Die griechische Frühzeit: 2000 bis 500 v.Chr. [3 ed.] 9783406736513, 9783406736520, 3406736513

Karl-Wilhelm Welwei bietet eine anregende Einführung in die Frühgeschichte der ältesten europäischen Hochkultur. Entsteh

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German Pages 128 [130] Year 2019

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Inhalt
1. Einwanderung und Ethnogenese der Griechen
2. Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur der minoisch-mykenischen Zeit
3. Die mykenischen Herrschaftssysteme und ihr Untergang
4. Die «Dunklen Jahrhunderte» und das Problem der Ionischen Kolonisation
5. Das Verhältnis von Ethnos und Polis im Prozess der Staatswerdung in Griechenland
6. Die sogenannte Große Kolonisation der Griechen
7. Gesellschaftliche Gliederung und demographische Entwicklung in früharchaischer Zeit
8. Entstehung und Entwicklung von Institutionen im griechischen Siedlungsraum
9. Aspekte des Wirtschaftslebens in den «Dunklen Jahrhunderten» und in archaischer Zeit
10. Kunst und Kultur in archaischer Zeit
11. Die ältere Tyrannis und ihre Überwindung
12. Die Sonderwege der Spartaner und Athener
13. Die griechische Staatenwelt in spätarchaischer Zeit
Weiterführende Literatur
Sachregister
Zeittafel
Bildnachweis
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Die griechische Frühzeit: 2000 bis 500 v.Chr. [3 ed.]
 9783406736513, 9783406736520, 3406736513

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Kunst und Architektur längst vergangener Epochen der griechischen Geschichte faszinieren noch heute Jahr für Jahr zahllose Reisende, die Festland oder Inselwelt der ältesten europäischen Hochkultur besuchen. Die Nationalmuseen von Iraklion und Athen beherbergen einzigartige Schätze, deren Entstehungszeitraum weit vor den Tagen Homers liegt. Es sind dies die stummen Zeugen der minoischen und der mykenischen Kultur, die von der griechischen Frühzeit künden. Mit der Beschreibung des minoischen Griechenland setzt dieses kleine Buch ein. Es führt seine Leser weiter durch die mykenische Welt, durch die «Dunklen Jahrhunderte», die auf den Untergang der mykenischen Reiche folgten, und hinein in die Welt Homers, der für seine Zeitgenossen das steinerne Erbe der riesigen Paläste einer vergangenen, heroisch gedachten Kultur durch seine Verse mit Leben zu füllen suchte. Die Darstellung reicht darüber hinaus in die Entstehungszeit der Stadtstaaten, beschreibt den Gesellschaftsaufbau, die Wirtschaftsweise und nicht zuletzt Kunst und Kultur der um 800 v. Chr. beginnenden archaischen Epoche Griechenlands. Soziale Konflikte, Usurpation von Herrschaft durch einzelne Aristokraten, die Anfänge des Gegensatzes zwischen Athen und Sparta sowie der aufziehende Konflikt Griechenlands mit dem persischen Großreich sind weitere Themen dieses Bandes.

Karl-Wilhelm Welwei (1930 – ​2013) war Professor für Alte Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum. Er hat zahlreiche ­Publikationen zur griechischen Frühzeit vorgelegt und gilt nach wie vor als einer der besten Kenner dieser Epoche.

Karl-Wilhelm Welwei

DIE GRIECHISCHE FRÜHZEIT 2000 bis 500 v. Chr.

C.H.Beck

Mit 14 Abbildungen, 2 Karten und einer Zeittafel

1. Auflage. 2002 2., durchgesehene und aktualisierte Auflage. 2007

3., aktualisierte Auflage. 2019 © Verlag C.H.Beck oHG, München 2002 Reihengestaltung Umschlag: Uwe Göbel (Original 1995, mit Logo), Marion Blomeyer (Überarbeitung 2018) Umschlagmotiv: Schild des Achill aus der Trinkschale mit dem Motiv: Achill lauert vor einem Brunnenhaus Troilus auf, © Éditions Gallimard – Photothek ISBN Buch 978 3 406 73651 3 ISBN eBook 978 3 406 73652 0 Die gedruckte Ausgabe dieses Titels erhalten Sie im Buchhandel sowie versandkostenfrei auf unserer Website www.chbeck.de. Dort finden Sie auch unser gesamtes Programm und viele weitere Informationen.

Inhalt

1. Einwanderung und Ethnogenese der Griechen

7

2. Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur der minoisch-mykenischen Zeit

12

3. Die mykenischen Herrschaftssysteme und ihr Untergang

18

4. Die «Dunklen Jahrhunderte» und das Problem der Ionischen Kolonisation

28

5. Das Verhältnis von Ethnos und Polis im Prozess der Staatswerdung in Griechenland

39

6. Die sogenannte Große Kolonisation der Griechen

44

7. Gesellschaftliche Gliederung und demographische ­Entwicklung in früharchaischer Zeit

53

8. Entstehung und Entwicklung von Institutionen im griechischen Siedlungsraum

60

9. Aspekte des Wirtschaftslebens in den «Dunklen ­Jahrhunderten» und in archaischer Zeit

72

10. Kunst und Kultur in archaischer Zeit

75

11. Die ältere Tyrannis und ihre Überwindung

90

12. Die Sonderwege der Spartaner und Athener

100

13. Die griechische Staatenwelt in spätarchaischer Zeit

117

Weiterführende Literatur

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Sachregister

128

Karte 1:  Die griechische Kolonisation ca. 750 – ​550 v. Chr.

1. Einwanderung und Ethnogenese der Griechen*

Gedanken und Vorstellungswelt antiker Griechen werden uns in literarischer Form erstmals durch die Epen Homers vermittelt, denen in der Kulturgeschichte Europas eine unvergleich­ liche poetische und künstlerische Rezeption beschieden war. Sie erhielten ihre im Wesentlichen bleibende Gestalt im späten achten Jahrhundert in einer entscheidenden formativen Phase des historischen Hellenentums, stehen aber ihrerseits bereits in einer langen Sagen- und Liedertradition, die zwar für uns nicht mehr unmittelbar greifbar ist, aber noch Ursprünge jener grandiosen Originalität der Ilias und Odyssee erahnen lässt. Das kulturelle Bild, das in der homerischen Dichtung aufscheint, ist freilich auch geprägt durch motivgeschichtliche Einflüsse des Orients und dementsprechend in den größeren historischen Kontext eines ostmediterranen Kulturraumes einzuordnen, in dessen Rahmen sich vor allem auf dem Boden des hellenischen Mutterlandes die Ethnogenese  – also die Entstehung des Volkes – der Griechen vollzogen hat. Frühe schriftliche Zeugnisse für diesen Prozess sind seit der ge­ nialen Entzifferung der minoisch-mykenischen Linear-B-­ Schrift durch Michael Ventris in Zusammenarbeit mit John Chadwick im Jahre 1953 erschlossen worden. Es handelt sich hierbei allerdings nur um kurze Notizen der Palastverwaltungen an mehreren mykenischen Herrschaftszentren auf Kreta und im griechischen Mutterland. Immerhin vermitteln uns die Texte bereits einen gewissen Eindruck vom Laut- und Formenbestand und von Aspekten des Vokabulars eines um 1200 v. Chr. gebräuchlichen frühgriechischen Idioms, das als eine Art Stan*  Alle Jahreszahlen beziehen sich – soweit nicht anders vermerkt – auf die Zeit vor Christi Geburt.

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1. Einwanderung und Ethnogenese der Griechen

Karte Karte 2 – 2Griechenland – Griechenland

1. Einwanderung und Ethnogenese der Griechen

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KRETISCHES KRETISCHES MEER MEER KretaKreta Kydonia KydoniaKnossos Knossos MaliaMalia HagiaHagia TriadaTriada Phaistos Phaistos

LIBYSCHES LIBYSCHES MEER MEER

Kato Zákros Kato Zákros

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1. Einwanderung und Ethnogenese der Griechen

dardsprache ein Instrument damaliger Herrschaftspraxis in mykenischen Burgen und Palästen darstellte. Hierin manifestiert sich eindrucksvoll, dass bereits die mykenische Welt im Verlauf der Entwicklung und Ausformung ihrer Herrschafts- und Sozialstrukturen starke Impulse aus den Machtbereichen orientalischer Monarchien erhalten hat. Darüber hinaus ist jenes altertümliche, in den Linear-B-Texten dokumentierte Griechisch eine unschätzbare Quelle zum Verständnis der griechischen Ethnogenese, die in der neueren Forschung überwiegend als ein langfristiger Prozess gesehen wird. Ältere Erklärungsmodelle zur Entstehung des Hellenentums basierten auf Einwanderungstheorien, die von der Vorstellung einer in mehreren Wellen erfolgten Landnahme großer Verbände ausgingen. Die auf diese Weise postulierten Gemeinschaften wurden als Stämme verstanden und nach den in historischer Zeit existenten bedeutendsten Dialektgruppen benannt, die gewissermaßen in die Vorzeit zurückgespiegelt wurden. Demnach sollen frühe Träger des ionischen Dialekts um 2000, die Vorfahren der Aioler bzw. Achaier um 1600 und Dorier um bzw. nach 1200 nach Hellas eingewandert sein. Dass die Ethnogenese des Griechentums in starkem Maße durch Überlagerung eines vorhellenischen Sprachsubstrats durch zuwandernde Scharen bestimmt wurde, ist freilich aufgrund der Zuordnung des Griechischen zu der indoeuropäischen Sprachfamilie und der Existenz vorgriechischer Sprach­ elemente vor allem in Ortsnamen und Bezeichnungen für mediterrane Pflanzen und Tiere nicht zu bezweifeln. Die historischen griechischen Dialekte haben sich indes erst nach dem Ende der mykenischen Palastzeit (bald nach 1200) herausgebildet. Relikte des frühgriechischen Idioms der Linear-B-Texte haben sich nach dem Zerfall der mykenischen Herrschaftssysteme noch in gewissen Elementen dieser Dialekte erhalten, und zwar vor allem im Arkado-Kyprischen. Die Entwicklung des Griechischen ist somit ein komplexer sprachgeschichtlicher Prozess, dessen Anfänge offenbar bis in die frühe Bronzezeit zurückreichen. Es wurde vermutet, dass verschiedene Zerstörungshorizonte (wie z. B. das Ende einer frühbronzezeitlichen Siedlung in

1. Einwanderung und Ethnogenese der Griechen

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Lerna in der Argolis um 2300) in Verbindung mit einem kulturellen Wandel zu sehen und auf Gewaltakte neuer Bevölkerungselemente zurückzuführen ist. Die Anfänge der Entwicklung des Griechischen lassen sich indes linguistisch nicht ermitteln, so dass die Datierungsfrage ebenso wie das Problem der Herkunft protogriechischer Gruppen letztlich offenbleiben muss. Nur so viel ist deutlich, dass weder am Ende der Periode Frühhelladikum II (um 2300/2200) noch im Übergang von der Frühen zur Mittleren Bronzezeit (2000/1900) noch zu Beginn der Mykenischen Zeit (um 1600) umfangreiche Zerstörungs­ horizonte in weiten Teilen Griechenlands nachweisbar sind. Träger von Migrationen (Wanderungsbewegungen) waren zweifellos nicht allzu starke Gruppen, die jeweils durch eine mehr oder weniger begrenzte Verlegung ihres Siedlungsraumes gleichsam allmählich in die altmediterranen Kulturen in Griechenland hineingewachsen sind. Jene Scharen können durchaus unterschiedliche Idiome gesprochen und unabhängig voneinander neue Acker- und Weideflächen gesucht und dort in unterschiedlicher Weise sich mit den bereits ansässigen Bevölkerungselementen arrangiert haben, so dass hieraus längere Integrationsprozesse resultierten, in deren Verlauf die Vorbewohner mit Zuwanderern verschmolzen oder in ihnen aufgegangen sind. Das Sprachgut von bestimmten Neuankömmlingen, die der indoeuropäischen Sprachfamilie zuzuordnen sind, prägte jedenfalls entscheidend jene Form des Frühgriechischen, das in den Linear-B-Texten des späten 13. Jahrhunderts noch erkennbar ist und bereits das Ergebnis einer langen Entwicklung darstellt, in der vor allem das späte dritte und das frühe zweite Jahrtausend wichtige Phasen waren und die Träger der sich auf griechischem Boden bildenden Idiome des Frühgriechischen auch in zunehmendem Maße unter dem Einfluss der vom minoischen Kreta ausgehenden Impulse im Bereich der materiellen Kultur standen.

2. Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur der minoisch-mykenischen Zeit

Die Bedeutung der Ausstrahlungskraft der minoischen Kultur für die Entwicklung auf dem griechischen Festland kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Auf Kreta war die erste Hochkultur Europas entstanden, nachdem im späten dritten Jahr­ tausend auf der Insel sich mehrere Siedlungen zu zentralen Stätten des Handwerks und Handels entwickelt und sich an diesen Orten wirtschaftlich dominierende Oberschichten gebildet hatten. Verschiedene Repräsentanten dieser Gruppen konnten aufgrund ihres ökonomischen Vorrangs und ihres hierdurch mitbedingten hohen sozialen Status mehr oder weniger dauerhaft Leitungsfunktionen ausüben und des Weiteren in diesem Rahmen offenbar durch Kumulierung größerer Ressourcen ihre Rivalen in der Konkurrenz um Einfluss und Macht überflügeln. Vermutlich sind Herrschaftsformen lokaler Eliten durch monarchische Machtstrukturen abgelöst worden, die eine wesentliche Voraussetzung für die Errichtung der sogenannten Älteren Paläste waren. Jedenfalls entstanden in dem insularen Kulturraum Kretas mehrere Zentren, zwischen denen mannigfache wirtschaftliche, gesellschaftliche und «politische» Wechselbeziehungen den Austausch von Gütern, Gedanken und Innovationen beschleunigten. Diese auf regionaler Ebene sich entwickelnden Wechselbeziehungen bewirkten mehr und mehr auch eine Intensivierung der Herrschaft über «Untertanen» mit neuen Möglichkeiten der Kontrolle und Verteilung handwerklicher und agrarischer Güter und Produkte, während auch die Entwicklung der Kunst in diesem Kontext mächtige Impulse erhielt und ein mehr oder weniger kontinuierlicher Informationsfluss aus den Monarchien des Vorderen Orients den Prozess noch verstärkte, indem die minoischen Palastzentren sich an orientalischen Beispielen orientierten.

2. Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur

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Die skizzierte Entwicklung wurde durch seismisch bedingte Zerstörungen (Erdbeben und Vulkanausbrüche) im Bereich der Älteren Paläste um 1700 nicht dauerhaft unterbrochen. An den verwüsteten Plätzen wurden neue Residenzen errichtet, die wiederum nach erneuten tektonischen Katastrophen um 1600 noch prachtvoller gestaltet wurden. Die Ausstrahlungskraft der minoischen Palastkultur manifestiert sich im griechischen Mut­ terland nicht nur in den Funden wertvoller Produkte des mi­ noischen Kunsthandwerks, sondern auch in der Entstehung fest­ländischer Machtzentren. An erster Stelle ist hier der Herrensitz in Mykene zu nennen, nach dem seit der Aufdeckung der berühmten dortigen Schachtgräber konventionell die gesamte helladische Kultur der Späten Bronzezeit benannt wird. Der Aufstieg jener «Schachtgräberdynastie» zeichnete sich aufgrund der Grabfunde in dem sogenannten Gräberrund B außerhalb des Löwentores bereits im späten 17. Jahrhundert ab. Der stupende Reichtum in diesen Gräbern sowie vor allem in den Schachtgräbern des von Heinrich Schliemann aufgedeckten Steinkreises A deutet auf eine Einbindung des Herrschersitzes in das minoische Handelsnetz hin. Zudem lassen Kuppelgräber in Messenien aus der Zeit um und nach 1600 darauf schließen, dass sich dort Herrschaftsformen und Abhängigkeitsverhältnisse ähnlichen Typs wie in Mykene entwickelten, wenn auch die Macht jener messenischen Herren nicht mit dem Potential der mykenischen Schachtgräberdynastie konkurrieren konnte, die in der Folgezeit in der Argolis zur stärksten politischen Kraft wurde. Ob es dieser Dynastie gelang, von ihrer Burg aus die gesamte Argolis wirtschaftlich und politisch zu durchdringen, bleibt indes eine offene Frage. In der späten Bronzezeit entstanden nicht nur in Mykene, sondern auch in Tiryns und Midea (zwischen Mykene und Tiryns) gewaltige Befestigungen, die schwerlich lediglich Zweitresidenzen oder Stützpunkte der damaligen Herren von Mykene waren oder von Dynasten erbaut wurden, die sich in einem strikten Abhängigkeitsverhältnis von Mykene befanden. Tontäfelchen mit Linear-B-Texten und der Fund einer Tonplombe mit Linear-B-Zeichen lassen vermuten, dass «Herren» von Tiryns und Midea trotz ihrer Nähe zu My-

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2. Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur

kene ein eigenes Kontrollsystem für ihre Ressourcen zu organisieren vermochten. Ein «Großkönigtum» über ganz Griechenland haben die Herren von Mykene auch in der Zeit ihrer stärksten Machtdemonstration durch den Ausbau ihrer Palastburg im späten 13. Jahrhundert wohl nicht errichtet. Hierzu fehlten ihnen offenbar die logistischen Möglichkeiten zur Organisation großflächiger Herrschaft. Die Herrscher des Palastes von Pylos in der westlichen Peloponnes waren nach dem Befund der dortigen Linear-B-Tafeln den Dynasten von Mykene nicht in irgendeiner Form zu Leistungen verpflichtet. In der Blütezeit der mykenischen Palastherrschaften bestand in Griechenland offensichtlich eine Koexistenz einer Reihe von Dynastien, zwischen denen freilich ein labiles Gleichgewicht bestanden haben kann, während innerhalb der mykenischen Kernlandschaften in der Argolis sowie in Messenien, Attika und Boiotien allerdings ein Machtgefälle zwischen großen Residenzen und kleineren «Fürstensitzen» in ihrer näheren und weiteren Umgebung zu vermuten ist. Die Struktur des politischen Kraftfeldes der mykenischen Welt mit mehreren Machtzentren ist wohl primär mit den Entstehungsbedingungen jener Herrschaftssysteme zu erklären. Als etwa nach 1700 durch minoischen Einfluss die materielle Kultur in Griechenland ein höheres Niveau erreichte und Handel und Verkehr sich ausweiteten, boten sich für Personen von höherem gesellschaftlichen Rang in den noch kleinen Gemeinschaften in jenen Landschaftskammern, die zu Kerngebieten der mykenischen Welt werden sollten, neue Möglichkeiten zur Gewinnung von Ressourcen, mit denen sie Einfluss und Macht in ihrem jeweils lokalen Rahmen zu steigern und hierdurch ihre Gefolgschaften zu vermehren vermochten. Auf diese Weise bildeten sich neue Formen personengebundener Herrschaft heraus, aber es entstand auch ähnlich wie im minoischen Kreta ein zunehmender Konkurrenzdruck in der Rivalität mit anderen aufstrebenden Siedlungen und deren dominierenden Häusern. Infolgedessen wurden Prozesse der sozialen Differenzierung und Machtkonzentration zweifellos beschleunigt. Vorreiter dieser Entwicklung waren Gefolgsherren in Messenien und in der Argolis, und zwar vor allem die Repräsentanten der «Schachtgrä-

2. Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur

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Abb. 1:  Mykene; Gräberrund (Steinkreis) A innerhalb der Befestigung

berdynastie» in Mykene. Relativ rasch entstand aber auch in anderen Regionen eine neue soziale Hierarchie, wie etwa die Entdeckung einer protomykenischen Burg auf dem Kiapha Thiti im oberen Varital in Attika zeigt, die bereits um die Mitte des 15. Jahrhunderts durch einen Erdrutsch zerstört wurde. Insgesamt gesehen, ist die Entwicklung bis zum frühen 14. Jahr­hundert durch die Herausbildung mehrerer Herrschafts­ zentren von unterschiedlicher Bedeutung gekennzeichnet. Die eigentliche «Palastzeit» beginnt freilich erst nach dem Niedergang der minoischen Systeme auf Kreta. Dort zeichnete sich nach erneuten Naturkatastrophen, die vermutlich ebenfalls durch Erdbeben bedingt waren, um 1450 eine Wende ab. Vielfach wurde als Ursache der Zerstörungen auch ein verheerender Vulkanausbruch auf der Insel Thera (Santorin) angenommen, dessen Datierung und Folgen aber in der neueren Forschung umstritten sind. Die geflutete Caldera des dortigen Vulkans entstand schon in vorminoischer Zeit, während die Fernwirkungen des Ausbruchs in einer frühen Phase der spätminoischen Zeit (um 1640 oder zwischen 1627 und 1600?) schwer zu beurteilen

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2. Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur

sind, wenn auch ein Siedlungsabbruch in Santorin nicht zu bestreiten ist. Jedenfalls wurden um 1450 auf Kreta mehrere bedeutende Paläste und Orte wie Mallia, Tylissos, Phaistos und Hagia Triada sowie Wohnviertel in Knossos zerstört. Der Palast von Knossos blieb aber offenbar weitgehend unversehrt. Die Folge war eine Hegemonie der dortigen Dynastie über weite Teile Kretas. Um 1375 ging aber die Herrschaft in Knossos ­allem Anschein nach auf neue Machthaber aus dem mykenischen Griechenland über. Sie führten das dort bestehende Wirtschafts- und Verwaltungssystem weiter, dessen Schrift nach dem Duktus ihrer Zeichen seit A. J. Evans, dem Ausgräber von Knossos, als Linear A bezeichnet wird und die für uns noch nicht verständ­liche Sprache der Minoer wiedergibt. Aus dieser Schrift, die in Kreta an über 25 Fundorten belegt ist, wurde nach dem Machtwechsel in Knossos für die Bedürfnisse der neuen Herrscher die Linear-B-Schrift entwickelt, die in der Folgezeit auch von Palastverwaltungen auf dem griechischen Festland übernommen wurde. Zum Verständnis der Bedeutung der mykenischen Zeit als wichtige Vorstufe der Formierung des historischen Griechentums ist es freilich erforderlich, den Blick auszuweiten auf ein mögliches Gesamtbild des Späthelladikums, das keineswegs nur durch Paläste und Palastherrschaften geprägt worden ist. Die charakteristische Lebenswelt der historischen Hellenen war zweifellos die Polis. Dieser Begriff kann jeweils nach seinem Kontext topographische, personale oder politisch-rechtliche ­Bedeutungsanteile haben und dementsprechend eine befestigte Höhensiedlung (Akropolis), eine groß- oder kleinräumige urbane Siedlung, einen Siedlungskern oder ein Gemeinwesen eines Bürgerverbandes bezeichnen. In den mykenischen Texten ist dieses Wort zwar nicht belegt, doch war es vielleicht in einer Vorform der älteren Bezeichnung ptolis bekannt, die in Texten aus Knossos als Bestandteil eines Personennamens erscheint. Vermutlich bezeichnete das in Linear B nicht mehr erhaltene Wort damals eine Siedlungs- oder Organisationsform, die sich von den Palästen, ihrer architektonischen Monumentalität und den dort praktizierten Herrschaftssystemen klar unterschied

2. Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur

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und als Siedlungs­typ in altmediterraner Tradition stand. Eine bereits erstaunlich große frühhelladische Siedlung in Manika bei Chalkis auf Euboia lässt darauf schließen, dass die Bewohner schon ein Zusammenleben in einer größeren Gemeinschaft zu organisieren vermochten. Dies erlaubt natürlich nicht, hierin bereits eine Urform der Teilnahme freier Bürger am öffentlichen Leben in einer klassischen Polis zu sehen. Dass auch kleinräumig siedelnde Gemeinschaften der frühmykenischen Zeit herrschaftlich organisiert sein konnten, zeigen vor allem aufwendig errichtete und relativ frühe Kuppelgräber in Messenien, deren Bau einen beachtlichen Arbeitseinsatz erforderte. Die an diesen Plätzen dominierenden Eliten verfügten jeweils über eine entsprechende Zahl von Arbeitskräften. In den betreffenden Siedlungen hatte sich eine soziale Hierarchie herausgebildet, die aber vielleicht nicht in jedem Fall gleichsam in einer monarchischen Spitze auslief. Denkbar wären auch oligarchische Eliten, in deren Kreisen eine Art Leistungskonkurrenz herrschte und ähnlich wie bei den späteren «homerischen» Kriegern herausragende Taten die Legitimation für Führungsaufgaben waren. Jedenfalls waren die typischen Palastorganisationen im kontinentalen Griechenland erst Entwicklungsstufen des 14. und 13. Jahrhunderts und auch in dieser Zeit keineswegs eine flächendeckende Erscheinung. Zudem waren auch die Palastsysteme im Grunde noch durchweg begrenzte Herrschaftssysteme, die schwerlich ihren gesamten Einflussbereich mit einem dichten Netz organisierter Verwaltung zu überdecken vermochten. In den Randgebieten jener Palastherrschaften bestanden möglicherweise keine völlig anderen Verhältnisse als in der vorausgehenden frühmykenischen Zeit.

3. Die mykenischen Herrschaftssysteme und ihr Untergang

Die Linear-B-Texte vermitteln uns einen gewissen Einblick in die Verwaltungspraxis der letzten Wochen und Tage vor den Katastrophen an ihren Fundorten. Es handelte sich um Notizen und Aufzeichnungen auf kleinen schmalen Tonstreifen, die im Brand der Paläste gehärtet wurden und unter dem Ruinenschutt die Jahrtausende überdauerten. Die weitaus meisten Funde stammen aus Knossos, zahlreiche weitere aus Pylos in Messenien. Andere Fundorte wie Theben, Mykene und Tiryns lieferten nur geringe Mengen bzw. Fragmente, doch besteht kein Zweifel, dass an den Herrschaftszentren ein relativ einheitliches Kontrollsystem vor allem zur Regelung und Überwachung der Palastwirtschaft, der Abgaben und der Landverteilung im Umkreis der Herrschaftssitze organisiert worden war. Die Verbreitung von Linear B bezeugen auch beschriftete Gefäße, z. B. aus Eleusis (Attika) und Orchomenos (Boiotien). Andererseits darf nicht übersehen werden, dass nicht in allen Regionen des griechischen Mutterlandes in mykenischer Zeit Paläste errichtet und entsprechende palatiale Organisationsformen eingeführt wurden. Aber auch im unmittelbaren Umfeld einer Palastwirtschaft waren einer Herrschaftsintensivierung gewisse Grenzen gesetzt. Das Palastsystem als solches erforderte einen Verwaltungs- und Erzwingungsstab, dessen Unterhaltung einen beträchtlichen Aufwand bedingte, so dass die Erweiterung des Personalbestandes sich selbstverständlich an den Ressourcen des jeweiligen Herrschers orientieren musste. Hinzu kam, dass Verkehrs- und Kommunikationsmöglichkeiten beschränkt waren, wenn auch z. B. in der Argolis das Wegenetz durchaus leistungsfähig gewesen sein mag. In dem relativ großen messenischen Machtbereich des Herrschers von Pylos werden weit über 50 000 Menschen gelebt haben, die damals nicht einer lücken-

3. Die mykenischen Herrschaftssysteme und ihr Untergang

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losen Kontrolle unterworfen werden konnten. Das Privatland war offensichtlich nicht in den Registraturen verzeichnet, und in den Siedlungen «auf dem Lande» bestanden zweifellos interne lokale Organisationsformen weiter, so dass uns die Texte im Grunde nur einige Auskünfte über die unmittelbar in die Palastwirtschaft einbezogenen Bereiche von Handel, Landwirtschaft und Gewerbe sowie über die Sozialstruktur der dem Palast dienenden Arbeitskräfte und über die Gefolgsleute bzw. Anhängerschaften des Palastherrn geben, der als wa-na-ka («Wanax», «Herrscher») bezeichnet wurde und wohl auch priesterliche Funktionen ausübte, aber sicherlich keine göttlichen Ehren erhielt. Ein bedeutender Funktionsträger in seinem Dienst war der ra-wa-ke-ta, dessen Rang wohl mit lawagetas zu transkribieren ist und «Führer des lawos» (des «Kriegsvolkes») bedeuten könnte. Weitere Stützen des Dynasten waren offenbar Gefolgsleute, deren Bezeichnung e-qe-ta (hepetas) lautete, sowie hochrangige Funktionäre mit dem Titel mo-ro-qa, dessen Bedeutung allerdings unklar ist. Ein mo-ro-qa konnte auch als «Distriktverwalter» (ko-re-te) außerhalb des Palastes fungieren. Im Herrschaftsbereich von Pylos bestanden 16 Distrikte, die wiederum zu zwei «Provinzen» zusammengefasst waren, in denen jeweils ein du-ma besondere Aufgaben wahrnahm. Als Vertrauter des wa-na-ka in lokalen Bereichen diente u. a. der qa-sire-u, der z. B. für die Bronzezuteilung an bestimmte Schmiede zuständig war. Sein Titel gilt als Vorstufe der späteren Bezeichnung Basileus («hoher Herr», auch «Herrscher», «König»). Des Weiteren sind Landbesitzer mit unterschiedlichen Rechten und Grundstücken sowie Priesterinnen und Priester belegt sowie soziale Unterschichten erkennbar, zu denen do-e-ra und doe-ro zählten. Diese Begriffe sind Vorformen von doule («Sklavin») und doulos («Sklave»), doch waren die mykenischen do-e-ra und do-e-ro offenbar Abhängige in unterschiedlicher Stellung, die freilich auch Unfreiheit bedeuten konnte. Der als Kollektivbezeichnung belegte Begriff da-mo bezieht sich offenbar auf eine Gruppe von Grundbesitzern, die eine Art Landgemeinde bildeten. Dies ist beachtenswert, weil da-mo eine frühe Lautform von damos bzw. demos («Volk») darstellt. Der da-mo

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3. Die mykenischen Herrschaftssysteme und ihr Untergang

der Linear-B-Texte war möglicherweise zum Teil in die Palastverwaltung einbezogen, indem Angehörige jener Dorfgemeinschaften bestimmte Grundstücke an Arbeitskräfte und Funktionäre abtreten mussten, ohne die Eigentumsrechte zu verlieren. Ferner ist den Zeugnissen die Existenz lokaler Oberschichten zu entnehmen, deren Stellung aber nicht auf lehensrechtlichen Bindungen an den Palastherrn basierte. Feudale Strukturen lassen sich in den mykenischen Systemen nicht nachweisen. In den Regionen mit palatialen Residenzen konzentrierte sich wirtschaftliche und militärische Macht an jenen Herrschersitzen, die jeweils auch große Wirtschaftsbetriebe und Tauschzentralen darstellten. Darüber hinaus waren die Palastherrscher potente Auftraggeber für das Kunst- und Bauhandwerk. Die monumentalen Bauten und Befestigungen dienten nicht zuletzt auch der Demonstration von Macht und Herrschaft, die Besuchern aus den Gebieten anderer Dynastien und der Bevölkerung im Machtbereich des Bauherrn durch die architektonische Gestaltung der hoch aufragenden Residenzen weithin sichtbar vor Augen geführt werden sollten. Eine deutlichere Vorstellung haben wir freilich erst von Anlagen des 13. Jahrhunderts, deren Kern der «Thronsaal» mit einer Vorhalle und einem größeren Vorplatz bildete. Freskenreste von den Wänden mit ornamentalen und figürlichen Motiven sowie die Fußbodengestaltung der Paläste in Knossos, Mykene, Tiryns, Theben und Pylos vermitteln noch einen Eindruck von symbolischer Repräsentation. Die Motive deuten auf den starken Einfluss der minoischen Wandmalerei hin. Ein auffälliges Thema sind Frauenprozessionen. Hinzu kommen Tier- und Jagdszenen sowie Darstellungen kriegerischer Aktionen, die ähnlich wie flacher Reliefschmuck auf Grabstelen Aufschlüsse über Angriffs- und Verteidigungswaffen geben und insofern auch als Ergänzung zu den Waffenfunden aus den Gräbern zu werten sind und eine Vorstellung von der Lebenswelt der Repräsentanten der damaligen Eliten bieten. Vom hohen Stand der Kleinkunst im minoisch-mykenischen Kulturraum zeugen zahlreiche Grabfunde. Hervorzuheben sind der Schmuck aus den Schachtgräbern von Mykene, vor allem die berühmte Goldmaske (Athen, Nationalmuseum) sowie ein

3. Die mykenischen Herrschaftssysteme und ihr Untergang

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Armreif und ein Totendiadem aus dem Grab IV des dortigen Kreises A, die goldenen Ohrringe und die goldene Halskette mit plastischen Granatäpfeln aus Grab III sowie auch der goldene «Nestorring» aus Kakovatos in Triphylien (westliche Peloponnes), auf dem in vier Miniaturszenen tanzende Frauen und Männer dargestellt werden, die u. a. von herrscherlichen Wappentieren (Löwe und Greif) umgeben sind und einen Vegetationskult ausüben. Im Kult manifestiert sich die enge Verbindung von Religion, Macht und Herrschaftsanspruch. Als weitere Kultdarstellung sei die Prozession von Dämonen zu einer thronenden Göttin auf dem großen Ring des «Schatzes von Tiryns» (um 1400) erwähnt. Aus Gräbern stammen auch bemerkenswerte Exemplare mykenischer Gefäße wie eine entenförmige Schale aus Bergkristall aus dem Grabkreis  B in Mykene (16. Jahr­ ­hundert) und ein Vorratsgefäß (Depas) mit provinzieller «Meeresstil-Dekoration» aus Kakovatos (15. Jahrhundert), mit der wohl eine Imitation minoischer Vasen mit aufgemalten Seewesen angestrebt werden sollte. Leitmotiv der minoisch-myke­ nischen Vasenmalerei wurde der Oktopus. Große Verbreitung fanden im 14. und 13. Jahrhundert vor allem Kratere (Mischkrüge). Die Funde dokumentieren insgesamt die Einbindung der Produktion und des Handels der mykenischen Welt in eine breite Zone des Austausches, die sich von den Reichen des Vorderen Orients bis ins westliche Mittelmeer erstreckte. Vermittler waren Phöniker, Ägypter, Minoer und Seefahrer aus Griechenland, der ägäischen Welt und Kypros. Kontakte der Mykener zur Außenwelt waren freilich nicht nur friedlicher Natur. In Linear-B-Funden aus Pylos werden Arbeitsgruppen genannt, die vornehmlich aus Frauen bestehen und mit fremden (westanatolischen) Ethnika (Volksnamen) bezeichnet werden. Dies deutet darauf hin, dass plündernde Scharen im Verlauf von Raubzügen Frauen und Kinder unterlegener Krieger in überfallenen Siedlungen geraubt und versklavt hatten. Ob hiermit Sagen vom angeblichen Trojanischen Krieg in Verbindung zu bringen sind, bleibt dahingestellt. Das bronzezeitliche Troja war jedenfalls keine mykenische Stadt. Eine recht bedeutende mykenische Siedlung war demgegenüber in West-

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3. Die mykenischen Herrschaftssysteme und ihr Untergang

