Die europäische Energiewende 9783110525762, 9783110523072

The goal of developing ecologically and socially sustainable energy systems, including increasing efficiency while reduc

155 101 2MB

German Pages 232 [234] Year 2017

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Table of contents :
Vorwort: Der erste Radein-Band bei De Gruyter
Inhalt
Autorbiografien
Abkürzungsverzeichnis
Vorwort
Energiepolitik in Deutschland und Europa – ein Politikfeld im Wandel
Von der Techniktransformation zur Ordnungstransformation – die deutsche Energiewende
Die Relevanz der Peak-Oil Theorie?
Perspektiven für die Bereitstellung und Refinanzierung von Windkraft- und PVAnlagen – Eine Analyse von Weiterentwicklungsoptionen des institutionellen Rahmens unter Einbezug institutionenökonomischer Erkenntnisse
Effektive CO2-Sätze – Bepreisung von CO2 durch Steuern und Emissionshandel
Grüne Nudges
Entpolitisierung von Zulassungsund Genehmigungsverfahren für Energiewendeprojekte?
Fukushima – ein natürliches Experiment
Außergewöhnliche Ereignisse und responsives Regieren
Scheitert die Energie- und Klimawende in Europa im und am Verkehr?
Index
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Die europäische Energiewende
 9783110525762, 9783110523072

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Rahel Schomaker (Hrsg.) Die europäische Energiewende

Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft

Herausgegeben von Prof. Dr. Thomas Apolte Prof. Dr. Martin Leschke Prof. Dr. Albrecht F. Michler Prof. Dr. Christian Müller Prof. Dr. Rahel Schomaker und Prof. Dr. Dirk Wentzel

Band 104

Die europäische Energiewende Herausgegeben von Rahel Schomaker

ISBN 978-3-11-052307-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-052576-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-052328-7 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutsche Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort: Der erste Radein-Band bei De Gruyter Der von Rahel Schomaker vorgelegte Band 104 der Schriftenreihe zu Ordnungsfragen der Wirtschaft ist die Zusammenfassung der Ergebnisse des 49. Internationalen Forschungsseminars Radein, das sich erstmals mit dem Thema Energiepolitik und Nachhaltigkeit befasste. Im Jahre 1954 hat K. Paul Hensel an der Universität Freiburg mit der Publikation seiner Habilitationsschrift die Schriften zum Vergleich wirtschaftlicher Lenkungssysteme begründet. K. Paul Hensel – selbst ein Schüler von Walter Eucken – war ein einflussreicher Ökonom und charismatischer Lehrer, der seit 1968 jedes Jahr seine zahlreichen Schüler in einem kleinen südtiroler Bergdorf namens Radein für einige Wochen in Klausur versammelte. Viele seiner Schüler schlugen die akademische Laufbahn ein und wurden selber Professoren. Nach Hensels Tod 1975 haben seine Schüler sein wissenschaftliches Vermächtnis zur modernen Ordnungsökonomik weiterentwickelt. Bis heute kommen sie jedes Frühjahr zum Forschungsseminar Radein in Südtirol zusammen. Damit ist das Radein-Seminar das älteste wirtschaftswissenschaftliche Seminar seiner Art im deutschsprachigen Raum. Die Bände des Radein-Seminars sind zudem eine wichtige Dokumentation der bisherigen Tagungen und der wissenschaftlichen Beiträge zur Entwicklung des Fachgebietes. Bei der Wahl der Themen hatten die wissenschaftlichen Leiter oftmals ein gutes Gespür für aktuelle Entwicklungen, von der Reformnotwendigkeit sozialistischer Wirtschaftssysteme bis zur Begründung der Europäischen Union, von der Medienökonomik hin zu den Finanzmärkten, von der Arbeits- und Sozialpolitik bis hin zur Energiepolitik – wie im vorliegenden Band. Alle Beiträge sind sowohl durch die wissenschaftlichen Tagungsleiter als auch durch die Herausgeber und den Verlag intensiv begutachtet worden, sodass eine hohe wissenschaftliche Qualität sichergestellt ist. Im Mai 2017

https://doi.org/10.1515/9783110525762-202

Rahel Schomaker & Dirk Wentzel Im Namen der Herausgeber

Inhalt Vorwort: Der erste Radein-Band bei De Gruyter Autorbiografien

V

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Abkürzungsverzeichnis

XIII

Rahel Schomaker 1 Vorwort Rahel Schomaker Energiepolitik in Deutschland und Europa – ein Politikfeld im Wandel

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Hubertus Bardt Von der Techniktransformation zur Ordnungstransformation – die deutsche 15 Energiewende Boris Baic und Jörg Clostermann Die Relevanz der Peak-Oil Theorie?

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Albert Hoffrichter und Thorsten Beckers Perspektiven für die Bereitstellung und Refinanzierung von Windkraft- und PV-Anlagen – Eine Analyse von Weiterentwicklungsoptionen des institutionellen 69 Rahmens unter Einbezug institutionenökonomischer Erkenntnisse Florens Flues, Johanna Arlinghaus, Luisa Dressler und Kurt Van Dender Effektive CO2-Sätze – Bepreisung von CO2 durch Steuern und 97 Emissionshandel Christian Schubert 105 Grüne Nudges Christian Bauer Entpolitisierung von Zulassungs- und Genehmigungsverfahren für 127 Energiewendeprojekte? Sherief Emmam, Thomas Grebel und Ana-Despina Tudor 149 Fukushima – ein natürliches Experiment

VIII

Inhalt

Andreas Fleig und Marc Debus Außergewöhnliche Ereignisse und responsives Regieren

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Alexander Eisenkopf und Andreas Knorr Scheitert die Energie- und Klimawende in Europa im und am Verkehr? Index

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Autorbiografien Johanna Arlinghaus ist Volkswirtin im Umweltsteuerreferat der OECD. Ihre Forschungsinteressen umfassen Umwelt-, Energie- und Klimapolitik(-instrumente), sowie die Politische Ökonomie von Umweltsteuerreformen. Herr Boris Baic ist als Leiter Einkauf und strategischer Einkäufer für die Firma Collomix GmbH tätig und befasst sich dabei unter anderem intensiv mit den Themen Rohstoffpreisentwicklung, internationale Beschaffungsmärkte sowie Supply-Chain-Management. Während des Studiums der Betriebswirtschaftslehre (Bachelor) an der Technischen Hochschule Ingolstadt war sein Forschungsschwerpunkt „Peak-Oil“. Dr. rer. pol. Hubertus Bardt, geboren 1974 in Bonn; Studium der Volkswirtschaftslehre und der Betriebswirtschaftslehre in Marburg und Hagen, Promotion an der Philipps-Universität Marburg; seit 2000 im Institut der deutschen Wirtschaft Köln, seit 2005 Referent für Energie- und Umweltpolitik und Leiter des Kompetenzfeldes Umwelt, Energie, Ressourcen; von 2009 bis Juni 2014 stellv. Leiter des Wissenschaftsbereichs II Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik. Seit 2011 Lehrbeauftragter an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, seit 2016 auch an der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf. Seit Juli 2014 Leiter Wissenschaft und Geschäftsführer des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Christian Bauer: Als ausgebildeter Politik- und Verwaltungswissenschaftler arbeitet Dr. Christian Bauer aktuell am Institut für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation (InGFA) am FÖV Speyer insbesondere zum Vollzug des EU-Umweltrechts (Koordinator) sowie weiteren empirischen Projekten. Seine Forschungsschwerpunkte sind Implementations- und Vollzugsanalyse im Bereich des Energie- und Umweltrechts, öffentlich-private Kooperationsbeziehungen sowie Open Governance. Prof. Dr. Thorsten Beckers ist am Fachgebiet Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik (WIP) der TU Berlin tätig und leitet dort den Bereich Infrastrukturmanagement und Verkehrspolitik (IM-VP). Er hat an der TU Berlin Wirtschaftsingenieurwesen studiert und dort zu infrastrukturökonomischen Fragestellungen promoviert. Sowohl in der Lehre als auch in der Forschung befasst er sich IM-VP einerseits mit wirtschaftspolitischen Themen in Infrastruktursektoren (insbesondere Verkehr und Energie) und andererseits mit Fragen des Infrastrukturmanagements durch die öffentliche Verwaltung. Prof. Dr. Jörg Clostermann lehrt Volkswirtschaftslehre und Quantitative Methoden an der Technischen Hochschule Ingolstadt. Vor seiner Berufung arbeitete er in der Hauptabteilung Volkswirtschaft der Deutschen Bundesbank in Frankfurt, Abteilung Außenwirtschaft. Prof. Clostermann berät seit vielen Jahren Banken und Unternehmen auf dem Gebiet Indikatoren und Prognosen. Er ist darüber hinaus Mitglied des „Aktionskreises: Stabiles Geld“. Dr. Marc Debus ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Vergleichende Regierungslehre an der Universität Mannheim und Direktor des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung (MZES). Er hat von 1999 bis 2003 an den Universitäten Marburg und Mannheim studiert und 2006 an der Universität Konstanz promoviert. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Analyse der Effekte politischer Institutionen auf das Handeln und Entscheiden von Wählern, Parteien, Abgeordneten und Regierungen in europäischen Mehrebenensystemen. https://doi.org/10.1515/9783110525762-204

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Autorbiografien

Prof. Dr. Kurt Van Dender leitet das Umweltsteuerreferat der Abteilung für Steuerpolitik und -statistik im Steuerpolitikdirektorat der OECD. Er ist ehemaliger Chefökonom des International Transport Forums und war Professor für Volkswirtschaftslehre an der University of California in Irvine. Seine Forschungsinteressen umfassen Umwelt-, Transport- und Klimapolitik, sowie Steueranreize zur Investitionsförderung. Luisa Dressler ist Volkswirtin im Umweltsteuerreferat der OECD. Gerade beendet sie ihr Ph.D. in Quantiative Economics an der Université libre de Bruxelles. Ihre Forschungsinteressen umfassen Umwelt- und Energiepolitik, sowie Steueranreize zur Investitionsförderung. Alexander Eisenkopf ist Inhaber des ZEPPELIN-Lehrstuhls für Wirtschafts- und Verkehrspolitik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen. Nach einem wirtschaftswissenschaftlichen Studium, Promotion und einer Tätigkeit in der Praxis habilitierte er sich im Jahre 2001 an der Universität Gießen mit einer Arbeit über effiziente Straßenbenutzungsgebühren. Er lehrt seit 2003 an der Zeppelin Universität und ist seit dem Jahre 2006 berufenes Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesverkehrsministerium. Hauptforschungsgebiete sind Verkehrspolitik, Verkehrswirtschaft und gesamtwirtschaftliche Fragen der Logistik. Sherief Emam M. Sc. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik an der TU Ilmenau. Dr. Andreas Fleig ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg. Er hat von 2004 bis 2009 an der Universität Freiburg studiert und 2013 an der Universität Heidelberg promoviert. Sein Forschungsinteresse gilt Aspekten der Umwelt- und Energiepolitik, insbesondere der Regulierung von Umweltrisiken. Herr Dr. Florens Flues ist Volkswirt im Umweltsteuerreferat der OECD. Zuvor koordinierte er die Energiewirtschaftsgruppe in der Abteilung für Umwelt- und Ressourcenökonomik, Umweltmanagement des ZEW. Seine Forschungsinteressen umfassen Umwelt-, Klima- und nachhaltige Steuerpolitik. Thomas Grebel ist seit dem Oktober 2012 Universitätsprofessor für das Fachgebiet Wirtschaftspolitik an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der TU Ilmenau. Er studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Universität Augsburg bzw. an der Wayne State University in Detroit, USA. Nach seiner Promotion zum Dr. rer. pol. an der Universität Augsburg zum Thema „Entrepreneurship“ im Jahr 2002, arbeitete er als Post-Doc am GREDEG in Sophia- Antipolis, Frankreich, und übernahm 2006 die Leitung einer interdisziplinären Nachwuchsforschungsgruppe an der FSU Jena, wo er sich im Jahr 2010 zum Thema „Innovation und Gesundheit“ habilitierte. Im Mittelpunkt seines Forschungsinteresses steht der technologische Fortschritt als endogenes Element des wirtschaftlichen Wandels. Sein Forschungsansatz ist interdisziplinär und umfasst sowohl theoretische als auch angewandt-empirische Methoden. Albert Hoffrichter ist am Fachgebiet Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik (WIP) der TU Berlin tätig und promoviert dort, betreut von Thorsten Beckers, zum Thema Bereitstellung und Refinanzierung von Stromerzeugungsanlagen. Zuvor studierte er an der WWU Münster Volkswirtschaftslehre. Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Knorr ist habilitierter Volkswirt und Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insb. Wirtschafts- und Verkehrspolitik, an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.

Autorbiografien

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Prof. Dr. Rahel M. Schomaker ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Carinthia University of Applied Sciences, Villach und ist dem Deutschen Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung assoziiert. Nach einem Studium der Politikwissenschaft und Wirtschaftspolitik, Promotion und Habilitation lehrt und forscht sie insbesondere zu (interdisziplinären) Fragen von Governance, Kooperationsregimen und Institutionentransformation und ist in der Politikberatung im In- und Ausland (Schwerpunkt Naher Osten und Osteuropa) tätig. PD Dr. Christian Schubert ist habilitierter Volkswirt und hat u. a. am Max Planck Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn sowie dem Max Planck Institut für Ökonomik in Jena geforscht. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Evolutionsökonomik, Innovationsökonomik, Verhaltensökonomik, Politische Ökonomie, sowie Philosophie & Ökonomik. Ana-Despina Tudor war Doktorandin am Fachgebiet Medienpsychologie und Medienkonzeption an der TU Ilmenau. Zurzeit ist sie Research Associate an der Open University in Großbritannien.

Abkürzungsverzeichnis Abb. API bbl BGR BP BMWi BRIC CSS CTL EIA GTL IEA IMF LTO mb/d NGL OECD OPEC P SPE URR US$ WTI X ZNW

Abbildung American Petroleum Institute Barrel Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe British Petrol Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Brasilien, Russland, Indien, China Cyclic Steam Stimulation Coal-to-Liquids U.S. Energy Information Administration Gas-to-Liquids International Energy Agency/Internationale Energieagentur International Monetary Fund Light Tight Oil Megabarrels per day (Maßeinheit: Millionen Barrel/Tag) Natural Gas Liquids Organisation for Economic Co-operation and Development Organization of Petroleum Exporting Countries Preis Society of Petroleum Engineers Ultimately Recoverable Resource US-Dollar West Texas Intermediate Menge Zuwachs an Nettowohlfahrt

https://doi.org/10.1515/9783110525762-205

Rahel Schomaker

Vorwort Von ersten Versuchen mit Solarzellen und Windrädern in den 1980er Jahren und das Stromeinspeisungsgesetz von 1991 bis zur Verabschiedung des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) im Jahr 2000, dem sog. „Atomausstieg“ 2011 und den aktuellen Fragen des Netzausbaus – das Thema Energiewende beschäftigt Politik und Verwaltung, aber auch Unternehmen und Verbraucher bereits seit mehreren Jahrzehnten. Technische Innovationen, aber auch marktliche Probleme und insbesondere politische Fragen, welche sich auch und gerade angesichts der zunehmenden Einbettung des Bereiches Energiepolitik auf Ebene der Europäischen Union stellen, lassen das Themenfeld oftmals unübersichtlich erscheinen. Dazu kommen mannigfaltige Interessen und Interessenkonflikte der unterschiedlichen Stakeholder, welche auf nationaler und europäischer Ebene wirken. Der vorliegende Band nimmt sich des Themas entsprechend der diskutierten Dynamik und Diversität aus verschiedenen disziplinären wie inhaltlichen Perspektiven an. So werden die Potenziale und Restriktionen, die mit verschiedenen Energieträgern verbunden sind, ebenso diskutiert wie die politökonomischen Implikationen der Energiewende und die sich daraus ergebenden Herausforderungen für die Zukunft. Obgleich nicht alle Dimensionen der europäischen Energiewende gleichermaßen vertieft werden, bietet sich somit ein breites Spektrum an Themenfeldern, welche trotz sich wandelnder Rahmenbedingungen auch in Zukunft von Bedeutung sein werden. Entsprechend der thematischen Schwerpunkte des Seminars gliedert sich der Band in drei Teile: Der einführende Teil adressiert die grundsätzlichen Herausforderungen der Energiewende für Deutschland und Europa. Nach einer Einführung in die Europäische Energiewende als Querschnittsaufgabe für Politik, Verwaltung und Märkte durch die Herausgeberin, wird im Beitrag von Bardt die Energiewende in Deutschland als Ordnungstransformation reflektiert. Diese ist nicht nur als weitreichende Wandelung des Stromerzeugungssystems, sondern vielmehr auch der Energieverteilung und des Energieverbrauchs zu verstehen und beeinflusst die gesamte Ordnungslogik des bestehenden Systems. Der zweite Teil steht unter der Überschrift „Märkte und Preise“, hier werden in Aufsätzen von Baic und Clostermann, Hoffrichter und Beckers sowie Flues und Koautoren verschiedene Formen der Energieerzeugung und Bepreisung vor dem Hintergrund der Energiewende diskutiert. Baic und Clostermann stellen dabei nochmals heraus, dass nicht die Verfügbarkeitsprobleme fossiler Energieträger als Problem anzusehen sind, sondern ihre Einbettung im Rahmen der Energiewende. Der Beitrag von Hoffrichter und Beckers diskutiert detailliert die Möglichkeiten für die Bereitstellung und Refinanzierung erneuerbarer Energien, während Flues, Arlinghaus, Dressler und Van Dender die Frage der Vermarktlichung von Emissionen diskutieren. https://doi.org/10.1515/9783110525762-001

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Rahel Schomaker

Der abschließende Abschnitt ist der Frage nach den politischen und administrativen Implikationen der Energiewende vorbehalten. In seinem Beitrag diskutiert Schubert den Einsatz sog. „Nudges“ – politisch-administrativ ausgeübter „Schubser“ – für Verbraucher und Unternehmen, um dort einzuwirken, wo traditionelle staatliche Instrumente versagen. Der Beitrag von Bauer zur Entpolitisierung von Zulassungsverfahren befasst sich mit neuartigen Fragen zu Öffentlichkeitsbeteiligung, Verwaltungs- und Gesetzgebungsverfahren, welche im Zuge der Energiewende, aber auch bei etwa der Suche nach einer Endlagerungsstätte für radioaktive Abfälle aufscheinen. Anschließen geht der Beitrag von Eman, Grebel und Tudor der Frage nach, in wie weit der Nuklearunfall von Fukushima als exogene shock verstanden werden kann, der als Katalysator im politischen Prozess wirkt. Auch Fleig und Debus diskutieren die Bedeutung von derartigen Ereignissen für Institutionenvertrauen und Bürgerbeteiligung. Abschließen nimmt sich der Beitrag von Eisenkopf und Knorr mit der Verkehrspolitik eines Themenfeldes an, welches aufgrund seiner volkswirtschaftlichen Bedeutung als Schlüsselthema auch für die Energiewende und die damit verbundenen klimapolitischen Ziele verstanden werden kann. Die einzelnen Beiträge in diesem Band beruhen auf Vorträgen, welche auf dem 49. Forschungsseminar Radein im Februar 2016 in Radein, Südtirol, vorgestellt und diskutiert wurden. Der Dank der Herausgeberin und der Autoren gilt daher allen Teilnehmern des Radeinseminars 2016 und insbesondere den Korreferenten der einzelnen Vorträge sowie insbesondere auch dem Deutschen Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung Speyer, welches die Teilnahme von Nachwuchswissenschaftlern an dieser Tagung ermöglicht und damit wesentlich zu ihrem Erfolg beigetragen hat.

