitiert nach: Guido Schneeberger (Hg.): Nachlese zu Heidegger, Bern 1962, S. 133. O.V.: „Die Universität im neuen Reich. Ein Vortrag von Prof. Martin Heidegger“, in: Heidelberger Neueste Nachrichten, 1. Juli 1933, S. 4, zitiert nach: Guido Schneeberger (Hg.): Nachlese zu Heidegger, Bern 1962, S. 74.

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schen beiden suchte man einen angenehmen Ausgleich zu finden.“ Doch so konnte es nicht weitergehen. „Dagegen ist ein scharfer Kampf zu führen im nationalsozialistischen Geist, der nicht ersticken darf durch humanisierende, christliche Vorstellungen, die seine Unbedingtheit niederhalten.“12 Neben die klassische Lehre in der Universität sollte die Erfahrung des Lagers treten, des Arbeitslagers, des wehrsportlichen Lagers, des Wissenschaftslagers. Das Lager als paradigmatischer Ort, um als Studierender und Lehrender Volksgemeinschaft zu erleben. „Zum wirklichen Ernst des Neuen gehört die Erfahrung der Not, die zugreifende Auseinandersetzung mit wirklichen Zuständen. Nur das Tun ist berechtigt, das in innerem Einsatz für die Zukunft erfolgt.“ Welche Zukunft Heidegger damit meinte, dürfte allen in der Aula und im zugeschalteten Hörsaal klar gewesen sein. Eine andere als die des „Dritten Reichs“ schien Heidegger nicht mehr denken zu können. Und wer sein Tun nicht mit innerem Einsatz an dieser neuen Wirklichkeit auszurichten bereit war, für den sollte es eben keinen Platz mehr geben in der neuen Universität. Dieses neue Tun hatte für Heidegger auch eine praktische Seite, in der geistige Arbeit mit körperlicher Arbeit und Wehrsport zu einem neuen ganzheitlichen Tun verschmolz. Eine mögliche Kritik daran griff er in seinem Vortrag direkt auf: „Schon ertönte der Ruf: ‚Die Wissenschaft ist in Gefahr durch die Zeitverluste für Wehrsport u. a.‘ Aber was heißt hier Zeit verlieren, wenn es gilt, für den Staat zu kämpfen! Von der Arbeit für den Staat kommt keine Gefahr, nur von Gleichgültigkeit und Widerstand. Deshalb soll nur die echte Kraft die Möglichkeit zum rechten Weg haben, aber keine Halbheit.“13 Halbheit und Schwäche sollten keinen Platz mehr haben in der neuen Universität. „Studium muss wieder ein Wagnis werden, kein Schutz für die Feigen. Wer den Kampf nicht besteht, bleibt liegen.“ Die sozialdarwinistische Maxime, eines der Kernelemente der nationalsozialistischen Ideologie, sollte auch in der 12 13

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neuen Führer-Universität prägend werden. Heidegger machte klar: Dieser Kampf „wird gekämpft aus den Kräften des neuen Reichs, das der Volkskanzler Hitler zur Wirklichkeit bringen wird. Ein hartes Geschlecht ohne den Gedanken an Eigenes muss ihn bestreiten, das aus ständiger Prüfung lebt und zu dem Ziel, dem es sich verschrieb.“ In solchen Momenten war ersichtlich, warum Heidegger als Philosoph der Stunde galt. Er schloss seinen Vortrag mit den Worten: „Der Kampf geht um die Gestalt des Lehrers und des Führers an der Universität.“14 Und diesem Kampf wollte er sich stellen. Paradigma des Arbeitslagers Heidegger, der selbst ein einzelgängerischer Denker war, der sich oft tage- und wochenlang auf seine Hütte in Todtnauberg zurückgezogen hatte, um in kontemplativer Arbeit zu versinken, schien wie ergriffen, vom neuen Geist der „Volksgemeinschaft“. Und auch das Ideal der Arbeit, der körperlichen Arbeit, elektrisierte ihn. Er feierte die Härte, die aus praktischer Schaffenskraft erwuchs, und drückte implizit und explizit seine Verachtung für verweichlichte Bildungsbürger aus, die – entwöhnt von körperlicher Arbeit – sich damit auch dem Boden und dem eigenen Volk entfremdet hätten. Ihn selbst konnte man sich indes nur schwerlich mit Pickel und Spaten in einem Arbeitsgraben vorstellen. Aber er imaginierte sich an die Spitze eines solchen Arbeitstrupps, so wie er sich früher mitten hinein in die harte Arbeit der Bergbauern imaginierte, wenn er in seinem Studierzimmer in seiner Todtnauberger Hütte saß und auf die sanften Schwünge des Schwarzwalds blickte. Die Gemeinschaft und die harte, körperliche Arbeit sollten die eigenbrötlerischen Bildungsbürger aus ihren individuellen Studierstuben herausholen. „Im Arbeitslager verwirklicht sich die Stätte einer neuen unmittelbaren Offenbarung der Volksgemeinschaft“, erklärte er programmatisch. „Der junge Deutsche bleibt 14

Ebd.

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künftig beherrscht vom Wissen um die Arbeit, in der sich die Kraft des Volkes sammelt, um darin die Härte seines Daseins zu erfahren, den Schwung seines Wollens zu bewahren und die Vielfältigkeit seines Könnens neu zu schätzen.“ Dasein – Wollen – Können, Heidegger erweiterte und fügte seine philosophische Terminologie in die Erfordernisse der neuen Zeit. Er vergaß deshalb auch das Führen nicht: „Das Arbeitslager ist zugleich ein echtes Schulungslager für das Führertum in allen Ständen und Berufen.“15 Selbstredend fühlte er sich selbst auserkoren, dieses „Schulungslager für das Führertum“ programmatisch zu führen. Unter der Überschrift Arbeitsdienst und Universität veröffentlichte er im Juni 1933 skizzenhaft Gedanken dazu: „Das Arbeitslager wird als eigene Erziehungsstätte zugleich eine neue Quelle jener Kräfte, durch die alle anderen Erziehungsmächte – zumal die Schule – zur Entscheidung – gezwungen und verwandelt werden.“ Die Entscheidung, alles drängte für Heidegger in diesen Tagen zur Entscheidung. Es war ein Schlüsselbegriff, den er in zahlreiche seiner Reden und Aufsätze einflocht, und den Christian Graf von Krockow in den 1950er Jahren ins Zentrum seiner Auseinandersetzung mit Martin Heidegger, Carl Schmitt und Ernst Jünger stellte.16 An dieser Stelle drängte also das Arbeitslager als neuartige Form einer Erziehungsstätte die althergebrachten Formen wie Schule und Hochschule zu einer Entscheidung. Heidegger war klar, wie diese Entscheidung auszusehen habe: „Unsere Hochschule ist in der nächsten Umgebung von Arbeitslagern umlagert, die durch Lehrer dieser Schule mitbetreut werden.“ Das Lager als paradigmatische Idee sollte künftig die Lehrprogrammatik der Universität erweitern. Professoren und Dozenten sollten in Ergänzung ihrer bisherigen Lehrtätigkeit künftig studentische Arbeitstrupps anführen. Dass darin eine eigentümliche Komik 15

16

Martin Heidegger: „Arbeitsdienst und Universität“, in: Freiburger Studentenzeitung, 20. Juni 1933, S. 1, zitiert nach: Guido Schneeberger (Hg.): Nachlese zu Heidegger, Bern 1962, S. 63f. Christian Graf von Krockow: Die Entscheidung. Eine Untersuchung über Carl Schmitt, Ernst Jünger, Martin Heidegger, Stuttgart 1958.

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liegen könnte, wenn ältliche Intellektuelle, die bis dahin ihre Tage vor allem mit geistiger Tätigkeit verbracht hatten, plötzlich in grober Montur einen Arbeitstrupp befehligen sollten, kam Heidegger nicht in den Sinn. Zu berauscht schien er von der neuen Idee: „Im Arbeitslager steht eine neue Wirklichkeit da. Sie wirkt als Sinnbild dafür, dass unsere hohe Schule der neuen Erziehungsmacht des Arbeitsdienstes sich öffnet.“17 Lehren und Lernen werden für Heidegger zu Elementen eines Kampfs und die Bildungsstätte zu einer neuen Erziehungsmacht. Das Wissenschaftslager Kampf und Macht – und Auslese. An anderer Stelle differenzierte Heidegger die Studentenschaft in die „Lahmen, Bequemen und Halben“ auf der einen Seite, die nur „in den Arbeitsdienst ‚gehen‘, weil ein Fernbleiben die Examens- und Anstellungsaussichten vielleicht gefährdet“, und die „Starken und Ungebrochenen“ auf der anderen Seite, „die aus dem erregenden Geheimnis einer neuen Zukunft unseres Volkes ihr Dasein durchsetzen“. Letztere, so Heidegger, wären „stolz darauf, dass ihnen Hartes abverlangt wird; denn das ist der Augenblick, in dem sie sich zu den härtesten Aufgaben hinaufsteigern, für die es weder Lohn noch Lob gibt, sondern allein die Beglückung durch Opferbereitschaft und Dienst im Bereich der innersten Notwendigkeiten deutschen Seins“.18 Härte, Opferbereitschaft, Dienst – und all das aus innerster Notwendigkeit des deutschen Seins. So stellte sich Heidegger den neuen Führungsnachwuchs vor, den es in der durch ihn neu ausgerichteten Universität zu formen galt. „Der neue Weg der Erziehung unserer deutschen Jungmannschaft führt durch den Arbeitsdienst. Solcher Dienst verschafft die Grunderfahrung der Härte, 17 18

Martin Heidegger: „Arbeitsdienst und Universität“, a.a.O. Martin Heidegger: „Der Ruf zum Arbeitsdienst“, in: Freiburger Studentenzeitung, 23. Januar 1934, S. 1, zitiert nach: Guido Schneeberger (Hg.): Nachlese zu Heidegger, Bern 1962, S. 181.

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Boden- und Gerätnähe, der Gesetzlichkeit und Strenge der einfachsten körperlichen und damit wesentlichen Arbeit in der Gruppe“, erklärte Heidegger.19 Die Lageridee faszinierte ihn so sehr, dass er sie auch persönlich in die Tat umsetzen wollte. Nicht als einfaches Arbeitslager, sondern als „Wissenschaftslager“. Und auch nicht irgendwo, sondern an jenem Ort, der für ihn wie kein anderer der Arbeit, dem Denken sowie der Boden- und Gerätnähe, wie er es nannte, gewidmet war: Sein Wissenschaftslager sollte in Todtnauberg stattfinden, in unmittelbarer Nähe zu seiner Hütte, seinem zentralen Inspirationsort und Denkraum. Er würde diesen Ort – seinen Ort – einer ausgewählten Schar von Studierenden und Dozenten öffnen. Gewohnt werden sollte in der nahegelegenen Jugendherberge. „Der Tagesplan: um 6 Uhr Wecken und Zapfenstreich um 22 Uhr.“ Dazwischen ernsthafte Arbeit am gemeinsamen Ziel: Gemeinsam sollte in Todtnauberg die Zersplitterung der Wissenschaften, der „fruchtlose Ideologismus des Christentums“ und die „positivistische Tatsachenkrämerei“ überwunden werden. Die Erfahrungen dieser besonderen Gemeinschaft im Wissenschaftslager sollten „die Grundstimmung und Grundhaltung der gegenwärtigen Revolution erwecken“, so Heidegger.20 Der Trupp nahm frühmorgens am 4. Oktober 1933, einem Mittwoch, vor der Universität in der Freiburger Innenstadt Stellung. Anzutreten war in „SA- und SS-Dienstanzug, eventuell Stahlhelmuniform mit Armbinde“, so Heideggers Vorgabe.21 Von Mitte der Woche bis Mitte der folgenden Woche sollte das Lager dauern. Der Rückmarsch war für Dienstag, den 10. Oktober 1933 angesetzt. Am ersten Tag sollte das Schwarzwalddorf Todtnauberg in einem etwa sechsstündigen Fußmarsch von Freiburg aus erreicht werden. Der gemeinsame Marsch durch die südbadische Landschaft und der damit verbundene Verzicht auf 19 20

21

Ebd., S. 180. Zitiert nach: Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 296. Ebd.

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technische Fortbewegungsmittel sollte die Gruppe körperlich fordern und von Beginn an zusammenschweißen. Letzteres war aus Heideggers Sicht insofern nötig, da die Gruppe sich aus nationalsozialistisch gesinnten Studierenden und Dozenten dreier verschiedener Universitäten zusammensetzte: Freiburg, Heidelberg und Kiel. In der Struktur der neuen Führerordnung war auch das Wissenschaftslager organisiert. Heidegger war selbstredend der Führer des Lagers, je ein Teilnehmer aus Freiburg, Heidelberg und Kiel fungierte als Unterführer.22 Es lohnt sich, exemplarisch einige der Teilnehmer, einmal etwas genauer anzuschauen, um den manchmal in der Heidegger-Literatur erweckten Eindruck besser einordnen zu können, beim Todtnauberger Wissenschaftslager habe es sich um eine Art „Ferienlager für Studenten“ gehandelt. Der Heidelberger Teilnehmer Johannes Stein war zu diesem Zeitpunkt Mitglied der SS, außerordentlicher Professor für Medizin und frisch berufener Kanzler der Universität Heidelberg. Im Jahr darauf sollte er Ordinarius und Prorektor seiner Universität werden. Lutz Hachmeister bezeichnete Stein als „überzeugten Rassetheoretiker“ und „Teil der SS-Seilschaft an der Universität Heidelberg“.23 Der Freiburger Rudolf Stadelmann, ein Vertrauter Heideggers, war als habilitierter Historiker bereits vier Jahre Privatdozent an der Universität Freiburg, wurde später Mitglied der SA und Professor an den Universitäten Gießen und Tübingen. Paul Karl Schmitt gehörte als Student aus Kiel zu den jüngeren Teilnehmern, war Mitglied der SA und der NSDAP. Als studentischer Leiter des „Kampfausschusses wider den undeutschen Geist“ hatte er kurz zuvor eine Rede bei der Bücherverbrennung an seiner Universität in Kiel gehalten. Später wurde er SS-Obersturmbannführer, Ministerialdirektor und Pressesprecher des NS-Außenministers Joachim von Ribbentrop. Noch spä-

22

23

Vgl. dazu: Hugo Ott: Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biografie, Frankfurt/M. 1992, S. 218. Lutz Hachmeister: Heideggers Testament. Der Philosoph, der Spiegel und die SS, Berlin 2014, S. 269 und 270.

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ter, nach Kriegsende und Internierung, avancierte er in der Bundesrepublik unter dem Pseudonym Paul Carell zum Bestsellerautor und schrieb für Die Zeit, Die Welt, Der Spiegel und weitere Leitmedien. Alle drei der hier genannten Teilnehmer sollten eine besondere Rolle bei Heideggers Lagerversuch spielen. Zunächst begann das Wissenschaftslager für Heidegger durchaus vielversprechend. Der Marsch durch den Schwarzwald hatte alle in eine arbeitssame Stimmung versetzt. Nach der Ankunft und dem Bezug der Zimmer in der Jugendherberge hatte Heidegger noch am ersten Tag über die künftigen Aufgaben der Wissenschaft und die neue Rolle der Universität im Nationalsozialismus referiert. „Es ergaben sich sogleich fruchtbare Gespräche in den einzelnen Gruppen über Wissen und Wissenschaft, Wissen und Glauben, Glauben und Weltanschauung“, so Heidegger.24 Doch diese konstruktive Atmosphäre sollte nicht von Dauer sein. Schon am nächsten Tag brachen offene Spannungen aus, die sich im Anschluss so sehr steigerten, dass Heidegger sich nicht mehr anders zu helfen wusste, als nach eigener Auskunft 20 Teilnehmer nach Hause zu schicken – Lutz Hachmeister spricht gar von „rund dreißig der studentischen Lagerteilnehmer und dem größten Teil der Dozenten“, die das Todtnauberger Lager verlassen mussten.25 Was war geschehen? Für Heidegger war die Sache klar: Eine Intrige hätte sein Lager zerstört. „Die Heidelberger Gruppe hatte den Auftrag, das Lager zu sprengen,“ schrieb er nach dem Krieg.26 Es sei um Flügelkämpfe innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung gegangen. Die Heidelberger um Johannes Stein wollten ihn kaltstellen. Nicht alle teilten diese pauschale Diagnose. Der Kieler Student Paul Karl Schmidt, der einen Tag nach der Rückkehr aus Todtnauberg einen Bericht verfasst hatte, benannte ganz andere Konflikte. An der Frage des Arbeitsdienstes und der Kameradschaftshäuser soll sich der Streit entbrannt haben. Nach einer 24 25 26

Zitiert nach: Lutz Hachmeister: Heideggers Testament, Berlin 2014, S. 262. Ebd. Zitiert nach: ebd., S. 263.