Abb. 2:  «Nestorring» aus Kakovatos (Oxford, Ashmolean Museum)

kleinasien Millawa(n)da auf dem Boden des späteren Milet. Spät­mykenische Außenpositionen befanden sich in Enkomi bei Famagusta an der Ostküste von Kypros (Zypern) und in Ras Schamra-Ugarit (Syrien). Die Hauptfunde an diesen Plätzen aus dem 14. und 13. Jahrhundert waren freilich Importe, so dass eine größere mykenische Kolonisation vor dem Ende des 13. Jahrhunderts zweifelhaft erscheint. Generell ist die Identifizierung mykenischer Außensiedlungen schwierig und häufig sehr problematisch, da zahlreiche Funde Importstücke sind und hieraus nicht abgeleitet werden kann, dass an den betreffenden Stellen dauerhafte mykenische Siedlungen entstanden sind. In engem Zusammenhang mit der umstrittenen Frage einer mykenischen «Expansion» durch kolonisatorische Aktivitäten steht das sogenannte Ahhijawa-Problem. In der Korrespondenz hethitischer Könige des 14. und 13. Jahrhunderts begegnet etwa vierzehnmal die Bezeichnung Ahhijawa, die auf einen Herrschaftsbereich hinweist, der nicht eindeutig zu lokalisieren ist, aber vielfach als «Reich» der «Achaier» gedeutet wurde. Die dürftigen Informationen über Ahhijawa erlauben indes schwer-

3. Die mykenischen Herrschaftssysteme und ihr Untergang

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lich eine Gleichsetzung dieses Machtgebildes mit einer bestimmten mykenischen Herrschaft oder gar mit einem mykenischen Großreich. Auch die Entstehung einer von den mykenischen Palastherrschaften geprägten kulturellen Koiné (Gemeinschaft) in der Späten Bronzezeit beweist noch nicht die Existenz eines großflächigen geschlossenen Machtbereichs einer mykenischen Dynastie. Die lokale oder allenfalls regionale Basis eines mykenischen Palastsystems kommt letztlich auch in den architektonischen Dimensionen der Residenz zum Ausdruck. Minoische Einflüsse haben offenbar dazu beigetragen, dass gleichsam «urbane» Elemente die mykenische Palastkultur vor einer Erstarrung im Monumentalen bewahrten. Die Ausrichtung der mykenischen Residenzen auf das zentrale Megaron unterschied sich zwar deutlich von der Einbindung minoischer Paläste in ein urbanes Konglomerat. Die mykenischen Burgherrschaften blieben aber trotz ihrer mächtigen Befestigungsanlagen letztlich doch mit der sie jeweils umgebenden Siedlung verbunden und in ihren Dimensionen begrenzt, so dass der Thronraum relativ gut erreichbar blieb, während beispielsweise die Architektur assyrischer Paläste mit ihren endlos langen, von Stier- und Löwenkolossen flankierten Fluren offenbar die Allmacht des Herrschers demonstrieren sollte. Beachtenswert ist auch bereits die «Freiheit» in den künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten der minoisch-mykenischen Welt. Sie kommt zum Ausdruck in der Vielfalt der Darstellungen von Kulthandlungen. Dies verdeutlicht etwa ein Sarkophag aus einem Kammergrab in der Nähe des Palastes von Hagia Triada (Kreta) mit Szenen eines Zeus-­ Kultes. Demgegenüber wird nach ägyptischen Vorstellungen der Kult eigentlich allein vom Herrscher getragen, der die göttliche Weltordnung (Ma-at) garantiert, so dass er aufgrund dieser ihm zugewiesenen Rolle allein mit den Göttern verkehren kann und entsprechend immer wieder in dieser Funktion dargestellt wird. Vielfalt und Gemeinsamkeiten in der kulturellen Entwicklung im mykenischen Griechenland schlossen sich keineswegs aus. Während starke Übereinstimmungen in der Instrumentalisierung der Herrschaft an den Palastresidenzen bestanden, unter-

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schieden sich zum Teil recht deutlich die gesellschaftlichen Verhältnisse und Organisationsformen des Gemeinschaftslebens außerhalb dieser Machtzentren. Zudem vollzogen sich mannigfache Strukturveränderungen in den wichtigsten Regionen der mykenischen Welt in unterschiedlichem Tempo und phasenverschoben. Die Machthaber von Pylos konnten wohl erst im 13. Jahrhundert die Herrschaft über das gesamte Gebiet von Messenien gewinnen und im Zuge ihrer Expansion lokale Dynastien unterwerfen oder zur Anerkennung ihrer Vormachtstellung zwingen. In der Argolis war Mykene offenbar schon zu ­Beginn der Späten Bronzezeit um 1600 das wichtigste Herrschaftszentrum. Die dortigen Herren besaßen zweifellos auch im 14. und 13. Jahrhundert in diesem Raum das bedeutendste Potential, doch konkurrierte damals mit ihnen möglicherweise eine Dynastie, die in Tiryns einen eigenen Herrschaftssitz besaß, und in Midea entstand vielleicht im 13. Jahrhundert ein weiteres Machtzentrum. In Boiotien ist ein machtpolitischer Dualismus infolge des Aufstiegs von Dynastien in Theben und Orchomenos nicht auszuschließen. In Attika scheinen die Herren auf der Akropolis von Athen erst im 13. Jahrhundert ihre Macht erheblich ausgeweitet zu haben. Eine verlässliche Diagnose der Ursachen des Endes der Palast­ herrschaften ist nicht möglich. Zu beachten ist aber zunächst, dass die Katastrophen in den verschiedenen Teilen der mykenischen Welt nicht zeitgleich eintraten. Die Zerstörung der Residenz in Pylos ist früher anzusetzen als der Zusammenbruch der Palastherrschaften in Mykene und Tiryns (gegen Ende der Periode Späthelladikum  III B um 1200 oder wenig später). Die Auswertung der Funde ist freilich kontrovers. Wahrscheinlich sind in Mykene und Tiryns bereits einige Zeit vor 1200 Zerstörungen anzunehmen, die aber noch nicht das Ende dieser Herrschaftszentren bedeuteten. Um oder kurz nach 1200 wurden dann wohl alle Burgen der Argolis schwerstens in Mitleidenschaft gezogen. In Midea wurde die Festung damals endgültig zerstört. Ob aber das Ende der Palastorganisation in der Argolis allein auf ein schweres Erdbeben zurückzuführen ist, bleibt unklar. Vermutlich muss man zumindest in der Argolis zwischen

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schweren Schäden durch seismische Katastrophen und der endgültigen Zerstörung der Residenzen und einem hieraus resultierenden Zusammenbruch der Palastverwaltungen differenzieren. Umstritten ist auch die Zeitstellung des sogenannten Jüngeren Palastes in Theben. Hier wurde ein älterer Palast offenbar noch vor dem Ende der Residenz in Pylos zerstört, dann aber ein neuer Palast errichtet, der gegen Ende der Periode Späthelladisch III B vernichtet wurde. Wenn auch in Theben und in der Argolis die schwersten Zerstörungen um 1200 oder einige Zeit später anzusetzen sind, können auf jeden Fall auch zeitliche Abstände zwischen Katastrophen nicht ausgeschlossen werden, so dass dementsprechend mehrere Faktoren bei der Beurteilung des Endes der Palastherrschaften in Betracht zu ziehen sind. Eine auf das Jahr genaue Datierung der verschiedenen Katastrophen ist selbstverständlich nicht möglich, da die Linear-B-Tafeln keine chronologischen Angaben enthalten und die Befunde der stummen Zeugnisse der Archäologie nur eine ungefähre Zeitstellung indizieren können. Als gesichert kann aber gelten, dass noch nach der Zerstörung von Pylos andere Palastherren ihre Befestigungen verstärkten. Sie nahmen hierdurch sicherlich ihre Ressourcen stark in Anspruch und mögen zum Teil auch durch Erdbeben weitere materielle Verluste erlitten haben. Ausmaß und Auswirkungen seismischer Schäden in Tiryns, Mykene und Midea sind freilich schwer einzuschätzen, wenn auch damit zu rechnen ist, dass hierdurch die Verteidigungsmöglichkeiten der Palastbewohner stark eingeschränkt waren. Von erheblichem Nachteil war zweifellos, dass die Burgherren sich primär auf Streitwagenkämpfer stützten und ihrem Fußvolk offenbar geringere Bedeutung im Kampf beimaßen. Möglicherweise ermutigte diese Situation auswärtige Kriegerscharen zu Vorstößen in die durch Naturkatastrophen verheerten Gebiete. Erfolge konnten angesichts der Lage auch zahlenmäßig nicht allzu starke Verbände der Invasoren haben, wenn es ihnen gelang, durch geschickte Kampftaktik die Wagenkämpfer auszuschalten, die jeweils den Kern der Streitkräfte der Palastherren bildeten, jedoch nur begrenzt verfügbar waren und als Bogenschützen auf ihrem fragilen fahrbaren Stand Fußtruppen offenbar unterlagen, so-

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Abb. 3:  «Kriegervase» von Mykene, 12. Jh.

Abb. 4:  Griffskizze des Schwertes «Typ Naue II».

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fern diese rasch ausschwärmen konnten und aus sicherem Stand Wurfspeere und wohl auch die relativ neue Waffe des langen Schwertes vom Typ Naue  II benutzten. Allerdings kann aus dem ursprünglichen Verbreitungsgebiet dieses Schwerttyps nicht mit Sicherheit geschlossen werden, dass Invasoren aus nördlichen Randzonen der mykenischen Welt die Herrschaftszentren in Boiotien und in der Argolis attackierten und dort schwerste Verwüstungen anrichteten. Wenn auch kleinere Verbände erfolgreich gegen Streitwagen zu operieren vermochten und die Verteidigung der Paläste durch Erdbebenschäden erschwert war, ist nicht auszuschließen, dass etwa Seefahrer aus der ägäischen Inselwelt oder westanatolischen Küstengebieten sich zusammengeschlossen und Piratenfahrten nach Griechenland unternommen haben. Auffällig ist, dass auf den Kykladen in dieser Zeit offenbar keine schweren Zerstörungen entstanden sind, so dass hier Ausgangszentren von Invasoren gelegen haben könnten. Zu beachten sind in diesem Kontext auch die Zerstörungen in syrischen Siedlungen und die Eroberung von Alasia (Kypros) durch «Seevölker» sowie eine wohl hierdurch mitverursachte Hungersnot in Hattusa (Bogazkoy, östlich von Ankara), dem Zentrum des Hethiterreiches, wo es offenbar zu einem Aufstand kam, der den Zusammenbruch dieses Machtgebildes besiegelte. Unruhen und Katastrophen auf Kypros, Kreta, in Anatolien und in der südlichen Levante können auch zu Störungen der Kommunikation und des Handels und damit zu Engpässen in der Versorgung mykenischer Residenzen geführt haben, wie etwa die detaillierte Erfassung von Metallvorräten in Pylos und Knossos vermuten lässt. Ein durch Verteilungskämpfe der Dynasten oder durch Aufstände infolge schwindender Ressourcen geschwächter mykenischer Kulturraum könnte insofern Invasoren angelockt haben. Es dürfte sich hierbei jedenfalls nicht um große Zuwandererwellen, sondern eher um gefolgschaftlich organisierte Kriegerverbände gehandelt haben, die sich nach Plünderungszügen wieder zurückzogen. Grobe, handgemachte Töpferware aus dieser Zeit, die an einer Reihe von mykenischen Plätzen gefunden wurde, scheint hingegen eher von friedlichen Zuwanderern, die man tolerierte, benutzt worden zu sein.

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4. Die «Dunklen Jahrhunderte»

Die Katastrophen der großen Residenzen in Knossos, in der Peloponnes und in Boiotien markieren freilich noch nicht das Ende der mykenischen Kultur. Wohl aber begann nunmehr ein langer Transformationsprozess, der die gesamten Lebensverhält­ nisse und Gesellschaftsstrukturen in Griechenland und in mykenisch geprägten Außensiedlungen grundlegend veränderte. Die Paläste und ihre Wirtschafts- und Herrschaftsorganisationen ließen sich nicht mehr restaurieren.

4. Die «Dunklen Jahrhunderte» und das Problem der Ionischen Kolonisation Die Zeit vom Zusammenbruch der mykenischen Palastsysteme bis zum Beginn des 8. Jahrhunderts wird vielfach plakativ mit dem Begriff der «Dunklen Jahrhunderte» bezeichnet. Zahlreiche sprachwissenschaftliche und archäologische Untersuchungen der letzten Jahrzehnte haben aber neue Aufschlüsse über diese wichtige Entwicklungsphase des Griechentums gebracht, so dass dieser Terminus fast obsolet erscheint. Die Veränderungen, die sich in einer langen Übergangsphase von der Dominanz der mykenischen Palastresidenzen bis zur Entstehung einer institutionellen Ordnung in den sich formierenden archaischen Poleis (Mehrzahl von Polis) vollzogen, haben die griechische Geschichte entscheidend geprägt. In diesem Zeitraum bildeten sich die historischen griechischen Dialekte, entstanden staatliche Strukturen und Identitäten in den einzelnen Gemeinschaften, entwickelten sich genossenschaftliche Organisationsformen der Phylen und Phratrien als integrale Bestandteile der Polisverbände, die ihrerseits nicht nur politische Einheiten wurden, sondern ihren Zusammenhalt auch in starkem Maße ihren spezifischen kultischen Ritualen verdankten. Es entstanden langfristig politische und gesellschaftliche Strukturen in durchweg kleinräumigen Verhältnissen, in deren Rahmen zwar die bereits aus mykenischer Zeit überkommene Teilung der Gesellschaft in

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Freie und Unfreie nie überwunden werden konnte, andererseits aber auch in den einzelnen Gemeinschaften der Freien trotz sozialer Differenzen keine unüberbrückbare Kluft zwischen hoch und niedrig entstand und im Übrigen sowohl sozialer Aufstieg als auch unerwarteter Abstieg jederzeit möglich waren. Entscheidend für diesen historisch eminent bedeutsamen Prozess war insonderheit, dass diese Entwicklung sich im Wesentlichen unter gleichsam endogenen – von innen ausgehenden – Bedingungen vollzog, da sie nicht durch massive Interventionen orientalischer «Großmächte» gestört oder in andere Richtungen gelenkt wurde. Die Kontakte mit der Außenwelt bestanden gleichwohl weiter. Auch dies war ein wesentlicher Faktor in jenem Transformationsprozess, der in die archaische Zeit über­ leitete. Im Ausstrahlungsbereich der alten orientalischen Hochkulturen erhielten griechische Handwerker und Künstler immer wieder neue Anregungen, die ihnen auch durch zuwandernde Spezialisten aus dem ostmediterranen Raum vermittelt wurden, so dass nach dem Ausklang der mykenischen Kultur nicht zuletzt von einem nie völlig unterbundenen Informationsfluss aus dem Vorderen Orient immer wieder innovative Impulse ausgingen. Die bedeutendste und folgenreichste Neuerung war zweifelsfrei die Entwicklung des griechischen Alphabets um bzw. kurz nach 800 aus einer phönikischen Konsonantenschrift in der wohl primär im nördlichen Syrien verwendeten Form. Möglicherweise wurden «Griechen» mit dieser Schrift durch Kontakte mit phönikischen Seefahrern und Händlern an verschiedenen Plätzen vertraut, nachdem die Kenntnis von Linear B längst in völlige Vergessenheit geraten war. In dieser Hinsicht führten die Palastkatastrophen an den damaligen Machtzentren zu einem scharfen Bruch, während in weiten Teilen der mykenischen Welt Siedlungskontinuität bestand und sogar an verschiedenen Plätzen für eine bestimmte Zeit Erholungsphasen zu erkennen sind, die sich sowohl in neuen Siedlungsstrukturen als auch in der Entwicklung des Keramikstils Späthelladisch III C und in seiner Nachblüte auf hohem Niveau in der Vasenmalerei im sogenannten Dichten Stil (Close Style) manifestieren. Die Ausgangslage nach dem Ende der Palastherrschaften war

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freilich regional durchaus verschieden. Dies erklärt sich zumindest zum Teil wohl mit der unterschiedlichen Herrschaftsintensivierung während der Palastzeit. Der Untergang der Dynastie von Pylos, die ein relativ großes Gebiet beherrscht und sich offenbar auch ohne große Befestigungsanlagen sicher gefühlt hatte, bedeutete für einen erheblichen Teil der Beherrschten eine Katastrophe, da nach der Zerstörung des Palastes die Einwohnerzahl Messeniens drastisch gesunken ist. Zweifellos haben große Teile der Bevölkerung dieses Gebiet verlassen. In Tiryns entstand dagegen im frühen 12. Jahrhundert eine nach Plan angelegte größere Siedlung als während der Palastzeit. Offenbar wurde auch in Mykene eine größere Fläche wieder besiedelt. In Argos und Asine zeichnet sich in dieser Zeit ebenfalls eine Siedlungskonzentration ab. Schwierig ist die Deutung des Befundes in Lakonien, da ein bedeutendes Herrschaftszentrum aus dem vorausgehenden 13. Jahrhundert nicht eindeutig zu identifizieren ist. Ob damals ein mit den großen Residenzen vergleichbarer Palast etwa auf dem Palaiopyrgos-Hügel südlich des Kuppelgrabes von Vaphio oder beim historischen Heiligtum für Menelaos und Helena östlich von Sparta existierte, bleibt dahingestellt. Vielleicht konnten sich dort lokale Dynasten während des 13. Jahrhunderts behaupten. In der Folgezeit ist aber die Zahl der Siedlungen zurückgegangen, wenn auch in den Randgebieten des Eurotastales Siedlungskontinuität bestand, die gleichfalls in Theben nach der Zerstörung des Jüngeren Palastes anzunehmen ist. Auch in Attika hat die Bevölkerung abgenommen, doch fehlen Hinweise auf eine starke Bedrohung in der Zeit des Zusammenbruchs der Palastsysteme; die Residenz auf der Athener Akropolis wurde nicht zerstört. Insgesamt lassen neue Fundstätten darauf schließen, dass der allgemeine Bevölkerungsrückgang in Griechenland im Verlauf des 12. Jahrhunderts nicht überschätzt werden sollte. Gleichwohl ist auch in Regionen wie Attika, in denen keine schweren Verwüstungen nachzuweisen sind, eine allgemeine Rezession anzunehmen, die eine Folge langfristig wirkender gesellschaft­ licher und politischer Strukturveränderungen waren. Auch die Residenz auf der Athener Akropolis war eingebunden in die

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ökonomische Vernetzung der Palastherrschaften in Griechenland und abhängig von der Produktion und Zirkulation von agrarischen und handwerklichen Produkten nicht nur im engeren Umfeld der dortigen Siedlung, sondern auch in einem größeren Wirtschaftsraum. Ein erhebliches Problem war nicht zuletzt der Bedarf an Metall zur Herstellung von Waffen. Das abrupte Ende der Palastherrschaften in der Peloponnes und in Boiotien hatte letztlich auch für einen Wanax (Herrscher) in Athen eine tiefgreifende Minderung seiner Macht und seiner Ressourcen zur Folge, die zu einer allgemeinen Auflösung der Rangverhältnisse und der Sozialstruktur in Athen und im weiteren Bereich von Attika führte. Es entstand hier im Verlauf des 12. Jahrhunderts eine Gesellschaft mit geringerer Schichtenbildung und mit neuen Führungsstrukturen, denn die Position des einst mächtigen «Burgherrn» auf der Akropolis bildete sich zurück zur Stellung eines Siedlungsführers in einer Gesellschaft, deren Lebensverhältnisse im Vergleich zur Situation im 13. Jahrhundert recht bescheiden waren. Athen blieb zwar die größte Siedlung, doch muss dies in Relation zu einem beachtlichen Rückgang der Siedlungsaktivität in anderen Regionen Attikas gesehen werden. Eine bedeutende Neugründung an der Ostküste Attikas im Raum von Perati bildete freilich eine Ausnahme; sie wurde aber bereits im frühen 11. Jahrhundert wieder aufgegeben. Der zu vermutende Bevölkerungsrückgang in Attika und anderen Teilen der mykenisch geprägten Welt lässt sich kaum monokausal auf die sogenannte Ionische Kolonisation zurückführen. Zwar verkündete bereits Solon (um 600), dass Athen die älteste «ionische» Stadt sei, und Gründungssagen ionischer Poleis lokalisierten später die «Urheimat» der Ionier in Pylos (Messenien) oder in der Landschaft Achaia in der nördlichen Peloponnes. Die athenische Propaganda der klassischen Zeit leitete dann die angeblichen Kolonistenzüge gleichsam über Athen und Attika um, so dass sie auf diese Weise die «Urheimat» der Ionier neu definierte, um den athenischen Führungsanspruch im Seebund zu unterstreichen. Derartige Geschichtsklitterungen haben aber keinen historischen Aussagewert für die Frühzeit. Attika war im 12. Jahrhundert nicht stark bevölkert, so dass

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kein Zwang zu Umsiedlungen großen Stils bestand. Zudem glichen frühe griechische Siedlungen um und nach 1000 an einer Reihe von Plätzen im kleinasiatischen Küstengebiet eher kleinen Dörfern und Weilern, in denen wohl nur einige Dutzend Familien gelebt haben, so dass sich Zuwanderung oder «Kolonisation» in Grenzen hielten. Es ist nicht auszuschließen, dass in diesen Räumen auch noch Nachfahren mykenischer Siedler lebten. Millawanda (Milet) scheint zwar nach einer größeren Katastrophe um oder schon vor 1200 zeitweise verlassen worden zu sein, doch wurden schwerlich alle mykenischen oder «mykenisierten» Bewohner aus dem näheren oder weiteren Umfeld jener Siedlung vertrieben. Aus Müsgebi und Iasos liegen jedenfalls noch Keramikfunde aus der Periode Späthelladisch (SH) III C vor, so dass an den genannten Plätzen die Existenz mykenischer Bevölkerungselemente nach 1200 jedenfalls durchaus möglich erscheint. Zu beachten sind des Weiteren die Entdeckung einer Siedlung der Periode SH III C bei Koukounaries auf Paros sowie reiche Grabfunde aus jener Zeit in den Nekropolen von Kamini und Haplomata bei Grotta auf Naxos. Zweifellos bestanden im 12. Jahrhundert recht bedeutende Siedlungen auf den Kykladen, die auf Kommunikation mit anderen Bereichen der Ägäiswelt und dem griechischen Festland schließen lassen. Auf jeden Fall vollzog sich in spät- und nachmykenischer Zeit in einem Großraum, der auch Attika und viele Ägäisinseln umfasste, die Bildung der attisch-ionischen Dialektgruppe, die auf süd- bzw. südostmykenische Idiome zurückgeht und im späten 12. Jahrhundert offenbar gemeinsame Neuerungen hervorgebracht hat. Dies lässt sich nicht mit einer Art Stammbaumtheorie erklären, wonach ein gemeinsamer ethnischer Ursprung aller Träger des ionischen Dialektes anzunehmen ist, der übrigens in diesem Zusammenhang als mundartliches (epichorisches) Idiom zu verstehen und von dem mit dem Attischen verwandten literarischen ionischen Dialekt zu differenzieren ist. Innerhalb des epichorischen ionischen Idioms sind wiederum Lokalmundarten zu unterscheiden. Sprachliche Neuerungen können sich ­freilich wie Wellen in einem Großraum mit einer Reihe von benachbarten Regionen verbreiten. Es handelt sich hierbei um

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sprachliche Angleichungen zur besseren Verständigung. Sie setzen Kommunikation voraus, die nach dem archäologischen Befund unbestritten ist. Hierdurch findet die sprachwissenschaft­ liche «Wellentheorie» eine Bestätigung. Großräumigkeit scheint in diesem Fall den Vorgang der «Expansion» sprachlicher Neuerungen, die zur Herausbildung charakteristischer Merkmale des Ionischen führten, erheblich gefördert zu haben. Dies schließt Wanderbewegungen keineswegs aus. Die Verwandtschaft zwischen dem Arkadischen und dem Kyprischen lässt keinen Zweifel, dass die «Mykenisierung» Zyperns nach 1200 durch Zuwan­derung aus der Peloponnes erheblich forciert worden ist. Eine gewisse «Drift» ist auch im Ägäisraum anzunehmen. Allerdings ist attischer Einfluss in der Keramik in Milet und auf der Halbinsel von Halikarnass vor Ende der submykenischen Kera­mikphase (um 1050) noch kein ausreichender Beweis für eine Ansiedlung attischer Kolonisten. Eine zögernd einsetzende Neubesiedlung in den genannten westkleinasiatischen Gebieten kann auch zumindest teilweise von Bewohnern ägäischer Inseln initiiert worden sein. Neuankömmlinge, die zu Trägern des ionischen Dialekts wurden, kamen jedenfalls aus mehreren Regionen. Sie bildeten keinen Stamm im Sinne einer relativ homogenen Abstammungsgemeinschaft. Eine Art Identitätsbewusstsein entwickelte sich hier erst relativ spät um oder nach 800 durch einen Zusammenschluss zu einer Kultgemeinschaft, die aber keine politische Einheit darstellte. Die Wehr- und Siedlungsgemeinschaften auf dem griechischen Festland, in der ägäischen Inselwelt und an der westkleinasiatischen Küste in der Zeit der ausklingenden spätmykenischen Kultur blieben zahlenmäßig mehr oder weniger begrenzte Personenverbände. Sie bildeten noch «Gesellschaften ohne Staat», d. h. ohne Institutionen mit fixierten Kompetenzen. Ein eindrucksvolles Beispiel für die Situation in den verstreuten Siedlungen lieferten Ausgrabungen in Alt-Smyrna (heute Bayrakli im Stadtgebiet von Izmir), wo in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts sich eine kleine Gruppe von Neuankömmlingen ansiedelte und mit den bereits ansässigen «Einheimischen» eine begrenzte Zahl von Häusern bewohnte. Es handelte sich nicht um

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4. Die «Dunklen Jahrhunderte»

Abb. 5:  Athen in den «Dunklen Jahrhunderten»

eine nach Plan angelegte Siedlung. Ähnlich waren die Verhältnisse an zahlreichen anderen Plätzen. Frühe Neusiedler der spät- und nachmykenischen Zeit in den historischen ionischen Dialektgebieten an der kleinasiatischen Westküste stammten aus verschiedenen Teilen des ehemaligen südmykenischen Dialektraumes und ließen sich durchweg auf Halbinseln oder leicht zu verteidigenden Stellen auf Erhebungen in der Nähe der Küste oder auf vorgelagerten Inseln nieder. Der Kleinräumigkeit der Lebensverhältnisse in diesen Gebieten entsprach die Situation an vielen Plätzen des griechischen Mutterlandes. Die bedeutendste Siedlung wurde hier nach dem Ende der Palastzeit allem Anschein nach Athen, wo der Beginn

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der großen Kerameikosnekropole beim Pompeion am Nordufer des Eridanos um 1100 anzusetzen ist. Es handelte sich um Einzelbestattungen in Erd- oder Steinschüttungsgruben sowie (in Einzelfällen) um Beisetzungen in Urnen, während typisch mykenische Kammergräber nicht mehr neu angelegt wurden. Die Keramik aus der Pompeionnekropole stimmt noch weitgehend mit der Ware aus der Phase Späthelladisch  III C überein, so dass hier zweifellos Siedlungs- und Bevölkerungskontinuität im Über­ gang von der spätmykenischen zur submykenischen Keramikphase mit ihrem einfachen Dekor anzunehmen ist. Die Grabbeigaben, die noch durchaus in mykenischer Tradition stehen, aber auch Bemühungen um eine neue Formgebung erkennen lassen, sind durchweg bescheiden. Schmuckgegenstände aus Schildringen, einfachen Fingerringen und Spiralen bestehen ebenso wie Trachtteile (Fibeln, lange Gewandnadeln) aus Bronze, in einem Grab freilich auch aus Gold, so dass hieraus auf eine gewisse soziale Differenzierung zu schließen ist, die im Übergang zur protogeometrischen Keramikphase (um und nach 1050, als man begann, geometrische Ornamente auf die Töpferware zu malen) sich deutlicher abzeichnet, wie neben Lanzen- und Speerspitzen aus Bronze vor allem kostbare Repräsentationsstücke in Form von Eisendolchen mit Beingriffen in zwei Brandbestattungen der Kerameikosnekropole bestätigen. In der Folgezeit wurden auch eiserne Griffzungenschwerter und andere Waffen einzelnen Toten mitgegeben. Die protogeometrischen Waffengräber stimmen in der Anlage als einfache Urnen- und Amphorengruben mit sonstigen Männergräbern jener Zeit typologisch überein. Die Schwerter belegen aber nicht nur die Übernahme neuer Techniken in der Waffenproduktion. Da die Zahl der Waffengrä­ ber begrenzt ist, waren die hierin beigesetzten Krieger zweifellos hochrangige Persönlichkeiten. Einer sozial gehobenen Schicht sind auch einige relativ reich ausgestattete Frauengräber zuzuordnen. Der Siedlungsbereich im submykenischen Athen hat sich gegenüber der mykenischen Spätphase nicht allzu sehr verändert. Der Burgberg blieb bewohnt, doch kennen wir nicht die Situation im eigentlichen ehemaligen Palastbereich. Im Umkreis der

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Akropolis befanden sich aber kleinere dörfliche Einzelsiedlungen. Zudem erstreckten sich verstreute Weiler oder Einzelgehöfte nördlich und nordwestlich der Akropolis bis zum späteren Acharnai-Tor und im Süden und Südosten bis zum Ilissos. In protogeometrischer Zeit scheint die Bevölkerung nach Ausweis der Gräberfunde zugenommen zu haben. Auch das bewohnte Areal dehnte sich insgesamt weiter aus, doch bildete sich kein größerer geschlossener Komplex von Häusern. Trotz deutlich erkennbarer Rangordnung in den submykenischen und protogeometrischen Siedlungen im Gebiet der späteren Polis Athen hat sich über einen längeren Zeitraum, in dem sich der Abbau der mykenischen Sozialordnung vollzog, die Lebensweise der Mitglieder jener Gemeinschaften nicht allzu sehr unterschieden. Die Akropolis war in protogeometrischer Zeit vermutlich nicht mehr bewohnt, so dass die dominierenden Siedlungsführer offenbar in engerer Nachbarschaft mit den übrigen Bewohnern lebten. Ob eine Einzelpersönlichkeit die ranghöchste Position in Athen bekleidete oder mehreren angesehenen «Kriegern» oder «Gefolgsherren» die Leitung übertragen und dann im Fall eines Handlungsbedarfs Konsens hergestellt und bei akuter Gefahr eventuell einem von ihnen die Führung des militärischen Aufgebotes übertragen wurde, muss dahingestellt bleiben. Die relativ wenigen kleineren Siedlungen in Attika waren zweifellos in irgendeiner Form von Athen abhängig. Nach dem Niedergang von Perati gab es außerhalb von Athen wohl kaum noch ein eigenständiges Machtzentrum, das im Fall drohender Gefahren genügend Abwehrkräfte gegen Invasoren mobilisieren konnte. Es ist daher zu vermuten, dass dann kleinere Siedlungen sich einer in Athen zu lokalisierenden Führungsinstanz unterordneten, die aber in jener Zeit noch keine staatliche Institution darstellte. Während alle Funde im Raum von Athen auf eine Siedlungskontinuität hindeuten und Attika nach dem Ausklang der mykenischen Zeit nie entvölkert war, bietet sich in anderen mykenischen Kernlandschaften ein unterschiedliches Bild in den «Dunklen Jahrhunderten». Nachdem in Lakonien auf der Peloponnes in der mittleren und späten Phase der Periode Späthel-

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ladikum (SH) III C ein stärkerer Bevölkerungsrückgang gegenüber SH III B stattgefunden hat, war diese Region nach dem Ende von SH III C offenbar für ein Jahrhundert nach dem bisherigen archäologischen Befund überaus dünn besiedelt. Am sogenannten Amyklaion-Heiligtum und auch an anderen Plätzen besteht sogar eine regelrechte Fundleere. Erst mit der protogeometrischen lakonischen Keramik des 10. Jahrhunderts sind wieder Siedlungsaktivitäten klar zu erkennen, die auf eine Landnahme durch Zuwanderer schließen lassen. Lakonien war aber vor Beginn jener Keramikphase schwerlich völlig menschenleer. Die Kenntnis von einem alten Heiligtum in Amyklai blieb bezeichnenderweise erhalten. Intensive Forschungen in Lakonien könnten das Bild noch durchaus modifizieren. In dem gleichfalls auf der Peloponnes gelegenen Messenien wechselte offenbar die Bevölkerungsdichte. Nach einem Tiefstand in der frühen Periode SH III C nahm die Siedlungstätigkeit in den folgenden mittleren und späten Phasen SH III C wieder zu, doch sind erneute Zerstörungshorizonte am Ende von SH III C zu erkennen, deren Ursachen vermutlich wieder zu ­einem Bevölkerungsrückgang in der submykenischen Periode führten. In der mittel- und spätprotogeometrischen Periode stieg dann die Zahl der besiedelten Plätze. Schwerpunkt der Siedlungstätigkeiten war der östliche Teil der Region. Wahrscheinlich ist dieser Befund mit Zuwanderungen zu erklären. In der Argolis scheinen gegen Ende der Phase SH III C relativ viele bisherige Bewohner ihre Orte verlassen zu haben, ohne dass ein Zielgebiet ihrer Auswanderung erkennbar ist. In Argos sowie auch in Tiryns lässt aber die Verwendung älterer mykenischer Grabstätten auf eine gewisse Bevölkerungskontinuität schließen, wenn auch wohl nur ein geringerer Teil der Bewohner geblieben ist. In der submykenischen Phase begann dann in Tiryns, Asine und Mykene bereits relativ kurze Zeit nach dem Ausklang der Periode SH III C die Bestattung in Kistengräbern und Gruben. Dies deutet in Verbindung mit dem Bau kleinerer Häuser auf zahlenmäßig begrenzte Gruppen von Neuankömmlingen hin, die neue Siedlungen neben den zerfallenen ehemaligen mykenischen Orten anlegten. In den protogeometrischen

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4. Die «Dunklen Jahrhunderte»

und geometrischen Keramikphasen nahm die Zahl der Siedlungen und ihrer Bewohner zu. Diese Entwicklung war zweifellos ein Teilaspekt der Verbreitung des dorischen Dialekts, der in historischer Zeit von den Nachfahren der Zuwanderer in dieser Region gesprochen wurde. Insgesamt gesehen, handelte es sich somit in den genannten Gebieten um recht bescheidene Anfänge neuer Siedlungsaktivitäten. Dies gilt auch für jene Regionen, in denen in historischer Zeit die mit dem Dorischen verwandten sogenannten nordwestgriechischen Dialekte gesprochen wurden. Die Landnahme der Vorfahren der historischen Träger dieser Idiome verlief sicherlich ähnlich wie die Wanderungsbewegungen protodorischer Gruppen nicht in Form massiver Invasionen. Vielmehr ist mit einem allmählichen Vordringen kleinerer Gruppen von Zuwanderern aus den ursprünglichen Siedlungsgebieten sowie mit längeren Überschichtungs- und Integrationsprozessen zu rechnen. Wanderungseinheiten mögen sich von neu gewonnenem Siedlungsland aus allmählich weiter ausgebreitet haben, und durch Ausweitung von Nachbarschaftsbeziehungen können größere Kommunikationsräume entstanden sein, in denen Kultzentren eine integrierende Funktion gewonnen und die Entstehung eines spezifischen Traditionsbewusstseins gefördert haben. Auf der Peloponnes sind zweifellos nordwestgriechische Zuwanderer in die Landschaften Elis und Achaia in mehreren Wellen vorgedrungen. Die mittelgriechischen Regionen Phokis, West- und Ostlokris und Boiotien erhielten ebenso wie Thessalien von bestimmten Kerngruppen neuer Siedler ihre historischen Namen. In Boiotien entstand ein «Mischdialekt», der aus (vor-)aiolischen Idiomen ehemals mykenischer Bevölkerungselemente und aus Dialekten von Zuwanderern aus Thessalien bestand und in Südwestboiotien deutlich nordwestgriechische Einflüsse erkennen lässt. Den Kern des Thessalischen bildete offenbar das Idiom von Neusiedlern, die in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts nach Westthessalien zuwanderten, in mykenischer Kulturtradition standen und sich allmählich nach Osten hin ausbreiteten, wo sie in einen aiolischen Einflussbereich gelangten.

