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German Pages 240 [241] Year 1971
DEUTSCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN INSTITUT FÜR ORIENTFORSCHUNG VERÖFFENTLICHUNG Nr. 68
DAGMAR ANSARI
DIE FRAU IM MODERNEN HINDI-ROMAN NACH 1947 Mit einer Zusammenfassung in englischer Sprache: Women's Problems in the Hindi Novel after 1947
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1970
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Copyright 1970 by Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 • 100/72/70 Herstellung: IV/2/14 VEB Werkdruck, 445 Grfifenhainiehen • 3259 Bestellnummer: 2013/68 • ES 7 L + 5 C 2 38-
Inhaltsverzeichnis B e m e r k u n g e n zur Transkription 1. Z u m T h e m a
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2. Z u m S t a n d der Forschung
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3. Ü b e r die P r o b l e m a t i k der F r a u in I n d i e n n a c h 1947
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3. 1 E i n Überblick über die Reformbewegungen v o n 1820 bis 1947 3. 2 D a s J a h r 1947 3. 3 Die indische F r a u in der Familie 3. 4 Frauenorganisationen 3. 5 Die indische F r a u vor d e m Gesetz 3. 6 Bildung der Mädchen u n d F r a u e n 3. 7 Die berufstätige F r a u in I n d i e n 3. 8 Einige zusammenfassende B e m e r k u n g e n
19 22 23 30 34 42 46 53
4. Ü b e r Frauenprobleme in der Hindi-Prosa vor 1947
56
5. Frauenprobleme in H i n d i - R o m a n e n n a c h 1947
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5. 1 A b l e h n u n g der modernen emanzipierten F r a u 5. 1. 1 5.1.2 5.1.3 5. 1. 4 5. 1. 5 5. 1. 6 5. 1. 7 5. 1. 8 5. 1. 9 5. 1. 10 5. 1. 11 5. 1. 12
G u r u d a t t , „ F r e i h e i t s s c h e n k u n g " (1949) G u r u d a t t , „ B e t r u g " (1958) G u r u d a t t , „ D e r F o r t s c h r i t t l i c h e " (1962) Y a j n a d a t t Sarmä, „Die B u ß e " S. H . V. A j n e y , „Inseln im F l u ß " (1951) S. H . V. A j n e y , „Eigene F r e m d e " (1961) J a i n e n d r a k u m ä r , „ S u k h a d ä " (1952) J a i n e n d r a k u m ä r , „Die V e r g a n g e n h e i t " (1952) . . . J a i n e n d r a k u m ä r , „Die W e n d u n g " (1953) J a i n e n d r a k u m ä r , „ J a y v a r d h a n " (1956) S a t y a k ä m Vidyälankär, „ M u k t ä " Mohan R ä k e l , „ D u n k l e verschlossene Z i m m e r " (1961) 5. 1. 13 B h a g a v a t i c a r a n V a r m ä , „Vergessene B i l d e r " (1959) 5. 1. 14 B h a g a v a t i c a r a n V a r m ä , „ R e k h ä " (1964) 5. 1. 15 Zusammenfassende B e m e r k u n g e n
60 60 62 67 71 73 79 80 82 83 84 86 89 96 100 104
Inhaltsverzeichnis
4 5. 2 F ü r die Befreiung der F r a u 5. 5. 5. 5.
2. 2. 2. 2.
1 2 3 4
5. 2. 5 5. 2. 6 5. 2. 7 5.2.8 5. 2. 9 5. 2. 10 5. 2. 11 5. 2. 12 5. 2. 13 5. 2. 14 5. 2. 15
R ä m K u m ä r , „Die R ü c k k e h r " (1962) I l ä c a n d r a J o l i , „ D e r Schiffsvogel" R ä n g e y R ä g h a v , „Der Onkel" (1963) A m r t l ä l N ä g a r , „ E i n Tropfen u n d der O z e a n " (1956) P h a n i s v a r n ä t h R e n u , „ E i n schmutziges G e w a n d " (1954) U p e n d r a n ä t h Aäk, „Die Mauern s t ü r z e n " (1947) . . U p e n d r a n ä t h Aök, „ H e i ß e Asche" (1952) . . . . U p e n d r a n ä t h ASk, „Große A u g e n " (1954) . . . . N ä g ä r j u n , „ R a t i n ä t h s T a n t e " (1948) N ä g ä r j u n , „ N e u e Generation" (1953) Nägärjun, „Dukhmocan" N ä g ä r j u n , „Die Söhne des W a s s e r g o t t e s " (1957) . Nägärjun, „Campä" N ä g ä r j u n , „ U g r t ä r ä " (1963) Zusammenfassende B e m e r k u n g e n
106 108 111 113 121 124 129 132 133 135 137 138 139 142 144
5. 3 F ü r die F r a u m i t eigener Persönlichkeit u n d T ä t i g k e i t 5. 3. 1
S i v n ä r ä y a n Srivästav, „ R a u c h , F e u e r u n d Mensch" (1958) R ä j e n d r a Y ä d a v , „ E n t w u r z e l t e Menschen" (1956) . R ä j e n d r a Y ä d a v , „ E i n e u n t r e u e F r a u " (1958) . . . R ä j e n d r a Y ä d a v , „Schach u n d M a t t " (1959) . . . R ä j e n d r a Y ä d a v , „ D e r ganze H i m m e l " A m j t R ä y , „ D e r S a m e " (1953) YaSpäl, „Menschliche G e s t a l t e n " (1949) Yaäpäl, „Lügnerische W a h r h e i t " (1958/1960) . . . Zusammenfassende B e m e r k u n g e n
146 151 155 160 162 168 177 183 196
6. Z u einigen indischen Darstellungen der T h e m a t i k der F r a u in Hindi-Romanen
199
7. Einige Schlußfolgerungen
208
8. W o m e n ' s P r o b l e m s in t h e H i n d i Novel a f t e r 1947
226
5. 3. 2 5. 3. 3 5. 3. 4 5. 3. 5 5. 3. 6 5.3.7 5. 3. 8 6. 3. 9
Bemerkungen zur Transkription Bei der Schreibweise der indischen Personennamen und Titel wird in der Regel die wissenschaftliche Transkription eingehalten: Lange V o k a l e werden durch waagerechte Striche (ö) gekennzeichnet, N a s a l e durch Tilden (ü); r wird wie ri ausgesprochen. Zur Aussprache einiger K o n s o n a n t e n : ¡3, f wie sch, t, th, d, dh, n, r, rh mit zurückgebogener Zungenspitze, j wie dach, c wie tsch, Jeh wie ch, v wie w.
Auf Vorschlag des Verlages wird bei bekannteren geographischen Namen die geläufige deutsche Schreibweise (Bombay, Kadschasthan), bei den Titeln englischer Bücher und in Zitaten daraus die englische Schreibweise eingehalten.
1. Zum Thema Um die heutige Lage in den Entwicklungsländern verstehen und erläutern zu können, bedarf es der Erforschung und Interpretation der Literaturen dieser Länder. Sind auch die Beziehungen zwischen der ökonomischen Basis der Gesellschaft und dem literarischen Schaffen sehr mittelbar, so kann doch die Literatur immer nur das zeigen, was in der gesellschaftlichen Wirklichkeit vor sich geht. Letztlich spiegelt die Literatur als Ganzes die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Zeit wider. Quelle der Literatur ist die Wirklichkeit. So ergibt sich aus der ökonomischen, politischen und sozialen Lage des Landes auch die Thematik der Literaturen Indiens, z. B.: die Problematik des Dorfes, des Kleinbürgertums, der Intelligenz, die Rolle der politischen Parteien, die Problematik der Frau, der sozialen und religiösen Vorurteile und des Kampfes hiergegen. Diese und andere aktuelle Probleme sind als Themen lebendig und finden in der Literatur häufig ihren Niederschlag. Andererseits sehen wir in der Literatur nicht nur eine besondere Form der Widerspiegelung und ein Mittel zur Erkenntnis gesellschaftlicher Erscheinungen, Beziehungen und Prozesse, sondern auch ein wirksames Mittel zur revolutionären Umgestaltung des Lebens. Die Literatur vermag aus der Gegenwartsproblematik besonders aktuelle Fragen herauszugreifen, selbst Initiative zu entwickeln, entsprechend ihrer weltanschaulichen Einstellung und Klarheit falsches Denken zu kritisieren und viele neue Fragen des Gefühlslebens zu formulieren. Ein literarisches Werk wendet sich aber auch an die intellektuelle Seite des Menschen, vorwiegend bei der Betrachtung ethischer Fragen des einzelnen und der Zeit. Durch diese Aktivität wird die Literatur zu einer wichtigen gesellschaftlichen Kraft. Sie schafft neue geistige und soziale Bedürfnisse, sie kultiviert das Verantwortungsgefühl des Menschen und hilft, tiefer und genauer die Umwelt zu erkennen. Allerdings sind bei dem hohen Grade des Analphabetentums in Indien 1 die literarischen Werke zur Zeit nur Intellektuellen und gebildeten Schichten zugänglich. 1
1961 konnten von 1000 Männern 339 lesen und schreiben, von 1000 Frauen nur 128: Statistical Abstract of the Indian Union 1961, Government of India, Delhi, S. 651.
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Zum Thema
I n allen neuindischen Literaturen gibt es mehr oder weniger gelungene Versuche, sich möglichst mit allen Problemen der Gegenwart auseinanderzusetzen. Bemerkenswert ist, daß eine bestimmte Problematik immer wieder auftaucht und sehr viele Autoren dazu Stellung nehmen. Das betrifft vor allem die Beziehungen zwischen Mann und Frau, Liebe und Ehe sowie die gesellschaftliche Stellung der Frau. Das ist nur verständlich. Jahrtausendelang bestimmte die hinduistische Tradition, daß „die Frauen Tag und Nacht von ihren Männern in Unterordnung gehalten werden sollen". 2 Auch der Koran legte die Stellung der Muslim-Frau wie folgt fest: „Die Männer sind den Weibern überlegen . . . Die rechtschaffenen Frauen sind gehorsam. . , " 3 Infolge der eigenartigen, durch die Jahrhunderte kolonialer Unterdrückung gehemmten historischen Entwicklung verlaufen in Indien verschiedene geschichtliche Prozesse parallel. Viele Traditionen vorkapitalistischer Gesellschaftsordnungen haben sich bis auf den heutigen Tag erhalten. Aus diesem Nebeneinanderbestehen des Alten und des Neuen resultieren Gegensatz und Widerspruch. Nicht ohne Grund wird oft behauptet, Indien sei ein Land der Gegensätze. Die Lage der Frau, so häufig Gegenstand der Literatur, ist gerade auf dem hindisprachigen Gebiet, das heißt in größten Teilen Nordindiens und Zentralindiens (Uttar Pradesch, Radschasthan, Madhya Pradesch und Bihar), besonders widerspruchsvoll. Das Aufeinandertreffen der islamischen und der altindischen Tradition führte hier zu einer doppelten Fesselung der Frau. Unter dem islamischen Einfluß hatte sich der Brauch der Abgeschlossenheit der Frau, das sogenannte Parda-System, eingelebt. Noch am Anfang des 20. Jahrhunderts wetteiferten die orthodoxen Hindus und Muslims um die gründlichste Abgeschlossenheit ihrer Frauen von der Umwelt. Gerade in hindisprachigen Gebieten haben sich, bedingt durch eine spätere Industrialisierung, besonders viele feudale Traditionen am Leben erhalten. Andererseits ist nach dem J a h r e 1947 auch hier die Entwicklung zum Kapitalismus nicht mehr zu übersehen. Auch die Hauptstadt Delhi, eines der Zentren der Frauenemanzipation und der Bildung in Indien, liegt im hindisprachigen Gebiet. Zu den tiefsten, aber auch schmerzvollsten Kontrasten Indiens gehört ein so krasser Gegensatz wie der zwischen einer energischen Frau als Minister, einer politischen Funktionärin oder einer selbstbewußten Künstlerin einerseits und einer herzensguten, von Natur aus intelligenten, aber total unterdrückten Hausfrau andererseits, die, von Kopf bis F u ß verschleiert, einige Schritte hinter ihrem Mann schüchtern die Straße entlang geht. Selbstverständlich kann kein Dichter dieser Problematik gegenüber ganz gleichgültig bleiben. Wir brauchen nur zu bedenken, daß im Mittelpunkt der literarischen Gestaltung der gesellschaftliche Mensch mit all seinen geistigen und körperlichen Fähigkeiten steht. I n Gestalt 2 3
A. Loiseleur-Deslongchamps, Mänava-dharma-sästra, I X 2, Bd. I., Paris 1829, S. 213. Der Koran, übertragen von Max Henning, Leipzig 1901, vierte Sure, Vers 38, S. 106.
Zum Thema
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der indischen Frau stehen vor dem Schriftsteller lebende Menschen mit Gedanken und Gefühlen, mit Freuden und Leiden, denen die tausendjährige Tradition das Recht vorenthält, vollwertige Menschen zu sein. 4 Die meisten indischen Schriftsteller fassen die Frage, wie weit die Frau ihr Recht auf selbständiges Fühlen, Denken und Handeln durchgesetzt hat, als eine wesentliche Seite des Lebens auf. Allerdings enthält auch die Widerspiegelung der Lage der Frau — wie jede künstlerische Darstellung des Lebens — immer ein subjektives Moment, wobei die Weltanschauung des jeweiligen Verfassers von außerordentlicher Bedeutung ist. Die vorliegende Untersuchung soll ein Beitrag zur Geschichte der indischen Ideologien sein, in dem die Romanliteratur unter dem Gesichtspunkt betrachtet wird, wie sie die Lage der Frau widerspiegelt und welche Rückwirkung sie auf das Bewußtsein der Menschen hat. Der Analyse der Romane geht eine kurze Darstellung der Frauenproblematik Indiens nach 1947, besonders der fortschrittlichen Frauenbewegung, voraus, die zum Verständnis der Wechselwirkung von gesellschaftlicher Realität und Literatur beitragen mag. Da an Material zu diesen Fragen außerordentlich schwer heranzukommen ist, darf eine vollständige Behandlung dieses Fragenkomplexes nicht erwartet werden. Ein großer Teil der benutzten Materialien wurde durch die außerordentliche Hilfsbereitschaft der indischen Vertreterin in der Internationalen Demokratischen Frauenföderation in Berlin, Frau Bani Das Gupta, zugänglich. Trotz des Bemühens, die zu behandelnde Problematik in ihrer ganzen Vielfalt zu erfassen und ein möglichst vollständiges Bild über die Thematik Frau in der Hindi-Romanliteratur zu bieten, mußte auch hier vieles ausgelassen werden. Der neueste der behandelten Romane erschien 1964. Bei der vorliegenden Darstellung handelt es sich um die überarbeitete Fassung der gleichnamigen Dissertation, die im Jahre 1965 an der Philosophischen Fakult ä t der Humboldt-Universität in Berlin verteidigt wurde. Das Manuskript dieser Fassung wurde 1967 abgeschlossen. Die Hinweise der beiden Gutachter, der Professoren Dr. Walter Rüben und Dr. Karl Ammer, waren bei der Überarbeitung der Dissertation f ü r den Druck eine wertvolle Hilfe. Von Herrn Dr. Krüger und anderen Mitarbeitern der Abteilung Südasien des Instituts f ü r Orientforschung der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin und des Instituts für Süd- und Südostasien der Humboldt-Universität erhielt die Verfasserin vielfältige Anregungen. Frau Steiger aus dem Verlag Volk und Welt zeigte beim Sammeln der Hindi-Romane große Hilfsbereitschaft. Ihnen allen sei an dieser Stelle gedankt. 4
Bezeichnend ist schon die Ausdrucksweise in Hindustani, der umgangssprachlichen Form des Hindi: Das Wort ädmi „der Mensch" wird häufig im Sinne „derMann", „der Ehemann" gebraucht, nicht aber im Sinne „die Frau".
2. Zum Stand der Forschung Geschichte der modernen Hindi-Literatur und der neuindischen Literaturen überhaupt ist eine der jüngsten Disziplinen der Indologie. Einen Überblick über die Literaturen Indiens geben Werke wie „Contemporary Indian Literature" (veröffentlicht von der Sahitya Akademi, 1957), „Literatures in Modern Indian Languages" (herausgegeben von V. K. Gokak für das Ministerium für Information und Rundfunk, 1957) oder „Indian Literature" 1 (herausgegeben von Dr. Nagendra, Agra 1959). Sie enthalten wichtiges informatives und theoretisches Material, gehen aber verständlicherweise auf die Widerspiegelung einzelner sozialer Probleme in der Literatur kaum ein. In Gokaks Sammelband (S. 192) nennt J . C. Mathur Jainendrakumär (geb. 1905) einen Nachfolger Premcands (geb. 1880) und erwähnt auch U. Ask (geb. 1910) und Yaspäl (geb. 1903), geht aber in der literarisch-historischen Betrachtung über das J a h r 1947 nicht hinaus. — In „Contemporary Indian Literature" behandelt S. H. Vätsyäyan (Ajney), der selbst ein Romanschriftsteller ist, von der Literatur nach 1947 etwas eingehender die Gruppe „Neue Lyrik" (zu deren Begründern er gehört) und das Genre des Regionalromans, das sich in den fünfziger Jahren entwickelte und das Leben in einem bestimmten Milieu, in der Regel im Dorf, schildert. — Der Herausgeber des Bandes „Indian Literature", Dr. Nagendra, betrachtet im Einleitungsartikel „Einheit der indischen Literaturen" die indische Literatur im Prozeß der Wechselwirkung verschiedener Nationalliteraturen und diesen Prozeß im Zusammenhang mit der Geschichte des indischen Volkes. Die Autorin des Aufsatzes über die HindiLiteratur, Sävitri Sinhä, kombiniert die traditionelle Periodisierung nach führenden Persönlichkeiten der Literatur (Bhäratendu-Periode, DvivediPeriode usw.) mit der Betrachtung nach Genres. Im Abschnitt über die Entwicklung des Hindi-Romans unterscheidet sie zwischen dem psychoanalytischen Roman, mit den H a u p t Vertretern Ajney (geb. 1911) und Jos! (geb. 1902), und dem fortschrittlichen Roman mit dem Hauptvertreter Yaspäl. Sie schätzt Yaspäl positiv, aber sehr knapp ein und erwähnt Ajney, U. Ask, Bhagavaticaran Varmä (geb. 1903) und Rängey Räghav (1923—1963) noch kürzer. 1
Russische Übersetzung: Istorija indijskich literatur, Moskva 1964.
Zum Stand der Forschung
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Als Standardwerk und einer der Grundsteine moderner Hindi-Literaturkritik und -geschichte wird „Geschichte der Hindi-Literatur" 2 von Rämcandra Sukla angesehen. R. Sukla periodisiert darin die Geschichte der Hindi-Literatur nach führenden literarischen Persönlichkeiten in der Bhäratendu-Periode (1850-1900), der Dvivedi-Periode (1900-1920) usw. Diese Methode, die sich in der Hindi-Literaturgeschichte eingebürgert hat, ist jedoch unzulänglich, weil man damit verschiedene Strömungen nicht genügend unterscheiden kann. R. Sukla betrachtet das literarische Schaffen im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Bedingungen und mißt der Literatur keinen Wert bei, wenn sie vom Leben losgerissen ist. Seiner Weltanschauung lag jedoch der Glaube an das Kastensystem und an die Seelenwanderung zugrunde, sein Ideal war der altindische epische Held Räma, und dementsprechend hing er auch an alten poetischen Traditionen. Seine Literaturgeschichte behandelt die Zeit bis in die dreißiger J a h r e unseres Jahrhunderts. R. Suklas Arbeit wurde von Hajärlprasäd Dvivedl fortgesetzt und weiterentwickelt. H. Dvivedl betrachtet in seinem Buch „Hindi-Literatur" 3 die Literatur in engem Zusammenhang mit dem gesamten Entwicklungsprozeß der Gesellschaft. Er steht der literarischen Strömung „Pragativäd", „Progressivismus", sehr nahe, der sich in den dreißiger Jahren nicht nur marxistisch beeinflußte Autoren anschlössen, sondern auch kritische Realisten reformistischer Prägung und Autoren, die durch psychoanalytische Auffassungen beeinflußt waren. Die neueste Zeit wird jedoch in seinem Buch verhältnismäßig knapp und summarisch behandelt. Anders zu beurteilen ist in dieser Hinsicht das Buch von Sivdänsinh Cauhän „Achtzig Jahre Hindi-Literatur" 4 . Hier handelt es sich um einen Grundriß der Geschichte der Hindi-Literatur von etwa 1875 bis 1954, unter besonderer Berücksichtigung der fortschrittlichen Literatur. Der Autor betrachtet die Geschichte der Literatur nach einzelnen Gattungen, was ihm ermöglicht, die Entwicklung jedes Genres in ihrer Spezifik darzustellen. ¡5. Cauhän schätzt den literarischen Prozeß vom Standpunkt der materialistischen Ästhetik ein und fordert von den Schriftstellern, sich allmählich darüber klarzuwerden, daß die Literatur wichtige gesellschaftliche Aufgaben zu erfüllen habe. Die größte Aufmerksamkeit widmet Cauhän dem ideologischen Gehalt des Schaffens der Hindi-Schriftsteller; die Form stehe erst an zweiter Stelle. Besonders ausführlich wird die Hindi-Literatur der dreißiger Jahre charakterisiert, einer Zeit, da erste Kontakte der Hindi-Literatur mit marxistischen Ideen entstanden. Interesse erweckt das Nachwort „Die letzten fünf J a h r e " (1954—1959), das der Autor für die russische Übersetzung seines Buches verfaßt hat. Darin charakterisiert er kurz die kritisch-realistische Richtung mit ihren gelegentlichen Neigungen zum Naturalismus und die experimentalistische Dichtung, die sich von gesellschaftlichen Problemen abwendet. Weiter macht er den Leser mit den 2 3
Hindi sähitya kä itihäs, Kali, 1. sams. samv. 1986. 4 Hindi sähitya, Banäras 1952. Hindi sähitya ke assi var§, Bombay 1954.
