Die Friedhofsfrage - Konfessions- oder Simultanfriedhöfe?: Ein Lösungsversuch auf Grund der Tatsachen 9783111725024, 9783111265124


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German Pages 152 [162] Year 1905

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Table of contents :
Vorwort
Titel der Schriften und Zeitschriften, aus denen öfters zitiert wird, in alphabetischer Folge
Inhaltsverzeichnis
Berichtigungen
Kapitel I. Fried Hofs-Intoleranz
Kapitel II. Die äußeren und inneren Gründe, die diese Konflikte verständlich machen
Kapitel III. Die Notwendigkeit und Möglichkeit gesünderer Zustände
Kapitel IV. Was ist zu tun?
Schlußwort
Verzeichnis wichtigerer Eigennamen
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Die Friedhofsfrage - Konfessions- oder Simultanfriedhöfe?: Ein Lösungsversuch auf Grund der Tatsachen
 9783111725024, 9783111265124

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Die friedbofofrage KonfelTions- oder Simultanfriedböfe ?

Gin Lösungsversucb auf Grund der CatFach en von

Eberhard Goes Mas dir des Grabes Ghrfurcht ein gib r, sprich es aus» Hfchylus, Orestie II

Verlag von Alfred Cöpelmann (vormals J. Ricker) Giessen 1905

Druck von C. G. Nöder G. rn. b. H., Leipzig.

Derrn Professor D. JMartin Rade

gewidmet

Vorwort In diesem Büchlein wird der Versuch gemacht, ein möglichst

wenig einseitiges Bild von dem Friedhofskrieg der Gegenwart zu geben, statt allgemeiner Deklamationen mit bestimmten Tat­

sachen aufzuwarten und daraus sich ergebende Schlußfolgerungen zu ziehen, die in einer konkreten Losung gipfeln, von der eine

Lösung der bestehenden Schwierigkeiten zu erwarten ist. danke denen, die

so freundlich

waren

oder doch

den

Ich

guten

Willen zeigten, eine von mir eingeholte Auskunft zu erteilen.

Briefliche Mitteilungen, von denen auch nur ein diskreter Gebrauch gemacht worden ist, sind ohne die genaueren Nachweise verwertet, die bei allen dem Leser zugänglichen Quellen nicht fehlen durften. Am meisten Dank schuldet die Arbeit der Redaktion der „Christlichen Welt", deren Anregung sie auch die Entstehung verdankt.

Von ihrer Haltung in den kirchlichen Fragen, die auch

dem Gegner so viel Verständnis und Gerechtigkeit angedeihen läßt,

bekennt der Verfasser mit Freuden gelernt zu haben.

Pfullingen (in Württemberg), im Juni 1905.

Der Verfasser.

Titel der Schriften und Zeitschriften, aus denen öfters zitiert wird, in alphabetischer Folge.

Bayr. Denkschrift (1904):

Aktenmäßige Materialien zur Beurteilung der

Lage der bayr. Protestanten.

Als Manuskr. gedruckt.

Chr. W.: Christliche Welt, Verleger und Herausgeber Prof. D. Rade in

Marburg. D. E. K.: Deutsch-evangelische Korrespondenz, Verleger und Herausgeber Kurt Schindowski in Berlin (für die Redaktionen gedruckt). Ev. KZ. f. Ö.: Evangel. Kirchenzeitung für Österreich, Herausgeber Pfr.

D. Arth. Schmidt in Bielitz. Felden, Der Ultramontanismus im Reichsland am Ende des 19. Jahr­ hunderts.

Ev. Verlag, Heidelberg 1900.

Jüngst, Deutsche Bischöfe und die Beerdigung von Protestanten.

Eugen

Strien, Halle a. S., 1904. Kautz, Die Grundlagen der Religionsfreiheit in Preußen nebst den wich­

tigsten auf das Religionswesen bezüglichen Gesetzen. Onckens Nachfolger, Cassel 1903. K. K.: Kirchliche Korrespondenz für die Mitglieder des evangelischen Bundes;

Redakteur Prof. D. Witte, Halle a. S., Verlag von Carl Braun in Leipzig.

KVZ.: Kölnische Volkszeitung (bes. Jahrgang 1904). Mirbt, Quellen zur Geschichte des Papsttums und des röm. Katholizismus, 2. Auflage. I. C. B. Mohr, Tübingen 1901.

Noeldeke, Die kirchliche Beerdigung der Selbstmörder.

Alfred Töpelmann,

Gießen 1903. Schandig, Glaubensfrühling in Steiermark. I. F. Lehmann, München 1902.

Tägl. Rundsch.: Tägliche Rundschau, Chefredakteur H. Rippler in Berlin. Thudichum,

Deutsches

Kirchenrecht

des

19. Jahrhunderts,

1. Band.

Duncker u. Humblot, Leipzig 1877. Thummel, Die Versagung der kirchlichen Bestattungsfeier, ihre geschichtliche

Entwickelung und gegenwärtige Bedeutung, I. C. Hinrichs, Leipzig 1902.

Boeltzel, Kirchhofskandale in Lothringen, C. B. Wiemann, Barmen. Die Wartburg, deutsch-evangelische Wochenschrift, Herausgeber D. Meyer

in Zwickau und Rechtsanwalt Reichsratsabgeordneter Eisenkolb, Verlag von I. F. Lehmann, München.

3f«baltsverzäcbnis Seite

1—78

Kap. I.

Friedhofsintoleranz 1. Römische Intoleranz

1—39

a) in Lothringen b) in Altdeutschland

2.

3.

1—14 ..................

15—24

Rheinl.-Westfalen 15 f., Schlesien 16 f., Hohenzollern 17 f., Thüringen 18, Bayern 18—23, Württemberg 23 f. c) in Österreich-Ungarn

24—35

Oberösterreich 25, Salzburg 25, Steiermark 25—28, Kärnten 28, Kram 28, Tirol 28—31, Böhmen 31—33, Mähren 33 f., Galizien 34, Ungarn 34 f. d) im Ausland

35—36

e) Widernatürliche Konsequenzen dieses Systems

37—39

Protestantische Intoleranz a) den Katholiken gegenüber

39—53 39-44

b) den Dissidenten gegenüber

45—53

Interkonfessionell-kirchliche Intoleranz . .

53—56

4. Intoleranz der weltlichen Instanz

a) der evangelischen (u. kathol.) Kirche gegenüber

57—78 57—68

Lothringen 58—62, Rheinland 62, Bayern 62 f., Österreich 63—67, Spanien 67 f., Staat und katholische Kirche 68. b) den Dissidenten gegenüber auf Kommunalfriedhöfen 69—71, Konfessions­ friedhöfen 72—77, Stärkung des Konfessiona­ lismus 77 f.

Kap. II. Die äußeren und inneren Gründe, die diese Kon­ flikte verständlich machen

68—78

79—94

1. Geschichtliche (79—88) und prinzipielle Begründung des Verhältnisses zwischen der römischen und der

evangelischen Kirche auf Friedhöfen

79—91

2. Historisch-positive (91—93) und aktuelle Begrün­ dung der Haltung von Staat und evangelischer

Kirche den Dissidenten gegenüber

91-94

Kap. III. Notwendigkeit und Möglichkeit gesünderer Zu­ stände 1.

Das Wesen einer evangelischen Versagung

der

95—97

kirchlichen Begräbnisfeier 2. Notwendigkeit gesünderer Zustande 3.

2 eite

95—128

97—99 99-128

Möglichkeit gesünderer Zustände a) von der weltlichen Instanz aus in ihrem Verhalten zu Kirchen und Dissidenten.

.

. .

99—106

Lothringen 99—101, Altdeutschland 101 f., Österreich 102 f.; Wohlwollen gegen Dissidenten 103—106.

b) von Kirchen und Dissidenten aus von den Katholiken aus 107—117, von den

Evangelischen aus 117—119, von den Sekten aus 119—120, Verträge 120 f.

c) die

Gegenwirkungen

in

der

öffentlichen

Meinung, besonders bei denen, die sich ver­

gewaltigt (—125) oder bloßgestellt fühlen

Kap. IV. Was ist zu tun?

121—128

129—149

1.

Radikale Vorschläge

2.

Das Ziel und die einzelnen Aufgaben der Kirchen

129—131

und Dissidenten (—138), der Presse und der welt­

lichen Instanz. — Konsequente Verweltlichung der Friedhöfe Schluß:

Religiöse Gedanken über den Simultanfriedhof

.

. .

131-147 148—149

150—152

Verzeichnis wichtigerer Eigennamen

Berichtigungen. Seite 17: „

Breitenau (bei Hillersdorf) liegt in Österreich-Schlesien.

68: Die Schranken,

die der öffentlichen Religionsübung der

Katholiken in Braunschweig und Mecklenburg

nach

den neuestens dort

gellenden Gesetzen gezogen sind, sind nicht sowohl konfessioneller als vielmehr polizeilich-formaler Natur.

Kapitel I.

Aried Hofs-Intoleranz. 1. Römische Intoleranz. a) Lothringen. Auch solche, die sonst vom konfessionellen Streit unberührt bleiben, haben es neuerdings, als ein lothringisches Dorf viel in den Zeitungen genannt wurde, der Beachtung wert gefunden, daß am Anfang des 20. Jahrhunderts eine Kirche auf ihrem

Friedhof Andersgläubigen die Gastfreundschaft, auf die sie in Ermangelung eigener Bcgräbnisplätze angewiesen sind, verweigert, sie auf ein Jnfain-Eck oder sonst eine „ungeweihte Erde" ver­ weist und damit ähnlich oder gerade wie Selbstmörder und Re­

ligionsverächter behandelt, ja daß sie in solcher Gesinnung und

Handlungsweise eine religiöse Pflicht, einen Gottesdienst erkennt. Zwar war der katholische Pfarrer von Fameck großmütig genug, ein paar unschuldige Kinder ihre Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche nicht entgelten zu lassen, er weist mit Stolz auf diese

Probe von Toleranz hin, sie aber auf einen „förmlichen" d. h. ausgewachsenen Ketzer auszudehnen, der das Unglück hatte, gerade

in der Heimat seiner katholischen ihm katholisch angetrauten Frau zu sterben, dazu konnte er sich nicht entschließen.

Als dann trotz­

dem auf den Wunsch der Familie durch den evangelischen Pfarrer von Hayingen die Beerdigung in Fameck als der Heimat der Frau vorgenommen wurde, und zwar natürlich in der fortlaufen­ den Reihe, da verhängte der Bischof über den dadurch „ent­ weihten" oder „besudelten" Friedhof das Interdikt d. h. das

Verbot kirchlicher Begräbnisfeiern.

Das ungewöhnliche Aufsehen,

das eine uralte römische Maßregel in diesem Falle erregte, daGoes, Friedhofsfrage. 1

2

Kapitel I.

Friedhofs-Intoleranz.

tiert weniger von dem an sie anschließenden interessanten Streit um eine alte Urkunde als von der Überraschung, die mit seiner Verfügung der ehemalige edle Einsiedler von Maria Laach der

Welt bereitete, und von dem besonderen Interesse, das durch die ganz persönliche Gunst des Kaisers die Person von Willibrord Benzler für weitere Kreise schon früher bekommen hatte.

Das

Interesse an dem Famecker Friedhof wuchs noch, als der erhabene Protektor des Bischofs persönlich eingriff, dieser sodann bei dem

heranziehenden Monarchen um gut Wetter bittend die Zurückzie­

hung des Interdikts meldete, und endlich der Kaiser seinem ehe­ maligen Schützling eine Audienz gewährte, um deren Inhalt und

Wortlaut zwar wohl nur einige phantasievolle Journalisten wissen, auf deren ungnädige und bestimmte Tonart sich aber aus seit­ herigen Proben von Nachgiebigkeit der Metzer Kurie schließen läßt.

Doch sind es nicht bloß solche singuläre Nebenumstände, was diesen keineswegs vereinzelten Friedhofsstreit aus der Reihe verwandter Fälle so hervortreten ließ.

von typischer Bedeutung.

Der Fall hat selbst Züge

Nach einer dem Bezirkspräsidenten

von Lothringen vorgelegten Denkschrift wollte Bischof Benzler die Bildung konfessionell gesonderter Friedhofsabteilungen er­

reichen.

Das scheint zunächst eine gesetzliche, weil auf das so­

genannte Prärialdekret vom 1.1804, Art. 15 sich stützende, und abgesehen davon eine harmlose Forderung.

Aber der angezogene

Artikels nimmt konfessionelle Abteilungen nur für solche Kom­ munen in Aussicht, „wo man mehrere Kulte bekennt" (professer — avouer publiquement; culte — religion consideree

dans ses manifestations exterieures)2).

Da nach Art. 18

*) Er heißt wörtlich: in den Gemeinden, wo man mehrere Kulte be­

kennt, muß jede Konfession einen besonderen Begräbnisplatz haben, und in

dem Fall, wo nur ein einziger Kirchhof vorhanden wäre, wird man ihn

teilen durch Mauern, Hecken oder Gräben in ebensoviel Teile, als es Kulte

sind, mit einem besonderen Eingang für jeden und entsprechend der Zahl

der Kultusangehörigen. *) So sprach denn auch das französische Ministerium in einem Zir­ kular vom 1. H 1845 aus, daß es keines besondern Kirchhofs bedürse,

wenn

einzelne Protestanten

oder Israeliten inmitten einer katholischen

3

1. Römische Intoleranz: Fameck.

desselben Gesetzes religiöse Zeremonien außerhalb der Kirchen

und der Kirchhöfe nur erlaubt sind in den Komumnen, wo man

nur einen einzigen Kult bekennt (genau derselbe Ausdruck wie in Art. 15), so müßte der Bischof, wenn seine Auslegung von weit­

herziger Wahrheitsliebe inspiriert wäre, konsequent überall da Pro­ zessionen verbieten, wo wie in Fameck nur ein paar Protestanten

sind.

Aber abgesehen von der — tendenziösen Auslegung des

alten französischen Gesetzes, das uns in andrem Zusammen­ hang noch öfter begegnen wird, die Forderung des Bischofs ist

lange nicht so harmlos, wie sie aussieht.

Das merkt jeder, der

an das Interesse denkt, dem sie entspringt, an das Mittel, wo­ mit sie durchgesetzt wird, und an die Wirkung, die das Mittel haben mußte.

Die Forderung des Bischofs dient dem echt rö­

mischen Systeme einer Konfessionalisierung aller profanen oder

noch simultanen Gebiete, auf denen die konfessionell Geschiedenen sich noch zusammenfinden und trotz dem religiösen Gegensatz

noch zusammenwachsen könnten zu einem einigen Volk von Brü­ dern und Schwestern: der Riß*) soll durch alles hindurchgehen

und so immer ärger werden, daß womöglich gar kein mit den Bevölkerung wohnen oder wenn solche auf der Durchreise in einer katho­ lischen Gemeinde gestorben sind (vgl. Thudichum SJ 102). Ähnlich ist ein französischer Ministerialerlaß vom Jahre 1857 (s. Voeltzel S. 47) und

ein Schreiben des Kultusministers vom 20. "VIII. 1838.

Nach Ansicht des

Kassationshofs in Brüssel (22. II. 1882) begründet Art. 15 eine Ausnahme, die strikte auf die Gemeinde beschränkt ist, wo mehrere Bekenntnisse in feier­

lichen und öffentlichen Riten sich betätigen. Genau so sprechen sich Kirchen­ rechtslehrer wie Campion und Buillefroy aus. Sogar eine geistliche

Autorität muß (nach der Lothr. Ztg. 15.1.1905) zugeben, daß die Voraus­ setzung des Artikels eigentlich nur da erfüllt ist, wo mehrere professions de culte sind. Für die — ganz gleiche — Praxis der deutschen Verwal­ tung ist typisch der Erlaß der Oberpräsidenten vom Jahre 1877. — Solange

die obige Bedeutung von professer culte als nicht im Sinn des fran­

zösischen Prärialdekrets nicht nachgewiesen ist, beweisen auch die von der bischöf­ lichen Denkschrift angeführten, ihren Wünschen scheinbar günstigen Entschei­ dungen nicht viel mehr, als die Toleranzversicherungen, von denen sie trieft. *) S. Bonifatiusbroschüre Nr. 12 (1887): Daß der Riß zwischen Katho­

lizismus und Protestantismus immer größer wird, ist ein wahres Glück. 1*

Kapitel I.

4

Friedhofs-Intoleranz.

Ketzern gemeinsamer Boden mehr bleibt.

Die katholischen Deut­

schen sollen im Leben und im Tod von den protestantischen

Deutschen durch eine chinesische Mauer getrennt sein, und die Mauer soll immer höher werden.

Die Forderung Benzlers ist

also, trotz dem Versuch der Klerikalen im Straßburger Landes­

ausschuß sie als Förderung des konfessionellen Friedens auszu­ legen und trotz allen kaiserlichen Hoffnungen in derselben Rich­ tung *), direkt antinational*2). Und mit welch unheimlichem Mittel

hat er sie ertrotzt: mit einem Akt von Kirchenzucht, der in das

Leben katholischer Frömmigkeit aufs empfindlichste einschneidend doch nicht ihm, dem Bischof (wie dieser wohl wußte), aufs Konto gesetzt wurde, sondern

den Protestanten und vor allem dem

Hauptmissetäter Staat.

Der Effekt seines Bannes konnte jeden­

falls kein andrer sein, als Schürung des Protestantenhaffes und

Diskreditierung des Staats bei den Katholiken, ja Entfesselung

der Leidenschaften gegen diesen Erzfeind.

Des Bischofs Sprach­

rohr, die „Lothr. Volksstimme" (24. H. 1904) versicherte denn auch, daß „unsre brave Bevölkerung" über diejenigen, die die jetzige

Sachlage verschuldet haben, empört sei (D. E. K. 1904 Nr. 138 und Chr. W. 1904 Nr. 18).

Benzler, der sich in seinen Erlassen

als Bischof von Gottes und des apostolischen Stuhles Gnaden bezeichnet und wegen des Interdikts niemand verantwortlich zu

sein meint als Gott und seinem Stellvertreter — dem Papst (!), scheint seine Berliner Audienz und sein dortiges Versprechen

völlig vergessen zu haben (Wartburg HI Nr. 14 S. 150). —

Mit welchem Eifer auch nach Aufhebung des Interdikts die

Schaffung konfessioneller Abteilungen betrieben wurde, stellte sich heraus, als eine diesbezügliche Eingabe an den Bezirkspräsidenten

von diesem abschlägig beschicken wurde und der Bescheid zu Hän*) Am 24. X. 1901 sagte der Kaiser in seiner feierlichen Ansprache zu Benzler: Ihnen wird es Gewissenspflicht sein, die Eintracht zu pflegen.

2) In seiner Eingabe an den Bezirkspräsidenten glaubt der Bischof mit seinem Drängen auf Konfessionsfriedhöfe „den Interessen des Deutsch­ tums den größten Dienst zu tun".

seines Herzens?

Glaubt der Bischof das im Grund

1. Römische Intoleranz: Fameck.

5

den des katholischen Pfarrers von Fameck als des ersten Unter­ zeichners ging.

Als dieser heuchlerischerweise

gegen

die Zu­

stellung protestierte, da es sich um ein Gesuch des Gemeinderats handle und also diesen die Antwort angehe, ließ der Bezirks­

präsident jedem Unterzeichner ein hektographisches Exemplar des Bescheids zugehen, zugleich aber Erhebungen anstellen, wie die

Beschwerdeschrift zustande gekommen ist.

Dabei hat sich ergeben,

daß der Pfarrer die Beschwerdeschrift eigenhändig geschrieben, an

erster Stelle unterzeichnet und dann von Haus zu Haus zur Unterschrift herumgetragen hat.

Gleichzeitig wurde festgestellt,

daß ein Gemeinderatsbeschluß gar nicht stattgefunden hat (Franks.

Ztg.1905, 31). Auch wurde, ohne die Entscheidung des Kaiserlichen Rats

(des Verwaltungsgerichtshofs) abzuwarten, ein Flugblatt ver­ breitet und die Kanzel zur Agitation für eine Massenpetition mißbraucht (Schwäb. Merkur vom 13.11.1905).

Vgl. u.!

Daß hinter dem vielerörterten Famecker Kirchhofstreit nicht bloß der Fanatismus eines einzelnen steht, sondern ein System,

dessen dienstfertig-peinlicher Vertreter er war, das beweist eine statt­

liche Reihe lothringischer Friedhosskandale, die auch dann stattlich genug bleibt, wenn wir uns auf die Zeit beschränken, seit

der dieses Land die westliche Ecke des Deutschen Reiches bildet *).

Zwar sind seit der Zeit, wo die Leiche einer 75 jährigen Prote­

stantin, Susanns Baudesson, nur mit einem Hemd bekleidet, vom Henker durch die Straßen von Metz zum Schindanger geschleift

und ihre Silberhaare durch den Kot gezogen wurden2), auch die

Totenbeschimpfungen humanisiert worden.

Aber für unsre heuti­

gen Begriffe, soweit sie nicht durch konfessionelle Vorurteile ge­ trübt sind, ist es schon Schimpf genug, wenn noch im Jahre

1873 in Feutsch der verunglückte K. Mayer aus Ulm auf Tüchern *) Für die Praxis vor 1870 mag folgende Stelle aus einem Ministerial-

schreiben vom 30. VIII. 1845 genügen: manchmal wurden auch Protestanten auf dem Teil des katholischen Friedhofs beigesetzt, der zur Beerdigung der ungetansten Kinder und Selbstmörder, m&ne des supplicids, bestimmt ist.

2) 5. XII. 1686 nach Olry, persecution de l’tiglise de Metz, S. 108.

6

Kapitel I.

