Die Frühzeit des Menschen: Der Weg zum Homo sapiens [6 ed.] 9783406736001, 9783406736018, 3406736009

Afrika war die Wiege der Vor- und Urmenschen. Daher steht dieser Kontinent im Zentrum der Wissenschaft von den fossilen

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German Pages 128 [137] Year 2019

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Table of contents :
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Zum Buch
Über den Autor
Impressum
Inhalt
1. Chancen und Herausforderungen paläoanthropologischer Erkenntnis
Expeditionen in die Vergangenheit
Ohne Geologie keine Datierung
Wenn Organismen versteinern
Paläoumwelt und Human Paleobiomics: Das große Ganze
Harte Beweise: Paläoanthropologische Sammlungen
Datensicherung: Hightech und Digitalisierung
Paläokriminalistik: Genetik und Geochemie
Morphologie, Life History & Phylogenie
2. Ursprünge: Die Wurzeln der Homininen
Von Feuchtnasen-, Altwelt- und Menschenaffen
Aus Affen werden Menschenaffen
Früheste Expansionen: Menschenaffen in Europa
Ardi & Co.: Ursprünge des aufrechten Gangs
3. Urwelten: Vormenschen in Afrika
Die moderne Paläoanthropologie begann in Südafrika
Ostafrika wird zum Fossilienparadies
Fundlücken werden gestopft
Ur-Vormenschen: Lucy und die Menschen vom See
«Montrez-moivos dents et je vous dirai qui vous êtes»
Panafrikanische Varianten der Vormenschen
Nussknackermenschen: Große Zähne, starke Muskeln
Herausforderung Klimawandel: Die biologische Lösung
4. Urheimat Afrika: Die ersten Urmenschen
Auf der Jagd nach den Urmenschen
Verzweigte Wurzeln der Gattung Mensch
Herausforderung Klimawandel: Die kulturelle Lösung
Herausforderung Klimawandel: Die Migrationslösung
Typisch menschlich: Biokulturelle Evolution
5. Umbrüche: Die erste Besiedlung der Alten Welt
Java-Menschen vom versunkenen Kontinent Lemurien
Apotheken, Höhlen und verschwundene Fossilien
Die ersten Europäer lebten im Kaukasus
Frühmenschenvielfalt in Afrika
Wie Frühmenschen die Welt eroberten
Out of Africa I: Expansion in neue Welten
Höhlen und Inseln: Rückzugsgebiete der Frühmenschen
6. Umwege: Vorfahren und Verwandtschaft moderner Menschen
Von Sambia bis Marokko: Frühmenschen setzen sich durch
Europa und Asien: Wiegen der Menschheit, die keine waren
Divers und erfolgreich: Neandertaler und Denisova-Menschen
Neandertaler dachten wie wir
Begegnungen mit der Moderne
Das Ende der Neandertaler
7. Umdenken: Ein neues Geschichtsbild für
Afrika: Ursprung der Modernität
Out of Africa II: Biologische Variabilität
Biokulturelle Diversität
Dekonstruktion des Rassismus
Erbe der Menschheit: Geschichte verhandeln
Danksagung
Hinweise auf weiterführende Literatur
Register
Chronologie früher Homininen auf biogeographischer Grundlage
Tafelteil
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Die Frühzeit des Menschen: Der Weg zum Homo sapiens [6 ed.]
 9783406736001, 9783406736018, 3406736009

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Afrika war die Wiege der Vor- und Frühmenschen und der Ursprungskontinent von Homo sapiens. Daher steht Afrika im Zentrum der Wissenschaft von den fossilen Menschen, der Paläoanthropologie. Die Rekonstruktion der komplexen Entwicklungsgeschichte der Menschheit erfordert eine schier unendliche Geduld, um die Reste unserer Vorfahren aufzuspüren und zu bergen, modernste Technik, um sie zu untersuchen, und interdisziplinäre Vernetzungen, um das Puzzle von 7 Millionen Jahren, mehr als 350 000 Generationen, biokultureller Evolution zusammenzusetzen, aus dem sich ein Gesamtbild unserer eigenen Urgeschichte ergibt. Wo und wie Paläoanthropologen arbeiten, welche Erkenntnisse sie bislang gewonnen haben und welche Konsequenzen sich aus den Resultaten ihrer Forschung für die modernen Menschen ergeben, wird in dem vorliegenden Band verständlich und spannend geschildert.

Friedemann Schrenk ist Professor für Paläobiologie der Wirbeltiere an der Goethe-Universität, Leiter der Sektion Paläoanthropologie des Forschungsinstituts Senckenberg in Frankfurt a. M. und Forschungsstellenleiter des Projekts ROCEEH (Role of Culture in Early Expansions of Humans) der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Als einer von wenigen deutschen Wissenschaftlern verfolgt er auf Feldforschungen in Afrika die Spuren der Vor- und Frühmenschen. Als Mitbegründer der URAHA Foundation Germany und des Cultural & Museum Centre in Karonga/Malawi unterstützt er zudem gezielt Ausbildung und Arbeit afrikanischer Wissenschaftler auf dem Gebiet der Paläoanthropologie, um Pflege und Vermittlung des einzigartigen natürlichen und kulturellen Erbes der Entwicklungsgeschichte der Menschen auf dem afrikanischen Kontinent zu fördern.

Friedemann Schrenk

DIE FRÜHZEIT DES MENSCHEN Der Weg zum Homo sapiens

C.H.Beck

Mit 21 Abbildungen, Farbtafeln und Karten © für die Schwarz-Weiß-Zeichnungen: Christine Hemm und A. Marie Rahn © für die Farbtafeln 2 – 7: Rodolfo Nogueira 1. Auflage. 1997 2., neu bearbeitete Auflage. 1998 3., neu bearbeitete und ergänzte Auflage. 2001 4., neu bearbeitete Auflage. 2003 5., neu bearbeitete und ergänzte Auflage. 2008

6., grundlegend neu bearbeitete Auflage. 2019

© Verlag C.H.Beck oHG, München 1997 Reihengestaltung Umschlag: Uwe Göbel (Original 1995, mit Logo), Marion Blomeyer (Überarbeitung 2018) Umschlagabbildung: Uwe Göbel, München ISBN Buch 978 3 406 73600 1 ISBN eBook 978 3 406 73601 8 Die gedruckte Ausgabe dieses Titels erhalten Sie im Buchhandel sowie versandkostenfrei auf unserer Website www.chbeck.de. Dort finden Sie auch unser gesamtes Programm und viele weitere Informationen.

Inhalt

1. Chancen und Herausforderungen paläoanthropologischer Erkenntnis 9

Expeditionen in die Vergangenheit  . . . . . . . . . . Ohne Geologie keine Datierung  . . . . . . . . . . . Wenn Organismen versteinern  . . . . . . . . . . . . Paläoumwelt und Human Paleobiomics: Das große Ganze  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harte Beweise: Paläoanthropologische Sammlungen . Datensicherung: Hightech und Digitalisierung . . . . Paläokriminalistik: Genetik und Geochemie  . . . . . Morphologie, Life History & Phylogenie  . . . . . . 2. Ursprünge: Die Wurzeln der Homininen

Von Feuchtnasen-, Altwelt- und Menschenaffen  . . . Aus Affen werden Menschenaffen  . . . . . . . . . . Früheste Expansionen: Menschenaffen in Europa  . . Ardi & Co.: Ursprünge des aufrechten Gangs  . . . .

10 12 16 17 19 21 22 24 27



3. Urwelten: Vormenschen in Afrika

 ie moderne Paläoanthropologie begann in D Südafrika  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ostafrika wird zum Fossilienparadies  . . . . . . . . Fundlücken werden gestopft  . . . . . . . . . . . . . Ur-Vormenschen: Lucy und die Menschen vom See  . «Montrez-moi vos dents et je vous dirai qui vous êtes»  Panafrikanische Varianten der Vormenschen  . . . . . Nussknackermenschen: Große Zähne, starke Muskeln  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herausforderung Klimawandel: Die biologische Lösung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27 30 31 33 40

40 42 46 48 51 53 59 62

4. Urheimat Afrika: Die ersten Urmenschen

Auf der Jagd nach den Urmenschen  . . . . . . . . . Verzweigte Wurzeln der Gattung Mensch  . . . . . . Herausforderung Kimawandel: Die kulturelle Lösung  Herausforderung Klimawandel: Die Migrationslösung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Typisch menschlich: Biokulturelle Evolution  . . . . . 5. Umbrüche: Die erste Besiedlung der Alten Welt

J ava-Menschen vom versunkenen Kontinent Lemurien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Apotheken, Höhlen und verschwundene Fossilien  . . Die ersten Europäer lebten im Kaukasus  . . . . . . . Frühmenschenvielfalt in Afrika  . . . . . . . . . . . . Wie Frühmenschen die Welt eroberten  . . . . . . . . Out of Africa I: Expansion in neue Welten  . . . . . . Höhlen und Inseln: Rückzugsgebiete der Frühmenschen  . . . . . . . . .

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64 66 68 70 71 75

75 77 79 81 84 94 96

6. Umwege: Vorfahren und Verwandtschaft moderner Menschen 98

 on Sambia bis Marokko: Frühmenschen setzen sich V durch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Europa und Asien: Wiegen der Menschheit, die keine ­waren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Divers und erfolgreich: Neandertaler und Denisova-­ Menschen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Neandertaler dachten wie wir  . . . . . . . . . . . . 107 Begegnungen mit der Moderne  . . . . . . . . . . . . 109 Das Ende der Neandertaler  . . . . . . . . . . . . . . 110 7. Umdenken: Ein neues Geschichtsbild für Homo sapiens 111

Afrika: Ursprung der Modernität  . . . . . . . . . . 111 Out of Africa II: Biologische Variabilität  . . . . . . . 113

Biokulturelle Diversität  . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Dekonstruktion des Rassismus  . . . . . . . . . . . . 118 Erbe der Menschheit: Geschichte verhandeln  . . . . . 119 Danksagung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Hinweise auf weiterführende Literatur  . . . . . . . . 122 Register  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

Abb. 2: Prof. Phillip Tobias (1925 – 2012), Witwatersrand University, ­Johannesburg, Südafrika, Department of Anatomy, mit Australopithecus africanus (Taung-Baby, ca. 1,5 Millionen Jahre alt) (vgl. S. 40) (Foto: Stephanie Anthoni)

«Was wir als Anfänge glauben nachweisen zu können, sind ohnehin schon ganz späte Stadien.» Jacob Burckhardt (Weltgeschichtliche Betrachtungen, Einleitung)

1. Chancen und Herausforderungen paläoanthropologischer Erkenntnis Die moderne Paläoanthropologie, die Wissenschaft von den fossilen Menschen, basiert auf der Evolutionstheorie und bewegt sich innerhalb der Grenzen der geologischen, biologischen und archäologischen Wissenschaften. Ihr Arbeitsgebiet reicht von den anatomischen und funktionellen Merkmalen bis zu genetischer Variabilität und der dem Menschen eigenen Kulturfähigkeit. Die Paläoanthropologie arbeitet mit naturwissenschaftlichen Methoden, ist aber dem Wesen nach historisch ausgerichtet. Die wenigen harten Beweise für die Stammesgeschichte des Menschen sind fossile Überreste, meist Knochen und Zähne, die als härteste Bestandteile des Organismus oft gut fossilisieren, falls die geologischen Voraussetzungen hierfür überhaupt gegeben sind. Mit ihrer Interpretation beschäftigt sich die Wissenschaft der Paläontologie. Es fehlen alle organischen Bestandteile, also beispielsweise Nervenzellen, Muskeln, Blutgefäße, Organe. Es gibt keine Hinweise auf physiologische Vorgänge. Soziale Verhaltensweisen und Traditionen sind ebenso wenig fossilisationsfähig wie Emotionen, etwa Schmerz und Freude, ästhetisches Empfinden oder das Lachen eines Kindes. Auch die Sprache fossilisiert nicht, höchstens anatomische Merkmale der Sprechfähigkeit. Schon allein unter diesen Gesichtspunkten ist der paläontologische Erkenntnishorizont begrenzt und die Evolution der Menschen von der Paläoanthropologie nur unvollständig nachzuzeichnen. Fossilien tragen außer ihrer stummen Anwesenheit

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1. Chancen und Herausforderungen

wenig zu ihrer Interpretation bei. Rekonstruktionen paläoan­ thropologischer Vorgänge sind immer im weitesten Sinne Hypothesen, die von wissenschaftlichen, aber auch von kulturellen oder politischen Weltbildern beeinflusst sind: Daher geht es nicht um richtig oder falsch, sondern um logisch oder unlogisch, um wahrscheinlich oder unwahrscheinlich. Von einer historischen Wissenschaft, die ohne Urkunden oder überlieferte Objekte mit Inschriften aus historischen Epochen auskommen muss, mehr zu fordern, wäre vermessen. Die Fossilfunde der letzten Jahre belegen eine große geographische Vielfalt an Vormenschentypen in der Frühzeit des Menschen. Allerdings wurden mit der Vergrößerung der Familie afrikanischer Homininen, unserer frühesten Vorfahren aus der Wiege der Menschheit, die Verwandtschaftsverhältnisse unübersichtlich. So wird auch die Suche nach unserem eigenen Ursprung immer verzweigter. Es ist die Fahndung nach den Vorfahren von Menschenaffen und Menschen, nach der Entstehung des aufrechten Ganges, nach der ersten Expansion aus Afrika, nach dem Beginn der Kultur und nach dem Ursprung der modernen Menschen. Durch die erhebliche Erweiterung der Datenbasis vor allem auf den Gebieten der Paläoökologie wird ein Zusammenhang zwischen Umweltveränderungen und den entscheidenden Phasen der Menschwerdung in Afrika deutlich. Daher gibt dieses Buch einen Einblick in die Fragestellungen der modernen Paläoanthropologie und zeigt, wie Hypothesen zur biokulturellen Evolution der Menschen entwickelt und getestet werden können. Expeditionen in die Vergangenheit

Trotz aller Funde fossiler Menschenreste fehlen im Puzzle der Stammesgeschichte der Homininen mehr als 99,99 Prozent der Teile, die unsere Herkunftsgeschichte vollständig belegen könnten. Statistisch gesehen, steht zur Rekonstruktion von 100 Generationen nicht mehr als ein fossiles Knochen- oder Zahnfragment zur Verfügung. Die fossilen Funde sind zeitlich und räumlich nicht gleichmäßig verteilt, es gibt gravierende Fundlü-

1. Chancen und Herausforderungen

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cken. Diese können nur langsam durch paläoanthropologische Feldforschung geschlossen werden. Die aufwendigen und daher teuren Expeditionen bedürfen gründlicher fachlicher und administrativer Vorbereitungen (zum Beispiel: Einholung der Arbeitserlaubnis im Gastland), die zum Teil mehrere Monate beanspruchen. Die ein- bis mehrmonatigen Geländeaufenthalte sind meist auf die regenfreien Zeiten begrenzt. Da die Einrichtung eines Forschungscamps vor allem in unzugänglichen Gebieten oft schwierig und der Dauerbetrieb zu teuer ist, finden die Arbeiten der beteiligten Wissenschaftler, seien es Sedimentologen (untersuchen Beschaffenheit und Bildung der fossilführenden Schichtlagen), Tektoniker (untersuchen die großräumige strukturelle Geologie eines Gebietes), Paläontologen oder Datierungsspezialisten, im Team statt. Dies hat den Vorteil, dass neu dokumentierte Fundstellen sofort im notwendigen Detail analysiert werden können. Die Dokumentation einer Fossilienfundstelle hat vor allem sicherzustellen, dass Funde exakt örtlich, zeitlich und im geologischen Verband lokalisiert werden. Funde ohne entsprechende Angaben sind wissenschaftlich nahezu wertlos. Im Zielgebiet einer geplanten Exploration müssen die potentiell fossilhaltigen Sedimentgesteine heute oberflächlich freiliegen. Daher werden die potentiellen Fundgebiete häufig nach typischen Erosionserscheinungen in Satellitenbildern vordefiniert und dann mit Hilfe von Navigationsgeräten in Geländefahrzeugen oder zu Fuß angesteuert. Je nach Vegetationsbedingungen wird die Oberfläche in Teams von bis zu 30 Helfern systematisch Zentimeter für Zentimeter nach Fossilresten abgesucht, die durch die Verwitterung des umgebenden Gesteins freiliegen. Paläontologische Grabungen finden statt, wenn die oberflächliche Funddichte sehr hoch ist oder wenn weitere Bruchstücke eines besonders wichtigen Fossils zu erwarten sind. Werden Artefakte (von Menschen geschaffene Gegenstände, zum Beispiel bearbeitete Steine) angetroffen, finden archäologische Grabungen statt. Je nach Erhaltungszustand müssen größere Fossilien bereits an der Fundstelle, zum Beispiel durch das Aufbringen einer Gipsmanschette, vorläufig konserviert werden. Bei Gra-

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1. Chancen und Herausforderungen

bungen wird das fossilführende Sediment mit Wasser aufgeweicht und, in dieser Weise gelöst, durch mehrere Siebgrößen geschlämmt, um Reste von Kleinsäugern und anderen mit bloßem Auge kaum sichtbaren Fossilien sicherzustellen. Alle geborgenen Stücke werden mit Fundnummern versehen. Die Katalogbezeichnungen geben meist die sammlungsverwaltende Institution und die Fundregion wieder. So bezeichnet zum Beispiel in der Katalognummer KNM-ER 1470 für einen Homo rudolfensis-Schädel (Abb. 7) vom Ostufer des Turkana-Sees KNM die Institution Kenya National Museum, ER die Fundregion East Rudolf (heute East Turkana) und 1470 die laufende Inventarnummer. Ohne Geologie keine Datierung

Die Entstehung von Fossilienlagerstätten ist an die lokalen geologischen Bedingungen geknüpft. Nur wenn ein Ablagerungsgebiet zur Verfügung steht, in dem dort zerfallende oder antransportierte Skelettreste von Sediment überlagert und so vor der weiteren Verwitterung geschützt werden, kann der Fossilisationsprozess in Gang kommen. Potentiell gute Sedimentationsgebiete sind große, langsam absinkende Becken, wie sie beispielsweise im ostafrikanischen Grabenbruch (Afrikanisches Rift, Abb. 5) durch das Auseinanderdriften der kontinentalen Erdkruste entstehen. Eine Freilegung fossilführender Schichten kann auch durch den gezielten Abbau umgebenden Gesteins erfolgen. Ziel solcher teuren Operationen sind allerdings nicht die nur wissenschaftlich wertvollen Fossilien, sondern die Gewinnung kommerziell nutzbarer Bodenschätze oder Gesteine. So erfolgten die Homininenfunde in Südafrika nur deshalb, weil der in den fossilen Höhlen Südafrikas (Gauteng- und Limpopo-Provinzen) enthaltene Travertin, ein fast reiner Kalkstein, als Baumaterial Verwendung fand. Die primären Höhlen wurden vor wenigen Millionen Jahren zuerst mit unter der Grundwasseroberfläche ausfallendem Travertin und später mit Sedimenten und Knochenresten von außen aufgefüllt. Als der Travertin zu Beginn

1. Chancen und Herausforderungen

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des letzten Jahrhunderts bergmännisch abgebaut wurde, blieb eine heute begehbare Aushöhlung entlang der Grenzen der mit Kalzit verfestigten übrigen Höhlenfüllungen zurück. Die fossilen Reste werden spätestens durch ihre Bergung aus dem ursprünglichen geologischen Zusammenhang entfernt. Allerdings kann dies auch schon vorher durch Umlagerung oder Erosion einer Fundschicht geschehen. Für die zeitliche Einstufung der geborgenen Fossilien muss daher ihre ursprüngliche Lage in der geologischen Schichtfolge (Stratigraphie) rekonstruiert werden. Diese wird anhand geologischer Profile ermittelt, und beschreibt den sedimentologischen Aufbau der geologischen Schichten. Hieraus lässt sich die Beschaffenheit (Fazies) des ursprünglichen Ablagerungsraumes durch einen bestimmten Zeitraum hindurch erschließen. Da im Normalfall verschiedene Faziestypen in derselben Schicht nebeneinanderliegen, beispielsweise Flussgerölle in ehemaligen Flussbetten neben Siltsteinen in ehemaligen Überschwemmungsgebieten, wird neben dieser Abfolge der Gesteinsschichten (Lithostratigraphie) das Konzept der Biostratigraphie angewendet: Durch vergleichbaren Organismeninhalt können lithologisch unterschiedliche Schichten des Fundgebietes zueinander in Beziehung gesetzt werden. Die Benennung der geologischen Muttergesteine der Fossilfundstellen erfolgt nach internationalen Richtlinien meist als geologische Formation mit Untereinheiten, die oft Unit, Bed oder Member genannt werden. Sind in den Fundschichten die fossilführenden Einheiten durch Aschen- oder Tufflagen ehemaliger Vulkane voneinander getrennt, werden diese als Schichtgrenzen verwendet. Gleichzeitig können die Tuffe nach der von ihnen abgegebenen noch messbaren Strahlung datiert werden (radiometrische Altersbestimmung) und geben so ein absolutes Mindestalter bzw. Höchstalter für die von der oberen bzw. unteren Tuffschicht umschlossenen fossilführenden Lage an. Absolute Altersbestimmungen beruhen darauf, dass radio­ aktive Isotope, die in kleinen Mengen in allen Stoffen neben den normalen Isotopen vorhanden sind, mit konstanten Raten zerfallen, unabhängig von Feuchtigkeit, Temperatur, Säuregehalt oder anderen äußeren Faktoren. Das am häufigsten verwendete

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1. Chancen und Herausforderungen

Isotop ist Kohlenstoff 14 (14C), das durch die Sonneneinstrahlung in der oberen Atmosphäre ständig neu gebildet wird. Während so im lebenden Organismus, etwa in Knochen, das Mengenverhältnis des 14C-Isotops und der normalen 12C-Isotope konstant bleibt, beginnt beim Tod eines Tieres der Zerfall der 14 C-Isotope in Stickstoff 14 (14N). Nach einer bestimmten Halbwertszeit (bei Kohlenstoff 5370 Jahre) ist nur noch die Hälfte der ursprünglichen 14C-Menge vorhanden. Durch exakte Messung des Mengenverhältnisses in einem fossilen Knochen kann so das Alter des Fragments bestimmt werden, in der Praxis bis auf ± 20 Jahre genau. Wegen der geringen Halbwertszeit können Funde, die älter sind als ca. 50 000 Jahre, mit 14C nicht datiert werden. In der Paläoanthropologie kommt daher dem Isotop Kalium 40 mit einer Halbwertszeit von ca. 1,3 Milliarden Jahren eine besondere Bedeutung zu. Da es nicht in Knochen, sondern in vulkanischen Produkten vorkommt, können damit aber nicht die Funde selbst, sondern die in der Fundstelle da­ runter- und darüberliegenden Gesteinslagen vulkanischen Ursprungs datiert werden. Weitere wichtige geochronologische Datierungsmethoden in paläoanthropologisch relevanten Zeiträumen sind beispielsweise die OSL-Datierung (Optische Stimulierte Lumineszenz an Quartzpartikeln) und die Uran-Thorium-Datierung (z. B. an Kalken und Stalagmiten). Eine global anwendbare Datierungsmethode ist die Messung der magnetischen Polarität der in vielen Sedimenten enthaltenen Eisenpartikel. Ihre Richtungseinregelung entspricht der Ausrichtung des Erdmagnetfeldes zur Zeit der Sedimentablagerung. Da dieses im Laufe der Erdgeschichte häufig wechselte, konnte eine Magnetostratigraphie erarbeitet werden, die weltweit dieselben charakteristischen Zyklen aufweist. Eine örtliche Magnetostratigraphie passt mit hoher Wahrscheinlichkeit nur in einen spezifischen Abschnitt der weltweiten Skala und trägt so zur Eingrenzung des Alters der untersuchten Schichten bei. Steht datierungsfähiges Material nicht zur Verfügung, werden relative Datierungsmethoden angewandt. Die Faunendatierung kommt dann in Betracht, wenn Fossilien gefunden wer-

1. Chancen und Herausforderungen

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den, die einer sich rasch verändernden Tiergruppe angehören. In Afrika sind dies vor allem Schweine (Suiden). Deren dritte Backenzähne (Molaren) werden als Leitfossilien benutzt. Während diese Zähne vor ca. 5 Millionen Jahren noch generell breit und niederkronig waren, entwickelten sich in den verschiedenen Linien schmale hochkronige Zähne, deren jeweiliger Entwicklungsgrad sich relativ gut durch einfache Messmethoden darstellen lässt. Ist eine darauf begründete Biostratigraphie in einer Fundregion mit absoluten Altersdaten aus der radiometrischen Datierung umgebender Sedimente verknüpft, liefert sie auch für weiter entfernt liegende Fundregionen, in denen datierbare Sedimente fehlen, ungefähre Altersangaben, wenn die dort gefundenen Fossilien in die Biostratigraphie einfügbar sind. Die ältesten Gesteine der Erde sind weit über 3 Milliarden Jahre alt und vor allem in Afrika häufig. Seit ca. 541 Millionen Jahren, dem Beginn des Erdaltertums (Paläozoikum), sind die ersten Fossilien, erhaltungsfähige Hartteile von Lebewesen, bekannt. Landorganismen entstehen vor ca. 470 Millionen Jahren, erste Amphibien vor ca. 380 Millionen Jahren und erste Reptilien vor ca. 330 Millionen Jahren. Im Erdmittelalter (Mesozoikum) mit den Abschnitten Trias (252 – ​201  Millionen Jahre), Jura (201 – ​145 Millionen Jahre) und Kreide (145 – ​66  Millionen Jahre) werden die Dinosaurier die beherrschenden Landlebewesen. Die Erdneuzeit (Känozoikum) beginnt vor ca. 66 Millionen Jahren mit dem ältesten Abschnitt des Paläogen, gefolgt vom Neogen und vom Quartär: Zeitalter

Zeitalter

Alter und Dauer

QUARTÄR

Anthropozän Holozän Pleistozän Pliozän Miozän Oligozän Eozän Paleozän

1950 n. Chr. bis heute 11 700 Jahre – 1950 n. Chr. 2,58 – ​0,0117  Millionen Jahre 5,3 – ​2,58  Millionen Jahre 23 – ​5,3  Millionen Jahre 33,9 – ​23  Millionen Jahre 56 – ​33,9  Millionen Jahre 66 – ​56  Millionen Jahre

NEOGEN PALÄOGEN

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1. Chancen und Herausforderungen

Im Pleistozän herrschten in Europa mehrere Eiszeiten. Deren Auswirkungen waren in Afrika weniger drastisch als in Europa, die heutige afrikanische Tierwelt unterscheidet sich wenig von der des Pliozän. In Afrika spricht man daher meist von einem einheitlichen Plio-Pleistozän. Die ersten Vormenschen entstanden am Ende des Miozän vor knapp 7 Millionen Jahren (ca. 350 000 Generationen) (Abb. 1). Der letzte Abschnitt, das nur wenige Generationen umfassende Anthropozän, dessen Beginn mit weltweiten Atomwaffentests angesetzt wird, deren Rückstände geochemisch nachweisbar sind, ist geprägt durch menschengemachte, stetig ansteigende CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre mit dramatischen Auswirkungen auf Klima und Biodiversität. Wenn Organismen versteinern

Alle Versteinerungen haben eines gemeinsam: Sie sind tot. Die Reste ehemaliger Lebewesen durchlaufen ab dem Tod vielfältige Zerfalls- und Einbettungsprozesse, die den Organismus zunehmend verändern und schließlich zu Fossilien werden lassen. Die Vorgänge der Fossilisation untersucht die Taphonomie, die Wissenschaft von der Einbettung (Biostratonomie) und Fossilwerdung (Diagenese). Der Verlauf der taphonomischen Prozesse wird von den jeweiligen biologischen, geologischen und chemisch-physikalischen Bedingungen bestimmt. Ursachen hierfür sind Auswirkungen der ehemaligen Umwelt, des Klimas, der Ablagerung, der Einbettung und der Stoffumwandlung. Kontinuierlich geht also ein gewisser Anteil an organischem und anorganischem Material verloren. Gleichzeitig werden aber auch neue und teilweise überlagernde Informationen gespeichert, etwa Zahnmarken von Tieren, Abrasionsspuren durch Transport oder auch Schnittmarken von Steinwerkzeugen auf Antilopen­knochen etc. Um diese Spuren zu interpretieren, werden Experimente mit modernen Knochen durchgeführt, um so die Prozesse zu rekonstruieren, die zu taphonomischen Effekten führen, die mit den an den Fossilien beobachteten Spuren übereinstimmen.

1. Chancen und Herausforderungen

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Organische Bestandteile zersetzen sich meist rasch, oft bleibt nur anorganisches Hartgewebe erhalten, etwa Knochen, Zähne oder Schalen. Ein Teil der Fragmente wird schließlich von Sediment überdeckt und verfestigt. Die anschließende Diagenese führt zu einer dem Chemismus des Bodens oder des Grundwassers entsprechenden Versteinerung. In einer silikatreichen Umgebung etwa spricht man von Silifizierung, das Vorherrschen von Kalk hingegen führt zu Kalzifizierung. Hierbei werden die Fragmente Molekül für Molekül ummineralisiert, manchmal werden auch Hohlräume durch Kristallisation ausgefüllt. Neben Körperfossilien finden sich Abdrücke ehemaliger Organismen, zum Beispiel von Pflanzenresten, oder fossile Spuren. An einigen Fundstellen sind versteinerte Kotreste (Koprolithen) häufig. Selten sind Weichteile indirekt erhalten, wenn sie etwa durch fossil erhaltene Bakterien verstoffwechselt werden, die Haut und Haare nachzeichnen. Auch wenn gute Fossilisationsbedingungen herrschten, werden nur wenige Fossilien jemals gefunden. Auch nach ihrer Entdeckung unterliegen Funde vielfältigen Einflüssen. Daher gehören zur taphonomischen Geschichte auch alle Prozesse der Bergung, der Präparation und der Aufbewahrung von Fossilien. Paläoumwelt und Human Paleobiomics: Das große Ganze

Ein charakteristisches Merkmal des heute weltweit verbreiteten Homo sapiens ist die Fähigkeit, im Widerspruch zum ökologischen Umfeld existieren zu können. Dies ist vor allem auf vielfältige technische Hilfsmittel zurückzuführen, deren erste Ursprünge den Übergang von den Vormenschen der Gattung Australopithecus zu den Urmenschen der Gattung Homo markieren. Davor waren die Homininen als Teil eines jeweiligen Ökosystems mit allen Konsequenzen der gegenseitigen Abhängigkeit von Klima, Vegetation und Fauna in dieses eingebunden. Die Paläoökologie untersucht diese Wechselbeziehungen von Pflanzen und Tieren vergangener Erdzeitalter. Im Vordergrund steht die Charakterisierung und Rekonstruktion der ehemaligen Lebensräume (Habitate).

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1. Chancen und Herausforderungen

Bei paläoanthropologischen Projekten werden durch Aufsammlungen und Grabungen in den allermeisten Fällen keine Homininenreste geborgen, sondern Fragmente der ehemaligen Fauna des Gebietes. Ungefähr die Hälfte des Fundgutes an Wirbeltierfossilien von afrikanischen Fundstellen sind Antilopenreste, an zweiter Stelle stehen Pferde, gefolgt von Elefanten, Schweinen, Flusspferden und Krokodilen. Bei den großen Säugern sind Carnivoren (Fleischfresser) und Primatenfunde sehr selten, wie dies weitgehend der ursprünglichen Zusammensetzung der Fauna entsprechen dürfte. Alle biotischen Komponenten eines Habitats liefern Aussagen über lokale Umweltgegebenheiten. So lassen sich zum Beispiel Auswirkungen von Konkurrenzen um die Nutzung von Ressourcen unter anderem an Veränderungen in der Häufigkeit von Konkurrenten ablesen. Andere Habitateigenschaften, wie Vegetationsdichte, saisonale Schwankungen im Ressourcen­ angebot oder etwa dessen relative Feuchtigkeit können mit Hilfe ökologischer Profile ermittelt werden. Ein umfassendes Bild der Landschaft und der Umweltbedingungen, die den Lebensraum der frühen Menschen prägten, liefert die quantitative Untersuchung von Klima und Vegetation. Fossile Floren werden paläobotanisch analysiert, um räumliche Klima- und Vegetationsmuster zu rekonstruieren. Paläobotanische Studien erlauben die Rekonstruktion der raumzeitlichen Verteilungsmuster von Umweltparametern. Zusammen mit paläontologischen, geologischen und auf Computermodellierungen basierenden Befunden und im Vergleich mit raumzeitlichen Mustern der archäologischen Befunde können so für bestimmte Zeitabschnitte die jeweiligen Einflüsse der physischen Umwelt auf Evolution und Ausbreitung früher Menschen identifiziert werden. Zunehmend setzt sich in der Paläoanthropologie die Erkenntnis durch, dass wichtige Fragen zur Evolution des Menschen allein aufgrund der Rekonstruktion und Einordnung von immer mehr Hominineneinzelfunden nicht zu beantworten sind. Vielmehr geht es um das Gesamtbild und den ökologischen Rahmen, in dem Erklärungen gesucht werden für das Entstehen und

1. Chancen und Herausforderungen

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das Aussterben mehrerer Homininenarten und das alleinige Überleben von Homo sapiens. Von besonderer Bedeutung sind hierbei multidisziplinäre Forschungsansätze zur Evolutionsökologie des Menschen und zu seiner Ausbreitungsgeschichte in Abhängigkeit von Klima- und Lebensraumveränderungen. Für die paläontologische Forschung bietet Afrika gute Voraussetzungen, eine Grundlage für ein ganzheitlich-panafrikanisches, durch zeitliche, evolutive und räumliche Kontinuität geprägtes Modell liefern zu können, das Biogeographie, Klima-, Habitat- und Faunenentwicklung während der ersten Phasen der Menschheitsgeschichte einschließt. Der Forschungsansatz «Human Paleobiomics» (paleobiomics.­ org) integriert die Paläoanthropologie mit den Umweltwissenschaften im Sinne einer Systemforschung. Die komplexen Beziehungen von Organismen und Habitaten wie beispielsweise Umweltabhängigkeit von Life-History-Faktoren, Co-Evolution von Organismen und Habitaten werden interdisziplinär erforscht. Dieser integrativ-systembiologische Ansatz fördert ein umfassendes Verständnis der Hartgewebe-Biologie als eine Hauptrichtung der paläoanthropologischen Forschung, da morphologische Signale und Muster wie die Schichtung im lamellaren Knochen und die Wachstumslinien der Zahnsubstanzen auch in den Fossilien als Resultate physiologischer Prozesse und Aktivität überliefert sind. Die molekulare Biologie zu Wachstum und Knochenumbau unter Berücksichtigung von Biomechanik, Verhaltensökologie, Umwelt- und Klimadaten sowie von kulturellen Entwicklungen ist der entscheidende Schlüssel zum Verständnis der Evolution früher Menschen. Harte Beweise: Paläoanthropologische Sammlungen

Paläoanthropologische Sammlungen enthalten nichts weniger als die harten Fakten zur Menschwerdung, im Allgemeinen Knochen und Zähne. Kein Wunder, dass gerade bei den wenigen Fossilbelegen zur Geschichte der Menschheit – weltweit nur einige tausend aus sieben Millionen Jahren – von den Institutionen und Kuratoren ein Höchstmaß an Vorsicht gefordert ist,

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1. Chancen und Herausforderungen

um diese äußerst kostbaren Belege unserer Vergangenheit zu schützen. Daher wurden und werden paläoanthropologische Sammlungen wie millionenschwere Kunstwerke gesichert. Auch wenn man als Wissenschaftler mit berechtigtem Forschungsinteresse Zugang zu den Originalfossilien erhält, ist es dennoch unmöglich, Originale aus verschiedenen Sammlungen direkt miteinander zu vergleichen. Nur äußerst selten werden mehrere Originale gleichzeitig in Ausstellungen gezeigt, so etwa 1984 in New York und 2016 in Darmstadt. Die umfangreichsten Sammlungen zur Paläoanthropologie befinden sich heute in Afrika, der Wiege der Menschheit. Führend sind hierbei Museen in Kenia, Südafrika, Tansania und Äthiopien. Die Denkmalschutzgesetze in afrikanischen Ländern sind seit der Unabhängigkeit vieler Staaten in den 1960 er Jahren vorbildhaft streng, was angesichts der früheren kolonialen Raubzüge unter Führung der Europäer nicht verwundert. Homininenfossilien sind in diesen Ländern besonders geschütztes nationales Erbe und werden üblicherweise in den Nationalmuseen aufbewahrt. Im föderalen deutschen Museumssystem hingegen enthalten regionale Sammlungen oft nur Einzelstücke von Homininen, so beispielsweise in Heidelberg, Stuttgart, Bonn oder Halle. Die Frankfurter Sammlung zur Paläoanthropologie im Senckenberg Forschungsinstitut stellt die größte Sammlung frühpleistozäner Originalhomininen in Europa und Amerika dar (Tafel 1). Sie umfasst Homo erectus-­Funde aus Sangiran (Java), die von Gustav Heinrich Ralph von Koenigswald (1902 – ​1982) dort seit 1937 gesammelt wurden. Da heute Afrika als Wiege der Menschheit gilt, ist die Präsenz der Fossilien in den eigenen Sammlungen für afrikanische Länder besonders wichtig: Ende der 1980 er Jahre wurden die wichtigsten Originalhomininen aus der Olduvaischlucht vom Nationalmuseum Kenias an Tansania übergeben. In einigen Ländern, allen voran Äthiopien, wo sich inzwischen «Lucy» (Abb. 6) anstatt der Königin von Sheba als afrikanische Urmutter etabliert hat, lässt sich beobachten, wie wichtige Homininenfunde zunehmend auch zu Identifikations- und Nationalsymbolen werden.