Rahel Schomaker

Energiepolitik in Deutschland und Europa – ein Politikfeld im Wandel 1 Einführung Die gesteuerte, wenn auch zunächst individuelle Verwendung von Energieträgern ist kulturgeschichtlich von besonderer Bedeutung, hat sie doch initial den Übergang zu einer sesshaften Lebensweise erleichtert, später die Industrialisierung ganzer Volkswirtschaften erlaubt. Damit stellen Energiegenerierung – wie auch die -Verwendung – nicht nur notwendige Bedingungen für wirtschaftliche Entwicklung dar, sondern können darüber hinaus auch als Indikator sozio-ökonomischer Entwicklungen verstanden werden: Der jeweilige Energiekonsum erlaubt Rückschlüsse auf Effizienz und Industrialisierung, und damit Entwicklungsgrad und -potenzial einer Volkswirtschaft, die Energieinfrastruktur und der Zugang zu dieser sind maßgebliche Voraussetzungen für wirtschaftliches Wachstum und sozialen Ausgleich, Energiekonsum und -Erzeugung haben Wechselwirkungen mit anderen sozialen, ökologischen und marktlichen Systemen, auch über nationale Grenzen hinaus. Dies gilt grundsätzlich auch für die allgemeine Frage nach Innovation in diesem Sektor. Die nach heutigem technologischem Verständnis zur Verfügung stehenden Primärenergieträger umfassen die natürlich vorkommenden Energieträger, wie etwa Stein- und Braunkohle, Erdöl und -gas, Uran und Wasserstoff, welche in regenerierbare Energieträger und nicht regenerierbare Energieträgern unterschieden werden können. Dazu kommen sogenannte „erneuerbare Energien“, wie die Nutzung von Geothermie, Wind oder Wasser, Sonne (Fotovoltaik) sowie Biomasse. Durch (gerichtete) Umwandlung entstehen aus diesen Sekundärenergieträger, welche auch überwiegend die Gruppe der Endenergieträger für die Nachfrager/Verbraucher stellen. Diese Unterscheidung kennzeichnet entsprechend auch die Marktakteure auf Mehrebenen-Energiemärkten, welche auf der Angebotsseite Erzeuger von Primär- und Sekundärenergieträgern umfassen, auf der Nachfrageseite Sekundärenergieerzeuger und Endabnehmer, wie private Haushalte und Unternehmen. Insgesamt ist der globale Energieverbrauch seit 1990 um 50 % gestiegen, die Bedeutung fossiler Energieträger hat sich jedoch bis 2011 mit rund 80 % kaum verändert, während der Anteil sog. „erneuerbarer Energien“ leicht gestiegen ist und Kernenergie an Bedeutung verloren hat (BMWi 2014). Parallel zum Primärenergieverbrauch sind auch die energiebedingten CO2-Emissionen gestiegen, der Großteil des globalen Zuwachses, rund 90 %, entfällt auf Entwicklungs- und Schwellenländer, welche sich nunmehr für rund 60 % der globalen Energienutzung verantwortlich zeichnen. https://doi.org/10.1515/9783110525762-002

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Konkret für Deutschland zeigt sich zwar eine nur sehr geringfügige Anpassung des Primärenergieverbrauchs, welcher lange stabil blieb und erst seit 2006 im Trend zurückgeht, sich damit im Sinne einer zunehmenden Energieeffizienz von der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts entkoppelt hat. Deutliche Verschiebungen zeigen sich jedoch in der Struktur der Energieträger: Während im Jahr 1990 fossile Energien mit 87 % zur Verbrauchsdeckung beitrugen, waren es 2011 lediglich 79 % (BMWi 2014). Energiepolitik kann entsprechend in allen modernen Volkswirtschaften als eines der Schlüsselpolitikfelder angesehen werden. Sie stellt inzwischen eine Querschnittsaufgabe dar, welche verschiedene andere Politikfelder berührt, insbesondere Umwelt- und Klimapolitik, Sozialpolitik, Wettbewerbspolitik und Industriepolitik, und darüber hinaus etwa sicherheits- und außenpolitische Aspekte aufweist. Der Begriff der Energiepolitik als Teil der Wirtschaftspolitik umfasst im engeren Sinne Aktivitäten von Gebietskörperschaften aller Ebenen, Parteien oder inter- bzw. supranationaler Institutionen zur Regelung des Systems der Aufbringung, Umwandlung, Verteilung und Verwendung von Energie. Unterschieden werden müssen jedoch auch hier die prozessualen (politics) sowie inhaltlichen Aspekte (policy) der Energiepolitik. Im weiteren Sinne, als Governance des Energiesektors verstanden, können alle institutionellen Rahmenbedingungen, Prozesse und Aktionen, welche auf die Herstellung gesellschaftlich verbindlicher Entscheidungen über Struktur- und Prozessgestaltung in der Herund Bereitstellung, Verteilung sowie der Planung und Lenkung des Verbrauchs von Energie zielen, unter Energiepolitik subsumiert werden. Aus diesen Rahmenbedingungen folgt in modernen Demokratien in der Regel ein System oftmals schrittweise vorgenommener Politikanpassungen (Inkrementalismus) in der Energiepolitik. Mit Blick auf Deutschland und andere Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bedeutet dies eine weitgehende Einbettung des nationalen Politikfeldes in europäische Rahmenbedingungen sowie die Berücksichtigung entsprechender Wechselwirkungen horizontal wie auch vertikal.

2 Charakteristika von Energiemärkten Als wesentliches Charakteristikum der Energiewirtschaft in vielen Industriestaaten, darunter auch Deutschland, sowie den meisten europäischen Staaten, ist eine starke Kontinuität des traditionellen Entwicklungspfades der Energiemärkte festzustellen. Dies kondensiert in der Tatsache, dass technische und ökonomische Grundstrukturen, welche sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts herausgebildet haben, oftmals nach wie vor erkennbar sind. Trotz zahlreicher Krisen und Anpassungen der (nationalen wie internationalen) Energiemärkte durch Veränderungen der Angebots- oder Nachfrageseite sowie die Modifikation rechtlicher Rahmen-

Energiepolitik in Deutschland und Europa – ein Politikfeld im Wandel

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bedingungen, haben sich die daraus resultierenden Impulse lange Zeit kaum in tiefgreifenden strukturellen Veränderungen realisiert. In der Energiewirtschaft sind regelmäßig Effekte zu beobachten, welche aus ökonomischer Sicht Ausnahmezustände bzw. Marktversagenstatbestände darstellen. Dies rechtfertigt – sofern möglich und unter Kosten-Nutzen-Abwägung als effizient eingestuft – staatlichen Eingriff, zumindest aber eine politische Flankierung marktlicher Aktionen. Diese Effekte entstammen dabei nicht durchgehend der ökonomischen – und daher grundsätzlich änderbaren – Natur des Marktes, sondern vielmehr existierenden technologischen Besonderheiten. Dazu gehören insbesondere externe Effekte, welche insbesondere durch Emissionsausstoß (Schadstoffe, Schall oder Temperatur) in der Energieproduktion entstehen können und welche aufgrund ihrer Natur nicht räumlich starr sind und somit auch nationale Grenzen überwinden können. Auch sind im Energiesektor spezielle Marktrisiken durch leitungsgebundene Systeme (Energienetze) und monopolistische Bottlenecks zu konstatieren. Hohe irreversible Kosten treten insbesondere durch hohe Eingangsinvestitionen und Fixkosten in der Energiegewinnung auf, jedoch auch im Netzaufbau und -betrieb. Starrheiten wie etwa in der Elektrizitätswirtschaft, welche grundsätzlich eine Orientierung an Spitzenlasten mit sich bringen, und die unter aktuellen technischen Gegebenheiten nur sehr begrenzt mögliche und überdies kostenintensive Speicherung von elektrischer Energie, sind weitere Charakteristika des Sektors. Dazu kommt eine asymmetrische Verteilung von Informationen zwischen den Marktseiten Staatliche Eingriffe werden regelmäßig über das Versagen des marktlichen Koordinationsmechanismus aufgrund dieser Charakteristika gerechtfertigt. Dabei bestehen durchaus erhebliche Unterschiede in den Positionen bzgl. Tiefe und Umfang staatlicher Eingriffe, etwa hinsichtlich der Abgrenzung der eigentlichen monopolistischen Bottlenecks (Fisher/Rothkopf 1989). Darüber hinaus sind – im Sinne einer funktionierenden Daseinsvorsorge – auch polit-ökonomische Besonderheiten des Sektors zu konstatieren. Dazu gehört eine mit meritorischen Argumenten zur gesamtvolkswirtschaftlichen Wohlfahrt begründete staatliche Intervention auch in funktionierende (Teil-)Märkte des Energiesektors bis hin zu einer historischen Eigenbereitstellung des Staates. Auch die durchaus asymmetrische, darüber hinaus aber auch sehr intensive politische Einflussnahme von Interessengruppen ist in vielen Staaten zu beobachten. In modernen Industriestaaten war das Politikfeld über weite Teile des zwanzigsten Jahrhunderts geprägt von der angebotsseitigen Fokussierung auf die Nutzung fossiler Energieträger einerseits und von Kernenergie andererseits. Diese Dichotomie der Energieerzeugung spiegelt sich nicht zuletzt in den traditionellen Instrumenten und Prozessen der Energiepolitik wieder. Nicht nur technologische Innovation, sondern auch die politischen, bürgerseitig initiierten Diskussionen über nachhaltige Entwicklung und Umweltschutz, insbesondere seit den 1970er Jahren, zeigen eine zunehmende Abkehr von dieser starken Fokussierung. Immer

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Rahel Schomaker

mehr werden im Kontext der Energieversorgung nicht nur die Fragen ökonomischer, sondern auch ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit betont. Diese etwa im deutschen Energiewirtschaftsgesetz als Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit formulierten Ziele, finden auch auf europäischer Ebene Niederschlag, wenn das von der EU Kommission als Priorität lancierte Großprojekt Energiewende in den Dimensionen Versorgungssicherheit, integrierter Energiebinnenmarkt, Energieeffizienz, Emissionsminderung sowie Forschung und Innovation konkretisiert wird (Europäische Kommission 2015).

3 Ziele der Energiepolitik Die aktuellen Ziele nationaler wie internationaler energiepolitischer Maßnahmen können grundsätzlich entlang der benannten Kategorien a) Wirtschaftlichkeit, b) ökologische Verträglichkeit und c) Versorgungssicherheit modelliert werden, wenn auch zwischen den Volkswirtschaften sowohl global als auch innerhalb der Europäischen Union durchaus erhebliche Unterschiede festzustellen sind. Diese Ziele werden reflektiert durch politische und administrative Strukturen, welche sich mit dem Politikfeld befassen, sowie dem jeweilig geltenden Energierecht. Das Energierecht beinhaltet die Gesamtheit der nationalen wie internationalen Rechtsnormen, welche die Energiewirtschaft regeln. Dazu gehören Rechtsregeln zu Aufbringung, Verteilung, Transport, Verbrauch und Einsparung von Energie wie etwa das Atomrecht, aber auch im weiteren Sinne sonstige benachbarte Bereiche wie Energiewirtschaftsrecht, Umweltrecht, Verbraucherrecht, allgemeines Wirtschaftund Wettbewerbsrecht. Relevant für den Bereich Wirtschaftlichkeit ist insbesondere die Senkung von Substitutionskosten. Hier können etwa die Reduktion von technisch-organisatorischen Barrieren oder aber Harmonisierungsvorteile oder die Nutzung von Skaleneffekten genannt werden, welche eine entsprechende Kostenreduktion induzieren können. Dies gilt für technische Standards ebenso wie für administrativ-organisatorische Gesichtspunkte. Ein weiterer relevanter Aspekt ist in diesem Zusammenhang die Wettbewerbsförderung. Die Öffnung von Netzen für privatwirtschaftliche Unternehmen im Allgemeinen bzw. die Liberalisierung von Märkten wird als Schlüssel zu einer Kostensenkung bzw. Effizienzsteigerung angesehen. Ähnliches gilt für die Regulierung von natürlichen Monopolen bzw. der entsprechenden existierenden monopolistischen Bottlenecks, die einer Reduktion von übernormalen Monopolgewinnen dienen soll. Gleichzeitig ist jedoch auch, insbesondere im Sinne des Schutzes sog. spezifischer Investitionen, die Anbieterseite ggf. abzusichern. Die unter Umweltverträglichkeit zu subsumierenden Ziele betreffen insbesondere die Internalisierung externer Effekte, welche nicht durch den Preismechanismus abgefangen werden. Schadstoffe und Emissionen sollen entsprechend op-

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timaler Mengen (Angebots und Nachfrageseite) gestaltet werden. Auch eine grundsätzliche Kalkulation von Risiken durch den allgemeinen Ressourcenverbrauch ebenso wie durch Störfälle insbesondere im Bereich der Nuklearenergie ist mit diesem Ziel verbunden. Vertragsgestaltung für internationale Kooperation bei globalen öffentlichen Gütern kann ebenfalls diesem Ziel dienen, sofern sie geeignet erscheint, optimale Lösungen für grenzüberschreitende Konsequenzen von energiewirtschaftlichen Maßnahmen zu finden. Die unter Versorgungssicherheit gefassten Ziele finden ihren Niederschlag allgemein in der Förderung von gesamtwirtschaftlicher und sozialer Entwicklung durch Zugang zu Energieinfrastruktur. Im Detail werden hier etwa Fragen der Herstellung von Versorgungssicherheit für die Bevölkerung im Sinne der Vermeidung von Versorgungsknappheit bzw. ggf. einer (staatlichen) Bevorratung gestellt, sowie die Kostenübernahme einer sicheren Energieversorgung in den Blick genommen. Auch ein hohes Maß an gesellschaftlicher Integration durch Sozialverträglichkeit mit Blick auf Energiepreise oder die Akzeptanz neuer Technologien können an dieser Stelle angeführt werden. Grundsätzlich sind zwischen diesen verschiedenen Zielen durchaus Synergien möglich, etwa kann eine effizientere Bereitstellung und Nutzung von Energieträgern durchaus zu sozial erwünschten Preiseffekten führen und somit gleichzeitig ökonomische wie soziale Nachhaltigkeitsziele stützen. Es sind jedoch sowohl in der theoretischen Herleitung, aber insbesondere auch der praktischen Umsetzung Zielkonflikte zwischen den Einzelzielen zu konstatieren. Dies gilt etwa zwischen ökologischen und ökonomischen Teilzielen. Welche Dimensionen in letzterem Fall höher gewichtet werden, ist abhängig u. a. vom jeweilig geltenden Rechtsregime, durchaus aber auch aktuellen gesellschaftspolitischen Strömungen. Als Beispiel kann an dieser Stelle etwa der mittelfristige „Ausstieg“ aus der Nutzung der Kernenergie in etlichen Industriestaaten als Reaktion auf die Kernschmelze im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi im März 2011 genannt werden, während andere Staaten die Nutzung von Kernenergie beibehalten bzw. diesen Sektor weiter ausbauen.

4 Energiewende Das Schlagwort „Energiewende“ hat sich innerhalb der letzten Jahre von einer deutschen Politikinitiative hin zu einer zumindest Europäischen Initiative entwickelt. Dabei handelt es sich um ein stark normativ geprägtes Konzept. Der Wechsel hin zu alternativen Formen der Energieerzeugung ist kein Wert sui generis, sondern erhält seine Bedeutung durch Annahmen über die Implikationen der bisherigen Energiegenerierung und -nutzung. Dazu gehören die Erschöpfbarkeit bzw. der zeitlich und regional gesicherte Zugang zu sonstigen (fossilen) Energieträgern, die Vermeidung von (nuklearen) Abfällen sowie insbesondere die Idee, damit die Kli-

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Rahel Schomaker

maerwärmung zu begrenzen. Diese geschieht unter der Annahme, dass die aus menschlicher Energienutzung stammenden Emissionen, insbesondere diejenigen langlebiger Treibhausgase, vor allem Kohlendioxid, aber auch Methan und Lachgas, maßgeblich für den globalen Klimawandel sind bzw. diesen tatsächlich beeinflussen können, entsprechend eine Reduktion der entsprechenden Emissionen also von Bedeutung ist (WBGU 2003). Dies hat sich auch die EU zu eigen gemacht in ihren durchaus ambitionierten Vorgaben zur Reduktion etwa von CO2 (siehe etwa Europäischer Rat: Schlussfolgerungen des Vorsitzes, 8./9. März 2007, 7224/07, S. 12 ff.). Auch sonstige negative Auswirkungen des bisherigen Energiesystems für die belebte Umwelt sowie die menschliche Gesundheit werden angenommen und bieten somit eine weitere Begründung für einen grundlegenden Wandel des Energiesystems (WBGU 2003). Eine auf verschiedenen Kalkulationen beruhende Annahme an dieser Stelle ist, dass Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen geringere Kosten verursachten, als die drohenden Schäden durch den Klimawandel selbst, die Kosten-Nutzen Abschätzung dieser Investitionen bzw. des Gesamtprojektes Energiewende daher positiv ausfalle (Europäische Kommission: Strategie für eine erfolgreiche Bekämpfung der globalen Klimaänderung, KOM(2005) 35 endgültig, 09. 02. 2005, S. 16 ff.). Entsprechend wird eine Vielzahl von Maßnahmen politisch und finanziell gefördert, welche die verschiedenen Marktseiten und -Ebenen betreffen, etwa Effizienzstrategien ebenso wie auf Versorgerseite angesiedelte Maßnahmen.