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„unqualifizierten“ Darstellung eines Freiburger Privatdozenten der Ökonomie habe Heidegger ihn, Schmidt, aufgefordert, Stellung zu beziehen. SA-Mann Schmidt habe daraufhin deutlich gemacht, dass die „Mentalität des SA-Studenten“, wie er selbst einer war, „für den Gott die Welt, die Macht das Recht und der Erfolg das Gewissen“ sei, auch künftig die richtungsweisende Mentalität an den Universitäten zu sein habe. Im Arbeitslager habe „nur der zu lehren und nur der zu erziehen“, der „die Sprache des Lagers spreche und die Arbeit des Tages kenne“.27 Diese Ausführungen seien offenkundig ganz im Sinne Heideggers gewesen. Als Rudolf Stadelmann, Unterführer der Freiburger Teilnehmer und eigentlich ein Vertrauter Heideggers, gegen Paul Karl Schmidts Rede „eine üble Kritik versucht“ habe, so Schmidt, hätte „Heidegger ‚den Wortführer‘, Privatdozent Stadelmann, aus der Lagergemeinschaft ausgeschlossen und die Diskussion beendet“.28 Eine Intrige der Heidelberger Teilnehmer war aus Schmidts Bericht nicht herauszulesen. Ganz im Gegenteil: Hier waren es vor allem die Kieler Studenten und Dozenten, die sich Anfeindungen, vor allem durch die Freiburger Teilnehmer, ausgesetzt fühlten. „Nach persönlicher Rücksprache entschloss sich Prof. Heidegger nach neuen Vorkommnissen, die sich vor allem gegen uns Kieler richteten, das Lager aufzulösen und nur mit echten und aufrechten Nationalsozialisten zu Ende zu führen.“29 Damit war das Lager gescheitert. Was am Ende als tatsächliche Ursache für das Misslingen des Todtnauberger Lagerexperiments angesehen werden muss, lässt sich heute, neun Jahrzehnte später, kaum noch feststellen. Betrachtet man den anschließenden Briefwechsel zwischen Heidegger und dem von ihm nach Hause geschickten Stadelmann, dann erscheint jedoch die Darstellung Paul Karl Schmidts als die wahrscheinlichere. „Das Lager war für jeden eine gefährliche Luft“, schrieb Heidegger direkt nach dem Lagerexperiment an seinen entlassenen Unterführer. „Es wurde für alle, die blieben, 27 28 29

Zitiert nach: ebd., S. 263f. Zitiert nach: ebd., S. 264. Zitiert nach: ebd.

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und für alle, die gingen, gleichermaßen eine Probe. Wir müssen lernen, harte Dinge zusammenzudenken – z. B. dieses: dass ich Ihnen riet, am anderen Morgen zu gehen, wo Sie gerade für diesen Tag eine besondere Aufgabe hatten, und dass ich Ihnen doch mein Vertrauen zusicherte.“30 Heidegger rang um die richtigen Worte. Er schien zu wissen, dass er sich erklären, ja vielleicht sogar entschuldigen müsste. Zugleich wurde deutlich, dass ihm eine schlüssige Erklärung nicht gelingen wollte, von einer Entschuldigung ganz zu schweigen. Also flüchtete er sich in Gemeinplätze: „Ich weiß, das sind Zumutungen. Aber wir dürfen solchen Lagern nicht ausweichen: im Gegenteil, müssten wir sie suchen und schaffen. Langsam hart werden.“31 Und als wollte er den Anlass der Verwerfung noch einmal benennen, zumindest wenn man der Darstellung Paul Karl Schmidts folgt, schrieb er, dass von diesem Lager jeder „das große Bewusstsein mitgenommen [habe], dass die Revolution noch nicht zu Ende ist. Und dass das Ziel der Universitätsrevolution der SA-Student ist.“32 Stadelmann antwortete dem bewunderten Großphilosophen, machte seine Trauer über das Geschehene deutlich, sprach gar von Erschütterung. Zugleich schrieb er aber auch, dass ihm noch nie „so deutlich geworden [sei], wie in Todtnauberg, dass ich ins Lager der Revolution gehöre. Disziplin werde ich halten – aber ich hatte mehr gehofft, ich hatte an die Möglichkeit einer Gefolgschaft geglaubt.“33 Zumindest bei Stadelmann, das wird in diesen Ausführungen deutlich, hatte Heidegger den Rang des Philosophen-Führers fest eingenommen. Stadelmann wollte ihm Gefolgschaft leisten. Umso tiefer hatte ihn deshalb der erteilte Verweis getroffen. Die eigentliche Lektion dieser Todtnauberger Lagertage schien er dennoch verstanden zu haben: Drei Jahre später trat er der SA bei. 30 31 32

33

Zitiert nach: ebd. Zitiert nach: ebd. Zitiert nach: Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 297. Zitiert nach: ebd.

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Auch wenn Heidegger versuchte, das Geschehene umzudeuten – in Briefen raunte er, dass solche Lager „gefährlich“ seien, dass sie als „Proben“ zu verstehen wären, denen man sich zu stellen hätte – muss man klar festhalten: Das Todtnauberger Lagerexperiment war kläglich gescheitert. Heidegger war offenkundig nicht in der Lage gewesen, die gruppendynamischen Prozesse zu steuern, die sich dort oben im Schwarzwald entwickelten. Aus heutiger Sicht kann dieses Scheitern als Vorbote gelesen werden für das Scheitern seines gesamten Rektorats, das wenige Monate später folgte. Der Historiker Bernd Martin schreibt dazu: „Nunmehr zum Führer der Albert-Ludwigs-Universität avanciert mit Kompetenzen, die in der Geschichte der Freiburger Hochschule einmalig waren, zeigte sich der Philosoph ungeeignet zum Führen. In den politischen Säuberungen, Querelen mit der nationalsozialistischen Studentenschaft und Auseinandersetzungen mit den Kollegen wie mit dem Ministerium wurde der neue FührerRektor zerrieben.“34 Am 23. April 1934 trat Martin Heidegger als Rektor der Universität Freiburg zurück. Er sollte anschließend nie wieder eine Leitungsfunktion übernehmen. Der Vorkämpfer der Führer-Universität hatte sich für Führungsaufgaben als wenig geeignet erwiesen.

34

Bernd Martin: „Heidegger und die Reform der deutschen Universität 1933“, in: Freiburger Universitätsblätter: Martin Heidegger. Ein Philosoph und die Politik, Freiburg 1986, S. 68f.

8. Der Niedergang

Die Hütte in Todtnauberg war für Heidegger der zentrale Bezugspunkt seines Lebens gewesen. Ohne sie, das haben wir bereits gesehen, hätte seine philosophische Arbeit zweifellos eine andere Prägung erhalten. Mehr noch: Wahrscheinlich wäre sein Werk ohne diese spezifische räumliche Erfahrung, die ihm seine Schwarzwaldhütte bot, in dieser Form gar nicht denkbar gewesen. Die Hütte muss deshalb, so unsere Kernthese, als Heideggers Denkraum verstanden werden – und zwar in einem zweifachen Sinn. Nicht nur als bevorzugter Ort, an den er sich zurückgezogen hat, um in Ruhe seiner philosophischen Arbeit nachzugehen, sondern auch als Raum im Sinne einer Begrenzung, die seinem Denken überhaupt erst einen Rahmen bot. Die Hütte bildete sprichwörtlich den Raum seines Denkens. Was in diesem räumlich und kulturell begrenzten Gefüge nicht sinnvoll verortet werden konnte, fand in seinem Denkkosmos nicht statt. Natürlich spielte dabei auch der Aspekt der Inszenierung eine Rolle. Heidegger inszenierte sich ganz bewusst als „Philosoph von den Schwarzwaldhöhen“, aber es war mehr als eine reine Inszenierung. Es wurde zu seinem tief verankerten Habitus, der in der Hütte ihre signifikante Materialisierung erhielt. Darüber hinaus stand die Hütte im Zentrum der vielleicht wichtigsten Legende in Heideggers Leben. Und diese Legende basierte auf folgendem Narrativ: Die größte Verfehlung seines Lebens begann damit, dass der große Philosoph seine Hütte verließ, dass er also aus seinem rein kontemplativen Arbeiten hinaustrat, um „dort unten“ in die laute und unübersichtliche Welt der gesellschaftlichen und politischen Kämpfe einzutreten. Nach diesem kurzen „politischen Abenteuer“, seinem misslungenen

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Versuch, sich der nationalsozialistischen Bewegung als Vordenker anzudienen und seinem gescheiterten Rektorat an der Universität Freiburg, habe sich Heidegger wieder auf seine Hütte nach Todtnauberg zurückgezogen. Wie Platon, der seine Hybris, sich als philosophischer Berater eines Tyrannen zu verdingen, fast mit seiner Freiheit bezahlen musste, so wäre auch Heidegger am Ende froh gewesen, mit heiler Haut aus dieser Sache herausgekommen zu sein. Der Rückzug auf die Hütte müsste deshalb als symbolische Geste seines Rückzugs aus den Niederungen der Politik gedeutet werden. Nach seiner kurzen Amtszeit als Rektor, so die Legende, hätte sich der Meisterdenker wieder der unpolitischen Sphäre des Geistes zugewandt. Heidegger selbst nährte diese Legende. Zunächst wahrscheinlich, um das offenkundige Versagen vor sich selbst und seiner nächsten Umgebung in eine höhere Sinnhaftigkeit zu transformieren. Nicht er hatte in dieser Deutung versagt, sondern die profane, laute und niederträchtige Welt da draußen wäre seines feinsinnigen Geistes nicht würdig gewesen. Später, nach dem Krieg, half diese Legende, seine Begeisterung für den Nationalsozialismus in dieses frühe erste Jahr der NS-Diktatur einzuhegen. Nicht wenige kluge Köpfe folgten dieser Lesart – zumindest bis zur Veröffentlichung der Heideggerschen Denktagebücher der 1930er und 1940er Jahre, der sogenannten Schwarzen Hefte, die ab 2014 von Peter Trawny herausgegeben wurden. Selbst Willem van Reijen, ein profunder Kenner des Heideggerschen Denkens, hatte – einige Jahre vor der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte – ganz im Sinne dieser Legende geschrieben: „Zunächst muss man sehen, dass Heidegger sich zu einer Zeit mit dem Nationalsozialismus identifiziert hat, von der aus es noch ein langer Weg zur Diskriminierung, Entrechtung, Verfolgung von Juden und ethnischen Minderheiten und schließlich zu Auschwitz war.“1 1

Willem van Reijen: „Martin Heidegger (1889-1976). Revolution der Philosophie und der Politik“, in: Martin Ludwig Hofmann, Tobias F. Korta, Sibylle Niekisch (Hg.): Culture Club II. Klassiker der Kulturtheorie, Frankfurt/M. 2006, S. 72.

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Ein schwieriger Satz. War der Weg zur Diskriminierung und Entrechtung tatsächlich so weit? Aber auch bei Heideggers Biograph Rüdiger Safranski schimmerte das Motiv dieser Legende gut erkennbar durch: „Auf seiner Schwarzwaldhöhe hatte Heidegger sich seinem griechischen Traum nahe gefühlt, von dort war er herabgestiegen ins politische Flachland, dem er etwas abgewinnen konnte, weil es sich im Aufruhr befand – denn Alles Große steht im Sturm!“ Safranski zeichnete hier ein fast schon alttestamentarisches Bild eines Propheten, der von seiner einsamen Höhe herabsteigt in die Niederungen der Politik – ins „politische Flachland“, wie Safranski es formulierte. Nach dem Scheitern seines Rektorats, so Safranski, „bemerkt und gesteht sich [Heidegger] ein, dass die Welt seines Lebens und seines Denkens in der Hütte von Todtnauberg, und eigentlich nur dort, zur Übereinstimmung kommen.“2 Auch bei Safranski steht demnach die Hütte im Zentrum dieser Legende, nur hier, so der Biograph, fügten sich die Sphären des Lebens und des Denkens für Heidegger zu einem Ganzen. „Nur im Hüttendasein wird die ganze Welt der früheren Fragen, dieses Wiederholen des griechischen Anfangs, zur lebendigen Wirklichkeit; nur dort west sie an, wie Heidegger zu sagen pflegt.“3 Die Rückkehr in die Einsamkeit der Hütte besiegelte den kurzen Irrweg, den Heidegger mit seinem „Abstieg“ in die Niederungen der Politik begangen hatte. So will es zumindest die Legende glauben machen. Die Legende vom „irren Sprung“ Es sind friedliche Bilder, die hier gezeichnet werden. Die Hütte sollte Heideggers Schutzraum sein. Sie sollte ihn bergen und zu neuen Kräften kommen lassen in diesen schwindelerregenden Zeiten. Nach den intensiven Zeiterfahrungen der letzten Monate 2

3

Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 312f. Ebd.

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schien er dieses spezifische Raumerlebnis in seinem ureigenen Denkraum zu brauchen. Raum und Zeit waren in einem phänomenologischen Sinn grundsätzlich mit gegensätzlichen Qualitäten ausgestattet. Heideggers Schüler Otto Friedrich Bollnow hatte einige Jahre später in seinem raumphilosophischen Grundlagenwerk Mensch und Raum diese Differenz deutlich herausgearbeitet: „Unabhängig von allem menschlichen Schutz gewinnt jetzt der Raum selber etwas Bergendes. Dadurch unterscheidet sich der Raum wesentlich von der Zeit. Durch die Zeit sind wir der Bedrängnis ausgeliefert, denn die Zeit ist zumeist die ‚reißende Zeit‘ (Hölderlin)“, erklärte Bollnow.4 Als reißende Zeit dürfte Heidegger sein Jahr des Rektorats zweifellos erlebt haben. Zumindest schrieb er damals ganz in diesem Sinne: „Musste der irre Sprung in den lärmenden Alltag und Sog seiner Machenschaften, in seinen gewohnten Unbestand und seine versteckte Gesichtslosigkeit getan werden, damit erst die Notwendigkeit voll begriffen werde: ganz einsam zu werden und dem Werk gewachsen?“5 In diesem einen, lange gewundenen und als rhetorische Frage formulierten Satz fasste Heidegger wie in einem Nukleus das Narrativ seiner Legende zusammen. Es lohnt sich deshalb, diesen Satz in seiner ganzen Bildlichkeit zu betrachten, Metapher für Metapher. Seinen Eintritt in die politische Sphäre deutete Heidegger jetzt als „irren Sprung“, also als höchst unbedachte impulsive Handlung, psychologisch gesprochen als eine Art Übersprungreaktion, die nicht bewusst von ihm gesteuert worden war. Die Übernahme der hochschulpolitischen Verantwortung hätte ihn sodann in einen „lärmenden Alltag“ geführt, der gekennzeichnet war von „versteckter Gesichtslosigkeit“ und einem „Sog von Machenschaften“. Hier klangen Ränke und Intrigen an, die ihm das Leben schwermachten. Die paradoxal anmutende Formulierung der „versteckten Gesichtslosigkeit“ soll wohl andeuten, dass selbst die Scheu, sich offen zu zeigen und damit Verantwortung zu 4 5

Otto Friedrich Bollnow: Mensch und Raum, Stuttgart 2004, S. 301. Zitiert nach Lorenz Jäger: Heidegger. Ein deutsches Leben, Berlin 2021, S. 293.