5. Das Verhältnis von Ethnos und Polis im Prozess der Staatswerdung in Griechenland

Neue Siedlungsaktivitäten und Ansätze zu einer Neuorganisation eines geordneten Gemeinschaftslebens entstanden in den «Dunklen Jahrhunderten» durchweg in überschaubaren Verhältnissen, soweit der archäologische Befund entsprechende Rückschlüsse erlaubt. Die betreffenden Siedlungsspuren deuten – wie gesagt – nicht auf eine flächendeckende Landnahme großer «Stämme» oder «Stammesverbände» hin. In jenen Regionen, in denen aufgrund der dortigen Dialekte mit einem gewissen Bevölkerungswandel bzw. mit der Zuwanderung neuer Bevölkerungselemente zu rechnen ist, waren die Anfänge überall recht bescheiden. Bevölkerungsreiche Großgruppen haben in diesem Mosaik mit zahlreichen Kristallisationspunkten neuer Gemeinschaftsbildung in Verbindung mit mannigfachen Inte­ grationsprozessen unterschiedlicher Art keinen Platz. Insofern sind gerade auch im Blick auf Prozesse und Entwicklungen in den «Dunklen Jahrhunderten» ältere Theorien obsolet geworden, die auf der Annahme basieren, dass in der Zeit großer prähistorischer Wanderbewegungen umfangreiche Stammesverbände mit relativ festgefügten Strukturen existierten. Diese älteren Forschungsthesen sind zum Teil auf eine irrige generalisierende Gleichsetzung von sogenannten Stammesgebieten und Dialekträumen zurückzuführen, wobei der Aspekt der sukzessiven («wellenförmigen») Ausbreitung linguistischer Innovationen nicht berücksichtigt wurde. Hinzu kommt, dass logistische Probleme, die sich notwendigerweise im Verlauf von großen Wanderungsbewegungen über weite Strecken in vorgeschicht­ licher Zeit ergeben hätten, nicht berücksichtigt wurden. Eine weitere Fehlerquelle ergab sich aus einer unzutreffenden Interpretation der Entstehung dorischer und ionischer Phylen (Gesellschaftsverbände), die als Indiz für Großgruppen innerhalb

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5. Das Verhältnis von Ethnos und Polis

älterer Großstämme verstanden wurden. Diese Annahme lag ­allerdings insofern nahe, als sowohl in den dorischen wie auch in den ionischen Dialektgebieten bestimmte Phylen in einer Reihe von historischen Poleis jeweils gleiche Namen hatten. So wurde vorausgesetzt, dass hier uralte Traditionen weitergeführt wurden. Mit dieser These lassen sich indes die Umbenennung der Phylen im 6. Jahrhundert in «Sikyon» sowie auch die Konstituierung neuer Phylen im Zuge der Reformen des Kleisthenes in Athen (508/07), von dem später noch ausführlich zu sprechen sein wird, schwer erklären. Vor allem aber wird durch das neue Bild der dorischen Landnahme jene ältere Forschungsthese ­widerlegt, die ja voraussetzt, dass die dorischen Phylen im Kern bereits im Rahmen einer «Stammesorganisation» vor der Abwanderung dorischer Verbände in ihre historischen Siedlungsgebiete existierten. In diesem Fall hätten indes auch relativ kleine abwandernde Gruppen jeweils aus Mitgliedern der drei «dorischen» Phylen bestanden und drei Großverbände als Phylen über lange Zeiträume hinweg ihre ursprüngliche Orga­ ni­ sation und ihren Zusammenhalt sowie auch ihr Identitätsbewusstsein trotz mannigfacher Prozesse der Ausgliederung eigener Verbände und der Aufnahme neuer Elemente gewahrt. Ein derartiger Gliederungsschematismus erscheint unrealistisch. Hiermit lassen sich damalige Wanderungsbewegungen ­sowie die Entstehung und Ausprägung der historischen griechischen Idiome mit ihren dialektalen «Mischformen», die aus Kommunikation mit anderen Gruppen und entsprechenden externen Einflüssen abzuleiten sind, nicht überzeugend erklären. Als Unterabteilungen der Phylen werden allerdings in der For­ schung vielfach auch Phratrien («Bruderschaften») und Géne (Singular: Génos) interpretiert; Letztere werden vielfach als «Geschlechter» bezeichnet. Nach diesen Forschungsthesen gelten die genossenschaftlichen Organisationsformen der Phratrien und Géne als Relikte gentiler Elemente in der griechischen Gesellschaftsstruktur. Konturen gewinnen diese Verbände für uns freilich erst in historischer Zeit, in der sie als Unterabteilungen in Poleis integrierende Funktionen im Gemeinschaftsleben der Bürger besaßen, indem sie bestimmte Ordnungsaufgaben

5. Das Verhältnis von Ethnos und Polis

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er­ füllten, die auch auf den gesamten Polisverband bezogen ­waren. Die Mitgliedschaft in einer der Phratrien war z. B. die Voraussetzung für die Anerkennung der jungen Wehrfähigen als Vollbürger. Als Elemente der Polis waren aber die Phratrien trotz der etymologischen Ableitung ihrer Bezeichnung von ­Phrater («Bruder») nur fiktive Verwandtschaftsverbände, und die Géne waren entgegen älteren Forschungsthesen keine verwandtschaftlich verbundenen «Adelsgeschlechter», die jeweils aus mehreren Familien bestanden, sondern primär Vereinigungen zur Pflege bestimmter Kulte. Phratrien und Géne waren daher ebenso wie die Phylen komplementäre Elemente zu den öffentlichen Organen und Institutionen, d. h. den Beamten, Räten und Volksversammlungen, die zentrale politische Aufgaben zur Erhaltung und Stabilisierung der sozialen Ordnung und zur Wahrung der Unabhängigkeit der Gemeinwesen erfüllten. Diese Institutionen griechischer Poleis gehen auf Vorformen in «vorstaatlichen» Gesellschaften zurück, in denen die Leiter der Gemeinschaften ihre Führungsfunktionen wahrnahmen, indem sie sich in aller Regel mit bestimmten gesellschaftlich herausgehobenen Persönlichkeiten berieten und sich der Zustimmung ihrer Siedlungs- und Wehrgemeinschaft zu vergewissern suchten. In diesen Gemeinschaften bestand aber bereits auch ein dichtes ­Beziehungsgeflecht durch Nachbarschafts- und Verwandtschafts­ verbände, die als «Auffangnetze» im engeren Rahmen ihrer eigenen Sozialsysteme zugleich auch für die Gesamtheit als ­ ­Garanten für Sicherheit und geordnetes Zusammenleben fungierten. Zweifellos waren die Konsolidierung öffentlicher Ins­ titutionen mit allgemein anerkannten Kompetenzen und die Entwicklung der genannten genossenschaftlichen Organisations­ formen mit gemeinschaftsbezogenen Ordnungsfunktionen parallel verlaufende und ineinandergreifende Prozesse in jener langen nachmykenischen Umwandlung der griechischen Welt, in der seit dem späten 8. und frühen 7. Jahrhundert allmählich staatliche Strukturen entstanden. Die genannten Funktionen haben kleinere Gruppen zweifellos vor allem im Rahmen von Nachbarschafts- und Verwandtschaftsverhältnissen ausgeübt, als nach dem Zusammenbruch oder Niedergang der mykeni-

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5. Das Verhältnis von Ethnos und Polis

schen Palastsysteme neue Führungsstrukturen gefordert waren und neue Leiter der Gemeinwesen bei Weitem nicht über die Macht und die Ressourcen der einstigen Palastherren verfügten. Wichtige Faktoren in der veränderten Welt der nachpalatialen Zeit waren somit gewisse tribale Elemente in der damaligen Sozialstruktur. Hierunter sind kleinere Gemeinschaften zu verstehen, die auf lokaler oder regionaler Ebene durch ihren starken Zusammenhalt im Rahmen nachbarschaftlicher und verwandtschaftlicher Bindungen bereits Ordnungsfunktionen erfüllten und innerhalb der Palastherrschaften nicht beseitigt werden konnten, da die von den Residenzen kontrollierten Vorgänge in der landwirtschaftlichen und gewerblichen Produktion und in der Warenverteilung immer nur mehr oder weniger den unmittelbaren Herrschaftsbereich eines einzelnen Wanax betrafen. Jene Strukturelemente sind zwar nicht als Ausdruck einer regelrechten Stammesorganisation zu werten. Die Erwähnung des da-mo (Damos = Demos) in den Linear-B-Tafeln zeigt aber, dass es neben dem von der Palastverwaltung unmittelbar erfassten Herrschaftsbereich durchaus noch eigenständiges Leben in den Siedlungen gab. Hierdurch ergaben sich nach dem Ende der Residenzen neue Formen des Gemeinschaftslebens im Zuge der Entwicklung von Staatlichkeit, die sich im griechischen Siedlungsgebiet in historischer Zeit sowohl im sogenannten Ethnos (Plural: Ethne) – «Volk» – als auch in der Polis – einer größeren Siedlung – manifestiert. Gewisse Einblicke in die Anfänge dieser Entwicklung bieten die homerischen Epen. Die Dichter «schildern» prinzipiell gleiche Führungsstrukturen in den griechischen Kampfverbänden vor Troja, die sich freilich vom «Königtum des Trojaners Priamos» in mehrfacher Hinsicht unterscheiden. Sie skizzieren des Weiteren in den Bereichen der von ihnen besungenen fiktiven heroischen Welt der «Achaier» (Griechen) gleiche gesellschaft­ liche Verhältnisse und Lebensweisen und differenzieren insofern nicht zwischen Vereinigungen im Rahmen einer größeren Region und den Wehrverbänden mit einem gewissen urbanen Zentrum, das bereits als Vorstufe der Polis im späteren Sinne, d. h. eines politisch organisierten Bürgerverbandes mit einem be-

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stimmten, auch architektonisch hervorgehobenen Siedlungskern, gewertet werden kann. Zahlreiche Gemeinschaften werden mit sogenannten primären Ethnika bezeichnet, d. h. mit Namen, die nicht von einer Siedlung bzw. Örtlichkeit oder von einer Region abgeleitet sind. Diese Bezeichnungen deuten zwar darauf hin, dass die Mitglieder dieser Verbände sich als Nachfahren eines «Traditionskerns» in Form einer bestimmten Aktionsgruppe verstanden, doch ist die Gliederung dieser Ge­ meinschaften nicht einfach mit Stammesorganisationen bzw. Stammstaaten gleichzusetzen. Sie haben noch nicht die Entwicklungsstufe der historischen griechischen Ethne, d. h. der polisübergreifenden Bundesstaaten, erreicht, sind aber auch keine eigentlichen Stämme nach den Kriterien der Anthropologie. Die ethnischen Bezeichnungen deuten lediglich an, dass nach dem Verständnis der Dichter die Krieger jener Verbände sich jeweils als Gemeinschaften empfanden. Ihr Identitätsbewusstsein konnte allerdings recht unterschiedlich ausgeprägt sein. Unter dem Aspekt ihrer institutionellen Entwicklung befanden sich die Vorstufen der historischen Ethne und der Poleis nach der Darstellung der Dichter, die sich in dieser Hinsicht im Wesentlichen an den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen des 8. Jahrhunderts orientierten, bis zu einem ge­ wissen Grade noch in ähnlichen (gemeinsamen) Stadien ihrer ­Entstehung. Wenig später begannen bereits in weiten Teilen der griechischen Siedlungsgebiete gleichsam beschleunigte Entwicklungsprozesse, die dazu führten, dass Aufgaben des Gemein­ schafts­lebens wie die Sicherung des inneren Friedens und die Kontrolle der Personen, die Leitungsfunktionen ausübten, präzisiert und fixiert sowie auch Regelungen für die Entscheidungsfindung getroffen wurden. Es handelte sich um einen Prozess, dessen Ergebnis die «Staatswerdung» der Polis durch Institutionalisierung ihrer öffentlichen Organe der Willensbildung und Rechtspflege und der Leitung der Gemeinschaft war. Diese Entwicklung vollzog sich vorrangig in den ehemaligen mykenischen Kerngebieten auf dem griechischen Festland sowie auf den Ägäis­inseln und an der kleinasiatischen Westküste. Dies bedeutet indes nicht, dass die «politischen» Verhältnisse in anderen

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6. Die sogenannte Große Kolonisation der Griechen

Regionen im Vergleich zu den Gebieten, in denen die Polisbildung in dem skizzierten Sinne relativ früh begann, prinzipiell rückständig blieben. Vielmehr entwickelten sich auch dort durchaus komplexe Formen der Gemeinschaftsbildung, der politischen Kommunikation und der «staatlichen» Evolution, in deren Verlauf nicht zuletzt auch Identitätsfindung durch gemeinsame Heiligtümer eine bedeutende Rolle spielte. In der Beurteilung dieser Prozesse zeichnet sich in der modernen Altertumswissenschaft eine Überwindung des erwähnten älteren Schemas einer einfachen typologischen Differenzierung griechischer Staatsbildungen ab, mit der das Problem auf die Entstehung einerseits der Poleis (Stadtstaaten) und andererseits der mit Stammstaaten gleichgesetzten Ethne reduziert wurde. Mit dem Problem der Entstehung staatlicher Strukturen in den hellenischen Siedlungsgebieten verknüpft ist die weitere Frage nach der Bedeutung der Großen Griechischen Kolonisation für die Polisentwicklung. Auch hier gewinnt in der Forschung ein neues Bild nunmehr schärfere Konturen.

6. Die sogenannte Große Kolonisation der Griechen Die als Große Kolonisation bezeichnete Ausbreitung der Griechen an einer Reihe von Küstengebieten und auf Inseln des Mittelmeeres sowie im Schwarzmeergebiet begann um die Mitte des 8. Jahrhunderts und klang etwa 550/500 allmählich aus. Es handelte sich hierbei um die Gründung neuer Siedlungen, die in aller Regel sich zu eigenständigen Poleis entwickelten und Bräuche und Institutionen der «Mutterstadt» (Metropolis) übernahmen, aber gegebenenfalls auch von ihr politisch und rechtlich abhängig blieben oder ihre Selbständigkeit aufgeben mussten, wenn sie in den Radius der Expansionsbestrebungen größerer Poleis ihrer Region gerieten. Die heute übliche Bezeichnung dieser Gründungen als «Kolonien» ist im Grunde irreführend, da

6. Die sogenannte Große Kolonisation der Griechen

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der moderne Begriff die Vorstellung der Okkupation und Inkorporation fremder Territorien und der Unterwerfung ihrer Bewohner durch expandierende Mächte impliziert. Der hier relevante griechische Terminus lautet Apoikia und bezeichnet nach seinem Sinngehalt eine «Außensiedlung» außerhalb des Bürgerverbandes, von dem die Gründung ausging bzw. aus der die meisten «Kolonisten» stammten. Diese Siedler in einer griechischen Apoikia sind wiederum von den coloni einer römischen colonia zu unterscheiden, die aufgrund eines römischen Volksbeschlusses als Bürger römischen oder latinischen Rechtes (zumeist) in einer von den Römern unterworfenen Stadt oder einem von ihnen okkupierten Gebiet Land erhalten hatten, um dort die Herrschaft Roms zu sichern. Dem Typus einer römischen colonia entsprechen eher die auf Polisbeschluss gegrün­ deten und der Sicherung der Macht Athens dienenden Außensiedlungen des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. Es ist fraglich, inwieweit bereits im Verlauf der Großen Kolonisation der Griechen derartige Gründungen durch offiziellen Beschluss der öffentlichen Institutionen der «Mutterstädte» vorgenommen wurden. In den Anfängen der Kolonisationsbewegungen ist dies sicherlich auszuschließen, da in den griechischen Gemeinwesen des 8. Jahrhunderts noch kein festes institutionelles Gefüge existierte, so dass damals – wie schon mehrfach betont – noch «vorstaatliche» Verhältnisse herrschten. Zweifellos ist aber mit erheblicher Mobilität zu rechnen, wie den homerischen Epen zu entnehmen ist, in denen zahlreiche Individuen umherziehen oder sich in der Fremde befinden, sei es, dass sie von mächtigen Gegnern in ihrer eigenen Siedlung oder unter dem Druck der dortigen Gemeinschaft vertrieben wurden, sei es, dass Piraten sie gefangen genommen und irgendwo veräußert hatten, sei es, dass sie selbst Piraterie oder Handel trieben, sich als Krieger in fremde Dienste begeben hatten oder glaubten, mit ihren Gefährten im fernen Land einen günstigen Platz zur Ansiedlung gefunden zu haben, wie die Dichter dies von Odysseus nach seiner Landung bei den Kyklopen zu erzählen wissen (Odyssee 9,125 – ​136). Auch in der Phaiakengeschichte (Odyssee 6,4 – ​10) wird nicht geschildert, wie Kolonisten auf Beschluss ihrer «Hei-

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6. Die sogenannte Große Kolonisation der Griechen

matgemeinde» eine Apoikia gründen. Die Dichter erzählen vielmehr eine (fiktive) Umsiedlung eines gesamten Demos (Volkes) unter der Leitung ihres ersten Mannes, der als ranghöchster «Anführer» (Basileus) charakterisiert wird. Die Epen skizzieren Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der Anfänge der Großen Kolonisation der Griechen. In dieser noch «vorstaatlichen» Welt orientieren sich die Gründer (Oikisten) neuer Siedlungen an ihren jeweiligen Zielen und den Verhältnissen, die sie vorfanden. Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht ein Vergleich zwischen Pithekussai (Ischia) und Al Mina in Syrien. In Pithekussai entstand in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts eine Niederlassung, die sich relativ rasch vergrößerte, so dass sich in ihr offenbar viele Personen niederließen, die hier ihr Auskommen zu finden suchten. Dass die Insel bald ein Schnittpunkt von Handelslinien wurde, bestätigen die Keramikfunde, die auf rege Kontakte mit Euboia, Korinth, griechischen Siedlungen des Ägäisraumes und auf Rhodos sowie mit dem nordafrikanischen Karthago und Plätzen der Iberischen Halbinsel schließen lassen. Dies besagt nicht, dass Personen aus allen genannten Gebieten und Städten sich dauerhaft in Pithekussai niederließen. Viele Neuankömmlinge nach der Gründung der Siedlung mögen sich nur vorübergehend (für kürzere oder längere Zeit) dort auf­ gehalten haben. Pithekussai und Al Mina unterscheiden sich in ­ihrem archäologischen Befund der frühen Siedlungsphase in­ sofern, als in Al Mina größere Speicheranlagen aufgedeckt wurden. Ansonsten stammt die Keramik im Wesentlichen aus denselben Herkunftsgebieten wie in Pithekussai. Allerdings findet sich in Al Mina bereits aus der Mitte des 9. Jahrhunderts Ware, die nicht in griechischen Werkstätten hergestellt worden ist. Die griechische Keramik beginnt um 800. Griechische Siedler blieben in Al Mina, das damals vermutlich zum Einfluss- oder Herrschaftsbereich eines aramäischen Kleinkönigs gehörte, indes eine Minderheit. Es handelte sich vornehmlich um einen Handelsplatz, während in Pithekussai infolge der schnell wachsenden Bevölkerungszahl eine Nutzung der für die Landwirtschaft geeigneten Flächen unausweichlich wurde und von dort aus um 750 in Italien die älteste und nördlichste griechische Siedlung

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Kyme (Cumae) gegründet wurde, die als Apoikia von Chalkis (Euboia) galt und ihrerseits um 600 die «Mutterstadt» von Neapolis wurde. Entstehung und Wachstum dieser «westlichen» griechischen Kolonie deuten auf eine Verflechtung von Motiven und Interessen hin, die zunächst unterschiedliche Prioritäten in ihren Gründungsphasen erkennen lassen, während langfristig die Bewohner der drei Siedlungen (Chalkis, Pithekussai, Kyme) mit Herausforderungen konfrontiert wurden, die aus dem Anstieg der Bevölkerungszahlen resultierten und insofern durchaus vergleichbar sind. In Pithekussai standen anfangs zweifellos Handelsinteressen im Verkehr mit Etrurien im Vordergrund. Allmählich wurde aber die Ernährungsbasis auf der Insel zu schmal. So erfolgte der Übergang auf das Festland, wo durch die Gründung von Kyme neuer Siedlungsraum gewonnen wurde. Von dort konnte dann der für die Euboier aus Chalkis wichtige Metallhandel mit Etrurien zweifellos besser abgesichert werden. Dies war für die «Mutterstadt» Chalkis, deren Name die frühe Bedeutung der dortigen Metallverarbeitung noch zum Ausdruck bringt, überaus wichtig. Die Initiativen bei kolonisatorischen Aktivitäten lagen in dieser frühen Phase immer noch bei Einzelpersönlichkeiten. Siedlungen in der Größenordnung von Chalkis auf Euboia waren um die Mitte des 8. Jahrhunderts aus demographischen Gründen indes schwerlich in der Lage, größere zukunftsreiche Neugründungen vorzunehmen, so dass auch Siedler aus anderen Poleis willkommen waren, wenn sie an dem Kolonisationszug eines Initiators des Unternehmens teilnehmen wollten, dessen Polis Ausgangspunkt der Expedition war und dann auch als Mutterstadt der betreffenden Apoikia galt. Hierdurch wird die große Zahl der Neugründungen verständlich, die sich annähernd auf 200 belaufen haben wird. Neben Chalkis besaßen in den Anfängen dieser Kolonisationszeit auch Eretria (Euboia), Korinth und Megara als «Mutterstädte» große Bedeutung. Zielgebiete wurden im Westen Sizilien und Unteritalien. Chalkidier gründeten in Sizilien Naxos am Fuße des Ätna und Zankle (später Messana) sowie an der italischen Südspitze Rhegion; Syrakus wurde eine Gründung Korinths, Rhodier gründeten Gela;

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von dort und der «Mutterstadt» Rhodos stammten die ersten Kolonisten in Akragas (Agrigent). Unteritalien bot zahlreichen Siedlern aus der nördlichen Peloponnes und aus Lokris Raum. Am Golf von Tarent entstanden Sybaris und Metapont als achaiische Gründungen. Auch Kroton weiter südlich galt als Gründung der Achaier, während der Name von Lokroi Epizephyrioi auf die Herkunft der dortigen Kolonisten aus Lokris in Mittelgriechenland hinweist. Eine Reihe weiterer Kolonien entstand zwischen Rhegion und Poseidonia (Paestum). Der Kranz der Kolonien an den Küsten Unteritaliens erklärt die Bezeichnung dieses Raumes als «Großgriechenland» (Magna Graecia). Weit im Westen wurde um 600 v. Chr. Massalia von Phokaiern aus Kleinasien kolonisiert. Mit dieser Gründung sollte wohl nicht nur eine günstigere Verbindung zu den Zinnvorkommen in Britannien hergestellt werden. Weitergehende Interessen im westlichen Mittelmeer sind aufgrund der Anlage von Handelsplätzen der Massalioten in Emporiai (Ampurias, Costa Brava) und Alalia (Aleria, Korsika) und vermutlich auch in Monoikos (Monaco), Nikaia (Nizza) und an einigen anderen Orten anzunehmen. Dass sich auch schwere Interessenkonflikte mit etruskischen und karthagischen Konkurrenten entwickelten, zeigt die Vertreibung der Phokaier aus Alalia durch eine gemeinsame Aktion von Karthagern und Etruskern um 540. Die unterlegenen Hellenen zogen sich von dort nach Elea (Velia) in Unteritalien zurück. Weitere bedeutende Zielgebiete waren die vornehmlich von Chalkidiern besiedelte Chalkidike in der nördlichen Ägäis und das Schwarzmeergebiet (einschließlich der Propontis), wo zahlreiche Gründungen Milets entstanden. Erwähnt seien Abydos an der engsten Stelle der Dardanellen auf dem asiatischen Ufer, Istros an der westlichen Schwarzmeerküste südlich der Donaumündung, Olbia an der Mündung des Bug, Pantikapaion (Kertsch) sowie Sinope (am Südufer des Schwarzen Meeres), eine der ersten Kolonien in diesem Raum, deren Gründungszeit kontrovers diskutiert wird. Übertrieben ist freilich die in der Überlieferung genannte Zahl von «über neunzig» Kolonien Milets. Eine bedeutende Niederlassung der Megarer war Herakleia am Südufer des Schwarzen Meeres (etwa 560/550). Von dort

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aus wurde sehr viel später (etwa im letzten Viertel des 5. Jahrhunderts) Chersonesos (bei Sebastopol auf der Krim) besiedelt, wo vermutlich schon seit dem späten 6. Jahrhundert eine ältere nicht dorische Kolonie bestand. Bereits etwa 50 Jahre nach der Besiedlung von Megara Hyblaia auf Sizilien hatten megarische Kolonisten Kalchedon auf der asiatischen Seite (am Südosteingang) des Bosporos und von dort aus nach einiger Zeit (angeblich 17 Jahre später) Byzantion gegründet. Weitere megarische Kolonien entstanden in Selymbria und Astakos am Marmarameer sowie in Mesembria und Kallatis (mit Siedlern aus Herakleia) am Westufer des Schwarzen Meeres. Die von Megara ausgehenden kolonisatorischen Aktivitäten sind ein aufschlussreiches Beispiel für die Vielschichtigkeit des Problems der Ausweitung der griechischen Siedlungsräume in archaischer Zeit. Zahl und Bedeutung megarischer Pflanzstädte lassen sich nicht auf ein einfaches Erklärungsmodell zurückführen. Übervölkerung kann in diesem Fall nicht die alleinige Ursache der Kolonisationszüge gewesen sein. An megarischen Gründungen beteiligten sich auch zahlreiche Siedler aus anderen Gebieten des griechischen Mutterlandes, und zwar an der Anlage von Byzantion z. B. Kolonisten aus Korinth, Arkadien, Boiotien und Argos, an der Besiedlung von Herakleia am Schwarzen Meer Auswanderer aus Tanagra und anderen damals von inneren Wirren erschütterten boiotischen Orten. Die Megarer selbst hatten im Konflikt mit den Korinthern bereits im 7. Jahrhundert etwa ein Drittel ihres ursprünglichen Gebietes verloren. Die Folge waren innere Unruhen, die wahrscheinlich nach 640 durch eine Agrarkrise ausgelöst wurden. Nutz­nießer der Spannungen war zunächst Theagenes, der eine Tyrannis  – eine illegitime Form der Alleinherrschaft – errichtete, nach dem missglückten Putschversuch seines Schwiegersohnes Kylon in Athen (um 630) aber die in Megara usurpierte Macht nicht mehr lange behaupten konnte. Nach seinem Sturz entstanden neue Adelsfaktionen und Parteiungen, deren Machtkämpfe bereits im Schatten längerer Konflikte mit Athen um den Besitz der Insel Salamis standen. Landnot lässt sich somit in Megara sicherlich nicht monokausal auf Übervölkerung zurück­führen. Sie war

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6. Die sogenannte Große Kolonisation der Griechen

vielmehr mitbedingt durch Gebietsverluste und die Tendenz zur Konzentration der landwirtschaftlichen Nutzflächen in den Händen einer begrenzten Zahl von Grundbesitzern. Die megarischen Kolonien boten freilich auch «Aristokraten» in der Fremde neue Chancen. Vor allem die Gründungen im Umland der Propontis eröffneten zunächst einmal einen besseren Zugang zu Metallvorkommen, Schiffsbauholz und anderen Ressourcen, die in der Landschaft Megaris fehlten. Nach erforderlichen Aufbauarbeiten standen dann in den aufblühenden Kolonien auch größere Landflächen für den Ackerbau zur Verfügung. Hinzu kam, dass Gründungen wie Byzantion auch die Verkehrslinien zu den Getreidereservoirs des Schwarzmeergebietes sicherten und dem megarischen Handel neue Möglichkeiten erschlossen. Unter anderem Aspekt sind die von dem korinthischen Tyran­ nen Kypselos initiierten Kolonistenzüge unter der Leitung seiner Söhne zu sehen, deren Gründungen auf der Insel Leukas vor der Küste Akarnaniens, in Anaktorion am Golf von Ambrakia sowie an einigen anderen Plätzen an der aitolischen und akarnanischen Küste auch der Sicherung der Tyrannenherrschaft dienten, weil Siedlungsland für besitzlose Bauernsöhne zur Verfügung gestellt wurde. Der Machthaber hat zweifellos gehofft, auf diese Weise neue Bindungen der hierdurch privilegierten Schichten an das Tyrannenhaus schaffen zu können. Es bleibt indes unklar, inwieweit tatsächlich Landnot in Korinth gelindert wurde. Eine allgemeine Landverteilung an kleinere Bauern hat Kypselos zweifellos nicht vorgenommen. In den genannten korinthischen Kolonien wurde die Herrschaft von den Söhnen des Tyrannen ausgeübt, so dass die Gründungen faktisch vom Tyrannenhaus abhängig waren. Auch in der älteren korinthischen Kolonie Kerkyra (Korfu) setzte Kypselos seinen Herrschaftsanspruch durch. Sein Sohn und Nachfolger Periandros unterdrückte eine Revolte in Kerkyra und setzte mit der Konsolidierung seiner Herrschaft auf der Insel sowie durch die Gründung Poteidaias auf der thrakischen Chalkidike die Bemühungen seines Vaters um Stabilisierung der Tyrannis durch Sicherung und Gewinnung auswärtiger Stützpunkte fort. Ganz andere Motive und Intentionen waren bei der Besied-

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lung Tarents durch Spartaner ausschlaggebend. Diese einzige spartanische Koloniegründung zielte nicht auf Machterweiterung durch Gewinnung neuer Gebiete ab, sondern diente gleichsam als Ventil für innere Spannungen, als man eine spartanische Gefolgschaftsgruppe, der offenbar Umsturzpläne mit dem Ziel der Errichtung einer Tyrannis unterstellt wurden, aus Sparta entfernte, um die Gefahr eines inneren Krieges zu bannen. Dies bedeutet freilich noch nicht, dass jener Kolonistenzug ein «staatlich» gelenktes Unternehmen war. Ob dies bei der Gründung Kyrenes im heutigen Libyen der Fall war, bleibt zweifelhaft. Der griechische Historiker Herodot bietet hierzu in der Zeit des Perikles zwei Versionen (4,149 ff.). Er berichtet zunächst, König Grinnos von Thera habe vom Del­ phischen Orakel Weisung erhalten, einen Kolonistenzug nach Libyen zu unternehmen, den die Theraier aber erst nach einer langen Dürre unter Führung des Battos durchgeführt hätten. Nach der zweiten Version Herodots wurde Battos, der ursprüng­ lich einen anderen Individualnamen trug und offenbar später den libyschen Begriff für «Herrscher» als neuen Namen annahm, zwar gleichfalls auf Weisung des Delphischen Orakels von den Theraiern nach Libyen geschickt, doch konnte er angeblich erst nach mehrfachem Zögern gezwungen werden, das Unternehmen zu Ende zu führen. In dieser Version ist die Rolle der Polisgemeinschaft der Theraier bei der Entsendung des Zuges eher zweitrangig. Die Gestalt des Oikisten Battos steht eindeutig im Mittelpunkt. Hauptmotiv für diese Ansiedlung in Libyen war zweifellos Landnot in Thera. Das Delphische Orakel, das in archaischer Zeit allmählich überregionale Bedeutung gewann, wurde freilich keine zentrale Koordinationsstelle für Kolonistenzüge. Wohl aber bestand eine gewisse Wechselwirkung zwischen der Ausbreitung der Hellenen durch kolonisatorische Aktivitäten und der Entstehung und Konsolidierung staatlicher Strukturen, deren Anfänge allerdings nicht zu früh anzusetzen sind. Es besagt in dieser Hinsicht wenig, dass man nach dem Grabungsbefund in der megarischen Kolonie Megara Hyblaia eine planvolle Einteilung des öffent­lichen Raumes und eine systematische Zuordnung von Straßenzügen

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6. Die sogenannte Große Kolonisation der Griechen

und Versammlungsplatz bereits im 8. Jahrhundert zu erkennen glaubte. Hieraus sind jedenfalls keine neuen Formen der Regelung eines politischen Zusammenlebens durch Magistrate (Beamte), Rat und Volksversammlung abzuleiten. Sieht man einmal davon ab, dass der Straßenplan noch nicht strikt rechtwinklig war, so ist die unterschiedliche Orientierung von insgesamt fünf «Quartieren» besonders auffällig. Eine übergeordnete Orientierung ist nicht sicher. Die Transformation der Leitungsfunktionen im Gemeinschaftsleben durch den Übergang von «vorstaatlichen» Verhältnissen zu neuen staatlichen Strukturen stand in der Zeit der Gründung von Megara Hyblaia erst in den Anfängen. Gleichwohl hatte die Gründung von Kolonien erhebliche Auswirkungen auch auf die Entwicklung von Institutionen. Oikisten – Führer der Auswanderer zu neuen Siedlungsplätzen – waren gezwungen, Regelungen für ihre «Gefährten» (Hetairoi) zu finden, die ihrerseits oft aus unterschiedlichen Gemeinwesen stammten. Die Leiter der Züge mussten Vorsorge treffen, dass Rivalitäten der Kolonisten untereinander nicht von vornherein eine schwere Belastung für die neue Gemeinschaft wurden. Bezeichnenderweise werden in der griechischen Rückerinnerung die Regelungen zur Einführung von Rechtsordnungen zwei «Gesetzgebern» (Zaleukos, Charondas) in Unteritalien und Sizilien zugeschrieben, die indes nicht als Verfassungsstifter gelten können. In den Einzelheiten lassen sich derartige personale Zuordnungen zwar nicht verifizieren, doch besteht kein Zweifel, dass die Kommunikation innerhalb der griechischen Welt die Kenntnis neuer rechtlicher Regelungen und Bestimmungen rasch verbreitete und entsprechende Nachrichten in jener Formierungsphase der Polis vielerorts Interesse fanden, nachdem die Bedeutung jener Ordnungsfaktoren erkannt worden war. Die Ausweitung des Gesichtsfeldes durch Intensivierung von Kontakten mit fremden Völkern und Kulturen im Verlauf der Großen Kolonisation bot zudem eine Fülle von Vergleichsmöglichkeiten und damit auch neue Optionen für die Entwicklung unterschiedlicher Organisationsformen im eigenen lokalen oder regionalen Bereich. Dies erklärt nicht zuletzt die Vielfalt der Institutionen und die Variationsbreite ihrer Kompetenzen in den Siedlungsgebieten der Griechen.

