Die Form der Erkenntnis: Immanuel Kants theoretische Einbildungskraft 9783495997161, 9783495482087, 3495482083


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Vorwort
Einleitung
1 Die Zeit vor 1781
1.1 Winter 1772/3
1.2 Winter 1775/6
1.3 Metaphysik L1
1.4 Zwischenbilanz
1.5. Exkurs: der Einfluß des britischen Empirismus
1.6. Zusammenfassung
2 Die Einbildungskraft in der ersten Kritik
2.1 Allgemeine Bemerkungen
2.1.1 Der Psychologismusvorwurf
2.2 Die Theorie der Einbildungskraft in der ersten Kritik
2.2.1 Die Änderungen von 1787
2.2.2 Die Theorie von 1781
2.3 Die Konstitution von Gegenständen
2.3.1 Das Schematismuskapitel
2.4 Die Verbindung von Vorstellungen
2.5 Die Verbindung der Erkenntnisvermögen
2.6 Schlußbemerkung
Siglen
Literaturverzeichnis
1. Originalwerke
2. Sekundärtexte
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Die Form der Erkenntnis: Immanuel Kants theoretische Einbildungskraft
 9783495997161, 9783495482087, 3495482083

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Karl Hepfer

Die Form der Erkenntnis Immanuel Kants theoretische Einbildungskraft

ALBER PHILOSOPHIE

https://doi.org/10.5771/9783495997161

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Karl Hepfer Die Form der Erkenntnis

ALBER PHILOSOPHIE

A

https://doi.org/10.5771/9783495997161 .

ber dieses Buch: Die Einbildungskraft steht im Zentrum der Erkenntnistheorie Immanuel Kants. Besonders die Abschnitte der ersten Kritik, die von vielen als besonders dunkel und undurchsichtig empfunden werden, erschließen sich nur vor dem Hintergrund der Theorie der Einbildungskraft in angemessener Weise. Anders als fr Kants sthetik hat eine ausfhrliche Auseinandersetzung um die erkenntnistheoretische Rolle dieses Vermgens so gut wie nicht stattgefunden. Dies gilt besonders fr die analytisch geprgte Diskussion der letzten Jahrzehnte. Dieses Buch versucht im Rckgriff auf die vorkritische Entwicklung die entsprechende Gedankenfhrung der Kritik der reinen Vernunft durchsichtig zu machen. Viele der Schwierigkeiten der Deduktionen von 1781 und 1787 und des Schematismuskapitels stellen sich dadurch als das Ergebnis eines gedanklichen Entwicklungsprozesses dar, der in der ausgearbeiteten Theorie des erkenntnistheoretischen Hauptwerks nur noch in Anstzen zu erkennen ist. Die Betrachtung der Genese der Theorie der theoretischen Einbildungskraft erlaubt es, die Sachfragen aufzuklren, die Kant bei der Adaptation der Vorgaben unterschiedlicher philosophischer Traditionen geleitet haben. Damit legt die vorliegende Untersuchung zugleich das argumentative Potential des Ansatzes in systematischer Hinsicht frei. ber den Autor: Der Verfasser ist Privatdozent der Universitt Erfurt. Seine Interessen liegen in der Erkenntnistheorie, der Praktischen Philosophie und der Sprachphilosophie. Weitere Monographien: Motivation und Bewertung. Eine Studie zur praktischen Philosophie Humes und Kants (1997); David Hume. Eine Untersuchung der Grundlagen der Moral. bersetzung und Kommentar (2002), UTB Basics: Ethik. Eine systematische Einfhrung (Frhjahr 2007).

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Karl Hepfer

Die Form der Erkenntnis Immanuel Kants theoretische Einbildungskraft

Verlag Karl Alber Freiburg / Mnchen https://doi.org/10.5771/9783495997161 .

Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung fr Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

Gedruckt auf alterungsbestndigem Papier (surefrei) Printed on acid-free paper Originalausgabe Alle Rechte vorbehalten – Printed in Germany  Verlag Karl Alber GmbH Freiburg / Mnchen 2006 www.verlag-alber.de Einbandgestaltung und Satz: SatzWeise, Fhren Druck und Bindung: Difo-Druck, Bamberg 2006 ISBN-13: 978-3-495-48208-7 ISBN-10: 3-495-48208-3

https://doi.org/10.5771/9783495997161 .

Inhalt

VORWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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EINLEITUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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DIE ZEIT VOR 1781 . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.1

Winter 1772/3

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.2

Winter 1775/6

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.3

Metaphysik L1

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.4

Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.5. Exkurs: der Einfluß des britischen Empirismus . .

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1.6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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DIE EINBILDUNGSKRAFT IN DER ERSTEN KRITIK . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2.1 Allgemeine Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Der Psychologismusvorwurf . . . . . . . . . . . . .

60 68

2.2 Die Theorie der Einbildungskraft in der ersten Kritik 73 2.2.1 Die nderungen von 1787 . . . . . . . . . . . . . . 75 2.2.2 Die Theorie von 1781 . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2.3 Die Konstitution von Gegenstnden . . . . . . . . 2.3.1 Das Schematismuskapitel . . . . . . . . . . . . . .

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A https://doi.org/10.5771/9783495997161 .

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Inhalt

2.4

Die Verbindung von Vorstellungen . . . . . . . . . 111

2.5

Die Verbindung der Erkenntnisvermgen . . . . . 119

2.6

Schlußbemerkung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

SIGLEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 LITERATURVERZEICHNIS . . . . . . . . . . . . . . . . 126

6

1.

Originalwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

2.

Sekundrtexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

ALBER PHILOSOPHIE

Karl Hepfer https://doi.org/10.5771/9783495997161 .

Vorwort

Die Beschftigung mit der Einbildungskraft und ihrer erkenntnistheoretischen Funktion bei Immanuel Kant ist in mehrfacher Hinsicht interessant und lohnend. Erstens handelt es sich bei der Einbildungskraft um ein Vermgen, das im Zentrum seiner Erkenntnistheorie steht: ein besseres Verstndnis der Theorie der Einbildungskraft trgt dazu bei, gerade auch die Abschnitte der ersten Kritik interpretatorisch und systematisch zu erschließen, die von vielen zu Recht als besonders dunkel und undurchsichtig empfunden werden. Zweitens: Kant ist der erste große Denker, der mit seiner Konzeption der Einbildungskraft einer systematischen Einsicht Rechnung trgt, die sich bei seinen Vorgngern zwar andeutet, dort jedoch zu einer Abwehrreaktion gefhrt hatte: die Einsicht, daß unser Wissen zu einem wesentlichen Teil von den Bedingungen abhngt, unter denen das Erkenntnissubjekt steht. Denn mit dieser Einsicht verbunden ist der Verdacht, daß es die eine richtige Sicht der Dinge mglicherweise nicht gibt, daß Wissen nichts ›Absolutes‹ sein kann. Anders als seine Vorgnger, die versuchen, die lange Zeit weitgehend unstrittige ›absolute‹ Konzeption zu retten – entweder durch den Einsatz gehaltvoller metaphysischer Hypothesen, wie beispielsweise Ren Descartes, oder wenigstens fr einen Teilbereich unseres Wissens, wie etwa John Locke – reagiert Kant konstruktiv auf diese Einsicht. Er macht sie zum Ausgangspunkt seiner Untersuchung und erforscht die subjektiven Bestandteile der menschlichen Erkenntnis, um zu ermitteln, auf welche Voraussetzungen und Prinzipien unser Wissen auf keinen Fall verzichten kann. A

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Vorwort

Bei diesem Vorhaben kommt der Einbildungskraft eine zentrale Rolle zu. Kant nimmt sie entsprechend – und in sehr viel strkerem Maß als seine Vorgnger – als eine menschliche Fhigkeit wahr, die den Erkenntnisprozeß durch ihre aktive und produktive Ttigkeit mitgestaltet. Drittens: die Auseinandersetzung mit der Rolle der Einbildungskraft in der Erkenntnistheorie Kants orientiert sich auch heute noch an einer einflußreichen aber hochproblematischen Interpretation aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts; die Rede ist von einer Vorlesung Martin Heideggers von 1929, die unter dem Titel Kant und das Problem der Metaphysik verffentlicht wurde. Zwar erkennt Heidegger wie kaum ein anderer Denker die berragende Wichtigkeit der Einbildungskraft fr Kants berlegungen der ersten Kritik, doch er verfolgt in der genannten Vorlesung – und auch an anderer Stelle, vgl. bes. Weltanschauung und Weltbegriff und Vom Wesen der Wahrheit – vor allen Dingen einen eigenen systematischen Gedanken, der, um als Kant-Interpretation plausibel zu sein, darauf angewiesen ist, gegenteilige Textevidenzen im großen Maßstab auszublenden. Neben der Vorlesung Heideggers gibt es einige weitere umfassende Untersuchungen zur Einbildungskraft in der Erkenntnistheorie Immanuel Kants. Sie haben rezeptionsgeschichtlich allerdings bei weitem nicht dieselbe Wirkung entfaltet, und liegen, mit einer Ausnahme, ebenfalls bereits geraume Zeit zurck. Es handelt sich dabei um eine Abhandlung von J. Mainzer (Die kritische Epoche in der Lehre von der Einbildungskraft aus Humes und Kants theoretischer Philosophie nachgewiesen, 1881) und um eine Monographie von Hermann Mrchen (Die Einbildungskraft bei Kant, 1930). Vor einiger Zeit – und dies ist die Ausnahme neueren Datums – ist eine Monographie von Sarah L. Gibbons erschienen, die sich ebenfalls grndlicher mit dem Thema beschftigt. Etwa ein Drittel dieser Untersuchung (Kant’s Theory of Imagination: 8

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Vorwort

Bridging Gaps in Judgement and Experience, 1998), die den Schwerpunkt auf die kritische Periode setzt, widmet Gibbons der Erkenntnistheorie. Dabei konzentriert sie sich in erster Linie auf die Rolle der Einbildungskraft in den Deduktionen der ersten und zweiten Auflage und im Schematismuskapitel (Gibbons, 1998: Kap. 1 und 2). Mit diesen wenigen Titeln ist die Reihe der Monographien, die sich ausdrcklich und ausfhrlich mit der theoretischen Einbildungskraft bei Kant auseinandersetzen, bereits erschpft. Dennoch ist in diesem Zusammenhang noch eine weitere Abhandlung zu nennen, die zwar einen engeren Bezug zum Thema hat, aber aufgrund ihrer Schwerpunktsetzung eine Reihe von Aspekten außer acht lßt, die fr Kants Theorie der Einbildungskraft essentiell sind: Hansgeorg Hoppes umfassende Auseinandersetzung mit dem ›Synthesisproblem‹ (Synthesis bei Kant. Das Problem der Verbindung von Vorstellungen und ihrer Gegenstandsbeziehung in der ›Kritik der reinen Vernunft‹, 1983). Schließlich sei noch auf die ebenfalls vor nicht allzu langer Zeit erschienene Monographie von Rudolf A. Makkreel verwiesen (Einbildungskraft und Interpretation. Die hermeneutische Tragweite von Kants ›Kritik der Urteilskraft‹, 1990). Auch bei ihr handelt es sich um ein umfangreicheres Werk, in dem es allerdings, wie der Titel bereits nahelegt, in erster Linie um die Funktion der Einbildungskraft in der Kantischen sthetik geht. Trotz einiger Berhrungspunkte mit dem im folgenden verhandelten Thema ist Makkreels Untersuchung hier daher nur bedingt einschlgig. Wenn man bedenkt, daß die Einbildungskraft eines der zentralen Themen der Erkenntnistheorie Kants ist, so verwundert es, daß dieses Vermgen fr die Kantinterpretation der letzten Jahrzehnte kaum von Interesse gewesen ist; um so mehr, wenn man die große Zahl von umfangreichen Einzeluntersuchungen zu seiner theoretischen Philosophie betrachtet, die es in dieser Zeit gegeben hat. Fr den Versuch, diesem A

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Vorwort

Mangel durch eine Bestandsaufnahme auf dem aktuellen Stand der Diskussion abzuhelfen, spricht daher einiges. Dies ist das Ziel der folgenden Untersuchung. Sie war ursprnglich als Teil einer grßeren Arbeit zur Reflexionsgeschichte der Einbildungskraft in der Erkenntnistheorie von der Antike bis zur Neuzeit angelegt (Phantasie und Vorstellung; in Vorbereitung), hat aber whrend der Auseinandersetzung mit dem Thema derart an Dynamik gewonnen, daß sie den Umfang einer eigenen Monographie erreicht hat, als die sie jetzt vorliegt. Unter anderem wurde im Lauf der Untersuchung zunehmend deutlich, daß ein angemessenes Verstndnis der Theorie der Einbildungskraft allein auf der Grundlage der ersten Kritik schwer zu gewinnen sein wrde und daß es ntig ist, die frhe Entwicklung der Gedanken in der vorkritischen Phase mit einzubeziehen. Der erste Teil der Untersuchung gibt daher einen berblick ber die entsprechenden ußerungen vor 1781. Viele Schwierigkeiten, die die Theorie der Einbildungskraft in der Kritik der reinen Vernunft bereitet, kndigen sich in der vorkritischen Zeit bereits an; einige wichtige Probleme lassen sich hier tatschlich besser isolieren als spter in der ersten Kritik. Der zweite Teil der Untersuchung beschftigt sich anschließend mit dem ausgearbeiteten Modell der kritischen Zeit. Der Schwerpunkt liegt auf den Ausfhrungen der ersten Auflage von 1781, da diese Version fr das Thema interpretatorisch und systematisch ergiebiger ist. Die weitgehende Beschrnkung der Untersuchung der kritischen Phase auf die Kritik der reinen Vernunft ist dabei nicht nur aus pragmatischen Grnden sinnvoll, sondern auch deshalb, weil der Bezug auf die berlegungen der Kritik der Urteilskraft nur wenig beitrgt zum Verstndnis der erkenntnistheoretischen Funktionen der Einbildungskraft. Dank geht besonders an Gnther Patzig fr seine konstruktiven Anmerkungen in einer frheren Phase dieses Vor10

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Vorwort

habens, an Heinrich Niehues-Prbsting, der mit seiner enzyklopdischen Kenntnis des historischen Umfelds und seinem klaren Blick fr das Wesentliche in entscheidenden Momenten mit hilfreichen Hinweisen zur Stelle war, an Frederick Patak und Peter Baumann, die sich die Zeit genommen haben, das Manuskript ausfhrlich zu kommentieren, und nicht zuletzt an die ausgesprochen diskussionsfreudigen Teilnehmer eines im Wintersemester 2003/4 in Erfurt gehaltenen Seminars zur ersten Kritik. Karl Hepfer

Gttingen, im Juli 2005

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Einleitung

Der Versuch, Immanuel Kants Theorie der theoretischen Einbildungskraft zu verstehen, ist ebenso lohnend wie schwierig. Die grndliche Beschftigung mit der erkenntnistheoretischen Rolle dieses Vermgens kann dabei helfen, einige der besonders schwer zugnglichen Abschnitte der ersten Kritik zu entschlsseln. Besonders die Interpretation der Deduktionen und des Schematismuskapitels fllt auf der Grundlage einer genauen Untersuchung der Einbildungskraft deutlich leichter. Darber hinaus erlaubt die Auseinandersetzung mit der theoretischen Funktion der Einbildungskraft einen besseren Zugang zum systematischen Anliegen der Erkenntnistheorie Kants. Sein Versuch, mit seiner Theorie die Grenzen, den Umfang und die Sicherheit unseres Wissens zu bestimmen, lßt sich in weiten Teilen aus diesem Blickwinkel verstehen. Damit die Untersuchung der Einbildungskraft in Kants Erkenntnistheorie allerdings Frchte tragen kann, ist eine Reihe von ernsthaften Schwierigkeiten zu berwinden. Erstens: in den Hauptwerken nach 1781, in denen die Einbildungskraft eine zentrale Rolle spielt, wird sie nicht in der Weise zum Untersuchungsgegenstand, wie man es als Leser aufgrund ihrer wichtigen Rolle erwarten wrde. Vielmehr taucht sie, sowohl in der ersten als auch in der dritten Kritik »in verschiedenen Zusammenhngen pltzlich auf, oft ohne ausdrcklich eingefhrt zu werden«, wie bereits Herrmann Mrchen in seiner 1930 erschienen Monographie zur Einbildungskraft bei Kant anmerkt. Seine Diagnose, sie bleibe in diesen Hauptwerken »trotz gelegentlicher Definitionen dunA

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Einleitung

kel« (Mrchen, 1930: 42 f.), gilt auch heute noch. Zweitens: die aus diesem Grund naheliegende Strategie, ein Verstndnis der kritischen Theorie der Einbildungskraft im Rckgriff auf die Schriften vor 1781 zu entwickeln, wird durch eine unsichere Textlage und ungeklrte Datierungen erschwert: die einschlgigen ußerungen finden sich hauptschlich in den Mitschriften der Vorlesungen zur Anthropologie und Metaphysik. Drittens: die Entwicklung der Erkenntnistheorie Kants findet vor dem Hintergrund divergierender philosophischer Traditionen statt. Dieser Umstand macht sich gerade auch im Zusammenhang der Theorie der theoretischen Einbildungskraft bemerkbar. Einerseits greift Kant auf die rationalistischen Vorgaben von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) und seiner einflußreichen Schule zurck, die zu seiner Zeit prominent durch Christian Wolff (1679–1754) und Alexander Gottlieb Baumgarten (1714–62) vertreten wurde. Andererseits bezieht Kant seit Anfang der siebziger Jahre vermehrt Gedanken des britischen Empirismus in seine berlegungen ein. Obwohl er Vorgaben dieser Tradition bernimmt, grenzt er sich auch deutlich von ihr ab, da der Empirismus fr ihn letztlich auf die »Aufhebung der Metaphysik durch empirische Disziplinen« (Brandt/Stark, 1997: xiii) hinausluft. Zwei Themen beschftigen Kant dabei im Zusammenhang der Theorie der Einbildungskraft besonders: der Atomismus von Eindrcken und Vorstellungen und die Assoziationspsychologie des Empirismus. Kants Auseinandersetzung mit diesen beiden Themen ist in den vorkritischen ußerungen klarer zu erkennen als in den Werken nach 1781, und so gibt es einen weiteren Grund dafr, die Untersuchung trotz der zum Teil unklaren Datierungs- und Textlage bereits mit den vorkritischen Vorlesungsmitschriften zu beginnen. Eine vierte Schwierigkeit ist diese: die Einbildungskraft tritt gerade in den zentralen, interpretatorisch anspruchsvollsten und am wenigsten zugnglichen Abschnitten der Kritik der reinen Vernunft prominent auf: in den 14

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Einleitung

beiden Versionen der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe und im Schematismuskapitel. Dabei betreffen die Vernderungen, die Kant in der zweiten Auflage vorgenommen hat, besonders auch die Einbildungskraft. Mit den Vernderungen der zweiten gegenber der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft hngt, fnftens, ein allgemeines Problem zusammen, das eine angemessene Darstellung zustzlich erschwert: es gibt wenigstens zwei große Interpretationslinien, die sich in ihren Aussagen signifikant unterscheiden. Sie lassen sich in ihrer Tendenz danach einteilen, welcher der beiden Auflagen sie den Vorzug geben. Das Problem besteht darin, daß beide sich mit einer entsprechend unterschiedlichen Gewichtung einzelner Fragen und Themen der theoretischen Philosophie Kants nhern, wobei sich fr beide Lesarten sowohl im Text als auch in der Sache gute Grnde finden lassen. Schließlich, sechstens und nach dem Gesagten wenig berraschend, gehren die Ausfhrungen Kants zur Einbildungskraft nicht nur in interpretatorischer und werkinterner, sondern auch in systematischer Hinsicht zu den notorisch kontroversen Themen seines erkenntnistheoretischen Hauptwerkes, zumal ein angemessenes Verstndnis eine erhebliche Zahl von Interpretationsentscheidungen im Hinblick auf seine gesamte Erkenntnistheorie voraussetzt. Mit diesen Schwierigkeiten muß sich jede Darstellung der Theorie der Einbildungskraft auseinandersetzen. Die folgende Untersuchung versucht, ihnen unter anderem durch ihre Anlage und ihren Aufbau Rechnung zu tragen. Zunchst gibt sie anhand der Vorlesungsnachschriften vor 1781 einen berblick ber die vorkritische Auseinandersetzung. Dabei wird es hauptschlich um drei Dinge gehen. Erstens: um die terminologischen und sachlichen Differenzierungen, die Kant im Hinblick auf die Einbildungskraft vornimmt. Eng damit verbunden ist die Frage, welche Unterscheidungen seiner Auseinandersetzung mit der LeibnizWolffschen Schulphilosophie zuzuschreiben sind, welche seiA

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Einleitung

ner Auseinandersetzung mit dem britischen Empirismus, und an welchen Stellen er beginnt, sich von den Vorgaben seiner Vorgnger zu lsen. Zweitens, und ebenfalls damit zusammenhngend, wird es darum gehen zu ermitteln, auf welche Weise Kant durch den Bezug auf zwei Modelle, die sich in ihrem Anspruch und in ihrem Ansatz grundlegend unterscheiden, einige der zentralen Probleme entstehen, die seine spteren Ausfhrungen besonders in der ersten Kritik kennzeichnen. Und drittens schließlich wird zu betrachten sein, inwieweit sich bereits in der vorkritischen Auseinandersetzung das zentrale Moment seiner spteren Bestimmung der theoretischen Einbildungskraft als ein produktives (spontanes) Vermgen ankndigt. An die Betrachtung der vorkritischen ußerungen schließt sich die Analyse der Rolle der Einbildungskraft in der ersten Kritik an. Diese Untersuchung teilt sich grob in zwei Abschnitte. In einem ersten Schritt wird es darum gehen, einige allgemeine Annahmen der Erkenntnistheorie Kants darzustellen, insofern sie fr das Verstndnis seiner Theorie der Einbildungskraft in der Kritik der reinen Vernunft wichtig sind. In einem zweiten Schritt geht es dann um die Details der Theorie. Die weitgehende Beschrnkung der Darstellung der kritischen Zeit auf die beiden Auflagen der ersten Kritik erfolgt deshalb, weil hier – anders als in der Kritik der Urteilskraft, in der die Einbildungskraft ebenfalls eine prominente Rolle spielt –, die erkenntnistheoretischen Aspekte der Einbildungskraft verhandelt werden, und diese das Hauptanliegen der folgenden Untersuchung sind. 1 Dies soll allerdings dort, Ausdrcklich weist Kant selbst zu Beginn der dritten Kritik darauf hin, daß die Untersuchung der Einbildungskraft in sthetischer Perspektive in erkenntnistheoretischer Hinsicht fr ihn nicht weiter von Belang ist: »Ein regelmßiges, zweckmßiges Gebude mit seinem Erkenntnisvermgen (…) zu befassen, ist ganz etwas anderes, als sich dieser Vorstellung mit der Empfindung des Wohlgefallens bewußt zu sein. Hier wird

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wo es sinnvoll erscheint, den Ausblick auf andere Werke der kritischen Periode (besonders die Prolegomena und die dritte Kritik) nicht ausschließen. Im Zusammenhang der Darstellung der Theorie der Einbildungskraft in der ersten Kritik wird unter anderem zu betrachten sein, wie die verschiedenen Interpretationstraditionen zu betrchtlichen Unterschieden in der Wahrnehmung des hier verhandelten Themas fhren. Soviel sei an dieser Stelle vorweggenommen: gegenber stehen sich eine im weitesten Sinne ›erkenntnistheoretische‹ oder ›wissenschaftstheoretische‹ Lesart und eine Interpretation, die die Kritik der reinen Vernunft primr als die Auseinandersetzung mit ›metaphysischen‹ Themen begreift. In dieser zweiten, ›metaphysischen‹ Perspektive stellt sich das Werk u. a. als der Versuch dar, die Frage zu beantworten, auf welche Weise uns berhaupt ›Gegenstnde‹ gegeben werden beziehungsweise zugnglich sind. Der prominenteste Vertreter dieser Interpretationslinie ist Martin Heidegger. Er verfolgt diesen Ansatz besonders ausfhrlich in seiner Kant-Vorlesung von 1929 (Kant und das Problem der Metaphysik). Zu den berwiegend ›wissenschaftstheoretisch‹ oder ›erkenntnistheoretisch‹ motivierten Interpretationen dagegen ist neben den Versuchen des die Vorstellung gnzlich auf das Subjekt und zwar auf das Lebensgefhl desselben, unter dem Namen des Gefhls der Lust oder Unlust, bezogen; welches ein ganz besonderes Unterscheidungs- und Beurteilungsvermgen grndet, das zum Erkenntnis nichts beitrgt …«, KU 204. Vgl. auch KU Einleitung 189–192; sowie die Diskussion bei Mrchen, der als Konklusion seiner Argumentation festhlt: »Hier wird ganz deutlich, wie sinnwidrig es ist, die am sthetischen ›Urteil‹ beteiligte Einbildungskraft als Erkenntnisvermgen zu interpretieren«, Mrchen (1930) 144; s. 130; 162. Makkreel weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, daß die Einbildungskraft in ihrer sthetischen Funktion zwar durchaus einen Bezug auf Erkenntnis hat, allerdings nur in einem sehr indirekten Sinn, nmlich insofern sie es uns erlaubt, unserem Wissen ›Bedeutung‹ zu geben, d. h. es sinnvoll auf unsere Lebenspraxis zu beziehen, Makkreel (1990) 71 ff.; 158; 163 ff.; 199. A

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Einleitung

Marburger Neukantianismus, Kants erste Kritik als eine weitgehend psychologiefreie 2 Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften zu lesen, wohl auch die fr die neuere Kant-Interpretation sehr einflußreiche Interpretation Peter F. Strawsons (The Bounds of Sense, 1966) zu rechnen. Strawson betrachtet Kants Vorhaben, den Umfang und die Grenzen menschlichen Wissens zu ermitteln, bekanntlich primr unter sprachphilosophischen Vorzeichen. Die Grundfrage der ersten Kritik wird fr Strawson folglich zu einer Frage nach dem begrifflichen Rahmen (conceptual framework) unserer Erkenntnis. Als neuerer Vertreter einer klar wissenschaftstheoretisch ausgerichteten Interpretation wre dagegen etwa Stephan Krner mit seiner Monographie von 1955 (Kant, dt. 1967) zu nennen. Krner interpretiert Kants Werk erklrtermaßen vor dem Hintergrund der newtonischen Physik und unter dem Gesichtspunkt, inwieweit Kants berlegungen zu einer Grundlegung der Naturwissenschaften beitragen knnen. Es liegt auf der Hand, daß die Ergebnisse, zu denen die jeweiligen Interpretationen gelangen, sich in vielen Punkten unterscheiden. Hinzu kommt, daß die verschiedenen Absichten, die im Rahmen dieser Interpretationslinien jeweils verfolgt werden, oft mit einer Prferenz der Interpreten fr die Version der ersten oder der zweiten Auflage und einer deutlich strkeren Gewichtung bestimmter Abschnitte einhergehen. Da die primre Ausrichtung an ›erkenntnistheoretischen‹ beziehungsweise ›metaphysischen‹ Fragen eine Grundspannung widerspiegelt, die im Werk selbst vorhanden ist, empfiehlt es D. h. eine Interpretation, die unter anderem die Vermgenspsychologie und auch das Problem des Zusammenhangs von Vorstellungen in der ersten Kritik weitgehend vernachlssigt oder sie als »logische und begriffliche, nicht als psychologische Voraussetzung der Erkenntnis« (Hoppe, 1983: 11 f. Fn.) interpretiert. Der ›Psychologismus‹-Vorwurf, der Kant bereits frh gemacht wurde und der bis heute wenig von seinem Einfluß verloren hat, wird noch eigens zu diskutieren sein, s. u. S. 68–73.

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Einleitung

sich, diese beiden Anstze nicht gegeneinander zu stellen, sondern vielmehr zu versuchen, sie in systematisch fruchtbarer Weise aufeinander zu beziehen. Denn in der Tat lassen sie sich relativ einfach ber eine allgemeine These verbinden. Ich schließe mich hier deshalb der entsprechenden Diagnose Wolfgang Carls an, der in der Einleitung zu seinem Kommentar der A-Deduktion unterstreicht, daß »sich fr Kant selber diese Alternative nicht stellt«, und folge im weiteren seiner These, daß »die ›Kritik der reinen Vernunft‹ (…) eine Theorie der Bedingungen der Mglichkeit von Erfahrung hentwickelti, weil sie sich mit Metaphysik beschftigt«. Nur wenn man versteht, daß die beiden Themen und die entsprechenden Interpretationstraditionen keine exklusiven Alternativen darstellen, sondern verschiedene Aspekte der Theorie widerspiegeln, ist ein volles Verstndnis der Theorie mit ihren internen Spannungen und Schwierigkeiten mglich. 3

Carl (1992) 11, meine Hervorhebung. Eine Stelle, an der diese Verbindung besonders augenfllig wird, ist, wie Carl unter Rckgriff u. a. auf den dritten Entwurf der Preisschrift (bes. AA 20.316 f.) nachweist, Kants eigener Begriff der Metaphysik. Analog der »zweifachen Verwendung des Ausdrucks ›Vernunft‹, der einmal das ›obere Erkenntnisvermgen‹ insgesamt, dann aber auch speziell das Vermgen bezeichnet, dessen logischer Gebrauch im Schließen besteht«, lßt sich auch im Hinblick auf den Metaphysikbegriff eine enge und eine weite Bedeutung ermitteln, in dessen Gefolge sich das zentrale Beweisziel der ersten Kritik auf die positive Beantwortung der Frage der ›Grenzbestimmung der reinen Vernunft‹, d. h. ihrer berechtigten Ansprche, festlegen lßt. Im Rahmen der engen Konzeption des Metaphysikbegriffs stellt sich das Argumentationsziel dagegen als ein therapeutisches und negatives dar: in diesem Zusammenhang geht es, so stellt Carl fest, um die Zurckweisung berzogener Erkenntnisansprche, d. h. darum, »›den Schein transscendenter h›transscendendental‹ ist offensichtlich ein Druckfehler bei Carli Urtheile aufzudecken‹ (KRV A 297/B 354) und die Mglichkeit metaphysischen ›Wissens aufzuheben‹ (KRV B XXX)«, Carl (1992) 17 f.; vgl. 41.

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Die Zeit vor 1781

Bei Christian Wolff, dem wohl einflußreichsten Vertreter der maßgeblich von Leibniz geprgten Schulphilosophie zu Kants Zeiten, findet sich in seiner Psychologia empirica von 1732 folgende Bestimmung der Einbildungskraft: »Das Vermgen, ›Perzeptionen‹ abwesender sinnlicher Gegenstnde hervorzubingen, heißt Einbildungskraft oder Imaginatio«. 4

hnlich hatte Wolff bereits in einem frheren Werk (Vernnfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen berhaupt, 1720) formuliert: »Die Vorstellungen solcher Dinge, die nicht zugegen sind, pfleget man Einbildungen zu nennen. Und die Kraft der Seele, dergleichen Vorstellungen hervorzubringen, nennet man die Einbildungs-Kraft«, Wolff VG § 235

Diese Bestimmung der Einbildungskraft als das Vermgen, nicht aktuell in der Wahrnehmung Gegebenes vorzustellen, ist schon fast so etwas wie der Minimalkonsens, auf den sich die meisten Philosophen, die sich vor Kant mit dem Thema ausfhrlicher beschftigt haben, einigen knnten. 5 Sie findet sich insbesondere auch bei Baumgarten, dessen Metaphysica die Grundlage fr Kants eigene Vorlesungen war. 6 Fr Kant Wolff Psych. empir. § 92 [Facultas producendi perceptiones rerum sensibilium absentium Facultas imaginandi seu Imaginatio appellatur]. 5 Diese Bestimmung geht bereits auf Aristoteles zurck, s. bes. De an. 429a. 6 »Ich habe die Fhigkeit, mir etwas einzubilden, oder die Phantasie. Und 4

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Die Zeit vor 1781

selbst ist diese Bestimmung nicht nur Grundlage der vorkritischen Diskussion, sondern sie liegt auch den spteren Ausfhrungen der ersten Kritik zugrunde. Erwhnt wird sie in diesem Werk allerdings nur in der zweiten Auflage, wo Kant ausdrcklich feststellt, »Einbildungskraft ist das Vermgen, einen Gegenstand auch o h n e d e s s e n G e g e n w a r t in der Anschauung vorzustellen«. 7

Sieht man von den Schwierigkeiten ab, die Kant aus der bernahme substantieller Teile des Vermgensmodells fr die Anlage seiner Theorie insgesamt entstehen – hier unter Umstnden auch durch die Behauptung, daß verschiedene Vermgen, deren Vorhandensein an sich kontingent ist, fr das Zustandekommen und in der Begrndung von Wissen notwendig aufeinander angewiesen sind –, so ist diese minimale Bestimmung der Einbildungskraft in der Sache unproblematisch.

da meine Einbildungen ›Perzeptionen‹ von einst gegenwrtigen Gegenstnden sind, sind sie Einbildungen von durch die Sinne Wahrgenommenem, das aber, whrend ich sie vorstelle, abwesend ist«, Baumgarten Met. § 558 [Habeo facultatem imaginandi seu phantasiam. Quumque imaginationes meae sint perceptiones rerum, quae olim praesentes fuerunt, sunt sensorum, dum imaginor, absentium]. Fr Kant war vor allem der erste Teil der Metaphysica relevant, fr den ab Mitte der siebziger Jahre der Titel Psychologia empirica gebruchlich wurde. Kant benutzte die vierte Auflage von 1757. Er organisierte allerdings das Material bereits in seiner ersten Vorlesung vom Wintersemester 1772/3 eindeutiger anhand der jeweiligen Erkenntnisvermgen, hierzu Brandt/Stark (1997) xxiv f. 7 KRV B 151. Die Zitate der ersten Kritik folgen im Text der synoptischen Ausgabe der Philosophischen Bibliothek, Hg. Jens Timmermann. Diese Ausgabe setzt die Passagen, in denen sich die erste und zweite Auflage voneinander unterscheiden, durchgehend kursiv. A

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1.1 Winter 1772/3 Kommen wir von dieser allgemeinen Charakterisierung, die Kant mit seinen Vorgngern teilt, zu den Einzelheiten. Wie in der Einleitung bereits erwhnt, wird in den Vorlesungsmitschriften besonders deutlich, daß und wie er sich in vielfacher Weise auf die Tradition bezieht. So bernimmt er, mit einer ber die Jahre unterschiedlichen Gewichtung und zum Teil unter anderen Bezeichnungen, die Einteilung der Vermgen, wie sie von Wolff und Baumgarten im Umfeld der Einbildungskraft vorgenommen wurde. Mit Ausnahme der »Scharfsicht« und des »Urteilsvermgens«, finden sich deren Festlegungen und Bestimmungen 8 auch bei Kant. Im ersten Kapitel der Metaphysica hatte Baumgarten die entsprechenden Fhigkeiten in Scharfsicht (›perspicacia‹ ; §§ 572–578), Gedchtnis (›memoria‹ ; §§ 579–588), Dichtungsvermgen (›facultas fingendi‹, §§ 589–594), das Vermgen der Voraussicht (›praevisio‹ ; §§ 595–605), Urteilsvermgen (›iudicium‹ ; §§ 606–609), Erwartungs- und Ahnungsvermgen (›praesagatio‹ ; §§ 610–618) und das Vermgen der Zeichen (›facultas characteristica‹ ; §§ 619–623) unterteilt. 9 Anders als Baumgarten, fr den diese Vermgen zwar in enger Nachbarschaft stehen, aber keinen wirklich engen thematischen Zusammenhalt haben, bezieht Kant sie (mit den genannten Ausnahmen) ber ihre jeweilige Funktion eindeutiger auf die Einbildungskraft – auch wenn diese in den frhen Vorlesungen terminologisch oft noch unter der Bezeichnung ›Bildungsvermgen‹ auftritt. Doch Kant vermindert die Vorgabe BaumS. bes. ›Phantasia‹ ; Baumgarten Met. §§ 557–571. Vgl. auch Baumgarten Aesth. bes. § 36–42, wo das Zusammenspiel von einigen der eben genannten Vermgen in (neuzeitlich) sthetischer Perspektive, nmlich als Voraussetzungen des ›schnen Geistes‹ (ingenium venustum), diskutiert wird.