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übernehmen, hier unten noch „versteckt“ wurde. Erst in dieser herausfordernden Situation, so Heidegger schließlich, hätte er endlich begriffen, wie seine Existenz auszusehen habe: „ganz einsam zu werden“. Als Solitär in seiner Hütte im Schwarzwald sich seinem philosophischen Werk widmen und sich durch diese kontemplative Arbeit ihm „gewachsen“ zu zeigen. Es ist ein wahrlich schönes Bild, das er hier zeichnete. Und zudem eines, das durch zahlreiche Fotografien visuell noch bestärkt wurde, die ihn in trachtähnlichem Anzug vor seiner Hütte posierend oder beim Wandern im Schwarzwald zeigten. Allerdings handelte es sich um eine narrative Konstruktion, die seine tatsächliche gedankliche Verflechtung mit den politischen Entwicklungen der damaligen Zeit – auch über das Rektorat hinaus – kaschieren sollte. Heidegger war von Hitler fasziniert. Als der Heidelberger Philosoph Karl Jaspers in einem vertraulichen Gespräch den frisch an die Macht gekommenen Despoten einmal als ungebildeten Menschen bezeichnete, soll Heidegger ausgerufen haben: „Bildung ist ganz gleichgültig, sehen Sie nur seine wunderbaren Hände an!“6 Dieser von Jaspers überlieferte Ausruf wurde später vielfach zitiert. Manches Mal wurde er dabei jedoch als Beleg für die erstens frühe und zweitens eigentlich unpolitische Dimension der Faszination gedeutet, die Hitler auf Heidegger ausgeübt habe. Schließlich stammte dieser von Jaspers übermittelte Dialog aus dem März 1933 und Heidegger habe wie ein vernarrter Teenager von den Äußerlichkeiten seines Idols geschwärmt, nicht von dessen Ideologie. Doch Heideggers Begeisterung für Hitler beschränkte sich weder auf diese frühen Monate der Diktatur noch auf die filigranen Hände des Diktators. Als Adolf Hitler im Sommer 1934 in einer geplanten Mordaktion SA-Chef Ernst Röhm und 150 bis 200 weitere Menschen ohne rechtliche Grundlagen umbringen und viele weitere Hundert Menschen ohne richterlichen Haftbefehl in Lager sperren ließ, reagierten einige Intellektuelle darauf. Die wahrscheinlich 6

Zitiert nach: ebd., S. 268.

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berühmteste Rechtfertigung dieser Aktion stammte von Carl Schmitt, der mit Heidegger befreundet war. Der Staatsrechtler schrieb damals: „Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Missbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft.“7 Das war, gelinde gesagt, eine abenteuerliche Bewertung, insbesondere für einen Juristen. Schmitt, der für seine Fähigkeit der klaren Argumentation berühmt war, präzisierte seinen Gedankengang: „Der wahre Führer ist immer auch Richter. Aus dem Führertum fließt das Richtertum. Wer beides voneinander trennen oder gar entgegensetzen will, macht den Richter entweder zum Gegenführer oder zum Werkzeug des Gegenführers und sucht den Staat mit Hilfe der Justiz aus den Angeln zu heben.“8 Der Führer herrscht nach dieser Rechtsauffassung absolut. Keine Gerichtsbarkeit ist in der Lage, das Führerhandeln einzuhegen. Damit auch einfachere Geister verstehen konnten, was Schmitt meinte, ergänzte er in unmissverständlichen Worten: „Inhalt und Umfang seines Vorgehens bestimmt der Führer selbst.“9 Kein Richter und kein Staatsanwalt hätten demnach das Recht, die Taten des Führers einer Überprüfung zu unterziehen oder diese gar zu bewerten. Auch Heidegger setzte sich mit dieser vom NS-Regime als „Röhm-Putsch“ bezeichneten Aktion auseinander. Er dachte die von Carl Schmitt geäußerten Gedanken weiter und führte sie aus der juristischen Sphäre hinaus: „Heideggers Verfassungsgedanken im Winter 1934/35 reagierten auf diese neue Lage. Die Frage nach den Gewalten und der Gewaltenteilung müssten ‚als politische – d.h. metapolitische Fragen – (keine juristischen)‘ gestellt werden“, schreibt Lorenz Jäger, der eine der neusten HeideggerBiografien vorgelegt hat.10 Die staatlichen Gewalten – also die 7

8 9 10

Carl Schmitt: „Der Führer schützt das Recht (1934)“, in: ders.: Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles, Berlin 1988 (erstmals erschienen 1940), S. 200. Ebd. Ebd., S. 202. Lorenz Jäger: Heidegger. Ein deutsches Leben, Berlin 2021, S. 301.

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Exekutive, die Legislative und die Judikative – waren damit für Heidegger nicht länger als staatsrechtliche und damit juristische Kategorien zu denken, sondern als „metapolitische“ und in diesem Sinne eben philosophische. In Heideggers Worten las sich das folgendermaßen: „Die führerische Macht ist keineswegs die Anhäufung der Mächte in einer Person – hier nichts von Verwahrung einer Vielheit auf Einheit und Einzigkeit sondern die Macht gründet im Führungsverhältnis als solchem – das freilich nie abstrakt ist – sondern einzig wesend durch den Führer bestimmt.“11 Auch wenn das Ganze in Heideggers Worten komplexer klang als in Carl Schmitts glasklaren Ausführungen, im Ergebnis waren sich die beiden so unterschiedlichen Denker einig: Im Führerstaat herrschte der Führer absolut und damit uneingeschränkt. Die Macht, und zwar die gesamte und ungeteilte Macht, so Heidegger, musste nicht verliehen oder begründet werden, sondern gründete im Führungsverhältnis. Es war ein aktivistisches Politikverständnis, das hier deutlich wurde: Nicht eine rechtlich kodierte Struktur definierte demnach länger den staatlichen Rahmen, sondern das Führungsverhältnis schaffte aus sich selbst heraus diese neue Ordnung im Führerstaat. Mit diesen Ausführungen leistete Heidegger zweierlei: Erstens fundierte er alle politische und staatliche Macht im Führer selbst. Eine über das praktisch durchgesetzte Führungsverhältnis hinausgehende rechtliche oder sonstige Begründung war nicht mehr nötig. Zweitens versuchte er erneut zu zeigen, wie gerade seine seinsphilosophische Terminologie, die eben nicht durch die Gesetze der rationalen Logik eingehegt war, in besonderem Maße geeignet schien, um die neue Wirklichkeit des Führerstaats zu beschreiben. Denn das Führungsverhältnis war nicht nur durch den Führer geprägt, es war einzig wesend durch ihn bestimmt. Die von Heidegger philosophisch begründete Ersetzung bisheriger staatlicher und rechtlicher Strukturen durch eine neue Form 11

Martin Heidegger: Seminare Hegel – Schelling, hrsg. von Peter Trawny, Gesamtausgabe Bd. 86, Frankfurt/M. 2011, S.169, hier zitiert nach: Lorenz Jäger: ebd.

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des Führerhandelns deckt sich übrigens mit den Beschreibungen heutiger Historiker über die organisatorischen Eigenheiten der NS-Diktatur. „Hitlers Regime war mithin dadurch gekennzeichnet, dass der Diktator einerseits festgefügte organisatorische Strukturen und Hierarchien verfallen ließ oder ihre Herausbildung nach Möglichkeit verhinderte, und andererseits Instrumente schuf, die ihm den direkten Zugriff auf einzelne Teile des Machtapparats erleichterten“, schreibt in diesem Sinne beispielsweise Peter Longerich.12 Gerade „die zunehmende Strukturlosigkeit seines Regimes, das vielbeschworene ‚Ämterchaos‘“, so Longerich, habe Hitlers Stellung gestärkt.13 Im Lichte dieser Erkenntnisse der historischen Forschung kann man festhalten, dass Heidegger in seiner Beobachtung und Analyse der neuen politischen Wirklichkeit hellwach gewesen zu sein scheint. Es gibt wenig Anlass, eine andere mentale Verfasstheit für seine Bewertung dieser neuen Zeit anzunehmen. Heidegger führte seine philosophischen Überlegungen über die rechtliche, politische und metapolitische Unangreifbarkeit des Führerhandelns angesichts und in der Folge einer staatlich durchgeführten Mordaktion durch. Vom Amt des Rektors der Universität Freiburg war er bereits zurückgetreten. Seiner Legende zufolge hätte er zu diesem Zeitpunkt also die Sphäre des Politischen verlassen und wäre gedanklich wieder in die unpolitische Einsamkeit seiner Hütte zurückgekehrt. Erstaunen erweckt Heideggers philosophische Rechtfertigung des Führerhandelns auch insofern, da beim sogenannten „RöhmPutsch“ nicht nur SA-Leute ermordet wurden, sondern auch einige prominente Vertreter des Rechtskonservativismus, also jener politischen Strömung, der sich sowohl Heidegger als auch Schmitt einmal zugehörig gefühlt haben. Zu den Ermordeten gehörten beispielsweise der ehemalige Reichskanzler General Kurt von Schleicher, dessen Ehefrau Elisabeth von Schleicher und der ehemalige stellvertretende Reichswehrminister Generalmajor 12 13

Peter Longerich: Hitler, München 2015, S. 539. Ebd.

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Ferdinand von Bredow. Selbst einige aktiv tätige rechtsnationale Politiker, wie zum Beispiel Edgar Jung, der Redenschreiber des amtierenden Vizekanzlers Franz von Papen, fielen dieser Tötungsaktion zum Opfer. Ringen um Anerkennung Statt sich aus freiem Entschluss einsam auf seine Hütte nach Todtnauberg zurückzuziehen, wie es die Legende später glauben zu machen versuchte, arbeitete Heidegger weiter an seinen Vernetzungsbemühungen im neuen Staat. Obwohl er zuvor kaum als Staats- oder Rechtsphilosoph in Erscheinung getreten war, wurde er 1934 „in den ‚Ausschuss für Rechtsphilosophie‘ der ‚Akademie für deutsches Recht‘ berufen“, wie Lorenz Jäger schreibt, „einer Gründung des NS-Juristen Hans Frank, damals ‚Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz und für die Erneuerung der Rechtsordnung‘.“14 Eine neue Zeit brauchte ein neues Rechtsverständnis, und dieser Ausschuss sollte dafür die philosophische Grundlagenarbeit leisten – „mit den Werten ‚Rasse, Staat, Führer, Blut, Autorität, Glauben, Boden, Wehr, Idealismus‘“, betonte Rüdiger Safranski.15 Auch in seinem bevorzugten Feld, der philosophisch geprägten Ausbildung des nationalsozialistischen Führungsnachwuchses im Wissenschaftsbetrieb, versuchte Heidegger sich neue Aufgabenbereiche zu erschließen. Er entwickelte ein Konzept für eine neu zu gründende preußische Dozentenakademie in Berlin und bot sich auch sogleich als deren Leiter an. Warum er, nachdem er zweimal einen Ruf in die Reichshauptstadt abgelehnt hatte, jetzt in dieser neuen Funktion doch nach Berlin strebte, lässt sich schwer sagen. Deutlich wird dadurch jedoch, dass die Geschichte vom selbstgewählten Rückzug auf die Hütte im Schwarzwald ins Reich der Legenden gehört. Heidegger rang 14 15

Lorenz Jäger: Heidegger. Ein deutsches Leben, Berlin 2021, S. 309. Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 316.

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nach dem wenig rühmlichen Ausscheiden aus dem Rektorat um neue Aufgaben im NS-Staat. Die geplante Dozentenakademie in der Reichshauptstadt war von Teilen der Berliner NSDAP initiiert worden. Sie hätte ihm an zentraler Stelle im NS-Wissenschaftsbetrieb eine wirkungsvolle Plattform geboten. Heidegger griff deshalb diese Impulse auf und entwickelte sie weiter. „Gedacht war an eine politische Fortbildungsanstalt, die alle Nachwuchswissenschaftler, die einmal Ordinarien werden konnten, zu durchlaufen hätten; das Ziel war selbstverständlich die ideologische Ausrichtung auf die völkische Weltanschauung“, schreibt Safranski.16 Trotz des kläglichen Scheiterns des Todtnauberger „Wissenschaftslagers“ war für Heidegger die Lageridee nach wie vor virulent. Die Dozentenakademie sollte diese Idee nun in einem größeren Maßstab Realität werden lassen. Abermals standen die Hütte und die mit ihr verbundene Lebensform als paradigmatischer Rahmen im Zentrum seiner wissenschaftspolitischen Visionen. „Seine Pläne laufen darauf hinaus, eine Art PhilosophenKloster, ein Todtnauberger Asyl, mitten in Berlin zu errichten“, fasste Safranski diese Überlegungen in pointierter Form zusammen.17 Heidegger träumte davon, seiner Philosophie endlich einen konkreten Raum zu geben in diesem revolutionären „Dritten Reich“. Doch abermals scheiterte er. Kritische Gutachten warnten in teilweise drastischen Worten die NS-Wissenschaftsbürokratie: „Ein Widerspruch gegen die gesunde Vernunft würde es sein, wenn auf die für das Geistesleben der nächsten Zukunft vielleicht wichtigste Stelle einer der größten Wirrköpfe und ausgefallensten Eigenbrötler berufen würde, die wir im Hochschulleben haben“, war in einem dieser Gutachten zu lesen.18 Heideggers Stern sank. Der Philosoph, der so gerne der philosophische Führer des Führers geworden wäre, bekam – wie schon bei seinem Rektorat – Gegenwind zu spüren. 16 17 18

Ebd., S. 314. Ebd. Zitiert nach: ebd., S. 315.

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Es stimmte, dass Heideggers Wirken im NS-Wissenschaftsbetrieb überschaubar blieb. Aber es war nicht Heidegger, der sich aktiv zurückgezogen, sondern es war die Wissenschaftsbürokratie, die ihn abgelehnt hatte. Die herausgehobene Sonderrolle blieb ihm zwar verwehrt, dennoch verfügte Heidegger nach wie vor über ein gewisses Maß an Strahlkraft in der akademischen Welt. Zwei Jahre später – 1936 – wurde er in die italienische Hauptstadt eingeladen, um vor dem Deutsch-Italienischen Kulturinstitut einen Vortrag zu halten. Mussolinis Italien war damals der herausgehobene außenpolitische Verbündete von Hitlers Deutschland. Diese Einladung, die Heidegger gemeinsam mit seiner Frau Elfride und den beiden Söhnen angenommen hatte, dürfte er insofern als besonderes Zeichen der Wertschätzung gedeutet haben. In Rom traf Heidegger auch mit seinem ehemaligen Schüler Karl Löwith zusammen. Löwith hatte aufgrund seiner jüdischen Herkunft Deutschland verlassen müssen. Später siedelte er zunächst nach Japan über, bevor er schließlich in die USA flüchten musste. Es dürfte ein eigenartiges Treffen gewesen sein, das sich damals in der ewigen Stadt zugetragen hat. Zumindest für Löwith war es so merkwürdig gewesen, dass er es schriftlich festhielt und später veröffentlichte. Nach Löwiths Bericht trug Heidegger bei dieser Verabredung wie selbstverständlich das Parteiabzeichen der NSDAP am Revers seiner Jacke. Selbst bei einem Zusammentreffen mit einem vor dem nationalsozialistischen Regime Geflüchteten, schien Heidegger nichts dabei zu finden, sich als stolzes Mitglied der nationalsozialistischen Partei zu erkennen zu geben. Nichts an Löwiths Schilderungen rechtfertigte die Annahme, dass Heidegger sich inzwischen vom „Dritten Reich“ entfremdet hätte. Im Gegenteil, so Löwith, ließ Heidegger „keinen Zweifel über seinen Glauben an Hitler; nur zwei Dinge habe er unterschätzt: die Lebenskraft der christlichen Kirchen und die Hindernisse für den Anschluss von Österreich. Er war nach wie vor überzeugt, dass der N.S. der für Deutschland vorgezeichnete

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Weg sei, man müsse nur lange genug ‚durchhalten‘.“19 Heidegger selbst, das kann man zwischen den Zeilen dieses Berichts von Karl Löwith lesen, schien bereit zu sein, diese Ausdauer aufzubringen. Auch wenn zentrale Stellen des NS-Regimes Heideggers philosophischem Werben kritisch gegenüberstanden und sein Denken für kaum anschlussfähig hielten, bemühte er sich doch immer wieder, die Relevanz seiner Philosophie für die neue Zeit herauszustellen. 1938 machte er in einem öffentlichen Vortrag deutlich, dass „der kommende Krieg ein Weltanschauungskrieg sein würde“.20 Damit verwendete er abermals einen Begriff nationalsozialistischer Propaganda und fügte ihn in seine eigenen philosophischen Reflexionen ein: „Das neuzeitliche Verhältnis zum Seienden werde ‚zur Auseinandersetzung von Weltanschauungen, und zwar nicht beliebiger, sondern allein jener, die bereits äußerste Grundstellungen des Menschen mit der letzten Entschiedenheit bezogen haben‘.“21 Das Explizite war Heideggers Sache nicht, später würde er betonen, dass er sich aus politischen Fragen herausgehalten habe. Einlassungen wie diese seien als philosophische, nicht als politische zu verstehen. Am Tiefpunkt Auch in seinen privaten Aufzeichnungen, den sogenannten Schwarzen Heften räsonierte Heidegger in den Jahren 1938 und 1939 über den Weltanschauungskrieg als große Entscheidungsschlacht: „Was jetzt geschieht, ist das Ende der Geschichte des großen Anfanges des abendländischen Menschen, in welchem Anfang der Mensch zur Wächterschaft des Seyns berufen wurde, um alsbald diese Berufung umzuwandeln in den Anspruch der

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20 21

Zitiert nach: Lutz Hachmeister: Heideggers Testament. Der Philosoph, Der Spiegel und die SS, Berlin 2014, S. 28. Lorenz Jäger: Heidegger. Ein deutsches Leben, Berlin 2021, S. 328. Ebd.