5 Konsens und Dissens Über das zwischenzeitlich in vielen Staaten etablierte „nachhaltige“ Zieldreieck der Energiepolitik – Umweltverträglichkeit Wirtschaftlichkeit/Wettbewerbsfähigkeit, Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit – herrscht in Deutschland wie in Europa weitgehend Konsens zwischen den etablierten Parteien und sonstigen gesellschaftlichen Stakeholdern, wenn auch erwartungsgemäß entsprechend ausgerichtete Parteien oder thematisch agierende Lobbygruppen einzelne Aspekte unterschiedlich gewichten. In Entwicklungs- und Schwellenländern jedoch liegt nach wie vor ein deutlicher Fokus auf der wirtschaftlich-wettbewerbliche Dimension von Energiepolitik, so dass die sozialen und ökologischen Aspekte oftmals nur untergeordnete Bedeutung haben. Auch in Industrieländern umstritten ist jedoch das energiepolitische Instrumentarium im Detail: Abhängig von der jeweiligen politischen Position und Marktseite werden verschiedene Ansätze zur Zielerreichung präferiert. Die einzelnen energiepolitischen Instrumente lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: ordnungsrechtliche Vorgaben über die allgemeinen Spielregeln einerseits und direkte und ggf. diskretionäre, d. h. vom Einzelfall abhängige Marktintervention andererseits. Dazu kommt die fiskalische Behandlung des Energiesektors bzw. der Einzel-

Energiepolitik in Deutschland und Europa – ein Politikfeld im Wandel

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märkte. Diese kann sowohl energiepolitische Ziele im engeren Sinne verfolgen, als auch allgemein auf die Generierung von Staatseinnahmen ausgerichtet sein und somit schwerpunktmäßig fiskalische Zwecke verfolgen. Grundsätzlich gilt mit Blick auf den Instrumenteneinsatz, dass aufgrund der Komplexität des Sektors die Kalkulation gesamtwirtschaftliche Effekte energiepolitischer Maßnahmen von besonderer Bedeutung, jedoch auch mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist. Diese entstehen etwa durch intangible Kosten oder Nutzen einzelner Instrumente, welche in traditionellen Kosten-Nutzen-Analysen nur schwerlich einbeziehbar sind. Auch sind zeitabhängige Nachfolgekosten und -nutzen ggf. nur schwerlich zu kalkulieren, etwa abhängig von der Verfügbarkeit technischer Innovation wie etwa sog. Backstop-Technologien, welche Ressourcensubstitute für einzelne Energieträger darstellen. Grundsätzlich und damit verbunden stellt sich, insbesondere wenn es um den Einsatz relativ neuer Verfahren geht, die Frage nach geeigneten Indikatoren. Die oftmals in diesem Zusammenhang herangezogene Energieeffizienz ist etwa als Indikator zum Vergleich über Zeit und Raum nur bedingt geeignet, handelt es sich doch nicht um eine statische Größe, sondern vielmehr ein komplexes Konstrukt aus technischen, sozio-ökonomischen, politischen und organisatorischen Rahmenbedingungen. Auch ist die administrativorganisatorische Unterfassung von energiepolitischen Instrumenten insbesondere in komplexen Mehrebenensystemen wie der Europäischen Union relevant. Zu erkennen ist grundsätzlich eine gewisse Trendwende im Instrumentarium. Während traditionell etwa Wettbewerbsausschluss als Marktordnungsinstrument durchaus verbreitet war, etwa durch Regelungen leitungsgebundener Energieversorgung für Strom und Gas, die energieerzeugenden Unternehmen die Einrichtung und den Schutz von Versorgungsgebieten garantierte, so ist zunehmend eine Fokussierung auf Anreize für Angebots- und Verbraucherseite sowie Marktlösungen, etwa durch Zertifikatslösungen, zu erkennen. Energiepolitische Instrumente variieren dabei sowohl zwischen Industrie- und Entwicklungsländern ebenso wie innerhalb der Gruppe industrialisierter Staaten, als auch über die Zeit. Insbesondere die in vielen Staaten zu Beginn des 21. Jahrhunderts eingeleitete Energiewende stellt sich als Herausforderung dar, da sie nicht nur neue energiepolitische Ziele postuliert, sondern damit einhergehend auch neue Instrumente erfordert. Diese werden jedoch insbesondere in der Transformationsphase in Teilen nur unzureichend aufeinander abgestimmt, dies gilt sowohl über die Ebenen hinweg als auch für konfligierende Einzelinstrumente. In diesem Zusammenhang kann mit Blick auf viele Staaten, darunter auch Deutschland, geradezu von einer „Instrumenteninvasion“ gesprochen werden (Hansjürgens 2012).

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6 Regionale Integration und internationale Kooperation Während in anderen Bereichen der Wirtschaftspolitik, etwa der Handelspolitik, teilweise seit Jahrzehnten ausgeprägte Internationalisierungstendenzen auszumachen sind, war die Energiepolitik davon zwar nicht durchgehend ausgenommen, jedoch gekennzeichnet von regionaler Kooperation sowie angebots- oder nachfrageseitig ausgerichteter Zusammenarbeit zwischen Staaten. Ordnungsökonomisch begründbar ist Kooperation in diesem Bereich durch die Tatsache, dass sowohl der Abbau von Energieträgern, als auch Energieerzeugung und -Verbrauch selbst negative externe Effekte verursachen können, welche nicht an nationale Grenzen gebunden sind. Die Abwesenheit von negativen Folgen von Energieerzeugung und -Verbrauch können in diesem Zusammenhang als globale, zumindest aber regionale öffentliche Güter verstanden werden. Diese öffentlichen Güter, von deren Nutzen niemand ausgeschlossen werden kann, erhöhen die Wahrscheinlichkeit sog. „Trittbrettfahrerverhaltens“ – in diesem Falle vorrangig durch Staaten, jedoch möglicherweise auch einzelne Marktakteure. Dies gilt etwa für Fragen der Luftreinhaltung, insbesondere aber die Abwesenheit möglicher klimawirksamer Folgen von Emissionen: während es grundsätzlich für einzelne Akteure rational ist, keine zusätzlichen Kosten für die Erhaltung dieses öffentlichen Gutes auf sich zu nehmen bzw. eine aus individueller Sicht optimale Nutzung anzustreben, so ist aus globaler bzw. regionaler Sicht ein derartiges Verhalten suboptimal. Entsprechend sind bindende Regelungen eine Möglichkeit, derartige Effekte zu vermeiden und ggf. anfallende Kosten zu verteilen. Für die Staaten Europas ist die zentrale Institution zur Regulierung auch energiepolitischer Fragen die Europäische Union (EU), welche bereits in ihren Anfängen durch eine enge Zusammenarbeit in diesem Bereich gekennzeichnet war, namentlich durch die Schaffung der Atomgemeinschaft (EURATOM) sowie der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Diese beiden Gründungsinstitutionen der späteren EU umfassten zwar jeweils nur ausgewählte Bereiche der Energieversorgung und dienten nicht einer umfassenden Regelung, stellten aber wichtige Schritte zu einer weitergehend harmonisierten E. dar. Als eigentliche Geburtsstunde eines gemeinschaftlichen europäischen Energierechts kann die Tagung des Rates der Staats- und Regierungschefs im Mai 1973 angesehen werden, welche später durch zahlreiche weitere primär- und sekundärrechtliche Regelungen ergänzt und konkretisiert wurde. Zu Meilensteinen der EU-weiten Energiepolitik zählen etwa die Entschließung des Rates aus dem Jahr 1980 für die energiepolitischen Ziele, die BinnenmarktRichtlinie für Elektrizität aus dem Jahr 1996, die Europäische Energiecharta bzgl. der Beseitigung von technischen, administrativen und sonstigen Hemmnissen für den Handel im Energiebereich von 1991, die Etablierung der Trans-Europäischen

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Netze (TEN) auch im Energiesektor seit 2003 sowie die Schaffung einer umfassenden Europäischen Energieunion in 2015. Während der vergangenen Dekaden wurde neben der verstärkten regionalen Kooperation auch die internationale energiepolitische Zusammenarbeit stetig intensiviert. Somit sind heute neben den traditionellen Akteuren zunehmend internationale Institutionen mit energiepolitischen Fragestellungen befasst. Diese Institutionen haben durchaus eine sehr verschiedene Reichweite (Mitgliederzahl sowie Regelungstiefe und -verbindlichkeit), stellen jedoch inzwischen wichtige Akteure der internationalen Energiepolitik dar. Zu diesen gehört die Internationale Atomenergieagentur (IAEA), die bereits seit 1974 Fragen der nicht-militärischen Nutzung der Atomkraft international koordiniert. Auch die sog. G7 wie auch die G20, Foren der wichtigsten Industriestaaten bzw. Industrie- und Schwellenländer, haben durch eigenständige Arbeitsgremien zur E. die internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich verstetigt. Das Internationale Energieforum (IEF) dient als Plattform für die Nachfrage- wie auch Angebotsseite von Primärenergieträgern aus Industriestaaten sowie den relevanten Transit- und Schwellenländern, weitere internationale Foren wie etwa die International Renewable Energy Conferences (IRECs), das Renewable Energy Policy Network for the 21 st Century (REN21), das Clean Energy Ministerial (CEM), die International Partnership for Energy Efficiency Cooperation (IPEEC), oder die Middle East North Africa Renewable Energy Conferences (MENAREC) stellen neue Ansätze insbesondere in der Kooperation zugunsten einer verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien da. Die Förderung innovativer Technologien sowie eine Einbindung energiepolitischer Probleme in regionale und internationale Politikkooperationen stellen Schwerpunkte der Aktivitäten dieser Plattformen dar.

7 Fazit und Perspektiven Obschon die Starrheit von Märkten und verzögerte Anpassungsprozesse der Akteure das Politikfeld nach wie vor kennzeichnen, zeichnen sich neue Dynamiken ab, welche die Energiepolitik auf nationaler wie internationaler Ebene prägen. Dazu gehören insbesondere die zunehmende internationale Kooperation und die in diesem Zusammenhang auftretende Emergenz neuer Akteure und Prozesse sowie die unter dem Schlagwort Energiewende stattfindende Ausrichtung der Energiewirtschaft hin zu einem verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien, welche wiederum durch prozedurale wie strukturelle Änderungen gekennzeichnet ist. Angesichts der Komplexität des Politikfeldes sind eindeutige Trends nur schwerlich abzuschätzen, jedoch zeigt sich, dass die Anpassung traditioneller energiepolitischer Instrumente auch und insbesondere mit Blick auf das Projekt der Energiewende notwendig erscheint. Der unter diesem Schlagwort zusammengefasste verstärkte Einsatz erneuerbarer Energien in der Energieversorgung bedarf nicht nur technologi-

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scher Innovation, sondern zunächst eines „Übergangsmanagements“ auf institutioneller Ebene, welches auch die Generierung und Regulierung von Märkten berührt. Grundsätzlich ist dies für die Staaten der EU nur auf Unionsebene denkbar. Hiermit stellt sich die Frage nach der Einbindung von Partialinteressen einzelner Nationen in ein umfassendes Energiekonzept auf Gemeinschaftsebene. Problematisch stellt sich hier neben nationalen politisch-historischen Entwicklungspfaden der Energiewirtschaft auch das aktuell durchaus unterschiedliche Verständnis der Mitgliedsstaaten, etwa betreffend der Nutzung von Kernenergie zur Energieversorgung, dar. Somit wird deutlich, dass neben den Herausforderungen der Instrumentenwahl in der Energiepolitik nach wie vor Herausforderungen auf der der Instrumentenebene vorgelagerten Zielebene bestehen (Hansjürgens 2012). Dies wird die intraeuropäischen Zusammenarbeit und Harmonisierung des Politikfeldes, insbesondere aber Kooperationen zwischen entwickelten und weniger entwickelten Staaten betreffen, wo erhebliche Unterschiede in der Gewichtung der verschiedenen Zieldimensionen zu beobachten sind. Angesichts der aktuell nach wie vor hohen Abhängigkeit der zahlreicher Volkswirtschaften von fossilen Energieträgern, welche nicht autark befriedigt werden kann, sind auch sicherheitspolitische Fragen relevant. „Versorgungssicherheit“ kann hier auch verstanden werden als gewährleisteter Zugang zu internationalen Energiemärkten, stabile Zulieferung von Energieträgern aus Krisenregionen oder die Unabhängigkeit der Energieversorgung von politischen oder militärischen Konflikten der Marktpartner untereinander. Diese Dimension der Energiepolitik gewinnt an Bedeutung angesichts einer global ansteigenden Energienachfrage gerade aus Schwellenländern und Emerging Markets, welche oftmals durch schwache Institutionen und Demokratiedefizite gekennzeichnet sind. Somit können Anstrengungen hin zu einer globalen Energiewende durchaus auch als (nationale) Bestrebungen hin zu mehr Unabhängigkeit von diesen politischen Restriktionen verstanden werden. Ein weiteres, insbesondere im Zuge der Energiewende auftretendes Phänomen besteht im Nexus zentrale vs. dezentrale Energieversorgung. Diese zumindest teilweise konkurrierenden Ansätze werden in Teilen durch technische Restriktionen bestimmt, sind relevant aber insbesondere mit Blick auf die Frage, ob und wie sich die Systeme in den liberalisierten EU Binnenmarkt integrieren lassen, etwa angesichts von Vorgaben bzgl. des diskriminierungsfreien Netzzugangs und der Trennung von Netzbetrieb und Erzeugung. Ähnliche Probleme gelten auch für das Management und die Integration erneuerbarer Energieträger – hier sind es, etwa bei Offshore-Windanlagen, häufig große Distanzen, die zwischen den Orten der Energieproduktion und der Energienachfrage überbrückt werden müssen. Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass im Zuge aktueller technischer Innovationen, aber auch eines angepassten administrativ-rechtlichen Rahmens nationale zunehmend durch internationale Initiativen zur Energiepolitik ergänzt werden. Dies gilt insbesondere für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.

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Dennoch kann aufgrund der Diversität nationaler Entwicklungspfade und Ressourcenausstattung, aber auch von Interessen sowie der durchaus ideologisch-politisch geprägten Diskurse zum Thema Energie davon ausgegangen werden, dass nationale Besonderheiten in der Energiepolitik auch mittelfristig bestehen bleiben werden.

Literatur BMWI (2014): Endbericht Entwicklung der Energiemärkte – Energiereferenzprognose, Projekt Nr. 57/12 Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. BMWI (2015): Die Energie der Zukunft. Vierter Monitoring-Bericht zur Energiewende. Fisher, Anthony C. und Rothkopf, Michael H. (1989): Market failure and energy policy. A rationale for selective conservation, in: ENERGY POLICY August 1989. 397–406. Europäische Kommission (2015): Framework Strategy for a Resilient Energy Union with a ForwardLooking Climate Change Policy, COM(2015) 80 final, Brüssel. Hansjürgens, Bernd (2012): Instrumentenmix der Klima- und Energiepolitik, Welche Herausforderungen stellen sich?, in: Wirtschaftsdienst 92(13): 5–11. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) (2003): Welt im Wandel: Energiewende zur Nachhaltigkeit. Berlin et al.: Springer.

Hubertus Bardt

Von der Techniktransformation zur Ordnungstransformation – die deutsche Energiewende 1 Regulierung im Strommarkt Die Energiewende ist ein grundlegender ordnungspolitischer Eingriff in die Energieversorgung und insbesondere in die Stromerzeugung. Vordergründig handelt es sich mit der umweltpolitisch begründeten Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Quellen um eine primär technologische Herausforderung. Damit verbunden ist jedoch eine Entwicklung der Regelsysteme, die in einer erneuten und weitgehenden Transformation der wirtschaftlichen Ordnung am Strommarkt münden kann.1 Mit den Beschlüssen zur Energiewende wird in eine Ordnungsstruktur eingegriffen, die sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert hat. Dies gilt insbesondere für das Leitbild und die Rolle des Wettbewerbs in der Stromwirtschaft. Der Strommarkt blickt auf eine lange und wechselvolle Tradition unterschiedlicher ordnungspolitischer Leitbilder zurück. Zumeist dominierten monopolistische Strukturen und strenge Regulierung, zuletzt konnte der Wettbewerb auf einem offenen deutschen Strommarkt stärker wirken. Verschiedene Phasen können unterschieden werden (Bardt, 2005; Gröner, 1975): – Gründung im Wettbewerb Die ersten Jahre des Aufbaus von Anlangen zur Stromerzeugung und der Nutzung von Strom in elektrischen Geräten war geprägt von privatwirtschaftlicher Initiative. Der Absatz elektrischer Anlagen konnte nur gelingen, wenn eine entsprechende Stromversorgung vorhanden war. So wurden auf private Initiative erste lokale Strukturen eines Stromsystems geschaffen. – Ausbau im Monopol Erst ab Ende des 19. Jahrhunderts wurden erste kommunale Unternehmen zur Stromerzeugung gegründet. Mit der Entwicklung großtechnischer Anlagen und weiträumiger Übertragungsmöglichkeiten entstand eine zentral strukturierte Stromversorgung, die einem starken staatlichen Einfluss unterlag. Sie war weitgehend geprägt von großen integrierten Versorgungsunternehmen und ihren Tochtergesellschaften, die verschiedene Systemfunktionen, d. h. die Erzeugung, den Transport, die Verteilung und auch den Vertrieb des Stroms aus einer Hand anboten. Charakteristisch waren außerdem staatliche Eigentümerstrukturen, regionale Gebietsmonopole und eine staatliche Preisregulierung,

1 Diese Arbeit basiert teilweise auf Bardt (2012, 2014) und Bardt/Chrischilles (2014). https://doi.org/10.1515/9783110525762-003

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Hubertus Bardt

die dem Prinzip einer Kosten-Plus-Regulierung folgte. So konnten die Kosten der Stromerzeugung einschließlich einer als angemessen angesehenen Rendite an die Verbraucher weitergegeben werden. Wettbewerb um Kunden konnte nicht stattfinden, damit verbundene Effizienzverbesserungen konnten aufgrund der fehlenden Anreize nicht realisiert werden. Liberalisierung und Öffnung für den Wettbewerb Nach mehreren vergeblichen Versuchen der Öffnung der europäischen Strommärkte kam es Ende der 1990er Jahre zu einer umfangreichen Marktöffnung. In Deutschland wurde diese mit der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes von 1998 sowie in weiteren Liberalisierungsschritten umgesetzt. Charakteristisch für die wettbewerbliche Marktordnung waren die Privatisierung der wichtigsten Unternehmen, die Auflösung der Gebietsmonopole und damit die Ermöglichung von Wettbewerb um die Endverbraucher sowie die Einrichtung einer Strombörse zur Organisation des Wettbewerbsmarkts auf der Erzeugungsebene. Voraussetzung dafür war die Schaffung eines diskriminierungsfreien Zugangs zum Leitungsnetz, um den Wettbewerb auf anderen Wertschöpfungsstufen (Erzeugung, Handel, Vertrieb) überhaupt erst zu ermöglichen (Ströbele u. a., 2012: 229 ff.). Energiewende Mit der Energiewende wurden verschiedene Grundlagen der Stromwirtschaft neu definiert. Dazu gehören insbesondere die politischen Vorgaben zum Ausstieg aus der Kernenergie sowie das Ziel, den Strombedarf maßgeblich durch erneuerbare Energien zu decken. Neben dem Ordnungsrecht ist das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) das zentrale Element, mit dessen Hilfe der Umbau insbesondere der Stromversorgung gelingen soll. Damit werden wesentliche Parameter des Stromangebotes dem Wettbewerb entzogen. Das gilt beispielsweise für die Durchsetzung bestimmter Technologien, aber auch der für eine Marktordnung entscheidende Preismechanismus für Strom wird durch die Förderung zunehmend gestört. In der Folge kommt es zu einer Zurückdrängung des Wettbewerbs als Ordnungsprinzip am Strommarkt.