1. Chancen und Herausforderungen

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Datensicherung: Hightech und Digitalisierung

Zwar beherbergt jede paläoanthropologische Sammlung bis heute neben eigenen Originalen auch eine Abgusssammlung, doch inzwischen nimmt deren Bedeutung ab. Grund hierfür ist die Verfügbarkeit kostengünstiger digitaler und virtueller Methoden. Diese neuen Techniken revolutionierten die Möglichkeiten für wissenschaftliche Auswertungen in der Paläoanthropologie ebenso wie in anderen anatomisch-morphologischen Arbeitsgebieten. So wurde die anatomische Darstellung von Fossilien durch die Anwendung von Rasterelektronenmikroskopie, 3-D-Topometrie- und Computertomographie-Verfahren stark verbessert. Fossilien werden heute nicht mehr mit der Schieblehre vermessen, sondern per Micro- oder Nano-CT, mit Neutronen-­Scanner und Synchrotron-Strahlung förmlich in kleinste Einzelheiten zerlegt. Mit diesen Techniken lassen sich frühere, mit klassischen Methoden gewonnene Beschreibungen überprüfen, aber auch beträchtlich erweitern. Im einfachsten Fall können an 3-D-Modellen Messungen berührungsfrei nachvollzogen werden. So gewonnene Werte besitzen ein höheres Maß an Exaktheit, da Ungenauigkeiten, die aus der Mechanik des Messvorganges herrühren, dadurch vermieden werden, dass die Messung virtuell an einem digitalen 3-D-Modell durchgeführt wird. Modernste virtuelle Techniken legen weit mehr frei, als am realen Objekt durch Präparation denkbar ist, zum Beispiel Strukturen, die ohne Zerstörung des Fossils nicht zugänglich wären, wie etwa das Labyrinthorgan im Innenohr. Ebenso ist es nun möglich, Fossilien zu redeformieren und virtuelle Rekonstruktionen anzufertigen. Gleichzeitig wurden neue Methoden für digitale Struktur- und Funktionsanalysen von Hartgewebemakro- und Mikrostrukturen entwickelt, um beispielsweise bislang unzugängliche Informationen wie etwa die räumliche Lage einer winzigen Kaufacette auf einem Backenzahn sowohl zu vermessen als auch in ihrer Funktion zu ergründen. So können beispielsweise durch 3-D-Topometrieverfahren kleinste Abnutzungsmuster auf Zahnoberflächen

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1. Chancen und Herausforderungen

Hinweise auf die Nahrungszusammensetzung früher Menschen geben. Digitale Daten sind an jedem Ort der Welt mit Internetzugang verfügbar. Während bislang die Forscher auf Reisen gingen, um Daten in Sammlungen zu erheben, sind es nun die Daten selbst, die sich in Sekundenschnelle weltweit ausbreiten. Nebenbei werden dadurch auch Schäden an den kostbaren Stücken selbst vermieden, denn tatsächlich weisen erstaunlich viele Fossilien Spuren unsachgemäßer Behandlung durch Wissenschaftler auf, vom abgesprungenen Zahnschmelz bis zum Zertrümmern durch Fallenlassen. Auch wenn viele der neuen digitalen Verfahren die Wissenschaft technisch und inhaltlich weit vorangebracht haben, so liegt ihr eigentliches Verdienst für die Paläoanthropologie nicht nur im technischen Fortschritt. Denn diese Verfahren sind ganz nebenbei auch ein ideales Vehikel zur Demokratisierung dieser von Kontrolle und Macht über die Originale beherrschten Wissenschaft. Auch die Weltöffentlichkeit wird von der Demokratisierung der Paläoanthropologie profitieren. Homininenreste stammen, auch wenn sie als nationales Erbe heutiger Staaten deklariert werden, aus einer Epoche der Menschheitsgeschichte, in der es keine Nationalstaaten gab. Schon deshalb sind sie als Erbe der gesamten Menschheit anzusehen. Der Zugang zu Informationen zu diesem Erbe sollte daher der gesamten Menschheit offenstehen, im digitalen Zeitalter eine durchaus realistische Forderung. Paläokriminalistik: Genetik und Geochemie

In molekulargenetischen Studien wird versucht, aus Unterschieden in DNA-Sequenzen heute lebender Menschen Rückschlüsse auf die Menschheitsgeschichte zu ziehen. Unser Genom besteht aus rund drei Milliarden Nukleotiden, die uns von unseren Vorfahren vererbt wurden. In jeder Generation werden einige durch Mutationen in der männlichen und weiblichen Keimbahn verändert, so dass nachfolgende Generationen leicht veränderte Versionen der ursprünglichen Genome erhalten. Je nachdem, ob

1. Chancen und Herausforderungen

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menschliche Populationen gewachsen, geschrumpft oder gewandert sind, sich aufgeteilt und  /oder Individuen ausgetauscht haben, sammeln sich diese Mutationen in charakteristischer Weise im Genpool an. Wenn man also die Varianten von DNA-­ Sequenzen in genügend heute lebenden Menschen ermittelt, ist die genetische Geschichte des Menschen im Prinzip zu bestimmen. Populationsgenetische Studien erlauben die Rekonstruktion von Vererbungsprozessen in Populationen und lassen beispielsweise Rückschlüsse auf Expansionsbewegungen zu. Studien «fossiler» DNA (aDNA, ancient DNA) sind aufgrund ihres schlechten Erhaltungszustandes recht schwierig. Jedoch verhelfen neueste Labormethoden zu immer älteren Nachweisen. Bereits 1997 gelang die teilweise Entschlüsselung von Mitochondrien-DNA (mtDNA) aus dem Original des namengebenden Neandertaler-Fundes. Inzwischen konnte nicht nur das häufig vorliegende mitochondriale Genom, sondern das gesamte Neandertaler-Genom, also auch das viel seltenere Erbgut, das sich im Zellkern befindet, komplett entschlüsselt werden. Zwischen 2010 und 2012 wurde sogar eine neue geographische Variante früher Menschen (Denisova-Menschen) aufgrund von mtDNA- und Kern-DNA-Untersuchungen an einem einzigen Fingerknochen entdeckt. Die älteste bislang bekannte DNA ist ca. 430 000 Jahre alt und stammt von den frühesten Ante-­ Neandertaler-Funden aus der «Knochengrube» Sima de los Huesos (Spanien) (Abb. 10). Auch DNA, die von Lebewesen in ihrer Umwelt hinterlassen werden (eDNA, environmental DNA), zum Beispiel aus Höhlensedimenten, gibt Aufschluss über ehemalige Bewohner, sogar ohne das Vorhandensein fossiler Fragmente. Nicht nur in der Paläogenetik wurden die Untersuchungsmethoden in den letzten Jahren stark erweitert, sondern auch auf dem Gebiet der Geochemie. Hierbei steht die Untersuchung von Elementen und ihrer stabilen Isotope in Sedimenten sowie in Knochen und Zähnen im Vordergrund. Zum Beispiel wurde es durch Laser-Ablations-Verfahren möglich, kleinste Menge an Fossil­ material zu nutzen und auf wenigen tausendsteln Millimetern, etwa entlang von Wachstumszonen, detailliert zu beproben.

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1. Chancen und Herausforderungen

Die chemische Signatur der Zähne spiegelt viele Aspekte der Lebensgeschichte eines Individuums wider. Als Anzeiger für die Ernährung eignen sich das Strontium-/Calcium-Verhältnis und Stickstoffisotopensignale aus dem Zahnkollagen. Im Zahnschmelz von Säugetieren werden beispielsweise Sauerstoff- und Kohlenstoffisotopen-Signale untersucht. Die Sauerstoffisotopie gibt Hinweise auf Paläotemperaturen von Wasser. Die Kohlenstoff­ isotopie entsteht in Pflanzen auf Grund unterschiedlicher Photosynthesewege und kann zusammen mit der Untersuchung von Spurenelementen sowohl Hinweise auf den Lebensraum als auch auf die verfügbare Nahrung und Nahrungsketten geben. Morphologie, Life History & Phylogenie

Die Form der überlieferten fossilen Reste ist kein Zufallsprodukt, sondern spiegelt bestimmte Funktionen des ehemals lebenden Organismus wider. Form und Funktion sind in der Natur untrennbar miteinander verknüpft. Das reibungslose Zusammenwirken aller Funktionsgefüge eines Organismus muss zu jedem Zeitpunkt des Lebens gewährleistet sein. Dies gilt nicht nur während des Wachstums eines Individuums von der befruchteten Eizelle bis zum Tod (Ontogenese), sondern auch in der Stammesgeschichte (Phylogenese), die als Aneinanderreihung vieler Ontogenesen aufzufassen ist. Daher ist davon auszugehen, dass in der Geschichte der Organismen keine Sprünge auftraten. Evolution ist vielmehr der kontinuierliche Wandel funktionierender Konstruktionen. Anatomische Merkmale der fossilen Funde werden mit denen des heutigen Menschen verglichen und so interpretierbar. Zwei im letzten Jahrhundert formulierte Prinzipien der Paläontologie liegen als notwendige Hilfsannahmen allen rekonstruierenden Hypothesen zugrunde: Das Aktualismusprinzip besagt, dass physikalische und chemische Gesetzmäßigkeiten, beispielsweise die Schwerkraft, durch alle Zeiten Gültigkeit besitzen. Das Korrelationsprinzip unterstellt die weitgehende, jedoch nicht automatische Vergleichbarkeit heutiger und historischer Prozesse. Es ist mit dieser Methode – sehr verkürzt – möglich, auch aus

1. Chancen und Herausforderungen

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kleinsten fragmentarischen Resten, beispielsweise aus dem Aufbau des Zahnschmelzes oder der Lage der Okklusionsfacetten, auf Ernährungsgewohnheiten zu schließen. Aus der Konstruktion des Beckens oder der Feinstruktur der Knochen-Trabekel im Oberschenkelkopf sind so Rückschlüsse auf die Art der Fortbewegung möglich. Wir können davon ausgehen, dass morphologisch-anatomische Strukturen komplexe «Wissenssysteme» von Individuen und Gruppen abbilden. Signale biologischer Lebensgeschichte (Life History) sind aus Hartgeweben herauszulesen, zum Beispiel aus den feinen Mustern von täglichen Anwachslinien in Knochen und vor allem in Zähnen, wo sie dauerhaft erhalten bleiben. Auch Makrostrukturen wie Kaufacetten auf den Zähnen, die durch die Zahnabnutzung individuelle Abkauungsmuster entstehen lassen, geben Auskunft über individuelles dentales Verhalten. Zahlreiche Faktoren der Lebensgeschichte bilden sich also in den Makro- und Mikrostrukturen der Zähne ab, sowohl Umwelt- und organismische Faktoren als auch kulturelle Einflüsse, so etwa, welche natürlichen Ressourcen zur Verfügung stehen oder wie Nahrung verarbeitet oder gekaut wird. Eine entscheidende Frage ist auch die nach der Wachstumsgeschwindigkeit. Während Menschenaffen relativ schnell wachsen, dauert die Kindheitsphase bei modernen Menschen extrem lang. Einerseits wird so das Größenwachstum des Gehirns nach der Geburt ermöglicht, andererseits die Phase sozialen Lernen verlängert. Im Umkehrschluss lassen Wachstumsanalysen Aussagen über soziale Gefüge zu, die hierbei vorauszusetzen sind (vgl. Homo erectus, S. 85). Die Abstammung der Menschen lässt sich schon längst nicht mehr als Linie darstellen, auch nicht als Baum, bestenfalls als Busch. Umso wichtiger sind Methoden zur Klassifizierung von Organismen. Als Hilfsmittel hierzu dient die biologische Systematik. Im Spezialgebiet der Taxonomie geht es oft mehr um Bezeichnungen als um Beziehungen. So wurden die ersten Funde von Vormenschen (Australopithecinen) in Südafrika fast alle mit eigenen Art- und sogar Gattungsnamen bedacht. Bei den Urmenschen und den Frühmenschen herrschte lange Zeit eine

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1. Chancen und Herausforderungen

noch stärkere Namensvielfalt. Erst zunehmende Fossilienfunde verhalfen zu der Erkenntnis, dass es sich bei den beobachteten Merkmalsunterschieden der späteren Homininen lediglich um Variabilitäten innerhalb weniger Gattungen handelt. Im Idealfall wird eine Art durch charakteristische, zum Beispiel anatomische Merkmale definiert, die mit entsprechenden Merkmalen einer anderen Art verglichen werden können. Das Spezialgebiet der phylogenetischen Systematik wertet diese Merkmale als entweder «ursprünglich» oder «spezialisiert» in Bezug auf andere systematische Gruppen und erhellt dadurch die komplizierten Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Gattungen und Familien oder die Aufspaltung von Arten etc. Bereits im 18. Jahrhundert beschäftigten sich in Deutschland beispielsweise Johann Wolfgang von Goethe und Johann Heinrich Merck mit wirbeltierpaläontologischen Analysen. Durch George Cuvier in Paris wurde Anfang des 19. Jahrhunderts schließlich die Wirbeltierpaläontologie als moderne Wissenschaft begründet. Methodisch als vergleichend-anatomische Naturwissenschaft angelegt, wurde jedoch schnell ein Mangel bei der Erklärung der historischen Dimension deutlich. Das theoretische Konzept hierfür wurde erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt. Eine sukzessive Veränderung (Mutation) der Organismen im Laufe der Zeit sollte für die Entstehung der Arten wesensbestimmend sein. Charles Darwin lieferte jedoch 1859 als Erster eine einleuchtende Erklärung dafür, wie die «Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl» (Selektion) erklärt werden kann. Wenn auch die dazu notwendigen Vorgänge auf molekulargenetischer Ebene bis heute noch vielfach unverstanden sind, zog die dadurch begründete Evolutionstheorie eine wissenschaftliche Revolution nach sich, mit bis heute spürbaren gesellschaftlichen, ideologischen, religiösen und weltanschaulichen Auswirkungen.

2. Ursprünge: Die Wurzeln der Homininen

Von Feuchtnasen-, Altwelt- und Menschenaffen

Die Säugetiere entstanden etwa zur gleichen Zeit wie die Dinosaurier, also vor ungefähr 240 Millionen Jahren. Während die Evolution im 200 Millionen Jahre währenden «Zeitalter der Reptilien» 20 neue zoologische Ordnungen hervorbrachte, entstanden im sehr viel kürzeren «Zeitalter der Säugetiere» der letzten 66 Millionen Jahre immerhin 35 Säugetierordnungen. Dies mag auf die nach dem Aufbrechen und Auseinanderdriften der großen Landmassen stärkere Fragmentierung der Lebensräume und der Klimaunterschiede zurückzuführen sein. Eine der 18 lebenden Säugetierordnungen ist die Ordnung der Primaten. Sie wird untergliedert in die Strepsirhini (Feuchtnasen­ affen) und die Haplorhini (Trockennasenaffen), je nach Vorhandensein oder Fehlen eines Rhinariums (Nasenspiegels). Zu den Strepsirhini gehören die frühen fossilen Primaten und die heute lebenden Lemuren, Loris und Galagos; zu den Haplorhini zählen Tarsier und eine Gruppe, in der sich im Verlauf der letzten 50 Millionen Jahre die menschenähnlichen Bauplanmerkmale herausbilden. Zu der großen Gruppe dieser anthropoiden Primaten zählen die Alt- und Neuweltaffen, die Menschenaffen und die Menschen. Der Stamm der Primaten reicht zurück bis in die Kreidezeit vor über 80 Millionen Jahren. Enge verwandtschaftliche Beziehungen bestehen zu ursprünglichen Säugetiergruppen wie den Scandentia (Spitzhörnchen) und den Dermoptera (Pelzflatterer). Eine frühe Entwicklungsphase der Primaten fand im Paleozän (66 – ​56  Millionen Jahre) in Nordamerika, Europa und Asien statt, damals noch ein gemeinsamer Kontinent (Laurasia), der durch ein Meer von den südlichen Kontinenten (Gondwana) getrennt war. Weder aus Südamerika noch aus Afrika oder anderen Südkontinenten sind Funde bekannt. Die Fossilien der

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2. Ursprünge

frühen primatenähnlichen Plesiadapiden zeigen noch kaum anatomische Merkmale, die heute zur Unterscheidung der Primaten von anderen Säugetieren benutzt werden. Die Plesiadapiden sind in der Gebisskonstruktion eher vergleichbar mit heutigen Nagetieren. Sie besaßen große Schneidezähne mit weitem Abstand zu den Backenzähnen, haben noch Krallen, und im Schädel ist die Augenöffnung von der Kaumuskulatur noch nicht mit einer Knochenspange abgetrennt. Spätestens aus dem Eozän (56 – ​33,9 Millionen Jahre) sind echte Primaten bekannt, zum Beispiel aus dem ca. 48 Millionen Jahre alten Ölschiefer der Grube Messel bei Darmstadt. Gegenüber den früheren Formen lassen sich anhand von Fossilien eine zunehmende Ausrichtung der Augen nach vorn mit knöcherner Abgrenzung der Augenöffnung nach hinten, eine Verkürzung der Schnauze, eine Vergrößerung des Gehirns und die Ausbildung von Fingernägeln nachweisen. So reflektieren die eozänen Primaten im Wesentlichen die Unterschiede, die heute lebende Primaten von den übrigen Säugetieren trennen. Als Baumbewohner sind sie gute Kletterer, ihre Hände und Füße sind zum Greifen geeignet, der große Zeh ist opponierbar. Die sich ausbreitenden neuen Waldtypen mit blüten- und fruchttragenden Bäumen sorgten für ein reichhaltiges Nahrungsangebot, durch die damit verbundene starke Zunahme von Pollen auch an Insekten. Die heutigen Strepsirhini (Loris, Galagos und Lemuren) geben einen Eindruck von der Vielfalt der frühen Primaten. Die meisten sind nachtaktive Tiere, oft leben sie einzelgängerisch und ernähren sich überwiegend von Insekten. Die Schneideund Eckzähne sind zu einen Zahnkamm umgeformt, der u. a. zur Fellpflege dient, die Backenzähne sind mit ihren Spitzen gut dazu geeignet, Insektenchitin zu knacken Die frühen Primaten waren zwar flinke Insektenjäger, ernährten sich insgesamt aber als Allesfresser, besaßen zwar schon gute Augen, aber ebenso ein noch gut ausgebildetes Geruchssystem. Der Geruchssinn spielt eine große Rolle bei Nahrungssuche und Individualerkennung. Die Bildung stabiler sozialer Gruppen ist selten. Die überwiegend tagaktiven Haplorhini (Trockennasenaffen)

Die Wurzeln der Homininen

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dagegen sind geselliger, Nahrungssuche und Schlafen geschehen oft in Gruppen. Neben den Tarsiern gehören hierzu vor allem die Anthropoidea, deren Wurzeln möglicherweise mehr als 60 Millionen Jahren zurückreichen. Sie besitzen keinen Zahnkamm mehr, die Eckzähne sind vergrößert und die Backenzähne bilophodont (mit zwei Schmelzgraten). Der Geruchssinn bildet sich weiter zurück, während der visuelle Kortex im Gehirn vergrößert ist. Im Gegensatz zu der schräg nach vorn außen gerichteten Stellung der Augen bei den Strepsirhini ist bei den Anthropoidea ein volles stereoskopisches Sehen möglich. Beide Augen sind nach vorn ausgerichtet und liegen geschützt in rückwärtig knöchern umschlossenen Augenhöhlen, die gleichzeitiges Fixieren und Kauen ermöglicht. Die Anthropoidea ernähren sich vermehrt von Früchten. Der größere Körperbau ermöglicht eine effektivere Thermoregulation, ein größeres Gehirn steigert das Lernvermögen. Sie leben in größeren sozialen Gruppen, deren Mitglieder untereinander kommunizieren. Als erste farben­ sehende Primaten sind die Altweltaffen die erfolgreichsten und abgesehen vom Menschen die zahlenmäßig größte Primatengruppe überhaupt. Sie kommen in einer Vielzahl von Lebensräumen vor – vom tropischen Regenwald über die Savanne bis in die hohen Berge und sogar in Schneegebieten. Seit ungefähr 15 Millionen Jahren sind zwei Hauptgruppen mit unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten zu unterscheiden. Zur ersten Gruppe, den blätterfressenden Affen, gehören die Languren Asiens und die Colobus-Affen Afrikas. Zur zweiten Gruppe, hauptsächlich Fruchtfressern, zählen Meerkatzen, Paviane, Mandrills und Makaken. Gegen Ende des Eozän vor ca. 36 Millionen Jahren verdrifteten Altweltaffen – ebenso wie Nagetiere – vermutlich auf ins Meer gestürzten Bäumen von der Ostküste Afrikas an die Westküste Südamerikas. Die Gründerpopulationen entwickelten sich zu den heute dort weitverbreiteten Neuwelt­ affen. Im Oligozän (33,9 – ​23 Millionen Jahre) finden sich fossile Belege für die weitere Entwicklung der anthropoiden Primaten hauptsächlich in Nordafrika und in Südamerika. Afrika war im Oligozän eine Insel, getrennt von Europa, aber verbunden mit

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2. Ursprünge

Arabien. Eine berühmte Fundlokalität ist Fayum in Ägypten, ca. 100 km südwestlich von Kairo. Eine Expedition des American Museum of Natural History, New York, entdeckte in den Schichten eines ehemaligen Flussdeltas bereits 1906 Primatenfossilien, die zwischen 35 und 25 Millionen Jahre alt sind. Ab den sechziger Jahren kamen weitere Funde hinzu, so dass heute mindestens 17 Primatengattungen aus Fayum bekannt sind. Die Fayum-Primaten stehen wahrscheinlich der gemeinsamen Ursprungsgruppe von Altweltaffen und Menschenaffen noch sehr nahe. Aus Affen werden Menschenaffen

Zwar sind die Menschenaffen («apes») von den Altweltaffen («monkeys») seit etwa 20 Millionen Jahren stammesgeschichtlich getrennt, doch entstanden die modernen Menschenaffen erst vor ungefähr 15 Millionen Jahren. Heute sind sie in Asien verbreitet (Gibbons, Siamangs und Orang-Utans) und in Afrika (Schimpansen, Zwergschimpansen und Gorillas). Die Unterschiede der Menschenaffen zu den Altweltaffen werden vor allem im Gebiss, in der Fortbewegung und der Skelettanatomie deutlich. Die Nahrungsquellen sind ähnlich, auch die Menschenaffen bevorzugen Früchte und Blätter. Jedoch unterscheidet sich die Art der Nahrungsbeschaffung deutlich. Während sich die leichten Altweltaffen mühelos auf den Zweigen bewegen und sich die Nahrung greifen, hängen die schweren Menschenaffen an den Zweigen oder sitzen auf ihnen, um sich in stabiler Lage die Nahrung zu angeln. Dadurch wird ein größerer Bereich zugänglich, zum Beispiel auch unter den Ästen. Die hangelnde Fortbewegung wird als Brachiation (Armtechnik) bezeichnet. Anatomisch äußert sich dies in einem gedrungenen Körper, dem im Gegensatz zu den Altweltaffen der Schwanz fehlt. Allerdings sind die Arme der Menschenaffen besonders lang, im Ellenbogengelenk streckbar und im Unterarm mehr als 180 Grad und mit dem gesamten Arm sogar fast 360 Grad drehbar. Im Gebiss zeigen sich ebenfalls Unterschiede, wodurch Zahnfragmente von Altweltaffen und Menschenaffen

Die Wurzeln der Homininen

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auch von Laien leicht zu bestimmen sind: Die unteren Backenzähne aller Menschenaffen weisen, wie beim Menschen, fünf Höcker auf, die Furchen dazwischen bilden die Form eines Y («Y-Muster»). Dagegen tragen die Backenzähne der Altwelt­ affen nur vier Höcker, von denen jeweils zwei durch Stege verbunden sind. Im frühen Miozän (ca. 23 – ​16 Millionen Jahre) existierten in Ost- und Nordafrika eine Vielzahl verschiedener Affen- und Menschenaffenarten. Zu den fossilen Menschenaffen dieser Zeit gehört die Gattung Proconsul, von der zahlreiche fossile Reste sowohl des Skeletts als auch des Schädels in Kenia gefunden wurden. An der Fundstelle Rusinga konnte der Lebensraum dieser frühen Menschenaffen als dichter Wald rekonstruiert werden. Verschiedentlich wurde auch Ramapithecus aus Asien mit dem Ursprung der Homininen, also der zum Menschen führenden Stammeslinie, in Verbindung gebracht. Heute scheint es jedoch wahrscheinlicher, sie als indirekte Vorfahren der OrangUtans anzusehen. Früheste Expansionen: Menschenaffen in Europa

Afrikanische Menschenaffen breiteten sich aufgrund neuer Landverbindungen vor etwa 15 Millionen Jahren auch nach Europa aus. Zahlreiche Fundstellen u. a. in Spanien, Italien, der Türkei, Griechenland, Bulgarien, Ungarn und Georgien, aber auch in Süddeutschland (Eppelsheim) belegen eine große Artenvielfalt. Während die Fossilisationsbedingungen im tropischen Afrika schlecht sind, wurden aus Europa viele gut erhaltene Reste überliefert, aus denen sich sogar die Grundkonstruktion der afrikanischen Menschenaffen ableiten lässt: Pierolapithecus catalaunicus aus dem Mittel-Miozän (ca.  16 – ​11  Millionen Jahre) Kataloniens (Abb. 3) besitzt gerade Finger- und Zehenknochen sowie äußerst robuste Lendenwirbel. Folglich zeichnet vor allem die Fähigkeit zur Aufrichtung des Körpers alle Menschenaffen und die Vorfahren der Homininen aus. Hingegen ist die Brachiation heutiger Menschenaffen mehrmals unabhängig voneinander entstanden. Danach haben unsere eigenen Vorfah-

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2. Ursprünge

5 cm Abb. 3: Pierolapithecus catalaunicus, Stammgruppe der großen ­Menschenaffen, ca. 13 Mio. Jahre (Zeichnung: A. Marie Rahn)

ren nie vor allem «auf den Bäumen» gelebt, sondern waren Vierbeiner, die zwar auch klettern, aber vor allem eines konnten: sich aufrichten, also wahrscheinlich sitzen und auch kurzzeitig stehen.

Die Wurzeln der Homininen

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Selbst aufrecht gehende Menschenaffen lebten schon in Europa, lange bevor sich Homininen in Afrika entwickelten. Oreopithecus, ein miozäner Menschenaffe, dessen Reste in der Toskana und auf Sardinien gefunden wurden, experimentierte mit der Bipedie als Mittel zur Nahrungssuche an hohen Bäumen. Sogar der aufrechte Gang ist also mehrmals unabhängig entstanden. Die Fußkonstruktion bei Oreopithecus ist jedoch völlig anders als bei Homininen: Der große Zeh bildet mit dem anderen Zehen einen 100-Grad-Winkel und formt sozusagen ein Stativ für die Stabilisierung, daher ist schnelles Gehen ausgeschlossen. Spätestens vor 7 Millionen Jahren verschwanden die europäischen Menschenaffen vollständig. Sie sind mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund tiefgreifender Klima- und daraus folgender Habitatveränderungen am Ende des Miozän, die in Afrika zur Ausbreitung von Savannen führten (s. u.) ausgestorben. Über mögliche Rückeinwanderungen nach Afrika wird spekuliert, aber bestehende Ähnlichkeiten mit späteren afrikanischen Homininen sind eher als unabhängige Parallelentwicklungen zu deuten, wie sie häufig in der Lebensgeschichte vorkamen. Ardi & Co.: Ursprünge des aufrechten Gangs

Nach molekulargenetischen Rückschlüssen fand die Abspaltung der zum Menschen führenden Linien von den Menschenaffen vor etwa 8 bis 7 Millionen Jahren statt. Zu dieser Zeit, gegen Ende des Miozän, führte eine weltweite Klimaabkühlung zu einschneidenden Umweltveränderungen auch im tropischen Afrika. Zudem beeinflusste hier auch das entstehende Afrikanische Riftsystem das regionale Klima. Beide Prozesse zusammen führten zu einer starken Schrumpfung des tropischen Regenwaldes, der sich ursprünglich von der Westküste Afrikas bis zur Ostküste erstreckt hatte. Jetzt breitete sich auf ca. 5 Millionen Quadratkilometern rund um den verbleibenden Regenwald ein neues und bis heute eines der größten zusammenhängenden Ökosysteme der Welt aus: die afrikanischen Savannen (Abb. 4).