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Vor-stellung des Seienden in seinem machenschaftlichen Unwesen“, so Heidegger in seinen Denktagebüchern.22 Hier begegnen uns erneut Pathos und der abermalige Versuch, die eigene seinsphilosophische Terminologie mit den politischen Entwicklungen der Zeit zu verflechten. Einige Zeit später wurde Heidegger noch deutlicher: „Sobald das Geschichtslose sich ,durchgesetzt‘ hat, beginnt die Zügellosigkeit des ,Historismus‘ –, das Bodenlose in den verschiedensten und gegensätzlichsten Gestalten gerät – ohne sich als gleichen Unwesens zu erkennen – in die äußerste Feindschaft und Zerstörungssucht.“23 Der Feind bei dieser äußersten Feindschaft und Zerstörungssucht war also für Heidegger das Bodenlose in den verschiedensten Gestalten – diese Anspielung war nun kaum mehr verhüllt. Es war klar, wer hier die abendländische Gemeinschaft der erdverbundenen Menschen herausgefordert hatte und wer als äußerster Feind zu begreifen war. Dennoch ergänzte Heidegger expressis verbis: „Und vielleicht ,siegt‘ in diesem ,Kampf‘, in dem um die Ziellosigkeit schlechthin gekämpft wird und der daher nur das Zerrbild des ,Kampfes‘ sein kann, die größere Bodenlosigkeit, die an nichts gebunden, alles sich dienstbar macht (das Judentum).“24 In öffentlichen Äußerungen, in Vorträgen und Veröffentlichungen hielt sich Heidegger mit dezidiert antisemitischen Äußerungen zurück. Umso mehr Erstaunen riefen deshalb die vor einigen Jahren veröffentlichten Schwarzen Hefte hervor, in denen Heidegger unverhohlen antisemitische Klischees bediente. Wenn er von der Bodenlosigkeit schrieb, die an nichts gebunden wäre und sich alles dienstbar machen würde, dann erscheint hier das Zerrbild des ewig herumreisenden Juden, der keine eigene Heimstatt hat und der sich deshalb in der Heimat der boden- und erdverbundenen Menschen breitmachte. Heidegger hatte diese 22

23 24

Martin Heidegger: Überlegungen VII-XI (Schwarze Hefte 1938/39), hrsg. von Peter Trawny, Gesamtausgabe Bd. 95, Frankfurt/M. 2014, S. 46f. (Schreibweise „Vor-stellung“ im Original). Ebd., S. 96. Ebd.

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Gedanken nicht für ein großes Publikum geschrieben. Es ging ihm hierbei nicht um opportunistisches Anbiedern an die Machthaber im „Dritten Reich“, sondern um die private Sammlung und Strukturierung der eigenen Gedanken. Wenige Monate darauf schrieb Heidegger in sein Denktagebuch: „Die Juden ,leben‘ bei ihrer betont rechnerischen Begabung am längsten schon nach dem Rasseprinzip, weshalb sie sich auch am heftigsten gegen die uneingeschränkte Anwendung zur Wehr setzen.“25 Das Rasseprinzip, so lernen wir hier also bei Heidegger, war nichts, das gegen die Juden von den Nationalsozialisten in Stellung gebracht worden wäre. Ganz im Gegenteil, die Juden selbst lebten am längsten danach. Nicht die Juden wurden demnach ausgegrenzt, sondern sie selbst grenzten sich aus. Seit langem, so Heidegger, weigerten sie sich, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Mehr noch: Ihre betont rechnerische Begabung verhindere eine echte Gemeinschaftsbildung mit ihnen. Es ist die Umkehr der Kausalitäten der nationalsozialistischen Rassepolitik, die hier erschüttert. Niedergeschrieben zu einem Zeitpunkt, als die Nationalsozialisten bereits mit der Reichspogromnacht öffentlich gezeigt hatten, mit welch roher Gewalt sie gegen die jüdischen Mitbürger vorzugehen bereit waren. Die massive Diskriminierung, die Entrechtung und die Gewalt waren längst für alle, die nicht wegsahen, sichtbar geworden. Die Freiburger Synagoge, die sich in direkter Nachbarschaft zur Universität befand und die Heidegger bei zahlreichen Gängen zu seiner Lehrstätte passiert haben dürfte, war 1938 in den Flammen des braunen Mobs untergegangen. Heidegger war sich noch nicht einmal zu schade, das Klischee des rechnerisch begabten Juden zu bemühen, das vielleicht einflussreichste antisemitische Vorurteil der an Vorurteilen nicht armen Geschichte des Antisemitismus. Und er verknüpfte auf perfide Weise dieses Vorurteil mit einer Rationalismuskritik der Kultur und damit seinen eigenen philosophischen Überlegungen: 25

Martin Heidegger: Überlegungen XII-XV (Schwarze Hefte 1939-1941), hrsg. von Peter Trawny, Gesamtausgabe Bd. 96, Frankfurt/M. 2014, S. 56.

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„Die zeitweilige Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund, dass die Metaphysik des Abendlandes, zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltung, die Ansatzstelle bot für das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalität und Rechenfähigkeit, die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im ,Geist‘ verschaffte, ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je fassen zu können.“26 Für Heidegger war es demnach die Schwäche des philosophischen Denkens des Abendlands, die dafür verantwortlich zu machen war, dass diese jüdische leere Rationalität sich im abendländischen Geist breitmachen konnte, was eine zeitweilige Machtsteigerung des Judentums zur Folge hatte. Die Formulierung eine Unterkunft verschaffen ist in diesem Kontext insofern unangenehm, da sie das Bild eines Eindringlings in den eigenen Bereich evoziert. Für Heidegger blieb jedoch Hoffnung: Obwohl sich diese jüdische Rationalität im abendländischen Denken breitmachte, war sie für Heidegger nicht in der Lage, die verborgenen Entscheidungsbezirke des abendländischen Geistes vollumfänglich zu erfassen. Dies gelang nur den boden- und erdverbundenen Menschen. Politik und Philosophie verschmolzen in diesen Texten auf eigentümliche Weise: „Die Frage nach der Rolle des Weltjudentums ist keine rassische, sondern die metaphysische Frage nach der Art von Menschentümlichkeit, die schlechthin ungebunden die Entwurzelung alles Seienden aus dem Sein als weltgeschichtliche ‚Aufgabe‘ übernehmen kann“, ergänzte Heidegger.27 Noch immer, jetzt im Privatissimum seiner Studierstube, versuchte Heidegger offenkundig die Anschlussfähigkeit seiner Seinsphilosophie an den Nationalsozialismus unter Beweis zu stellen. Dem Prinzip der Umkehrung der Kausalitäten blieb Heidegger in seinen privaten Aufzeichnungen auch treu, als der Zweite Weltkrieg mit dem als „Unternehmen Barbarossa“ bezeichneten

26 27

Ebd., S. 46. Ebd., S. 243.

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Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion in seine nächste blutige Phase eintrat. Heidegger brachte damals zu Papier: „Das Weltjudentum, aufgestachelt durch die aus Deutschland herausgelassenen Emigranten, ist überall unfassbar und braucht sich bei aller Machtentfaltung nirgends an kriegerischen Handlungen zu beteiligen, wogegen uns nur bleibt, das beste Blut der Besten des eigenen Volkes zu opfern.“28 In Anbetracht der tatsächlichen Ereignisse, den systematischen Massenmorden im Osten und dem industriell organisierten millionenfachen Mord an den Juden Europas und anderen diskriminierten Gruppen in den Vernichtungslagern des NS-Herrschaftsbereichs, verschlagen diese Ausführungen einem regelrecht die Sprache. Während die europäischen Juden entrechtet und ermordet wurden, schrieb Heidegger von der Machtenfaltung des Weltjudentums. Es waren besonders üble Beispiele kontrafaktischer Sprache, die Heidegger hier in sein Denktagebuch schrieb. In vollkommenem Gegensatz zu den wirklichen dramatischen Ereignissen führte er aus, dass trotz dieser Machtentfaltung das Judentum überall unfassbar wäre, es sich also der Verantwortung entzog, sich wieder einmal nicht offen zeigte und sich deshalb auch nirgends an kriegerischen Handlungen zu beteiligen brauchte. Die heldenhaften Deutschen des „Dritten Reichs“ dagegen mussten das beste Blut der Besten des eigenen Volkes opfern. Man beachte den doppelten Superlativ, der offenkundig für den Sprachvirtuosen nötig war, um den heroischen Kampf der Deutschen zu qualifizieren. Auch als der Krieg in seiner Schlussphase angelangt war und kaum ein wacher Geist noch an die Propagandareden vom „Endsieg“ glaubte, blieb Heideggers Sprache dem Narrativ des heldenhaften Kampfes der Deutschen verbunden. Einen Tag nach der verheerenden Bombardierung Freiburgs Ende November 1944 schrieb Heidegger an seinen Bruder Fritz: „Man sieht hier,

28

Ebd., S. 262. Vgl. dazu auch: Peter Trawny: Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung, Frankfurt/M. 2014.

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wie der Krieg sich langsam an die Heimat heranschleicht, um alles zu erwürgen und zu verwüsten.“29 Das Heroische blieb den Deutschen vorbehalten, der Krieg und damit die Feinde Deutschlands schlichen sich in Heideggers Wahrnehmung an die deutsche Heimat heran. Statt einen offenen Kampf zu führen, versuchten sie, die Deutschen zu erwürgen. Der philosophische Heimatkrieger kämpfte auch nach der Niederlage im Mai 1945 noch seine eigenen Schlachten. Er blieb seinem Prinzip der kontrafaktischen Rede treu und brachte kaum fassbare Relativierungen der NS-Verbrechen zu Papier. „Ahnt ‚man‘, dass jetzt schon das deutsche Volk und Land ein einziges KZ ist – wie es ‚die Welt‘ allerdings noch nie ‚gesehen‘ hat und das ‚die Welt‘ auch nicht sehen will“, schrieb Heidegger nach dem Krieg.30 Er wusste offenkundig, was ein KZ war, und er war sich dennoch nicht zu schade, ganz Deutschland als solches zu bezeichnen. Das Selbstmitleid, das er hier kaum zu zügeln vermochte, verbunden mit einem eklatanten Mangel an Empathie gegenüber den tatsächlichen Opfern des Nationalsozialismus, zeigte einen verbitterten alten Mann, dem kaum etwas von der Größe seines frühen philosophischen Aufbruchs geblieben war. Die seinsphilosophischen Hinweise, zum Beispiel die Verwendung des „man“, das Heidegger bereits in Sein und Zeit eingeführt hatte, oder „die Welt“, die in Anführungszeichen gesetzt wurde, verkommen hier zu bloßen Manierismen. Wenn Heidegger in der Nachkriegszeit von planetarischem Terror schrieb, dann meinte er nicht die Verbrechen des NS-Regimes, sondern die von den alliierten Siegermächten strukturierte Nachkriegswelt: „Wie erbärmlich ist dies rastlose Kriechen unter der Beschattung durch den planetarischen Terror einer Weltöffentlichkeit, mit dem verglichen die massive Brutalität des geschichtslosen ‚Nationalsozialismus‘ die reine Harmlosigkeit ist –

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Zitiert nach: Lorenz Jäger: Heidegger, Berlin 2021, S. 375. Martin Heidegger: Anmerkungen I-IV (Schwarze Hefte 1942-1948), hrsg. von Peter Trawny, Gesamtausgabe Bd. 97, Frankfurt/M. 2015, S. 100.

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trotz der unübersehbaren Handgreiflichkeiten, der von ihm mitangerichteten Verwüstung?“31 Man muss diesen Satz wahrscheinlich mindestens zweimal lesen, um ihn in seiner ganzen Maßlosigkeit zu begreifen. Heidegger erkannte zwar die massive Brutalität des Nationalsozialismus an, aber nur um diese im Vergleich zum „Terror“ der Nachkriegszeit als reine Harmlosigkeit zu relativieren. Als wäre diese Entgleisung nicht genug, verniedlichte Heidegger die industriell durchgeführte Ermordung von Millionen von Juden und anderen diskriminierten Menschen, den brutalen Angriffskrieg und unzählige Kriegsverbrechen, die Hitler-Deutschland verübt hatte, als unübersehbare Handgreiflichkeiten, die zudem vom nationalsozialistischen Deutschland nur mit-angerichtet wurden. Heideggers Niedergang war damit am tiefsten Punkt angelangt. Moralisch, intellektuell und philosophisch. Paranoid schrieb er: „Dass die jetzt in Deutschland, im besetzten wohlgemerkt, in Gang gebrachte Tötungsmaschinerie etwas anderes leisten soll als die vollständige Vernichtung, das können nur noch liberale Demokraten und sogenannte Christen glauben machen wollen.“32 Kaum etwas schien mehr übrig zu sein von den geistigen Höhen, in die er sich geschraubt zu haben glaubte. Was blieb, war ein kleiner, verbitterter Mann, dem jeder ethische Kompass abhandengekommen war. Mit Lehrverbot belegt, zog er sich zurück. Häufig auf seine Hütte in Todtnauberg.

31 32

Ebd., S. 87. Ebd., S. 148.

9. Das Gästebuch

Es ist ein schöner Brauch, der nicht nur oben in den Bergen zelebriert wird: Wer zu Besuch kommt, Gastfreundschaft erlebt und gemütliche Stunden in Gemeinsamkeit verbringt, trägt sich anschließend in ein Gästebuch ein. Meist verbunden mit einer kurzen persönlichen Bemerkung, manchmal mit einer schnell gekritzelten Karikatur oder Zeichnung daneben. Auch Heidegger führte ein Gästebuch auf seiner Hütte. Prominente und weniger prominente Besucherinnen und Besucher finden sich darin. Denn die Hütte in Todtnauberg spielte auch in Heideggers erstaunlicher Nachkriegskarriere eine zentrale Rolle. Dies kann man nicht zuletzt am gut gefüllten Gästebuch der Hütte ablesen, in das sich nach 1945 Nobelpreisträger, Wissenschaftler und Wissenschaftskritiker, Politiker, Journalisten und Schriftsteller und nicht zuletzt Philosophinnen und Philosophen eintrugen. Man kann Heideggers Wirken und insbesondere dessen öffentliche Rezeption in drei mehr oder weniger klar unterscheidbare Phasen unterteilen – und in allen dreien spielten Todtnauberg und sein dortiges Hüttenleben eine zentrale Rolle: In den 1920er Jahren inszenierte Heidegger sich als Stürmer und Dränger, der die etablierte, akademische Philosophie herausforderte. Als viriler junger Denker, real und metaphorisch durch sein Hüttenleben in den Bergen sturmerprobt, überwältigte er Teile seines Publikums mit dem neuen Ton seiner Seinsphilosophie – und den existentiellen Fragen, die sein Denken stellte. Zu Beginn des „Dritten Reichs“ versuchte er, sich philosophisch an die Spitze der Bewegung zu setzen, als „Führer-Philosoph“, der als „Führer-Rektor“ auch praktisch Verantwortung übernahm. Nach dem kläglichen Scheitern dieses Unterfangens

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nutzte er die Hütte als Nukleus seiner Legende vom Rückzug aus den Niederungen der Politik. Nach dem Krieg knüpfte er direkt daran an. Die Hütte half ihm, seinen Nimbus des entrückten Denkers nicht nur aufrecht zu erhalten, sondern ihn mit einer neuen Wendung zu versehen: Statt Gipfelstürmen zog jetzt die Gelassenheit in Heideggers Hütte ein. Es wurde wohnlich. Seine Vorträge und Aufsätze über das Wohnen erschlossen ihm neue Leserinnen und Leser. Schon 1951, gerade mal sechs Jahre nach Kapitulation und Kriegsende, sprach er in Darmstadt vor Mitgliedern des Deutschen Werkbunds über „Bauen Wohnen Denken“.1 Dieser breit rezipierte Vortrag bildete nicht nur so etwas wie das Fundament seiner Auseinandersetzung mit Fragen des Wohnens und des Raumes, er kann auch als Ausgangspunkt der bis heute andauernden großen Popularität Heideggers in Architektinnen- und Architektenkreisen verstanden werden. Nicht selten werden bei dieser Rezeption Heideggers theoretische Überlegungen über das Wohnen mit seiner eigenen Wohnpraxis in der Hütte verquickt. Was Heidegger über das Wohnen schrieb, so schien es, war der eigenen Form des Hüttenlebens abgerungen. Ganz in diesem Sinne bekundete beispielsweise der englische Architekt Adam Sharr: „Die Haltung, die durch die Hütte zum Ausdruck kommt, kann mit Heideggers Schrift über das Wohnen in Verbindung gebracht werden, mit einem Alltag und Tun, in dem die kleinen Orte des Lebens und die Tätigkeiten, die sie unterstützen, miteinander verknüpft sind.“2 Mit der Gründlichkeit eines klassisch geschulten Architekten hat Adam Sharr Heideggers Hütte im wahrsten Sinne des Wortes vermessen. Grundfläche, Höhe, Verhältnis zwischen Wand- und Dachhöhe. Sharr hat das Metermaß angelegt und gerechnet, er hat Pläne erstellt und Modelle gebaut. Er hat die Hütte analysiert, wie Architektinnen und Architekten das eben machen. In diesem Fall jedoch steht dieses Vorgehen in einem eigenartigen Kontrast 1

2

Martin Heidegger: „Bauen Wohnen Denken“, in: ders.: Vorträge und Aufsätze, Pfullingen 1954, S. 145-162. Adam Sharr: Heideggers Hütte, Berlin 2010, S. 105.