Auf einem idealisierten Wettbewerbsmarkt werden Angebot und Nachfrage in der Regel durch einen markträumenden Preis in Übereinstimmung gebracht. Auf diese Weise erhalten Erzeuger effiziente Produktions- und Investitionsanreize beziehungsweise erhalten Verbraucher die Möglichkeit einer ihren Präferenzen entsprechenden Konsumentscheidung. Auf dem Strommarkt bestehen jedoch einige wettbewerbliche Besonderheiten, die unabhängig von den gegenwärtigen Herausforderungen durch die Energiewende berücksichtigt werden müssen (Ströbele u. a., 2012). Er ist durch eine Reihe von Eigenschaften charakterisiert, die unterschiedliche Formen der Regelsetzung notwendig machen und eine rein spontane Entwicklung effizienter Marktergebnisse erschweren: – Stromnachfrage und -Angebot sind relativ unelastisch Ab einer bestimmten Menge ist das Angebot an elektrischer Energie in der kurzen Frist vollkommen preisunelastisch, da nur bereits einsatzbereite Kraftwer-

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ke Strom anbieten können. Auch die Stromnachfrage ist kurzfristig zum Teil unelastisch. Die Nachfrage variiert zwar je nach Tages- oder Jahreszeit sowie nach Wochentagen, jedoch regiert nur ein Teil der Nachfrage in der kurzen Frist auf Preissignale am Großhandelsmarkt. Das liegt vor allem daran, weil der Verbrauch kaum zeitabhängig gemessen oder abgerechnet wird. Dass ein Teil der Kunden möglicherweise nicht gewillt sein dürfte, Strom über einen bestimmten (Spitzenlast-)Preis hinaus zu beziehen, wird nicht hinreichend abgebildet (Müsgens/Peek, 2011). Zeitliche Gleichheit von Angebot und Nachfrage Produktion und Verbrauch von Strom müssen zeitlich zusammenfallen. Eine Entkopplung von Verbrauch und Produktion ist nur sehr begrenzt möglich, da Strom beispielsweise nur in begrenztem Umfang großtechnisch speicherbar ist. Aufgrund der wenig elastischen Nachfrage, die nur ungenau prognostiziert werden kann, muss ein Überschuss an Kapazität vorgehalten werden, um nicht unvorhergesehene Rationierungen vornehmen zu müssen. Netzgebundenheit und natürliches Monopol Ein funktionierender Strommarkt setzt ein spezifisches Transport- und Verteilernetz voraus, was einerseits den Ausgleich von Preisen in verschiedenen Märkten erschwert, zum anderen unterliegen diese Netze weitgehend den Bedingungen eines natürlichen Monopols. Das heißt, dass das Netz am wirtschaftlichsten nur von einem Anbieter betrieben werden kann. Um den Netzzugang aller Marktteilnehmer zu gewährleisten, müssen Netzbetreiber jedoch staatlich reguliert werden. Externe Effekte Bei der Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern werden CO2-Emissionen freigesetzt, die klimaschädigende Wirkungen entfalten können. Solche externen Effekte werden zunächst nicht in die Entscheidungen der Marktteilnehmer einbezogen. Vielmehr muss auch die Internalisierung externer Effekte durch staatliche Eingriffe erfolgen.

Markt und Regulierung müssen kein Widerspruch sein. Märkte wären ohne grundlegende Regelwerke nicht funktionsfähig. Schon die Möglichkeiten der Durchsetzung von Verträgen und des Schutzes des Eigentums basiert auf einer staatlichen Struktur. Der Strommarkt ist aus verschiedenen Gründen besonders auf Regeln für einen funktionierenden Wettbewerb angewiesen. Insbesondere kann diskriminierungsfreier Wettbewerb im Stromnetz nur sichergestellt werden, wenn der Netzzugang für alle Anbieter offengehalten und die Preise entsprechend reguliert werden. Auch die Integration der klimarelevanten Überlegungen in die Entscheidungen der Marktteilnehmer entsteht nicht spontan, sondern durch staatlichen Eingriff. Regulierung ist also in gewissem Maße Voraussetzung für Markthandeln. Regulierung kann aber auch marktliche Strukturen zerstören. Die Gefahr im Bereich der Stromerzeugung liegt darin, dass Regulierungen Marktmechanismen

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nicht nutzen oder ergänzen, sondern ersetzen. Marktprozesse sind jedoch erforderlich, um die Innovationen hervorzubringen und die Effizienzniveaus zu ermöglichen, die für die Energiewende unverzichtbar sind.

2 Die Energiewende als Techniktransformation Mit der Energiewende ist eine Zäsur für die Energie- und insbesondere Stromversorgung in Deutschland verbunden. Sie sieht im Kern eine grundlegende Transformation des Stromerzeugungssystems, aber auch der Verteilung und des Verbrauchs vor. Der Fokus der Energiewende ist im ersten Schritt ein Ansatz der Techniktransformation. Folgende Kernelemente machen die Energiewende aus: – Abschalten der bestehenden Kernkraftwerke nach einem festgelegten Zeitplan bis Ende 2022. – Ausbau der erneuerbaren Energien auf mindestens 80 % bis 2050. – Mit der dezentraleren Produktionsstruktur aus intermittierenden Quellen sind auch neue Anforderungen an Speichermöglichkeiten von Strom und an die Stromnetze verbunden sowie der Bedarf an Flexibilisierung der übrigen Kraftwerke und der Nachfrage. – Eine Erhöhung der Energieeffizienz in der Stromnutzung wird angestrebt, um eine Verbrauchssenkung erreichen zu können und die Ausbauziele damit schneller zu realisieren. Mitte März 2011 wurden unter dem Eindruck des Reaktorunglücks von Fukushima acht Kernkraftwerke in Deutschland vorläufig und später endgültig stillgelegt. Die verbleibenden Kernkraftwerke sollen in den nächsten Jahren vom Netz gehen. Damit wurde eine jahrzehntelange Debatte beendet und eine Technik zur Stromerzeugung in Deutschland aus dem Erzeugungsmix herausgenommen. Es wäre jedoch falsch, die Energiewende auf die Verkürzung der Laufzeiten und das sofortige und endgültige Abschalten von acht Kernkraftwerken zu reduzieren. Die Energiewende ist deutlich umfassender und beinhaltet nicht zuletzt die durchgängige Umstellung der Stromerzeugungsstrukturen auf Erzeugungskapazitäten mit erneuerbarer Basis. Sie zielt darauf ab, die gesamte Versorgungsbasis über einen über mehrere Jahrzehnte laufenden Prozess neu zu gestalten und die hierfür notwendigen Infrastrukturen zu schaffen. Zentrales Element der Energiewende ist der Ausbau der erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne und Biomasse, die bis zur Mitte des Jahrhunderts die Stromversorgung dominieren sollen. Hintergrund dieser Politik ist das Ziel der Bundesregierung und aller politischen Parteien, das Klima zu schützen und daher die Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren – bis 2050 um 80 bis 95 % gegenüber 1990. Mit dem europäischen Emissionshandel wurden zwar die gesamten Emissionen aus Kraftwerken und großen Industrieanlagen gedeckelt, mit der Förderung

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80% Korridor (neu 2014) soll (2011) ist

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Abb. 1: Ziele des Ausbaus erneuerbarer Energien. Quellen: AG Energiebilanzen, 2015; EEG, lineare Fortschreibung.

durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz werden aber zusätzlich einzelne klimafreundlichere Technologien differenziert gefördert. Die Bundesregierung hat für den Ausbau erneuerbarer Energien ambitionierte Zielvorstellungen entwickelt. So soll der Anteil von Wind-, Solar- und Biomassestrom sowie anderer erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung bis 2050 auf mindestens 80 % ansteigen (vgl. Abb. 1). Für die Jahrzehnte auf dem Weg dahin sind Zwischenziele vorgesehen. Damit soll die Entwicklung der letzten Jahre fortgesetzt und verstärkt werden. Seit 1990 ist der Anteil der politisch favorisierten Stromquellen von 3,6 % auf 17,0 % im Jahr 2010 und 32,5 % in 2015 angestiegen und befindet sich damit derzeit oberhalb des mit der Energiewende vorgesehenen Ausbaupfades. Während der Anteil der erneuerbaren Energien am Strommarkt durch politische Zielgrößen bestimmt wird, gibt es für den Mix der verbleibenden Stromquellen keine konkreten Vorgaben. Hier kommen Importe sowie nach dem Auslaufen der Kernenergie konventionelle fossile Kraftwerke infrage – also Kraftwerke, die mit Erdgas, Steinkohle oder Braunkohle betrieben werden. Es wird immer schwieriger, solche Anlagen wirtschaftlich zu betreiben, wenn die Stundenzahl, in der sie als Ersatz für schwankende erneuerbare Energien eingesetzt werden können, immer weiter zurückgeht. Auch Speichertechnologien stehen in der notwendigen Qualität und zu verträglichen Preisen bislang nicht als Ersatz für kurzfristig fehlenden Strom aus erneuerbaren Quellen zur Verfügung. Auch die Netzinfrastruktur muss in den nächsten Jahren auf große Herausforderungen vorbereitet werden. Der Ausbau der europäischen Übertragungskapazitäten ist zwingende Voraussetzung für einen funktionierenden europäischen Strommarkt. Analoge Forderungen gelten auch für den Netzausbau in Deutschland. Durch den Ausbau erneuerbarer Energien fallen Stromerzeugung und Stromver-

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brauch räumlich weiter als bisher auseinander. Das muss durch entsprechende Netzkapazitäten überbrückt werden. Damit ist die Integration der erneuerbaren Energien vom Fortschritt beim Netzausbau abhängig. Dazu müssen bei der Infrastrukturerstellung neben technischen Fragen auch vor allem wirtschaftliche Aspekte und Akzeptanzfragen gelöst werden. Nicht zuletzt basiert die Energiewende mit der deutlichen Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien bis zur Jahrhundertmitte auf einem signifikanten Rückgang der Stromproduktion in Deutschland. Ein verringerter Stromverbrauch aufgrund steigender Effizienz und ein steigender Stromimport sollen es erleichtern, die Quote von Strom aus erneuerbaren Quellen in Deutschland zu erhöhen. Allein bis 2030 wird von einem Rückgang der heimischen Stromerzeugung um 25 % und mehr ausgegangen. Ob es aber auch tatsächlich zu einem schnellen und deutlichen Rückgang des Stromverbrauchs kommt, ist zumindest unsicher. Die Energiewende verschiebt die Relationen im energiewirtschaftlichen Zieldreieck aus Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit. Mit dem Ausbau erneuerbarer Energien wird insbesondere das Ziel der Umweltverträglichkeit verfolgt. Mit der Technologieförderung sollen Möglichkeiten zur Reduktion von Treibhausgasemissionen entwickelt und implementiert werden. Insofern zielt die Energiewende primär auf eine Verbesserung der Umweltbilanz des Energiesystems ab (Bardt, 2010; IW Köln, 2010). Die Energiewende stellt das Stromsystem vor umfangreiche Herausforderungen, die sich in zwei generelle Aufgaben zusammenfassen lassen. Zum einen sind Innovationen zwingend, die beispielsweise die Preise für erneuerbare Energien senken, ihre Steuerbarkeit erhöhen und Speicher- beziehungsweise Ausgleichsmöglichkeiten verbessern. Zum anderen wird eine möglichst hohe Effizienz benötigt, um die Ziele der Energiewende zu angemessenen Preisen zu ermöglichen. Innovationen und Effizienz aber erfordern Wettbewerb um die besten Ideen und die günstigsten Lösungen.

3 Die Energiewende als Ordnungstransformation Wettbewerb ist erst seit anderthalb Jahrzehnten ein prägendes Ordnungsprinzip im Strommarkt. Mit der Energiewende stellt sich die Frage nach der Regelungslogik in der Energieversorgung und insbesondere in der Stromversorgung neu (SRU, 2013). Da die Ausweitung der erneuerbaren Energien ein politisch gewünschtes Ziel und kein spontanes Marktergebnis ist, bekommen staatliche Regelungsansätze zusätzliche Bedeutung. Dabei besteht jedoch die Gefahr, dass bewährte marktwirtschaftliche und wettbewerbliche Prinzipien auf dem Strommarkt nicht mehr ausreichend berücksichtigt werden. Zudem muss generell die Frage gestellt werden, ob ein Anteil erneuerbarer Energien überhaupt langfristig ein sinnvolles Ziel darstellt. Eine derartig detaillierte Technologieförderung durch Definition eines Marktergebnisses greift deutlich stärker in den Wettbewerb ein als das eigentliche Ziel der Senkung

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von Treibhausgasemissionen, die über den Emissionshandel gesteuert werden. Eine zusätzliche Technologieförderung kann daher nur eine temporäre Maßnahme darstellen. Der in den letzten Jahren gewachsene Wettbewerb wird auf unterschiedlichen Ebenen und mit unterschiedlichen spezifischen Hintergründen und Motiven eingeschränkt. Der wesentliche Treiber dieser Entwicklung ist die zentralstaatlich eingeleitete Energiewende. Dabei wird mit ordnungsrechtlichen Mitteln, aber insbesondere auch mit Subventionszahlungen und Abnahmegarantien Einfluss auf die Marktergebnisse genommen. Damit sollen insbesondere bestimmte Technologien aus dem Markt genommen und neue in die Stromerzeugung integriert werden, auch wenn die Marktsignale dies nicht als effizient anzeigen. Die dominierende Beschränkung des Wettbewerbs liegt in der heutigen Förderung erneuerbarer Energien. Diese werden im Rahmen des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) vor allem mit zwei zusammenhängenden Privilegien gefördert: – Einspeisevergütung: Für jede Kilowattstunde Strom wird von den Netzbetreibern eine staatlich definierte feste Vergütung gezahlt, die teilweise deutlich über dem schwankenden Marktpreis für Strom liegt. Die Vergütung nimmt keine Rücksicht darauf, welchen Wert der Strom zum Zeitpunkt der Einspeisung hat, ob er also zur Versorgung benötigt wird oder ob gerade Strom im Überfluss vorhanden ist. Der eingespeiste Strom wird von den Netzbetreibern am Spotmarkt verkauft. Die Differenz aus Einspeisevergütung und Verkaufserlös wird im Rahmen der EEG-Umlage auf die Stromverbraucher umgelegt. – Einspeisevorrang: Strom, der aus erneuerbaren Energien erzeugt und nach dem EEG gefördert wird, muss vorrangig in das Netz eingespeist werden. Dies bedeutet, dass im Fall einer Überproduktion zunächst konventionelle Quellen abgeschaltet werden müssen. Für die geförderten Anlagen leiten sich daraus Entschädigungsregelungen ab. Der Einspeisevorrang steht in engem Zusammenhang zur Einspeisevergütung. Wenn nur ein Marktpreis zu zahlen wäre, würden die erneuerbaren Energien nicht zu den garantierten Sätzen eingekauft werden. In einem Marktsystem könnten Solar- und Windanalagen mit sehr niedrigen variablen Kosten kurzfristig zu Grenzkosten von Null anbieten und sich damit am Markt durchsetzen. Dies würde einen Einspeisevorrang obsolet werden lassen. Mit Einspeisevorrang und staatlich festgelegter Einspeisevergütung wird der Markt der Stromerzeugung in zwei Teile geteilt. Auf dem einen Teil des Angebots müssen die Erzeuger auf Preissignale reagieren und in einem Umfeld mit schwankenden Preisen einen für die Finanzierung der Erzeugungsanlagen auskömmlichen Umsatz erzielen. Sie sind dem Absatz- und dem Preisrisiko ausgesetzt. Der Marktpreis kann hier die Rolle spielen, eine knappheitsgerechte Nutzung der jeweils effizientesten Anlagen zu ermöglichen. Für den anderen Teil des Angebots spielen Preissignale keine Rolle. Knappheitspreise können keine zusätzliche Nutzung oder Abschaltung

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von Anlagen signalisieren. Die Erzeuger haben kein Absatzrisiko und kein Preisrisiko. Hier sind die Preise staatlich administriert, die Mengen passen sich entsprechend an. Während der erste Teil des Angebots nach marktwirtschaftlichen und wettbewerblichen Ordnungsprinzipien organisiert ist, findet im zweiten Teil des Angebots kein Wettbewerb statt; hier dominieren planwirtschaftliche Ordnungselemente. Strom nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz wird unabhängig von den üblichen Marktmechanismen eingespeist und vergütet. Die Einspeisevergütung richtet sich nicht nach dem Marktpreis, sondern nach dem Gesetz. Sie steht fest und wird bezahlt, ob der Strompreis gerade einmal hoch oder niedrig ist. Und der EEG-Strom hat Vorrang im Netz. Egal, ob gerade viel oder wenig preiswerter Strom zur Verfügung steht; egal, ob viel oder wenig Strom benötigt wird: EEG-Strom muss abgenommen werden. Angebote aus anderen Stromquellen, Nachfrage und Preise haben keine steuernde Funktion. Notfalls müssen Abnehmer dafür bezahlt werden, den überflüssigen Strom zu nutzen, oder aber Betreiber von Windkraft- bzw. Photovoltaikanlagen müssen entschädigt werden, wenn sie vom Netzbetreiber abgeschaltet werden müssen. Die aktuelle Marktentwicklung spielt hierbei keine Rolle. Umgekehrt machen staatlich definierte Anteile heute bereits rund die Hälfte des Strompreises aus. Damit wird der Preiswettbewerb immer auf dem Endkundenmarkt geschwächt, das Preissignal verliert am Strommarkt an Bedeutung (Bardt/ Chrischilles, 2013). Die EEG-Vergütung bemisst sich im Prinzip nach den Kosten der Erzeugung von erneuerbarem Strom und soll über die Verzinsung auch noch einen Anreiz zum Bau von entsprechenden Anlagen beinhalten. Ein Interesse zur Kostendämpfung besteht damit nur in dem Maße, in dem die Einspeisevergütung über die Jahre verringert wird. Insbesondere wird der Anreiz beeinträchtigt, jeweils eine möglichst effiziente und damit kostengünstige Technik der erneuerbaren Energien einzusetzen. Da jede Technik je nach Spezifikation unterschiedliche kostenbasierte Einspeisevergütungen hat, profitiert kein Stromanbieter davon, beispielsweise günstigere Windenergie statt teurer Solarenergie zu installieren. Das führt zwar dazu, dass verschiedene erneuerbare Technologien verwendet werden. Aber es werden nicht die kostengünstigsten ausgewählt. Selbst wenn sich der Anteil der erneuerbaren Energien erhöht, der ohne staatliche Unterstützung am Markt platziert werden kann, wird der Anteil geförderten Stroms an der Stromerzeugung deutlich ansteigen. Dabei hängt der Anteil der staatlich garantierten Produktion neben den planwirtschaftlich gesetzten Zielen auch von den Kostenentwicklungen für erneuerbaren und konventionellen Strom ab. Sollten konventionelle Quellen deutlich teurer werden und erneuerbare Energien systematisch günstiger werden, kann sich eine höhere Marktfinanzierung der erneuerbaren Energien ergeben. Dafür ist jedoch eine Voraussetzung, dass die erneuerbaren Energien steuerbar werden und sie somit angeboten werden können, wenn die Preise entsprechend hoch sind. Wenn hingegen beispielsweise Photovol-