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2. Ursprünge

Abb. 4: Ursprüngliche und heutige Verbreitung des afrikanischen tropischen Regenwalds und Fundstellen frühester Homininen im Ober-Miozän (Zeichnung: Christine Hemm)

Mit zunehmender Ausbreitung von Baumsavannen fanden sich auch Menschenaffen-Populationen an der Peripherie des tropischen Regenwaldes wieder. Um die Savannen aber besiedeln zu können, mussten die ehemaligen Nahrungsressourcen des Regenwaldes, z. B. Früchte durch geeignete andere Nahrung ersetzt werden. Besonders geeignet war aquatische Nahrung aus Gewässern, z. B. Schalentiere und Algen, die Omega-3-Fettsäuren liefern. Da Menschenaffen sich aufrichten, sogar kurzfristig auf zwei Beinen gehen, aber nicht schwimmen können, führt die

Die Wurzeln der Homininen Salé ▲ ▲❊

Jebel Irhoud



▲Thigennif Kebibat Témara Thomas Quarries Sidi Abd el-Rahmane

35 ● frühe Homininen

Haua Fteah

(Vor- & Urmenschen) ◆ Homo ergaster/erectus (Frühmenschen) ▲ archaischer Homo sapiens



❊ früher moderner

Taramsa Hill ❊ Toros Menalla

● ●◆

Buia Woranso-Mille Ledi Geraru Singa ❊ Hadar ◆ Bodo Gona Maka Aramis ● ● ▲ Bouri Nariokotome ●● ●❊ Melka Kunturé Lomekwi ◆ Konso Gardula Lothagam ◆ ● Omo Kanapoi ◆● ◆ Koobi Fora ● ◆ ● ● Allia Bay ● 1 Baringo ● 2 ● Chemeron ❊ Olorgesailie

Seen im Afrikanischen Rift

Lake Chad heute L. Mega Chad (Holozän)

❊● 3 ● 5 4◆

6

Malema Uraha Kabwe ▲

1 Lake Turkana 2 Lake Albert 3 Lake Natron 4 Lake Manyara 5 Lake Eyasi 6 Lake Tanganyika 7 Lake Rukwa 8 Lake Malawi

Homo sapiens

Koro Toro Yayo

7 ● ●

Peninj Ndutu Olduvai Gorge Laetoli Makuyuni

8

Malapa Swartkrans Gladysvale Makapansgat ● Drimolen ❊ Kromdraai ◆ Sterkfontein ● ❊ Border Cave Rising Star ● Taung ❊ Florisbad Saldanha ▲ ❊ ❊

Blombos Cave Klasies River Mouth

Abb. 5: Wichtige Homininenfundstellen in Afrika (Zeichnung: Christine Hemm)

Nahrungssuche in den Uferzonen von Gewässern langfristig zu einer Stabilisierung des aufrechten Gangs, der sich dann schließlich auch an Land durchsetzt. Die «Uferzonen-Habitate» in den sich ausbreitenden Savannen waren also ein ideales Entstehungsgebiet für den aufrechten Gang. Im Gegensatz zu allen früheren Hypothesen zum aufrechten Gang (z. B. Savannenhypothese, Tragehypothese, Paarbindungshypothese etc.) berücksichtigt die Uferhypothese mehrere relevante Entwicklungsfaktoren, wie Kon-

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2. Ursprünge

struktion, Funktion, Klima, Umwelt und Nahrung, und ist daher eine sehr wahrscheinliche Erklärung für den Ursprung der dauernden Bipedie. Die ältesten bekannten Funde aufrecht gehender Homininen lassen durch ihre geographische Verbreitung die Vermutung zu, dass eine Verflechtung unterschiedlicher geographischer Varianten von Ursprungspopulationen der Homininen in Zeit und Raum entlang der Grenzen des schrumpfenden tropischen Regenwaldes existierten. Bei einer geographischen Ausdehnung der Uferzonen-Habitate von ungefähr fünf Millionen Quadratkilometern wäre es unwahrscheinlich anzunehmen, dass nur eine einzige Form des aufrechten Gangs entstand. Wahrscheinlicher als ein einziges Missing Link ist daher die Vorstellung, dass sich mehrere geographische Varianten frühester zweibeiniger Vormenschen entwickelten. Die Fundlage an der Peripherie des tropischen Regenwaldes stellt sich heute folgendermaßen dar (vgl. Abb. 1, 5): nordwestliche Peripherie des tropischen Regenwaldes: Sahelanthropus tchadensis (6 – ​7 Mio. Jahre): Toros-Menalla (Tschad) (Tafel 8) östliche Peripherie: Orrorin tugenensis (6 Mio. Jahre): Baringo/Lukeino (Kenia) nordöstliche Peripherie: Ardipithecus kadabba, Ardipithecus ramidus (5,2 – ​5,8  Mio. Jahre): Middle Awash/Aramis (Äthiopien) (Abb. 6)

Eine Kombination gemeinsamer anatomischer Merkmale unterscheidet alle drei Gattungen von miozänen und heutigen Menschenaffen. Dazu gehört ein weniger prognathes (vorstehendes) Gesicht, kleine Eckzähne sowie der mehr oder weniger ausgebildete aufrechte Gang. Es ist gut möglich, dass zukünftige Entdeckungen dazu führen, alle Funde einer Gattung oder sogar einer einzigen Art einzuordnen und die bestehenden Unterschiede lediglich als Variabilität zu interpretieren. Die geologisch ältesten Homininenfossilien stammen aus dem

Die Wurzeln der Homininen

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Tschad (Abb 5). Michel Brunet und sein Team der Mission Paléoanthropologique Franco Tchadienne (MPFT) entdeckten die ca. 7,2 bis 6 Millionen Jahre alten Schädelreste des Sahelanthropus tchadensis (Tafel 8) im Jahr 2001. Der Zahnschmelz ist etwas dicker als bei Menschenaffen. Das nach vorne verlagerte Foramen magnum, die Ansatzstelle des Rückenmarks unter dem Schädel, spricht für einen dauernden aufrechten Gang bei Sahelanthropus. Phytolithen-Analysen zeigen einen mosaikartigen Lebensraum mit über 40 % Waldanteil, Palmenhainen, Busch- und Grasland sowie Seen, Sümpfen und Flüssen. Kurz zuvor, im Jahr 2000, hatte das Team von Martin Pickford und Brigitte Senut im Baringo-Distrikt Zentralkenias in 6 Mio. Jahre alten Sedimenten mehrere Knochen- und Kieferreste entdeckt, die als Millennium-Mensch weithin bekannt und wissenschaftlich als Orrorin tugenensis (Abb. 1) beschrieben wurden. Orrorin ähnelt zwar im Gebiss eher den Menschenaffen, aber der Bau des abgewinkelten Oberschenkelhalses belegt auch hier eine dauernde aufrechte Fortbewegung. Auch in Äthiopien kamen im Middle Awash Research Project unter Leitung von Tim White, Berhane Asfaw und Gen Suwa bei Aramis in Äthiopien (Abb. 4) fast 6 Millionen Jahre alte Funde frühester Homininen (Ardipithecus kadabba) zum Vorschein, u. a. ein recht vollständiges Skelett. Von den Menschenaffen unterscheidet sich Ardipithecus vor allem durch relativ kleine Eckzähne und weniger scharfkantige Vorbackenzähne (Prämolaren). Auch die tiefere Lage der Austrittsstelle des Rückenmarks, des Foramen magnum, ein Hinweis für den aufrechten Gang, deutet an, dass diese Homininen bereits auf der Homininenlinie anzusiedeln sind. Die Hauptunterschiede zu Australopithecus sind die relativ kleinen und wenig kompliziert gebauten Backenzähne mit recht dünnem Zahnschmelz und die menschenaffenähnlichen Vorbackenzähne. Ardipithecus stellt funktionell ein erstes Bindeglied zwischen der kletternden Fortbewegung der Menschenaffen und dem dauernden aufrechten Gang des Menschen dar (Abb. 6). Die typischen Skelettmerkmale des Australopithecus afarensis, wie ein kopfwärts orientiertes Schultergelenk, ein trichterförmiger

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2. Ursprünge

Die Wurzeln der Homininen

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Brustkorb, ein großes Erbsenbein in der Handwurzel und gebogene Fingerknochen sowie relativ kurze Hinterbeine und lange gebogene Zehenknochen, sind schon bei Ardipithecus zu beobachten. Die abgespreizte große Zehe (Abb. 6) und der Bau des Beckens und der damit verbundenen Hüftmuskeln zeigen, dass die frühesten Homininen trotz des aufrechten Gangs noch ihre Kletterfähigkeit behielten. Der aufrechte Gang ist also eine Entwicklung in zwei Stufen: Zunächst werden in den nicht mehr dichten Waldrandgebieten neben dem Kletterverhalten die Fähigkeiten des zeitweiligen zweibeinigen Gehens weiterentwickelt. Erst als sich später der Lebensraum in weiten Gebieten noch stärker lichtete, bildeten sich die Fähigkeiten des Kletterns ganz zugunsten des dauernden aufrechten Ganges zurück. Voraussetzung (Vorkonstruktion) für die Entwicklung des aufrechten Ganges waren also nicht lange Beine, wie sie heute für den Menschen charakteristisch sind, sondern lange Arme sowie die Fähigkeit zur Körperaufrichtung. Die relative Verlängerung der Beine erfolgte erst vor ca. 2 Millionen Jahren mit der Entstehung der Frühmenschen (Homo erectus), um den zweibeinigen Gang durch eine energetisch günstige Konstruktion zu perfektionieren (Abb. 6).

Abb. 6: Skelettvergleich früher Homininen (Zeichnungen A. Marie Rahn) links: Rekonstruktion von Ardipithecus ramidus (Größe ca. 1,20 m, Alter ca. 4,4 Millionen Jahre) Mitte links: Rekonstruktion von Lucy (Australopithecus afarensis) (Größe ca. 1,20 m, Alter ca. 2,9 Millionen Jahre) Mitte rechts: Früher afrikanischer Homo erectus (Homo ergaster) «­Turkana Boy», Skelett KNM -WT 15000 aus Nariokotome, West Turkana, Kenia (Größe ca. 1,70 m, Alter ca. 1,7 Millionen Jahre) rechts: Homo neanderthalensis-Skelettrekonstruktion, unter Verwendung von La Ferrassie 1 (Frankreich) und Kebara 1 (Israel), Größe ca. 1,60 m, Alter ca. 70 000 – ​60 000 Jahre, American Museum of Natural History

3. Urwelten: Vormenschen in Afrika

Die moderne Paläoanthropologie begann in Südafrika

Charles Darwin schien sich getäuscht zu haben, als er im Jahre 1871 die «Wiege der Menschheit» in Afrika vermutete. Die ältesten Vormenschenfunde kamen bis zum ersten Viertel des 20. Jahrhunderts aus Asien. Dann wurde jedoch an einem völlig unerwarteten Ort eine Entdeckung gemacht, die für beträchtliche Aufregung sorgte: Steinbrucharbeiter bargen in Taung (Abb.  5), Südafrika, einen fossilen Kinderschädel (Abb. 2), der 1925 vom Johannesburger Anatomieprofessor Raymond Dart unter der Bezeichnung Australopithecus africanus («südlicher Affe aus Afrika») der skeptischen Fachwelt vorgestellt wurde. Das ca. 2 Millionen Jahre alte Fossil besteht aus Gesichtsschädel und Unterkiefer sowie einem Innenausguss (Endocranialausguss) der Gehirnkapsel (Abb. 2). Da das Gehirn selbst nicht erhaltungsfähig war, erkennt man die grobe Lage der Gehirnzentren auf dem inneren Relief der Innenseite des Schädels; die Innenseite lag, ursprünglich nur durch die Hirnhäute getrennt, sehr eng am Gehirn an, weshalb sich darauf dessen ehemalige Oberfläche abdrückte. Dieses Lebewesen muss bereits den aufrechten Gang besessen haben, da die Eintrittsstelle des Rückenmarks in das Gehirn, das Foramen magnum, an der Unterseite des Schädels liegt und nicht wie bei Menschenaffen schräg nach hinten gerichtet war. Das Gehirn kann zwar nicht größer gewesen sein als bei Schimpansen, einige Hirnregionen waren aber deutlich anders strukturiert. Die Eckzähne waren im Gegensatz zu denen der Menschenaffen bereits wie beim Menschen sehr stark reduziert. Der Fund stieß in der Welt der Paläoanthropologen auf Ablehnung und Ignoranz. Kaum ein Wissenschaftler wollte die Vorfahren des Menschen in Afrika vermuten. Der Paläontologe

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Robert Broom war einer der wenigen, der die Hypothese Darts über Jahre hinweg unterstützte. Er fand 1936 in einer fossilen Höhle bei Sterkfontein (Abb. 5), ca. 35 km westlich von Johannesburg, einen Schädel, der von einem erwachsenen Australopithecinen stammte. Broom beschrieb eine neue Gattung Plesianthropus und nannte einen weiteren Schädel, gefunden 1947, der weibliche Merkmale zeigte, Mrs Ples (Tafel 8). Aus der sogenannten unteren Brekkzie (Member IV), einem dicht gepackten, fest verbackenen Knochenlager in Sterkfontein mit einem Alter von ca. 2,5 Millionen Jahren, wurden seit 1947 durch umfangreiche Grabungen bis heute über 800 Australopithecinen-Fragmente zutage gefördert. Schon früh konnte der für Australopithecus propagierte aufrechte Gang anhand eines Skelettfundes nachgewiesen werden. In den sechziger Jahren leitete Phillip Tobias (Abb. 2) die Arbeiten, später wurden sie von Ron Clarke von der University of the Witwatersrand, Johannesburg, weitergeführt. Einer der bedeutendsten Funde in der Geschichte der Paläoanthropologie war 1998 das zu 99 Prozent vollständige Skelett – mit Schädel – eines Australopithecinen. Nachdem 1995 der Fuß in einer Sammlungskiste entdeckt worden war («Little Foot»), erbrachte die minutiöse Suche in der Höhle selbst den Rest («Cinderella»). Das erst 2017 vollständig freigelegte Skelett deutet auf eine Fortbewegungsart von Australopithecus africanus hin, die weniger menschenähnlich war als die von Australopithecus afarensis des östlichen Afrika (S. 49 ff.). In Sichtweite von Sterkfontein liegen die Höhlen von Kromdraai und Swartkrans (Abb. 5). In Kromdraai gelang Robert Broom 1938 der Nachweis, dass es unter den Australopithecinen einen zweiten Typus gab, der wesentlich robuster war als die Funde von Sterkfontein. Unter der Bezeichnung Paranthropus (Paranthropus robustus) (Tafel 8) trennte er die «robusten Australopithecinen» aus der Knochenbrekkzie Kromdraai B (jünger als 2,5 Millionen Jahre) von den «grazilen Australopithecinen» Sterkfonteins ab. Diese Hypothese, nach der die Vormenschen in eine auf vegetarische Nahrung spezialisierte robuste und eine allesfressende (omnivore) grazile Linie getrennt

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3. Urwelten

sind, hat sich in vielen weiteren Funden bis heute bestätigt. Spätere Arbeiten in Kromdraai von Elizabeth Vrba und Francis Thackeray nutzen vor allem die Fauna von Kromdraai als Modellsystem für die klimaabhängige Entwicklung früher Homininen. Aus den 1,7 bis 1 Millionen Jahre alten Brekkzien in Swartkrans (Member 1) wurden bis heute fast 150 Homininenfragmente geborgen. In den jüngsten Abschnitten finden sich neben altpaläolithischen Werkzeugen und Zähnen von robusten Australopithecinen (S. 59 ff.) auch Spuren von Feuernutzung. In der Limpopo-Provinz Südafrikas, ca. 280 km nördlich von Johannesburg, in Makapansgat (Abb. 1), entdeckte James Kitching 1947 Schädelfragmente in einer Höhlen-Brekkzie. Bereits 1925 erfuhr Raymond Dart von der Existenz fossiler Knochen, die er aufgrund von Schwarzfärbungen als Beweise für Feuernutzung hier lebender Homininen hielt. Daher beschrieb Dart die Australopithecinen von Makapansgat zunächst als Australopithecus prometheus. In den fünfziger und sechziger Jahren wurden fast zwanzig Homininenfragmente (heute als Australopithecus africanus klassifiziert) aus Makapansgat bekannt. Seit den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden die Geländearbeiten zur Entdeckung neuer Vormenschenfundstellen in Südafrika wieder intensiviert. Erste Erfolge waren die Entdeckung von Australopithecinen-Zähnen in Gladysvale (1994) (Abb. 5) und eines fast vollständigen robusten Australopithecinen-Schädels in Drimolen (1996) (Abb. 5). Im Jahr 2008 entdeckten Lee Berger und sein Team in Malapa (Abb. 5) zwei Teilskelette, die als neue Art Australopithecus sediba (S. 59) beschrieben wurden. Ostafrika wird zum Fossilienparadies

Seit Beginn der dreißiger Jahre war Louis Leakey auf der Suche nach Zeugnissen der Existenz menschlicher Vorfahren; vor allem suchte er Steinwerkzeuge. In der Olduvai-Schlucht (Olduvai Gorge) (Abb. 5) in Nordtansania gelang seiner Frau, der Archäologin Mary Leakey, 1959 der erste entscheidende Homininenfund im östlichen Afrika. Bis dahin stammte das

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Wissen um die frühesten Phasen der Evolution des Menschen ausschließlich aus dem südlichen Afrika. Mit dem Schädel des «Nussknackermenschen» Zinjanthropus boisei (heute als Paranthropus boisei klassifiziert), auch Zinj oder Dear Boy genannt, begann nicht nur in Olduvai Gorge eine außergewöhnliche Serie von Homininenfunden, sondern im gesamten östlichen und nordöstlichen Afrika. Bereits 1935 wurde die Fundstelle Laetoli (Abb. 5), etwas südwestlich der Olduvai-Schlucht, von Louis und Mary Leakey entdeckt. Der deutsche Ethnologe Ludwig Kohl-Larsen fand in dem Gebiet 1939 ein Oberkieferfragment mit zwei Zähnen und einen isolierten Schneidezahn (Garusi-Homininen); die Reste befinden sich heute in den Sammlungen der Universität Tübingen und wurden 1950 als Meganthropus africanus beschrieben. Heute werden diese Homininen aus den «Laetoli-Beds» (3,7 – ​ 3,5 Millionen Jahre alt) als Australopithecus afarensis (S. 49) klassifiziert. Eine der wichtigsten Entdeckungen der paläoanthropologischen Forschung gelang Mary Leakeys Team 1977/78. Nachdem schon seit Beginn der Arbeiten zahlreiche Säugetierspuren in den vulkanischen Aschenlagen bekannt waren, wurden erstmals Fußabdrücke von Australopithecinen entdeckt. Weitere Funde folgten durch das Team von Fidelis Masao 2015. Alle Spuren belegen, dass der aufrechte Gang der Vormenschen bereits vor ca. 3,6 Millionen Jahren voll entwickelt war. Die International Omo Research Expedition unter der Leitung von F. Clark Howell und Yves Coppens, an der zwischen 1966 und 1974 französische, kenianische und amerikanische Wissenschaftler teilnahmen, führte im Gebiet des Omo-Flusses in Südäthiopien (Abb. 5) nördlich des Turkana-Sees zu der Entdeckung von über 200 Einzelzähnen und einigen Schädel-, Unterkiefer- und Skelettfragmenten früher Homininen. Der Großteil des Materials gehört zu den Australopithecinen. Aus dem Member C der Shungura-Formation des Omo-Gebietes (Abb. 1) in Südäthiopien wurde 1968 ein robuster Vormenschen-­ Unterkiefer beschrieben, der heute zu Paranthropus aethiopicus (S. 60, Abb. 7) gezählt wird.

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Die systematischen und interdisziplinären Forschungsarbeiten des Sohnes von Louis und Mary Leakey, Richard Leakey, und seines Teams am östlichen Ufer des Turkana-Sees in Kenia (Koobi Fora) (Abb. 5) erbrachten seit 1972 mehr als 130 Schädelfragmente, Zähne und Skelettteile, die zu den robusten Australopithecinen und zur Gattung Homo gezählt werden. Durch das Koobi Fora Research Project wurde die Fundstelle zur bestuntersuchten Homininenfundregion Afrikas. Über dreißigtausend Einzelfunde der ehemaligen Tierwelt Koobi Foras werden heute im Nationalmuseum in Nairobi aufbewahrt. Zwar sind die Schichten East Turkanas (früher East Rudolf) zwischen 4 und 0,7 Millionen Jahre alt, doch sind alle gut erhaltenen Funde jünger als 2 Millionen Jahre. Auf der Westseite des Turkana-Sees (Abb. 5) («West Turkana») treten ältere Sedimente als an der Ostseite auf, hier reichen sie bis in das geologische Zeitalter des Miozän zurück. Bereits in den sechziger Jahren wurden in Lothagam (ca. 6 – ​7 Millionen Jahre) und in Kanapoi (4 Millionen Jahre) (Abb. 5) erste, schlecht erhaltene Homininenfossilien geborgen. Hier entdeckten Meave Leakey und ihr Team 1994 und 1995 mehrere 4 Millionen Jahre alte Unter- und Oberkiefer sowie Einzelzähne von Homininen. Die Fundschichten werden als Ablagerungen eines ehemaligen Flussdeltas gedeutet. Ähnliche Funde stammen von Allia Bay (Abb. 5) am Ostufer des Turkana-Sees. Zusammen bilden diese neuen Fundstücke die Grundlage für die Beschreibung einer weiteren Australopithecinen-Art Australopithecus anamensis (Anam bedeutet See in der Sprache der Turkanas) (Tafel 8). Auch die Fundregion Lomekwi (Abb. 5) in West Turkana brachte spektakuläre Funde hervor, wie etwa 1986 den vollständigen Schädel eines robusten Australopithecinen (Black skull) der Art Paranthropus aethiopicus (Abb. 7). Das Team von Meave Leakey entdeckte hier in den Jahren 1998 und 1999 eine Reihe zwischen 3,5 und 3 Millionen Jahre alter Homininen-­ fragmente der Gattung Kenyanthropus (S. 54, Tafel 8). Diese den Australopithecinen sehr ähnlichen Homininen betrieben vielleicht sogar eine sehr ursprüngliche Werkzeugkultur, deren

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Abb. 7: Aufspaltung und Koexistenz neuer Arten im Homininenstammbaum seit ca. 2,5 Millionen Jahren (Zeichnungen: A. Marie Rahn) oben: Paranthropus aethiopicus (Black skull, KNM-ER WT 17000), unten: Homo rudolfensis (KNM-ER ER 1470)

Überreste 2010 an der Fundstelle Lomekwi 3 entdeckt wurden (S. 54). In Hadar (Abb. 5), Äthiopien, entdeckte eine amerikanischfranzösische Expedition unter Leitung von Donald Johanson und Yves Coppens im November 1974 das Skelett einer als Australopithecus afarensis beschriebenen Art, die berühmt gewordene Lucy (Abb. 6, Tafel 8). Immerhin fast vierzig Prozent des Skeletts sind erhalten. Das Alter der Schichten an «Fundlokalität 288», dem Fundort Lucys, liegt bei ca. 3 Millionen Jah-

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3. Urwelten

ren. Noch spektakulärer fielen die Funde von «Lokalität 333» (Alter ca. 3,3 Millionen Jahre) aus: Hier wurden 1976/77 Hunderte von Homininenresten geborgen, die von insgesamt 13 Individuen stammen. Da alle Altersstadien von Kindern bis zu alten Erwachsenen repräsentiert sind, werden diese Funde als Beweis für den katastrophenartigen Tod einer ganzen Gruppe von Homininen, möglicherweise der «ersten Familie», interpretiert. Weitere Fundstellen von Australopithecus afarensis im Middle Awash liegen südlich von Hadar, z.   B. Maka oder Dikika (Abb. 5); ein dort entdecktes, gut erhaltenes Kinder­ skelett wurde 2006 von Zeresenay Alemseged beschrieben. Im Gebiet westlich von Middle Awash wurde 1999 die neue Art Australopithecus garhi beschrieben. 2015 wurden aus der Afar-­ Region von der Fundstelle Woranso-Mille (Abb. 5) die ca. 3,5 bis 3,3 Millionen Jahre alten Reste der neuen Art Australopithecus deyiremeda bekannt. Fundlücken werden gestopft

Bis Ende des letzten Jahrhunderts war es die feste Lehrmeinung, dass Australopithecinen nur im Nordosten, Osten und Süden Afrikas lebten. Daher kam der Fund eines Australopithecinen-­ Fragments durch ein französisches Team unter Leitung von Michel Brunet 1995 im Tschad (Koro Toro in Abb.  5) ca. 2500 km westlich des Afrikanischen Rifts überraschend. Der ca. 3,6 Millionen Jahre alte Unterkiefer wurde 1996 als neue Art Australopithecus bahrelgazali (arabisch für Gazellenfluss) abgetrennt. Der Lebensraum hatte sich seit der Zeit des Sahel­ anthropus (S. 36 f.) deutlich geöffnet und war nun von Grasland dominiert. In Nordmalawi wurde 1996 vom Team des Hominid Corridor Research Project (HCRP) eine fast 3000 km lange Lücke im Verbreitungsgebiet der robusten Australopithecinen zwischen den Fundstellen im Süden und im Osten des Kontinents geschlossen. Ein 2,6 – ​2,4 Millionen Jahre altes Oberkieferfragment aus Malema (Abb. 5) ist das älteste bekannte Fragment der Art Paranthropus boisei (S. 61). Zeitgleiche Reste der Urmenschen

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Australopithecinen-Stammgruppe Australopithecus anamensis (4,2 – ​3,8 Millionen Jahre): Kanapoi, Allia Bay (Kenia) (Tafel 8) Australopithecus afarensis (3,7 – ​2,9 Millionen Jahre): Laetoli (Tansania), Hadar (Abb. 6 Mitte links, Tafel 8), Maka, Dikika (Äthiopien) Australopithecus deyiremeda (3,5 – ​3,3 Millionen Jahre) Woranso-Mille (Äthiopien) Geographische Varianten der Australopithecinen WESTLICHES AFRIK A

Australopithecus bahrelgazali (3,5 – ​3,2 Millionen Jahre): Bahr el gazal (Tschad) ÖSTLICHES AFRIK A

Kenyanthropus platyops (ca. 3,5 – ​3 Millionen Jahre): Lomekwi (Kenia) (Tafel 8) NORDÖSTLICHES AFRIK A

Australopithecus garhi (ca. 2,5 Millionen Jahre): westlich von Awash (Äthiopien) SÜDLICHES AFRIK A

Australopithecus africanus (3 – ​2 Millionen Jahre): Taung (Abb. 2), Sterkfontein (Tafel 8), Makapansgat, ­Gladysvale (Südafrika) Australopithecus sediba (ca. 2 Millionen Jahre): Malapa (Südafrika) Robuste Australopithecinen (Paranthropus) Paranthropus aethiopicus (2,6 – ​2,3 Millionen Jahre): Omo (Äthiopien), Lomekwi (Kenia) (Abb. 7) Paranthropus boisei (2,5 – ​1,1 Millionen Jahre): Olduvai Gorge (Peninj (Tansania), Koobi Fora (Kenia), Omo, Konso-­Gardula (Äthiopien), Malema (Malawi) Paranthropus robustus (1,8 – ​1,3 Millionen Jahre): Kromdraai, Swartkrans (Tafel 8), Drimolen (Südafrika)

Homo rudolfensis aus dem Malawi-Rift belegen eine Koexistenz beider Gruppen im südöstlichen Afrika vor ca. 2,5 Millionen Jahren (S. 66). Es ist zu vermuten, dass sowohl im südöstlichen als auch im westlichen Afrika weitere Funde folgen werden, denn potenti-

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3. Urwelten

elle Fundstellen in Form ehemaliger Senken gibt es an vielen Orten. Unterschiedliche Gruppen der Vormenschen existierten zum Teil gleichzeitig in panafrikanischer Verbreitung: Die Australopithecinen-Stammgruppe im äquatorialen Bereich, die geographischen Varianten der Australopithecinen des westlichen, des östlichen, nordöstlichen und südlichen Afrika sowie die robusten Australopithecinen, die zur Gattung Paranthropus zusammengefasst werden. Ur-Vormenschen: Lucy und die Menschen vom See Australopithecus anamensis

Der «Vormensch vom See» (Tafel 8) unterscheidet sich deutlich vom etwas älteren Ardipithecus ramidus, aber auch von den späteren Australopithecus afarensis und Australopithecus deyiremeda. Sowohl im Oberkiefer als auch im Unterkiefer sind die Zahnreihen fast parallel. Die unteren Eckzähne stehen deutlich schräg zur Kaufläche und sind, ebenso wie die Backenzähne, sehr groß. Der Zahnschmelz ist etwas dicker als bei den Menschenaffen, ein Hinweis auf die Veränderung der Nahrung hin zu weniger zähem und eher hartem Material. Die Gegend um den Turkana-See ist heute karg, trocken und staubig; Vegetation wächst nur entlang oft ausgetrockneter Flussläufe. Die Antilopenfunde aus der Zeit vor 4 Millionen Jahren, zum Beispiel Kudus, lassen auf einen damaligen dichten Buschbestand schließen. Jedoch sind fossile Reste von Flusspferden selten, demnach waren die Flüsse wohl nicht ganzjährig wasserführend. Als am Ende des Miozän die jahreszeitlichen Trockenzeiten länger und ausgeprägter wurden, traten vermehrt die Nahrungsquellen im Boden wie beispielsweise Knollen und Speicherwurzeln in den Vordergrund, während in den Regenzeiten weiterhin Früchte, Kerne und Hülsen der Waldgebiete zur Verfügung standen. Mehr als eine Million Jahre lang waren somit Morphologie und Verhalten durch einen Lebensraum in den Bäumen (arboreal) als auch am Boden (terrestrisch) unterschiedlichen Anforderungen ausgesetzt. Die angrenzende baumbestandene Savanne bot neue Lebens-

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räume. Bei den hier lebenden Homininen lag der Selektionsvorteil in der Entwicklung eines verhaltens- und konstruktionsabhängigen Bewegungsrepertoires zur Überwindung der ausgedehnten Zwischengebiete. Eine dieser Strategien ist der zweibeinige, aufrechte Gang, die Entwicklung des «Gehens» (S. 33 ff.). Da die Eckzähne nicht wie bei den Menschenaffen als Tötungsinstrumente geeignet waren, muss ein wirkungsvoller Schutz vor Beutegreifern im Aufsuchen von schützenden Baumund Dornbuschgruppen bestanden haben. Da weder anatomische noch kulturelle Verteidigungs-, geschweige denn Angriffsmerkmale bei Australopithecus anamensis vorhanden sind, übernahm ein ausgeprägtes Sozialverhalten die entscheidende Schutzfunktion gegenüber der Umwelt. In dieser frühen Phase der Homininenentwicklung, in der eine Verteidigung mit Hilfe der Zähne nicht mehr und mit Hilfe von Werkzeugen noch nicht möglich war, lag ein weiterer Selektionsvorteil in der starken Verfeinerung und Weiterentwicklung des primatentypischen Sozialverhaltens. Australopithecus afarensis (Abb. 6, Tafel 8)

Australopithecinen-Funde aus Laetoli wurden gemeinsam mit denen aus Äthiopien der wissenschaftlichen Beschreibung von Australopithecus afarensis zugrunde gelegt. Das Alter der Funde liegt zwischen 3,7 und 2,9 Millionen Jahren. Wie am Skelett von Lucy (Abb. 6) abzulesen ist, war Australopithecus afarensis ca. 30 bis 50 kg schwer und höchstens 1,20 m groß. Die relative Hirngröße entspricht der heutiger Schimpansen, vor allem die Backenzähne sind jedoch deutlich größer, als bei Schimpansen ähnlicher Körpergröße zu erwarten wäre. Dies lässt auf die Verarbeitung relativ grober Nahrung schließen, wie sie hauptsächlich in den an den tropischen Regenwald anschließenden Savannengebieten zu finden ist. Der Anatomie der Schulterblätter und der Arme ist zu entnehmen, dass eine gewisse Fähigkeit zum Klettern und zur vierbeinigen Fortbewegung noch vorhanden war. Überwiegend dürften diese Vormenschen jedoch aufrecht gegangen sein.

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3. Urwelten

Während die Arme von Australopithecus afarensis relativ lang waren, erstaunen die im Vergleich zum modernen Menschen sehr kurzen Beine (Abb. 6). Der aufrechte Gang war demnach recht kraftaufwendig. Fossile Fußabdrücke aus Laetoli, die vor 3,6 Millionen Jahren durch Vulkanascheregen konserviert wurden, belegen, dass der dauernde aufrechte Gang bei diesen Vormenschen bereits voll entwickelt war. Eindeutige Veränderungen gegenüber den Menschenaffen sind auch bei den Zehen zu beobachten: Während die große Zehe bei Menschenaffen abgespreizt und somit zum Greifen geeignet ist, ist sie beim Menschen verkleinert und bildet mit den anderen Zehen einen gemeinsamen belastbaren Abroll­ apparat, bei dem ein abgespreiztes Zehenelement funktionell keinen Sinn macht. Australopithecus afarensis zeigt ein evolutives Zwischenstadium, die Abspreizung der großen Zehe ist noch schwach sichtbar (Abb. 6). Zum Greifen war der Fuß nicht mehr geeignet. Australopithecus afarensis entstand zunächst im ostafrikanischen tropischen Bereich und breitete sich vor ca. 4 Millionen Jahren im Bereich des afrikanischen Rifts weiter aus. Stets wurde eine enge Verbindung zu den breiten Flussuferzonen-­ Habitaten beibehalten. Offensichtlich breitete sich eine Teilpopulation bis in das Gebiet des heutigen Tschad aus, wie die Reste des von dort beschriebenen Australopithecus bahrelgazali (S. 53) belegen. Lucy und ihre Artgenossen durchstreiften in Gruppen von vielleicht zwanzig Individuen vor etwa drei Millionen Jahren die bewaldeten Graslandschaften. Jedes Gruppenmitglied war offensichtlich weitgehend selbst für das Organisieren der eigenen Nahrung verantwortlich, denn es gibt noch keine direkten Hinweise auf Nahrungsteilung zu dieser Zeit. Der Nahrungserwerb dürfte relativ unspezialisiert gewesen sein. Früchte, Beeren, Nüsse, Samen, Schösslinge, Knospen und Pilze standen zur Verfügung. Unterirdische Wurzeln und Knollen konnten ausgegraben werden. Im Wasser und am Boden lebende kleine Reptilien, Jungvögel, Eier, Weichtiere, Insekten und kleine Säugetiere wurden nicht verschmäht.