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zum spezifischen Raumverständnis Heideggers. Denn gegen dieses messende und geometrisch-euklidische Raumverständnis fragte Heidegger: „Doch kann der physikalisch-technisch entworfene Raum, wie immer auch er sich weiterhin bestimmen mag, als der einzig wahre Raum gelten? Sind, mit ihm verglichen, alle anders gefügten Räume, der künstlerische Raum, der Raum des alltäglichen Handelns und Verkehrs, nur subjektiv bedingte Vorformen und Abwandlungen des einen objektiven kosmischen Raumes?“3 Es waren rhetorische Fragen, die Heidegger hier stellte. Selbstverständlich beugte sich sein Denken nicht der Quantifizierbarkeit eines mathematisch-messenden Raumverständnisses. Ihm ging es um subjektives Erleben, um gewohnheitsmäßige Praxis und um Atmosphären. Es war dieses Raumverständnis, das viele Architektinnen und Architekten faszinierte – und bis heute fasziniert. Zumal Heidegger mit diesen Fragen und Reflexionen damals eine Leerstelle füllte. Nur wenige Philosophen beschäftigten sich in dieser Zeit mit der vermeintlich alltäglichen Frage des Wohnens oder mit Fragen des Raums und dessen sinnlichen Qualitäten. Vor dem sogenannten Spatial Turn der 1970er und 1980er Jahre stellte der Raum in vielen geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Reflexionen einen eigenartigen blinden Fleck dar. Heidegger wirkte hier tatsächlich als einer der Türöffner. Sein Schüler Otto Friedrich Bollnow half ein Jahrzehnt später mit seinem großangelegten phänomenologischen Grundlagenwerk Mensch und Raum, die Tore endgültig aufzustoßen. Bollnow eröffnete seine Arbeit mit einem deutlichen Verweis auf seinen Lehrer, insbesondere auf dessen Grundlagenwerk Sein und Zeit: „Das Problem der zeitlichen Verfassung des menschlichen Daseins hat die Philosophie der letzten Jahrzehnte in einem so außerordentlichen Maße beschäftigt, dass man es geradezu als das Grundproblem der gegenwärtigen Philosophie bezeichnen 3

Martin Heidegger: „Die Kunst und der Raum“, in: ders.: Aus der Erfahrung des Denkens 1910-1976, Gesamtausgabe Bd. 13, hrsg. von Hermann Heidegger, Frankfurt/M. 1983, S. 205.

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kann.“ Das sei die eine Seite, so Bollnow. Auf der anderen Seite müsse man jedoch feststellen: „Das Problem der räumlichen Verfassung des menschlichen Daseins oder, einfacher gesprochen, das des konkreten, vom Menschen erlebten und gelebten Raums, hat demgegenüber ganz im Hintergrund gestanden“.4 Bollnow leistete mit seinem Buch philosophische Grundlagenarbeit, dies sei ihm unbenommen. Allerdings war die Frontstellung zwischen zeitbezogener Seinsphilosophie auf der einen und raumphilosophischen Überlegungen auf der anderen Seite weniger scharf gezogen, als Bollnow es hier suggerierte. Die pointiert formulierte Notwendigkeit der raumphilosophischen Erweiterung bisheriger philosophischer Überlegungen unterschlägt, dass Heidegger bereits in Sein und Zeit intensiv über die „Räumlichkeit des Daseins“ nachgedacht hat.5 Schon 1926 hat Heidegger geschrieben: „Wenn der Raum in einem noch zu bestimmenden Sinne die Welt konstituiert, dann kann es nicht verwundern, wenn wir schon bei der vorausgegangenen ontologischen Charakteristik des Seins des Innerweltlichen dieses auch als Innerräumliches im Blick haben mussten.“ Und daran anschließend noch deutlicher: „Bisher wurde diese Räumlichkeit des Zuhandenen phänomenal nicht ausdrücklich gefasst und in ihrer Verklammerung mit der Seinsstruktur des Zuhandenen nicht aufgewiesen. Die ist jetzt die Aufgabe.“6 Der Raum nahm für Heidegger also bereits sehr früh eine gewichtige Rolle bei seiner philosophischen Durchdringung des Alltagslebens ein. Er erkannte die zu leistende Aufgabe, wurde dann allerdings durch die Fährnisse der Zeit zunächst zu anderen Themengebieten und Reflexionen gelenkt. 4

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Otto Friedrich Bollnow: Mensch und Raum, Stuttgart 2004, S. 13. Das Buch ist erstmals 1963 erschienen und wurde seither in zahlreichen Auflagen neu veröffentlicht. Vgl. dazu: Martin Heidegger: Sein und Zeit, Gesamtausgabe, I. Abteilung, Band 2, hrsg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Frankfurt/M. 1977, insbesondere S. 135-151 (§22 Die Räumlichkeit des innerweltlich Zuhandenen, §23 Die Räumlichkeit des In-der-Welt-seins, §24 Die Räumlichkeit des Daseins und der Raum). Martin Heidegger: Sein und Zeit, Frankfurt/M. 1977, S. 136

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Pilgernde Bewunderer Es waren jedoch nicht nur Architektinnen und Architekten, die Heidegger nach dem Krieg für sich entdeckten. Obwohl das Lehrverbot zunächst verhinderte, dass Heidegger an die Universität zurückkehren konnte, erlebte sein Denken eine erstaunliche Renaissance – aufgrund dieser besonderen Umstände vor allem außerhalb des deutschen Hochschulbetriebs. Während die Mehrzahl der deutschen Fachkolleginnen und Fachkollegen nach 1945 zunächst einen Bogen um Heidegger machten – seine Einlassungen und sein Engagement während der nationalsozialistischen Herrschaft hatten ihn zu sehr diskreditiert –, kannten französische Denker dieses Distanzierungsbedürfnis weit weniger. Zahlreiche französische Philosophen bezogen sich ohne Scheu auf Heidegger. Die meisten von ihnen hatten seine Schriften in den 1930er und 1940er Jahren für sich entdeckt. Manche von ihnen besuchten nach dem Krieg den Meister in Freiburg – und ausgewählte Gäste durften mit auf die Hütte nach Todtnauberg. Jean-Paul Sartre, zweifellos der berühmteste französische Philosoph der damaligen Zeit, hatte 1943 mit seinem Hauptwerk Das Sein und das Nichts schon im Titel einen direkten Bezug zu Heideggers Seinsphilosophie hergestellt.7 Nach dem Krieg kam auch er nach Süddeutschland. In Freiburg trafen sich die beiden Meisterdenker, aber das Gespräch wollte nicht in Gang kommen. Man hatte sich wenig zu sagen, was nicht nur an der Sprachbarriere gelegen haben dürfte. Auf die Hütte nach Todtnauberg wurde Sartre nicht eingeladen. Albert Camus schien diese Sprachlosigkeit geahnt zu haben, zumindest hat er von sich aus jedes Interesse an einem Besuch bei Heidegger verneint. René Char, Jean Beaufret, Jacques Lacan, Maurice Merleau-Ponty und zahlreiche weitere französische Philosophen sahen das anders und machten sich auf zur Pilgerreise in den Schwarzwald. Rüdiger Safranski schreibt: „Alarmiert waren die Gegner von Heideggers Rehabilitation vor allem 7

Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie, hrsg. von Traugott König, Reinbek bei Hamburg 2016.

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durch Nachrichten und Gerüchte, die von einem wahren Pilgerzug französischer Intellektueller nach Freiburg und Todtnauberg sprachen.“8 Das Gästebuch auf der Hütte füllte sich. Auch berühmte Naturwissenschaftler wie Werner Heisenberg oder Carl Friedrich von Weizsäcker waren unter den Gästen. Hannah Arendt schrieb in einem Brief an Karl Jaspers: „Dieses Leben in Todtnauberg, auf Zivilisation schimpfend und Sein mit einem y schreibend, ist ja doch in Wahrheit nur das Mauseloch, in das er sich zurückgezogen hat, weil er mit Recht annimmt, dass er da nur Menschen zu sehen braucht, die voller Bewunderung anpilgern; es wird ja so leicht nicht einer 1.200 Meter steigen, um seine Szene zu machen.“9 Diese spöttisch gemeinte Analyse traf zwar ins Schwarze – und doch unterschlug sie, dass manch einer, der zur Todtnauberger Hütte „pilgerte“, sich durchaus ein klärendes Wort über Heideggers Verfehlungen im „Dritten Reich“ erhoffte. Herbert Marcuse zum Beispiel, einst als junger Student ein Schüler Heideggers gewesen, auf der Flucht vor den Nazis in die USA emigriert und nach dem Krieg zu einem der führenden Köpfe der sogenannten Kritischen Theorie herangewachsen, machte nach seinem Besuch auf der Hütte in einem langen Brief an seinen ehemaligen Lehrer seiner Enttäuschung Luft. Karl Löwith dagegen schluckte diese nach seinem Treffen mit Heidegger zunächst hinunter und verarbeitete sie erst Jahre später in seinen Erinnerungen. Doch Hannah Arendt hatte Recht, Gäste wie Marcuse oder Löwith blieben die Ausnahme. Die scharfen Kritikerinnen und Kritiker machten sich in der Regel nicht auf den Weg nach Todtnauberg, sie machten keine Aufwartung in der Hütte und sie trugen sich nicht in das Gästebuch ein. Kein Theodor W. Adorno, keine Ingeborg Bachmann, kein Karl Raimund Popper stieg den Feldweg zur Hütte hoch. Aber immerhin ein Rudolf Augstein.

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Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 379. Zitiert nach: ebd., S. 415.

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Der Spiegel zu Gast auf der Hütte Der Herausgeber des Nachrichtenmagazins Der Spiegel besuchte Ende September 1966 für ein langes Interview den Meisterdenker in seiner Berghütte. Es existiert ein legendäres Foto der mitgereisten Fotografin Digne Meller Marcovicz, das für viele Betrachterinnen und Betrachter ikonografisch die Besonderheit dieses Treffens eingefangen zu haben scheint: Man blickt von hinten auf das eigentümliche Paar, das vom Ratschert kommend in Richtung Hütte geht. Rechts und links säumen Wiesen den staubigen Feldweg. Augstein, der Jüngere, aufrecht gehend im schwarzen Anzug, mit eleganten Lederschuhen und Aktentasche, wirkt in dieser Schwarzwaldlandschaft etwas fehl am Platz. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch die Aufmachung des Älteren: Heidegger, mit schwerem Rucksack auf dem Rücken, im Gang leicht nach vorne gebeugt, ist mit schweren Schuhen, grober Hose und faltiger Jacke sowie einem Wanderstock der Szenerie entsprechend gekleidet. Der Journalist aus der großen Stadt besuchte den Philosophen im Schwarzwald. Ein Bild gibt immer nur einen Ausschnitt wieder, es unterschlägt einen Teil der Wahrheit. Deshalb sollten wir Bildern grundsätzlich misstrauen. Dies gilt auch in diesem besonderen Fall. Denn es war keineswegs ein Zwiegespräch, das hier stattgefunden hat, sondern Augstein war gemeinsam mit seinem Ressortleiter für Geisteswissenschaften, einer Fotografin und einem Stenographen in den Schwarzwald gereist. Die Besonderheit, die dieser Konstellation zugrunde lag, dürfte damals den Teilnehmenden kaum bewusst gewesen sein. Vordergründig war die Sache klar: Hier trat Augstein, der aufklärerische Journalist, Heidegger gegenüber. Auf der einen Seite der Vertreter der freien Presse, der knapp vier Jahre zuvor wegen unliebsamer Berichterstattung seines Magazins verhaftet und mehr als hundert Tage im Gefängnis verbringen musste, der sein Magazin seither gern als „Sturmgeschütz der Demokratie“ bezeichnete, auf der anderen Seite der Philosoph, der sich und sein

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Denken den Nazis angedient und der bislang öffentlich kein Wort des Bedauerns darüber gefunden hatte. Betrachtet man jedoch die gesamte Konstellation der Teilnehmenden, wird das Bild komplexer. Das Gespräch initiiert, vorbereitet und anschließend auch redigiert, hatte Georg Wolff, der beim Spiegel das Ressort „Geisteswissenschaften“ leitete. Er zählte damals zu den profiliertesten Journalisten des Nachrichtenmagazins und galt als persönlicher Vertrauter Rudolf Augsteins. Was in dieser Zeit nur wenige wussten: Wolff war im „Dritten Reich“ Mitglied der NSDAP, der SA und der SS gewesen und hatte es im besetzten Norwegen bis zum SS-Hauptsturmführer gebracht. Nicht nur der Philosoph, sondern auch der wegbereitende Journalist dieses Treffens, so weiß man heute, hatte braune Flecken auf der vermeintlich weißen Weste. Lutz Hachmeister hat vor einigen Jahren diesem denkwürdigen Heidegger-Interview und seinen Hintergründen ein lesenswertes Buch gewidmet, in dem er auch die Rolle Wolffs beleuchtete.10 Folgt man Hachmeisters Analyse, konnte Heidegger bei einem wie Wolff auf Verständnis zählen. Schon die Einstiegsfrage der später gedruckten Version des Interviews lässt erahnen, in welcher Atmosphäre das Gespräch stattgefunden haben mag: „Herr Professor Heidegger, wir haben immer wieder festgestellt, dass Ihr philosophisches Werk ein wenig umschattet wird von nicht sehr lange währenden Vorkommnissen Ihres Lebens, die nie aufgehellt worden sind.“11 Die „Umschattung“ des Werks wird lediglich als ein wenig qualifiziert, und zwar von „Vorkommnissen“, man beachte die passivische Formulierung, nicht von Handlungen ist hier die Rede, sondern von Dingen, die eben vorkamen, und die zudem nicht sehr lange währten. Heidegger dürfte zwar von Wolffs eigener unbewältigter Vergangenheit nichts gewusst haben, aber atmosphärisch schien man 10

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Lutz Hachmeister: Heideggers Testament. Der Philosoph, der Spiegel und die SS, Berlin 2014. Rudolf Augstein, Georg Wolff: „Nur noch ein Gott kann uns retten. SPIEGEL-Gespräch mit Martin Heidegger am 23. September 1966“, in: Der Spiegel, Nr. 23, 1976, S. 193.

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sich gut zu verstehen. Heidegger konnte sich in der später gedruckten Version fast als Gegner, zumindest aber als eine Art Opfer des NS-Regimes darstellen – ohne Widerspruch der Journalisten dafür zu ernten. „Nach dem Rücktritt vom Rektorat habe ich mich auf meine Lehraufgabe beschränkt“, so Heidegger.12 Doch damit nicht genug: „Alle, die hören konnten, hörten, dass dies [seine Nietzsche-Vorlesungen] eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus war.“ Als Folge daraus habe die Partei ihn regelrecht drangsaliert. „Ich wurde ständig überwacht“, erklärte Heidegger und ergänzte, dass seine „Schriften nicht besprochen werden durften“.13 Man konnte Mitleid bekommen mit diesem Mann, der als weltabgewandter Philosoph sich eigentlich um ganz andere Fragen kümmerte und der plötzlich in die politische Arena gestellt worden war. Die Interviewer des Hamburger Magazins formulierten entsprechend verständnisvoll: „Vielleicht dürfen wir zusammenfassen: Sie sind 1933 als ein unpolitischer Mensch im engeren Sinne, nicht im weiteren Sinne, in die Politik dieses vermeintlichen Aufbruchs …“ Heidegger unterbrach: „… auf dem Wege der Universität …“ Dies aufnehmend führten die Journalisten ihren Gedanken fort: „… auf dem Wege über die Universität in diesen vermeintlichen Aufbruch geraten. Nach etwa einem Jahr haben Sie die dabei übernommene Funktion wieder aufgegeben.“14 Hier schimmert sie klar erkennbar durch, die Legende von „Heideggers irrem Sprung“, das Narrativ vom Philosophen, der Politik, ja eigentlich nur Hochschulpolitik, machen wollte, in die Wirren der Zeit geriet, schnell scheiterte und sich zurückzog. 1966 war dieses Narrativ offenkundig noch höchst wirkmächtig. Angesichts solcher Passagen dürfte es wenig verwundern, dass Heidegger kurz nach dem Interview in einem Brief an einen Vertrauten schrieb: „Die Begegnung mit Augstein und G. Wolff war

12 13 14

Ebd., S. 201. Ebd., S. 204 Ebd.