Friedhofs-Intoleranz.

in die Armesünderecke getragen, wenn anno 1892 dem Förster Wagner in Lemmersdorf um seiner evangelischen Fran willen

auf dem Sterbebett dieselbe Strafe in Aussicht gestellt, wenn auf der französischen Grenzstation Pagny ein deutsches (= protestan­

tisches!) Kriegergrab mitten in der Selbstmörderecke aufgeworfen, wenn in Ückingen noch am 16. HI. 1884 ein evangelischer Ar­ beiter außerhalb des Kirchhofs eingescharrt, wenn in Liedersingen 1892 die erste evangelische Leiche bei den unehelichen Kindern

bestattet wird, wenn evangelische Begräbnisakte und zwar auf Veranlassung des katholischen Ortsgeistlichen in bubenhafter Weise

gestört werden, wenn die Leiche eines nach 27 jährigem Militär­

dienst gestorbenen aber leider evangelischen Mannes in einen aus kaum gehobelten Brettern zusammengefügten Sarg gelegt und dieser auf einen Bauernwagen gehoben wird, den ein in Hemd­

ärmeln gehender die Pfeife rauchender Knecht geleitet (Hagen­

dingen 1892), wenn endlich der Priester auf der Kanzel über den Teufel schimpft, der auf dem Friedhof sein Wesen treibe —

nämlich seit dort ein evangelischer Toter in die Reihe der katho­ lischen sich eingedrängt hat.

hofen, dessen 1894

Der frühere Pfarrer von Dieden-

im Auftrag

seines Konsistoriums unter­

nommener gewissenhaften Materialsammlung *) wir diese Proben

von Totenbeschimpfungen entnehmen, läßt uns in andern

Beispielen Blicke in ein System von Schikanen tun, denen die Hinterbliebenen nach seinen Erfahrungen ausgesetzt waren.

Nicht

bloß kommt Versagung der Dienstleistungen vor, die bei solch

traurigen Anlässen gute Freunde und getreue Nachbarn sonst gewähren; oft mußten die Angehörigen auf beinah unzugäng­

lichen Wegen ihre Toten begleiten, um dann wegen Verweigerung

des Haupttors oder Entziehung des Schlüssels durch den Orts­ pfarrer (so Öttingen 1875) den Sarg durch ein Mauerloch in den Friedhof zu befördern; selbst die Verweigerung des Toten­ gräbers ist dagewesen.

Felden (a. a. O.) erzählt nach dem Saar­

burger Kirchenbuch (22. IV. 1886), wie die Anweisung der Selbst-

*) Voeltzel (vgl. oben), Kirchhofskandale in Lothringen.

1. Römische Intoleranz: Essesdorf, Langenberg u. a.

7

mörderecke für die 77jährige Elisabeth Sch. auf dem Hattignyer Kirchhof zu zeitraubenden Umständlichkeiten führte, da (auf den

Protest der Evangelischen und der Polizei hin) ein ehrlicher Platz für protestantische Leichen erst abgesteckt werden mußte. Ähnliche Schwierigkeiten verschuldete priesterliche Exklusivität nach derselben Quelle (8. V. 1886) bei dem Begräbnis von Johann R., Werk­ meister zu Vallerystal, auf dem Kirchhof zu Dreibrunnen (Fel­ ben S. 32 f.). — Neuerdings hat die Deutsch-evangelische Korre­

spondenz (III 138, 147, 156) auf gegen ein Dutzend von der lothringischen Presse vor der Vergessenheit bewahrte Friedhof­ skandale die Aufmerksamkeit Altdeutschlands gelenkt, lauter Fälle,

die in den letzten 15 Jahren in Deutschlands Westmark vorge­ kommen sind.

Ich gebe sie nach der Zeitfolge wieder.

In dem

im französischen Sprachgebiet gelegenen Essesdorf, Kreis Saar­ burg, erhielt im Mai 1889 ein Evangelischer ein Reihengrab, ohne daß der katholische Priester Anstoß daran nahm.

Erst von

1890 an begleitete er die Leichen nur noch bis zur Kirchhofstür.

Um Ostern 1890 wurde durch Bretter, später durch Steine, um das besagte Grab samt Umgebung eine protestantische Ecke ab­ gesondert.

Die Steine stehen noch heute.

Neuerdings begleitete

ein Hilfsgeistlicher die Leichen wieder ohne Anstand bis ans Grab.

Er soll geäußert haben, daß er den Friedhof wieder geweiht habe.

— In dem im selben Kreis liegenden Langenberg ist zwar seit 1890 eine eigene von der Behörde genehmigte protestantische Abteilung; aber die protestantischen Toten liegen unkanonisch,

da sie bei der Beerdigung Katholikengräber passieren (!)*);

allem

vor

aber entsprach der von der zuständigen Behörde ver­

fügte Platz des Friedhofs an sich nicht den geistlichen Wünschen (Tägl. Rundsch. vom 10. III. 1905), die zu berücksichtigen hygie­

nische Gründe verboten (Lothr. Ztg. Nr. 90).

Deshalb ist der

Friedhof ungeweiht geblieben: kein Pfarrer betritt ihn, nicht ein­ mal das Bahrtuch darf auf den Friedhof mitgenommen werden *) Die vom Bischof den Protestanten zur Vermeidung solchen Unglücks

angebotenen Plätze zur Rechten und Linken des Eingangs sind als Erb­ begräbnisplätze schon vergeben.

8

Kapitel I.

Friedhofs-Intoleranz.

(vgl. auch Franks. Ztg. 11. VIII. 1904).

Alle Versuche bei Regie­

rung, dem unleidlichen Zustand ein Ende machen zu helfem, waren

erfolglos (Tägl. Rundsch., vgl. auch die Verhandlungen im Landes­

ausschuß). — Eine Mischung von Entehrung und Schikame, Haß und Hetze stellt auch eine in Rüssingen, Kreis Diedenhofien-West,

vorgekommene Begebenheit dar.

Dort starb am 29. XII. 1893

eine 61 Jahre alte evangelische Frau und sollte am

31. auf

dem dortigen Kirchhof als erste protestantische Leiche dmrch den evangelischen Pfarrer von Deutsch-Oth (1/2 km entfernt) beerdigt

werden.

Das Grab war gemacht, aber an einer Stelle, die von

den Evangelischen (worunter Bahnbeamte und ein Hüttenidirektor)

und von dem katholischen Bürgermeister als unwürdig bezeichnet wurde. Der letztere ordnete daher an, daß ein neues Grab gemacht

werde; da aber der Boden hart gefroren war, war es zur Stunde der Beerdigung nicht fertig und so mußte das sehr große Leichen­

gefolge wieder nach Hause geschickt werden.

dann die Beerdigung statt.

Am 1.1.18194 fand

Der katholische Pfarrer

erklärte

aber den Friedhof nun für entweiht, tat ihn in den Bamn und

behandelte die Sache in abfälliger Weise auf der Kanzel.

Dabei

war das Grab von allen Seiten durch Wege von den katholischen

Gräbern getrennt, obgleich es nach dem Gesetz in der Reihe hätte gemacht werden müssen.

Der Bann wurde dann von dem Nach­

folger des katholischen Pfarrers im Juli 1894 wieder aufgehoben.

Aber während der ganzen Zeit schwebten die Angehörigen der Verstorbenen in großer Sorge, es könnte die Grabesruhe ihrer Mutter wieder gestört werden. — Als in demselben Rüissingen

2—3 Jahre später die katholische Lehrerin eine Jagd auf Bibeln inszenierte und verbrannte, was sie an solchen „evangelischen

Büchern"

finden konnte, wurde der evangelische Pfarrer,

als

er diesen blinden Fanatismus in einer Zeitung beleuchtete, ver­ klagt, verfolgt und oben denunziert als Friedestörer: u. a. wurde

gesagt, er verbiete den protestantischen Schulkindern, an lischen Begräbnissen teilzunehmen.

katho­

Der weitere Verlauf ergab

eine merkwürdige Vertauschung der Rollen, nämlich das akten­ mäßige Ergebnis, daß der — katholische Pfarrer in Anmetz bei

1. Römische Intoleranz: Rüssingen, Brülingen.

9

Deutsch-Oth des öftern katholischen Kindern verboten hatte, die Leichen protestantischer Kinder zu tragen1) (es ist in Lothringen

allgemeine Sitte, daß Kinderleichen von Schulkindern getragen werden). In einem Falle mußten in größter Sommerglut vier Knaben aus der evangelischen Schule in Deutsch-Oth den Weg

von 7 km nach Anmetz machen, da hier keine Kinder die Leiche eines drei Monate alten evangelischen Kindes tragen durften. — In Brülingen, einem Dorf des französischen Sprachgebiets im Kreis Forbach, wurde im September 1897 das fünfmonatige Kind

des protestantischen Kreisdirektors Weber, der ein Schwiegersohn des Landesausschußmitglieds Amedee Pate ist, in des letzteren Familiengrab auf dem katholischen Teil des Friedhofs beerdigt. (Das Kind war während eines Besuches bei den Großeltern ge­

storben.)

Seitdem ist der Friedhof mit dem Interdikt belegt: der

katholische Pfarrer geht nicht mehr bis ans Friedhofstor mit, sondern verläßt das Leichengefolge nach den Zeremonien in der

Kirche. Er hat den Wunsch, daß das Erbbegräbnis der Familie Pate mit einer Mauer umgeben werde, nud erklärte Einwohnern

von Brülingen gegenüber: Wenn ihr keine Feiglinge wäret, hättet ihr den Pate (d. i. also der Bürgermeister von Brülingen!) schon gezwungen, seinen Enkel auszugraben. (Le Messin nach der

Gazette de Lorraine 29. III. 1904.) Die Lothr. Volksstimme (28. IV. 1904), offenbar von dem dunklen Gefühl geleitet, daß das gehässige, aufreizende Verhalten des Pfarrers an sich doch allzuwenig gerechtfertigt wäre, behauptet von dem Kind, es sei ungetanst gewesen, von seiner Mutter, sie sei zum Altkatholizis­ mus „abgefallen", vom Vater aber habe man damals nicht fest­ stellen können, ob er protestantisch oder altkatholisch fei.2) — In *) In Termen bei Dietenhofen verbot in einer Maiandacht der Priester

den Kindern jede Teilnahme an einem evangelischen Begräbnis (Metzer Ztg.; D. E. K.). 2) Am 14. III. 1905 brachte der obengenannte Abgeordnete Patb die Sache selbst im Landesausschuß zur Sprache. Neu ist in seiner Rede folgendes:

„Da das Kind noch ungetauft war, gab ihm der Großvater die Not­

taufe ... Verschiedene Versuche, die kirchliche Behörde zur Auf-

10

Kapitel I.

Friedhofs-Intoleranz.

dem gleichfalls in französischem Sprachgebiet gelegenen Lomme-

ringen, Kr. Diedenhofen-West, galt der Friedhof schon dadurch, daß ein kurz zuvor getauftes, kaum einen Monat altes evan­ gelisches Kind auf dem Platz „für die Fremden" beerdigt wurde (1898), für besudelt (vgl. dagegen Fameck: S. 1). Zwei Monate

später bei der Beerdigung des katholischen Ackerers S. läßt der katholische Pfarrer zunächst den Leichenzug, in dem sich auch Prote­

stanten befinden(!), vor dem Friedhofstor halten und nimmt die Wiederweihe des Friedhofs durch Besprengung mit dem Weihwedel vor. — In Oberjeutz bei Diedenhofen wurde im Februar 1899 ein Katholik beerdigt, der infolge eines Sturzes mehrere Monate periodisch unzurechnungsfähig war und sich in diesem Zustand

das Leben nahm. Während der Krankheit hatten die Angehörigen den katholischen Pfarrer wiederholt gebeten, ihn zu besuchen und

Messen für seine Genesung zu lesen; der Pfarrer hat dies ver­

weigert.

Seit dem Begräbnis betritt er den Friedhof nicht mehr.

Am 30. V. 1902 wurde in Anwesenheit des Bischofs die Bitte

ausgesprochen, das Interdikt zurückzunehmen. geschehen (so am 6. II. 1904 die Metzer

Noch ist nichts Voeltzel

Zeitung).

erzählt, daß der Kirchhof von Oberjeutz schon 1886 mit dem Interdikt belegt ward, weil eine Protestantin, anstatt wie ge­

fordert in der Selbstmörderecke, in der Reihe begraben wurde. Später wurde die Frau wieder ausgegraben und der Friedhof von Bischof Fleck wieder neu

geweiht.

Die

ultramontanen

Hebung des Interdikts zu bewegen, zuletzt einer aus dem Mai vorigen Jahres, führten zu keinem Ergebnisse. Auch die Regierung

lehnte eine Vermittlung ab, solange Fameck nicht erledigt sei."

Unterstaats­

sekretär Petri führte u. a. aus: Die bischöfliche Behörde verlangte zunächst

Ausgrabung; das wurde zurückgewiesen.

Darauf stellte die geistliche Behörde

die Bedingung, daß zwei Mauern um die Familiengruft angebracht würden, damit man diese nicht direkt mit dem Friedhof in Verbindung setzen und durch eine besondere Tür betreten könne! Diese Bedingung ließ sich nicht erfüllen,

weil zwischen dem Erbbegräbnis und der Friedhofsmauer andre Gräber liegen,

über die man einen Weg nicht legen kann.

Außerdem gehört der Grund

und Boden außerhalb des Friedhofs nicht der Familie Patö, so daß sie auch keine Tür durch die Friedhofsmauer hätte anlegen können.

1. Römische Intoleranz: Lommeringen, Oberjeutz, Heming u. a.

11

Blätter schweigen sich über den Fall aus. — Daß das durch die Beerdigung eines Protestanten nötig gewordene Interdikt zu­

gunsten von hochadeligen Leichen vorübergehend sistiert werden

in

kann, beweist Le Messin

seiner Nr.

vom 26. HI. 1904.

Nach dieser wurde am 24. XII. 1902 die Gräfin Willate d'Outremont, die in Nancy gestorben war, auf ihrem Familiengrab in Heming (Kreis Saarburg, französisches Sprachgebiet) beerdigt.

Trotz dem damals schwebenden Interdikt begleitete der katholische Pfarrer die Verstorbene nach Ablegung des Chorhemds bis zum

Grabe.

Bei der nächsten bürgerlichen Leiche blieb er wieder bei

dem Eingangstor zurück.

Die ultramontanen Blätter schweigen

sich darüber aus. — In einem Vorort von Metz, Devant-les-

Ponts, wurde (1903) ein Protestant bei seiner katholischen Frau

auf der katholischen Abteilung beerdigt.

Der katholische Pfarrer

zeigte den Fall dem Bischof an und „Monseigneur hielt es für richtig, zu verhandeln, bevor er das Interdikt aussprach, er setzte

sich mit der Bürgermeisterei von Metz in Verbindung, die über

den Friedhof zu verfügen hat; und die Angelegenheit wartet seitdem noch auf ihre endgültige,Lösung" (so der klerikale Lor-

rain vom 13. III. 1904). — Le Hessin vom 31. III. 1904 meldet aus Moyenvic (Kreis Chateau-Salins, französisches Sprachgebiet): als dort die protestantische Mutter des Bürger­ meisters Pierron beerdigt wurde, drohte ein konfessioneller Krieg, bis man das Grab mit vier Grenzsteinen abgeteilt hatte. — Be­

sonders viel Staub wirbelte in letzter Zeit die Leiche des am

29.1.1904 auf der Wahlstatt treuer Berufserfüllung gebliebenen

katholischen Bergmanns Anton Weiland in Spittel auf: dieser

hatte, um mit der ultramontanen KVZ. (29. VI. 1904) zu reden, seine religiösen Pflichten übertreten, nämlich indem er mit einer

evangelischen Frau evangelisch getraut war und ein evangelisches Kind hatte, auch hatte er (wir schöpfen aus derselben Quelle)

vor dem Tode seinen Fehler nicht bereut und nicht nach Kräften

wieder gutzumachen gesucht.

Der protestantische Pfarrer war

bereit, ihn auf der protestantischen Abteilung zu beerdigen; ein

Teil der Familie aber war dagegen. Obwohl dem Verstorbenen

12

Kapitel I.

Friedhofs-Intoleranz.

die letzte Ölung gespendet worden war (Volksstimme vom 19.

VI. 1904), obwohl die Mutter persönlich zum Bischof geeilt war, um das kirchliche Begräbnis zu erwirken (Wartburg HI. 27,283):

es wurde verweigert.

Der Platz, den man ihm anwies, war

mit geradezu raffinierter Bosheit ausgewählt zwischen der Mauer, der Selbstmörderecke und einer Örtlichkeit, die heute für Kirchen­

besucher zu gewissen Zwecken, dient (Tägl. Rundsch. 1904, 296). Das rheinische Zentrumsblatt (a.a.O.) nennt den Platz, der damit

einem treuen katholischen Arbeiter zur Strafe für seine protestan­

tische Frau und sein protestantisches Kind gewährt ward, liebe­ voll den der Religionslosen.

Als Bitten um Abstellung dieses

unwürdigen Zustandes beim Bischof auf taube Ohren stießen,

wurde von feiten eines Sozialdemokraten eine Beschwerde an

die Kreisdirektion Forbach eingereicht und, als nach Monaten

keine Entscheidung kam, weitere Beschwerde beim Ministerium. Daraufhin wurde angeordnet, daß Weiland am 1. Juni ausge­ graben und in der Reihe beigesetzt werde. Dies geschah. Aber, als

ob es der Schikanen und Beschimpfungen nicht genug wäre, das Reihengrab wurde wieder zugeworfen und ein anderes hergerichtet,

das wiederum die Absicht der Beschimpfung zeigte.

Nach einer von

der D. E. K. gegebenen genauen Skizze wird der Platz für die Gräber an dem Weg nm die Kirche so schmal, daß, wenn der

gesetzliche Abstand eines Grabes von der oberen Gräberlinie ein­ gehalten werden wollte, der Raum für neue Gräber zu knapp wurde.

Das gerade hier für W. ausgesuchte Grab ragte so

teilweise in den Weg hinein, so daß der Besucher des Kirchhofs drüber hinwegschreiten mußte. Diese neue Beschimpfung geschah nach der Überzeugung der Spittler auf Veranlassung des katho­ lischen Pfarrers. (Die Richtigkeit dieser Überzeugung schließt die

mustergültig vorsichtige Ausdrucksweise der KVZ. noch lange nicht aus, deren Korrespondent [a. a. O.s behauptet, daß nicht „auf Anordnung" des Pfarrers, sondern des Bürgermeisters das zuletzt

erwähnte Grab gemacht worden sei, vgl. Kap. I, 3).

Daß jeden­

falls hier wieder eine ganz raffinierte Beschimpfung vorlag, ist

nicht zu leugnen, wenn man es auch später dadurch zu ver-

1. Römische Intoleranz: Spittel, Drechingen, Vaux u. a.

13

tuschen suchte, daß bei der Beerdigung eines katholischen Italieners dieser Platz verwendet wurde; allerdings wurde dann das Grab

so weit hinaufgerückt, daß es an die obere Gräberreihe anstieß.

Als dann der Polizeikommissar erklärte, wenn kein anständiges

Grab angewiesen werde, werde er selbst ein solches bestimmen, da verließ der katholische Geistliche den Kirchhof (Wartburg III 27,

183)'); und nun wurde das früher zugeschüttete Grab wieder ge­ öffnet, so daß der Mann, der im Leben ein Ehrlicher gewesen war, nach 5 Monaten an einem anständigen Plätzchen zur Ruhe kam. —

Ein neuer Skandal wird aus Drechingen gemeldet, wo man erst die Beerdigung eines evangelischen Weichenstellers zu verhindern, dann den evangelischen Geistlichen zur Ablegung des Talars vor dem Friedhofe nötigen wollte, bis nach stundenlangem Warten des Trauergefolges der Befehl des Kreisdirektors eintraf, der die Hin­

dernisse beiseitigte (Wartburg III 50, 499). Ob der Friedhof nun

„besudelt" ist? — Ein ganz neuer Fall a la Fameck wird aus Metz berichtet: In der lothringischen Gemeinde Vaux ist es kürzlich zu einem Friedhofsskandal gekommen, der bisher auf Wunsch der

Verwaltungsbehörde im Hinblick auf den Besuch des Kaisers so gut als möglich totgeschwiegen wurde.

Der Sachverhalt ist nach

Straßburger Blättern folgender: Schon im Januar hatte die Familie einer schwerkranken evangelischen Dame mit dem Bürger­ meisteramt Vaux Verhandlungen angeknüpft, um dieser Dame

im Todesfälle eine Ruhestätte auf dem dortigen Friedhofe zu verschaffen.

Dank den Bemühungen des katholischen Pfarrers,

auch von der Kanzel aus, wurde ein mündlicher Beschluß des

Gemeinderats von 1880 oder 1885 — über das Jahr ist man nicht einig — ausgegraben, nach dem ein Begräbnis „in der

Reihe" in Vaux ausgeschlossen war.

Auf dem Friedhofe war

') Die Lesart der KVZ. (a. a. £).), daß der Pfarrer auf dem Friedhof bloß die Polizei habe darauf aufmerksam machen wollen, daß dort der Bürgermeister zu befehlen habe, rechnet doch auf gar zu naive Gemüter, abgesehen davon, daß diese Bemerkung sich seltsam ausnimmt neben der

Notiz: Der Pfarrer konnte sich nicht mit der Beerdigung W.'s auf einem

katholisch-konfessionellen Platz einverstanden erklären!

14

Kapitel I.