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taikstrom regelmäßig zur Mittagszeit die Stromerzeugung dominiert, sinken die Kosten so weit, dass kaum ein positives Marktergebnis erzielt werden kann. Dann wäre eine Marktfinanzierung der erneuerbaren Energien noch schwieriger. Ohne eine Veränderung des Fördersystems wird es nicht mehr zu einer mehrheitlich wettbewerblichen Stromerzeugung kommen. Vielmehr werden staatlich definierte Vergütungen für die Stromerzeugung und daraus abgeleitete Umlagen für die Endverbraucher die Erzeugung dominieren. Wenn der Anteil an erneuerbarem Strom in Zukunft erheblich zunehmen soll, gibt es drei denkbare Wege: 1. Die Kosten für Strom aus Wind, Sonne und Co könnten massiv sinken, damit sich die klimafreundlichen Stromquellen selbst rechnen. Davon ist auf absehbare Zeit aber kaum auszugehen. Zu hoch sind die Abstände zwischen den Erzeugungskosten, beispielsweise von Solarstrom und Strom aus konventionellen Kraftwerken. 2. Strom aus konventionellen Quellen wird massiv teurer. Auch dann könnten sich die Erneuerbaren zumindest in Teilen rechnen. Das kann über Zusatzkosten für Treibhausgasemissionen aus dem Emissionshandel auch politisch erzwungen werden. 3. Es wird immer mehr erneuerbarer Strom eingespeist, der weiter subventioniert wird. Umgekehrt bedeutet dies: Markt und Wettbewerb wird es in der Stromerzeugung immer weniger geben, wenn sich an der Fördersystematik nichts ändert. In den letzten Jahren ist der Anteil der wettbewerblichen Stromproduktion laufend gesunken, da der staatlich geförderte Anteil der wettbewerbsfernen Stromproduktion stetig angestiegen ist (vgl. Abb. 2). So ist der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch zwischen 2000 und 2015 von 6,5 % auf 32,5 % angestiegen. Der über das EEG geförderte Anteil liegt aber niedriger und kommt auf 26,9 %. Damit wird jede vierte Kilowattstunde Strom schon heute nach wettbewerbsfremden Kriterien erzeugt. Der Anteil der marktlich finanzierten erneuerbaren Energien hat sich hingegen in den anderthalb Jahrzehnten der Förderung praktisch nicht verändert. Der von Wettbewerbsmärkten und Knappheitspreissignalen abgeschottete Teil des Strommarkts wird in den nächsten Jahren deutlich ansteigen, wenn es nicht zu veränderten Rahmenbedingungen kommt. Die zukünftigen Marktanteile erneuerbarer Energien sind über politische Zielsetzungen definiert worden und sollen 2050 den Wert von mindestens 80 % erreichen. Bei einer unveränderten Fortführung der Förderung bedeutet dies, dass rund drei Viertel oder mehr des verbrauchten Stroms mit administrativ garantierten Vergütungen und nicht gesteuert durch Marktpreise erzeugt würden. Die Förderung erneuerbarer Energien hat erhebliche Auswirkungen auf die Ordnungslogik des nicht geförderten Teils des Strommarkts. Selbst wenn erneuerbare Stromquellen in Zukunft den meisten Strom erzeugen werden, wird es auch immer wieder Stunden geben, in denen kaum Wind weht und keine Sonne scheint. Hier werden in erheblichem Umfang konventionelle Kraftwerke erforderlich sein – wenn es nicht zu Technologiesprüngen bei der Speichertechnologie kommt. Kon-

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35% Anteil EEG-Strom Anteil EE-Strom

30% 25% 20% 15% 10%

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Abb. 2: Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung 2001 bis 2015 in %. Quellen: BDEW 2015; AG Energiebilanzen 2015; IW Köln.

ventionelle Kraftwerke rechnen sich aber immer weniger, wenn sie nur wenige Stunden im Jahr am Netz sind. Daher wird über sogenannte Kapazitätsmärkte diskutiert. Die Idee ist, die Bereitstellung der Erzeugungskapazitäten zu fördern, auch wenn sie nur als Back-Up zur Verfügung stehen und selten abgerufen werden. Damit würden dann aber nicht nur die erneuerbaren Energien über Umlagen statt über Preise finanziert, sondern – je nach konkreter Ausgestaltung der Kapazitätsmärkte – auch die verbleibenden Gas- oder Kohlekraftwerke. Faktisch droht damit im schlechtesten Fall auch für den konventionellen Kraftwerkspark die Rückkehr zur Welt der kostenbasierten Preisregulierung, bei der Kosten erstattet und nicht Marktpreise erwirtschaftet werden. Eine verstärkte Integration der europäischen Strommärkte sorgt für zusätzlich nutzbare Kapazitäten in anderen Ländern der EU und neuen Absatzgebieten für Strom jenseits der Grenzen. Das Problem der fehlenden Stundenzahl und damit verbunden der fehlenden Wirtschaftlichkeit von Kraftwerken kann dadurch gemindert werden, ohne dass zwingend eine Subventionierung von Kapazitäten erfolgen muss. Entscheidend ist es, die Flexibilität der Elemente am Strommarkt zu steigern – seien es Importe, Backup-Kraftwerke, Nachfrager oder Speicher. Der optimale Mix der Flexibilitätsmaßnahmen kann kaum zentral von staatlichen Stellen bestimmt werden. Hier ist ein Marktmechanismus notwendig. Ein funktionierender Preismechanismus ist die entscheidende Basis für eine marktwirtschaftliche Ordnung. Ohne freie Preise gibt es keinen Markt. Statt des Wettbewerbs um innovative, effiziente und preiswerte Lösungen gibt es dann den Wettbewerb um Subventionen für die unterschiedlichen Technologien. In einer subventionsgestützten kostenbasierten Welt wird die Stromerzeugung ineffizient

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und teuer. Die Herausforderungen der Energiewende, die Innovationen und Effizienz erfordern, sind mit einer kostenbasierten Stromgebühr nicht zu bewältigen. Auch wenn der Wettbewerb in der Stromwirtschaft als Leitprinzip in den letzten Jahren wirken konnte, droht eine schrittweise Zurückdrängung marktwirtschaftlicher Elemente und eine zunehmende staatliche Planung der Stromwirtschaft. Schon heute werden auch über das EEG hinaus prinzipiell wettbewerbliche Märkte nicht nur auf der Erzeugungsebene hinaus durch zahlreiche staatliche Eingriffe beeinflusst (oder zumindest in entsprechenden Vorschlägen diskutiert), die den Wettbewerb begrenzen und als Teilschritte einer schleichenden Transformation hin zu einer stärker planwirtschaftlichen Stromwirtschaft interpretiert werden können: – Abschaltverbot: Für bestimmte Kraftwerke, die für die Netzstabilität als unverzichtbar eingeschätzt werden, kann ein Abschaltverbot ausgesprochen werden, wodurch entsprechende Ausgleichszahlungen ausgelöst werden. Die Beschränkung des Marktaustritts stellt aber einen tiefen Eingriff in die unternehmerischen Entscheidungskompetenzen und zudem ein nicht unerhebliches Investitionsrisiko dar. – Zubaupflicht: Als Gegenstück zum Abschaltverbot wurde vereinzelt auch eine Zubaupflicht für Kraftwerke vorgeschlagen. Eine solche Investitionsverpflichtung würde ebenfalls den Wettbewerb außer Kraft setzen. – Stilllegung: Die zum Abschaltverbot gegenteilige Maßnahme ist die staatlich initiierte (sei es durch eine angeordnete oder geförderte Außerbetriebnahme) von Kohlekraftwerken zur Verbesserung der Klimabilanz Deutschlands (selbst wenn damit innerhalb der festgesetzten Obergrenze des Emissionshandels keine nennenswerten Emissionsreduktionen erreicht werden). – Sicherung von Reserve durch Bundesnetzagentur: Die Bundesnetzagentur sichert durch vertragliche Vereinbarung bestimmte Reservekapazitäten, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Damit wird jedoch die Entscheidung über das Ausmaß der Versorgungssicherheit und deren Sicherstellung weitgehend in behördliche Verantwortung übertragen. – Preisregulierung auf Verteilebene: Auch der wettbewerblich strukturierte Markt auf Verteilebene wird durch Vorschläge einer Preisregulierung bedroht, die auf eine kostenbasierte Regulierung hinauslaufen, statt Marktpreise wirken und Knappheiten anzeigen zu lassen. – Verstaatlichungen: Vorschläge zur Verstaatlichung gibt es sowohl für Netzbetreiber als auch für Stromerzeuger. Damit würde der Wettbewerb, der auf Privateigentum und entsprechenden Einkommensinteressen basiert, erheblich geschwächt.

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4 Eine Wettbewerbsordnung für die Energiewende Die einfache Fortführung der bisherigen Förderungslogik für Strom aus erneuerbaren Quellen führt weg von einer Markt- und Wettbewerbsordnung hin zu einer zentral geplanten Stromerzeugung mit kostenbasierter Preisregulierung – ohne Wettbewerb, mit ineffizienten Strukturen und überhöhten Kosten. Eine Alternative wäre eine glaubwürdige Exit-Option aus der Förderwelt, in der um technologiespezifische Subventionen gekämpft wird, statt um Innovationen und Kostensenkungen. Um die Energiewende zu bewältigen und eine bezahlbare und innovative Stromerzeugung für die Zukunft zu ermöglichen, muss der Strommarkt in seiner Funktionsfähigkeit gestärkt und nicht weiter behindert werden. Von grundlegender Bedeutung ist eine stärkere Europäisierung der Energie- und Strompolitik. Gerade die Förderung erneuerbarer Energien als Kernelement der Energiewende kann nur gelingen, wenn hier möglichst effiziente Potenziale genutzt werden. Die Vollendung des Strombinnenmarktes in Europa führt nicht nur zu günstigerem klimafreundlichem Strom und einer höheren Versorgungssicherheit, sondern schafft durch den vergrößerten Markt auch den Raum für europäischen Wettbewerb in der Stromerzeugung. Die Förderung erneuerbarer Energien nach dem EEG steht heute vor einer Vielzahl von Herausforderungen: – Kosten: Die Kosten des EEG sind in den letzten Jahren immer weiter gestiegen. Insgesamt liegen die Differenzkosten, also die Differenz zwischen dem Stromwert und den Zahlungen an die Anlagenbetreiber im Jahr 2015 bei über 20 Milliarden Euro. Im Jahr 2008 waren es noch 5 Milliarden Euro. Die Anpassungsmechanismen für die Vergütungssätze haben nicht ausgereicht um die Kosten zu reduzieren. Auch waren Kürzungen politisch nur schwer, reduziert und zeitverzögert durchzusetzen. Erst der atmende Deckel in der Solarförderung hat dazu geführt, dass der Zubau sich im geplanten Rahmen bewegt. Ein wesentlicher Teil der zu leistenden Summe ist für Zahlungen für bestehende Anlagen vorgesehen, die noch bis zu 20 Jahre lang einen Förderanspruch geltend machen können. Eine Senkung dieser Belastung ist daher äußerst schwierig. Insgesamt belaufen sich die Zahlungsverpflichtungen für die Zukunft auf einen dreistelligen Milliardenbetrag, allein für die Photovoltaik wird mit Gesamtkosten von über 100 Milliarden Euro gerechnet (Frondel u. a., 2012). – Ausnahmen: Durch die steigenden Kostenbelastungen sind zunehmend Reduktionen der vollen EEG-Umlage notwendig geworden, um industrielle Investitionen am Standort Deutschland zu erhalten und damit Arbeitsplätze und Einkommensquellen zu sichern. Hierzu zählen insbesondere stromintensive Unternehmen. Durch diese Freistellung sinkt die Strommenge, auf welche die Nettoförderkosten umgelegt werden können. Eine Reduktion der Ausnahmen würde sich aber negativ auf das heute schon als kritisch einzuschätzende Investitionsverhalten der energieintensiven Unternehmen auswirken. Eine Be-

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schleunigung des schleichenden De-Industrialisierungsprozesses wäre zu befürchten (Bardt/Kempermann, 2013). Gleichzeitig bringen die Ausnahmen eine immer feinere Steuerung der Kostenbestandteile unterschiedlicher Unternehmen mit sich, was Verzerrungen auf anderen Gütermärkten zur Folge hat. Mengenfokussierung: Die Anreize im EEG führen zur Maximierung der Stromerzeugung, aber nicht zur Maximierung des Wertes der Stromerzeugung und damit auch nicht zu einer optimierten Gestaltung und Nutzung des stromwirtschaftlichen Gesamtsystems. So ist beispielsweise die Finanzierung von Strom an sonnenreichen Mittagstunden mit Überkapazitäten und niedrigen Preisen nicht sinnvoll, wird aber durch das EEG weiter gefördert. Technologieeffekt: Nicht nur ist das Volumen über die EEG geförderte Strommenge stetig angestiegen; durch die technologiespezifische Förderung sind auch relativ teure Technologien stark zugebaut worden. Dies hat auch zu dem überproportionalen Stromkostenanstieg geführt. Schwankungen: Fluktuierende Stromerzeugungsformen fordern mehr Systemdienstleistungen, beispielsweise die Bereitstellung von Regelleistung. Vor allem kurz- und mittelfristig sind konventionelle Kraftwerke, verbraucherseitiges Lastmanagement und der internationale Stromverbund die entscheidenden Flexibilitätsoptionen für das Stromversorgungssystem. Die Förderung erneuerbarer Energien setzt keine Anreize, den Strom dann zur Verfügung zu stellen, wenn die Nachfrage entsprechend hoch ist.

Für die Erneuerung des Ordnungsrahmens für erneuerbare Energien in der Stromerzeugung stehen zahlreiche Optionen zur Verfügung. Ökonomen bringen oftmals grundlegende Systemumstellungen ins Spiel. Aber auch Reformen innerhalb des bestehenden Fördersystems können weit reichen und grundlegend neue Anreize für die Marktteilnehmer setzen. Darüber hinaus wird auch der umfassende Ersatz der bisherigen Förderung durch eine neues Förderregime diskutiert. Dabei sind die Unterscheidungen zwischen weitgehenden Reformen innerhalb des bestehenden Systems und einer Systemumstellung letztlich fließend (Frontier Economics, 2012). Als Reformoptionen innerhalb und außerhalb der Logik des bisherigen EEG wird insbesondere diskutiert: – Marktprämienmodell (Preissteuerung): Vorgeschlagen wird ein Übergang zu einer Direktvermarktung von EE-Strom und Zahlung einer Zulage auf erzeugten EE-Strom. Hier erzielen EE-Erzeuger Erlöse aus zwei Quellen: einen marktbasierten Erlös aus der Direktvermarktung des EE-Stroms und eine administrativ festgelegte Zulage, die Marktprämie. Damit findet eine grundsätzliche marktliche Preissteuerung statt. Der Aufschlag kann administrativ festgelegt oder in einem wettbewerblichen Verfahren bestimmt werden. – Quotenmodell (Mengensteuerung): Ein Quotenmodell (RWI, 2012; SVR, 2011; Acatech, 2012; Monopolkommission, 2013) nimmt Abstand von der bisherigen Preissteuerung und legt stattdessen die einzusetzende Menge erneuerbarer

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Energien fest. Dabei wird die Direktvermarktung von EE-Strom mit einer verpflichtenden Quote an EE-Strom für Stromvertriebsunternehmen verbunden. Hier erzielen EE-Erzeuger Erlöse aus zwei Quellen: einen marktbasierten Erlös aus der Direktvermarktung des EE-Stroms und einen Erlös aus der Vermarktung von Grünstromzertifikaten, deren Preise sich im Wettbewerb ergeben. Kritisch wird argumentiert, dass der kurzfristige Übergang zu Systemen, die die Risiken bezüglich Einkommenshöhe, Einkommensdauer und Vermarktung allein bei den Betreibern von regenerativen Erzeugungsanlagen verorten, wird zu erheblichen Risikozuschlägen und einem Verlust an Vielfalt im Spektrum der Investoren und Betreiber führen. Dabei ist jedoch festzustellen, dass die Risiken sich bisher an anderer Stelle niederschlagen, beispielsweise in höheren Strompreisen. Die Konzentration auf wirtschaftliche Technologien ist hingegen gerade eine gewünschte Folge des Quotenmodells, weil sich die günstigsten Technologien durchsetzen sollen. Problematisch können jedoch ungewünschte Verteilungseffekte sein, da in einem solchen Modell die teuerste erneuerbare Energie preissetzend für die Grünstromzertifikate und damit für die Förderung aller erneuerbarer Energien ist, während heute günstigere Technologien eine geringere Vergütung erhalten. Auch in einem solchen System wäre eine Belastungsbegrenzung energieintensiver Industrie notwendig, was aufgrund der Einpreisung der Kosten in den Strompreis und den Verzicht auf eine explizite Umlage deutlich schwieriger wird und über eine tatsächliche Rückzahlung von Stromkosten durch den Staat organisiert werden müsste. Auch ein späteres Abschaffen eines Quotenmodells ist mit Komplikationen verbunden (Frontier Economics, 2012). Versteigerung des Zugangs zum EEG (Auktion): Bei einer Begrenzung der Fördermenge stellt sich die Frage, welche Anlagen gefördert werden sollen und welche nicht. Neben dem Windhundverfahren ließe sich auch eine ökonomische Zugangsregelung gestalten. So können für den für das Jahr geplanten Zubau Rechte zum Bezug von Förderungen nach dem EEG ausgeschrieben und versteigert werden (Bardt, 2011). Für eine festgelegte Menge EE-Kapazität beziehungsweise -Strom kann im Auktionsverfahren eine feste Einspeisevergütung oder Marktprämie identifiziert werden, zu der EE-Erzeuger bereit sind, EEStrom zu liefern. Diejenigen EE-Erzeuger kämen zum Zuge, die bereit wären, zu den geringsten Garantiepreisen zu erzeugen. Es erfolgt eine wettbewerbliche Bestimmung der Preise, wobei anders als im Quotenmodell ein geringeres Erlösdauerrisiko besteht. Anlagen, für die der Zugang ersteigert wird, würden Vergütungen nach dem EEG erhalten. Alle anderen Neuanlagen würden nicht gefördert werden. Eine Versteigerung des Zugangs zum EEG würde tendenziell wirtschaftlicheren Anlagen den Zuschlag geben, Überrenditen vermeiden und den finanziellen Aufwand verringern.