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ganz erfreulich.“ Dennoch fügte er an: „Ob etwas von dem Gespräch veröffentlicht werden soll – das überlege ich noch. Die ‚Öffentlichkeit‘ ist doch das Fragwürdigste im Bezirk der heutigen ‚Gesellschaft‘.“15 Ob das nun lediglich Kokettieren war – schließlich hatte Heidegger zuvor per Leserbrief den Kontakt mit der Spiegel-Redaktion gesucht, wie das Magazin bei der Veröffentlichung des Interviews in den Hausmitteilungen erklärte16 – oder ob es sich um echte Bedenken handelte, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Belegt ist jedoch, dass das wechselseitige Redigieren und Bearbeiten des Interviewtextes, der für den Druck vorgesehen werden sollte, alles andere als einfach war. Das beiderseitige und wechselseitige Arbeiten am Text beanspruchte mehr als sechs Monate. Anfang März 1967 schickte Georg Wolff schließlich „eine Komposition Ihrer und unserer Kürzungen und Korrekturen“17 an Heidegger, die dieser wiederum mit letzten kleineren Korrekturen am Ende desselben Monats freigab.18 Veröffentlicht werden durfte das Interview dennoch nicht. Zumindest noch nicht. Heidegger bestand darauf, dass dieser ausführlich bearbeitete Gesprächstext erst posthum, also nach seinem Tod, publiziert werden durfte. Die Begründung dafür hatte Heidegger bereits zuvor in einem Brief an den Spiegel-Herausgeber formuliert, der auf den 14. Januar 1967 datiert: „Das unum necessarium für das Denken bleibt: Rückzug aus der Öffentlichkeit, Vorbereitung der Wege zu einer Bereitschaft des Wartens, das sich freigibt für die Möglichkeit, dass der Mensch dieser Jahrhunderte von einem geschicklichen Anspruch dessen getroffen wird, was er selbst nicht ist und selbst nicht herzustellen vermag. Die Aufgabe des so verstandenen Denkens steht in einem äußersten Gegensatz zu dem 15

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Zitiert nach: Lutz Hachmeister: Heideggers Testament. Der Philosoph, der Spiegel und die SS, Berlin 2014, S. 287. Vgl.: Der Spiegel, Nr. 23, 1976, S. 3. Zitiert nach: Lutz Hachmeister: Heideggers Testament. Der Philosoph, der Spiegel und die SS, Berlin 2014, S. 287. Vgl. dazu: ebd.

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in gleicher Weise notwendigen Auftrag des Spiegel. Aber so geartete Gegensätze gehören in der heutigen Welt zusammen.“19 Jeder Widerspruch war zwecklos. Heideggers Entschluss stand fest, und so schlummerte der Gesprächstext noch weitere zehn Jahren in einem Aktenschrank des Hamburger Redaktionsgebäudes, bis er endlich von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden konnte. Martin Heidegger starb am 26. Mai 1976. Das Spiegel-Interview erschien in der nächstmöglichen Ausgabe fünf Tage später. Die Geschichte dieses besonderen Hüttenbesuchs wird jedoch erst komplett, wenn man auch die vom Spiegel beauftragte Fotoreporterin Digne Meller Marcovicz mit in die Betrachtung einbezieht. Eben jene Fotografin, deren ausdrucksstarke Schwarzweißbilder dem Hüttenbesuch Augsteins die prägende Visualität gaben, mit der sich nicht nur dieser Besuch in der kollektiven Erinnerung verfestigte, sondern auch Heideggers Bild vom naturnah lebenden Philosophen im Schwarzwald. Noch heute zieren die Fotografien, die sie bei Augsteins Besuch und zwei Jahre später bei einem erneuten eigenen Hüttenbesuch geschossen hatte, zahlreiche Berichte, Publikationen und auch die wegweisenden Schilder des Martin-Heidegger-Wanderwegs in seiner Wahlheimat Todtnauberg. Was viele nicht wissen: Auch Digne Meller Marcovicz hatte eine persönliche Geschichte vor 1945, wenn auch eine ganz andere als Heidegger oder Guido Wolff. Die Fotografin dieser denkwürdigen Begegnung war die jüngere Schwester von Cato Bontjes van Beek, einer Widerstandskämpferin der „Roten Kapelle“, die 1943 von den Nazis hingerichtet worden war. Es ist eine eigenartige Konstellation, die sich hinter der ikonografischen Schwarzweiß-Aufnahme eröffnet, die Augstein und Heidegger auf ihrem Weg zur Hütte zeigt. Aber so war es wohl in den Nachkriegsjahrzehnten der noch recht jungen Bundesrepublik: Mitläufer, Täter und Opfer der NS-Diktatur lebten neben19

Zitiert nach ebd., S. 288.

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und miteinander her, häufig ohne zu wissen, wer in welchem Umfang zu welcher Gruppe zu zählen war. Der Brunnenstern Mitläufer, Täter, Opfer. Diese besondere Nachkriegskonstellation schimmerte bei einem anderen Hüttenbesuch noch drastischer. Am 25. Juli 1967 kam es zu einem besonders denkwürdigen Treffen auf der Hütte: Paul Celan besuchte Heidegger in Todtnauberg. Der Autor der „Todesfuge“, des vielleicht wichtigsten Gedichts über die Shoah, dessen Eltern im Lagersystem der Nazis ums Leben gekommen waren und der selbst Ghetto, Lager und Zwangsarbeit überlebt hatte, war in den Schwarzwald gefahren. Der Dichter, der wie kaum ein anderer um Worte gerungen hatte, das Grauen zu beschreiben, und der Philosoph, der jedes öffentliche Wort vermissen ließ, das seine eigenen Verstrickungen in den Nationalsozialismus betraf, spazierten gemeinsam über die Bergwiesen des Südschwarzwalds. Am Tag zuvor hatte Celan im vollbesetzten Audimax der Universität Freiburg eine Lesung gehalten. Heidegger hatte sie organisiert und saß stolz in der ersten Reihe. Die Jahre des Lehrverbots waren längst vorbei und der Philosoph war wieder eine intellektuelle Instanz in Freiburg und darüber hinaus. Am Morgen nach dieser Lesung hatte Heidegger den Dichter an dessen Freiburger Hotel abgeholt. In einem VW Käfer, chauffiert von einem Studenten, fuhr das ungleiche Paar die kurvigen Straßen den Berg hinauf. Die Stimmung im Auto dürfte angespannt gewesen sein. Hans-Peter Kunisch hat dieses denkwürdige Treffen in einem sehr lesenswerten Buch aufgearbeitet.20 Paul Celan selbst hatte seine Eindrücke wenige Tage danach in seinem Gedicht „Todtnauberg“ verarbeitet. Neben dem Gästebuch der Hütte – „wessen Namen nahms auf / vor dem meinen?“ – rückte er vor allem den Brunnen vor der Hütte mit seinem als 20

Hans-Peter Kunisch: Todtnauberg. Die Geschichte von Paul Celan, Martin Heidegger und ihrer unmöglichen Begegnung, München 2020.

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Verzierung angebrachten Stern in den Fokus. Das Gedicht beginnt mit den berühmten Zeilen: „Arnika, Augentrost, der / Trunk aus dem Brunnen mit dem / Sternwürfel drauf“.21 HansPeter Kunisch beschreibt bezugnehmend auf den Zeitzeugen Silvio Vietta, der bei dieser Begegnung dabei war, wie Celan den Stern in den Blick nahm und zu Heidegger sagte: „Herr Heidegger, den Stern lasse ich Ihnen nicht.“22 Eine klare Anspielung auf das Unausgesprochene, das ihr Aufeinandertreffen grundierte. Der Stern, der an den Davidstern erinnerte, den alle Juden im „Dritten Reich“ als stigmatisierendes Zeichen an ihre Kleidung zu nähen hatten, diesen Stern thematisierte Celan unvermittelt und lenkte damit das Gespräch auf jenen Themenbereich, den beide bislang gemieden hatten. Heidegger nahm diesen Impuls jedoch nicht auf, sondern reagierte ausweichend. Er erklärte, „er habe mit der Gestaltung nichts zu tun gehabt“, der Zimmermann, der die Hütte erbaut hatte, hätte auch den Brunnen errichtet.23 Dann wendete sich Heidegger, so Kunisch, den Büchern zu, die er für seinen berühmten Gast bereitgelegt hatte. Kurz darauf wird Celan ins Gästebuch der Todtnauberger Hütte schreiben: „Ins Hüttenbuch, mit dem Blick auf den Brunnenstern, mit einer Hoffnung auf ein kommendes Wort im Herzen. Am 25. Juli 1967. Paul Celan.“24 Die Hoffnung sollte unerfüllt bleiben. Zumindest ist nichts dergleichen überliefert.

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Zitiert nach: Roland Bothner: Zu Paul Celans Gedicht „Todtnauberg“, http://www.planetlyrik.de/roland-bothner-zu-paul-celans-gedicht-todtnauberg/2017/01/ (abgerufen am 27.07.2022). Zitiert nach: Hans-Peter Kunisch: Todtnauberg. Die Geschichte von Paul Celan, Martin Heidegger und ihrer unmöglichen Begegnung, München 2020, S. 150. Ebd. Zitiert nach: ebd., S. 156.

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Wenn Heidegger sich gedanklich bewegte, sich geistig zu verändern schien, dann geschah dies in der Regel ohne körperliche Raumveränderung. Zentrum seiner geistigen Bewegung war und blieb seine Hütte, sein spezifischer Denk-Raum. Adam Scharr, der architektonische Chronist der Todtnauberger Hütte spricht von einer „zentrierenden Bewegung“, die diese Berghütte bei Heidegger erzeugt hätte: „Wenn Heideggers Hütte etwas bedeutet, dann liegt diese Bedeutung wohl in der zentrierenden Bewegung, die sie für das Leben des Philosophen hatte. Dieser winzige Holzschuppen war das ‚Zeichen‘ des Philosophen; er steht für die Besonderheit seines Lebens und Arbeitens.“1 Die Hütte eröffnete Heidegger real und metaphorisch seinen Zugang zur Welt. Von ihr und von den räumlichen Erfahrungen dort im Hochschwarzwald trotzte er seine Sprachbilder ab. Nachdem die Stürme der 1920er und 1930er Jahre abgeklungen waren, sind es der Holzweg, die Lichtung und vor allem die Kehre, die sein Denken erfasste. Oder bewegte sich da gar nichts? Einige Philosophiehistorikerinnen und -historiker sehen eher die Kontinuitäten in Heideggers Denken. Der Anti-Rationalismus, der seine Philosophie seit den frühesten Arbeiten durchziehe, habe lediglich eine andere Form und teilweise neue Begrifflichkeiten erhalten. Und mit dem Aufkommen einer technikkritischen ökologischen Bewegung einen vollkommen neuen Resonanzraum, der Heideggers Denken plötzlich in sozialen Milieus anschlussfähig erschienen ließ, die wenige Jahre zuvor den 1

Adam Sharr: Heideggers Hütte, Berlin 2010, S. 112.

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Kontakt mit dem NS-belasteten Denker gemieden hätten. Die Angst vor einer nichtbeherrschbaren Technik, verbunden mit einer Romantisierung des einfachen und naturnahen Lebens, wandelten den Verfemten, dessen universitäres Lehrverbot erst wenige Jahre zuvor aufgehoben worden war, plötzlich zu einer Art Öko-Philosophen um. Seine dunkel geraunten Warnungen vor kalter Rationalität erhielten für viele einen neuen Klang. Fragen wie die folgende fügten sich in den 1960er Jahren in einen neuen Kontext: „Ob man die radikale Unmenschlichkeit der jetzt bestaunten Wissenschaft einmal ansieht und noch rechtzeitig zugibt?“2 Eine Frage, so suggestiv, dass sie in ihren Prämissen bereits die Antwort vorwegnahm. Die Wissenschaft wird hier als Feind der Humanität entlarvt, sie ist es, die „unmenschlich“ ist, mehr noch: „radikal unmenschlich“. Bevor sich die Tiefe dieser Suggestion einem erschließt, die gerade einmal zwei Jahrzehnte nach dem Ende des sogenannten „Dritten Reichs“ formuliert wurde, geht Heidegger schon weiter. Er ist schnell, drängend, wie beim Wandern in den Bergen. Wer schlendert, verkennt die Aufgabe des tätigen Tuns. „Die Übermacht des rechnenden Denkens schlägt täglich entschiedener auf den Menschen selbst zurück und entwürdigt ihn zum bestellbaren Bestandstück eines maßlosen ‚operationalen‘ Modelldenkens.“3 Übermacht. Entwürdigung. Maßlosigkeit. Man verstand vielleicht nicht alles. Aber irgendwie klang es richtig und vor allem groß und erhaben, was der Denker da erklärte: „Eine Möglichkeit besteht, dass die Vollendung der Herrschaft des Wesens der modernen Technik (das heißt des Gestells) zum Anlass einer Lichtung seiner eigenen Wahrheit (das heißt des Ereignisses) wird, dass so erst die Wahrheit des Seins ins Freie gelangt.“4 Wer wollte sie nicht betreten, diese Lichtung 2

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Martin Heidegger: „Zeichen“, in: Ders.: Gesamtausgabe, Band 13: Aus der Erfahrung des Denkens 1910-1976, herausgegeben von Hermann Heidegger, Frankfurt/M. 1983, S. 211 Ebd. Martin Heidegger: „Aufzeichnungen aus der Werkstatt“, in: ebd., S. 153.

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der eigenen Wahrheit? Und wer wollte verhindern, dass die „Wahrheit des Seins“ ins Freie gelangt? Jetzt ging es nicht mehr um eine kalte, unpersönliche, objektivierbare Wahrheit. Jetzt ging es um die eigene Wahrheit. Und zugleich um die Wahrheit des Seins. Durch sein eigenes naturnahes und einfaches Leben in der Hütte auf dem Berg unterfütterte er seine Texte und Vorträge mit einem Hauch des Authentischen, den die rein akademisch arbeitenden Denkerinnen und Denker nicht bieten konnten. Wenn er davon sprach, dass etwas „ins Freie gelangte“, dann sah man die grasbewachsene Lichtung vor dem geistigen Auge. Was seinen Kritikerinnen und Kritikern als esoterisch verbrämt erschien, entzückte seine neue Zuhörerschaft. Und er schien zu ahnen, was diese hören wollte: „Doch man will alles steuern, möchte keine Spur mehr spüren, das heißt einer schon unscheinbar gegebenen Weisung nachgehen, um sie erblickend zu hören.“5 Eine Spur spüren statt alles steuern zu wollen, solche Worte trafen den antirationalen Zeitgeist. Und dass diese Worte von einem stammten, der sich augenscheinlich so wenig aus dem Zeitgeist machte, schien ihre tiefe Wahrheit zusätzlich zu unterstreichen. Wer wollte nicht erblickend hören? Ging es nicht gerade darum, die Sinne zu weiten? Der schmale Grat Heidegger erfand sich neu als Technikkritiker und war doch ganz bei sich. Der Prophet vom Berg hatte ein neues Auditorium gefunden, eines, das ihm manch Dramatisierung und verbalen Fehltritt zu entschuldigen schien. Anfang der 1950er Jahre erklärte er in München bei einem Vortrag vor der Bayrischen Akademie der Schönen Künste: „Die Bedrohung des Menschen kommt nicht erst von den möglicherweise tödlich wirkenden Maschinen und Apparaturen der Technik.“ Die rhetorische Figur folgt auch hier 5

Ebd.