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gartens nicht nur um zwei Elemente, sondern er erweitert sie auch um einige Funktionen. So unterscheidet er in der Vorlesung vom Wintersemester 1772/3, unter der berschrift Von den Bildungsvermgen, Bildungs-, Nachbildungs-, Vorbildungs-, Einbildungs- und Ausbildungsvermgen. 10 Der entscheidende Hinweis auf die Frage, die fr Kant bereits zu dieser Zeit mit den entsprechenden geistigen Fhigkeiten verbunden ist, findet sich allerdings zunchst nur in einer Textvariante (Philippi). Dort heißt es: »Das Bildungsvermgen ist die Zusammennehmung der Eindrcke, woraus als dan ein Ganzes entspringt« (loc. cit., meine Hervorhebung). In der Folgezeit wird sich die Frage nach der Fhigkeit des menschlichen Geistes, Verbindungen herzustellen, die am Horizont dieser kurzen Bemerkung sichtbar wird, mit zunehmendem Nachdruck artikulieren; daß sie bereits 1772/3 zumindest im Blickfeld seiner berlegungen ist, wird auch in der Explikation der genannten Vermgen an dieser Stelle deutlich. Denn Kant ordnet ihre Verbindungsleistungen nach zwei Gesichtspunkten: im Fall des Nach- und Vorbildungsvermgens geht es um eine Verbindung zeitlich disparater mentaler Ereignisse. Das Nachbildungsvermgen bezeichnet dabei die Fhigkeit, Vorstellungen zu einem spteren Zeitpunkt und in Abwesenheit eines entsprechenden Sinneseindrucks erneut aufzurufen: »Nachbildung ist die Wiederholung der Anschauungen, oder vielmehr des Bildes, welches wir uns bey Gelegenheit der Dinge gemacht hatten«, denn unsere »gegenwrtige Zeit ist voll von Bildern der vergangenen und dieses ist das einzige Mittel eine Connection der Gedanken vorzustellen«, Anthr. Collins AA 25.2.1.76. In hnlicher Weise ist das Vorbildungsvermgen dafr zustndig, daß wir eine bestimmte Erwartung hinsichtlich zuknftiger Ereignisse auf der Grundlage aktueller Wahr10 Anthr. Collins AA 25.2.1.76; vgl. auch die kurze Bemerkung in R 321 AA 15.127, die Adickes zwischen 1769 und 1772 datiert.

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nehmungen formulieren, d. h. Gegenwart und Zukunft gedanklich in einer systematischen Weise aufeinander beziehen knnen. 11 Einbildungs- und Ausbildungsvermgen dagegen sind fr Kant die Fhigkeiten, die es uns erlauben, inhaltlich unterschiedliche Vorstellungen miteinander zu verbinden. Dabei trennt er das Einbildungsvermgen, als »das Fundament von allen Erfindungen« (loc. cit.), von der Fhigkeit, die es uns ermglicht, Vorstellungen von bisher Unbekanntem mit Vorstellungen bekannter Dinge in eine gedankliche Verbindung zu bringen. Dabei ist zu beachten, daß die ›Erfinderttigkeit‹ des Einbildungsvermgens unter einer wichtigen Einschrnkung steht, wie sie hnlich bereits im britischen Empirismus von Thomas Hobbes, John Locke und David Hume im Hinblick auf die imagination formuliert wurde: Neues lßt sich grundstzlich nur auf der Grundlage bereits vorhandener Materialien ›erfinden‹, 12 nicht aber im Sinn einer creatio ex nihilo ›erschaffen‹. Auch die rationalistische Schulphilosophie teilt diesen Gedanken. So heißt es beispielsweise bei Baumgarten: »die Einbildungskraft enthlt nichts, was nicht zuvor in den Sinnen gewesen ist«. 13 Auch Kant selbst hlt an dieser These, daß die Einbildungskraft zwar aktiv und erfinderisch, Diese Fhigkeit schreibt Kant in eingeschrnktem Maß auch Tieren zu – »wenn der Jger die Cuppel hervor nimmt, so freen sich die Hunde, daß sie auf die Jagd gehen werden« –, selbst wenn sie sich beim Menschen schon dadurch weiter erstreckt, daß sie sich dort ber Sprache aktivieren lßt; z. B. »Wer die Kunst weiß, einem anderen etwas so vorzutragen, daß er das Spiel der Phantasie hemmen und wieder erregen kann, der ist glcklich«, Anthr. Collins AA 25.2.1.76. 12 »Nie knnen wir etwas ganz und gar erdichten, sondern wir haben die Materialien gleichsam abcopirt, und knnen daher nur die Form verndern«, Anthr. Collins AA 25.2.1.76 f.; »Das Dichten gehet bloß auf die Form, die Phantasmata liegen zum Grunde«, Anthr. Collins AA 25.2.1.95. 13 »hNiihil est in phantasia, quod non ante fuerit in sensu«, Baumgarten Met. § 559. S. auch Wolff VG § 247. 11

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aber deshalb dennoch nicht originr ›schpferisch‹ ist, konstant fest. Noch in der publizierten Fassung der Anthropologievorlesung von 1798 bemerkt er: »Wenn also doch die Einbildungskraft eine noch so große Knstlerin, ja Zauberin ist, so ist sie doch nicht schpferisch, sondern muß den S t o f f zu ihren Bildungen von den Sinnen hernehmen«. 14

Das wichtige Merkmal des Ausbildungsvermgens ist, daß es die Vorstellungen von bisher unbekannten Gegenstnden dadurch in eine Beziehung zu bereits Bekanntem zu setzen erlaubt, daß es sie in einen geregelten Kontext bringt, so daß es mglich wird, sie in einen Begriff zu fassen, denn wer »zum ersten Mal etwas fremdes ansieht, der hat noch kein Bild davon. Er muß es gleichsam erst durch laufen, und von grßeren Sachen kann man sich kein rechtes Bild machen. Hat man das Bild, so fehlt doch noch der Begriff«, Anthr. Collins AA 25.2.1.77.

1.2 Winter 1775/6 Beim Blick auf die Mitschrift vom Wintersemester 1775/6 fllt zunchst auf, daß Kant seine Terminologie erweitert hat: zu Anthr. (1798) AA 7.168. Vgl. auch »Die productive hEinbildungskrafti aber ist dennoch darum eben nicht s c h  p f e r i s c h , nmlich nicht vermgend, eine Sinnenvorstellung, die vorher unserem Sinnesvermgen n i e gegeben war, hervorzubringen, sondern man kann den Stoff zu derselben immer nachweisen. Dem, der unter den sieben Farben die r o t h e nie gesehen htte, kann man diese Empfindung nie faßlich machen, dem Blindgebornen aber gar keine; selbst nicht die Mittelfarbe, die aus der Vermischung zweier hervorgebracht wird; z. B. die grne. Gelb und blau, miteinander gemischt, geben grn; aber die Einbildungskraft wrde nicht die mindeste Vorstellung von dieser Farbe, ohne sie vermischt g e s e h e n zu haben, hervorbringen«, Anthr. (1798) AA 7.167 f. Eine bersicht ber die entsprechende Begrifflichkeit Mitte der 70er Jahre gibt R 1485 AA 15.699–706.

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den 1772/3 auftretenden Ausdrcken ›Phantasie‹, ›Imagination‹, ›Einbildungsvermgen‹ und den entsprechenden Varianten ist drei Jahre spter die weitere Bezeichnung »facultas informandi impressiones sensuum« hinzugekommen (Anthr. Friedl. AA 25.2.1.511). Dabei erfahren seine Ausfhrungen nicht nur terminologisch, sondern auch in der Sache eine Ausweitung. Unter der berschrift Von der Phantasie werden hier neben der Ab- und Nachbildung (Anthr. Friedl. AA 25.2.1.511) bereits weitere geistige Fhigkeiten und Operationen zum Thema, die auf eine gestiegene Aufmerksamkeit fr die empiristische Assoziationspsychologie als ein Modell fr die Verbindung von Vorstellungen hinweisen. Zunchst charakterisiert Kant die ›Einbildung‹ als ein »Bild der Erdichtung, facultas fingendi, (…) ein Bild von einem Gegenstande, der weder gegenwrtig, noch zuknftig noch vergangen ist, sondern (…) eine fiction, (…) ein Symbolum«, Anthr. Friedl. AA 25.2.1.511.

Die Bestimmung von Vorstellungen der facultas fingendi als ›fiction‹ oder Symbol ist vor allem deshalb interessant, weil dies die Aufmerksamkeit auf eine aktive und komplexe Abstraktionsleistung des Vermgens lenkt, die in der Vorlesung von 1772/3, bei der ›Bildung‹ von Vorstellungen auf der Grundlage konkreter Sinneswahrnehmungen, noch nicht zu erkennen ist. Auch in der anschließenden Bemerkung zur facultas praesagiendi wird deutlich, daß Kant das ›Bildungsvermgen‹ jetzt in einer aktiveren Rolle sieht. Hier geht es erneut um die Fhigkeit, sich Ereignisse vorzustellen, bevor sie eingetreten sind, beziehungsweise Gegenstnde, bevor wir Bekanntschaft mit ihnen gemacht haben. Allerdings hat Kant nun auch bereits die Fehleranflligkeit dieses Verfahrens im Blick, wenn er ausfhrt: »Es macht sich unser Gemth von allem was man hrt, ehe man es noch sieht, ein Bild zum voraus, so macht sich ein jeder ein Bild von

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einem Knige, wenn er ihn sehen soll. Hat er von ihm gehrt, daß er ein großer Held ist, so macht er sich ein zimlich massives und corpulentes Bild von ihm, als wenn es darinn bestnde, sieht er ihn hernach, so wird er Confus, wenn der Knig anders aussieht, als das Bild, daß er sich von ihm gemacht«, Anthr. Friedl. AA 25.2.1.511 f.

Zwar scheint es in diesem und hnlichen Fllen einfach, die fehlerhafte Erwartung spter durch den Vergleich mit einer tatschlichen Wahrnehmung zu korrigieren. Dennoch drngt sich in diesem Zusammenhang eine Frage auf, die in der ersten Kritik von Bedeutung sein wird, nmlich: welche der von der facultas fingendi hergestellten Verbindungen sind den Verbindungen angemessen, die in der Wirklichkeit vorliegen? Gibt es ein Kriterium oder ein Verfahren, das in diesem Zusammenhang sichere Antworten ermglicht? Auch die von Kant im Anschluß angefhrten Beispiele lassen sich in dieser Perspektive lesen. Denn auch hier formuliert die Einbildungskraft Erwartungen auf der Grundlage von in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen: von einem Betrger erwarten wir, daß er um eine runde Summe betrgt, von einem professionellen Spieler, daß er auf eine runde Summe spielt; wir orientieren uns an der Zwlfzahl, wenn es im Haushalt um das Kchengeschirr geht, und »wenn man von jemandem 11 Ducaten geschickt erhlt hso glaubt mani, daß der Bediente den 12ten hat, weil man praesumirt, der Herr werde ein Duzend voll geschickt haben«, Anthr. Friedl. AA 25.2.1.512

Das bereits bekannte Ausbildungsvermgen (facultas perficiendi), dem an dieser Stelle offenbar eine etwas andere Rolle zukommt als in der Vorlesung von 1772/3, vervollkommnet und ersetzt hier »durch Erdichtung, was der Ausfllung fehlt« (Anthr. Friedl. 25.2.1.512), und formuliert Erwartungen in einer Weise, die sehr an die David Humes Ausfhrungen ber ›allgemeine Regeln‹ (general rules) erinnert. In dem ›Of unphilosophical probability‹ berschriebenen Absatz des ersten A

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Buches des Treatise of Human Nature (T 1.3.13) hatte Hume mehrfach darauf hingewiesen, daß die Arbeitsweise der imagination stark von vergangenen Erfahrungen (›custom‹) beeinflußt werde, 15 deren Wiederholung dieses Vermgen dazu verfhrten, auf der Grundlage unzureichender Daten verallgemeinernde Regeln auszubilden. Und er hatte seine Darlegungen mit der Warnung verbunden, diesem Mechanismus nicht blind zu vertrauen oder ihn gar zu ignorieren, da wir andernfalls leicht sein Opfer wrden, weil wir uns in Widersprche verstrickten. 16 Weil das Kausalittsprinzip fr Hume jedoch nur den Status einer durch Gewohnheit stabilisierten Regel erlangen konnte (s.o), mußte er in der Frage der epistemischen Sicherheit zwangslufig zu einem skeptischen Fazit gelangen. Kant ist sich dessen bewußt, daß es an dieser Stelle Schwierigkeiten gibt, doch hat er zu dieser Zeit fr die Lsung nicht viel mehr anzubieten als seine empiristischen Vorgnger. In einem Passus, der sich hnlich durchaus im Treatise of Human Nature finden knnte, stellt er fest: »Die Association grndet sich auf drey Stcke auf die Begleitung, Nachbarschaft und auf die Verwandschaft. Die Begleitung ist in so ferne die Vorstellungen der Zeit nach entweder aufeinander folgen, oder zugleich seyn. Wenn eine Vorstellung vorkommt, so wird die andere so gleich herbey gerufen. Z. E. wenn wir Rauch sehen, so Beispielsweise: »’tis … certain, that custom takes the start, and gives a biass to the imagination«, T 1.3.13.9; passim. 16 T 1.3.13.20. Auf die Parallelen zwischen Kants und Humes berlegungen zur Einbildungskraft (vor allem allerdings in den jeweiligen Hauptwerken) ist vielfach hingewiesen worden, besonders prominent bereits von Mainzer, der diesen Befund zum Ausgangspunkt seiner Monographie macht (Mainzer, 1881: 6); von Strawson (1970), und trotz profunder Mißverstndnisse von Daniel (1988). Daniel behauptet unter anderem, Hume stelle, ganz im Sinne Kants, eine Theorie der ›transzendentalen Einbildungskraft‹ vor (s. Daniel, 1988: 85; 88 f.), was offensichtlich eine anachronistische berinterpretation des Humeschen Ansatzes ist. 15

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kmmt so gleich die Vorstellung vom Feuer. (…) Die Begleitung ist der erste und grßte Grad der Association. Der zweite Grund der Association ist die Nachbarschaft. So wie die Einheit der Zeit die Begleitung ausmacht, so macht die Einheit des Orts die Nachbarschaft. (…) Der dritte Grund der Association ist die Verwandschaft, so ferne die Vorstellungen der Beschaffenheit nach verwandt sind. Sie sind aber verwandt der Aehnlichkeit und Abstammung wegen« 17

Nur dem letzten Punkt htte Hume in dieser Weise wohl kaum zugestimmt, da Kant das Abstammungsverhltnis kausal expliziert, whrend fr Hume die Unterstellung eines Kausalverhltnisses gerade das war, was es u. a. im Rekurs auf den Assoziationsmechanismus zu erklren galt. Fr Kant sind Vorstellungen dann in ihrer Abstammung ›verwandt‹, wenn die Gegenstnde oder Ereignisse, die sie auslsen, auf dieselbe Ursache zurckgehen; und sie sind in ihrer Abstammung ›hnlich‹, wenn sie Folge eines absichtsvoll vorgenommen Kategorisierungsaktes sind. Die Kriterien rumlicher und zeitlicher Nhe (von Gegenstnden oder Ereignissen, auf welche die von ihnen hervorgerufenen Vorstellungen zurckgehen) als die Auslser einer Verbindung (›association‹) finden sich dagegen so auch bei Hume. 18 Bemerkenswert ist, daß Kant mit diesem Modell bereits deutlich ber die Lex imaginationis hinausgeht, wie sie sich etwa bei Baumgarten und Wolff findet. Baumgarten hatte als das zentrale Merkmal der Anthr. Friedl. AA 25.1.2.512 f. S. auch die knappen Bemerkungen zu diesem Thema in der Mitschrift von 1772/3: »Associatio bruta hsensualisi wenn von ohngefhr zwey Vorstellungen zusammen sind – reflexa, wenn eine mit der andern Aehnlichkeit hat. Associatio intellectualis, wenn eine mit der andern verbunden ist«, Anthr. Collins AA 25.2.1.88. 18 Vgl. R 326 AA 15.129: »Die Beygesellung (Verknpfung, Vergesellschaftung, d e r U r s a c h e n a c h ) geschieht entweder durch Zeit und Raum (denn sind die Dinge benachbart) oder durch Vergleichung (verwandt) oder willkhrlich (beygesellt) (consociiert). Charakteristik.« und R 354 AA 15.139, beide aus der ersten Hlfte der 70er Jahre; sowie R 355 AA 15.139, zwischen 1769 und 1778. 17

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Assoziation von Vorstellungen die Relation eines Teils zu einem Ganzen ausgemacht. 19 Wolff formuliert das ›Gesetz‹ dagegen weniger spezifisch als eine Relation gleichrangiger Vorstellungen. 20 Die Theorie, die Kant in der Vorlesung vom Winter 1775/6 vertritt, enthlt darber hinaus bereits einen wichtigen Punkt, der auf seine sptere Beschftigung mit dem Thema vorausweist. Zwar ordnet er die rumlichen und zeitlichen Assoziationsmechanismen zwischen Vorstellungen der Sinnlichkeit zu, doch bezeichnet er den Verwandtschaftsmechanismus bereits als einen Akt des Verstandes. 21 Ebenso ist fr ihn die Fhigkeit, Lcken in einer Assoziationskette selbstttig zu ergnzen und die entsprechenden Verbindungen herzustellen, dem Verstand zugeordnet, wie an dem Beispiel deutlich wird, das er an dieser Stelle (Anthr. Friedl. AA 25.2.1.514) gibt. Mit der Unterscheidung zwischen den Assoziationen der Sinne und den Verbin»Daher das Gesetz der Einbildungskraft: eine Teilvorstellung, die perzipiert wird, ruft die gesamte Vorstellung auf. Diesen Satz nennt man auch Ideenassoziation«, Baumgarten Met. § 561 [Unde lex imaginationis: percepta idea partiali recurrit eius totalis. Haec propositio etiam associatio idearum dicitur]. 20 »Lex imaginationis sive Phantasmatum haec est propositio: Si qua semel percepimus & unius perceptio denuo producatur; imaginatio producit & perceptionem alterius«, Wolff Psych. empir. § 117 [Das Gesetz der Einbildungskraft oder der Vorstellungen ist dieser Satz: wenn wir etwas zugleich wahrgenommen haben und eine Vorstellung wird spter erneut hervorgebracht, so ergnzt die Einbildungskraft auch die andere Vorstellung]. 21 In der publizierten Version der Anthropologievorlesung tritt die Verwandtschaftsbeziehung allerdings wieder als Funktion der Sinnlichkeit auf. Dort heißt es: »Es giebt drei verschiedene Arten des sinnlichen Dichtungsvermgens. Diese sind das b i l d e n d e der Anschauung im Raum (imaginatio plastica), das b e i g e s e l l e n d e der Anschauung in der Zeit (imaginatio associans) und das der Ve r w a n d s c h a f t aus der gemeinschaftlichen Abstammung der Vorstellungen von einander (affinitas)«, Anthr. (1798) AA 7.174. 19

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dungen des Verstandes artikuliert sich daher zwar bereits die Unzufriedenheit mit dem empiristischen Assoziationsmodell, das Kant hier mit leichten Modifikationen bernommen hat; 22 die Tatsache, daß er die Unterscheidung nicht weiter verfolgt, deutet aber darauf hin, daß er sich des argumentativen Potentials, das in dieser Unterscheidung steckt, noch nicht in der Weise bewußt ist, daß er bereits den Ausblick auf eine Lsung geben knnte. Der sptere Versuch der ersten Kritik, die Frage, wie wir uns dessen sicher sein knnen, daß die Verbindungen, die wir zwischen Vorstellungen herstellen, wenigstens einige der Verbindungen angemessen erfassen, die zwischen ußeren Gegebenheiten tatschlich bestehen – der Versuch, diese Frage durch die Differenzierung von ›empirischen‹ und ›transzendentalen‹ Verbindungsleistungen zu beantworten, steht hier noch ganz am Anfang.

1.3 Metaphysik L1 In die Zeit zwischen 1775/6 und 1781 fllt aller Wahrscheinlichkeit nach auch eine weitere Mitschrift. Sie ist im Hinblick auf die vorkritische Diskussion der Einbildungskraft sicherlich die ergiebigste. Fr sie gilt jedoch, in noch grßerem Maß als fr die Mitschriften von 1772/3 und 1775/6, der Vorbehalt der unsicheren Textlage. Denn neben der Tatsache, daß es sich bei diesem Text wohl um die Abschrift einer Nachschrift handelt, ist auch die Datierung unsicher. Die erste Verffentlichung der fraglichen Manuskripte wurde 1821 anonym von Karl Heinrich Ludwig Plitz unter dem Titel Immanuel Kant’s Vorlesungen ber die Metaphysik vorgenommen. Es handelt sich Ein frher Hinweis auf die begriffliche Unterscheidung von sinnlicher und ›intellectualer‹ Assoziation findet sich bereits in R 353 AA 15.138 f. (1769–71).

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bei dem Text, der heute als Metaphysik L1 in Band 28 der Akademieausgabe abgedruckt ist, um eine eher willkrliche Zusammenstellung verschiedener Vorlesungsmitschriften durch den ersten Herausgeber, deren Originale heute verloren sind. 23 Dennoch ist L1 eine wichtige Quelle, besonders deshalb, weil diese Zusammenstellung einer der wenigen Texte ist, die Kants Entwicklungsstand zwischen 1775 und 1781 dokumentieren. Denn in der Tat gibt es einige Anhaltspunkte, die seine Entstehung auf diesen Zeitraum eingrenzen. So lßt es sich wohl ausschließen, daß die Vorlesung im Winter 1773/4 gehalten wurde. Das Todesdatum des in der Vorlesung bereits als verstorben erwhnten Crusius (18/10/1775) spricht nachdrcklich fr diese Annahme, s. Carl (1989) 118. Der Vorschlag Wolfgang Carls dagegen, die Vorlesung frhestens auf das Wintersemester 1777/8 zu datieren, weil Bezge auf Tetens’ 1777 erschienene Philosophische Versuche ber die menschliche Natur und ihre Entwicklung dies nahelegten, ist wenigstens umstritten. 24 Weitgehende Einigkeit besteht jedoch darber, daß die Vorlesung vor 1781 gehalten wurde. Darauf deutet unter anderem hin, daß der fr Kants Theorie der Einbildungskraft wichtige Begriff der produktiven Einbildungskraft an keiner Stelle fllt. Patricia Kitcher gibt fr ihre Vermutung, die Vorlesung sei zwischen 1773 und 1785 entstanden, »but probably closer to the latter end of that peZu den Details s. die ausfhrliche und sehr grndliche Untersuchung von Heinze (1894). Er argumentiert u. a., daß L1 und die heute ebenfalls verlorenen, ihm aber noch zugnglichen Manuskripte K1 und H, Abschriften derselben Vorlage sind; d. h. daß der Behauptung des ersten Herausgebers, es handle sich »auf jeder abgedruckten Zeile humi den wahren Kant« (Plitz, 1821: vi) schon deshalb mit Vorsicht begegnet werden sollte. 24 Heiner Klemme etwa hlt den ›mglichen‹ Bezug auf Tetens fr zu schwach, um ihn als das Entscheidungskriterium fr die Datierung auf 1777/8 oder spter heranzuziehen, s. Klemme (1996) 103 Anm. 95. 23

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riod« (Kitcher, 1990: 259), keine durchschlagenden Argumente. So kann man wohl davon ausgehen, daß das, worauf es in unserem Zusammenhang ankommt, mit einiger Wahrscheinlichkeit tatschlich der Fall ist: L1 stammt aus der Zeit vor 1781, und die hier festgehaltenen Gedanken dokumentieren bereits eine relativ differenzierte vorkritische Beschftigung Kants mit der Einbildungskraft, die in Teilen ber das hinausgeht, was in den frhen Mitschriften verzeichnet ist. Die Frage der genauen Datierung innerhalb der zweiten Hlfte der 70er Jahre spielt hier daher keine wirklich wichtige Rolle. In ihrem Aufbau orientiert sich die Vorlesung strker noch als die bisher betrachteten an Baumgartens Metaphysica. Kant handelt in ihr sowohl die traditionellen Themen der Metaphysica generalis als auch die der Metaphysica specialis ab. Er folgt dabei der rationalistischen Unterscheidung zwischen ›empirischer‹ und ›rationaler‹ Psychologie und Physik, um sein Thema einzugrenzen. Die jeweiligen empirischen Disziplinen sollen dabei ausdrcklich nicht Gegenstand der Untersuchung sein. 25 Kennzeichen des rationalen Teils einer Wissenschaft ist fr Kant, daß es um ›apriorische‹ Erkenntnis aus Begriffen und um die Frage geht, wieviel allein durch Vernunft zu erkennen sei. 26 Dies gilt in gleichem Maß fr die Erkenntnis der Natur wie fr die Erkenntnis des menschlichen Geistes. Metaphysik – im Sinn der Nachschrift L1 – beschftigt sich mit dieser Erkenntnis aus Begriffen, auch wenn Kant nach»Psychologia empirica i s t d i e E r k e n n t n i ß v o n d e n G e g e n s t  n d e n de s i n n e r e n S i n n e s, s o f e r n s i e a u s d e r E r f a h r u n g g e s c h  p f t i s t . (…) Die rationale Psychologie ist d i e E rk e n n t n i ß d e r G e g e n s t  n d e d e s i n n e r n S i n n e s, s o f e r n s i e a u s d e r r e i n e n Ve r n u n f t e n t l e h n t ist. – Eben so wenig, als die empirische Physik zur Metaphysik gehrt; e b e n s o w e n i g g e hret auch die empirische Psychologie zur Metaphys i k«, L1 AA 28.1.222 f. 26 Z. B. L1 AA 28.1.223 f.; 263. 25

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drcklich darauf hinweist, daß der »G e g e n s t a n d … immer ein Gegenstand der Sinne und Erfahrung histi«, und feststellt: »nur die E r k e n n t n i ß von ihm kann durch reine Vernunftbegriffe erlangt werden«, AA 28.1.221. In diesem Sinn folgt Kant mit der Ausgliederung der empirischen Psychologie aus der Metaphysik erneut der Vorgabe von Wolff und Baumgarten, s. auch Brandt/Stark (1997) xxiv. Die Ausfhrungen, die in unserem Kontext von Bedeutung sind, finden sich deshalb auch nicht im Haupttext des eigentlichen ›metaphysischen‹ Projekts der rationalen Psychologie, sondern in der allgemeinen Einleitung (AA 28.1.221–262): dort nimmt Kant die einschlgigen terminologischen Festlegungen vor. Die wichtigste fr uns ist Kants Unterscheidung zwischen empirischen (›sinnlichen‹) und nicht-empirischen (hier noch: ›intellectuellen‹) Erkenntnissen. Denn anders als Wolff und Baumgarten, die als bestimmendes Merkmal der sinnlichen Erkenntnis ihre Verworrenheit und fr Verstandeserkenntnis ihre Klarheit; also inhaltliche Kriterien in Anschlag bringen, 27 teilt Kant Erkenntnisse anhand ihrer Genese ein und verbindet dies mit zwei (auch im Hinblick auf seine spteren Ausfhrungen) wichtigen Thesen. Erstens: gehen Erkenntnisse auf Sinneswahrnehmungen zurck, so erfordert dies allein einen passiven Akt des Erkenntnissubjekts: »die Erkenntnisse, die durch den Eindruck des Gegenstandes entspringen, heißen: Vo rs t e l l u n g e n d e r S i n n e s e l b s t «, L1 AA 28.1.230. Verstandeserkenntnisse dagegen erfordern immer eine aktive geistige Leistung. Zweitens: diese ›Aktivitt‹, ›Selbstthtigkeit‹ oder ›Spontaneitt‹ ist das definierende Merkmal des sogenannten »oberen« Erkenntnisvermgens, ›Passivitt‹ das Merkmal des »unteren«. »Ich fhle mich entweder als l e i d e n d oder als s e l b s t t h  t i g . Was zu meinem Vermgen gehrt, so fern ich leidend bin, gehrt zu mei27

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S. beispielsweise Wolff VG § 236; § 277; § 282.

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nem untern Vermgen. Was zu meinem Vermgen gehret, so fern ich thtig bin, gehrt zu meinem obern Vermgen. (…) Das Ve rm  g e n d e r Vo r s t e l l u n g e n , oder das Erkenntnißvermgen, ist entweder das u n t e r e Erkenntnißvermgen oder das o b e r e Erkenntnißvermgen. Das u n t e r e Erkenntnißvermgen ist eine Kraft, Vorstellungen zu haben, so fern wir von Gegenstnden afficirt werden. Das o b e r e Erkenntnißvermgen ist eine Kraft, Vorstellungen aus uns selbst zu haben«. 28

mit der anschließenden Festlegung: »Sinnliche Erkenntnisse sind n i c h t d a d u r c h sinnlich, weil sie verworren sind; sondern daß sie im Gemth statt finden, so fern es von den Gegenstnden afficirt wird. Die intellectuellen Erkenntnisse sind wiederum n i c h t d a d u r c h intellectuell, weil sie deutlich sind, sondern weil sie aus uns selbst entspringen«, L1 AA 28.1.229.