7. Gesellschaftliche Gliederung und demographische Entwicklung in ­früharchaischer Zeit

Die Ausgrabung und Aufdeckung eines ungewöhnlich großen Hauses von 45 Metern Länge und 10 Metern Breite mit dem Abschluss in Form einer Apsis in den Jahren 1980 und 1981 in Lefkandi (Euboia) war eine altertumswissenschaftliche Sensation. Das Gebäude war aus Lehmziegeln über einem Steinsockel errichtet. Pfostenreihen im Inneren sowie etwa zwei Meter außerhalb der Wände dienten der Abstützung der Dachkonstruktion. Die Anlage stammte aus dem 10. Jahrhundert. Sie lag unter einem gewaltigen Grabhügel und enthielt ein Schachtgrab mit dem Skelett einer jungen Frau und den Aschenresten der kremierten Gebeine eines männlichen Toten in einer kyprischen Bronzeamphora sowie reiche Beigaben, die unter anderem aus Eisenwaffen für den Mann und bedeutendem Goldschmuck für die Frau bestanden. Neben diesem Grab befanden sich in einem weiteren Schachtgrab Skelette von vier Pferden, die wohl den Leichenwagen gezogen hatten. Eine derart imposante Anlage aus den «Dunklen Jahrhunderten» war bis dahin nicht erwartet worden. Sie wurde als Indiz für ein relativ frühes Machtzentrum in der nachmykenischen griechischen Welt gewertet und mehrfach als Heroon (Kultplatz für eine mythische Gestalt) oder Fürsten- bzw. Königsgrab gedeutet. Der Heroenkult wird allerdings erst seit Mitte des 8. Jahrhunderts an älteren mykenischen Gräbern fassbar. Da das «Langhaus» in einer Nekropole liegt und offenbar zu Lebzeiten des beigesetzten Paares nicht als Wohnkomplex benutzt wurde, könnte es sich um eine Nachbildung einer ursprünglich an anderer Stelle gelegenen «Residenz» handeln, die in diesem Fall in einer noch nicht entdeckten protooder frühgeometrischen Siedlung zu erwarten wäre. Trotz der geradezu monumentalen Anlage und der prunkvollen Status-

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7. Gesellschaftliche Gliederung Abb. 6:  «Heroon» von Lefkandi (Rekonstruktionsskizze)

symbole in Form von Totenbeigaben kann allerdings die Bevölkerungszahl in jener Siedlung nicht allzu groß gewesen sein. Daher ist kaum ein großräumiger Einflussbereich des bestatteten Kriegers anzunehmen. Handelskontakte bis Kypros und zur Levantinischen Küste haben aber zweifellos bestanden. Sie erklären vielleicht den Reichtum jenes Sitzes in einer Zeit, in der die allgemeinen Lebensverhältnisse in der griechischen Welt noch durchweg recht bescheiden waren. Insofern wird der «Krieger von Lefkandi» wohl kaum eine wesentlich bedeutendere Position gehabt haben als viele weitere dominierende Herren in anderen Wehr- und Siedlungsverbänden, die im 10. Jahrhundert noch «vorstaatliche Gesellschaften» in überwiegend kleinräumigem Rahmen darstellten. Dementsprechend wohnten die Siedlungsführer und ihre Gefolgsleute sowie sonstige Bewohner der Siedlungen in aller Regel eng zusammen. Derartige Verhältnisse hatten noch die epischen Dichter des 8. Jahrhunderts vor Augen, wenn sie ihren Zuhörern Formen des Gemeinschaftslebens in den fiktiven Siedlungen der Phaiaken (Odyssee 6,255 ff.) oder auf der Insel Syria (Odyssee 15,403 ff.) schildern. Die Bewohner der beiden Siedlungseinheiten auf Syria stehen als kleinere Personenverbände unter der Leitung eines Basileus, dessen Position sich mit der hierfür üblichen Übertragung durch unse-

7. Gesellschaftliche Gliederung

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ren Begriff «König» nicht zutreffend wiedergeben lässt. Komplizierter sind die Verhältnisse auf der mythischen Phaiakeninsel Scheria, wo neben dem ranghöchsten Basileus (Alkinoos) noch zwölf weitere, als Basileis («Herrscher») bezeichnete Herren als «Leiter» (Archoi) ihrer jeweiligen Gemeinschaft fungieren. Jene «Zwölf» sind keine «Könige» nach heutigem Verständnis des Wortes, sondern eher als Anführer (Hegemones) von Teilgruppen mit den Repräsentanten dominierender Adelshäuser in Athen und Attika der Zeit Solons um 600 zu vergleichen. Sie waren Besitzer eines bedeutenden Oikos mit größeren Ländereien und verfügten dementsprechend über freie und unfreie Arbeiter. Als Herren solcher Oikoi («Häuser») waren sie zudem in der Lage, gegebenenfalls auch einige Leute aufzunehmen, die ihnen als «Gefolgsleute» helfen konnten, ihren Status in ihrer Gemeinschaft zu sichern und möglichst zu erhöhen. Dies konnte nicht zuletzt auch durch Handelsfahrten geschehen, die bei günstiger Gelegenheit Räubereien zu Lande und Überfälle auf Siedlungen oder Piraterie auf See nicht ausschlossen. So umfassten die «Häuser» der dominierenden Personen in den Kleingesellschaften jener Zeit Personenkreise, die mit einer Art Pyramide vergleichbar sind, die sich vom Oikosherrn an der Spitze über dessen Verwandte und Vertraute bis zu den freien und unfreien Dienstleuten an der Basis verbreiterte. Die übertriebenen Zahlenangaben in den Epen für Sklavinnen in dem fiktiven Haus des Odysseus sind natürlich imaginäre Größen. In der realen Welt der «Dunklen Jahrhunderte» konnten sich die Güter der führenden Schicht in den Regionen der späteren Poliskultur nicht zu eigenständigen Machtkomplexen entwickeln. Kleinräumigkeit der Machtbereiche und Kleingesellschaften waren gleichsam ein Erbe der Zeit nach dem Ende der mykenischen Paläste, d. h. einer längeren Phase, die für Entstehung und Struktur der politischen Gemeinschaften der Polisverbände größte Bedeutung besaß. Die zahlreichen Poleis, die sich aus überschaubaren Verhältnissen der «Dunklen Jahrhunderte» herausbildeten, waren gewissermaßen jeweils eine Gemeinschaftsleistung aller Schichten der Freien auf lokaler oder (wie in Athen und Attika) auf regionaler Grundlage. Dies schließt Ordnungs-

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7. Gesellschaftliche Gliederung

und Leitungsfunktionen größerer Landbesitzer aufgrund ihrer ökonomischen Überlegenheit und des daraus resultierenden ­Sozialprestiges selbstverständlich nicht aus. Auch fehlte es in späteren sozialen Krisen des 7. Jahrhunderts nicht an Grundbesitzern, die hemmungslos die Not ärmerer Nachbarn auszunutzen wussten, um neue Abhängigkeiten zu schaffen. Gleichwohl blieb zwischen den großen Oikoi noch freier Raum für Bauern und Handwerker, die in den seit dem 8. Jahrhundert sich formierenden Polisgemeinschaften den größten Teil der Wehrgemeinschaften der Freien bilden sollten. Dies wurde für eine Reihe von Siedlungsverbänden letztlich eine Existenzfrage, als die Entwicklung der Waffentechnik und die taktische Neuerung des Kampfes in der geschlossenen Phalanx größere Aufgebote von Wehrfähigen erforderten, die in der Lage waren, sich die relativ kostspielige Hoplitenrüstung (mit Helm, Brustpanzer, Beinschienen, Schild, Lanzen und Schwert) zu beschaffen; in einer Phalanx marschierten Schwerbewaffnete (Hopliten) tief gestaffelt neben- und hintereinander, wobei das Halten der Schilde und Speere der verbunden operierenden Einheit ein Höchstmaß an Schutz und zugleich Angriffskraft verlieh. Allerdings hatten später kleinere Polisgemeinschaften mit ihrem überaus begrenzten Rekrutierungsreservoir nur geringe außenpolitische Entscheidungsmöglichkeiten, wenn sie in den Sog territorialer Expansionsbestrebungen der Großpoleis gerieten. Vom Ende der mykenischen Kultur bis in die früharchaische Zeit war aber – wie gesagt – die Kleinräumigkeit der Lebensverhältnisse in den zahlreichen Siedlungskammern Griechenlands eine wesentliche Voraussetzung für die Entstehung einer großen Zahl eigenständiger Gemeinwesen mit einer bereits stärkeren sozialen Schichtung. Sie trug dazu bei, dass sich aus personengebundenen Ordnungs- und Leitungsfunktionen größerer Grundbesitzer, öffentlichen Beratungen der Repräsentanten dieser Schicht und Versammlungen der wehrfähigen Freien, die nach Darstellung der epischen Dichter nicht mehr alle Entschlüsse und Beratungsergebnisse hochrangiger Statuspersonen widerspruchslos hinnahmen, reguläre Institutionen entwickelten. In zahlenmäßig durchweg begrenzten Personenverbänden war dies möglich,

7. Gesellschaftliche Gliederung

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Abb. 7:  Darstellung einer frühen Phalanx, «Chigi-Vase» (um 650)

weil kleinere und mittlere Bauern über die Zeit der «Dunklen Jahrhunderte» hinweg eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit gewahrt hatten und größere Oikosherren diesen Demos der Freien nicht mit einem dichten Netz von klientelartigen Bindungsverhältnissen mit entsprechenden Verpflichtungen überziehen konnten. In diesem Rahmen konnten des Weiteren Freie aller Schichten in den genossenschaftlichen Organisationsformen der Phylen und Phratrien sich zusammenfinden und gemeinsame Aufgaben für ihre jeweiligen Verbände sowie auch für die gesamte Wehrund Siedlungsgemeinschaft erfüllen, in die gegebenenfalls fremde Zuwanderer aufgenommen wurden, die zur Verstärkung der Wehrkraft oder als Bereicherung für Handel und Gewerbe des eigenen Verbandes willkommen waren. Im Zuge dieser Entwicklung verfestigte sich freilich auch eine unmenschliche soziale Realität, die Dichotomie der Gesellschaft in Freie und Sklaven. Die Unfreien, die in die Gewalt anderer Personen geraten und hierdurch oder schon durch ihre Abstammung von Sklavinnen und Sklaven Eigentum ihrer Herren geworden waren, hatten kaum eine Chance, in die Gemeinschaft der Freien an den Orten ihres Sklavendaseins aufgenommen zu werden. Sie waren als Besitz ihres Herrn auch dessen Willkür unterwor-

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fen, die für die Betroffenen sehr unterschiedliche Auswirkungen haben konnte, wie einerseits die von den epischen Dichtern phantasievoll verklärte Darstellung des Verhältnisses zwischen dem Oikosherrn Odysseus und seinem vertrauten Sklaven Eumaios, andererseits aber auch die Schilderung der grausamen Bestrafung «leichtsinniger» Mägde durch denselben Oikosbesitzer zeigen. Es gab freilich noch keine Sklavenmärkte, auf denen die Händler Sklaven wie Viehherden zusammentrieben, doch führte die verbreitete Praxis des Menschenraubs dazu, dass vor allem die von Piraten eingefangenen und erbeuteten Menschen oft über weite Strecken zu Lande und zu Wasser transferiert wurden und dort, wo man sie als Arbeitskräfte ausnutzte, stets Fremde blieben und jederzeit auch weiterverkauft werden konnten. Die im Verlauf von Plünderungszügen oder durch Gewaltakte aller Art gefangen genommenen Menschen verdankten nach archaischen Vorstellungen ihr Weiterleben der Großzügigkeit des Überlegenen und galten nach Herauslösung aus ihrer angestammten Gemeinschaft, gesellschaftlich gesehen, gewissermaßen als «lebende Tote». Man darf sich hierüber nicht durch die poetische Fiktion des Wohlwollens, das Eumaios im Hause des Odysseus genoss, hinwegtäuschen lassen. Hier wird eine Art patriarchalischer Sklaverei geschildert, die eher der Abhängigkeit einer dienenden Person als der Unfreiheit im strengen Sinne zuzuordnen ist. Eine Sonderform der Unfreiheit waren wiederum die Abhängigkeitsverhältnisse unterworfener Landbevölkerungen in verschiedenen Regionen. Bekannt ist vor allem die «Institution» der Helotie in Sparta. Ähnliche Formen der Sklaverei existierten in Kreta, in Thessalien sowie in einigen kolonialen Poleis. Im Zuge der Expansion der Syrakusaner im frühen 6. Jahrhundert wurden einheimische Bevölkerungsgruppen, die sogenannten Kyllyrier, versklavt. Sie erhielten aber bereits im frühen 5. Jahrhundert den Status von Freien, während in Herakleia am Pontos nach Gründung dieser griechischen Kolonie das ansässige Volk der Mariandyner in mehreren Phasen unterjocht wurde. Die genannten Bevölkerungen sind kollektiv unterworfen worden. Ihre Stellung unterschied sich in mancher Hinsicht vom

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Status der Kaufsklaven, da sie nicht in andere Gemeinwesen verkauft werden konnten und ihre Familienverbindungen anerkannt und respektiert wurden. Gleichwohl wurden sie zu den Sklaven (Douloi) gezählt, da sie als Gewaltunterworfene galten und außerhalb der Gemeinschaft der Freien standen, in der sie leben mussten. Da ihre Vorfahren nicht individuell, sondern gleichsam als Angehörige einer bestimmten Bevölkerungsschicht versklavt worden waren, konnten die Heloten z. B. nur durch Beschluss des Gemeinwesens der Spartaner emanzipiert werden. Dies geschah freilich erst in den Krisenjahren des Peloponnesischen Krieges, als waffenfähige Heloten als militärische Verstärkung eingesetzt werden mussten. Ohne deutlichen Anstieg der Bevölkerungszahl Spartas sind die Okkupation des südlichen Eurotasgebietes durch die Spartaner und die hieraus resultierende Unterwerfung der Heloten kaum vorstellbar. Dieses demographische Phänomen blieb nicht auf Sparta beschränkt, sondern zeichnet sich auch in anderen Regionen Griechenlands im 8. Jahrhundert ab. In Athen nahm die Zahl der Gräber zwischen 770 und 740 sogar geradezu sprunghaft zu, so dass hier ein deutlicher Anstieg der Geburtenrate zu vermuten ist. Gestützt wird diese Annahme durch den Siedlungsbefund. In der genannten Zeit wurde die Besiedlung der Landgebiete in Attika offensichtlich dichter, so dass die Binnenkolonisation in diesem Raum damals starke Impulse erhalten haben wird. Zudem deuten auch Grabfunde darauf hin, dass in jener Zeit bei Spata, Menidi, Koropi und einigen weiteren Orten Attikas reiche Oikosbesitzer existierten und insofern dort auch ein entsprechendes Potential an Arbeitskräften zur Ver­fügung gestanden haben muss. Ein ähnlicher Indikator ist die steigende Gräberzahl in Argos. Hinzu kommt der Beginn der Großen Kolonisation der Griechen, die sicher durch mehrere Faktoren initiiert wurde, aber eben auch darauf schließen lässt, dass zumindest in jenen Siedlungen, von denen frühe Kolonisationszüge ausgingen, die demographische Entwicklung nicht rückläufig war, sondern die Bevölkerungszahl anwuchs. In Korinth dehnte sich jedenfalls die Siedlungsfläche weiter aus. Auch in kleineren «Landstädten» wie Alt-Smyrna nahm die Be­

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völ­ kerung zweifellos zu. Langfristig bedeutsam wurde diese Entwicklung nicht zuletzt durch ihre Auswirkungen auf die Führungsstrukturen und die Entstehung neuer Formen der Entscheidungsfindung.

8. Entstehung und Entwicklung von Institutionen im griechischen Siedlungsraum Aristoteles geht in der Darstellung seiner Verfassungstheorien davon aus (Politika 1297 b 16 ff.), dass die Polis als politische Organisationsform aus einer Königsherrschaft entstanden ist. Er versteht ihre weitere Geschichte als eine Abfolge von Verfassungen, die durch die Entwicklung der Kampftaktik geprägt war. Nach der Zeit des Königtums sollen hiernach die Reiter als überlegene Waffengattung das politische Geschehen bestimmt haben und als Führungsschicht die Repräsentanten einer Oligarchie (Herrschaft einer kleinen Gruppe) gewesen sein, bevor die Entwicklung der Phalanxtaktik größere Aufgebote von Hopliten (d. h. von schwerbewaffneten «Infanteristen») erforderte und hierdurch die Vorherrschaft der Reiterei in Frage gestellt wurde. Die Folge sei die Entstehung der sogenannten Hoplitenpoliteia gewesen, einer «Verfassung», in der eine breitere Mittelschicht von Hopliten die politische Entscheidungsfindung dominiert habe. Die Verwendung des Begriffs der Politeia, der erst in klassischer Zeit entstanden ist und primär den Personenverband der Bürger (Politen) bezeichnete, ist hier freilich ein Anachronismus. Aristoteles orientiert sich in diesem Fall nicht nur an Kategorien der klassischen griechischen Staatstheorie, sondern zeichnet auch ein stark vereinfachtes Bild einer Abfolge von Verfassungen, deren Merkmale er auf eine Zeit überträgt, in der es noch kein institutionelles Gefüge in dem von ihm postulierten Sinne in griechischen Siedlungs- und Wehrgemeinschaften gab. Sein Paradigma ist hier zweifellos die epische Darstellung von Herrschaftssystemen, deren Vielfalt und Komple-

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xität die Theorie des Aristoteles indes nicht erfasst. Hiervon abgesehen, war die Reiterei im früharchaischen Griechenland keineswegs generell die überlegene Waffengattung; die Kampfkraft thessalischer Reiter war eher die Ausnahme. Allerdings haben sich institutionelle Regelungen in zahlreichen Gemeinwesen aus Führungsstrukturen und Formen des Gemeinschaftslebens entwickelt, wie sie bereits in den homerischen Epen angedeutet werden. Die epischen Szenen spiegeln Verhältnisse einer Zeit des tiefgreifenden Wandels der gesellschaftlichen und «politischen» Strukturen in zahlreichen griechischen Siedlungsgemeinschaften im Verlauf des 8. Jahrhunderts. Von einer starken Monarchie ist die Polisbildung freilich nicht ausgegangen. Dies bedeutet indes nicht, dass es in Griechenland von den Katastrophen der mykenischen Palastsysteme bis zu den frühen Tyrannen in jenen Regionen, in denen Organisationsformen der typischen Polis entstanden, generell keine Alleinherrschaft gab. Im zweiten Gesang der Ilias werden bezeichnenderweise «Alleinherrschaft» und «Vielherrschaft» als einander ausschließende Herrschaftsformen gegenübergestellt und hierdurch zugleich unterschiedliche zeitgenössische Vorstellungen von Leitungsfunktionen und Machtausübung in einem Wehr- oder Siedlungsverband zum Ausdruck gebracht. «Vielherrschaft» ist hier keine Chiffre für protodemokratische Konzepte, sondern ein Hinweis auf eine Art Wechselspiel der Kräfte in griechischen Gemeinwesen, in denen Rivalitäten und Konkurrenzkämpfe ranghoher Personen mit Standesgenossen durchaus an der Tagesordnung waren, wenn es um die führenden Positionen und um Einfluss auf das Geschehen ging. Nach Lage der Dinge vollzogen sich diese Auseinandersetzungen durchweg in überschaubarem lokalen Rahmen. Dass auf der Entwicklungsstufe jener Gemeinwesen in früharchaischer Zeit ein zunächst noch recht einfach strukturiertes Gefüge von Institutionen entstand, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass im nachmykenischen Griechenland die Ressourcen für eine Stabilisierung monarchischer Herrschaft nicht vorhanden waren und dementsprechend auch keine durchorganisierten Erzwingungsstäbe unterhalten werden konnten. Einen Eindruck von

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der Situation im 8. Jahrhundert im Vorfeld der Entstehung staatlicher Strukturen bildet die schon erwähnte homerische Schilderung der Phaiakenstadt, in der ein Basileus (Herr) die Führungsposition noch nach der Erbfolge bekleidet und sich mit den «Vorstehern» (Archoi) des Demos berät, von denen jeder Einzelne jeweils als Basileus eines Teils der gesamten Gemeinschaft galt. Ihre Beschlüsse werden einer von diesem «Rat» einberufenen Versammlung des Demos mitgeteilt, der aber aus eigener Initiative keine bindenden Entscheidungen treffen kann. Eine Beschränkung der Teilnahme an «vorstaatlichen» Heeresund Volksversammlungen wird im homerischen Epos nirgendwo erwähnt. Die Dichter setzen offenbar voraus, dass prinzipiell alle freien Männer einer Siedlungs- oder Wehrgemeinschaft teilnahmeberechtigt sind. In Kleingesellschaften ist dies durchaus verständlich. Die teilweise sprunghafte Bevölkerungszunahme im 8. Jahrhundert schuf aber neue Probleme, die sich ­zunächst wohl vor allem in der Rechtspflege abzeichneten. Regelungsbedarf auf diesem Sektor deutet sich in zwei bemerkenswerten epischen Szenen an, wie sie für griechische Siedlungs­ gemeinschaften der «homerischen» Welt typisch gewesen sein mögen. In der Odyssee (12,439 f.) werden die Mühen eines Mannes erwähnt, der auf der Agora (Versammlungsplatz) «viele Prozesse streitender Parteien» zu entscheiden hat, und in der berühmten Gerichtsszene der Ilias (18,497 – ​508) wird die Aufgabe der Streitschlichtung von einer Gruppe von Geronten («Ältesten») ausgeübt, die beurteilen müssen, ob ein Mann, der ein Tötungsdelikt begangen hatte, die von den Verwandten des Getöteten akzeptierte Zahlung eines «Wergeldes» auch tatsächlich geleistet hat. Die «Richter» (bzw. «Schiedsmänner») und die streitenden Parteien werden umringt von Männern aus dem Demos, die leidenschaftlich Anteil am Ablauf des Verfahrens nehmen. Es ist bemerkenswert, dass in beiden Szenen die Ausübung der schiedsrichterlichen Tätigkeit oder die Leitung des Verfahrens nicht von einem Basileus übernommen wird. So ist nicht auszuschließen, dass in der Abfassungszeit der Epen etwa im späten 8. Jahrhundert bereits neue Regelungen neben den ­älteren Verfahrensweisen, die noch völlig von der aktiven Rolle

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des ersten Mannes in der Wehr- oder Siedlungsgemeinschaft bestimmt wurden, bekannt und gebräuchlich waren. Die ältere Stufe spiegelt sich noch in den von Wunschvorstellungen getragenen Ausführungen der epischen Dichter über die segensreiche Tätigkeit eines Basileus, der den Göttern die Kenntnis richtiger Urteilssprüche verdankt (Ilias 2,206) und durch seine Gerechtigkeit die Wohlfahrt des Volkes garantiert (Odyssee 19,109 ff.), so dass sich hier charismatische Vorstellungen vom herrscher­ lichen Segensträger mit der Hoffnung auf Sicherung des inneren Friedens in der Gemeinschaft verbinden, deren Ordnung durch gerechte Richtersprüche (Themistes und Dikai) erhalten bleibt. Die Rechtsvorstellungen in den homerischen Epen stehen zweifellos in einer langen Tradition. Bereits im Rahmen der mykenischen Palastsysteme gab es Regelungen zur Streitbeilegung, wie aus Linear-B-Tafeln mit Hinweisen auf einen Rechtsstreit zwischen einer Priesterin und einer Damosgemeinschaft (Damos = Demos = Volk) von Landbesitzern zu entnehmen ist. Möglichkeiten und Vorstufen der Einführung einer zentralen Instanz (um 700 v. Chr.), die in der Gemeinschaft eines Demos allgemeine Anerkennung findet, deuten sich im Bild eines idealen Basileus im Proömium  – den Eingangsversen  – der «Theogonie» Hesiods an, in der er den Mythos der Weltentstehung erzählt. Hiernach ist in der zeitgenössischen Vorstellung ein Basileus erwünscht, der die überkommenen Rechtsnormen kennt und richtig auszulegen vermag sowie mit seinem Wissen «großen Streit» schlichtet. Der Text zeigt, dass Regelungen zur Erhaltung des inneren Friedens und zur Sicherung von Ordnungsbedürfnissen gefordert waren und ein kundiger Mann, der als Basileus bezeichnet und zweifellos allgemein anerkannt wird, aber kein «Herrscher» ist, die Chance hat, die Befugnis zur Ausübung von Schlichtungsfunktionen zu erhalten. Auf der Agora schauen alle wie gebannt zu ihm auf, wenn er das Wort ergreift. Offenbar kündigt sich hier der Übergang von einer «vorstaatlichen» Rechtspflege zur Institutionalisierung der Funktionen einer dauerhaft zur Verfügung stehenden Person an, deren Stellung nicht auf monarchischer Macht, sondern auf dem ihr entgegengebrachten Vertrauen beruht. Dass sowohl der «öffentli-

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che Raum» der Agora als auch die Redegewandtheit einzelner Persönlichkeiten in diesem Transformationsprozess eine bedeutende Rolle spielten, bestätigt eine weitere epische Szene, in der ein wortgewaltiger Mann gerühmt wird, der in seiner Siedlung «wie ein Gott» bestaunt wird (Odyssee 8,170 – ​173). Realitätsnah erscheint auch eine epische Skizze, die Aufschlüsse über die Bedeutung der «öffentlichen Meinung» bietet und andeutet, dass der «erste Mann» (Basileus) in einer Kleingesellschaft einem gewissen Legitimationszwang unterliegt (Odyssee 14,239). In diesem Rahmen «vorstaatlicher» Verhältnisse werden Leitungs- und Ordnungsfunktionen als Leistungen für den Demos empfunden. Der Basileus bedarf unter diesem Aspekt auch der Unterstützung durch Ratgeber. Seine Tischgenossen (Hetairoi) sind Personen von Rang innerhalb der Siedlungsgemeinschaft und gehören zum Führungssystem, denn sie beraten den Basileus, bevor sie sich gemeinsam zum Versammlungsplatz auf der Agora begeben und ihn bei der Kommunikation mit dem versammelten Demos unterstützen. Die Dichter skizzieren hier Kommunikationsprozesse, die für die Entscheidungsfindung für die Gemeinschaft von Bedeutung sind. Der Kreis der Vertrauten des Basileus bildet das Beratungsgremium, das zusammen mit dem Leiter und der Versammlung des Gesamtverbandes Vorstufen zu regulären Organen im Übergang zur Staatlichkeit darstellen. Der Rat tagt zwar generell noch nicht regelmäßig, kann aber gegebenenfalls auch selbständig zusammentreten und den Basileus herbeirufen lassen (Odyssee 6,54 f.). Die Volksversammlung wird nur aus besonderem Anlass einberufen, kann aber schon den Basileus zu einem Kriegszug zwingen und ihm einen weiteren Anführer zur Seite stellen (Odyssee 13,259 ff.; 14,235 ff.) sowie unter Umständen auch Empörung über das Verhalten ranghoher Mitglieder der Gemeinschaft äußern (Odyssee 3,214 f.). Der Demos wird bei wichtigen Entscheidungen nicht einfach übergangen, so dass sich in den Epen schon Voraussetzungen für eine Institutionalisierung abzeichnen. Im späten 7. Jahrhundert war dieser entscheidende Schritt in der Entwicklung zur Staatlichkeit in einer Reihe von Gemein-

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wesen vollzogen. In Sparta wurden allem Anschein nach bereits relativ früh entsprechende Regelungen durch die sogenannte Große Rhetra getroffen. Diese Bezeichnung ist modern und dient zur Unterscheidung von anderen Rhetren, die entgegen der allgemein üblichen Übersetzung dieses Begriffs keine eigentlichen «Gesetze» darstellten, sondern eher als «Verfügungen» des legendären Lykurgos galten, der den Spartanern auf Weisung des Delphischen Orakels eine «Verfassung» und neue innere Ordnung gegeben haben soll. Durch die Große Rhetra wurde das Zusammenwirken der typologisch bereits in der homerischen «Welt» als feste Bestandteile der Gesellschaftsordnung erscheinenden vorinstitutionellen Organe der Leiter, des Rates und der Versammlung der Gemeinschaft geregelt, indem hierfür bestimmte Verfahrensweisen festgesetzt wurden. Die Repräsentanten des historischen Doppelkönigtums in Sparta werden im Text der Großen Rhetra als Archagetai («Anführer») bezeichnet. Sie bilden zusammen mit 28 weiteren Männern den «Rat der Alten» (Gerusia), die einer «von Zeit zu Zeit» (d. h. in regelmäßigen Abständen) einberufenen Versamm­ lung des Damos (Demos) der Spartaner Anträge vorlegen und das «Volk» nach dem Beschluss entlassen sollen. Wenn aber der Damos einen «schiefen» Beschluss fasst (d. h. nicht im Sinne der Könige und der Gerusia agiert), sollen Geronten (Mitglieder der Gerusia) und die Archagetai die Versammlung auflösen, d. h. ­offensichtlich eine neue Versammlung einberufen und erneut beschließen lassen. Die bei Plutarch (Leben des Lykurgos  6) überlieferten Ausführungen über das Verfahren in den Versammlungen enthalten zwar eine Textlücke, doch werden die wesentlichen Punkte der Großen Rhetra durch den spartanischen Dichter Tyrtaios bestätigt, wenn auch dessen Gedicht aus dem späten 7. Jahrhundert eine idealisierende Skizze der Funktionen der öffentlichen Organe bietet. Nicht zu bezweifeln ist jedenfalls die Fixierung von Regeln in Sparta, die Bestimmungen über reguläre und regelmäßige Einberufungen der Versammlung und das weitere Verfahren nach einer «Befragung» des Damos enthalten und zudem die Zahl der Ratsmitglieder festlegen. Dies führt über die aus den homerischen Epen zu erschließende

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Entwicklungsstufe hinaus. Allerdings ist in der Auslegung der Willensbildung des Damos den damals im Sozialkörper Spartas dominierenden «Instanzen» des Doppelkönigtums und der Gerusia ein weiter Ermessensspielraum geblieben. Dennoch spiegelt die Große Rhetra einen bedeutsamen ordnungsstiftenden Akt. Die Maßnahmen wurden nämlich ergänzt durch eine klare Abgrenzung der politischen Gemeinschaft der Spartaner durch Konstituierung von Phylen und sogenannten Oben. Neben den Phylen, deren Gliederung als personale Unterabteilungen des Gesamtverbandes der Spartaner die Grundlage der militärischen Aufgebotsordnung war, bildeten die Oben vermutlich auf lokaler Basis weitere Personenverbände. Als zeitlicher Rahmen der Durchführung der genannten Neuerungen ist die erste Hälfte des 7. Jahrhunderts anzusetzen. Eine präzisere Datierung ist nicht möglich. Eine Inschrift der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts aus der kleinen Polis Dreros im Nordosten Kretas enthält Bestimmungen, die in einigen Punkten bereits sehr detailliert sind und eine deutliche Weiterentwicklung des institutionellen Gefüges einer Siedlungsgemeinschaft erkennen lassen. Bemerkenswert ist zunächst die Ratifikationsformel mit einem Hinweis auf einen Polisbeschluss, der bereits ein Identitätsbewusstsein einer Gemeinschaft andeutet, die sich explizit als «Polis» eines eigenständigen Personenverbandes versteht. Der Beschluss ordnet an, dass jemand, der das Amt als Kosmos (wörtlich: Ordnungschaffender) bekleidet und somit die höchste Funktion in der Polis ausgeübt hat, erst nach einem Intervall von zehn Jahren erneut diese Aufgabe übernehmen darf. Wenn er das Amt vor diesem Zeitpunkt wieder einnimmt, darf er in Zukunft überhaupt kein Amt mehr bekleiden und muss zudem die doppelte Summe aller von ihm in seiner Amtszeit verhängten Strafen zahlen. Des Weiteren werden alle von ihm vollzogenen Amtshandlungen für ungültig erklärt. Den Eid auf die Einhaltung dieser «Satzung» sollen die sogenannten Zwanzig der Polis und die Damioi ablegen. Die «Zwanzig» bildeten offenbar einen Rat, dessen Mitgliederzahl ebenso wie die Zahl der Geronten in Sparta genau fixiert war. Die Funktionen der Damioi sind ein offenes Problem. Mög­

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licherweise hatten sie neben dem Rat gewisse Kontrollrechte oder Aufsichtsbefugnisse über den Gemeinschaftsbesitz des Polisverbandes. Die strikten Bestimmungen über Strafmaßnahmen gegen einen Kosmos, der in kretischen Poleis nicht als alleiniger höchster Funktionsträger, sondern zusammen mit neun «Kollegen» die Leitung in seinem Siedlungsverband für ein Jahr ausübte, lassen vermuten, dass Konkurrenzkämpfe zu dem Beschluss über die skizzierten Regelungen geführt haben. Auch in Sparta bestand möglicherweise ein Zusammenhang zwischen einer inneren Krise und der Großen Rhetra. In Athen geboten vermutlich blutige Fehden nach dem missglückten Putschversuch Kylons (um 630) und nach der Liquidierung seiner Anhänger neue Regelungen zur Ahndung von Tötungsdelikten durch das berühmte Gesetz Drakons. Die genannten Beispiele bedeuten selbstverständlich noch nicht, dass überall ähnliche Faktoren oder Vorfälle den Prozess der Institutionalisierung öffent­licher Aufgaben in Gang brachten. Von großer Bedeutung waren aber zweifellos die «Vernetzung» der griechischen Welt durch Kommunikation und der hierdurch bedingte Austausch von Ideen und Anregungen für neue Organisationsmodelle im politischen Raum, so dass gewissermaßen eine Interaktion jenen Prozess erheblich forciert haben wird. Neuerungen in benachbarten und entfernten Siedlungen oder Wehrgemeinschaften wurden bekannt und gegebenenfalls als Prävention gegen mögliche Unruhen und Krisen empfunden, so dass eine Orientierung an den entsprechenden Beispielen prinzipiell empfehlenswert erschien, wenn man auch selbst wiederum spezifische Lösungen anstrebte und die «Modelle» modifizierte sowie den eigenen Institutionen besondere Namen gab. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht eine vor relativ kurzer Zeit bekannt gewordene Inschrift aus Tiryns, in der eine Institution bzw. Korporation erwähnt ist, die als Platiwoinoi bezeichnet wurde. Ihre Vorsteher, die Platiwoinarchoi, besaßen die Strafgewalt über die Mitglieder jener Verbände. Es wurde festgelegt, dass sie das Doppelte des für eine Verfehlung der Platiwoinoi bestimmten Strafmaßes zahlen mussten, wenn sie selbst das betreffende Vergehen nicht geahndet hatten.