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seinem eingeübten Muster der Überwältigung. Zunächst wird der Zeitgeist adressiert, die Angst vor der Zerstörungskraft moderner Technik, um diese sogleich als bloß vordergründig zu entlarven. „Die eigentliche Bedrohung hat den Menschen bereits in seinem Wesen angegangen“, führt Heidegger weiter aus und erklärt schließlich: „Die Herrschaft des Gestells droht mit der Möglichkeit, dass dem Menschen versagt sein könnte, in ein ursprüngliches Entbergen einzukehren und so den Zuspruch einer anfänglichen Wahrheit zu erfahren.“6 Heidegger deutete an und die Zuhörerinnen und Zuhörer ahnten, dass die Unbeherrschbarkeit der Technik eine noch viel tiefergehende Dimension haben könnte. Die Technik verhinderte, so Heidegger, dass wir Menschen in ein ursprüngliches Entbergen einkehren können. Was auch immer das konkret bedeuten sollte, die Zuhörerinnen und Zuhörer spürten, dass die Technik uns auf einer anthropologisch-philosophischen Tiefenebene herausforderte, die mit reiner ingenieursmäßiger Logik nicht erfasst werden konnte. Und diese Dramatik des Denkens versuchte Heidegger nicht selten durch besonders dramatische Formulierungen auszudrücken: „Die Kehre der Gefahr ereignet sich jäh. In der Kehre lichtet sich jäh die Lichtung des Wesens des Seins. Das jähe Sichlichten ist das Blitzen.“7 Lichten, Blitzen und das Ganze als jähes Ereignis. Es war ein schmaler Grat, auf dem Heidegger sprachlich wandelte. Und manches Mal rutschte er dabei erkennbar ab. Gerade mal vier Jahre nach Kriegsende, vier Jahre nachdem in Auschwitz das industrialisiert organisierte Morden ein Ende genommen hatte, sagte Heidegger in einem Vortrag in Bremen: „Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen und Gaskammern.“8 6

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Martin Heidegger: Die Technik und die Kehre, Pfullingen 1962, hier zitiert nach: Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 442. Zitiert nach ebd., S. 443. Zitiert nach: Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 457.

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Liest man diese Zeilen heute, stockt einem der Atem. Man muss den Satz noch einmal lesen. Steht das wirklich da? Hat er das wirklich so gesagt? Setzt er hier wirklich die industriell durchgeführte Landwirtschaft mit dem industriell durchgeführten Massenmord der Shoah gleich? Man fragt sich, wie es seinen damaligen Zuhörerinnen und Zuhörern ergangen sein mag. Stockte ihnen auch der Atem? Waren sie auch schockiert? Oder hörten sie diese Ungeheuerlichkeit gar nicht? In dieser Phase seines Denkens brachte Heidegger vieles zusammen, was nicht zusammenzupassen schien. Manches davon empörte, das meiste jedoch dürfte seine neue Leserschaft entzückt haben. Auch die indigenen Kulturen, damals noch schlicht „Indianer“ genannt, die in esoterischen Kreisen ob ihrer Naturverbundenheit und Spiritualität verehrt wurden, finden in Heideggers Denken Einzug. „Heute lebt das eigentliche, die Urkunde des Seins erkundende Denken nur noch in ‚Reservationen‘“, erläuterte Heidegger und verknüpfte damit seine Art des Denkens mit der tragischen Leidensgeschichte indigener Kulturen in Nordamerika. Damit diese Analogie auch jenen Leserinnen und Lesern nicht entging, die für subtile Anspielungen wenig empfänglich waren, fügte er in Klammern gesetzt hinzu: „Vielleicht, weil es [das die Ur-Kunde des Seins erkundende Denken] seiner Herkunft nach so alt ist wie auf ihre Art die Indianer.“9 Heidegger inszenierte sein Denken damit scheinbar beiläufig als einen alternativen Weg zu archaischen Wissensbeständen. Mit ein wenig Polemik könnte man von einer akademischen Andockstelle für New-Age-Existenzialisten sprechen, die er hier entwickelte. Und tatsächlich dockten damals einige bei Heidegger an. Berühmte, weniger berühmte und manche noch-nicht-berühmte Persönlichkeiten. Suchende, die bei Heidegger zwar meist keine Antworten fanden, dafür jedoch neue Impulse, um ihr eigenes Fragen zu vertiefen. Einer der vielleicht ungewöhn-

9

Martin Heidegger: „Aufzeichnungen aus der Werkstatt“, in: Ders.: Gesamtausgabe, Band 13: Aus der Erfahrung des Denkens 1910-1976, herausgegeben von Hermann Heidegger, Frankfurt/M. 1983, S. 152.

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lichsten Adepten dieser Phase war einer, der später als existenzialistischer Asket und cineastisches Genie gefeiert wurde: Terrence Malick. Der spätere Kult-Regisseur, der mit Meisterwerken wie Badlands oder Der schmale Grat das alte Hollywood herausgefordert hat, war fasziniert von Heidegger. Damals – in den 1960er Jahren – hatte der ehemalige Philosophiestudent gerade seine Doktorarbeit abgebrochen. Ein Suchender, auch im individuell-existenzialistischen Sinn. Von Chauffeuren und Chimären War Terrence Malick auf der Hütte zu Besuch gewesen? „Es gehört zur Malick-Fama, dass dieser nach der Erinnerung von Kommilitonen einmal nach Deutschland zu Heideggers Hütte gepilgert sei und dort von dem Philosophen eine Widmung in sein Sein und Zeit-Exemplar erhalten habe“, schreibt Lutz Hachmeister10 und lässt damit die Frage, ob Malick tatsächlich in Todtnauberg gewesen war, erkennbar offen. Hachmeister spricht von einer Fama, einem Gerücht, ohne der Frage nach dem Wahrheitsgehalt weiter nachzugehen. Klar ist jedoch, dass sich Malick intensiv mit Heideggers Denken auseinandergesetzt hat. So sehr, dass er sich in seiner Dissertation mit ihm beschäftigen wollte. Zwar vollendete er die geplante Doktorarbeit nicht, Ende der 1960er Jahre trat er jedoch als Übersetzer von Heideggers Vom Wesen des Grundes in der englischsprachigen Fachgemeinschaft in Erscheinung. Vor allem aber gilt, was Hachmeister im Anschluss an die oben zitierte Bemerkung schreibt: „In jedem Fall hat der Sound der MalickFilme deutliche Heidegger-Bezüge.“11 Und das ist gewichtiger als die philosophische Übersetzungsarbeit. Oder, um es präziser zu formulieren: Seine Filme können als die wesentlichere philosophische Übersetzungsarbeit gelesen werden. 10

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Lutz Hachmeister: Heideggers Testament. Der Philosoph, der Spiegel und die SS, Berlin 2014, S. 31. Ebd.

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Das politische Magazin Cicero zitierte in diesem Kontext einmal Heidegger mit den Worten: „Das Wovor des Erschreckens ist zunächst etwas Bekanntes und Vertrautes. Hat dagegen das Bedrohliche den Charakter des ganz und gar Unvertrauten, dann wird die Furcht zum Grauen.“ Um daran anschließend zu ergänzen: „Und genau darum geht es in allen Filmen von Terrence Malick: um Menschen an der Grenze zwischen Erkenntnis und Verrücktwerden.“12 Oder, um in Heideggers Terminologie zu sprechen: Es geht in Malicks Filmen um die sich langsam steigernde Dramatik des alltäglichen Seins in der Seinsform des Daseins, um die filmische Verdichtung des Seins zum Tode. Auch in diesem Cicero-Artikel wurde übrigens der mögliche Besuch Malicks auf der Hütte in Todtnauberg als „Legende“ bezeichnet.13 Die Frankfurter Allgemeine Zeitung fügte dieser Legendenerzählung jüngst eine weitere Facette hinzu. „War der spätere Regisseur Terrence Malick für kurze Zeit der Chauffeur des Philosophen Martin Heidegger?“, fragte Thilo Komma-Pöllath in der FAZ.14 Er bezieht sich dabei auf die Autobiografie Leoluca Orlandos. Der berühmte italienische Jurist und ehemalige Bürgermeister von Palermo beschreibt darin, wie er im Jahr 1970 bei der Abschiedsvorlesung des Philosophen Hans-Georg Gadamer, eines renommierten Heidegger-Schülers, an der Universität Heidelberg eine für ihn denkwürdige Begegnung erlebte. Heidegger sei in einem „weißen Ford Mustang“ vorgefahren worden.15 Orlando, der damals in Heidelberg Jura studierte, suchte Kontakt zu dem berühmten deutschen Philosophen, doch Heidegger sei schon in der Universität verschwunden gewesen. Deshalb habe er ein Gespräch mit dem Chauffeur des Denkers 12

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O.V.: „Heideggers einsamer Cowboy“, in: Cicero. Magazin für politische Kultur, www.cicero.de/kultur/heideggers-einsamer-cowboy/42101 (abgerufen am 31.03.2021). Ebd. Thilo Komma-Pöllath: „Der stille Amerikaner. Wer war Heideggers Chauffeur?“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.02.2021, www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/war-terrence-malick-1970-heideggers-chauffeur17207934-p2.html (abgerufen am 31.03.2021). Vgl. ebd.

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angefangen, einem jungen US-Amerikaner. Orlando schildert in seinen Erinnerungen, dass er ihn gefragt habe, ob er der Fahrer Heideggers sei. „Ja, er fahre den Professor und besorge ihm Zeitungen und was er unterwegs benötige“, soll dieser geantwortet haben.16 Und er soll ergänzt haben: „Ich habe für mich entschieden, ein paar Jahre mit Professor Heidegger zu verbringen. Das ist ein Job mit großen Freiheiten, von dem ich später meinen Enkeln erzählen werde.“17 Seinen Namen soll der junge Amerikaner nicht genannt haben, aber Orlando sei inzwischen davon überzeugt, dass es sich damals um Terrence Malick gehandelt habe, den späteren existenzialistischen Hollywood-Erneuerer. Als Orlando den Chauffeur nach seiner Bezahlung fragte, soll der verärgert geantwortet haben: „Nichts. Ich brauche kein Geld. Und du bist ein Italiener mit zu vielen Fragen. Lass uns nicht mehr über den Professor reden.“18 Daraufhin habe er sich abgewendet und das Gespräch abrupt beendet. Ob Malick also tatsächlich Heideggers Chauffeur gewesen war, bleibt damit ebenso im Ungewissen, wie die Frage, ob er Heidegger in seiner Todtnauberger Hütte besucht habe. Beides lässt sich hier nicht klären. Malick selbst schweigt dazu. Wie zu den meisten Fragen, die an ihn herangetragen werden. Er lässt stattdessen seine Filme sprechen. Am Ende heimatlos? Zum Zeitpunkt dieses Aufeinandertreffens – oder Nichtaufeinandertreffens – in Heidelberg, das Leoluca Orlando schilderte, hatte Heidegger bereits das 80. Lebensjahr überschritten. Die Hütte, über Jahrzehnte hinweg gleichermaßen Denk-Raum und Bezugspunkt seines Denkens, war damals für ihn immer schwerer zu erreichen und kaum noch zu bewohnen. In einem Brief an Hannah Arendt schrieb er im Oktober 1971: „Anfang des Monats waren 16 17 18

Ebd. Ebd. Ebd.

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wir für 14 Tage zur dringenden Erholung auf der ‚Halde‘ am Schauinsland. Das Hotel liegt genau so hoch wie die Hütte, die – im nächsten Jahr 50 Jahre alt – wir in unserem Alter nicht mehr auf längere Zeit bewohnen können.“19 Für Heidegger war dies sicherlich eine Zäsur, die den Prozess des Alterns, der ohnehin schwer genug zu ertragen ist, noch zusätzlich verschärfte. „Heimatlos ist der Mensch, obgleich sich fast kaum mehr eine Stelle der Erde ausfinden lässt, wo der Mensch sich nicht einrichtet und nicht seine Umtriebe betreibt“, hat Heidegger 1960 in Sprache und Heimat geschrieben.20 Nun war er selbst heimatlos geworden. Ohne seine Hütte fehlte ihm der Resonanzraum, der sein Denken zum Schwingen brachte. Rüdiger Safranski hat es einmal auf den Punkt gebracht: „Die Orte seines Denkens lassen sich recht genau bestimmen. Ein imaginärer und ein wirklicher, das Griechenland der Philosophie und die Provinz, näherhin Todtnauberg.“21 Letzterer verschwand als das Alter seinen körperlichen Radius eingrenzte. Hannah Arendt sprach einmal von einem Dreieck, das Heideggers Existenz umspannte: „Freiburg – Meßkirch als Hypothenuse (sic!) und darüber Todtnauberg.“22 Auch für Arendt markierte damit die Hütte im Schwarzwald den höchsten Punkt von Heideggers Existenz. Den Gipfelpunkt. Dieser Punkt fehlte Martin Heidegger in seinen letzten Jahren. 1976 starb er in Freiburg.

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Hannah Arendt, Martin Heidegger: Briefe 1925 bis 1975 und andere Zeugnisse, hrsg. von Ursula Ludz, Frankfurt/M. 1998, S. 222. Martin Heidegger: „Sprache und Heimat“, in: Ders.: Gesamtausgabe, Band 13: Aus der Erfahrung des Denkens 1910-1976, herausgegeben von Hermann Heidegger, Frankfurt/M. 1983, S. 157. Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 312. Hannah Arendt, Martin Heidegger: Briefe 1925 bis 1975 und andere Zeugnisse, hrsg. von Ursula Ludz, Frankfurt/M. 1998, S. 155.

Nachwort „Wir werden ja vollkommen versoziologisiert!“

„Dieser Anfang käme zuletzt. Weil er noch gespart ist, sind wir nie befugt, nur mit einem Ende im Sinne des bloßen Aufhörens zu rechnen.“ Martin Heidegger1

Jedes Mal, wenn ich auf den Balkon des Hauses meiner Schwiegermutter trete, kann ich sie sehen. An den Berg geduckt, die verwitterten Schindeln sich kaum vom grünlich-braunen Farbton der Bergwiese sich abhebend, weit oben, dem restlichen Bergdorf fast enthoben. Die Heidegger-Hütte in Todtnauberg. Immer noch im Besitz der Familie des Philosophen, kein Museum, sondern ein einfaches, fast spartanisches Ferienhäuschen im Südschwarzwald. Der Martin-Heidegger-Weg, eine etwa sechs Kilometer lange Wandertour, führt an der Hütte vorbei und bindet sie damit in die touristische Vermarktung des Bergdorfs ein. Martin Heidegger hat mich seit meinen Studientagen an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg begleitet. Nicht dass ich ein Exeget seiner Schriften wäre, ich bin auch kein ausgebildeter Philosoph. Aber Heidegger, der ehemalige „Führer-Rektor“, war und ist eigenartig präsent in den Hallen der Universität, zumindest in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fakultäten. 1

Martin Heidegger: „Aufzeichnungen aus der Werkstatt“, in: Ders.: Gesamtausgabe, Band 13: Aus der Erfahrung des Denkens 1910-1976, herausgegeben von Hermann Heidegger, Frankfurt/M. 1983, S. 153.