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Zum Stand der Forschung
Namen einer ganzen Reihe neuer Autoren bekannt, wie Rajendra Yadav (geb. 1929), Mohan Räkes (geb. 1925), Phanisvarnäth Renu (geb. 1921), R. Räghav u. a. Kurz beschäftigt er sich auch mit dem Genre „äncalik upanyäs", dem Regionalroman. Allerdings kann der Verfasser auf den 15 Seiten dieses Überblicks nicht auf Einzelheiten eingehen, und das gilt im Grunde wegen seines geringen Umfanges für das ganze Buch. 1955 erschien in Allahabad „A History of Hindi Literature" von K. B. Jindal. Der Autor versucht, die moderne Hindi-Romanliteratur in den sozialen, den psychologischen, den historischen und den proletarischen Roman zu unterteilen. Als soziale Romanciers betrachtet er vor allem Visvambharnäth Kausik (1892—1945) und Jaysankar Prasäd (1890—1938), als psychologische Iläcandra Jos! (geb. 1902), Jainendrakumär (geb. 1905) und Bhagavaticaran Varmä, als historische Catursen Öästri (1892-1961), Vrndävanläl Varmä (geb. 1889), Rähul Sänkrtyäyan (geb. 1893) und Hajärlprasäd Dvivedl, schließlich als einen proletarischen Schriftsteller Yaspäl. Der Autor behandelt im Grunde nur die Zeitspanne bis 1947, ohne die Erscheinungsjahre der Romane anzugeben. Von einer proletarischen Literatur im Indien dieser Zeit zu sprechen ist gewiß eine Übertreibung. Yaspäls Romane werden hier als Propaganda bezeichnet. Vijayendra Snätak und Ksemendra Suman periodisieren in ihrem Buch „Moderne Hindi-Literatur" 5 die Geschichte der Hindi-Literatur entsprechend dem Beispiel von R. Öukla nach führenden Persönlichkeiten (BhäratenduPeriode, Dvivedl-Periode, Premcand-Periode). Für die spätere Zeit ist diese Periodisierung noch weniger geeignet; so stimmen die Prasäd-Periode und die Premcand-Periode im Grunde überein. Die Autoren sehen Entstehung und Entwicklung des „Pragativäd" im Zusammenhang mit den historischen Bedingungen zwischen zwei Weltkriegen und mit dem Einfluß marxistischer Ideen, behaupten jedoch unhistorisch und undialektisch, daß „zur Unterstützung der marxistischen Gesellschaftsordnung der Realismus begründet wurde" (S. 105). Gleich K. B. Jindal gelangen auch sie bei ihrer übrigens sehr knappen Behandlung von U. Ask und Yaspäl über das J a h r 1947 nicht hinaus. Govindräm ¡§armä kombiniert in „Hindi-Literatur und ihre Hauptströmungen" 6 verschiedene in der Hindi-Literaturgeschichte übliche Gesichtspunkte und behandelt die Entwicklung der Literatur nach Generationen, nach Strömungen und nach Genres. So schätzt er als größte Hindi-Romanciers der Gegenwart Jainendrakumär und Yaspäl ein. Bei der Charakterisierung der progressivistisehen Richtung sieht er im Streben nach der Befreiung der Frau eines der Hauptmerkmale dieser Literatur. Die Literaturgeschichte „Hindi-Literatur: Perioden und Strömungen" 7 von Sivkumär Sarmä behandelt die Perioden der Hindi-Literatur von ihrem Anfang bis zum Beginn der 50er J a h r e unseres Jahrhunderts mit den Strömungen innerhalb der einzelnen Perioden. I m Ver5 6 7
Ädhunik Hindi sähitya, Dilli 1957. Hindi sähitya aur uski pramukh pravrttiyS, Patnä-Dilli 1961. Hindi sähitya: yug aur pravrttiyS, Dilli, 2. sams. 1964.
Zum Stand der Forschung
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gleich zur modernen Lyrik wird die moderne Prosa sehr knapp behandelt. Der Autor gibt eine neue Definition der Strömung „Pragativäd", wobei er hierunter die fortschrittliche, marxistisch beeinflußte Literatur versteht und behauptet: „Die Grundlage des Pragativäd ist die marxistische Ideologie" (S. 493). Den marxistischen Standpunkt bejaht er zwar, zählt aber die nicht-marxistischen Autoren — die allerdings die Mehrheit darstellen — nicht zum „Pragativäd". In der kurzen Behandlung der Entwicklung des Hindi-Romans vermischt S. Sarmä verschiedene Kategorien und unterteilt die Romane der neuesten Zeit in soziale (z. B. U. Äsk), psychoanalytische (Ajney, Jainendrakumär), kommunistische (Yaspäl) und historische (V. Varmä). Als eine Pionierarbeit kann man das Buch „Hindi-Roman — Entstehung und Entwicklung" 8 von Sures Sinhä ansehen. Der Verfasser beschäftigt sich ausführlich mit der Hindi-Romanliteratur, wie sie sich etwa in den letzten 100 Jahren entwickelte. Besonders seine Behandlung der Literatur der 50er und 60er Jahre unseres Jahrhunderts verdient Beachtung, da diese Zeitspanne in bisherigen literaturhistorischen Arbeiten in der Regel nur ganz summarisch dargestellt wurde. S. Sinhä bemüht sich um eine materialistische Auffassung der Literaturgeschichte; sein Vorwort leitet er mit den Worten ein: „Der Roman ist eine Widerspiegelung der Wirklichkeit." Alle fortschrittlich denkenden Schriftsteller fordert er auf, „die Grundprinzipien der proletarischen Revolutionen zu entdecken und die sozialistische Ideologie anzuwenden". In der Einleitung bemerkt der Autor: „Indem ein Romancier einen Menschen analysiert, darf er seine gesellschaftliche Verantwortung nie vergessen" (S. 6). Im 2. Kapitel geht er auf die aktive Rolle der Literatur und ihre Rückwirkung auf die Gesellschaft ein, während er sich in dem folgenden Kapitel um eine Analyse der literarischen Strömungen bemüht, dabei aber verschiedene Kategorien vermischt. Gleich §. Öarmä stellt S. Sinhä jene umstrittene vielschichtige Strömung der Hindi-Literatur, den Pragativäd, dem Marxismus gleich und bezeichnet diese Richtung als die fortschrittliche Romanströmung. Dagegen behandelt der Autor den kritischen und den sozialistischen Realismus in besonderen Paragraphen, wobei er die Methode des sozialistischen Realismus, die in Indien ohnehin erst langsam aufkommt, von der marxistischen Weltanschauung differenziert. Außerdem wird unterstellt, daß der sozialistische Realismus die Individualität des Menschen nicht anerkenne. Sinhäs Darstellung läßt auch die Feststellung vermissen, daß die Mehrheit der Autoren, die sich seit den dreißiger Jahren zum Pragativäd bekennen, eben kritische Realisten sind. — Vier weitere Kapitel befassen sich dann mit Inhalt und Form der Romane. Darin werden die Romane einzelner Autoren durchgehend untersucht, ohne dabei eine Periodisierung des Schaffens des jeweiligen Autors anzustreben. Man vermißt auch eine zusammenfassende Darstellung der Entwicklung der Schriftsteller oder zumindest häufigere Vergleiche des ideologischen und ästhetischen Niveaus ihrer früheren und späteren Romane. Eine solche Entwicklung kann man allenfalls 8
Hindi upanyäs — udbhav aur vikäs, Dilli 1965.
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Zum Stand der Forschung
aus der chronologischen Behandlung der Werke herauslesen. Dabei wird jedoch der Leser durch einleitende statische Charakteristiken der Schriftsteller teilweise irregeführt (z. B. bei Yaspäl). Die Romanliteratur der Zeitspanne 1880— 1947 behandelt S. Sinhä in seiner überarbeiteten Dissertation „Heldin in Hindi-Romanen" 9 vom Aspekt bestimmter Frauengestalten. So definiert er auf S. 60 die Heldin: „Eine Frauengestalt, die bei der Entwicklung des Sujets die Hauptrolle spielt." Im 1. Kapitel gibt der Autor einen historischen Überblick über die Stellung der Frau in Indien 1857—1947, während er sich im 2. Kapitel u. a. den in Hindi-Romanen auftretenden Hauptproblemen der Frau zuwendet: ungleiche Heirat, Prostitution, Witwenheirat, ökonomische Unabhängigkeit der Frau, Familienleben und Liebe (S. 69). Im ganzen behandelt der Autor jedoch in seiner Analyse der Literatur mehr allgemeine Fragen der Psychologie der Frau als die Widerspiegelung der spezifischen gesellschaftlichen Stellung der Frau in Indien. Im 4. Kapitel werden dann die Heldinnen klassifiziert, wobei sich folgende Hauptgruppen ergeben: 1. Verliebte, 2. Verheiratete und 3. andere. In den Kapiteln 4 bis 7 geht der Autor auf diese Gruppen näher ein. Ihm liegt mehr an der Widerspiegelung der Lage der Frau in der Familie als in der Gesellschaft, was für die Literatur der untersuchten Periode im Grunde berechtigt ist. Im 8. Kapitel charakterisiert der Verfasser die Einstellung der Schriftsteller zur Frau und gliedert diese Autoren in: 1. Reformisten, 2. Idealisten, 3. Romantiker, 4. Realisten, 5. zum Idealismus neigende, 6. Sozialisten, 7. Individualisten und 8. Existentialisten. Besondere Bedeutung gewinnt das letzte Kapitel, in dem es um die Wandlung der Heldinnen entsprechend der Entwicklung des Hindi-Romans geht. Hier spielt die Tatsache mit, daß in den 30er Jahren — S. Sinhä nennt diese Zeitspanne „die Periode nach Premcand" — die Gesichtspunkte der Autoren schon stark differierten. Das von Sures Sinhä untersuchte Spezialgebiet und die Zeitspanne sind die gleichen wie die im Werk „Hindi-Roman — Theorie und Analyse" 10 von Makhanläl Öarmä behandelten. M. Sarmä widmet jedoch den ganzen ersten Abschnitt (123 Seiten) der Theorie des Romans. Im 2. Abschnitt spezifiziert er nach einzelnen Romangenres wie dem historischen, dem phantastischen, dem gesellschaftlichen, dem psychologischen und dem Regionalroman. Der psychologische Roman wird am ausführlichsten behandelt (mit Beispielen von Jainendrakumär, I. Josi u. a.), wobei des Verfassers Kenntnis der Psychologie und seine Vorliebe für Psychoanalyse zum Ausdruck kommen. Frauengestalten, denen ein ganzes Kapitel dieses Abschnitts gewidmet ist, werden lediglich nach ihrer Stellung in der Familie klassifiziert, nicht aber nach ihrer Stellung in der Gesellschaft. Die meisten Beispiele in diesem Kapitel sind dem Werk Premcands entnommen. Der dritte Abschnitt behandelt die Entwicklung des Hindi-Romans vor dem historischen Hintergrund. Die stärkere Differenzierung des Genres des Romans in den 30er Jahren kommt auch in dieser Arbeit zum Ausdruck. 9 10
Hindi upanyäsö me näyikä ki parikalpnä, Dilli 1964. Hindi upanyäs: siddhänt aur samiksä, Dilli-Mathurä 1966.
Zum Stand der Forschung
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Die Untersuchung reicht wohl bis in die Anfänge der 60er Jahre, aber die Skala der als Beispiele ausgewählten Romane ist nicht allzu breit. Im letzten Kapitel werden einige neue Romane einzeln behandelt, u. a. „Lügnerische Wahrheit" 11 von Yaspäl. Man kann sagen, daß die beiden kurz nacheinander erschienenen Arbeiten von S. Sinhä und M. Sarmä einander gut ergänzen. Während S. Sinhä den Stoff besonders nach der inhaltlichen und von seinem Standpunkt aus nach der ideologischen Seite ausschöpft, geht M. Sarmä etwas mehr auf Formfragen ein. Monographische Aufsätze in Hindi-Zeitschriften über die Gestalten und Probleme der Frauen in der Hindi-Literatur bleiben uns leider zum großen Teil unzugänglich. Einzelne mir bekannt gewordene Artikel sind z. B. folgende: „Die Entwicklung der Heldinnen in der sozialen Prosa" 12 von Sures Sinhä auf der Grundlage seiner genannten Dissertation, „Verschiedene Gestalten der indischen Frau in Hindi-Romanen" 13 von Känti Varmä oder „Frauengestalten in den Romanen von Bh. Varmä"1'1 von P. Agraväl. Da K. Varmä sich im wesentlichen mit der Zeitspanne vor 1947 beschäftigt, wird z. B. Yaspäls größter Roman „Lügnerische Wahrheit" nicht erwähnt. P. Agraväl behandelt den größten Roman Bh. Varmäs „Vergessene Bilder" 15 , läßt aber den letzten Roman Bh. Varmäs, „Rekhä", der 1964 erschien, außer acht. Von den europäischen Arbeiten über die neuen indischen Literaturen seien vor allem die sowjetischer Indologen genannt, hier von besonderem Interesse der Einleitungsartikel von E. Tschelyschew zum „Grundriß der Geschichte der Hindi-Literatur" 16 von ¡5. Cauhän. Tschelyschew erwähnt eine neue Erscheinung in der gegenwärtigen fortschrittlichen Hindi-Literatur — den positiven, nicht idealisierten Helden. Als solche bezeichnet er die Gestalten der Romane von Yaspäl, U. Ask, A. Nägar (geb. 1916), Nägärjun (geb. 1911) u. a. Auch im Nachwort zur russischen Übersetzung des Sammelbandes „Indian Literature" von Nagendra hebt E. Tschelyschew die Demokratisierung der Literatur und die Fortsetzung der realistischen Tradition Premcands und R. Tagores in den indischen Literaturen der Gegenwart hervor, wobei er insbesondere den Roman „Lügnerische Wahrheit" von Yaspäl erwähnt. In seinem Überblick über die indische Literatur im 3. Band der Kurzen Literaturenzyklopädie 17 unterscheidet I. Rabinowitsch zwischen den fort11 12 13
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Jhüthä sac, Lakhnaü 1958-1960. Sämäjik kathä näyikäö kä vikäs-kram: Älocnä v. April 1964. Hindi upanyäsö me citrit bhäratiy näri ke vividh röp: Säptähik Hindustän v. 15. 3. 1964 und 22. 3. 1964. Sri Bh. Varmä ke upanyäsö ke näri-pätr: Säpt. Hind. v. 29. 8. 1965. Bhüle bisre öitr, Dilli 1959. Russische Übersetzung des „Hindi sähitya ke assi vars": Oöerk istorii literatury chindi, Moskva 1961. Kratkaja literaturnaja enciklopedija, Moskva, 1. Bd., 1962, 2. Bd. 1964, 3. Bd. 1966.
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schrittlichen und den reaktionär-dekadenten Richtungen. Die fortschrittlichen Richtungen gehen immer mehr dazu über, den arbeitenden Menschen widerzuspiegeln, während die verschiedenen reaktionären Richtungen teils den Gegenstand der künstlerischen Gestaltung auf die Sphäre des Unterbewußtseins beschränken, teils zur reaktionären Romantik und zur Idealisierung des alten Indiens neigen. Im Sammelband „Literaturen Indiens" 18 , der 1958 in Moskau erschien, behandelt D. Goldman den historischen Roman von V. Varmä „Mrgnayani", und in Nr. 80 der Zeitschrift „Kurze Mitteilungen des Instituts der Völker Asiens" 19 , die den Literaturen Indiens, Pakistans und Afghanistans gewidmet ist, wird die Hindi-Prosa nach 1947 von N. Gawrjuschina zusammenfassend erwähnt. N. Gawrjuschina behandelt in einem anderen Artikel in derselben Zeitschrift zwei Romane Jainendrakumärs aus den 30er Jahren, nicht jedoch sein Schaffen der 50er Jahre. — Der Sammelband „Probleme der Literaturtheorie und Ästhetik in den Ländern des Orients" 20 (1964) bringt zwei Aufsätze über die Hindi-Lyrik (von E. Tschelyschew und N. Wischnewskaja), doch keinen einzigen über die zeitgenössische Hindi-Prosa. Ähnliches gilt für den Sammelband „Probleme der Entstehung des Realismus in den Literaturen des Orients" 21. Auch im Sammelband des XXV. Orientalistenkongresses in Moskau i960 2 2 wird die neueste Hindi-Literatur unter dem Aspekt des Einflusses des Marxismus von Vijay Cauhän nur sehr summarisch behandelt. — In den Einleitungen und Nachworten zu den russischen Übersetzungen der Hindi-Romane werden die im jeweiligen Roman auftretenden Probleme recht unterschiedlich erläutert. So berührt z. B. E. Tschelyschew im Nachwort zu „Lügnerische Wahrheit" 23 die Darstellung der Lage der Frau im Roman und besonders die der Hauptheldin Tärä und ihrer Freundin, die Selbstmord begeht. Auch im Vorwort zur russischen Übersetzung des Romans „Ein Tropfen und der Ozean" 24 A. Nägars äußert er sich anerkennend darüber, wie breit das Leben der indischen Frau im Roman wiedergegeben wird. Im Gegensatz hierzu geht E. Stepanow im Vorwort zur Übersetzung des Romans „Ein schmutziges Gewand" 25 von Ph. Renu lediglich auf die im Roman behandelten Bauern- und Kastenfragen ein, nicht aber auf die Probleme der Frau. 18 19
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I. Rabinoviö — E . ÖelySev (Ed.), Literatury Indii, Moskva 1958. A. Suchoöev (Ed.), Kratkije sooblöenija instituta narodov Azii, N. 80, Moskva 1965. I. Braginskij — P. Grincer — W. Semanov (Ed.), Problemy teorii literatury i estetiki v stranach vostoka, Moskva 1964. G. Girs — W. Kljaätorina (Ed.), Problemy stanovlenija realizma v literaturach vostoka, Moskva 1964. Trudy dvadcat'pjatogo mezdunarodnogo kongressa vostokovedov, T. 4, Moskva 1963. Loznaja pravda, Moskva 1963. Kaplja i okean, Moskva 1962. Grjaznoje pokryvalo, Moskva 1960.