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Dass im späten 7. Jahrhundert auch in Randzonen griechischer Siedlungsgebiete die Polisstrukturen deutlichere Konturen gewonnen hatten, bestätigt eine Inschrift aus Kerkyra (Korfu), die verkündet, dass durch Beschluss der Volksversammlung dieser Polis zu Ehren eines Gastfreundes aus dem Ozolischen Lokris, der durch eine Schiffskatastrophe zu Tode gekommen war, ein Kenotaph – ein Grabmal, das nicht den Körper des Toten barg – errichtet wurde. Ein strukturiertes institutionelles Gefüge bestand um 600 in Athen. Die Leitungsinstanzen dieser Polis waren bereits in beachtlicher Weise ausdifferenziert, da die insgesamt neun Archonten – oberste Amtsträger – für unterschiedliche Aufgaben zuständig waren. Hinzu kamen weitere Funktionsträger wie die Tamiai, die Schatzmeister für den Tempelschatz der Athena, die Kolakretai, die aus dem von ihnen verwalteten Fonds öffentliche Aufwendungen bestritten, die Naukraroi als Vorsteher der für den Küstenschutz zuständigen Verbände der Naukrarien, die Elfmänner (Hendeka) als Vollzugsorgan in Kapitalstrafen und zur Ahndung anderer schwerer Delikte sowie die Poletai, die später unter anderem für die Verpachtung öffentlichen Grundbesitzes zuständig waren. Solon hat den Ausbau der Institutionen durch Konstituierung des Volksgerichtes (Heliaia) und wohl auch eines neuen Rates mit 400 Mitgliedern erweitert. Möglich war diese Entwicklung in Athen nicht zuletzt dadurch, dass hier Unterschichten des Demos nie von der Teilnahme am öffentlichen Leben ausgegrenzt worden waren und die Institu­tionalisierung der Volksversammlung in solonischer Zeit bereits so weit fortgeschritten war, dass sie nicht nur die leitenden Magistrate wählen, sondern wohl auch besondere Aufträge wie die Übertragung von Gesetzgebungskompetenzen beschließen konnte. Vermutlich war es damals auch schon üblich, dass ­Archonten nach Ablauf ihrer Amtszeit und ordnungsmäßiger Amtsführung auf Lebenszeit in den Rat vom Areopag, dem Areshügel nahe der Akropolis, aufgenommen wurden. Auch in Sparta wurden nach der Großen Rhetra weitere Neuerungen eingeführt. Die Institution der Ephoren («Auf­ seher») kann zwar schon in den Anfängen der Polisbildung ent-

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standen sein. Sie wird aber in der Großen Rhetra nicht erwähnt und war demnach damals jedenfalls noch unbedeutend, während die Ephoren in klassischer Zeit neben den beiden Königen die wichtigsten Funktionsträger waren. Bereits um die Mitte des 6. Jahrhunderts konnten Ephoren einem König schon den Willen des Damos (Demos) der Spartiaten aufzwingen, so dass sie damals wohl schon Volksversammlungen einberufen und leiten konnten und insofern im Vergleich zur Zeit der Großen Rhetra neue Kompetenzen besaßen. Weitere Beispiele, die auch aus Rückschlüssen aus einzelnen verstreuten Nachrichten zu eruieren sind, bestätigen, dass Entstehung und Ausbau der Institutionen in den verschiedenen Regionen zwar phasenverschoben erfolgten, aber Ausdruck einer gemeingriechischen Entwicklung sind, die durch die schon erwähnte Interaktion zwischen den zahlreichen eigenständigen Gemeinwesen mächtige Impulse erhalten hat. Als hohe «Beamte» sind sogenannte Demiourgoi («für den Demos Tätige») in Westlokris, Delphi, Elis, Arkadien, Argos und in der Argolis sowie in achaiischen Kolonien und in der korinthischen Apoikia Poteidaia (hier unter dem Begriff Epidamiourgoi) belegt, so dass diese Funktionsträger zweifellos in Achaia und Korinth existierten. Der «Beamtentitel» Basileus wurde für den eponymen Magistrat in Argos verwendet  – also für jenen Beamten, nach dem das Jahr benannt und gezählt wurde. Auf Kreta fungierten die schon erwähnten Kosmoi («Ordner») seit dem 7. Jahrhundert als Beamte. Älteren Ursprungs ist wohl auch das Amt der Timouchoi, der «Inhaber der Ehren». Die Bezeichnung deutet an, dass sie eine ehrenamtliche Funktion für die Polis ausübten. Timouchoi sind belegt für Teos, Phokaia (Kleinasien), Priene, Lebedos, Thasos und Methymna (Lesbos). Ferner wurde diese Magistratur in Massalia aus Phokaia und in Abdera aus Teos übernommen. In einer Reihe von Poleis in Kleinasien und auf den vorgelagerten Inseln sowie in Korinth und seinen Kolonien wurden die Oberbeamten ursprünglich als Prytanen («Erste») bezeichnet, so dass ihr Rang schon durch den Titel zum Ausdruck kam. Eine Sonderform einer einstelligen Magistratur war offenbar die Position des Aisymnetes («Aufse-

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her», ursprünglich «Kampfrichter», d. h. Schiedsrichter) in Mytilene auf Lesbos. Versachlichung und Regelung kennzeichnen auch die Entwicklung älterer vorstaatlicher Ratsversammlungen zu Polisorganen. Als «Formalisierung» dieser Art ist zweifellos die Begrenzung der Zahl der Mitglieder der Gerusia in Sparta auf dreißig (einschließlich der beiden Könige) zu verstehen. Ähnliche Beschränkungen gab es in Kreta, wo dreißig Ratsmitglieder (oder zwanzig in kleineren Poleis) die Regel waren, sowie in Argos, wo die Institution der sogenannten Achtzig offenbar aus ­einem alten Adelsrat hervorgegangen ist. Weitere Beispiele für die Fixierung von Mitgliederzahlen in älteren Räten bieten Knidos und Elis. Vermutlich sollte hierdurch verhindert werden, dass Rangkämpfe unter den Kandidaten aus der Oberschicht, die für diese Funktion in Frage kamen, außer Kontrolle gerieten. Dieses Ziel wurde aber offenbar auch durch eine relativ hohe Zahl von Ratsmitgliedern in einer Reihe von Gemeinwesen sowie auch durch Einführung besonderer Zulassungskriterien angestrebt, indem z. B. die Bekleidung eines Oberamtes als Voraussetzung für die Aufnahme in den Rat (Areopag) gefordert wurde, wie dies in Athen der Fall war. Von besonderer Bedeutung für die weitere griechische Geschichte wurde zweifellos die Volksversammlung, die in klas­ sischer Zeit als Symbol der Freiheit und Eigenständigkeit hel­lenischer Gemeinwesen galt. Mit der Entwicklung der Versammlungen des Demos zur regulären Institution ist die Ausformung des «Bürgerstaates» der Polis, deren Charakteristikum die Teilhabe des Bürgers (Polites) an der Entscheidungsfindung ist, untrennbar verknüpft. Allerdings gab es auch in einer Reihe von Poleis einschneidende Beschränkungen des Aktivbürgerrechts, d. h. des Rechts auf Mitsprache und Mitentscheidung ­sowie auf Ausübung öffentlicher Funktionen. In Epidauros bestand die Vollbürgerschaft aus einem Gremium von 180 Personen. In Massalia wurde möglicherweise schon bei der Gründung der Kolonie eine Einschränkung des Rechts auf Bekleidung von Ämtern sowie eine Art Erbfolge für Kandidaturen eingeführt, die aber nach Aristoteles (Politika 1305 b 4 ff.) später aufgeho-

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ben wurde. Ähnliche Beschränkungen sind aus Knidos, Istros und Herakleia am Pontos bekannt. Die Zahl von eintausend Vollberechtigten ist für Kolophon, für Kyme in Kleinasien, für einige Apoikien («Kolonien») im Westen sowie für Opus, den Zentralort der östlichen Lokrer, überliefert. Auf die Gefahren der Ausgrenzung von Teilen des Demos in Gemeinwesen, die nach der Entstehung der griechischen Verfassungsbegriffe nach Mitte des 5. Jahrhunderts als Oligarchien galten, ist im staatstheoretischen Diskurs und in Debatten der praktischen Politik im antiken Griechenland immer wieder hingewiesen worden. Wo die Rolle des Damos bzw. des Demos bereits in der frühen Phase des Prozesses der Institutionalisierung der Organe griechischer Gemeinwesen geregelt wurde, erhielt nicht nur der öffentliche Raum für Versammlungen als fortan verbindliches Zentrum politisch relevanter Entscheidungen neue Bedeutung, wie z. B. die Angabe des Versammlungsplatzes «zwischen Babyka und Knakion» in der Großen Rhetra zeigt. Darüber hinaus gewann auch die religiöse Bindung an die außerhalb des menschlichen Vermögens waltenden Kräfte eine neue Dimension. Im homerischen Epos scheint noch auf, dass göttlicher Segen der Gemeinschaft durch den Leiter des Verbandes (Basileus) vermittelt wird, wenn er gerecht seine Funktionen ausübt. Durch den Prozess der Institutionalisierung werden diese Aufgaben einer Mehrzahl von Personen übertragen, die auch in verschiedenen Organen agieren können und in Form einer Interaktion der Institutionen für die Gemeinschaft tätig werden, indem sie z. B. als Oberbeamte auch Rats- oder Volksversammlungen leiten. Aber auch die Gesamtheit des Demos bzw. der in Versammlungen präsente Teil des «Volkes» steht nunmehr gegebenenfalls als Entscheidungsträger sozusagen direkt den göttlichen Kräften gegenüber und ist auf ihren Schutz und Segen angewiesen, der durch richtigen Vollzug der Gebete und Opfer herbeigeführt werden soll. Die politische Gemeinschaft als solche muss göttliche Hilfe erbitten und wird insofern im Vollzug der Rituale auch eine Kultgemeinschaft. Sichtbarer Ausdruck dieser Einheit wurden Tempel, die um und nach 700 monumentale Dimensionen annahmen. Sie wurden dadurch zugleich

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Prunkstücke der Siedlungen, die nunmehr nicht zuletzt auf diese Weise auch in ihrem äußeren Erscheinungsbild urbanen Charakter erhielten. Voraussetzung hierfür war freilich auch die allmähliche Überwindung der generell bescheidenen Lebensweise nach dem Niedergang der mykenischen Welt.

9. Aspekte des Wirtschaftslebens in den «Dunklen Jahrhunderten» und in archaischer Zeit Die ökonomische Basis der Kleingesellschaften in Griechenland in nachmykenischer und archaischer Zeit war die Landwirtschaft, in der sich beachtliche Besitzunterschiede herausbildeten, deren Ursachen allerdings schwer zu eruieren sind. Gewisse Hinweise bieten Andeutungen aus dem 8. Jahrhundert in der Odyssee, wonach ein Besitzer größerer Ländereien Fremden die Möglichkeit zur Kultivierung neuer Anbauflächen bieten und damit zugleich auch ein Abhängigkeitsverhältnis konstituieren konnte (Odyssee 18,357 f.). Ein größerer Besitz konnte andererseits auch durch Erbteilung zersplittert werden. Die Folge konnte ein sozialer Abstieg der Erben sein. Gravierender konnte sich in archaischer Zeit die Schuldknechtschaft – d. h. der Übergang des Schuldners in den Besitz des Gläubigers – auswirken, die aber im frühen 6. Jahrhundert in Athen durch Solon und in der Folgezeit auch in anderen griechischen Gemeinwesen beseitigt wurde. Generell sollte allerdings die Ausdehnung größerer Güter nicht überschätzt werden. Eher untypisch war die Größe der Güter in den weiten Landflächen Thessaliens sowie in Teilen der kolonialen Siedlungsgebiete der Griechen. Auch hierbei handelte es sich indes nicht um Latifundien römischen Typs, so dass die Besitzer keine eigenständigen Machtzellen bilden und die Prozesse der Polisbildung nicht entscheidend durchkreuzt werden konnten. Gefahren für die sich formierenden Polisgemeinschaften gingen in einer Reihe von Gemeinwesen indes im

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7. und 6. Jahrhundert von machthungrigen Einzelnen aus, die Hetairien (Gruppen von «Gefährten») um sich scharten und diese zur Errichtung von Tyrannenherrschaften zu instrumentalisieren vermochten. In den homerischen Epen erscheinen Besitzer größerer Ländereien hingegen eher als Großbauern, die sogar anfallende handwerkliche Arbeiten selbst ausführen können. Eine sogenannte geschlossene Hauswirtschaft gab es freilich nicht. Für Arbeiten, die besondere Fertigkeiten erforderten, wurden bereits Spezialisten herangezogen. Schmiede unterhalten auch in dem von Hesiod beschriebenen ländlichen Umfeld (um 700) eine eigene Werkstatt in ihrer Siedlung. Die Ökonomie in der Abfassungszeit der homerischen Epen stellt noch eine Art marktloses System dar, das die Oikosbesitzer zwingt, etwa Handelsfahrten zur Beschaffung von Eisen und anderen Metallen zu unternehmen und dann gewisse Vorräte zu halten, um Schmieden, die keine Stapelmöglichkeiten hatten, Rohstoffe etwa zur Anfertigung von Waffen oder für sonstige Aufträge zur Verfügung zu stellen. Bis Ende des 6. Jahrhunderts hatte sich aber ein weites Netz von Handelsbeziehungen im Rahmen der griechischen Siedlungsgebiete entwickelt, so dass auch handwerkliche Produkte in größeren Mengen für den Export hergestellt und bestimmte Waren von Händlern regelrecht geordert werden konnten. Berufshändler, die Fernhandel vermittelten, blieben indes zahlenmäßig beschränkt und bildeten keinen neuen politischen Faktor, wenn auch Erfolg und Gewinne durch Handelsaktivitäten es selbstverständlich ermöglichten, einen hohen Rang im Sozialgefüge der Gesellschaft einzunehmen. Grundbesitz blieb freilich generell das ausschlaggebende Statusmerkmal. Größere Landbesitzer trieben aber auch ihrerseits weiterhin Fernhandel, um ihre Produkte abzusetzen. Durch die nach Mitte des 7. Jahrhunderts im westlichen Kleinasien (Lydien) und im Laufe des 6. Jahrhunderts auch in Griechenland einsetzende und sich verbreitende Münzprägung wurden aber die archaischen Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen nicht insgesamt gleichsam flächendeckend revolutioniert. Zielgerichtete Verfahren einer rationalen Kalkulation bei der Herstellung und beim Vertrieb von Gütern

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9. Aspekte des Wirtschaftslebens

in Verbindung mit innovativer Neustrukturierung von Werkstätten zur Optimierung einer Art Massenproduktion sind nicht erkennbar, so dass entsprechende betrieblich orientierte Verhaltensmuster im archaischen Hellas kaum anzunehmen sind. Eine Verlagerung ökonomischer und politischer Macht ergab sich nicht unmittelbar aus dem Übergang zur Münzwirtschaft. Im 5. Jahrhundert ändert sich allerdings das Bild. Diese langfristige Entwicklung bis in die klassische Zeit ist im Kontext einer übergreifenden Thematik zu sehen. In einer ­älteren umfangreichen Forschungsdiskussion, der sogenannten «Jahr­hundertdebatte», wurde das antike Wirtschaftsleben einerseits als «primitive» Vorstufe der späteren ökonomischen Systeme des europäischen Spätmittelalters und der Neuzeit ­gewertet und vor allem im Blick auf die archaische Zeit als durchweg agrarisch eingestuft. In diesem Kontext wurden kriegerische, ja geradezu räuberische Aspekte wirtschaftlicher Bereicherung stark akzentuiert. Wesentliche Voraussetzung dieser Betrachtungsweise war die Annahme, dass antike urbane Gemeindestaaten aus Kriegerstaaten hervorgegangen und Kriegsbeute, Grundrente und militärische Sicherung des Zugangs zu Rohstoff- und Nahrungsressourcen Hauptanliegen politischen Handelns gewesen seien, während Handel und gewerbliche Produktion in erheblichem Umfang freien Nichtbürgern und Sklaven überlassen blieben. Mit dieser Prämisse konnten aber weder die Komplexität der Aspekte und Faktoren der Polisbildung noch der Wandel antiker Wirtschaftsstrukturen, der in unterschiedlichen Regionen sich keineswegs gleichmäßig vollzog, erfasst und überzeugend erklärt werden. Vertreter einer Gegenthese suchten demgegenüber das Problem von der Warte moderner Wirtschaftsformen aus zu interpretieren und über­ trugen Begriffe wie «Großindustrie» und «Fabriken» auf die Antike, indem sie zugleich profitorientierte ökonomische Verhaltensweisen im Altertum überbetonten. Demgegenüber ist die Vielfalt der ökonomischen Praxis in geographisch weit auseinanderliegenden Räumen und in den verschiedenen Epochen der Antike zu beachten. Die skizzierten vereinfachenden Erklärungsmodelle einer «primitivistischen» Wirtschaftsweise oder

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einer «kapitalistischen» Prägung ökonomischer Verhaltensmuster in der mediterranen antiken Welt können als überwunden gelten. In den «Dunklen Jahrhunderten» und in der archaischen Zeit waren zwar traditionelle Produktionsweisen der Subsis­ tenzwirtschaft  – also der allein auf den Selbsterhalt zielenden ­Produktion – in der Landwirtschaft vorherrschend, doch war in nachmykenischer Zeit das Netzwerk mediterraner Han­ delskontakte nicht völlig zerrissen, und im Zuge steigender Nachfrage nach Prestige- und Luxusgütern wurden Verkehr und Kommunikation zunehmend intensiver. Ein wichtiger Faktor war zudem die fortschreitende soziale Differenzierung, die den Unterschichten der Freien neue Aufstiegschancen bot, so dass hierdurch zweifellos auch mehr und mehr eine gewinnorientierte Erwerbstätigkeit intensiviert wurde, zumal Erfolg auf diesem Sektor ein Gewinn an Sozialprestige bedeutete, wenn auch in spätarchaischer Zeit in dieser Hinsicht noch nicht die Schubkraft der Dynamik des 5. Jahrhunderts erreicht wurde.

10. Kunst und Kultur in archaischer Zeit Dass keineswegs in allen Handwerkssparten in archaischer Zeit die Produktion durchweg durch einfache Handlungsabläufe gekennzeichnet war, demonstriert vor allem die neue Form des monumentalen Tempels, die schon einen hohen Stand rationaler Planung und «fortschrittlicher» Bautechnik erkennen lässt. Mit dem Ausklang der Phase des geometrischen Stils der Vasenmalerei beginnt aber auch generell eine Epoche des Aufbruchs und der dynamischen Entwicklung der griechischen Kunst und Kultur. Ähnlich wie im öffentlich-politischen Bereich seit Beginn der archaischen Zeit ein Streben nach bindenden und fixierten Regeln für ein Zusammenleben der Gemeinschaften die Institutionalisierung der hierfür in Frage kommenden Organe initiiert und letztlich auch beschleunigt hat, so ist für diese Epoche eine neue künstlerische Produktivität charakteristisch, die

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sowohl durch Rezeption von Elementen der Kunst des Vorderen Orients als auch durch ein Streben nach neuen normativen Leitlinien bestimmt war. Während der zuerst genannte Aspekt eher noch ein Merkmal der sogenannten orientalisierenden Phase (etwa 700 – ​620 v. Chr.) darstellt, gilt das zweite Prinzip insonderheit in Bezug auf die spätarchaische Zeit (etwa 620 – ​480). Allerdings lassen sich keine scharfen Trennungslinien zwischen diesen Phasen ziehen. Bereits in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts zeichnet sich in der Tempelarchitektur etwa in Thermos (Aitolien), Eretria (Euboia) und Samos eine Formgebung ab, die in der Gestaltung der Heiligtümer größere Dimensionen anstrebte und sich hierdurch deutlich von den Bauten der Wohnhäuser unterschied, wenn auch die Außenwände der Tempel noch aus lehmverputztem Flechtwerk bestanden. Neue Zeichen setzte im 7. Jahrhundert die von der ägyptischen Sakral­ architektur beeinflusste Säulenringhalle (Peripteros), die den Kernbau des Tempels umgab und ihm eine grandiose Monumentalität verlieh. Während das aufgehende Mauerwerk der frühen Ringhallentempel noch aus Lehmziegeln errichtet wurden und Säulen, Gebälk und Dachstuhl aus Holz gefertigt waren, wird nach der Wende vom 7. zum 6. Jahrhundert der gewaltige dorische Tempel auf Kerkyra (mit seinem berühmten Giebelschmuck der Medusa und der weiten Ringhalle) aus Stein errichtet. Um 570 wird in Samos mit dem Heraheiligtum in ionischer Bauweise eine neue architektonische Wirkung durch Errichtung eines Ringhallentempels mit einem doppelten Säulenkranz (Dipteros) angestrebt. Offenbar wurden dort aber bald darauf Abtragungen vorgenommen und nach 550 an anderer Stelle neue Fundamente gelegt, doch ist der Neubau nicht genau zu datieren. Auf Aigina erhielt der an der Wende vom 6. zum 5. Jahrhundert anstelle eines älteren Heiligtums für die vorgriechische Gottheit Aphaia erbaute und vor allem durch seine einst bemalten Giebelskulpturen mit der Darstellung der Kämpfe des Herakles und der «Griechen» um Troja (heute in München, Glyptothek) berühmte Tempel erstmals eine Kurvatur des Unterbaus (der Krepis). Im 6. Jahrhundert wurden in der Gestaltung der durch Säulen und Gebälk klar konturierten

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Abb. 8:  Olympia, Hera-Tempel (Grundriss)

Abb. 9:  Samos, Heraion, Rhoikos-Tempel (Grundriss)

Tempel freilich noch verschiedene Baukonzeptionen (z. B. lang gestreckte Formen des Baukerns) verfolgt, bevor der typisch griechische Tempel der klassischen Zeit durch seine harmonischen Maße und die kanonische Anordnung von sechsmal dreizehn Säulen seine Form als gleichsam vollkommenes Kunstwerk erhielt, das durch römische Vermittlung über die Zeiten hinweg paradigmatisch wurde.

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Dass die Tempelbauten generell in spätarchaischer Zeit zahlreicher werden, unterstreicht nicht zuletzt auch die Bedeutung der schon mehrfach angesprochenen Interaktion zwischen den einzelnen Gemeinwesen. Die monumentale Architektur griechischer Poleis ist insofern auch als Ausdruck der Demonstration der eigenen Bedeutung ihrer Bürgerschaften zu werten. In der Vasenmalerei fand bereits in mykenischer Zeit die Darstellung agierender Menschen großes Interesse. In den «Dunklen Jahrhunderten» standen dann lange Zeit einfache Ornamente in Form von geraden Linien, Wellen-, Zickzack-, Dreieck-, Schachbrett- und Kreuzmustern, Kreisen oder Halbkreisen sowie von einfachen oder kunstvollen Mäandern im Vordergrund, wenn auch – vor allem seit dem 10. Jahrhundert – figürliche Motive wie laufende Pferde keineswegs fehlten. Ein Durchbruch figürlicher Darstellungen erfolgte im Übergang von der Stilphase Mittelgeometrisch II zu Spätgeometrisch im frühen 8. Jahrhundert. Zu den Höhepunkten zählte bereits in der ersten spätgeometrischen Stilphase die berühmte «Prothesisamphora» um 760, deren Hauptbild eine Totenklage wiedergibt. Die Darstellung akzentuiert hier wie etwa auch in der Kombination der Klagefrauen und Kriegerfiguren auf einer attischen Halshenkelamphora (750/735) den Klagegestus der Frauen und betont das Wesentliche so in der Symbolik der Handlung und der Funktionen der Figuren, während die Prozession der Krieger die letzte Ehrung des Toten durch hochrangige Standesgenossen zeigt. Neben östlichen Motiven (z. B. Sphingen, Greifen, Chimären, «Herrinnen der Tiere») bestätigen neue Technologien wie Bronzehohlguss und Elfenbeinschnitzereien die Intensivierung der griechisch-orientalischen Kontakte und die hieraus resultierenden Anregungen, die der griechischen Welt aus der Begegnung mit den Hochkulturen des Nahen Ostens zuteilwurden. Der Bilderreichtum der orientalisierenden und vor ­allem der archaischen Vasenmalerei bietet unschätzbare Zeugnisse zum Verständnis der Lebens- und Arbeitswelt und Vor­ stellungsweisen der Griechen, und zwar vor allem aus der Oberschicht. Mythische und heroische Szenen, Darstellungen von Kämpfen und von sportlichem Training, von Jagden und gesel-

Abb. 10:  «Aiginetengruppe» (Aphaia-Tempel, Aigina)

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ligen Symposien geben nicht zuletzt auch Auskunft über Selbstverständnis und Werteordnung der Künstler und ihrer Zeitgenossen, die am Erwerb der wertvollen Produkte interessiert waren. In der Plastik zählt zu den eindrucksvollsten Beispielen des frühen Einflusses östlicher Motive die Terrakottafigur des «Pferdemenschen» aus Lefkandi (um 900), dessen offenbar kampfbereite Haltung in gewisser Weise das Motiv einer etwa 200 Jahre später geschaffenen Bronzegruppe (jetzt in New York) – zweifellos Herakles im Kampf mit einem Kentaurengegner  – vorwegnimmt. Eines der schönsten Beispiele aus der großen Fülle kleinerer Figuren von Menschen und Tieren aus Ton, Bronze oder Elfenbein aus dem 9. und 8. Jahrhundert ist eine nackte weibliche Elfenbeinstatuette aus einem spätgeometrischen Grab aus dem Kerameikos in Athen (etwa 735/720). Sie deutet voraus auf die orientalisierende Periode der griechischen Plastik, wie sie etwa die samische Elfenbeinstatuette eines Jünglings repräsentiert, der zu einem Teilstück einer Leier gehört und vermutlich einen Springtänzer darstellt in einer Zeit, in der sich bereits mit der von Nikandre aus Samos der Artemis auf Delos geweihten lebensgroßen Statue (zweites Viertel des 7. Jahrhunderts) neue Ausdrucksformen als Vorstufe der griechischen Großplastik angekündigt haben. Die neue Entwicklung, die wohl auf ägyptische Einflüsse zurückzuführen ist, findet nach weiteren Vorstufen im späten 7. Jahrhundert ihre Fortsetzung in der monumentalen Plastik nach 600, deren Statuentypus des nackten Jünglings (Kouros) mit vorgesetztem Bein und leicht gewinkelt anliegenden Armen das Ideal männlicher Energie symbolisiert, während die bekleidete spätarchaische Frauenstatue wie ein Sinnbild vornehmer Zurückhaltung wirkt. Von größter kulturgeschichtlicher Bedeutung war die Übernahme des (nord-)semitischen Alphabets durch die Griechen, die ein Schriftsystem entwickelt haben, mit dem sowohl Konsonanten als auch Vokale notiert werden konnten. Semitische Zeichen für Konsonanten, deren Lautwert die Griechen für ihre Sprache nicht benötigten, wurden als Vokalzeichen verwendet, so dass eine genuine Lautschrift entstand. Umstritten ist, ob

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Abb. 11:  Totenklage und Trauerzug auf attisch-geometrischer Grabamphora

Abb. 12:  «Pferdemensch» aus Lefkandi

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dies möglicherweise schon Ende des zweiten Jahrtausends in einem längeren Prozess geschah. Eher sind die genannten Innovationen aber um 800 oder ins frühe 8. Jahrhundert zu datieren. Das griechische Alphabet, das sich relativ rasch in mehreren Versionen mit verschiedenen Buchstabenvarianten verbreitete, war jedenfalls die unabdingbare Voraussetzung für die großartige Entwicklung der griechischen Literatur. In der Dichtung ist das Menschenbild weitgehend durch die Thematik der Epen vorgezeichnet, die fiktives Geschehen einer versunkenen Heroenzeit schildern, aber auch durchaus realitätsnah auf gesellschaftliche Verhältnisse des 8. Jahrhunderts Bezug nehmen und Motive aus der Lebenswelt aller Schichten mit vielfachem Wechsel von Einzel- und Massenszenen bieten. Die Dichter stilisieren keineswegs einseitig das Ideal der heldischen Kraft und Tapferkeit (Areté), deren Ziel es war, «der Beste zu sein und hervorragend vor anderen» (Ilias 6,208), um entsprechend gerühmt zu werden. Vielmehr propagiert die Ilias (16,830 ff.) auch den Einsatz des ranghöchsten «Aristokraten» für seine Wehr- und Siedlungsgemeinschaft, um sie vor Knechtschaft zu bewahren. Ein Pendant hierzu ist der archäologische Befund am Westtor von Eretria (Euboia), wo um 680 über der zentralen Stelle einer älteren Familiennekropole ein Heroon entstand, so dass hier die Verehrung herausragender Personen durch Angehörige und Gefolgsleute in den Kult der Heroenfeier einer sich formierenden Polisgemeinschaft überging. In der epischen Dichtung werden aber auch Verhaltensweisen von rang­ hohen Persönlichkeiten kritisiert, die in einem befreundeten Gemeinwesen Raubzüge durchführen und hierdurch der eigenen Gemeinschaft ebenso schaden (Odyssee 16,424 ff.) wie jene Kriegsherren, die keinen Rat annehmen und gravierende Fehl­ entscheidungen im Kampfgeschehen treffen (Ilias 12,210 ff.). Erwähnt sei aber auch, dass etwa in der epischen Darstellung von Kampf und Schreckensszenen und ihren Begleiterscheinungen sich auch orientalische Motive finden. Dies gilt in ähnlicher Abb. 13:  Artemisstatue, geweiht von Nikandre aus Samos Abb. 14:  Kouros aus Attika

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Weise für die Theogonie Hesiods (um 700), in der die Abfolge göttlicher Herrschaften auf ältere vorderasiatische Traditionen hinweist. Hesiods Werke und Tage stellen demgegenüber primär eine wertvolle Quelle für das Leben des einfachen Mannes in einer noch «vorstaatlichen» Region Boiotiens dar. Ein überaus vielfältiges Bild bietet die archaische Lyrik mit ihren verschiedenen Gattungen. Archilochos, der eine Sonnenfinsternis (vermutlich vom 6. April 648) bezeugt und sich als Diener des Kriegsgottes bezeichnet, feiert Kriegsabenteuer, Trinkgelage und Liebesszenen in seinem Leben als «Lands­ knecht». Kallinos verlangt um 650 Einsatzbereitschaft junger Männer (wohl seiner Gesellen beim Gastmahl) im Kampf für die Polis Ephesos gegen angreifende Kimmerier. Tyrtaios ruft Ende des 7. Jahrhunderts spartanische Krieger zur Disziplin in der Schlachtreihe auf und stellt ihnen nach der Unterwerfung der Messenier die Okkupation fruchtbaren Landes in deren Gebiet in Aussicht. Solon von Athen mahnt in der Krise seiner Polis um bzw. nach 600 seine Mitbürger immer wieder zur Eintracht und gibt später in großartigen Versen Rechenschaft über seine Reformen. Etwa gleichzeitig schildert Alkaios die Konstellationen in den wechselvollen Machtkämpfen rivalisierender Adelsgruppen (Hetairien) in Mytilene auf Lesbos. Ein Gegenbild hierzu scheint in Sapphos Gesängen von Schönheit, Jugend, Festlichkeiten und feiner Lebensart im Kreise der jungen Frauen unter ihrer Obhut sowie bei deren Verabschiedung auf. Die unter dem Namen des Theognis überlieferte Gedichtsammlung führt in die sozialen Probleme, die politischen Auseinandersetzungen und das Umfeld des gesellschaftlichen Aufstiegs neuer Schichten sowie in die Kultur der Symposien (Gastmähler bzw. Gelage) exklusiver Kreise in Megara im 6. Jahrhundert ein. Gleichsam als Wanderer zwischen verschiedenen Welten erscheint der um die Mitte des 6. Jahrhunderts auf der Insel Keos geborene Dichter Simonides, der Epinikien (Lieder für einzelne Sieger) und Kultgesänge verfasste. Er wirkte bereits in der Zeit der Peisistratiden – der nach Peisistratos benannten Tyrannenfamilie – in Athen und kehrte nach den Perserkriegen dorthin zurück, wo er eine völlig veränderte Atmosphäre vorfand. Über

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die spätarchaische Zeit hinaus weist auch das Schaffen des thebanischen Dichters Pindar, der in einer an den Tyrannen Hieron I. von Syrakus gerichteten Ode politische Erfahrungen generalisierend zum Ausdruck bringt, indem er betont, dass in einer Polis entweder eine Einzelherrschaft («Monarchie») existiert oder das «ungestüme Volk» oder die «Weisen» (d. h. Repräsentanten einer elitären Oberschicht) die bestimmenden Kräfte seien. Ein Entwurf einer Verfassungstypologie wird hiermit freilich noch nicht intendiert. Insgesamt bietet die archaische Dichtung der Griechen auch wichtige Aufschlüsse über Faktoren und Triebkräfte jenes Transformationsprozesses, in dessen Verlauf die «Staatlichkeit» der Polis deutlichere Konturen gewann und zugleich sich ein Wandel in der Struktur jener Gruppen vollzog, aus denen sich aufgrund der gesellschaftlichen Schichtung das Führungspersonal in den sich konsolidierenden Institutionen der archaischen Zeit rekrutierte. In der noch «vorstaatlichen» Polis der homerischen Epen zählen gesellschaftlich bedeutende Personen zu den Hetairoi des Siedlungsführers (Basileus) und unterstützen ihn bei der Lenkung der Willensbildung der Heeres- und Volksversammlungen. Als sich Rat und Volksversammlung zu regulären Institutionen und personengebundene Führungspositionen zu Ämtern entwickelt hatten, bedeutete die Zugehörigkeit zu einem exklusiven Kreis von Hetairoi demgegenüber nicht mehr ohne Weiteres auch eine Aufnahme in den Rat oder in die Gruppe der Kandidaten für Führungsfunktionen. Wohl aber bildeten sich neben den engeren Kreisen der «Leiter des Demos» auch private Zirkel innerhalb der Oberschicht, die sich vor allem im Symposion zusammenfanden und kommunizierten. In solchen Zirkeln wurde etwa auch die Eunomia-Elegie Solons – ein beschwörender Aufruf zur Besinnung auf die gute alte Ordnung (Eunomia) – rezitiert und diskutiert. Private Zusammenkünfte hatten insofern auch eine öffentlichkeitsorientierte Funktion. Adelsgruppen konnten in ihren Vereinigungen freilich auch Strategien für Auseinandersetzungen mit konkurrierenden Hetairien um Einfluss, Macht und Ämter besprechen. In den Symposien entstanden dementsprechend in archaischer