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Willem van Reijen, mein akademischer Lehrer und väterlicher Freund, versuchte immer wieder, uns Studierenden die Vielschichtigkeit des Heideggerschen Denkens nahezubringen. Ein schwieriges Unterfangen, da Willem van Reijen in Freiburg als Philosoph nicht in der Philosophie, sondern in der Soziologie lehrte. Und uns Soziologinnen und Soziologen ist bekanntermaßen die Evidenz empirischer Fakten ein notwendiges Fundament theoretischer Weltdeutung. Und, das muss man so deutlich formulieren, die soziologisch relevante Faktenlage sah bei Heidegger nicht gut aus. Willem van Reijen hat die Veröffentlichung der Schwarzen Hefte nicht mehr erlebt. Wahrscheinlich hätten diese Denktagebücher ihn erschüttert. Wahrscheinlich wäre es ihm ähnlich ergangen wie seinem Kollegen Günter Figal, der in Freiburg den renommierten Philosophielehrstuhl innehatte, der Edmund Husserl und Martin Heidegger zugeschrieben wird. Nach intensiver Lektüre der Schwarzen Hefte trat Figal vom Vorsitz der Martin-Heidegger-Gesellschaft zurück. Bei mir blieb eine Ambivalenz im Verhältnis zu Heidegger. Da gab es eben auch den Sound von Sein und Zeit, die teilweise sensiblen Reflexionen über Bauen Wohnen Denken und nicht zuletzt – gleichsam als metaphorische Materialisierung – die Heidegger-Hütte, die trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer architektonischen Schlichtheit einen eigenartigen Reiz auf mich ausübte. Und so kam es, dass ein Soziologe sich in diesem Buch dem zentralen Denk-Raum Martin Heideggers angenähert hat. „Ausgerechnet ein Soziologe!“, hätte Heidegger wahrscheinlich ausgerufen. Seine Beziehung zu dieser Disziplin, der vergleichsweise jungen, empirischen und kritischen Gesellschaftswissenschaft war, gelinde gesagt, schwierig. „Wir werden ja vollkommen versoziologisiert!“, soll Heidegger beim legendären Spiegel-Interview mit Rudolf Augstein und Georg Wolff im Jahr 1966 gesagt haben. In der finalen Fassung erschien der Ausruf nicht, ebenso wenig wie die rhetorische Frage, die der Denker an die beiden Journalisten stellte: „Sie se-

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hen die Übermacht der heutigen Wissenschaften und das Vordringen der Soziologie und all diese Dinge, nicht?“2 Diese Passage ließ Heidegger vor der Veröffentlichung aus der finalen Textfassung herausredigieren. In früheren Fassungen sind beide Sätze jedoch enthalten. Dieses „Vordringen der Soziologie“ trieb Heidegger in den 1960er Jahren offenkundig um. Etwa ein Jahr vor dem Besuch der beiden Spiegel-Redakteure in seiner Todtnauberger Hütte, hatte Heidegger am 13. April 1965 in einem Brief an Hannah Arendt in noch deutlicheren Worten geschrieben: Die Philosophie „muss nun freilich bei uns der Soziologie, Semantik und Psychologie weichen.“ Hier dringt die Soziologie nicht nur in alle möglichen Wissens- und Diskursbereiche vor, hier verdrängt sie gar die Philosophie. Fast schon dialektisch fügte Heidegger noch an: „Indes könnte das Ende der Philosophie der Anfang eines anderen Denkens werden.“3 Dass er sich diesen Anfang nicht in einem soziologisch grundierten Sinne wünschte und vorstellte, war dabei offenkundig. Denn Soziologie, das grenzte für Heidegger an Schmähung. Ende der 1960er Jahre soll er über Theodor W. Adorno, seinen philosophischen Antipoden der Nachkriegszeit, das Urteil gefällt haben: „Also doch ein Soziologe, kein Philosoph.“4 Damit charakterisierte er einen der wichtigsten und wirkmächtigsten deutschen Philosophen des 20. Jahrhunderts als nicht satisfaktionsfähig – zumindest in seinen höchst eigenen Kriterien philosophischen Denkens. Es half ihm offenkundig, diese Grenze gegenüber Adorno zu ziehen und sie disziplinär zu fundieren. Der Frankfurter Denker forderte ihn damit nicht mehr auf „seinem“ Feld der Philosophie heraus, sondern Adorno wurde dadurch zu einer Personifizierung dieses vordringenden und verdrängenden 2

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Zitiert nach: Lutz Hachmeister: Heideggers Testament. Der Philosoph, der Spiegel und die SS, Berlin 2014, S. 243. Zitiert nach: Hannah Arendt, Martin Heidegger: Briefe 1925 bis 1975 und andere Zeugnisse, hrsg. von Ursula Ludz, Frankfurt/M. 1998, S. 150. Zitiert nach: Lorenz Jäger: Heidegger. Ein deutsches Leben, Berlin 2021, S. 487.

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Charakters der Soziologie, die der Philosophie – und damit in Persona eben auch ihm – keinen Raum mehr zu lassen schien. Heidegger und Adorno, das waren zwei sich in inniger Abneigung wechselseitig verbundene Meisterdenker des 20. Jahrhunderts. Angesichts ihrer grundverschiedenen biographischen Erfahrungen dürfte diese Abneigung auch kaum verwundern. Hier der Nazi-Mitläufer, dort der kritische deutschjüdische Intellektuelle, der ins Exil getrieben worden war. Adorno gehörte in der Nachkriegszeit zu Heideggers schärfsten Kritikern. Doch die Schärfe, die zwischen beiden herrschte, geht über fachliche Kritik hinaus und ist als durchaus ungewöhnlich zu bezeichnen. 1966 widmete der Frankfurter Philosoph in seinem Hauptwerk Negative Dialektik ausführliche Passagen der Auseinandersetzung mit Heidegger und dessen Seinsphilosophie, die in der jungen Bundesrepublik damals eine Renaissance erlebte. „Die Ontologien in Deutschland, zumal die Heideggersche, wirken stets noch weiter, ohne dass die Spuren der politischen Vergangenheit schreckten“, erläuterte Adorno.5 Das waren in einer philosophischen Abhandlung mehr als nur subtil zu bezeichnende Verweise auf eine diagnostizierte Verbindung zwischen Heideggers Denken auf der einen Seite und dessen persönlichen Verfehlungen auf der anderen Seite. Zwei Sphären, die damals von vielen als scharf getrennt dargestellt wurden, nicht zuletzt, um Heideggers Denken vor der persönlichen Ebene des faschistischen Mitläufertums zu retten. Gegen eine solche Haltung gerichtet, führte Adorno in ungewohnt scharfem Ton weiter aus: „Ungreifbarkeit wird zur Unangreifbarkeit. Wer die Gefolgschaft verweigert, ist als geistig vaterlandsloser Geselle verdächtig, ohne Heimat im Sein“, so der kritische Theoretiker.6 Adorno mischte hier den Sound der Ontologie mit einem bewusst evozierten Echo des schnarrenden Tonfalls der 1930er und 1940er Jahre: „Seinsgläubigkeit, trübes weltanschauliches Derivat kritischer Ahnung, artet wirklich zu 5 6

Theodor W. Adorno: Negative Dialektik, Frankfurt/M. 1966, S. 67. Ebd.

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dem aus, als was Heidegger unvorsichtig sie einmal definierte, zur Seinshörigkeit“, so Theodor W. Adorno.7 Und schließlich: „Neubeginn auf einem vorgeblichen Nullpunkt ist die Maske angestrengten Vergessens, Sympathie mit der Barbarei ihm nicht äußerlich.“8 Insbesondere der letzte Halbsatz wirkt nach. Denn wenn diesem Denken die „Sympathie mit der Barbarei“ tatsächlich „nicht äußerlich“ sei, dann wäre sie zwangsläufig als inhärent anzusehen. Also dieser Form des Denkens innerlich. Laut seinem Biographen Lorenz Jäger soll Martin Heidegger „nie auch nur eine Zeile gelesen“ haben, die Adorno zu Papier gebracht hat.9 Einerseits kann man es sich in Anbetracht der Schärfe dieser Kritik, des Umfangs und der medialen Wirkung, die Adornos Texte erzielten, nur schwer vorstellen, dass Heidegger die Negative Dialektik und andere Texte des Frankfurter Antipoden nicht in die Hand genommen haben soll. Andererseits war Heidegger sicherlich ein Meister darin, sich vom Lärm der Welt abzuwenden und sich oben, in der Hütte in Todtnauberg, ein eigenes Refugium zu schaffen. „Wenn Heidegger davon träumt, mit seiner Philosophie als Berg zwischen Bergen zu stehen, wenn er Wesentliches zum Stand bringen will, damit das Volk im Flachland am Ragenden der Philosophie eine Orientierungsmöglichkeit habe, dann zeigt sich darin, dass auch nach dem politischen Machtrausch Heideggers Philosophieren noch von Machtideen infiziert war“, diagnostizierte Rüdiger Safranski.10 Oder einfacher formuliert: Die Hütte erwies sich auch in dieser Lebensphase als paradigmatischer Rahmen seines Denkens und seiner ganz eigenen Sicht der Welt. Eine spartanische Trutzburg auf den Höhen des Schwarzwalds, die ihn der Kritik dort unten enthob. „Weil sich aber jedes vom Menschen geschaffene Haus als angreifbar erweist (und 7 8 9

10

Ebd., S. 74. Ebd., S. 77. Zitiert nach: Lorenz Jäger: Heidegger. Ein deutsches Leben, Berlin 2021, S. 487. Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt/M. 2002, S. 350.

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weil weiterhin der bedrohliche Raum verborgen auch innerhalb des Hauses weiterhin lauert), ergibt sich die weiterführende letzte Aufgabe, die Versteifung im festen Gebäude wieder zu überwinden und eine letzte Geborgenheit in einem Raum wiederzugewinnen, der nicht mehr der vom Menschen begründete Eigenraum des Hauses ist, sondern der übergreifende Raum überhaupt“, hat sein Schüler Otto Friedrich Bollnow11 in seinem raumphänomenologischen Grundlagenwerk Mensch und Raum geschrieben. Ein Text, der von Heidegger inspiriert war und der in dieser Passage sich geradezu an ihn zu wenden schien. Bollnow hat das dunkel Raunende seines Meisters übernommen und erfolgreich kultiviert, die Kunst der anspruchsvollen Formulierung, deren Klang häufig beeindruckt und deren Bedeutung zugleich oft im Ungefähren verfangen bleibt. Diese eigentümliche Form der Überwältigungsrhetorik, die Leserinnen und Leser nicht zwingend rational überzeugt, sondern vielmehr emotional mitreißt. Sie stößt an, bringt etwas zum Schwingen, erzeugt ein Gefühl der Übereinstimmung. Die Leserinnen und Leser, die Zuhörerinnen und Zuhörer werden mit ihrer eigenen lebensweltlichen Erfahrung zu einem Teil von etwas, das größer als sie selbst zu sein scheint, zu etwas, das sie der kläglichen Existenz ihrer alltäglichen Sorgen und Nöte enthebt. Der Trick dieses sprachtaktischen Vorgehens besteht darin, dass es zugleich den Kreis dieser alltäglichen Phänomene nicht verlässt. Die Sprache ist dunkel und komplex, die behandelten Gegenstände aber sind im wahrsten Sinne des Wortes für jede und jeden greifbar. Sie sind dem Leben entnommen, das wir alle führen. Wir wissen, von was die Rede ist, auch wenn wir nicht ganz verstehen, welche Argumentationsschritte philosophisch gegangen und welche Schlüsse tatsächlich gezogen werden. Vielleicht macht genau das den spezifischen Reiz aus: Wir verstehen nur halb. Aber immerhin. Wir spüren, dass es sich hier um etwas Anspruchsvolles zu handeln scheint. Etwas das unsere Existenz betrifft, unser Sein – oder unser Seyn. Auch wenn wir 11

Otto Friedrich Bollnow: Mensch und Raum, Stuttgart 2004, S. 307.

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es mehr erahnen als verstehen. Es handelt sich um eine Sprache, die uns nobilitiert, die uns ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer geistigen Elite vermittelt, die uns geheimes Wissen zu offenbaren scheint, das anderen verborgenen bleibt. Zugleich eine Sprache, die uns einen Auftrag für unsere Lebensführung erteilt, so ungefähr und unscharf er auch sein mag: „Es gilt also, über den in sich selber versteiften Schein einer künstlich geschaffenen und immer nur trügerischen Geborgenheit zu der anderen, offenen Geborgenheit zu gelangen, bei der die naive Räumlichkeit auf höherer Ebene wiederhergestellt wird. Dahin zu gelangen, ist aber nicht leicht und erfordert vom Menschen die besondere Anstrengung, sich von der trügerischen Sicherheit zu lösen“, führt Bollnow weiter aus.12 Von einer „trügerischen Geborgenheit“ zu einer „offenen Geborgenheit“ zu gelangen, eine „naive Räumlichkeit“ zu überwinden, um eine Räumlichkeit „auf höherer Ebene“ zu erreichen. Das klingt nach jugendbewegtem Aufbruch, auch wenn es ein damals 60 Jahre alter Mann geschrieben hat, der von einem noch älteren Mann inspiriert war. Sich von der trügerischen Sicherheit lösen, darum ging es Bollnow – selbst bei etwas so Alltäglichem wie dem Wohnen. Darum schien es ihm und seinem Mentor Heidegger irgendwie immer gegangen zu sein. Sicherheit, Saturiertheit, Bürgerlichkeit. Dagegen galt es zu revoltieren. Es war gleichsam eine permanente metaphysische Revolte gegen „falsche“ Sicherheit, gegen „trügerische“ Geborgenheit, gegen „naive“ Räumlichkeit. Dabei spielte es im Übrigen keine Rolle, dass Bollnow wie Heidegger als verbeamtete Professoren genau diese Sicherheit in einem nicht geringen Maße kultivierten und repräsentierten. Aber halten wir hier kurz inne und stellen die Frage, die angesichts der intendierten emotionalen Überwältigung selten gestellt wird: Was soll das Ganze eigentlich bedeuten? Was bedeutet es, die Versteifung im festen Gebäude wieder zu überwinden? Welche Versteifung? Und warum eigentlich wieder? Gab es früher 12

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bessere Zeiten, in denen diese Überwindung bereits geglückt war? Falls ja, wann soll das gewesen sein? Und was meint Bollnow mit der letzten Geborgenheit, die es gelte, in einem Raum wiederzugewinnen? Ist die Frage nach „letzter Geborgenheit“ wirklich eine Frage des Räumlichen? Kann sie wirklich in einem Raum gewonnen werden, wie Bollnow schreibt? Oder führt diese Frage nicht vielmehr in den Bereich der Transzendenz? Und damit gerade in jene Sphäre eines dem Räumlichen enthobenen Seinszustands? Was wir am Ende festhalten können: Wenn es einen solchen Raum der letzten Geborgenheit geben sollte, dann hätte Heidegger wohl geglaubt, diesen in seiner Hütte gefunden zu haben. Zumindest wäre sein Todtnauberger Domizil dieser Suche nach letzter Geborgenheit sehr nahegekommen. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite muss man hinzufügen, dass die entscheidende Komponente dafür fehlte: Selbst hier oben entkam Heidegger der Versteifung nicht, von der Bollnow so virtuos geschrieben hat. Im Gegenteil schienen die Hütte und das Leben in ihr dieser Versteifung noch Vorschub zu leisten. Zeitlebens hat es Heidegger nicht geschafft, ein klares öffentliches Wort zu seiner Verstrickung in den Nationalsozialismus zu finden. Zeitlebens fand er kein Wort für die Opfer der Nazibarbarei, kein Wort für seinen eigenen Irrgang. Er verschanzte sich hier oben auf der Hütte und wich zeitlebens dem Dialog mit seinen Kritikerinnen und Kritikern aus – versteift in seiner Rolle des von der Welt „da unten“ missverstandenen Meisterdenkers. Von den einen verachtet, von denen anderen verehrt. Und von beiden Gruppen pilgerten und pilgern unzählige bis heute nach Todtnauberg, um zumindest einmal die Hütte – jenen fast schon mythischen Ort – mit eigenen Augen zu sehen, die Luft „dort oben“ zu atmen, das Klima zu fühlen und vielleicht sogar, unter Missachtung der Grenzen des Privatgrundstücks, die Schindeln der Hütte mit eigenen Händen zu berühren. Letzteres übrigens durchaus zum Verdruss der Nachkommen Heideggers, die den vermeintlich mythischen Ort als das nutzen

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wollen, was er eigentlich ist: ein Feriendomizil in reizvoller Schwarzwaldlandschaft. Nicht mehr und nicht weniger. Aber wen interessiert schon die profane Wirklichkeit, wenn es in den von unseren Phantasmen bevölkerten Räumen wesentlich mehr zu entdecken gibt?

Über den Autor

Martin Ludwig Hofmann, Jahrgang 1972, lehrt seit 2008 als Professor für Humanwissenschaften im Kontext der Gestaltung an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe und ist Dekan des Fachbereichs Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur. Er war Gastprofessor an der Universität für angewandte Kunst in Wien und humanwissenschaftlicher Gutachter für die EU-Kommission in Brüssel. Nach seinem Studium der Soziologie, Politikwissenschaft und Betriebswirtschaftslehre an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br. erlernte er im Agenturnetzwerk BBDO das Kommunikationshandwerk. Er arbeitete als Texter, Kreativdirektor und Strategieberater für verschiedene Agenturen. Für seine kreativen und konzeptionellen Arbeiten wurde er national und international vielfach ausgezeichnet. Im Wilhelm Fink Verlag erschienen von ihm unter anderem: Neuro-Design. Was Marketing und Design von Neurowissenschaft und Psychologie lernen können (2019, 2. Aufl. 2020), Human Centered Design. Innovationen entwickeln, statt Trends zu folgen (2017) sowie Mindbombs. Was Werbung und PR von Greenpeace & Co. lernen können (2008, 2. Aufl. 2012).

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BILDNACHWEIS Die Fotografien auf dem Einband, auf den Seiten 18/19, 50/51 und 150/151 stammen von Martin Ludwig Hofmann.