Zwar teilt Kant durchaus die These seiner rationalistischen Vorgnger, daß alle Erkenntnis, die auf die Sinne zurckgeht, »logisch verworren« ist (L1 AA 28.1.2.229), 29 aber diese ChaL1 AA 28.1.228; vgl. »Alle Untervermgen machen die S i n n l i c h k e i t , und alle Obervermgen machen die I n t e l l e c t u a l i t  t aus«, L1 AA 28.1.229; »Das obere Erkenntnißvermgen heißt es darum, weil in ihm die Spontaneitt betrachtet wird, da in dem untern Erkenntnißvermgen die Passivitt war. Das obere Erkenntnißvermgen wird auch der Verstand, im allgemeinen Verstande, genannt«, L1 AA 28.1.240. Sehr viel weniger ausfhrlich heißt es noch 1772/3: »Der Mensch hat 1. Receptivitaet oder Fhigkeit zu leiden, d. h. sinnliche Vorstellungen, Gefhl der Lust und Unlust, und Begierden; diese gehren zum untern Vermgen; er hat aber auch in sich 2.) Eine freye Willkhr seinen Zustand selbst zu bestimmen und selbststhtig Vorstellungen in sich zu erwecken. Dies gehrt zum obern Vermgen der Seele«, Anthr. Collins AA 25.2.1.29. 29 Genau genommen gilt die These von der Verworrenheit sinnlicher Vorstellungen fr Kants Vorgnger Baumgarten auch nur eingeschrnkt. In den Meditationes Philosophicae de Nonnullis ad Poema Pertinentibus fhrt er nmlich aus, daß es durchaus Flle gibt, in denen sinnliche Vorstellungen ›klar‹ sein knnen (Med. §§ 12 f.): in der Dichtung. Baumgarten behauptet hier, gerade Vorstellungen von großer extensiver Klarheit seien ganz besonders ›poetisch‹, Med. § 17; vgl. §§ 28; 38. Das Kriterium 28

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rakterisierung gilt fr ihn nur, solange die sinnliche Erkenntnis noch nicht durch den Verstand bearbeitet wurde. Und diese Bearbeitung verndert ihren Status nicht: sie bleiben ›sinnliche Erkenntnisse‹, da sich an ihrem ›Ursprung‹ nichts ndert. 30 Doch worin besteht die ›Aktivitt‹ des ›oberen‹ Erkenntnisvermgens? Kants Antwort an dieser Stelle ist: in der absichtsvollen Erzeugung von Vorstellungen; das ›obere‹ Erkenntnisvermgen beschftigt sich mit Vorstellungen, »die wir durch willkhrliche Ausbung haben, wo wir Urheber der Vorstellungen sind«, L1 AA 28.1.238. Da sich seine Meinung im Hinblick auf die Fhigkeit des Geistes, Vorstellungen aus dem Nichts zu erschaffen, gegenber den frheren Vorlesungen nicht gendert hat, verwundert diese Bestimmung zunchst. In welcher Weise knnen wir ›Urheber‹ von Vorstellungen sein, wenn wir sie nicht wirklich erschaffen knnen? Auch die Erluterung, die Kant wenig spter gibt, ist auf den ersten Blick nicht hilfreich fr die Auflsung dieser Schwierigkeit: »Das obere Erkenntnißvermgen heißt es darum, weil in ihm die Spontaneitt betrachtet wird, da in dem untern Erkenntnißvermgen die Passivitt war. Das obere Erkenntnißvermgen wird auch der Verder Klarheit fllt allerdings nicht mit dem der Deutlichkeit zusammen, s. Med. 14. 30 Dies ist auch der Grund dafr, warum Kant die traditionellen Kriterien der Klarheit und Verworrenheit nicht um ein genetisches ergnzen kann, sondern jene durch diese ersetzen muß. Vgl. auch R 643 AA 15.283 (bereits 1769–70): »Was aber die Deutlichkeit betrift, so kan sie mit der Anschauung sehr wohl zusammenbestehen. Denn die Deutlichkeit komt auf die Unterscheidung des manigfaltigen in einer gantzen Vorstellung an. so fern diese Erkentnisstcke durch allgemeine Begriffe gedacht werden, so ist die Deutlichkeit eine Wirkung des Verstandes; geschieht es durch einzelne, so ist sie eine Form der Sinnlichkeit. Die erstere geschiehet durch subordination, die zweyte durch coordination«; sowie R 202 AA 15.78; R 204 AA 15.79, ebenfalls beide aus dieser Zeit.

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stand, im allgemeinen Verstande, genannt. In dieser Bedeutung ist der Verstand das Vermgen der Begriffe, oder auch das Vermgen der Urtheile, aber auch das Vermgen der Regeln«, L1 AA 28.1.240.

Fhrt man sich jedoch vor Augen, daß Begriffe, Urteile und Regeln jeweils auf der absichtsvollen (und das bedeutet eben auch: ›aktiven‹) Verbindung mehrerer Vorstellungen beruhen, so lßt sich die Frage der ›willkhrlichen Urheberschaft‹ so beantworten: wir sind dann ›Urheber‹ von Vorstellungen, wenn das obere Erkenntnisvermgen durch seine Ttigkeit aus bereits vorhandenem Material durch einen Akt der Verbindung weitere ›Vorstellungen‹, wie eben Begriffe, Urteile oder Regeln, zusammensetzt. 31 Welche Folgen hat die Unterscheidung der geistigen Vermgen in ›untere‹ und ›obere‹ fr Kants Konzeption der Einbildungskraft? Schlgt er dieses Vermgen den aktiven ›oberen‹ oder den ›passiven‹ unteren zu? Die Antwort, die die Nachschrift L1 gibt, ist ein ›Weder-noch‹, beziehungsweise ein ›Sowohl-als-auch‹. Damit ist bereits hier, im Einklang mit einer langen philosophischen Tradition, die mit Aristoteles beginnt und sich, vermittelt durch die arabischen Kommentatoren seiner Gedanken, ber das abendlndische Mittelalter in die Neuzeit fortsetzt, 32 der Grundstein fr die Bestimmung der Stellung der Einbildungskraft in der Kritik der reinen Vernunft gelegt. Auch dort nmlich wird sie von Kant in einer Mittelstellung zwischen den oberen und unteren Erkenntnis-

Da es hier auf die Explikation der Aktivitt des ›oberen Erkenntnisvermgens‹ ankommt, muß die Frage, ob ›Urteile‹ oder ›Regeln‹ als Vorstellungen bezeichnet werden knnen, beziehungsweise, ob eine Theorie der Vorstellungen, die eine solche Kategorisierung erlaubt, plausibel ist, an dieser Stelle nicht entschieden werden. 32 Aristoteles bes. De an. 427b – 429a. Eine gute Zusammenfassung des Diskussionsstands zu Beginn der Neuzeit findet sich bei Gianfrancesco Pico della Mirandola (De imaginatione, 1501), dem Neffen und Schler 31

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vermgen lokalisiert – wenn auch unter etwas vernderten Bedingungen. Unter der berschrift › Vo m s i n n l i c h e n E r k e n n t n i ß v e r m  g e n i m E i n z e l n e n ‹ bestimmt Kant die Einbildungskraft, die an dieser Stelle ›bildende Kraft‹ heißt, beziehungsweise ihre Ttigkeit, mit einem Beispiel folgendermaßen: »Aber vergegenwrtige ich mir ein Haus, was ich ehedem gesehen, so entspringt die Vorstellung jetzt aus dem Gemth; aber doch unter der Bedingung, daß der Sinn vorher von diesem Gegenstande afficirt war. Solche sinnliche Erkenntnisse, die aus der Spontaneitt des Gemths entspringen, heißen: E r k e n n t n i s s e d e r b i l d e n d e n K r a f t ; und die Erkenntnisse, die durch den Eindruck des Gegenstandes entspringen, heißen: Vo r s t e l l u n g e n d e r S i n n e s e l b s t«, L1 AA 28.1.230 f.

Gemß seinem eigenen Kriterium, der Unterscheidung der Vermgen anhand der aktiv/passiv Dichotomie, mßte die Einbildungskraft, da sie hier als spontane und aktive Fhigkeit auftritt, den ›oberen‹ Vermgen zugerechnet werden. Die unmittelbar anschließende, sich an Baumgartens Unterscheidungen orientierende ausfhrliche Charakterisierung und Einteilung der facultas fingendi scheint aber genau das Gegenteil nahezulegen. Denn hier sieht es so aus, als wolle er die Einbildungskraft in Opposition zur ›denkenden Kraft‹ setzen und trotz ihres gerade und auch weiterhin behaupteten aktiven Charakters ausdrcklich dem unteren Vermgen zuschlagen: »Man kann die Sinnlichkeit auch auf folgende Art eintheilen: Alle sinnliche Erkenntnisse sind entweder gegebene oder gemachte. Zu den gegebenen knnen wir rechnen den Sinn berhaupt, oder die Vorstellung der Sinne selbst. Zu den gemachten rechnen wir: 1) facultatem fingendi; 2) facultatem componendi; 3) facultatem signandi. Zur facultas fingendi aber gehrt: a) facultas formandi, b) facultas des Renaissancedenkers Giovanni Pico della Mirandola; s. bes. De imag. § 2 f.

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imaginandi, c) facultas praevidendi. Die Vorstellungen der bildenden Kraft werden also eingetheilt: 1) in die bildende Kraft an sich, welches das genus ist; 2) in die Abbildungskraft, facultas formandi; 3) in die Nachbildungskraft, facultas imaginandi; 4) in die Vorbildungskraft, facultas praevidendi. Diese Krfte gehren alle zur bildenden Kraft des sinnlichen Vermgens. Diese bildende Kraft, die zur Sinnlichkeit gehret, ist unterschieden von der denkenden Kraft, die zum Verstande gehret«, L1 AA 28.1.230.

Die Spannung, die sich daraus ergibt, daß Kant die Einbildungskraft als aktives Vermgen anhand seines eigenen Kriteriums zu den oberen Vermgen zhlen mßte, sie aber andererseits auch ausdrcklich auf das untere Vermgen der Sinnlichkeit bezieht, versucht er mit einer These aufzulsen, die ihr den doppelten Charakter eines sowohl aktiven als auch passiven Vermgens zuschreibt. Dies erlaubt es ihm, an seiner eigenen Unterscheidung festzuhalten, ohne gnzlich mit seinen Vorgngern zu brechen, weil er ansonsten die Einbildungskraft – im Gegensatz zur Tradition – tatschlich dem ›oberen‹ Vermgen zugeschlagen mßte: »Alle diese Actus der bildenden Kraft knnen w i l l k  h r l i c h und auch u n w i l l k  h r l i c h geschehen. Sofern sie u n w i l l k  h r l i c h geschehen, gehren sie gnzlich zur Sinnlichkeit: so fern sie aber w i l l k  h r l i c h geschehen, gehren sie zum obern Erkenntnißvermgen«. 33 L1 AA 28.1.237; vgl. auch Anthr. Collins AA 25.2.1.95. hnlich wie Kant hatte bereits Wolff festgestellt: »Die Einbildungen werden bald unter die Leidenschaften, bald unter die Thaten gerechnet. (…) Hingegen insgemein entstehen die Einbildungen, ohne daß wir daran gedencken, oder sie verlangen, ja auch fters wider unseren Willen«, Wolff VG § 821. Und: »In der That aber erweiset sich die Seele bey allen Empfindungen als ein thtiges Wesen, indem sie von der Seele durch ihre eigene Kraft hervorgebracht werden und daher den Grund, warum sie entstehen, in der Seele haben, und solchergestalt nicht anders als fr Thaten der Seele knnen gehalten werden«, Wolff VG § 821. Da Wolff die Vermgen allerdings anhand der Klarheit oder Verworrenheit ihrer jeweiligen Vor33

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Auch wenn sich Kant damit, daß er die Einbildungskraft auf der Grundlage dieser berlegung nun je nach ihrer aktuellen Rolle den oberen oder unteren Vermgen zurechnen kann, nicht allzuweit von den Modellen seiner Vorgnger entfernt und auch weiterhin der langen Tradition verhaftet bleibt, die sie auf unterschiedliche Weise jeweils in einer Mittelstellung zwischen Verstand und Sinnen sieht, so ist sein Vorschlag nicht nur vage, sondern auch unbefriedigend. Denn solange nicht ausgefhrt wird, wie genau ein Vermgen, das zwischen den ›oberen‹ und ›unteren‹ Erkenntnisvermgen steht, seine aktiven und passiven Ttigkeiten miteinander verbindet, haftet der Annahme eines mittleren Vermgens der Charakter einer ad hoc Hypothese an, die letztlich nichts erklrt. Daran ndert es auch nichts, daß diese Verlegenheitslsung durch eine lange Tradition gedeckt ist. stellungen eingeteilt hatte, war diese Behauptung fr ihn nicht in gleicher Weise problematisch gewesen. Die Mglichkeit der willentlichen Einflußnahme ist spter fr Kant auch das Merkmal, das die ›Phantasie‹ von den brigen Bildungsvermgen unterscheidet. Besonders in der Anthropologie von 1798 weist er ausdrcklich darauf hin, daß sie, im Gegensatz zu den anderen Funktionen der Einbildungskraft, in keinem Fall der Steuerung durch den Willen unterliegt, wenn er dort festlegt: »Die Einbildungskraft, so fern sie auch unwillkhrlich Einbildungen hervorbringt, heißt P h a n t a s i e«, Anthr. (1798) 167; vgl. 180; vgl. R 370 AA 15.144 f. aus der zweiten Hlfte der 80er Jahre; und bereits in den Reflexionen aus den 70ern ußert Kant sich schon in diese Richtung, so z. B. R 334 AA 15.132: »I m a g i n a t i o n ist das, was den Vorrath der Vorstellungen in sich enthlt. P h a n t a s i e ist das natrliche und unwillkhrliche Spiel derselben, sich zu reproduciren und zu transformiren. Die Phantasie schwrmt, die imagination stellet etwas treu oder untreu, lebhaft etc. etc. dar.«; R 337 AA 15.133: »Einbildungskraft ist ein Vermgen zu diensten der freyen Willkhr. Phantasie ist sie, wenn sie der Willkhr entgegengesetzt ist«; R 338 AA 15.133 »Einbildungskraft ist activ. wir spielen mit ihr. Gesetz der association. Phantasie ist passiv. Sie spielt mit uns. Gesetz ist noch nicht bekannt, e. g. Der Vollendung.«; s. auch R 1485 AA 15.699–706.

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Die ausfhrliche Diskussion der verschiedenen Funktionen der Einbildungskraft, die auf den zitierten definitorischen Abschnitt folgt, weist bereits voraus auf die zentrale Stellung, die ihr in der Erkenntnistheorie der ersten Kritik zukommen wird. 34 Dennoch kann und will Kant ihr keinen Platz unter den vornehmeren ›oberen‹ Vermgen anweisen. Dem steht nicht nur sein eigenes Unterscheidungskriterium im Weg, sondern auch sein Festhalten an der traditionellen Vermgenspsychologie, die es erfordert, einen Mechanismus einzufhren, der erklrt, wie sich ›obere‹ und ›untere‹ Vermgen aufeinander beziehen. Andererseits kann er die facultas fingendi wegen ihrer wichtigen Funktion auch nicht einfach den unteren Vermgen zuschlagen. Hier macht sich besonders der Umstand bemerkbar, daß auch seine Vorgnger die Einbildungskraft in zunehmendem Maß als eine aktive Fhigkeit konzipiert hatten. Wollte er diese Vorgabe ignorieren und gleichzeitig an seinem Unterscheidungskriterium festhalten, so wre er gezwungen gewesen, ein Gegenmodell zu prsentieren, das weitreichende nderungen am tradierten Modell der Vermgenspsychologie vornimmt. Von einer grundlegenden Revision ist er aber in der vorkritischen Zeit, unter anderem auch wegen der eng gefhrten Auseinandersetzung mit der Leibniz-Wolffschen Schulphilosophie, weit entfernt. 35 Wolfgang Carl hlt es sogar fr wahrscheinlich, daß Kant das Problem der Deduktion der Kategorien an dieser Stelle in L1 »im Rahmen seiner Theorie der Erkenntnisvermgen lsen wollte«, Carl (1989) 119; s. auch L1 AA 28.1.239. 35 Erschwerend drfte hinzukommen, daß die eingefhrte Terminologie, nmlich die Bezeichnung der Vermgen als ›obere‹ und ›untere‹, die ja auch eine qualitative Wertung suggeriert, den Blick auf die Sache verstellt. Rnsch-Trill weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, daß in sthetischer Perspektive bereits Baumgarten den Versuch unternimmt, die ›unteren‹ Vermgen zu emanzipieren – ohne daß es ihm allerdings wirklich gelingt, die »Sinnlichkeit aus ihrer Unterordnung ge34

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Wenn Hermann Mrchen, mit Blick auf die Einbildungskraft in der ersten und der dritten Kritik, feststellt: »Sie ist ihm aufgestoßen und zum Problem geworden, ohne daß er mit ihr zurande gekommen wre« (Mrchen, 1930: 43), und zur Begrndung u. a. angibt, daß es Kant, trotz entsprechender Versuche, nie gelungen ist, ein »vollstndiges System der Seelenvermgen nach Analogie der Kategorientafel« (Mrchen, 1930: 78) zu entwickeln, dann ließe sich der Grund fr diese Diagnose also bereits in seiner vorkritischen Beschftigung mit diesem Vermgen ausmachen: er liegt in der bernahme eines Modells, das Kant auch spter in seiner Grundstruktur kaum verndert, das sich aber ohne substantielle Modifikationen gerade auch wegen der nderung, die Kant hinsichtlich der Unterscheidung der ›oberen‹ von den ›unteren‹ Erkenntnisvermgen vornimmt, gegen eine derartige Systematisierung sperrt. Die Frage, wie Verstand und Sinnlichkeit sich aufeinander beziehen, beziehungsweise miteinander verbunden sind, stellt sich dabei fr ihn dringlicher als fr seine Vorgnger, weil er ab 1781 die These vertritt, die beiden Vermgen mßten fr jeden Fall von Wissen notwendig zusammenwirgenber der Verstandeserkenntnis zu befreien«, Rnsch-Trill (1996) 129. Baumgartens Strategie bestand darin, die ›cognitio confusa‹ nicht als Verworrenheit, sondern als wnschenswerte Komplexitt zu deuten, vgl. fr diesen Punkt auch Gabriel (1975) 109 f. Kant selbst verfolgt spter in der dritten Kritik einen hnlichen Weg der Aufwertung der unteren Vermgen, und hier besonders der (sthetischen) Einbildungskraft. So gibt es in dieser Perspektive sogar Momente, in denen »der Verstand der Einbildungskraft, und nicht diese jenem zu Diensten ist« (KU 242); ebenso sind bei der Erklrung der Genese des Gefhls der (sthetischen) Lust in der dritten Kritik die beiden Vermgen zumindest gleichberechtigte Partner beim ›freien Spiel‹ der Einbildungskraft mit dem Verstand. In den vorkritischen Vorlesungen und im Hinblick auf Erkenntnis stellt Kant dagegen lapidar fest: »Der Verstand dirigirt alle andere Gemthskrfte, und bildet alle brige Talente«, Anthr. Collins AA 25.2.1.147; vgl. 148 f.

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ken. Auf der anderen Seite lßt sich als positives Ergebnis der Diskussion bereits festhalten, daß in den vorkritischen Vorlesungen eine Konzeption der Einbildungskraft als eines mittleren Vermgens sichtbar wird, die in Anstzen bereits die Transformation der traditionellen Vorgaben erkennen lßt. Denn obwohl es aus der Tradition heraus fast selbstverstndlich ist, die Einbildungskraft in der Mitte zwischen der Vernunft, beziehungsweise dem Verstand, und den Sinnen einzuordnen, so erfhrt das Standardmodell durch Kants Explikation dieser Position im Rahmen der aktiv/passiv Unterscheidung eine neue Wendung, deren Implikationen (und Schwierigkeiten) spter in den entsprechenden Ausfhrungen der ersten Kritik sichtbar werden. Doch zurck zu der von Kant in L1 gegebenen Charakterisierung der Einbildungskraft (Bildungsvermgen/facultas fingendi) und ihren verschiedenen Funktionen. Bemerkenswert ist, daß Kant die ›sinnlichen‹ Erkenntnisse bereits in der vorkritischen Zeit in einer vollstndigen Disjunktion in gegebene und gemachte einteilt. ›Gegeben‹ sind nach seiner Bestimmung diejenigen Erkenntnisse, die allein auf die Sinneswahrnehmung zurckgehen. Alle Erkenntnisse, die darber hinaus noch auf die aktive Ttigkeit eines anderen Vermgens angewiesen sind, sind ›gemacht‹. Dies sind, gemß seiner Einteilung, die Erkenntnisse des Bildungsvermgens (facultas fingendi), des Vermgens der Zusammensetzung (facultas componendi) und des Bezeichnungsvermgens (facultas signandi). berraschend und etwas irrefhrend ist dabei die Einfhrung der facultas componendi, eines eigenen Verbindungsvermgens. Dies umsomehr, als Kant es auf derselben Ebene lokalisiert wie das Bildungsvermgen: schließlich hatte er 1772/3 auf dessen Zustndigkeit fr die »Zusammennehmung der Eindrcke, woraus als dan ein Ganzes entsteht«, noch ausdrcklich hingewiesen. Obwohl diese Aufgabe also jetzt von einem neuen Vermgen bernommen werden soll, A

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hat sich in der Sache auch in L1 nicht wirklich etwas gendert: die Untervermgen der Einbildungskraft sind auch weiterhin fr die Verbindung von Vorstellungen nach zeitlichen und inhaltlichen Gesichtpunkten zustndig. Die Aufgaben der facultas componendi bleiben zudem unklar, weil sie weder nher spezifiziert noch in anderer Weise von den Verbindungsleistungen der facultas fingendi abgegrenzt werden. Daher kann man letztlich die Tatsache, daß Kant neben der Einbildungskraft ein eigenes Vermgen der Zusammensetzung einfhrt, nur als einen weiteren Anhaltspunkt dafr betrachten, daß die Frage der Verbindung und Assoziation von Vorstellungen fr ihn zwar an Bedeutung gewonnen hat – ohne daß er sich aber schon ber eine Strategie fr die Darstellung und Behandlung dieses Themas wirklich im Klaren gewesen wre. Bei der weiteren Aufschlsselung der facultas fingendi begegnen die bereits bekannten Vermgen der Nach- und Vorbildung wieder, ebenso wie das Vermgen der Abbildung (facultas formandi), das bereits in der Vorlesung von 1775/6 die Liste bereichert hatte. Dieses bestimmt Kant auch hier als ›bildendes Vermgen der Anschauung‹ (s. L1 AA 28.1.236), erlutert es aber etwas ausfhrlicher. So erfahren wir in L1, daß die facultas formandi durch wiederholte Betrachtung ›von verschiedenen Seiten‹ die in der Anschauung gewonnenen Inhalte zu einer mentalen Reprsentation eines Gegenstandes zusammenfgt. Damit weist die Ttigkeit der facultas formandi ebenfalls schon auf eine Verbindungsfrage voraus, die in der ersten Kritik grßeres Gewicht erhalten wird: auf die Frage, wie sich die zunchst disparaten Daten der Sinne fr uns als Vorstellungen von Gegenstnden erschließen. Den Vermgen der Nach- und Vorbildung fallen im Großen und Ganzen dieselben Aufgaben zu, wie sie aus den frheren Vorlesungen bekannt sind. Die facultas imaginandi stellt die Verbindung zwischen Vorstellungen, die durch aktuelle Wahrnehmung gegeben sind, und frheren Vorstellungen 44

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her und bezieht jene auf diese, in einer »Association, nach welcher eine Vorstellung die andere herbeizieht, weil sie mit ihr in Begleitung war«, L1 AA 28.1.236. Diese Explikation ist insofern bemerkenswert, als der naheliegende Fall der Verbindung einer gegenwrtigen Vorstellung mit einer vergangenen darin besteht, daß die gegenwrtige Vorstellung eines Gegenstandes (oder einer Eigenschaft) mit einer frheren Vorstellung desselben oder des gleichen Gegenstandes (beziehungsweise derselben oder der gleichen Eigenschaft) assoziiert wird. Kant scheint an dieser Stelle bereits ein komplizierteres Modell vor Augen zu haben, nmlich den Fall, in dem in der Vergangenheit zwei oder mehr Vorstellungen zusammen auftraten und zum gegenwrtigen Zeitpunkt durch das Vorhandensein einer dieser Vorstellungen die entsprechende andere aufgerufen (›assoziiert‹) wird. Er faßt hier also eigentlich zwei verschiedene Gedanken in einer ußerung zusammen, nmlich erstens eine Bemerkung ber die Verbindung von Vorstellungen ber die Zeit, zweitens eine Aussage ber eine inhaltliche Abhngigkeit. Damit nimmt Kant die klare Trennung zwischen den temporalen und inhaltlichen Momenten der Assoziation, die er durch die Unterscheidung der verschiedenen Vermgen in den Vorlesungen von 1772/3 und 1775/6 getroffen hatte, zugunsten einer impliziten Behauptung ber den Zusammenhang dieser Momente zurck. Das Verhltnis, das er damit behauptet, ist der Sache nach allerdings durchaus einleuchtend: will man den Prozeß der Assoziation nicht als eine arbitrre Verbindung von Inhalten fassen, so ist es naheliegend, auch auf zeitlich zurckliegende ußere Anlsse hinzuweisen, die den gedanklichen Verbindungen zwischen Vorstellungen zugrunde liegen. 36 Der Kontext dieser ußerung macht es wahrscheinlich, daß Kant auch hier nicht zuletzt die entsprechenden Ausfhrungen David Humes vor Augen standen.

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Die facultas praevidendi formuliert, wie schon in den frheren Vorlesungen, auf der Grundlage vorhandener Informationen eine Erwartung fr zuknftige Ereignisse »nach Gesetzen der Imagination«, denn: »Eben so, wie ich aus dem Gegenwrtigen ins Vergangene gehen kann, so kann ich auch aus dem Gegenwrtigen ins Knftige gehen«, L1 AA 28.1.236. Dabei besteht allerdings ein Unterschied zum ›Einbildungsvermgen‹, das es erlaubt, »Bilder … unabhngig von der Wirklichkeit der Gegenstnde hervor zu bringen, wo die Bilder nicht aus der Erfahrung entlehnt sind«, L1 AA 28.1.237. Um diesen Punkt zu illustrieren, gibt Kant ein Beispiel, das in hnlichem Zusammenhang bereits bei Wolff Verwendung findet: »Z. E. ein Baumeister fingirt sich, ein Haus zu bauen, was er noch nicht gesehen hat. Dies Vermgen nennt man das Vermgen d e r P h a n t a s i e , und darf nicht mit der Imagination verwechselt werden. Die Einbildungskraft ist eine sinnliche Dichtungskraft, obgleich wir auch noch eine Verstandes-Dichtungskraft haben«, L1 AA 28.1.237.

Wolff hatte analog zwischen »leeren Einbildungen« (Wolff VG § 242) der Einbildungskraft, d. h. solchen, denen nichts in der Welt entsprechen kann, und denjenigen ihrer ›Erfindungen‹, die nach dem Satz des zureichenden Grundes »Bilder hervorhbringti, darinnen Wahrheit ist« (Wolff VG § 245), unterschieden und ebenfalls auf den Architekten hingewiesen (Wolff VG § 246), der sich ein Gebude vorstellt, das zu errichten er beabsichtigt. Die zweite Art von Erfindungen ist dabei die im Kontext unseres Wissens interessante. Bemerkenswert an Kants ußerung ist zweierlei. Zum einen unterstreicht seine Wortwahl hier noch deutlicher als in anderen Zusammenhngen, daß er zu dieser Zeit noch nicht zu einer einheitlichen Terminologie gefunden hat; denn es ist wohl kaum das Bedrfnis nach sprachlicher Variation, das ihn hier weitgehend synonym von ›Einbildungsvermgen‹, ›Einbildungskraft‹, ›Phantasie‹ und ›Dichtungskraft‹ sprechen 46

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lßt. 37 Zweitens scheint der Nachsatz, deutlicher noch als die Diskussion der Beispiele in der Vorlesung von 1775/6 (AA 25.2.1.512 ff.), auf eine Qualifizierung der Einbildungskraft vorauszuweisen, die in der ersten Kritik von großer Wichtigkeit sein wird: ihre Auszeichnung als transzendentales Vermgen. Bedauerlicherweise fhrt er die Bemerkung ber die ›Dichtungskraft des Verstandes‹ in diesem Zusammenhang nicht weiter aus. 38

1.4 Zwischenbilanz Worauf kommt es bei dieser auf den ersten Blick etwas schwer zu berschauenden Menge verschiedener Vermgen und Bezeichnungen an, die Kant direkt oder mit geringfgigen Modifikationen von seinen Vorgngern bernimmt? Besonders auf vier Punkte. Der erste ist bisher nicht ausdrcklich zu Sprache gekommen und besteht in einem Gedanken, der den Hinter37 L1 AA 28.1.237. Die Imagination hatte er zwar verschiedentlich in den frheren Vorlesungen als das Vermgen ausgemacht, das zu leeren oder falschen Vorstellungen fhrt (z. B. Anthr. Collins AA 25.2.1.81), in L1 allerdings scheint eher das ›Einbildungsvermgen‹ diese Rolle einzunehmen (s. L1 AA 28.1.236), wohingegen die ›Imagination‹ als eine sprachliche Variante der facultas fingendi erscheint, z. B. L1 AA 28.1.237. 38 Komplettiert wird die Liste von ›bildenden‹ Vermgen in L1 durch die ›Gegen-‹ und die ›Ausbildung‹, L1 AA 28.1.237. Das erste Vermgen sorgt dafr, daß wir fr das durch die Sinne Gegebene ›charakteristische‹ mentale Symbole bilden knnen: »So sind Worte Gegenbilder der Sachen, um die Vorstellungen der Sache sich zu concipiren«, loc. cit. Das Vermgen der Ausbildung dagegen bezeichnet, wie schon in den frheren Vorlesungen, die Fhigkeit, die dem Bedrfnis des menschlichen Geistes Rechnung trgt, Unvollstndiges zu ergnzen: »Wir haben nicht allein ein Vermgen, sondern auch einen Trieb alles auszubilden und zu vollenden«, denn »man rgert sich, daß die Sache nicht ganz ist«, L1 AA 28.1.237.

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grund bildet, vor dem Kant seine berlegungen entwickelt. Mit der Spezifizierung der facultas fingendi in verschiedene Untervermgen sind fr Kant keine starken ontologischen Festlegungen verbunden. Er versieht die verschiedenen Funktionen oder Ttigkeiten – im Rahmen des zu seiner Zeit gngigen Modells – jeweils nur mit einem eigenen Namen. An keiner Stelle finden sich Belege fr eine ontologisierende Interpretation. Im Gegenteil: Kant stellt explizit fest, daß die entsprechenden Fhigkeiten smtlich »Actus der bildenden Kraft« (L1 AA 28.1.237) seien. Das heißt: Vor-, Ab- und Nachbildungsvermgen, die Vermgen der Ein-, Gegen- und Ausbildung sind nur Bezeichnungen fr verschiedene Verbindungsfunktionen, die bei der Herstellung ›gemachter‹ Erkenntnisse de facto auftreten. Zweitens: diese verschiedenen Verbindungsfunktionen teilen sich grob in zwei Klassen, die sich anhand der Frage unterscheiden lassen, ob sich ihre verbindende Ttigkeit in erster Linie auf die Verknpfung von zeitlich disparaten Vorstellungen bezieht oder ob es primr um eine Verbindung von inhaltlich verschiedenen Vorstellungen geht. 39 Bei der Vor-, Ab-, und Nachbildung spielt offensichtlich der temporale Aspekt eine grßere Rolle als der inhaltliche. Ohne die Mglichkeit, zeitlich auseinanderliegende Vorstellungen in einen gemeinsamen Kontext zu bringen, wrde sich uns die Welt trivialerweise als eine unzusammenhngende Ansammlung von SinDieser Gedanke ist, wie oben angedeutet, bereits in der ersten Vorlesung vom Wintersemester 1772/3 prsent und hlt sich konstant durch. Am deutlichsten bringt Kant den Unterscheid in L1 im Anschluß an die Diskussion der Vor-, Ab- und Nachbildung zur Sprache. Dort heißt es: »Dieser Unterschied der bildenden Kraft betrifft die Zeit. Es giebt aber noch einen andern Unterschied, nach welchem wir noch zwei Vermgen der bildenden Kraft bekommen. Diese Vermgen sind das Ve r m  g e n d e r E i n b i l d u n g , und das Ve r m  g e n d e r G e g e n b i l d u n g«, L1 AA 28.1.237. 39

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nesdaten prsentieren, als ein »Gewhle von Erscheinungen«, wie es spter in der Kritik der reinen Vernunft heißt, KRV A 111. Die Verbindungsleistungen, bei denen der inhaltliche Aspekt an erster Stelle steht, sind Ein-, Gegen- und Ausbildung. Fr sie gilt dasselbe. Kants Einteilung nach den genannten Gesichtpunkten lßt sich in der Sache leicht nachvollziehen: im ersten Fall geht es darum, die Aufmerksamkeit auf Vorstellungen mit hnlichem oder gleichem Inhalt zu lenken und darauf, daß es selbst in diesem Fall einer aktiven Verbindungsleistung der Einbildungskraft bedarf. Denn auch wenn es sich um mehrere Vorstellungen desselben Gegenstandes handelt, so impliziert bereits die Tatsache, daß wir mehr als eine Vorstellung dieses Gegenstandes haben, fast zwangslufig, daß ein zeitlicher Unterschied zwischen den Vorstellungen besteht. 40 Bei der Ein-, Gegen- und Ausbildung geht es dagegen in erster Linie darum, die aktive Verbindungsleistung von thematisch unterschiedlichen Vorstellungen herauszustellen. Dabei sind diese Ttigkeiten selbstverstndlich nicht disjunkt. Im Gegenteil: jede Verbindung inhaltlich disparater Vorstellungen bezieht sich ebenso auf Gegenwrtiges, Vergangenes oder Zuknftiges, wie jede zeitlich von einer anderen verschiedene Vorstellung ber ihren Inhalt auf vorhergehende oder sptere Vorstellungen bezogen ist. Diesem Zusammenhang trgt Kant in L1 implizit Rechnung, wenn er im Fall der facultas imaginandi die zeitliche und inhaltliche Verbindung von Vorstellungen anhand einer gegenwrtigen Assoziation von Vorstellungen illustriert, die auf die Erfahrung einer hnlichen Assoziation in der Vergangenheit zurckgeht. Das Thema der Verbindung unter zeitlichen Gesichtspunkten wird spter, unter vernderten Vorzeichen, in der ersten Kritik im Kontext Nur dann, wenn wir gleichzeitig mehrere Vorstellungen ein und desselben Gegenstandes bilden, z. B. unter verschiedenen Gesichtspunkten, entstehen zeitgleiche aber inhaltlich differente Vorstellungen.