Zum Stand der Forschung
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I n der D D R erschien 1966 ein Sammelband indischer Erzählungen unter dem Titel „Der Tigerkönig". I n seinem Nachwort greift K. Zvelebil drei wesentliche ideologische Richtungen der Literaturen Indiens heraus: die humanistisch ausgerichtete Mitte, die individualistische, stark psychologisierende Richtung und die links orientierten Autoren. Zu der ersten Richtung rechnet Zvelebil u. a. Jainendrakumär. Dessen Schaffen hat jedoch nur zum geringen Teil einen fortschrittlichen sozialen Gehalt, wie ihn z. B. die in den Sammelband aufgenommene Erzählung „Jeder hat sein Schicksal" erkennen läßt. Später geht Jainendrakumär auf die Positionen der zweiten genannten Richtung über. Die Fragen der Darstellung von Liebe und Ehe wie überhaupt der Lage der Frau in indischen Romanen der Nachkriegsjahre werden im 2. und 3. Band des Werkes „Indische Romane" (1967) von W. Rüben ausführlich dargelegt; es handelt sich aber vorwiegend um Romane englisch schreibender Autoren. Einige der in der vorliegenden Arbeit behandelten Romane erwähnt W. Rüben auch in seinem Artikel „Eine Frau zwischen zwei Männern" 2 6 , jedoch nur in bezug auf die Wandlung des Dreieckmotivs. Die Emanzipationsbestrebungen, wie sie in den meisten der in der vorliegenden Arbeit untersuchten Romane vorkommen, bilden in abgekürzter Form auch das Thema des Aufsatzes der Verfasserin „Bestrebungen f ü r die Frauenemanzipation im Hindi-Roman nach 1947" 27 . I m tschechischen Hochschullehrtext „Aus der Geschichte der Literaturen Asiens und Afrikas IV (Indische Literaturen)" 2 8 behandelt 0 . Smekal in einem Überblick über die Hindi-Literatur Thematik und künstlerische Methoden Yaspäls (dessen größter Roman „Lügnerische Wahrheit" jedoch unberücksichtigt bleibt) und Nägärjuns. Erwähnt werden auch Jainendrakumär und andere Prosaiker. Von der westdeutschen indologischen Literatur ist die Neuauflage des Werkes „Die Literaturen Indiens" aus dem Jahre 1961 von Helmut von Glasenapp erwähnenswert, dessen Abschnitt über die Hindi-Literatur in Zusammenarbeit mit W. P. Schmid entstand. Hier wird allerdings nur ein kurzer Überblick vermittelt. Bezeichnend ist z. B. die knappe Feststellung, daß sich Yashaphals (korrekt: Yaspäls) Kurzgeschichten (Romane werden übergangen) „grober marxistischer Propaganda" nähern. So wird auch der konservative Jainendrakumär für einflußreicher als der zu seiner Zeit sehr fortschrittliche Premcand gehalten und in den Vordergrund gerückt. Obwohl sich also mit neuindischen Literaturen sowohl indische Literaturwissenschaftler und -historiker als auch europäische Indologen in zunehmendem Maße beschäftigen, ist doch dem Thema der Widerspiegelung sozialer Probleme, u. a. der Lage der Frau, noch verhältnismäßig wenig Beachtung geschenkt worden. Dagegen gibt es über das Leben und die Probleme der indischen Frau mehrere wissenschaftliche Arbeiten, wie „The Position of women in Hindu 26 27 28
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Mitteilungen des Instituts für Orientforschung, Berlin, Bd. X I , H. 1, 1965. Mitteilungen des Instituts für Orientforschung, Berlin, Bd. X I I , H. 2, 1966. O. Kral (Ed.), Z döjin literatur Asie a Afriky IV (Indickö literatury), Praha 1962. Ansari, Hindi-Roman
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Zum Stand der Forschung
Civilisation" von Anant Sadashiv Altekar (Benares 1956), „Marriage and Family in India" von K. M. Kapadia (London 1958) und populär-wissenschaftliche Sammelbände wie „Women Workers of India" von Padmini Sen Gupta (Bombay 1960), ferner eine Fülle von Artikeln und Aufsätzen in Zeitungen und Zeitschriften. Altekar befaßt sich sehr knapp mit der Gegenwart, während K. M. Kapadia um möglichst viele Fakten bemüht ist, ohne deutlich Partei zu ergreifen. Dagegen sprechen sich Padmini Sen Gupta und die Verfasserinnen derAufsätze in „Women of India" (insbesondere Hannah Sen, Renu Chakravarty, Tara Ali Baig, Lakshmi Menon, Kamaladevi Chattopadhyaya) deutlich für die Emanzipation der Frau aus. Unter den Artikeln kommt denen von Hajrah Begum und Renu Chakravarty wegen ihrer marxistischen Stellungnahme große Bedeutung zu. Aufschlußreich ist das Buch „The Hindu Woman" von Margaret Cormack (New York 1953). Die Autorin hat jahrelang in Indien gelebt, ihr Buch aber später auf Grund des Ergebnisses einer Umfrage unter den in den USA studierenden Inderinnen geschrieben. Sie beschränkt sich in dem Buch nur auf das Privat- und Familienleben der indischen Frau, während sie auf die Fragen der beruflichen und gesellschaftlichen Tätigkeit nicht eingeht. Da keine der an der Umfrage beteiligten Frauen aus den werktätigen Schichten der Bevölkerung stammt, wird über diese Kreise nicht berichtet. Interessante Beiträge zur Lage der Frau findet man auch in Nr. 52 der Monatsschrift „Seminar" (Ed. Romesh Thapar, Delhi) von 1953. Besonders die Artikel von Uma Vasudev, Romila Thapar, M. A. Devaki, Manjit Sabharwal, Renu Chakravarty und Latika Sarkar zeichnen sich durch ideologische Klarheit und theoretisches Durchdringen der Frage nach der Emanzipation der Frau aus. Wohl ist es nicht möglich, sämtliche Schriften zu nennen, die in den 50er und 60er Jahren über die Lage der indischen Frau von den verschiedensten Positionen aus entstanden. Daß aber die indische Frau an einem Kreuzweg steht, ist das allen gemeinsame Stichwort.
3. Über die Problematik der Frau in Indien nach 1947 3. 1 Ein
Überblich über die Beformbewegungen
von 1820 bis 1947
Die Auswirkungen der doppelten — dei> erneuernden u n d der zerstörenden — Rolle der britischen Herrschaft in Indien, auf die K a r l Marx 1853 hinwies, 1 beschränkten sich nicht nur auf die Ökonomie, sondern beeinflußten auch die Sphäre des sozialen Lebens. Einerseits wurde die selbständige, freie Entwicklung der Landwirtschaft u n d der Industrie verhindert, u n d Reste des Feudalismus wurden künstlich am Leben erhalten. Andererseits h a t t e n die Kolonisatoren unwillkürlich objektiv dazu beigetragen, daß gewisse Voraussetzungen f ü r die zukünftige Entwicklung, gewisse neue Gesellschaftselemente schneller heranreiften. I m 19. J a h r h u n d e r t k a m eine zuerst verhältnismäßig dünne Schicht der indischen Bourgeoisie in K o n t a k t m i t westlicher Bildung u n d m i t demokratischen staatsbürgerlichen Auffassungen. Mit der E n t s t e h u n g des einheimischen Kapitalismus entwickelte sich die junge indische Bourgeoisie zur Führungsschicht der nationalen Bewegung gegen die britische Kolonialherrschaft. Ein Teil der bürgerlichen Nationalbewegung stand auch im K a m p f um soziale Reformen, u. a. u m die Gleichberechtigung der F r a u . Die ersten Schritte zur Frauenemanzipation in Indien fallen in die Zeit der bengalischen Aufklärung. Als erster h a t der Gründer der Reformgesellschaft Brahmo Samäj, R ä m Mohan Roy, in den 20er J a h r e n des 19. J a h r h u n d e r t s seine Stimme gegen die Unterwerfung der F r a u erhoben. 2 Die Kolonialherren begegneten solchen Versuchen mit dem Argument, d a ß es f ü r die Engländer nicht angebracht sei, sich in die inneren Angelegenheiten der H i n d u s einzumischen, d a ß die Tradition zur Religion gehöre u n d heilig sei. So stieß auch die Unsitte der Witwenverbrennung, die 1829 durch Roys Bemühungen gesetzlich verboten w u r d e , 3 nicht immer auf Unverständnis bei Kolonialbeamten. 4 R ä m Mohan Roys Aufklärungstätigkeit in Bengalen f a n d in dem Wirken Isvar Candra Vidyäsägars (1820—1891) ihre Fortsetzung. Das zeigt sich be1
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K. Marx, Die künftigen Ergebnisse der britischen Herrschaft in Indien, in: Marx/Engels, Ausgewählte Schriften, Moskau 1951, Bd. 1, S. 326ff. Dinesh Chandra Sen, History of Bengali Language and Literature, Calcutta 1964, S. 790. Sushil Kumar De, Bengali Literature in the 19th Century, Calcutta 1962, S. 522. Dinesh Chandra Sen, a. a. O., S. 816ff.
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Frauenproblematik nach 1947
sonders in seinem Eintreten für das Gesetz von 1856, 5 das der Witwe das Recht zur Wiederheirat gab. Dafür, daß auch in der öffentlichen Meinung dieses Gesetz auf Billigung stieß, setzten sich vor allem Visnu SästrI Pandit und Dhondo Kesav Karve in Maharaschtra ein. 6 Als Ergebnis einer langen beharrlichen Agitation von Kesab Candra Sen und der von ihm geführten Gesellschaft Brahmo Samäj wurde 1872 das Gesetz über die Ziviltrauung erlassen.7 Ein Verdienst von I. C. Vidyäsägar war 1860 die gesetzliche Festlegung des Mindestheiratsalters für Mädchen auf zehn Jahre. 8 Den Kampf gegen die üblichen Kinderheiraten und für Kastenmischheiraten führten auch der Brahmo Samäj und der 1875 in Bombay von Dayänand Sarasvati gegründete Ärya Samäj. 9 Diesen Bestrebungen entgegen wirkte jedoch eine Richtung des radikalen Nationalismus, welche die nationale Bewegung in Indien auf religiöser Basis aufbauen wollte. Ihr Führer B. G. Tilak bekämpfte im Bündnis mit den reaktionärsten Kräften des Hinduismus das Ehemündigkeitsgesetz, das eine Heraufsetzung des heiratsfähigen Alters der Mädchen von zehn auf zwölf Jahre vorsah.10 Trotz dieser Widerstände wurde aber 1891 unter dem Druck der Allindischen National-sozialen Konferenz das Mindestheiratsalter auf 12 Jahre festgelegt. Obwohl die Bestrebungen um weitere Schritte in dieser Richtung nicht nachließen, gelang es erst 1929, das Mindestheiratsalter für Mädchen auf 14 und für Männer auf 18 Jahre heraufzusetzen.11 Dabei wurde die öffentliche Meinung durch die eindeutigen Äußerungen von Mohandäs Karamcand Gandhi zugunsten der Heraufsetzung des Heiratsalters stark beeinflußt; aber das später noch weiter reformierte Gesetz wird trotzdem bis heute nicht überall eingehalten. In den Muslim-Teilen der Bevölkerung galt der Kampf vor allem der Polygamie und dem Parda-System, das die Frau zwang, in völliger Abgeschlossenheit zu leben und das Haus nur verschleiert zu verlassen. Der Brauch wurde auch von vielen Hindus hoher Kasten übernommen. Andererseits galt unter dem Hindu-Einfluß die Witwenheirat auch bei den indischen Muslims oft als unrein, obwohl der Islam sie immer erlaubte. Alle diese feudalen Sitten wurden zuerst von der Aligarh-Bewegung mit Sayid Ahmad Khan an der Spitze bekämpft. 12 Der bekannte Urdu-Schriftsteller Abdul Halim Öarar (1860-1926) gründete 5 6 7
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Sushil Kumar De, a. a. O., S. 624. Ganesh L. Chandavarkar, Maharshi Karve, Bombay 1958, S. 53£f. K. M. Kapadia, Marriage and Family in India, London, 2nd Ed., 1958, S. 118. K. K. Datta, Renaissance, Nationalism and Social Changes in Modern India, Calcutta 1965, S. 115. K. Antonova — N. Goldberg — A. Osipov (Ed.), Novaja istorija Indii, Moskva 1961, S. 448. Palme Dutt, Indien heute und morgen, Berlin 1958, S. 146. K. K. Datta, a. a. O., S. U6ff. A. R. Desai, Social Background of Indian Nationalism, Bombay, 3rd Ed., 1959, S. 279.
Reformbewegungen 1820—1947
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1892 die Zeitschrift ,,Parda-e-Ismat" (Vorhang der Ehre), die sich speziell gegen das Parda-System richtete. 13 Die Bewegung wurde auch im 20. Jahrhundert unter dem Einfluß von M. K. Gandhi fortgesetzt. 14 So ist das PardaSystem wohl tatsächlich stark zurückgegangen, jedoch nicht ausgerottet. Die Reformer merkten bald, daß allein durch neue Gesetze noch nicht viel zu erreichen ist, solange sich die Frauen nicht einigermaßen selbständig im Leben orientieren und notfalls auch ihren Lebensunterhalt verdienen können. Eine Voraussetzung dafür ist die Bildung der Frauen. So betonte der für seine Zeit sehr fortschrittliche religiöse Reformator Sväml Vivekänanda (1863—1902), daß eine gebildete Frau ihre Probleme selbst lösen und ihre Zukunft in eigene Hände nehmen könne. 15 Auf diesem Gebiet ist auch die Aufklärungstätigkeit des Brahmo Samäj, des Ärya Samäj und anderer Reformbewegungen nicht zu übersehen. So wurden von 1821 an Schulen für Mädchen gegründet. 16 Als erste Mädchenschule von größerer Bedeutung entstand 1849 die Bethune Schule in Kalkutta. 17 Von 1877 an durften Mädchen an der Bombayer Universität studieren; 18 1916 gründete Professor Karve die Indische Frauenuniversität in Puna. 19 Die erste Frauenorganisation in Indien, der Indische Frauenverein (Women's Indian Association), wurde 1917 von der Theosophin Annie Besant mit Unterstützung von Margaret Cousins ins Leben gerufen. 1919 suchte eine vierzehnköpfige Deputation dieses Vereins, geführt von der indischen Freiheitskämpferin SarojinI Naidu, den Vizekönig E. S. Montague auf 2 0 und forderte u. a. bessere Bildungsmöglichkeiten und das Wahlrecht für,Frauen. Im Anfangsstadium der Frauenbewegung ging es vorwiegend um die Bildungsfrage und um Möglichkeiten der Berufstätigkeit für gebildete Frauen, aber die Bewegung blieb auf die höheren sozialen Schichten beschränkt. 21 In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts bestanden schon mehrere Frauenorganisationen, wie der Nationalrat der Frauen (National Council of Women), die Allindische Frauenkonferenz (The All-India Women's Conference, gegründet 1927), der Christliche Verein junger Frauen (YWCA) und die Universitätsfrauenföderation (The Federation of University Women). 22 Eine einheitliche Frauenorganisation fehlte jedoch; die Uneinheitlichkeit der Frauenbewegung entsprach der allseitigen Zersplitterung Indiens. 13
Muhammad Sadiq, A History of Urdu Literature, London 1964, S. 339£f. " K. K. Datta, a. a. O., S. 112ff. 15 Swami Vivekananda, Our Women, Calcutta, 4th Ed., 1961, S. 25ff. 16 Women and Education, Unesco, Paris 1953, S. 104. 17 K. M. Kapadia, a. a. O., S. 252. 18 Ebenda, 8. 253. 19 G. L. Chandavarkar, a. a. O., S. 158. 20 Kamaladevi Chattopadhyaya, The Struggle for Freedom: Women of India, Ed. Tara Ali Baig, Delhi 1958, S. 16. 21 Women's Movement in India. Unveröff. Mat. d. I D F F . , S. 1. 22 Hannah Sen, Our own Times, in: Women of India, S. 38.
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Frauenproblematik nach 1947
1929 fanden im Rahmen der vom Indischen Nationalkongreß geführten Bewegung erste politische Konferenzen der Frauenorganisationen statt. Die Organisationen feierten allgemein den „Tag der Unabhängigkeit", den 26. Januar 1930. 23 Im Befreiungskampf bewiesen viele Frauen ihre Gleichwertigkeit mit dem Manne, so daß J. Nehru erklären konnte: „Es besteht kein Zweifel, daß die Rolle der Frauen Indiens im Freiheitskampf nicht nur bedeutend war, sondern von äußerster Wichtigkeit. . . Unsere politische Bewegung hat viele der sozialen Schranken zerschmettert und die Frauen aus der Abgeschlossenheit herausgebracht." 24 Seit 1927 erlangte die aus verschiedenen Gruppen gebildete Allindische Frauenkonferenz eine Vorrangstellung unter den übrigen Frauenorganisationen; bis zum Anfang des zweiten Weltkrieges gehörten ihr vorwiegend gebildete Frauen in gesicherter sozialer Stellung an. Seit Beginn des Weltkrieges traten viele politisch bewußte Frauen der Organisation bei, die nun soziale Rechte für die werktätigen Frauen zu fordern begann. Nachdem links orientierte Frauen die Führung übernommen hatten, erhöhte sich die Mitgliederzahl. 25
3. 2 Das Jahr 1947 Das Jahr 1947 war das Jahr, in dem Indien die politische Unabhängigkeit errang. Es führte aber auch zur Tragödie der künstlichen Teilung des Landes in Indien und Pakistan .nach dem Prinzip der Religionszugehörigkeit. Das rief geradezu eine Art Völkerwanderung hervor. Massen von Hindus flüchteten aus dem neugegründeten Pakistan nach Indien, während sich Züge von Muslims in entgegengesetzter Richtung bewegten, um sich vor den Horden der Religionsfanatiker zu retten. Die Frauen hatten dabei das schwerste Los zu tragen, denn man beraubte die Flüchtlinge oft ihrer ganzen Habe, und da die Frau vielfach als ein Teil des Eigentums angesehen wurde, kam es häufig zu Entführungen. Erschwerend wirkte, daß unbeholfene, weltfremde Frauen, durch Panik oder unglückliche Umstände von ihren männlichen Angehörigen getrennt, oft nicht in der Lage waren, sich allein weiterzuhelfen. Vor uns liegt eine traurige Bilanz ; 26 30 000 Frauen, denen nach 1947 eigentlich die indische Staatsangehörigkeit zustand, verblieben gezwungenerweise in Pakistan. Von diesen konnten bis 1957 nur 9 366 Frauen erfaßt und nach Indien gebracht werden. Nach pakistanischen Angaben sind von den Verbliebenen 13,8% gestorben, während sich 14,5% freiwillig zum Verbleiben in Pakistan entschieden. Die übrigen Frauen gelten als vermißt. 23 V. Balabuseviö—A. Djakov, Novejsaja istorija Indii, Moskva 1959, S. 240. 24 J. Nehru's Speeches 1949-1953, Delhi, 2. Ed., 1957, S. 119. 25 Women's Movement in India, S. 1. 26 Folgende Ziffern werden nach dem Leitartikel „Apahftä näriyö kä saväl" (Frage der entführten Frauen) in der Zeitschrift „Äjkal" v. Dezember 1957 zitiert. Direkte Angaben der pakistacischen Seite waren nicht zu ermitteln.
Das Jahr 1947
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Pakistanische Behörden behaupten demgegenüber, daß 60 000 Frauen, die 1947 Staatsangehörige Pakistans hätten werden müssen, in Indien zurückgeblieben seien. Indische Behörden leugneten allerdings diese allzu hohe Zahl. Jedenfalls wurden bis 1957 25 856 Frauen aus Indien nach Pakistan übergeführt. Von den entführten Frauen sind 3,3% während der zehn Jahre in Indien verstorben. Zur Repatriierung der entführten Frauen wendete die indische Regierung 7 300 000 Rupien auf. Von einer echten Repatriierung konnte man hier häufig nicht sprechen, da z. B. viele Menschen aus dem Pandschab den Boden von Delhi oder von Uttar Pradesch, der von da an ihre Heimat werden sollte, 1947 zum ersten Mal betraten. Außerdem wurden viele Frauen von ihren in der Räma-Tradition27 erzogenen Männern als befleckt angesehen und zurückgewiesen. Das Jahr 1947 brachte dem indischen Volke noch keine wesentliche Veränderung oder gar Umwälzung der sozialen Verhältnisse. So blieben auch die Lebensverhältnisse der indischen Frau weitgehend unverändert.
3. 3 Die indische Frau in der Familie In ganz Indien, abgesehen von den niedrigsten Gesellschaftsschichten und sehr fortschrittlichen Kreisen der Intelligenz, überwiegen bis heute die von den Eltern arrangierten Heiraten. In populären Zeitschriften erscheinen immer noch Artikel, in denen Autoren im vollen Ernst die voreheliche Liebe verdammen und behaupten, sie könne keine seriöse Grundlage für eine Ehe sein.28 Der Ehepartner wird von den Eltern ausgesucht, bei den Hindus häufig mit Hilfe von Brahmanen an Hand des Horoskops. In konservativen Familien lernen sich die Brautleute vor der Hochzeit überhaupt nicht kennen, sie erhalten höchstens ein Photo und einige Angaben voneinander. In den Familien, die als etwas „moderner" gelten wollen, werden die jungen Leute formal nach ihrem Einverständnis gefragt. In aufgeklärten Familien dürfen sie sich vor der Hochzeit auch einige Male sehen, aussprechen und auf dieser Grundlage dann ihre eigene Entscheidung treffen. Dabei darf der junge Mann immer wählerischer sein als das Mädchen. Noch kümmert sich manche Mutter zwar sorgfältig und stolz um die Aussteuer ihrer Tochter, aber wenig darum, ob sich die Tochter mit ihrem künftigen Lebensgefährten auch verstehen wird. Wie im Symposium über die Lage der Frau in Indien 1963 sehr kritisch bemerkt wurde, „ist der Hochzeitstag für ein indisches Mädchen der Tag seiner Verstümmelung . . . Von da an 27
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I m altindischen Epos Rämäyana muß die v o m Dämon Rävana entführte und durch ihren Gatten Räma befreite Sita erst ein Feuerordal bestehen, u m als seine Frau wieder aufgenommen zu werden. Später glaubt Räma doch, daß ihre Verleumder recht haben, und verbannt seine Frau wieder als unrein aus seiner Nähe. So Päsän, Viväh ke pahle kä prem, kyä yah nakli sonä hai? (Ist voreheliche Liebe falsches Gold?): Säpt. Hind. v. 13. 2. 1966, S. 58.