Friedhofs-Intoleranz.

vom Gemeinderat die rechte Ecke am Eingänge, die mit Soldaten­ gräbern ausgefüllt ist, und die linke Ecke für die Nichtgetauften zur Verfügung gestellt; ein Begräbnis „in der Reihe" aber

nicht zugelassen (Tägl. Rundsch. vom 12. V. 1905). — Während über Spittel — wohl mit Rücksicht auf die schwüle Zeit — bis jetzt noch kein Interdikt verhängt ist, schwebt es noch über einer

ganzen Anzahl von Friedhöfen im Lothringischen **) (Wartburg III 25,258) und wirkt dort als ein chronisches Feuer, das den Haß gegen die Andersgläubigen schüren muß, wenn nicht der Absicht nach, so doch tatsächlich. Der Erweiterung des konfessionellen Gegensatzes dient jedenfalls auch das Benzlcrische Verbot, pro­ testantische Leichenreden im Trauerhaus und auf dem Friedhof anzuhören (Wartburg III15, 160)2). Ter „Leo" (4. IX. 1904) meint freilich: wer das übertrieben findet, leidet an bedenklicher

religiöser Gleichgültigkeit. Wenn auch die Waffe des Interdikts und die Praxis der Selbstmörderecken nicht immer gleich hart und nicht konsequent gehandhabt werden (vgl. auch Kap. III), Tat­ sache bleibt: da, wo sie angewendet werden, wirken sie als Gehässigkeit, Beschimpfung, Schikane und andrer­

seits als Verschärfer der konfessionellen Kluft. Der sittliche Wert, der jener Waffe und jener Praxis zukommt, wird grell beleuchtet durch die Nachricht (Jüngst S. 18 und National-

Ztg. 9. VII. 1904 nach der Metzer Ztg.), daß in Montigny (1904!) der Raubmörder Blaise in der Reihe und auf geweihtem Boden solenn beerdigt worden ist. Er war zum Tode verurteilt, hatte aber die Absolution empfangen, bevor er im Gefängnis an der Schwindsucht starb (vgl. den Fall Keh unten, Ilb). *) In Gebling war das Interdikt durch die Beerdigung einer Men­

nonitin veranlaßt, deren Grabinschrift dann von jungen Burschen beschädigt worden ist: die Frucht einer in Predigten gegebenen Belehrung!

(So der

Unterstaatssekretär Petri im Straßburger Landesausschuß.) *) Desselben Geistes Kind ist Benzlers Anweisung an die Geistlichen,

den Lesern einer demokratischen Zeitung die Absolution, ja die Sterbesakra­ mente zu verweigern (D. E. K.).

1. Römische Intoleranz: Rheinland und Westfalen.

15

b) Altdeutschland.

Vor einer solchen Skala von Beschimpfungen und Gehässig­

keiten gegen Tote und Lebende bewahrt uns in Altdeutschland

ein trotz dem konfessionellen Riß noch gebliebener gemeinsamer

Doch führt das römi­

Schatz von National- und Kulturwerten.

sche System da, wo Reibungsflächen sind, auch zu gelegentlichen

Friedhofskonflikten, besonders in Rheinland und Westfalen, in politischen schwierigen Gebieten und in Bayern. In Thalexweiler bei Trier wird, ohne daß ein Protestant

da ist, die konfessionelle Teilung als das „allein richtige und

einzig berechtigte angesehen"

und

ist

ein Sonderkirchhof für

Protestanten da, welcher Art freilich, sagt die KVZ. (7. VIII. 1904)

nicht.

Obwohl für den erweiterten Kirchhof die interkonfessionelle

Reihenfolge vorgeschrieben ist, die in diesem Falle allein Sinn hat, wurde neuerdings für die Leiche eines evangelischen Metzgers

Brosius, die von Thalexweiler zu beerdigen war, im „protestan­ tischen Friedhof" ein Grab geschaufelt.

Als dann der Bürger­

meister von Eppelborn ein Reihengrab anordnete

(Wartburg

III 34, 338), mußten Leute von Dirmingen durch die Behörde engagiert werden, um dem Unglücklichen zu dem ihm von Rechts­ wegen

zukommenden

Platz

zu

verhelfen

(Franks. Ztg. 215).

Kommentar der KVZ.: von welcher Seite in diesem Fall der konfessionelle Hader ausging, braucht kaum noch gesagt zu wer­

den. — Einen parlamentarischen Ausdruck fand diese Intoleranz

gegen die protestantische Minorität in dem Antrag des rheini­ schen Abgeordneten Bachem im preußischen Abgeordnetenhaus (1895), „das Recht zu konfessionellen Friedhöfen betreffend".

Sie erweisen sich eben als eine famose Gelegenheit, Ausschließ­ lichkeit zu pflegen und eine auf Gastfreundschaft angewiesene

Minorität zu schikanieren. — Pfarrer Spieß von Mülheim a. d. Mosel wollte einen Evangelischen begraben, der eine katho­

lische Frau hatte.

Der katholische Kirchenvorstand wies das

Grab, statt gesetzlich in der Reihe, in der Nähe der ungetauften

Kinder an.

Spieß, um einen rechtskräftigen Beschluß bemüht„

16

Kapitel I.

Friedhofs-Intoleranz.

der dahin gehe, daß das Grab mit einer passenden Umgebung als evangelischer Friedhof erklärt werde, wurde wenig höflich

behandelt und erreichte nichts.

Dagegen wurde der Friede des

Sterbehauses und des Leichenbegängnisses durch eine lärmende

Menge gestört, so daß die katholische Schwägerin sich in der Erregung umdrehte und den Leuten Worte tiefster sittlicher Ent­

rüstung zurief, auch in diesem Sinn dem evangelischen Pfarrer gegenüber sich äußerte (Prot. Taschenbuch S. 731 ff. nach der K.K.). — In Alfen bei Paderborn wurde die katholische Frau eines Evangelischen trotz katholischer Kindererziehung beschieden, ihr Mann müsse in der Selbstmörderecke begraben werden (trotz dem Gesetz vom 15. III. 1847, wonach gerade in Westfalen „die aufgenommenen Kirchengesellschaften einander wechselweise in Er­

mangelung eigener Kirchhöfe ein nach dem Religionsgebrauche

des Verstorbenen und unter Mitwirkung eines Geistlichen seiner

Konfession zu feierndes Begräbnis nicht verweigern dürfen). — Aus dem, ebenfalls westfälischen, Hattingen wird die Schän­ dung evangelischer Grabdenkmäler gemeldet (Wartburg III4,38).

Daß die Intoleranz an Sterbebetten und Friedhöfen ganz besonders auch in politisch schwierigen Gegenden gedeiht, hat der

aufmerksame Leser schon den meist aus französischem Sprach­ gebiet stammenden lothringischen Proben entnommen.

Es be­

stätigt sich, wenn wir ein politisch so heikles Stück Preußen be­

treten, wie es Schlesien ist.

Nach einem Bericht der Schles.

Ztg. Nr. 7 aus Weiß wasser versagte der Kurat John dem Glasschleifermeister Olbrich die Sterbesakramente und die kirch­ liche

Beerdigung

erziehung.

wegen

Mischehe

und

evangelischer

Kinder­

An die Witwe aber schrieb dieser Diener Christi:

der unglückselige Tod Ihres Mannes, der mir noch

in den

letzten Zügen grob begegnete mit den Worten „man soll jedem

seinen Glauben lassen" (wie grob!), ist ein furchtbares Gottes­

gericht (Wartburg III 3,27). — Wie die politischen Leiden­

schaften die Exklusivität bis ans Grab noch steigern, haben 1903 die priesterlichen Wahlbeeinflussungen in Schlesien ergeben, die

durch den Strafantrag des Kardinals Kopp gegen eine darauf

1. Römische Intoleranz: Schlesien, Hohenzollern, Thüringen.

17

lautende Anklage der polnischen Presse ans Licht gekonimen sind:

wer gewisse.... Zeitungen liest, wird nicht absolviert und nicht kirchlich beerdigt. Friedhof und kirchliches Begräbnis wird

durch politische Agitation entweiht: gelegentlich eines Prozesses gegen Vorwärts-Redakteure hat sich herausgestellt, daß in Ober­ schlesien der Kirchhof zur Verteilung von Flugblättern mißbraucht worden ist (Wartburg III4,39). Der Polenhaß gegen das

Deutschtum, der wie jede partikularistische Gesinnung von den Ultramontanen — mindestens von einer starken Strömung innerhalb des Ultramontanismus — genährt und geschürt wird, betätigt sich u. a. auch in der Zertrümmerung von Grabmälern auf evangelischen Kirchhöfen (vgl. Wartburg III 24, 250). — In Neusalz a. d. Oder fand am 18. XI. 1904 die erste alt­ katholische Beerdigung statt. Die Verstorbene war römischkatholisch gewesen, doch hatte ihr der römische Kaplan wegen man­ gelnder Kirchlichkeit die Einsegnung verweigert (ebenda III 51). — In Breitenau (bei Hillersdorf) brachte gleich der erste Tag dieses Jahres einen Friedhofskandal. Der dortige Pfarrer Sulok weigerte sich, ein acht Monate altes evangelisches Kind auf dem Ortsfriedhof bestatten zu lassen, da die vier Stunden entfernte evangelische Pfarrgemeinde einen eigenen Friedhof besitzt. Erst auf dem Wege über die Behörden konnte der Vater die Be­ erdigung seines Kindes (die sich fünf Tage lang hinzog) er­

zwingen, wobei dem verstorbenen Kinde aber erst noch der Platz

bei den übrigen Kindergräbern verweigert wurde, da der Fried­ hof „eine Abteilung für die Evangelischen" habe! — wovon

bisher kein Mensch etwas wußte (ebenda IV 6, 58). In dem hohenzollerischen Beuron wurden anno 1889 einem beim Bahnbau verunglückten Evangelischen, namens Jak. Kiefer aus Württemberg, von den auf dem dortigen Friedhof zuständigen Benediktinern, Bundesbrüdern also von Herrn

Benzler, die geweihte Erde und die geweihten Glocken (!) ver­

weigert, unter Berufung auf eine Verordnung der Erzdiözese Freiburg vom Jahre 1859; der Mühe, für den Ketzer extra ein Stück Land zu entweihen, blieben die Klosterbrüder (die im Goes, Friedhofsfrage. 2

18

Kapitel I.

Friedhofs-Intoleranz.

übrigen gelobt werden) dadurch überhoben, daß unter den be­

zeichneten Umständen die Leiche in das Württembergische Städt­ chen Tuttlingen transportiert und dort in ungeweihter, aber heimatlicher Erde beigesetzt wurde (Schwäb. Chronik vom 10. u.

22.1.1889). Eine eigentümliche Sorte von Achtung vor dem Ruheplatz der Toten verrät, was die Wartburg (III 49, 486) aus Thü­

ringen meldet. Am evangelischen Friedhof in Jena wird eine katholische Kirche gebaut. Ohne Berechtigung und ohne Anfrage bei der evangelischen Gemeinde führte man die Baumaterialien über den Friedhof, lagerte sie dort und beschädigte dabei Gräber. Trotz der Aufforderung an den katholischen Kaplan, binnen

fünf Tagen Abhilfe schaffen zu lassen, trieb man's ungeniert so weiter. Die hierauf eingerichtete Wegsperre wurde mehrfach ge­ waltsam entfernt. Dabei hat die katholische Gemeinde einen eigenen vollkommen zureichenden, nur etwas beschwerlichen Weg zum Bauplatze. Erst nach Androhung des gerichtlichen Straf­ verfahrens suchte ein katholisches Gemeindeglied zu vcrinitteln, aber ohne von der katholischen Gemeinde rechtlich autorisiert zu sein. In Bayern bezieht sich die römische Unduldsamkeit meist auf das Friedhofsglockengeläute. Dieses wurde in dem unterfränkischen Wiesentheid einer evangelischen Frau bei der Überführung ihrer Leiche in das benachbarte Heimatsdorf versagt,

nachdem sie 50 Jahre lang im Orte als Wohltäterin gewirkt hatte (Wartburg II 38, 359). Dieselbe Strafe für ihr evan­ gelisches Bekenntnis erhielt eine Beamtenfrau in Wemding, als

ihre Leiche zum Bahnhof überführt wurde (ebenda III 7, 70). Der bischöfliche Erlaß, auf den sich diese Praxis beruft, steht jedenfalls in direktem Widerspruch mit der bayrischen Verfassung,, vgl. § 103 der II. Verfassungsbeilage: der Glocken auf den

Kirchhöfen kann jede öffentlich aufgenommene Kirchen­ gemeinde bei ihren Leichenfeierlichkeiten gegen Bezah­ lung der Gebühr sich bedienen. Eine ganze Reihe von ver­ fassungswidrigen Verweigerungen des Friedhofgeläuts stellen die

1. Römische Intoleranz: Bayern.

19

„aktenmäßigen Materialien zur Beurteilung der Lage der bayrischen Protestanten, eine Denkschrift aus dem

Jahre 1904" zusammen. Im Jahr 1896 starb der protestantische Ökonom Gries in Stadelberg (Oberbayern) und wurde durch den protestantischen Reiseprediger von Tölz auf dem Kirchhof Parsberg bei Miesbach beerdigt. Hierbei wurde nicht geläutet, ob­ wohl die Kirche innerhalb des Kirchhofs stand und obwohl der

Verstorbene jederzeit die sogenannten Läutegarben nach Parsberg entrichtet hatte, wozu er anerkanntermaßen gar nicht verpflichtet

war. Da man dem Reiseprediger von der Verweigerung des Ge­ läutes vorher nichts mitgeteilt hatte, wurde er durch das Schweigen der Glocken bei dem Begräbnis überrascht. Nachher erfuhr er, der

katholische Expositus habe erklärt, die Gesetze verböten in solchen Fällen das Läuten. Auf des Reisepredigers Vorhalt behauptete nun dieser, der übrigens nur im Auftrag des ihm vorgesetzten Pfarrers von Miesbach gehandelt hatte, er kenne die Bestimmun­ gen der Verfassung; aber die Verfügung des erzbischöflichen Ordinariats, wonach geweihte Glocken für Akatholiken nicht gebraucht werden sollen, stehe ihm höher, und wenn durch das Bezirksamt etwa das Geläute erzwungen worden wäre, so würde er sich gegen das Vorgehen des Bezirksamts beschwert haben. (Das Verhalten des Staates in diesem wie in jedem andern Fall interessiert uns in diesem Zusammenhang nicht.) — Dieselbe Situation wiederholte sich anno 1897 in dem unterfränkischen Obereßfeld. Mit wünschenswerter Deutlichkeit erklärte der katholische Pfarrer dem Bezirksamt gegen­ über, weltliche Besümmungen, wenn sogar in der Verfassung begründet, kämen hier nicht in Betracht, denn die bayrischen Pfarrer würden nie die sogenannte II. Verfassungsbeilage an­ nehmen; eine Verfassung müsse sich auf Recht und Ehre gründen; er weiche nur der Gewalt. — Welche zeitraubende Weiterun­

gen, was für unwürdige und verbitternde Schikanen auch mit der bayrischen Manier der Friedhofsglockenverweigerung sich manchmal verbinden werden, läßt folgende Geschichte aus demselben Ober­ eßfeld ahnen. Dort starb Ende 1902 ein protestantischer Knecht 2*

Kapitel I.

20

Friedhofs-Intoleranz.

und sollte von dem zuständigen evangelischen Geistlichen von

Sulzdorf beerdigt werden.

Das Bezirksamt Königshofen hatte

telegraphisch das durch rechtskräftigen Beschluß den Protestanten

zuerkannte Geläute verfügt, der Bürgermeister von Obereßfeld den Pfarrer in Sulzdorf benachrichtigt, daß alles bereit ist, der Leichenkondukt war zur Stelle — aber der katholische Pfarrer erklärte den Protestanten direkt: es wird nicht geläutet und hatte

auch schon nach allgemeiner Aussage den Schlüssel zum Glocken­

turm an sich genommen.

Vergeblich beschwerte sich von Ort

und Stelle aus der protestantische Pfarrer telegraphisch beim Bezirksamt, während der Lcichenkondukt wartete und die frieren­ den Schulkinder — es war Sylvester — von freundlichen Leuten in die warme Stube ausgenommen wurden.

Vom Bezirksamt

trifft zwar prompt telegraphische Nachricht an die Harrenden

ein, daß der Bürgermeister wiederholt angewiesen sei. steckt denn die Ortspolizeibehörde?

Aber wo

„Er ist beim Pfarrer, der

läßt ihn nicht 'raus" heißt es, und wie er endlich kommt und

von etlichen Sulzdorfern zur Rede gestellt wird, erklärt er: „Der Herr Pfarrer leidet's nicht und ich tu's nicht."

Diesmal tun es

aber auch die Protestanten nicht, daß sie nämlich auf ihr Recht

verzichten, denn sie gehen nach Sulzdorf zurück und lassen den

Sarg stehen.

Die Leiche wird darauf in einem Gelaß des Ge­

meindehauses untergebracht, und zwar in der wenig aufgeräumten

alten Schmiedewerkstatt. verdammter Ketzerleib.

Es ist ja auch nur ein armer und Erst wie am nächsten Tag durch Be­

zirksamt und Gendarmerie die telegraphische Nachricht nach Sulz­

dorf zum protestantischen Pfarrer gelangt, daß alles bereit sei, begibt sich ein großer Kondukt aus den benachbarten Gemeinden nach Obereßfeld, um dem Glaubensgenossen die letzte Ehre zu

erweisen.

Eine Anzahl Gendarmen waren vorausgegangen und

hatten inzwischen vergeblichen Protesten gegenüber den Zugang

zu den Glocken erzwungen.

Wie aber nun der Leichenkondukt

am Gemeindehause anlangt, ist, um allem die Krone aufzusetzen, die Leiche eingeschlossen und der Schlüssel zum Gemeindehaus

nicht zu finden.

Erst auf die Drohung hin, daß man die Türe

1. Römische Intoleranz: Bayern.

21

aufbrechen werde, kommt der Schlüssel zum Vorschein und nun

kann die Handlung dank den umsichtigen polizeilichen Vor­ kehrungsmaßregeln vor sich gehen, und unter dem Glockengeläute wird der Verstorbene zu Grabe getragen. Also geschehen am 31. XU. 1902 in Bayern. — Im September 1903 war in dem katholischen Dorfe Burghaselbach in Oberbayern ein als Hopfenpflücker arbeitender Protestant Hammerbacher plötzlich auf

Nach telegraphischer Mitteilung der zu­ ständigen Gemeindeverwaltung sollte die Beerdigung am Nach­ mittag des 6. September in dem 3/4 Stunde entfernten Pfarr­ dorfe Altenkirchen stattfinden. Als der protestantische Geistliche freiem Feld gestorben.

von Allershausen in Vertretung des protestantischen Pfarramts in Freising rechtzeitig ankam, erfuhr er, daß die Leiche noch gar nicht von Burghaselbach herbeigeschafft worden war. Erst nach langen Auseinandersetzungen ließen sich die zuständigen Personen zur Abholung der Leiche herbei. Inzwischen besuchte der prote­ stantische Pfarrer den katholischen Ortspfarrer, um u. a. über das Grabgeläute mit ihm zu verhandeln. Dieser gab von der Tür des Zimmers aus folgende Erklärung: nach der rechtlichen Lage der Dinge kann ich Ihnen das Geläute nicht verweigern, aber Sie wissen, im Namen meiner vorgesetzten Kirchenbehörde muß ich gegen die Benutzung der Kirchenglocken Protest einlegen. Nach einigen Einwürfen des protestantischen Pfarrers, der an die

von evangelischer Seite in solchen Fällen stets geübte Duldsamkeit (Bayr. Denkschrift S. 8), sowie an die klaren Worte der Ver­ fassung erinnerte, erklärte der Ortspfarrer, seinerseits die Be­ nutzung als ihm gewissermaßen unbekannt ignorieren und gestatten zu wollen, wenn der protestantische Pfarrer Leute hätte, welche das Geläute besorgten. Die Beerdigung ging ohne Störung unter großer Beteiligung der Katholiken vonstatten. Erwachsene läuteten freiwillig. sNach einer Mitteilung des evangelischen Pfarrers Pfeuffer von Oberallershausen.s Daß die protestantischen Bayern das moralische Recht haben, solche Proben eines nicht bloß intoleranten, sondern auch gesetzwidrigen Systems zu geißeln, dafür nur zwei Belege. In Fessenheim, einer durchaus evangeli-

22

Kapitel I.

Friedhofs-Intoleranz.

schen Gemeinde, starb während des Manövers ein katholischer

Soldat.

Es wurde nicht nur das verfassungsmäßig garantierte

weil auf dem Friedhof befindliche Grabgeläute gewährt, sondern der protestantische Pfarrer geleitete unter den Klängen der Glocken

die Leiche in feierlichem Zuge zum Ort hinaus [bestätigt vom Ortspfarrer Gürschings. Zweitens: Bei der Beerdigung eines in dem protestantischen Dorfe Bühl (1895) gestorbenen katholi­ schen Fabrikarbeiters wurden nicht nur die Friedhofsglocken dieses Ortes, sondern auch die Glocken der Gottesackerkirche

des nächsten Dorfes geläutet, während der Zug sich hindurch bewegte [bestätigt von Pfarrer Dorn in Nördlingen). Ange­ sichts dieser mehr als entgegenkommenden protestantischen Praxis staunt man über den Mut des bischöflichen Ordinariats, eine Instruktion hinauszugeben, die wenig gastfreundlich aussieht (Denkschrift S. 71 f.). Übergriffe andrer Art meldet die genannte Denkschrift aus Laudenbach bei Karlstadt (Unterfranken). Dort war anno 1900 noch der Friedhof Eigentum der politischen Gemeinde. Als ein vor der Taufe gestorbenes Knäblein nach der Bestim­ mung des Bezirksamts nicht am Platz für totgeborene Kinder, sondern in der Reihe der verstorbenen Kinder beerdigt werden sollte — wie denn auch die Friedhofsordnung keine Bestimmung enthält, wonach ungetaufte aber lebend geborene Kinder an be­ sonderem Platz zu beerdigen wären —, da übte der katholische Pfarrer dermaßen einen Druck auf den doch allein über die Friedhofsordnung gesetzten Bürgermeister aus, daß dieser dem

protestantischen Pfarrer erklären konnte, wenn es Hochwürden nicht erlaube, könne er auch nichts dagegen machen. Die Be­ erdigung mußte zunächst unterbleiben. Unter Überwachung des Bezirksamtsassessors mußte dann das Grab gegraben werden. Daraufhin beschwerte sich der katholische Pfarrer bei der kgl. Regierung, da es sich um ein ungetauftes') Kind handle, und

*) Wie hier auf einmal die evangelische Taufe hoch im Preise steht, die doch in andern Fällen null und nichtig ist!