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der Einbildungskraft ebenfalls noch eine bedeutende Rolle spielen. Der dritte wichtige Punkt ist, daß Kant die facultas fingendi – ungeachtet der Tatsache, daß der ab der ersten Kritik einschlgige Terminus der ›produktiven Einbildungskraft‹ noch an keiner Stelle begegnet – als aktives und spontanes, zugleich aber auch als ein passives Vermgen konzipiert. Durch diese Charakterisierung bringt er sie in eine Position, die oberflchlich derjenigen hnelt, die seine Vorgnger ihr zugewiesen hatten. Die mittlere Stellung zwischen Verstand und Sinnlichkeit, zwischen ›oberen‹ und ›unteren‹ Vermgen, erhlt aber bei genauerer Betrachtung bereits in Kants vorkritischer Theorie eine andere Wendung. Die ausdrckliche Betonung ihrer produktiven und aktiven Aspekte und die Ausarbeitung der entsprechenden epistemischen Implikationen werden spter ebenfalls bestimmende Merkmale der Diskussion der ersten Kritik sein. 41 Hatte Kant die ›sinnlichen Erkenntnisse‹ in L1 in gegebene und gemachte eingeteilt und fr die gemachten die Beteiligung der facultas fingendi, der facultas componendi oder der facultas signandi behauptet, so lßt sich, viertens, als das entscheidende Merkmal gemachter Erkenntnisse festhalten: sie werden, jedenfalls soweit es die in unserem Kontext in erster Der Kontrast zu den Vorgaben der Tradition lßt sich in den entsprechenden Abschnitten der Anthropologievorlesung von 1798 naturgemß weitaus genauer wahrnehmen; angelegt ist die Transformation des Modells bereits in der vorkritischen Zeit. Es sei in diesem Zusammenhang nur exemplarisch ein kurzer Passus zitiert: »Die Einbildungskraft (facultas imaginandi), als ein Vermgen der Anschauungen auch ohne Gegenwart des Gegenstandes, ist entweder p r o d u c t i v, d . i . ein Vermgen der ursprnglichen Darstellung des letzteren (exhibitio originaria), welche also vor der Erfahrung vorhergeht; oder r e p r o d u c t i v, der abgeleiteten (exhibitio derivativa), welche eine vorher gehabte empirische Anschauung ins Gemth zurckbringt«, Anthr. (1798) AA 7.167.

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Linie interessierende facultas fingendi betrifft, durch eine aktive und spontane verbindende Leistung aus gegebenen Sinnesdaten hergestellt. 42 Das allgemeine Zwischenfazit der vorkritischen Diskussion lautet also: trotz einer zum Teil unentschiedenen Begrifflichkeit und obwohl der Rahmen, in dem sich Kants Auseinandersetzung mit der Einbildungskraft vor 1781 bewegt, stark von der Tradition geprgt ist, kndigen sich bereits zu dieser Zeit die entscheidenden Innovationen an, die in der spteren Diskussion der ersten Kritik eine so wichtige Rolle spielen werden. Gleichzeitig wird anhand dieser frhen Auseinandersetzung nachvollziehbar, wie die grundstzliche Anlage der Theorie und die weitgehende bernahme traditioneller Elemente zu den Problemen fhren muß, mit denen Kants Konzeption der Einbildungskraft dort belastet ist: viele der vor 1781 prsenten Aspekte tauchen in der spteren Diskussion wieder auf, auch wenn sie dort substantielle Vernderungen erfahren, beziehungsweise weniger explizit formuliert sind und deshalb schlechter isoliert werden knnen.

1.5 Exkurs: der Einfluß des britischen Empirismus Es ist bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, daß das Problem der Verbindung von Vorstellungen nicht nur einen Bezug auf die rationalistische Tradition der Schulphilosophie hat, sondern von Kant zunehmend auch in Auseinandersetzung mit der Assoziationspsychologie und dem SinnesdatenSo ist wohl auch der vor dem Hintergrund der genetischen Einteilung unserer Erkenntnisse sonst eher enigmatische Passus zu verstehen, in dem Kant behauptet: »Wir mssen nicht glauben, daß alle Erkenntnisse der Sinne aus den Sinnen kommen; sondern auch a u s d e m Ve r s t a n d e , der ber die Gegenstnde, die uns die Sinne darbieten, reflectirt, wodurch wir denn die sinnlichen Erkenntnisse erhalten«, L1 AA 28.1.232.

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atomismus des britischen Empirismus entwickelt wird. Denn tatschlich lassen sich die internen Spannungen des Kantischen Modells »letztlich auch nur aus dem historischen Zusammenhang heraus wirklich verstndlich machen«. 43 Aus diesem Grund soll die zweite große philosophische Tradition, die Kants berlegungen zur Einbildungskraft maßgeblich beeinflußt hat, an dieser Stelle Gegenstand wenigstens einer kurzen eigenen Betrachtung sein. Ausgangslage sowohl bei Thomas Hobbes als auch bei John Locke und David Hume, um hier nur die herausragenden Vertreter des britischen Empirismus zu nennen, ist ein atomistisches Modell der Sinneseindrcke und Vorstellungen, das davon ausgeht, daß alles, was dem Geist durch die Wahrnehmung gegeben ist, einzelne Sinnesdaten (impressions), beziehungsweise die ihnen korrespondierenden Vorstellungen (ideas) sind. Bei Hobbes wird dieses Grundmodell relativ knapp und mit einer klaren praktischen Ausrichtung exponiert. Locke konzentriert sich vor allem auf die – ausfhrliche – Untersuchung des Vorstellungsmodells. Hume dagegen beschftigt sich nicht nur mit Eindrcken und Vorstellungen, sondern entwickelt gleichzeitig eine detaillierte Theorie der Einbildungskraft. Es scheint daher sinnvoll, besonders seine Ausarbeitung des empiristischen Modells der exemplarischen Darstellung des empiristischen Ansatzes zugrunde Hoppe (1983) 58. Diese Bemerkung bezieht sich zwar ausdrcklich auf die ausgearbeitete Theorie der ›Synthesis‹ in der ersten Kritik, trifft aber das gerade gezogene Fazit im Hinblick auf die Theorie der Einbildungskraft durchaus, da die beiden Themen auf das engste miteinander verbunden sind, wie im zweiten Teil der vorliegenden Untersuchung deutlich wird. Auch Hoppes anschließende Feststellung, die Mehrdeutigkeit, die in Kants Theorie angelegt ist, sei »Ausdruck der Tatsache, daß die Frage nach der Mglichkeit der Erfahrung durch synthetische Vereinigung von Vorstellungen sich in ihrem Sinn bei Kant zwar von ihrem historischen Herleitungszusammenhang zu lsen beginnt, aber zugleich diesem Herleitungszusammenhang noch entscheidend verhaftet bleibt« (Hoppe, 1983: 58), entspricht der hier verfolgten Interpretation. 43

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zu legen. Die meisten der Gedanken, auf die hier es ankommt, ließen sich allerdings, wenn auch mit grßerem Aufwand, ebenso im Ausgang von den Theorien von Thomas Hobbes und John Locke entwickeln. Der Versuch, vor dem Hintergrund eines atomistischen Modells der Eindrcke und Vorstellungen den Zusammenhang disparater Vorstellungen zu explizieren, mndet besonders in Humes erkenntnistheoretischem Hauptwerk, dem Treatise of Human Nature, aber auch in der krzeren Version der Enquiry concerning Human Understanding, in eine Theorie der imagination, die diesem Vermgen eine betrchtliche Erklrungs- und Begrndungslast auferlegt. In Humes berlegungen fhrt die gestiegene Aufmerksamkeit fr die Frage der Verbindung von Vorstellungen und fr die entsprechende Rolle der imagination u. a. zu einem erkenntnistheoretisch beraus unangenehmen, weil sehr weitreichenden Skeptizismus. Besonders im Hinblick auf die Frage, ob sich die mentalen Verbindungen, die wir zwischen Vorstellungen herstellen, als Verbindungen ausweisen lassen, die auch in der extramentalen Welt gelten, weckt Humes Argumentation starke Zweifel. Die Feststellung, daß bei einer empiristischen Konzeption der Assoziation unklar bleiben muß, ob die Verbindungen, die wir der Erfahrungswelt unterstellen, die Verbindungen, wie sie in der Außenwelt vorliegen, zutreffend erfassen, stellt dabei besonders das Kausalittsprinzip unter einen starken skeptischen Vorbehalt. Zustzlich fhrt Humes Argumentation aus demselben Grund auch dazu, daß wir eingestehen mssen, daß sich unsere Meinung, die Gegenstnde der Außenwelt verhielten sich selbst dann konstant, wenn wir dies nicht durch eine ununterbrochene Wahrnehmung belegen knnen, nicht objektiv nachweisen lßt (bes. T 1.4.2) – so unerlßlich oder ›natrlich‹ sie subjektiv auch sein mag, vgl. bes. T 1.4.2.35 ff. 44 44

S. auch T 1.4.2.43 f.: »This propension to bestow an identity on our A

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Dadurch, daß Kant in den vorkritischen Schriften das Assoziationsmodell atomistischer Einheiten aus dem Empirismus bernimmt, werden die skeptischen Konsequenzen, zu denen die Annahmen dieses Modells fhren, zu einem Thema, mit dem auch er sich auseinandersetzen muß. Kants Versuch, der Humeschen Schlußfolgerung dadurch zu entgehen, daß er bestimmte (nicht-empirische) geistige Operationen und Ordnungskriterien als notwendige Bedingungen der Erfahrung auszeichnet und auf dieser Grundlage versucht, allgemeine Gesetze der Natur – hier besonders das Kausalittsprinzip – als Regeln zu begrnden, die mit Notwendigkeit auch fr eine extramentale Welt gelten, ist bekanntlich einer der Kerngedanken der ersten Kritik. In L1 ist die Frage nach der Korrespondenz der von der Einbildungskraft hergestellten Verbindungen zwischen Vorstellungen und der Verbindungen, die zwischen den Gegenstnden der Außenwelt Welt vorliegen, allerdings noch nicht wirklich im Blick. Lediglich in einer kurzen Bemerkung (die zu einer anachronistischen Interpretation aus der Perspektive der ausgearbeiteten Theorie der ersten Kritik jedoch geradezu einldt) postuliert Kant:

resembling perceptions, produces the fiction of a continu’d existence; since that fiction, as well as the identity, is really false. … and has no other effect than to remedy the interruption of our perceptions, which is the only circumstance that is contrary to their identity. In the last place this propension causes belief by means of the present impressions of the memory; since without the remembrance of former sensations, ’tis plain we never shou’d have any belief of the continu’d existence of body. (…) A strong propensity or inclination alone, without any present impression, will sometimes cause a belief or opinion. How much more when aided by that circumstance. But tho’ we are led after this manner, by the natural propensity of the imagination, to ascribe a continu’d existence to those sensible objects or perceptions, which we find to resemble each other in their interrupted appearance; yet a very little reflection and philosophy is sufficient to make us perceive the fallacy of that opinion.«

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»Die Gegenstnde mssen conform seyn den Bedingungen unter denen sie erkannt werden knnen: das ist die Natur des menschlichen Verstandes« 45

Kann die Frage nach der Korrespondenz der von unserem Erkenntnisvermgen hergestellten Verbindungen zwischen Vorstellungen und der Verbindungen ußerer Gegenstnde und Ereignisse, die ihnen zugrunde liegen, in einer nicht-skeptischen Weise wenigstens fr das Kausalittsprinzip beantwortet werden – ob man die Antwort, die Kant gibt, fr befriedigend hlt, spielt dabei eine untergeordnete Rolle –, so wird sich auch die Frage nach der Berechtigung fr die Annahme der Konstanz ußerer Gegenstnde beantworten lassen. Hier wrde dann nmlich der Hinweis gengen, daß ihre spteren Erscheinungsformen mit ihren frheren notwendig kausal zusammenhngen. Die Frage der Zuverlssigkeit oder Korrespondenz von Verbindungen enthlt ein schwerwiegendes Problem, das Kant aus der partiellen bernahme empiristischer Gedanken entsteht. Es ist damit in der vorkritischen Auseinandersetzung bereits angelegt und wird Kant spter in der ersten Kritik im Zusammenhang der Einbildungskraft prominent beschftigen. Das Problem ergibt sich genauer aus dem Theorem des Sinnesdatenatomismus. Denn dieses Theorem fhrt, wenn es konsequent vertreten wird, direkt auf die Frage, warum wir unterstellen drfen – so wie es in den Theorien des britischen Empirismus geschieht –, daß es sich bei dem, was den Sinnen gegeben wird, bereits um Daten handelt, die nach systematischen Gesichtpunkten zu Vorstellungen von Gegenstnden L1 AA 28.1.239. Vgl. R 333 AA 15.131 f. (1773–78): »Zwischen einigen Bestimmungen des Gemths ist ein natrlicher, zwischen anderen ein blos willkhrlicher Zusammenhang. Wre kein natrlicher Zusammenhang durch association, so wrden wir die ideen von ihr nicht hervorbringen knnen.«

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oder Ereignissen geordnet sind. Obwohl diese Frage naheliegt, hatte der britische Empirismus keine Antwort auf sie gegeben. Und auch Kant setzt sich in der Zeit vor 1781 nicht mit ihr auseinander. Die Grnde dafr, warum diese Frage – außer in der negativen Form, die Hume dem Thema mit seinem Zweifel an der Konstanz der Gegenstnde gibt – weder im einen noch im anderen Fall eine Rolle spielt, knnten durchaus hnlich sein. Der Ausgangspunkt des Empirismus war ausdrcklich eine Untersuchung der Welt auf der Grundlage von Beobachtung und Erfahrung. Damit liegt es nahe, mit der Erklrung der im Hinblick auf unsere Erkenntnis einschlgigen geistigen Vorgnge auf der Ebene des durch Gewohnheit stabilisierten und durch Beobachtung (wenigstens bedingt) zugnglichen Vorstellungsmodells anzusetzen – und eben nicht mit unverbundenen Sinnesdaten zu beginnen. Wenn ›Sinnesdaten‹ aber bereits stillschweigend als Eindrcke oder Vorstellungen von Gegenstnden interpretiert werden, ist es nicht verwunderlich, daß die grundlegendere Frage nach der Verbindung disparater Daten zu Vorstellungen von Gegenstnden nicht in den Blick kommt. 46 Kant scheint dieser Ansatz in seiner Auseinandersetzung mit den Gedanken des Empirismus in der vorkritischen Zeit noch durchaus plausibel gewesen zu sein. Darauf deuten Textstellen wie die folgende hin, die oben bereits in anderem Kontext zitiert wurde:

Schon Mainzer kommentiert besonders im Hinblick auf Hume: »Nun hatte Hume das vorausgesetzt, was er bekriegen wollte; seine Schlsse beruhen wie die aller englischen Empiristen auf einer vollgltigen, fertigen Erfahrung. Diese Voraussetzung muß die Philosophie begrnden: sie muß auf das zurckgreifen, was vor der vollendeten Thatsache der Erfahrung schon geschehen sein muß, und wenn man bisher von fertigen Objecten ausgegangen war, muß sie erforschen, wie ein Object entsteht«, Mainzer (1881) 21.

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»Alle sinnliche Erkenntnisse sind entweder gegebene oder gemachte. Zu den gegebenen knnen wir rechnen den Sinn berhaupt, oder die Vorstellung der Sinne selbst«, L1 AA 28.1.230.

Denn das bedeutet: wenn die Sinne ›Erkenntnisse‹ liefern knnen, mssen ihnen Daten vorliegen, die bereits in einer systematischen Weise aufeinander bezogen sind. Erst in der kritischen Periode, im Lauf der intensiven Auseinandersetzung mit der Verbindungsfrage, wird diese Konzeption fr Kant zum Problem. Dann allerdings beschftigt sie ihn an prominenter Stelle, unter anderem im sogenannten Schematismuskapitel, das heißt, im Kontext seiner Theorie der Einbildungskraft. Kant weist zwar sowohl in der ersten Kritik als auch in den Prolegomena hufig darauf hin, daß sein hauptschliches Interesse der Frage nach der Angemessenheit der Vorstellungsverbindungen gilt und nicht derjenigen nach der Verbindung einzelner Daten zu Vorstellungen von Gegenstnden. Doch sein Versuch, die zweite Frage ebenfalls im Rahmen der Theorie der Einbildungskraft zu lsen, erschwert die Interpretation, weil er dieses Vorhaben nicht ausdrcklich kenntlich macht. Der Versuch Martin Heideggers, nachzuweisen, daß trotz expliziter gegenteiliger ußerungen Kants in dieser Frage das eigentliche Kernproblem der Kritik der reinen Vernunft besteht, wird noch zu betrachten sein. Festzuhalten bleibt hier zunchst, daß auch die Frage nach der Verbindung disparater Daten zu Vorstellungen von Gegenstnden eine Frage ist, die sich letztlich, wenn auch in vorkritischer Zeit nur indirekt, dadurch ergibt, daß Kant sich in seinen Ausfhrungen zur Einbildungskraft bereits vor 1781 auf ein vom Empirismus inspiriertes Assoziationsmodell sttzt, das spter, in transformierter Form, auch seinen Ausfhrungen der ersten Kritik zugrunde liegt.

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1.6 Zusammenfassung Fassen wir zusammen: bereits in der vorkritischen Zeit wird deutlich, daß die Aufgabe der Einbildungskraft, die hier noch unter wechselnden Bezeichnungen auftritt, primr eine verbindende ist. Neben der traditionellen Standarddefinition dieses Vermgens als Fhigkeit, nicht aktuell in der Wahrnehmung Gegebenes vorzustellen, bernimmt Kant dabei substantielle Theoriestcke aus verschiedenen Traditionen: von der rationalistischen Schulphilosophie das Modell der geistigen Vermgen, deren Einteilung sowie Teile ihrer Terminologie; von seinen empiristischen Vorgngern das Assoziationsmodell und, wenigstens zu einem Teil, deren atomistische Theorie der Wahrnehmung. Zustzlich zu den Schwierigkeiten, die Kant daraus entstehen, daß er damit seinem eigenen Modell zwei nicht ohne weiteres kompatible philosophische berlieferungen zugrunde legt, handelt er sich auch spezifische Probleme der jeweiligen Anstze ein. Im Hinblick auf die Vermgenspsychologie der rationalistischen Schulphilosophie ist dies vor allem eine Schwierigkeit, die ihm aus der Ersetzung ihrer Kriterien der ›Klarheit‹ und ›Verworrenheit‹ durch die ›aktiv‹ – ›passiv‹ Dichotomie als unterscheidendes Merkmal der unteren und oberen Erkenntnisvermgen erwchst. Denn wenn untere und obere Vermgen anhand dieses Kriteriums eingeteilt werden, wird es schwer, der Einbildungskraft als einem Vermgen, das sowohl aktiv als auch passiv ist, eine angemessene Stellung unter den geistigen Fhigkeiten des Menschen zuzuweisen – jedenfalls solange die Zweiteilung nicht zugunsten einer Dreiteilung aufgegeben wird. In der ersten Kritik wird sich dieses Problem dadurch verschrfen, daß Kant, um sein Beweisprogramm zum Erfolg zu fhren, zustzlich die notwendige Beziehung der beiden Erkenntnisvermgen aufeinander plausibel machen muß. Im Kontext des Assoziationsmodells des Empirismus 58

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Zusammenfassung

stellt sich fr Kant vor 1781 dagegen vor allem die Frage, ob die mentalen Verbindungen, die wir zwischen Vorstellungen herstellen, den Verbindungen angemessen sind, wie sie zwischen den Gegenstnden und Ereignissen der Außenwelt bestehen. Sie wurde vor allem von David Hume ausfhrlich verhandelt und in skeptischer Weise beantwortet. Eine nichtskeptische Antwort zu finden ist eine Grundmotivation der ersten Kritik. Ein weiteres Problem, ebenfalls bereits in der vorkritischen Auseinandersetzung angelegt, wird sich spter daraus ergeben, daß Kant auch die empiristische Prmisse des Sinnesdatenatomismus bernimmt. Denn diese Annahme fhrt unweigerlich zu der Frage, wie aus Sinnesdaten Vorstellungen von Gegenstnden werden knnen. In den Vorlesungsnachschriften artikuliert sich dieses Problem, anders als in der ersten Kritik, zwar noch nicht ausdrcklich; es hngt aber insofern mit der vorkritischen Entwicklung Kants zusammen, als es eine Konsequenz der Auseinandersetzung mit dem Empirismus ist, die in dieser Zeit stattfindet. Bereits vor 1781 zeichnet sich damit ab, daß fr Kants Theorie der Einbildungskraft drei Fragen von großer Wichtigkeit sind, auch wenn zwei von ihnen sich vor allem im Rckblick von der Position der ersten Kritik aus erschließen. Ihre Gemeinsamkeit ist, daß sie nach einer Verbindung fragen, nmlich: 1. Wie verbindet die Einbildungskraft die disparaten Daten der Sinne zu Vorstellungen von Gegenstnden? 2. Wie stellt die Einbildungskraft Verbindungen zwischen unterschiedlichen Vorstellungen her? 3. Wie sind oberes und unteres Erkenntnisvermgen durch die Einbildungskraft miteinander verbunden? Das Nebeneinander dieser Fragen in der ersten Kritik und der Versuch, sie alle im Rahmen einer Theorie der Einbildungskraft zu beantworten, fhrt erwartungsgemß zu einigen der grundlegenden Spannungen, die die entsprechenden Ausfhrungen dort kennzeichnen. A

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Die Einbildungskraft in der ersten Kritik

2.1 Allgemeine Bemerkungen Fr das Verstndnis des theoretischen Zusammenhangs, in dem die Einbildungskraft in der Kritik der reinen Vernunft steht, empfehlen sich einige allgemeine Vorbemerkungen. In seinem Anspruch knpft dieses Werk direkt an die Theorien Lockes und Humes an, wenn Kant programmatisch erklrt, eine Untersuchung der Grenzen der menschlichen Erkenntnis unternehmen zu wollen. 47 Gegenber seinen Vorgngern erweitert er dieses Unternehmen allerdings um einen entscheidenden Punkt. Mit dem negativen Vorhaben der Ermittlung der Grenzen unserer Erkenntnis verbindet er zugleich das positive Unternehmen der vollstndigen Bestimmung ihres Umfangs, also des gesamten Bereichs, auf den sich unsere Erkenntnisansprche berechtigterweise erstrecken (knnen). 48 »This, therefore, being my Purpose to enquire into the Original, Certainty, and Extent of humane Knowledge« (ECHU 43/1.1.2) und »If by this Enquiry into the Nature of the Understanding, I can discover the Powers thereof; how far they reach; to what things they are in any Degree proportionate; and where they fail us …«, ECHU 44/1.1.4; vgl. fr Hume bes. die entsprechenden Ausfhrungen in der Einleitung zum Treatise of Human Nature. 48 KRV Vorrede A XII. Zwar verfolgt Locke dem Anspruch nach ein hnliches Vorhaben wie Kant, wenn er ›the extent of human knowledge‹ ermitteln mchte, doch sein Unternehmen unterscheidet sich von demjenigen Kants dadurch, daß er eine grundstzlich andere Meinung darber hat, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Kant folgt in der Ermittlung des Umfangs der menschlichen Erkenntnis einem System, dessen apriorische 47

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Allgemeine Bemerkungen

Den Hintergrund fr Kants Optimismus in dieser Frage bilden mehrere Annahmen, die seinen Ansatz erheblich von den Theorien seiner Vorgnger unterscheiden. Wichtig in unserem Zusammenhang sind vor allem zwei Thesen. Nmlich erstens: Erkenntnis ist ein Ganzes miteinander in Verbindung stehender Vorstellungen. 49 Mit dieser Feststellung wendet sich Kant von einem Modell der Erkenntnis ab, das behauptete, daß bereits einzelne Vorstellungen Flle von Wissen darstellen knnen. Es wurde nicht nur von vielen seiner empiristischen Vorgnger vertreten, sondern vor 1781 auch von Kant selbst. Ebenso wichtig ist, zweitens, die mit der eben genannten These verbundene weitere Behauptung, der Bereich der uns mglichen Erkenntnis – als »ein Ganzes verglichener und verknpfter Vorstellungen« – ließe sich als ein System, und dies bedeutet fr Kant: vollstndig, bestimmen. 50 Diese Thesen vertritt Kant vor dem Hintergrund einer Unterscheidung zweier Bereiche, die fr seine Untersuchung und Begrndung unseres Wissens essentiell sind: des Bereichs der ›Erscheinungen‹ und des Bereichs der ›Dinge an sich‹. Der erste Bereich steckt das Feld ab, in dem uns Erkenntnis berhaupt nur mglich ist, der zweite umfaßt u. a. das, was wir in explikativer und begrndender Hinsicht zwar unterstellen Geltung nachzuweisen ist. Sofern dieser Nachweis gelingt, gibt es einen guten Grund fr Kants Behauptung, daß der Umfang unseres Wissens tatschlich vollstndig bestimmt werden kann. Locke dagegen sttzt sich auf eine empirische Bestandsaufnahme der verschiedenen Typen unseres Wissens. Dies macht es ihm prinzipiell unmglich, eine Begrndung fr die Vollstndigkeit der Umfangsbestimmung zu geben; Lockes berlegungen sind relativ zum aktuellen Stand der Wissenschaft. 49 So heißt es beispielsweise in der ersten Version der Deduktion: »Wenn eine jede einzelne Vorstellung der andern ganz fremd, gleichsam isoliert, und von dieser getrennt wre, so wrde niemals so etwas, als Erkenntnis ist, entspringen, welche ein Ganzes verglichener und verknpfter Vorstellungen ist«, KRV A 97. 50 KRV A 64/B 89; vgl. Vorrede A XIV. A

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(mssen), mit Bezug auf dessen Beschaffenheit oder die Beschaffenheit der entsprechenden Gegenstnde aber jede weitergehende positive Aussage unbegrndet bleiben muß. Die Unterscheidung zwischen ›Erscheinungen‹ und ›Dingen an sich‹, die im Text das erste Mal in der Vorrede zur zweiten Auflage begegnet (KRV Vorrede B XX), dient damit einerseits dazu, die Behauptung plausibel zu machen, der Umfang der menschlichen Erkenntnis ließe sich vollstndig bestimmen. Andererseits soll sie eine bestimmte Art metaphysischer Spekulation zurckweisen, die sich im Anschluß an die Vermutung artikuliert, daß zwischen der Art, wie wir Dinge wahrnehmen oder erkennen knnen, und der tatschlichen Beschaffenheit der Dinge eine epistemische Differenz besteht, oder wie es Thomas Nagel in seiner einflußreichen Auseinandersetzung mit diesem Thema formuliert: »hthati the world extends beyond the reach of our minds«, 51 . Denn auf der Grundlage dieser Vermutung entsteht naheliegenderweise ein Bedrfnis danach, die ›wahre‹ oder ›absolute‹ Beschaffenheit der Dinge zu ermitteln. Kant reagiert auf dieses Bedrfnis und die entsprechenden Spekulationen mit einer konsequenten Abgrenzungsstrategie: anders als unter den Bedingungen, Nagel (1986) 90; vgl. 90–109. So kontrovers die Interpretation der Unterscheidung zwischen Gegenstnden als ›Erscheinungen‹ und ›an sich‹ betrachtet im Detail auch ist, so hat sich im letzten Jahrhundert, und auch unter Interpreten mit ansonsten stark divergierenden Anstzen, mehrheitlich die Auffassung durchgesetzt, daß es sich bei dieser Differenzierung um eine epistemische und nicht um eine ontologische handelt: einen Gegenstand als Erscheinung oder als ein Ding an sich aufzufassen, bedeutet in dieser Perspektive zwei verschiedene Betrachtungsweisen desselben Gegenstands zu haben. – Sogar Heidegger, sonst der paradigmatische Verfechter einer ontologisierenden Interpretation der theoretischen Philosophie Kants, gibt zu bedenken: »Es gibt nicht zwei Schichten des Seienden, sondern dasselbe Seiende ist als Gegenstand der endlichen Erkenntnis Erscheinung und als Gegenstand der absoluten Erkenntnis Ding an sich«, Heidegger WW 264; vgl. 262 f.; KPM 30 f.

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Allgemeine Bemerkungen

unter denen wir stehen, ist fr uns keine Erkenntnis mglich; die Frage danach, wie die Dinge ›wirklich‹ beschaffen sind, ist daher offensichtlich mßig. Ausdrcklich betont er: »Was es fr eine Bewandtnis mit den Gegenstnden an sich und abgesondert von aller dieser Rezeptivitt unserer Sinnlichkeit haben mge, bleibt uns gnzlich unbekannt. Wir kennen nichts, als unsere Art, sie wahrzunehmen, die uns eigentmlich ist, die auch nicht notwendig jedem Wesen, obzwar jedem Menschen, zukommen muß«, KRV A 42/B 59.

Damit ergibt sich bereits aus der Definition, daß der Bereich der Erscheinungen das gesamte Feld des uns mglichen Wissens absteckt: die Welt wird zum »Inbegriff der Erscheinungen«. Um es also noch einmal auf den Punkt zu bringen: Kant verabschiedet mit der Unterscheidung von ›Erscheinung‹ und ›Ding an sich‹ ausdrcklich die ›absolute‹ Konzeption der Erkenntnis und setzt die Ansprche, die sich mit unserem Wissen verbinden, konsequent in Beziehung zu den Bedingungen, unter denen uns als erkennenden Subjekten Wissen mglich ist. Diese Relativierungsstrategie ist bereits so angelegt, daß wir den Bereich der uns mglichen Erkenntnis vollstndig festlegen knnen. 52 Allerdings hilft es wenig, diesen Bereich Mit der Unterscheidung zwischen Erscheinungen und Dingen an sich im Hintergrund stellt sich auch die Debatte, die seine Vorgnger um die primren und sekundren Eigenschaften von Gegenstnden gefhrt hatten, in einem neuen Licht dar. Ging es Kants Vorgngern vor allem darum, mit dieser Unterscheidung den Bereich sicheren Wissens zu bestimmen, indem sie die Eigenschaften in solche einteilten, die den Gegenstnden der Welt tatschlich zukommen, und solche, die wir den Gegenstnden vor allem aufgrund der spezifischen Beschaffenheit unseres Geistes und unseres Wahrnehmungsapparates zuschreiben, wird die Unterscheidung zwischen primren und sekundren Eigenschaften in Kants Theorie zu einer Differenzierung, die sich ganz und gar innerhalb der uns zugnglichen Welt der Erscheinungen bewegt. Er stellt fest: »Dieser Unterschied hzwischen primren und sekundren Eigenschafteni ist aber nur empirisch. Bleibt man dabei stehen, (wie es gemeiniglich geschieht,) 52

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Die Einbildungskraft in der ersten Kritik

nur in abstracto zu bestimmen: wichtig ist es, eine entsprechende Vorgehensweise zu finden, die es erlaubt, das derart eingegrenzte Feld des uns mglichen Wissens auf eine Weise zu erschließen, daß diese Konzeption fruchtbar wird fr die berprfung beziehungsweise die Begrndung konkreter Wissensansprche. In diesem Zusammenhang wird unter anderem die vorkritische Frage wichtig, in welcher Beziehung unsere Vorstellungsverbindungen zu den Verbindungen stehen, in denen die Gegenstnde, die sie auslsen (beziehungsweise die entsprechenden Sinnesdaten), zueinander stehen. Lßt sich nachweisen, daß die mentalen Verbindungen den Verbindungen zwischen Gegenstnden angemessen sind, oder mssen wir, beispielsweise mit David Hume, zugestehen, daß Vorstellungsverbindungen allein als ein subjektiver Ausdruck unseres Bedrfnisses nach mentaler konomie ausgewiesen werden knnen? Um die Frage anders als Hume zu beantworten, muß Kant ein berzeugendes Argument dafr vorbringen, daß wenigstens einige Verbindungen, die wir der Welt unserer Erfahrung unterstellen, mit den Verbindungen bereinstimmen, die in dieser Welt tatschlich gelten. Um den entsprechenden Nachweis zu fhren, greift er auf die Vermgenspsychologie zurck, mit der er sich vor 1781 ausfhrlicher auseinandergesetzt hatte: in seinem erkenntnistheoretischen Hauptwerk bernimmt Kant die bereits dort diskutierte Einteilung der Erkenntnisvermgen in ›obere‹ und ›untere‹. In einer vollstndigen Disjunktion sind sie – textgleich in den Auflagen von 1781 und 1787 –, unter den Bezeichnungen und sieht jene empirische Anschauung nicht wiederum (wie es geschehen sollte) als bloße Erscheinung an, so daß darin gar nichts, was irgend eine Sache an sich selbst anginge, anzutreffen ist, so ist unser transzendentaler Unterschied verloren, und wir glauben alsdenn doch, Dinge an sich zu erkennen, ob wir es gleich berall (in der Sinnenwelt) selbst bis zu der tiefsten Erforschung ihrer Gegenstnde mit nichts, als Erscheinungen, zu tun haben«, KRV A 45/B 62 f.