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Frauenproblematik nach 1947
wird es aus seinen Habseligkeiten, seinen Aufgaben und seinem sozialen Status bestehen, ein Körper ohne Individualität." 29 Bei den Hindus spielt immer noch die Kaste eine große Rolle bei der Wahl des Schwiegersohnes oder der Schwiegertochter. Langsam wird aber diese Standesehe doch durch die Klassenehe verdrängt. Es ist aufschlußreich, diese Problematik einige Zeit lang in populären Zeitschriften zu verfolgen. Da lesen wir z. B., daß ein Ingenieur aus dem Kleinbürgertum ein Mädchen aus einer höheren Schicht der Bourgeoisie nicht heiraten durfte, obwohl beide zur gleichen Kaste gehörten. 30 Da suchten in den Heiratsannoncen einer populären Tageszeitung in Nordindien 1953 noch 84% der Eltern einen Bräutigam ausschließlich aus ihrer eigenen Kaste, 1963 nur noch 78% der Eltern. 1953 suchten hier 62% der Eltern eine Braut ihrer Kaste, 1963 nur 52%. 31 Die Brauteltern scheinen allgemein weniger wählerisch zu sein, teils wohl deshalb, um der Unterhaltspflicht ihrer Tochter gegenüber ledig zu werden, teils aus dem traditionellen Pflichtbewußtsein, kein Mädchen unverheiratet zu lassen. 32 Aus diesen traditionellen Vorstellungen wird die Geburt eines Sohnes ersehnt, der Geburt einer Tochter jedoch mit Bangen entgegengesehen, weil eine Tochter nur Sorgen mit sich bringt. Der übertriebene Wunsch nach Söhnen und die Abneigung gegenüber Töchtern rühren außerdem daher, daß die Tochter eine Mitgift beansprucht, während ein erwachsener Sohn für die ganze Familie und für die Mitgift seiner Schwestern sorgt, selbst wenn er dann jahrelang Schulden abzahlen müßte. Was die Braut an Mitgift mitgebracht hat, das kann wieder als Mitgift für ihre Schwägerinnen dienen. Für die Hochzeit spielt bei den Hindus die Mitgift, die die Eltern anbieten können, außer der Kastenangehörigkeit die entscheidende Rolle. Wie A. S. Altekar bemerkt, war die Frage der Mitgift „kein Hindernis für die Eheschließung der Tochter bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Erst während der letzten fünfzig oder sechzig Jahre begann die Höhe der Mitgift skandalöse Proportionen anzunehmen. Gute Ausbildung, eine einträgliche Stellung oder eine gute Position im erlernten Beruf besserten die gesellschaftliche und ökonomische Lage eines jungen Mannes wesentlich und machten ihn als Schwiegersohn begehrenswert. Natürlich forderte er einen hohen Preis auf dem Heiratsmarkt." 33 Auch für Indien gilt die Erkenntnis von Marx und Engels, daß im Kapitalismus (in Indien begann er sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts zu entwickeln) alles zur Ware wird: „Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, 29 30
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Manjeet Sabarwal, Motherhood: Seminar v. Dezember 1963, S. 30. S. B. Khodanpur, Ethical Values at Cross-Roads: Social Weifare v. April 1964, S. 13. Nirmala Anneaja, Matrimony through advertisements: Ebenda, S. 20. Das altindische Gesetzbuch des Manu tadelt den Vater, der seine Tochter nicht rechtzeitig verheiratet. A. Loiseleur-Deslongohamps, Mänava-dharma-Äästra, I X 4, Bd. I, S. 213. A. S. Altekar, The Position of Women in Hindu Civilisation, Benares 1956, S. 71.
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hat alle feudalen, patriarchalischen idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose ,bare Zahlung' . . . Die Bourgeoisie hat dem Familienkreis seinen rührendsentimentalen Schleier abgerissen und es auf reines GeldVerhältnis zurückgeführt." 3 4 Die indische Bourgeoisie gelangte nicht leicht an die Herrschaft. Zahlreiche feudale Überreste haben sich bis heute erhalten. Die bürgerliche Geldheirat verbindet sich also zum großen Teil noch mit der feudalen Standes-, d. h. für Indien Kastenheirat, obwohl auch der indische Bräutigam zur Ware wurde und sein Preis, die geforderte Mitgift, stieg. Die Brauteltern haben außer der Mitgift noch die Hochzeitskosten zu tragen, die im allgemeinen unwahrscheinlich hoch sind. In traditionsgebundenen Familien dauert das Fest einige Tage lang, zu dem die gesamte weitläufige Verwandtschaft eingeladen wird. Nach einer statistischen Umfrage wenden die meisten Familien 4 bis 8 % des Einkommens ihres ganzen Lebens für die Hochzeit einer Tochter auf. 3 5 Seltener ist der Kauf der Braut, bei dem der Vater der Braut eine Geldsumme vom Bräutigam erhält oder durch die Verheiratung der Tochter seine Schuld bei dem Bräutigam begleicht. In Zeitschriften wird oft zur gerechten Aufteilung der Hochzeits- und Ausstattungskosten unter beide Elternpaare aufgefordert, aber meist hält man es weiterhin für selbstverständlich, daß die Hochzeiten von den Brauteltern finanziert werden. 36 Alle fortschrittlichen und reformatorischen Organisationen bekämpfen die kostspieligen Hochzeitsbräuche, einstweilen nur teilweise mit Erfolg; denn diese Unsitte hat ihre soziale Ursache in der durch die lang andauernde Kolonialherrschaft deformierten Entwicklung des Kapitalismus in Indien. Gerade die hieraus resultierende unentwickelte Klassenstruktur hat eine solche spezifische Form hervorgebracht. Ihre restlose Überwindung ist nur auf der Grundlage tiefgehender sozialer Veränderungen möglich. Selbständige Mädchen, die all diesen Schwierigkeiten aus dem Wege gehen und auf Heirat verzichten, werden oft gleichzeitig bemitleidet, verachtet, beneidet und nicht f ü r voll genommen. 37 Junge Leute, die gegen den Willen der Verwandten eine Liebesehe eingehen, können von diesen natürlich keine Unterstützung erwarten. Fast vor jeder Liebesheirat stehen sowohl objektive als auch subjektive Hindernisse. Objektive Hindernisse beruhen meist auf der materiellen Abhängigkeit der jungen Leute, besonders der Mädchen, von den Eltern. Subjektive Hindernisse liegen in der Scheu, von dem gewohnten Geleise ab34
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K. M a r x / F . Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, Berlin 1967, S. 45. S. P. Aneaja, The economics of a marriage ceremony: Social Weifare v. April 1964, S. l f . K. Varmä, Gfh-kalah kä käran dahej bhi hai! (Auch die Mitgift ist ein Grund der Hausstreitigkeiten!): Säpt. Hind. v. 29. 8. 1965, S. 40. Vgl. M. A. Devaki, The Social Image: Seminar v. Dezember 1963, S. 21.
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zuweichen und etwas Neues zu beginnen, in der Furcht vor dem möglichen sozialen Boykott (vor allem bei Kasten- und Religionsmischheiraten). Das religiöse Ideal des unbedingt gehorchenden Räma aus dem alten Epos Rämäyana steht noch vielen jungen Leuten vor Augen. Vereinzelte Mißerfolge oder gar Scheidungen der Liebesehen werden von konservativ denkenden Leuten hochgespielt. Fest steht aber, daß die jungen Leute vor der Ehe in der Regel sehr wenig Gelegenheit haben, sich gegenseitig gründlicher kennenzulernen. 38 Ein Mitarbeiter der Zeitschrift „ D i n m ä n " fragte 100 zufällige Passanten, ob ihre Ehe eine Liebesehe sei. Er erhielt keine einzige positive Antwort und stellte fest: „Auch heute ist die Liebesehe f ü r die meisten Inder ein Kuriosum." 3 9 Weiter sagt er pessimistisch voraus, daß sich in den nächsten Jahrzehnten nichts daran ändern werde. Es gibt aber auch solche illusorischen Ansichten, nach denen die sprachlichen und anderen internen Probleme Indiens allein durch Mischheiraten gelöst werden könnten. 4 0 Wieder andere befürchten Schwierigkeiten in Mischehen zwischen Angehörigen verschiedener Religionen, wenn beide Partner ihre Religion nicht aufgeben wollen. 41 Die patriarchalische Großfamilie, die drei bis vier Generationen in einem gemeinsamen Haushalt zusammenfaßt, zerfällt zwar im Kapitalismus, aber ihre Überreste erhalten sich zäh am Leben. Die neuvermählte Frau geht meist in die Familie ihres Mannes. Eine kleinbürgerliche, fromme Frau, die nicht wagt, allein auf den Markt oder zum Arzt zu gehen, wird es verständlicherweise auch nicht wagen, gegen den Willen der Familie zu heiraten oder sich vom ungeliebten Manne zu trennen und selbständig mit dem Gericht zu verhandeln. Eine selbständige Existenz ist für sie unvorstellbar. In konservativen Muslim-Familien hat sich sogar das Parda-System bis heute am Leben erhalten. Das bedeutet, daß die Frau von keinem Manne erblickt werden darf, mit dem sie nicht verwandt ist. Der Brauch wird allgemein als islamisch angesehen, ist jedoch unbekannten Ursprungs. Auch der Koran kennt ihn nicht. Welche praktischen Schwierigkeiten sich aus dieser Lebensweise besonders für die Frauen der ärmeren Schichten des Kleinbürgertums ergeben, die sich kaum Dienstmädchen leisten können, leuchtet ein, aber gerade in kleinbürgerlichen Schichten hat sich dieser Anachronismus hartnäckig erhalten. Diese traditionelle Einstellung wird von manchen moralisierenden Artikeln in vielgelesenen populären Zeitschriften und häufig auch durch Filme noch unter38
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Darüber schreibt sehr mutig z. B. Brahmadev im Artikel „Cust poääk, samäj sudhärakö se do-do bäte" (Elegante Kleidung, ein paar Worte an die Gesellschaftsreformer): Säpt. Hind. v. 17. 2. 1966, S. 39. Zarürat hai! (Es ist notwendig!): Dinmän v. 9. 5. 1965, S. 24. Käkä Kalelkar, Bhärat ki bhävi ektä ke lie antarpräniiy viväh ävasyak hai (Mischheiraten sind notwendig für die zukünftige Einheit Indiens): Dharmyug v. 13. 6. 1965, S. 44. Saroja Swaminathan, Hunt for suitable partners: Social Weifare v. April 1964, S. 12.
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stützt. So analysiert und kritisiert z. B. Frau Uma Vasudev, eine Journalistin den Film „Der Dichter Kälidäsa" 42 , der die Unterordnung der Frau glori fiziert. Aus einem Artikel kann eine junge Frau auch erfahren, daß die Trennung von der Großfamilie ein Beweis ihrer Selbstsucht sei. Sie wird belehrt, daß sie ihren Gatten an der Trennung hindern solle, indem sie ihn auf die alten Ideale hinweist. Die Verfasserin des Artikels erkennt die Frau überhaupt nur als Mutter, Ehefrau, Tochter und Schwester an und hält die Bruder-SchwesterBeziehung für die einzige, die die Kluft zwischen Mann und Frau im öffentlichen Leben überbrücken und die Anknüpfung unerwünschter Beziehungen verhindern kann.43 Auch in einem anderen Artikel der gleichen Zeitschrift44 mahnt die Verfasserin die Schwiegermütter und besonders die Schwiegertöchter zur Toleranz und weist junge Frauen zurecht, denen es im Hause der Schwiegereltern nicht gefällt. Wohl zählt sie vorwurfsvoll die Bedürfnisse der jungen Frauen auf: Kino, Parties, Spaziergänge, sagt aber kein Wort von beruflicher Tätigkeit. Ganz im Gegensatz dazu sieht der Artikel von Trilok Dip45 in der Leistungsfähigkeit und der weitverbreiteten Berufstätigkeit der Europäerinnen ein Vorbild für die indischen Frauen. Aber auf den Frauenseiten der Zeitschriften werden die Frauen auch durch abschreckende Beispiele aus westeuropäischen und amerikanischen Nachtklubs vor der „Gleichberechtigung" gewarnt.46 Es wird auf die Zwiespältigkeit der indischen Frauen hingewiesen, die einerseits an der Tradition und Orthodoxie festhalten, andererseits aber manche westliche Gewohnheit übernehmen. Der Verfasserin eines solchen Artikels47 scheint nicht einzuleuchten, daß im Rauchen, Tanzen oder auch im bloßen Recht auf Scheidung noch keine Gleichberechtigung liegt; jedenfalls erwähnt sie mit keinem Wort Berufstätigkeit oder Nichtberufstätigkeit der Frau. Die „ungenügende" Kleidung der jungen Mädchen und ihr Drang nach Vergnügen werden ständig kritisiert. Die Verfasserin eines anderen Artikels fordert: „Ich will selbst, daß jedes Mädchen Selbständigkeit lernt, studiert, seine Pflichten kennenlernt und ihnen nachzukommen versteht. Es muß selbst wissen, welche Pflichten es der Familie, der Gesellschaft und dem Lande gegenüber hat, was es machen soll und was nicht." 48 Solche Worte kann allerdings
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Uma Vasudev, The Problem: Seminar v. Dezember 1963, S. lOff. Dayä Äcärya, Bahan — näri kä divya rüp (Schwester — die heilige Gestalt der Frau): Säpt. Hind. v. 15. 8. 1965, S. 39. Jayä JoSi, Musibat hai säs kä päd (Die Würde der Schwiegermutter ist eine Qual): Säpt. Hind. v. 5. 9. 1965, S. 39. T. Dip, Faiäan matväli ädhunik näri (Die moderne Frau, die nach der Mode jagt): Säpt. Hind. v. 16. 1. 1966, S. 39. Saras Viyogi, Stritva ki rak§ä kxjiyo! (Schützt die Weiblichkeit!): Säpt. Hind. v. 21. 2. 1965, S. 32. Sänti Bhatnägar, Bhärat ki näri dorähe par (Die Frau Indiens am Scheideweg): Säpt. Hind. v. 28. 2. 1965, S. 39. Silü Masäni, Hamärä näri samäj kidhar? (Wohin gehen unsere Frauen?): Säpt. Hind. v. 26. 9. 1965, S. 39.
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jeder so verstehen, wie er will. — Ein anderer Autor 49 bemerkt richtig, daß durch die modische Kleidung und ähnliche „Errungenschaften" die Probleme der Frau nicht gelöst werden. E r weist auch auf die Probleme der arrangierten Heiraten hin, geht aber mit keinem Wort darauf ein, daß sich vielleicht ein berufstätiges Mädchen oder später eine berufstätige junge Frau dem Mitgiftzwang leichter widersetzen könnte. — Indranäth Madän 50 räumt ein, daß die häusliche Eingeschlossenheit die Frau sehr bedrücken könne und es manchmal sogar angebracht sei, den Mann zu verlassen. Eine solche Lösung sei f ü r die Frau jedoch immer hart, und das öffentliche Leben „erschlüge" eine Frau. Usä Amin 51 weist darauf hin, daß z. B. die Arbeit im Handelsbüro genauso eintönig und leer sein könne wie die in der Küche. Bezeichnend f ü r die Meinungsunterschiede im heutigen Indien sind zwei Antworten auf einen Brief in der Zeitschrift „Säptähik Hindustän". 5 2 Im Brief klagt eine Mutter, daß ihre Tochter vom Ehemann betrogen und grob behandelt werde. Hierauf rät eine Leserin der jungen Frau, angeblich aus eigener Erfahrung, durch selbstlose Aufopferung und ergebenen Dienst den Mann zu bekehren. Eine andere Leserin mahnt zwar zur Geduld, aber falls eine Aussöhnung unmöglich ist, zur gerichtlichen Trennung und Aufnahme eines Berufs. Eine ähnliche Aussage enthält der Artikel „Das Frauenproblem von heute" 5 3 , wobei der Autor nicht versäumt zu bemerken, daß die indische Frau immer eine Verkörperung der Liebe, der Selbstaufopferung und des Dienstes gewesen sei. Energischer gestimmt ist der Artikel von Kirti Didi 54 , die eindeutig feststellt, daß die Ehe nicht der einzige Zweck und Inhalt des Lebens sei. Ein brennendes und aktuelles Problem der indischen Familie von heute ist, angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage, die oft sehr hohe Kinderzahl. Seit Beginn des ersten Fünfjahrplanes (1951) beschäftigt sich die Regierung mit Familienplanung, 5 5 wobei vor allem die Frauen über Notwendigkeit und Möglichkeiten der Geburtenregelung aufgeklärt werden. Diese Aktion soll nicht rnjr der Einschränkung des Bevölkerungswachstums dienen, sondern auch der Verbesserung des Gesundheitszustandes der Frauen und Kinder. Die Zeit49
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Kf^ncandra Mahant, Y a h pratiyogitä hai yä hin-bhävnä? (Ist das ein Wettlauf oder Minderwertigkeitsgefühl?): Säpt. Hind. v. 3. 10. 1965, S. 39. Indranäth Madän, Pati jivan ki ekmätr gati nahi hai (Ehemann ist nicht das einzige im Leben): Dharmyug v. 30. 8. 1964. TJ. Amin, The Acceptance of Equality: Seminar v. Dezember 1963, S. 34. Äpke do patr (Ihre zwei Briefe): Säpt. Hind. v. 12. 9. 1965, S. 40. Ciranjiläl, Äj ki näri samasyä (Das Frauenproblem v o n heute): Säpt. Hind. v. 26. 9. 1965. Kirti Didi, Jivan me pürntä kyä viväh dvärä hi sambhav hai ? (Ist die Ehe die einzige Erfüllung des Lebens?): Dharmyug v. 8. 3. 1964. Dwarkadas Kanji, Forty-flve Years with Labour, Bombay-Calcutta 1962, S. 271.
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abstände zwischen den Geburten sollen verlängert werden oder Geburten dann unterbleiben, wenn dies aus gesundheitlichen oder ökonomischen Gründen erwünscht ist. 56 Dadurch wird die Mütter- und Säuglingssterblichkeit gesenkt, die zu Anfang der 50er Jahre sehr hoch war: Von 1000 Gebärenden starben 16 bis 2557, im Jahre 1951 von 1000 Neugeborenen 130, 1960 nur noch 9158. Dieser Erfolg ist allerdings auch dem Fortschritt im Gesundheits- und Sozialwesen zuzuschreiben. Dagegen ist die Geburtenzahl je 1000 Einwohner von 24,9 im Jahre 1950 nur unwesentlich auf 23 im Jahre 1960 zurückgegangen. 59 Das zeigt, wie langsam sich die neuen Forderungen nach Geburtenregelung eben wegen der Armut der breitesten Volksschichten und auch wegen ihrer konservativen Gesinnung durchsetzen. Schon zu Anfang der 50er Jahre kamen radikale, an Antihumanismus grenzende Vorschläge auf, die der Sache wahrscheinlich mehr geschadet als genutzt haben. So wurde z. B. empfohlen, jedes Ehepaar nach der Geburt von drei Kindern zu sterilisieren.60 Die Zentralkommission für Familienplanung hat in den 60er Jahren einen Gesetzentwurf diskutiert, der vorsah, nach dem dritten Kind bei Mutterschaft keine Unterstützung mehr auszuzahlen. 61 Nach einer Meldung in der Zeitschrift „Dharmyug" ist dieses Gesetz in Kerala 1966 in Kraft getreten. 62 Die fortschrittliche Frauenbewegung unterstützt die Familienplanung, soweit diese auf dem Wege der Aufklärung und Überzeugung wirkt, verurteilt aber alle Maßnahmen strafartigen Charakters. Daß diese Aktion doch in gewissem Umfang auf die Denkweise der Menschen Einfluß gewinnt, zeigt z. B. das Ergebnis einer Umfrage in der Zeitschrift „Dinmän": Sogar auf dem Lande wünscht die Mehrheit der Bauern nur drei Kinder, 63 weil sie kaum mehr ernähren können, insbesondere angesichts der gegenwärtigen Nahrungsmittelknappheit in Indien. Trotzdem muß man gerade die ungebildeten Schichten der Bevölkerung weiter aufklären und die religiöse fatalistische Haltung mit Ausdauer bekämpfen. Das allein kann allerdings noch nicht die endgültige Lösung sein. Solange nämlich diese Menschen im Alter auf die Hilfe ihrer Kinder angewiesen sind, sehen sie notgedrungen in dem allzu großen Kindersegen eine Art Altersversicherung. 56
The New India, Ed. Planning Commission, Government of India, New YorkToronto-London-Manila 1958, S. 350. 57 Women and Education, S. 172. 58 Miloslav Krösa, Indie, Praha 1964, S. 29. 59 Statistical Abstract of the Indian Union 1961, Delhi, S. 592. 60 Bämmohan Lohiyä in seiner Rede v o m Januar 1953: R. Lohiyä, Jätiprathä (Das Kastenwesen), Haidaräbäd 1964. «1 News N F I W Bulletin v. März 1966, Delhi, S. 8. «2 Dharmyug v. 20. 2. 1966, S. 41. 63 Samasyä — jansankhyä kä visphot — nidän — parivär — niyojan (Problem Bevölkerungsexplosion — Lösung — Familienplanung): Dinmän v. 13.8. 1965, S. 25.