1. Römische Intoleranz: Bayern und Württemberg.

23

stellte Antrag auf Ausgrabung. Die Beschwerde wurde glück­ licherweise verworfen. — Übergriffe nicht auf das weltliche Ge­ biet, sondem auf das eines nicht-katholischen Glaubens enthält ein durch einen Erlaß der kgl. Regierung von Unterfranken (v. 17. III. 1891, Nr. 5537) belegter Fall.

Die am 21.11.1891

im Juliusspital zu Würzburg gestorbene Schlelein war,

vor allem durch die Schuld des Wartepersonals, ohne den Zu­ spruch eines protestantischen Geistlichen geblieben. Ihrer Mutter

gegenüber äußerte sie sich ganz unzufrieden mit der Pflege und mit dem katholischen Wesen, das sie umgebe. Trotzdem soll sie zwei Stunden vor ihrem Tode, in einem Zustand, der nach der Äußerung der Ärzte die freie Willensmeinung ausschloß, in längerer Rede gewünscht haben, noch katholisch zu werden, um dann auch katholisch beerdigt werden zu können. Ganz abge­

sehen davon, daß § 10 der II. Verfassungsbeilage eine Erklärung von Konvertiten vor den zuständigen Geistlichen beider Konfes­ sionen verlangt, genügt es wohl, darauf hinzuweisen, daß die Wärterin, weil sie als unzuverlässige und unwahrhaftige Person in dieser Angelegenheit sich erprobte, aus ihrer Stellung ent­ lassen wurde. — S. 23 bringt die Denkschrift eine beglaubigte Erklärung des katholischen Fabrikarbeiters Bentele, dem im Beichtstuhl gesagt worden ist, wenn er seine Kinder nicht katho­ lisch werden lasse, sei er samt seinen Kindern des Teufels und

könne nicht absolviert und kirchlich beerdigt werden. — Bände spricht das Wort eines Totengräbers zu einem evangelischen Prediger vor einer Beerdigung: wenn's auch ein protestantisches Kind gewesen sei, solle es doch ein christliches Begräbnis in der Reihe bekommen (Denkschrift S. 57). — — In eigentümlichem

steht es, wenn der Würzburger Leichenwärter Keh, nachdem er wegen grauenvoller Leichen­ schändungen verhaftet worden ist und sich im Gefängnis entleibt Kontrast

zu dieser Praxis

hat, ein solennes Begräbnis erhält (angeblich, weil er sinnver­ wirrt gewesen sei) Wartburg II41, 395, vgl. oben I la Schl. — Von dem Rottenburger Bischof, der sich so gewaltig ge­

mausert hat, sei ein einziger Erlaß angeführt, der einen Katholi-

24

Kapitel I.

Friedhofs-Intoleranz.

feit aus der Kirche ausschließt wegen des durch die protestantische Trauung mit einer vom Mann geschiedenen Protestantin be­

gangenen Verbrechens der Doppelehe.

„Stirbt er in dieser Ver­

bindung ohne Reue und Buße, so ist ihm das katholische Be­ gräbnis zu verweigern" (Schwäb. Merkur 1905, 18). Ob wohl der Fürstin Bülow auch das kirchliche Begräbnis verweigert wer­ den wird? — Noch eins aus demselben Württemberger Land. Bei der Beerdigung des katholischen Stadtschultheißen von Barten­ stein hat angesichts einer zum größten Teil evangelischen Leichen­

begleitung der katholische Pfarrer es als eine große Sünde des Verstorbenen bezeichnet, daß er einen Teil seiner Kinder evangelisch erziehen ließ, wenn er freilich diese Sünde durch Genehmigung

der Niederlassung barmherziger Schwestern „wieder gutgemacht" habe (Wartburg HI 43, 431). Ohne voreilig verallgemeinernde Schlüsse aus diesen Fällen ziehen zu wollen, Eine Tatsache drängt sich uns doch außer den oben festgestellten unabweisbar auf: der Haupthaß der Fana­

tiker unter unsern römisch-katholischen Mitbürgern richtet sich gegen den Staat, er gilt fast noch mehr als der Protestantismus als der eigentliche Feind, dem man offen Fehde ansagt und den Gehorsam kündigt. Deshalb kommen Friedhofskandale hauptsächlich in den Teilen unsres Volkes vor, wo ohnehin zentrifugale antinationale Strö­

mungen mächtig sind.

c) Österreich-Ungarn. Das Land, in dem Rom seine intolerante Friedhofpraxis am ungehemmtesten und erfolgreichsten entfalten darf, ist Öster­

reich-Ungarn, speziell Österreich.

Obgleich wir gewiß nicht zu

unsrem Schaden durch Bismarcks Verdienst von Österreich los­ gekommen sind, verfolgen wir doch mit der größten Teilnahme

die Schicksale des Deutschtums in diesem buntscheckigen Lande, zumal seitdem wir mit reichsdeutschen Hilfskräften, finanziellen wie persönlichen, die zukunftsfrohe „Los von Rom"-Bewegung fördern. Auch bei der Revue österreichischer Friedhofskandale

1. Römische Intoleranz: Oberösterreich, Salzburg, Steiermark.

25

werden wir die Empfindung nicht los, daß wir die Leidensge­

schichte von Menschen beschreiben, die von unsrem Fleisch und Blute sind. Es ist wohl kaum ein Kronland, das nicht sein Schulbei­ spiel oder mehrere zu unsrem Gegenstand lieferte, auch wenn wir

wiederum nur die jüngste Zeit berücksichtigen. Als ein öster­ reichischer Benzler betreibt der Bischof von Linz Dr. Doppelbauer das Projekt eines katholisch-konfessionellen Friedhofs

(Wartburg III 16, 172), und was er am Sitz seiner Diözese ausführt, damit „droht" (!) er anderwärts (ebenda 21, 220): er scheint demnach ein dunkles Gefühl für das Feindselige dieser so harmlos aussehenden Maßregel zu haben. — Die Praxis der Selbstmörderecken ist in Österreich so geläufig wie in Lothrin­

gen, obwohl — wie ich schon hier anführen will — ein Gesetz vom 25. V. 1868 Abs. V Art. 12 verfügt: Keine Religions­

gemeinde kann der Leiche eines ihr nicht Angehörigen die anständige Beerdigung aus ihrem Friedhof verwei­ gern, 1) wenn es sich um die Bestattung in einem Familiengrab handelt oder wenn 2) da, wo der Todes­ fall eintrat und die Leiche gefunden ward, im Umkreis

der Ortsgemeinde ein für Genossen der Kirche oder Religionsgenossenschaft des Verstorbenen bestimmter Friedhof sich nicht befindet. Nach einem Privattelegramm der Dresdener Nachrichten vom 5. VI. 1904 ist am 30. V. der Schriftsetzer Guretzy aus Zeitz bei Gastein (Salzburg) abgestürzt und auf dem katholischen Friedhof in Mallnitz im Selbstmörder­ winkel eingescharrt worden, da er Protestant war (Wartburg III 24, 224). — Die Heimat der meisten Friedhofskandale Österreichs und wohl überhaupt ist Steiermark. In Leibnitz und Hartberg wurde die Beerdigung von Protestanten in der bewußten Ecke mit der hämischen Bemerkung begleitet, der Selbstmörderwinkel sei der

protestantische Friedhof (ebenda I 8, 72). Dieses Hartberg scheint es überhaupt auf sich zu haben. Den Eltern des tüchtigen und beliebten 28 jährigen evangelischen Nawratil blieb nur die Wahl zwischen dem entehrenden Entweder, ihren Sohn auf dem „evan-

26

Kapitel I.

Friedhofs-Intoleranz.

gelischen Friedhof" zu Hartberg d. h. in diesem Fall bei den

ungetansten Kindern und den Selbstmördern zu beerdigen, und dem kostspieligen Oder, ihn nach Graz zu bringen (Tagespost Graz vom 20. IV. 1902). Als dann das evangelische Pfarramt gegen die Unterbringung Evangelischer an einem vom Volks­

mund als Schandwinkel charakterisierten Platz Beschwerde ein­ legte, begab sich auf Einladung der Bezirkshauptmannschaft eine Kommission auf den Friedhof. Diese Gelegenheit benutzte der

Dechant, um den Pfarrer Jlgenstein in verächtlicher Weise zu

behandeln und im gröbsten Unteroffizierston anzupoltern, ja er erklärte geradezu: ich verbiete Ihnen hiermit, noch eine Leichen­ rede auf dem hiesigen Friedhofe zu halten. Bezeichnend ist die

Erklärung, womit er sich nachher im Protokoll verewigte: wie sie im Leben geschieden sind, so sollen sie auch im Tode ge­ schieden sein. Bei der Besichtigung des Begräbnisplatzes stellte

sich nebenbei heraus, daß die Grabhügel auf den evangelischen Gräbern bis auf einen einzigen verschwunden waren, obwohl verschiedene noch nicht ein Jahr alt waren. Der Totengräber erklärte, er habe die Erde zum Anlegen eines neuen vom Herrn

Dechanten angeordneten Friedhofsweges gebraucht! (Grazer Tage­ blatt 1. V. 1904). Schon die nächste Nummer unsrer Quelle (2. V.) meldet einen „neuen Friedhofskandal" bei Hartberg: zwei Bahnarbeiter waren verunglückt, der katholische wurde ehrlich, der evangelische (Samuel Papst) in der Selbstmörderecke be­ erdigt. Der herzlich bittenden Berufung auf Matth. 5,7 setzte der unbarmherzige Priester die Berufung auf die geltende Friedhofs­ ordnung (!,?) entgegen. (Vgl. auch den Berner „Bund" Nr. 154 vom 2. VI. 1904). — In seiner Schrift „Glaubensfrühling in Steiermark" (Lehmann, München 1902) erzählt Vikar Schaudig in Graz von zwei Verweigerungen des anständigen Begräbnisses aus dem Januar und April 1901: kein Kreuz, kein Glockengeläut, das Grab in der Selbstmörderecke! Eine dem Gesetz entsprechende k. k. Anordnung an das katholische Pfarramt

Fehring kam schon zu spät (S. 45). — Dechant

Hetzl in

Mahrenberg scheint seinen Namen (abgesehen vom Diminutiv)

1. Römische Intoleranz: Steiermark.

27

nicht umsonst zu tragen: unter andern Proben von Glaubens­ eifer meldet die Wartburg (I 30, 272) auch die, er habe einen Totengräber, der einem Evangelischen ein Grab in der Reihe ausheben wollte, angeherrscht, daß er keinen Spatenstich mehr

tun dürfe, in diesem Sinn habe er auch an die Bezirkshaupt­

mannschaft telegraphiert (vgl. übrigens unten). — Als auf dem

Wildoner Ortsfriedhof Pfarrer Rühling aus Graz die Beerdi­ gung einer im dortigen Siechenhaus gestorbenen evangelischen

Frau vornahm, wurde er dabei durch den lauten Zwischenruf

des — Mesners gestört, der ihn „im Namen des Herrn De­

chanten"

aufforderte,

nicht

weiterzureden.

Mit der Andacht

war es natürlich vorbei und alles lief auseinander; ebenso natür­

lich ist, daß sich der Pfarrer genötigt sah, zu klagen (Wartburg

II 15, 144). Vielleicht sichert das Verbot der Teilnahme an evangelischen Begräbnissen, das auch in Österreich nicht selten vorkommt und z. B. von dem fanatischen Dechanten Kogler von Rottenmann febendaf eingeschärft worden ist, da wo es beachtet wird, die Evangelischen gegen die Wiederholung solch unwürdiger

Szenen!

Den Geist, der solche Erlasse und Skandale zeitigt, bringt

kurz und faßlich ein Hirtenbrief des Fürstbischofs von Seckau-Graz (V. 1903) auf den Begriff, es heißt darin: man sündigt durch

den Verkehr mit Nichtkatholiken (Wartburg II 23, 216). Es gibt freilich sogar Geistliche, die cs fertig bringen, so — inkonsequent zu sein, daß sie diesen Verkehr pflegen, die Gast­ freundschaft

evangelischer

Häuser annehmen und nachher den

bewußten Winkel als für ihren toten Gastgeber gut genug er­

achten: so der Psarrprovisor Unger bei dem Tod des evange­ lischen Zimmermeisters Adloff in Weiz (5. IX. 1903).

schwächliche Antwort der Behörde,

Die

die auf die Berufung des

evangelischen Pfarramts einlief, wird den Mann in seinem ebenso gesetzwidrigen als gehässigen Verhalten noch bestärkt haben (Wart­ burg II 39, 372). Nach der Ev. KZ. f. Ö. (15. VIII. 1904)

hat

eine

durch

Priester

verhetzte

Betschwester (!)

bei

einem

römischen Leichenbegängnis im Steirischen einer übergetretenen Nachbarin gegenüber schmähende Äußerungen über den Prote-

28

Kapitel I.

Friedhofs-Intoleranz.

stantismus getan, die ihr 10 Tage Arrest eintrugen.--------- In

Fürnitz (Kärnten) war für die evangelische Elisabeth Mikl,

gestorben am 2. Mai 1901, obwohl ihr Mann und ihre Kinder katholisch waren, nach Anweisung des Priesters ein Grab an jenem verwahrlosten, der Verunreinigung preisgegebenen Platz ausgehoben worden. Dem evangelischen Pfarrer Heinzelmann

von Villach, auf dessen eingehenden Bericht ich mich stütze (vgl. auch Wartburg I, 14), blieb nichts übrig, als den Sarg bis zum Eintreffen der behördlichen Entscheidung (diese wurde selbstver­ ständlich angerufen) in der Totenkammer beisetzen zu lassen. Da für jene Entscheidung die Darstellung des Priesters den Aus­ schlag gab, wurde „bis zur endgiltigen Entscheidung" verfügt, daß der Sarg an der verödeten Stelle hinter der Kirchhofs­

mauer begraben werde. Diese nahm mit der Zeit eine klägliche Gestalt an, üppig sproßte darauf das Unkraut, und der am

Kirchendach abfließende Regen hatte quer darüber hinweg eine breite tiefe Furche gezogen. Wir kommen in andrem Zusammen­ hänge auf den Fall zurück (vgl. I 4). — Wenn die Evan­ gelischen auf den Friedhöfen von autoritativer Seite beschimpft und gestört werden, dann kann man sich nicht wundern, wenn in Laibach sich eine Gerichtsverhandlung *) mit einfachen Frauen beschäftigen muß, die sich auf einem evangelischen Friedhof un­ anständig benommen haben (Wartburg II 47, 451). Ein größeres Kontingent von Störungen und Entehrungen stellt wieder das schöne aber schwarze Land Tirol. Als der sein Lebtag für den Ruhm Österreichs tätige bei Novara und Oeversee schwer verwundete General Prinz Wilhelm von Württem­

berg zu Meran auf dem protestantischen Gottesacker beerdigt wurde, verweigerte die katholische Kirche das Glockengeläute, und später schrieb der „Burggräfler" höhnisch, an dem ganzen Leichenzug sei nichts Christliches zu entdecken gewesen (Ev. KZ. f. Ö. vom IV. 1904). — In Bozen drängte sich anno 1895 ein römischer Priester

*) Von den Frauen wurde die eine zu fünf, die andre zu sieben Tagen

strengem Arrest verurteilt.

1. Römische Intoleranz: Kärnten, Tirol.

29

in die Leichenhalle und rief mitten in die Versammlung: Protest,

Protest!

Er las einen Protest des Dekans Wieser (der seit

18 Jahren derartige Störungen verursachte, obwohl es ihm schon 1878 vom Magistrat als gesetzwidrig untersagt ward) gegen die

kirchliche Beerdigung auf dem Kirchhof, der nur für Katholiken bestimmt sei. Antwort aus der Trauerversammlung, in der viele Katholiken waren: Pfui Zelot, Ruhe!

Am Grabe abermalige Unterbrechung. Nachher ist in der Rechnung der Sakristeidirek­ tion zu lesen gewesen: Priester, Protest verlesend, 1 fl! (Chron. der Christi. W. 1895 S. 467, 1896 S. 23, 37. Ev. KZ. f. Ö.

vom 1. VII. 1904). — In Schwaz schob man wieder einmal einen Selbstmörder auf den „evangelischen" Winkel des städtischen Friedhofs ab. Ganz recht, sagt dazu die Ev. KZ. f. Ö. vom 1. VH. 1904, unter einer gewissen Klasse tief schwarzer Pharisäer würden solche Sünder noch zu hell schimmern. Daß die Intole­ ranz in Tirol besonders häßliche und verächtliche Formen an­

nimmt, geht auch aus Vorgängen hervor, die die Jahres­ berichte der evangelischen Kirchengemeinden A. und H. C. Inns­ bruck bringen; zwei davon liegen mir vor (1897 und 1902). In Thaur ward ein evangelisches Kind, das bei katholischen Leuten in der Pflege war, vom katholischen Pfarramt ohne Wissen der evangelischen Mutter noch einmal getauft; bald darauf starb es. Dem zur Beerdigung erschienenen evangelischen Pfarrer von Innsbruck wurde in brüsker Weise der ärztliche Totenschein ver­ weigert und dem Totengräber verboten, ein Grab zu graben. Darauf hin schritt zwar die Behörde ein, als aber der evan­ gelische Pfarrer noch einmal persönlich den katholischen um

Herausgabe des Totenschaubefunds ersuchte, wurde er von diesem mit den heftigen Worten zurückgewiesen: Ich werde Sie wegen Besitzstörung *) verklagen, wenn Sie die Beerdigung vornehmen (eine in Österreich geläufige Drohung der Intoleranten, aber auch sonst, vgl. I 2 b). Der Behörde gegenüber wußte sich dieser Glaubenskämpfer nicht anders zu verantworten, als mit *) Wie gesetzeskundig auf einmal!

Kapitel I.

30

Friedhofs-Intoleranz.

den Worten, jener Herr, der sich am 17. d. für den evangelischen Pfarrer ausgab, habe sich nicht auszuweisen vermocht und ledig­ lich eine Visitenkarte vorgezeigt.

Mit den von der jesuitischen

Moral empfohlenen Mitteln wird auch anderwärts gearbeitet. Schon vorher, am 18. XI. 1896, war im Spital in Zams bei

Landeck ein evangelischer Schlossergehilfe gestorben.

Der katho­

lische Dekan wollte die Leiche auf dem Gemeindefriedhof in der

Nacht einscharren lassen; nur den Protesten des Bruders des Verstorbenen ist es zuzuschreiben, daß das nicht geschehen ist.

Dagegen wurde auf dessen wiederholtes Verlangen, den evan­ gelischen Pfarrer von Innsbruck zur Beerdigung zu rufen, von

dem Dekan erwidert, unter gar keiner Bedingung dürfe der am Grabe sprechen.

So wurde zum größten Schmerz der evan­

gelischen Angehörigen dem Verstorbenen jede geistliche Assistenz versagt und auf einem Winkel des Friedhofes, auf dem tags zuvor noch ein Schutthaufe war, ein Grab gegraben und dieses

durch ein Gitter von den übrigen getrennt, für welches von den Angehörigen noch 10 fl. verlangt wurden. Von allen diesen Vor­

fällen hat das evangelische Pfarramt damals keine Kenntnis er­ langt, da bei Übersendung des Totenscheins durch den Dekan von Zams (27. XI. 1896) dem evangelischen Pfarramt berichtet

wurde:

„Der Bruder des Verstorbenen erklärte... den evan­

gelischen Pfarrer nicht berufen zu wollen!" — Auch in Willen

bei Innsbruck — erzählt derselbe Jahresbericht — wollte der Totengräber dem evangelischen Pfarrer das Betreten des Ge­

meinfriedhofes verweigern und mußte die Intervention der po­

litischen Behörde

lästige Störung

angegangen

werden,

hintanzuhalten.

Da

um für künftig solche

und

dort

im

heiligen

Land Tirol wird durch einen mehr oder weniger unwürdigen

Anbau ein Selbstmörder- und Ketzerfriedhof geschaffen, so z. B. in Imst. Derselbe Jahresbericht (1902) meldet aber auch Über­

griffe, deren Urheber von jeder Ehrfurcht vor fremder Überzeugung, ja vor dem Heiligtum

einer Überzeugung,

bar sein müssen:

„mehrfach ist es vorgekommen, daß Evangelische ohne Wissen

des evangelischen Pfarrers katholisch beerdigt wurden, in einem

1. Römische Intoleranz: Böhmen.

31

Fall geschah die Beerdigung eines Kindes auch ohne die Ver­

ständigung der evangelischen Mutter".

Rücksichtslosigkeiten

gegen

Taktlosigkeiten und

Evangelische,

evangelische Geistliche scheinen eine

besonders

spezifisch tirolische Be­

gleiterscheinung römischer Friedhofsintoleranz zu sein.

Als, um

ein letztes Beispiel anzuführen, in Tramin ein dort ansässiger

evangelischer Maler beim Baden ertrank, wurde er ohne Be­

nachrichtigung des evangelischen Pfarramts in unqeweihter Erde bestattet (Wartburg I 17). In dem böhmischen Mühlbach bei Eger, wo schon vor

beinahe 40 Jahren ein evangelisches Leichenbegängnis dem katho­ lischen Pfarrer Anlaß zu skandalösen Ehrenbeleidigungen und

empörenden Gemeinheiten gegen den evangelischen gegeben hat (diese Ausdrücke gebrauchte damals ein katholischer Zuhörer des

Priesters) — dort wurde in neuester Zeit (15. IX. 1904) der evan­

gelische Töpfergeselle Walther trotz allem geistlichen und weltlichen Protest in der Selbstmörderccke begraben (Evang. Gemeindebl. f.