Zu beachten ist, dass Technologieneutralität in keinem dieser Modelle automatisch gegeben, sondern entsprechend zu parametrisieren ist. Die meisten europäischen

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Quotenmodelle sind aufgrund ihrer technologiespezifischen Sonderregelungen letztlich einer Einspeisevergütung entsprechend dem EEG recht ähnlich und können die Vorteile des Wettbewerbs zwischen den erneuerbaren Energien damit nicht umfassend ausspielen (Bardt/Niehues/Techert, 2012). Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob eine weitgehende Umstellung der Förderung auf ein völlig anderes Modell als isolierte Maßnahme sinnvoll ist. Vielmehr müsste dies in einen langfristigen und technologieübergreifenden Ordnungsrahmen eingebunden werden. Perspektivisch muss ein Weg gefunden werden, Förderungen und Sonderregeln auslaufen zu lassen. Nach der Beschreibung eines langfristigen Ordnungsrahmens für den Strommarkt kann ein zeitlich begrenztes Förderregime mit entsprechenden Wegen zur Reduktion der Förderung definiert werden. Die Veränderung eines bestehenden Ordnungsrahmens ist kein Selbstzweck. Eingriffe können immer ungewünschte Nebenwirkungen mit sich bringen und zu Störungen führen, die wieder neue Eingriffe nach sich ziehen. Die Einführung des EEG ist hierfür ein gutes Beispiel. Wenn Veränderungsbedarf für den Strommarkt konstatiert wird, muss die daraus abgeleitete Reform nach klaren Prinzipien erfolgen, die eine Kalkulierbarkeit weiterer Veränderungen ermöglichen. Für die Gestaltung des zukünftigen Ordnungsrahmens des Strommarktes erscheinen folgende ordnungspolitische Anforderungen und Prinzipien vordringlich: – Langfristigkeit: Die Konzeption für ein Marktdesign muss langfristig angelegt sein. Eine klare Ordnungspolitik soll perspektivisch den laufenden Eingriff in die Märkte und damit das Primat der Prozesspolitik ersetzen. Investitionen in energiewirtschaftliche Anlagen haben eine Laufzeit von mehreren Jahrzehnten. Die Entwicklung der zukünftigen Marktprinzipien sollte eine Perspektive von 20 Jahren und mehr aufweisen. Damit muss eine klare Orientierung für Marktteilnehmer mit langfristigen Investitionen gesetzt werden – ob als Erzeuger von fossil oder erneuerbar produziertem Strom auf der Angebotsseite oder als Industrieverbraucher auf der Nachfrageseite. Eine solche Orientierung muss auch über Legislaturperioden und Regierungskonstellationen verlässlich sein. Anhand der langfristigen Ordnungsvorstellungen müssen auch die Reformschritte im Transformationsprozess der Energiewende abgeleitet werden. – Wettbewerb: Der zukünftige Strommarkt muss in seinen wesentlichen Elementen wettbewerblich organisiert sein, dies gilt für alle Anbieter und Technologien. Es muss langfristig berechenbare Zahlungsströme für die Bereitstellung von erneuerbaren als auch fossilen Stromerzeugungskapazitäten geben, die perspektivisch ohne Förderung (außer dem Preissignal des Emissionshandels) generiert werden können. – Preissignale: EE-Anlagen müssen stärker am Erlösrisiko und am Vermarktungsrisiko beteiligt werden, beispielsweise durch die Bindung der Zahlungsströme an Knappheitssignale am Strommarkt oder langfristig an deren gesichertem Kapazitätsbeitrag. Gefordert wird eine markt- und wertorientierte

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Vergütung erneuerbarer Energien, die zur Optimierung des Gesamtsystems anreizt. Einheitlichkeit: An die Forderung des Wettbewerbs schließt sich an, dass die Prinzipien des zukünftigen Regelsystems einheitlich für alle Anbieter gelten. Auf Dauer kann es keine Spaltung der Marktregeln für erneuerbare und konventionelle Anlagen geben. Technologieneutralität: Das Marktumfeld darf damit keine dauerhafte Differenzierung für spezifische Technologien vorsehen. Für eine Übergangszeit werden Sonderregeln oder Förderungen insbesondere erneuerbarer Energien notwendig sein. Aber auch innerhalb dieser sollten Differenzierungen auf das Notwendige begrenzt werden. Zudem sind diese Förderungen degressiv zu gestalten und die Sonderregeln mit einer klaren Exit-Strategie zu versehen. CO2-Markt: Der europäische Markt für Treibhausgas-Emissionsrechte bleibt der zentrale Mechanismus zur Integration der Kosten von Kohlendioxid-Emissionen in die Stromerzeugung. Damit werden politisch definierte Emissionsziele erreicht und Kosten in das Entscheidungskalkül der Investoren eingepreist. Weitere Förderungen sind damit auf Dauer nicht notwendig und sollten vermieden werden. Kapazitätssicherung: Der zukünftige ordnungspolitische Ansatz muss Finanzierungsmöglichkeiten für notwendige Kapazitäten eröffnen, um die Versorgungssicherheit der Stromverbraucher sicherzustellen. Dies kann über die Nutzung einer Zahlungsbereitschaft für Versorgungssicherheit realisiert werden. Verbraucher ohne eine solche Zahlungsbereitschaft können für ein niedrigeres Niveau an Versorgungssicherheit optieren, was den Kapazitätsbedarf in den Spitzenzeiten senken und damit die Versorgungssicherheit erhöhen kann. Nachfrageflexibilisierung: Zur Stabilisierung des Ausgleichs von Stromerzeugung und Stromverbrauch ist nicht nur Flexibilität bei der Stromproduktion und gegebenenfalls Speicherung, sondern der Nachfrage notwendig. Die Flexibilisierung der Nachfrage beziehungsweise Demand Side Management müssen in zukünftige Marktmodelle integrierbar sein. Europäisierung: Ohne einen europäischen Strombinnenmarkt können wichtige Effizienzvorteile und Wettbewerbswirkungen nicht realisiert werden (Zachmann, 2013). Zukünftige Marktmodelle dürfen einem Strombinnenmarkt nicht entgegenstehen, sondern müssen europafähig sein. Evolution: Weiterentwicklungen des Strommarktes müssen auf dem bestehenden wettbewerblichen Energy-Only-Markt aufbauen. Nur so können Strukturbrücke vermieden und Transformationsrisiken minimiert werden. Eine schrittweise evolutorische Weiterentwicklung sollte marktnah erfolgen und revidierbar sein. Das Wissen und die Erfahrungen der Marktteilnehmer sind dabei als Veränderungsquelle mindestens ebenso wichtig wie externe Expertise.

Während zunächst die Förderung der regenerativen Stromerzeugung vor allem Technologieentwicklung und Kostenreduktion im Vordergrund standen, müssen

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zukünftig Koordinations- und Integrationsaspekte an Bedeutung gewinnen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die politischen Ziele (Minderung der Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um 40 % bis 2020 sowie Ausbau der EE-Stromerzeugung auf min. 35 % bis 2020 sowie 80 % bis 2050) weiterhin verfolgt werden. Über das EEG hinaus steht der Strommarkt vor der Herausforderungen, die Regeln für eine sichere und preisgünstige Stromversorgung der nächsten Jahrzehnte zu entwickeln. Es geht dabei um nicht weniger als die Beschreibung der Grundprinzipien des Strommarkts in der Energiewende, die bisher im Wesentlichen nur durch quantitative Ziele und Zwischenziele definiert ist. Die zukünftige Ausgestaltung des Ordnungsrahmens für die Stromerzeugung muss neben den erneuerbaren Energien auch die fossilen Anlagen in den Blick nehmen. Derzeit wird für die fossilen Kraftwerke vermehrt die Einführung von Kapazitätsmechanismen diskutiert (Nicolosi, 2012a, 2012b). Ziel ist es die aktuellen Regeln des Strommarktes zu ergänzen, um den gewünschten Grad an Versorgungssicherheit zu erzielen. Dem Ruf nach Kapazitätsmechanismen liegt die Annahme zugrunde, dass der Energy-OnlyMarkt langfristig nicht zum Ausgleich von Angebot und Bedarf an gesicherter Leistung ausreicht. Vereinzelt wird die grundlegende Charakteristik der Versorgungssicherheit als öffentliches Gut, das nicht spezifisch bepreist wird, als Schwäche des Energy-Only-Marktes angesehen (de Vries, 2003). Zur Offenlegung von Zahlungsbereitschaften für Versorgungssicherheit wäre es indes notwendig, dass Verbraucher auch von gesicherter Stromlieferung ausgeschlossen werden können. Ferner wird argumentiert, dass aufgrund der schwachen Reaktion der Nachfrage auf Preisveränderungen keine Nachfragesenkung in Knappheitszeiten stattfindet und das Preissignal damit nicht zu einer Markträumung führt (Cramton/Ockenfels, 2011), sondern es zu einer Unterversorgung und damit zu einem Ausfall der Stromversorgung insgesamt kommt. Dies könnte durch deutlich erhöhte Preise für Strom in Knappheitssituationen ausgehen, in denen nicht mehr die Grenzkosten des Angebots sondern die Zahlungsbereitschaft der Grenzabnehmer preisbestimmend wird. Ein Aufschlag auf die Grenzkosten (Mark-up) wird bei den großen Anbietern jedoch kartellrechtlich restriktiv behandelt (Growitsch/Matthes/Ziesing, 2013, 12 f.; Bundeskartellamt, 2011, 193 ff.). Solche Preisspitzen werden jedoch in Zukunft häufiger auftreten müssen wenn eine Finanzierung von Kapazitäten über den Stromabsatz möglich sein soll. Statt einer Flut unkoordinierter Einzelmaßnahmen wird ein grundlegendes energiepolitisches Gesamtkonzept notwendig sein. Dieses besteht aus zwei Elementen: Zum einen muss die Förderung der erneuerbaren Energien mit stärkerem Blick auf Effizienz und Integration reformiert werden. Zum anderen ist es gleichzeitig notwendig die existierenden Regeln des Strommarktes weiterzuentwickeln und damit an ein sich grundlegend veränderndes Stromversorgungssystem der Zukunft anzupassen. Beide Reformen müssen mit klarem Blick auf die notwendige Konvergenz der Marktstrukturen konzipiert werden.

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5 Eine Neuaufstellung der Förderung erneuerbarer Energien Damit die erneuerbaren Energien langfristig erfolgreich sind und international durchsetzungsfähig sein können, müssen sie kompatibel zu marktlichen Strukturen sein (Bardt, 2014). Darauf muss das Fördersystem systematisch vorbereiten. Das Fördersystem sollte daher dahingehend umgestaltet werden, dass in Zukunft nicht mehr eingespeiste Mengen, sondern der erzielte Wert des eingespeisten Stroms gefördert wird. So entsteht für die Anlagenbetreiber der Anreiz, erneuerbaren Strom dann einzuspeisen, wenn er einen möglichst hohen Wert hat und entsprechend gebraucht wird. Bei steigenden Preisen ist eine Abschmelzung der Fördersätze angeraten. Umgekehrt sollte überflüssiger Strom mit einem Wert von Null auch keine Förderung erhalten. Auch wenn die Integration erneuerbarer Energien in den Strommarkt ohne spezielle Marktmechanismen für bestimmte Technologien das ordnungspolitische Ziel der Entwicklung eines neuen Marktdesigns ist, wird eine zeitlich begrenzte Förderung erneuerbarer Energien weiterhin notwendig sein. Dabei handelt es sich aber im Kern um eine Technologieförderung, nicht um eine aktuelle Einsparung von Treibhausgasemissionen. Über den Deckel des europäischen Emissionshandels hinaus werden durch die Förderung keine weiteren Emissionen reduziert. Die Förderung von technologischen Entwicklungen muss mit der Schaffung eines langfristig günstigeren und klimafreundlicheren Angebots an Stromerzeugungsmöglichkeiten begründet werden. Für die temporäre Unterstützung erneuerbarer Energien sollte ein Aufschlag auf die am Markt erzielten Erlöse gezahlt werden (Kopp u. a., 2013). Dabei werden die erzielten Erlöse am Options- und Futuresmarkt mit berücksichtigt, da dadurch der Anreiz zur Schaffung von sicheren Leistungspaketen erhöht wird. Durch die Art der Förderung wird der Anreiz gestärkt, am Markt Erfolge zu erzielen. Die Förderung wird als prozentualer Aufschlag auf die Markterlöse bis zu einer fixen absoluten Obergrenze definiert. Damit gibt es keine Vergütung bei fehlenden Markterlösen, aber einen Anreiz zur Optimierung und eine Kostenkontrolle hinsichtlich des Fördervolumens. Die im aktuellen EEG angelegte Idee der Marktprämie liegt darin, dass die Anlagenbetreiber den erzeugten Strom selbst vermarkten müssen, zusätzlich aber eine staatlich garantierte Unterstützung erhalten. Die Höhe der aktuell definierten Marktprämie ergibt sich aus der Differenz des Marktwertes des Stroms zur Einspeisevergütung. Da sie somit mit dem Marktpreis schwankt und diese Schwankungen ausgleicht, wird sie als gleitende Marktprämie bezeichnet. Für die Anlagenbetreiber wird damit auch im System der Marktprämie ein Erlös in Höhe der Einspeisevergütung garantiert. Marktpreisänderungen wirken sich für die Erzeuger damit kaum aus. Durch die standardisierte Berechnung des Marktpreises für Wind- und Solarstrom ergibt sich ein unterschiedliches Gesamteinkommen, wenn einzelne

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Anlagenbetreiber höhere Anteile ihres Stroms zu Hochpreiszeiten verkaufen können als der Durchschnitt der Anlagen. Hierin ist ein gewisser Anreiz zu sehen, Strom entsprechend den Signalen der Marktpreise einzuspeisen – beziehungsweise dies zumindest besser zu tun als der Durchschnitt. Eine konstante Marktprämie oder sogar eine progressive Marktprämie, die einen prozentualen Zuschlag auf den Erlös darstellt, würde hier sehr viel deutlichere Anreize setzen und der Marktpreisentwicklung für die erneuerbaren Energien vollständige Relevanz zukommen lassen. Die Höhe der Förderung sollte durch die Auktionierung des Zugangs zur Förderung bestimmt werden. Dazu werden Kapazitätsmengen entsprechend dem Ausbauplan der Energiewende definiert und für diese schrittweise der Zugang zur Förderung versteigert. Wer den geringsten prozentualen Zuschlag auf das Marktergebnis verlangt, bekommt den Zuschlag und kommt in die Förderung für einen definierten Zeitraum (z. T. 10 Jahre). Dies ist zunächst in technologiespezifischen Paketen möglich, der Anteil der technologieneutralen Zuschläge soll aber kontinuierlich ansteigen und deutlich vor Mitte des Jahrhunderts 100 % erreichen. Intermediäre können an der Versteigerung teilnehmen und das Recht zur Förderung später an andere Marktteilnehmer weitergeben. So wird vermieden, dass sich private Investoren in kleine Anlagen selbst an dem für sie möglicherweise zu komplizierten Auktionsverfahren beteiligen müssen. Die ausgeschriebenen Kapazitätsmengen werden nach oben gedeckelt und schrittweise reduziert, da spätestens Mitte des Jahrhunderts kein weiterer Zubau erfolgen soll. Die indirekte Förderung der erneuerbaren Energien besteht dann noch in den höheren Arbeitspreisen, die fossile Kraftwerke aufgrund der Kosten des Emissionshandels verlangen müssen. Damit erhöht sich auch der Börsenpreis und damit die Deckungsbeiträge der erneuerbaren Energien, die am Markt zum Zuge kommen. Selbst wenn der Anteil der erneuerbaren Energien zu gering sein sollte, um die politisch gesetzten Ausbauziele zu erreichen, ist eine dauerhafte Steuerung durch den Emissionshandel ausreichend, um das übergeordnete und technologieneutrale Ziel der Senkung von Treibhausgasemissionen zu realisieren. Der Finanzbedarf wird über den im Auktionsverfahren minimierten Zuschlag verringert. Damit werden Überrenditen vermieden. Gleichzeitig wird der Zugang für europäische Anbieter geöffnet. So entstehen zusätzliche Effizienzvorteile durch den erhöhten Wettbewerb und die unterschiedlichen natürlichen Bedingungen im europäischen Binnenmarkt. Mit diesem Vorschlag für eine Förderung erfolgt eine enge Anbindung an den Strommarkt. Ein zusätzlich konstruierter Markt wie im Quotensystem vorgesehen, wird damit überflüssig. Zudem ist das System auf ein Auslaufen der Förderung angelegt, indem Fördermengen kontinuierlich verringert werden, während ein Quotensystem dauerhaft Technologieanteile festschreiben würde. Mitte des Jahrhunderts sollte aber keine Technologie mehr spezifisch gefördert werden, da es für den Klimaschutz unerheblich ist, mit welcher Technik Treibhausgasemissionen reduziert werden.

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Für den Übergang vom alten EEG in das neue Fördersystem könnten die Ausschreibungen für bestimmte Marktsegmente getestet werden. Ein gleitender Übergang aus dem alten EEG in eine neue Förderung ist ohne allzu hohe Transformationsrisiken möglich, wie sie bei einem grundlegenderen Systemwechsel zu befürchten wären. Die Anschlussfähigkeit ist aufgrund der Verwandtschaft zu bisherigem System gegeben. Neu sind insbesondere die Deckelung, die Versteigerung und die Förderung in Form eines Zuschlags zum Marktergebnis – und vor allem der Übergang in eine marktpreisgesteuerte Stromversorgung.

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Boris Baic und Jörg Clostermann

Die Relevanz der Peak-Oil Theorie? 1 Einführung Mit dem kontinuierlichen Anstieg des Ölpreises ab der Jahrtausendwende kam der Begriff „Peak-Oil“ wieder vermehrt in die öffentliche Diskussion.1 Die pessimistischen Vertreter dieser „Theorie“ vermuteten, dass das Fördermaximum (= Peak) von Öl erreicht oder in Sicht sei und eine nun schnelle Verknappung des Rohstoffs beginnen werde, einhergehend mit möglicherweise schweren sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen.2 Der starke Anstieg des Ölpreises bis 2008 auf einen Höchstpreis von über 140 US$/bbl schien schon ein erster Vorbote zu sein und war Wasser auf die Mühlen der Befürworter der Peak-Oil Theorie und ihrer Befürchtungen. Mittlerweile ist der Ölpreis wieder stark gesunken. Derzeit notiert er schon seit über einem Jahr im Spektrum von 40–50 US$/bbl und die Theorie „Peak-Oil“ gerät wieder in Vergessenheit. Zu Recht? Kann man nun die Peak-Oil-Theorie getrost bei Seite legen? Oder legt der Ölpreis derzeit nur eine Verschnaufpause ein, bevor er wieder steigt und steigt? Ziel dieser Arbeit ist es, die Peak-Oil-Theorie näher zu beleuchten und ihre Argumente auf Stichhaltigkeit zu prüfen. Ein weiteres Ziel ist es, die Peak-OilTheorie richtig einzuordnen und deren Bedeutung für die Ölpreis-Diskussion und -Analyse zu bemessen. Die Arbeit gliedert sich folgt: Nach einer eingehenden Darstellung der PeakOil-Theorie werden wesentliche Aspekte sowie das zu Grunde liegende Konzept ausführlich dargestellt und diskutiert. Die Arbeit endet mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen.