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Die Allindische Frauenkonferenz gab sich in den 50er Jahren im allgemeinen mit der propagierten Regierungspolitik zufrieden und stellte keine weitergehenden Forderungen auf. Die Hauptpunkte ihres 1949 festgelegten Programms lauten: Kampagne für rechtliche Errungenschaften, Zusammenarbeit mit der Regierung bei der Beseitigung der Nahrungsmittelknappheit, Unterstützung der Flüchtlinge aus Pakistan, Mitarbeit bei der Gründung von Gesundheitseinrichtungen und Schulen und bei der Fürsorge für Mutter und Kind. 64 Die Konferenz erstrebt wohl die Bildung und Aufklärung der Frauen, nicht aber auch deren ökonomische Unabhängigkeit. Die Tagung der Allindisehen Frauenkonferenz vom 24. bis 27. Dezember 1963 in Kalkutta zeigte etwa folgende grundsätzliche Tendenzen: Die indische Frau sei vor allem Mutter, und Geld dürfe sie nur dann verdienen, wenn sich die Familie in äußerster materieller Not befinde. Eine solche Einstellung beweist allerdings mangelnde Einsicht und bewußtes Verkennen der Tatsache, wie notwendig die materielle Unabhängigkeit für die soziale Stellung der Frau ist. Einen ähnlichen Standpunkt beziehen auch andere Frauenorganisationen, wie z. B. die Frauenliga von Delhi. Allerdings spielen auch die genannten Wirkungsgebiete der Allindischen Frauenkonferenz für die indische Frau eine große Rolle. In Indien kommt überhaupt jeder Frauenorganisation insofern eine Bedeutung zu (falls sie sich keine Ziele stellt, die direkt gegen die gesetzmäßige gesellschaftliche Entwicklung gerichtet sind, wie z. B. die reaktionäre Partei des militanten Hinduismus, Jan Sangh), als die Frauen auf diese Weise aus der Abgeschlossenheit herausgelöst werden und die Möglichkeit erlangen, sich mindestens in begrenztem Kreise der Organisation auf Grund ihrer eigenen Persönlichkeit Geltung zu verschaffen. Die demokratischen linken Elemente nahmen bis zu ihrer Trennung von der Allindischen Frauenkonferenz eine sektiererische Stellung ein, zumal die Führung der Frauenkonferenz indirekt auf die Kongreßpartei überging.65 Da ihrer Leitung einflußreiche Funktionärinnen der Kongreßpartei angehören, wird die Allindische Frauenkonferenz von der Regierung und von der 1953 gegründeten Kommission für den sozialen Wohlstand (Social Weifare Board) gefördert. Diese von der Regierung betreute Kommission unterstützt finanziell auch andere Organisationen. In den Jahren 1965/66 erhielt die Allindische Frauenkonferenz 1 500 000 Rupien, der Kasturba Gandhi Memorial Fund 1 200 000 Rupien, der Bhärat Sevak Samäj (Gesellschaft der Diener Indiens) 1 600 000 Rupien, der Grämln Mahilä Sangh (Union der Dorffrauen) 1 100 000 Rupien.66 64 65 66
Women and Education, S. 100. Wcmen's Movement in India, S. 2. Hajrah Begum, I s social welfare only for the pampered rieh ?: New Age Weekly v. 7. 3. 1965, S. 12.
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Die Zentrale Kommission für den sozialen Wohlstand wendet ihre besondere Aufmerksamkeit den ländlichen Bezirken zu. Sie fördert die Errichtung von Entbindungsanstalten, die Aufklärung der Mütter, die Beschaffung von Halbtagsarbeit für Frauen, die Errichtung von Frauenwohnheimen u. ä. 67 Frauenförderung auf dem Dorfe hat schon M. K . Gandhi propagiert. 68 I m unabhängigen Indien entstehen im Rahmen des Dorfentwicklungsprogramms Frauenklubs, die Kinderpflegekurse, Nähzirkel u. ä. veranstalten. 6 9 Zum Personalbestand jedes sogenannten Entwicklungsblocks des Dorfentwicklungsprogramms gehören u. a. eine Mukhya Sevikä (Hauptdienerin) 70 , zwei Gräm Sevikäs (Dorfdienerinnen), eine Ärztin und vier Hebammen. 7 1 Seit 1957 wirbt man Helferinnen unter den Frauen des Dorfes, sogenannte Gräm Laksmis. 72 Für diese Zwecke wurden 1965 in ländlichen Bezirken 3 447 000 Rupien ausgegeben. Schon 1951 begannen unter den links orientierten Kräften der Frauenkonferenz und anderer Frauenorganisationen Diskussionen über die Schaffung einer neuen einheitlichen demokratischen Frauenorganisation. 7 3 I m Ergebnis dieser Bestrebungen gründete der Nationale Vorbereitungskongreß in Delhi im Mai 1953 das Nationale Koordinierungskomitee der Nationalen Föderation der indischen Frauen. 7 4 I m J u n i 1953 gab der Weltfrauenkongreß in Kopenhagen der indischen demokratischen Frauenbewegung weitere Anregungen. 75 Ein J a h r später, im J u n i 1954, vereinigten sich fortschrittliche Frauengruppen in der Nationalen Föderation der indischen Frauen 7 6 , die der 1945 in Frankreich gegründeten Internationalen Demokratischen Frauenföderation beitrat. 7 7 Nunmehr gehörten 40 Organisationen mit 121 237 Mitgliedern zur Föderation. Während früher in den Organisationen meist Frauen kleinbürgerlicher Schichten tätig waren, zog die Föderation weitere Kreise — vorwiegend Arbeiterinnen — zur Mitarbeit heran. 7 8 Die Nationale Föderation, die Frauen verschiedener 67
Nilima Acharji, Social Policy and Women Labour in an emergent Country: Social Welfare v. Mai 1963, S. 8. 68 K. M. Gandhi, Economic and Industrial Relations, Ahmedabad 1957, vol. III, S. 88. 69 Rajeshwar Dayal, Community Development Programme in India, Allahabad 1960, S. 96ff. 70 Sinngemäß: Oberbeamtin. 71 S. K . Dey, Community Development, New Delhi 1962, App. IV. 72 R. Dayal, a. a. O., S. 122ff. Gräm Lakgmi: gräm, = ,,Dcrf", Lakpmi — „Göttin des Reichtums und des Glücks". 73 Women's Movement in India, S. 2. 74 N e w Age Monthly v. Februar 1956, S. 26. « N e w Age Monthly v. Juli 1954, S. 68. 76 N e w Age Monthly v. Februar 1956, S. 25. 77 Kapila Khandvala, World Women's Mighty March to Peace and Progress: Blitz Newsmagazine v. 24. 8. 1963, S. 21. 78 Anasuya Gyanchand — Hajrah Begum, Report of the Joint Secretaries, New Delhi, 4. 1. 1955. Unveröff. Mat. d. I D F F .
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Religionen und Berufe erfaßt, ist die einzige Frauenorganisation, unter deren Mitgliedern sich in großer Zahl sowohl Frauen vom Lande, Arbeiterinnen aus Fabriken und Kleinindustrie, Lehrerinnen, Krankenschwestern und Büroangestellte als auch Hausfrauen und Flüchtlinge aus Pakistan mit ihren speziellen Problemen befinden. 79 Ihre klassenmäßige Zusammensetzung ist durchaus nicht einheitlich. Hierzu gibt der Bericht vom 4. Nationalkongreß der Föderation im Oktober 1962 folgenden Überblick über den Berufsstand der Delegierten: 32 Lehrerinnen, 78 Hausfrauen ohne Beruf, 2 Ärztinnen, 1 Juristin, 21 Arbeiterinnen, 44 soziale und politische Funktionärinnen, 6 Angestellte, 6 Studentinnen, 2 Journalistinnen, 1 Hebamme, 4 Funktionärinnen der Dorfräte, 2 Parlamentsmitglieder (M. P.), 1 Mitglied des Staatenparlaments (M. L. A.), 7 Mitglieder von Stadträten, 1 Delegierte aus dem Handel. 80 Das Statut stellt der Föderation u. a. folgende Aufgabe: „Die Föderation wird für die volle soziale, ökonomische, kulturelle und politische Emanzipation der indischen Frauen arbeiten, die auf der Gleichberechtigung der Männer und Frauen und auf voller sozialer Gleichheit beruht . . ," 81 Volle soziale Gerechtigkeit wird jedoch erst mit dem Sturz der kapitalistischen Gesellschaft und mit der Beseitigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen erreicht. Das ist das Ziel der Arbeiterbewegung. Auch auf die indische Frau beziehen sich August Bebels Worte: „Frau und Arbeiter haben gemein, Unterdrückte zu sein." 82 Die Föderation erkennt die Notwendigkeit an, zunächst innerhalb des kapitalistischen Staates für bessere Arbeitsbedingungen sowie für soziale und politische Gleichberechtigung zu kämpfen. Das gilt für ihr Verhalten auf dem Gebiet der Stellung der Frau. Auf die Frage, wie diese Bewegung für den gesellschaftlichen Fortschritt auf ihrem Gebiet wirkt, ist die Antwort eindeutig: positiv. Wegen ihres Kampfes um die Erweiterung der Rechte der Frau zählt sie zu den demokratischen Bewegungen der Gegenwart. Die Nationale Föderation öffnet ihre Tür allen lokalen Frauenorganisationen. Sie strebt nach der Zusammenarbeit mit der Allindischen Frauenkonferenz und mit dem Nationalrat der Frauen, einer ebenfalls von der Kongreßpartei geförderten Organisation. 83 Die Nationale Föderation der indischen Frauen ist mehr in der Stadt als auf dem Lande tätig. Sie verfügt nur über geringe Finanzmittel und hat zu wenig Kader, um die außerordentlich komplizierte Arbeit auf dem Lande meistern zu können.84 Diese eindeutig fortschrittliche Frauenorganisation wird von der Zentralen Kommission für sozialen Wohlstand nicht unterstützt. Ein neuer Ansporn für die indische Frauenbewegung war der Weltfrauenkongreß vom 24. bis 29. Juni 1963 in Moskau. Der Kongreß rief die 79
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4th National Congress of the National Federation of Indian Women. Report and Resolutions, Delhi 1962, S. 9. Ebenda, S. 52. Ebenda, S. 53. August Bebel, Die Frau und der Sozialismus, 55. Aufl., Berlin 1946, S. 51. Women's Movement in India, S. 3. Report of the NFIW at the 5th Congress, S. 19. Unveröff. Mat. d. IDFF.
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Frauen zum Kampf für ihre Gleichberechtigung auf, für das Verbot von nuklearen Waffen, für die allgemeine Abrüstung, für die Beseitigung der Militärbasen auf fremden Territorien und gegen die Gefahr eines neuen Weltkrieges. Am Kongreß nahmen 33 indische Delegierte teil. Vom 25. bis 28. Dezember 1965 fand unter schwierigen Bedingungen der 5. Kongreß der Nationalen Föderation der indischen Frauen in Delhi statt. Das Land hatte sich nach dem indo-pakistanischen Konflikt vom Herbst 1965 noch nicht erholt, und die ungünstige Versorgungslage erschwerte die Situation. Der Kongreß sollte ursprünglich in Amritsar stattfinden, trat aber wegen Bombardierung der Stadt von pakistanischer Seite in Delhi zusammen. Die Spaltung und die unübersichtliche Lage der fortschrittlichen Kräfte führten zum Rückgang der Mitgliederzahl auf 37007. 8 5 Der Kongreß wurde von Frau Indira Gandhi eröffnet, die, obwohl nicht Mitglied der Nationalen Föderation, als Gast eingeladen war. Die Veranstaltung stand unter der Losung: „Gleiche Rechte, gleiche Verantwortung, gleiche Gelegenheit." 86 Der Kongreß legte Rechenschaft über die Tätigkeit der Nationalen Föderation seit Herbst 1962 ab und beurteilte die Lage der indischen Frau. Die Nationale Föderation der indischen Frauen erklärte sich wohl bereit, die Außenpolitik der Regierung zu unterstützen, sprach sich aber eindeutig gegen die Sparmaßnahmen im Bildungswesen und auf sozialem Gebiet aus. 87 Ebenso wandte sie sich gegen die „Defence of India Rules" (Maßnahmen zur Verteidigung Indiens), die die Polizei ermächtigten, Verhaftungen ohne nachfolgendes ordentliches Gerichtsverfahren vorzunehmen.88 Besondere Anerkennung verdienen die Bemühungen der Nationalen Föderation der indischen Frauen; religiöse Streitigkeiten während des indo-pakistanischen Konflikts zu verhindern. In Delhi fanden große Demonstrationen für die Einheit der Hindus und Muslims statt. 8 9 Manche Funktionärinnen hielten Wache in Stadtbezirken, in denen religiöse Streitigkeiten drohten, und haben sogar kleinere Zwischenfälle verhindert oder im Keime erstickt. 90 Auch für die nächste Zukunft zählt die Nationale Föderation die Bekämpfung des religiösen Hasses und die Erziehung der Frauen im Geiste der Trennung von Staat und Religion zu ihren wichtigsten Aufgaben. 91 Während des indo-pakistanischen Konflikts arbeiteten viele nicht organisierte Frauen freiwillig in Kantinen, Krankenhäusern u. ä. und bewiesen so ihren 85
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Unveröff. Mat. d. I D F F . Gemeint sind Mitglieder der der N F I W angeschlossenen Frauenorganisationen, die ihre Delegierten zum Kongreß entsandten. Die anderen konnten weder erfaßt noch als Mitglieder der N F I W betrachtet werden. Report of the N F I W at the 5th Congress, S. 20. 8 8 Ebenda, S. 12. Ebenda, S. 5 - 6 . Ebenda, S. 16. Report of Women in the Task of Defence of the Motherland, S. 2. Unveröff. Mat. d. I D F F . Recommendation for future Tasks. The 5th Congress of the NFIW. Unveröff. Mat. d. I D F F . Ansari, Hindi-Roman
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Willen zur Mitarbeit. Der Nationalen Föderation stellt sich nun die Aufgabe, Kontakte mit diesen Frauen aufzunehmen und sie für ihre organisierte Bewegung zu gewinnen. 9 2 Die Teilnahme der Frauen am politischen und öffentlichen Leben nimmt zu. 1963 waren insgesamt 36 Frauen im Parlament (gegenüber 1961: 27 Frauen) und 127 Frauen in gesetzgebenden Organen vertreten (1961 nur 22) 93 . Daraus ergeben sich weitere Möglichkeiten zur Verabschiedung neuer Gesetze zum Schutz der Frau. — Nicht nur die Kongreßpartei, sondern auch die Kommunistische Partei Indiens verstärken in den 60er Jahren ihren „Frauenflügel". So zählte die Kommunistische Partei Keralas 1963 schon mehr als 50000 aktive Mitarbeiterinnen. Selbst bei der reaktionären Partei J a n Sangh setzt sich die Einsicht durch, daß sie die Frauen nicht weiterhin aus dem öffentlichen Leben ausschließen kann, was zur Bildung einer eigenen Frauengruppe f ü h r t . 9 4 Ein Teil der Frauen läßt sich wohl durch den militanten Hinduismus der Jan-SanghPartei und durch dessen vorgetäuschte Verehrung der Frau verlocken (sehr wahrscheinlich auch durch ihre Männer und Verwandte lenken), aber ein anderer Teil begreift doch, daß nur die fortschrittlichen Organisationen es mit der Verteidigung der Interessen und der Gleichberechtigung der Frau ernst meinen. Die Forderung nach voller Gleichberechtigung der Frau erhebt erneut das Wahlmanifest 1966 der Kommunistischen Partei Indiens (CPI), wobei auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit, auf soziale Einrichtungen und auf die Frauenförderung in der Ausbildung Wert gelegt wird. 9 5
3. 5 Die indische Frau vor dem Gesetz Das Wahlrecht stand den indischen Frauen schon seit 1935 zu,9(5 es fragt sich aber, wie viele der in Unwissenheit gehaltenen Frauen davon auch Gebrauch machten, in einem Lande, wo bis zum Jahre 1947 Überbleibsel des Feudalismus und des Mittelalters von der Kolonialmacht und der ihr verbündeten Reaktion mit allen Mitteln künstlich am Leben erhalten wurden. Bis 1950 gewährte kein Gesetz der Frau Gleichberechtigung. In diesem Jahre trat die neue Verfassung der Indischen Union in Kraft, die der Frau völlige Gleichberechtigung mit dem Manne zubilligt. In Teil I I I , Art. 15 der Verfassung ist festgelegt: 32 Ebenda. 93 A. Kumari, Moderne Berufe — alte Bräuche: Modernes Leben v. 20. 9. 1963, S. 12. Ebenda. 95 Election Manifests of the Communist Party of India, 1967: New Age Weekly v. 18. 12. 1966. 96 Den Frauen in Frankreich z. B. erst 1944, in Italien 1945, in Deutschland und der CSR aber schon 1918. Nach L. Menon, Women in India and Abroad: W o m e n of India, S. 64.