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Das Leben im jahreszeitlichen Wechsel von trockenem und feuchtem Klima führte dazu, dass nicht das gesamte Nahrungsspektrum das ganze Jahr über zur Verfügung stand. So ist davon auszugehen, dass Australopithecus afarensis Strategien entwickelte, das vielfältige Nahrungsangebot entsprechend der Verfügbarkeit in einem saisonalen Lebensraum opportunistisch und bestmöglich auszunutzen. Dies setzte einen sinnvollen Informationstransfer wenigstens von Individuum zu Individuum voraus, wenn auch noch keine Tradierung über Generationen hinweg notwendig war. Zwar sind keine Anzeichen für eine Sprechfähigkeit bei Australopithecus afarensis nachgewiesen, doch ist es wahrscheinlich, dass sich die schon bei Menschenaffen vorhandene differenzierte Kommunikationsfähigkeit in diesem Funktionszusammenhang als vorteilhaft erwies und weiterentwickelte. Vor ungefähr 3 Millionen Jahren begann eine Epoche von Klimaschwankungen und Abkühlung mit regional zunehmender Trockenheit in Afrika. Für Australopithecus afarensis bedeutete der klimatische Umschwung die Verlagerung seiner angestammten Lebensräume und seine Ausbreitung in weiter entfernt liegende Flussufer- und geschlossene Seeufergebiete. Australopithecus deyiremeda

Die zeitgleich und in demselben Gebiet wie Australopithecus afarensis verbreitete Art Australopithecus deyiremeda weist einen besonders dicken Zahnschmelz und massive Kieferknochen auf. Möglicherweise fand bereits zu diesem Zeitpunkt eine ernährungsbedingte Aufspaltung statt und zeichnete die evolutive Weiterentwicklung von Australopithecus afarensis zu Homo rudolfensis (S. 67) und von Australopithecus deyiremida zu Paranthropus aethiopicus (S. 60) vor. «Montrez-moi vos dents et je vous dirai qui vous êtes»

Dieser legendäre Ausspruch («Zeigen Sie mir Ihre Zähne, und ich sage Ihnen, wer Sie sind») von George Cuvier (1769 – ​1836) deutet die besondere Rolle an, die Zähne und Gebisse in den

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3. Urwelten

palöontologischen Wissenschaften spielen. Einerseits notgedrungen – denn Zähne sind im Fossilbericht überproportional häufig – , andererseits lassen sich Zähne in vielen Richtungen interpretieren: bezüglich der bevorzugten Nahrung, der Umwelt und sogar des Klimas früher Homininen. In einem Größenvergleich, der aber lediglich einen evolutiven Trend aufzeigt, ohne Verwandtschaftsverhältnisse auszudrücken, nimmt die Größe der Eckzähne von Australopithecus  anamensis über A.  afarensis bis zu A.  africanus kontinuierlich ab, die Größe der Backenzähne hingegen nimmt in dieser Reihenfolge leicht zu. Während also die Bedeutung der Eckzähne, die bei den Menschenaffen zum Teil als Tötungs- und als Drohinstrument eingesetzt werden, abnimmt, sind die Australopithecinen zunehmend auf große Mahlzähne zur Zerkleinerung harter Nahrung angewiesen. Allen Vormenschen ist gemein, dass sie sowohl große Zähne als auch dicken Zahnschmelz besitzen  – die evolutive Grundlage für eine Ernährung, die es ihnen erlaubte, verschiedenste Habitate von Wäldern bis Grassavannen zu besiedeln. Die Zähne und Kiefer der Australopithecinen waren kaum dazu geeignet, zähe Früchte, Blätter und Fleisch zu zerkleinern, sondern dafür konstruiert, harte und spröde Nahrung zu zerkauen oder kleine Partikel, wie z. B. Nüsse und andere Samen, zwischen ihren flachen, breiten Backenzähnen zu zerquetschen. Nicht nur ein dicker Zahnschmelz ist von Vorteil, sondern auch die starken Kieferknochen. Die Vormenschen waren also grundsätzlich mit Kauwerkzeugen ausgestattet, die es ermöglichten, hartes und weiches Material, das nicht besonders zäh ist, gut zu zerkauen. Allerdings zeigen sich auch Unterschiede im Kauapparat. Während sich bei Australopithecus anamensis vor etwas mehr als 4 Millionen Jahren noch ein flaches breites Zahnrelief mit guten Quetscheigenschaften zeigt, besaßen Lucy und ihre A. afarensis-Verwandten ein wenig vielfältiges Abnutzungsmuster im Zahnrelief. Durch Verbreitung in Afrika entwickelten sich seit ca. 3,5 Millionen Jahren verschiedene geographische Varianten der Vormenschen, die im westlichen, im nordöstlichen und südlichen Afrika lebten. Vor allem Australopithecus africanus im

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südlichen Afrika zeigt sehr variable Zahnabnutzungen, ein Indiz für abwechslungsreichere Mahlzeiten in der täglichen Kost. Die Zahnoberflächen der fossilen Backenzähne bieten einen direkten Einblick in die Nahrung, an deren Zerkleinerung sie beteiligt waren, da pflanzliche Nahrung typische Spuren, z. B. Gruben auf dem Zahnschmelz, hinterlässt. Auch die räumliche Anordnung der mikroskopisch kleinen Prismenbausteine, die den Zahnschmelz aufbauen, ist funktionell bedingt, also an die Ernährung gekoppelt. Die Kombination verschiedener dieser Merkmale bietet die Grundlage, um Ernährungsweisen früher Homininen zu rekonstruieren, und führt bei neuen Funden zur Bestimmbarkeit auch einzelner, kleinster Zahnfragmente. Panafrikanische Varianten der Vormenschen Im Westen: Australopithecus bahrelgazali

Kurz nach der Entdeckung von Australopithecus anamensis erweiterte 1995 ein Fund aus dem Tschad (Bahr el gazal, Abb. 1) den Stammbaum und das Verbreitungsgebiet von Australopithecus. Die Spärlichkeit der Fossilienfunde im westlichen Afrika geht vor allem darauf zurück, dass Gebiete mit hohem Fossilisationspotential hier sehr selten sind. Französische Paläoanthropologen wiesen nach, dass sich diese Homininengruppe sowohl von A. anamensis und A. afarensis als auch von Ardipithecus (S. 37 f.) anatomisch unterscheidet: Zum Beispiel war die Gesichtspartie steiler gestellt (orthognath) als bei den langschnäuzig (prognath) wirkenden Verwandten. Nordöstliches Afrika: Australopithecus garhi

Auch im nordöstlichen Afrika entwickelte sich eine geographische Variante der Australopithecinen. Die Funde von Australopithecus garhi in Hata /Äthiopien, erstmals 1999 beschrieben, sind etwa 2,5 Millionen Jahre alt. Australopithecus garhi könnte durchaus dem Ursprung der Gattung Homo nahestehen. Neben Schädel-, Gebiss- und Langknochenresten wurden im selben Fundhorizont auch Steinwerkzeuge entdeckt. Dies eröffnet die Möglichkeit, dass Werkzeugkulturen bereits bei

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3. Urwelten

Australopithecinen eine Rolle spielten. Zwar ist eine direkte Beziehung zwischen Homininenfunden und Artefakten nicht nachgewiesen, doch erscheint es nach sogar 3,3 Millionen Jahre alten Artefakten in West Turkana durchaus vorstellbar, dass der Kultur der Pebble tools der Frühmenschen eine Vorstufe sehr ursprünglicher anfänglicher Steinbenutzung bei Australopithecinen vorausging (Lomekwian). Östliches Afrika: Kenyanthropus platyops (Tafel 8)

Von Kenyanthropus liegen ein fast vollständiger Schädel, zwei Unterkiefer und viele Einzelzähne vor, die von Meave Leakeys Team 1999 gefunden wurden. Der Schädel KNM-WT 40000 ist aufgrund der Fossilisation zwar etwas verdrückt, aber immerhin ist die gesamte Ohrregion erhalten. Da die Funde in kein bis dahin beschriebenes Homininenraster hineinpassten, wurden sie als neue Gattung Kenyanthropus (Keniamensch) beschrieben, der Artname platyops weist auf ihren abgeflachten Gesichtsschädel hin. Kenyanthropus stellte sich als weitgehend robuster Australopithecine, allerdings mit sehr kleinen Zähnen, heraus. Diese Mischung verblüfft, denn nach gängiger Auffassung entstanden die robusten Vormenschen erst vor ca. 2,5 Millionen Jahren (S. 59 ff.). Große Zähne und kräftige Kaumuskulatur wirkten im Sinne einer Mahlwerkskonstruktion zusammen. Bei Keny­ anthropus dürfte es sich um eine geographische Variante der Australopithecinen handeln. Ob diese Gattung jedoch mit dem Ursprung der Gattung Homo in Verbindung steht und eine eigenständige Entwicklung der Art Homo rudolfensis (S. 67) seit annähernd 4 Millionen Jahren begründen könnte, ist fraglich. Südliches Afrika: Australopithecus africanus

Der frühe Fund eines Homininen in Afrika, die Entdeckung des Taung-Babys 1924 (S. 40, Abb. 2), führte zur Erstbeschreibung der Gattung Australopithecus. Den von Raymond Dart für den damals einzigartigen Fund vorgeschlagenen Artnamen africanus tragen heute über tausend Homininenreste aus dem südlichen Afrika aus der Zeit von vor 3 bis 2 Millionen Jahren.

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Die Anatomie von Australopithecus africanus unterscheidet sich nur im Detail von der des Australopithecus afarensis. Die grundsätzlichen Merkmale sind schon seit dem Fund des Taung-­ Babys und der Erwachsenenschädel in den dreißiger Jahren bekannt: Die Mundregion springt vor, das Gesicht ist dadurch leicht schräg gestellt (Prognathie). Die Stirn ist wenig, der Überaugenwulst deutlich entwickelt. Die seitlichen Jochbeine sind kräftig ausladend, der Kiefer ist robust, ein Kinn fehlt (Tafel 8). Charakteristisch ist die Kombination eines kleinen Gehirnschädels (Gehirnvolumen ca. 450 ccm), in der Größe vergleichbar mit dem der Menschenaffen, mit einem Gebiss, in dem vor allem die Schneide- und die Eckzähne fast winzig erscheinen, die Backen- und Vorbackenzähne aber fast doppelt so groß sind wie beim heutigen Menschen. Erstaunlich ist, dass das Gehirn sich mehr als zwei Millionen Jahre lang kaum vergrößerte. Die Fortbewegung kombinierte Fähigkeiten zum Aufrechtgehen mit denen zum Klettern. Bevor die Fußspuren von Laetoli einen direkten Hinweis auf die zweibeinige Lebensweise der Australopithecinen gaben, wurde dies vor allem aus Beckenfragmenten und Oberschenkelknochen geschlossen, die in Sterk­ fontein gefunden wurden. Sie geben beispielsweise darüber Auskunft, wie das Körpergewicht im Kniegelenk abgeleitet wurde: Bei den Schimpansen wird die größte Kraft über die größere äußere Gelenkrolle abgetragen, beim Menschen über die größere innere. Bei Australopithecus africanus ist eine Art Zwischenstadium in dieser Entwicklungsreihe erreicht. Der kleine Oberschenkelhals bei Australopithecus deutet auf eine geringere Belastungsfähigkeit hin als beim heutigen Menschen. Australopithecus africanus kommt nur im südlichen Afrika vor, nicht im östlichen und nördlichen Bereich des Kontinents. Dort ist nur Australopithecus afarensis verbreitet. Diese Verteilung wird verständlich durch die Betrachtung der Klimaverschiebungen zur damaligen Zeit und deren Einfluss auf die Wanderungsbewegungen der frühen Homininen. In Zeiten relativ warmen und feuchten Klimas vor ca. 3,5 – ​3 Millionen Jahren kam es zur Ausbreitung einiger Populationen von Australopithecus afarenis entlang von Uferzonen-«Korridoren» in das

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Homo erectus

Homo sapiens Homo ergaster Australopithecus bahrelgazali

Australopithecus afarensis Homo habilis

4 - 3 Mio. Jahre Homo rudolfensis 2,5 - 2 Mio. Jahre

Paranthropus robustus

2 - 1,5 Mio. Jahre Australopithecus africanus 0,1 Mio. Jahre

Abb. 8: Klimaabhängige Migrationen früher Homininen in Afrika und früheste Expansionen (Homininenrekonstruktionen: WildLifeArt Nina Kieser & Wolfgang Schnaubelt)

südliche Afrika (Abb. 8). Diese Ausbreitung wurde durch das Vordringen des südlichsten Abschnitts des afrikanischen Grabens (Malawi-Rift) in die gemäßigten Bereiche Afrikas erleichtert. Die Homininen behielten zunächst ihre Bindungen an bewaldete Lebensräume bei, besonders in gemäßigteren Klimaten und in geographischer Isolation am äußersten Rand ihres Verbreitungsgebietes. Die Lebensbereiche von Australopithecus africanus im südlichen Afrika waren nicht offene Savannen, sondern Waldrandgebiete, die oft auch in der Nähe von Flussläufen zu finden sind

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(Galeriewald). Im Gebiet des heutigen Sterkfontein-Tales gediehen sogar tropische Regenwälder mit Lianenbewuchs. In Makapansgat konnte ein dichter Waldbestand zu Zeiten der Australopithecinen nachgewiesen werden. In einem Radius von ca. 15 km um Makapansgat finden sich heute 137 essbare Pflanzenarten: 79 Früchte, 11 Blätter, 16 Wurzeln und 31 verschiedene Pflanzenharze. Vor allem unterirdische Speicherorgane, wie stärkereiche Zwiebeln, Rhizome und Knollen, könnten dazu gedient haben, Trockenzeiten zu überdauern. Da sich Australopithecus africanus als Allesfresser ernährte, gehörte Fleischnahrung zum Speiseplan. Da es keine deutlichen Anzeichen für Jagdverhalten wie etwa Schnittspuren auf den Knochenresten gibt, wurden wohl nur kleinere Tiere gejagt, wenn dies ohne Bedrohung möglich war. Vermutlich haben sich Australopithecinen in recht opportunistischer Manier von allem ernährt, dessen sie habhaft werden konnten, mit wechselnden Pflanzen- und Fleischanteilen entsprechend der Jahreszeit. Viel häufiger als die Jagd war bei Australopithecus das Fleddern schon gerissenen Wildes, ein auch für Schimpansen nicht unübliches Verhalten. Gerade in den Trockenzeiten war frisches Aas zum Beispiel von verhungerten Tieren reichlich zu finden. Allerdings kam Australopithecus erst an die Reihe, nachdem sich Löwen, Geparden, Hyänen und Geier bedient hatten. In einer solchen Umgebung war die Lebensweise von Australopithecus africanus einerseits darauf ausgerichtet, durch geschicktes Verhalten alle Nahrungsmöglichkeiten auszuschöpfen, andererseits war diese Ernährungsstrategie immer damit gekoppelt, für ausreichenden Schutz des Individuums zu sorgen: Kinder wurden von den Eltern getragen, die Zusammengehörigkeit in der Gruppe wurde gefördert, Informationen wurden ausgetauscht, Rückzugsgebiete, zum Beispiel Bäume, wurden definiert und genutzt. Wahrscheinlich wurden auch aktiv Hilfsmittel zur Verteidigung gegen Beutegreifer eingesetzt, wie zum Beispiel ausgerissene Dornbüsche, die eine abschreckende Wirkung erzielten. Denn wir wissen heute: Australopithecus africanus war nicht der Jäger, als der er oft dargestellt wurde, in Wirklichkeit war er der Gejagte.

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3. Urwelten

Ende der fünfziger Jahre hatte sich Raymond Dart, der Entdecker des Taung-Babys, mit einer Hypothese zur Kultur der Vormenschen zu Wort gemeldet. Die weit über 100 000 in Makapansgat (Abb. 5) gefundenen fossilen Knochenfragmente, die hauptsächlich von Antilopen stammen, regten seine Phantasie an. Da er Feuernutzung durch die Australopithecinen für bewiesen hielt, stellte er sich eine Knochen-, Zahn- und Hornkultur vor, und erklärte die Knochenansammlungen zu fossilen Knochen-«Müllkippen» von Australopithecus africanus. Die sogenannte Osteodontokeratische Kultur, die vor allem in den sechziger Jahren stark popularisiert wurde, sieht die Vormenschen als blutrünstige Killer-Apemen. Die Dart’sche Theorie rief viel Zustimmung, aber auch starken Widerspruch hervor; doch stellte sich heraus, dass weder über die Bildung von Fossilienlagerstätten noch über das Sozialverhalten von Primaten genügend Wissen vorlag, um die Theorie zu widerlegen. Daher wurden zwei für die moderne Paläoan­ thropologie wichtige Forschungsrichtungen initiiert, die Taphonomie (S. 16) und die beobachtende Verhaltensforschung an Primaten. So war auch der Beginn der Schimpansenforschung Jane Goodalls eine direkte Folge der Aggressionstheorie Darts. Während dem damaligen ideologischen Weltbild entsprechend – in der Zeit des Kalten Krieges – die Aggression als wesensbestimmendes Merkmal des Menschen angesehen wurde, gehen wir heute von einer viel größeren Bedeutung des kooperativen Sozialverhaltens bei der Evolution der Vormenschen aus. Über das spätere Schicksal von Australopithecus africanus gehen die Meinungen auseinander, jedoch ist es aufgrund klimaund biogeographischer Rekonstruktionen (S. 70) plausibel, dass sich eine Teilpopulation durch Expansion in das östliche Afrika zu Homo habilis weiterentwickelte (Abb. 8, Tafel 8). Der zurückgeblienene Teil der Population überlebte bis vor knapp 2 Millionen Jahren im südlichen Afrika und entwickelte sich dort zu Australopithecus sediba.

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Sackgasse im Süden I: Australopithecus sediba

Australopithecus sediba gibt wichtige Einblicke in die Diversität und den Mosaikcharakter von lokomotorischen Anpassungen bei frühen Homininen. Während die Hände dieser regionalen Nachfahren von Australopithecus africanus im südlichen Afrika recht modern wirken, gibt die Fortbewegung einige Rätsel auf. Australopithecus sediba (Abb. 1) hatte wohl eine deutlich steifere Halswirbelsäule als heutige Menschen und war in der Drehbarkeit der Wirbelsäule stark eingeschränkt. Die funktionsmorphologischen Befunde am Skelett passen am besten zu einem Lebensraum in oder auf Bäumen. Hierbei spielt nicht nur das Klettern, sondern vielleicht auch das Hangeln eine Rolle. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass diese Art dem Ursprung der Gattung Homo nahesteht, wie verschiedentlich gemutmaßt wurde. Einerseits sind sie mit einem Alter von ca. 2 Millionen Jahren zu jung, und andererseits sind neue Arten der Hominiden wegen höherer Mosaikstruktur der Habiate fast immer im tropischen Bereich entstanden. Nussknackermenschen: Große Zähne, starke Muskeln

Einige der bislang besprochenen Australopithecinen werden in verschiedenen Stammbaumhypothesen als mögliche Vorfahren der Urmenschen der Gattung Homo gehandelt. Hingegen besteht bei den robusten Australopithecinen-Arten  – aethiopicus, boisei und robustus – weitgehend Übereinstimmung, dass es sich hierbei um Angehörige eines ausgestorbenen Seitenzweiges im Homininenstammbaum handelt. Daher werden sie meist in einer eigenen Gattung, Paranthropus, zusammengefasst (Abb. 1). Allen robusten Australopithecinen sind wesentliche Merkmale in der Konstruktion des Schädels und der Bezahnung gemeinsam (Abb. 7). Der Gesichtsschädel ist sehr breit. Die Jochbögen, an denen der Teil der Kaumuskulatur entspringt, der an der Wangenseite zum Unterkiefer zieht, sind sehr kräftig und weit ausladend. Am auffälligsten ist die Ausbildung eines Scheitelkammes an der Oberseite des Schädels. Ursache dafür

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3. Urwelten

ist ebenfalls ein umfangreiches Kaumuskelpaket: Die aus der Schläfenregion seitlich vom Schädel abwärtsführenden Kaumuskeln (M. temporalis) haben ihr Ursprungsfeld auf beiden Seiten in Richtung Schädeloberseite stark vergrößert und stoßen oben von beiden Seiten am Scheitelkamm zusammen. Die Muskeln erreichen eine mehrfache Dicke der Kaumuskeln heutiger Menschen. Die äußere Kopfform der robusten Australopithecinen (Tafel 8) wurde also weniger durch die Form der Schädelknochen bestimmt, wie beim heutigen Menschen, sondern durch Muskelpakete, vergleichbar denen heutiger Gorillas. So lässt der Knochenkamm – bei den weiblichen Exemplaren weniger stark ausgebildet – auf massige Kaumuskelpakete schließen. Diese Besonderheiten, die sie von allen anderen Homininen unterscheiden, stehen in Zusammenhang mit einer Spezialisierung auf überwiegend vegetarische Nahrung. Da das Zerkauen pflanzlicher Nahrung durch stets enthaltene Quarzanteile eine starke und schnelle Abnutzung der Zähne nach sich zieht, sind vor allem die Vorbacken- und die Backenzähne der robusten Australopithecinen enorm verbreitert. Ihre Kronenflächen sind über doppelt so groß wie bei modernen Menschen. Dies deutet ebenso wie die übergroßen (megadonten) Backenzähne darauf hin, dass vor allem harte und grobe pflanzliche Nahrung, zum Beispiel Samen und harte Pflanzenfasern, zerkaut wurden. Die Fähigkeit zum Aufbrechen harter Schalen könnte aber durchaus auch beim Verzehr aquatischer Nahrung (z. B. Muscheln) von Vorteil gewesen sein. Paranthropus aethiopicus

Der zahnlose Schädel WT 17000 (Black skull, Abb. 7) vom ­Westufer des Turkana-Sees bei Lomekwi (Abb. 5) besitzt den größten und massivsten Scheitelkamm, der je bei Homininen gefunden wurde. Das Gehirn ist mit ca. 410 ccm relativ klein, das breite, flache Gesicht und der Kiefer wirken äußerst massiv. Da die hinteren Abschnitte des Schädels an die Anatomie von Australopithecus afarensis erinnern, liegt eine Mischung ursprünglicher und weiterentwickelter (abgeleiteter) Merkmale

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vor. Die Art lebte im Zeitraum vor 2,6 bis 2,3 Millionen Jahren. Weitere Funde stammen aus dem Omo-Gebiet in Südäthiopien. Paranthropus boisei

Ursprünglich wurde für den «Nussknackermann» aus Olduvai Gorge (Abb. 5) eine neue Homininengattung Zinjanthropus geschaffen. Mit dem heute zur Verfügung stehenden Fundmaterial und dem dadurch möglichen Überblick über die anatomischen Variabilitäten wird die Art boisei, die nach dem Hauptfinanzier der Leakey’schen Grabungen, dem Londoner Geschäftsmann Charles Boise, benannt ist, der Gattung Paranthropus zugeordnet. Die Gehirngröße liegt mit 530 ccm Volumen leicht über der von Paranthropus aethiopicus. Das Gesicht ist sehr massiv, der Knochenkamm kräftig ausgeformt. Die Backenzähne sind teilweise über 2 cm breit. Die geologisch ältesten Reste dieser Art stammen aus Nord-­ malawi (Malema, Abb.  5, ca.  2,5 Millionen Jahre), weitere Funde aus dem Omo-Gebiet und Konso-Gardula (Äthiopien) sowie vom Ostufer des Natronsee in Nordtansania. Paranthropus robustus

Alle Funde von Paranthropus robustus (Tafel 8) aus dem südlichen Afrika sind zwischen 1,8 und 1,3 Millionen Jahre alt. Das Gesicht ist typischerweise sehr breit. Der Vorderkopf ist flach, kräftige Überaugenwülste sind entwickelt. Im Gegensatz zu Paranthropus aethiopicus und Paranthropus boisei ist der Scheitelkamm schwächer ausgebildet, wenn auch an den meisten Schädeln deutlich zu erkennen. Das durchschnittliche Gehirnvolumen beträgt 530 ccm. Die Schneide- und die Eckzähne sind relativ klein, verglichen mit den Mahlzähnen zum Beispiel im Unterkiefer. Wenn auch von den übrigen robusten Homininen keine «kulturellen» Hinterlassenschaften bekannt sind, ist zumindest für Paranthropus robustus nachzuweisen, dass sie Termiten verspeisten und Knochenwerkzeuge zum Ausgraben unterirdischer pflanzlicher Speicherorgane, wie Knollen und Wurzeln, benutzten. Zwar handelte es sich hierbei nicht um gezielt hergestellte

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3. Urwelten

Werkzeuge, doch wurden die Grabwerkzeuge offensichtlich über viele Monate hinweg verwendet. Zum Schutz vor Beute­ greifern mischte sich Paranthropus robustus tagsüber möglicherweise unter mittelgroße bis große Antilopenherden. Herausforderung Klimawandel: Die biologische Lösung

Eine weltweit in Tiefseesedimenten nachgewiesene Phase globaler Abkühlung, die vor ca. 2,8 Millionen Jahren begann, brachte einschneidende Veränderungen mit sich. Die Auswirkungen zunehmender Klimaextreme und höherer Trockenheit (Aridifizierung) führten zu einer geographischen Verlagerung der Vegetationsgebiete (Habitate) und der Lebensräume (Biome). Die tropischen Biome verengten sich von Norden und Süden her äquatorwärts, die offenen Savannengebiete breiteten sich aus (Tafel 2). Einige Populationen von Australopithecus afarensis begannen den neuen Lebensraum auszunutzen. Sie hielten zunächst Verbindung zu den früchtereichen, wasserführenden Zonen, besonders während den Trockenzeiten, waren jedoch ebenso in der Lage, mit ihren Backenzähnen jene härtere Nahrung aufzuschließen, die in den offenen Lebensräumen während der günstigeren Jahreszeiten reichlich zur Verfügung stand. Im Laufe der Zeit entwickelten sich bei diesen spezialisierten Homininen ein robusterer Gesichtsschädel und eine megadonte Bezahnung, um die härtere Nahrung der Savannen effizienter verarbeiten zu können. Spätestens vor 2,6 Millionen Jahren war Paranthropus aethiopicus im östlichen Afrika etabliert (Abb. 7). Auch der Art Paranthropus boisei ging die Verbindung zu den geschlosseneren Habitaten ihres Lebensraumes nicht verloren, da diese Bereiche durch ihren Baumbestand Schutz, Schlafplätze und ein gewisses Maß an Nahrung bereithielten. Vor ungefähr 2 Millionen Jahren begann in Afrika eine Umkehrentwicklung vom relativ kühlen und trockenen Klima hin zu etwas wärmeren und feuchteren Verhältnissen. Es folgte eine Phase der Ausweitung der tropischen Lebensräume (Biome). Dadurch wurden Expansionen vom Äquator weg entlang der

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nahrungsreichen Habitate in das südliche Afrika ermöglicht (Paranthropus robustus) (Abb. 8). Vor ca. 1 Million Jahren hatten sich in Afrika einerseits spezialisierte Pflanzenfresser unter den Großsäugern (zum Beispiel Schweine und Antilopen), andererseits effiziente, durch effektive Werkzeuge unterstützte Allesfresser unter den Homininen (Gattung Homo S. 69) etabliert. Die dadurch entstehende Nahrungskonkurrenz führte zum Aussterben der robusten Australopithecinen zu einer Zeit, als mit Homo erectus die Gattung Homo bereits ihren Siegeszug bis nach Asien und Europa angetreten hatte (S. 80 f.).

4. Urheimat Afrika: Die ersten Urmenschen

Auf der Jagd nach den Urmenschen

Zur Zeit der Entdeckung des ersten Australopithecus 1924 waren mit Pithecanthropus (S. 76) die ältesten «Urmenschen» seit 1891 aus Asien bekannt. Mit der Entdeckung afrikanischer Vormenschen wuchs in den dreißiger Jahren die Hoffnung, auch die Wiege der Urmenschen in Afrika finden zu können. Der bereits erwähnte Archäologe Louis Leakey war zeitlebens von den afrikanischen Wurzeln der Menschheit überzeugt. Bereits 1932 fand er erste Hinweise auf eine frühe Existenz der Gattung Homo in Afrika mit dem Fund eines Unterkieferfragments in Kanam an der Ostseite des Victoria-Sees, das heute zu Homo erectus gerechnet wird. In Olduvai Gorge (Bed I, Alter ca. 1,8 Millionen Jahre, Abb. 5) entdeckte Leakey später sehr ursprüngliche Gerölle, von denen Splitter abgeschlagen waren, Reste der von ihm so genannten Oldowan-Kultur. Auf der Suche nach deren Produzenten tauchte 1959 zunächst Zinjanthropus auf (S. 61), der aber aufgrund seines geringen Hirnvolumens nicht als «Urmensch» überzeugte. Kurz darauf, 1960, fand sich in derselben Fundschicht jedoch Olduvai Hominid 7 (OH 7), bestehend aus zwei sehr viel weniger robusten Schädelknochen mit dazugehörigem Unterkiefer (Jonny’s Child) und einigen Handknochen. Aus der Wölbung der Schädeldachfragmente konnte ein Gehirnvolumen von 680 ccm berechnet werden, deutlich mehr als bei den robusten Australopithecinen. Dieser Fund begründete die neue Art Homo habilis, da man nun endlich den Hersteller der Geröllwerkzeuge in Olduvai Gorge ausgemacht zu haben glaubte. Seither wurden in der ca. 40 km langen Olduvai-Schlucht zahlreiche Reste des Homo habilis geborgen: zehn  Schädelreste, fünf Unterkieferfragmente, viele Einzelzähne sowie Fragmente von Skelettpartien.

Die ersten Urmenschen

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Ein weibliches Skelett und zugehörige Schädelteile und Zähne (OH 62) setzte Tim White 1986 aus vielen von ihm in Olduvai aufgespürten kleinen Fossilfragmenten zusammen. Dieser Fund zeigte deutlich, dass Homo habilis zwar wie der moderne Mensch aufrecht ging und ein größeres Gehirnvolumen besaß als alle Australopithecinen, jenen jedoch vor allem im Skelettbau sehr ähnlich war: Die ursprünglichen Annahmen von der Ähnlichkeit des Skelettbaus von Homo habilis zum modernen Menschen mussten stark revidiert werden. Zwar wurde Anfang der sechziger Jahre von Yves Coppens bei Yayo (Tschad, Abb. 5) ein Unterkiefer gefunden, der ebenfalls aus der Ursprungszeit der Gattung Homo stammt. Jedoch war ein Jahrzehnt lang die Fundlage zu den frühesten Angehörigen der Gattung Homo ausschließlich durch die berühmten Olduvai-Homininen geprägt. In dieser Zeit und noch lange danach spielte und spielt daher Homo habilis in vielen Hypothesen eine fast unverrückbare und zentrale Rolle. Erst mit Beginn des Koobi Fora Research Project in Kenia unter Leitung von Richard Leakey kam wieder Bewegung in die Forschungen zum Ursprung der Gattung Homo. Aus den zahlreichen Fundstellen Koobi Foras am Ostufer des Turkana-Sees (Abb. 5) wurden seit 1970 zahlreiche gut erhaltene Schädel, Unterkiefer, Zähne und Fragmente von Skelettpartien entdeckt, die Ähnlichkeiten mit Homo habilis aufweisen, der einzigen damals bekannten frühen Homo-Art. Aufgrund des berühmten Schädelfundes KNM-ER 1470 (Abb. 7) aus dem Jahre 1972, der ein Schädelvolumen von 775 ccm aufweist, kam Richard Leakey zu dem Schluss, dass der Ursprung der Gattung Homo mindestens 2,5 Millionen Jahre zurückliegt. Im südlichen Afrika wurden in den siebziger Jahren aus den Australopithecinen-Fundstellen Homininenfossilien zutage gefördert, die aufgrund ihrer Anatomie weder zu den Vormenschen noch zum späteren Homo erectus gerechnet werden können. Hierzu gehören ein Schädelfund von 1976 (StW 53) aus Sterkfontein (Abb. 5) (Alter ca. 2 – ​1,5 Millionen Jahre) und ein als SK 847 inventarisierter Rest eines Gesichtsschädels aus Swartkrans, ein Stück mit interessanter Geschichte: Bereits zwi-

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4. Urheimat Afrika

schen 1949 und 1952 wurden mehrere Homininenbruchstücke gefunden und unter verschiedenen Katalognummern inventarisiert. Erst über 15 Jahre später bemerkte Ron Clarke, dass die Fragmente aneinanderpassten. Bis Anfang der 1990 er Jahre bestand zwischen den Fundstellen des südlichen und des östlichen Afrika eine geographische Fundlücke von mehreren tausend Kilometern, und kein Homo-­ Fund war bekannt, der wesentlich älter als 2  Millionen Jahre war. Diese Situation änderte sich durch die Arbeiten des deutsch-­ amerikanisch-malawischen Hominid Corridor Research Project (HCRP): Bei Uraha in Nordmalawi wurde 1991 der ca. 2,5 Millionen Jahre alte Unterkiefer eines frühen Homininen (UR 501, Abb. 10) geborgen, der als Homo rudolfensis (S. 67 ff.) beschrieben wurde. Das bislang älteste Fossil der Gattung Homo wurde 2015 publiziert: ein fragmentierter Unterkiefer (LD 350 – ​1) aus Ledi-Geraru, Äthiopien (Abb. 5), der ca. 2,8 Mio. Jahre alt ist. Verzweigte Wurzeln der Gattung Mensch

Bislang wurden in Afrika weit über 200 Homininenfragmente gefunden, die im weitesten Sinne zu den Urmenschen der Gattung Homo zu rechnen sind. Dabei handelt es sich um mehr als 50 Individuen. Trotz oder auch wegen aller neuen Funde ist der Ursprung der Gattung Homo aber in der Paläoanthropologie eine der am stärksten umstrittenen Fragen. Eines der wichtigen Merkmale, um Homo habilis von Australopithecinen und Homo erectus (S. 81 f.) abzugrenzen, war, dass die Anatomie der Homo habilis-Hand- und Fußknochen sowie des Schlüsselbeins kaum von Homo sapiens zu unterscheiden sei. Diese Interpretation unterstützte die Ausdeutung von Homo habilis als frühen, aber fähigen Menschen im Gegensatz zu den grobschlächtigen Australopithecinen. Die Skelettfunde 1986 in Olduvai Gorge (OH 62) zeigten, dass das Skelett von Homo habilis tatsächlich aber weitgehend dem von Australopithecus entspricht. Als wichtigster Unterschied zu den Australopithecinen bleibt danach das absolut und auf das Körpergewicht bezogen auch relativ höhere Gehirnvolumen von Homo habilis. Die

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Stirn ist steiler und ein Überaugenwulst nur schwach ausgebildet (Tafel 8). Durch immer mehr Funde, vor allem aus Koobi Fora (Abb. 5), nahm die Variabilität innerhalb der Homo habilis zugeordneten Formen immer stärker zu. Während die anatomischen Merkmale dieser Form in Olduvai Gorge recht einheitlich ausgebildet sind, entzündete sich die Diskussion an zwei extrem unterschiedlichen Schädeln aus Koobi Fora: KNM-ER  1470 (Abb. 7) und KNM-ER 1813 (Homo habilis, Tafel 8). Ein Teil des paläoanthropologischen Lagers sah darin Geschlechtsunterschiede mit 1470 als männlichem und 1813 als weiblichem Schädel. Wahrscheinlicher ist jedoch nach heutiger Sicht, dass der Schädel 1813 der «Prototyp» einer Gruppe ist, die der ursprünglichen Beschreibung von Homo habilis aus Olduvai Gorge nahekommt, während der Schädel KNM-ER 1470 eine separate Art bildet. Bereits 1986 hatte der russische Paläontologe Valerii Alexeev aus ähnlichen Überlegungen heraus den Schädel KNM-ER 1470 (Abb. 7) mit der Bezeichnung Pithecanthropus (Homo) rudolfensis belegt, in Anspielung auf den früheren Namen des heutigen Turkana-Sees, der ursprünglich nach dem österreichischen Thronfolger benannt war. Daher hatte der Name Homo rudolfensis Priorität für die Bezeichnung der neuen Art. Während also Homo rudolfensis ein ursprüngliches Gebiss aufweist, dafür aber im Fortbewegungsapparat schon Homo-­ ähnlich erscheint, zeigt Homo habilis mit reduzierten Zahnwurzeln ein fortschrittlicheres Gebiss, ist aber im Skelettbau eher den Menschenaffen ähnlich. Demnach stellt sich die spärliche Fundlage zur Frühphase der Gattung Homo heute folgendermaßen dar:

Homo rudolfensis (2,8 – ​1,8 Millionen Jahre): Uraha (Malawi) (Abb. 10, Tafel 2), Chemeron, Koobi Fora (Kenia) (Abb. 7), Omo, Ledi-Geraru (Äthiopien) Homo habilis (2,1 – ​1,5 Millionen Jahre): Koobi Fora (Kenia) (Tafel 8), Olduvai Gorge (Tansania), Sterkfontein (Südafrika)

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4. Urheimat Afrika

Herausforderung Klimawandel: Die kulturelle Lösung

Es ist unmöglich, das Puzzlespiel um die Anfänge der Gattung Mensch aufgrund von Skelettmerkmalen zu lösen. Daher soll uns ein klimageographisches Szenario (Abb. 8) helfen, das den Lebensraum der Homininen und dessen ökologische Entwicklung einbezieht. Während der Entstehung der Nussknackermenschen (S. 59 f.), vor ca. 2,8 bis 2,5 Millionen Jahren, lebten die Vormenschen etwa 15 000 Generationen lang in zunehmend ex­tremeren Klima- und Umweltverhältnissen, die zu einer tiefgreifenden Änderung der Nahrungsgrundlagen führten. In diesem Zeitraum entstand auch die Gattung Homo. Aus der Gleichzeitigkeit der Ereignisse (vgl. Abb. 7) kann der Schluss gezogen werden, dass es zur Entwicklung eines hyperrobusten Kauapparates eine Alternative gab, die ebenfalls dazu geeignet war, die bei steigender Trockenheit zunehmend härtere Nahrung zu zerkleinern. Diese Alternative war der Beginn der Werkzeugkultur. Werkzeuge im Sinne von Hilfsmitteln sind zwar im Tierreich und vor allem bei den höheren Primaten weit verbreitet. Ebenso zeigen 3,3 Millionen Jahre sehr ursprüngliche bearbeitete Artefakte aus Lomekwi, Kenia (Abb. 5), und ebenso alte Schnitt­ spuren an Knochen aus Dikika, Äthiopien (Abb. 5), dass bereits Vormenschen mit Steinen experimentierten. Jedoch war es unter dem Druck der einschneidenden Habitatveränderungen seit 2,8 Millionen Jahren nicht nur die Fähigkeit der Homininen zu kulturellem Verhalten, sondern vor allem die Weitergabe und das Lernen über die Verwendung der Werkzeuge über die gesamte Population hinweg, das die Gattung Homo entstehen ließ. Etwas östlich der Homininenfundstellen von Hadar in Äthiopien, bei Gona (Abb. 5), wurden bereits 1977 sehr ursprüngliche Geröllwerkzeuge (Pebble tools) vom Oldowan-Typ (S. 92) entdeckt, die ca. 2,6 Millionen Jahre alt sind. Entsprechende Funde am Westufer des Turkana-Sees (Abb. 5) bestätigen, dass spätestens vor ca. 2,8 Millionen Jahren die ersten Werkzeugkulturen etabliert waren – zeitgleich mit der Entstehung der Gat-

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tung Homo (Homo rudolfensis). Die überlieferten Geröllgeräte (Pebble tools) sind von natürlich entstandenen Geröllen kaum zu unterscheiden. Am Anfang dürfte es sich um äußerlich unveränderte Steine gehandelt haben, deren äußere Form allerdings diese den Nutzern geeignet erscheinen ließ, sie gezielt zum Öffnen hartschaliger pflanzlicher Nahrung zu verwenden. Der große Vorteil der Gattung Homo war die Beibehaltung eines eher unspezialisierten und daher viele Entwicklungsmöglichkeiten bietenden Körperbaus in Kombination mit einer kulturellen Spezialisierung. Die Benutzung von Steinwerkzeugen zum Hämmern harter Nahrung brachte bald Vorteile in unvorstellbarem Ausmaß: Zufällig entstehende scharfkantige Abschläge wurden als Schneidewerkzeuge eingesetzt. Dies revolutionierte die Fleischbearbeitung und die Zerlegung der Beutekadaver. Die Anpassung von Homo rudolfensis an die Klima- und Habitatveränderungen ging einher mit der Entwicklung eines größeren und leistungsfähigeren Gehirns. Hierbei vollzog sich ein Wechsel zur Aufnahme einer weniger abrieb­ starken Nahrung mit zunehmender Tendenz zu einer omnivo­ ren (allesfressenden) Ernährungsweise. Die beginnende Werkzeugkultur überdeckte die Auswirkungen des Klimawechsels bis zu dem Punkt, als Homo rudolfensis andere Nahrungsquellen besser als jede andere Homininenart jemals zuvor nutzen konnte. So gewannen die Urmenschen durch den systematischen Einsatz von Steinen zur Zerkleinerung der harten Pflanzennahrung einen unermesslichen Vorteil gegenüber allen anderen Homininen: eine langsam zunehmende Unabhängigkeit von direkten Umwelteinflüssen. Obwohl «typisch menschliches» Verhalten wie Bewusstsein, Kunst oder Musik nicht einmal in Anfängen nachweisbar ist, wird hiermit der Beginn der Gattung Homo verknüpft. Die zunehmende Unabhängigkeit vom Lebensraum führt von diesem Zeitpunkt an unweigerlich zu wachsender Abhängigkeit von den benutzten Werkzeugen – ein Dilemma, das den Menschen bis zum heutigen Tag charakterisiert.