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Allgemeine Bemerkungen

›Verstand‹ oder ›Vernunft‹ (in ihren jeweils weiten Bedeutungen) und ›Sinnlichkeit‹, die beiden ›Stmme‹ oder Quellen unserer Vorstellungen, beziehungsweise unserer Erkenntnisse. 53 Die wichtige Behauptung, die in der ersten Kritik nun klar formuliert wird, ist, daß Verstand und Sinnlichkeit zusammenwirken mssen, damit Wissen entstehen kann: »Nur daraus, daß sie sich vereinigen, kann Erkenntnis entspringen«, 54 schreibt Kant. Der systematische Gedanke hinter dieser Behauptung ist der folgende: das untere Erkenntnisvermgen bezieht sich auf den kontingenten Bereich der Erfahrung; das obere dagegen ist unabhngig von Erfahrung. Damit knnen jeweils verschiedene Standards der Begrndung spezifiziert werden. Da die Behauptung, Verstand und Sinnlichkeit seien KRV Einleitung A 15/B 29; vgl. A 840/B 868; A 835/B 863; A 62/B 87. – ›Vernunft‹ in einem engen Sinn bezeichnet bei Kant das Vermgen des Schließens, ›Verstand‹ im engen Sinn das Vermgen der Begriffe beziehungsweise der Regeln. 54 KRV A 51/B 75 f.; vgl. A 258/B 314; A 124. Eine Vorversion dieser These findet sich bereits in der Zeit zwischen 1773 und 1778, sofern man der Datierung von Adickes folgt. So heißt es beispielsweise in R 820 AA 15.366: »Alle unsre Erkentnisse bestehen aus Sinnlichkeit und Verstand. Durch die erste werden Gegenstnde gegeben, durch den zweyten gedacht. Der Verstand allein denkt ohne Anschauen und ohne Anwendung. Die Sinnlichkeit giebt ihm Beydes« und in R 216 AA 15.82 f.: »Der abgesonderte Verstand hat keinen Vorzug vor der Gesamten Sinlichkeit. Ohne ienen wrden wir nichts denken, ohne diese keinen Gegenstand des Denkens haben«; vgl. auch R 212 AA 15.81 f.: »Die Sinnlichkeit ist die affectibilitaet (passibilitaet) der Vorstellungskraft. Verstand ist die spontaneitaet der Vorstellungskraft. Beym Menschen ist die 1ste das Vermgen der Anschauung, hdiei 2te hdas Vermgen deri Begriffe. Das Bewustseyn geht auf beyde. Das Bewustseyn des Mannigfaltigen in den ersten Vorstellungen (coordination) oder Anschauungen ist aesthetische Deutlichkeit, in Begriffen logische Deutlichkeit. Beydes ist die bloße Form. Ohne Sinnlichkeit wrden wir keine Anschauungen (Gegenstnde) haben. Ohne Verstand wrden wir keine allgemeinen Erkenntniße derselben haben, d. i. sie nicht denken.« (1770–71?; 75–78?). 53

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in jeder Erkenntnis aufeinander angewiesen, vor allem als ein Abhngigkeitsverhltnis von Vorstellungen der jeweiligen Vermgen formuliert ist, stehen sich daher auf der einen Seite Vorstellungen, die im direkten Rckgriff auf Erfahrung ›gerechtfertigt‹ werden knnen, und auf der anderen Seite Vorstellungen, deren ›Rechtfertigung‹ ohne den Rckgriff auf Erfahrung auskommt, gegenber. Jene sind aufgrund ihrer Rechtfertigung kontingent, diese, aufgrund ihrer Rechtfertigung, notwendig. Kant teilt hier, wie bereits vor 1781, die jeweiligen Vorstellungen erneut in einer vollstndigen Disjunktion 55 anhand ihrer Genese ein: in Vorstellungen der Sinne (›Anschauungen‹) und Vorstellungen des Verstandes (›Begriffe‹). Durch die erstgenannten werden uns Gegenstnde ›gegeben‹, durch die zuletzt genannten werden sie ›gedacht‹. 56 Die These lautet also: KRV A 68/B 92 f.; vgl. A 50/B 74. KRV Einleitung A 15/B 29. Obwohl auch fr Kant, wie schon fr die Modelle seiner Vorgnger seit der frhen Neuzeit, Vorstellungen ein wichtiges Moment der Erkenntnistheorie sind, beginnt er, anders als etwa Locke und Hume, seine Ausfhrungen nicht mit ihrer genauen begrifflichen und sachlichen Einordnung. Besonders die terminologische Seite klrt er relativ spt; erst im Zusammenhang der Bestimmung des Begriffs der ›Idee‹ entwickelt er eine begriffliche ›Stufenleiter‹ mentaler Entitten. Im zweiten Abschnitt des ersten Buches der transzendentalen Dialektik charakterisiert er Vorstellungen als den Oberbegriff, durch dessen Przisierung sich Empfindung, Erkenntnis, Anschauung, Begriff und Idee bestimmen lassen: »Die Gattung ist Vo r s t e l l u n g berhaupt (repraesentatio). Unter ihr steht die Vorstellung mit Bewußtsein (perceptio). Eine P e r z e p t i o n , die sich lediglich auf das Subjekt, als die Modifikation seines Zustandes bezieht, ist E m p f i n d u n g (sensatio), eine objektive Perzeption ist E r k e n n t n i s (cognitio). Diese ist entweder A n s c h a u u n g oder B e g r i f f (intuitus vel conceptus). Jene bezieht sich unmittelbar auf den Gegenstand und ist einzeln; dieser mittelbar, vermittelst eines Merkmals, was mehreren Dingen gemein sein kann. Der Begriff ist entweder ein e m p i r i s c h e r oder r e i n e r B e g r i f f , und der reine Begriff, sofern er lediglich im Verstande seinen Urspung hat (nicht

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Allgemeine Bemerkungen

»Ve r s t a n d und S i n n l i c h k e i t knnen bei uns n u r i n Ve rb i n d u n g Gegenstnde bestimmen. Wenn wir sie trennen, so haben wir Anschauungen ohne Begriffe, oder Begriffe ohne Anschauungen, in beiden Fllen aber Vorstellungen, die wir auf keinen bestimmten Gegenstand beziehen knnen«. 57

Diese These verbindet Kant mit der weitergehenden Behauptung, die nicht-empirischen, ›apriorischen‹ Vorstellungen des Verstandes seien Voraussetzung der empirischen Vorstellungen der Sinne. Auch wenn die Vorstellungsterminologie in diesem Zusammenhang nicht besonders glcklich gewhlt ist, weil es sich bei den notwendigen Bedingungen unseres Wissens um formale Eigenschaften und Funktionen handelt, die jeder Erkenntnis zugrunde liegen sollen, und nicht um Vorstellungen mit einem ›normalen‹ Inhalt, so ist die Absicht hinter Kants Strategie unschwer zu erkennen. Gelingt es nmlich nachzuweisen, daß unser gesamtes Wissen unter bestimmten notwendigen Voraussetzungen steht, so fhrt dies trivialerweise dazu, daß auch fr den kontingenten Bereich der Erfahrung jeweils an bestimmten Punkten epistemische Sicherheit mglich wird. In diesem Sinn ist die Begrndung der These, daß das ›untere‹ und ›obere‹ Vermgen in jedem Fall ›der Bestimmung von Gegenstnden‹ und letztlich allgemein fr jeden Fall von Erkenntnis zusammenwirken mssen, 58 einer der zentralen Gedanken der ersten Kritik: der behauptete Zuim reinen Bilde der Sinnlichkeit) heißt N o t i o . Ein Begriff aus Notionen, der die Mglichkeit der Erfahrung bersteigt, ist die I d e e , oder der Vernunftbegriff«, KRV A 320/B 376 f., s. Fn. 54. 57 KRV A 258/B 314; vgl. auch den klassischen Passus aus der transzendentalen Elementarlehre: »Ohne Sinnlichkeit wrde uns kein Gegenstand gegeben, und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind«, KRV A 51/B 75; A 50/B 74; A 19/B 33; B 327. 58 Dies gilt besonders fr die Erkenntnis der empirischen Welt; in einem anderen Sinn allerdings gilt der Zusammenhang auch fr nicht-empirische Erkenntnis. Sie kommt ohne einen Bezug auf Erfahrung deshalb A

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sammenhang wird erst dann wirklich plausibel, wenn gezeigt werden kann, wie diese Verbindung im Einzelfall hergestellt wird. Dies ist eine der Aufgaben, die, in der ersten Auflage deutlicher als in der zweiten, die Theorie der Einbildungskraft lsen soll.

2.1.1 Der Psychologismusvorwurf Die Formulierung der Theorie im Rahmen der aus der Tradition bernommenen Vermgenspsychologie und ihres Vokabulars, vor allem in der ersten Auflage, hat Kant einen Vorwurf eingetragen, der mit der oben erwhnten Prferenz der verschiedenen Interpretationstraditionen fr eine der beiden Auflagen eng verbunden ist: den Vorwurf des Psychologismus. Darin artikuliert sich der Generalverdacht, es ginge ihm mehr um eine psychologische Untersuchung der Beschaffenheit des menschlichen Geistes und der psychologischen Voraussetzungen, unter denen unsere Erkenntnis steht, als um eine philosophische Rechtfertigung von Erkenntnisansprchen, ja, er wolle das zweite, nmlich die Rechtfertigung, durch das erste, die psychologische Untersuchung, erreichen. 59 Dieser Vorwurf nicht zustande, weil dem oberen Erkenntnisvermgen in diesem Fall ein Anlaß fehlt, um ttig zu werden, KRV Einleitung B 1. Wie der Bereich der ›apriorischen Erkenntnis‹ – jenseits des Bereichs axiomatischen Wissens – bei Kant im Einzelnen zu bestimmen ist, und wieweit es sich hierbei berhaupt um ›Wissen‹ in einem gehaltvollen Sinn des Wortes handelt, ist kontrovers und kann hier nicht im Einzelnen errtert werden. Einen guten berblick ber verschiedene Optionen gibt der Sammelband von Paul K. Moser, Moser (1987). 59 Der Vorwurf des Psychologismus hat in den verschiedenen Phasen der Kant-Interpretation verschiedene Formen angenommen. Eine bersicht ber historisch wichtige Stationen findet sich bei Kitcher (1990) 3–11. Sie weist zu Recht darauf hin, daß es absurd wre, jede Art von Bezug auf ›psychologische‹ Fakten aus der Erkenntnistheorie zu verbannen,

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hlt sich, in der einen oder anderen Weise, mit großer Beharrlichkeit. Er geht bereits auf die frhe Kant-Rezeption im 19. Jahrhundert durch Jacob Friedrich Fries (1773–1843) und Johann Friedrich Herbart (1776–1841) zurck und ist bis heute virulent. Prominent liegt er beispielsweise Strawsons einflußreicher Interpretation zugrunde, der deshalb dazu rt, bestimmte Bereiche der Kantischen Theorie als Verirrungen zu betrachten und einfach zu ignorieren 60 – ohne allerdings diesem Ratschlag selbst konsequent zu folgen. denn »how can we hope to understand the nature of thought or the limits of knowledge – or to prescribe methods for improving our reasoning practices – without having some understanding of the capacities that make cognition possible?« (Kitcher, 1990: 9) und betont, daß der Vorwurf in diesem schwachen Sinn trivialerweise zutrifft, loc. cit. Es ist sicher kein Zufall, daß Mrchen unmittelbar zu Beginn seiner Untersuchung zur theoretischen Einbildungskraft meint, Kant genau gegen diesen Vorwurf in Schutz nehmen zu mssen, erstens indem er darauf hinweist, daß es unklar sei, in welchem Sinn Kants ›transzendentale Psychologie‹ berhaupt als ›Psychologie‹ bezeichnet werden kann, sowie zweitens mit der Bemerkung, daß Kant selbst »an vielen Stellen seine transzendentale Betrachtung unzweideutig genug gegen die psychologische abgegrenzt hhati«, Mrchen (1930) 1 f.; vgl. 56 f. 60 Im Hinblick auf die Theorie der ›Synthesis‹ heißt es beispielsweise: »the entire theory is best regarded as one of the aberrations into which Kant’s explanatory model inevitably led him«, Strawson (1966) 32, vgl. 96. hnliches gilt fr weitere »imaginary subjects of transcendental psychology« (Strawson, 1966: 32) wie Kants Theorie des Selbstbewußtseins und seine gesamte Vermgenstheorie, die als ›disastrous‹ bezeichnet werden, Strawson (1966) 20 f. Kitcher weist darauf hin, »hthati the many studies spawned by this deservedly influential book follow its interpretive model«, Kitcher (1990) 3. Dies ist insofern bedauerlich, als es wohl in der Tat zutrifft, daß »Strawsons Darstellung an dem Problem, auf das es Kant in erster Linie ankommt, … einfach vorbeigehhti, und zwar gerade deshalb, weil Strawson aufgrund seines ›logischen Vorurteils‹ nicht auf Kants transzendentale Psychologie eingeht«, Hoppe (1983) 13. Neben Strawsons Monographie gibt es eine Reihe weiterer einflußreicher Interpretationen der letzten Jahrzehnte, die die ›psychologische‹ Seite der erA

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Der Psychologismusvorwurf hat besonders fr die nachfolgende Kant-Interpretation zwei wichtige Konsequenzen gehabt. Erstens hat er zu einer Prferenz fr die vermeintlich weniger psychologische zweite Auflage gefhrt. Zweitens, und in unserem Kontext wichtiger, ist er dafr verantwortlich, daß bestimmte Themen bei der Interpretation der theoretischen Philosophie Kants wenig beachtet wurden. Dazu gehren insbesondere auch diejenigen, die im vorliegenden Zusammenhang interessieren: Kants Modell der geistigen ›Vermgen‹, seine Theorie der Einbildungskraft und seine Darstellung ihrer Funktion im Erkenntnisprozeß, die Frage nach der Verbindung (›Synthesis‹) von Vorstellungen sowie die Frage nach der mentalen Konstitution von Gegenstnden. 61 Doch diese Haltung, die sich erst in jngster Zeit zu ndern beginnt, hat nicht nur zu einem verkrzenden Blick auf Kants Vorhaben gefhrt, sie ist auch aus einem anderen Grund unglcklich; denn der Vorwurf ist, außer in einem schwachen sten Kritik weitgehend ausblenden, so bereits die Monographien von Stephan Krner (Krner, 1955) und Jonathan Bennett (Bennett, 1966), aber in jngerer Zeit auch die Werke von Henry Allison (Allison, 1983) oder Paul Guyer (Guyer, 1987). 61 Trotz der einleitenden Bemerkungen zur Psychologismusdebatte sind im brigen auch Kitchers Ausfhrungen nicht unbeeinflußt von der Verengung der Perspektive geblieben, die im Gefolge des Vorwurfs bei der Interpretation der theoretischen Philosophie Kants gngig geworden ist. Obwohl der Titel ihrer Monographie (Kant’s Transcendental Psychology) eine ausfhrlichere Beschftigung mit der Einbildungskraft erwarten lassen wrde, sind diesem Vermgen gerade einmal vier von fast 300 Seiten gewidmet (Kitcher, 1990: 81 f.; 153 f.), auch wenn Kitchers Diskussion des thematisch in engem Zusammenhang mit der Theorie der Einbildungskraft stehenden Synthesis-Problems insgesamt umfangreicher ist. Ein gutes Beispiel fr die Vernachlssigung der genannten Themen ist auch Karl Ameriks’ Kant’s Theory of Mind (1982): ›imagination‹, ›faculty‹, und ›synthesis‹ sind hier nicht einmal den Eintrag in einem sonst ausfhrlichen Register wert.

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und unverfnglichen Sinn (s. auch Fn. 59), schlicht falsch. Hinzu kommt, daß es mehr als fraglich ist, ob das Bestreben den ›Psychologismus‹ zu vermeiden tatschlich eine Bevorzugung der zweiten Auflage rechtfertigen wrde. Denn selbst wenn man der Meinung ist, der Vorwurf des Psychologismus trfe zu, so kann man in dieser Frage durchaus den gegenteiligen Standpunkt einnehmen; etwa so, wie Martin Heidegger dies tut. Denn obwohl Heidegger den Psychologismusvorwurf teilt, 62 weist er nachdrcklich und zu Recht darauf hin, daß die zweite Auflage »nicht deshalb ›besser‹ histi, weil sie logischer verfhrt. Im Gegenteil, sie ist in einem rechtverstandenen Sinne noch ›psychologischer‹, und zwar in ausschließlicher Richtung auf die reine Vernunft als solche«, Heidegger KPM 164.

Doch wichtiger als der Streit darber, welche der beiden Auflagen die weniger psychologische sei, ist, daß der Vorwurf in einem starken Sinn tatschlich weder fr die eine noch fr die andere Auflage wirklich zutrifft. Wenn das Ziel der Untersuchung in einer Bestimmung der Grenzen und des Umfangs der menschlichen Erkenntnis besteht, ist nicht zu sehen, wie ein solches Unterfangen gnzlich auf die Auseinandersetzung mit den geistigen Fhigkeiten des Menschen verzichten knnte. Entscheidend ist hier allein, ob eine psychologische Untersuchung der Beschaffenheit unseres Erkenntnisvermgens an die Stelle der Aufklrung logischer Abhngigkeitsverhltnisse und der Begrndung unserer Erkenntnisansprche tritt. Dies ist weder von der Intention des Autors her noch in der Sache der Fall. Kant selbst war sehr an einer Abgrenzung von einem Psychologismus gelegen, wie er etwa mit der rationalen Psychologie der Leibniz-Wolffschen Schulphilosophie einhergeht. 63 Diesem Bestreben steht zwar eine Konzeption der Lo62 63

S. z. B. Heidegger, WW 273. Vgl. Hoppe (1983) 19; Kitcher (1990) 11 f.; Carl (1992) 93. A

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gik gegenber, die umfassender als die heute bliche ist und diverse traditionell ›psychologische‹ Themen (Vorstellungen, ihren Zusammenhang mit der Sinneswahrnehmung, die Frage eines ›empirischen Ichs‹ etc.) diskutiert; es geht in diesem Zusammenhang jedoch nicht darum, erkenntnistheoretische Prinzipien durch den Rckgriff auf die Erfahrung zu rechtfertigen. Und auch wenn es in einer heutigen Perspektive irritierend sein mag, daß Kant »ohne Vorbehalte von ›Vorstellungen‹ hredeti, die er als innere Bewußtseinsvorkommnisse, als seelische Ereignisse, auffaßt, und ebenso (…) von ihrer Verbindung (Synthesis) als von einer Handlung des Subjekts hsprichti, das dadurch seine Vorstellungen zur Einheit seines Selbstbewußtseins bringt«, Hoppe (1983) 9,

so macht dies die Theorie genauso wenig zu einer ›psychologistischen‹ wie die Tatsache, daß viele Probleme, die in der ersten Kritik verhandelt werden, im Anschluß an den vorgefundenen historischen Diskussionszusammenhang und in dem dort blichen ›psychologischen‹ Vokabular formuliert werden. Entscheidend bleibt die Intention, die Kant mit seiner Theorie verfolgt, und diese besteht erklrtermaßen in einer Rechtfertigung unserer Erkenntnisansprche und ihrer Voraussetzungen: die »Hauptfrage … bleibt, was und wieviel kann Verstand und Vernunft, frei von aller Erfahrung, erkennen und nicht, wie ist das Ve r m  g e n z u D e n k e n selbst mglich?«, KRV A XVII. Daß es um Rechtfertigung geht, belegt nicht zuletzt die Theorie der Einbildungskraft. So erfhrt das Verbindungsproblem, das sich, wie wir gesehen haben, in der vorkritischen Zeit noch in enger Anlehnung an den Assoziationismus des britischen Empirismus und die Vermgenspsychologie der rationalistischen Schulphilosophie artikuliert, in der ersten Kritik eine transzendentalphilosophische Wendung, d. h. es wird jetzt im Rahmen der Voraussetzungen und Bedingungen unseres Wissens verhandelt. Unglcklich ist allerdings, daß Kant 72

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dem Psychologismusvorwurf gerade auch an diesem Punkt Vorschub leistet. Seine Umarbeitung von 1787, die die Einbildungskraft auf eine bloße Funktion des oberen Erkenntnisvermgens reduziert und sie nicht mehr als eigenstndiges Vermgen konzipiert (s. u. bes. S. 74 f.), hat ihren Teil zu dem Mißverstndnis beigetragen, das die Rezeption der ersten Kritik so nachhaltig begleitet. Denn es ist naheliegend, diese Vernderung als den Versuch Kants zu interpretieren, einem bedeutenden, vermeintlich ›psychologischen‹ Moment der Theorie dadurch weniger Gewicht zu geben, daß er dessen Funktion beschneidet.

2.2 Die Theorie der Einbildungskraft in der ersten Kritik Zu den Details: die Einbildungskraft tritt in der Kritik der reinen Vernunft zum ersten Mal in § 10 des Deduktionskapitels in nennenswerter Weise in Erscheinung. In diesem Abschnitt, der noch beiden Auflagen gemeinsam ist, fhrt Kant sie im Kontext der ›Synthesis‹ ein. »Die Synthesis berhaupt«, heißt es dort, sei »die bloße Wirkung der Einbildungskraft«, und er weist darauf hin, daß wir es bei der Ttigkeit der Einbildungskraft zu tun haben mit »einer blinden, obgleich unentbehrlichen Funktion der Seele, ohne die wir berall keine Erkenntnis haben wrden, deren wir uns aber selten nur einmal bewußt sind«, KRV A 78/B 103.

Obwohl diese ußerung an sich durchaus problematisch ist, macht sie doch zwei Dinge unmißverstndlich klar. Erstens: die Einbildungskraft wird, wie sich dies bereits in der vorkritischen Diskussion andeutete, in Kants Hauptwerk ausdrcklich zu dem Vermgen, das Verbindungen herstellt, da »S y n t h e s i s in der allgemeinsten Bedeutung die Handlung histi, verschiedene Vorstellungen zu einander hinzuzutun und ihre A

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Mannigfaltigkeit in einer Vorstellung zu begreifen«, KRV A 77/B 103; vgl. A 68/B 93. Zweitens: in dieser Funktion ist die Einbildungskraft unverzichtbar fr Erkenntnis. Aufschlußreich ist die nderung, die Kant in der zweiten Auflage an dieser Stelle im Einklang mit der gerade schon angedeuteten Strategie vornimmt, ihre Funktion einzuschrnken. Anstatt von »einer blinden, obgleich unentbehrlichen Funktion der Seele« spricht er dort nur von »einer Funktion des Verstandes«. Damit weist bereits diese erste wichtige Stelle, in der es in der ersten Kritik um die Einbildungskraft geht, auf einen der Hauptunterschiede in beiden Auflagen hin. Stellt Kant die Einbildungskraft in der ersten Auflage, die in dieser Hinsicht noch sehr viel nher an der Konzeption der vorkritischen Diskussion ist, im folgenden ausdrcklich als ein eigenstndiges Erkenntnisvermgen zwischen Verstand und Sinnlichkeit vor, so erscheint sie in der zweiten im Weiteren als eine bloße Funktion des Verstandes, womit sie effektiv dem oberen Erkenntnisvermgen zugeordnet wird. Um diesem Gedanken Rechnung zu tragen, ndert Kant besonders die beiden zentralen Abschnitte, die in der ersten Auflage die Eigenstndigkeit der Einbildungskraft als eines dritten Erkenntnisvermgens ausdrcklich herausstellen. Im ersten Fall (KRV A 94) ersetzt er die entsprechenden Ausfhrungen durch einen Abschnitt, in dem er sich gegen die empiristische Assoziationstheorie Lockes und Humes (KRV B 127 ff.) abgrenzt; im zweiten Fall entfllt der entsprechende Passus (KRV A 115) ersatzlos durch die Umarbeitung des Deduktionskapitels. 64 Ob der Grund fr die nderung der ersten Stelle darin besteht, daß Kant »sein eigenes Verfahren in der ersten Auflage – wenn auch zu Unrecht – noch in der Nhe des EmpirisBereits Mainzer merkt in diesem Zusammenhang an, die B-Auflage sei an dieser Stelle »sehr zum Nachtheil auch fr die Einsicht in die Functionen der Einbildungskraft verndert worden«, Mainzer (1881) 26.

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mus sah«, wie Heidegger meint (Heidegger KPM 156), oder ob es Kant bereits hier, wie bei der Revision der B-Deduktion insgesamt, darum ging, vermeintlich ›psychologische‹ Momente in seinen Ausfhrungen zurckzunehmen, sei dahingestellt. Wichtig sind die Konsequenzen, die seine Vernderungen haben. Die Einbildungskraft ist dadurch, daß sie in der B-Auflage als bloße Funktion des Verstandes konzipiert wird, zum einen nicht mehr berzeugend als das verbindende Element zwischen oberem und unterem Erkenntnisvermgen in Anschlag zu bringen; zum anderen wird sie durch die nderung allgemein zu einem Teil des oberen Erkenntnisvermgens. Bedauerlicherweise ist durch die Aufgabe der Einbildungskraft als eigenstndiges Vermgen in der Sache nichts gewonnen. Eher das Gegenteil ist der Fall: denn durch die Zuordnung der Einbildungskraft zum Verstand und der damit verbundenen Reduktion der Erkenntnisvermgen auf zwei gestaltet sich die Explikation des Zusammenhangs, beziehungsweise des von Kant postulierten notwendigen Zusammenwirkens von oberem und unterem Vermgen in jeder Erkenntnis, keineswegs durchsichtiger, als wenn dies unter einer eigenen berschrift geschhe und mit dem ausdrcklichen Eingestndnis, daß hier ein zentrales Element der Theorie verhandelt wird. Insofern wre der Erklrung der Verbindung von zwei disparaten Vermgen durch eine drittes, das Berhrungspunkte mit beiden hat, wohl schon der grßeren Klarheit in der Darstellung wegen der Vorzug zu geben.

2.2.1 Die nderungen von 1787 In systematischer Hinsicht jedenfalls macht Kant die Frage der Verbindung mit ihren verschiedenen Aspekten durch seine nderungen unntigerweise noch undurchsichtiger, als sie dies ohnehin ist. Dies gilt besonders, wenn er im einleitenden A

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Abschnitt der B-Deduktion zwar anerkennt, daß »die Ve rb i n d u n g (conjunctio) eines Mannigfaltigen berhaupt, … niemals durch die Sinne in uns kommen hkanni«, die Verbindung dann aber, noch ganz im Einklang mit seiner frheren Diskussion, einen »Actus der Spontaneitt der Vorstellungskraft« nennt, und die Vorstellungskraft unmittelbar im Anschluß »zum Unterschiede von der Sinnlichkeit« (KRV B 129) als ›Verstand‹ bezeichnet. Denn eine Gleichsetzung der Einbildungskraft (die Kant hier ›Vorstellungskraft‹ nennt) mit dem oberen Erkenntnisvermgen ist weder beabsichtigt, noch wre sie aus sachlichen Grnden angebracht: in diesem Fall verlre die »Einfhrung der Einbildungskraft … berhaupt ihren Sinn« (Mrchen, 1930: 50) und mßte als verzichtbarer terminologischer Restbestand seiner frheren Auseinandersetzung mit dem Assoziationsthema betrachtet werden. Mit dem Text lßt sich eine solche Interpretation nicht vereinbaren, und zwar schon deshalb nicht, weil auch die zweite Auflage sich hinreichend hufig und an prominenter Stelle – so beispielsweise im Schematismuskapitel, das Kant (seltsamerweise) ohne große nderungen in B bernommen hat – auf die Einbildungskraft beruft. Problematischer noch als die Interpretation der Einbildungskraft an dieser Stelle ist das anschließende Fazit: »so ist alle Verbindung (…) eine Verstandeshandlung, die wir mit der allgemeinen Benennung S y n t h e s i s belegen wrden, um dadurch zugleich bemerklich zu machen, daß wir uns nichts, als im Objekt verbunden, vorstellen knnen, ohne es vorher selbst verbunden zu haben, und unter allen Vorstellungen die Ve r b i n d u n g die einzige ist, die nicht durch Objekte gegeben, sondern nur vom Subjekte selbst verrichtet werden kann, weil sie ein Actus seiner Selbstttigkeit ist«, KRV B 130.

Wollte Kant hier wirklich die Auffassung vertreten, alle Verbindungen seien durch eine spontane Leistung des Erkenntnissubjekts hergestellt, so wrde dies jeden Versuch hinfllig ma76

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chen, gegen Hume zu einer nichtskeptischen Lsung in der Frage der Verbindungen zwischen den Gegebenheiten der Außenwelt zu kommen. ›Erkenntnis‹ wre in diesem Fall in der Tat nicht mehr als eine von uns nach den Maßgaben unseres Erkenntnisapparates hergestellte (berkeleysche) Fiktion, die keinen Bezug auf die Verhltnisse einer Welt außerhalb unseres Geistes formuliert. Eine solche Position zu vertreten ist offensichtlich nicht Kants Absicht. Denn seine Pointe besteht ja gerade in dem Nachweis, daß wenigstens eine geistige Verbindung, die Kausalitt, mit Notwendigkeit auch fr die Welt außerhalb unseres Geistes gilt, daß wir dies erkennen und begrnden knnen, und daß es sich hierbei eben nicht um ein ›bloßes Spiel der Einbildungskraft oder des Verstandes‹, um bloße Modifikationen unseres subjektiven Zustands handelt. Die Tatsache, daß Kant das Verbindungsthema in der ersten Kritik fast ausschließlich unter dem Blickwinkel der von uns hergestellten Verbindungen diskutiert, sollte nicht verdecken, daß er hier voraussetzt, was er sowohl in den vorkritischen Vorlesungsmitschriften (s. o.) als auch in der verffentlichten Fassung der Anthropologievorlesung von 1798 immer wieder ausdrcklich feststellt: es gibt sowohl ›gemachte‹ als auch ›gegebene‹ Verbindungen, Gedankenverbindungen und Verbindungen der Erfahrungswelt. 65 Die Tatsache, daß der Text der ersten Kritik im Hinblick auf die zweite Art von Verbindungen außerordentlich zurckhaltend ist, trgt ihren Teil dazu bei, daß Kants Ausfhrungen undurchsichtig erscheinen. Nur gelegentlich spricht Kant ausdrcklich von »Vorstellungen, die nach empirischen Gesetzen zusammenhngen« (KRV A 537/B 565), oder unterscheidet »ein Verhltnis, das o b j e k t i v g  l t i g ist … von dem Verhltnisse eben derselben Vorstellungen, worin bloß subjektive Gltigkeit wre, z. B. nach Gesetzen der Assoziation«, also Vorstellungen, die »im Ob65

S. z. B. Anthr. (1798) AA 7.140; 177; 186. A

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jekt, d. i. ohne Unterschied des Zustandes des Subjekts, verbunden« sind, von denen, die »bloß in der Wahrnehmung (so oft sie auch wiederholt sein mag) beisammen hsindi«, KRV B 142. An einer anderen Stelle weist er noch auf eine ›von der Erfahrung erborgte Synthesis‹ als eine der beiden Mglichkeiten hin, die einem »Begriff, der eine Synthesis in sich faßt« (KRV A 220/B 267), einen Inhalt zu geben vermag. 66 Selbst wenn man den ußerungen der Vorlesungen keine allzu große Autoritt fr die Interpretation der Gedanken der ersten Kritik beimessen mchte, so finden sich daher doch auch in diesem Werk wenigstens einige explizite Bemerkungen, die darauf hindeuten, daß Kant, entgegen dem Wortlaut der oben zitierten Behauptung, nicht wirklich der Meinung ist, alle Verbindungen seien von uns ›hergestellt‹. 67 Doch wie ist seine ußerung dann zu verstehen? Das Zitat drckt, denke ich, einen Gedanken aus, der eigentlich nur eines kurzen Zusatzes bedurft htte, um zu dem gerade erwhnten Mißverstndnis keinen Anlaß zu geben. Die Verbindungen, um die es hier geht, sind, wie der Kontext deutlich macht, eben nicht unqualifiziert ›alle Verbindungen‹, sondern ›alle Verbindungen, die wir (durch einen Akt der produktiven Einbildungskraft als Funktion des Verstandes) herstellen‹. Hier hilft ein kurzer Blick auf die Terminologie. Kant kennzeichnet die Elemente, Handlungen oder Vermgen, die notHoppe formuliert das Problem, das sich hier stellt, im Rckgriff auf Kants Unterscheidung von ›Wahrnehmungs-‹ und ›Erfahrungsurteilen‹ : »Wenn alle Verbindungen von Vorstellungen nur nach Assoziationsgesetzen erfolgten, knnte es deshalb, wie Kant sagt, nur ›Wahrnehmungsurteile‹ geben, d. h. Aussagen letztlich nur ber uns und unsere subjektiven Zustnde, nicht jedoch Erfahrung und ›Erfahrungsurteile‹ als Aussagen ber die Gegenstnde und die an ihnen anzutreffenden objektiven Verhltnisse«, Hoppe (1983) 29; vgl. 31; 115 ff. 67 Ausfhrlicher diskutiert Kant dieses Thema auch im Hinblick auf die Urteilskraft in der Einleitung zur dritten Kritik. 66

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wendige Voraussetzungen unserer Erkenntnis sind, oft mit dem Zusatz ›transzendental‹. 68 Die fragliche Behauptung bezge sich also in Kants Begriffen auf die Verbindungen der Einbildungskraft als eines transzendentalen Vermgens. Der Gedanke, der dann an dieser Stelle zum Ausdruck kommt, ist, daß unser Erkenntnisvermgen sich in aktiver und strukturgebender Weise auf die Daten der Sinne beziehen muß damit etwas berhaupt »als im Objekt verbunden« vorgestellt werden kann. Dies macht nicht nur den zweiten Teil des Zitates verstndlich, sondern deutet auch bereits die Richtung an, die die Auflsung des empiristischen Problems der Assoziation bei Kant nehmen wird. 69 Die Errterung der Rolle der Einbildungskraft fr den empirischen Assoziationsvorgang tritt in der zweiten Auflage hinter die Untersuchung ihrer transzendentalen Aspekte zurck. Also ist es konsequent, daß Kant ein Verstndnis dieses Vermgens als Voraussetzung jeder Erkenntnis stillschweigend unterstellt, wenn er davon spricht, daß »alle Verbindung … nur vom Subjekte selbst verrichtet werden kann«. Dennoch: problematisch ist diese ußerung nicht nur deshalb, weil sie Anlaß zu interpretatorischen Mißverstndnissen gibt, sondern auch deshalb, weil die Beschrnkung der Diskussion auf transzendentale Aspekte suggeriert, das Verbindungsproblem knne als ein ausschließlich transzendentalphilosophisches behandelt werden und habe keine ›empirische‹ Seite. Der Eindruck, dies sei der Fall, verstrkt sich noch, wenn Kant in der zweiten Version der transzendentalen Deduktion behauptet: Diesen Ausdruck fhrt er bereits in der Einleitung ein. Dort spezifiziert er, im Hinblick auf Erkenntnis: »Ich nenne alle Erkenntnis t r a n s z e n d e n t a l , die sich nicht so wohl mit Gegenstnden, sondern mit unserer Erkenntnisart [A: unsern Begriffen a priori] von Gegenstnden, [B: so fern diese a priori mglich sein soll,] berhaupt beschftigt«, KRV A 11 f./B 25. 69 S. auch Hoppe (1983) 118 f. 68

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»so ist die Einbildungskraft … ein Vermgen, die Sinnlichkeit a priori zu bestimmen, und ihre Synthesis der Anschauungen, d e n K a t e g o r i e n g e m  ß , muß die transzendentale Synthesis der E i n b i l d u n g s k r a f t sein, welches eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste Anwendung desselben (…) auf Gegenstnde der uns mglichen Anschauung ist«, KRV B 152.