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„(1) Der S t a a t d a r f k e i n e P e r s o n aus G r ü n d e n d e r Religion, der Rasse, d e r K a s t e , des Geschlechts oder des G e b u r t s o r t e s benachteiligen. (2) K e i n B ü r g e r d a r f n u r a u s G r ü n d e n der Religion, d e r K a s t e , des Geschlechts oder des G e b u r t s o r t e s d e r R e c h t s u n f ä h i g k e i t , H a f t b a r k e i t , E i n s c h r ä n k u n g oder einer B e d i n g u n g u n t e r w o r f e n w e r d e n h i n s i c h t l i c h a) des Z u t r i t t s zu G e s c h ä f t e n , öffentlichen R e s t a u r a n t s , H o t e l s u n d öffentlichen V e r g n ü g u n g s s t ä t t e n ; oder b) des G e b r a u c h s v o n B r u n n e n , W a s s e r b e h ä l t e r n , E r h o l u n g s p l ä t z e n , die entweder ganz oder teilweise d u r c h S t a a t s m i t t e l e r h a l t e n oder f ü r d e n Allgemeingebrauch bestimmt sind."97 W e i t e r b e s a g t Teil I I I , A r t . 16: „(1) Allen B ü r g e r n w e r d e n die gleichen Möglichkeiten zur B e s c h ä f t i g u n g i m öffentlichen D i e n s t oder bei E r n e n n u n g e n g e w ä h r t . (2) K e i n B ü r g e r d a r f n u r a u s G r ü n d e n d e r Religion, d e r Rasse, der K a s t e , des Geschlechts, der H e r k u n f t , des Geburts- oder W o h n o r t e s v o n der W ä h l b a r k e i t ausgeschlossen oder hinsichtlich einer B e s c h ä f t i g u n g oder eines S t a a t s a m t e s benachteiligt w e r d e n . " 9 8 Die Gleichstellung v o n F r a u u n d M a n n v o r d e m S t a a t n u t z t e jedoch wenig, solarige sich i m F a m i l i e n r e c h t keine Spur v o n d e r Gleichberechtigung d e r F r a u f a n d . Das H i n d u - E h e r e c h t , i n dessen R a h m e n die m e i s t e n H e i r a t e n geschlossen w u r d e n , g e s t a t t e t e bis 1955 zwar P o l y g a m i e , 9 9 d o c h keine E h e s c h e i d u n g . Die F r a u war v e r p f l i c h t e t , d o r t h i n zu gehen, wo sich d e r E h e m a n n a u f h i e l t , u n d m i t dessen E l t e r n zu leben. 1 0 0 N a c h d e m i n d i s c h e n Scheidungsgesetz k o n n t e n sich E h e l e u t e scheiden lassen, die e r k l ä r t h a t t e n , zu k e i n e r Religion u n d K a s t e zu g e h ö r e n . 1 0 1 A b e r g e r a d e dies w a r f ü r die m e i s t e n i n religiösen Vorurteilen s t e c k e n d e n F r a u e n so g u t wie unmöglich. D a h e r w u r d e n a u c h i m J a h r e 1949 in Delhi lediglich sechs S c h e i d u n g s a n t r ä g e eingereicht. 1 0 2 N u r in den niederen K a s t e n , v o r w i e g e n d bei d e n Südras, w a r E h e s c h e i d u n g B r a u c h . Die F r a u e n der niederen, a r b e i t e n d e n K a s t e n , die schon i m m e r i n d e r P r o d u k t i o n t ä t i g w a r e n u n d d e s h a l b der Gleichberechtigung n ä h e r s t a n d e n , b r a u c h t e n n i c h t v o n einem M a n n e U n r e c h t zu ertragen. E i n e H i n d u - F r a u d u r f t e weder e r b e n 1 0 3 noch ein K i n d a d o p t i e r e n . 1 0 4 E i n e m M a n n a u s einer niederen K a s t e war eine H i n d u - H e i r a t m i t einer F r a u a u s einer höheren Kaste verwehrt.105 E r s t e S c h r i t t e zur V e r ä n d e r u n g der r e c h t l i c h e n Stellung der H i n d u - F r a u in der F a m i l i e g a b es in d e n vierziger J a h r e n . 1942 ließ d e r S t a a t B a r o d a die 97
Die Verfassung Indiens, Berlin 1961, S. 8. Ebenda. K. P. Saksena, The Hindu Marriage Act 1955, Lucknow 1959, S. 14. Ebenda, S. 204. K. M. Kapadia, a. a. O., S. 113. K. P. Saksena, a. a. O., S. 255. 103 Renu Chakravarty, The Law as it Affects Women : Women of India, S. 80. 104 Ebenda, S. 82. i°5 K. P. Saksena, a. a, 0., S. 21. 98 99 wo loi «•2
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Ehescheidung zu. 1 0 6 1946 erging in Bombay das Verbot der Bigamie, 1947 folgte Madras. 1949 folgte in ganz Indien die Legalisierung von Kastenmischheiraten. 107 1952 wurde den Hindus in Saurastra die Ehescheidung gestattet 1 0 8 und 1954 die Bigamie verboten. 1 0 9 In den 50er Jahren machte sich der wachsende Einfluß der demokratischen Frauenbewegung zunehmend bemerkbar. 1954 wurde das Sonderheiratsgesetz (Special Marriage Act) erlassen. Es gibt allen, auch den Hindus, die Möglichkeit einer Ziviltrauung auch mit einem religionsfremden Partner, ohne daß dabei die eigene Religion aufgegeben zu werden braucht. Der Mann muß mindestens 21 Jahre, die Frau 18 Jahre alt sein. Eine solche Ehe kann auch geschieden werden. 110 Ein Erfolg der fortschrittlichen Frauenbewegung war auch das neue HinduEhegesetz von 1955. Sein Entwurf war schon von einem von der Regierung im Jahre 1941 ernannten Komitee vorbereitet und am 21. Februar 1947 der Gesetzgebenden Versammlung vorgelegt worden. 1 1 1 Aber es dauerte noch acht Jahre, bis das neue Gesetz am 18. Mai 1955 in K r a f t trat. 1 1 2 Die wesentlichen Veränderungen des Hindu-Ehegesetzes sind folgende: 1. Keiner der Brautleute darf einen lebenden Ehepartner haben; 1 1 3 2. die Scheidung einer Hindu-Ehe ist möglich. 114 Weitere Bedingungen f ü r eine Hindu-Heirat: 1. Keiner der Brautleute darf geisteskrank sein; 2. der Bräutigam muß mindestens 18 Jahre, die Braut 15 Jahre alt sein; 3. die Brautleute dürfen nicht miteinander verwandt sein; 4. falls die Braut noch nicht 18 J a h r e alt ist, ist die Zustimmung ihres Vormunds notwendig. 1 1 5 Die Hauptgründe für die Ehescheidung einer Hindu-Ehe sind: 1. Ehebruch, 2. Geisteskrankheit, 3. unheilbare und anstekkende Form der Lepra, 4. ansteckende Form einer Geschlechtskrankheit, 5. wenn die Angehörigen eines Ehepartners sieben J a h r e lang ohne ein Lebenszeichen von ihm geblieben sind. Außerdem kann die Frau die Scheidung beantragen, wenn der Ehemann mehrere Ehefrauen hat oder wenn er Notzucht begangen hat. 1 1 6 Das Sonderheiratsgesetz erkennt noch zusätzliche Scheidungsgründe an: 1. Ein Ehepartner hat den anderen mindestens drei J a h r e vor der Antragstellung verlassen; 2. ein Ehepartner ist mit mindestens sieben Jahren Gefängnis bestraft worden. 1 1 7 106 107 «>8 «>9
K. M. Kapadia, a. a. O., S. 178. K. P. Saksena, a. a. O., S. 389. K. M. Kapadia, a. a. O., S. 178-179. Ebenda, S. 114. R. Chakravarty, a. a. O., S. 79-80. 111 K. P. Saksena, a. a. O., S. 16. "2 Ebenda, S. 17. Ebenda, S. 112. 114 Ebenda, S. 241. 115 Ebenda, S. 112. K. P. Saksena, a. a. O., S. 242-243. » 7 Ebenda, S. 373.
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Eine Hindu-Ehe kann auch für ungültig erklärt werden wegen Impotenz, Geisteskrankheit oder wenn die Frau von einem anderen Mann schwanger ist. Eine Ehe kann ferner ungültig werden, wenn sie erzwungen oder infolge Betrugs geschlossen wurde. 1 1 8 Es ist eine große bürgerlich-demokratische Errungenschaft, daß die meist ohne Liebe eingegangene Ehe lösbar ist und die Frau eine Möglichkeit erhalten hat, sich aus ihrer oft entwürdigenden Lage zu befreien. Den neuen Ehegesetzen folgten im Jahre 1956 ein Hindu-Erbgesetz, wonach die Frau erben kann, 1 1 9 und ein Gesetz über Adoption und Unterhalt. Dieses Gesetz gibt der Ehefrau, die einen Grund hat, sich von ihrem Manne zu trennen, den Anspruch auf Unterstützung durch den Mann. Eine ledige, geschiedene oder verwitwete Frau kann auch Kinder adoptieren. Ein verheirateter Mann darf nur mit Zustimmung seiner Frau ein Kind adoptieren. 1 2 0 Die in der Nationalen Föderation vereinigten Frauenorganisationen entfalteten große Initiative und Aktivität für das Verbot der Mitgift. Bereits 1954 gelangte der Gesetzentwurf über das Verbot der Mitgift an die Gesetzgebende Versammlung. I m Herbst 1958 legten ihn 75 Mitglieder dieser Organisationen dem Justizminister vor, und zwar mit 18000 in verschiedenen Gebieten Indiens gesammelten Unterschriften. 1959 wurde der Entwurf an das Volkshaus des Parlaments (Lok Sabha) überwiesen, 121 wo er auf eine starke Opposition konservativer Kreise stieß. Aber gleichzeitig erhielt die Föderation viele Berichte von Selbstmordversuchen und sogar Morden wegen der Mitgift bzw. ihres Fehlens. Die Föderation organisierte eine Überzeugungsaktion unter den Abgeordneten, Frauenversammlungen fanden statt, und schließlich hielten Vertreterinnen der Föderation Mahnwache vor dem Parlamentsgebäude. 1 2 2 Um den Entwurf stärker zu popularisieren, ließ die Nationale Föderation der indischen Frauen vom Oktober 1960 an Brautpaare, die eine Ehe ohne Mitgift eingehen, Ehrenblätter aushändigen. Unter dem Druck all dieser Aktionen wurde schließlich am 31. Juli 1961 die Mitgift gesetzlich verboten. 1 2 3 Die neuen Gesetze mußten gegen den heftigen Widerstand d.er orthodoxen Hindus durchgesetzt werden, die darin ein Eingreifen des Staates in ihre Religionsangelegenheiten sahen. 124 So hat sich — zumindest vor dem Gesetz — die Lage der Hindu-Frau verbessert. Die neuen Hindu-Gesetze sind eine wichtige rechtliche Grundlage zur "8 Ebenda, S. 230. R. Chakravarty, a. a. O., S. 81. 120 Ebenda, S. 83. 121 R. Chakravarty, Zum ersten Mal gilt in Indien die Annahme oder das Zahlen einer Mitgift als Vergehen : Frauen der ganzen Welt, Nr. 5/1963, S. 28. 122 4th National Congress of the N F I W , Rep. and Res., S. 21 - 2 2 . 123 R. Chakravarty, Zum ersten Mal . . ., a. a. O. 124 Vgl. State and Religion in India; A Study of „Secular State' in India", Vortrag von Dr. Chandra Mudaliar auf dem 5. Kolloquium für Soziologie des Protestantismus in Sigtuna, Schweden, 20.—24. 4. 1965. 119
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Erringung der Gleichberechtigung der Frau und zur Verbesserung ihrer Lage in der Familie. So stieg das Durchschnittsalter der Braut in den Jahren 1931 bis 1961 von 12,5 auf 16 Jahre. 1 2 5 Dabei liegt das Durchschnittsalter bei Mädchen ohne höhere Bildung zwischen 14 und 16 Jahren, bei Mädchen mit höherer Bildung zwischen 17 und 21 Jahren. 1 2 6 Margaret Cormack hat in einer Umfrage festgestellt, daß 1952, unmittelbar nach dem Inkrafttreten des Scheidungsgesetzes in Bombay, hier 2500 Anträge eingereicht wurden. 1 2 7 I m Jahre 1964 waren es allein für Delhi jeden Monat mehr als 50 Scheidungsanträge. Bemerkt sei, daß beim Gericht von Delhi f ü r Scheidungssachen eine Frau zuständig ist. Als Scheidungsgi'ünde bringen die meisten Frauen vor, daß sie vom Ehemann geschlagen oder von den Schwiegereltern tyrannisiert werden, aber auch sexuelle Ausschweifungen der Männer werden genannt. 1 2 8 Doch ohne revolutionäre Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse ist eine durchgreifende Verbesserung der Lage der Frau unmöglich. Auch die ungleichmäßige ökonomische Entwicklung und die industrielle Rückständigkeit des Landes sind ein guter Nährboden f ü r das Fortbestehen verknöcherter Traditionen, des religiösen Aberglaubens und der feudalen Überbleibsel, die gerade das Leben der Frauen stark beeinflussen. Als ganz krasses Beispiel sei erwähnt, daß es noch im J a h r e 1967 einen Fall von Witwenverbrennung gab, 1 2 9 obwohl dieser barbarische, in Wirklichkeit nie allgemein verbreitete Brauch schon seit 1829 verboten ist. Das Umsetzen der Gesetze in die Praxis ist ein langwieriger Prozeß. Oft werden die Gesetze umgangen. So manche Eltern, denen nur daran gelegen ist, ihre Tochter „günstig", d. h. in eine gesellschaftlich hochstehende Familie, zu verheiraten, sind allzugern bereit, dem Bräutigam ihr Letztes als Mitgift zu opfern, und haben nicht den Mut, den Bräutigam zu verklagen, der zu viel fordert. Andererseits haben junge Frauen, deren Eltern sich auf das Gesetz beriefen, auch heute noch häufig darunter zu leiden. 130 Noch 1963 hat in Bhadravati bei Bangalore eine Schwiegermutter einen Mordversuch an ihrer Schwiegertochter verübt, weil diese keine Mitgift in die Ehe gebracht hatte. 1 3 1 Die Zeitschrift „Säptähik Hindustän" berichtete 1965 über einen Selbstmord wegen der Mitgift, aber auch über drei Fälle, in denen Söhne und Väter als Feinde auseinandergingen, weil die Söhne sich durch das Verlangen der Eltern erniedrigt fühlten. 1 3 2 Ein solches Verhalten der jungen Generation zeigt sich 125
Samasyä — jansankhyä kä visphot . . ., Dinmän v. 13. 8. 1965, S. 25. Ram Ahuja, Suitable Age for Marriage : Social Weifare v. Mai 1964, S. 22. 127 M. Cormack, The Hindu Woman, New York 1953, S. 177. 128 S. Pändey, Taläk ki samasyä : Hindi täims v. 15. 1. 1964, S. 14. »29 The Indian Express v. 31. 3. 1967. 130 Vgl. Devendrasinh Päble, Dahej kaisä aur kitnä (Mitgift — wie und wieviel): Säpt. Hind. v. 20. 12. 1964, S. 39. 131 Blitz Newsmagazine v. 14. 9. 1963, S. 8. 132 Padmaräni Vaisya, Dahejprathä kä dusparinäm (Die schlechte Folge des Mitgiftbrauehes) : Säpt. Hind. v. 7. 2. 1965, S. 32. 126
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leider noch nicht sehr häufig, deutet aber schon gewisse Veränderungen in ihrem Bewußtsein an. Das Mindestheiratsalter wird zuweilen nicht eingehalten. 1965 gab es in Indien 4426000 verheiratete „Frauen" im Alter von 10 bis 14 Jahren. Weitere 30000 Mädchen dieser Altersgruppe waren Witwen, und 29000 lebten von ihren Männern getrennt. 1 3 3 Die jüngste Delegierte auf dem 5. Kongreß der Nationalen Föderation der indischen Frauen, ein elfjähriges Mädchen, kam wahrscheinlich deshalb, um ihren Fall an die Öffentlichkeit zu bringen und die öffentliche Meinung aufzurütteln. Sie berichtete, daß sie im selben Jahre (1965) an einen vierzehnjährigen „Mann" verheiratet worden war, wobei ihre Schulausbildung abgebrochen sei. 134 — Bei diesen Heiraten geht es allerdings eher um Verlobungen, die aber f ü r beide Teile als verbindlich gelten. Viele Frauen können die Gesetze für sich nicht anwenden, weil sie ungebildet, im praktischen Leben unerfahren und ökonomisch abhängig sind. Hierzu weist die zweite Kommission des 5. Kongresses der Nationalen Föderation der indischen Frauen 1965 auf das häufige Umgehen und Nichteinhalten der neuen Gesetze hin und stellt fest: „Sogar heute, 18 Jahre nach der Erringung der Unabhängigkeit, ist das Tempo der sozialen Veränderungen in unserem Lande sehr langsam. Obwohl viele Gesetze zum Schutze der Rechte der Frauen gültig sind, können sie von vielen Frauen nicht ausgenutzt werden . . . Noch wichtiger ist die Tatsache, daß die wirkliche Stellung der Frauen in der Gesellschaft und in der Familie von der Gleichberechtigung weit entfernt ist, obwohl unsere Verfassung volle Gleichheit ohne Rücksicht auf das Geschlecht garantiert." 135 Die Kommission deutet auf die hohe Zahl der Selbstmordfälle unter den Frauen in Indien hin, 1 3 6 schlägt die Ernennung einer Kommission zur Untersuchung dieser Fälle im allindischen Maßstab vor und betont die Notwendigkeit der materiellen Selbständigkeit der Frauen, damit diese u. a. von den Schwiegereltern nicht völlig abhängig sind. Den Frauen müßte ein kostenloser Beratungsdienst der Rechtsanwälte zur Verfügung stehen. Es sei Aufgabe der Nationalen Föderation der indischen Frauen, zur Bildung einer öffentlichen Meinung gegen die Mitgift beizutragen. 1 3 7 Die neuen Hindu-Gesetze sind auch in anderer Hinsicht nicht ganz befriedigend, z. B. bezüglich des Mindestalters der Braut. Das Vereinigte Komitee, das den Gesetzentwurf ausgearbeitet hat, schlug daher vor, das Mindestalter des Bräutigams von 18 auf 21 Jahre und das der Braut von 15 auf 16 J a h r e her133 134
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India 1965, Government of India, New Delhi, S. 17. Hajrah Begum, Some Impressions of the N F I W Congress: New Age Weekly v. 9. 1. 1966, S. 10. Recommendations of the 2nd Commissicn, 5th Congress of the N F I W 1965, S. 3. Unveröff. Mat. d. I D F F . Die Delegierte zum Kongreß aus Gudscharat berichtete über 2000 Selbstmordfälle junger Frauen innerhalb eines Jahres. Nach H. Begum, Some Impressions of the N F I W Congress: a . a . O . , S. 10. Recommendations of the 2nd Commission, S. 3.
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aufzusetzen. 138 Aber der Vorschlag verfiel der Ablehnung. Übrigens würde auch ein Heiratsalter von 16 Jahren den heutigen gesellschaftlichen Anforderungen nicht mehr genügen, da Studium und Ausbildung mehr Zeit fordern. Ein 15- bis 16jähriges Mädchen ist sich kaum der Verantwortung bewußt, die es mit der Ehe übernimmt, und es wird auch kaum in der Lage sein, bald danach Kinder richtig zu erziehen. Das Hindu-Ehegesetz, das noch 1955 eine Eheschließung mit 15 Jahren zuließ, ist in dieser Hinsicht sehr rückständig und revisionsbedürftig. «9 Sogar noch nach 1955 kann ein minderjähriges Mädchen ohne eigenp Zustimmung verheiratet werden. 140 Wohl können in einem solchen Falle der Bräutigam und die Personen, die die Heirat einer Minderjährigen arrangieren, unter Anklage gestellt und bestraft werden, aber die Heirat, die trotz des gerichtlichen Verbots geschlossen wurde, bleibt gültig. 141 Auch schon vor 1955 konnte Anklage erhoben werden, aber nur dann, wenn die vorbereitete Heirat offensichtlich ungleich war (wenn z. B. ein alter Mann ein junges Mädchen heiratete). 142 Falls ein Mädchen unter 15 Jahren von seinen Eltern verheiratet wurde, droht das Gesetz den Verantwortlichen ebenfalls Gefängnis oder Geldstrafe an, 143 doch die Ehe bleibt auch in einem solchen Fall gültig. 144 Beides sind Musterbeispiele von Inkonsequenz und eine Kapitulation vor den veralteten Hindu-Traditionen, die auf das Gesetzbuch des Manu (um 250 v. u. Z.) zurückgehen. 145 Auf die Inkonsequenz des bürgerlichen Rechts wies Lenin hin: „Sogar in bezug auf die formale Gleichheit . . . kann der Kapitalismus nicht konsequent sein. Und eine der schlimmsten Äußerungen dieser Inkonsequenz ist die Nichtgleichberechtigung der Frau. Kein einziger bürgerlicher Staat, und sei es der fortschrittlichste republikanische, demokratische Staat, hat ihr die volle Gleichberechtigung gegeben." 146 Die indische Frau wartet zur Zeit sowohl darauf, daß die Forderung nach völlig gleichen Rechten und Pflichten vor und während der Ehe erst tatsächlich konsequent gestellt wird, als auch auf ein einheitliches Eherecht für alle Bürger ohne Unterschied der Religion. K. P. Saksena, a. a. O., S. 133. 139 So beträgt in Guinea das heute zulässige Heiratsmindestalter 17 Jahre. Nach Ira Joswiakowski, Guineas Frauen singen v o n Loffo Barika: Für Dich, 3. Oktoberheft 1963, S. 22. — Die Ehe im Alter von 16 Jahren war für die Frauen schon im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch v o m Jahre 1900 zugelassen. 140 J. D. Derrett, Hindu Law Past and Present, Calcutta 1957, S. 63. K. P. Saksena, a. a. O., S. 154. »« J. D. Derrett, a. a. O., S. 142. 144 «3 K. P. Saksena, a. a. O., S. 280. Ebenda, S. 133. 145 Manu empfiehlt einem vierundzwanzigjährigenMann, ein achtjähriges Mädchen zu heiraten: A. Loiseleur-Deslongchamps, Mänava-dharma-äästra, I X 94; B. I., S.223. 146 W . I . L e n i n , Zum Internationalen Frauentag ( 8 . 3 . 1 9 2 0 ) : W . I . L e n i n über Kultur und Kunst, Berlin 1960, S. 350.