2 Die Peak-Oil-Theorie Der Begriff Peak-Oil steht im Allgemeinen für das globale Ölfördermaximum, also denjenigen Zeitpunkt, an dem die weltweite Erdölförderung einen Höchstwert erreicht. Nach Erreichen eines Scheitels (Peak) sinkt die gesamte Fördermenge kontinuierlich ab und lässt sich nicht mehr steigern, so die gängige Annahme.3 PeakOil bedeutet nicht, dass zu diesem Zeitpunkt kein Öl mehr vorhanden ist, sondern nur dass die Produktionsmenge zurückgeht.4 1 Die in diesem Artikel zum Ausdruck kommenden Ansichten spiegeln alleine die persönliche Auffassung der Autoren wider und nicht notwendigerweise die von Collomix. 2 Stellvertretend sei Heinberg (2003) genannt. 3 Vgl. Hirsch et al. 2005, S. 12. 4 Vgl. Robelius 2007, S. 58. https://doi.org/10.1515/9783110525762-004

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Boris Baic und Jörg Clostermann

2.1 Die Hubbert-Kurve Das Konzept eines globalen Ölfördermaximums basiert im Wesentlichen auf Arbeiten des amerikanischen Geologen Marion King Hubbert. Dieser analysierte in den 1950er Jahren die historischen Förderdaten endlicher Energierohstoffe wie Kohle, Erdöl und Erdgas in den USA und erkannte, dass deren Förderkurven alle einen ähnlichen Verlauf aufweisen. Jede Förderkurve steigt zunächst langsam an, vergrößert ihr Wachstum anschließend stark, bis sie einen Wendepunkt („InflectionPoint“) erreicht, nach dem die Kurve wieder zu fallen beginnt.5 Daraus folgerte Hubbert später, dass sich die Förderkurven grob einer logistischen Verteilung angleichen. Er ging davon aus, dass das Fördermaximum (Peak) erreicht wird, wenn etwa die Hälfte der ursprünglich vorhandenen Ölmenge gefördert wurde, weshalb er diesen Punkt auch als „Depletion-Midpoint“ bezeichnete.6 Des Weiteren erkannte er, dass man den Zeitpunkt des Fördermaximums aus dem historischen Verlauf der Förderkurve extrapolieren kann, indem man die gesamte Menge des ursprünglich vorhandenen und zukünftig förderbaren Erdöls (URR), abzüglich der kumulierten Fördermenge, bestimmt.7 Auf Basis seines Modells schätzte er, dass die US-amerikanische Erdölproduktion, ausgehend von einem URR in Höhe von 150 bis 200 Mrd. Barrel, im Zeitraum von 1965 bis etwa 1970 ihren Höchststand erreichen wird (s. Abb. 3).8 1970 erreichten die USA (ohne Alaska) tatsächlich ihr vorläufiges Fördermaximum: Hubberts Prognose hatte sich zu diesem Zeitpunkt als richtig erwiesen. Der Erfolg seiner Prognose bestätigte ihn darin, dass der Verlauf der Förderkurven aus geologisch-technischen Gründen vorbestimmt sei und deshalb zwangsläufig die Form einer Glockenkurve hat. Im globalen Maßstab sollte das Fördermaximum ausgehend von einem URR von 1250 Milliarden Barrel im Jahr 2000 erreicht sein.9 Allerdings haben sich seine individuellen Vorhersagen bezüglich eines globalen Peak-Oil nie bewahrheitet.10 Das geologisch-technische Modell eines glockenförmigen Förderverlaufs bildet trotzdem auch heute noch die Basis für zahlreiche neuere Peak-Oil Prognosen.11 Dieses Grundmodell wird heutzutage allerdings in der Regel sehr stark modifiziert und angepasst.12 Hubberts Glockenkurven-Modell lässt sich auf einzelne Ölfelder, ganze Förderregionen und auch auf die globale Erdölförderung anwenden. Der Verlauf der Ge-

5 Vgl. Hubbert 1956, S. 6 ff. 6 Vgl. Planungsamt der Bundeswehr 2012, S. 92. 7 Vgl. Bukold 2009a, S. 123. 8 Vgl. Hubbert 1956, S. 24. 9 Vgl. Hubbert 1956, S. 22 ff. 10 Vgl. Chapman 2014, S. 93. 11 Vgl. De Almeida/Silva 2011, S. 1046. 12 Vgl. Bukold 2009a, S. 162.

Die Relevanz der Peak-Oil Theorie?

39

Billions of bbls/yr

4 3

25 x 109 bbls

2

Proved reserves 30 x 109 bbls

200 x 109 bbls ultimate 150 x 109 bbls ultimate

Cumulative production 52.4 x 109 bbls

1 0 1850

1875

1900

1925

1950

1975

2000

2025

2050

Years Abb. 3: Hubberts Prognose der US-Erdölförderung (Peak 1965–1970). Quelle: Hubbert 1956, S. 22.

Annual oil production (increasing yield)

Total for entire region

Individual wells

0 0

40 Years

Abb. 4: Prognose des Förderverlaufs einer Förderregion. Quelle: Gates et al. 2014, S. 16.

samtkurve einer bestimmten Förderregion ergibt sich aus der Addition einzelner Produktionskurven von Erdölfeldern der jeweiligen Region13 (s. Abb. 4). Ein in der Literatur sehr häufig verwendetes Beispiel für die gute Passform der Hubbert-Kurve für die Beschreibung von empirischen Förderverläufen ist die norwegische Erdölproduktion in der Nordsee14 (s. Abb. 5).

13 Vgl. Schindler/Zittel 2008, S. 42. 14 Vgl. Campbell et al. 2003, S. 78.

40

Boris Baic und Jörg Clostermann

Norwegian oil production, field-by-field view 3,500,000

Daily production [barrels]

3,000,000 2,500,000 2,000,000 1,500,000 1,000,000 500,000 0 1970

1975

1980

1985

1990

1995

2000

2005

Abb. 5: Norwegischer Förderverlauf (Peak 2000). Quelle: Aleklett et al. 2010, S. 18.

2.2 Weiterentwicklung der Hubbert-Theorie Eine der wichtigsten Weiterentwicklungen von Hubberts Theorie unterstellt, dass die Fundrate der Neuentdeckungen ebenfalls einen glockenförmigen Verlauf aufweist. Demzufolge müsste die Produktionskurve einer Förderregion in ihrem Verlauf die vorhergehenden Entdeckungen zeitlich verzögert widerspiegeln.15 Mehrere Entdeckungszyklen würden demnach auch zu mehreren Peaks bei der Ölproduktion führen.16 Bekannt geworden ist dieser Ansatz durch zahlreiche Publikationen des Geologen Jean Laherrère.17 Laherrères Ansatz basiert auf der sogenannten „Backdating-Methode“ und den „Creaming Curves“ der Ölfördergesellschaft Shell, welche in den 1980er Jahren entwickelt wurden. Bei der Backdating-Methode, werden die jeweils in der Vergangenheit gefundenen Erdölmengen eines Jahres mit den nach heutigem Wissensstand ursprünglich vorhandenen Reservenmengen bewertet und nicht mit der geschätzten Erdölmenge zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung. Dieses Vorgehen wird Laherrère zufolge deshalb notwendig, weil durch den in Abschnitt 3.4 erläuterten „Reserve-Growth“ fälschlicherweise der Eindruck entsteht, die geologisch determinierte Reservenmenge würde sich im Zeitablauf erhöhen, wodurch sich auch der Zeitpunkt des Fördermaxi-

15 Vgl. Robelius 2007, S. 61. 16 Vgl. Laherrère 2001, S. 4. 17 Vgl. Lynch 2003, S. 2.

Die Relevanz der Peak-Oil Theorie?

41

2,000 1990-2000: 50 Gb with 1,700 NFW 1980-1990: 100 Gb with 2,600 NFW

2000-2005: 19 Gb with 890 NFW

1,500 Onshore

1970-1980: 200 Gb with 1,900 NFW

[Gb]

1960-1970: 330 Gb with 1,650 NFW 1,000 Until 1960: 870 Gb with 2,250 NFW 500

Offshore

0 0

2,000

4,000

6,000

8,000

10,000

12,000

Number of new field wildcats (NFW) Abb. 6: „Creaming Curve“ der globalen Erdölfunde im Zeitablauf. Quelle: Schindler/Zittel 2008, S. 39.

mums in die Zukunft verschieben würde.18 Um falsche Rückschlüsse bezüglich der Reservenmenge zu verhindern, muss das Reservenwachstum zurückdatiert werden, weil nur Neufunde die absolute Menge der Reserven erhöhen können.19 Für die Bestimmung der in Zukunft zu erwartenden Neufunde („yet-to-find“) nutzt er hingegen die „Creaming Curves“, mit denen sich die kumulierten Entdeckungen und die dazu notwendigen Explorationsbohrungen mit Hyperbeln modellieren lassen.20 Abb. 6 zeigt eine solche „Creaming-Curve“, bezogen auf die weltweiten Funde und die dazugehörige Anzahl an Aufschlussbohrungen. Die grafische Darstellung der historischen Ölfunde und der Aufschlussbohrungen („New-Field-Wildcats“ = NFW) im Zeitablauf zeigt, dass die pro Explorationsbohrung gefundene Erdölmenge im historischen Verlauf immer weiter zurückgegangen ist. Bis 1960 fand man pro Explorationsbohrung im Durchschnitt noch 0,38 Gb Erdöl. Seit dem Jahr 2000 liegt dieser Wert nur noch bei 0,02 Gb. Für die Wachstumsrate der Neuentdeckungen kann also, so wie bei der Erdölproduktion auch, ein logistischer Verlauf angenommen werden.21 Zu Beginn steigt die gefunde-

18 Der Grund hierfür ist, dass ein symmetrischer Verlauf der Förderkurve angenommen wird. Durch die absolute Erhöhung des Scheitelpunkts verschiebt sich auch der relative Tipping-Point, weil dieser dem Modell nach immer bei 50 % der Fördermenge erreicht wird. Dieser Aspekt des Modells wurde von zahlreichen Autoren stark kritisiert. 19 Vgl. Robelius 2007, S. 67. 20 Vgl. Laherrère 2009, S. 1. 21 Vgl. Robelius 2007, S. 61 ff.

42

Boris Baic und Jörg Clostermann

Rate of oil

Discovery rate Production rate Rate of reserve change

Time Abb. 7: Glockenkurve von Neufunden und Erdölproduktion. Quelle: Schindler/Zittel 2008, S. 39.

60 Past discovery Future discovery Production

50

Gb/a

40

Revisions backdated. Rounded with 3yr moving average.

30 20 10 0 1930

1950

1970

1990

2010

2030

2050

Abb. 8: Neuentdeckungen und Produktion seit 1930 mit Deckungslücke ab 1980. Quelle: Gates et al. 2014, S. 12.

ne Erdölmenge exponentiell an, weil große und ergiebige Erdölvorkommen wegen ihrer großen Ausdehnung immer zuerst entdeckt werden, sowie leichter zu entwickeln sind. Nach und nach werden immer kleinere Erdöllagerstätten gefunden, was dazu führt, dass die Fundmengen zurückgehen.22 Der Wert, an den sich die Kurve asymptotisch annähert, kann als maximaler Schätzwert für das Gesamtpotenzial (URR) angesehen werden und ermöglicht somit im Anschluss die gleichzeitige Extrapolation der Kurven von Neufunden und Erdölproduktion, sowie deren Vergleich.23 Abb. 7 veranschaulicht den theoretischen Verlauf der Kurve von Neuentdeckungen und des Förderverlaufs. Der Schnittpunkt der beiden Kurven markiert denjenigen Zeitpunkt, an dem die kumulierte Förderung erstmals die Erdölmenge

22 Vgl. Sorrell et al. 2010, S. 4991. 23 Vgl. Schindler/Zittel 2008, S. 39.

Die Relevanz der Peak-Oil Theorie?

43

aus Neuentdeckungen übersteigt. Ab diesem Zeitpunkt reduziert sich die Reservenmenge um den Differenzbetrag aus Neuentdeckungen abzüglich der jährlichen Förderung. Empirisch betrachtet übersteigt die jährliche Fördermenge bereits seit 35 Jahren die Erdölmenge (s. Abb. 8), welche jedes Jahr neu entdeckt wird.24 Eine theoretische Deckungslücke ist die Folge.

2.3 Konsequenzen eines globalen Peaks Erdöl hat einen Anteil von ca. 32,6 % am gesamten globalen Primärenergieverbrauch und ist damit der wichtigste aller fossilen Energieträger.25 In Bereichen wie dem Transportsektor hat Erdöl sogar einen Anteil von 94,7 % am Gesamtenergieverbrauch und es gibt bisher keine nennenswerten Alternativen. Im Flugverkehr sind es sogar 100 %.26 Rohöl ist darüber hinaus einer der wichtigsten Grundstoffe für chemische Erzeugnisse, wie Kunststoffe und andere Produkte des täglichen Bedarfs.27 Im landwirtschaftlichen Bereich ist Rohöl Ausgangsmaterial für die Produktion von Düngemitteln, Pestiziden und Treibstoff für Landmaschinen sowie Fahrzeuge. Der Schwerpunkt liegt dennoch im Transportbereich, weil etwa 60 bis 70 % der weltweiten Erdölproduktion für die Herstellung von Treibstoffen verwendet werden.28 Diese Zahlen verdeutlichen, dass die ausreichende Verfügbarkeit von Erdöl für Industriegesellschaften von sehr großer Bedeutung ist. Gleichzeitig verfügen viele Länder über keine oder nur geringe eigene Erdölreserven. Deutschland zum Beispiel muss ca. 97,7 % seines jährlichen Erdölbedarfs importieren.29 Die hohe Abhängigkeit vom Erdöl führt dazu, dass Versorgungsengpässe für industrialisierte Gesellschaften als Ganzes ein hohes Risiko darstellen, was die politischen Ölkrisen in den 1970er und 1980er Jahren eindrücklich aufzeigten.30 Ein geologisch-technisch determiniertes Fördermaximum würde wegen des weiterhin schnell wachsenden Bedarfs, besonders in den aufstrebenden Schwellenländern, zu einer globalen Mangelsituation führen und dramatische Konsequenzen nach sich ziehen. Die systemische Relevanz und strategische Bedeutung des Erdöls führte dazu, dass zahlreiche staatliche und halbstaatliche Organisationen die möglichen Auswirkungen einer Versorgungskrise auf verschiedene gesellschaftliche Bereiche untersucht haben. Zu den wichtigsten Auswirkungen eines globalen Peak-Oil zählen den Studien zufolge:

24 25 26 27 28 29 30

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Robelius 2007, S. 69. BP 2016a, S. 1. Almeida/Silva 2011, S. 1045. Hirsch et al. 2005, S. 8. Simmons 2007, S. 410 ff. BMWi, 2016, S. 13. Hirsch et al. 2005, S. 13.

44

Boris Baic und Jörg Clostermann

1.

Regionale und globale militärisch geführte Verteilungskonflikte um die verbleibenden Erdölreserven („Ressourcenkriege“).31 2. Nahrungsmittelengpässe durch den Verlust mineralölbasierter Düngemittel und Pestizide, sowie Transport- und Verteilungsprobleme in den globalen Lieferketten für Nahrungsmittel zunächst in Entwicklungsländern, später auch in Industrieländern.32 3. Anstieg der Umweltbelastung durch den Wechsel zu anderen Energieträgern wie Holz (Abholzung), Kohle (Anstieg der CO2-Emissionen) und Nuklearenergie (radioaktive Strahlung).33 4. Globale Konjunktureinbrüche durch stark steigende Ölpreise, Inflation, Arbeitslosigkeit sowie Verfall von Lebensstandards.34 5. Zusammenbruch des globalen Wirtschaftssystems und der marktwirtschaftlich geprägten Volkswirtschaften durch einen Vertrauensverlust in Banken, Währungssysteme und ganze Staaten.35 Die oben genannten Beispiele zeigen auf, wie wichtig es ist, den Zeitpunkt eines globalen Ölfördermaximums zuverlässig prognostizieren zu können. Nur dann lassen sich wirksame Gegenmaßnahmen rechtzeitig vorbereiten.36 Eine US-amerikanische Publikation aus dem Jahr 2005 schätzt die benötigte Zeit für die Implementierung von geeigneten Anpassungsmaßnahmen auf ca. 20 Jahre.37 Die Peak-OilTheorie und das ihr zu Grunde liegende Glockenkurven-Modell haben nur deshalb eine so große Bekanntheit erlangt, weil deren Vertreter für sich in Anspruch nehmen, den Zeitpunkt zuverlässig prognostizieren zu können. Heute wissen wir, dass die meisten Prognosen der pessimistischen Peak-Oil Vertreter sich bisher nicht bewahrheitet haben.

3 „The Party is Over“? In den vorhergehenden Kapiteln wurde deutlich, dass die Peak-Oil-Theorie bestimmte Kernaussagen trifft: – Öl ist eine endliche Ressource. – Ein Preisanstieg von Erdöl ist unausweichlich. – Das vorhandene Erdölvorkommen ist bestimmbar und prognostizierbar. – Die Nachfrage nach Erdöl ist ungebrochen. 31 32 33 34 35 36 37

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Planungsamt der Bundeswehr 2012, S. 18. Simmons 2007, S. 412. Gates et al. 2014, S. 305 ff. Hirsch et al. 2005, S. 30. Planungsamt der Bundeswehr 2012, S. 57 ff. Sorell et al. 2009, S. 2. Hirsch et al. 2005, S. 5.

Die Relevanz der Peak-Oil Theorie?

45

In den folgenden Abschnitten geht es deshalb darum, in der Diskussion um das Pro und Contra der Peak-Oil-Theorie diese Kernaussagen näher zu beleuchten und hinsichtlich ihrer Relevanz einzuordnen.

3.1 Die Theorien über die Erdölentstehung: Ist Öl eine endliche Ressource? In der Vergangenheit fand man Erdöl durch einfaches Anbohren unterirdischer Lagerstätten in geologischen Formationen, ohne genau zu wissen wie diese entstanden sind.38 Somit wusste man auch nicht, wo genau man nach Erdöl suchen sollte und wie ergiebig ein Vorkommen insgesamt ist. Weil diese beiden Fragen jedoch von großer Bedeutung für die Versorgungssicherheit und Suche nach Erdöl sind, entstanden zwei völlig gegensätzliche wissenschaftliche Hypothesen darüber, welche Prozesse zur Bildung von Lagerstätten führen. Diese beiden Theorien nennt man die biogene und die abiotische (alternativ abiogene oder nicht-biogene) Theorie der Erdölentstehung. Obwohl es für die Richtigkeit beider Theorien viele Hinweise gibt, ist die Anzahl der wissenschaftlichen Belege, welche für die biogene Herkunft des Erdöls sprechen, deutlich größer.39 Heute gehen deshalb so gut wie alle Forscher davon aus, dass Erdöl in extrem langen Zeiträumen aus urzeitlicher Biomasse entstanden ist. Dieser lange biogene Entstehungsprozess ist demzufolge der Grund, weshalb Erdöl ein endlicher fossiler Energieträger ist.40 Die Peak-OilHypothese ist häufig mit der Akzeptanz eines biogenen Ursprungs verbunden.41 Allerdings kann keine der beiden Theorien mit hundertprozentiger Sicherheit widerlegt werden, sodass auch eine nicht-biogene Herkunft des Erdöls denkbar ist und teilweise als Argument in der Peak-Oil-Debatte genutzt wird.42 Die biogene Theorie der Erdölentstehung basiert auf der Annahme, dass sich ein Großteil des uns bekannten Erdöls über einen sehr langen Zeitraum, vor mehreren hundert Millionen Jahren, unter ganz speziellen Bedingungen aus organischem Material gebildet hat und deshalb endlich ist. Erstmalig beschrieben und veröffentlicht wurde diese Theorie schon im Jahr 1757 von dem russischen Naturforscher Michail Wassiljewitch Lomonossow. Dieser Theorie nach stammt der größte Anteil des uns heute bekannten Erdöls aus organischen Überresten von fossilen Meereslebewesen, die vor 500 bis 100 Millionen Jahren gelebt haben. Biologische Reste abgestorbenen Planktons sanken auf den Grund flacher urzeitlicher Meere und bildeten dort eine Schicht kohlenwas-

38 39 40 41 42

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Barudio 2001, S. 22 ff. Höök et al. 2010, S. 1995. Neukirchen/Ries, 2014, S. 288. Tsatskin/Balaban 2008, S. 1826. Höök et al. 2010, S. 1995.