Andererseits unterscheidet er unmittelbar im Anschluß an diese Stelle die transzendentale von der reproduktiven Einbildungskraft. Die transzendentale Einbildungskraft qualifiziert er, anhand des bereits aus den Vorlesungsmitschriften bekannten Kriteriums, umgehend als spontanes und produktives Vermgen, von der reproduktiven Einbildungskraft stellt er fest, ihre Synthesis sei »lediglich empirischen Gesetzen, nmlich denen der Assoziation, unterworfen« (KRV B 152) – nicht ohne wiederum sofort darauf hinzuweisen, daß dieser Aspekt fr sein Vorhaben irrelevant sei, weil er »zur Erklrung der Mglichkeit der Erkenntnis a priori nichts beitrgt, und um deswillen nicht in die Transzendentalphilosophie, sondern in die Psychologie gehrt«, KRV B 152.

Nach dem bisher Gesagten drfte deutlich sein, daß dies eine der Sache nach fragwrdige Behauptung ist. Sie scheint erneut von dem Bedrfnis getragen zu sein, vermeintlich ›psychologische‹ Momente in der B-Auflage zurckzunehmen. Doch wenn es darum geht, nachzuweisen, wie sich die ›gegebenen‹ Verbindungen, die wir zwischen den Gegenstnden der Erfahrung annehmen, zu den ›gemachten‹ Verbindungen verhalten, die die transzendentale Einbildungskraft als Voraussetzung jeder Erfahrungserkenntnis herstellen muß, ist sie kontraproduktiv. In der Terminologie der Vermgenstheorie: Wie lßt sich ermitteln, wie sich ›oberes‹ und ›unteres‹ Erkenntnisvermgen, oder deren jeweilige Vorstellungen, aufeinander beziehen, wenn die vermeintlich ›psychologische‹ Frage der empirischen Assoziation in der zweiten Auflage konsequent ausgeklammert wird? 80

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2.2.2 Die Theorie von 1781 Im Gegensatz zu der bereits programmatisch (und auch in der Durchfhrung) eingeschrnkten Perspektive der B-Version ist die erste Auflage um einiges ausfhrlicher. Wie erwhnt, konzipiert Kant die Einbildungskraft hier als ein eigenstndiges Vermgen und verbindet dies mit der These, sie stelle die Verbindung zwischen Verstand und Sinnlichkeit her. So heißt es in der Deduktion von 1781: »Wir haben also eine reine Einbildungskraft, als ein Grundvermgen der menschlichen Seele, das aller Erkenntnis a priori zum Grunde liegt. Vermittelst deren bringen wir das Mannigfaltige der Anschauung einerseits, und mit der Bedingung der notwendigen Einheit der reinen Apperzeption andererseits in Verbindung. Beide ußerste Enden, nmlich Sinnlichkeit und Verstand, mssen vermittelst dieser transzendentalen Funktion der Einbildungskraft notwendig zusammenhngen; weil jene sonst zwar Erscheinungen, aber keine Gegenstnde eines empirischen Erkenntnisses, mithin keine Erfahrung geben wrden«, KRV A 124.

Auch wenn dieser Ansatz fr eine Interpretation der Einbildungskraft prima facie fruchtbarer scheint – um so mehr als Kant in der ersten Auflage auch ihre verschiedenen Verbindungsleistungen unter den berschriften ›Apprehension‹, ›Reproduktion‹ und ›Rekognition‹ eigens diskutiert (s. u. S. 111–116) –, ist die Version von 1781 ebenfalls nicht ohne Schwierigkeiten. Ein grundstzliches Problem besteht darin, daß Kant, wie erwhnt, einerseits ausdrcklich behauptet, es gebe zwei ›Quellen‹ oder ›Stmme‹ unserer Vorstellungen (beziehungsweise unserer Erkenntnis), andererseits mit der Einbildungskraft ein eigenstndiges drittes Erkenntnisvermgen einfhrt. Ein prominenter Versuch, diese Inkonsistenz aufzulsen, besteht darin, die Einbildungskraft unter Berufung auf ußerungen der Einleitung und der Methodenlehre, als die ›geA

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meinschaftliche‹ oder ›allgemeine Wurzel‹ (s. KRV A 15/B 29; A 835/B 863) der beiden Stmme Verstand und Sinnlichkeit zu interpretieren, 70 die sich »teilt und zwei Stmme auswirft, deren einer Ve r n u n f t ist«, KRV A 835/B 863. Dieser Vorschlag Martin Heideggers wrde sie zu einem eher undurchsichtigen Vermgen im Hintergrund machen – was durchaus eine gewisse Textevidenz fr sich in Anspruch nehmen kann; denn ausdrcklich charakterisiert Kant ihre ›schematisierende‹ Ttigkeit als eine »verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten … werden«, KRV A 141/B180 f. Heideggers Interpretation hat zudem den Vorteil, daß sich die Zweiteilung der Erkenntnisquellen durch den Hinweis aufrecht erhalten ließe, es handele sich bei der Einbildungskraft eben um ein Erkenntnisvermgen auf einer anderen Stufe als Verstand und Sinnlichkeit, so daß sie an den Stellen, an denen es um ein Wissen erster Ordnung ginge, nicht genannt wird, obwohl sie im Kontext unserer Erkenntnis insgesamt einschlgig ist. Den Vorteilen dieser Interpretation stehen aber wenigstens zwei entscheidende Nachteile gegenber. Erstens ist in den beiden Abschnitten, in denen es um die unbekannte ›gemeinsame Wurzel‹ von Sinnlichkeit und Verstand geht, keine Rede davon, daß diese gemeinsame Wurzel die Einbildungskraft ist, ja sie erscheint nicht einmal im weiteren Umfeld der jeweiligen ußerungen. Zweitens stehen einem solchen Verstndnis ausdrckliche Bemerkungen an anderen Stellen des Kantischen Oeuvres entgegen. So heißt es bereits in L1: »Allein das ist eine ganz andere Frage: ob wir vermgend sind, alle Handlungen der Seele, und die verschiedenen Krfte und Vermgen derselben, aus Einer Grundkraft herzuleiten? Dieses sind wir auf keine Weise im Stande; denn wir knnen ja nicht Wirkungen, die von einander wirklich verschieden sind, aus Einer Grundkraft herleiten; 70

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S. Heidegger, KPM, bes. 130 ff.

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z. E. die bewegende Kraft und die Erkenntnißkraft knnen unmglich aus Einer Kraft hergeleitet werden; denn die Ursache der einen Kraft ist anders, als die der andern«, L1 AA 28.1.262.

Und diese Ansicht ndert sich auch spter nicht grundlegend. Denn noch in der verffentlichten Version der Anthropologievorlesung von 1798 bemerkt Kant: »Verstand und Sinnlichkeit verschwistern sich bei ihrer Ungleichartigkeit doch so von selbst zu Bewirkung unserer Erkenntniß, als wenn eine von der anderen, oder beide von einem gemeinschaftlichen Stamme ihren Ursprung htten; welches doch nicht sein kann, wenigstens fr uns unbegreiflich ist, wie das Ungleichartige aus einer und derselben Wurzel entsprossen sein knne«. 71

Wenn Kant also den Gedanken einer ›gemeinsamen Wurzel‹ von Sinnlichkeit und Verstand erwogen hat, so nur um ihn letztlich zu verwerfen. Und außerdem deutet nichts darauf hin, daß er in diesem Zusammenhang an die Einbildungskraft gedacht htte. Kurz: die Diskrepanz der Kantischen ußerungen lßt sich nicht in der von Heidegger vorgeschlagenen Weise im Einklang mit dem Text auflsen. Man muß wohl feststellen, daß an dieser Stelle eine Inkonsistenz vorliegt, die eine Folge der Adaptation der traditionellen Vermgenstheorie mit ihrer Unterscheidung von ›unteren‹ und ›oberen‹ Erkenntnisvermgen ist. Anthr. (1798) AA 7.177; vgl. auch Mrchen (1930) 11. Heidegger versucht diesem Einwand dadurch zu entgehen, daß er die Einbildungskraft nicht als eine ›Grundkraft‹ faßt – »Aber so wenig die transzendentale Einbildungskraft deshalb, weil sie als Wurzel ›bildet‹, selbst nur ein Eingebildetes ist, so wenig wird sie auch als ›Grundkraft‹ in der Seele gedacht werden knnen« (Heidegger KPM 134) –, sondern als Bezeichnung fr eine Menge verschiedener, letztlich nicht wirklich aufzuklrender Funktionen. Er charakterisiert die Ttigkeit der Einbildungskraft auch als eine »vielgestaltige Handlung, die in ihrem Handlungscharakter sowohl als auch in der Vielgliedrigkeit ihres Einigens dunkel bleibt«, Heidegger KPM 61. Inwiefern dies dem Verstndnis hilft, sei dahingestellt. 71

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2.3 Die Konstitution von Gegenstnden Dennoch ist Heideggers Ansatz aus einem anderen Grund einen zweiten Blick wert. Denn er macht auf einen Punkt aufmerksam, der in antipsychologistischen Interpretationen der ersten Kritik und in solchen, die die erste Kritik vorwiegend oder ausschließlich als ein Werk zur Erkenntnistheorie betrachten, kaum Bercksichtigung findet. Damit sein Vorschlag eine gewisse Plausibilitt erlangen kann, ist Heidegger nmlich darauf angewiesen, das zentrale Beweisziel der ersten Kritik in einer Weise zu formulieren, die die verbindende Funktion der transzendentalen Einbildungskraft als die eine berragende Frage des Werkes erscheinen lßt (deren Beantwortung einem Vermgen angemessen ist, das als die ›gemeinschaftliche Wurzel‹ von Verstand und Sinnlichkeit ausgewiesen werden soll). Entsprechend interpretiert er die Kantische Frage nach der ›Mglichkeit der Erfahrung‹ als die Frage danach, wie wir uns berhaupt auf Gegenstnde – und nicht nur auf unverbundene Daten – beziehen knnen: »Mglichkeit der Erfahrung ist demnach gleichbedeutend mit Transzendenz. Diese in ihrer vollen Wesensganzheit umschreiben heißt: ›die Bedingungen der Mglichkeit der Erfahrung‹ bestimmen. ›Erfahrung‹, verstanden als Erfahren im Unterschied von Erfahrenem, ist hinnehmendes Anschauen. ›Einen Gegenstand geben‹ besagt: ihn ›unmittelbar in der Anschauung darstellen‹. Was heißt aber dieses? Kant antwortet: die ›Vorstellung [des Gegenstandes] auf Erfahrung (es sei wirkliche oder doch mgliche) beziehen‹. Dieses Beziehen aber will sagen: damit ein Gegenstand sich soll geben knnen, muß im vorhinein schon eine Zuwendung zu solchem geschehen sein, was ›herbeigerufen‹ werden kann. Dieses vorgngige Sichzuwenden zu … geschieht, wie die transzendentale Deduktion zeigte und der transzendentale Schematismus erklrte, in der ontologischen Synthesis. Dieses Sich-zuwenden zu … ist die Bedingung der Mglichkeit des Erfahrens«. 72 72

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Heidegger, KPM 113, vgl. 114 ff.

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Auch wenn die Gesamtinterpretation fragwrdig ist, hat Heidegger in diesem Punkt Recht: eine wichtige Frage Kants in der ersten Kritik ist in der Tat die Frage danach, wie wir uns auf Gegenstnde beziehen knnen. Und diese Frage stellt sich im Zusammenhang der Synthesisfunktionen der Einbildungskraft. Kant ist, anders als viele seiner Vorgnger, sptestens in der ersten Kritik nicht mehr der Meinung, der Bezug auf ›Gegenstnde‹ sei eine voraussetzungslose, rezeptive und unproblematische Angelegenheit: ›Gegenstnde‹ werden nicht einfach in der Wahrnehmung ›gegeben‹, sondern Vorstellungen von Gegenstnden werden ›gemacht‹. Ab 1781 ist dieser Punkt, anders als in den Vorlesungen der vorkritischen Zeit, deutlich prsent: um sich auf ›Gegenstnde‹ beziehen zu knnen, bedarf es immer schon einer aktiven Leistung des erkennenden Subjekts, 73 oder, in Heideggers Worten, eines ›Horizonts‹, Heidegger KPM 119. Zentrale Voraussetzung dafr, daß Vorstellungen von Gegenstnden berhaupt zu Stande kommen, ist, daß die in der Wahrnehmung ›gegebenen‹ disparaten Daten in systematischer Weise (und durch eine aktive Leistung des Erkenntnissubjekts) verbunden werden. Die Ausschließlichkeit, in der Heidegger dieser Frage nachgeht, fhrt dazu, daß er apodiktisch bestreitet, es handele sich bei dem Vorhaben der ersten Kritik wengistens auch um ein im klassischen Sinn erkenntnistheoretisches: »Die Kritik der reinen Vernunft hat mit ›Erkenntnistheorie‹ nichts zu schaffen«, Heidegger KPM 17. In seiner Einseitigkeit ist dies ebenso verfehlt, wie es diejenigen Anstze sind, die die vermeintlich psychologische Seite der ersten Kritik ausblenden und damit auch die Rolle der Einbildungskraft und die entsprechenden Fragen bergehen oder nur am Rande beachten. Verfehlt scheint aber ebenso die Bilanz, die Heidegger hinsichtlich der Vernderung der Konzeption der Einbildungskraft in der 73

Vgl. KRV A 120 Anm. 1. A

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zweiten Auflage zieht, wenn er feststellt, Kant sei »vor dieser unbekannten Wurzel zurckgewichen«, 74 oder ihm an anderer Stelle drastischer noch »metaphysische Angst« vor der transzendentalen Einbildungskraft unterstellt, die er folglich »aus seinem Werk auszumerzen versuchte«, Heidegger WW 269. Es war wohl weniger die »metaphysische Angst« vor dem »Radikalismus seines Fragens vor hdemi Abgrund« (Heidegger KPM 162), welche die nderungen der B-Auflage veranlaßte, sondern (unter anderem) das weit weniger spektakulre Anliegen, seine Theorie nicht aufgrund von (vermeintlichen) Psychologismen der Kritik auszusetzen, das Kant dazu veranlaßte, sein Werk in dieser Weise umzuarbeiten. Betrachtet man die Unterschiede und die entsprechenden Schwierigkeiten der ersten und der zweiten Auflage, so scheint es insgesamt geraten, das grßere Gewicht bei der Untersuchung der Theorie der Einbildungskraft in der Kritik der reinen Vernunft auf die ausfhrlichere Darstellung der ersten Auflage zu legen. Hier konzipiert Kant die Einbildungskraft als ein wichtiges und eigenstndiges Vermgen, das auf verschiedene zentrale Fragen eine Antwort geben soll. In der zweiten Auflage dagegen schrnkt er ihre Rolle und ihre Wichtigkeit ein, ohne daß sich die Fragen gendert htten, auf die sie in der ersten Auflage die Antwort geben sollte, und ohne daß er hier eine wirkliche Alternative fr ihre Beantwortung anbieten wrde. Fr die detaillierte Auseinandersetzung mit der Einbildungskraft der ersten Kritik ist es ntig, eine Vereinfachung aufzugeben, die bisher vorgenommen wurde, und auf die Unterscheidungen zurckzugreifen, die programmatisch im Anschluß an die Diskussion der Vorlesungsmitschriften vor 1781 formuliert worden waren. Denn ›Verbindung‹, die zentrale Ttigkeit der Einbildungskraft in Kants erkenntnistheoretischem 74

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Heidegger KPM 154; vgl. 162.

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Hauptwerk, ist nur die berschrift, unter der sich ihre wichtigsten Leistungen zusammenfassen lassen. Bei genauerer Betrachtung geht es, wie oben bereits deutlich wurde, dabei um drei große Bereiche, die anhand der jeweiligen Fragen, auf die die Theorie der Einbildungskraft eine Antwort geben soll, bestimmt werden knnen, nmlich: 1. Wie verbindet die Einbildungskraft die disparaten Daten der Sinne zu Vorstellungen von Gegenstnden? 2. Wie stellt die Einbildungskraft Verbindungen zwischen unterschiedlichen Vorstellungen her? Und: 3. Wie sind oberes und unteres Erkenntnisvermgen durch die Einbildungskraft miteinander verbunden? Kants Antworten auf diese Fragen finden sich, wie schon erwhnt, an den Stellen der ersten Kritik, die allgemein als die zentralen Abschnitte des gesamten Werkes gelten: im Deduktionskapitel, besonders der ersten Auflage (weniger pointiert und aus den genannten Grnden mit anderer Gewichtung auch in der zweiten) und im Schematismuskapitel. Einigkeit darber, welches der beiden Kapitel das wichtigere sei, besteht, wenig berraschend, nicht. 75 Ebensowenig besteht bereinDie Haltung in diesem Punkt hngt davon ab, wie das Beweisziel der ersten Kritik und der jeweiligen Abschnitte bestimmt wird. So besteht fr Heidegger, aufgrund seiner Interpretationsabsicht kein Zweifel daran, daß das Schematismuskapitel fr das Vorhaben Kants zentraler sei als die Deduktion. Er stellt fest, »daß diese elf Seiten der Kritik der reinen Vernunft das Kernstck des ganzen umfangreichen Werkes ausmachen«, Heidegger KPM 68. Aus vllig anderen Grnden luft ein neuerer Ansatz von Gerhard Seel auf eine hnliche Bewertung hinaus. Denn wenn das Fazit seiner berlegungen zutrifft, »daß eine berzeugende Lsung des Anwendungsproblems him Schematismuskapiteli die transzendentale Deduktion berflssig machen wrde« (Seel, 1998: 245), so wre das Schematismuskapitel tatschlich wichtiger fr den Beweisgang als die Deduktion. Kant selbst war der Meinung, daß dieser Abschnitt auf jeden Fall zu den zentralen seines Werkes gehrt, wie er in einer in diesem Zusammenhang hufig zitierten ußerung aus dem Handschriftli-

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stimmung darber, worum es Kant hier eigentlich geht. Patricia Kitcher faßt, nicht zu unrecht, eine weitverbreitete Haltung in der jngeren Literatur folgendermaßen zusammen: »This chapter evokes the same incoherent mixture of reverence and disdain among Kant scholars that the Critical philosophy as a whole evokes among nonspecialists. It [the Deduction] is widely regarded as (1) the philosophical heart of the book; (2) difficult to the point of being unintelligible; and (3) utterly barren of plausible or interesting philosophical positions or arguments. Not surprisingly, commitments to (2) and (3) have led more tough-minded Kantians to doubt the viability of (1)«, Kitcher (1990) 61.

Diese Diagnose gilt sicher fr weite Teile der analytisch geprgten Auseinandersetzung mit dem Deduktionskapitel besonders im angelschsischen Raum (die kontinentaleuropische Kant-Rezeption ist vor allem im Hinblick auf die dritte Behauptung deutlich zurckhaltender). hnlich lßt sich wohl auch die verbreitete Haltung gegenber dem Schematismuskapitel charakterisieren. Vor einem solchen Hintergrund kann es offensichtlich nicht das Ziel sein, eine auch nur annhernd vollstndige Gesamtinterpretation der entsprechenden Textstellen zu unternehmen. Vielmehr soll versucht werden, die wichtigen Gedanken im Hinblick auf die Einbildungskraft anhand der oben gestellten Fragen wenigstens insoweit darzustellen, daß die argumentativen Lasten, die dieses Vermgen in Kants erkenntnistheoretischem Hauptwerk (besonders in der ersten Auflage) trgt, deutlich werden. Ebenso wird versucht nachzuvollziehen, in welcher Weise die bereits aus der vorkritischen Diskussion bekannte Auseinandersetchen Nachlaß feststellt. Dort heißt es: »berhaupt ist der Schematismus einer der schwierigsten Punkte. – Selbst Hr. Beck kann sich nicht darein finden. Ich halte das Capitel fr eines der wichtigsten«, R 6359 AA 18.686. Die verbreitetere Meinung scheint zur Zeit aber zu sein, daß dem Deduktionskapitel fr den Argumentationsgang der ersten Kritik ein grßeres Gewicht zukommt.

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zung mit der empiristischen Assoziationspsychologie unter den vernderten Rahmenbedingungen die Ausfhrungen der ersten Kritik beeinflußt. Die Frage danach, wie aus unverbundenen Sinnesdaten Vorstellungen von Gegenstnden werden knnen, stellt Kant prominent im bergang zur Transzendentalen Deduktion der Kategorien. In einem Passus, der beiden Auflagen noch gemeinsam ist, schreibt er: »Nun frgt es sich, ob nicht auch Begriffe apriori vorausgehen, als Bedingungen, unter denen allein etwas, wenngleich nicht angeschauet, dennoch als Gegenstand berhaupt gedacht wird, denn alsdenn ist alle empirische Erkenntnis der Gegenstnde solchen Begriffen notwendiger Weise gemß, weil ohne deren Voraussetzung, nichts als O b j e k t d e r E r f a h r u n g mglich ist«, KRV A 93/B 125 f.

Auffllig an dieser Formulierung ist, daß Kant auch im zweiten Teil des Zitats von Gegenstnden beziehungsweise von einem Objekt spricht: gilt es denn nicht erst zu zeigen, was hier vorausgesetzt wird? Sollte »empirische Erkenntnis« einen Gegenstandsbegriff als gegeben annehmen drfen und nicht mit unverbundenen Sinnesdaten beginnen mssen, erbrigte sich doch wohl der Nachweis, daß eine Interpretation empirischer Daten als Gegenstnde Begriffe voraussetzt, die nicht im Rckgriff auf Erfahrung zu rechtfertigen sind. 76 Die Schwierigkeit an dieser Stelle lßt sich entschrfen, wenn man sich Dieses grundlegende sprachliche Dilemma begleitet seine Formulierungen bereits seit Beginn der Einleitung. So heißt es schon im ersten Satz – in dem er die anschließende wichtige These vorbereitet, alle Erkenntnis hebe zwar mit der Erfahrung an, ›entspringe‹ deshalb aber nicht zwangslufig aus ihr (KRV B 1) – in einer rhetorischen Frage: »wodurch sollte das Erkenntnisvermgen sonst zur Ausbung erweckt werden, geschhe es nicht durch Gegenstnde der Erfahrung«, KRV B 1; meine Hervorhebung. Die erste Auflage spricht zwar zunchst parallel noch zurckhaltender nur davon, daß unser Verstand den »rohen Stoff sinnlicher Empfindung bearbeitet« wodurch »Erfahrung« erzeugt wird

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das allgemeine Vorgehen Kants vergegenwrtigt; denn er »gehrt nicht zu den Erkenntnistheoretikern, die unsere Gegenstandswelt aus atomistischen Empfindungen aufbauen wollen. Er versucht, von der voll entwickelten Erfahrungserkenntnis rckwrts die Faktoren zu erschließen, die an ihrem Zustandekommen beteiligt sein mssen«, Patzig (1988) 29. Der Gegenstandsbegriff wird also in dieser Perspektive solange unter Vorbehalt verwendet, bis ber die Frage entschieden ist, ob jedes Wissen von Gegenstnden tatschlich bereits unter bestimmten nicht-empirischen Voraussetzungen steht. Sowohl in der ersten als auch in der zweiten Version des Deduktionskapitels macht Kant auf die Verbindung der oben gestellten Frage mit der Einbildungskraft aufmerksam. In dem ausfhrlicheren Text der ersten Auflage weist er nachdrcklich darauf hin, es sei Aufgabe »einer unmittelbar an der Wahrnehmung ausgebtehni Handlung« der Einbildungskraft, die Verbindung verschiedener Sinnesdaten, die »im Gemte an sich zerstreuet und einzeln angetroffen werden«, herzustellen, und darauf, daß eine Verbindung nicht »in dem Sinne selbst« geschehen knne (KRV A 120); in B stellt er fest: »die Ve r b i n d u n g (conjunctio) eines Mannigfaltigen berhaupt, kann niemals durch die Sinne in uns kommen … sie ist ein Actus der Vorstellungskraft … eine Verstandeshandlung«, KRV B 129 f. Der Schluß, den er daraus zieht, nmlich, daß »die Einbildungskraft ein notwendiges Ingredienz der Wahrnehmung sei«, 77 kommt deshalb nicht sonderlich berraschend. Sie soll »das Mannigfaltige der Anschauung in ein B i l d bringen«, KRV A 120. Wie sich dies im einzelnen ab-

(KRV A 1), anschließend ist aber auch hier die Rede von »Gegenstnden, die den Sinnen erscheinen«, KRV A 2; vgl. auch Patzig (1988) 57. 77 KRV A 120 Anm. 1. ›Wahrnehmung‹ charakterisiert er an dieser Stelle als eine mit ›Bewußtsein‹ verbundene ›Erscheinung‹, s. auch KRV A 120.

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spielt, entwickelt er allerdings nicht an dieser Stelle, sondern spter im Schematismus der reinen Verstandesbegriffe (s. u.). Der zentrale Grund dafr, daß die Verbindung von Daten zu Vorstellungen von Gegenstnden (genauso wie auch die Verbindung von Vorstellungen untereinander) auf nicht-empirischen Verbindungen beruhen muß, ergibt sich fr Kant dabei aus der Auseinandersetzung mit der empiristischen Assoziationstheorie: das Beweisziel, gegen Hume einen Begriff von empirischer Erkenntnis zu etablieren, der auf einer Grundlage ruht, die nicht nur induktiv ist – denn dazu fhrt die Behauptung, Assoziation entstnde durch die (kontingente) Wiederholung von (kontingenten) Wahrnehmungszusammenhngen –, lßt sich nur dann erreichen, wenn auch empirische Verbindungen ein Element der Notwendigkeit enthalten (das wir nachweisen und erkennen knnen). Wie erwhnt, war Kant dem skeptischen Einwand entgegengekommen. Mit der Unterscheidung von ›Erscheinung‹ und ›Ding an sich‹ hatte er zugestanden, daß die Frage nach unserer Erkenntnis als die Frage nach einer ›absoluten‹ Wahrheit in der Tat nicht zu beantworten sei. Seine Konsequenz bestand in der Beschrnkung des uns mglichen Wissens auf das, was wir unter den kognitiven und perzeptiven Voraussetzungen, unter denen wir de facto stehen, zu erkennen in der Lage sind. Doch wie lßt sich dann behaupten, daß es bestimmte Verbindungen der Erfahrungswelt gibt, die erstens mit Notwendigkeit gelten und von denen wir dies, zweitens, nachweisen knnen? Kants Antwort ist ebenso ingenis wie sie in ihren Details verwickelt ist: eben weil diese Notwendigkeit ihren Grund in der Beschaffenheit unseres Erkenntnisvermgens hat. Wissen ist nur dann mglich, wenn bestimmte formale Voraussetzungen erfllt sind. Und diese liegen »insgesamt im Gemte a priori bereit« (KRV A 20/B 34), wie Kant bereits zu Beginn seiner Untersuchung festgestellt hatte. Dieser Gedanke ist zentral fr den gesamten Gedankengang der ersten KriA

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tik. 78 Anders als David Hume, dessen Explikation menschlicher Erkenntnis sich in diesem entscheidenden Punkt auf natrliche, nicht nher zu ergrndende ›principles of association‹ beruft, welche die Ausbildung von Assoziationsgewohnheiten regulieren sollen, unternimmt Kant den Versuch, die Voraussetzungen unseres Wissens im Einzelnen darzulegen. Er versucht nachzuweisen, daß es sich bei den grundlegenden Annahmen eben nicht um unergrndliche Prinzipien handelt, die einen psychologischen Zwang ausben, sondern um logische oder ›formale‹ Voraussetzungen jeder Konzeption von Wissen, die genauer untersucht werden knnen. Auch wenn das Argument hier nicht im Einzelnen dargestellt werden kann, so lassen sich doch die Konsequenzen feststellen, die Kants Ansatz fr die Leistungen der transzendentalen Einbildungskraft hat: sie muß die disparaten Daten der Sinne nach bestimmten Regeln, die aller Erfahrung vorhergehen (eben weil sie diese erst ermglichen), zu Vorstellungen von Gegenstnden verbinden: »Einheit der Synthesis nach empirischen Begriffen wrde ganz zufllig sein und, grndeten diese sich nicht auf einen transzendentalen Grund der Einheit, so wrde es mglich sein, daß ein Gewhle von Erscheinungen unsere Seele anfllete, ohne daß doch daraus jemals Erfahrung werde knnte. Alsdenn fiele aber auch alle Beziehung der Erkenntnis auf Gegenstnde weg, weil ihr die Verknpfung nach allgemeinen und notwendigen Gesetzen mangelte, mithin wrde sie zwar gedankenlose Anschauung, aber niemals Erkenntnis, also fr uns so viel als gar nichts sein«, KRV A 111.

In diesem Sinn bringt die produktive Ttigkeit der transzendentalen Einbildungskraft die Vorstellungen empirischer GeVgl. KRV A 113 f.; 125 f.; und Strawsons polemische, aber durchaus zutreffende Formulierung: »if the Critique as a whole has a single governing idea, it is that the existence of a priori necessities in the austere sense is explicable only by the thesis, that such necessities reflect nothing but features of our cognitive constitution«, Strawson (1966) 65. 78

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genstnde also tatschlich hervor. Gegenstnde kann es fr Kant »ohne Einwirkung der Formen und Funktionen der reinen Anschauung und des reinen Denkens nicht geben … : Dieses ›als Gegenstand erkennen‹ ist also ein sehr besonderes Erkennen. Es ist ein gleichsam zeugendes Erkennen, weil das Erkannte durch das Erkennen berhaupt erst hervorgebracht wird. So wie ein Schmerz erst dadurch Schmerz wird, daß er gefhlt wird, so wird ein Gegenstand nach Kant erst dadurch Gegenstand, daß er als solcher ›erkannt‹ wird«. 79

Bei einer solchen Konzeption der Verbindung von Daten zu Vorstellungen von Gegenstnden als produktive Leistung des erkennenden Subjekts drngt sich, besonders angesichts der vorkritischen Ausfhrungen, erneut eine Schwierigkeit in den Vordergrund, die oben bereits kurz verhandelt wurde: denn auch wenn auf diese Weise ihr Notwendigkeitscharakter nachgewiesen werden kann, so fragt sich auch hier, ob dies nicht um den Preis der Suspendierung ihres Bezugs auf empirische Gegebenheiten geschieht. Die Verbindungen, die wir herstellen, mgen notwendige Voraussetzungen jeden Bezugs auf eine Außenwelt sein, notwendige Bedingungen unserer Erkenntnis sind sie erst dann, wenn sichergestellt ist, daß sie den Gegebenheiten und Verhltnissen der extramentalen Welt in irgendeiner Weise angemessen sind, so daß die Funktion extramentaler Gegebenheiten nicht allein darin besteht, unser Erkenntnisvermgen berhaupt zu einer Ttigkeit zu veranlassen. Eine Antwort im Sinne Kants hat mehrere Aspekte, die die unterschiedlichen Verbindungsleistungen der Einbildungskraft betreffen. So argumentiert er im Fall der Verbindung von Patzig (1988) 58. Diese These plausibel zu machen, ist ein Ziel der Transzendentalen Deduktion der Kategorien. Vgl. auch Kants bekanntes Diktum, »die Bedingungen der M  g l i c h k e i t d e r E r f a h r u n g berhaupt hseieni zugleich Bedingungen der M  g l i c h k e i t d e r G e g e n s t  n d e d e r E r f a h r u n g«, KRV A 158/B 197; und Carl (1992) 58.

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Vorstellungen bekanntlich dafr, daß das Kausalittsprinzip eine solche Verbindung ist, die mit Notwendigkeit allgemein fr alle Verbindungen der empirischen Welt gilt. Selbst wenn einzelne Verbindungen zwischen empirischen Gegenstnden kontingent sind, so knnen sie nicht anders als unter dem Gesetz von Ursache und Wirkung stattfinden. Am deutlichsten formuliert den entsprechenden Unterschied wohl eine Stelle der transzendentalen Methodenlehre, an der er sich ausdrcklich mit David Hume und dessen »skeptischen Verirrungen« auseinandersetzt. Anhand eines Beispiels macht Kant dort deutlich, wie die von der transzendentalen Einbildungskraft hergestellte notwendige Verbindung der Kausalitt den Rahmen abgibt, innerhalb dessen sich die kontingenten Verbindungen der Welt der Erscheinungen im Einzelfall artikulieren: »Wenn also vorher festgewesenes Wachs schmilzt, so kann ich a priori erkennen, daß etwas vorausgegangen sein msse, (z. B. Sonnenwrme,) worauf dieses nach einem bestndigen Gesetze gefolgt ist, ob ich zwar, ohne Erfahrung, aus der Wirkung weder die Ursache, noch aus der Ursache die Wirkung, a priori und ohne Belehrung der Erfahrung b e s t i m m t erkennen knnte. Er hHumei schloß also flschlich aus der Zuflligkeit unserer Bestimmung n a c h d e m G e s e t z e , auf die Zuflligkeit d e s G e s e t z e s selbst, und das Herausgehen aus dem Begriffe eines Dinges auf mgliche Erfahrung (welches a priori geschieht und die objektive Realitt desselben ausmacht,) verwechselte er mit der Synthesis der Gegenstnde wirklicher Erfahrung, welche freilich jederzeit empirisch ist; dadurch machte er aber aus einem Prinzip der Affinitt, welches im Verstande seinen Sitz hat, und notwendige Verknpfung aussagt, eine Regel der Assoziation, die bloß in der nachbildenden Einbildungskraft angetroffen wird, und nur zufllige, gar nicht objektive Verbindungen darstellen kann«, KRV A 766 f./B 794 f.