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Zeit auch enge soziale Bindungen. Die Mitglieder mussten aber auch bestrebt sein, dass ihre Intentionen und Aktionen bei der breiten Masse des Demos Anklang fanden, wenn sie auf die ­öffentlichen Organe ihrer Polis Einfluss nehmen wollten. Trotz ­ihrer Exklusivität waren die Hetairien gleichwohl nicht durch eine scharfe gesellschaftliche Trennungslinie von anderen Schich­ten in ihren Bürgerschaften geschieden, denn die Bürger blieben durch Phylen, Phratrien und andere Einrichtungen sozialer Integration sowie vor allem auch durch gemeinsame Poliskulte und zum Teil durch die kultischen Vereinigungen der Géne miteinander verbunden. Als größte Segmente der politisch-religiösen Gemeinschaft der Polis bildeten die Phylen ihrerseits durch die Fiktion eines gemeinsamen Ahnherrn, den sie als eponymen – namengebenden – Heros verstanden, zugleich kultische Einheiten. Sie erfüllten in archaischer Zeit bereits auch politische Funktionen, die in Athen etwa in der Benennung von Mitgliedern des von Solon konstituierten Rates der Vierhundert bestanden. Eine wichtige Aufgabe der Phratrien in Athen bestand in der Ausübung der Kulte der Phratrie-Gottheiten, insbesondere des Zeus Phratrios und der Athena Phratria. Die Phratrien hatten darüber hinaus ebenso wie die Phylen politisch wichtige Funktionen für die Zusammensetzung der Bürgerschaft zu erfüllen, da sie über die legitime Abkunft der Kinder entschieden. Da die Polis kein Kultmonopol gewonnen hat, konnte sie allerdings nie die vielen privaten und lokalen Kulte integrieren, deren Pflege zahlreichen Vereinigungen oblag. Am besten bekannt sind ihre Funktionen in Athen, die dort weitgehend von den Géne ausgeübt wurden. Als Géne galten übrigens auch bestimmte Priesterfamilien oder Priesterkorporationen, deren Ritualkenntnisse von Generation zu Generation weitervermittelt wurden. Von größter Bedeutung für einen Polisverband waren in archaischer Zeit die Kulte der «großen» olympischen und gemeingriechischen Gottheiten geworden, die gewissermaßen zur Familie des Zeus gehörten. Ihr Bild und die Vorstellungen von ihren Kräften und von ihrem Wirken waren maßgebend von Homer (bzw. den Dichtern der homerischen Epen) sowie auch

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von Hesiod geformt worden. Die Gottheiten erscheinen in der frühgriechischen Poesie geradezu als Urbilder menschlicher Charaktere, Eigenschaften und Verhaltensweisen. Andererseits wurden sie aber auch in lokal geprägten spezifischen Erscheinungsformen in jedem Gemeinwesen als besondere Schutzgötter verehrt und empfingen als solche ihre Opfer und Weihungen. Ein besonderes religiöses Phänomen außerhalb dieser Poliskulte wurden die Mysterienkulte, die in archaischer Zeit zunehmend an Bedeutung gewannen. Für die Teilnahme an diesen Kulten wurde nur die Geheimhaltung der Rituale gefordert. Die Bindung an eine bestimmte Polisgemeinschaft oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht waren hingegen keine Voraussetzung. Da sie allen Eingeweihten ein besseres Los nach dem Erdenleben versprachen, besaßen sie eine starke Anziehungskraft. In Eleusis, wo der Kult sich archäologisch bis ins 8. Jahrhundert zurückverfolgen lässt, erwarteten jene, die in die Mysterien eingeführt werden wollten, des «göttlichen Glanzes» teilhaftig werden zu können. Teil eines Kultes der athenischen Polis wurde bereits in spätarchaischer Zeit die Tragödie, für die als erstes Datum eines der drei ersten Jahre der 61. Olympiade (536/35 – ​533/32) bezeugt ist, in dem der Dichter Thespis aus der attischen Gemeinde Ikaria erstmals ein Drama am Fest der Großen Dionysien aufgeführt hat. In der Entwicklung der Tragödie von einfachen Kulttänzen zum Kunstwerk der klassischen Trilogie vollzog Thespis nach Aristoteles den entscheidenden Schritt, indem er dem traditionell auf einem runden Platz (Orchestra) tanzend und singend agierenden tragischen Chor einen Schauspieler gegenüberstellte. Geistes- und wissenschaftsgeschichtlich von größter Fern­ wirkung waren die Anfänge der griechischen Philosophie um 600, die neue Möglichkeiten der Welterklärung in einer Zeit ­erschloss, in der Solon in poetischer Form politische Ordnungsvorstellungen entwickelte, die darauf abzielten, Krisensitua­ tionen zu meistern. Wie Solon im politischen Denken Kau­ salzusammenhänge zu erfassen und hierdurch Ursachen gesellschaftlicher Missstände zu analysieren suchte, so sind die ersten Ansätze einer neuen Deutung der Weltentstehung durch

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Überwindung mythologischer Erklärungsmodelle gekennzeichnet. Während freilich Solon mit seinen Stellungnahmen zu den Gründen politischer Unruhen und Gefahren die Öffentlichkeit aufrütteln und hierdurch unmittelbar Wirkung erzielen wollte, wird in dem geistigen Aufbruch, den der Beginn philosophischen Denkens markiert, nicht irgendein praktischer Nutzen angestrebt, wenn auch die rationalen Elemente der erstmals um 600 in Milet entwickelten Innovationen in der Deutung der Natur ohne praxisorientierte Anregungen vor allem durch mathematische Kenntnisse und Methoden, die man aus Mesopotamien und Ägypten übernehmen konnte, kaum möglich waren. Ein entscheidender Schritt über den altorientalischen Wissensbereich hinaus ist aber die eigentlich philosophische Fragestellung. Sie lautet in der Formulierung des Aristoteles (Metaphysik 1025 b 1 – ​2): «Nach den Gründen und Ursachen des Seienden (ton ónton) wird gefragt, und zwar selbstverständlich des Seienden, soweit es überhaupt Seiendes als solches ist.» Die ersten philosophischen Denker fanden nach Aristoteles (Metaphysik 983 b 7 – ​8) das gemeinsame Prinzip der Ursachen des Seienden in der Gestalt des Stoffes (en hyles eidei). Diese Denker hätten zu erklären versucht, woraus alles Seiende hervorgegangen ist und wohin es letztlich vergehen wird. Aristoteles bezeichnet den von ihnen postulierten gemeinsamen Urgrund des Seienden als «Element» (stocheion). Dieses bleibende Sein bzw. Wesen des Seienden verstehen die milesischen Philosophen als Physis. Ihr Ursprung «in der Gestalt des Stoffes» ist für Thales das Wasser, für Anaximander das «Grenzenlose» (apeiron) und für Anaximenes die Luft. Das Wasser konnte als Anfang erscheinen, weil es sich nicht nur als Flüssiges, sondern auch als Festes (Eis) und als Wasserdampf zeigen kann. Offenbar wegen dieser Möglichkeiten des Übergangs sieht Anaximander den Ursprung des Seienden im Unbegrenzten. Dies war wiederum die Voraussetzung für die Annahme des Anaximenes, dass die Luft am Anfang der Physis stehe. Auf dieser Bahn des Denkens bewegt sich in gewisser Weise noch Heraklit, der als Grundstoff und Wesensart der Physis das Feuer erkennen will, dessen Aufleuchten und Erlöschen in einem maßbestimmten Verhältnis erfolgt, das von

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Heraklit als alles beherrschender Logos gedeutet und insofern auch als Vernunftprinzip verstanden wird, das im Fluss der Dinge und des Geschehens Harmonie garantiert. Demgegenüber erkennt Parmenides neben dem Ursprung (Arché) des Entstehens und dem Ergebnis des Vergehens noch als weiteres zugrunde liegendes Element ein Ordnungsprinzip, das von ihm erstmals als Sein (to on) bezeichnet wird und für ihn das gleichbleibende Wesen im Fluss der Dinge darstellt. Eine Sonderstellung unter den spätarchaischen Philosophen nimmt gegen Ende des 6. Jahrhunderts Pythagoras als Gründer einer sektenähnlichen Vereinigung in Kroton (Unteritalien) durch seine Lehre von der Seelenwanderung und durch seine ­eigentümliche Zahlensymbolik ein. Ganz andere Erfahrungs­ horizonte werden um 500 von Hekataios von Milet und um oder kurz nach 500 von dem «Naturphilosophen» (und Arzt?) Alkmaion von Kroton aufgezeigt. Die «Erdbeschreibung» des Hekataios, der bereits sogenannte Periploi («Küstenbeschreibungen») benutzen konnte, bietet eine Art Kommentar zu seiner «Erdkarte». Hekataios verbindet dies mit einer Darstellung von Sitten, Gebräuchen und Institutionen fremder Völker. Seine Beschreibung Ägyptens wurde später von Herodot ausgewertet. Die «Genealogien» des Hekataios, deren Hauptthema die «Geschichte» der Heroen waren, enthalten Ansätze einer rationalen Kritik an der Überlieferung der Griechen, deren Erzählungen über die sogenannte Heroenzeit er als «lächerlich» bezeichnet. Von seinen Schriften ist eine beachtliche Wirkung auf die Anfänge der griechischen Geschichtsschreibung ausgegangen. ­Alkmaion hat eine eigentümliche «Gesundheitslehre» vorgetragen, indem er eine Theorie des Gleichgewichts der Kräfte im menschlichen Körper als Voraussetzung für das Wohlbefinden entwickelte. Dies ist nicht zuletzt aufgrund seiner Übernahme der Begriffe Isonomie («Gleichheit») und Monarchia («Alleinherrschaft») aus einer aktuellen politischen Terminologie seiner Zeit für die Vorgeschichte politischer Theoriebildung von Interesse, zumal das Gegensatzpaar Isonomie und Monarchia aus der Sicht des Alkmaion Metaphern für Gesundheit und Krankheit darstellen.

11. Die ältere Tyrannis und ihre Überwindung

Auf dem langen Weg von den mykenischen Palastsystemen zur Polis der klassischen Zeit wirkt die archaische Tyrannis etwa in der Zeit von der Mitte des 7. bis zum Ende des 6. Jahrhunderts in gewisser Weise wie eine Abzweigung, die in einer Sackgasse endet. Typologisch gesehen, scheint es sich auf den ersten Blick um eine Erneuerung monarchischer Herrschaft durch Usurpatoren zu handeln. Es gab indes keine realitätsnahe Rückerinnerung an mykenische Palastherren, und von einer den Tyrannen als Paradigma dienenden machtvollen Monarchie in den «Dunklen Jahrhunderten» und in früharchaischer Zeit in Griechenland kann keine Rede sein. Die archaische Tyrannis ist zunächst einzuordnen in die Rivalitäten und Konkurrenzkämpfe «aristokratischer» Standespersonen in einer entscheidenden Phase der Überwindung vorstaatlicher Verhältnisse und Strukturen durch Institutionalisierung der öffentlichen Organe griechischer Gemeinwesen. In jener Epoche eines tiefgreifenden Wandels entstanden im griechischen Mutterland und im ägäisch-kleinasiatischen Siedlungsraum der Hellenen in etwa zweieinhalb Dutzend Gemeinwesen Tyrannenherrschaften. In Griechenstädten unter persischer Herrschaft agierten die betreffenden Machthaber freilich gleichsam als «Vasallen» des Großkönigs. Hinzu kommen noch einige Tyrannen im griechischen Westen in Sizilien und Unteritalien, doch wurde dort erst zu Beginn des 5. Jahrhunderts die Tyrannis eine Zeit lang eine bedeutende politische Potenz. Die archaische Tyrannis war somit kein weitverbreitetes Phänomen. Sie wurde auf dem griechischen Festland vor allem in größeren Poleis etabliert, in denen der Konkurrenzkampf um die zu vergebenden Führungspositionen der regulären Ämter zu scharfen Auseinandersetzungen führen konnte, wenn eine größere Zahl von Kandidaten bereitstand. Aristoteles hat darauf hingewiesen

11. Die ältere Tyrannis und ihre Überwindung

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(Politika 1299 b 1 ff.), dass «in kleinen Poleis die Notwendigkeit es erfordert, viele Ämter auf wenige Personen zu übertragen, weil wegen der geringen Zahl der Leute nicht ohne weiteres viele Personen Amtsträger sein können». Denn woher sollen – so fragt Aristoteles  – ihre Nachfolger genommen werden? Er bezieht sich indes primär auf seine eigene Zeit, in der politischer Ehrgeiz der Amtsbewerber in kleineren Gemeinwesen offensichtlich leichter befriedigt werden konnte als in großen Poleis. Seine Einschätzung lässt sich nicht einfach auf die archaische Zeit übertragen. Zum Verständnis eines «Verteilungs­musters» archaischer Tyrannenherrschaften sind noch weitere Aspekte zu berücksichtigen. In der frühen Phase der Tyrannenherrschaften auf griechischem Boden waren die institutionalisierten Führungspositionen noch relativ neu. Ambitionierte Angehörige der Oberschicht konnten bereits damals sowohl in größeren als auch in kleineren Gemeinwesen durch Bekleidung der betreffenden Ämter größeres Prestige gewinnen und dementsprechend die eigenen Einflussmöglichkeiten steigern. Die Funktionen der Amtsinhaber waren noch wenig ausdifferenziert und boten dementsprechend auch größere Handlungsmöglichkeiten, während das durchorganisierte System der Beamtenkontrolle der klassischen Zeit, wie es vor allem in der athenischen Demokratie exemplarisch entwickelt wurde, noch außerhalb des Vorstellungsvermögens der Polisbewohner in archaischer Zeit lag. Dass allerdings im späten 7. Jahrhundert auf diesem Sektor schon ein gewisser Handlungsbedarf entstanden war, zeigt der bereits erwähnte Beschluss der kretischen Polis Dreros, das Kosmosamt stärker zu kontrollieren. Die Sensibilität für dieses Problem in einer kleinen Gemeinschaft lässt vermuten, dass auch dort erhebliche Rivalitäten entstehen konnten, wenn die höchsten Positionen besetzt werden mussten. Die Konkurrenzkämpfe waren aber in größeren Poleis zweifellos potentiell gefährlicher, weil hier einzelnen Tyrannisaspiranten gegebenenfalls ein größeres Potential zur Gewinnung und Festigung einer eigenen Machtposition zur Verfügung stand, sofern durch Versprechungen und demagogische Aktivitäten verschiedener Art breitere Anhängerschaften mobilisiert werden konnten. Zu be-

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11. Die ältere Tyrannis und ihre Überwindung

achten ist des Weiteren, dass komplexere Wirtschaftsstrukturen sowie profitorientierte Verhaltensweisen, die durchaus Rahmenbedingungen archaischer Tyrannenherrschaften darstellten, sich eher in größeren Siedlungen entwickelt hatten, während in jener Zeit in aller Regel «Landstädte» typologisch noch weit stärker das Gepräge einer Kleingesellschaft (face-to-face-society) besaßen und agrarischen Verhältnissen verhaftet blieben, so dass sie in dieser Hinsicht gewissermaßen unterentwickelt waren. Erste Voraussetzung für die Gewinnung einer als Tyrannis zu klassifizierenden Machtposition war indes die Bildung einer schlagkräftigen und verlässlichen Gefolgschaft, wie immer diese sich zusammensetzen mochte. Eindrucksvolle Beispiele hierfür sind die Usurpationen in Korinth, Sikyon und Athen, die vor dem Hintergrund erheblicher innerer Spannungen in diesen Poleis erfolgten. In Korinth herrschte in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts (angeblich seit Mitte des 8. Jahrhunderts nach Entmachtung eines Königtums) eine exklusive Schicht der sogenannten Bakchiaden, die aus Angehörigen von etwa 200 privilegierten Familien bestand und im jährlichen Wechsel den als Basileus oder Prytanis («Erster») bezeichneten Leiter des Gemeinwesens gestellt haben soll und etwa nach 660 von Kypselos entmachtet wurde. Kypselos soll mütterlicherseits mit den Bakchiaden verwandt gewesen sein und bereits das Amt eines Polemarchos bekleidet haben. Angeblich hat er diese Funktion, die ihn unter anderem zur Eintreibung der von anderen Funktionsträgern verhängten Geldbußen verpflichtet haben soll, mit größtem Wohlwollen gegenüber den Betroffenen ausgeübt. Diese Angaben über seine Amtsführung sind indes wenig glaubwürdig und vermutlich ein spätes Konstrukt, dessen «Erfinder» maßvolle Amtsführung als Sprungbrett zur Macht voraussetzt. Wenn Kypselos tatsächlich Polemarchos war, werden seine Funktionen eher im militärischen Bereich gelegen haben, wie die Amtsbezeichnung («Kriegsherr») vermuten lässt. Die Basis seiner «Machtergreifung» wird aber auf ­jeden Fall eine Position bzw. eine gesellschaftliche Rangstellung gewesen sein, die ihm eine Gewaltaktion zur Ausschaltung des Kreises der Bakchiaden ermöglichte. Seine Anhängerschaft be-

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stand allerdings wohl kaum aus dem Hoplitenaufgebot einer bürgerlichen Mittelschicht. Die Phalanxtaktik der Hopliten befand sich um 650 noch in einer Phase des Experimentierens, wie die schematische Darstellung einer solchen Schlachtordnung auf der sogenannten Chigi-Vase aus dieser Zeit zeigt. Die Anhängerschaft des Kypselos formierte sich daher wohl – wie eine späte Nachricht bei Nikolaos von Damaskos vermuten lässt – aus einer unzufriedenen und entschlossenen Hetairie von Standesgenossen, die sich nicht mehr mit der Dominanz der Bakchiaden abfinden wollten und allem Anschein nach als Oikosherren oder Söhne großer Grundbesitzer ebenso wie Kypselos selbst zusätzlich auch Bauern aus dem Umkreis ihrer Besitzungen gegen gegen die allseits verhassten Bakchiaden aufzubieten vermochten. Ob und inwieweit die Überlieferung über den Aufstieg des Orthagoras in Sikyon vor 650 zutreffend ist, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Angeblich soll er ein militärisches Amt bekleidet haben, als er die Macht in seiner Polis usurpierte. Es stellt sich auch in diesem Fall wieder die Frage, ob damals die Aufgaben eines Führers des Aufgebotes dieser Polis bereits als reguläres und kontinuierlich besetztes Jahresamt zu definieren sind. Innere Auseinandersetzungen sind in dieser Polis in der genannten Zeit jedenfalls nicht auszuschließen. Sie haben später offenbar auch das Tyrannenhaus erschüttert, das sich aber immerhin bis Mitte des 6. Jahrhunderts halten konnte. Aus dieser Familie der Orthagoriden stammte Kleisthenes, der Großvater mütterlicherseits des gleichnamigen athenischen Reformers. Kleisthenes von Sikyon vermochte im ersten Drittel des 6. Jahrhunderts wahrscheinlich zwei Adelsgruppierungen zusammenzuschließen und hierdurch seine Herrschaft zu konsolidieren. Wechselvoll und schwierig war der Weg zur Alleinherrschaft für Peisistratos in Athen. Auch in diesem Fall führten Machtkämpfe rivalisierender Adliger zur Begründung einer Tyrannis. Peisistratos gewann zunächst in den sechziger Jahren des 6. Jahrhunderts als Befehlshaber eines athenischen Aufgebotes im Kampf gegen Megara um den Besitz der Insel Salamis großes Ansehen und versuchte um 560 als Führer einer Adelsfaktion

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durch Besetzung der Akropolis in den Auseinandersetzungen mit zwei rivalisierenden Gruppen unter den damals in Athen dominierenden Hetairieführern Lykurgos und Megakles die Macht in der Polis an sich zu reißen. Er musste sich jedoch vor den vereinten Kräften seiner Gegner zurückziehen. Einige Jahre später verband er sich mit Megakles und konnte für kurze Zeit eine mächtige Position in Athen einnehmen, nachdem er eine eher skurril wirkende Maskerade mit einer als «Göttin Athena» verkleideten hochgewachsenen Frau veranstaltet hatte, um schon durch seinen Einzug in Athen zu imponieren. Offenbar sollte durch Imitation orientalischer Königsrituale der Beginn einer gottgewollten, gerechten und ordnungsstiftenden Herrschaft propagiert werden. Peisistratos verfeindete sich dann aus familiären Gründen mit Megakles und verließ Attika. In den folgenden zehn Jahren gewann er als «Unternehmer» durch Ausbeutung von Gold- und Silbervorkommen in Thrakien östlich des Strymon beträchtlichen Reichtum, so dass er weitgespannte Verbindungen mit griechischen Adelsfamilien festigen und Söldner anwerben konnte, mit denen er etwa 546 seine Rückkehr nach Athen erzwang. Durch Entwaffnung der Bürger und Ausschaltung seiner Gegner in der athenischen Führungsschicht vermochte er seine Macht dauerhaft zu sichern und an seine Söhne weiterzugeben. Usurpationen und Begründung von Tyrannenherrschaften lassen sich freilich nicht allein mit Rivalitäten und Machtkämpfen innerhalb der Führungsschichten erklären. Zweifellos waren auch soziale Spannungen von Bedeutung. Ob Theagenes von Megara um oder nach 640 Ressentiments ärmerer Bauern nutzte, um breiteren Anhang im Kampf gegen seine Standes­ genossen in der Oberschicht zu gewinnen, ist allerdings trotz entsprechender Andeutungen bei Aristoteles (Politika 1305 a 21 – ​26) nicht sicher, da hierzu im 4. Jahrhundert schwerlich zuverlässige Quellen vorlagen. In Mytilene sind aber nach dem zeitgenössischen Zeugnis des Dichters Alkaios um 600 heftige Adelsfehden und daraus resultierende Tyrannenherrschaften belegt, während gleichzeitig Teile des Demos von Not und Elend bedrückt wurden; und Solon verbindet seine Warnungen

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vor einer Tyrannis und seine Mahnung zur Eintracht und Rückkehr zu einem wohlgeordneten Gemeinschaftsleben (Eunomia) mit eindringlichen Hinweisen auf das Elend verarmter und zum Teil schon in Schuldknechtschaft lebender Athener, so dass schwere soziale Krisen zumindest Teilaspekte von Geschehnissen und Entwicklungen sein konnten, die zur Entstehung von Tyrannenherrschaften führten. Tyrannen waren freilich keine aufrichtigen Fürsprecher von Verarmten und Unterdrückten. Auch konnten sie durch populistische Politik keine dauerhaften Erfolge erreichen. Dass sie ausgesprochen soziale Ziele verfolgten, um sich in besonderem Maße der ärmeren Schichten anzunehmen oder mit gezielten Maßnahmen ökonomischen Krisen zu begegnen, lässt sich den Nachrichten über die archaische ­Tyrannis jedenfalls nicht entnehmen. Durchgreifende Bodenreformen und Landverteilungen zugunsten verarmter Bauern sind nicht belegt. Eine neue Gesellschaftsstruktur konnte ohnehin nicht das Ziel archaischer Tyrannen sein. Sie wären gar nicht in der Lage gewesen, eine gesellschaftliche Gleichstellung der verschiedenen Schichten in den von ihnen beherrschten Polisgemeinschaften vorzunehmen, da sie auf die Kooperation mit Angehörigen der Oberschichten angewiesen waren, denn nur diese kamen für die Bekleidung der Polisämter in Frage, die nicht ohne Weiteres beseitigt und durch ein völlig neues Herrschaftsinstrumentarium ersetzt werden konnten. Zwar wurden gegebenenfalls adlige Gegner der Tyrannen enteignet und verbannt, doch wurde hiermit von den als Herren der Polis agierenden Machthabern und «Tyrannen» keine gesellschaftliche Nivellierung, sondern die Ausschaltung potentieller Gefahren für ihre eigene Herrschaft angestrebt. Auch entwickelte sich keine dauerhafte Interessengemeinschaft zwischen Tyrannen und breiten Schichten des Demos. Selbst wenn ein Usurpator sich zeitweise als «Anwalt» der Armen zu gerieren versuchte, um den Anschein zu erwecken, dass er verhasste Repräsentanten der Oberschicht in die Schranken wies, wurde in aller Regel bald deutlich genug, dass sein Eigeninteresse an erster Stelle stand, da er z. B. auf Erhebung von Abgaben zur Finanzierung von Leibwachen und Söldnern nicht verzichten konnte und entsprechende

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Forderungen selbstverständlich von den Betroffenen nicht mit Begeisterung erfüllt wurden. Bezeichnend ist eine Notiz in der unter dem Namen des Aristoteles überlieferten Schrift über die Verfassung der Athener (Kap. 16,6). Hiernach beklagte sich ein armer Bauer bei Peisistratos über drückende Abgaben, ohne den Tyrannen persönlich zu kennen. Andererseits wird zwar in derselben Schrift das Regime des Peisistratos als «Goldene Zeit» gerühmt (Kap. 16,7). Im Kontext wird aber auch der Gegensatz zur drückenden Herrschaft seiner Söhne hervorgehoben, unter deren Regime wohl schon entsprechende Klagen über eine Verschlimmerung des Tyrannenregimes geäußert wurden, so dass jenes positive Urteil keinen allzu großen Aussagewert für die Zeit des Peisistratos selbst besitzt. Wenn Machthaber wie Periandros, der Sohn und Nachfolger des Kypselos von Korinth, in einer Schrift des 3. Jahrhunderts von Hermippos von Smyrna zu den Sieben Weisen gezählt wird, so kann dies ebenfalls nicht als unverdächtiges Zeugnis gelten, da der Autor hier vermutlich vom Herrscherbild der hellenistischen Zeit beeinflusst ist. Zweifellos sind auch positive Urteile über Tyrannen als Bauherren zu relativieren. Besonders deutlich wird dies am Beispiel Athens. Die Datierung der Bautätigkeit unter der Tyrannis ist in einer Reihe von Punkten strittig. Ob die Planung des gewaltigen Zeus-Tempels im Ilissosgebiet bereits unter Peisistratos begonnen wurde, bleibt offen. Das Heiligtum, das ­sicherlich mit dem Artemis-Tempel in Ephesos oder dem Hera-­ Heiligtum in Samos konkurrieren sollte, blieb jedenfalls unvollendet. Die Bauarbeiten wurden wenige Jahre nach ihrem Beginn eingestellt. Eine beachtliche Leistung war demgegenüber die Anlage des spätarchaischen Wasserleitungsnetzes in Athen, das offenbar noch vor dem Sturz der Tyrannis 510 weitgehend fertiggestellt werden konnte. Auf der Akropolis wurde wahrscheinlich der sogenannte Alte Athena-Tempel seit den zwanziger Jahren des 6. Jahrhunderts umgestaltet. Insgesamt ist die Bautätigkeit des Peisistratos und seiner Söhne zweifellos Ausdruck der Bestrebungen der athenischen Tyrannen, ihre Überlegenheit über alle anderen Adelshäuser in Athen zu demonstrieren und ihren Machtanspruch zu legitimieren, zumal öffentliche

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Bauten – insonderheit Tempel und Altäre – auch Identitätssymbole für den Polisverband darstellten und der Vollzug der Poliskulte auch der Sicherung der (imaginären) Existenzbedingungen der politischen Gemeinschaft galt. Identitätsstiftung durch Kultfeiern und durch entsprechende Bauten war freilich generell ein wichtiger Aspekt mannigfacher Aktivitäten der sich konsolidierenden Polisgemeinschaften und keineswegs ein Privileg von Tyrannen. Sicherlich hat die Bautätigkeit in der Zeit der Peisistratiden in Athen Handwerkern und ihren Helfern neue Verdienstmöglichkeiten geboten. Attische Meisterwerke der Architektur und Plastik und das hohe Niveau der damaligen attischen Vasenmalerei waren aber dem Können der Künstler zu verdanken. Generell ist die allgemeine Verbesserung der Lebens­ verhältnisse in Athen und Attika in der Zeit der Tyrannis primär dem Fleiß der Bewohner zuzuschreiben. Es gab in dieser Zeit keine theoretischen Konzepte der Wirtschaftssteuerung. Die Terrassierungen in Attika im Verlauf des 6. Jahrhunderts wurden unter größter Mühe ohne «staatliche Förderung» von Bauernfamilien vorgenommen, während andererseits Teile der athenischen Bevölkerung Fronarbeit leisten mussten, als die Peisistratiden in den letzten Jahren ihrer Herrschaft den Munichiaberg und die Akropolis zu Fluchtburgen ausbauen ließen, so dass ihre Selbstdarstellung zur Farce wurde. Als Hippias und seine Familie 510 durch Intervention des spartanischen Königs Kleomenes I. aus Athen vertrieben wurden, besaßen sie keinen Rückhalt in der Bürgerschaft. Es fällt auf, dass in der Peisistratidenzeit die Zahl der Weihungen auf der Akropolis zurückgegangen ist. Offenbar manifestiert sich hierin auch eine Abneigung gegen die Herrschaft der Söhne des Peisistratos. Ähnlich ist vermutlich der Befund in Samos zu beurteilen. In der Zeit der Tyrannis des Polykrates und seiner Nachfolger wurden dort im Heiligtum der Hera offenbar weniger Weihungen vorgenommen. Dass sich Polykrates an der Finanzierung des berühmten spätarchaischen, unter seiner Herrschaft aber noch gar nicht vollendeten Hera-Tempels in Samos beteiligte, ist nicht aus­ zuschließen, doch begann die Planung zweifellos schon früher, da der monumentale Tempel  – wie schon erwähnt  – anstelle

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e­ines um 570 begonnenen Vorgängerbaus errichtet wurde, dessen Fundamente sich gesenkt hatten; das große Heraion ­ wurde von Herodot jedenfalls nicht mit Polykrates in Verbindung gebracht. Ebenso wenig nennt Herodot den Tyrannen als Bauherrn der bekannten archaischen Wasserleitung – des Tunnels des Baumeisters Eupalinos  – oder der großen dortigen ­Hafenmole, die somit kein schlüssiger Beweis für Maßnahmen des Tyrannen zur Förderung der Wirtschaft der Polis Samos sind. In keiner Polis konnte eine Tyrannis als Herrschaftsform dauerhaft etabliert werden. Sturz und Vertreibung der Machthaber erfolgten auf unterschiedliche Weise. Selbst wenn es einem Usurpator gelungen war, seine Position langfristig zu stabilisieren und sie auf Nachfolger aus der eigenen Familie oder aus dem Verwandtenkreis zu übertragen, konnte er keine dauerhafte Akzeptanz dieser Herrschaftsform garantieren. Dies begünstigte Interventionen auswärtiger Streitkräfte, wie dies z. B. beim Sturz der Peisistratiden durch König Kleomenes I. von Sparta der Fall war. Polykrates von Samos wurde durch einen persischen Satrapen überlistet. Andere Tyrannen wurden durch Verschwörungen gestürzt. Nahezu in allen Fällen musste die archaische Tyrannis freilich mit Gewalt beseitigt werden. Als Herrschaftstyp war sie ein Anachronismus. Sie war nicht Ergebnis und Folge eines Zerfalls staatlicher Strukturen. Vielmehr konnte sie wohl nur deshalb entstehen, weil in der griechischen Welt aufgrund der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und des ökonomischen Entwicklungsstadiums in den «Dunklen Jahrhunderten» der Übergang von vorstaatlichen Verhältnissen zur Staatlichkeit sich über längere Zeiträume erstreckte und in den Perioden «aristokratischer» Konkurrenzkämpfe um die Führungspositionen in den sich formierenden Polisgemeinschaften staatliche Strukturen sich noch nicht hinreichend gefestigt hatten und die Kontrolle über Regelungen der Ämterbesetzung und über die Ausübung öffentlicher Funktionen noch nicht genügend entwickelt und keineswegs unstrittig war, während andererseits gerade wegen der potentiellen Gefahr einer unkontrollierten Dominanz adliger Kreise ein starker Bedarf an

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Garantien für ein geordnetes Gemeinschaftsleben in den Poleis entstand. Geschickte Akteure, die sich als Protagonisten für Sicherheit und inneren Frieden zu gerieren verstanden, hatten durchaus die Chance, in einem Stadium einer defizitären Staatlichkeit als Retter in der Not anerkannt zu werden und gegebenenfalls durch eine eher informelle Herrschaftsübertragung in akklamierenden Versammlungen des Demos eine Machtposition zu gewinnen, die sich weiter ausbauen und absichern ließ. Der Prozess der Staatswerdung hatte aber generell bereits starke Impulse erhalten oder war schon so weit fortgeschritten, dass eine Art Institutionalisierung einer Monarchie mit legaler dynastischer Erbfolge nicht mehr dauerhaften Erfolg haben konnte. Die Basis grundbesitzender ranghoher Aristokraten war aufgrund der Verhältnisse in den vorausgehenden «Dunklen Jahrhunderten» letztlich für die Bildung einer eigenen starken Hausmacht zu schmal. Ihr Oikos reichte nicht aus für die Organisation einer eigenständigen Machtzelle, die auf dem Territorium einer Polis für die Konstituierung einer Monarchie instrumentalisiert werden konnte. Die Folge war, dass ambitionierte Tyrannisaspiranten bemüht sein mussten, unter ihren Standesgenossen genügend Vertraute und Gefolgsleute zu finden, um in der Lage zu sein, eine größere Anhängerschaft als Rückhalt für die Usurpation der Macht zu mobilisieren. Intrigen und Seitenwechsel konnten aber jederzeit solche Koalitionen wieder in Frage stellen und die Pläne von Usurpatoren durchkreuzen, wie insonderheit Peisistratos nach seinen beiden ersten Versuchen, die Macht über Athen zu gewinnen, erfahren musste. Bei der dritten Usurpation konnte er sich zwar auf eine verlässliche Söldnertruppe stützen, verfügte aber nicht über einen eigenen Verwaltungs- und Kontrollapparat. Seine Position in Athen gewann Züge einer Art «Parastaatlichkeit», zumal er die bestehenden Polisinstitutionen nicht zu beseitigen und zu ersetzen vermochte. Eine wachsende kritische Distanz gegenüber Tyrannen war nicht zuletzt durch den «Inselcharakter» ihrer Herrschaften bedingt. Das Kommunikationsnetz innerhalb der griechischen Welt konnte durch Tyrannen nicht ernsthaft gestört werden. Ihren «Untertanen» blieben die Verhältnisse in

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benachbarten Gemeinwesen, in denen keine Tyrannen das Gesetz des Handelns monopolisierten und die Institutionen bestehen und funktionsfähig blieben, selbstverständlich nicht verborgen. Infolgedessen erwuchs den Tyrannen auf die Dauer durch den Informationsfluss und Gedankenaustausch zwischen den Bewohnern der verschiedenen Poleis ein unsichtbarer Gegner, den sie weder ausschalten noch effektiv bekämpfen konnten. Die Tyrannis hat entgegen einer mehrfach vertretenen Forschungsthese keinen eigentlich positiven und direkten Beitrag zur politischen Entwicklung der griechischen Polis in Form einer Stabilisierung des inneren Zusammenhaltes und einer hierdurch mitbedingten Identitätsfindung der Bürgerschaften geleistet. Faktisch war die Tyrannis nicht in der Lage, die innere Konsolidierung einer Reihe von Poleis auf Dauer aufzuhalten oder gar zu verhindern.