Eger u. Umgebg. Oktober 1904).

Im selben Jahre geschah es zu

Neuhaus am 29.V., daß der stattliche Leichenzug von ca. 500 Personen, der die Tochter des allgemein geachteten Otto Jung­ mann begleitete, nicht durchs Haupttor sondern durch ein Neben­

tor in den Friedhof eingelassen wurde; dann führte der Toten­ gräber den Zug an die Mauer zur Selbstmörderreihe.

Als der

evangelische Pfarrer, um keinen Tumult zu verursachen,

die

Leichenrede hielt, aber dem Totengräber zunächst die Schließung

des Grabes verbot und nachher mit Jungmann beim Propst Dr. Krak sich beschwerte, da hatte dieser die Stirn, zu drohen mit einer Anklage wegen der dem Totengräber erteilten An­

weisung, durch die der Mann gegen den Propst als Verwalter des Friedhofs aufgehetzt worden sei (vgl. unten), Ev. KZ. f. Ö. v. 15. VI. 1904. — In Teschnitz bei Saaz starb im November

oder Dezember 1899 eine evangelische Förstersfrau.

Obgleich

der römisch-katholische Pfarrer oft die Gastfreundschaft des Förster­ hauses genossen hatte (vgl. oben!), weigerte er sich, die Verstor­

bene in der Reihe beerdigen zu lassen und ließ ihre Beerdigung

32

Kapitel I. Friedhofs-Intoleranz.

im Selbstmörderwinkel anordnen.

Kurator Lüdersdorf von der

evangelischen Gemeinde Saaz mußte die Hilfe der k. k. Bezirkshauptmannschast anrufen, um dies zu verhindern (ebenda 1899, Nr. 24, S. 387—388). — Daß auch in Böhmen zur Verschärfung des konfessionellen Gegensatzes der nationale, d. h. der Gegensatz gegen das Deutschtuni, beiträgt, wie sonst so auch in der Friedhofs­

frage, läßt sich denken. Am 25. IX. 1903 nachmittags 4 Uhr sollte das Kind einer evangelischen Fabrikarbeiterin aus Markelsgrün namens Heß begraben werden auf dem Kommunalfriedhof von Lichtenstadt, zu welchem auch die Markelsgrüner ihre Bei­ träge leisten. Der evangelische Vikar Zinser, der zur Leitung des Aktes erschienen war, fand das Grab am Selbstmörderfleck. Angeblich geschah dies auf Anordnung des Bürgermeisters Müller, in Wahrheit auf Veranlassung des tschechisch-katholischen Pfarrers,

der manchmal freilich auch anders kann — nämlich gegen gute Bezahlung. Ganz an der Mauer, in einer den andern Gräbern entgegengesetzten Richtung, halb von einem Felsblock bedeckt, so daß der Sarg mehr in stehende Lage hätte gebracht werden

müssen: so fand man das Grab.

Die dagegen Protestierenden

mußten drei Stunden lang am Friedhof warten, bis ein zweites Grab ausgehoben wurde, das sich jedoch auch noch auf dem Selbstmörderfleck befindet! Besonders übles Aufsehen erregte das

gehässige Eingreifen einer mit dem Priester befreundeten schwarzen Oberlehrersfamilie. Der Saazer Anzeiger (2. X. 1903) beurteilt den Skandal in erster Linie als eine Verirrung tschechischen Hasses gegen das Deutschtum. Dieselbe naive geistliche Anmaßung, die auf einem Kommunalfriedhof zu verfügen sich herausnimmt, wird von einem Pfarrer Isidor Walter gemel­ det, der in Klostergrab bei einer evangelischen Beerdigung auf

dem Kommunalfriedhof das Geläute der Friedhofsglocken ver­ sagte (Wartburg 18, 72). Derselbe hochwürdige Herr strafte eine Altkatholikin mit Verweigerung des katholischen Friedhofteils und

Bahrtuchs und ließ sich von den Evangelischen beschämen, die ihr Geläute zur Verfügung stellten (ebenda I 36, 332 und II 3, 28). Sehr geschmackvoll äußerte sich Pfarrer Zuklin von Boreslau,

1. Römische Intoleranz: Mähren.

33

der fanatische Hasser der lutherischen Reformation und konsequen­

terweise auch des modernen Staats, über einen Kommunalfried­ hof im allgemeinen, er nennt ihn ein Aasfeld (ebenda II 25, 236)

— eine Charakteristik, die an die römischen Kraftausdrücke über die Zivilehe erinnert, die z. B. eine berühmte deutsche „Moral­

theologie" einen stinkenden Konkubinat nennt.

Auf dem Fried­

hof zu Brüsau in Mähren sollte am Dienstag den 15. HL 1904 das Söhnchen des evangelischen Schneidermeisters H. beerdigt

werden.

Als die trauernde Mutter am Montag das Grab be­

stellte, wurde ihr von der Friedhofsverwaltung als Beerdigungs­ platz der Streifen an der rückwärtigen Kirchhofmauer angewiesen,

auf dem in der rechten Ecke mehrere katholische Selbstmörder liegen, in der linken ein jüdischer. Das mittlere Stück dieses Teils

sei seinerzeit bei der Erweiterung des Friedhofs aus besonderer „Liebenswürdigkeit" den Protestanten freiwillig zur Verfügung gestellt worden.

Da nun die Brüsauer Protestanten durchaus

keine Liebenswürdigkeit darin finden können, daß ihre verstorbenen

Angehörigen auf diesem abgesonderten Platz hinten bei den Selbst­ mördern beerdigt werden sollen, so verlangten Frau H. sowie der anwesende

evangelische

Geistliche,

Waitkat

aus

Zwittau,

die

Anweisung eines andern Platzes. Dieser wurde jedoch verweigert.

Darauf Beschwerde bei der Bezirkshauptmannschaft in Mährisch-

Die Be­

Trübau mit der Bitte um entsprechende Maßnahmen.

hörde verfügte denn auch, daß, falls der Friedhof oder auch nur der bei der Erweiterung hinzugekommene Teil Gemeindesache sei,

die Beerdigung

in der Reihe zu erfolgen habe,

wenigstens auf einem anständigen Platz.

andernfalls

Da nun bisher sowohl

die Friedhofsverwaltung als auch der Vertreter von Brüsau

versichert hatten, der neu hinzugekommene Teil sei Kommunal­

friedhof, so schien der Fall erledigt zu sein.

Da erklärte im

letzten Augenblick der katholische Pfarrer, der Friedhof, auch der neue Teil, sei konfessionell und verweigerte die Beerdigung in der Reihe, aber auch die Überlassung eines andern als des

angewiesenen Platzes, weil man diesem den Charakter der An­ ständigkeit nicht absprechen könne.

Goes, Friedhofsfrage.

(Freilich widersprach sich der

3

34

Kapitel I.

Friedhofs-Intoleranz.

Herr Pfarrer selbst, als er im Laufe der Verhandlung erklärte,

zugeben zu müssen, daß jener Platz für das Bewußtsein der katholischen Bevölkerung den beanstandeten Charakter habe.) Die Beerdigung mußte so verschoben werden, und das bereits ver­ sammelte Leichengefolge zerstreute sich wieder. Vikar Waitkat telegraphierte an die Bezirkshauptmannschaft, man solle amtlich fcststellen, wer eigentlich über den Friedhof zu verfügen habe, vorläufig aber die Überlassung eines anständigen Platzes an­ ordnen. Am Mittwoch morgen kam die telegraphische Antwort, daß eine Kommission Augenschein vornehmen werde, vorläufig solle die Leiche an dem beanstandeten Platz beerdigt werden. Darauf erfolgte am Nachmittag die Beerdigung, allerdings doch nicht hinten bei den Selbstmördern, sondern im anständigsten Teil des Friedhofes, in einem der Firma Bader gehörigen und

von ihr auf Ansuchen freundlichst zur Verfügung gestellten Fami­ liengrabe. Solche Brutalitäten erlaubt sich in Österreich die Kirche gegen den Staat und die Kommune (Ev. KZ. f. Ö., 15. IV. 1904). — Im selben Kronland geschah es, daß bei der Beerdigung der Tochter des evangelischen Papierfabrikdirektors Baumert in Olleschau dem Pfarrer Dedic von Olmütz das Halten einer Leichenrede verboten wurde. Als dieser sich an ein so gesetzwidriges Verbot nicht kehrte, erlaubte sich der Kaplan, mit brennender Zigarre, die natürlich den Friedhof nicht ent­ weihte, an den Redner heranzutreten und ihn, auf die Schulter klopfend, zu unterbrechen: er dürfe hier nicht reden (K.K. 1888,11). In dem galizischen Ort Lankut schritt zwar, als das Verbot des Reihengrabs einen österreichischen Offizier Eduard

Klimek zum Gegenstand hatte, die Bezirkshauptmannschaft ein. Was tun da die Fanatiker? um die geweihte Erde auf andrem Weg unmöglich zu machen, wurde das Grab tiefer als drei

Schuh gegraben: die Weihe reicht nämlich nur drei Schuh tief (K. K. 1887, 6)! Wie heißt doch jene Heilige, die Huß auf dem Scheiterhaufen zitierte?!

Endlich noch eine Geschichte aus Debreczin in Ungarn, die nicht gerade von Respekt vor den Gefühlen und Anschauungen

1. Römische Intoleranz: Ungarn, Frankreich, Schweiz, Italien usw.

Andersgläubiger zeugt.

35

Ein Katholik, dessen Frau reformiert

ist, will ein Kind zu seinen andern sechs hin auf dem reformier­ ten Friedhof bestatten. Der katholische Kaplan hält die Feier nach vorher getroffenem Übereinkommen gegen doppelte Stolgebühren. Als das bei den Reformierten übliche ihrer kultischen Einfachheit entsprechende Kopfholz am Grab aufgerichtet wurde, schrie der Kaplan: Wo ist der Vater, was will man mit dem Holz? Nehmen Sie es heraus, es ist für ein Aas, den Menschen errichtet man ein Kreuz. Dies in Gegenwart eines zumeist reformierten Publikums. Der Kaplan mußte infolge der allge­

meinen Entrüstung über diese Worte das Weite suchen, schrie aber noch zurück: Die werden nie auferstehn, die unter keinem Kreuze ruhn (K. K. 1891, 11). In Summa: die Friedhofsintoleranz ist in Öster­ reich-Ungarn gelegentlich von einer fanatischen Rück­ sichtslosigkeit begleitet, die weder vor unveräußerlichen Rechten Andersgläubiger noch vor dem Gesetz und seinen Wächtern Halt macht.

d) Ausland.

Von dem großartig einheitlichen, internationalen System römischer Intoleranz auch an Friedhöfen bekommen wir erst einen lebendigen Eindruck, wenn wir noch einen Augenblick seine Spuren in Ländern nicht-deutscher Zunge verfolgen. In

Truit-Anger (Frankreich) bekommt ein evangelisches Kind sein Grab in einem Winkel, wo nach Aussage des Totengräbers bis jetzt nur zwei schlechte Menschen begraben worden sind (K.K. 1888,7). Aus den Kantonen der Schweiz, wo die Katholiken in erdrückender Übermacht sind, wie Tessin, kommen Klagen über Verweigerung des Glockengeläutes, ja — auf telegraphischen Befehl! — des Schlüssels

zum Glockenturm (s. Bayern), so daß die Tür aufgebrochen werden muß; ja — man sollte es nicht für möglich halten — die Ver­ weigerung des Friedhofs kommt vor, so daß sich die Protestanten mit einem Ort außerhalb begnügen müssen. — In Eze, Bistum

Nizza, wurde über einen Friedhof wegen der Beerdigung eines 3*

36

Kapitel I.

Friedhofs-Intoleranz.

evangelischen Mädchens das Interdikt verhängt; zurückgenommen wurde es erst wieder, als die Verrichtung der kirchlichen Zere­ monien vor dem Friedhof großes Ärgernis erregte (nach der alt­

katholischen Wochenschrift „Der Katholik" in Bern 1904, Nr. 12).

Der italienische Graf Campello wurde, obwohl er seine alt­ katholische Periode noch bereut hatte, in einem Armensarg auf dem Armenfriedhof beerdigt (VII. 1903; vgl. Wartburg II 31, 296). In dem lombardischen Brivio wurde es von der Kanzel herab für eine schwere Sünde erklärt, daß einige an einem evangelischen Begräbnis teilgenommen hatten, weil der Tote kein Christ ge­

wesen und durch sein Begräbnis der Friedhof entweiht sei (Wart­ burg II 47, 452). Ganz wie bei uns. In Bosnien geschah es (nach der Ev. KZ. f. Ö. vom 15. XII. 1903), daß die grie­ chisch-katholische Frau eines römisch-katholischen Beamten auf ihren Wunsch nach orthodoxem Ritus „versehen" und begraben wurde. Drei Wochen später kommt (mit Genehmigung der Be­ hörde, aber) ohne Vorwissen des orthodoxen Geistlichen und Kirchengemeinderats ein römisch-katholischer Geistlicher, um durch

Einsegnung des Grabes nach römisch-katholischem Ritus dem ge­ fährdeten Seelenheil der orthodoxen Frau zu Hilfe zu kommen. — Wie gar wenig Achtung vor dem letzten Willen eines Sterbenden und welch bescheidene Ansprüche an Gemeinschaft setzt auch folgende von Prediger Bechler in Herrnhut (IX. 1903) erzählte Geschichte voraus! Ein zur Brüdergemeinde Übergetretener aus PoLrero (Kalifornien) lag im Sterben. Die Brüder standen um sein Bett, ebenso die noch heidnische Mutter. Auf deren Drohung, sie werde den Leichnam in ihrer Hütte verbrennen, versetzte der Ster­ bende: ich bin ein Christ und will neben meinem Weib und Kind auf dem Friedhof der Brüdergemeinde mein Grab haben. Bald darauf hauchte er sein Leben aus. Die Mutter wütete gegen die Christen

und ließ sich auch durch die Missionare nicht beruhigen. Da mischten Dieser taufte

sich die Katholiken darein und holten den Priester.

den Leichnam und begrub ihn auf dem katholischen Friedhof, ja taufte auch die noch tobende Heidin und die zwei Kinder dazu.

Ein

treuer Diener seiner Kirche, setzt die Wartb. (H 38, 360) hinzu.

I. Römische Intoleranz: Widernatürliche Folgen.

37

e) Unnatürliche Folgen eines unnatürlichen Systems. Gerichtet wird diese römische Intoleranz auch durch die unnatürlichen Konsequenzen und künstlichen Aus­

wege, die sie hervorruft. Der Redakteur des evangelisch­ protestantischen Kirchcnboten für Elsaß-Lothringen teilt mir folgende neuerdings in Münster (Oberelsaß) vorgekommene Ge­ schichte mit. Ein Katholik stirbt; sein Pfarrer verweigert die Beerdigung, weil Frau und Kinder protestantisch sind; die Familie wendet sich an den evangelischen Pfarrer Müller. Der sagt zu. Bürgermeister und Totengräber wollen das Grab auf der evangelischen Seite des Friedhofs herstellen lassen. Halt! ruft der evangelische Pfarrer, der Verstorbene ist katholisch: ich

beerdige ihn und begleite ihn wie jeden andern, aber in der Reihe der katholischen Gräber wird er bestattet. Was auch ge­ schah, und zwar so, daß der evangelische Pfarrer in Haus und Kirche, nebst Orgelsang und Glockenklang, alle üblichen Zeremo­ nien versah und den Sarg bis zum Grenzweg zwischen evange­ lischem und katholischem Kirchhof begleitete; dort wurde die Bahre niedergelassen und die Grabrede gehalten, darauf der Mann in katholischer Erde bestattet! — Wie oft fordert das römische System die Unnatur, daß Eheleute, die trotz der verschiedenen Konfession zusammenleben konnten, im Tode getrennt sein sollenl1) — Wenn der oben (auf S. 6) genannte Förster

') Daß man aber mit diesem System der Unnatur gute Geschäfte macht und der darin liegende gewalttätige Druck nicht umsonst ausgeübt

wird, beweist eine von der Tägl. Rundsch. (7. Hl. 1905) gemeldete Tatsache. Überschrift: Wie man in Lothringen einen neuen Fall Fameck ver­ hütet. Aufsehen erregt in Lothringen der Übertritt der Baronin R. de Schmitt zur katholischen Kirche. Herr Baron Paul de Schmitt ist der Bruder des bekannten Reichstagsabgeordneten.

Beide Brüder haben evangelische

Frauen genommen, zwei Schwestern aus einer alten reichsländischen Prote­

stantenfamilie.

Die Damen haben sich immer lebhaft an dem evangelischen

Gemeindeleben beteiligt und eine offene Hand für ihre Kirche gehabt. Wohl soll man oft versucht haben, sie zum Übertritt zu bewegen, aber sie haben alle diese Versuche tapfer zurückgewiesen.

Seit Neujahr war nun Frau

Kapitel I.

38

Friedhofs-Intoleranz.

Wagner, um nicht durch seinen protestantischen Leichnam das

Interdikt und zahllose Schikanierungen seiner katholischen Ver­ wandten herbeizuführen, sich zu dem Wunsch veranlaßt sieht, 14 km weit weg von seinen Lieben auf evangelischem Kirchhof

beigesetzt zu werden, so sind das verschrobene, der Menschlichkeit ins Gesicht schlagende Zustände, die nicht auf

ein gesundes,

sondern auf ein innerlich faules System schließen lassen.

Oft

erwachsen aus diesem System der Schikanen den Angehörigen

finanzielle Opfer,

die

evangelischen Eltern

sie

gar

nicht

erschwingen

in dem katholischen Irlich,

können, so so

daß

der

evangelische Pfarrer von Feldkirchen (Rheinprovinz), dem das Tor des („katholischen") Zivilfriedhofs (!) in Irlich kirchlich ver­ schlossen aber polizeilich aufgeschlossen ward, um einen weiteren

Ausbruch der von ihrem Pfarrer fanatisierten Menge zu ver­ meiden, lieber selbst die für auswärtige Leichen in Feldkirchen zu

zahlende Abgabe entrichtete (vgl. Protestant. Taschenbuch a.a.O., nach der K. K. 1892, 8).

Ich denke, diese Tatsachen genügen und sprechen für sich, auch ohne daß ich sie in einem flammenden J’accuse rekapitu­

liere.

Ein erquickliches Geschäft war es nicht, sie zu sammeln,

denn die Liebe, wie ich sie auch zu unsern römischen Brüdern

Paul de Schmitt schwer krank.

Am 27. Februar wurde in der Nacht der

katholische Priester gerufen, der sie umtaufte.

Am Tag vorher war sie

schon so schwach, daß sie kaum mehr sprechen konnte.

Die Herren von

Schmitt sind durchaus keine fanatischen Katholiken, was sich erst bei der

letzten Reichstagswahl wieder zeigte, wo der Abgeordnete von Schmitt zu kämpfen hatte gegen Dasbach und andere ultramontane Gegner.

Man ist

allgemein überzeugt, daß die Verstorbene nur übertrat, weil ihr sonst das Erbbegräbnis der Herren von Schmitt auf dem katholischen Friedhof ver­

schlossen gewesen wäre.

Mit großem Pomp wurde sie letzten Mittwoch von

drei Dutzend katholischen Priestern zu Grabe geleitet.

Die Evangelischen

Saaralbens — es besteht dort eine kleine Diasporagemeinde — sind bis auf eine Ausnahme der Beerdigung ferngeblieben, und mit ihnen sind alle

verständigen Katholiken empört über diese Charakterlosigkeit einer gebildeten Familie.

Rom triumphiert natürlich;

wir aber können keinen besondern

Ruhm darin sehen, eine sterbende Frau zu — bekehren.

2. Protestantische Intoleranz: Gegenüber den Katholiken.

39

und Schwestern und zu den gewiß oft recht unfreiwilligen geist­ lichen Vertretern eines ungeistlichen Systems empfinde: diese Liebe freut sich nicht der Ungerechtigkeit und kann ihre offen­

kundigen Spuren mit Paulus

nur trauernden Herzens fest­

stellen.

2. Protestantische Intoleranz. a) Gegenüber den Katholiken. Aber ein sittliches Recht zu solcher Kritik haben wir nur,

wenn wir sie ergänzen durch eine mindestens ebenso strenge Selbstkritik. Solange es bei uns möglich ist, daß eine staatlich geprüfte Lehrerin keine Anstellung bekommt (nicht einmal für

Handarbeit und Turnunterricht), bloß weil sie Methodistin ist und weil der Pfarrer das erste Wort in der Ortsschulbehörde hat, so lange haben wir allen Grund, mit größter Bescheidenheit

das Thema von der katholischen Intoleranz zu erörtern. Auch auf evangelischen Friedhöfen kommt Intoleranz vor. Um den peinlichen Eindruck von Fameck und Genossen etwas zu verwischen oder zu berichtigen, sind die KVZ. und ihre Mit­ arbeiter auf die Suche nach evangelischen Seitenstücken gegangen. Ich habe mich auch selbst bemüht, ebenso zuverlässiges und konkretes Material wie zur katholischen^) zur protestantischen Intoleranz ausfindig zu machen. Daß nur solches, niemals aber unbestimmte Andeutungen voll Rhetorik aber ohne Datum und

Namen, für ein möglichst wahrheitsgetreues Bild der Tatsachen in Betracht kommt, muß uns im Grund auch die KVZ. zu­ geben. Wenn sie nun aber die begründeten Beschwerden von Katholiken über protestantische Friedhofsintoleranz mit dem oben aufgedeckten umfangreichen römischen Sünden­ register ehrlich vergleicht, dann darf sie jedenfalls nicht den Schein erwecken, als lasse sich unser Schuldkonto auf diesem Gebiet quantitativ und qualitativ mit dem x) Ich habe deshalb auch z. B. von einem Beschwerderegister der Tägl.