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4. Urheimat Afrika

Herausforderung Klimawandel: Die Migrationslösung

Der vor ca. 2,8 Millionen Jahren einsetzende Klimawandel hatte gravierende Auswirkungen auf Beschaffenheit und Verteilung besiedelbarer Vegetationsgebiete (Habitate) und großflächiger Lebensräume (Biome). Bis zu dieser Zeit war die «Sambesi-­ Ökozone» ein keilförmiges Gebiet zwischen der tropischen und der gemäßigten Zone mit einem hohen Anteil an Tierarten, die sowohl im südlichen als auch im östlichen Afrika heimisch waren. Vor ca. 2,5 Millionen Jahren breiteten sich die Graslandbiome äquatorwärts aus, die Waldbiome schrumpften. In der gemäßigten Zone stellten sich ausgeprägte Jahreszeitenextreme ein. Viele Organismen behielten ihre Vorliebe für schwache jahreszeitliche Änderungen und die Vegetation des subtropischen Klimas dadurch bei, dass sie zusammen mit dem schrumpfenden Biom äquatorwärts expandierten. Hierunter ist keine aktive Wanderung (Migration) zu verstehen, sondern eine passive Verlagerung des Lebensraumes. Unter diesen «passiven Migranten» war auch Australopithecus africanus (Abb. 8), der in dem temperierten Klima des südlichen Afrika lebte. Die für die Art geeigneten Habitate hatten sich nach einer halben Million Jahre kontinuierlicher Abkühlung dem afrikanischen Rift-Valley zu nach Norden verlagert. Einige Populationen blieben in ihrem Lebensraum im südlichen Afrika heimisch und entwickelten sich dort zu einer regionalen Variante (Australopithecus sediba) weiter (S. 59). Andere Populationen behielten ihr spezifisches Habitat, die bewaldeten Gebiete, als Lebensraum bei und breiteten sich entlang des Uferzonenkorridors im Malawi-Rift nach Norden aus. Dort stand eine höhere Vielfalt an nichtvegetarischer Nahrung zur Verfügung. Die Selektion führte zu einer stärkeren Flexibilität des Verhaltens in dem neuen Lebensraum. Hierbei entstand als Nachfahre des Australopithecus africanus die Art, die durch die knapp über 2 Millionen Jahre alten Funde des Homo habilis im östlichen Afrika dokumentiert ist (Abb. 8, Tafel 8). Da die Gattung Homo im östlichen Afrika bereits eine halbe Million Jahre früher entstanden war (Homo rudolfensis), ist

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denkbar, dass eine erste Phase des Menschseins im Sinne einer zunehmenden Unabhängigkeit von Umwelteinflüssen durch Werkzeugbenutzung mehrmals unabhängig voneinander erreicht wurde. Das notwendige Entwicklungspotential kann sowohl bei Australopithecus afarensis des östlichen als auch bei dem von ihm abstammenden Australopithecus africanus des südlichen Afrika vorausgesetzt werden. Vor ungefähr 2 Millionen Jahren begann in Afrika eine Umkehrentwicklung von relativ kühlem und trockenem Klima zu etwas wärmerem und feuchterem. Durch die Ausweitung der entsprechenden Lebensräume wurden Expansionen vom Äquator in das südliche Afrika möglich. Paranthropus boisei breitete sich im südlichen Afrika aus (Abb. 8) und entwickelte sich zu Paranthropus robustus (S. 61). Australopithecus (Homo) habilis expandierte gleichfalls in die gemäßigte Zone des südlichen Afrika (Abb. 8), behielt jedoch einen ökologisch wesentlich umfassenderen Lebensraum bei und vergrößerte sein Verbreitungsgebiet. Hierbei entstand keine neue Art, sondern lediglich eine geographische Variante der ostafrikanischen Form. Homo rudolfensis blieb im östlichen tropischen Afrika heimisch, teilweise wegen seiner Vorliebe für offene Habitate im Bereich des Regenschattens des afrikanischen Rift-Valleys, teilweise vielleicht auch wegen einer sich entwickelnden Lebensraumkonkurrenz zu Australopithecus (Homo) habilis. Aus Homo rudolfensis entwickelte sich vor ca. 1,8 Millionen Jahren Homo ergaster («Handwerker»), die frühe afrikanische Variante des Homo erectus. Typisch menschlich: Biokulturelle Evolution

In der Gattung Homo wird mit dem Beginn einer systematischen Werkzeugkultur ein Potential neuer Qualität eröffnet: die – wie wir als Homo sapiens heute wissen – fast unermesslichen Weiten der biokulturellen Evolution. Eine wesentliche Vor­ aussetzung hierfür lag in der Verfeinerung der Kommunikationsmöglichkeiten. Der Prozess der biologischen Evolution wird von Generation zu Generation über die Weitergabe von  – in

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4. Urheimat Afrika

winzigen Details mutierenden – Genen gesteuert. Entsprechend lang dauert dieser Vorgang der Veränderung. Ungleich schneller sind die Abläufe der kulturellen Evolution, erst durch Nachahmung, später durch Sprache. Zwar muss auch bei Australopithecus eine funktionierende Verständigung möglich gewesen sein. Die differenzierten Nuancen kultureller Erscheinungen setzen jedoch ein ebensolches Kommunikationsmedium voraus. Erst mit Hilfe der Sprache ist es möglich, komplexe kulturelle Erfahrungen zu tradieren und weiterzugeben, von Individuum zu Individuum und von Generation zu Generation. Einen Hinweis darauf, dass die Anfänge der Sprache bereits bei den ältesten Urmenschen zu suchen sind, geben nach Ansicht von Phillip Tobias (Abb. 2) Innenausgüsse (Endocranialausgüsse, S. 40) von Schädelknochen des Homo habilis: Die beiden für die Sprache des Menschen wichtigen Gehirnzentren auf der Oberfläche der linken Gehirnhälfte, das Wernicke-Zentrum und das Broca-Zentrum, waren andeutungsweise bereits vorhanden. Bei der Gattung Homo ist ein ausgeprägter Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Individuen (Sexualdimorphismus) nicht mehr in der Stärke wie bei den Australopithecinen nachweisbar. Hieraus lässt sich im Umkehrschluss zu Beobachtungen an heute lebenden Menschenaffen schließen, dass sich das Sozialverhalten stark verändert hatte. Die Zeit der weiblichen Empfängnisbereitschaft begann sich zu verlängern, so dass ein Anreiz für die männlichen Gruppenmitglieder bestand, Paarbindungen einzugehen, was wiederum weitreichende Bedeutung für die Versorgung des an Zahl rasch wachsenden Nachwuchses hatte. Hieraus ergeben sich Vorteile für das Verhalten der Homininen und die erste Entwicklung gesellschaftlicher Verhältnisse, zum Beispiel bei der Nahrungsteilung. Die ersten Urmenschen lebten in kleineren Verbänden. Neben dem Sammeln pflanzlicher Nahrung kam der Fleischbeschaffung eine immer stärkere Bedeutung zu. Die Anfänge der Jagd können allerdings aus dieser Zeit noch nicht durch Funde, beispielsweise von Wurfwaffen, bestätigt werden. Anstatt Großwildjagden zu veranstalten, verließen sich die frühen Urmenschen auf

Die ersten Urmenschen

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Mio. J.

Abb. 9: Wichtige Evolutionsmerkmale des Menschen. Die Breite der Pfeiler entspricht dem Ausmaß der Veränderungen der Merkmale während der letzten 7 Millionen Jahre (Homininenrekonstruktionen: WildLifeArt Nina Kieser & Wolfgang Schnaubelt, Foto: Autor)

ihre Fähigkeiten, Kadaver aus Raubtierrissen oder von verendetem Wild aufzutreiben. Sowohl aus Olduvai Gorge (Abb. 5) als auch aus Koobi Fora (Abb. 5) sind Zerlegungsplätze von Großwild bekannt. Dort wurden Steingeräte zwischen den teilweise noch im anatomischen Verband erhaltenen Tierknochen gefunden, einige davon wiesen Schnittmarken auf. Möglicherweise bestand also schon vor fast 2 Millionen Jahren eine gesellschaftliche Arbeitsteilung: Das Fleisch wurde von den männlichen Mitgliedern der Gruppe herangeschafft und an einer Stelle geteilt, die als Lebensort (Home base) diente. Der Weg zu Homo sapiens ist geprägt durch ein vielfältiges Beziehungsgeflecht vernetzter Faktoren biokultureller Evolution (Abb. 9). Die in den Jahrmillionen der Frühzeit des Menschen erfolgten Veränderungen unterlagen im Verlauf der biologischen und kulturellen Evolution verschiedenen, sich gegenseitig

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4. Urheimat Afrika

bedingenden und rückkoppelnden Faktoren. Die Entwicklung der Menschheit verlief weder zielgerichtet noch zeitlich in allen Merkmalen synchronisiert. Fast alle Evolutionsmerkmale des Menschen wie Werkzeugkultur, Kommunikation, Sozialverhalten, Gehirnstruktur und Körperbau sind in irgendeiner Form schon bei unseren Primatenvorgängern angelegt. Während die Faktoren der biologischen Evolution langsam an Bedeutung abnehmen, steigt die Zahl der Entwicklungsfortschritte bei der kulturellen Evolution stetig an (Abb. 9). Moderne Menschen, vor ca. 300 000 Jahren in Afrika entstanden, sind das Produkt komplexer Evolutionsprozesse. Im Laufe von ca. 350 000 Generationen ging Homo sapiens aus zahllosen Veränderungen und Wechselwirkungen zwischen den biologischen Fähigkeiten seines Organismus und den Gegebenheiten seiner in stetigem Wandel begriffenen Umwelten hervor. Soziale und kognitive Fähigkeiten bestimmten dabei die Entwicklung von Vernetzungen, während kulturelles Handeln Möglichkeiten beeinflusste und steigerte, natürliche Grenzen zu überwinden, wie Lebensräume oder die biologische Evolution sie gezogen hatten. Moderne Forschungsfragen zu Interaktionen von Mensch und Umwelt beziehen sich sowohl auf die biokulturelle Evolution von Homininen als auch auf die biokulturelle Vielfalt moderner Menschen. Auf allen Ebenen, als Organismen, als Individuen und als Gruppen, interagieren Menschen mit der Umwelt, die sowohl das natürliche als auch das soziale und kulturelle Umfeld umfasst. Das weltweit agierende Langfristprojekt ROCEEH (Role of Culture in the early Expansions of Humans, Heidelberger Akademie der Wissenschaften, roceeh.net) widmet sich den hierdurch möglichen kognitiven, ökologischen und geografischen Expansionen früher Menschen.

5. Umbrüche: Die erste Besiedlung der Alten Welt

Lange bevor in Afrika die ersten Vormenschenfunde auftauchten, wurde Asien als Zentrum der Menschwerdung angesehen. Um aber Europa und vor allem England als Ursprungsort des Menschen zu retten, wurde eine Fälschung inszeniert: 1913 wurde in einer Kiesgrube bei Piltdown in England ein «Fossil» geborgen, das aus einem Hirnschädel eines modernen Menschen und dem Unterkiefer eines Orang-Utans zusammengesetzt war. Möglicherweise sollte es ein Scherz sein, da jeder Fachstudent die Fälschung heute sofort erkennen würde. Jedoch wurde das Stück von den größten Anatomen Englands als wissenschaftliche Sensation gehandelt und jahrelang als echt verteidigt. Der Fund entsprach genau dem herrschenden wissenschaftlichen und politischen Weltbild. Die Piltdown-Fälschung war der Versuch, die damals aus Asien bereits bekannten ersten Frühmenschenreste (Homo erec­ tus) an Ursprünglichkeit zu überbieten und mithin ihre Stellung innerhalb der Entwicklungsgeschichte des Menschen he­ rabzustufen. Die weitere Suche in Asien wurde dadurch jedoch entscheidend angespornt. Diese Unternehmungen waren nicht nur erfolgreich – es sollte noch besser kommen: Noch ursprünglichere Homininenreste tauchten mit den Australopithecinen kurz darauf in Afrika auf (S. 40). Java-Menschen vom versunkenen Kontinent Lemurien

Eine unglaubliche Geschichte ist die Entdeckung der ersten Homininen außerhalb Europas am Ende des letzten Jahrhunderts. Während Charles Darwin die Wiege der Menschheit in Afrika vermutete, war der deutsche Zoologe Ernst Haeckel davon überzeugt, dass es als Bindeglied zwischen den Menschenaffen und den Menschen sogenannte Affenmenschen gegeben haben

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5. Umbrüche

muss, die auf einem heute untergegangenen Kontinent, «Lemurien», gelebt haben sollen. Als wichtigste Errungenschaft des Menschen sah er die Sprache an, daher nannte er die hypothetische Zwischenform in seiner «natürlichen Schöpfungsgeschichte» (1868) Pithecanthropus alalus (stummer Affenmensch). Reste des verschwundenen Kontinents sollten Madagaskar und Indien darstellen. Da Haeckel den Gibbon als menschenähnlichsten Affen ansah, mutmaßte er, dass Reste des Affenmenschen auf den Inseln Indonesiens, dem heutigen Verbreitungsgebiet der Gibbons, zu finden sein müssten. Der junge holländische Arzt Eugène Dubois war von der Hypothese Haeckels nachhaltig beeindruckt. Mit dem Ziel, Reste dieses Affenmenschen zu entdecken, ließ er sich als Militärarzt 1887 nach Sumatra versetzen. Besessen von seiner Idee, begann er schließlich an einer Stelle in Java zu forschen, an der zuvor fossile Tierknochen gefunden worden waren. Er suchte in einem Gebiet, wo im Umkreis von Tausenden von Kilometern noch nie zuvor auch nur die kleinste Andeutung von Resten eines Urmenschen gefunden worden waren  – aber an der richtigen Stelle: Am Ufer des Solo-Flusses bei Trinil fand er im Oktober 1891 einen Teil eines Schädeldaches und einen Zahn. Zuerst beschrieb er die Fundstücke als den afrikanischen Menschenaffen zugehörig (Anthropithecus). Ein Jahr später, nach dem Fund eines vollständigen linken Oberschenkelknochens, der eine pathologische Knochengeschwulst aufwies, war Dubois davon überzeugt, dass dieses Wesen bereits aufrecht gegangen war, und nannte es Anthropithecus erectus. Schließlich gab er 1894 bekannt, damit die Reste des von Haeckel als Pithecanthropus bezeichneten Affenmenschen gefunden zu haben, und bezeichnete ihn als Pithecanthropus erectus. Obwohl wir heute wissen, dass der aufrechte Gang schon 6 Millionen Jahre früher verwirklicht war, ist dieser Artname bis heute gültig, wenn er auch zur Gattung Homo gerechnet wird. Dubois verließ Java 1895 und kämpfte heftig um die Anerkennung seiner Funde. Er war jedoch wegen der nicht enden wollenden Kritik an den damit verbundenen Hypothesen so enttäuscht und verbittert, dass er die Fossilien jahrelang im

Die erste Besiedlung der Alten Welt

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Fußboden eingelassen versteckt hielt. Zwar bestätigten in den zwanziger und dreißiger Jahren neue Funde aus China und Java seine Vorstellungen, doch hatte er da selbst bereits alle Hoffnungen aufgegeben: Bis zu seinem Tod im Jahre 1940 verteidigte er die Ansicht, Pithecanthropus sei ein in einen Menschen verwandelter Gibbon! Die Pithecanthropus-Funde werden heute zu Homo erectus gruppiert (Abb. 10, Tafel 8). Im Jahre 1936 fand Gustav Heinrich Ralph von Koenigswald, der die Arbeiten Dubois’ fortsetzte, weitere Fossilien bei Sangiran (Tafel 1) sowie einen Kinderschädel bei Mojokerto. Die Arbeiten in Sangiran erbrachten die größte Menge des Homininenmaterials aus Java, darunter Schädelfragmente von Pithecanthropus (Homo) erectus und robuste Ober- und Unterkieferfragmente, die als Meganthropus javanicus beschrieben wurden (Tafel 1). Nach den Schätzungen von Koenigswalds sollten die Funde aus den ältesten Schichten Sangirans und Modjokertos (Djetis-­Schichten) ca. 1,9 – ​1,6 Millionen Jahre alt sein (Tafel 4), wie inzwischen durch radiometrische Datierung (S. 13 ff.) bestätigt wurde. Bis heute wurden auf Java die Reste von mehr als 40 Individuen des Homo erectus gefunden, meistens Schädel- und Kieferreste. Der vollständigste Schädel wurde 1969 in den jüngeren Schichten von Sangiran (Trinil-Schichten) geborgen (Sangiran 17, Abb. 10) Eine weitere indonesische Insel, Flores, sorgte 2004 für Aufsehen. Nachdem seit längerem Steinwerkzeuge mit einem Alter von ca. 800 000 Jahren die Besiedlung der Insel durch Homo erec­tus belegt hatten, wurden dort Skelett- und Schädelreste von inzwischen über zehn Individuen entdeckt, die in keiner Weise in das gängige wissenschaftliche Weltbild passten (Homo floresiensis, Abb. 10, 12, S. 97). Apotheken, Höhlen und verschwundene Fossilien

Einer alten Tradition entsprechend, werden in chinesischen Apotheken fossile Knochen in Pulverform als Medizin gegen Verdauungsstörungen und als Aphrodisiakum gehandelt. Um die Jahrhundertwende kaufte der Naturforscher Karl Haberer

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5. Umbrüche

eine Reihe fossiler Zähne, unter denen sich auch ein ungewöhnlicher Backenzahn befand, der sehr schlecht erhalten war. Der Paläontologe Max Schlosser vermutete 1903 aufgrund dieses Stückes, dass es späteren Forschern vielleicht vergönnt sein werde, in China die Reste fossiler Menschen zu finden. Die ersten Fundstücke aus China landeten in Uppsala. Ein schwedischer Geologe hatte sie in einem Höhlensystem bei Zhoukoudian, damals ca. 45 km südwestlich, heute am Stadtrand von Beijing gelegen, entdeckt. Da sich darunter auch menschliche Zähne befanden, begann der kanadische Anatom Davidson Black zusammen mit W. Ch.  Pei weitere Geländearbeiten und fand in Zhoukoudian (Abb. 10) zwischen 1928 und 1937  Teile von 14  Schädeln, 14  Unterkiefer, mehr als 150  Zähne sowie Skelettreste, die er als Relikte des Sinanthropus pekinensis (Chinamensch) bezeichnete. Die Funde repräsentieren mehr als 45 Individuen jeden Alters und Geschlechts. Da fast alle Schädel künstlich geöffnet worden waren, wurde früher auf kannibalistisches Verhalten geschlossen, während man heute eher Totenriten als Ursache der Beschädigungen ansieht. Der aus Deutschland stammende Anatom und Anthropologe Franz Weidenreich, der die Arbeiten nach Blacks Tod weiterführte, nahm eine detaillierte wissenschaftliche Bearbeitung vor, wobei er auch von sämtlichen Fossilien Abgüsse herstellte. Seine Zeichnungen und ersten Abgüsse sind das Einzige, was heute von den Homininenresten übrig ist, denn niemand weiß, wo sich die Originale befinden. Zwar wurde versucht, sie in den Kriegswirren gut verpackt aus China herauszuschaffen, doch kamen die Kisten nie in Amerika an: eines der mysteriösesten Kapitel in der Geschichte der Paläoanthropologie. Im Jahr 2010 wurde ein inzwischen als Parkplatz bebautes Gebiet in Qinhuangdao als letzter bekannter Aufenthaltsort der Kisten identifiziert. Es bleibt die Hoffnung, dass die Fundstücke «nur» entwendet wurden und durch einen Zufall irgendwann ein zweites Mal ans Tageslicht gelangen. Seit 1949 wurden sowohl in Zhoukoudian (Abb. 10) als auch an weiter südlich gelegenen Orten in Mittel- und Südchina Reste der heute zu Homo erectus gezählten chinesischen Ho-

Die erste Besiedlung der Alten Welt

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mininen entdeckt. So wurde etwa in der Langtandong-Höhle, Provinz Hexian, von den Anthropologen und Paläontologen der Academia Sinica, Beijing, 1980 ein vollständiger Schädel gefunden. Die Schädelfragmente von Lantian, Provinz Shaanxi, aus den sechziger Jahren werden heute auf 2 Millionen Jahre datiert und sind somit die geologisch ältesten Funde in China (Abb. 10). Auch in der Höhle von Longgupo bei Wushan und in Yuanmou (Provinz Yunnan) sind fossile Reste vielleicht sogar 1,9 Millionen Jahre und Steinwerkzeuge über 2 Millionen Jahre alt. Die chinesischen Fundstellen bieten gute Möglichkeiten zur Rekonstruktion der Lebensweise von Homo erectus. Während die Fossilien in Java durch Flüsse transportiert wurden (allochthone Einbettung), sind die Fossilien in China am ursprünglichen Lebens- und /oder Todesort entstanden. Nur diese autochthone Einbettung bietet die Chance, auch kulturelle Hinterlassenschaften in demselben Fundzusammenhang aufzuspüren. Die meisten chinesischen Fundstellen sind ehemalige Rastplätze, an denen Pebble tools oder einfache Acheuléen-Werkzeuge (S. 92), z.  B. Protofaustkeile, gefunden wurden. Weitere Homo erectus-­ Fundstellen wurden 1982 auch aus Indien (Narmada: Schädelfragment und Werkzeuge) und 1986 aus Vietnam (Tham Khyen und Tham Hai: Zähne) bekannt. Die ersten Europäer lebten im Kaukasus

In den ehemaligen Neckarschottern von Mauer an der Elsenz, östlich von Heidelberg (Abb. 11), fand am 21. Oktober 1907 der Sandgräber Daniel Hartmann einen Unterkiefer (Abb. 10), den der Heidelberger Privatdozent Otto Schoetensack 1908 mit dem wissenschaftlichen Namen Homo heidelbergensis bezeichnete. Heute wird der Unterkiefer meist zu Homo erectus gerechnet, wenn auch die Bezeichnung Homo heidelbergensis als Abgrenzung einer gegenüber dem asiatischen Homo erectus eigenständigen frühen europäischen Homo-Art wieder Befürworter findet. Erst über 50 Jahre später tauchten weitere Reste des Homo

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5. Umbrüche

erectus in Europa auf. Aus der Pyrenäenhöhle von Arago (Tautavel, Frankreich) (Abb. 11) wurden seit 1964 über 50 Homininenfragmente geborgen. Der Schädel Arago 21 (Abb. 10) ist ca. 400 000 Jahre alt, möglicherweise aber auch jünger. Er belegt die früheste Phase des einsetzenden Übergangs von Homo heidelbergensis zu Homo neanderthalensis in Europa. Zum gleichen Formenkreis gehören die Homininenfunde aus dem thüringischen Bilzingsleben (Abb. 11) mit einem Alter von knapp über 400 000 Jahren. An der mit etwa 500 000 Jahren ältesten bekannten Homininenfundstelle Englands in Boxgrove (Abb. 11) wird seit 1986 gegraben. Neben einem Schienbein des Homo heidelbergensis, zwei Schneidezähnen und Steinwerkzeugen sind von hier die ältesten Knochenwerkzeuge Europas überliefert. Noch älter (ca. 700 000 Jahre) ist die englische alt­ steinzeitliche Fundstelle Pakefield. Die heutigen Britischen Inseln hatten in der Eiszeit eine Festlandverbindung mit Europa. Aus Pirro Nord in Italien sind Steinwerkzeuge bekannt geworden, die ein Alter von über 1,4 Millionen Jahren aufweisen, ebenso aus dem Orce-Becken in Andalusien (Abb. 11). Die mit Abstand ergiebigste Homininenfundstelle Europas ist die Sierra de Atapuerca (Abb. 11) bei Burgos in Nordspanien. Dort wurden allein aus den zwei Hauptgrabungsstellen Sima de los Huesos und Gran Dolina über 1600 Homininenfragmente ergraben, mehr als drei Viertel aller weltweit aus dem mittleren Pleistozän (780 000 bis 120 000 Jahre) bekannten Frühmenschenreste. Zu den bedeutendsten Funden des Teams unter Leitung von Juan-Louis Arsuaga gehörten 1994 in der Höhle Gran Dolina (Schicht 6) über 35 Homo erectus-ähnliche Fragmente von wenigstens vier Individuen zusammen mit mehr als 100 Steinwerkzeugen. Möglicherweise steht die 1997 von hier beschriebene Art Homo antecessor (Abb. 10) dem letzten gemeinsamen Vorfahren von Neandertalern und modernen Menschen nahe. Kürzlich wurde aus Atapuerca (Sima de Elefante) sogar ein über 1,2 Millionen Jahre alter Homininenzahn geborgen, der die spärliche Anwesenheit des Menschen in Südeuropa bereits zu dieser Zeit belegt. Die spektakuläre Homininenfundstelle Dmanisi (Georgien)

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wurde 1991 entdeckt (Abb. 11, Tafel 3). Hier wurden zunächst zwei Unterkiefer und zwei Schädelfragmente entdeckt. Seit 2002 kamen mehrere nahezu komplette Schädel hinzu (Abb. 10), bislang wurden über 20 Hominidenfragmente (Homo georgicus) mit einem Alter von ca. 1,8 Mio. Jahren geborgen. Die Funderhaltung ist erstklassig, wahrscheinlich wurden die Frühmenschen in Dmanisi Opfer von Hyänen (Tafel 3), die die Reste in ihre Bauten zogen. Damit ist Dmanisi in die kleine Spitzengruppe der bedeutendsten Hominidenfundstellen der Welt aufgerückt. Von großer Bedeutung sind fünf aus der gleichen Fundschicht stammende, gut erhaltene Schädel, die eine Mischung anatomischer Merkmale aufweisen, die bisher verschiedenen Frühmenschenarten zugeordnet wurden. Dieser spektakuläre Befund unterstützt die Hypothese, dass zu Beginn der frühen Expansionen aus Afrika möglicherweise nur eine einzige Frühmenschenart mit hoher innerartlicher Variationsbreite existierte. Die Schädelmerkmale der Funde zeigen frappierende Ähnlichkeiten mit den afrikanischen Vorfahren des Homo erectus, vor allem mit Homo habilis und Homo rudolfensis, und ein geringes Hirn­ volumen von ca. 700 ccm. Die Voraussetzung zur Ausbreitung über Afrika hinaus waren für unsere Vorfahren also vielleicht nicht etwa Feuer und Jagdtechniken, sondern eine zunehmenden Unabhängigkeit von der Umwelt. Frühmenschenvielfalt in Afrika

Über lange Zeit wurde Homo erectus als außerafrikanische Form angesehen, die nur in Asien und Europa vorkam. In der Australopithecinen-Fundstelle Swartkrans (Abb. 5) wurden aber 1949 von Robert Broom und John T. Robinson Homininenreste entdeckt, die sich deutlich von den in den Schichten ebenso vorkommenden Australopithecinen unterschieden. Diese als Telanthropus («Zielmensch») beschriebenen Fossilien werden heute meist zu Homo erectus gerechnet, teilweise jedoch auch Homo habilis (S. 66) zugeordnet. Aus dem Tschad stammt ein etwa 800 000 Jahre altes Fossil:

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5. Umbrüche

Ein stark verwitterter Gesichtsschädel aus Yayo (Abb. 5) wurde 1961 von Yves Coppens zunächst als Tchadanthropus beschrieben, der Ähnlichkeit zu den damals bekannten Australopithecinen des südlichen Afrika aufweisen sollte. Später zunächst mit Homo habilis in Verbindung gebracht, wird der Fund heute als Homo erectus angesehen. Mit den Grabungserfolgen von Louis und Mary Leakey in Olduvai Gorge (Tansania) (Abb. 5) stellten sich auch Funde des Homo erectus im östlichen Afrika ein. So wurde dort schon kurz nach Zinjanthropus (S. 61) im Jahr 1960 ein Homininenschädel, Olduvai-Hominin 9 (OH 9) (Abb. 10), gefunden, der ca. 1,2 Millionen Jahre alt ist. Weitere Homo erectus-Fossilien kamen zwischen 1960 und 1970 aus verschiedenen Fundhorizonten in Olduvai Gorge, darunter Hirnschädel-, Kiefer-, Oberschenkel- und Beckenfragmente. Während der Geländearbeiten Richard Leakeys in Koobi Fora am Ostrand des Turkana-Sees in Kenia wurden neben robusten Vormenschen seit 1975 über 40 Schädel- und Skelettreste des Homo erectus geborgen. Diese Funde wurden als frühe afrikanische Form des Homo erectus in die neue Art Homo ergaster (Abb. 1) eingruppiert. Auf der Westseite des Turkana-­ Sees («West Turkana») bei Nariokotome (Abb. 5) wurde 1984 das Teilskelett eines ca. zwölfjährigen Jugendlichen entdeckt, der zu Lebzeiten ca. 1,70 m groß gewesen sein muss (Abb. 6). Der ca. 1,6 Millionen Jahre alte Fund mit der Katalognummer KNM-WT 15000 wird daher auch als Turkana-Boy bezeichnet. In der Nähe von Addis Abeba werden seit 1973 Grabungsarbeiten an einer der reichhaltigsten archäologischen Fundstellen Afrikas, Melka Kunturé (Abb. 5), durchgeführt. Hier ist eine durchgehende Folge archäologischer Fundhorizonte von 1,6 Millionen bis zu 200 000 Jahren Alter aufgeschlossen. In den älteren Schichten wurden Schädelbruchstücke, Unterkiefer und Oberarm von Homo erectus zusammen mit Werkzeugen des Oldowan- und Acheuléen-Typs gefunden. Auch an der Fundstelle Konso-Gardula (Abb. 5), wo später noch ein vollständiger Paranthropus boisei-Schädelfund auftauchte, wurde

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Früher afrikanischer Homo erectus (Homo ergaster) (2 – ​1,5  Millionen Jahre): Nariokotome (Abb. 6, Tafel 8), Koobi Fora (Kenia), Konso-­Gardula (Äthiopien) Früher asiatischer und kaukasischer Homo erectus (1,8 – ​1,5  Millionen Jahre): Sangiran (Djetis-Schichten), Modjokerto (Java) (Tafel 4), Lantian (Abb. 10), Longgupo (China), Dmanisi (Georgien, Homo georgicus) (Abb. 10, Tafel 3) Später afrikanischer Homo erectus (1,5 Millionen–700  0 00 Jahre): Swartkrans (Südafrika), Olduvai Gorge (Abb. 10), Makuyuni (Tansania), Kanam, Olorgesailie (Kenia), Yayo (Tschad), Omo, Melka Kunturé (Äthiopien) Später asiatischer Homo erectus (1,5 Millionen–500  0 00 Jahre): Sangiran (Trinil-Schichten) (Abb. 10), Trinil, Ngandong (Java), Lantandong, Yuanmou, Zhoukoudian (China), Sinanthropus ­p ekinensis (Abb. 10), Ubeidiya (Israel), Narmada (Indien), Tham Khyen, Tham Hai (Vietnam) Europäischer Homo erectus (Homo heidelbergensis) (Tafel 5) (800  0 00 – ​4 00  0 00  Jahre): Gran Dolina (Atapuerca, Abb. 10) (Homo antecessor) (Spanien), Mauer (Abb. 10), Bilzingsleben (Deutschland), Arago (Abb. 10) (Frankreich), Boxgrove (England), Ceprano (Italien) Regionale Nachfahren von Homo erectus Homo naledi: Rising Star Cave (Südafrika) (ca. 330 000 – ​ 240 000 Jahre) Homo floresiensis: Liang Bua (Abb. 10, 12) (Flores, Indonesien) (bis ca. 50 000 Jahre)

1991 ein früher Homo erectus-(Homo ergaster-)Unterkiefer zusammen mit ca. 1,5 Millionen Jahre alten, sehr ursprünglichen Acheuléen-Werkzeugen entdeckt. Im Jahre 2004 wurde an der seit langem bekannten Fundstelle für Acheuléen-Faustkeile, Olorgesailie (Kenia) (Abb. 5), erstmals ein Schädelfragment von Homo erectus geborgen. Mit