Doch nicht nur im Fall der Verbindung von Vorstellungen, sondern auch im Hinblick auf die Verbindungen von Daten zu Vorstellungen von Gegenstnden gibt Kant zumindest einen Hinweis, wenn er von einer empirischen »A f f i n i t  t 94

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des Mannigfaltigen« spricht. Er stellt fest: »Der Grund der Mglichkeit der Assoziation des Mannigfaltigen, so fern er im Objekte liegt, heißt die A f f i n i t  t des Mannigfaltigen«, KRV A 113. Diese ußerung steht zwar ebenfalls im Zusammenhang einer Diskussion der ›empirischen Regeln der Assoziation‹, und es geht damit auch an dieser Stelle in erster Linie um die Verbindung von Vorstellungen untereinander, dennoch gibt es keinen Grund, warum sie sich nicht auf die Verbindung von Daten zu Vorstellungen von Gegenstnden beziehen kann. Eine Schwierigkeit besteht allerdings darin, daß Kant nicht nher ausfhrt, was er mit ›Affinitt‹ meint. Nimmt man an, daß er mit diesem Ausdruck etwas hnliches vor Augen hat wie David Hume, wenn dieser von rumlicher und zeitlicher Nachbarschaft (contiguity) spricht, lautete die Behauptung: auch die Verbindung von Daten zu Vorstellungen von Gegenstnden ist nicht beliebig und geschieht nicht ohne Rcksicht auf die Verhltnisse in der Welt. Im Gegenteil, sie orientiert sich an denjenigen Verhltnissen, von denen Kant in der transzendentalen sthetik nachzuweisen versucht, daß sie (als ›apriorische Formen der Anschauung‹) notwendige Voraussetzung eines jeden Bezugs unseres Erkenntnisvermgens auf extramentale Inhalte sind. Eine Verbindung von Daten zu Vorstellungen von Gegenstnden unter diesen Gesichtspunkten wrde bercksichtigen, daß jene auch außerhalb unseres Erkenntnisvermgens zueinander in Beziehung stehen, daß sie »assoziabel« sind. 80 Es berrascht nicht sonderlich, daß Kant auch an dieser Stelle umgehend darauf aufmerksam macht, daß die ›empirische Affinitt‹, so wie jeder Bezug auf Erfahrung in epistemischer Absicht, unter nicht-empirischen Voraussetzungen steht und wiederum die »bloße Folge« einer »t r a n s z e n d e n t a l e n A f f i n i t  t « ist, KRV A 114. Unterstellt man, 80

KRV A 122; vgl. Hoppe (1983) 102. A

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daß mit ›Affinitt‹ tatschlich eine rumliche und zeitliche Nhe im Wahrnehmungsprozeß gemeint ist, dann ist diese Behauptung im Rahmen seiner Theorie unproblematisch, da Raum und Zeit fr Kant zu den notwendigen Voraussetzungen gehren, unter denen der Bezug auf eine extramentale Welt berhaupt erst stattfinden kann. Wre die ›empirische Affinitt‹ andererseits keine bloße Folge einer ›transzendentalen Affinitt‹, dann mßte eine Verbindung von Daten auf ihrer Grundlage nur ›subjektiv‹ sein, es wrde, wie bei der empirischen Verbindung von Vorstellungen, »daraus keine andere, als bloß zufllige Einheit gezogen werden knnen, die aber bei weitem an den notwendigen Zusammenhang nicht reicht, den man meint, wenn man Natur nennt«, KRV A 114. In welcher Weise die transzendentale Einbildungskraft »die Affinitt der Erscheinungen« mglich macht, »weil ohne sie gar keine Begriffe von Gegenstnden in eine Erfahrung zusammenfließen wrden« (KRV A 123), entwickelt Kant schließlich ausfhrlicher im Schematismuskapitel. Dort versucht er nachzuweisen, wie die nicht-empirischen Voraussetzungen, unter denen wir Daten erst als Gegenstnde interpretieren knnen, sich im Einzelnen auf Sinnesdaten beziehen, und unternimmt es darzulegen, in welcher Weise »die Synthesis der Einbildungskraft, obgleich a priori ausgebt, dennoch jederzeit sinnlich« wird, KRV A 124.

2.3.1 Das Schematismuskapitel Bedauerlicherweise ist dieses wichtige Kapitel der ersten Kritik nicht so »unvergleichlich durchsichtig gebaut«, wie Martin Heidegger behauptet, Heidegger KPM 109. Vielleicht ist es aber auch nicht ganz so undurchsichtig und widersprchlich, wie Gerhard Seel erst krzlich wieder betont hat, Seel (1998) 221. Zwar gesteht Kant selbst ein, daß dieser »Schematismus 96

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unseres Verstandes, in Ansehung der Erscheinungen und ihrer bloßen Form, … eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele histi, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augen legen werden« (KRV A 141/B180 f.); zwar hat er mit der Behauptung, hier »ein Verfahren« (KRV A 140/B 179) an die Hand zu geben, das es ermglicht, die Verbindung zwischen den erfahrungsfreien Bedingungen unseres Wissens und den zunchst unverbundenen Daten der Sinne herzustellen, der Interpretation in der Tat Rtsel aufgegeben. Dennoch lassen sich Kants Vorhaben und die Intention, die er mit diesem Abschnitt verfolgt, insoweit bestimmen, daß die in unserem Kontext wichtigen Gedanken deutlich werden. Irrefhrend ist der Vorschlag Jonathan Bennetts, nmlich anzunehmen, daß in diesem Kapitel versucht wird zu erklren, »how we are able to recognize, classify, describe«. 81 Das Problem, das Kant hier zu lsen hat, ist ein anderes. Es besteht darin, daß er bisher zwar dafr argumentiert hat, daß es Bedingungen gibt, unter denen alle Erkenntnis notwendig steht, und auch nher spezifiziert, welche es sind, diese Bedingungen von ihm aber ausdrcklich als erfahrungsfreie Voraussetzungen konzipiert wurden, fr die zwar bereits ausgemacht ist, daß sie sich auf die gegebenen Daten der Sinne beziehen mssen, fr die aber noch nicht gezeigt ist, wie sie mit diesen verbunden sind. Ebenso wenig hilfreich ist es auch, Kant in seiner Terminologie zu weit zu folgen und das Beweisziel des Schematismuskapitels in erster Linie als das Problem einer Verbindung von Vorstellungen zu formulieren, wie Seel es tut, wenn er ausfhrt, S. Bennett (1966) 143. Wenig berraschend stellt sich fr ihn deshalb das im Schematismuskapitel verhandelte Problem als »hopelessly confused« dar, Bennett (1966) 150.

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»Kants Lehre vom Schematismus ist im wesentlichen eine Bestimmung des Verhltnisses, das zwischen drei Typen von Vorstellungen besteht: den Kategorien, den transzendentalen Schemata und den in der Anschauung gegebenen Sinnesdaten. Dabei ist den Schemata die Funktion zugewiesen, zwischen den beiden brigen Vorstellungsarten zu vermitteln und so die Anwendung der ersten auf die letzte oder – wie Kant auch sagt – die Subsumption der letzten unter die erste zu ermglichen«, Seel (1998) 221 f.

Die Schwierigkeit mit einer solchen Darstellung des Themas des Schematismuskapitels, zu der Kants Terminologie zugegebener Maßen Anlaß gibt, ist, daß sie die Frage der Verbindung von zwei im Kern disparaten Elementen ber ein Drittes so formuliert, als ob hier eine gewisse Homogenitt des zu Verbindenden bereits deshalb vorausgesetzt werden kann, weil sowohl der verbindende Faktor als auch die zu verbindenden Elemente ›Vorstellungen‹ sind. Dadurch wird leicht der Blick darauf verstellt, daß es sich um sehr verschiedenartige Momente handelt, die miteinander in Beziehung treten sollen, nmlich (a) formale Voraussetzungen, die jedem Wissen zugrunde liegen, (b) unverbundene Daten, die durch die Sinne ›gegeben‹ sind 82 und (c) ein Verfahren, das es erlaubt (a) auf (b) zu beziehen. Darber hinaus kann diese Formulierung auch deshalb leicht in die Irre fhren, weil weder (a) noch (c), auch wenn sie terminologisch als ›Vorstellungen‹ auftreten, diese Bezeichnung wirklich verdienen. Kant macht wiederholt deutlich, daß es sich bei diesen Vorstellungen weniger um VorstelEs ist sicher kein Zufall, daß Kant im Schematismuskapitel von ›Erscheinung‹ (z. B. KRV A 138/B 177), also dem »unbestimmtehni Gegenstand einer empirischen Anschauung« (KRV A 20/B 34), und eben nicht von ›Anschauung‹ spricht. Seel ist dies nur eine Randbemerkung wert, wenn er ausfhrt »Kants Auflsung des Problems der Anwendung der reinen Verstandesbegriffe auf Anschauungen besteht darin, daß es eine diese Beziehung vermittelnde Vorstellung geben muß, die einerseits mit der Kategorie und andererseits auch mit der Anschauung (Kant sagt hier ›Erscheinung‹) gleichartig ist«, Seel (1998) 230.

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lungen mit (konkreten) Inhalten handelt, als um ›Regeln‹, ›Funktionen‹, oder (im Fall des Schematismus) eben um ein ›Verfahren‹, die es erlauben, Vorstellungsinhalte erst herzustellen. 83 Damit wrde eine Formulierung, die das Beweisziel des Schematismuskapitels als die Frage nach der Verbindung von drei verschiedenen Vorstellungen auffaßt, schon deshalb wenig hilfreich sein, weil es hier eigentlich darum geht zu zeigen, wie formale Voraussetzungen und gegebene Inhalte durch ein Verfahren systematisch aufeinander bezogen werden knnen, so daß sie in einer Vorstellung zusammenhngen. Auch Heideggers Vorschlag, das Beweisziel des Schematismuskapitels in der Frage zu formulieren: »Wie knnen reine Verstandesbegriffe, d. h. Kategorien, a priori in der Zeit angeschaut werden, oder wie kann die Zeit das reine Bild der Kategorien sein?« (Heidegger WW 271) fhrt nicht wirklich weiter. Was fr diese Interpretation spricht, ist allein, daß auch sie durch Kants eigene Ausdrucksweise nahegelegt wird. Denn es geht hier weniger darum, wie die erfahrungsfreien VoraussetDie reinen Verstandesbegriffe sind genaugenommen »nur so viele Arten, einen Gegenstand zu mglichen Anschauungen zu denken, und ihm nach einer Funktion des Verstandes seine … Bedeutung zu geben«; erst durch die »Bestimmungen ihrer Anwendung auf Sinnlichkeit berhaupt (Schema)« erhalten sie einen Inhalt, KRV A 245; in hnlicher Form weist Kant auch im Schematismuskapitel selbst ausdrcklich darauf hin, daß (unschematisierte) Kategorien nur Funktionen des Verstandes seien, KRV A 146/B 185. ›Funktion‹ hatte er definiert als »die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen«, KRV A 68/B 93; s. auch Patzig (1988) 40. Wenn Kant davon spricht, daß der eine Teil der erfahrungsfreien Voraussetzungen unseres Wissen, die ›Kategorien‹, »Grundbegriffe« seien, »Objekte berhaupt zu den Erscheinungen zu denken« (KRV A 111), der andere Teil, Raum und Zeit, »zwar Etwas sind, als Formen anszuschauen, aber selbst keine Gegenstnde sind, die angeschaut werden (ens imaginarium)« (KRV A 291/B 347), so ist auch hier offensichtlich, daß es sich allein um Vorstellungen in einem sehr weiten Sinn handeln kann. 83

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zungen unseres Wissens ›angeschaut‹ werden knnen, als vielmehr darum, wie sie auf die Daten der Sinne angewendet werden knnen, also um ihren geregelten und systematischen Bezug auf Erfahrung. Es geht darum zu zeigen, in welcher Weise die Einbildungskraft sie so strukturiert, daß sie zu Erkenntnissen werden knnen. Obwohl Stephan Krner und Peter F. Strawson weitgehend differente Interpretationsanstze verfolgen, die zudem aus unterschiedlichen Grnden die erste Kritik jeweils unter einer eingeschrnkten Perspektive betrachten, finden sich bei ihnen Charakterisierungen dessen, was im Schematismuskapitel verhandelt wird, die den zentralen Punkt zur Geltung bringen, ohne die Interpretation stark zu prjudizieren. Im ersten Fall mag dies daran liegen, daß Krner in sehr allgemeiner Weise und negativ formuliert: »wenn eine schematisierte Kategorie nicht auf ein Mannigfaltiges der Anschauung anwendbar ist, kann letzteres keine synthetische Einheit haben und infolgedessen kein Objekt sein«, Krner (1955) 61.

Bei Strawson dagegen heißt es ausfhrlicher: »Therefore, to appreciate the actual significance of the categories in application to experience, which requires the co-operation of understanding and sensibility, we must interpret the pure categories in terms of the general form of sensible intuition. This is the role of the Schematism, which makes the transition from pure categories to categories-in-use by interpreting the former in terms of time alone, without explicit mention of space; for it is the temporal character of experience that is invoked in the premises of both the Deduction and the Principles; that the application of the categories requires a framework which we cannot but conceive of as spatial (or in analogy with space) is something that emerges in the course of the argument«, Strawson (1966) 31.

Bezeichnend ist, daß beide Anstze betonen, daß der Kerngedanke des Schematismuskapitels in der Verbindung disparater Elemente besteht, daß sie dabei jedoch das Problem nicht 100

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primr als die Frage der Verbindung von Vorstellungen fassen. Krner trifft den Punkt, wenn er darauf hinweist, daß nur dann, wenn die erfahrungsfreien Voraussetzungen unserer Erfahrung auf Erfahrung selbst angewendet werden (knnen), die disparaten Daten der Sinne sich zu Gegenstnden der Erfahrung verbinden. Bei Strawson erhlt die Anwendungsfrage eine zustzliche Wendung, die vor dem Hintergrund seines sprachphilosophischen Ansatzes wenig berraschend ist, insofern er sie als Interpretationsproblem formuliert. Beide ußerungen erfassen, denke ich, Kants Intention, mit den Schemata die »einzigen Bedingungen« darzulegen, die den nicht-empirischen Voraussetzungen unserer Erkenntnis »Beziehung auf Objekte, mithin B e d e u t u n g … verschaffen« (KRV A146/B 185), indem sie »Erscheinungen allgemeinen Regeln der Synthesis … unterwerfen, und sie dadurch zur durchgngigen Verknpfung in einer Erfahrung schicklich … machen«, KRV A 146/B 185. Der Sache nach kann die Behauptung, »Ve rs t a n d und S i n n l i c h k e i t knnen bei uns n u r i n Ve rb i n d u n g Gegenstnde bestimmen« (KRV A 258/B 314), nur dann wirklich plausibel werden, wenn im Einzelnen dargelegt wird, wie sich diese beiden Vermgen beziehungsweise ihre ›Vorstellungen‹ aufeinander beziehen, wie die nichtempirischen Erkenntnisbedingungen des Verstandes auf die Daten der Sinne ›angewendet‹ werden knnen, s. KRV A 138/B 177. Das Beweisziel des Schematismuskapitels, darzulegen, auf welche Weise sich nicht-empirische Funktionen systematisch auf unverbundene empirische Daten beziehen und dadurch unter anderem Vorstellungen von Gegenstnden hergestellt werden, soll nun mittels eines Verfahrens erreicht werden, das »an sich selbst jederzeit nur ein Produkt der Einbildungskraft« (KRV A 140/B 179) ist: dem (transzendentalen) ›Schematismus‹. Das ›Schema‹, nach dem dieser operiert, soll ein »Drittes« sein, »was einerseits mit der Kategorie, andererseits mit der Erscheinung in Gleichartigkeit stehen muß und A

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die Anwendung der ersteren auf die letzte mglich macht«, KRV A 138/B 177. Es ist zwar nachvollziehbar, warum Kant von dem verbindenden Element fordert, daß es mit dem, was es verbinden soll, jeweils in ›Gleichartigkeit‹ stehen muß; dennoch bereitet seine Behauptung erhebliche Schwierigkeiten. Indem er die Verbindungsfrage vor dem Hintergrund seiner terminologischen Festlegungen als eine Frage der Verbindung von Vorstellungen (s. KRV A 137/B 176) stellt, bieten sich innerhalb des vorgegebenen Rahmens zwei Mglichkeiten, die Forderung zu verstehen. Die erste besteht darin, Gleichartigkeit jeweils als Gleichheit des Ursprungs der Vorstellungen zu interpretieren. Dafr sprche Kants Bemerkung im dritten Absatz des Schematismuskapitels, wo er darauf hinweist, daß die entsprechende Vorstellung »rein«, d. h. nichtempirisch und zugleich »sinnlich«, d. h. empirisch, sein muß. 84 Diese Interpretation ist aber unbefriedigend, weil ein solcher »Vorstellungstypus der strengen Dichotomie der Vorstellungen in sinnliche und intellektuelle widerspricht, die Kant sonst beachtet«, wie Seel in diesem Zusammenhang zu Recht anmerkt, Seel (1998) 230. Die zweite Mglichkeit ist, die geforderte Gleichartigkeit als das Ergebnis einer inhaltlichen Gleichheit zu verstehen. Dafr spricht das Beispiel, mit dem Kant seine Forderung illustriert. Dort heißt es: »So hat der empirische Begriff eines Te l l e r s mit dem reinen geometrischen eines Z i r k e l s Gleichartigkeit, indem die Rundung, die in dem ersteren gedacht wird, sich im letzteren anschauen lßt«, KRV A 137/B 176.

Hier wird also durch ein inhaltliches Moment, die – einerseits ›gedachte‹, andererseits ›angeschaute‹ – Rundung, illustriert, was unter Gleichartigkeit zu verstehen sein soll. 84

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KRV A 138/B 177; vgl. auch Krner (1955) 56; und Seel (1998) 228.

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Fr welche der beiden Mglichkeiten entscheidet sich Kant? Nimmt er beide in Anspruch oder am Ende sogar keine von beiden? Betrachten wir noch einmal den Passus, in dem er eindeutig zu behaupten scheint, daß das Schema seinen ›Ursprung‹ einerseits im unteren, andererseits im oberen Erkenntnisvermgen hat. Dort heißt es: »Diese vermittelnde Vorstellung muß rein (ohne alles Empirische) und doch einerseits i n t e l l e k t u e l l , andererseits s i n n l i c h sein. Eine solche ist das t r a n s z e n d e n t a l e S c h e m a«, KRV A 138/B 177.

Besonders der Nachsatz weckt Zweifel daran, ob es Kant hier wirklich um eine Gleichheit des Ursprungs geht, denn die Auszeichnung des verbindenden Elements als ›transzendental‹ schließt nach der oben angefhrten Bestimmung dieses Ausdrucks aus, daß die gesuchte ›Vorstellung‹ wirklich ›sinnlich‹ sein, d. h. ihren Ursprung in den Sinnen haben kann. Wenn man zugrundelegt, daß es an dieser Stelle, wie Kant ja selbst betont, mehr um ein Verfahren als um eine Vorstellung im engeren Sinn geht, rckt andererseits eine Mglichkeit in den Blick, diese offensichtlich widersprchliche ußerung im Einklang mit der Intention des Kapitels zu interpretieren: die Forderung, daß ein solches Verfahren ›sinnlich‹ sein msse, ließe sich als die Forderung danach verstehen, daß das Verfahren sich auf die Vorstellungen der Sinne beziehen knnen muß. Es wre in diesem Fall nicht ntig, die eben zitierte Stelle so zu lesen, als ob, anhand des bereits aus den vorkritischen Vorlesungen bekannten und auch in der ersten Kritik zugrundegelegten genetischen Kriteriums fr die Einteilung der Vorstellungen, hier der teilweise Ursprung des Schematismus in den Sinnen behauptet wird. Der Text steht diesem Vorschlag nicht entgegen: der Schematismus wird als ein Verfahren vorgestellt, das die durch die Sinne gegebenen Daten anhand eines bestimmten Merkmals ordnet und strukturiert, und Kant beA

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hauptet an keiner Stelle, daß dieses Verfahren seinen Ursprung in den Sinnen habe. Im Gegenteil: er weist wiederholt darauf hin, daß es zu den apriorischen Voraussetzungen unserer Erkenntnis zu zhlen ist. Wenn man dieser berlegung folgt, erscheint die zweite der genannten Mglichkeiten als die attraktivere, nmlich die Forderung der ›Gleichartigkeit‹ als Ergebnis einer inhaltlichen bereinstimmung zu interpretieren. Ich denke allerdings, daß dieser Vorschlag, auch wenn er durch das obige Beispiel nahegelegt wird, ebenfalls nur bedingt zutrifft. Denn, wie an Kants weiteren Ausfhrungen deutlich wird, scheint es der Sache nach nicht so sehr auf die inhaltliche Gleichheit von Vorstellungen als vielmehr auf die weiter gefaßte Verbindung ber ein thematisches Kriterium, das beiden Seiten gemeinsam ist, anzukommen: die Zeit. Die Voraussetzungen unserer Erkenntnis sind ohne den Bezug auf die Zeit nicht anzuwenden, und alle empirischen Vorstellungen weisen, in ihrer Eigenschaft als Vorstellungen, einen temporalen Aspekt auf. Dies hatte Kant bereits in der ersten Auflage des Deduktionskapitels behauptet. Dort hatte er ausdrcklich darauf hingewiesen, daß alle Vorstellungen unter den Bedingungen der Zeit stnden, »als in welcher sie insgesamt geordnet, verknpft und in Verhltnisse gebracht werden mssen«, KRV A 98 f. Im Schematismuskapitel nimmt er auf diese Behauptung Bezug, wenn er das ›Schema‹ als genau jene Ordnungsfunktion charakterisiert, die das leisten soll, was an jener Stelle nur programmatisch formuliert ist: es soll Vorstellungen nach temporalen Gesichtpunkten ordnen. Im zweiten Abschnitt der transzendentalen sthetik hatte Kant andererseits nachgewiesen, daß die Zeit eine der formalen, nichtempirischen Voraussetzungen jeder epistemischen Bezugnahme auf die Welt ist. Jetzt fhrt er diese beiden Gedanken in der Behauptung zusammen: 104

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»Nun ist eine transzendentale Zeitbestimmung mit der K a t e g o r i e (die die Einheit derselben ausmacht) so fern gleichartig, als sie a l l g e m e i n ist und auf einer Regel a priori beruht. Sie ist aber andererseits mit der E r s c h e i n u n g so fern gleichartig, als die Zeit in jeder empirischen Vorstellung des Mannigfaltigen enthalten ist«, KRV A 138 f./B 177 f.,

und gelangt zu dem Schluß: »Daher wird eine Anwendung der Kategorie auf Erscheinungen mglich sein, vermittelst der transzendentalen Zeitbestimmung, welche, als das Schema der Verstandesbegriffe, die S u b s u m t i o n der letzteren unter die erste vermittelt«, KRV A 139/B 178.

Die geforderte Gleichartigkeit scheint also dadurch gegeben zu sein, daß das Schema, als nhere Bestimmung unter temporalen Gesichtpunkten, auf der einen Seite einen Berhrungspunkt mit der Zeit als allgemeiner Voraussetzung unserer Erkenntnis hat und auf der anderen einen Berhrungspunkt mit der speziellen Gegebenheit einzelner Erscheinungen in der Zeit. Die Verbindungsleistung des Schemas besteht nun darin, das Allgemeine mit dem Besonderen zu verknpfen, indem sie eine »Zeitbestimmung a priori nach Regeln« 85 vornimmt und zwar, wie Kant feststellt, im Hinblick auf die »Z e i t r e i h e , den Z e i t i n h a l t , die Z e i t o r d n u n g , endlich den Z e i t i n b e g r i f f in Ansehung aller mglichen Gegenstnde« (KRV A 145/B 184 f.), so daß die Zeit, als formale Bedingung des inneren Sinns, auf diese angewendet werden kann. 86 Der EinbilWre der Bezug ein unregelmßiger, wrde das Ergebnis trivialerweise die Kriterien nicht erfllen, die wir an Wissen anlegen, sondern eben ›bloß zufllig‹ sein, oder wie Kant in der ersten Auflage der Deduktion diesen Punkt, der fr jede Verbindung unter epistemischen Gesichtspunkten gilt, im Hinblick auf die reproduktive Synthesis von Vorstellungen formuliert: ohne Regelmßigkeit wrde »kein bestimmter Zusammenhang derselben, sondern bloß regellose Haufen derselben, mithin gar kein Erkenntnis entspringen«, KRV A 121. 86 Mit dieser Interpretation ließe sich auch die Schlußfolgerung Seels 85

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dungskraft, als dem Vermgen, das dieses Schema hervorbringt, kommt damit die Aufgabe zu, die entsprechenden Regeln zu entwerfen, die es erlauben, die gegebenen Daten nach temporalen Gesichtspunkten so zu ordnen, daß die formalen Funktionen auf sie angewendet werden knnen. 87 Im Verlauf dieses Verfahrens stellt sie so durch einen produktiven Akt, der die »Einheit in der Bestimmung der Sinnlichkeit allein zur Absicht hat« (KRV A 140/B 179), sicher, daß sich die unverbundenen Daten zu Vorstellungen von Gegenstnden zusammenfgen lassen. Das Verfahren der Gegenstandskonstitution selbst scheint aus zwei Schritten zu bestehen: in einem ersten sorgt die Einbildungskraft dafr, daß den Sinnen gegebene Daten berhaupt temporal ›bestimmt‹ werden, und versieht sie dafr sozusagen mit einem Zeitindex, der ihre sptere temporale vermeiden, der im Hinblick auf das ›Schema‹ feststellt: »Es kann gar keine Vorstellung geben, die zugleich intellektuell und sinnlich ist und vor allem kann das so konzipierte Schema die Vermittlung, die Kant ihm zumutet, gar nicht leisten. (…) So ist eine Mischkonzeption entstanden, die unbefriedigend ist«, Seel (1998) 235. Denn es ginge Kant, trotz einiger unglcklicher Formulierungen, die in diese Richtung deuten, nicht wirklich um eine Vorstellung, die zugleich intellektuell und sinnlich im Sinn seines genetischen Kriteriums ist, sondern um ein vermittelndes Verfahren, das die Zeit als formale Voraussetzung unserer Erkenntnis in regelmßiger Weise auf die Tatsache bezieht, daß alle (empirischen) Vorstellungen in einer zeitlichen Sukzession gegeben sind. 87 Die analoge rumliche Strukturierung der wahrgenommenen Daten geschieht im Gegensatz dazu bereits in der Wahrnehmung selbst, da jedes Wahrgenommene einen bestimmten Ort im Raum einnimmt und in einer bestimmbaren rumlichen Relation zu anderem Wahrgenommenen steht. Kant unternimmt es, fr jeden Titel der Kategorientafel den Nachweis des Zeitbezugs im einzelnen zu fhren, KRV A 142–145/B 182 ff. Dieser Versuch kann sicher nicht durchweg berzeugen (s. Seel, 1998: 236–239), und scheint eher aus einem Bedrfnis nach systematischer Vollstndigkeit motiviert, als in der Sache durchgehend plausibel zu sein.

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Ordnung ermglicht. 88 In einem zweiten Schritt unternimmt sie es, von der Reihenfolge, in der die Daten ursprnglich gegeben wurden, zunchst zu abstrahieren, um sie anschließend in eine standardisierte Form zu bringen, so daß sie zur Grundlage der Vorstellungen von Gegenstnden werden knnen. Der zweite Schritt ist deshalb ntig, weil die zeitliche Reihenfolge, in der Daten sich den Sinnen prsentieren, kontingent und – je nach den einzelnen Sinnen, denen sie ›gegeben‹ werden – mehr oder weniger ungeordnet ist; selbst dann, wenn es sich um eine nur zeitlich verschiedene Wahrnehmung derselben Daten handelt. 89 In diesem Sinn sind »die Schemate« daher also in der Tat »nichts als Z e i t b e s t i m m u n g e n a priori nach Regeln«. Die Einbildungskraft stellt hier, in einem produktiven Akt der temporalen Indizierung und durch eine spontane Abstraktionsleistung von der empirisch kontingenten Reihenfolge ihres Auftretens, eine Verbindung der gegebenen Daten der Sinne her 90 und schafft so die Voraussetzung dafr, daß diese, gemß den Erkenntnisbedingungen des Subjekts, in eine Form gebracht werden, in der sie sich als Grundlage fr Erkenntnisse eignen. 91 Kant bezeichnet das Produkt des Verfahrens – aufgrund der Begriffsgeschichte der Einbildungskraft durchaus nahelieKRV A 181/B 142; vgl. KRV A 201/B 246. Dies ist eines der Probleme, die spter, in der zweiten Analogie der Erfahrung, bei der Diskussion des Kausalzusammenhangs explizit zur Sprache kommen, s. KRV A 201/B 246. 90 Mrchen hat sicher nicht unrecht, wenn er die Verbindung, die auf diese Weise durch eine spontane Leistung der Einbildungskraft zwischen dem oberen und dem unteren Erkenntnisvermgen hergestellt wird, ›eigentmlich‹ nennt, vgl. Mrchen (1930) 99. Da es im vorliegenden Zusammenhang in erster Linie darum geht, darzustellen, welche Aufgaben Kant der Einbildungskraft in seiner Erkenntnistheorie zuweist, muß hier nicht untersucht werden, ob seine Konzeption im Detail berzeugen kann. 91 Vgl. KRV A 118; 120; 124 und B 233. 88 89

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gend – als »Bild«, KRV A 140/B 180. Dieser Ausdruck ist allerdings unglcklich, weil es hier nicht um eine bildliche Darstellung einzelner Dinge geht, sondern um eine terminologische Festlegung, fr die sich der Ausdruck gerade wegen dieser Assoziation schlecht eignet. Der terminologische Charakter des Bildbegriffs wird nicht nur deutlich an verschiedenen Behauptungen, wie der, das »reine Bild … aller Gegenstnde der Sinne aber berhaupt, hseii die Zeit« (KRV A 142/B 182), sondern auch an den Beispielen, die Kant zur Illustration anfhrt. Ebenso wie die gerade zitierte ußerung weisen auch diese Beispiele alle darauf hin, daß es sich bei einem ›Bild‹ in diesem Zusammenhang um eine von der Einbildungskraft hergestellte, nach zeitlichen Gesichtspunkten strukturierte Bezeichnung fr eine Klasse von Gegenstnden handelt, 92 die es nicht nur erlaubt, die entsprechenden Gegenstnde nach Regeln hervorzubringen, 93 sondern auch Regeln bereitstellt, die es ermglichen festzustellen, ob bestimmte Konstellationen von Daten diesem ›Bild‹ entsprechen. Im ersten der drei Beispiele soll eine Reihe von fnf Punkten ein ›Bild‹ oder ›Schema‹ der Zahl fnf sein, KRV A 140/B 179. Im zweiten wird der Unterschied eines Schema-Bildes zu einem anschaulich darstellenden Bild noch deutlicher; bezeichnenderweise leitet Kant dieses Beispiel bereits mit der Formulierung ein, daß »gar kein Bild« dem Gegenstand, einem Dreieck, »jemals adquat sein hkanni«, KRV A 141/B 180. Und der dritte Fall, der weder aus der Mathematik noch aus der Geometrie, sondern aus der Alltagswelt stammt, charakterisiert das ›Bild‹ beziehungsweise das Schema positiv als »eine Regel der Synthesis der Einbildungskraft«, in diesem Fall als »eine Regel, nach welcher meine Einbildungskraft die Gestalt eines vierfßigen Tieres allgemein verzeichnen kann, ohne auf irgend eine einzige besondere Gestalt, die 92 93

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S. auch Mrchen (1930) 118 f. Vgl. Krner (1955) 56; Bennett (1966) 142; Seel (1998) 234.