Rundsch., bei dem ich Daten und Namen vermißte, keinen Gebrauch gemacht.

40

Kapitel I.

Friedhofs-Intoleranz.

ihrigen überhaupt vergleichen. Das wird sich sofort zeigen,

wenn wir die von ihr im vorigen Jahr mitgeteilten Fälle prote­ stantischer Friedhofsintoleranz Rom gegenüber betrachten. Als im Jahre 1900 ein während des Manövers ver­ unglückter katholischer Musketier zu Meinerdingen (Hannover) beerdigt werden sollte und die Militärbehörde den katholischen Schloßkaplan auf der Kettenburg bei Visselhövede ersuchte, die Beerdigung auf dem protestantischen Friedhofe vorzunehmen, be­

grub der Kaplan den Verunglückten, aber ohne kirchliche Kleidung. Der Zutritt in Amtstracht war ihm von dem protestantischen Geistlichen verweigert worden (KVZ. 1904, Nr. 751, Kath. Warte 1904, Nr. 38). Dasselbe Verbot wiederholte derselbe Geistliche, obwohl gegen 100 Katholiken an seinem Ort sind, trotz freund­ licher, mündlicher wie schriftlicher Bitte; einmal (1904) ignorierte er geradezu ein diesbezügliches Gesuch des Kaplans, später ver­ sprach er die künftige Anlegung eines katholischen Sonderplatzes: eine Handlungsweise, die der oben gewürdigten römischen For­ derung und Übung bedenklich verwandt ist (KVZ. Nr. 771). Leider scheint mir auch die Verteidigung des Pastors Steinberg

(ebenda 789) unzureichend: 1) die von den Katholiken vollzogene besondre Grabweihe, womit er sich rechtfertigen möchte, entehrt ihn doch nicht (vgl. Kap. IV), sie entspricht dem katholischen Glauben (Kap. II), wir brauchen so etwas nicht; 2) wundert es einen, daß Herr Steinberg noch den Mut hat, von einer ähn­

lichen Weigerung, die in seiner Gegend von der anderen Seite geübt wurde, als von einer Anstoß und Ärgernis erregenden

Sache zu berichten, 3) diese unevangelische Praxis — denn das bleibt sie, auch wenn der andre Teil schroff war (Matth. 5, 44) — erzeugt, wie Kollege Steinberg sich selbst überzeugt hat, nur Verbitterung und Märtyrer. Die KVZ. nennt die Zuschrift Pastor Steinbergs, durch die dieselbe Praxis auch für andere Gegenden der Provinz Hannover bestätigt wird, das interes­ santeste und beweiskräftigste Dokument, das sie uns für die Behandlung der Begräbnisfrage besorgt habe. Auch auf den evangelischen Friedhöfen in Westfalen, deren

2. Protestantische Intoleranz: Gegenüber den Katholiken.

41

Gastfreundschaft die katholische Minderheit in Anspruch nimmt,

herrschen z. T. noch rückständige Verhältnisse.

In Harpen kam

am 21. V. 1902 der evangelische Pfarrer zufällig auf das Amts­

gebäude, das zwischen Bochum und Harpen liegt: da machte

ihn der Polizeisergeant auf einen Mann aufmerksam, der nicht wußte, wo er seine zwei Kinder beerdigen sollte. Denn in Bochum,

wohin sonst stets die Leichen der wenigen Katholiken beerdigt wurden, hatten ihm auf dem Kirchhofe die anwesenden katholischen Geist­ lichen erklärt, daß die Bochumer keine auswärtigen Leichen mehr beerdigen.

Leichen

Da erbot sich der evangelische Pfarrer freiwillig, die

auf

dem der evangelischen Kirchengemeinde gehörigen

Friedhofe in Harpen zu beerdigen und, wie schon öfters geschehen

war, mit Grabrede und Gebet.

Gebühren hat weder der Pfarrer

noch sonst jemand bezogen [gegen die Darstellung der Lothring.

Volksstimmej.

Am selben Nachmittage brachte der Vater

die

beiden Leichen, und sie wurden in der Friedhofskapelle aufgestellt.

Der Totengräber, der ja nicht benachrichtigt war, hatte noch keine Gräber

gemacht.

Da

kam am 22. Mai morgens ein

Schreiben des katholischen Propstes Harboot von Bochum, zu

dem der Vater gegangen war, mit der Anzeige: Ich melde hier­ daß ich die Beerdigung nachmittags 4 Uhr vornehmen

mit, werde.

Dem widersetzte sich das Presbyterium und versagte dem

Propste den Zutritt zum Kirchhofe, weil er dazu nicht berechtigt sei.

Die Leichen sind aber an demselben Tage, nunmehr ohne

kirchliche Begleitung, beerdigt worden.

Also sind sie in Harpen

nur einen Tag, nicht sieben (wie die KVZ. und die Lothringer Volksstimme meldeten) über der Erde gestanden (Straßb. Zei­ tung 1904, 222). — Noch in einem anderen Fall hat auch

das Presbyterium, entgegen der Weisung der Behörde, die Zu­ lassung des katholischen Geistlichen nicht dulden wollen (ebenda)

und auf sein Recht gepocht.

Dieses Recht ist genau 60 Jahre

alt und ist heute zum Unrecht geworden.

Durch ein Ministerial-

reskript vom 30. V. 1844 *) ist in der Tat eine katholische Be*) Diesem Ministerialreskript steht allerdings entgegen die gerade für Westfalen gegebene kgl. Verordnung vom 15. UI. 1847, die alle Beschrän-

42

Kapitel I.

Friedhofs-Intoleranz.

erdigung durch nicht am Orte befindliche katholische Geistliche auf evangelischen Friedhöfen verboten, ebenso aber auch die ana­ loge Möglichkeit auf katholischen Friedhöfen (weshalb da und dort dieselbe Klage auch auf evangelischer Seite geführt wird,

KVZ. 1904, 840). Um die Härte des für ihn geltenden Systems, unter dem er selbst leidet, zu erweichen, hatte der evangelische

Geistliche sich angeboten, die Funktion zu übernehmen, damit so

die Angehörigen doch zu einem feierlichen Akt kämen. Solche Liebenswürdigkeiten wirken freilich in einer Zeit des wachsenden Konfessionalismus tatsächlich als Übergriff, der auch durch die dazu führenden praktischen (bzw. unpraktischen) Verhältnisse nicht entschuldigt wird, ja womöglich als Intoleranz — eine Art von Intoleranz allerdings, vor der die katholischen Priester in der Regel die ihrige bewahrt Z (vgl. dazu den Fall Winter nach der KVZ. 1904, 798). — Ein tatsächlicher Übergriff wird der KVZ. (810) aus der „sächsischen Diaspora" mitgeteilt. Ein Pole war verunglückt. Der Gutsherr kam zu dem katholischen Geist­

lichen und bestellte die Beerdigung. Anderen Tages reiste der Geistliche nach dem Ort, wo das Begräbnis sein sollte. Als jedoch

die Stunde der Beerdigung kam, erschien — der protestantische Pfarrer des Orts und erklärte: Auf Wunsch des Herrn Ober­ amtmanns werde ich die Beerdigung vornehmen. Nur der Ver­ teidigung seiner Rechte und der Drohung mit einer sofortigen Be­ schwerde bei der weltlichen Behörde hatte der katholische Geistkungen aufhebt und wonach „die im Staat aufgenommenen Kirchengesellfchaften der verschiedenen Religionsparteien einander wechselweise in Er­

manglung eigener Kirchhöfe ein nach dem Religionsgebrauche des Verstorbenen und unter Mitwirkung eines Geistlichen seiner Konfession zu feierndes Be­ gräbnis nicht versagen dürfen." Maßgebend ist da und dort merkwürdiger­

weise die ältere Entscheidung des Ministers, nicht die jüngere des Königs.

*) Vgl. das Wort Dr. Bachems in Krefeld: Die Zeit ist nun glücklich (!) vorbei, in der der protestantische Pfarrer in aller Seelenruhe die Beerdigung

der Katholiken übernahm, wenn der katholische Pfarrer bettlägerig war, und in der der katholische Pfarrer, wie es leider oft geschehen ist, in die prote­

stantische Kirche ging, um dort das Sakrament der Tause zu spenden, wenn der protestantische Amtsbrudcr gerade verhindert war (Wartburg III48,478).

2. Protestantische Intoleranz: Gegenüber den Katholiken.

43

liche es zu verdanken, wenn er schließlich doch die Beerdigung vornehmen konnte. — In einem andern Orte desselben Pfarrsprengels geschah folgendes *). Ein in Mischehe lebender Katholik

war mit den Sterbesakramenten versehen worden. Nach dem Tode desselben erklärte seine protestantische Frau, ihr Mann habe noch kurz vor seinem Ende eine protestantische Beerdigung gewünscht, und somit beerdigte ihn der protestantische Ortspfarrer. In welchem Maß der letztere Fall uns belastet, das wird sich nach dem Grad von Passivität richten, in dem der Sterbende „versehen" wurde. An das aus Hannover und Westfalen Erzählte erinnern die kulturgeschichtlich interessanten Zustände in Budberg am

Niederrhein. Dieses Dörfchen ist halb katholisch, halb protestantisch. Die Protestanten besitzen die katholische Kirche

und den anliegenden Kirchhof. Die Katholiken sind der zirka 25 Minuten entfernten Pfarrei Rheinberg eingegliedert, haben aber ein altes Gewohnheitsrecht auf den Kirchhof in Budberg; mehrere Familien besitzen dort Familiengräber. In früheren Jahren ging nun bei einem Todesfall am Tage vor dem Be­ gräbnis der Geistliche von Rheinberg zu dem betreffenden Leichenhause und segnete dort die Leiche nach katholischem Ritus ein. Am anderen Morgen wurde die Leiche ohne geistliche Be­ gleitung zum Kirchhof von Budberg getragen, an dessen Ein­ gang vom protestantischen Pfarrer in Empfang genommen und mit einer Rede bestattet. Dieses wohl einzig dastehende halb protestantische, halb katholische Begräbnis (das uns heute wie ein Märchen aus alter Zeit berührt) wurde unter Berufung auf analoge Verhältnisse auf dem katholischen Friedhofe zu Hamborn

auch dann beibehalten, als es von der in den vierziger Jahren neu beginnenden Exklusivität lästig empfunden wurde. Es währte noch bis zur Aufhebung des Tauf- und Begräbniszwanges, und später untersagte der Bischof von Münster ausdrücklich die pro­ testantische Assistenz. Seitdem werden die Leichen ohne die *) Ich zitiere noch immer dieselbe KVZ.

44

Kapitel I. Friedhofs-Intoleranz.

Glocken von Budberg, doch unter dem Klang derer von Rheinberg

zu Grabe getragen; ein katholischer Geistlicher darf auch jetzt noch nicht durch die Kirchhofstür hindurchgehen. Biele Katholiken ver­ zichten deshalb wohl auf ihr Begräbnisrecht in Budberg, obwohl

manche dort ein Familiengrab haben und der Rheinberger Fried­ hof so weit entfernt ist: sie werden doch wenigstens feierlich be­

graben. (Nach der Germania die KVZ. von 1904: 1043 A, ferner 1059 — ev. Pfr. — und 1064.) Ein ehrlicher Protestant kann so etwas nur mit sehr gemischten Gefühlen lesen, hoffent­ lich aber auch mancher Katholik! Natürlich soll nicht geleugnet werden, daß Rückständigkeiten von Protestanten Katholiken gegen­ über auf diesem Gebiet auch sonst Vorkommen. So höre ich, daß in Spanien (spez. in Barcelona) die Protestanten keine Katho­

liken und — keine Deutschen auf ihrem Friedhofe aufnehmen.

Jedenfalls sehen wir aus diesen vereinzelten prote­ stantischen Rückständigkeiten: die Protestanten erlauben

sich zwar keine Beschimpfungen und Rechtsverletzungen, wie sie die Katholiken in Lothringen, Bayern und Öster­ reich so reichlich sich herausnehmen; aber eine Gast­

freundschaft, die den Katholiken volle Kultusfreiheit auf dem Friedhofe einräumt, ist da und dort noch zu vermissen. Weitere Fälle protestantischer Intoleranz Katholiken gegen­ über sind mir nicht bekannt geworden. Ich habe natürlich, wie es meine Pflicht war, die Anklagen aus beiden Lagern, so gut ich konnte, kritisch gemustert. Katholische Leser z. B-, die die Be­ erdigung des katholischen Pfarrers Fleischmann in Koburg als ein protestantisches Gegenstück zu Fameck kennen und daher in obigem Überblick vermißt haben, seien darauf aufmerksam gemacht, daß die ultramontane Augsb. Postztg. (1904 Nr. 75) ihren

Bericht widerrufen mußte und erklären, daß das Begräbnis

nicht glänzender hätte sein können (Wartburg IH 16, 170). Der Bayr. Kourier hat freilich die Berichtigung des Bam­ berger Generalvikariats in den Hauptpunkten seinen Lesern unter­ schlagen (ebenda).

2. Protestantische Intoleranz: Gegenüber den Dissidenten.

45

b) Gegenüber den Dissidenten.

Mit sichtlicher Genugtuung haben die ultramontanen *) Blät­ ter, aber auch gewisse „liberale", die Beweise von protestantischer

Friedhofsintoleranz gegen die Sekten ausgenommen, die die Chr.

Welt im vorigen Jahre festgenagelt hat (vgl. Nr. 35, 37, 39,40). Andrerseits schien manchen Kirchenmännern ein Blatt, dem doch sonst Wohl und Würde unsrer Kirche nicht gleichgültig ist, mit solchen Enthüllungen sich ein zweifelhaftes Verdienst zu erwerben. Wer aber auch in der Kirche von einem gefälligen Schein nicht

viel, von der Wahrheit alles hält, der wird auch den Mut haben, anzuerkennen, was Pastoren und Konsistorien im Ver­ kehr mit Dissidenten und Dissidentenpredigern gegen den evange­

lischen Geist der Toleranz gesündigt haben. Die protestantische Intoleranz ist, wo sie vorkommt, Ent­

ziehung nicht einer bürgerlichen Ehre, sondern der in der Religionsfreiheit enthaltenen öffentlichen und gemein­ samen Religionsübung. Zu einer vollständigen kultischen Friedhofsfeier gehören: das Geläute, allerlei Requisiten wie das Bahrtuch, der Redeakt durch den Geistlichen der Gemeinde, Gebet, endlich gewisse symbolische Zeremonien, vielleicht noch ein dem Sinn des Toten entsprechendes Bekenntnis, wie es sich etwa in einer Grabdenkmalinschrift ausdrückt. Es ist von der evan­ gelischen Kirche intolerant, wenn sie einer auf ihre Gastfreund­ schaft angewiesenen freikirchlichen Gemeinschaft eines dieser Stücke entzieht. Ein Methodistenprediger aus Ansbach, der im allgemeinen 2) Natürlich ohne jedes moralische Recht dazu.

Abgesehen von ihrem

ungeheuren Schuldkonto den Protestanten gegenüber kommt Verletzung der religiösen Gefühle der Dissidenten an Friedhöfen auch auf katholischer Seite vor.

Im Reichstag erzählte Dr. David (4. H. 1905; Protok. S. 4264) von

einem Fall in Gaubickelheim in Rheinhessen, wo die katholische Bevölkerung in ihrer Leidenschaft so weit ging, daß sie einen Prediger der freien Ge­ meinde in Mainz, der dort ein Begräbnis vornahm, nicht nur mit den

allergröbsten Wortbeschimpfungen überschüttete, sondern sich gar tätlich an ihm vergriff.

Kapitel I.

46

Friedhofs-Intoleranz.

keine üblen Erfahrungen gemacht hat, schreibt mir doch von ge­ legentlichen kleinen Schikanen, denen sie ausgesetzt seien: so kommt

es vor, daß man ihnen das Bahrtuch verweigert oder versteckt. Tief beschämend für unsre evangelische Kirche ist ein Auftritt in

Allenstein (Ostpreußen).

Vor einer großen Menschenmenge

wurde hier den Baptisten die Kränkung zu teil, daß der Totengräber

den Prediger vom Grab wegschob mit den Worten: „Sie haben

hier nichts zu tun." Alle Vorstellungen halfen nichts, der Toten­ gräber berief sich auf seinen Superintendenten Hassenstein, der

ihn beauftragt habe, den Baptisten bei der Leichenfeier hindernd

in den Weg zu treten.

Mit großer Mühe nur konnten sie

singen: „Dort über jenem Sternenmeer. . ." Als der Prediger

ein Gebet sprechen wollte, fiel ihm der Totengräber ins Wort, er mußte schließen *). — Einer Quelle, deren Zuverlässigkeit über jeden Verdacht erhaben ist, nämlich einer Erklärung mehrerer

Mitglieder der evangelischen Landeskirche im Westfäl. GeneralAnzeiger, ist folgende herzerschütternde Geschichte aus Hamm ent­ nommen. Dort war der Sohn des freikirchlichen Predigers Klein

beim Baden ertrunken. Als nun der Prediger der „freien evan­ gelischen Gemeinde" Zurmühl ans Grab trat, um angesichts

einer großen Trauerversammlung zu reden, trat der Totengräber dazwischen und erklärte mit lauter Stimme: „Wir wollen ein

stilles Gebet verrichten", und zu dem Prediger gewendet: dürfen hier nicht reden, auch nicht beten."

„Sie

Um es nicht zu lär­

menden Auftritten angesichts der schwergeprüften Familie kommen

zu lassen, sprach der Prediger mit dem Totengräber so leise, daß

es nur die direkt daneben Stehenden hören konnten: „Zu reden beabsichtige

ich hier nicht,

ich wollte nur ein kurzes

Gebet

sprechen." „Das darf ich meiner Instruktion gemäß nicht dulden." „Sie werden mich aber gewiß nicht verhindern zu beten."

werde Sie unterbrechen."

„Ich

„Wollen Sie den tiefbetrübten nieder­

gebeugten Eltern nicht einmal den Trost gewähren, am Grabe

*) Nach einem durchaus nobel gehaltenen Brief des Baptistenpredigers

für den „Wahrheitszeugen".

2. Protestantische Intoleranz: Gegenüber den Dissidenten.

ihres geliebten Kindes ein Gebet zu hören?" unterbrechen."

47

„Ich werde Sie

Weil der Totengräber sich in so aufgeregter Ver­

fassung zeigte, schwieg der Prediger still.

So trat der Vater

bleich und erschüttert an die Gruft, warf dreimal eine Schaufel

Erde aufs Grab und sagte mit leise bewegter Stimme: „Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des

Herrn sei gelobt!" Ihm folgten die Leidtragenden und viele An­

wesende, jeder mit einem Spruch. — Im Oldenburgischen scheint bei einer Baptistenbeerdigung, für die der evangelisch­

kirchliche Geistliche zuständig ist (!), der Baptistenprediger nicht einmal das Recht zu einem Nachruf zu haben, das doch unter normalen Verhältnissen jedem Laien zusteht. Die Oldenburgischen

Nachrichten für Stadt und Land (vom 12. V. 1905) schreiben: Peinliche Szene auf dem Friedhofe. In Delmenhorst fand dieser Tage auf dem alten evangelischen Friedhofe die Bestattung des ver­ storbenen Inhabers der Dampfwaschanstalt, W. Moses, statt.

Da der Ver­

storbene der Baptistengemeinde als Mitglied angehört hatte, so war diese Gemeinde mit einigen Predigern der Baptisten beim Grabe versammelt.

Nachdem Hilfsprediger Koch die Grabrede gehalten hatte, wurde er von den Predigern der Baptisten angegangen, ihnen zu gestatten, dem Verstorbenen

ebenfalls einen Nachruf zu widmen. Herr Hilssprediger Koch wollte dies jedoch nicht gestatten und die Prediger sich nicht in den Bescheid fügen, und so entstand eine Szene, die für das Trauergefolge geradezu peinlich war. Schließlich hat dann der eine der Baptistenprediger dem Toten einige Worte

nachgerufen, der peinliche Eindruck ließ sich aber nicht mehr verwischen. — Unserer Ansicht nach, schreibt das „Delm. Krbl.", und wir schließen uns

ihm an, ist der Friedhof nicht derjenige Ort, wo sich derartige Szenen ab­ spielen sollten. Jedenfalls sind solche Auftritte nicht dazu angetan, Begei­

sterung für kirchliche Rechte zu wecken.

Neben dem gesetzlichen Recht gibt

es noch die manche Kluft überbrückende und manche scharfe Gegensätze mil­ dernde Ausübung der Toleranz. Wäre dieselbe nicht auch in diesem Falle

anzuwenden gewesen?

Viele der Beteiligten wären mit andern Gefühlen

nach Hause gegangen.

Mit einem Spürsinn, der einer bessern Sache wür­

dig wäre, werden alle möglichen und unmöglichen Gesetze, wie z. B. (damit auch die unfreiwillige Komik nicht fehle) das Feld-

und Forstgesetz gegen einen Prediger F. in Braunschweig (in. 1902), herangezogen, um die Prediger freikirchlicher Gemeinden zu hin-

Kapitel I.