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Die Ehen der Christen können auf Grund des Gesetzes von 1869 geschieden werden. 147 Für die Parsis gibt es ein entsprechendes Gesetz aus dem Jahre 1936. i « In der stärksten Konfessionsminderheit Indiens, unter den Muslims, ist, abweichend von der Hindu-Tradition, die Mitgift bei der Eheschließung nicht ausschlaggebend. Nach dem islamischen Eherecht muß im Gegenteil eine Brautgabe im Ehevertrag erst besonders vereinbart werden. Eine Muslim-Ehe kann geschieden werden, die häufigste und unwiderrufliche Form der Scheidung ist aber die Entlassung der Frau durch den Mann. Polygamie ist gestattet. «9 Unter dem Einfluß des Hinduismus wird jedoch die Brautgabe unter den indischen Muslims immer mehr zu einer rein formalen Angelegenheit. Sie wird in der Regel wohl theoretisch vereinbart, aber nur ausnahmsweise dann ausgezahlt, wenn die Ehe durch die Schuld des Mannes oder auf seinen Wunsch ohne Schuld der Frau geschieden wird. An Bedeutung gewinnt im Gegenteil die Aussteuer der Braut. Zum Unterschied von dem hinduistischen Brauch handelt es sich dabei nicht um Geld, sondern ausschließlich um Gebrauchsgegenstände. Der Umfang der Aussteuer geht aber, gleich wie bei den Hindus, über den persönlichen Gebrauch der Braut weit hinaus. Die indische Regierung wagt es bisher nicht, in das Muslimrecht einzugreifen. Dabei spielen vielleicht Rücksichten auf mögliche feindliche Reaktionen in Pakistan eine Rolle. Auf der anderen Seite werden die reaktionärsten HinduKreise wahrscheinlich immer gern die Gelegenheit wahrnehmen, auf die Rückständigkeit des Muslimrechts, vor allem auf die Polygamie, demagogisch hinzuweisen. Der 4. Kongreß der Nationalen Föderation der indischen Frauen machte 1962 darauf aufmerksam, daß auch das Muslimrecht ähnlicher Reformen bedarf wie die der Änderung des Hindu-Eherechts von 1955, und erinnerte die Regierung an ihre bekanntgegebene Absicht, ein einheitliches Familienrecht für alle indischen Bürger zu schaffen. 150 Auch der 5. Kongreß der Nationalen Föderation stellte 1965 mit Bedauern fest, daß die gespannte innen- und außenpolitische Lage den orthodoxen Kräften als Vorwand für das Aufschieben der Reformen des christlichen und des MuslimEherechts dient. Von führenden orthodoxen Muslims liegen schon Mißbilligungen der Reformen des Muslimrechts vor. Der Kongreß der Nationalen Föderation bemerkt selbstkritisch, daß der fortschrittliche Teil der öffentlichen Meinung, insbesondere die Frauenorganisationen, für die Aufklärung der Muslim-Frauen zu wenig getan und ihnen nicht klargemacht hat, daß es ja um ihren eigenen Schutz geht. Die Nationale Föderation der indischen Frauen hatte die Absicht, ein Sonderkomitee zum Studium des Muslimrechts zu bilden, aber die indisch147
R. Chakravarty, a. a. O., The Law . . . : S. 85. Ebenda, S. 86. 149 O. Spies-E. Pritsch, Klassisches Islamisches Recht: Handbuch der Orientalistik, Ergänzungsbd. III, Leiden/Köln 1964, S. 226. f5» 4th Congress of the N F I W , Rep. and Res., S. 45. 148
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p a k i s t a n i s c h e n A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n m a c h t e n 1965 dies u n m ö g l i c h . 1 5 1 J e d o c h h a b e n die Beschlüsse des 5. Kongresses ein erstes E r g e b n i s gezeitigt. A m 18. April 1966 t r a t e n z u m ersten Mal i n der Geschichte der i n d i s c h e n F r a u e n b e wegung sieben M u s l i m - F r a u e n in einer stillen D e m o n s t r a t i o n v o r d e r Gesetzg e b e n d e n V e r s a m m l u n g f ü r die A b s c h a f f u n g der P o l y g a m i e u n t e r den Muslims u n d f ü r ein einheitliches E h e r e c h t f ü r alle B ü r g e r e i n . 1 5 2
3. 6 Bildung
der Mädchen
und
Frauen>
Viele der b e g a b t e n u n d i n t e l l i g e n t e n F r a u e n w ä r e n v o n der H ö h e d e r Mitgift u n d v o n ä h n l i c h e n B r ä u c h e n n i c h t völlig a b h ä n g i g , s o n d e r n k ö n n t e n ihre K r a f t a n d e r s einsetzen, w e n n sie eine a n d e r e E r z i e h u n g u n d B i l d u n g erhielten. A u c h hier t r i f f t Bebels F e s t s t e l l u n g z u : „ Z u s t ä n d e , die eine lange R e i h e von Generationen d a u e r n , w e r d e n schließlich zur G e w o h n h e i t , u n d V e r e r b u n g u n d E r z i e h u n g lassen sie beiden Teilen als , n a t u r g e m ä ß ' erscheinen. D a h e r n i m m t noch h e u t e insbesondere die F r a u i h r e u n t e r g e o r d n e t e Stellung als e t w a s Selbstverständliches h i n , u n d es ist n i c h t leicht, i h r k l a r z u m a c h e n , d a ß diese eine u n w ü r d i g e ist u n d d a ß sie d a h i n streben müsse, ein d e m M a n n e gleichberechtigtes, in jeder Beziehung e b e n b ü r t i g e s Glied der Gesellschaft zu werden."153 Schon bei kleinen M ä d c h e n ist eine m o d e r n e E r z i e h u n g v o n B e d e u t u n g , die sie von i h r e r S c h ü c h t e r n h e i t u n d Z u r ü c k h a l t u n g b e f r e i t u n d l e h r t , d a ß eine völlige U n t e r d r ü c k u n g d e r eigenen Persönlichkeit f ü r die h e u t i g e F r a u kein I d e a l m e h r sein k a n n . Die bis i n die j ü n g s t e V e r g a n g e n h e i t sehr vernachlässigte schulische E r z i e h u n g d e r M ä d c h e n ist in I n d i e n e n o r m wichtig. I m S c h u l j a h r e 1947/48 g a b es i n ganz I n d i e n i n s g e s a m t 16951 Schulen f ü r M ä d c h e n m i t 3 5 5 0 5 0 3 Schülerinnen u n d S t u d e n t i n n e n . 1 5 4 N o c h vier J a h r e n a c h der B e f r e i u n g I n d i e n s , 1951, k o n n t e n n u r 7 , 9 % F r a u e n lesen u n d schreiben. 1 5 5 1948/49 belief sich die Z a h l der weiblichen Schüler u n d S t u d e n t e n auf 5 2 3 3 3 9 3 , m i t h i n 1 9 , 9 % aller Schüler u n d S t u d i e r e n d e n , u n d 1949/50 w a r e n es 6 0 1 1 3 2 0 , d . h . 25 % aller Schüler u n d S t u d i e r e n d e n . 1 5 6 1960/61 z ä h l t e m a n a n allen Schulen I n d i e n s schon 1 4 2 5 9 0 4 7 Schülerinnen u n d S t u d e n t i n n e n . 1 5 7 A b e r in dieser Z a h l sind in allindischem M a ß s t a b n u r 43 % d e r M ä d c h e n i m schul151
Report of the N F I W at the 5th Congress, S. 11. Unveröff. Mat. d. IDFF. News Bulletin N F I W v. Mai 1966, S. 3. 153 A. Bebel, a. a. O., S. 51. 154 K. G. Sayidain, Preface to „Ten Years of Freedom", Ministry of Education and Scientific Research, Delhi, S. 11. Zitiert in: Women of India, S. 248, von P. Sen Gupta. 155 Statistical Abstract of the Indian Union, 1961, S. 651. 156 Statistical Abstract, India 1956—57, Government of India, Delhi, S. 79. 157 Kapila Khandvala, Needed: special Stress on Women's Education: New Age Weekly v. 7. 3. 1965, S. 12. 152
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Pflichtigen Alter erfaßt gegenüber 84,9 % der Knaben. 1 5 8 Zwischen 1950 und 1963 hat sich die Zahl der Mädchen, die ländliche Volksschulen besuchten, verdoppelt, in den Mittelschulen vervierfacht, in den Oberschulen ist sie um 150 % gestiegen. In Kerala besuchen etwa 90 % der Mädchen die Schule. 159 Gleichwohl bleibt die Ungleichheit zwischen Jungen und Mädchen bestehen. So besuchten im Schuljahr 1962/63 90,5 % der Jungen im Alter von 6 bis 11 Jahren die Schule, aber nur 47,8 % der gleichaltrigen Mädchen. Auch in den Lehranstalten mittlerer Stufen liegt die Prozentzahl der Jungen zwei bis dreimal höher als die der Mädchen. 160 I m Schuljahr 1965/66 gingen nach Einschätzung der 1958 gegründeten Nationalen Kommission für den Unterricht der Frauen 97.1 % der Jungen im Alter von 6 bis 11 Jahren, 46 % im Alter von 11 bis 14 Jahreii und 27,3 % i r a Alter von 14 bis 17 Jahren zur Schule. Bei den Mädchen waren es in der Altersgruppe 6 bis 11 J a h r e 63,3 %, bei den 11 bis 14jährigen 18.2 % u n ( i in der Altersstufe von 14 bis 17 Jahren sogar nur 7,8 %. 1 6 1 I m J a h r e 1962 konnten 32,9 % der Männer lesen und schreiben, aber nur 12,8 % der Frauen 1 6 2 (in rückständigen Gebieten wie Radschasthan und Madhya Pradesch sogar nur 5 % der Frauen) 1 6 3 . Das bedeutet zwar einen Fortschritt gegenüber dem Jahre 1951 mit nur 7,9 % der Frauen, aber der erreichte Stand befriedigt längst nicht. (In Indonesien konnten 1960 50 % der Frauen lesen und schreiben, auf Madagaskar 23 %. 16/ ') Als Gründe dafür seien vor allem genannt: Mangel an Schulen, an Lehrerinnen, zu große Entfernungen der Schulen in ländlichen Bezirken, Fehlen von Kinderkrippen, so daß größere Töchter werktätiger Mütter kleine Geschwister betreuen müssen. 1 6 5 Inhalt und Formen des gegenwärtigen Unterrichts für Mädchen weisen noch viele Mängel auf. Neben den allgemeinen Schulfächern wird der traditionellen Kochkunst und den Nadelarbeiten große Aufmerksamkeit gewidmet, 1 6 6 nur wenig aber z. B. der Säuglingspflege. Es nimmt nicht wunder, daß man dann in der Kinderpflege oft nach Prinzipien verfährt, die schon vor Jahrhunderten üblich waren. — I n manchen Mädchenschulen ist bis heute Männern das 158
A. Gyanchand, Der Schulunterricht für die Mädchen in Indien: Frauen der ganzen Welt, Nr. 8/1963, S. 33. 159 A. Kumari, a. a. O., S. 34. 160 R. Chakravarty, World Congress of Women: New Age Weekly v. 26. 6. 1963, S. 8. 161 5th Congress of the N F I W . Report on enlightened and scientific Education for all women, S. 1. Unveröff. Mab. d. I D F F . 162 Kapila Khandvala, Presidential Address: 4th National Congress of the N F I W , Rep. and Res., S. 16. 163 A. Kumari, a. a. O., S. 34. 164 Social Weifare: Women's News v. März 1960, S. 28. 165 A. Gyanchand, a. a. O., S. 33. 166 Einführung der „Haushaltskunde" als Fach für die Mädchen, die zu Hause ohnehin im Haushalt viel beschäftigt werden, ist nicht so überflüssig, wie es scheinen mag. Dieses Fach macht vielen Eltern den Schulbesuch ihrer Töchter annehmbar.
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Betreten verwehrt, und die Mädchen werden von den Jungen völlig isoliert. Versuche zur Gemeinschaftserziehung stoßen oft auf Protest von Seiten der Eltern. «¡7 Das alles erfordert viel Aufklärungsarbeit, viel Geduld, Überzeugung und Geschicklichkeit. Auch hier liegt eine große Aufgabe der demokratischen Frauenbewegung und aller fortschrittlichen Kräfte Indiens. Recht niedrig ist noch der Anteil der weiblichen Studentinnen an Fach- und Hochschulen technischer und naturwissenschaftlicher Richtungen. So studierten im Jahre 1959/60 nur 95 Mädchen Land- und Forstwirtschaft, 680 Handel und 7167 Medizin und Veterinärmedizin. 168 Aber in den letzten Jahren ist das Interesse der Frauen und Mädchen an der technischen Ausbildung stark gewachsen. So wurden 1962/63 drei technische Colleges für Frauen gegründet und 13 technische Schulen für ländliche Bezirke geplant. 169 Indischen Mädchen bietet sich auch die allerdings wenig genutzte Möglichkeit zum Dienst bei den Streitkräften. Die militärische Hochschule in Gvaliar läßt auch Frauen zum Studium zu, bei einer Kapazität von gleichzeitig jeweils 130 Personen. In Lehrgängen von einem bis zu drei Monaten werden auch Lehrerinnen u. a. vormilitärische Grundkenntnisse vermittelt. Außerdem bestehen drei Zentren zur Ausbildung weiblicher Offiziere, an deren Lehrgängen 1965 78900 Studentinnen teilnahmen. 170 Die Ausbildung von Krankenschwestern wird von der Regierung besonders gefördert. 1965 gab es in Indien 480 Schwesternschulen. 171 Die Mädchen müssen mindestens 17 Jahre alt sein; sie erhalten kostenlose Unterkunft, Verpflegung und Taschengeld. Außerdem gibt es drei Schulen und ein College für Militärkrankenschwestern. Zum ersten Studienjahr dieses Colleges 1964 in Puna hatten sich 15 Studentinnen gemeldet. Die Absolventinnen erlangen den Grad eines Leutnants mit der Aussicht auf Beförderung. 172 Die Nationale Föderation der indischen Frauen kritisiert, daß leider manche Mädchen die Bildung nur als einen Teil ihrer Mitgift, als Zeitvertreib vor der Verheiratung oder während der Abwesenheit des Ehegatten betrachten. 173 Diese Einstellung ist der Grund für solche negativen Erscheinungen bei den „modernen" Mädchen und Frauen, wie sie in den obenerwähnten Artikeln in den populären Zeitschriften getadelt werden. Die Nationale Föderation läßt sich von dem Prinzip leiten, daß nur Bildung zu einer wirklichen Emanzipation 167
So berichtete Nayantärä Sahgal über einen solchen Vorfall, sogar in Bombay (The Sunday Standard v. 27. 3. 1966, S. 27). »68 5th Congress of the N F I W , Report on enlightened . . ., S. 2. »69 A. Kumari, a. a. O., S. 34. 170 Kauäal Kiäor Rüpak, Mahiläö ke lie sämarik praäikijan kä kendr (Zentrum der militärischen Ausbildung für Frauen): Säpt. Hind. v. 15. 8. 1964, S. 40. »7» India 1965, S. 105. 172 Sevä ki mürti — ye praiikgit narse (Verkörperung der Dienstbereitschaft — die ausgebildeten Krankenschwestern): Säpt. Hind. v. 17. 10. 1965, S. 40. 173 Satya Rai, Editorial: News Bulletin N F I W v. März 1966, S. 2.
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führt. — Häufig ist aber die geringschätzige Einstellung zur beruflichen Ausbildung von der Einsicht diktiert, die Frau müsse j a nach der Hochzeit den Beruf doch notgedrungen wieder aufgeben, da es an sozialen Einrichtungen, aber auch am Verständnis des Mannes fehlt. So ist die Frage der Bildung der Frau mit anderen gegenwärtigen Problemen verflochten und läßt sich ohne diese nicht lösen. Beispielsweise würde die Errichtung von Kinderkrippen einerseits vielen Frauen die Berufstätigkeit ermöglichen, andererseits zahlreichen Mädchen auch den Schulbesuch erleichtern. Die der Nationalen Föderation der indischen Frauen angeschlossenen Organisationen rufen zu Kundgebungen für die Eröffnung neuer Schulen auf. I m Oktober 1960 forderte die Föderation in einer Resolution die Einführung der Schulpflicht für alle Kinder von 6 bis 11 J a h r e n , kostenlose Schulspeisung und kostenlosen Unterricht für Mädchen an den Oberschulen. I n einigen Unionsstaaten, wie in Madras und Andhra Pradesch, gelang es dabei, die Aufmerksamkeit der Regierung auf die Notwendigkeit zu lenken, entsprechende finanzielle Mittel für den Unterricht der Mädchen bereitzustellen. 1 7 4 I n manchen Staaten, z. B . in Bengalen, ist der Schulbesuch von Mädchen in ländlichen Bezirken bis zur 8. Klasse kostenlos. 1 7 5 Seit 1965 wird in Uttar Pradesch und Radschasthan der Unterricht in der oberen Stufe für die Mädchen schulgeldfrei erteilt. 1 7 6 E s erweist sich jedoch als notwendig, auch für die Bildung und die berufliche Ausbildung solcher Frauen zu sorgen, die sich in ihrem Schulalter nicht bilden konnten. Hier fordert die Nationale Föderation die Schaffung eines breiten Netzes von konzentrierten zweijährigen Lehrgängen, in denen die Frauen im Alter von 20 bis 35 J a h r e n auf die nachträgliche Ablegung von Schulabschlußprüfungen vorbereitet werden. 1 7 7 Denn viele Frauen müssen zunächst die Schulabschlußprüfung bestehen, ehe sie sich beruflich weiterbilden können, z. B . zur Lehrerin, Kindergärtnerin, Hebamme u. a. Bis Anfang 1965 organisierte die Kommission für sozialen Wohlstand 722 solcher Lehrgänge, wofür 2 0 5 1 5 0 0 0 Rupien aufgewendet wurden und auf denen 16500 Frauen ihre Bildung vervollkommneten. 1 7 8 Der Bericht des 5. Kongresses der Nationalen Föderation der indischen Frauen bemerkt hierzu allerdings: „Obwohl das ein gewisser Fortschritt ist, so ist es doch wie ein Tropfen im Meer im Vergleich zu dem großen B e d a r f . " 1 7 9 Hieraus ergab sich die Losung der Föderation: „Jedes Mädchen, das lesen und schreiben kann, muß es mindestens einer anderen Frau beibringen." 1 8 0 A. Gyanchand, a. a. O., S. 33. 5th Congress of the NFIW, Report on enlightened . . ., S. 1. Ebenda, S. 3. 177 Ebenda. 178 Hajrah Begum, Is social welfare only for pampered rieh?: New Age Weekly v. 7. 3. 1965, S. 12. 179 5th Congress, Report on enlightened . . ., S. 3. 160 NFIW Council Circular No. 1/66, v. 5. 1. 1966, Delhi, S. 1. Unveröff. Mat. d. IDFF. 174
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3. 7 Die berufstätige
Frau
in
Indien
N a c h 1947 begriffen i m m e r m e h r F r a u e n , d a ß f ü r i h r e Gleichberechtigung i h r e materielle U n a b h ä n g i g k e i t ausschlaggebend ist. Die F r a u e n der w e r k t ä t i g e n S c h i c h t e n a r b e i t e t e n seit J a h r e n in der I n d u s t r i e , i m B e r g b a u , i n der L a n d w i r t s c h a f t u n d als H a u s a n g e s t e l l t e , aber n u n s t r e b e n a u c h zahlreiche F r a u e n der G r u p p e n m i t m i t t l e r e m E i n k o m m e n n a c h d e r ö k o n o m i s c h e n U n a b h ä n g i g k e i t . Sicherlich h a n d e l t die M e h r z a h l von i h n e n u n t e r ö k o n o m i s c h e m Z w a n g , d e n n die Preise steigen, die R e a l l ö h n e sinken, u n d viele F r a u e n sind d a d u r c h z u m Mitverdienen gezwungen. A b e r a b g e s e h e n v o n der A r t , wie die F r a u e n a u f d e n W e g der ö k o n o m i s c h e n Selbständigkeit gelangen, ist schon diese T a t s a c h e a n sich v o n großer B e d e u t u n g . Bereits i m K a p i t a l i s m u s wird d u r c h d e n E n t w i c k l u n g s s t a n d der P r o d u k t i v k r ä f t e die Möglichkeit geschaffen, i m g r o ß e n M a ß s t a b F r a u e n i n d e n P r o d u k t i o n s p r o z e ß einzubeziehen. Der erste S c h r i t t zur w i r t s c h a f t l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t der F r a u u n d zur U m w a n d l u n g der E h e u n d der F a m i l i e ist d a m i t g e t a n , w e n n a u c h u n t e r k a p i t a l i s t i s c h e n B e d i n g u n g e n die T e i l n a h m e der F r a u a m P r o d u k t i o n s p r o z e ß n i c h t zu i h r e r völligen Gleichb e r e c h t i g u n g f ü h r t u n d die F r a u erst i m Sozialismus eine wirklich gleichber e c h t i g t e Stellung erreichen k a n n . 1951 w a r e n i n I n d i e n 23,30 % aller F r a u e n b e r u f s t ä t i g . 1 8 1 1965 b e t r u g die Z a h l schon 5 9 4 0 2 0 0 0 , d . h . e t w a 28 % . H i e r v o n a r b e i t e t e n 4 7 2 7 4 0 0 0 , d . h . 7 9 , 5 % , in der L a n d w i r t s c h a f t (33103000 als B ä u e r i n n e n u n d 1 4 1 7 1 0 0 0 als Landarbeiterinnen).182 Man s c h ä t z t , d a ß e t w a 4 0 % der b e r u f s t ä t i g e n F r a u e n v e r h e i r a t e t sind. 1 8 3 Von den F r a u e n in der S t a d t a r b e i t e n 11,2%, v o n d e n e n auf d e m L a n d e 31,2%. 1 8 / 1 Der F r a u e n a n t e i l b e t r u g 1961/62 i m s t a a t l i c h e n Sektor 7 , 8 % aller W e r k t ä t i g e n 1 8 5 u n d i m P r i v a t s e k t o r 17,2 % . U n t e r d e n i m s t a a t l i c h e n S e k t o r b e s c h ä f t i g t e n F r a u e n b e f a n d e n sich 41,2 % u n g e l e r n t e u n d 42,9 % gelernte A r b e i t e r i n n e n . 4 4 7 6 9 F r a u e n b e t ä t i g t e n sich i m Gesundheitswesen, 4 1 2 9 i m Sozialwesen, 3 7 6 5 i m F e r n m e l d e w e s e n , 311 im P o s t w e s e n , 81 bei der F a h r k a r t e n k o n t r o l l e , u n d 27 w a r e n S c h a f f n e r i n n e n . 1 8 6 I n einigen B e t r i e b e n B o m b a y s m a c h e n die F r a u e n schon ein D r i t t e l aller Angestellten a u s . 1 8 7 E s gibt sogar indische weib181
Die Ziffern aus dem Jahr 1951 wurden bei der Volkszählung 1951 ermittelt. 182 India 1965, S. 156. ^ News Bulletin N F I W v. Mai 1966, S. 5. 184 P. K. Das Gupta, Occupational Pattern of Urban Women in Changing India: Women of the whole world Nr. 12/65, S. 21. - In Delhi gab es z. B. 1961 76169 berufstätige Frauen. Davon arbeiteten 23070 Frauen in der Landwirtschaft in Randgebieten von Delhi und 53 090 in der Stadt. Nach: News Bulletin N F I W v. Mai 1966, S. 5. 185 Auch hier scheint die Gleichstellung der Frau nicht konsequent durchgeführt zu werden. 186 Women at Work. New Trends: Trade Union Record v. 20. 10. 1963, S. If. »87 A. Kumari, a. a. O., S. 34.