12. Die Sonderwege der Spartaner und Athener Die Geschichte Spartas nahm eine bedeutsame Wende, als die Spartaner im Verlauf ihrer Okkupation Südlakoniens im frühen 8. Jahrhundert den weitaus größten Teil der dortigen Bewohner unterjochten, die fortan als Heilotes (Heloten) bezeichnet wurden und die von den Eroberern in Besitz genommenen Grundstücke (Klaroi, sogenannte Landlose) zu bebauen und einen bestimmten Anteil der Ernteerträge an die neuen Herren abzuliefern hatten. Die Bezeichnung der Unterlegenen deutet darauf hin, dass sie von den Siegern als Kriegsgefangene betrachtet wurden. Lediglich die vordorische Bevölkerung im Raum von Helos konnte offenbar noch etwa eine Generation eine gewisse Selbständigkeit behaupten. Zu beachten ist, dass der Begriff Heilotes phonetisch nicht von Helos abgeleitet werden kann. Der territoriale Gewinn der Spartaner im unteren Eurotasbecken erlaubte ihnen eine großzügige Übertragung von Klaroi an die Mitglieder ihrer Gemeinschaft. Ein Klaros bildete fortan die

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wirtschaftliche Basis eines Spartiaten und seiner Familie. In der späteren Tradition galten diese durch Aufteilung des eroberten Gebietes entstandenen Grundstücke in Südlakonien als «alte Landlose» (archaiai Moirai), die unverkäuflich waren. Diese Überlieferung ist freilich umstritten. Möglicherweise war aufgrund eines starken Drucks der öffentlichen Meinung in Sparta es dem Besitzer eines Klaros in Südlakonien auch ohne offizielles Verkaufsverbot gar nicht möglich, diesen Grund und Boden zu veräußern. Zu differenzieren ist jedenfalls zwischen den Klaroi in Südlakonien und den Klaroi der Spartiaten im Gebiet von Messenien, das im Verlauf von zwei schweren Kriegen von Sparta unterworfen wurde. Der sogenannte erste Messenische Krieg im späten 8. oder frühen 7. Jahrhundert resultierte offenbar aus Beutezügen, an denen vorwiegend Angehörige der damaligen spartanischen Oberschicht beteiligt waren. Ebenso wie in anderen Gemeinwesen jener Zeit gab es in Sparta trotz der genannten Landver­ teilung nach dem Ausgreifen der Spartaner nach Südlakonien erhebliche Besitzunterschiede. Allem Anschein nach suchten größere Oikosherren durch Mehrung ihres relativen Reichtums ihre soziale Position weiter zu festigen. Hierzu dienten ähnlich wie an anderen Orten Raubzüge, die in der von epischen Dichtern geschilderten Weise mit Gefolgsleuten unternommen wurden und zu schweren Auseinandersetzungen mit den Bewohnern messenischer Siedlungen führten. So entstand aus der Eskalation der Feindseligkeiten ein jahrelanger Krieg, der mit einem Sieg der Spartaner endete. Große Teile Messeniens mussten nunmehr Abgaben an Sparta leisten. Die «Tributpflichtigen» hatten aber vermutlich noch nicht den Status von Heloten. Während des zweiten Messenischen Krieges im späten 7. Jahrhundert deutete der spartanische Dichter Tyrtaios zwar an, dass die Unterlegenen durch die Pflicht zur Abgabe der Hälfte ihrer Ernteerträge ein überaus schweres Los haben. Dies bezieht sich vermutlich auf Teile der Messenier, doch bezeichnet Tyrtaios sie nicht ausdrücklich als Heloten. Sie werden von ihm auch nicht einfach mit der bereits helotisierten Bevölkerung in Lakonien gleichgestellt, so dass der Status der Unterdrückten, auf die

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­ yrtaios anspielt, nicht eindeutig zu definieren ist. Die MesseT nier waren jedenfalls im späten 7. Jahrhundert in der Lage, sich gegen Sparta zu erheben. Erst nach etwa zwei Jahrzehnten ­ konnten sie unterworfen werden. Offenbar wurde nunmehr die Helotie auch auf weite Teile Messeniens ausgeweitet. Das Unterdrückungssystem der Helotie ist daher wohl in mehreren Stufen entstanden. Die in den Quellen zur klassischen Zeit erwähnten Modalitäten zur Regelung der Abgaben und der strikten Kontrolle der Heloten können jedenfalls nicht bereits in vollem Umfang im Zuge der Eroberung Südlakoniens eingeführt worden sein, da die Gemeinschaft der Spartaner damals noch nicht das zur Überwachung aller Heloten erforderliche institutionelle Instrumentarium entwickelt hatte und zudem die Spartiaten selbst noch nicht die mit ihrem späteren Status verbundenen Rechte und Pflichten besaßen. Die Entwicklung des Spartiatenstatus und das System der Helotie stehen gleichwohl in einem engen Zusammenhang. Ende des 7. Jahrhunderts verbesserte sich spürbar die soziale Lage der Mehrzahl der einfachen Spartiaten, nachdem ihre Gemeinschaft die Messenier endgültig besiegt hatte und neben den Klaroi in Südlakonien jetzt auch zahlreiche weitere Ländereien in Messenien zur Verfügung standen, die unter den Spartiaten neu verteilt werden konnten. Als Arbeitskräfte wurden die unterlegenen Messenier eingesetzt. Sie waren zwar jenseits des Taygetosmassivs schwerer zu kontrollieren als die unterjochte Bevölkerung Südlakoniens. Dennoch bot es sich offenbar an, die anstehende neue Landverteilung in ähnlicher Weise vorzunehmen, wie dies in Südlakonien praktiziert worden war. Dementsprechend erhielten die spartanischen Klarosbesitzer zusätzlich zu ihrem Grund und Boden in Südlakonien noch Ländereien in Messenien mit dem Verfügungsrecht über die jeweils auf den neuen Klaroi ansässigen und enteigneten Bauern. Hierdurch entstand ein erheblicher neuer Regelungsbedarf, der sich aus der Überwachung einer enorm gewachsenen Zahl von Unterdrückten und aus ihrer relativ weiten Entfernung zum politischen Zentrum der Herrenschicht ergab. Die Regelungen bedeuteten in gewisser Weise aber auch einen Schutz für die Unterdrückten, die ja ihr Wohnrecht behielten.

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Zudem wurde ihnen garantiert, dass sie nicht als Sklaven in andere Gemeinwesen verkauft wurden. Ferner wurden offenbar ihre Abgaben fixiert. Wenn sie vor dem zweiten Messenischen Krieg tatsächlich die Hälfte ihrer Erträge nach Sparta abliefern mussten, erwies sich die neue Regelung eher als Erleichterung. Die Höhe der neuen Abgaben lässt sich zwar nicht mehr ermitteln, doch war sicherlich unberechenbaren Forderungen der jeweiligen neuen Herren eines Klaros ein Riegel vorgeschoben. Auf jeden Fall waren auch unkontrollierbare Beutezüge spartanischer Gefolgschaftsgruppen in Messenien auszuschließen. Ob damals schon die Institution der Krypteia als Instrument zur Unterdrückung der Messenier eingesetzt wurde, lässt sich nicht entscheiden. Die Krypteia diente in klassischer Zeit als Härtetest für junge Spartaner, denen es angeblich erlaubt war, nachts Heloten aufzulauern und zu töten sowie auch gegebenenfalls tagsüber kräftige unfreie Klarosbauern zu beseitigen. Die betreffenden Nachrichten sind indes problematisch. Zweifellos war die spartanische Führung bedacht, das Potential an Arbeits­ kräften in Messenien zu erhalten, denn in einem mit der Stadt Tegea um 550 geschlossenen Vertrag mussten sich die Tegeaten verpflichten, flüchtige Messenier wieder an Sparta auszuliefern. Nach den Quellen zur klassischen Zeit galten die Heloten in Lakonien und Messenien allgemein als Douloi («Sklaven»). Der Lexikograph Pollux bezeichnete sie in der römischen Kaiserzeit jedoch als Personen «zwischen Freien und Sklaven» und vergleicht sie mit unterworfenen Landbewohnern in Kreta, Thessalien und in einigen anderen Regionen (unter anderem auch im archaischen Syrakus). Diese eigentümliche Einordnung ist wohl damit zu erklären, dass sie – wie gesagt – nicht in andere Gemeinwesen verkauft wurden und relativ selbständig wirt­ schaften sowie in ihrem eigenen Familienverband leben durften. Andere späte Quellen bezeichnen die Heloten als «Sklaven der Gemeinschaft» (der Spartiaten) oder «als eine Art von öffent­ lichen Sklaven» (demosioi Douloi). Diese Definitionen sind ­darauf zurückzuführen, dass die Heloten nur auf Beschluss der spartanischen Volksversammlung emanzipiert werden konnten. Die Freilassungsbedingungen wurden zwar erst im Peloponnesi-

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schen Krieg zwischen Athen und Sparta (431 – ​404) relevant, als Heloten zum Waffendienst herangezogen werden mussten. Die Zeugnisse zeigen aber auch, dass die Heloten eindeutig als unfrei und (im übertragenen Sinne) als Eigentum des Gesamtverbandes der Spartiaten galten, während der einzelne Spartaner aufgrund seiner Zugehörigkeit zu dieser Polisgemeinschaft über Heloten auf seinem Klaros als Arbeitskräfte verfügen konnte, die ihrerseits als Unfreie, rechtlich gesehen, außerhalb des spar­ tanischen Gemeinwesens standen. Mit einem Teil der Abgaben hatte jeder Spartiate die Beiträge zu den Syssitien, den gemeinsamen Mahlzeiten der Mitglieder der spartanischen Polis, zu leisten. Spartiaten, die hierzu nicht oder nicht mehr in der Lage waren, verloren ihren Status als Vollbürger. Nach der Okkupation Messeniens werden aber solche Fälle längere Zeit kaum eingetreten sein. Wohl aber zeichnete sich im 6. Jahrhundert in mehrfacher Hinsicht ein Wandel ab, ohne dass allerdings bestimmte Stufen oder Wendepunkte eindeutig zu datieren sind. Von größter Bedeutung für die weitere Entwicklung der Interaktion der Institutionen Spartas war der Aufstieg des Ephorenamtes, das weder in der Großen Rhetra noch in den erhaltenen Gedichten des Tyr­taios genannt wird. Mitte des 6. Jahrhunderts waren aber die Ephoren offenbar befugt, eine Volksversammlung (Apella) einzuberufen und zu leiten. In klassischer Zeit übte diese Funktion in aller Regel der eponyme Ephor aus, nach dem das im Herbst beginnende Amtsjahr benannt wurde. Nach älterer Tradition soll der legendäre «Gesetzgeber» Lykurgos das Ephorat konstituiert haben, doch handelte es sich hierbei um eine Fiktion. Dennoch ist das Ephorat, das in historischer Zeit aus fünf jährlich wechselnden Funktionsträgern bestand, eine relativ alte Einrichtung, da die Ephoren nach einem merkwürdigen Verfahren durch Akklamation eingesetzt wurden, bei dem die Lautstärke der zustimmenden Zurufe den Ausschlag für die Bestätigung des Kandidaten gab. Das Verfahren muss demnach eingeführt worden sein, bevor die Abstimmung durch Handzeichen allgemein üblich war, die allerdings in der spartanischen Volksversammlung ohnehin nie praktiziert wurde. Die Amts­

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bezeichnung der Ephoren lässt darauf schließen, dass sie von Anfang an bestimmte Aufsichtsfunktionen hatten, die dann im Laufe der Zeit erweitert wurden und in klassischer Zeit sich faktisch auf die gesamte innere Ordnung Spartas erstreckten. Eine bedeutsame Etappe in dieser Entwicklung war offenbar die schon genannte Ausweitung der Helotie auf Messenien, die auch neue Anforderungen an die Kontrolle der Unterworfenen stellte. Ob erst seit dieser Zeit das Ritual einer symbolischen Kriegserklärung der Ephoren an die Heloten praktiziert wurde, lässt sich nicht mehr ermitteln. Diese Maßnahme, die jeweils zu Beginn des Amtsjahres vorgenommen wurde, zeigt jedenfalls, dass die Ephoren als Repräsentanten der Polis der Spartaner die Aufsichtsfunktionen über die Heloten ausübten. Das Ritual sollte eine «Befleckung» der Polisgemeinschaft mit Blutschuld im Fall einer für notwendig erachteten spontanen Tötung eines Heloten verhindern. Aus spartanischer Sicht waren Klarossystem und Helotie die wirtschaftliche Basis des Spartiatentums und unabdingbar für die Existenz der Polis, so dass den Ephoren als «Aufsichtsbeamten» in dieser Hinsicht besondere Bedeutung zukam und hierdurch ihre Position gestärkt wurde. Diese Entwicklung hat offenbar zu Konflikten mit dem Königtum geführt. Hierauf lässt der Brauch schließen, dass die Könige erst nach dreimaliger Aufforderung vor den Ephoren erscheinen mussten. Das Wechselspiel der Kräfte, das in dieser Regelung zum Ausdruck kommt, ist ein Teilaspekt der Institutionalisierung des Doppelkönigtums und des Ephorats. Das Doppelkönigtum war in mehrfacher Hinsicht ein Sonderfall. Die beiden Königshäuser der Agiaden und Eurypontiden wurden auf Nachfahren des ­Heraklessohnes Hyllos zurückgeführt, der als Stammvater der Phyle der Hylleer galt. Diese Legende einer heroischen und letztlich göttlichen Abkunft ist einzuordnen in die für ranghohe Familien frühgriechischer Oberschichten typischen Bemühungen um Statusdemonstration. Sie verbinden sich in Sparta mit der Vorstellung charismatischer Kräfte besonderer Heilsträger, die jeweils von den amtierenden Königen repräsentiert wurden. Insofern lässt sich die Position der Könige mit den von Aristoteles

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(Politika 1285 a 8; b27) genannten Kategorien des lebensläng­ lichen und erblichen Feldherrnamtes nicht adäquat erfassen, wenn auch das Doppelkönigtum in die institutionelle Ordnung Spartas integriert war. Die spartanische Königswürde war kein «Amt» im üblichen Sinne. Durch Herkunft, Charisma und Sonderstellung in der Gesellschaft sowie aufgrund ihrer militärischen Befugnisse besaßen die Könige einen beachtlichen Handlungsspielraum, wenn sie zielstrebig agierten und durch Leistung überzeugten. Hierzu war freilich nicht jeder König in der Lage. In spätarchaischer Zeit demonstrierte aber Kleomenes I., welche Möglichkeiten sich einem König mit Führungsqualitäten ­erschlossen. Er scheiterte allerdings, als er die ihm von der Polisordnung gesetzten Grenzen überschritt. Generell hatten spartanische Könige im Unterschied zu den jährlich wechselnden Polisbeamten die Chance, systematisch und langfristig eine Anhängerschaft aufzubauen, die bereit war, im Sinne der betreffenden Könige bei den Beratungen der Gerusia und der Beschlussfassung der Apella zu agieren. Ein wesentlicher Vorteil bestand für die Könige in Sparta vor allem auch in der Erblichkeit ihrer Position, da sie sich keinen Wahlen mit offenem Ausgang zu stellen brauchten, wenn ihr Anspruch auf die Königswürde als legitim galt und nicht anzufechten war. Allerdings lag in der Erbfolge auch die Gefahr, dass Versagern diese Position zuerkannt wurde. Wenn Könige nicht den Erwartungen entsprachen, konnten sie auch zur Verantwortung gezogen werden. Allerdings sind Einzelheiten über Prozesse der Willensbildung und über Interaktionen der Polisorgane im archaischen Sparta kaum bekannt. Immerhin ist aber anzunehmen, dass im Laufe des 6. Jahrhunderts die Ephoren nicht nur als Repräsentanten des Damos die Leitung der Volksversammlung übernahmen, sondern auch beauftragt werden konnten, mit Vertretern anderer Gemeinwesen zu verhandeln. Hiermit kündigte sich eine für die Zukunft bedeutsame Verlagerung der Gewichte im innerspartanischen Kräftefeld an. Dieser Wandel ist nicht zuletzt auch ein Indiz für neue Impulse, durch die in jener Zeit die Entwicklung der klassischen Polisordnung Spartas forciert wurde. Im 7. Jahrhundert, in dem Sparta regen Anteil an der

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sich entfaltenden archaischen Kultur Griechenlands hatte, wirkten am Eurotas noch bedeutende Repräsentanten der Chorlyrik, und im frühen 6. Jahrhundert sind der berühmte Aulet (Flötenspieler) Sakadas aus Argos und der Chorlyriker Stesichoros aus Sizilien oder Unteritalien in Sparta bezeugt. Um 550 erbaute dort der vielseitig begabte einheimische Dichter, Architekt und Bildhauer Gitiades Kultbild und Tempel der Athena Chalkioikos (wörtlich: die mit dem Haus aus Erz). Die lakonische Vasenmalerei erreichte nach 590 sogar höchstes Niveau. In der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts wurden aber größere öffentliche Arbeiten offenbar vorwiegend von auswärtigen ­ Künstlern ausgeführt. Dieser Trend war vermutlich mitbedingt durch die Intensivierung der harten Jugenderziehung (Agogé) und des Gemeinschaftslebens der Spartiaten, die nicht nur an der obligatorischen Agogé teilgenommen haben mussten, sondern auch verpflichtet waren, bei den gemeinsamen Mahlzeiten (Syssitien) mit der Gemeinschaftsküche vorliebzunehmen, wenn sie ihr volles Bürgerrecht ausüben und somit zu den «Gleichen» (Homoioi) zählen wollten. Letztere Bezeichnung wurde Ausdruck des typisch spartanischen Ideals der Gemeinsamkeiten in der Lebensführung der Spartiaten. «Gleichheit» in diesem Sinne blieb freilich in Sparta ein relativer Begriff. Die Besitzunterschiede der Spartiaten wurden nicht beseitigt. Sie verschärften sich vielmehr im Laufe der Zeit, zumal das Klarossystem in der ursprünglichen Form der Landverteilung sich infolge der unterschiedlichen Kinderzahl in den einzelnen Familien nicht dauerhaft halten ließ. Fatal wirkte sich für eine Reihe von Spartanern langfristig der Entzug des Vollbürgerrechtes aus, wenn sie ihre Beiträge zu den Syssitien nicht leisten konnten und dann nur noch den Status von «Minderberechtigten» (Hypomeiones) hatten. Dieses Problem wurde allerdings erst im späten 5. Jahrhundert akut. Die Hypomeiones besaßen freilich im spartanischen Kosmos – der spartanischen Staatsordnung – einen höheren Status als die Perioikoi («Umwohner»). Zwar waren die Perioikoi im Unterschied zu den Heloten gleichsam Mitglieder des lakedaimonischen Gesamtstaates, dessen offizielle Bezeichnung hoi La-

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kedaimonioi lautete, so dass hierdurch zum Ausdruck kommt, dass neben den Spartiaten auch die Perioiken zu den «Lakedaimoniern» zählten. In den Gebieten der Perioiken befanden sich etwa 22 abhängige Poleis, von denen fünf in Messenien lagen. Nicht alle Messenier waren somit Heloten. Die Perioiken hatten eine «kommunale» Selbstverwaltung in ihren Poleis, besaßen aber in Sparta selbst keine politischen Rechte. Sie durften weder an Wahlen noch an der Entscheidungsfindung in Sparta teilnehmen und konnten dort keine Polisbeamte werden. Sie mussten auch nicht die Agogé absolvieren und konnten dementsprechend nicht an den Syssitien teilnehmen. Zum Kriegsdienst ­waren sie indes verpflichtet. Diejenigen Perioiken, die sich eine eigene Hoplitenrüstung leisten konnten, dienten in der sparta­ nischen Armee und bildeten in diesem Aufgebot ursprünglich eigene Einheiten. Etwa seit Mitte des 5. Jahrhunderts waren sie in die spartanischen Eliteverbände voll integriert. Die Geschichte der spartanischen Perioikie ist ein Teilaspekt der spartanischen Expansion. Den Kern der Perioikie bildeten anfangs offenbar dorische Siedler in der Landschaft Tripolis nördlich von Sparta. Im Zuge der Ausweitung des spartanischen Machtbereichs erhielten dann weitere Siedlungen den Perioiken­status. Die Bewohner waren keineswegs ausschließlich dorischer Herkunft. Im frühen 5.  Jahrhundert konnten die Spartiaten etwa 8000 Hopliten stellen. Hinzu kamen die perioikischen Hopliten. Dies war in spätarchaischer Zeit die stärkste Streitmacht in Griechenland. Nachdem die Spartaner noch im frühen 6. Jahrhundert Niederlagen im Kampf gegen die arkadische Polis Tegea hinnehmen mussten, waren sie bereits um 550 den Argivern und Tegeaten militärisch überlegen. Ein bedeutsames Resultat einer tiefgreifenden Veränderung der Machtverhältnisse auf der Peloponnes war ein damals geschlossener Vertrag Spartas mit den Tegeaten, die sich  – wie schon angedeutet  – verpflichten mussten, alle Messenier (d. h. vor allem flüchtige Heloten) auszuweisen, keine messenischen Exulanten mehr in ihre eigene Gemeinschaft aufzunehmen und keinen tegeatischen Mitbürger wegen spartafreundlicher Haltung zu töten. Obwohl weitere

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Einzelheiten nicht überliefert sind, besteht kein Zweifel, dass Sparta der überlegene Vertragspartner war und der Pakt die Grundlage für weitere Verträge wurde, die Sparta in der Folgezeit mit einer Reihe von peloponnesischen Gemeinwesen schloss. Es handelte sich jeweils um Einzelverträge zwischen Sparta und seinen neuen Bundesgenossen, die sich verpflichteten, den Spartanern bei Angriffs- und Verteidigungskriegen Heeresfolge zu leisten und «die gleichen Freunde und Feinde» wie Sparta zu haben. Auf dieser Basis entstand in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts eine zunächst nicht allzu straff organisierte Symmachie («Kampfgemeinschaft», Bundesgenossenschaft), in der Sparta die unbestrittene Führungsmacht (Hegemon) war. Die offizielle Bezeichnung der Symmachie lautete: hoi Lake­ daimonioi kai hoi Symmachoi («Die Lakedaimonier und ihre Bundesgenossen»). Obwohl Argos sowie die Gemeinwesen in Achaia der Symmachie nicht beitraten und die Allianz daher nicht die gesamte Peloponnes umfasste, wird die Kampfgemeinschaft, deren eigentlicher Zweck durch den Terminus Symmachoi («Mitkämpfer») zum Ausdruck kommt, in der modernen Forschung als Peloponnesischer Bund bezeichnet. Der Unterschied zu einer einfachen Symmachie zwischen zwei Gemeinwesen lag in der vertraglich garantierten Führung des gesamten Bundes durch Sparta. Erst aus der Gesamtheit der Einzelverträge der Spartaner mit ihren Symmachoi ergab sich das Bündnissystem, dessen weitere Entwicklung im späten 6. Jahrhundert entscheidende Impulse erhielt, als die Spartaner nach einem vergeblichen Angriff auf Athen ihre Symmachie zu einer Versammlung in Sparta einberiefen (506/05), um mit ihnen über einen neuen Vorstoß nach Attika zu beraten und weiterhin ihren zuvor gescheiterten Plan zu verfolgen, die Tyrannis des Peisistratos-Sohnes Hippias in Athen wiederzuerrichten. Sie fanden mit ihrer Forderung nach Unterstützung durch die Symmachoi keine Zustimmung, konnten aber den Zusammenhalt ihres Bündnissystems wahren und galten am Vorabend der Perserkriege als Vormacht (Prostates) von Hellas. Während aber in Sparta nicht nur die Helotie, die bis in die hellenistisch-römische Zeit existierte, eine schwere Hypothek

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darstellte, sondern auch die Perioikie eine permanente Barriere für eine politische Aktivierung der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung blieb, hatte Solon von Athen durch die Aufhebung der Schuldknechtschaft eine demographische Entwicklung in Attika ermöglicht, die wesentlich dazu beitrug, dass Athen die Polis mit der größten Bürgerzahl in Griechenland werden konnte. Um 600 war Athen in eine schwere Krise geraten. In breiteren Kreisen der Polisgemeinschaft herrschte Empörung über die Besitzunterschiede und die Not verarmter Landwirte, während die Gefahr bestand, dass Gruppierungen und Machtkämpfe innerhalb der Oberschicht zur Entstehung einer Tyrannis führen konnten. Die Unzufriedenheit drohte durch Forderungen nach einer Neuaufteilung von Grund und Boden außer Kontrolle zu geraten. In dieser Situation wurde für das Amtsjahr 594/93 Solon zum Archon gewählt mit dem Auftrag, als Diallaktes («Versöhner») und Nomothetes («Gesetzgeber») zu wirken. Seine erste und für die Zukunft wohl bedeutsamste Maßnahme war eine allgemeine Schuldentilgung (Seisachtheia, «Lastenabschüttlung») in Verbindung mit einem Verbot des Zugriffs des Gläubigers auf die Person eines zahlungsunfähigen Schuldners. Solon selbst sah hierin sowie in der Rückführung einer Reihe von Athenern, die infolge wirtschaftlicher Not Attika verlassen hatten oder aufgrund des alten Schuldrechtes als Sklaven in andere Gemeinwesen verkauft worden waren, seine größte ­ Leistung. Im Zusammenhang mit diesen Maßnahmen, die eine Beseitigung der Schuldknechtschaft in Athen und Attika bedeuteten, steht die Annullierung bestimmter Verpflichtungen armer Bauern. Sogenannte Hektemoroi («Sechstelteiler») hatten ein Sechstel (nach anderer, aber wohl unzutreffender Tradition fünf Sechstel) der Erträge der von ihnen bearbeiteten Äcker an die Besitzer des betreffenden Grund und Bodens abzuliefern. Da Solon auf die Hektemoroi in seinen Gedichten nicht ausdrücklich Bezug nimmt, bleibt es allerdings unklar, ob er die Rechtsstellung der Hektemoroi durch ein Gesetz beseitigt oder aber durch die allgemeine Seisachtheia jene Bauern von ihrer Abgabenpflicht befreit hat. Wenig wahrscheinlich ist eine neuere

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These, wonach generell einfache Athener an die großen Grundbesitzer Abgaben für die Gewährung von Schutz und Sicherheit zu leisten hatten. Hinweise auf solche «Leistungen» in den Epen beziehen sich auf eine in solonischer Zeit bereits überwundene Entwicklungsstufe. Auf seine sonstigen Gesetze, die eine Reihe von Regelungen für das tägliche Zusammenleben in der Polisgemeinschaft ent­ hielten, nimmt Solon nur kurz Bezug, indem er betont, dass er die gleichen Gesetze für alle Schichten der Athener verfügt habe. Weiterhin gültig blieb das Blutrecht Drakons, das Anweisungen für die Ahndung von Tötungsdelikten enthielt und klar differenzierte zwischen vorsätzlichem Mord, unvorsätzlicher Tötung und straffreier Tötung (etwa in besonderen Fällen bei gewohnheitsrechtlicher Selbsthilfe wie beim Ergreifen eines in flagranti ertappten Ehebrechers). Für den politischen Bereich bedeutsam war Solons Einführung der «Popularklage», die nicht nur dem Opfer einer Gewalt­ tat oder Rechtsverletzung eine Klage erlaubte, sondern jedem Athener eine Klagemöglichkeit bot, wenn dies im Interesse der Polisgemeinschaft lag. Des Weiteren sollte durch familienrechtliche Regelungen Konfliktstoff im Alltag beseitigt werden. Eine Reihe von Maßnahmen war von größter Bedeutung für die Aufgaben und Interaktionen der Institutionen. Solon verstand allerdings diesen Bereich seiner Nomothesie («Gesetz­ gebung») nicht als Einführung einer neuen Verfassung. Es gab um 600 noch keine Verfassungstypologie im späteren Sinne ­einer Klassifizierung politischer Organisationsformen nach der «Zahl» der Herrschenden (Monarch, Oligarchen und Demos, d. h. Gesamtheit der Bürger). Gleichwohl waren einige institutionelle Regelungen Solons zukunftsweisend. Seine Konstituierung der Heliaia (des «Volksgerichtes») stellte die Rechtspflege in Athen auf eine breite Grundlage. Die Heliaia bestand in klassischer Zeit aus 6000 «Geschworenen», die mindestens 30 Jahre alt sein mussten und in mehrere Dikasterien (Gerichtshöfe) eingeteilt waren. Ob diese Regelungen bereits für die solonische Heliaia galten, ist nicht überliefert. Sie war jedenfalls von Anfang an keine bloße Appellationsinstanz gegen Entscheidungen

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von «Beamten», sondern in bestimmten Fällen auch Erstinstanz, z. B. bei Diebstahlklagen, wenn der Beschuldigte die Tat leugnete. Als weitere institutionelle Neuerung Solons wird in der literarischen Überlieferung die Konstituierung eines «Rates der Vierhundert» erwähnt. Hiernach sollen alljährlich die vier altattischen Phylen je 100 Mitglieder für dieses Gremium benannt haben. Politische Aktionen dieser Institution sind indes nicht ausdrücklich erwähnt. Die Existenz des Rates der Vierhundert ist daher in der Forschung umstritten. Wahrscheinlich setzt aber die spätere Einrichtung eines «Rates der Fünfhundert» durch Kleisthenes die Existenz des solonischen Rates voraus. Möglicherweise wollte Solon erreichen, dass eine größere Zahl von Athenern sich in diesem Gremium politisch engagieren konnte, denn die Mitgliedschaft in dem bereits bestehenden Adelsrat, dem Areopag, blieb ehemaligen Archonten vorbehalten. Der Areopag war weiterhin zuständig für Mordfälle und fungierte zudem auch als Gremium für die Ahndung politischer Delikte wie Verschwörungen oder Pflichtverletzungen von Funktionsträgern. Die spätere Klassifizierung des Areopags als «Hüter der Verfassung» ist indes unhistorisch, da es  – wie ­gesagt  – um 600 den Verfassungsbegriff noch nicht gab. Als höchste Funktionsträger galten weiterhin die neun Archonten. Der eponyme Archon, nach dem jeweils das Amtsjahr benannt wurde, war der höchste «zivile» Beamte, der Polemarchos fungierte als Befehlshaber eines Aufgebotes, und der Basileus, der die alte Bezeichnung eines Leiters des Gemeinwesens weiterführte, hatte kultisch-religiöse Pflichten, während die sechs Thesmotheten Funktionen der Rechtssprechung wahrnahmen. Der eponyme Archon, der Polemarchos und der Basileus hatten freilich gleichfalls Aufgaben in der Rechtspflege zu erfüllen. Von Bedeutung für die Ämterbesetzung war die solonische Zensuseinteilung, die wohl auf einer alten (vorsolonischen) Aufgebotsordnung basierte, da die zweite und dritte Einkommens- oder Zensusklasse, die Hippeis («Reiter») und die Zeugiten, die als Schwerbewaffnete (Hopliten) «in Reih und Glied» (Zygon) in der Phalanx eingesetzt wurden, nach ihrer Einordnung in den Heerbann benannt sind. Hierbei ist zu beachten,

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dass die weitaus meisten «Reiter» ihr Pferd in aller Regel gewissermaßen als «Transportmittel» auf dem Marsch ins Kriegsgebiet benutzten und sich im Kampf in die Phalanx einreihten. Die als Theten bezeichneten Angehörigen der vierten Zensusklasse, die nicht die Kosten für eine Hoplitenrüstung aufzubringen vermochten, konnten im Krieg lediglich als Leichtbewaffnete oder Waffen- und Proviantträger dienen. Ihre Hilfsdienste mussten in klassischer Zeit zumeist Sklaven übernehmen. Aus der großen Masse der Wehrpflichtigen war die erste Klasse der Pentakosiomedimnoi («Fünfhundertscheffler») herausgehoben. Sie wurden formal nach Erträgen ihrer jährlichen Ernten bezeichnet. Als Bemessungsgrundlage dienten Maßeinheiten, und zwar ein Scheffel (Medimnos) Getreide (ca. 52,53 Liter) oder (als Äquivalent) ein bestimmtes Hohlmaß (Metretes, etwa 39,39 Liter) für Wein oder Olivenöl. Bei der unteren Grenze von 500 Maßeinheiten als Ertrag einer Jahresernte für die Zugehörigkeit zu dieser Schicht kann es sich nur um einen Schätzwert handeln. Die in der späteren Überlieferung genannte Untergrenze für Jahreseinkommen der Hippeis (300 Einheiten) und der Zeugiten (200 oder 150 Einheiten) ist übrigens problematisch, da die betreffenden Nachrichten von einem Umrechnungsverfahren für Ernteerträge und Drachmen ausgehen. Das hierbei angenommene monetäre Äquivalent kann noch nicht in den Satzungen Solons erwähnt worden sein. Als Kandidaten für die Ämter der neun Archonten kamen nur Pentakosiomedimnoi in Frage. Theten bekleideten in der solonischen Ordnung wahrscheinlich keine Polisämter. Sie konnten aber in der Heliaia tätig werden und in der Volksversammlung mitstimmen. Solons Wirken hat in Athen die Polisinstitutionen gefestigt und drängende soziale Probleme durch die Aufhebung der Schuldknechtschaft gelöst, ohne dass eine «revolutionäre» Neuverteilung des Bodens vorgenommen wurde. Die Gefahr der ­Tyrannis vermochte Solon aber nicht dauerhaft zu bannen. Als Peisistratos nach zwei vergeblichen Anläufen fast ein halbes Jahrhundert nach dem Archontat Solons mit Hilfe einer Söldnertruppe und mit Unterstützung durch auswärtige «Gefähr-

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ten» und Gefolgsleute die Macht an sich riss, konnte er aber die solonischen Gesetze nicht mehr außer Kraft setzen. Die Polis der Athener hatte durch die Ordnung Solons ein beachtlich starkes institutionelles Gefüge erhalten, so dass hieran nach dem Sturz der Tyrannis der zweite große athenische Reformer anknüpfen konnte. Nach der Vertreibung der Peisistratiden (510) schienen allerdings die innerathenischen Konflikte der Zeit vor der Tyrannis in dem Machtkampf zwischen dem Alkmeoniden Kleisthenes, dem Sohn des Megakles, des einstigen Gegenspielers des Peisistratos, und seinem Konkurrenten Isagoras zunächst ihre Fortsetzung zu finden. Beide stützten sich auf Hetairien. Als Isagoras mit seinen Gefolgsleuten sich durchsetzte und die Wahl zum eponymen Archon für das Amtsjahr 508/07 erreichte, gelang es Kleisthenes, durch Verkündung eines großen Reformprogramms eine breitere Anhängerschaft zu gewinnen. Isagoras erreichte zwar mit Unterstützung durch den spartanischen König Kleomenes I., dass Kleisthenes mit dem Kern seiner Anhänger Athen verlassen musste. Durch eine Erhebung der Athener wurden aber Isagoras und Kleomenes zum Abzug gezwungen. Der Plan, in Athen ein von Sparta abhängiges Regime der Adelsgruppe um Isagoras zu etablieren, war gescheitert. Kleisthenes kehrte zurück und konnte sein Reformprogramm realisieren, das auf eine Umstrukturierung der Bürgerschaft auf der Basis einer durchgreifenden Reorganisation lokaler Gemeinden (Demen) abzielte. Attika wurde in die drei Regionen «Stadt» (Asty, Athen und Umgebung), «Küstengebiet» (Paralia) und «Binnenland» (Mesogeios) unterteilt. Jede einzelne Region wurde ihrerseits in zehn «Drittel» (Trittyes) gegliedert. Aus der Gesamtheit der dreißig Trittyes wurden dann zehn neue Phylen (als personale Unterabteilungen der Polis) gebildet, indem man jeweils ein «Drittel» (Trittys) aus Asty, Paralia und Mesogeios zu einer Phyle zusammenschloss. Die Trittyes bestanden aus lokalen Gemeinden (Demen) von unterschiedlicher Zahl und unterschiedlicher Größe. Die klassische Gesamtzahl von 139 Demen scheint damals allerdings noch nicht erreicht worden zu sein, da z. B. die lokale Einheit (Demos) Atene in Südwestattika um 500 noch

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nicht existierte. Die Demen bildeten Siedlungsgemeinschaften mit lokaler Selbstverwaltung unter Leitung eines gewählten Demenvorstehers (Demarchos). Sie waren ebenso wie die neuen Phylen im Prinzip Personenverbände. Durch die komplizierte Zusammensetzung der Phylen sollte offensichtlich erreicht werden, dass diese Verbände jeweils annähernd gleiche Zahlen von Bürgerfamilien umfassten. Dies war für die politische und militärische Organisation des Gesamtverbandes der Polis von größter Bedeutung. Jede Phyle stellte eine sogenannte Taxis («Regiment») für das Hoplitenaufgebot, das damals etwa 9000 Mann umfasst haben mag. Zudem entsandte jede Phyle alljährlich 50 Ratsmitglieder (Bouleuten) in den von Kleisthenes geschaffenen neuen «Rat der Fünfhundert». Die Ratsmitglieder wurden wahrscheinlich damals noch nicht ausgelost, sondern in den Demen gewählt. Die Zahl der von den einzelnen Demen gestellten Bouleuten richtete sich nach der Größe dieser kommunalen Einheiten. Durch die Gliederung der Phylen war erreicht, dass sich sowohl in den Sektionen des Rates als auch in den «Regimentern» des Aufgebotes jeweils Bürger aus allen Regionen ­Attikas zusammenfanden. Zudem war durch die Zusammen­ setzung des Rates gewährleistet, dass alle Demen mit dem politischen Zentrum Athen verbunden und bis zu einem gewissen Grade in die politische Willensbildung der Polisgemeinschaft eingebunden waren, denn die Boulé (Rat) der Fünfhundert hatte die wichtige Funktion, durch Vorberatungen die Beschluss­ fassung der Ekklesia (Volksversammlung) vorzubereiten. Die endgültigen und für die Polis verbindlichen politischen Beschlüsse wurden in der Ekklesia gefasst. Die Koppelung von Willensbildung und Entscheidungsfindung in Rat und Volksversammlung hatte zur Folge, dass die politischen Akteure nach der Vorstufe der Beratung in der Boulé eine Mehrheit in der Ekklesia finden mussten, wenn sie ihre politischen Pläne und Vorstellungen durchsetzen wollten. Damit waren die Aktionsmöglichkeiten von Hetairien, die sich noch bei der Wahl des Isagoras 508/07 als mächtige politische Kraft erwiesen hatten, erheblich eingeschränkt worden. Dies zu erreichen war angesichts der Auseinandersetzungen

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nach dem Sturz der Tyrannis offenbar das eigentliche Ziel des Kleisthenes und seiner Helfer. In diesem Kontext ist wohl auch die Einführung des «Scherbengerichts» (Ostrakismos) zu sehen, eines nach dem eigentümlichen Schriftträger (Ostrakon, Tonscherbe) benannten Verfahrens, durch das ein Athener ohne Verlust seines Vermögens zu einem zehnjährigen Exil gezwungen werden konnte. In klassischer Zeit war hierfür die Mehrheit der «Stimmen» bei einem Quorum – d. h. einer Mindestgesamtzahl – von 6000 Ostraka in einer Volksversammlung erforderlich. Nach einer Nachricht in einer spätbyzantinischen Handschrift sollen ursprünglich die Stimmen von 200 Bouleuten (Ratsherren) für die Ostrakisierung eines Bürgers ausgereicht haben. Diese Angabe wird aber anderweitig nicht bestätigt. Die große Zahl der aufgefundenen Ostraka aus den Jahren vor 480 lässt eher darauf schließen, dass die Ostrakophoria (Abstimmung mit Tonscherben) von Anfang an in der Ekklesia stattgefunden hat. Durch den Ostrakismos konnten zweifellos inner­ athenische Auseinandersetzungen kanalisiert und entschärft werden, zumal der jeweils populärste politische Akteur die Chance hatte, sich gegen Rivalen erfolgreich zu behaupten. Die Athener hatten durch ihren Widerstand gegen Kleomenes I. und Isagoras verhindert, dass sie in den Sog spartanischer Hegemonialpolitik gerieten. Dies war die Voraussetzung für die Realisierung der von Kleisthenes projektierten politischen Neuorganisation Athens und Attikas. Zentrales Organ der Polisgemeinschaft der Athener war fortan die Volksversammlung. Die Zeitgenossen des Kleisthenes verstanden die neue Ordnung ­freilich nicht als «Demokratie». Das politische Leitwort war zunächst Isonomia. Offenbar sollte hierdurch eine politische Gleichheit der Bürger zum Ausdruck gebracht werden. Jedenfalls hatte Kleisthenes die Voraussetzungen für weitere Reformen geschaffen, die dazu führten, dass die Athener um die Mitte des 5. Jahrhunderts das politische System ihrer Polis als Demokratie werten konnten.