48

Friedhofs-Intoleranz.

dern, am Grabe ein Wort des Trostes zu sagen und ein Gebet zu

sprechen. Der Vorstand der evangelischen Kirchengemeinde Haynau (Schlesien) verbot durch eingeschriebenen Brief dem Methodisten­ prediger Bargmann in Liegnitz das Betreten des Kirchhofs zu

geistlichen Amtshandlungen. Als er sich dem Verbot nicht fügte, kam alsbald der übliche Totengräber herbei und forderte ihn auf, den Kirchhof zu verlassen. Als er dies nicht tat, vielmehr auch fernerhin methodistische Begräbnisse abhielt, fand man den Titel Hausfriedensbruch

für die Handlungsweise des Predigers

und somit Stoff zu einem Strafantrag. In der Verhandlung erklärte Superintendent Senf aus Haynau, man wolle den Methodisten das Recht, ihre Mitglieder auf dem evangelischen Kirchhof zu beerdigen, nicht bestreiten, nur dürfe das nicht nach methodistischem Ritus geschehen! — eine Intoleranz, die Herr

Senf durch eine zweite rechtfertigte, indem er fortfuhr, die Metho­ distenprediger seien als Laien anzusehen und zu behandeln: eine alte Verordnung aus dem Jahre 1853 diente ihm bei seinen Be­ mühungen. eine Verurteilung herbeizuführen, als Bundesgenosse (Schief. Ztg. 1904 Nr. 639, Bunzlauer Stadtblatt vom 11. IX. und viele andre Blätter). Über den Fanatismus, den derselbe Pfarrer schon früher entfaltet zu haben scheint, liegt mir ein Brief des Vorgängers von Bargmann vor, den ich ohne Kom­ mentar hierhersetze. ... Als Br. G... in Haynau im Frühjahr 1901 anfing, das Evangelium zu predigen und eine ganze Anzahl Leute in die Versammlung

kamen, da fing P. prim. Senf an zu drohen: „Die Leute, die zu den

Methodisten gehen, denen wird das christliche Begräbnis verweigert."

Er

mag sich auch so ausgedrückt haben: „Die Leute kommen nicht auf den Friedhof."

Als nun 1902 ein Mitglied unsrer Gemeinde starb, es war

eine 55 jährige Witwe, da wollte dieser Pastor ein Exempel statuieren und verweigerte ihr das christliche Begräbnis.

Die unbekehrten Söhne — sie

wollten Sozialdemokraten sein — gingen nämlich zu ihm und baten ihn, ihre Mutter zu beerdigen.

Nachdem ich mit dem Bürgermeister gesprochen

des Begräbnisses wegen, begab ich mich aus Anraten dieses Mannes zum Pastor. Ich hatte mich gefaßt gemacht aus große Unfreundlichkeit, aber daß ein gebildeter Mann so . . . handeln würde, das hatte ich nicht er­ wartet.

Ich stellte mich als Prediger Wenzel vor.

Er schrie: „Was für

49

2. Protestantische Intoleranz: Gegenüber den Dissidenten.

ein Prediger sind Sie?"

Ich sagte: „Methodistenprediger."

Dann schrie er

weiter: „Was wollen Sie?" Ich sagte: „Ich will Ihnen nur Mitteilen, daß

ich Frau Heidrich begraben werde.

Ich glaube, daß ich ein Recht habe,

das zu tun, und nun möchte ich Ihnen sagen, daß es nicht geschieht, um

Sie zu ärgern."

Der Mann hat so gehandelt, daß ich sehr bedauerte, den

Wunsch des Bürgermeisters befolgt zu haben.

Da die unbekehrten Ver­

wandten der Frau Heidrich nicht Aufsehen wünschten am Grabe — man

hatte nämlich ausgesprengt, man werde mich mit der Polizei vom Grabe wegführen — so hielt ich einen Trauergottesdienst in unsrem Predigtsaal. Die Leiche wurde in der Stille hingetragen, wie die Gehenkten, so sagte

man im Städtchen.

Als später ein Kind von Mitgliedern starb, ging ich

auf den Friedhof und las unsre Liturgie am Grabe.

Dem Totengräber, der

mich hindern wollte, gab ich meine Karte und sagte ihm: „Ich werde jetzt

sprechen; wenn mich Herr Pastor Senf verklagen will, soll er es tun." Folge war, daß er mich wegen Hausfriedensbruchs verklagte.

Die

Er wollte

erst auch die Leidtragenden mit verklagen, und zwar wegen Landfriedens­ bruchs (?!), wie mir der Beamte sagte. nehmung.

Ich wurde vorgeladen zur Ver­

Doch hatte die Amtshauptmannschast in Haynau auch die Mei­

nung, daß ich nichts Unrechtes getan, daß jeder Bürger das Recht auf ein anständiges Begräbnis hat, und stellte das Verfahren ein. Doch der Herr Pastor Senf gab sich nicht zufrieden und gab die Sache an das Landgericht in Liegnitz. 'Dieses verurteilte mich auch nicht, sondern stellte das Verfahren

ebenfalls ein . . .

Noch ein Auszug aus dem Brief eines Methodistenpredigers an einen andern: Hier in Berlin kommt das selten vor, daß uns der zuständige Orts­ geistliche die Erlaubnis, auf dem Friedhof zu sprechen, verweigert; mir selbst

ist noch kein solcher Fall vorgekommen.

Doch in Charlottenburg, wo kein

städtischer Friedhof ist, habe ich vor drei Jahren bei der Beerdigung eines neun Monate alten Kindes zum Troste der Eltern am Grabe nur ein kurzes freies Gebet gesprochen. Sofort bekam ich im Auftrage des Kirchengemeinde­

rats ein Schreiben des Geistlichen Herrn Stier, daß ich im Wiederholungs­ fälle wegen Hausfriedensbruch verklagt würde; eine persönliche Besprechung mit diesem Geistlichen war erfolglos.

Ein Prediger aus Zwickau schreibt von einem Prozeß, der wegen einer Beerdigung schwebe, wo sie in sieben Minuten die Liturgie gelesen hatten. Ein Kollege aus Langendreer in Westfalen schreibt mir u. a.: Ein Bergmann meldet den Tod seines Kindes an; ich frage ihn nach seiner Stellung und höre, daß er sich zur Baptistengemeinde in Bochum Goes, Friedhofsfrage.

4

50 hält.

Kapitel I.

Friedhofs-Intoleranz.

Wir verständigen uns dahin, daß ich die Leiche begleiten soll.

Am

Tage vor der Beerdigung schickt er eine Frau mit dem Auftrage, mir zu

sagen, daß der Baptistenpredtgcr die Beerdigung vornehmen werde.

Ich

berufe mich auf die Friedhofsordnung und verbiete es. Die Frau wird äußerst frech und läuft davon. Der Baptistenprediger geht mit der Leiche. Der Friedhofsaufseher verbietet ihm das Sprechen am Grabe, vergeblich. Vierzehn Tage darauf stirbt dem Manne wieder ein Kind; ich statte den Aufseher mit einer Vollmacht aus, gemäß welcher er befugt ist, dem Prediger

das Betreten des Kirchhofs zu untersagen.

Es ist umsonst.

Da teile ich

die Angelegenheit dem Staatsanwalt mit, dieser erhebt Klage wegen Haus­

friedensbruchs.

In der Verhandlung wird nicht genau sestgestellt, ob der

Aufseher auch nachdrücklich das Betreten des Kirchhofs verboten hat; darauf­

hin wird der Prediger freigesprochen.

Der Staatsanwalt erhebt Berufung,

und die Angelegenheit kommt vor die Strafkammer.

Der Angeklagte wird

ebenfalls freigesprochen und das Verfahren des Presbyteriums Langendreer

für ungesetzlich erklärt.

Der Prediger der Baptistengemeinde sei Geistlicher

im Sinne des Gesetzes usw.

Ohne die Schwierigkeiten der Lage des Pfarrers zu ver­

kennen, der hier mit der wünschenswerten Objektivität sich äußert,

muß ich doch zwei Fragen stellen, eine in bezug auf diesen Brief und eine, die sich auf sein Sonntagsblatt (1904 Nr. 41) be­ zieht, 1. machen wirklich die Baptisten einer Gemeinde das Recht an ihrem Kirchhof streitig (das war in dem Sonntagsblatt zu

lesen!),

dadurch

daß

sie

(auch!)

dort beerdigt

sein wollen?

Irgendwo müssen sie doch liegen, und das Ansinnen, einen eignen Friedhof anzulegen, kann nur an große oder reiche Ge­

meinden gestellt werden.

2. ist es angezeigt, daß die Geistlichen

noch mehr auf das Recht pochen als die Juristen und sich von diesen an Wohlwollen gegen die Sekten übertreffen lassen? (vgl. dazu Kap. III). — In dem pommerschen Cunaw erschien der

Geistliche (Pfarrer Gerlach) selbst auf dem Friedhof, um den Bap­ tistenprediger Fehr, als er eben ein Gebet begonnen hatte, am Mantel zu zupfen und

ihm zu bedeuten, er solle schweigen.

Fehr erwiderte, daß er nur ein Gebet spreche.

Hierauf erklärte

Gerlach in aufgeregtem Tone, ein Gebet sei auch eine Rede,

und verbot dasselbe dreimal.

Fehr hörte der damit erfolgten

Störung wegen zu sprechen auf und rief in begreiflicher Er­

regung:

„So sind die Herren Geistlichen der Landeskirche, sie

2. Protestantische Intoleranz: Gegenüber den Dissidenten.

verbieten das Beten".

51

Während er sich entfernte, ließ Fehr

noch eine unfreundliche Bemerkung über Gerlach fallen. Gerlach dem Prediger Anlaß

gegeben hatte, sich

Obwohl

so zu ver­

sündigen, hatte er doch den Mut, die Beleidigung aufzugreifen

und Strafantrag zu stellen.

Das Gericht, das auf eine Geld­

strafe von 20 Mark erkannte, berücksichtigte doch, daß Fehr durch die (schroffen!) Redeverbote gekränkt und so zu der Er­ widerung hingerissen worden sei (Pasewalker Anzeiger 1904, 232).

— Das stärkste Stück, von dem ich Kunde bekommen, enthält der schon einmal verwertete Berliner Brief.

Dort heißt es näm­

lich am Schluß: Im Greizerland verweigerte seinerzeit der Geistliche überhaupt die Grabstätte für einen Methodisten.

Friedhofs mußte er schließlich nachgeben (!).

In Ermangelung eines andern Ich war, da dieser Herr jede

kirchlich-religiöse Funktion verboten hatte, genötigt, vor dem Friedhosstore

unter den Fenstern des Pfarrhauses die Grabrede zu halten, wozu mir die Polizeibehörde gerne die Erlaubnis gegeben hatte.

Leider handelt es sich in diesen Füllen nicht bloß um

Entgleisungen einzelner Heißsporne, die für den Herrn int Unverstand eifern.

Schon die Chr. W. hat darauf hinge­

wiesen und viele Blätter haben es nachgedruckt, daß eine ganze

Pastorenkonferenz einmütig sich dahin ausgesprochen hat, daß

man sein Hausrecht wahren und, wenn der Sektierer nicht gut­ willig weiche, ihn wegen Hausfriedensbruchs belangen solle; und

auf dem gleichen Weg hat die Nachricht die Runde gemacht, daß sich ein Pfarrer, der seinem eigenen Ingenium nicht traute, in

der Angelegenheit von seinem Konsistorium inspirieren ließ und

den Bescheid erhielt, es sei rätlich, den Gemeindekirchenrat zu veranlassen, daß er die Erlaubnis nicht erteile. — Die Grundtvigianer in Schleswig haben zwar großenteils ihre Plätze auf

dem Friedhof der Landeskirche (falls sie nicht aus der Kirche ausgetreten sind); aber das Konsistorium in Kiel verweigert, so­ gar den noch nicht einmal formell Ausgetretenen, Glockengeläute, Erdaufwurf, Gebet und Grabrede, es sei durch den Mund des

freikirchlichen „Sprechers" oder des landeskirchlichen Geistlichen,

es sei im Friedhof oder vor dem Friedhof (Kirchl. Gesetz- und 4*

Kapitel I. Friedhofs-Intoleranz.

52

Verordnungsbl. für den Amtsbezirk des Kgl. Ev.-lutherischen Konsistoriums in Kiel VI 1896 Nr. 22 und VII 1890 Nr. 25), obwohl nach dem Zeugnis eines dortigen Pfarrers die Frei­

gemeinden in religiöser, beziehungsweise theologischer Beziehung

durchaus nicht von der evangelisch-lutherischen Landeskirche ab­ weichen und dieselbe Liturgie und dasselbe Gesangbuch haben.

Das Verhalten der offiziellen Vertretung der Landeskirche hat

offenbar keine kirchlichen, sondern politische Gründe; sie erweist sich, wie ein Gewährsmann schreibt, als Schleppenträgerin der Tendenzen der Regierung.

hässig

und

deutschung

Ob aber durch solche unbillige ge­

verbitternd wirkende Härten die angestrebte Verder Kirchensprache

und Nordschleswigs

überhaupt

gefördert und nicht vielmehr gefährdet wird?

Das ist es, was die Freikirchlichen gegen die Landeskirch­ lichen, die Dissidentenprediger gegen die Pastoren, die freilich oft

nur als Organe rückständiger unhaltbarer Friedhofsordnungen handeln, auf dem Herzen haben.

Manche sind aber überzeugte

Organe, und manche neue Ordnungen und Verordnungen sind

desselben Geistes Kinder.

Verstehen können wir es da immer­

hin, wenn ein Baptist an den Wahrheitszeugen sarkastisch schreibt,

daß die evangelischen Pfarrer auf einem Gustav-Adolffest in Hamm sehr viel von Brüderlichkeit und Verträglichkeit mit den

andersgläubigen Christen geredet haben.

(Wohlgemerkt!

Der

Sperrdruck stammt nicht von mir.)

Anhangsweise noch kurz eine ausländische Parallele! Ein Missourilutheraner war schwerkrank.

Er hatte auf dem

konfessionell missourischen Gemeindefriedhof einen der Familie ge­ hörigen Begräbnisplatz, wo auch schon einige Angehörige lagen. Als es mit ihm zum Sterben kam, verweigerte ihm sein Pastor das heilige Abendmahl und das Begräbnis, weil er nebenher

Mitglied der Loge war und auch nicht gesonnen auszutreten.

Daraufhin ließ er einen Mcthodistenprediger (meinen Gewährs­ mann) kommen, der besuchte den Kranken öfter, und als er starb, sollte der ihn begraben.

Aber — er durfte den missourischen

Friedhof nicht betreten, nicht einmal ein Vaterunser sollte er

3. Interkonfessionell-kirchliche Intoleranz.

sprechen dürfen.

53

Unter diesen Umständen zog die Witwe es

vor, auf einem methodistischen Kirchhof ein provisorisches Grab zu kaufen, wo der Prediger die Leiche „rite einsegnete". Später ließ die Frau den Mann in aller Stille ausgraben und in

ihrem Familienbegräbnis, das vier Meilen entfernt war, auf dem missourischen Kirchhof begraben.

So geschehen vor zirka zehn

Jahren.

3. Interkonfessionell-kirchliche Intoleranz. Bisher haben wir lauter gegen eine bestimmte Konfessions­ kirche erhobene Anklagen auf Intoleranz gehört und gewürdigt. Für viele von unsern Zeitgenossen ist es aber eine ausgemachte

Sache, daß es zu den Wesensmerkmalen einer Kirche, jeder Kirche, gehöre, intolerant zu sein.

Von Zeit zu Zeit sorgt die Kirche

selbst dafür, daß dieses Axiom nicht ausstirbt, vielmehr für die

einen bestätigt, von den andern entweder mit Behagen oder mit

Schmerz akzeptiert wird.

Es liegen auch auf unsrem Gebiet

Anklagen auf Intoleranz vor, bei denen der konfessionelle Gegen­ satz nicht mehr in Betracht kommt, wo einfach die Kirche die

Angeklagte ist.

Es handelt sich um kirchliche Verweigerungen

auf dem Friedhof aus Gründen, die mit einer bestimmten Kon­ fession überhaupt nichts zu tun haben.

Und die Intoleranz

der Kirche besteht dann darin, daß sie sich nicht ausschließ­ lich und klar von solchen Gesichtspunkten und Maß­ stäben leiten läßt, die durch ihren religiösen und ethi­

schen Charakter gefordert werden. ditiert sie sich.

Dadurch aber diskre­

Einige Beispiele mögen genügen, von denen

jedes einen Typus darstellt. 1) Der Genosse Band in Schöneberg war im Leben ein

unbescholtener Mann und glücklich verheiratet gewesen. Als seine

schwerkranke Frau durch die Tochter den Pfarrer Rauchstein bitten ließ, er möchte am Grabe Bands sprechen, erhielt sie, nach dem „Vorwärts" (18. Jahrg. Nr. 292) den Bescheid: „Ein

Diener Gottes kann an einem sozialdemokratischen Begräbnis

Kapitel I.

54

Friedhofs-Intoleranz.

nicht teilnehmen; das ist genau so wie beim Begräbnis eines

Selbstmörders *)."

2) Heißt es nicht eine (nur durch den Gebrauch geweihte) alte Sitte und Form um einen allzu hohen Preis konservieren, wenn man für die Beisetzung einer Aschenurne?) die kirchliche *) Ein andrer Fall von Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses aus

politischen, mit der Religion verquickten Gründen wird aus West­ falen erzählt (Neckarztg. vom 24. IU. 1905): Vor kurzem starb in der Ge­

meinde Wallenbrück, Kreis Herford, der Heuerling Fritz Thor. Dem völlig unbescholtenen und streng kirchlich gesinnten Manne verweigerte der dortige

Pfarrer Jellinghaus das kirchliche Begräbnis lediglich aus dem in mündlicher und schriftlicher Erklärung von ihm mitgeteilten Grunde, weil der Ver­

storbene Mitglied des dem allgemeinen Landesverbände ange­ schlossenen Kriegervereins Wallenbrück gewesen war, und weil der Verein auf Wunsch der Hinterbliebenen nicht darauf verzichten wollte,

seinem verstorbenen Kameraden mit Fahne und Vereinsabzeichen das Grab­

geleit zu geben. Da der Geistliche dem Vorstande des Kriegervereins außer­ dem noch das „Milbringen der Fahne", das „Halten von Reden und An­

sprachen am Grabe", sowie die „Vornahme sonstiger Zeremonien" auf dem Friedhofe schriftlich verboten hatte, so wurde der arme, gut christlich und vaterländisch gesinnte Heuerling ohne Sang und Klang, stumm und still,

wie ein Selbstmörder, eingescharrt.

Das gegen den renitenten Geistlichen

um Vermittelung angerufene Landratsamt erwies sich als machtlos.

9) Als ein relativer Fortschritt und dann doch wieder als eine Halb­ heit, die als Rückständigkeit wirkt und darum den Kredit der Kirche nicht mehrt, wird es beurteilt werden, wenn eine manchem gesunden Fortschritt nicht abgeneigte kirchliche Behörde in betreff der amtlichen Beteiligung von

Geistlichen in Fällen der Feuerbestattung nachstehendes verfügt: 1. Die Geist­ lichen sind ermächtigt, vor Verbringung der Leiche in den eigentlichen Ver­ brennungsraum einen Trauergottesdienst mit Rede, Gebet und liturgischem

Akt zu halten.

Das kirchliche Geläute findet in derselben Weise statt wie

bei einer Beerdigung.

2. Dagegen hat bei der Beisetzung der Aschenreste

im Grab oder in einem Kolumbarium die Mitwirkung der Geistlichen und damit auch das kirchliche Geläute zu unterbleiben. 3. Besonderer Entschlie­

ßung wird die Gestattung einer etwaigen kirchlichen Feier für die Fälle Vorbehalten, in welchen die Aschenreste vom Ort des Krematoriums in eine andre Gemeinde verbracht werden, ohne daß vor der Wegführung der Leiche

eine öffentliche kirchliche Feier stattgefunden hat. — Die immanente Tendenz der Entwicklung, deren Macht die Kleinen und die Großen gehorchen müssen,

wird solche Erlasse schwerlich viel länger leben lassen als ihre Väter, zumal

55

3. Interkonfessionell-kirchliche Intoleranz.

Begleitung verweigert und die Beisetzung erst spät abends nach

Schluß des Friedhofs gestattet, und zwar so, daß die Urne in ein Tuch verhüllt ist, wie wenn es sich um einen ganz unan­ ständigen, das Licht scheuenden Akt, um eine Schlechtigkeit ent­

weder des Toten oder der Lebenden handelte **)?!

So geschehen

zu Dresden in der reformierten Gemeinde.

3) Wenn ein biederer Handwerksmeister,

der sonst den

Frommen zuzuzählen war, aus Verzweiflung über den Zusammen­ bruch seines Geschäfts und Familienglücks Selbstmord verübt^),

und

ein Pfarrer um den andern der Witwe gegenüber sich

weigert bezw. sich weigern zu müssen erklärt, ihren Mann zu begleiten, so erregt eine solche unnötige Härte nicht mit Unrecht

den Unwillen der Gemeinde und wird als hierarchische Anmaßung empfunden: der Selbstmord, so verwerflich er ist, darf doch,

gerade bei einer ethisch tiefen Auffassung, nie von dem Gesamtleben

isoliert

werden:

auch

dadurch

schädigt die

Kirche ihren Kredit. 4) Was ist aber zu halten von der Weigerung einer Kirch­

gemeinde (Wuitz bei Zeitz, Prov. Sachsen), auf dem ihr gehörigen Kirchhofe eine Grabinschrift anbringen zu lassen, die der christ­

lichen Lebensanschauung und Hoffnung widerspricht3)?

Kann

wenn wie hier sicherlich ein Teil der Väter mehr „der Not gehorchte" und

sich kaum aus innerstem Triebe zu dem bewußten Kinde bekennen dürste. Folgerichtig müßte bei jener Theorie der Asche aller eines heroischen Feuer­

tods gestorbenen Märtyrer und Missionare der Klang der Glocken und die Rede eines Geistlichen verweigert werden! *) Vgl. Noeldecke S. 30: In neuerer Zeit scheinen die, welche die

Feuerbestattung für sich anordnen, den Selbstmördern gleichgestellt und mit demselben oder noch größerem Unrecht als diese behandelt zu werden. 2) Vgl.