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5. Umbrüche

einem Alter von ca. 950 000 Jahren stammt es aus einer Zeit, aus der in Afrika nur spärliche Reste der Frühmenschen bekannt sind. In diesen Zeithorizont gehören auch Homininenfragmente aus Makuyuni (Tansania) (Abb. 5), die vom Hominin Corridor Research Project (HCRP) geborgen wurden. Eine spektakuläre Entdeckung gelang dem Team von Lee Berger von der Witwatersrand University, Johannesburg, Südafrika, im Jahr 2008: In einer fast unzugänglichen Kammer des Rising-Star-Höhlensystems (Abb. 5) entdeckten sie über 1500 Skelettteile mehrerer Individuen einer bis dahin unbekannten Menschenart, die als Homo naledi (S. 93) beschrieben wurde. Die Fundlage von Homo erectus, seiner regionalen Varianten in Afrika (Homo ergaster & erectus), Asien (Homo erectus) und Europa (Homo heidelbergensis) und seiner späten Nachfahren in Afrika (Homo naledi) und Asien (Homo floresiensis) stellt sich heute wie in der Zusammenstellung auf Seite 86 f. dar. Wie Frühmenschen die Welt eroberten

Vor ca. 2 Millionen Jahren begann in Afrika die Entwicklung zu Homininentypen mit kräftigerem und größerem Skelett und massivem Knochenbau im Schädel, den typischen Merkmalen von Homo erectus (Abb. 1, 10, Tafel 8). Dieser Trend begann nicht mit Australopithecus (Homo) habilis, da diese Form zeitlich parallel erst aus Australopithecus africanus des südlichen Afrika hervorging (S. 70). Ursprung für Homo erectus war wahrscheinlich ein relativ robuster Typus, der mit Homo rudolfensis 500 000 Jahre zuvor, vor spätestens 2,6 Millionen Jahren, im östlichen Afrika entstanden war (S. 71). Anatomie und Wachstum

Gegenüber Homo rudolfensis zeigen sich bei Homo erectus Körpermerkmale, die eine progressive Entwicklung zu Homo sapiens andeuten. Hierzu gehören vor allem die Vergrößerung des Hirnschädelvolumens, die Veränderung der Proportionen des Hirn- und Gesichtsschädels, die tiefere Lage der Öffnung

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Abb. 10 (auf der folgenden Doppelseite): Expansionen und wichtige ­Fundstellen der Gattung Homo in ­Europa, Afrika und Asien (Zeichnungen: A. Marie Rahn) EUROPA

Atapuerca: Gran Dolina, Schädelfragment und Oberkiefer, Homo antecessor, Alter ca. 800 000 Jahre, Spanien; Atapuerca: Sima de los Huesos, Schädel 5, Homo heidelbergensis, Alter ca. 400 000 Jahre, Spanien; Mauer: Mauer 1, Unterkiefer, Homo heidelbergensis, Alter ca. 600 000 Jahre, Deutschland; Petralona: Schädel, Homo erectus/heidelbergensis, Alter ca. 300 000 Jahre, Griechenland; Arago: Arago 21, Schädel, Homo erectus/heidelbergensis, Alter ca. 400 000 Jahre, Frankkreich; Steinheim: Schädel, Homo heidelbergensis/steinheimensis, Alter ca. 350 000 Jahre, Deutschland; Gibraltar: Gibraltar 1, Schädel, Homo neanderthalensis, Alter ca. 25 000 Jahre, Großbritannien AFRIK A und Levante Uraha: UR 501, Unterkiefer, Homo rudolfensis, Alter ca. 2,5 Millionen Jahre, Malawi; W-Turkana: KNM -WT 15000, Skelett, Homo ergaster, Alter ca. 1,7 Millionen Jahre, Kenia; E-Turkana: KNM -ER 1470, Schädel, Homo rudolfensis (ca. 2 Millionen Jahre alt); Olduvai: OH 9, Schädelkalotte, Homo erectus, Alter ca. 1 Million Jahre, Tansania; Bodo: Bodo cranium, Schädel, archaischer Homo sapiens, Alter ca. 600 000 Jahre, Äthiopien; Kabwe: Broken Hill 1, Schädel, archaischer Homo sapiens/Homo rhodesiensis, Alter ca. 300 000 Jahre, Sambia; Jebel Irhoud: Virtuelle Schädelrekonstruktion, Homo sapiens, Alter ca. 300 000 Jahre, Marokko, Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie, Leipzig; Qafzeh: Qafzeh IX , Schädel, Homo sapiens, Alter ca. 95 000 Jahre, Israel ASIEN

Lantian: Gongwangling-Schädel, Rekonstruktion, Homo erectus, Alter ca. 2 Millionen Jahre, China; Dmanisi: D 2700 & D 2735, Schädel und Unterkiefer, Homo georgicus, Alter ca. 1,8 Millionen Jahre, Georgien; Sangiran: Sangiran 17, Schädel, Homo erectus, Alter ca. 1 Million Jahre, Indonesien; Zhonkoudian: Schädelrekonstruktion, Sinanthropus pekinensis/Homo erectus, Alter ca. 600 000 Jahre, China, American Museum of Natural History; Dali: Dali skull, Schädel, archaischer Homo sapiens, Alter ca. 280 000 Jahre, China; Flores: Liang Bua (LB) 1, Schädel, Homo floresiensis, Alter ca. 50 000 Jahre, Indonesien

Homo Homo neanderthalensis Gibraltar Steinheim

Jebel Irhoud

Petralona Mauer

Arago Bodo

Atapuerca

Homo heidelbergensis

W-Turkana

„Homo antecessor“

EUROPA

Uraha

Mio. J.

sapiens

0,2

Qafzeh

Flores

Homo floresiensis Dali

0,5 Kabwe

Sangiran

Olduvai Zhoukoudian

1,0

Homo erectus Homo ergaster

Dmanisi

Homo erectus

E-Turkana

1,5 Homo georgicus

Homo rudolfensis/ habilis

AFRIKA

Lantian

ASIEN

2,0

2,5

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5. Umbrüche

der Schädelunterseite (Foramen magnum), der Bau des Kiefergelenks und die rundlichere Zahnbogenform. Der Hirnschädel von Homo erectus ist dickwandig und weist Einschnürungen im Bereich hinter den Augenhöhlen auf. Kennzeichnend sind eine niedrige Stirn und die Ausbildung von kräftigen Überaugenwülsten, über deren Funktion man bis heute rätselt. Während die Australopithecinen und frühe Mitglieder der Gattung Homo noch Skelettmerkmale aufweisen, die an die Menschenaffen erinnern, stimmt die Anatomie des Skelettes von Homo erectus in vielen Einzelheiten mit der des modernen Menschen überein – trotz hoher Variabilität bei verschiedenen geographischen Varianten. Jedoch sind die Hüften, Bein- und Fußknochen viel kräftiger ausgebildet. Der massive Knochenbau lässt darauf schließen, dass Homo erectus hohe Kraft und Ausdauer beim Tragen von Material und Nahrung aufbrachte. Gleichzeitig sind erstmals anatomische Merkmale überliefert, die zeigen, dass die Frühmenschen auch des Rennens fähig waren (Abb. 6). Wahrscheinlich bildete sich bei Homo erectus bereits eine vorstehende, knorpelige Nase aus. Dies führt zu einer besseren Thermoregulation der Atemluft und kennzeichnet eine sehr aktive Lebensweise. Es ist anzunehmen, dass die Haarlosigkeit und die Schweißdrüsen ebenfalls während der Homo erectus-­ Phase entstanden. Zusammen mit einer dunkel pigmentierten Haut war Homo erectus dadurch den Anforderungen an ein Leben im tropischen Afrika gewachsen. Das Skelett des Turkana Boy (Abb. 6) ist erstaunlich groß, wie dies in tropischen Breiten zu erwarten ist, um die Abstrahlung von Körperwärme zu erleichtern. Bei der Untersuchung von ontogenetischen Wachstumsmustern des Homo erectus stellte sich heraus, dass die Frühmenschen noch die schnellere Wachstumsgeschwindigkeit der Menschenaffen aufwiesen. Das langsame Wachstum des Gehirns des modernen Menschen, das mit einer langen individuellen Lernphase verbunden ist, trat erstmals bei den Neandertalern (S. 103 ff.) auf.

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Gehirn und Sprache

Innerhalb der Art Homo erectus ist eine Zunahme des Gehirnvolumens feststellbar. Das rekonstruierte Gehirnvolumen beträgt bei den ältesten Schädeln ca. 800 – ​900 ccm. Hierzu gehören zum Beispiel einige der Funde von Koobi Fora und der Turkana Boy (Abb. 10), die aufgrund verschiedener Merkmale als eigene Art Homo ergaster abgetrennt werden. Vor einer Million Jahren wurden Werte von ca. 900 – ​1000 ccm erreicht und vor 0,5 Millionen Jahren über 1100 – ​1200 ccm. Absolute Gehirnvolumina sind schwer vergleichbar, da Organismen mit größerem Körpergewicht auch absolut ein größeres Gehirnvolumen aufweisen müssen. Einen höheren Aussagewert hat das relative Hirnvolumen – eine Größe, bei der das Hirnvolumen in Beziehung zur Körpermasse gesetzt wird. Bezogen auf das gleiche Körpergewicht, schneiden hierbei die Primaten im Vergleich zu den übrigen Säugetieren um den Faktor 1,6 – ​3,1 besser ab. Dieser Faktor beträgt bei den Australopithecinen zwischen 2,4 und 3,2, bei Homo erectus zwischen 4,5 und 5 und bei Homo sapiens ca. 7,2. Unter Berücksichtigung der kürzer werdenden zeitlichen Abstände beschleunigt sich also die Zunahme der Gehirngröße mit Homo erectus erheblich. Das Gehirn des modernen Menschen weist ein durchschnittliches Volumen von 1450 ccm auf, jedoch ist die Variationsbreite erheblich. «Intelligenz» hängt nicht mit individueller Gehirngröße zusammen, da es hierfür weniger auf das Volumen als auf die neuronale Vernetzung ankommt. Das Gehirn des Menschen ist ca. dreimal größer als das eines Schimpansen, aber nicht nur eine vergrößerte Kopie. Der Neocortex, zuständig für das Speichern und Verknüpfen verschiedenster Informationen, zum Beispiel für das Verarbeiten von Erfahrungen und für «Denkleistungen», ist überproportional erweitert. Ebenso ist das Kleinhirn (Cerebellum), in dem angelernte motorische Funktionsmuster koordiniert werden, stark ausgedehnt. Die Erweiterung des Neocortex zeigt sich an Schädelresten seit Homo erectus in der Erhöhung der Stirn; die Vergrößerung des Kleinhirns ist an Fossilien anhand einer zunehmenden Eintiefung der hinteren Hirngrube nachzuweisen.

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5. Umbrüche

Mit dem leistungsfähigeren Gehirn standen zunehmend bessere Möglichkeiten der Speicherung und der Verarbeitung komplexer Zusammenhänge zur Verfügung. Doch beruht der Erfolg der menschlichen Kultur hauptsächlich auf einem Synergieeffekt, den die Möglichkeiten des Gedankenaustauschs vieler Individuen mit sich brachten. Dazu bedurfte es der Entwicklung eines differenzierten Instruments zur Weitergabe dieser Informationen, der Sprache. Obwohl es direkte Hinweise auf Sprache bei Homo erectus nicht gibt, muss aufgrund der Fähigkeit zur Herstellung mit viel Erfahrung und Kenntnisreichtum entwickelter Werkzeuge auch vom Vorhandensein einer funktionierenden Sprache ausgegangen werden. Diese war aber aufgrund noch fehlender Möglichkeiten zur differenzierten Atmung und Lauterzeugung noch nicht typisch menschlich. Die Entwicklung der Werkzeugkultur, die Tradierung dieser Kultur und ihre Weitergabe von Individuum zu Individuum und von Generation zu Generation sind ein Beispiel für die zunehmende Vernetzung biologischer und kultureller Faktoren im Verlauf der Evolution des Menschen (Abb. 9). Ernährung, Kochen und Feuer

Das Gehirn ist neben Darm und Leber das Organ mit dem höchsten Energieverbrauch im menschlichen Körper. Die Frage ist daher nicht nur, welche Vorteile ein größeres Gehirn bietet, sondern vor allem auch, wie ein Organismus sich den dadurch stark erhöhten Energieverbrauch leisten kann. Einen Hinweis gibt die Größe des menschlichen Darms, der nur halb so groß ist und damit sehr viel weniger Energie verbraucht, als dies bei Primaten menschlicher Körpergröße zu erwarten wäre. Dies war möglich, weil sich der Mensch zum Allesfresser mit hohem Fleischanteil entwickelte, während die übrigen Primaten überwiegend Pflanzenfresser blieben, die verdauungsfunktionell einen sehr viel längeren Darmtrakt brauchen. Pflanzennahrung kann im Gegensatz zu Fleischnahrung im menschlichen Darmsystem nur verarbeitet werden, wenn sie bis auf Zellniveau aufgeschlossen ist. Dies können Steinwerkzeuge nicht leisten, sondern ist Aufgabe der höchst präzise aufein-

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ander eingeschliffenen Backenzähne. Die Optimierung dieser Funktion war möglich, weil das Gebiss von den gröberen Aufgaben der ersten Nahrungszerkleinerung befreit wurde. Die Größe der Backenzähne war kein entscheidender Vorteil mehr, da deren Wirkungsgrad auf sehr viel kleinere Dimensionen ausgelegt war. So sind die Backenzähne des späten Homo erectus denen des frühen Homo sapiens bereits sehr ähnlich. Der Großteil der pflanzlichen Nahrung in Savannen dürfte eher kalorienarm und faser- bzw. ballaststoffreich gewesen sein. Ein entsprechendes Verdauungssystem ist erforderlich, um diese Rohkost effizient zu verwerten. Natürlich gibt es in Savannen auch Pflanzenprodukte mit höherer Energiedichte, z. B. fetthaltige Früchte, Nüsse und Samen, jedoch nicht ganzjährig und in größeren Mengen. Zeitweise musste auf Nahrungsmittel mit geringerem Energiegehalt (z. B. Wurzeln und Knollen) zurückgegriffen werden. Eine Voraussetzung, um diese Nahrung effizient zu verdauen, war die Nutzung von Feuer. Durch Erhitzen, Braten oder Kochen, anfänglich wahrscheinlich durch zufälliges Rösten durch Buschfeuer, wurden Nahrungsmittel aufgeschlossen und damit energetisch besser auswertbar, so dass sich die dem Körper zur Verfügung stehende Energiemenge erhöhte. Dies gilt insbesondere für die stärkehaltigen Lebensmittel, die roh nur halb so gut verdaulich sind wie in gekochtem Zustand. Außerdem werden viele pflanzliche Nahrungsquellen, aber auch Fleisch durch diese Zubereitung häufig überhaupt erst genießbar. Hände und Werkzeuge

Zur Herstellung und zum Gebrauch von Werkzeugen sind vor allem die Hände wichtig. Leider werden die sehr kleinen und fragilen fossilen Handknochen meist gar nicht oder nur isoliert gefunden, so dass eine Zuordnung zu definierten Arten nur selten gelingt. Bei Menschenaffen sind die Fingerknochen leicht gebogen. Dies ist auch bei den Australopithecinen noch zu beobachten. Bei Homo erectus sind sie fast gerade gestreckt und daher nicht mehr als «Kletterkonstruktion» anzusehen. Das letzte Knochenglied des Daumens, bei Menschenaffen sehr

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5. Umbrüche

schmal ausgebildet, ist bei Homo sapiens breit und kräftig. Homo erectus nimmt eine Mittelstellung ein und zeigt, dass die Umbildung von einer kraftausübenden Greifkonstruktion zur Hand als Präzisionswerkzeug bereits weit fortgeschritten war. Im Gegensatz zum «Kraftgriff» (Power grip) der Menschenaffen, die ein Objekt mit den Fingern und dem Daumen nur umklammern können, ist spätestens seit Homo erectus ein «Präzisionsgriff» (Precision grip) möglich. Durch die Stärkung der Daumenknochen und der Sehnen sowie die größere Flexibilität des Daumens lässt sich dieser an den Spitzen der anderen Finger anlegen (opponieren). Mit einer exakt gesteuerten Kraft gelingt es, dazwischen befindliche Objekte präzise zu manipulieren. Bei Homo erectus waren alle anatomischen Voraussetzungen für eine präzise Handhabe kleiner Objekte und damit die Herstellung effektiver Werkzeuge gegeben. Dennoch ging die Weiterentwicklung der Werkzeugkultur nur schleppend voran. Über eine Million Jahre lang änderte sich an der ursprünglichen Art der Steinwerkzeugherstellung durch Abschlagen einiger Splitter wenig. In der Entwicklung der Kultur des Menschen ist daher der älteste Abschnitt der längste. Die Altsteinzeit dauerte von 2,6 Millionen Jahren bis vor ca. 200 000 Jahren. Danach wurden die unterscheidbaren Phasen mit neuen technischen Entwicklungen bis heute immer kürzer. Nach der Ursprungskultur des Lomekwian (ca. 3,3 Mio. Jahre) (S. 54) ist der früheste Abschnitt der älteren Altsteinzeit durch die Oldowan-Kultur bestimmt, die in Afrika seit 2,6 bis vor ca. 1,5 Millionen Jahren nachzuweisen ist. Meist handelt es sich um Geröllwerkzeuge (Pebble tools), die als einfache Klingen oder Schaber ausgebildet sind. Daneben und schon lange davor muss die Benutzung unbearbeiteter Steine zum Aufbrechen der Knochen toter Tiere oder harter Früchte üblich gewesen sein. Vor ca. 1,5 Millionen Jahren wird eine neue Qualität sichtbar: In der jüngeren Phase der Altsteinzeit, der Acheuléen-Kultur, tauchen Faustkeile in mehreren Varianten auf, die für verschiedene Zwecke technisch unterschiedlich hergestellt wurden. Die Anfertigung dieser differenzierten Geräte

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verlangt gezielte Planung und Voraussicht. Die Acheuléen-­ Kultur wird mit dem späteren Homo erectus Afrikas, Asiens und Europas in Verbindung gebracht. Obwohl Skelettreste von Homo erectus in Mitteleuropa selten sind, wurden alleine aus Deutschland mehr als ein Dutzend Fundstellen mit Acheuléen-Werkzeugen bekannt, die darauf hindeuten, dass Homo erectus vielleicht schon vor einer Million Jahren das Gebiet besiedelte. Da in die Entwicklung der Werkzeuge zunehmend Erfahrungen und Zukunftsplanungen einflossen, muss Homo erectus ein Gefühl für Vergangenheit und Zukunft, für die Folgen der eigenen Handlungen und jene der anderen besessen haben. Jagd und Feuer

Auch erste Hinweise auf gezielte Jagd stammen von Homo erec­ tus (Tafel 5). Aus Funden von Steinwerkzeugen und Tierknochen mit Schnittspuren ist zu schließen, dass er eine Zerlegungstechnik hervorgebracht hatte. So konnte er Jagdbeute, die in größeren Mengen eingebracht wurde, intensiv und systematisch ausschlachten. Dadurch stand vor allem stillenden Müttern jene hochwertige Nahrung zur Verfügung, die notwendig war, um das nach der Geburt stark wachsende Gehirn der Säuglinge energiereich zu versorgen. Die Jagdbeute wurde an Rastplätzen geteilt. Es bildeten sich Spezialisten für verschiedene Tätigkeiten heraus, deren Erfolg nicht nur von allgemeinen biologischen Fähigkeiten, sondern in zunehmendem Maße von speziellen Begabungen abhängig war. Das typische Werkzeug des Homo erectus, der Faustkeil, ist auf einer Seite stumpf und auf der anderen mit einer scharfen Klinge versehen. Er wurde zum Zerlegen der Jagdbeute, zum Zerkleinern von Brennmaterial und zum Graben eingesetzt. Weltweit Aufsehen erregten seit 1995 die Entdeckungen der mit 400 000 Jahren ältesten Speere der Welt im Braunkohletagebau Schöningen: perfekt geformte Holzspeere. Aus Stein gearbeitete Speerspitzen sind erst von Homo sapiens bekannt. Die Jagdtechniken des Homo erectus umfassten auch die Treibjagd. In Torralba in Spanien entdeckte F. Clark Howell eine komplette

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5. Umbrüche

Elefantenherde, die vor über 300 000 Jahren mit Hilfe brennender Fackeln in Sümpfe getrieben wurde. Die frühesten Hinweise auf den kontrollierten Gebrauch von Feuer stammen aus Koobi Fora, Kenia (Abb. 5), vor ca. 1,5 Millionen Jahren. Direkte Nachweise gelangen in Swartkrans (Abb. 5) in Südafrika, wo rund eine Million Jahre alte Verbrennungsspuren an Knochen nachgewiesen wurden, die aufgrund der rekonstruierten Temperaturen nicht von einem Buschfeuer hergerührt haben können. Es ist wahrscheinlich, dass es dem frühen Homo erectus gelang, Feuer nutzbar zu machen. Feuer entsteht oft natürlich, etwa durch Blitzschlag, und muss den Frühmenschen als zerstörerische Kraft gut bekannt gewesen sein. Nicht nur die Wärme des Feuers war – vor allem bei der Besiedlung kühlerer Kontinente – von Bedeutung, sondern auch der Schutz vor wilden Tieren, die Möglichkeit, Nahrung zu erhitzen, sie dadurch zu erweichen und lagerfähige Vorräte anzulegen. Die Kontrolle des Feuers ist nicht nur eine technische, sondern eine gleichermaßen gesellschaftlich und vorausschauend zu regelnde Aufgabe. Man kann daher für Homo erectus ein gut funktionierendes Sozialgefüge ableiten. Out of Africa I: Expansion in neue Welten

Spätestens vor 2 Millionen Jahren, wahrscheinlich aber schon deutlich früher verließen die ersten Frühmenschen zum ersten Mal den afrikanischen Kontinent (Abb. 10, 13). Dies passt gut zusammen mit klimageographischen Daten aus dem Gebiet der Levante, die für diese Zeit die Ausdehnung der an Nahrung reichen Lebensräume belegen, die zunächst zu einer allmählichen Ausbreitung der Frühmenschen geführt haben dürfte. Die ressourcenreichen Flusstäler erlaubten später ein rasches Vordringen der Homininen auch in den Südkaukasus (Tafel 3). Die mannigfaltige Vegetation und der Wildreichtum der Wasserstellen sicherten ihr Überleben. Die ca. 1,8 Millionen Jahre alten Schädel- und Unterkieferfunde aus Dmanisi (Georgien) (S. 81) zeigen ganz archaische Merkmale, die erahnen lassen, dass die fast endlose Geschichte der immer wieder neuen Auswanderun-

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gen aus Afrika vielleicht schon mit Homo rudolfensis begann und nicht erst mit Homo erectus. Möglicherweise war die Jagd eine entscheidende Triebkraft, um in entfernteren Gebieten nach Beute zu suchen und so den Lebensbereich langsam auszudehnen. Expansionsbewegungen von wenigen Kilometern pro Generation führten in kurzen geologischen Zeiträumen zur Besiedlung neuer Lebensräume. Die Klimabedingungen für eine Ausbreitung der frühen Menschen auf die Nordhalbkugel der Erde waren allerdings wenig verlockend: Die Auffaltung eines Gebirgsgürtels vom Himalaja bis zu den Pyrenäen verhinderte das Einströmen feuchter Luftmassen aus dem Bereich des Indischen Ozeans und führte zur Zunahme der jahres- und tageszeitlichen Temperaturschwankungen und zur Austrocknung und Versteppung Zentralasiens. So verwundert es nicht, dass zunächst Südeuropa und die Levante besiedelt wurden, deren Klimageographie eine Übereinstimmung mit afrikanischen Lebensräumen in Fauna und Flora vermuten lassen. Hinweise auf frühe Expansionen liegen aus Georgien (1,8 Millionen Jahre), Italien und Spanien (1,4 bis 1,2 Millionen Jahre) vor. Ausbreitungsrouten sind über die Arabische Halbinsel und den Nahen Osten und von Nord­afrika nach Sardinien und Italien sowie über Gibraltar denkbar. Mit der raschen Zunahme kultureller Errungenschaften war eine Ausbreitung über Lebensraumgrenzen hinweg in Gebiete möglich, die technisch völlig neue Anforderungen stellten, sehr früh nach China (2 Mio. Jahre), Südostasien (ca. 1,5 Mio. Jahre) (Tafel 4) und auf die Philippinen vor ca. 700 000 Jahren. Weitere, spätere Expansionen des Homo erectus aus Afrika fanden wahrscheinlich im mittleren Pleistozän (seit ca. 800 000 Jahren) statt (Abb. 13). Die Art Homo antecessor, 1997 aus Atapuerca, Spanien, beschrieben (Abb. 10), soll seit ca. 1,2 Millionen Jahren existieren, repräsentiert eine regionale Entwicklung in Westeuropa und steht nach genetischen Analysen möglicherweise dem Ursprung der Denisova-­Menschen nahe. Vor spätestens 500 000 Jahren war Homo erectus in Ostasien, Südostasien (Tafel 4) sowie in Mittel- und Südeuropa weit verbreitet. Im mittleren Pleistozän wirkten sich die klima-

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5. Umbrüche

tischen Bedingungen der Eiszeiten auf die biologische und kulturelle Evolution der Frühmenschen aus. Der Lebensraum wurde durch die sich im Norden Asiens ausbreitenden Dauerfrostgebiete begrenzt. Andererseits entstanden neue Landbrücken am Rande der Kontinente, da durch das Vordringen des Eises große Wassermassen gebunden waren. In Asien lebte Homo erectus in trockenen Steppengebieten, die sich auch in Europa ausbreiteten. Jedoch waren in den Zwischeneiszeiten die klimatischen Verhältnisse teilweise günstiger als an denselben Stellen heute (Tafel 5). In China erschienen vor ca. 280 000 Jahren Frühmenschen, die anatomisch eine Zwischenform von Homo erectus und Homo sapiens darstellen und daher manchmal als «archaischer Homo sapiens» klassifiziert werden (Dali-Mensch, Abb. 10). In Europa entwickelt sich die europäische Variante des Homo erec­ tus im mittleren Pleistozän (Homo heidelbergensis). Oft werden diese Frühmenschen ebenfalls als «archaischer Homo sapiens» bezeichnet. Verwandtschaftliche Verhältnisse zu Homo sapiens werden damit jedoch nicht ausgedrückt, denn dieser Übergang ist nur in Afrika anhand von Fossilien zu belegen (S. 112). Bei den europäischen Frühmenschen zeigt sich eine Mischung von Merkmalen des Homo erectus mit denen des europäischen Neandertalers. Höhlen und Inseln: Rückzugsgebiete der Frühmenschen Sackgasse im Süden II : Homo naledi (Südafrika)

Bis vor ca. 240 000 Jahren überlebten Nachfahren von Homo erectus im südlichen Afrika. Hier entwickelten sich die Frühmenschen in relativer Abgeschlossenheit zu einer ganz eigenen Menschengruppe heraus, Homo naledi («Mensch aus der Sternhöhle»). Bislang wurden in der Dinaledi Chamber des Rising-­ Star-Höhlenkomplexes in Südafrika knapp 1800 Knochen- und Zahnfragmente entdeckt, die mehr als 15 Individuen dieser neu beschriebenen Art repräsentieren. Der ca. 1,50 m große Körper von Homo naledi weist eine ver-

Die erste Besiedlung der Alten Welt

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wirrende Mischung aus ursprünglichen Merkmalen  – kleines Gehirn, gekrümmte Fingerknochen, kleines Hüftgelenk und Schulter – und aus abgeleiteten Merkmalen – kleine und einfache Zahnkronen, moderne, menschenähnliche Hand- und Fußfunktionen, moderner aufrechter Gang – auf. Die recht robusten Backenzähne weisen auf einen erhöhten Anteil spröder Pflanzennahrung bei Homo naledi hin, möglicherweise eine Anpassung an lokal verfügbare Nahrungsressourcen. Die Wachstumsmuster in den bleibenden Zähnen deutet eine langsame Individualentwicklung und damit ein ausgeprägtes Sozialgefüge an. Hobbits in Indonesien: Homo floresiensis

Selten hat eine Entdeckung fossiler Menschenknochen derartiges Aufsehen erregt wie die der «Hobbits» von Flores im Jahr 2003. Dies liegt sowohl an der merkwürdigen Anatomie als auch an ihrem mit ca. 50 000 Jahren vergleichsweise jungen geologischen Alter. Gefunden wurden die Skelettreste von neun Individuen und ein nahezu kompletter Schädel (Abb. 10). Die im erwachsenen Zustand nur ca. 1,20 m großen «Hobbits» von Flores weisen mit 380 cm³ das kleinste Gehirn aller bisher gefundenen Homininen im Stammbuch der Menschen auf. Alle Versuche, den Fossilien pathologische Veränderungen (vom Laron-Syndrom über Microcephalie und Cretinismus bis zum Down-Syndrom) zu attestieren, schlugen fehl. Die absolute und relative Verkleinerung des Gehirns dürfte ein evolutives Inselphänomen darstellen. Dies wurde erstmals bei fossilen Gemsen auf Mallorca nachgewiesen. Dort dauerte die Rückentwicklung des Gehirns mehrere Millionen Jahre. Die Besiedlung der Insel Flores ist bis ca. 800 000 Jahre zurück dokumentiert. Daher war Homo floresiensis (Abb. 10) eine regionale Weiterentwicklung afrikanischer Vorfahren, die vor möglicherweise mehr als 2 Millionen Jahren, noch vor der Entstehung von Homo erectus, aus Afrika nach Südostasien expandierten und bis vor 50 000 Jahren auf der Insel Flores überlebten.