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Nach schweren sozialen Krisen in einer Reihe von griechischen Gemeinwesen hatten sich im hellenischen Mutterland die politischen Verhältnisse um 500 bis zu einem gewissen Grade konsolidiert und in Form einer Koexistenz von Poleis und Ethne (Singular: Ethnos) bzw. Koina («Bünden») stabilisiert. Das Ergebnis mannigfacher Unruhen und eines tiefgreifenden Wandels im 7. und 6. Jahrhundert war indes nicht eine Überwindung einer sogenannten Adelspolis, die es im eigentlichen Sinne in den hellenischen Siedlungsgebieten nicht gegeben hat. In den einzelnen Gemeinwesen bildete eine jeweils zahlenmäßig begrenzte Oberschicht keine ständerechtlich geschlossene Gruppe, wenn auch diejenigen, die als Angehörige dieser Zirkel galten, sich gegen «Aufsteiger» abzugrenzen suchten. Sie füllten aber als Akteure keineswegs allein den gesamten politischen Raum, so dass auch unter diesem Aspekt von einer archaischen Adelspolis keine Rede sein kann. Wohl aber vollzog sich die Staatswerdung der als Poleis und als Ethne bezeichneten Verbände unter der Leitung der zur Oberschicht zählenden Oikosherren, die nach Lage der Dinge die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bekleidung der Führungspositionen besaßen, aber auf Akzeptanz bei der großen Mehrheit der Freien nicht verzichten konnten und gegebenenfalls auch breitere Anhängerschaften aktivieren mussten, um sich in den Rivalitäten um Ansehen und Einfluss zu behaupten. Die Zeit der älteren Tyrannis war um 500 freilich abgelaufen. Ihre Repräsentanten hatten nirgendwo eine stabile Ordnung zu etablieren vermocht und waren letztlich mit ihrem Anspruch auf ein Machtmonopol gescheitert, wenn auch perser­ freundliche Tyrannen im Einfluss- und Machtbereich des Großkönigs sich bis in die Zeit des Ionischen Aufstandes, als die kleinasiatischen Griechenstädte gegen die persische Oberhoheit

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aufbegehrten (500), behaupteten und in Sizilien und Unteritalien die Karthager- und Etruskergefahr weiterhin verschiedene Usurpationen begünstigte. Allerdings konnten in tyrannisfreien Gemeinwesen Parteiungen und Staseis (Unruhen) und die hieraus resultierenden Gefahren der Bürgerkriege keineswegs als überwunden gelten, zumal sich einzelnen Persönlichkeiten nach wie vor gegebenenfalls noch erhebliche Handlungsspielräume außerhalb der Interessenbereiche ihrer eigenen politischen Gemeinwesen boten. Unverkennbar ist aber auch die Entwicklung spezifischer Formen eines Bürgerstolzes, der in dem Bewusstsein einer Zugehörigkeit zu einem eigenständigen Personenverband wurzelte, der seine Identität durch die Gestaltung einer besonderen politischen Organisation, durch Pflege eigener Kulte und durch eine monumentale Selbstdarstellung der Bürgerschaft in der repräsentativen Kunst zu gewinnen vermochte. Die Griechen insgesamt waren darüber hinaus trotz der weiten Dimensionen ihrer Siedlungsgebiete und der dialektalen Besonderheiten in ihren verschiedenen Regionen sich mehr und mehr ihrer Zugehörigkeit zu einer übergreifenden sprachlichen und kulturellen Einheit bewusst, wie die Verbreitung des Hellenennamens zeigt. In der Ilias (2,684) gelten nur die Bewohner einer kleinen thessalischen Landschaft, deren Repräsentanten hier die sagenhaften Krieger des Achill sind, als «Hellenen». In der Folgezeit wurde dieser Name Sammelbegriff für «Griechen». Insgesamt gesehen, hatten sich als wichtigste Grundtypen staatlicher Organisationsformen die Polis und das Ethnos herausgebildet, während die Monarchie in Makedonien und bei den Molossern eine spezifische Erscheinung in Randgebieten der griechischen Siedlungsräume geworden war und sich typologisch sogar in gewisser Weise dem Ethnos zuordnen lässt und die Tyrannis eine von den Griechen nie als rechtmäßig anerkannte Herrschaft über eine Polis darstellte. Allerdings ist diese Typologie nicht unproblematisch. Sie bietet nur einen ersten Zugang zum Verständnis der Staatenbildung in Griechenland. Die zahlreichen selbständigen Poleis lassen sich zwar generalisierend charakterisieren als Gemeinwesen mit «staatlichen» Kulten, einem urbanen Zentrum und einer politischen Organi-

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sation, die sowohl die Hauptsiedlung als auch das umgebende Landgebiet (Chora) umfasste, doch hatten sich die institutionellen Ordnungen in den einzelnen Gemeinden bis zum Ende der archaischen Zeit überaus unterschiedlich entwickelt. Noch vielgestaltiger sind aber die als Ethne bezeichneten Zusammenschlüsse. Wenn man hierzu auch das Königtum der Makedonen und der Molosser zählt, so ist zu beachten, dass in Makedonien eine von der Argeadendynastie beherrschte Landnahme- und Wehrgemeinschaft zu einem Ethnos zusammenwuchs, in dem die Monarchie Zentrum politischer Machtbildung wurde, während die Position des Königtums der Molosser weitaus schwächer war. Aristoteles vergleicht allerdings beide Herrschaftsformen mit dem spartanischen Doppelkönigtum, das jedoch faktisch in die Polis integriert war (Politika 1310 b 39; 1313 a 24). Die Monarchien in Makedonien und bei den Molossern sind jedenfalls Sonderformen der Herrschaftsorganisation eines Ethnos, das in aller Regel zwar ähnlich wie die Polis eine Per­ sonengemeinschaft mit jährlich regelmäßig neu gewählten Magistraten, beschlussfähigen Rats- und Volksversammlungen sowie auch mit eigenen Identifikationssymbolen darstellte, aber durchweg recht locker als Verband organisiert war. Die in der Forschung vielfach übliche Bezeichnung «Stammstaat» ist freilich irreführend, da die betreffenden Vereinigungen aus Bevölkerungselementen von unterschiedlicher Herkunft bestehen konnten, wenn auch die Fiktion eines gemeinsamen Stamm­ vaters ein verbindender Faktor wurde und zur Stärkung eines Identitätsbewusstseins beitrug. Als Äquivalent für Ethnos wurde Koinon («Gemeinschaft»; Plural: Koina) verwendet. Koinon diente auch zur Bezeichnung einer Polisgemeinschaft. Aus griechischer Sicht bildete generell der Personenverband die Grundlage einer eigenständigen staatlichen Organisation. Innerhalb der Ethne entwickelten die einzelnen Siedlungsverbände auch eigene Identitäten. In Boiotien entstand zunächst eine kultische Vereinigung (Amphiktyonie) mit gemeinsamen Heiligtümern in Onchestos und bei Koroneia. Als im späten 6. Jahrhundert ein politischer Zusammenschluss erfolgte, hatten die beteiligten Gemeinwesen bereits Polischarakter gewon-

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nen. In der Folgezeit erhob Theben, die stärkste Polis, hier einen hegemonialen Anspruch. Das Beispiel Boiotiens zeigt übrigens, dass die historischen Ethne nicht nur außerhalb der ehemaligen mykenischen Kerngebiete entstanden. Anders als in Boiotien verlief die Entwicklung in Thessalien, wo in Pherai ein altes Heiligtum der Artemis existierte, das überregionale Bedeutung gewann. Der Ort wurde aber erst seit Ende des 5. Jahrhunderts durch die Aktionen der dort herrschenden Tyrannen das eigentliche Machtzentrum der Thessaler. Einen Sonderfall bildete Elis. Die Bewohner dieser Region wurden offenbar nach den dor­ tigen landschaftlichen Gegebenheiten als Eleier («Talleute») bezeichnet. Erst 472/71 wurde die «Hauptstadt» Elis als Polis gegründet. Die Eleier besaßen aber in archaischer Zeit bereits eine vor allem durch einen Rat von 80 «Geronten» repräsentierte politische Organisation, die freilich von einem mehr oder weniger geschlossenen Kreis prominenter Familien dominiert wurde. Sie gründeten schon im frühen 7. Jahrhundert Kolonien in Epirus, gewannen des Weiteren Gebiete in ihrer Nachbarschaft und übernahmen zwischen 720 und 670 die Leitung der Olympischen Spiele. Für das frühe 5. Jahrhundert sind eine Volksversammlung und ein Rat der 500 belegt. Umstritten sind die Anfänge politischer Einigung in Achaia. Achaiische Koloniegründungen in Unteritalien (Sybaris, Meta­ pont, Kroton, Kaulonia) zwischen 720 und 670 lassen aber auf gesellschaftliche Strukturen in Achaia schließen, die es gesellschaftlich herausgehobenen Personen erlaubten, Gefolgschaftsgruppen zu Aktionsgemeinschaften zu formieren und hochgesteckte Ziele mit langfristigem Erfolg zu erreichen. Für ein politisches Zusammenwachsen achaiischer Siedlungen war zweifellos das Kultzentrum des Zeus Hamarios in der Nähe der 373/72 durch Erdbeben zerstörten Stadt Helike von Bedeutung. Eine exakte Datierung der Etappen dieser Einigung ist nicht möglich. Herodot (1,145; 8,73) bezeichnete immerhin bereits die Gemeinschaft der Achaier mit ihren zwölf Mere («Unterabteilungen») als Ethnos. Im Rahmen jener kleineren Verbände entwickelten sich aus dörflichen Siedlungen (Damioi) urbane Zentren, deren leitende Behörden als Damiourgoi bezeichnet

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wurden. Die Polisbildung in Achaia hat sich offenbar erst mehr als zwei Jahrhunderte nach Gründung achaiischer Kolonien in der Magna Graecia vollzogen. Vermutlich entstanden dann zunächst in den Poleis und ihrem jeweiligen Umfeld politische Identitäten, da Achaia schwerlich bereits im 8. Jahrhundert eine politische Einheit bildete. Landschaftsverbände der archaischen Zeit waren zum Teil Vorstufen der späteren sogenannten Bundesstaaten. Von diesen Zusammenschlüssen, die über zentrale politische Institutionen mit entsprechenden Kompetenzen verfügten, sind die als Amphiktyonien bezeichneten Vereinigungen zu unterscheiden, die aus eigenständigen Gemeinwesen bestanden, aber ein gemein­ sames kultisches Zentrum besaßen und sich zur Einhaltung bestimmter Regeln in ihren «zwischenstaatlichen» Beziehungen verpflichteten. Großen Einfluss gewannen die pyläisch-delphische und die delische Amphiktyonie. Neue Formen der machtpolitischen Durchdringung größerer Räume ohne direkte Okkupation entwickelten die Spartaner in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts als Führungsmacht des schon genannten Peloponnesischen Bundes, in dem die einzelnen Mitgliedstaaten direkt mit Sparta verbunden waren. Voraussetzung hierfür war nicht nur die inzwischen erreichte Stärke Spartas durch konsequente militärische Disziplinierung der Vollbürger, die gleichsam befreit waren vom Druck eines ständigen wirtschaftlichen Existenzkampfes. Es war zudem ein Glücksfall für Sparta, in der Polis Korinth einen Bundesgenossen zu gewinnen, der im späten 6. Jahrhundert als bedeutendste griechische Seestadt galt und insofern das Wehrpotential Spartas erheblich erweiterte. Korinths Entwicklung nach dem Ende der Tyrannis der Kypseliden ist ein Teilaspekt eines längeren Prozesses im helle­ nischen Mutterland, der mehr und mehr zu einer Verfestigung der Polisstrukturen geführt hatte, so dass um 500 teilweise schon eine breitere Basis für die Teilnahme von Polisbürgern am politischen Leben bestand. Allerdings dürfen Schattenseiten nicht übersehen werden. Die Expansion größerer Gemeinwesen konnte zur Eingliederung kleinerer Orte führen. Die Polis Argos

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weitete z. B. in archaischer Zeit ihr Territorium in der Argolis erheblich aus. Sie verlor allerdings um 550 Gebiete an der Ostküste der Parnonhalbinsel an Sparta, musste um 494 bei Sepeia eine schwere Niederlage durch die Spartaner hinnehmen und wurde zeitweise auf ihren engeren Bereich zurückgeworfen. Dennoch konnte sie ihre Selbständigkeit wahren und verweigerte konsequent einen Beitritt zum Peloponnesischen Bund. Weitere Beispiele für den Aufstieg regionaler Mächte, die bestrebt waren, hegemoniale Ansprüche Spartas zu durchkreuzen, waren Theben und Athen. Theben war im späten 6. Jahrhundert – wie gesagt – die dominierende Macht in Boiotien, konnte allerdings ein Bündnis der boiotischen Polis Plataiai mit den Athenern nicht verhindern, die ihrerseits vor 500 die Insel Salamis gegen die Begehrlichkeiten der damals mit Sparta verbündeten Megarer absichern und durch eine Kleruchie (Kolonistengruppe) in Chalkis (Euboia) eine vorgeschobene Position gegen die Gefahr einer thebanisch-chalkidischen Symmachie errichten sowie (vermutlich im frühen 5. Jahrhundert) ihre Sicherheitsbarrieren bis Lemnos vorschieben konnten. In den ionischen Poleis, die nach dem Ende des Lyderreiches um 545 unter persische Herrschaft geraten waren, hatten sich die Perserkönige durch Duldung von Tyrannen auf Machtstrukturen gestützt, die in diesen Städten weitgehend abgelehnt wurden. Der Ionische Aufstand ist insofern auch auf polisinterne Spannungen zurückzuführen. Als nach dem Fall Milets die Erhebung endgültig gescheitert war (494), hatte sich für das gesamte Hellenentum die «Weltlage» gründlich geändert, zumal auch im griechischen Westen, in Sizilien und Unteritalien, sich Konfliktstoff zwischen den dortigen hellenischen Machtzentren aufgebaut hatte. In Unteritalien hatte Kroton durch die Zerstörung der Polis Sybaris (510) die bis dahin mächtigste griechische Metropole der Magna Graecia eliminiert, und in Sizilien provozierte die Expansion der Poleis Akragas und Syrakus ­einen Hilferuf des Tyrannen Terillos von Himera an die Karthager, die zeitgleich mit der Invasion des Perserkönigs Xerxes 480 im griechischen Mutterland einen Großangriff gegen Terillos’ Feinde unternahmen, am Himerasfluss aber von griechischen

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Streitkräften unter Führung des Tyrannen Gelon von Syrakus geschlagen wurden. Dass Karthager und Perser damals eine aufeinander abgestimmte groß angelegte Zangenoperation durchführten, lässt sich freilich nicht nachweisen. Die großen Siege über die persische Übermacht 480 und 479 konnten auch dadurch errungen werden, dass die Hellenen trotz der unterschiedlichen Entwicklungen in ihren Gemein­ wesen sich der gemeinsamen Basis ihrer Kultur und ihrer poli­ tischen Ordnungen bewusst geworden waren. Ohne jene Abwehrerfolge wären die großartigen kulturellen Leistungen der griechischen Klassik nicht möglich gewesen. Die Voraussetzungen hierfür sind in der archaischen Zeit Griechenlands geschaffen worden, die somit eine weltgeschichtlich bedeutsame Epoche darstellt.

Weiterführende Literatur

Die Literatur wurde für diese Auflage von Elke Stein-Hölkeskamp und Karl-­Joachim Hölkeskamp, Köln, aktualisiert. Boehringer, David, Heroenkulte in Griechenland von der geometrischen bis zur klassischen Zeit, Berlin 2001 Bourriot, Félix, Recherches sur la nature du Genos. Étude d’histoire sociale athénienne – periodes archaïque et classique, I – I I , Lille/Paris 1976 Cartledge, Paul, Spartan Reflections, London 2001 Coldstream, John N., Geometric Greece, 900 – ​700 BC , London 22003 Deger-Jalkotzy, Sigrid/Hertel, Dieter, Das mykenische Griechenland. Geschichte, Kultur, Stätten, München 2018 Deger-Jalkotzy, Sigrid/Lemos, Irene (Hrsg.), Ancient Greece. From the Mycenaean Palaces to the age of Homer, Edinburgh 2006 Dickinson, Oliver T. P. K., The Aegean from Bronze Age to Iron Age. Con­ tinuity and Change Between the Twelfth and Eighth Centuries B. C., London etc. 2006 Eder, Birgitta, Argolis, Lakonien, Messenien. Vom Ende der mykenischen Palastzeit bis zur Einwanderung der Dorier, Wien 1998 Eder, Walter/Hölkeskamp, Karl-Joachim (Hrsg.), Volk und Verfassung im vorhellenistischen Griechenland, Stuttgart 1997 Edwards, Anthony T., Hesiod’s Ascra, Berkeley/Los Angeles/London 2004 Figueira, Thomas J. (Hrsg.), Spartan Society, Swansea 2004 Finkelberg, Margalit (Hrsg.), The Homer Encyclopedia, Bd. 1 – ​3, Oxford 2011 Fisher, Nick/van Wees, Hans (Hrsg.), Archaic Greece: New Approaches and New Evidence, London 1998 Förtsch, Reinhard, Kunstverwendung und Kunstlegitimation im archaischen und frühklassischen Sparta, Mainz 2001 Fowler, Robert (Hrsg.), The Cambridge Companion to Homer, Cambridge 2004 Gehrke, Hans-Joachim, Gewalt und Gesetz. Die soziale und politische Ordnung Kretas in der Archaischen und Klassischen Zeit, in: Klio 79 (1997), 23 – ​68 Grethlein, Jonas, Das Geschichtsbild der Ilias. Eine Untersuchung aus ­ phänomenologischer und narratologischer Perspektive, Göttingen 2006 Hall, Jonathan M., Ethnic Identity in Greek Antiquity, Cambridge 1997

Weiterführende Literatur

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Hall, Jonathan M., A History of the Archaic Greek World, ca. 1200 to 479 B. C., London 22014 Hansen, Mogens H. (Hrsg.), The Polis as an Urban Centre and as a Political Community, Kopenhagen 1997 Hansen, Mogens H., Polis and City-State. An Ancient Concept and its Modern Equivalent, Kopenhagen 1998 Hansen, Mogens H. (Hrsg.), A Comparative Study of Thirty City-State Cultures. An Investigation by the Copenhagen Polis Centre, Kopenhagen 2000 Hansen, Mogens H., Polis. An Introduction to the Ancient Greek City-­ State, Oxford 2006 Hölkeskamp, Karl-Joachim, Schiedsrichter, Gesetzgeber und Gesetzgebung im archaischen Griechenland, Stuttgart 1999 Hölkeskamp, Karl-Joachim, (In-)Schrift und Monument. Zum Begriff des Gesetzes im archaischen und klassischen Griechenland, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 132 (2000), 73 – ​96 Hölkeskamp, Karl-Joachim, Ptolis and agore. Homer and the Archaeology of the City-State, in: Montanari, Franco (Hrsg.), Omero tremila anni dopo, Rom 2002, 297 – ​342 Hölkeskamp, Karl-Joachim/Stein-Hölkeskamp, Elke, Die Dark Ages und das archaische Griechenland, in: Gehrke, Hans-Joachim/Schneider, Helmuth (Hrsg.), Geschichte der Antike. Ein Studienbuch, Stuttgart/Weimar 4 2013, 47 – ​144 Hölkeskamp, Karl-Joachim/Stein-Hölkeskamp, Elke/Rüsen, Jörn/Grütter, Heinrich Theodor (Hrsg.), Sinn (in) der Antike. Orientierungssysteme, Leitbilder und Wertkonzepte im Altertum, Mainz 2003 Hölscher, Tonio, Öffentliche Räume in frühen griechischen Staaten, Heidelberg 21999 Hodkinson, Stephen/Powell, Anton (Hrsg.), Sparta. New Perspectives, London 1999 Kenzler, Ulf, Studien zur Entwicklung und Struktur der griechischen Agora in archaischer und klassischer Zeit, Frankfurt/M. etc. 1999 Laffineur, Robert/Niemeier, Wolf-Dietrich (Hrsg.), Politeia. Society and State in the Aegean Bronze Age, vols., I – I I , Lüttich 1995 Lahr, Stefan von der, Dichter und Tyrannen im archaischen Griechenland. Das Corpus Theognideum als zeitgenössische Quelle politischer Wertvorstellungen archaisch-griechischer Aristokraten, München 1992 Legon, Ronald P., Megara. The Political History of a Greek City-State to 336 B. C., Ithaca/London 1981 Lepore, Ettore, La Grande Grèce. Aspects et problèmes d’une ‹colonisation› ancienne, Neapel 2000 Libero, Loretana de, Die archaische Tyrannis, Stuttgart 1996 Luther, Andreas, Könige und Ephoren. Untersuchungen zur spartanischen Verfassungsgeschichte, Frankfurt a. M. 2004

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Weiterführende Literatur

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Weiterführende Literatur

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Sachregister

Agogé  107 f. Agora  62 ff. Ahhijawa 22 Aisymnetes 69 Alphabet  29, 80, 82 Amphiktyonie  119, 121 Apella  104, 106 Apoikia  45 – ​47, 69, 71 Archon(ten)  68, 110, 112 ff. Areopag  68,70, 112 Basileus  19, 46, 54 f., 62 – ​64, 69, 71, 85, 92, 112 Damioi  66, 120 Damiourgoi, Demiourgoi  120 da-mo  19, 42 Damos/Demos  19, 42, 46, 57, 62 – ​66, 68 – ​ 71, 85 f., 94 f., 99, 103, 106, 111, 114 Demen  114 f. Ekklesia  s. Volksversammlung Ephoren  68 f., 104 f. Ethnos  42, 117 – ​120 Eunomia  85, 95 Genos 40 Geronten  62, 65 f., 120 Gerusia  65 f., 70, 106 Große Rhetra  65 – ​69, 71, 104 Hektemoroi 110 Heliaia  68, 111, 113 Heloten, Helotie  58 f., 100 – ​105, 107 – ​ 109 Heroenkult 53 Hetairie, Hetairoi  52, 64, 73, 84 – ​86, 93 f., 114 f. Hippeis  112 f. Homoioi 107 Hopliten(aufgebot)  56, 60, 93, 108, 112 f., 115 Hypomeiones 107 Isonomie  89, 116 Klaros  100 – ​105, 107 Königtum (in Sparta)  65 f., 69 f., 97 f., 105 f., 114, 119 Koinon  117, 119 Kosmoi (Beamte)  66 f., 69, 107

Krypteia 103 Linear B  7, 10 f., 13 f., 16, 18, 20 f., 22, 25, 29, 42, 63 Naukraroi 68 Oikist  46, 51 f. Oikos(besitzer)  55, 57 f., 73, 93, 99, 101, 117 Ostrakismos 116 Pentakosiomedimnoi 113 Perioikoi  107 f., 110 Phalanx(taktik)  56, 60, 93, 112 f. Phratrien  28, 40 f., 57, 86 Phylen  28, 39 ff., 57, 66, 86, 105, 112, 114 f. Polemarchos  92, 112 Polis(struktur) 16, 28, 41 – ​45, 47, 51 f., 55 f., 60 f., 66 – ​70, 72, 74, 82, 84 – ​87, 90 f., 93 ff., 97 – ​100, 104 f., 108, 110 f., 113 – ​122 Popularklage 111 Prytanen  69, 92 Rat(sversammlung)  52, 62, 64 – ​68, 70 f., 85 f., 112, 115 f., 119 f. Schuldknechtschaft  72, 95, 110 f. Seisachtheia 110 Sklaven  57 ff., 74, 103, 110, 113 Spartiaten  69, 101 – ​105, 107 f. Staatswerdung  43, 99, 117 Stamm(staat)  10, 33, 39 f., 42 ff., 119 Symposien  80, 84 f. Syssitien  104, 107 f. Thesmotheten 112 Theten 113 Timouchoi 69 Trittys/Trittyen 114 Tyrannis  49 ff., 61, 73, 84 f., 90 – ​100, 109 f., 113 f., 116 ff., 120 – ​123 Volksversammlung(en)  41, 52, 62, 64, 68 – ​71, 85, 99, 103 f., 106, 113, 115 f., 119 f. vorstaatliche Gesellschaft  41, 45 f., 52, 54, 62 ff., 70, 84 f., 90, 98 Wanax  19, 31, 42 Zeugiten  112 f.

Zeittafel*

Bildnachweis

3000 – ​2100/2000 Frühhelladikum (FH), Frühe Bronzezeit 2100/2000 – ​1600 Mittelhelladikum (MH), Mittlere Bronzezeit 1600 – ​1125/1100 Späthelladikum (SH), Späte Bronzezeit, Mykenische Zeit SH III A Mykenische 1400 – ​1300 SH III B 1300 – ​1200 Palastzeit 1200 – ​1125/1100 SH III C 1125/1100 – 1050 Submykenische Periode Benannt nach Stilphasen 1050 – ​900 Protogeometrische Periode der Vasenmalerei 900 – ​700 Geometrische Periode um 750 Beginn der Großen Griechischen Kolonisation um 650 Beginn der älteren Tyrannis 594/593 Archontat Solons etwa 545 Ionische Griechen unter persischer Herrschaft 510 Sturz der Peisistratiden in Athen 508/507 Reformen des Kleisthenes 500 – ​494 Ionischer Aufstand

Karte 1: Nach W. Dahlheim, Die Antike, Paderborn (Ferdinand Schöningh) 3. Aufl. 1994, S. 68; Karte 2: Nach H.-G. Nesselrath (Hrsg.), Einleitung in die griechische Philologie, Stuttgart /Leipzig (B. G. Teubner) 1997, Karte 1; Abb. 1: V. Duruy, Die Welt des frühen Griechenland, München/Berlin (F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung) 1975, S. 93; Abb. 2: R. Hampe/E. Simon, Tausend Jahre frühgriechische Kunst, München (Hirmer) 1981, Abb. 288; Abb. 3: Hampe/Simon, Abb. 224; Abb. 4: St. Foltiny, Archaeologia Homerica E 2, Göttingen (Vandenhoeck & Rupprecht) 1980, Abb. 54 c; Abb. 5: C. G. Thomas/C. Conant, Citadel to City State, Bloomington, Indianapolis (Indiana University Press) 1999, Karte 6; Abb. 6: Thomas/Conant, Abb. 16; Abb. 7: Soprintendenza Archeologica per l’Etruria Meridionale, Rom; Abb. 8: H. Knell, Architektur der Griechen, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2. Auflage  1988, Abb. 4; Abb. 9: Knell, Abb. 55; Abb. 10: Nach Ernst-Ludwig Schwandner in D. Ohly, Glyptothek München, München (C.H.Beck) 9. Auflage 2001, Abb. 19/20; Abb. 11: National Archa­ eological Museum, Athen; Abb. 12: Archäologisches Museum, Euboia; Abb. 13: Hampe/Simon, Abb. 431; Abb. 14: Hampe/Simon, Abb. 456.

*  Die Angaben für prähistorische Kulturstufen sind Annäherungswerte, bei denen zudem regionale Phasenverschiebungen zu berücksichtigen sind

Es ist uns nicht in allen Fällen gelungen, die Inhaber der Bildrechte ausfindig zu machen; der Verlag ist jedoch selbstverständlich bereit, berechtigte Ansprüche abzugelten.

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Zeittafel*

Bildnachweis

3000 – ​2100/2000 Frühhelladikum (FH), Frühe Bronzezeit 2100/2000 – ​1600 Mittelhelladikum (MH), Mittlere Bronzezeit 1600 – ​1125/1100 Späthelladikum (SH), Späte Bronzezeit, Mykenische Zeit SH III A Mykenische 1400 – ​1300 SH III B 1300 – ​1200 Palastzeit 1200 – ​1125/1100 SH III C 1125/1100 – 1050 Submykenische Periode Benannt nach Stilphasen 1050 – ​900 Protogeometrische Periode der Vasenmalerei 900 – ​700 Geometrische Periode um 750 Beginn der Großen Griechischen Kolonisation um 650 Beginn der älteren Tyrannis 594/593 Archontat Solons etwa 545 Ionische Griechen unter persischer Herrschaft 510 Sturz der Peisistratiden in Athen 508/507 Reformen des Kleisthenes 500 – ​494 Ionischer Aufstand

Karte 1: Nach W. Dahlheim, Die Antike, Paderborn (Ferdinand Schöningh) 3. Aufl. 1994, S. 68; Karte 2: Nach H.-G. Nesselrath (Hrsg.), Einleitung in die griechische Philologie, Stuttgart /Leipzig (B. G. Teubner) 1997, Karte 1; Abb. 1: V. Duruy, Die Welt des frühen Griechenland, München/Berlin (F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung) 1975, S. 93; Abb. 2: R. Hampe/E. Simon, Tausend Jahre frühgriechische Kunst, München (Hirmer) 1981, Abb. 288; Abb. 3: Hampe/Simon, Abb. 224; Abb. 4: St. Foltiny, Archaeologia Homerica E 2, Göttingen (Vandenhoeck & Rupprecht) 1980, Abb. 54 c; Abb. 5: C. G. Thomas/C. Conant, Citadel to City State, Bloomington, Indianapolis (Indiana University Press) 1999, Karte 6; Abb. 6: Thomas/Conant, Abb. 16; Abb. 7: Soprintendenza Archeologica per l’Etruria Meridionale, Rom; Abb. 8: H. Knell, Architektur der Griechen, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2. Auflage  1988, Abb. 4; Abb. 9: Knell, Abb. 55; Abb. 10: Nach Ernst-Ludwig Schwandner in D. Ohly, Glyptothek München, München (C.H.Beck) 9. Auflage 2001, Abb. 19/20; Abb. 11: National Archa­ eological Museum, Athen; Abb. 12: Archäologisches Museum, Euboia; Abb. 13: Hampe/Simon, Abb. 431; Abb. 14: Hampe/Simon, Abb. 456.

*  Die Angaben für prähistorische Kulturstufen sind Annäherungswerte, bei denen zudem regionale Phasenverschiebungen zu berücksichtigen sind

Es ist uns nicht in allen Fällen gelungen, die Inhaber der Bildrechte ausfindig zu machen; der Verlag ist jedoch selbstverständlich bereit, berechtigte Ansprüche abzugelten.

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