„Kirchlich-liberal"

(herausgegeben

von K. Schrader)

aus

Berlin, Heiligkreuzgemeinde. •) Ein eindeutiges Exemplar desselben Typus entnehme ich nach­ träglich dem Protestantenblatt 1905 Nr. 8: Über „einen aufsehenerregen­

den Fall geistlicher Unduldsamkeit" berichten nach der „Sächs. Arb.-Ztg."

eine Reihe Blätter.

Danach hatte eine alte Frau in Coßmannsdorf vor

ihrem Tode den Wunsch ausgesprochen, man möge ihr einst folgende In-

56

Kapitel I.

das — auch wenn

Friedhofs-Intoleranz.

man von dem ausdrücklichen Recht der

Kirchengemeinde ganz absieht — Intoleranz heißen? die Frage durchaus nicht so

Ich kann

ohne weiteres bejahen wie der

Und doch — mag es immerhin mit

„Volkserzieher" in Berlin.

der dem Gaste geziemenden Bescheidenheit unvereinbar sein, wenn die Freunde des Toten ungefragt mit einem dem Geist des Gast­

gebers heterogenen Bekenntnis sich breit machen, es ist doch auch eine unhaltbare Inkonsequenz (die als Intoleranz wirkt), einen

Toten ohne Rücksicht auf sein unkirchliches Bekenntnis in einem kirchlichen Gottesacker aufzunehmen und dann die von der Toten­

feier sicherlich nicht zu trennende Grabinschrift auf ihre Kirch­

lichkeit zu prüfen.

Diese Inkongruenz liegt aber in dem Charak­

ter eines konfessionellen Friedhofs, der doch in echt evangelischer Weise Gastfreundschaft gewährt.

Die Lösung dieser Schwierigkeit

wird uns an einem andern Ort beschäftigen. schrist auf ihr Grab setzen:

„Hier ruht im Mutterschoß der Erde

Christiane Wilhelmine Andreas aus Coßmannsdorf, geb. den 18. April 1815, gest, den 7. Januar 1904." Dem Sohne, der diesen Willen der Mutter

ausführen wollte, wurde nun die Anbringung dieser Inschrift auf dem Grabstein vom Ortsgeistlichen untersagt, „da die beabsichtigte Inschrift auf

dem Grabe einer Christin unzulässig ist". Diese Entscheidung des Orts­ geistlichen ist dann im Klagewege vom Kirchenvorstande, von der Kirchen­ inspektion Dresden (unterzeichnet Krug von Nidda und Pfarrer Dünger) und vom sächs. evangel. Landeskonsistorium bestätigt worden. — Armer Schiller! Wie „unzulässig" war es, daß du in der „Glocke" vom dunklen

Schoß der heiligen Erde sangst: „Noch köstlicheren Samen bergen wir trauernd in der Erde Schoß."

Aber mehr noch: die gerügte Vorstel­

lung von dem „Mutterschoß der Erde" ist gut biblisch!

So heißt es in

Buche Sirach 401: „Es ist ein elend Ding um aller Menschen Leben von Mutterleibe an, bis sie in der Erde begraben werden, die unser aller Mutter

ist."

Und der bekannte Theologe Gottfried Büchner schreibt in seiner Bibl.

Real- und Verbal-Konkordanz: „darum heißt die Erde unser aller Mutter^ weil wir daraus geschaffen sind, sie uns Nahrung gibt, und nach dem Teil

welcher daraus gemacht, uns nach dem Tode in ihren Schoß wieder auf­ nimmt."

Möchten doch unsre kirchlichen Organe sich etwas mehr bemühen

sich vor dem Fluch der Lächerlichkeit zu schützen!

4. Intoleranz der weltlichen Instanzen. Aber, möchte man fragen, wie ist das möglich, daß eine Kirche eine Minorität, der die Ausübung ihres Bekenntnisses verfassungsmäßig garantiert ist, bei der Bestattung ihrer Toten schikaniert und kränkt? Sind denn, möchte man fragen, keine Gemeinde- und Staatsbehörden da, berufen zu wachen, daß die bürgerliche Stellung und Ehre vom Bekenntnis unabhängig bleibe und daß auch die Gläubigen der Minoritäten in der Ausübung ihres Gottesdienstes durch die Majoritäten nicht gestört würden. Leider gibt es aber auch eine Intoleranz der Regierung, über­ haupt der weltlichen Instanz: das heißt in diesem Fall Mangel an einer festen Hand, an konsequenter gleichmäßiger Toleranz auch derer von der Minorität. Die Haltung mancher Behörden auch in unsrer Friedhofsfrage charakterisiert sich oft genug als unwürdiges Entgegenkommen gegen klerikale Wünsche, das mitunter zu einer die eigene Kompetenz geradezu preisgebenden Schwäche wird, als ein System, das nicht bloß Ungesetzlichkeiten der kirchlichen Majoritäten ent­ schuldigt und legalisiert, sondern selbst vor gesetz- und verfassungswidrigen Ungerechtigkeiten und Rücksichts­ losigkeiten gegen eine ohnehin vergewaltigte Minorität und ihre amtlichen Organe nicht zurückschreckt, Beschwer­ den aber, die an die Verfassung appellieren, mit kränken­ der Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit behandelt. Dabei denke ich in erster Linie an Klagen der evangelischen Kirchen, besonders in Lothringen, Bayern, Österreich. Denn an den Desiderien der Sekten, von denen in zwei­ ter Linie die Rede sein muß, ist mehr die Rückständig­ keit und Intoleranz noch bestehender gesetzlicher oder polizeilicher Bestimmungen als eine der Organe der Rechtsprechung und der Verwaltung schuld. Doch stärkt die Friedhofspraxis der weltlichen Instanz auch hier gelegentlich einen engen Konfessionalismus.

Kapitel I.

58

Friedhofs-Intoleranz.

a) Weltliche Intoleranz der evang. Kirche gegenüber. Vor allem freilich ist das so in den Staaten, wo Leitende

ohne allzuviel Rückgrat von jenseits der Berge Direktiven ent­ gegennehmen zu müssen meinen.

Das für Lothringen noch

geltende sogenannte Prärialdekret vom Jahre 1804, das grund­

sätzlich die Rechte des Staats und der Kommune wahrt, enthält in der Friedhofssache doch eine Bestimmung, die — wenn sie auch anders gemeint sein mochte — doch tatsächlich als Kon­

zession an den Konfessionalismus gewirkt hat und, allerdings vermöge einer gewalttätigen textwidrigen Auslegung, ihm zur

Befriedigung seiner Gelüste auch in solchen Fällen Verholfen hat,

auf die sie gar nicht gemünzt war (vgl. S. 2f.).

Möglich war

das freilich nur, weil die weltliche Instanz in so und so viel

Fällen sich dazu hergab und hergibt, jene Auslegung sich anzu­ eignen. So wurde vom Gemeindcrat in Fameck, wo kein Dutzend Protestanten sind, also von einer evangelischen Kultusgemeinde

keine Rede sein kann, der Antrag auf konfessionelle Scheidung innerhalb des (Kommunal-) Friedhofs gestellt, damit der Bischof

seinen Willen habe.

Am 2. VIII. 1904 fanden die Famecker bei

der Kreisdirektion Diedenhofen liebenswürdigstes Entgegenkommen.

Liberale Blätter, wie das Berliner Tageblatt (23. VIII.), notierten Nachdem dann die höhere Instanz im

dies als Unterwerfung.

Sinne des Gesetzes entschieden und den Antrag abgelehnt hatte,

herrschte in Fameck (wenigstens nach dem „Lorrain") Unzufrieden­

heit, und man appellierte an den Kaiser!. Rat als den Verwal­ tungsgerichtshof.

Willfährige, d. h. weniger ihrer Obrigkeit als

der Kirche gehorsame Bürgermeister sind ja in Lothringen keine

allzu seltene Erscheinung.

Voeltzel (S. Uff) erzählt uns von

einem aus Udern, der ein Reihengrab verweigerte und dem auf ihn hineinredenden Vikar mehr Gehör gab als einer ausdrück­ lichen Verfügung des Kreisdirektors.

Ein andrer gibt sich zum

gehorsamen Diener klerikaler Schikanen her und gibt den Fried­ hofsschlüssel an den katholischen Ortspfarrer ab, der sich dann als verreist ausgeben läßt (ib. 26; 31). ein dritter (1892) die

In Liedersingen will

Ausgrabung einer unehrlich bestatteten

4. Weltliche Intoleranz: der evangelischen Kirche gegenüber.

Leiche nur bei Nacht vornehmen lassen (ebenda 33).

59

Die Palme

aber gebührt dem von Hattigny (vgl. S. 7), der auf einen Pro­

test gegen die der Elisabeth Sch. angewiesene Selbstmörderecke rund und nett erwiderte: der Herr Pfarrer gibt mir die Voll­

macht nicht.

Daß es einem unter Umständen auch bei höheren

Instanzen nicht besser geht, wenn man auf Rechtsschutz wartet, davon wissen die Gemeinden Ensdorf und Öttingen (Voeltzel,

S. 33 und 45) ein Lied zu singen.

Der oben (S. 7) erzählte

Fall aus Essesdorf (D. E. K. 147) kann erst jetzt seine Auf­ klärung finden.

Dort wurde ja ein ursprünglich anstandslos in

der Reihe errichtetes Grab eines Evangelischen mit Brettern und

später in weiterem Umkreis mit Steinen umzäunt und so eine

protestantische Ecke markiert.

Der wegen Grabschändung be­

schwerdeführende Verwandte erhielt den Bescheid, der Bürger­

meister habe im Auftrag des (evangelischen!) Kreisdirektors von

Saarburg gehandelt.

Da dieser auch der Vorgesetzte des Be­

schwerdeführers war, wandte sich der ans Metzer Konsistorium, erreichte aber nichts, weil die Regierung in der Angelegenheit

keinen Zug tat. — Das neueste Exempel aus Lothringen bringt die Straßb. Ztg. vom 20. XII. 1904.

Fiel da der aus dem

Dorfe Zittersheim stammende P. M., der in dem Dorfe Wahlen­

heim beim Hopfenpflücken half, am 16. IX. früh vom Heustall herab und starb.

Um 7 Uhr morgens wird von Mommenheim

aus von dem Dienstherrn des M. an den Bürgermeister von Zittersheim telegraphiert, daß M. schwer verletzt sei und man

die Verwandten benachrichtigen solle.

Sofort schickte der Bürger­

meister zwei Kinder nach Sparsbach, wo die eine Tochter wohnte,

da im Dorfe selbst keine Verwandten mehr vorhanden waren . .. Als am folgenden Tage (17. IX.) die beiden Töchter und der

Sohn in Wahlenheim eintrafen, war der Vater bereits auf An­

ordnung des Bürgermeisters in der Selbstmörderecke verscharrt worden.

Zwei Kinder ließen sich vom Dienstherrn ihres Vaters

bestimmen, einen Schein zu unterzeichnen, daß sie mit dieser Maßnahme einverstanden seien — eine geradezu unmoralische Zumutung den eigenen Kindern gegenüber —, die zweite Tochter

Kapitel I.

60

Friedhofs-Intoleranz.

aber ließ sich nicht bereden und protestierte gegen diese unwürdige Behandlung ihres Vaters. Ende September ging der Protest an die Kreisdirektion Hagenau ab, die wegen „Überhäufung mit andern Dienstgeschäften" erst am 9. XI. dazu kam, zu antworten, für das Verhalten des Bürgermeisters kein Wort des Tadels hatte, sondern es durch den Hinweis auf Ortsgebrauch, Öhmdernte, Hopfenpflücken und Einquartierung, worauf sich der Bürger­

meister berufen hatte, sogar noch zu entschuldigen suchte.

Da­

gegen wurde der Stellung besonderer Anträge entgegengesehen, als ob nicht die schreiende Gesetzesverletzung an sich zum Ein­

schreiten genügte!

Es bedurfte eines zweiten Schreibens, um

das Eingreifen des Kreisdirektors zu veranlassen.

Jetzt wies

dieser den Bürgermeister an, 1. „den plangemäß bestehenden Teil

für Andersgläubige unzweifelhaft abgrenzen zu lassen"

2. die

Leiche des M. dahin umbetten zu lassen und von Tag und

Stunde den Angehörigen und dem Pfarrer von Zittersheim rechtzeitig Nachricht zu geben.

Das ist inzwischen geschehen und

der Verscharrte endlich nach einem Vierteljahr kirchlich beerdigt worden.

Der Korrespondent der Straßb. Ztg. hält nun aber

dafür, daß auch jetzt noch nicht alles in Ordnung ist.

Er fragte

sich zunächst: Wenn die Abteilung für Andersgläubige „plan­

gemäß" bestand, warum wurde denn der arme Verunglückte nicht plangemäß dort begraben und Angehörige und Pfarrer nicht

ordnungsgemäß davon benachrichtigt?

Warum hielt denn der

Bürgermeister das infame Eck für den normalerweise dem Ketzer gebührenden Platz?

Doch offenbar deshalb, weil er von der

Existenz dieses „plangemäßen" Teils nichts wußte und das Gesetz nicht kannte oder nicht kennen wollte, das überhaupt für diesen

Fall (keine eigene Kultusgemeinde!) die Beerdigung in der Reihe

befiehlt.

Dafür hätte der Bürgermeister „wegen beschimpfenden

Unfugs" bestraft werden sollen, denn die Verscharrung eines Pro­ testanten im infamen Eck war für jeden Fall eine Ungesetzlich­

keit, eine rechtswidrige Handlung.

Bei seiner Erforschung des

Tatbestands mit dem „planmäßig bestehenden Teil" entdeckte nun der Korrespondent, daß der jetzt vorhandene Begräbnisplatz für

4. Weltliche Intoleranz: der evangelischen Kirche gegenüber.

61

Andersgläubige den gesetzlichen Bedingungen nicht entspricht und

nur durch Fahrlässigkeit der Aufsichtsbehörde sein Dasein fristen konnte.

Die (augenscheinlich erst neu entdeckte) Abteilung für

Andersgläubige ist ungefähr so groß wie das infame Eck und der Teil für die ungetauften Kinder zusammen, stößt an diese

an und bildet mit ihnen ein infames Eck im großen.

Der katho­

lische Teil ist von diesen drei zusammenliegenden Eckparzellen

durch einen Weg getrennt — das Unheilige hebt sich also scharf ab vom Heiligen.

Der arme P. M. ist aus seinem Selbstmörder­

grab herausgenommen und ca. 3 m vorgeschoben worden — in den „plangemäßen" protestantischen Nachbarteil.

Nach den gel­

tenden Bestimmungen (Geigel I 228 Anm. 3) darf der Teil für Andersgläubige nicht an das infame Kinder- oder Selbst­

mördereck anstoßen, es sei denn, daß er davon durch mindestens 2 m

hohe Mauern oder 5 m breite Büsche getrennt bleibt.

Ungesetzlich war also in diesem Fall dreierlei: die Art der Absonderung, die ursprüngliche (infame) wie die spätere (un­ genügende), und die Absonderung an sich. (Ähnlich die Köln. Ztg.,

die auch den vollen Namen des P. M. nennt, Peter Metz.) —

Wie tadellos

die

Herren Bürgermeister als ausführende

Organe des bischöflichen Programms funktionieren, beweist die

neuerdings durch ein Flugblatt') inszenierte Mafseneingabe an

den Landesausschuß wegen Konfessionsfriedhöfen bzw. konfessio­ nellen Abteilungen. Die meisten Listen beginnen mit dem Namen

des Bürgermeisters, viele haben ihrem Eifer durch Beifügung des Amtssiegels noch besondren Nachdruck verliehen'). Übrigens x) In welch gewissenloser Weise dieses das Volk bearbeitet, geht aus folgender Stelle hervor:

„Einige Andersgläubige, die in unser Land ge­

kommen sind, wollen uns unser uraltes heiliges Recht nehmen.

Von der

Regierung unterstützt (! vgl. oben), suchen sie in das Heiligtum unsrer Toten einzudringen. Sie, die im Leben nicht mit uns sein wollen (!!),

drängen sich uns im Tode auf . . . Soweit ist es gekommen, daß unsre katholischen Kirchhöfe, die das Gesetz uns verbürgt, von der Willkür der ersten besten abhängig sind!

Bemühungen der Behörden.)

(Eine seltsame Würdigung der klerikalen

Vgl. Siraßb. Post vom 1. II. 1905.

Be­

züglich des Prärialdekrets wird das Volk in dem Flugblatt direkt irre-

Kapitel I.

62

Friedhofs-Intoleranz.

hält ein so klerikales Blatt wie der „Elsässer" in Straßburg die Petition für unzeitgemäß (Schwäb. Merkur 1905, 54).T) Auch in den Rheinlanden kommt es vor, daß ein Ge­

meinderat so unter dem päpstlichen Pantoffel ist, daß — ganz zu schweigen von dem gesetzlichen Reihengrab — das Mindest­ maß von Anstand und Achtung gegen andersgläubige Mitbürger, nämlich eine Umrahmung des von den Evangelischen bewohnten

Friedhofsteils, die ihn als evangelischen Friedhof kennzeichnen soll, ihnen verweigert wird (K. K. 1890, 12). Nun hinüber nach Bayern! Als bei der Beerdigung des protestantischen Ökonomen Gries in Stadelberg (1896) der pro­

testantische Prediger, der die Funktion am Grab hatte, wegen

Verweigerung des verfassungsmäßigen Geläutes beim Bezirks­ amt sich beschwerte (vgl. oben), wurde ihm von diesem gar nicht geantwortet. Als das evangelische Dekanatamt sich selbstverständ­ lich nicht zufrieden gab, gab es endlose Verhandlungen zwischen allen einschlägigen Behörden, die damit endeten, daß das Bezirks­ amt Miesbach die famose Formel fand, das katholische Pfarramt habe sich in einem Nechtsirrtum befunden, indem es annahm, die Frage der Gewährung des Geläutes sei durch bischöfliche Er­

lasse geregelt, während in Wirklichkeit hier die Verfassung die Entscheidung treffe. Man wagte es nicht einmal, das Verhalten

des katholischen Pfarrers zu mißbilligen, der ganz genau wußte, wie die Dinge liegen und ausdrücklich erklärt hatte, die Ver­ fassung nicht beachten zu wollen. (Dies wird bestätigt von Herrn Pauli, damaligem Reiseprediger in Tölz und nunmehrigem Pfarrer in Westheim, Unterfranken, Bayr. Denkschrift 1904 S. 26.) Ebenso schwach zeigte sich die Regierung, als am 24. Oktober 1903 die auf das Grabgeläute bezüglichen Verfassungswidrig­ keiten und Schikanen des katholischen Pfarrers von Obereßfeld geführt. — Als Verfasser nennen die während dem Druck erschienenen „Lothr. Friedhofgeschichten" („und anderes" von Pf. Sell in Ars a. d. Mosel,

40 Pf.) den Kaplan Pinck, den Sohn einer protestantischen Mutter (vgl. u. S. 148).

x) Das war vor dem Spruch des Kaiserl. Rats geschrieben.

4. Weltliche Intoleranz: der evangelischen Kirche gegenüber.

63

(1 c, S. 19 f.) in der bayrischen Kammer zur Sprache gebracht

Der Kultusminister bemerkte nämlich dazu, daß der

wurden.

Pfarrer bereits

76 Jahre alt sei und das zunehmende Alter

eine gewisse Eigenart erklären, vielleicht auch entschuldigen lasse. So wohlwollend wird in Bayern ein katholischer Pfarrer be­ handelt, der den Ortsbürgermeister zum Ungehorsam gegen das Bezirksamt verleitet (ebenda 7)1 (Sonst heißt es doch: der Alte ist

milder!) — Die Stadtgemeinde Ochsenfurt in Unterfranken er­

weiterte im Jahre 1900 den paritätischen Begräbnisplatz. wie

Ebenso

das katholische Pfarramt gab auch das zuständige pro­

testantische von Winterhausen die Absicht kund, diesen neuen

Teil des Friedhofes einzuweihen, wie solches kirchlich angeordnet und durch die Bestimmungen in §§ 24 und 38 Abs. II lit. g

der H. Verfassungsbeilage gewährleistet ist.

Der Stadtmagistrat

jedoch faßte unterm 27. November den Beschluß, daß die Ein­ weihung des neuen Friedhofes nach protestantischem Ritus nicht gestattet werde; eine schriftliche Begründung dieses Beschlusses

fehlte.

Dem Königlichen Bezirksamt gegenüber, welches auf Auf­

hebung dieses Beschlusses drang, beharrte der Stadtmagistrat durch Beschluß vom 3. Oktober auf seinem früheren Beschluß, obwohl selbst das bischöfliche Ordinariat ausdrücklich erklärt hatte (1. X.),

daß

dem Begehren

des

protestantischen Pfarramts

nichts im Wege stehe (recht gnädig!).

Von welcher Seite aus

der Magistrat mit so gutem Erfolge bearbeitet worden war, ist daraus zu erkennen, daß im Laufe der Verhandlungen das

katholische Pfarramt

„im Falle einer Einweihung des neuen

Friedhofs von protestantischer Seite eine solche allgemeiner Art nach katholischem Ritus nicht als angängig erachtet" hatte (Denk­

schrift S. 42 f.). Inwieweit in Österreich

auf

konfessionellen Friedhöfen

das gastfteundliche Gesetz vom Jahre 1868 (vgl. schon S. 24 f.) kampfweise durchgesetzt wird, hängt nicht zuletzt von dem größeren

oder geringeren Amtseifer und der — ab und zu von Unter­ strömungen geschwächten — Energie der Verwaltungsbehörden

ab.

Viele kirchenpolitische Maßnahmen niederer und höherer

64

Kapitel I.

Friedhofs-Intoleranz.

Instanzen machen den Eindruck, daß feste Grindsätze weniger als Stimmungen und Strömungen für die eiizelnen Akte der in Österreich Regierenden maßgebend sind. W