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Die Konstitution von Gegenstnden

mir die Erfahrung darbietet, oder auch ein jedes mgliche Bild, was ich in concreto darstellen kann, eingeschrnkt zu sein«, KRV A 141/B 180. Das von der Einbildungskraft hergestellte Schema soll also dem oberen Erkenntnisvermgen ein Bezugsmoment geben, das (nach temporalen Gesichtspunkten) hinreichend strukturiert und so weit entfernt von den bloßen Gegebenheiten des unteren Erkenntnisvermgens ist, daß die empiriefreien (formalen) Funktionen jenes Vermgens auf diese Gegebenheiten anzuwenden sind. Ob das Modell, das Kant hier vorstellt, letztlich berzeugen kann, ist in unserem Zusammenhang weniger wichtig als die Tatsache, daß damit der Einbildungskraft, als demjenigen Vermgen, das das ›Schema‹ hervorbringt, welches die Verbindung zwischen oberem und unterem Erkenntnisvermgen herstellt, eine zentrale Aufgabe zufllt. Damit geht Kants Theorie der Einbildungskraft weit ber das hinaus, was seine Vorgnger zu diesem Thema vorzubringen haben. Er macht damit jede Erkenntnis von einer produktiven, konstruierenden Leistung des erkennenden Subjekts abhngig und zwar bereits in einem sehr frhen Stadium, noch bevor es berhaupt um die Frage der Verbindung von Vorstellungen geht. 94 Zusammenfassend lßt sich an dieser Stelle festhalten: Kants Explikation der Verbindung zwischen den gegebenen Inhalten der Sinne und den formalen Bedingungen, die ihren Ursprung im Verstand haben, durch Regeln, die die Einbildungskraft herstellt, ist der Versuch, die These plausibel zu machen, daß Erkenntnis nur im Zusammenwirken von oberem und unterem Erkenntnisvermgen, von Verstand und Sinnlichkeit, zustande kommen kann. Im Verlauf der entsprechenden Argumentation wird deutlich, daß der produktiven Ttigkeit der Einbildungskraft in diesem Verfahren eine zentrale Rolle zukommt. Um den Blick auf die Sache 94

S. auch KRV A 93/B 125 f. A

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Die Einbildungskraft in der ersten Kritik

nicht unntig zu erschweren, erscheint es sinnvoll, Kants berlegungen eine Interpretation zugrunde zu legen, die das Vorstellungsvokabular, das hier im Anschluß an die Tradition verwendet wird, zum Teil zurcknimmt oder spezifiziert. Kants zentraler Gedanke wird deutlicher, wenn er so formuliert wird, daß es um verschiedene Funktionen und einen gegebenen empirischen Inhalt geht, die in einer Vorstellung zusammenkommen, anstatt um drei verschiedene Vorstellungen, die zu einer Vorstellung verbunden werden, so wie es seine Terminologie nahelegt. Ein Festhalten an den terminologischen Vorgaben der Tradition behindert das Verstndnis. Zum Abschluß der Diskussion um die Konstitution der Vorstellungen von Gegenstnden bleibt noch darauf hinzuweisen, daß Kant auch in diesem Zusammenhang vorauszusetzen scheint, daß die Daten, die den Sinnen gegeben werden, bereits eine ›Affinitt‹ besitzen, und zwar noch bevor sie von der Einbildungskraft in eine Ordnung gebracht werden, die eine Anwendung der formalen Voraussetzungen auf diese Daten erlaubt. Sie stehen damit in einem empirischen Zusammenhang, der sie weniger disparat erscheinen lßt, als man dies zunchst annehmen knnte; zumindest sind sie nicht als ein gnzlich unstrukturiertes »Gewhle von Erscheinungen« zu betrachten. Auch wenn die unterstellte ›Affinitt‹ der Daten die Verbindungen, die die Einbildungskraft als Bezugspunkt unserer Erkenntnisvoraussetzungen herstellt, nicht positiv bestimmt, so ist Kant der Meinung, daß die ›Affinitt‹ eine begrenzende Funktion fr die Verbindungen hat. Er stellt (mehrfach) fest: »daß, obgleich die Schemate der Sinnlichkeit die Kategorien allererst realisieren, sie doch selbige gleichwohl auch restringieren, d. i. auf Bedingungen einschrnken, die außer dem Verstande liegen (nmlich in der Sinnlichkeit)«. 95

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KRV A 146/B 185 f.; vgl. A 147/B 187.

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Die Verbindung von Vorstellungen

2.4 Die Verbindung von Vorstellungen Sehr viel eindeutiger als im Hinblick auf die Verbindung von Sinnesdaten zu Vorstellungen von Gegenstnden artikuliert sich die These von einer bereits gegebenen Strukturierung der Erscheinungen im Hinblick auf die Verbindungen von Vorstellungen. Das Thema der Verbindung von Vorstellungen selbst tritt bereits zu Beginn der Einleitung sowohl in der ersten als auch in der zweiten Auflage in Erscheinung. In der Fassung von 1781 heißt es programmatisch: »Nun zeigt es sich, welches beraus merkwrdig ist, daß selbst unter unsere Erfahrungen sich Erkenntnisse mengen, die ihren Ursprung a priori haben mssen, und die vielleicht nur dazu dienen, um unsern Vorstellungen der Sinne Zusammenhang zu verschaffen«, KRV A 2.

In der zweiten Auflage stellt Kant in diesem Zusammenhang eine Verbindung zu Hume und dessen Problem der bloß induktiven Rechtfertigung von empirischen Vorstellungsverbindungen her; die Regeln, nach denen Vorstellungen verbunden werden, drfen fr Kant 1787 ausdrcklich nicht allein aus der Erfahrung ›abgeleitet‹ sein. Denn als bloße Assoziationsgewohnheiten, die durch die Wiederholung hnlicher empirischer Daten entstanden sind, knnen sie bestenfalls eine »bloß subjektive Notwendigkeit« begrnden, nicht aber die »Gewißheit« erreichen, die fr Erkenntnis erforderlich ist (KRV B 5). Diese frhe Ankndigung, beziehungsweise der explizite Hinweis auf die Unzulnglichkeit des Humeschen Modells, werden ausfhrlich erst wieder im Deduktionskapitel zum Thema. In der Version von 1781 teilt Kant die Verbindung von Vorstellungen zu Beginn dieses Kapitels nach drei Gesichtspunkten ein: einer Verbindung der Apprehension, der Reproduktion und der Rekognition. Die einzelnen Abschnitte, in denen die entsprechenden Synthesisleistungen verhandelt werden, spezifizieren jeweils eine Verbindungsfunktion und A

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Die Einbildungskraft in der ersten Kritik

erlutern ihre transzendentalen Voraussetzungen. Die ›Synthesis der Apprehension‹ steht dabei noch in einem engen Zusammenhang mit dem gerade verhandelten Thema, aber auch mit einem bereits in der vorkritischen Zeit prominenten Aspekt: sie ist eine Verbindung von Sinnesdaten ber eine Zeitspanne: »ein Durchlaufen der Mannigfaltigkeit und denn die Zusammennehmung desselben«, KRV A 99. Die verbindende Ttigkeit der Einbildungskraft ber die Zeit ist erforderlich, damit gegebene Daten zu einer Vorstellung zusammengefaßt werden knnen. Dies gilt fr die Vorstellungen des unteren Erkenntnisvermgens ebenso wie fr die Vorstellungen, beziehungsweise die Funktionen, des oberen Erkenntnisvermgens. 96 Die Synthesis der Reproduktion, mit der die Synthesis der Apprehension »unzertrennlich verbunden« sein soll (KRV A 102), nimmt das ebenfalls in den vorkritischen Vorlesungen noch deutlicher artikulierte und ausfhrlicher behandelte Thema der Verbindung von Vorstellungen nach empirischen Regeln in vernderter und komprimierter Form auf. Auf zweieinhalb Seiten entwickelt Kant, daß den Verbindungen, die die Einbildungskraft als ein transzendentales und produktives Vermgen herstellt, Verbindungen korrespondieren, die ihr als empirischem und rezeptivem Vermgen in der Erfahrung ›gegeben‹ werden. Er beruft sich dabei auf ein Gesetz der Assoziation, wie er es in den frhen Vorlesungen im Anschluß besonders an Hume und den britischen Empirismus formuliert hatte, 97 und setzt damit auch hier voraus, daß die Welt der Erscheinungen eine gewisse Regelmßigkeit hat, die Anlaß fr Ausdrcklich weist Kant auf diesen zweiten Punkt hin: »Diese Synthesis der Apprehension muß nun auch a priori, d. i. in Ansehung der Vorstellungen, die nicht empirisch sein, ausgebt werden«, KRV A 99. 97 Dieses Gesetz der Assoziation findet sich bis in die spte Fassung der Anthropologievorlesung, Anthr. (1798) AA 7.176. 96

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Die Verbindung von Vorstellungen

die Ausbildung entsprechender Assoziationsgewohnheiten gibt. Vorstellungen, die sich, aufgrund einer Affinitt des Vorgestellten in der Erfahrung, »oft gefolgt oder begleitet haben«, verbinden sich schließlich in einer Weise, daß auch »ohne die Gegenwart des Gegenstandes, eine dieser Vorstellungen einen bergang des Gemts zu der andern, nach einer bestndigen Regel, hervorbringt«, KRV A 100. Kant illustriert seinen Gedanken mit mehreren Beispielen: »Wrde der Zinnober bald rot bald schwarz, bald leicht bald schwer sein, ein Mensch bald in diese, bald in jene tierische Gestalt verndert werden, am lngsten Tag bald das Land mit Frchten, bald mit Eis und Schnee bedeckt sein, so knnte meine empirische Einbildungskraft nicht einmal Gelegenheit bekommen hdie entsprechenden Vorstellungen auszubilden, und esi knnte keine empirische Synthesis der Reproduktion stattfinden«. 98

So setzt Kant auch hier eine berlegung der vorkritischen Zeit voraus, ohne sie eigens kenntlich zu machen. Dort hatte er die Einbildungskraft sowohl dem oberen Erkenntnisvermgen als auch dem unteren Erkenntnisvermgen zugeordnet und diese Zuordnung – entgegen den traditionellen Kriterien der Klarheit und Verworrenheit ihrer jeweiligen Vorstellungen – anhand der aktiv/passiv Dichotomie vorgenommen. Erst vor diesem Hintergrund wird seine ußerung einsichtig, die empirische Einbildungskraft bekme »niemals etwas ihrem Vermgen Gemßes zu tun« und bliebe »wie ein totes und uns selbst unbekanntes Vermgen im Inneren des Gemts verborgen« (KRV A 100), wenn unter den Erscheinungen keine Regelmßigkeit anzutreffen wre. Denn die Einbildungskraft tritt hier als empirisches Vermgen auf und ist damit, als Teil des unteren Erkenntnisvermgens, passiv. Aus diesem Grund

KRV A 100 f.; vgl. auch die Einleitung der dritten Kritik, KU Einleitung bes. 185 f.

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bedarf sie einer gegebenen Regelmßigkeit in der empirischen Welt, um etwas ›zu tun zu bekommen‹. Die faktische Regelmßigkeit der Erscheinungen – und die entsprechende Synthesis der Einbildungskraft nach empirischen Regeln der Assoziation – kann aber, und das ist, wie oben bereits an mehreren Stellen deutlich wurde, der entscheidende Punkt, keine begrndende Funktion fr unser Wissen haben. 99 Vorstellungen mssen, wenn es um Erkenntnis geht, zwar »assoziabel« sein, aber eben einen »objektiven Grund haben« (KRV A 121), d. h. unter den apriorischen Regeln der aktiven und produktiven transzendentalen Einbildungskraft stehen. Nur dies garantiert, daß unser Wissen nicht »aufs Geratewohl, oder beliebig« ist (KRV A 104), daß es nicht »etwas ganz Zuflliges histi, daß sich Erscheinungen in einen Zusammenhang der menschlichen Erkenntnisse« schicken, KRV A 121. Daß die einzelnen empirischen Regeln den transzendentalen Regeln in gewisser Weise konform sind, bleibt dabei auch hier eine in erkenntnistheoretischer Hinsicht zwar unentbehrliche, aber letztlich nicht zu ›ergrndende‹ Annahme. Ganz im Sinn der Formulierung aus L1, wo Kant an diesem Punkt auf die »Natur des menschlichen Verstandes« hingewiesen hatte, die dafr verantwortlich sei, daß die »Gegenstnde … den Bedingungen unter denen sie erkannt werden knnen, hconform seyn msseni« (L1 AA 28.1.239) spricht er auch spter davon, daß es sich in diesem Zusammenhang um einen ›glcklichen Zufall‹ handelt. In der Einleitung der dritten Kritik heißt es: »so muß die Urtheilskraft fr ihren eigenen Gebrauch es als Princip a priori annehmen, daß das fr die menschliche Einsicht Zufllige in den besonderen (empirischen) Naturgesetzen dennoch eine fr uns zwar nicht zu ergrndende, aber doch denkbare gesetzliche Einheit in der Verbindung ihres Mannigfaltigen zu einer an sich mglichen Erfahrung enthalte«. 100 99 100

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Vgl. Carl (1992) 158 Fn. 43. KU Einleitung 183 f.; vgl. 187.

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Und in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft formuliert er diesen Punkt folgendermaßen: »Dieses Gesetz der Reproduktion setzt aber voraus: daß die Erscheinungen selbst wirklich einer solchen Regel unterworfen sein, und daß in dem Mannigfaltigen ihrer Vorstellungen eine, gewissen Regeln gemße, Begleitung, oder Folge statt finde«, KRV A 100.

hnlich wie im Kontext der Kausalittsdiskussion gilt auch hier: daß bestimmte empirische Verbindungen dem unteren Erkenntnisvermgen durch die empirische Synthesis der Einbildungskraft ›gegeben‹ werden, ist kontingent, aber wenn sie es sind, dann stehen sie unvermeidlich unter nichtempirischen, kategorialen und notwendigen Voraussetzungen des oberen Erkenntnisvermgens, vgl. KRV A 101 f. In diesem Sinn gehrt denn auch »die reproduktive Synthesis der Einbildungskraft zu den transzendentalen Handlungen des Gemts«, KRV A 102. Als dritte Verbindungsleistung der Einbildungskraft im Hinblick auf Vorstellungen stellt Kant, neben der Zusammenfassung ber einen Zeitraum und der Fhigkeit, gegenwrtige Vorstellungen mit vergangenen zu verbinden, die »Synthesis der Rekognition im Begriffe« vor. In diesem »wegen seiner Unbersichtlichkeit berchtigtehni Kapitel« (Carl, 1992: 162 Fn. 50) geht es Kant unter anderem darum, daß es uns ber die bisher genannten Fhigkeiten der Verbindung hinaus auch gelingen muß zu erkennen, daß es sich bei verschiedenen Vorstellungen um Vorstellungen Desselben handelt. 101 Dabei konKRV A 103. Die Meinungen darber, ob es Kant hier nur um einen Spezialfall der Verbindung vergangener und gegenwrtiger Vorstellungen geht oder darber hinaus um den Nachweis, daß das Wissen um die Identitt des Vorgestellten eine notwendige Voraussetzung fr Vorstellungen ist, »die aufgrund der Sache ein ›Ganzes ausmachen‹« (Carl, 1992: 163 Fn. 52), also um ein Wissen, das notwendige Voraussetzung fr die Vorstellung eines Gegenstandes ist, gehen auseinander, s. Carl loc.cit.

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zipiert er, anders als Wolff und Baumgarten, die mit dem Ausdruck ›Rekognition‹ noch die Fhigkeit der Erinnerung bezeichneten, 102 die Synthesis der Rekognition in enger Verbindung zu der Fhigkeit, Begriffe zu verwenden. Er schreibt, »daß sie diejenige Einheit haben mssen, welche den Begriff von einem Gegenstande ausmacht«(, KRV A 105), denn der Begriff »ist seiner Form nach jederzeit etwas Allgemeines, und was zur Regel dient«, KRV A 106. Der in unserem Zusammenhang wichtige Gedanke ist, daß die Verbindung der Rekognition, das Wissen um die Zusammengehrigkeit verschiedener Vorstellungen (weil sie Vorstellungen sind, die sich auf Dasselbe beziehen), eine Verbindung nach Regeln sein muß. Denn anderenfalls haben wir es erneut nicht mit Wissen zu tun, sondern mit Vorstellungen, die willkrlich miteinander verbunden sind. In der zweiten Auflage arbeitet Kant vor allem diesen Punkt aus, wobei die Verbindung von ihm als ein ›selbstttiger‹, ›spontaner‹ Akt des Verstandes charakterisiert wird; die Einbildungskraft ist hier nur die Bezeichnung fr die entsprechende Funktion des oberen Erkenntnisvermgens. 103 Die ›Rekognition‹, das Wissen um die »Einheit des Mannigfaltigen«, verbindet er in dieser Fassung prominent mit dem Selbstbewußtsein, KRV B 130 f. Die Beziehung gegebener Vorstellungen auf ein ›Ich‹ soll einen großen Teil derjenigen Aufgaben bernehmen, die in der ersten Auflage der nach ihren verschiedenen Ttigkeiten spezifizierten Einbildungskraft zuOhne die Frage an dieser Stelle entscheiden zu mssen, ist klar, daß nach der oben gegebenen Interpretation des Schematismuskapitels die erste Option die attraktivere zu sein scheint. Dennoch ist, auch wegen des Kontextes, in dem es um die allgemeine Bestimmung des Gegenstandsbegriffs geht, nicht auszuschließen, daß Kant sich hier bereits mit einem Aspekt des spter ausfhrlich verhandelten Themas auseinandersetzt. 102 Wolff Psych. empir. §§ 173; 175; Baumgarten Met. § 579. 103 KRV B 130; B 134 f.

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kamen. Ohne die Details der notorisch kontroversen Konzeptionen der Synthesis und des Selbstbewußtseins in der Deduktion von 1787 in diesem Zusammenhang errtern zu mssen – die Einbildungskraft spielt hier kaum eine Rolle – sei auf drei Punkte hingewiesen. Erstens, und nach den bisherigen Ausfhrungen vielleicht nicht sonderlich berraschend, erwhnt Kant nur in der zweiten Auflage die eingangs bereits genannte Bestimmung der Einbildungskraft als »das Vermgen, einen Gegenstand auch o h n e d e s s e n G e g e n w a r t in der Anschauung vorzustellen«, ausdrcklich. Zwar liegt diese traditionelle Charakterisierung auch den berlegungen der ersten Auflage zugrunde, dort aber gehen die Aufgaben der Einbildungskraft weit ber diese Bestimmung hinaus. 1787 scheint sich Kant, im Bestreben, die Auszeichnung der Einbildungskraft als eigenstndiges Vermgen zurckzunehmen und in bewußter Abgrenzung zur ersten Auflage, wieder verstrkt auf die traditionelle Bestimmung zu besinnen. Zweitens: Kant betont in der zweiten Auflage nachdrcklicher den Bildcharakter der Ttigkeit der Einbildungskraft, wenn er sie als »figrliche Synthesis« oder »synthesis speciosa« bezeichnet, KRV B 151. Auch damit schließt er die Einbildungskraft enger an die traditionelle Konzeption und ihre Bestimmung als ›Vermgen der Bilder‹ an. Drittens, und dies ist der interessanteste Punkt, weist er im Zusammenhang der Verbindung von oberem und unterem Erkenntnisvermgen ausdrcklich auf die Einbildungskraft hin, obwohl er sie in der B-Auflage explizit auf eine bloße Funktion des Verstandes reduziert. Seine Behauptung, sie sei (auch) der Sinnlichkeit zuzuordnen, erscheint unter diesem Vorzeichen allerdings unmotiviert und wenig konsequent. Er bemerkt: »Da nun alle unsere Anschauung sinnlich ist, so gehrt die Einbildungskraft, der subjektiven Bedingung wegen, unter der sie allein den Verstandesbegriffen eine korrespondierende Anschauung geben kann, zur S i n n l i c h k e i t «, KRV B 151. A

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Auch dieser berlegung liegt die bereits aus der vorkritischen Zeit bekannte Einteilung von oberem und unterem Vermgen anhand der aktiv/passiv Dichotomie zugrunde. Dies wird in der Fortsetzung der zitierten Stelle deutlich. Dort charakterisiert Kant die Ttigkeit der Einbildungskraft (als Funktion des Verstandes) umgehend als ›spontan‹, ›bestimmend‹ und ›produktiv‹ und unterscheidet dies von ihrer passiven, ›reproduktiven‹ Rolle als eines ›bloß bestimmbaren‹ Vermgens: »so fern aber doch ihre Synthesis eine Ausbung der Spontaneitt ist, welche bestimmend, und nicht, wie der Sinn, bloß bestimmbar ist, … so ist die Einbildungskraft so fern ein Vermgen, die Sinnlichkeit a priori zu bestimmen, und ihre Synthesis der Anschauungen, d e n K a t e g o r i e n g e m  ß , muß die transzendentale Synthesis der E i n b i l d u n g s k r a f t sein, welches eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und ihre erste Anwendung desselben (zugleich der Grund aller brigen) auf Gegenstnde der uns mglichen Anschauung ist. (…) So fern die Einbildungskraft nun Spontaneitt ist, nenne ich sie auch bisweilen die p r o d u k t i v e Einbildungskraft, und unterscheide sie dadurch von der r e p r o d u k t i v e n «, KRV B 151 f.

Vor diesem Hintergrund lßt sich kaum verstehen, wie die Einbildungskraft als passives Vermgen zugleich Teil des Verstandes sein kann, und auch der zutreffende Hinweis, daß Kant die »r e i n e Sinnlichkeit stillschweigend dem oberen Erkenntnisvermgen hein- bzw. unterordneti« (Mrchen, 1930: 13 Fn. 6), kann hier nicht weiterhelfen, denn diese Zuordnung wrde die Sinnlichkeit nur um den Preis der Aufgabe des ursprnglichen Unterscheidungskriteriums der Vermgen anhand der aktiv/passiv Dichotomie als Teil des oberen Erkenntnisvermgens qualifizieren. Auch wenn Kant in der zweiten Auflage die Unterscheidung von produktiver und reproduktiver Einbildungskraft konsequenter durchhlt (vgl. Mrchen 76), so ist die Einteilung in der Sache weitaus weniger durchsichtig als in der ersten Auflage. Es liegt nahe, daß sich Kant in dem Bestreben, die vermeintlich psychologischen Ausfhrun118

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gen im Kontext seiner Theorie der Einbildungskraft zurckzunehmen, bei den nderungen von seinen frheren berlegungen leiten ließ, so daß eine letztlich unbefriedigende Mischkonzeption aus beiden Anstzen entstanden ist, die wenigstens in ihrer Klarheit hinter die Ausfhrungen der ersten Auflage deutlich zurckfllt.

2.5 Die Verbindung der Erkenntnisvermgen Neben der Verbindung von Daten zu Vorstellungen von Gegenstnden und von Vorstellungen untereinander bleibt abschließend noch einmal der Blick auf die Verbindung von oberem und unterem Vermgen. Wie oben deutlich wurde, ist dies die Frage, von der aus Heidegger die Kant-Interpretation entwickelt, die er in seiner Vorlesung von 1929 vorstellt. Seine These in diesem Zusammenhang war, daß die transzendentale Einbildungskraft die »ursprnglich einigende Mitte, … hundi Wurzel der beiden Stmme« 104 ist. Dieser durchaus elegante Vorschlag erlaubt es, den offensichtlichen Widerspruch zwischen der ußerung Kants, es gebe zwei ›Stmme‹ oder ›Quellen‹ unserer Erkenntnis, und der Behauptung, es gebe drei ›Erkenntnisvermgen‹, aufzulsen. Denn die Einbildungskraft wre in dieser Lesart durchaus als ein ›Erkenntnisvermgen‹ zu betrachten, aber eben als ein Erkenntnisvermgen zweiter Stufe. Damit entfiele die Notwendigkeit, sie gleichzeitig als eine der ›Quellen‹ unserer Erkenntnis aufzufassen. Als ein Vermgen, das auf einer Metaebene operiert, knnte sie durchaus Bezugspunkt sowohl fr den Verstand als auch fr die Sinnlichkeit sein. Ob dieser Vorschlag Heideggers systematisch sinnvoll ist, ist die eine Frage; eine ganz andere ist es, ob er als Interpretation dem Text gerecht wird. Und hier muß 104

Heidegger KPM 189; vgl. 132. A

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man feststellen: der Versuch, die Einbildungskraft als ein Vermgen zweiter Stufe, als ›gemeinsame Wurzel‹ von Verstand und Sinnlichkeit zu verstehen, hat einige schwerwiegende Textevidenzen gegen sich, so daß er als eine haltbare Interpretation der Theorie Kants letztlich nicht in Frage kommt. Versucht man dagegen, die Frage der Verbindung von oberem und unterem Erkenntnisvermgen auf der Grundlage des Textes zu beantworten, so knnen einige Dinge als gesichert gelten. Erstens: Kant sieht die Einbildungskraft in der ersten Auflage (und z. T. noch in der zweiten), und im Einklang mit einer langen Tradition, in einer Mittelstellung zwischen Verstand und Sinnlichkeit, auch wenn er in den Details deutlich von seinen Vorgngern abweicht. Zweitens: die Einbildungskraft ist aufgrund ihrer Mittelstellung naheliegenderweise das Vermgen, welches das obere auf das untere Erkenntnisvermgen bezieht. Drittens: diese Vermittlung geschieht in erster Linie ber eines ihrer Produkte – das ›transzendentale Schema‹. Bei diesem Schema handelt es sich um eine Reihe von Regeln, die die Funktionen des Verstandes und gegebene Sinnesdaten in systematischer Weise miteinander verbinden. Weil die Einbildungskraft diese Regeln in einem spontanen und produktiven Akt selbst entwirft, sieht Kant dieses Vermgen in einer sehr viel aktiveren Rolle als seine Vorgnger. Der Vorteil dieser Interpretation ist, daß es nicht erforderlich wird, den ontologischen Status der Einbildungskraft zu spezifizieren; es muß nicht einmal geklrt werden, ob sie ein Vermgen auf derselben Stufe wie Verstand und Sinnlichkeit ist oder ob sie auf einer Metaebene operiert. Wichtig ist allein ihre verbindende Funktion. Ein weiterer Vorteil dieser Lesart ist nicht nur ihre Vereinbarkeit mit dem Text, sondern die Tatsache, daß sie durch ußerungen Kants in vielfltiger Weise gesttzt wird. Der Preis fr die Bestimmung der Einbildungskraft anhand ihrer Funktion ist allerdings, daß sich die Inkonsistenz, die in der gleichzeitigen Behauptung von 120

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Schlußbemerkung

zwei Erkenntnisquellen und drei Erkenntnisvermgen liegt, nicht auflsen lßt. Wenn man fr diesen Preis eine Interpretation erhlt, die sich auf einer breiten Textgrundlage absichern lßt und zudem systematisch interessant ist, spricht allerdings einiges dafr, ihn zu bezahlen.

2.6 Schlußbemerkung In Kants Erkenntnistheorie artikulieren sich zwei Einsichten, die sich bei seinen Vorgngern bereits andeuten, deren ausfhrliche Diskussion aber dort noch unter ganz anderen Vorzeichen stattfindet. Erstens: unser Wissen ist nicht ›absolut‹, es ist immer an die Voraussetzungen gebunden, unter denen wir als erkennende Subjekte stehen; zweitens: diese Einsicht ist bei weitem nicht so desastrs fr den Versuch einer philosophischen Rechtfertigung unserer Erkenntnisansprche, wie seine Vorgnger meinten – und wie es eine Reihe von Denkern in jngerer Zeit wieder verstrkt propagiert. Exemplarisch fr die Zeit, in der sich der Verdacht, es gebe mglicherweise die eine richtige Sicht der Dinge berhaupt nicht, erstmals mit Nachdruck artikuliert, sei hier auf Ren Descartes, John Locke und David Hume hingewiesen. Descartes war der These mit der gehaltvollen (und philosophisch problematischen) metaphysischen Voraussetzung entgegengetreten, ein uns in epistemischer Hinsicht wohlgesonnener Gott sorge fr die Verlßlichkeit unseres Wissens. Locke hatte versucht, die ›absolute‹ Konzeption der Erkenntnis wenigstens noch in Teilbereichen zu retten, indem er zwei Arten von Vorstellungen (ideas) voneinander unterschied: diejenigen Vorstellungen, die die Realitt unabhngig von subjektiven Bedingungen erfassen und diejenigen, deren offensichtliche Abhngigkeit vom erkennenden Subjekt nachgewiesen werden kann. Hume schließlich hatte die Aussichtslosigkeit einer philosophischen A

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Rechtfertigung ›absoluter‹ Erkenntnis zwar zugestanden, aus diesem Befund allerdings geschlossen, daß die einzige Mglichkeit, auf ihn zu reagieren, ein weitreichender erkenntnistheoretischer Skeptizismus sei. 105 Kant teilt die Diagnose Humes, nicht aber dessen Schlußfolgerung. Er formuliert die Verabschiedung der ›absoluten‹ Konzeption des Wissens anhand der terminologischen Unterscheidung von ›Ding an sich‹ und ›Erscheinung‹ und macht nachdrcklich klar: unserer Erkenntnis zugnglich ist allein die Welt der Erscheinungen. Anders als Hume sieht Kant die Chancen, die sich aus diesem Eingestndnis ergeben. Denn wenn wir ausdrcklich anerkennen, daß es mßig ist, die Frage beantworten zu wollen, ob die Welt sich unabhngig davon, wie wir sie erkennen knnen, ›tatschlich‹ so verhlt, wie wir meinen, dann knnen wir uns mit grßerer Kraft den lsbaren Problemen der Erkenntnistheorie zuwenden – anstatt uns vergeblich an einem unlsbaren Problem abzuarbeiten. So kann sich die Aufmerksamkeit darauf richten, daß es auch in der uns allein zugnglichen Welt der Erscheinungen Notwendigkeiten gibt, notwendige Voraussetzungen unseres Wissen und notwendige Prinzipien unserer Erkenntnis. Und, folgt man Kants Argumentation, erschließt sich dadurch der gesamte Bereich des uns mglichen Wissens. Indem die Ansprche, die sich mit unserem Wissen verbinden, von Kant konsequent in Beziehung gesetzt werden zu den Bedingungen, unter denen uns als erkennenden Subjekten Wissen mglich ist, ist die Voraussetzung fr die Umfangs- und Grenzbestimmung geschaffen. Bekanntermaßen sind es diese Themen, die im Zentrum der berlegungen der ersten Kritik stehen: hier versucht Kant die notwendigen Elemente unserer Erkenntnis zu identifizieFr eine ausfhrliche Darstellung der entsprechenden Positionen vgl. Hepfer, Phantasie und Vorstellung (in Vorbereitung).

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Schlußbemerkung

ren und zu begrnden und den Bereich des uns mglichen Wissens systematisch und vollstndig zu bestimmen. Der Einbildungskraft fllt, wie wir gesehen haben, bei diesen Vorhaben eine zentrale Rolle zu. Ihre Aufgabe ist es, die Verbindung herzustellen zwischen den notwendigen Elementen unserer Erkenntnis und den empirischen Daten, aus denen die jeweiligen Inhalte bestehen. Im Verlauf der Argumentation wird deutlich, daß ohne die Aktivitten der Einbildungskraft kein Wissen mglich ist; und auch, wie vielfltig die Verbindungsleistungen dieses Vermgens sein mssen. Die Einbildungskraft wird von Kant konsequenterweise als eine in sehr viel strkerem Maß aktive und produktive Fhigkeit wahrgenommen, als dies bei seinen Vorgngen der Fall ist. Erhebliche Schwierigkeiten erwachsen Kants Theorie daraus, daß die Argumentation sich weitgehend im Rahmen eines durch die Tradition vorgegebenen Modells der Vermgen und Vorstellungen bewegt. Besonders die Frage des Zusammenwirkens von ›oberem‹ und ›unterem‹ Erkenntnisvermgen erweist sich als beraus problematisch. Doch auch wenn die Theorie, die Kant prsentiert, aufgrund der Tatsache, daß er eine hochinnovative berlegung im Rahmen eines vorgegebenen Modells und mit tradierter Terminologie zu formulieren versucht, oft schwer zugnglich ist, so wird doch deutlich: die Mitwirkung eines spontanen und produktiven Vermgens beim Zustandekommen unseres Wissens und fr dessen Rechtfertigung ist wichtig und unverzichtbar. Die Einbildungskraft ist so, um es zu wiederholen, vor allem in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, das Vermgen, das es durch seine konstruktive Leistung erst ermglicht, formale Voraussetzungen unseres Wissens in regelhafter Weise auf die Erfahrungswelt zu beziehen. Sie schafft damit die Voraussetzungen fr die menschliche Erkenntnis. Selbst wenn man Kants Ausfhrungen nicht in allen Details folgen will, so fhrt sein Argumentationsgang doch einA

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Die Einbildungskraft in der ersten Kritik

drucksvoll eine Strategie vor, mit der sich einem exzessiven epistemischen Relativismus (beziehungsweise einem radikalen epistemischen Skeptizismus) entgegentreten lßt. Denn: wenn wir zugeben mssen, daß Erkenntnis wesentlich von einer produktiven Leistung des erkennenden Subjekts abhngig ist und daß es eine absolute Konzeption hier nicht geben kann, zieht dies dann nicht, wie bereits David Hume meinte, unvermeidlich die Behauptung nach sich, jede epistemische Sicherheit sei unmglich? Kants Erkenntnistheorie ist der ausgearbeitete Versuch, diese Frage ohne den Rckgriff auf starke metaphysische Annahmen, wie etwa ein hheres Wesen als den Garanten der epistemischen Verlßlichkeit unserer Meinungen, negativ zu beantworten. Dreh- und Angelpunkt seiner berlegungen ist die Einbildungskraft.

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Siglen

Anthr. Collins Vorlesungsnachschrift Collins (1772/3) AA 25.2.1 Anthr. Friedl. Vorlesungsnachschrift Friedlnder (1775/6) AA 25.2.1 Anthr. (1798) Anthropologievorlesung von 1798 AA 7 Vorlesungsnachschrift zur Metaphysik, ediert L1 von Karl Heinrich Ludwig Plitz AA 28 KRV A Kritik der reinen Vernunft (1781) AA 4 KRV B Kritik der reinen Vernunft (1787) AA 3 KU Kritik der Urteilskraft (1790) AA 5 Preisschrift Preisschrift ber die Fortschritte der Metaphysik AA 20 R Reflexionen zur Anthropologie und zur Metaphysik AA 15; AA 18

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Literaturverzeichnis

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Originalwerke

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