6. Umwege: Vorfahren und Verwandtschaft moderner Menschen

Von Sambia bis Marokko: Frühmenschen setzen sich durch

Vor ca. 700 000 – 500 000 Jahren beginnt – parallel zur Entstehung der Neandertaler in Europa  – der vorletzte Evolutionsschritt auf dem Weg zum modernen Menschen in Afrika: Der afrikanische Homo erectus entwickelt zunehmend Homo sapiens-Merkmale. Solche Mischformen werden als archaischer Homo sapiens bezeichnet, da aus ihnen vor ca. 300 000 Jahren die modernen Menschen entstanden. Schon früh tauchten in Afrika fossile Reste auf, die heute den Ursprung des Homo sapiens belegen, damals jedoch dem eurozentrischen Weltbild widersprachen. Der erste bedeutende Fund war der ca. 300 000 Jahre alte Schädel von Kabwe in Sambia 1921 – drei Jahre vor der Entdeckung des Taung-Babys in Südafrika (S. 40). Im Jahr 1953 wurde ein Schädel- und Unterkieferfragment aus Saldanha, Südafrika (Abb. 5), beschrieben, das sowohl Homo erectus- als auch Homo sapiens-Merkmale aufweist und ca. 400 000 Jahre alt ist. Bei kommerziellen Steinbrucharbeiten bei Thigennif (Abb. 5, Abb. 11) in Algerien wurden 1954 und 1955 drei große Homininenunterkiefer zusammen mit einem Schädeldach und Einzelzähnen geborgen. Von Camille Arambourg zunächst als Atlanthropus (Atlasmensch) beschrieben, werden die ca. 700 000 Jahre alten Reste heute zu Homo erectus gezählt; sie lassen eine große Nähe zum gemeinsamen Ursprung von Neandertalern und Homo sapiens erkennen. Spätere Funde aus dem Übergangsfeld von Homo erectus zu Homo sapiens in Afrika, zum Beispiel am Lake Ndutu (Abb. 5) westlich von Olduvai Gorge, oder der 1976 gefundene Schädel von Bodo, Äthiopien (Abb. 5, 10), belegen heute klar, dass Afrika die Wiege der modernen Menschen ist. Späte Homo

Salé

Thigenif

Arago

Monte Circeo Ceprano Altamura Apidima

Petralona

Dederiyeh Amud Misliya Skhul Qafzeh Ubeidiya Tabun Kebara Zuttiyeh

Kiik Koba

Sungir

Abb. 11: Wichtige Homininen-Fundstellen in Europa (Zeichnung: Christine Hemm)

Hominiden-Fundstellen: moderne Menschen (Homo sapiens) Ante-Neandertaler, frühe und klassische Neandertaler (H. neanderthalensis) Homo erectus & Homo heidelbergensis

Jebel Irhoud

Gibraltar

Zafarraya Orçe

Atapuerca Lagar Velho

Saccopastore

Swanscombe Salzgitter Bilzingsleben Neandertal Weimar-Ehringsdorf Ochtendung Mauer Prèdmosti Engis Steinheim Biache Vogelherd Spy Subalyuk Arcy-sur-Cure Vértesszöllös Vindija La Quina La Chapelle Krapina St. Césaire Le Moustier La Ferrassie Cro Magnon

Pontnewydd Boxgrove

Shanidar

Dmanisi

Teshik Tash

Küstenverlauf in der vorletzten Eiszeit

Größte Verbreitung des Eises im Pleistozän

100

6. Umwege

­erectus-Nachfahren fanden sich in Marokko in Salé (bei Rabat) sowie in Sidi Abd El-Rahman und Thomas Quarry (bei Casa­ blanca) (Abb. 5). Europa und Asien: Wiegen der Menschheit, die keine waren

Die ersten Funde menschlicher Fossilien von 1829 stammen aus Engis, Belgien, wo ebenso wie 1848 im Steinbruch Forbes Quarry in Gibraltar (Abb. 10, 11, Tafel 6) ein fossiler Menschenschädel entdeckt wurde. Erst viel später wurden diese Reste als Neandertaler identifiziert, denn die Zeit war noch nicht reif dafür, eine Abstammung der Menschen aus dem Tierreich anzunehmen. Damals galten sie als Produkt eines isolierten göttlichen Schöpfungsaktes und als seit der Sintflut unverändert. Daher war es selbst für aufgeschlossene Zeitgenossen eine Provokation, als der Wuppertaler Naturforscher Johann Carl Fuhlrott 1857 – zwei Jahre vor Darwins revolutionärem Werk – vortrug, ein im Jahr zuvor im Neandertal gefundenes Skelett (vgl. Abb. 6) sei der Überrest eines frühen Vorfahren des heutigen Menschen, der in der Eiszeit lebte. Auffällig waren vor allem die starken Augenüberwülste des Schädels samt flacher Stirn und die Dicke der Knochen, die zunächst für Bärenknochen gehalten worden waren. Das Urteil einiger Fachleute war niederschmetternd: Es handle sich um die Gebeine eines verkrüppelten mongolischen Kosaken, der aus der russischen Armee entflohen sein soll. Auch der Berliner Anatom Rudolf Virchow untersuchte die ca. 50 000 Jahre alten Skelett- und Schädelreste. Er identifizierte sie als die eines modernen Menschen und attestierte dem Neandertaler in der Jugend Schläge auf den Kopf und Rachitis im Alter. Diese vernichtende Stellungnahme beendete für fast 30 Jahre die Diskussion. Erst 1886 begann mit den Skelettfunden von Spy (Belgien) (Abb. 11), die gemeinsam mit Werkzeugen und Tierknochen in ungestörten Schichten entdeckt worden waren, der Siegeszug des Neandertalers. Der Typ des klassischen Neandertalers (Tafel 8) wurde aus zahlreichen Fundstellen Mittel- und Westeuropas (vor allem Frankreich, Belgien, Deutschland, Italien,

Vorfahren und Verwandtschaft moderner Menschen

101

Slowakei) sowie aus Osteuropa und dem Nahen Osten (z. B. Israel, Usbekistan [Abb. 11] und Kurdistan) bekannt. Im Jahr 1899 wurde in der Krapina-Höhle, ca. 55 km nördlich von Zagreb (Kroatien) (Abb. 11) ein menschlicher Backenzahn gefunden, der nur wenige Tage später eine Großgrabung auslöste. In wenigen Jahren wurden 874 Homininenfragmente geborgen, die zu mindestens 23 Individuen gehören, darunter vier Schädel, und deren Alter ca. 120 000 – ​90 000 Jahre beträgt. Sie werden als frühe Neandertaler eingestuft, die weniger robust gebaut sind. Hierzu gehören auch bedeutsame Schädelfunde aus Saccopastore, Italien; sie sind ca. 125 000 Jahre alt. Auch der historische Fund von 1848 in Gibraltar (Abb. 10, 11, Tafel 6) dürfte dieser Gruppe zuzurechnen sein. Mehrere Schädel- und Unterkieferfragmente, zwischen 1908 und 1925 bei Weimar-Ehringsdorf in Thüringen (Abb. 11) geborgen, wurden auf ein Alter von 230 000 Jahren datiert. Sie gehören zur Gruppe der Ante-Neandertaler, für die ein Fund aus Süddeutschland namengebend wurde. 1933 wurde in einer Kiesgrube bei Steinheim an der Murr (Abb. 11) ein fossiler menschlicher Schädel des Homo steinheimensis (Abb. 10) entdeckt, der eine Mischung von Merkmalen der Neandertaler und denen der modernen Menschen zeigt. Ähnliche ca. 400 000 – ​ 250 000 Jah­­re alte Funde kamen seit 1935 in Swanscombe in England zutage. In Petralona, Griechenland (Abb. 11), wurde 1960 ein Schädelfragment geborgen, das ca. 300 000 – ​250 000 ​ Jahre alt ist (Abb. 10). In den Travertinen von Vértesszöllös, nordwestlich von Budapest (Abb. 11), wurden 1964 und 1965 ein ca. 350 000 Jahre altes Hinterhauptbein eines Erwachsenen und Zähne eines Kindes gefunden. Kieferfragmente, Wirbelstücke und Zähne sind auch aus dem walisischen Pontnewydd mit einem Alter von 250 000 – ​190 000 Jahren belegt. Die zwischen 300 000 und 200 000 Jahre alte nordspanische Fundstelle Atapuerca (Sima de los Huesos, «Knochengrube») (Abb. 10, 11) bricht alle Rekorde. Anhand von mehr als 2000 Knochenfragmenten konnte die gesamte Variationsbreite in der Morphologie einer mitteleiszeitlichen Population dokumentiert werden. Besonders erwähnenswert sind ein fast

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6. Umwege

Archaischer Homo sapiens (Homo rhodesiensis) in Afrika (ca.  600  0 00 – ​300  0 00  Jahre): Saldanha (Südafrika), Ndutu (Tansania), Bodo (Äthiopien) (Abb. 10), Thigennif (Algerien), Salè, Thomas Quarries, Sidi Abd El-Rahman (Marokko) Ante-Neandertaler (Homo steinheimensis) in Europa (ca.  400  0 00 – ​180  0 00  Jahre): Steinheim (Deutschland) (Abb. 10), Weimar-Ehringsdorf (Deutschland), Swanscombe (England), Petralona (Griechenland) (Abb. 10), Vértesszöllös (Ungarn), Pontnewydd (Wales), Atapuerca (Sima de los Huesos) Frühe Neandertaler in Europa (ca.  180  0 00 – ​90  0 00  Jahre): Krapina (Kroatien), Saccopastore (Italien), Forbes Quarry (Gibraltar) (Abb. 10, Tafel 6), Altamura (Italien), Ochtendung (Deutschland) Klassische Neandertaler in Europa und im Nahen Osten (ca.  90  0 00 – ​27  0 00  Jahre) (Tafel 5): Neandertal, Salzgitter-Lebenstedt (Deutschland), La Chapelle-aux-Saints, La Ferrasie, La Quina, Le Moustier, St. Césaire, Arcy-sur-Cure (Frankreich), Engis, La Naulette, Spy (Belgien), Monte Circeo, Archi (Italien), Devils Tower (Gibraltar), Zafarraya (Andalusien), Šipka (Slowakei), Sualyuk (Ungarn), Kiik Koba (Ukraine), Vindija (Kroatien), Teshik-Tash (Usbekistan) (Abb. 12), Tabun, Amud, Kebara (Israel), Shanidar (Kurdistan), Dederiyeh (Syrien) Denisova-Menschen (ca.  120 000 – ​4 0 000  Jahre) Denisova-Höhle (Russland), Xuchang (China)

vollständiger Schädel eines Erwachsenen und ein fragmentarischer Hirnschädel eines jugendlichen Individuums. Jeder der Schädel verweist in der Hinterhaupt-Morphologie und den Überaugenwülsten auf die Ante-Neandertaler. Zwischen 2010 und 2012 wurden im Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig, ein ca. 50 000 Jahre alter Fingerknochen und zwei Backenzähne aus der sibirischen Denisova-Höhle (Altai-Gebirge) (Abb. 11), dort zwischen 2000 und 2008 gefunden, genetisch untersucht. Morphologisch wa-

Vorfahren und Verwandtschaft moderner Menschen

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ren sie weder Homo sapiens noch Neandertalern eindeutig zuzuordnen. Sowohl mtDNA als auch Kern-DNA-Analysen zeigen, dass es sich um eine eigenständige Menschenform handelt, die Asien besiedelte. Weitere, heute zu den sogenannten «Denisova-Menschen» zählende Funde stammen aus China («Xuchang-Menschen»). Die Lage der wichtigsten Fundstellen (Abb. 4, 10) des archaischen Homo sapiens in Afrika sowie von archaischen Menschen in Europa und Asien (Neandertaler und Denisova-Menschen) stellt sich wie in der Zusammenfassung auf S. 102 dar. Divers und erfolgreich: Neandertaler und Denisova-Menschen

Die frühen Europäer im mittleren Pleistozän waren Vorfahren der Neandertaler (Homo neanderthalensis) und der Denisova-­ Menschen. Ihr gemeinsamer Ursprung lag in Afrika und reicht, wie sich aus genetischen Studien rückschließen lässt, bis vor ca. 800 000 Jahren zurück. Möglicherweise haben sich diese Vorfahren auch erst in Europa als Homo antecessor etabliert. Aber schon die ca. 800 km voneinander entfernt lebenden Populationen in Arago (Frankreich) (Abb. 11) und in Sima de los Huesos (Atapuerca, Spanien) (Abb. 11) unterscheiden sich sehr deutlich im Gebiss. Dies deutet entweder auf die Ausbildung unterschiedlicher regionaler Varianten oder auf unterschiedliche Herkunft hin. Einige der Vorfahren der Neandertaler in Europa, die Ante-­ Neandertaler (Homo steinheimensis), wirken anatomisch wie eine Mischung aus Neandertalern und modernen Menschen. Sie waren groß; der Größenunterschied zwischen Männern und Frauen war deutlicher ausgeprägt als heute. Möglicherweise handelt es sich bei dem Schädel aus Steinheim (Abb. 10) um den einer Frau und bei dem aus Petralona (Abb. 10) um den eines Mannes. Je jünger die Funde werden, desto stärker nehmen die Neandertaler-Merkmale im Bau des Schädels und des Skeletts zu, bis sich auf dem Weg über die frühen Neandertaler vor ca. 90 000 Jahren die klassischen Neandertaler entwickelt hatten. Möglicherweise erfolgten seit ca. 300 000 Jahren Expansio-

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6. Umwege

nen früher moderner Menschen aus Afrika, die zu regionalen Vermischungen führten. Ein Neandertaler-Femur aus Hohlenstein-Stadel östlich von Ulm zeigt deutlich entsprechende genetische Befunde. Wahrscheinlich konkurrierten verschiedene Populationen früher Neandertaler und Denisova-Menschen um Ressourcen und Lebensräume, auch wenn die Besiedlungsdichte sehr gering war. Je nach den Klimabedingungen in den Eiszeiten und den Zwischeneiszeiten dürfte es zu Verlagerungen und Verschiebungen, zu Ausbreitungen und Schrumpfungen der Besiedlungsräume gekommen sein. Möglicherweise folgten die frühen Menschen hierbei den Faunen, für die ebenfalls klimaabhängige Verbreitungsänderungen nachgewiesen wurden. Gehirngröße ist relativ

In der Körpergröße unterschieden sich Neandertaler (Abb. 6, 12, Tafel 8) deutlich von ihren Vorfahren. Sie erreichten im Durchschnitt nur eine Größe von etwa 1,60 m, jedoch war ihr Gewicht mit durchschnittlich 75 kg ca. 30 % höher als bei modernen Menschen gleicher Größe. Die Neandertaler waren stark gebaut und besaßen besonders dickwandige Knochen. Sie belasteten ihre Arme unterschiedlich, zum Beispiel wurde beim Schlagen von Hammersteinen oder beim Speerwerfen ein Arm bevorzugt. Bei modernen Menschen sind solche anatomischen Unterschiede dagegen sehr gering. Neandertaler besaßen ein Gehirn, dessen Volumen mit ca. 1600 ccm etwas über dem Durchschnitt des modernen Menschen liegt. Ihr relatives Hirnvolumen (S. 89), bezogen auf ihre hohe Körpermasse, liegt unter dem des modernen Menschen. Der große Gehirnschädel ist typischerweise lang und abgeflacht, das Hinterhauptbein nach hinten ausgezogen, die Nase nach vorne verlängert. Sowohl die Augenhöhlen als auch die Nase sind relativ groß. Während die Schneidezähne hervorragen, sind die Backenzähne relativ klein. Mögliche Verhaltensunterschiede zwischen Neandertalern und dem modernen Homo sapiens wurden durch die Rekon­ struktion der 3-D-Struktur der grauen und weißen Substanzre-

Vorfahren und Verwandtschaft moderner Menschen

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gionen des Gehirns und der Liquorregionen modelliert. Obwohl Neandertaler größere Schädel und damit insgesamt ein größeres Gehirnvolumen aufwiesen, hatte Homo sapiens ein proportional größeres Kleinhirn, der Teil des Gehirns, der an Bewegung, Gleichgewicht, Sehen, Lernen, Sprache und Stimmung beteiligt ist. Homo sapiens zeigte auch eine kleinere Okzipitalregion im Großhirn, die an das Sehen gebunden ist. Hieraus folgt, dass Fähigkeiten wie kognitive Flexibilität (d. h. Lernen, Anpassungsfähigkeit und außerplanmäßiges Denken), Aufmerksamkeit, Sprachverarbeitung und Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis bei Homo neanderthalensis weniger ausgeprägt waren als bei modernen Menschen. Leben in der Eiszeit

Die ersten Neandertaler lebten in einer warmen Zwischeneiszeit, in der Ulmen- und Eichenwälder vorherrschten. Die Tierwelt war durch wärmeliebende Formen wie Waldelefant und Flusspferd geprägt. Den Höhepunkt ihrer Entwicklung erreichten die Neandertaler jedoch unter Kaltzeitbedingungen. In den Kaltphasen der Eiszeiten war die Flora durch eine Tundren- und Steppenvegetation geprägt, die Fauna durch kälteresistente Tiere wie zum Beispiel Mammut und Wollnashorn gekennzeichnet. Die Durchschnittstemperatur lag ca. 6 Grad unter der heutigen (Tafel 5). Die Neandertaler kamen mit den Lebensbedingungen der Eiszeit gut zurecht. Sie jagten Mammute, Wollnashörner, Rehe, Wildpferde, Moschusochsen oder Saigaantilopen, sie verteidigten sich gegen Beutegreifer wie Löwen, Höhlenbären oder Höhlenhyänen, sie schützten sich vor Kälte und lebten in Freilandbehausungen oder vor Höhlen, sie beherrschten das Feuer meisterhaft. Nicht nur die kompakten Körpermaße der Neandertaler geben einen Hinweis darauf, dass sie in kälteren Klima­ bereichen lebten, auch die Morphologie der Nase und die Berechnung des Luftdurchflusses zeigen, dass die Fähigkeit, große Mengen von Sauerstoff in kälteren Temperaturen aufzunehmen, es den Neandertalern erlaubte, in kalten Temperaturen warm und aktiv zu bleiben.

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6. Umwege

Das Leben der Neandertaler der letzten Eiszeit war hart. Die meisten der gefundenen Skelette weisen Verletzungen auf. Die Lebenserwartung lag bei höchstens 40 Jahren, und es herrschte eine sehr hohe Kindersterblichkeit. Im Zahnschmelz der Neandertaler finden sich Anzeichen für Unterernährung. In Shanidar, Kurdistan, (Abb. 11) wurde das Skelett eines Mannes gefunden, der besonders schwer unter Krankheiten und Verletzungen zu leiden hatte: Auf einem Auge war er durch eine massive Kopfverletzung erblindet, ihm fehlte eine Hand, ein Arm war verkrüppelt, sein linkes Bein war mehrmals gebrochen und wieder verheilt, die Knochensubstanz war verändert. Die Tatsache, dass er trotz dieser schweren Behinderungen lange Zeit überlebte, deutet darauf hin, dass ihm von Mitgliedern der Gruppe aktive Hilfe und Fürsorge zuteilwurde. So darf bei den Neandertalern ein hohes Maß an Mitgefühl und Verantwortungsbewusstsein angenommen werden. Paläodiät in Hülle und Fülle

Die Neandertaler der Eiszeit lebten als Jäger und Sammler. Ihre Steinwerkzeugkultur brachte eine größere Vielfalt an Formen hervor und bot vielseitigere Verwendungsmöglichkeiten (Mousterién-Kultur) als die alte Acheuléen-Kultur der Frühmenschen. Zusätzlich zu Faustkeilen finden sich Schaber, die zum Schneiden geeignet sind, Klingen, Spitzen oder einseitige Messer. Viele Neandertaler-Werkzeuge zeigen Spuren von Mineralien, die durch unterschiedlichste Nutzung einschließlich des Feuermachens entstanden sind. Das Mammut spielte eine wichtige Rolle als Rohstoff- und Fleischlieferant. Die Neandertaler verstanden es, Tiere optimal zu verwerten. Da im subarktischen Klima die Auswahl und Verfügbarkeit an pflanzlicher Nahrung begrenzt waren, war Fleisch das wichtigste Nahrungsmittel. Knochen wurden aufgeschlagen, um an das Mark und an energiereiche Nährstoffe zu gelangen. Das Elfenbein der Mammutstoßzähne bildete den Rohstoff für Waffen, Geräte und Schmuck. Da in der Steppenlandschaft das Holz knapp war, wurden Mammutknochen als Brennmaterial verheizt. Wo Mammute in großer Zahl gejagt wurden, dien-

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5 cm

Abb. 12: Zeitgenossen in Europa und Asien vor ca. 50 000 Jahren (Zeichnungen: A. Marie Rahn) links: Teshik-Tash 1, Homo neanderthalensis, Alter ca. 100 000 Jahre, Ukraine rechts: Liang Bua (LB) 1, Homo floresiensis, Alter ca. 50 000 Jahre, Indonesien

ten ihre Stoßzähne, die Langknochen und sogar die Schädel als Baumaterial für Hütten aus Mammutknochen. Keineswegs aber waren Neandertaler überall Großwildjäger. Vor allem in stark bewaldeten Gebieten im südlichen Europa wurden sehr oft auch pflanzliche Nahrungsquellen genutzt. Anhand der Zähne der Neandertaler von Sidron (Spanien) konnte gezeigt werden, dass weibliche Mitglieder der Population einen höhreren Pflanzenanteil in der Nahrung aufwiesen als männliche. Neandertaler dachten wie wir

Die Neandertaler bestatteten ihre Toten: Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit nahm man sich der Verstorbenen an. Da Grabfunde meist einen sehr guten Erhaltungszustand aufweisen, sind bei den Neandertalern im Gegensatz zu frühe-

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6. Umwege

ren Homininen Verhaltens- und Funktionszusammenhänge in sehr viel komplexerer Weise erforschbar. Oft sind die Toten in Kauerstellungen begraben, manchmal finden sich Farben und Ausrüstung oder sogar Proviant für ein Weiterleben nach dem Tod. Eine Art Familienbestattung wurde aus La Ferrasie, Frankreich, (Abb. 11) bekannt: Eine Frau, ein Mann, ein drei- und ein zehnjähriges Kind sowie das Skelett eines Neugeborenen und eines sechs Monate alten Fötus sind hier vereint. Die Kinder waren mit Ocker bestreut unter kleinen Grabhügeln begraben, andere Gräber waren in Vertiefungen des Felsbodens eingelassen und mit einem Felsblock abgedeckt. Möglicherweise deuten die Bestattungen auch den Beginn religiösen Handelns an. In drei spanischen Höhlen entstanden Wandmalereien mehr als 20 000 Jahre vor der Ankunft moderner Menschen. Zu gefärbten Muscheln verarbeiteter Schmuck und zugehörige Farbpigmentbehälter sind sogar über 110 000 Jahre alt. Es besteht kaum noch ein Zweifel daran, dass Neandertaler symbolisch denken konnten und daher ihre kognitiven Fähigkeiten den unseren kaum nachstanden. Da in einer der Höhlen die Malereien über fast 1000 Generationen hinweg entstanden, ist auch eine komplexe Sprache – als Voraussetzung für Tradierung abstrakter Mitteilungen  – höchst wahrscheinlich. Sie konnten die gesamte Bandbreite an Lauten erzeugen, die wir vom modernen Menschen kennen, und waren fähig, Gedanken, Erfahrungen und Ratschläge an Gruppenmitglieder der eigenen und der nächsten Generation weiterzugeben, sie sorgten für Alte und Gebrechliche, sie organisierten ihre Gesellschaft. Neandertaler waren vielleicht auch die ersten Musiker. Ein in Slowenien gefundener ausgehöhlter Höhlenbären-Femur könn­ ­te die erste Knochenflöte gewesen sein – vor fast 60 000 Jahren. Selbst wenn die Löcher Bissspuren von Höhlenbären sein sollten, konnte damit Musik erzeugt werden. Aber nicht nur menschlicher Intellekt und Abstraktionsvermögen zeichnen Neandertaler aus: An spanischen und belgischen Fundplätzen wurden bei allen untersuchten Individuen Methanokokken (Archaeen) im Zahnstein gefunden, die sich vor allem beim Küssen verbreiten. Da moderne Menschen und Neandertaler viele ih-

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rer biokulturellen Fähigkeiten teilen, ist es sehr wahrscheinlich, dass deren Ursprünge bereits auf den letzten gemeinsamen Vorfahren vor ca. 800 000 Jahren zurückgehen. Begegnungen mit der Moderne

Das Verbreitungsgebiet der Neandertaler reichte südlich bis in die Levante. Dort kam es mehrfach zu Vermischungen mit den aus Afrika expandierenden modernen Menschen. Deren Reste fand man schon 1931 in Skhul, einer Höhle bei Haifa, kurz darauf am Djebel Qafzeh bei Nazareth (Abb. 10, 11, Tafel 7). In unmittelbarer Nachbarschaft von Skhul in der Höhle von Tabun und in Kebara wurden jedoch Neandertaler ausgegraben. Absolute Datierungen zeigen, dass die Besiedlungen etwa gleichzeitig stattfanden. Die modernen Menschen stießen also spätestens vor ungefähr 200 000  Jahren aus Afrika in das Gebiet der Levante und möglicherweise bis in das heutige Griechenland vor. Keineswegs führte dies zu einem Kampf auf Leben und Tod. Im Gegenteil, über 100 000 Jahre lang besiedelten Neandertaler und moderne Menschen gemeinsam dasselbe Gebiet. Es ist durchaus vorstellbar, dass die Neandertaler von den modernen Menschen lernten. Hinweise dafür sind die Vermischung der Moustérien- und der für den modernen Menschen typischen, komplizierteren Aurignacién-Werkzeugkultur an der Neandertaler-Fundstelle von Saint Césare in Frankreich. Inzwischen steht fest: Es fanden lokale Vermischungen sowohl in der Levante als auch in Südostasien statt. Sowohl Genfluss von Homo sapiens zu Neandertalern als auch zu Denisova-­ Menschen wurde nachgewiesen (Abb. 13). Bei heutigen Eurasiern korrelieren zwischen 2 und 4 % des Genoms mit dem der Neandertaler, und bis zu 6 % der DNA von Südseebewohnern stimmt mit der DNA der Denisova-Menschen überein. Letztlich setzten sich aber die anatomischen Merkmale der modernen Menschen durch, die sich schließlich weltweit ausbreiteten.

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6. Umwege

Das Ende der Neandertaler

Trotz ihrer hoch entwickelten Kultur sind die Neandertaler ausgestorben. Sie wurden abgelöst durch den modernen Menschen, der vor 300 000 Jahren in Afrika entstanden war. Sie wurden jedoch nicht gewaltsam verdrängt oder gar ausgerottet, erst nach und nach gewann der moderne Mensch die Oberhand. Beide Arten konnten sich verschieden schnell an sich rasch ändernde Klima- und Umweltbedingungen anpassen. Vielleicht lag es auch an den Unterschieden in den technologischen, sozialen und wirtschaftlichen Systemen oder in den Such- und Jagdstrategien. Nicht nur in der Werkzeugtechnik waren die modernen, aus Afrika eingewanderten Menschen den Neandertalern überlegen. Sie konnten vor allem die Ressourcen der Umwelt besser nutzen, ihre Form der sozialen Organisation war höher, sie entwickelten tradierte Sitten und Gebräuche, ihr Skelett- und Muskelbau war weniger energieaufwendig, die Kindersterblichkeit war niedriger, insgesamt lebten sie weniger gefahrvoll, erreichten ein höheres Alter und waren fruchtbarer. Die modernen Menschen vermehrten sich daher sehr viel stärker als die Neandertaler, die in ungünstigere Lebensräume abgedrängt wurden oder sich dorthin zurückzogen. Diesem zunehmenden Druck waren die Neandertaler auf Dauer nicht gewachsen und starben schließlich langsam aus.

7. Umdenken: Ein neues Geschichtsbild für Homo sapiens

Für Europäer, die Bewohner des «gebildetsten Erdteils», wie es im Orbis Pictus von 1842 heißt, war es und ist es zum Teil heute noch unvorstellbar, dass Afrika die Wiege moderner Menschen ist. Das «geschichtslose Afrika» ist ein bis heute wirksames Produkt eurozentrischen Machterhalts. Dass afrikanische Gesellschaften ihre Geschichte überwiegend oral tradierten, entsprach nicht der europäischen Norm, die seit Herodot schriftliche Dokumentation zum Standard der Geschichtsschreibung erhob. Glücklicherweise werden heute alle Arten von Quellen  – mündliche Überlieferung, Fossilien, Artefakte, Genanalysen  – für historische Forschungen ausgeschöpft. So ist auch die Erforschung des Ursprungs von Homo sapiens eine eigene Form der Geschichtswissenschaft, die auf der Grundlage nichtschriftlicher Quellen betrieben wird. Und daher wissen wir heute: Vor wenigen hunderttausend Jahren beginnt sich ein Synergieeffekt unterschiedlicher Faktoren biokultureller Evolution auszuwirken (Abb. 9). In Afrika entstehen, was oft als Charakteristikum des Menschen angesehen wird: menschliche Kognition und Bewusstsein. Afrika: Ursprung der Modernität

Bereits 1924 erfolgte der Fund eines etwa 200 000 Jahre alten Schädelrests an den Ufern des blauen Nils in Singa (Sudan) (Abb. 5). Sieben Homininenfragmente mit einem Alter von ca. 150 000  Jahren wurden 1936 durch eine deutsche Expedition unter Leitung von Ludwig Kohl-Larsen am Lake Eyasi, südlich von Laetoli (Abb. 5), geborgen. Weitere Funde aus dem jüngsten Mittel-Pleistozän des östlichen Afrika mit einem Alter

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7. Umdenken

von 200 000 – ​125 000 Jahren stammen z. B. aus Eliye Springs und Guomde (East Turkana, Kenia) und aus den Ngaloba Beds in Laetoli (Tansania) (Abb. 5). Älteste bislang gefundene Repräsentanten aus unserer modernen Urfamilie sind jedoch Schädel- und Unterkieferreste von Jebel Irhud (Marokko) (Abb. 5, 10). Bereits 1961 wurden in der dortigen Baryt-Mine Tierknochen, Steinwerkzeuge und Homininenfossilien gefunden, deren Alter zunächst auf ca. 60 000 Jahre geschätzt wurde. Neue Grabungen seit 2004 durch das Team von Jean-Jacques Hublin erbrachten Schädelreste von insgesamt fünf Individuen, die gleichzeitig dort lebten. Da in den Fundschichten auch durch Feuerstellen gebrannte Flinte vorlagen, konnte 2018 eine Thermoluminiszenz-Datierung durchgeführt werden, die das erstaunlich hohe Alter von 300 000 Jahren für die Funde von Jebel Irhoud ergab. Weitere, allerdings jüngere Funde in Marokko stammen z. B. aus Kebibat und Témara bei Rabat (Abb. 5). Bis zur Neudatierung von Jebel Irhoud waren Skelettfun­ d ­ e aus dem Omo Tal (Kibish) (Abb. 5) mit einem Alter von 195 000 Jahren die ältesten Repräsentanten des Homo sapiens, gefolgt vom «Mann von Herto», dessen Schädel 2003 zusammen mit zwei weiteren modernen Menschen im Afar-Dreieck Äthiopiens gefunden wurde, mit einem Alter von 160 000 Jahren. Auch im südlichen Afrika war der moderne Homo sapiens seit fast 300 000 Jahren verbreitet: Der bereits 1936 gefundene Gesichtsschädel von Florisbad (Abb. 5) konnte inzwischen auf ein Alter von fast 260 000 Jahren datiert werden. Deutlich jünger dürften die zahlreichen, in 40-jähriger Erforschung geborgenen fossilen Zahn-, Schädel- und Skelettelemente von Klasies River Mouth (Abb. 5) sein. Am Ende der Mittleren Steinzeit vor ca. 75 000 Jahren lebten anatomisch moderne Menschen in der Border Cave (Abb 5). Ihre Reste wurden seit 1940 dort gefunden. Sehr frühe Ausbreitungen von Homo sapiens erreichen die Levante. Die ältesten Funde aus der Misliya-Höhle (Abb. 11) sind ca. 190 000 Jahre alt. Seit den 30 er-Jahren wurden zahlreiche Schädel- und Skelettreste früher anatomisch moderner

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Menschen auch aus den Fundstellen Qafzeh (Abb. 10, Tafel 7) und Skhul in Israel geborgen. Insgesamt stellt sich die Fundlage (Abb. 5, 10) für den Ursprung des Homo sapiens in Afrika und seine früheste Ausbreitung in der Levante wie folgt dar: Früher moderner Homo sapiens in Afrika (ca.  300  0 00 – ​160  0 00  Jahre): Jebel Irhoud (Marokko) (Abb. 10), Kabwe (Sambia) (Abb. 10), Florisbad (Südafrika), Eliye Springs (West Turkana, Kenia), ­Laetoli (Tansania), Später moderner Homo sapiens in Afrika (seit etwa 160  0 00 Jahren): Témara (Marokko), Border Cave, Klasies River Mouth (­Südafrika), Herto, Omo  /Kibish (Äthiopien), Eyasi Homo sapiens in der Levante Misliya Cave (ca. 190 000 Jahre), Qafzeh (ca. 95 000 Jahre) (Abb. 10), Skhul (ca. 100 000 Jahre).

Out of Africa II : Biologische Variabilität

Ein Ursprung von Homo sapiens in Afrika wurde sowohl aufgrund von Fossilienfunden als auch durch DNA-Studien nachgewiesen. Ein früher vermuteter multiregionaler Ursprung ist dagegen sehr unwahrscheinlich, wie molekulargenetische Daten vor allem aus DNS-Sequenzen von Mitochondrien (mtDNA) moderner Menschen zeigen. Mitochondriale DNA wird mütterlicherseits vererbt, denn eine weibliche Eizelle ist eine vollständige Zelle, die neben dem Zellkern auch Mitochondrien enthält, während vom männlichen Samen nur der Zellkern an der Verschmelzung beteiligt ist. Daher spiegelt die genetische Variation von mtDNA die Geschichte der Frauen wider und gibt Aufschluss über die «molekulare Eva», also die Frau, auf welche alle heute existierenden mtDNA-Varianten zurückgehen, wenn man den Mutationsprozess zurückverfolgt. Sie muss in Afrika gelebt haben, da in Stammbäumen, die aus den mtDNA-­ Sequenzen erstellt wurden, afrikanische Varianten am nächsten

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7. Umdenken

zur Wurzel zu finden sind. Sequenzvarianten, die außerhalb Afrikas vorkommen, finden sich auch in Afrikanerinnen, während dies umgekehrt nicht der Fall ist. Eine Region im Genom, die sich als Gegenstück zur mtDNA anbietet, ist das Y-Chromosom. Da es ausschließlich vom Vater an die Söhne weitervererbt wird, spiegelt es die Geschichte der Männer wider. Auch die ältesten Linien von Y-Chromosomen basieren auf einem afrikanischen Ursprung. Somit geht auch die Geschichte heute lebender, «moderner» Männer auf afrikanische Vorfahren zurück. Die Entstehung von Homo sapiens in Afrika ist eine verflochtene Geschichte. Die Vorfahren moderner Menschen waren über ganz Afrika verbreitet. Die Eigenschaften, die uns heute definieren, z. B. ein kleines Gesicht, ein markantes Kinn, ein rundlicher Schädel und kleine Zähne, waren damals zwar vorhanden, aber nicht alle in einer Person. Die Kombination von Verhaltensund physischen und kognitiven Eigenschaften, die uns heute definieren, begann sich allmählich aufgrund gelegentlicher Vermischungen dieser verschiedenen Ahnengruppen zu entwickeln. Die Expansion moderner Menschen aus Afrika erreichte vor ca. 200 000 Jahren die Levante, vor ca. 80 000 Jahren die Arabische Halbinsel und spätestens vor ca. 60 000 Jahren Australien. Europa und Asien (Borneo, China) erreichten die frühesten modernen Menschen vor ca. 40 000 Jahren (Abb. 13). Über die Beringstraße gelangten sie wahrscheinlich schon vor 30 000 Jahren entlang der Küste des noch eisbedeckten Nordamerika zunächst nach Südamerika und schließlich vor ca. 12 000 Jahren auch nach Nordamerika. Diese Befunde stimmen sehr gut überein mit Studien über die Ursprünge moderner Sprachen. Der Populationsgenetiker Luigi Luca Cavalli-Sforza stellte evolutionäre Stammbäume auf, die auf genetischen, kulturellen, linguistischen, anthropologischen und archäologischen Daten basieren und die Zugehörigkeit zu zwanzig Sprachfamilien einbeziehen. Die morphologische Einheit von Homo sapiens reicht mindestens 300 000 Jahre zurück, und trotz einiger regionaler Varianten überwiegen die genetischen Übereinstimmungen so deutlich, dass sie jedes Rassekonzept bei Homo sapiens hinfällig machen. Zwar sind allen modernen Menschen spezifische

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Merkmale wie beispielsweise ein hohes Neurocranium, gerundet im Seitenprofil, ein kleines Gesicht unter dem Stirnbein, ein echtes Kinn und eine verlängerte postnatale Wachstumsperiode gemein. Dennoch gibt es biologische Variabilitäten, die sich in geographischen Varianten moderner Menschen wiederfinden. So wurden bei der Ausbreitung in die nördlichen Breiten die dunklen Pigmente (Melanin) in der Haut reduziert. Dies ist leicht erklärbar: UV-Strahlung zerstört die lebensnotwendige Folsäure, aber unterstützt gleichzeitig den Aufbau des ebenso lebensnotwendigen Vitamins D. Um die richtige Balance zu erhalten, entspricht daher die optimale Hautfarbe für bestimmte Lebensbereiche auf der Erde der jeweiligen örtlichen Strahlungsintensität an UVB-Strahlung. Biokulturelle Diversität

Seit 2,5 Mio. Jahren entwickelte die Gattung Homo eine ganz außerordentliche biokulturelle Diversität. Dieses Phänomen ist nur aus dem Zusammenwirken des Menschen mit Umweltfaktoren, wie beispielsweise Lebensraum, Habitat, Nahrung, Konkurrenz oder soziale Umwelt, zu erklären. Die modernen Menschen entstanden vor ca. 15 000 Generationen in Afrika und besiedelten von hier aus die gesamte Erde. Afrika ist Ursprungsort unserer gemeinsamen biologischen, sozialen und kulturellen Evolution und damit auch der Ursprung unserer Wissens- und Wertesysteme. Beispiele für universale biokulturelle Wirkungszusammenhänge bieten etwa die Entwicklung des aufrechten Gangs und unterschiedlicher Hautfarben, die Fertigkeit, das Feuer zu beherrschen und für Kulturtechniken wie das Kochen einzusetzen. Dazu gehören auch die Fähigkeit, vorausschauend zu planen, das Zeitgefühl, die Entwicklung bestimmter Formen der Körperkultur und der Heilkunst. Weiterhin die Nutzung von Pflanzen zur Nahrungserzeugung, die Bereitschaft, Nahrung mit anderen zu teilen, ein Bewusstsein für Verwandtschaftsformen, das Aufkommen und Ausagieren von Aggressionen, Eifersucht, Empfinden für die Attraktivität eines anderen bis hin zum Aus-

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7. Umdenken

leben von Sexualität, die Fähigkeit, Erfindungen zu machen, das Aufkommen des Bestattungswesens, die Fertigung von Schmuck und Kleidung, die Anfänge des Tanzens und ein Bewusstsein für Lebensgeschichte – um nur einige wenige zu nennen. Der Blick auf die Menschheitsgeschichte ändert sich je nach Herkunft und  – daraus resultierend  – dem Weltbild des Forschers wie auch eines jeden anderen Individuums und der jeweiligen Gesellschaften, der sie entstammen. So erklärt sich, dass auch heute noch die paläoanthropologische Erkenntnis des Phänomens «Out of Africa» missbraucht werden kann, und zwar von jenen, die in ihrem Umkehrschluss postulieren, dass eine Weiterentwicklung des Menschen zu sogenannten Hochkulturen eben nur außerhalb Afrikas stattfinden konnte. Jedoch finden sich – trotz der noch sehr spärlichen Fundlage – die Wurzeln kultureller Modernität zunehmend auf dem afrikanischen Kontinent, bis hin zu 80 000 Jahre alten symbolischen Codes, eingeritzt in Ockerstücken aus der Blombos-Höhle (Südafrika) (Abb. 5). Auch in der Border Cave (Südafrika, ca. 75 000 Jahre) entdeckte Conus-Muscheln in einem Kinderbegräbnis und rotes Ocker-Pigment belegen den Ursprung kultureller Modernität in Afrika. Kulturelle Unterschiede heutiger menschlicher Gesellschaften repräsentieren nicht etwa unterschiedliche Entwicklungsstufen. Ihre Vielfalt ist eine Folge komplexer biokultureller Wirkungszusammenhänge, existenzieller Spezialisierungen, historischer Prozesse und autonomer Entscheidungen. Im Laufe der biokulturellen Evolution erweiterte sich die kulturell-historische Dimension der Kognition zunehmends. Mit erweiterten kognitiven Räumen und erhöhtem sozialen Lernen entstanden sowohl Sprache als auch materiell-symbolische Kommunikation. Gab es auch bei Homo erectus und Neandertalern schon kunstvoll gearbeitete Steinwerkzeuge, so gewinnt der künstlerische Ausdruck bei Homo sapiens eine Qualität, die zuvor nicht zu beobachten ist. Möglicherweise gehen symbolhafte Kunst und symbolhafte Sprache auf denselben Ursprung zurück. Spätestens vor 40 000 Jahren ist Höhlenkunst über die gesamte Alte Welt bis nach Sulawesi und Borneo (Indonesien) verbreitet.