Die berufstätige Frau
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liehe Flieger. Etwa 50 Frauen haben diesen Beruf erlernt, aber nur zwei üben ihn im zivilen Flugverkehr aus. 1 8 8 — Über den Anteil der Frauen in Kunst und Wissenschaft fehlt es an genauen Angaben, aber eine Reihe indischer Frauen des 20. Jahrhunderts ist auf dem Gebiet des Tanzes, Theaters, Films und der bildenden Kunst berühmt geworden. i 8 9 Besonders im Schulwesen und im Gesundheitswesen besteht eine ständige Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften. Das Schulwesen beschäftigte 1951 121000 Frauen, 1961 bereits 338000. im Dieser Stand ist aber noch lange nicht befriedigend. Viele Eltern lassen ihre Töchter lieber von Lehrerinnen unterrichten. Indien braucht aber auch Ärztinnen, da die meisten Frauen ungern männliche Ärzte aufsuchen. Gegen den Beruf der Krankenschwester bestehen noch Vorurteile, besonders unter den Hindus, und so ist der große Bedarf auf diesem Gebiet längst nicht gedeckt. Statt Hebammen können auf dem Lande gewöhnlich nur unausgebildete, angelernte „dal" Hilfe leisten. Die Regierung unternimmt daher Schritte, diese „dal" zusätzlich auszubilden. 1951 gehörten zum Gesundheitswesen 88000 Frauen, 1961 schon 151000 Frauen, das bedeutet 72 % mehr. Davon waren 1961 8560 Ärztinnen, von denen nur 1082 in ländlichen Bezirken wirkten. I n städtischen Bezirken entfiel auf 25000 Frauen eine Ärztin, in ländlichen Bezirken sogar nur auf 200000 Frauen. Allein die Aktion Fam iiier plan u r g erfordert jedoch 50000 weibliche Arbeitskräfte; dann wäre eine Mitarbeiterin für 10 000 Einwohner zuständig. 1 9 1 Benötigt werden also weibliche Arbeitskräfte mit unterschiedlich hohem Bildungsgrad. I n Städten üben zur Zeit 21,5 % der gebildeten Frauen mit Hochschulbildung qualifizierte Berufe aus. Das ergibt leider nur 2,9 % der weiblichen Bevölkerung. Von den analphabetischen Frauen, denen die gröbsten Arbeiten obliegen, sind 13,7 % berufstätig. Bei den weniger gebildeten Frauen liegt der Prozentsatz zwischen 4 und 5 %. 1 9 2 Bei hochgebildeten Frauen spielt häufig das geistige Bedürfnis nach Beruf und Unabhängigkeit eine große Rolle. 188 Svarnlatä, Bhäratiy mahiläe jo haväi jahäz caläti hai (Indische Frauen, die Flugzeuge steuern): Dharmyug v. 28. 11. 1965, S. 44. 189 Vgl. Enakshi Bhavnani, Creative and Fine Arts: Women of India, S. 161 ff. 100 K. Nath, Women in Service Occupation: Economic and Political Weekly v. 7. 1. 1967, S. 29. — U m allen Kindern Indiens eine umfassende Schulbildung vermitteln zu können, wären über 2700000 Lehrer nötig, von denen mindestens 50 % Frauen sein müßten (Women and Education. S. 174). —Nach Report of National Committee on Women's Education in „Indian Information" vom 1. 2. 1959, S. 19, umfaßten im Jahre 1959 weibliche Lehrer nur 16,8 % aller Lehrkräfte an den Grundschulen, 17,7 % an den Mittelschulen und 19 % an den Oberschulen. Die Anzahl der Lehrerinnen nimmt vor allem in den Städten zu. So gab es in Delhi 1961 8 875 Lehrerinnen, 1962 10094 und 1966 ca. 11 000. Nach News Bulletin NF1W v. Mai 1966, S. 3. 191 Kamla Nath, a. a. O., S. 27ff. 192 P. K. Das Gupta, a. a. O., S. 21.
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Die analphabetischen Frauen gehören zu den niedrigsten Schichten der Bevölkerung und sind durch ihre materielle Lage gezwungen, Geld zu verdienen. Die weniger gebildeten Frauen gehören meistens zu jenen kleinbürgerlichen Schichten, die an der traditionellen Lebensweise starr festhalten. Viele Frauen des Kleinbürgertums, der Schichten der Angestellten und der kleinen Intelligenz bevorzugen das mehr als sparsame, dafür aber, ihrer Meinung nach, „würdige" Dasein in den inneren Räumen des Hauses gegenüber dem „unwürdigen" Geldverdienen. In vielen Fällen wird auch der Haushalt so primitiv geführt, daß die Hausarbeit neben dem Beruf nicht zu schaffen wäre. Gemeinsamen Speiseeinrichtungen stehen Vorurteile entgegen, die aus den hinduistischen Dogmen von der Unberührbarkeit herrühren (ein Angehöriger einer höheren Kaste darf nichts essen, was von einem Angehörigen der niederen Kaste berührt wurde). Von diesen und ähnlichen Schwierigkeiten gehen die Teilnehmerinnen an einer Diskussion über Stellung, Pflichten und Rechte der Frau aus,' die die Zeitschrift „Säptähik Hindustän" veranstaltete. 193 Frau Ratan Sarmä führt das Beispiel einer jungen Frau an, die nur 150 Rupien verdient, drei kleine Kinder hat und fast ihr ganzes Gehalt für Hausangestellte ausgibt. Hieraus zieht Frau Öarmä den Schluß, daß die Frau keinen Beruf auszuüben brauche, wenn sie sich um den Haushalt ordentlich kümmert. Auch Frau Vimlä Örivästav empfiehlt der Frau höchstens Heimarbeit und gibt abschreckende Beispiele arbeitender Frauen: das einer überarbeiteten, schlecht bezahlten Lehrerin, Mutter von zwei Kindern, ferner einer Angestellten, die nur aus „Langeweile" arbeitet und ihre Kinder dem Diener überläßt, und einer Lektorin, die wegen ihres Berufes von ihrem Mann getrennt leben muß. Frau Örivästav erwähnt den Mangel an technischen Hilfsmitteln im durchschnittlichen indischen Haushalt. Keine von beiden Verfasserinnen wirft aber die Frage auf, warum es so gut wie keine Kindergärten oder ähnliche Einrichtungen gibt. Gegen die Berufstätigkeit wendet sich z. B. auch der Doppelartikel „Beruf, Heim und Frau" 1 9 4 von Frau Sancaylatä und Basant Prabhä, in dem sogar "die Berufstätigkeit junger Mädchen der Kritik unterliegt. Der Zustand der Rückständigkeit wird von konservativen Kreisen gutgeheißen und die häusliche Primitivität (möglichst viele Nahrungsmittel, Kleidungsstücke u. ä. zu Hause herstellen) als Ideal hingestellt. Das kam auf dem 5. Kongreß der Nationalen Föderation der indischen Frauen 1965 deutlich zum Ausdruck, an dem Gäste der Allindischen Frauenkonferenz, der Frauenliga von Delhi und anderer Frauenorganisationen teilnahmen. Manche der Gäste äußerten, ganz im Geiste der Allindischen Frauenkonferenz, Bedenken, ob Berufstätigkeit für Mütter von Kleinkindern überhaupt zu befürworten sei. 193 K y ä näri pahle se adhik sukhi hai? (Ist die Frau glücklicher als früher?): Säpt. Hind. v. 29. 10. 1964, S. 39. 194 Naukri, ghar aur näri: Säpt. Hind. v. 23. 1. 1966, S. 40, und v. 30. 1. 1966, S. 52.
Die berufstätige Frau
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Sie meinten, daß sich bei kleinen Kindern berufstätiger Mütter mentale Komplexe entwickeln und daß junge Mütter ihren weiblichen Charme verlieren können. Aber auf die von der Nationalen Föderation erhobene Forderung, für die Kinder berufstätiger Mütter zu sorgen, gingen sie überhaupt nicht ein. Zur wirtschaftlichen Krise im Lande gaben sie den Hausfrauen nur den Rat, sparsamer zu sein und weniger zu verbrauchen, 195 ohne die gesellschaftlichen Ursachen der Notlage nüchtern zu analysieren, wie es die Berichterstatterinnen der Nationalen Föderation taten. Auch die Nationale Föderation der indischen Frauen erkennt die Schwierigkeiten der arbeitenden Frauen an. Das gilt vor allem f ü r die Kinder der in Büros, im Handel, im Schulwesen, im Gesundheitswesen und in der Justiz tätigen Frauen. Es gibt so gut wie keine Kinderkrippen, da diese Betriebe zur Errichtung solcher nicht verpflichtet sind; in den wenigen Kinderkrippen und Kindergärten in den Großstädten sind die Plätze teuer. Kindergärten mit Ganztagsverpflegung und Schulhorte gibt es überhaupt nicht. Deshalb argumentiert die Nationale Föderation, man müsse den Frauen ihre häuslichen Pflichten durch soziale Einrichtungen möglichst erleichtern und zum Teil abnehmen und in dieser Richtung noch stärker aufklärend wirken. I n diesem Sinne antwortet die Journalistin R a j n i Panikkar in ihrem Artikel „Beruf, Heim und Frau" 1 9 6 auf die Einwände gegen die Berufstätigkeit und macht brauchbare Vorschläge, die der Frau die Erfüllung ihrer doppelten Aufgabe ermöglichen. Da der bürgerliche Staat den Frauen diese Möglichkeiten von sich aus nicht schafft, müssen sie durch breite Popularisierung und beharrlichen Kampf errungen werden. Schon 1955 wurde der 9. Oktober als „Tag der Frauenberufstätigkeit" gefeiert. Die Nationale Föderation forderte f ü r die Frauen völlige und wirkliche Gleichberechtigung im Beruf und in der Berufsausbildung, bessere Einrichtungen f ü r Kinder und Entbindungsstationen. 1 9 7 Wohl sind eine Reihe arbeitsrechtliche Verbesserungen schon erreicht worden; es geht jedoch darum, ihre praktische Verwirklichung allgemein durchzusetzen. So heißt es im Teil IV Art. 39 der Verfassung der Indischen Union: „Der Staat soll insbesondere seine Politik darauf richten, . . . (d) daß gleicher Lohn für gleiche Arbeit sowohl für Männer als auch für Frauen gezahlt wird . . ,"198 Unter dem zunehmenden Einfluß des sozialistischen Lagers muß auch der bürgerliche indische Staat seit 1950 „seine Politik darauf richten", daß die Frau für gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhält wie der Mann. Allerdings heißt „seine Politik darauf richten" noch nicht, daß nun auch wirklich immer und überall der Frau gleicher Lohn gezahlt wird. Zwar hat Indien das internationale 195 196 ,97 198
H. Begum, Some Impressions . . ., a. a. O., S. 10. Säpt. Hind. v. 20. 3. 1966. Rundschreiben N F I W Nr. 15/55 v. 25. 9. 1955. Unveröff. Mat. d. I D F F . Die Verfassung Indiens, a. a. O., S. 18.
4 Anaari, Hindi-Koman
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Frauenproblematik nach 1947
Prinzip der gleichen Löhne anerkannt, aber in vielen Industriezweigen wird es nicht eingehalten. Entweder stellt man nur wenige Frauen ein oder weist ihnen schlecht bezahlte, einfache Arbeiten zu. 199 Schon 1948 brachte das Gesetz der Staatsversicherung der Arbeiter und Angestellten (Employees State Insurance Act) den Fabrikarbeiterinnen manche Erleichterungen, vor allem einen bezahlten Schwangeren- und Wochenurlaub. Die Frauen erhielten 12 Wochen Schwangeren- und Wochenurlaub und täglich 0,75 Rupien Wochenbettunterstützung. 200 Das Gesetz galt für alle Fabrikarbeiterinnen und -angestellten mit einem Monatsverdienst unter 400 Rupien, dagegen nicht für Land- und Heimarbeiterinnen. Außerdem wurde die Arbeitszeit für Frauen auf höchstens 9 Stunden täglich festgelegt und Nachtarbeit verboten. 2 0 1 Jede Fabrik mit mehr als 50 Frauen muß eine Kinderkrippe bzw. einen Kindergarten einrichten. 202 Auch das Gesetz über die Plantagenarbeit von 1951 (The Plantation Labour Act) enthält eine solche Vorschrift. 2°3 Am 5. April 1958 wurde dem Volkshaus des Parlaments ein Gesetzentwurf über einheitlichen Schwangeren- und Wochenurlaub und über die Wochenbettunterstützung für ganz Indien vorgelegt. 204 Im Jahre 1958 hatten nämlich nur 5 238 Frauen eine Wochenbettunterstützung erhalten, d. h. ungefähr 7,6% aller Frauen, denen das Gesetz von 1948 solche Ansprüche gewährte. Die Durchschnittsunterstützung belief sich auf etwa 161 Rupien. 205 Es dauerte jedoch mehr als drei Jahre, bis das neue Gesetz über den einheitlichen bezahlten Schwangeren- und Wochenurlaub als Ergebnis einer langen und beharrlichen Kampagne erlassen wurde. 206 Erst Ende 1963 hatte es allmählich in ganz Indien Geltung erlangt. Die Frauen erhalten sechs Wochen vor und sechs Wochen nach der Entbindung bezahlten Urlaub und haben auch dann Anspruch auf diese Unterstützung, wenn sie während ihrer Schwangerschaft entlassen werden. Es fehlt allerdings noch ein Gesetz, das sie vor der Entlassung während der Schwangerschaft schützt. Von dieser Unterstützung bei Mutterschaft sind jedoch die vielen Frauen ausgeschlossen, die im Stücklohn arbeiten oder Akkordarbeit leisten. Das gleiche gilt für die Arbeiterinnen in der Landwirtschaft, wo das Gesetz auch nicht gilt.207 199 200 201 2
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Hajrah Begum, Working Women in India: New Age Weekly v. 2. 2. 1964, S. 9. S. D. Punekar, Social Insurance for Industrial Workers in India, Oxford 1950, S. 239. P. Sen Gupta, In Trade and Professions: Women of India, S. 239. P. Sen Gupta, Women Workers of India, New York 1960, S. 104. Ebenda, S. 166. Ebenda, S. 57. Indian Labour Journal v. März 1960, S. 280. The Gazette of India v. 13. 12. 1961. Hajrah Begum, Working Women, a. a. O., S. 9.
Die berufstätige Frau
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Als Reaktion auf diese Errungenschaften streben die „Arbeitgeber" allerdings noch mehr dahin, möglichst wenige verheiratete Frauen anzustellen. In manchen Betrieben galt die sogenannte antimarriage-clause, wonach das Arbeitsverhältnis eines Mädchens mit dessen Verheiratung endet. So war es auch in den pharmazeutischen Fabriken in Bombay. Erst im Februar 1965 haben die dort Angestellten, durch Arbeiter anderer Industriezweige unterstützt, die Abschaffung jener Bestimmung erreicht.208 Trotzdem entlassen viele Fabrikbesitzer verheiratete Frauen, um ihnen keinen bezahlten Schwangerenurlaub geben zu müssen.209 Uma Vasudev 210 sieht das gleiche Phänomen im diplomatischen Dienst, wo es um hochqualifizierte Frauen geht. Manche Betriebe haben zwar Kinderkrippen und -gärten errichtet und so das Gesetz erfüllt ; die Einrichtungen sind aber völlig unzulänglich und stellen keine wirkliche Hilfe für die arbeitenden Mütter dar. 211 In einem solchen Fall verliert die Arbeit für die Frau ihre Bedeutung als Grundlage für die Entwicklung ihrer Fähigkeiten. Die Frau fühlt sich dann im tiefsten Sinne des Wortes durch ihre Arbeit „nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich . . ," 2 1 2 Dieser Zustand läßt sich in letzter Konsequenz erst mit der Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise überwinden. Im Bericht des 4. Kongresses der Nationalen Föderation der indischen Frauen 1962, der die gegenwärtige Frauenproblematik zusammenfaßt, heißt es hierzu: „Während in den letzten Jahren die Zahl der berufstätigen Frauen im allindischen Maßstab zugenommen hat, sank die Zahl der in den Fabriken, auf den Plantagen und im Bergbau arbeitenden Frauen. Das ist deshalb so, weil die Frauen als ungelernte Arbeiter angestellt werden und die niedrigsten Löhne erhalten. Wenn Nachdruck auf solche Einrichtungen wie Wochenbettgeld gelegt und auf gleichem Lohn für gleiche Arbeit bestanden wird, halten es die Arbeitgeber nicht mehr für günstig, Frauen anzustellen, und sie entlassen sie." 213 Das hatte zur Folge, daß die Anzahl der Arbeiterinnen in den Jutefabriken Westbengalens zwischen 1950 und 1963 von 50 000 auf 10 000 gesunken ist. 214 Die Zahl der berufstätigen Frauen hat sich nur in der Kleinindustrie, in der Verwaltung, im Schulwesen und in Sozialeinrichtungen vergrößert.215 In diesen Zweigen und im Gesundheitswesen wird auch in der Regel das Prinzip der gleichen Löhne eingehalten.216 Auch der 5. Kongreß der Nationalen Föderation der indischen Frauen mußte 1965 im Rückblick auf die drei letzten Jahre feststellen, daß sich mit der Einführung moderner Maschinen und neuer Gesetze die Tendenz der Arbeitgeber 208 Working girls on fast: New Age Weekly v. 28. 2. i960, S. 1. 2 ) 0 U. Vasudev, a. a. O., S. 13. 2«9 4th Congress, Rep. and Bes., S. 46. 211 Hajrah Begum, Working Women, a. a. O. 212 K . Marx/F. Engels, Kleine ökonomische Schriften, Berlin 1955, S. 101. 2