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Tierdarstellungen in der Kunst der frühen modernen Menschen zeigen, dass diese hervorragende Naturbeobachter waren. Vor der Kunst entstand bereits die Liebe zum Schmuck. Aus allen Kulturen der jüngeren Steinzeit, z. B. aus Süd- und Nordafrika, sind perforierte Muschelschalen bekannt, die wahrscheinlich als Schmuckanhänger benutzt wurden. Sie wurden durch Umherziehende ins Landesinnere gebracht, genauso wie später neue Ideen, Mythen, Kunst und Musik. Die zunehmende Mobilität des modernen Menschen förderte nicht nur die weite Verbreitung seiner Kultur, sondern auch ihre Einheitlichkeit. In zunehmend rascherer Folge wurde die Werkzeugtechnik stark verändert, so dass verschiedene zeitlich aufeinanderfolgende Typen unterschieden werden können. Das Aurignacién bis vor ca. 31 000 Jahren brachte neben Messern, Schabern und Grabsticheln aus Feuersteinen auch Pfeil und Bogen, Werkzeuge und Waffen aus Holz und Rentiergeweihe hervor. Im Gravettién (31  000  – ​ 22  000 Jahre) wurden lange Feuersteinspeerspitzen an hölzernen Schäften befestigt, im Solutréen (22 000  – ​ 18 000 Jahre) fand die Technik der Feuersteinbearbeitung schließlich ihren Höhepunkt. Aus dem Magdalénien (18 000 – ​11 800 Jahre) stammen nicht nur Speerschleudern von großer Treffsicherheit und Reichweite, sondern auch Kunstobjekte von höchster Eleganz. Die Erfindung der Knochennadel mit einer Öse für dünne Fäden war so erfolgreich wie kein anderes Werkzeug aus dieser Zeit. Seit ca. 40 000 Jahren von Sibirien bis in den Kaukasus verbreitet, konnte mit Nähnadeln komplexe Kleidung hergestellt werden, eine Voraussetzung für die Besiedlung kalter Gebiete. Erst vor wenigen tausend Jahren werden die seit 2,5 Millionen Jahren unübertroffenen Steinwerkzeuge verdrängt: Die Erfindung der Metallbearbeitung führt zu neuen technischen Revolutionen.

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7. Umdenken

Dekonstruktion des Rassismus

Geschichte ist nie macht- und herrschaftsfrei. Macht und Herrschaft während der letzten 600 Jahre wurden zumeist aus den Läufen der Gewehre gesichert, die Kräfte hinter den Gewehren dabei befeuert von Ideologien. Dies gilt für Gewalt­regime wie den Nationalsozialismus ebenso wie für zahlreiche andere totalitäre Systeme und auch für Kolonialstaaten. In ihrer Arroganz negierten die Kolonialherren und ihre intellektuellen Hilfstruppen beispielsweise in Afrika das Geschichtswissen und das historische Bewusstsein zahlreicher autochthoner Bevölkerungen. Zur Etablierung der eigenen Herrschaft wurde in den meisten Fällen die Geschichte sowohl in biologisch-rassistischen wie in kulturell-hierarchisierenden Erklärungszusammenhängen gerechtfertigt oder einfach neu erfunden. Bereits 1758 hatte Carl von Linné in der 10. Auflage seines Werkes «Systemae naturae» Menschen nicht mehr «nur» nach Hautfarben klassifiziert, sondern diese mit Charaktereigenschaften verknüpft. Europäer galten für ihn als scharfsinnig und erfinderisch, Afrikaner dagegen als träge und gleichgültig. Ebenso hatte auch schon Voltaire 1756 eine intellektuelle Unterlegenheit von Menschen mit schwarzer Hautfarbe behauptet, und nur wenig später ersann Immanuel Kant als Erster ein hierarchisches System vermeintlicher Rassen, denen er  – willkürlich und ohne Begründung – jeweils geistige Befähigungen zuordnete. Viele der bis heute berühmten Naturwissenschaftler im 18. Jahrhundert, so etwa Samuel Thomas Soemmerring (1755 – ​ 1830), Georges Cuvier (1769 – ​1832) oder Paul Broca (1824 – ​ 1880), vertraten rassenkundliche Ideen. Mehr als zehn Generationen lang wurde der Rassismus in Europa  – wissenschaftlich untermauert  – konstruiert. So erstaunt nicht, dass er eine der nachhaltigsten Erfindungen moderner Menschen ist. Noch am Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Afrikaner in Zoos und Menagerien ausgestellt und nicht dem wahren Homo sapiens zugeordnet, der nach dieser Deutung nur in Europa entstanden sein konnte. Spätestens seit dem Ende des 20. Jahrhunderts liegen ausreichend paläoanth-

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ropologische, phylogenetische, genetische und paläogenetische Erkenntnisse vor, um die Dekonstruktion des Rassismus in Angriff zu nehmen. Dieser Prozess dürfte zwar einige weitere Generationen in Anspruch nehmen, ist aber aufgrund heutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse unausweichlich. Der Erfolg von Homo sapiens beruht einerseits auf der Ausbildung vieler unterschiedlicher geographischer Varianten, die jede für sich an die herrschenden Umweltverhältnisse angepasst sind. Andererseits war die Weitergabe von biokultureller Information, die Tradierung von Wissen ebenso wie genetischer Austausch zwischen Teilpopulationen eine essentielle Voraussetzung für biokulturelle Innovationen und für die weltweite Ausbreitung moderner Menschen. So belegen etwa populationsgenetische Studien für die Zeit zwischen 15 000 und 11 000 einen intensiven Austausch zwischen Nordafrika, dem Nahen Osten und Subsahara-Afrika. Hingegen ist die gegenwärtig zu beobachtende Abschottung von Wohlstandsregionen der Versuch, einheitliche Lebensbedingungen für Homo sapiens zu verhindern. Dies wird aber langfristig – in vielen Generationen gedacht – nicht erfolgreich sein, da nur die globale biokulturelle Vernetzung weltweit das Überleben moderner Menschen sichern kann, wie es sich in unserer langen Geschichte immer wieder gezeigt hat. Erbe der Menschheit: Geschichte verhandeln

Geschichte geschieht nicht, Geschichte wird gemacht. Das «geschichtslose Afrika» ist eines der Produkte eurozentrischer historischer Forschung und ihrer Methoden. Noch Mitte des 20. Jahrhunderts wurde so in der europäischen Wissenschaft die Geschichte der «Naturvölker» in der Ethnologie, die der «Kulturvölker» in den Geschichtswissenschaften erforscht. Daraus leiteten die europäischen Wissenschaften spätestens im 18. und 19. Jahrhundert die Legitimierung einer weltweiten regelrechten Sammelwut ab, die auf Natur- und Kulturobjekte jeder Art abzielte. Neben Tier- und Pflanzenpräparaten, lebenden Tieren und Pflanzen, Objekten der unbelebten Natur,

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Objekten der Antike, rezenten Gebrauchsgegenständen und sakralen Objekten sowie Fotografien und später auch Filmaufnahmen wurden auch sterbliche Überreste von Menschen aus aller Welt nach Europa verbracht. Selbst vor lebenden Menschen und deren gnadenloser Zurschaustellung machte man nicht halt. Durch Ankauf, Tausch und Diebstahl wurde vordergründig die Welt für Europa «entdeckt», vor allem aber ermöglichten die Sammlungen den Aufbau einer europäischen Deutungshoheit. Letztlich dienten die Sammlungen – und prunkvolle Museumsbauten – hauptsächlich dazu, die vermeintliche europäische Überlegenheit und Vorherrschaft sowohl zu beweisen als auch zu demonstrieren. Noch heute argumentieren viele europäische Institutionen damit, die Herkunftsländer seien zur Aufbewahrung und Erforschung ihres eigenen natürlichen und kulturellen Erbes nicht in der Lage, verwehren unbedacht und haltlos Zugang und Kooperationen und verhindern somit die Aufarbeitung jahrhundertelangen Unrechts. Es ist anzunehmen, dass es sich hierbei nicht selten um Verlustängste handelt, die, wenn auch nicht bewusst, in der Tradition eurozentrischer Machtdemonstration und kolonialen Besitzstrebens stehen. Die Geschichte ererbter Objekte in musealen und universitären Sammlungen kann jedoch nur in Kooperation mit den Gesellschaften aufgearbeitet werden, aus denen die jeweiligen Objekte stammen. So werden auch Entscheidungen über den künftigen Verbleib, die Zugänglichkeit und die Nutzung von Sammlungsobjekten in partnerschaftlichen Dialogen getroffen werden können und ein universales Geschichtsbewusstsein fördern. Die Erkenntnisse der modernen Paläoanthropologie ermöglichen hierbei die Rekonstruktion der vielfältigen, komplexen und verwobenen historischen Prozesse der Menschwerdung. Dadurch können wir zur Rückgewinnung der afrikanischen Geschichte für den afrikanischen Kontinent ebenso beitragen wie zu einer global gleichberechtigten Zukunft für Homo sapiens.

Danksagung

Dank gebührt meinen afrikanischen Freunden, die in langen Jahren der Zusammenarbeit ihr einzigartiges kulturelles Erbe mit mir teilten. George Okello Abungu, Ann Ben-Smith, Yusuf Juwayeyi, Syles Kalilombe, Freda Joy Nkirote M’Mbogori, Meave Leakey, Daniwe Longwe, Judy Maguire, Chimwemwe Mkamanga, Maggie Mkandawire, Bridget Mwale, Raymond Mwenifumbo, Charles Saanane, Christopher Sikazwe, Harrison Simfukwe und Phillip Tobias stehen für alle, die ihre Heimat zu meiner machten. Mit meinen Freunden und Kollegen Tim Bromage, New York, Oliver Sandrock, Darmstadt, und Ottmar Kullmer, Frankfurt, verbindet mich ein ebenso langer Zeitraum erfolgreicher Suche nach den Wurzeln der Menschheit. Ohne die Förderung durch die National Geographic Society, Washington, hätten Projekte nicht entwickelt, ohne die Finanzierung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, Bonn, und die Heidelberger Akademie der Wissenschaften nicht durchgeführt werden können. Dank der finanziellen Unterstützung der EU, der GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit), der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, der Uraha Foundation Germany und des ZIAF (Zentrum für Interdisziplinäre Afrikaforschung der Goethe-Universität Frankfurt) tragen unsere Forschungsergebnisse zur Vermittlung eines neuen Geschichtsverständnisses in Afrika bei. Die Abbildungen dieses Buches verdanke ich A. Marie Rahn (s/w-Zeichnungen) und Rodolfo Nogueira (Farbtafeln). Zum Gelingen dieses Bändchens haben weiterhin beigetragen: Stephanie Anthoni, Angela A. Bruch, Birgit Denkel-­Oswalt, Isabel Eiser, Christine Hemm, Jülide Kubat, Anke Kuper, Stefan von der Lahr, Andrea Morgan, Stefan Schmid, Lisa Schiersch und Christian Weippert. Allen Genannten und vielen Ungenannten gilt mein herzlicher Dank.

Hinweise auf weiterführende Literatur

Übersichtswerke Henke, W., &  Rothe, H. 2015. Menschwerdung. Frankfurt am Main, S. Fischer Verlag.  Johanson, D. C., Edgar, B. & Brill, B. 2006. Lucy und ihre Kinder. Heidelberg, Spektrum Akademischer Verlag. Junker, T. 2009. Die Evolution des Menschen. München, C.H.Beck. Leakey, R. E. 2000. Die ersten Spuren. Über den Ursprung des Menschen, München, Goldmann. Lewin, R., & Foley, R. 2003. Principles of Human Evolution, Malden, Blackwell Publishing. Niemitz, C. 2004: Das Geheimnis des aufrechten Gangs. Unsere Evolution verlief anders. München, Verlag C.H.Beck. Reich, D. 2018: Who We Are and How We Got Here: Ancient DNA and the new science of the human past. Oxford University Press. Schrenk, F.,  &  Bromage, T. G. 2000. Adams Eltern. Expeditionen in die Welt der Frühmenschen. München, C.H.Beck. Schrenk, F., & Müller, S. 2006. Die 101 wichtigsten Fragen. Urzeit, München, C.H.Beck. Tattersall, I. 2015. The Strange Case of the Rickety Cossack. and Other Cautionary Tales from Human Evolution. Basingstoke, Palgrave Macmillan Ursprung der Homininen Dart, R. A. 1925. Australopithecus africanus: the man-ape of South Africa. – Nature 115: 195 – ​199 (Entdeckung des Taung-Babys). Johanson, D. C., & Edey, M. A. 1981. Lucy: the beginnings of humankind. New York, Simon and Schuster, (Entdeckung und Interpretation von Australopithecus afarensis) Deutsche Ausgabe: Lucy. Die Anfänge der Menschheit. München/Zürich, Piper, 1994. Leakey, L. S. B. 1959. A new fossil skull from Olduvai. Nature 184: 491 – ​ 493 (Entdeckung des Zinjanthropus boisei). Leakey, M. D., & Hay, R. L. 1979. Pliocene footprints in the Laetoli Beds, northern Tanzania. – Nature 278: 317 – ​323 (Entdeckung der Fußabdrücke von Laetoli).

Hinweise auf weiterführende Literatur

123

Ursprung und Evolution der Gattung Homo Berger, L., & Hawks, J. 2017. Almost Human. The Astonishing Tale of Homo naledi and the Discovery That Changed Our Human Story. National Geographic. Foley, R. 2003: Menschen vor Homo sapiens. Wie und warum unsere Art sich durchsetzte. Stuttgart, Jan Thorbecke Verlag Johanson, D., & Shreeve, J. 1989. Lucys Kind. München, Zürich. [Originaltitel: Lucy’s Child. New York (William Morrow)], (Entdeckung von OH 62). Leakey, L. S. B., Tobias, P. V., & Napier J. R. 1964. A new species of the genus Homo from Olduvai Gorge. – Nature 202: 7 – ​10 (erste Beschreibung von Homo habilis). Leakey R. E., & Walker A. C. 1985. Homo erectus unearthed. – National Geographic 168(5): 624 – ​629. (Entdeckung des Turkana Boys) Wood, B. A. 1992. Origin and evolution of the genus Homo. – Nature 355: 783 – ​790. (Übersichtsartikel zu Homo habilis /Homo rudolfensis) Biokulturelle Evolution: Neandertaler und Homo sapiens Arsuaga, J. L. 2003: Der Schmuck des Neandertalers. Hamburg, Europa Verlag Müller-Beck, H. 2005. Die Eiszeiten. Naturgeschichte und Menschheitsgeschichte, München, C.H.Beck. Schmitz, R.,  W., & Thissen, J. 2002. Neandertal. Die Geschichte geht weiter. Heidelberg, Spektrum Akademischer Verlag. Schrenk,  F., & Müller, S., 2010. Die Neandertaler. München, C.H.Beck. Schrenk, F., Kuper, A., Rahn, M., Eiser, I., Menschen in Sammlungen. Geschichte verpflichtet: Sensible Dinge in Museen und universitären Sammlungen. In: Nicht nur Raubkunst – Sensible Dinge in Museen und universitären Sammlungen, hrsg. v. Brandstetter, AM & Hierholzer V. S. 45 – ​62. Mainz University Press. Stringer, C. B. 2012. Lone Survivors. How We Came to Be the Only Hu­ mans on Earth. Times Books. Cavalli-Sforza, L. L. et al. 1994. Verschieden und doch gleich. Ein Genetiker entzieht dem Rassismus die Grundlage. München, Droemer Knaur. Cavalli-Sforza, L. L. 1999. Gene, Völker und Sprachen. Die biologischen Grundlagen unserer Zivilisation. München, Hanser. Lewens, T. 2015. Cultural Evolution. Oxford University Press. Harari, Y. N. 2014. Eine kurze Geschichte der Menschheit. München, Pantheon. Henrich, J. 2016. The Secret of our Success. Princeton University Press. Laland, K. N. 2017. Darwin’s unfinished symphony. – How Culture made the Human Mind. Princeton University Press.

Register

Academia Sinica, Beijing 79 Acheuléen 79, 82 f., 92 f., 106 Ägypten (Fayum) 30 Äthiopien (Fundstellen) 36 f., 43, 45 ff., 49, 53. 61, 66 ff. 83, 85, 98, 102, 112 f. Afrikanisches Rift 12, 33, 35, 46 f., 50, 56, 70 f. Aktualismusprinzip 24 Alemseged, Zeresenay 46 Alexeev, Valerii 67 Algerien (Fundstellen) 98, 102 Altersbestimmung 11, 13 ff. Anthropoidea 29 Anthropozän 15, 16 Arambourg, Camille 98 Ardipithecus 37 f., 53 – kadabba 36 f. – ramidus 36, 38, 48 Arsuaga, Juan-Louis 80, 124 Artefakte 11, 54, 68, 111 (vgl. Werkzeuge) Asfaw, Berhane 37 Atapuerca, Spanien 80, 83, 85, 95, 99, 101 f. Aufrechter Gang 10, 115, 33, 35 ff., 40 f., 43, 49 f., 55, 65, 76, 97, 110 Australopithecus 17, 37, 41, 54 f., 57, 64, 66, 71 f., 84 – afarensis 37 f., 41, 43, 45 ff., 55 f., 60, 62, 71 – africanus 8, 40 ff., 47, 52, 54 ff., 70 f. – anamensis 44 f., 47 ff., 52 f., – bahrelgazali 46 f., 50, 53, 56 – deyiremeda 46 ff., 51 – garhi 46 f., 53 – prometheus 42 – sediba 42, 47, 58 f., 70

Backenzähne (Molaren) 15, 28 f., 31, 37, 48 f., 52, 52 f., 55, 60 ff., 91, 97, 102, 104 Berger, Lee 42 Bestattungen 108, 116 Biostratonomie 16 biokulturelle Diversität 74, 109, 115 ff. biokulturelle Evolution 71 ff., 111, 119 Black, Davidson 78 Boise, Charles 61 Brachiation 30 f. Broom, Robert 41, 81 Brunet, Michel 37, 46 China (Fundstellen) 77 ff., 83, 85, 95 f., 96, 103, 114 Clarke, Ron 41, 66 Computertomographie 21 Coppens, Yves 43, 45, 65, 82 Cuvier, George 26, 51, 118 Dart, Raymond 40 ff., 54, 58 Darwin, Charles 26, 40, 75, 100 Datierung 11, 13 ff., 77, 109, 112 Denisova-Höhle 102 Denisova-Menschen 23, 95, 102 ff., 109 Deutschland (Fundstellen) 31, 79 f., 83, 85, 93, 99 ff. Diagnese 16 ff. Dikika 46 f. Dmanisi, Georgien 80 ff., 85, 94, 99, Tafel 3 DNA 22 f., 103, 109, 113 – a DNA 23 – e DNA 23

Register – mtDNA 23, 103, 113 f. Dubois, Eugène 76 f. East Turkana (Rudolf) 12, 35, 38, 44, 48, 65, 67, 82, 85, 112 f. Eckzähne (Canini) 28, 29, 36 f., 40, 48 f., 52, 55, 61 England (Fundstellen) 75, 80, 83, 85, 102 Eozän 15, 28 f. Evolutionstheorie 9, 26 Europa (Fundstellen) 31 f., 75, 79 ff., 83 ff., 95 f., 99 ff., 103 ff., Expansionen 10, 23, 31 ff., 56, 58, 62, 71, 74, 81, 85, 94 f., 103, 110, 114, 128 (vgl. Wanderungen) Felsbilder (Höhlenkunst) 116 Feuer 42, 58, 81, 90 f., 93 f., 105 f., 112, 115, 117 Foramen magnum 37, 40, 88 Fuhlrott, Johann Carl 100 Gebiss 28, 30, 37, 51 ff., 55, 67, 91, 103 Gehirn  89 f., Genetik 22 f., 103, 109, 113 f. Geochemie 22 f. Geschichte 17, 19, 22 ff., 33, 41, 75 ff., 107, 111 ff., 114 f., 118 ff., Gibraltar 85, 95, 99 ff. Goethe, Johann Wolfgang v. 26 Goodall, Jane 58 Grube Messel 28 Haberer, Karl 77 Habitat 17 ff., 33, 35, 36, 50, 52, 62 f., 68 ff., 115 (vgl. Lebensraum) Haeckel, Ernst 75 f. Haplorhini, 27 f. Hartgewebe 17, 19, 21, 25 Hautfarbe 115, 118 Heidelberger Akademie der Wissenschaften 74

125

Hominid Corridor Research Project (HCRP) 66 Homo 17, 44, 53 f., 59, 63 ff., 66, 68 f., 71 f., 76, 79, 85, 88, 115 – antecessor 80, 83, 85, 95, 103 – erectus 20, 25, 35, 38 f., 56, 63 ff., 70, 75, 77 ff., 81 ff., 88 ff., 97 ff., 116 – ergaster 35, 38 f., 56, 82 f., 85, 89 – floresiensis 83 ff., 97, 107 – georgicus 81, 85, Tafel 3 – habilis 56, 58, 64 ff., 70 ff., 81 f. – heidelbergensis 79 f., 83 ff., 96, 99, Tafel 5 – naledi 83 f., 96 f. – neanderthalensis 38 f., 80, 85, 102 f., 105 ff., Tafel 5 – rhodesiensis 85, 101 – rudolfensis 12, 45, 47, 51, 54, 56, 66 ff., 81, 84 f., Tafel 2 – sapiens 17, 19, 35, 56, 66, 71, 73 f., 85, 89, 91 ff., 96, 98 f., 102 ff., 109, 111 ff., 118 f. – steinheimensis 85, 101 ff. Howell, F. Clark 43, 93 Human Paleobiomics 17 ff. International Omo Research Expedition 43 Indien 76, 79, 83 Indonesien (Fundstellen) 20, 76 ff., 83, 85, 97, 1097, 116, Tafel 4 Isotopie 13 f., 23 f. Israel (Fundstellen) 39, 83, 85, 99, 101 f., 109, 112 f., Tafel 7 Jagd 57, 72, 81, 93 ff., 110, Java (Indonesien) 20, 75 ff.,79, 83, 85, Tafel 4 Johanson, Donald 45 Kabwe (Sambia) 35, 85, 98, 113 Kenia (Fundstellen) 20, 31, 36, 37 ff., 43 f., 47, 54, 65 ff., 82 ff., 94, 112 f.

126

Register

Kenyanthropus 44 – platyops 47, 54 Kitching, James 42 Klima 16 ff., 27, 33, 36, 42, 51 f. 55 ff., 62 f., 68 f., 94 f., 104 ff., 110 Kochen 90 f., 115 Koenigswald, Gustav H. R.  v. 20, 77 Tafel 1 Kohl-Larsen, Ludwig 43, 111 Koobi Fora, Kenia 35, 44, 47, 65 ff., 73, 82 f., 89, 94 Korrelationsprinzip 24 Kromdraai 35 , 31, 44 kulturelles Verhalten 10, 19, 25, 49, 61, 68 ff., 79, 90, 95 f., 109, 111, 114 f., 119 f. Laetoli, Tansania 35, 43, 47, 49 f., 55, 111 ff. Leakey – Louis 42 ff., 61, 64, 82 – Mary 42 ff., 82 – Meave 44, 54 – Richard 44, 65, 82 Lebensraum 17 ff., 24, 27, 29, 31, 37, 39, 46, 48, 51, 56, 59, 62, 68 ff., 74, 94 ff., 104, 110, 115 (vgl. Habitat) Lernen 25, 68, 105, 116 Levante 85, 94 f., 109, 112 f., 114, Tafel 7 Life History (Lebensgeschichte) 19, 24 f., 33 «Little Foot» 41 Lomekwi 35, 44 f., 47, 60, 68 Lomekwian 45, 92 Makapansgat, Südafrika 35, 42, 47, 57 f. Makuyuni, Tansania 35, 83 f. Malawi 35, 46 f., 56, 61, 66, 70 Malema, Malawi 35, 46 f., 61, 85 Mammut 105 ff. Marokko (Fundstellen) 85, 98 ff., 102, 112 f.

Masao, Fidelis 43 Meganthropus 43, 77 Menschenaffen 10, 25, 27, 30 ff., 40 f., 48 ff., 55, 67, 72, 75 f., 88, 91 f. Merck, Johann Heinrich 26 Middle Awash Research Project 37, 43 Miozän 15 f., 31, 33 f. 36, 44, 48 MPFT (Mission Paléoanthropologique Franco Tchadienne) 37 Moustérien 106, 109 Musik 69, 108, 117 Nähnadel 117 Nahrung 22, 24 f., 28 ff., 33 ff., 41 f., 48 ff., 57, 60, 62 f., 68 ff., 90 ff., 106 f., Neandertaler (vgl. Homo neander­ thalensis) 23, 80, 88, 96, 98 ff., 116, Tafel 5, Tafel 6 Neogen 15 Ocker 108, 116 Oldowan 64, 68, 82, 92 (vgl. ­Pebble tools) Olduvai Gorge, Tansania 20, 35, 42 f., 47, 61, 64 f. f., 73, 82 ff., 98 Oligozän 15, 29 Olorgesailie 35, 83 Omo, Äthiopien 43 Ontogenese 24, 88 Oreopithecus 33 Orrorin tugenensis 36 f. Osteodontokeratische Kultur 58 Paläogen 15 Paläoökologie 10, 17 f., 68, 71, 74 Paleozän 15, 27 Paranthropus 41, 47 f., 59, – aethiopicus 43 ff., 47, 60 ff. – boisei 43, 46 f., 61 f., 71, – robustus 41, 47, 56, 61 ff., 71 Pebble tools 54, 68 f., 79, 92 (vgl. Oldowan)

Register Pei, W. Ch. 78 Pflanzennahrung 28, 34, 41, 48 ff., 52, 60, 62 f., 90 ff., 97, 107, 115 Phyolgenese 24 (vgl. Stammesgeschichte) Pierolapithecus catalaunicus 31 f. Piltdown 75 Pithecanthropus 64, 67, 76 f. Plio-Pleistozän 15 f., 20, 80, 95 f., 99, 103, 111 Proconsul 31 Prognathie 36, 53, 55 Rassismus 118 ff. Regenwald 29, 33 f., 36, 49, 57 Robinson, John T. 81 ROCEEH (Role of Culture in Early Expansions of Humans) 74 Sahelanthropus tchadensis 36 f., 46 Sambia 85, 98, 113 Sangiran 20, 77, 83, 85, Tafel 4 Savannen 29, 33 f., 48 f., 52, 56, 62, 91, Schlosser, Max 78 Schneidezähne (Incisivi) 28, 80, 104 Schoetensack, Otto 79 Senckenberg Forschungsinstitut 20, Tafel 1 Sexualdimorphismus 72 Sinanthropus 78, 83, 85 Sozialverhalten 9, 25, 28 f., 49, 58, 72, 74, 94, 97, 110, 115 f. Sprache 9, 72, 76, 89 f., 105, 108, 114, 116 Sterkfontein 35, 41, 47, 55, 57, 67 Stammesgeschichte 9, 10, 24 (vgl. Phylogense) Stratigraphie 13 ff. Strepsirhini 27 ff. Südafrika (Fundstellen) 8, 12, 20, 25, 35, 40 ff., 44, 47, 55, 57 f., 65, 67, 81, 83 f., 94, 96 f., 98, 102, 113, 116

127

Suwa, Gen 37 Systematik 25 f. (vgl. Taxonomie) Swartkrans 35, 65, 81, 83, 94 Taphonomie 16 f., 58 Tansania (Fundstellen) 20, 41 f., 47, 61, 67, 82 ff., 102, 112 f. Taung-Baby 8, 35, 40, 47, 54 f., 58, 98, Taxonomie 25 (vgl. Systematik) Tchadanthropus 82 Tobias, Phillip 8, 41, 72 Tradierung 51, 90, 108, 119 Trinil 76 f., 83, Tschad 36 f., 46 f., 50, 53, 65, 81, 83 Turkana Boy 38 f., 82, 88 f. Uraha, Malawi 34, 66 f., 85, Tafel 2 Vegetation 11, 17 f., 48, 62, 70, 94, 105 Vietnam 79, 83 Virchow, Rudolf 100 Wachstum 19, 23 ff., 84 f., 88, 97, 115 Wanderungen 23, 33, 55, 70, 94, 110 (vgl. Expansionen) Weidenreich, Franz 78 Werkzeuge 16, 42, 44, 49, 53, 61 ff., 68 ff. 74, 77, 79 f., 82 f., 90 ff., 100, 106, 109 f. (vgl. Artefakte) Werner-Reimers-Stiftung Tafel 1 West Turkana 38 f., 44, 54, 60, 68, 82, 85, 88 White, Tim 37, 65 Xuchang-Menschen 102 f. Zahnschmelz 22, 24 f., 37 f., 48, 51 ff., 106 Zhoukoudian 78, 83, 87 Zinjanthropus43, 61, 64, 82

Abb. 13: Expansionen aus Afrika (Zeichnungen: Christine Hemm) oben: Out of Africa I seit ca. 2 Millionen Jahren unten Out of Africa II seit ca. 250 000 Jahren

Homo floresiensis

Homo neanderthalensis Homo heidelbergensis

Homo sapiens

Homo naledi

- 0.5

archaischer Homo sapiens Paranthropus boisei

Homo ergaster

Homo erectus

-2

Homo habilis

Homo rudolfensis

Paranthropus aethiopicus

Australopithecus garhi Kenyanthropus platyops

-3

Australopithecus bahrelgazali

Australopithecus afarensis Australopithecus anamensis

Europa / Südostasien westliches Afrika südliches Afrika östliches Afrika tropisches Afrika

- 2.5

- 3.5

Australopithecus deyiremeda

Afrika & außerhalb Afrikas

-1 - 1.5

A. sediba Australopithecus africanus

Paranthropus robustus

Ma -0

-4 - 4.5

Ardipithecus ramidus

Ardipithecus kadabba Sahelanthropus tchadensis Orrorin tugenensis

Abb. 1: Chronologie früher Homininen auf biogeographischer Grundlage (Zeichnungen: A. Marie Rahn, Christine Hemm)

-5 - 5.5 -6

Taf. 1: Gustav Heinrich Ralph von Koenigswald-Sammlung früher Homininen aus Sangiran, Java, Indonesien im Senckenberg Forschungsinstitut, Frankfurt am Main (ca. 1,5 bis 0,8 Millionen Jahre alt), Dauerleihgabe der Werner-Reimers-Stiftung, Bad Homburg (vgl. S. 77) (Foto: Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung)

auf den folgenden Seiten: Taf.  2 – ​7: Rekonstruktionen früher Homininen und ihrer Lebensräume, (Zeichnungen: Rodolfo Nogueira)

Taf. 2: Homo rudolfensis-Familie vor ca. 2,5 Millionen Jahren im ­ stafrikanischen Grabensystem, Savannen-Vegetation, omnivore Ernäho rung mit Dinotherien, im Hintergrund Vorfahren von Gnu, Warzenschwein und Pferd (Fundstellendaten: Uraha, Malawi) (vgl. S. 66)

Taf. 3: Homo georgicus vor ca. 1,8 Millionen Jahren im Südkaukasus, ­Wälder und Galeriewälder, omnivore Ernährung, mit Hyänen, Säbelzahnkatzen, Kurzhalsgiraffen und Südelefanten, im Hintergrund Vulkan­ ausbruch (Fundstellendaten: Dmanisi, Georgien) (vgl. S. 95)

Taf. 4: Homo erectus vor ca. 1,5 Millionen Jahren in Südostasien bei der Jagd auf Wasserbüffel in Sumpfgebieten, (Fundstellendaten: Sangiran, Java, Indonesien) (vgl. S. 77)

Taf. 5: Warm- und Kaltzeiten im Pleistozän Europas links: Homo heidelbergensis vor ca. 600 000 Jahren in Mitteleuropa, ­Waldvegetation, Jagd auf Waldelefanten (Daten aus der Cromer-Warmzeit) (vgl. S. 96) rechts: Homo neanderthalensis vor ca. 50 000 Jahren in Mitteleuropa, ­Steppenvegetation, Jagd auf Wollhaarmammut (Daten aus der Weichsel-Kaltzeit) (vgl. S. 105)

Taf. 6: Letzte Neandertaler vor ca. 25 000 Jahren an der Küste ­Südwesteuropas, Ernährung von Pflanzen und Meerestieren (Fundstellendaten: Gibraltar) (vgl. S. 100)

Taf. 7: Homo sapiens vor ca. 100 000 Jahren in der Levante, jagt mit Pfeil und Bogen Hirsche, im Hintergrund Auerochsen, im Vordergrund Höhlenmalerei (Fundstellendaten: Qafzeh-Höhle, Israel) (vgl. S. 112)

Taf. 8: Familienbild: Die ersten 7 Millionen Jahre, Rekonstruktionen früher Homininen. unten links: Sahelanthropus tchadensis, mittlere Reihe von links: Australopithecus africanus, Homo erectus, Homo habilis, Australopithecus anamensis, Homo rudolfensis, obere Reihe von links: Australopithecus afarensis, Paranthropus robustus, Kenyanthropus platyops, Homo neanderthalensis (Rekonstruktionen: WildeLife Art Wolfgang Schnaubelt und Nina Kieser für Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Foto: Thomas Ernsting, Wolfgang Fuhrmann, Fotomontage)