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Boris Baic und Jörg Clostermann

serstoffreichen Materials.43 Dieses wurde im weiteren Verlauf von verschiedenen Ablagerungen, wie z. T. Sand und Tonmineral, überdeckt. Aufgrund des am Meeresboden herrschenden Sauerstoffmangels fanden keine natürlichen Zersetzungsprozesse statt, wodurch das organische Material konserviert wurde. Dieser Prozess wiederholte sich fortlaufend, womit immer neue Schichten aus organischem Faulschlamm und Sedimenten entstanden. Durch die Überlagerung mit immer neuen Rückständen wurden die Schichten zusammengedrückt, wobei Wasser entwich und verschiedene chemische Prozesse einsetzten. Am Ende dieses als Diagenese bezeichneten Vorgangs entstand das sogenannte „Muttergestein“, in dem sich im Anschluss Erdöl, aber auch Erdgas, bildeten.44 Später sank das Erdölmuttergestein weiter in die Tiefe, wo Druck und Temperatur deutlich zunahmen. Die eigentliche Hauptphase der Erdölentstehung beginnt ab etwa 50 °C. Diesen Prozess nennt man Katagenese. In Abhängigkeit von der Temperaturerhöhung im weiteren Verlauf des Prozesses können sich nun Erdöl und/ oder Erdgas bilden. Erdöl entsteht dabei nur in einem sehr engen Temperaturbereich von ca. 50 °C bis maximal 150 °C. Dieser enge Temperaturbereich wird „Erdölfenster“ genannt. Bei mehr als 150 °C entsteht nur noch Erdgas und kein Erdöl mehr. Anschließend steigt der Druck auf die Gesteinsschichten weiter an, verdichtet diese und sorgt dafür, dass Erdöl und Erdgas innerhalb von kleinen Gesteinsporen im Muttergestein gespeichert werden und nicht mehr entweichen können. Mit der Zeit entstehen im Muttergestein aufgrund von Druckunterschieden jedoch kleine Risse, durch die Grundwasser eindringen kann. Weil Erdöl und Erdgas in der Regel eine geringere Dichte als Wasser aufweisen, beginnen sie durch Verwerfungen nach oben hin aufzusteigen und verteilen sich in durchlässigeren Schichten, z. T. aus Sandstein.45 Treffen die Kohlenwasserstoffe auf ihrem Weg in Richtung Oberfläche auf undurchlässige Formationen aus Salz oder Fels, konzentrieren sich dort größere Mengen an Erdöl und Erdgas.46 Diese natürlichen Ansammlungen werden als Lagerstätten, Reservoirs oder als „Erdölfelder“ bezeichnet Entgegen der weitläufigen Meinung existieren unter der Erde keine großen unterirdischen Seen,47 aus denen sich das Erdöl einfach herauspumpen lässt. Vielmehr sind Erdöl und Erdgas in feinen Gesteinsporen gespeichert. In den oberen Poren und Ritzen des Gesteins findet sich das leichtere Gas, darunter in der Regel das schwerere Öl und darunter das Grundwasser.48 Die wichtige Erkenntnis, dass Erdöl und Erdgas in der Erdkruste mobil sind, die Erdölbildung also in anderen Schichten stattfindet als die Speicherung, wurde erst 1978 wissenschaftlich be-

43 44 45 46 47 48

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Neukirchen/Ries, 2014, S. 287. Neukirchen/Ries, 2014, S. 287 ff. Neukirchen/Ries, 2014, S. 290 ff. Reich 2015, S. 24. auch Barudio 2001, S. 23. Reich 2015, S. 24.

Die Relevanz der Peak-Oil Theorie?

47

schrieben und ermöglichte somit die vollumfängliche Erklärung der biogenen Entstehungsprozesse.49 Man geht davon aus, dass sich auch heute noch einige wenige Millionen Barrel Öl jedes Jahr durch biogene Prozesse neu bilden.50 Neben der biogenen Entstehungstheorie gibt es zwei moderne Haupttheorien zur abiogenen Entstehung von nennenswerten Erdölvorkommen. Die Erste der beiden Theorien bezeichnet man als die russisch-ukrainische Theorie der tiefen abiotischen Erdölentstehung, welche in Grundzügen schon 1951 in der ehemaligen Sowjetunion von Nikolai Alexandrovich Kudryavtsev beschrieben wurde.51 Anhänger dieser Theorie nehmen an, dass innerhalb des oberen Erdmantels, in einer Tiefe von ca. 40 bis 660 km unter der Erdoberfläche, große Mengen an nicht-biogenem Methan existieren. Unter hohem Druck und Temperatur laufen chemische Reaktionen ab, die dazu führen, dass sich Erdöl permanent aus diesem Methan neu bildet.52 Demzufolge ist Erdöl also ein anorganisches Material, welches fortlaufend durch thermodynamische Prozesse entsteht und deshalb nicht endlich ist.53 Publikationen zu dieser Theorie wurden nur in russischer Sprache veröffentlicht und waren in der westlichen Welt nahezu unbekannt. Die zweite und bekanntere These zur abiotischen Erdölentstehung stammt von dem US-amerikanischen Astronomen Thomas Gold. Er entwickelte in den Jahren von 1979 bis 1998 auf Basis der russisch-ukrainischen Theorie ein eigenes Modell. Dieses wird als „Deep Gas“ Theorie bezeichnet.54 Seiner Ansicht nach bilden sich die meisten tiefen Vorkommen von Erdöl und Erdgas aus Methan, sowie anderen Gasen nicht-biologischen Ursprungs direkt im Erdmantel und migrieren im Anschluss in den oberen Teil der Erdkruste. Dort angekommen dienen die Kohlenwasserstoffe als Energiequelle für Mikroben, die in der Tiefe ein eigenes mikrobiologisches Ökosystem, welches von Gold als „Deep Hot Biosphere“ bezeichnet wird, bilden. Die im Erdöl nachweisbaren Moleküle biologischen Ursprungs kommen demnach erst nachträglich in das Öl, was implizit als Beweis für eine abiotische Entstehung der Kohlenwasserstoffe gilt. Als Astronom argumentierte Gold des Weiteren, dass in unserem Sonnensystem viele Kohlenwasserstoffvorkommen existieren, z. T. in Meteoriten, auf den Gasplaneten im äußeren Sonnensystem und anderen planetaren Festkörpern, die einen eindeutig abiotischen Ursprung besitzen müssen.55 Um empirische Beweise für seine Theorien zu sammeln, führte Gold gemeinsam mit Partnern in Schweden zwei Versuchsbohrungen in einem Meteoritenkrater (Siljan-Ring) durch. Trotz des

49 50 51 52 53 54 55

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Glasby 2006, S. 87. Miller/Sorrell 2014, S. 4. Glasby 2006, S. 85. Höök et al. 2010, S. 1997. Glasby 2006, S. 85. Tsatskin/Balaban 2008, S. 1827. Höök et al. 2010, S. 1997.

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hohen Aufwands misslang das 50 Millionen D-Mark Vorhaben, weil die beiden kostspieligen Bohrungen entgegen der großen Erwartungen insgesamt nur 80 Barrel Rohöl von eher minderwertiger Qualität lieferten.56 Unter den Befürwortern der abiogenen Theorien gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, wie schnell die chemischen Prozesse ablaufen, die zur Entstehung von Kohlenwasserstoffen führen. Vertreter einer „schwachen“ abiotischen Theorie gehen davon aus, dass diese Prozesse sehr langsam stattfinden und Erdöl somit schneller gefördert wird als es sich bildet. Es gibt aber auch Befürworter einer „starken“ abiotischen Theorie, nach der Erdöl wesentlich schneller entsteht und Ölquellen somit kontinuierlich wieder aufgefüllt werden.57 Ein sehr bekannter Verfechter der „starken“ abiotischen Erdölentstehung war Fred Hoyle, ebenfalls ein Astronom. Seiner Ansicht nach enthielten die Gesteine, welche die Erde formten, exorbitante Mengen an Kohlenwasserstoffen. Daraus folgerte er, dass sich in der Erde so viel Öl gebildet haben muss, dass dieses von der Menschheit nie vollständig verbraucht werden kann.58 Allerdings gibt es keine fundierten wissenschaftlichen Beweise für eine „starke“ abiotische Entstehungstheorie. In Laborexperimenten gelang es bisher nur, die Bedingungen, welche in der Erdkruste herrschen zu simulieren und aus anorganischen Ausgangsmaterialien lediglich kleine Mengen höherer Kohlenwasserstoffe herzustellen.59 In Summe zeigen die Ausführungen in diesem Kapitel, dass unabhängig von der Theorie über die Erdölentstehung, Erdöl von der weit überwiegenden Masse der Forscher als endlicher Rohstoff einzustufen ist, d. h. wir verbrauchen mehr Erdöl, als Erdöl biogen oder abiogen entsteht.

3.2 Ist der Preisanstieg von Erdöl unvermeidlich? Die Peak-Oil-Theorie prognostiziert eine geologisch-technisch bedingte, starke Verknappung von Erdöl, und in der Folge steigende Preise. In den beiden folgenden Kapiteln untersuchen wir, was die ressourcenökonomische Theorie zu dem Entwicklungspfad des Erdölpreises aussagt und welchen Verlauf der Erdölpreis bisher empirisch genommen hat.

3.2.1 Die ressourcenökonomische Theorie Die ökonomische Theorie über den Abbau einer erschöpfbaren bzw. endlichen Ressource startet üblicherweise mit dem Hotelling-Modell, dessen Implikationen schnell und einfach anhand eines 2-Perioden-Modells erklärt sind.60 56 57 58 59 60

Vgl. Glasby 2006, S. 89. Vgl. Höök et al. 2010, S. 2000. Vgl. Glasby 2006, S. 91. Vgl. u. a. Kolesnikov et al. 2009. Eine ähnliche Darstellung des 2-Perioden-Modells findet man Tietenberg/Lewis (2015).

Die Relevanz der Peak-Oil Theorie?

10

49

10

Diskontierte zusätzliche Wohlfahrt in Periode 1

Diskontierte zusätzliche Wohlfahrt in Periode 2

0

0 0 10

5 Menge Periode 1 5 Menge Periode 2

10 0

Abb. 9: Aufteilung einer erschöpfbaren Ressource im 2-Perioden-Modell.

Unterstellt man, dass die Grenzkosten des Abbaus gleich Null sind, und darüber hinaus, dass in beiden Perioden die Nachfrage nach der Ressource gleich P = 10 − X sei, mit P gleich dem Preis und X gleich der Menge, dann würde bei unendlicher Verfügbarkeit der Ressource und in einer Situation vollkommenen Wettbewerbs (Preis = Grenzkosten = 0) in beiden Perioden die Sättigungsmenge X = 10 nachgefragt werden. Beschränkt man nun die Ressource und nimmt an, dass in den zwei Perioden zusammen maximal 10 Einheiten (X1 + X2 = 10) zur Verfügung stehen, muss eine Aufteilung der Ressource auf beiden Perioden stattfinden. Die Gesamte Fläche unter der Nachfragekurve entspricht der Konsumentenrente bzw. der Gesamtwohlfahrt. Der Zuwachs der Nettowohlfahrt (= ZNW) von Periode 1 entspricht exakt der Nachfragekurve, d. h. ZNW1 = 10 − X1, für Periode 2 erhält man den Zuwachs der Nettowohlfahrt, wenn man die Nachfrage mit dem Realzins (= r) abzinst, d. h. ZNW2 = 1 / ( 1 + r) * (10 − X2) (s. Abb. 9). Die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt aus beiden Perioden ist maximal, wenn der Zuwachs an Nettowohlfahrt in beiden Perioden identisch ist (Schnittpunkt der beiden Grafen in Abb. 7). Setzt man ZNW1 = ZNW2 unter der Nebenbedingung, dass X1 + X2 = 10 erhält man für X1 = (1 + r) / (2 + r) * 10 und für X2 = 1 / (2 + r) * 10. Man sieht, dass in Periode 1 mehr als die Hälfte von 10 von der Ressource verbraucht wird, in Periode 2 weniger als die Hälfte von 10 (s. Abb. 7). Setzt man diese Mengen in die Nachfragegleichung ein, erhält man als Preis für die erste Periode P1 = 1 / (2 + r) * 10 und als Preis für die zweite Periode (1 + r) / (2 + r) * 10. Daraus folgt P2 / P1 = (1 + r), d. h. der Preis steigt von Periode 1 zu Periode 2 entsprechend dem Realzins an. Verallgemeinert man diese Überlegungen und wendet sie auf ein n-PeriodenModell an, erhält man die Hotelling-Regel, nach der die Preise für eine erschöpfba-

50

Boris Baic und Jörg Clostermann

re Ressource im Zeitablauf exponentiell in Höhe des Realzinses ansteigen. Daraus folgt, dass die Abbaurate der Ressource einer Funktion mit rechtsgekrümmten, streng monoton fallenden Verlauf folgt, d. h. die Reduzierung der Fördermengen nimmt von Periode zu Periode zu!61 Realistischere Grenzkostenverläufe, z. T. anfangs sinkende, später steigende Förderkosten, die eher den Überlegung von Hubbert entsprechen, können tatsächlich unter bestimmten Bedingungen eine glockenförmige Abbaurate zur Folge haben und entsprechen vom Verlauf her faktisch dem, was die Peak-Oil-Anhänger propagieren. Darüber hinaus muss betont werden, dass der Preisanstieg der Ölförderung sich aus dem Anstieg der Grenzkosten plus dem Realzins ergibt. D. h. der Preisanstieg ist steiler als in den üblichen, zur Anwendung kommenden Modellen und dementsprechend die Kürzung der Förderung drastischer.62 Ein weiterer wichtiger Baustein in der Weiterentwicklung dieser Theorie ist die Einbeziehung der Backstop-Technik. Eine Backstop-Technik ist ein alternativer, jedoch teurerer Energieträger. Die Knappheitsrente (= Preis minus Grenzkosten) dieser Backstop-Technik determiniert den Abbaupfad des günstigeren Energieträgers. Der Hotelling-Preispfad beschreibt nun einen stetigen Übergang von dem kostengünstigen aber knappen Energieträger zum nächstbesten, doch weniger knappen Energieträger. Im Vergleich zu einer Welt ohne Backstop-Technologie wird der Abbau der nicht erneuerbaren Ressource beschleunigt. Darüber hinaus führen sinkende Backstop-Kosten und auch die Ungewissheit über die zukünftigen Kosten der Backstop-Technik zu einem stärkeren Abbau und niedrigeren Preisen der nicht erneuerbaren Ressource.63 Alle Theorien prognostizieren steigende Erdölpreise, leiden allerdings unter einem fundamentalen Mangel: Sie determinieren einen fixen Pfad der Abbaukosten und der Nachfrageentwicklung. Disruptive Innovationen bei den Abbautechniken oder disruptive Veränderungen der Nachfrage, sei es durch das Aufkommen von Substitutionsmöglichkeiten oder durch das Verändern der rechtlichen Rahmenbedingungen (z. T. umweltpolitische Auflagen) sind nicht im Modell integriert, da ungewiss, nicht vorhersehbar und nicht kalkulierbar. Als Resümee lässt sich konstatieren, dass auch standard-ressourcenökonomische Modelle den Überlegungen der Peak-Oil-Theorie nicht widersprechen. Je mehr das Vorkommen ausgebeutet wird, desto höher sind die Preise für Öl und desto geringer wird die Erdölförderung sein. Allerdings bleiben in allen theoretischen Überlegungen disruptive Veränderungen auf der Angebots- und Nachfrageseite unberücksichtigt.

61 Vgl. Hotelling (1931). 62 Tavonen (1997) und Krautkraemer (1998) S. 2078 ff. 63 Vgl. Dujmovits (2009) S. 5 ff.

Die Relevanz der Peak-Oil Theorie?

51

3.2.2 Die statistische Zeitreiheneigenschaft des Ölpreises In Abb. 10 sieht man den Verlauf des nominalen und realen (= inflationsbereinigten) Ölpreis seit Ende des 2. Weltkriegs. Der reale Ölpreis wurde als Quotient aus dem WTI-Preis und dem USA-Konsumentenpreisindex berechnet.64 Real ist die Preisentwicklung bei Erdöl weniger dynamisch als nominal. Während beim nominalen Ölpreis das Verhältnis zwischen Maximal- und Minimalwert 114 : 1 (133,88 zu 1,17 US$/bbl) beträgt, ist das Verhältnis beim realen Ölpreis „nur“ 7 : 1 (329,75 zu 34,46). Allerdings schlagen auch bei dem realen Ölpreis die gleichen politischen bzw. wirtschaftlichen Großereignisse durch und führen zu einem ähnlichen Muster bei den Ausschlägen wie bei dem nominalen Ölpreis. Die Betrachtung des Kurvenverlaufs im historischen Kontext ermöglicht die Identifikation von Faktoren, die einen relevanten Einfluss auf die Ölpreisentwicklung in der Vergangenheit hatten. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts hatte das Erdöl für Staaten keine besondere Bedeutung, da ein Großteil der Energieversorgung durch heimische Kohlevorräte abgesichert war. Das änderte erst die zunehmende Verbreitung des Verbrennungsmotors, vor allem für militärische Zwecke ab etwa 1909. In Großbritannien stellte die Royal Navy die Antriebe ihrer Kriegsschiffe von Kohle auf Öl um.65 Während des Ersten Weltkriegs (ab 1915) wurden zum ersten Mal in der Geschichte motorisierte Fahrzeuge für die Kriegsführung eingesetzt.66 Erdöl entwickelte sich dadurch zu einer kriegswichtigen Ressource von strategischer Bedeutung.67 Nach dem Ersten Weltkrieg stieg die Abhängigkeit von Erdöl nicht nur aus militärischen Gründen weiter an, sondern auch aus wirtschaftlichen, weil Erdöl in immer mehr Bereichen die Kohle zu substituieren begann. Auch im 2. Weltkrieg spielte die Ölversorgung für alle Kriegsteilnehmer eine entscheidende Rolle: Das Ölembargo der USA gegen Japan führte 1941 zum Angriff der japanischen Marine auf Pearl Harbor und in der Folge zum Kriegseintritt der USA.68 Gleichzeitig versuchte das nationalsozialistische Deutschland seine Ölversorgung durch die synthetische Herstellung von Rohöl aus Kohle und durch Eroberungen von Fördergebieten zu sichern, was im Verlauf des Krieges jedoch nicht gelang.69 Noch während des Krieges wurden enorme Ölvorkommen am Persischen Golf entdeckt, weshalb sich dort die Ölförderung nach dem zweiten Weltkrieg stark ausweitete. Geopolitisch übernahmen die USA, als aufsteigende Supermacht, die militärische Absicherung arabischer Ölquellen,

64 Als Datenbasis dienen die Zeitreihen „Crude Oil Prices: West Texas Intermediate (WTI) − Cushing, Oklahoma, Dollars per Barrel, Monthly, Not Seasonally Adjusted“. Das Deflationieren der Zeitreihe erfolgte mit „US Consumer Price Index for All Urban Consumers: All Items, Index 1982– 1984 = 100, Monthly, Not Seasonally Adjusted“. 65 Vgl. Barudio 2001, S.294 ff. 66 Vgl. Yergin 1991, S. 167 ff. 67 Vgl. Yergin 1991, S. 288 ff. (Hinweis des Autors: Bildbeschreibung über Abb. 30 und 31). 68 Vgl. Yergin 1991, S. 316 ff. 69 Vgl. Barudio 2001, S. 305 ff.

52

Boris Baic und Jörg Clostermann

400 Nominaler Ölpreis $/bbl (linke Skala) Realer Ölpreis (Jul 2016 = 100, rechte Skala)

160

300

120

200

80

100

40

0

0 50

55

60

65

70

75

80

85

90

95

00

05

10

15

Datenquelle: Federal Reseve Bank of St. Louis und eigene Berechnungen Abb. 10: Nominaler und Realer Ölpreis (1946–2016).

indem sie Saudi-Arabien umfangreiche Sicherheitsgarantien einräumten.70 Ab 1947 begannen hauptsächlich US-amerikanische Ölkonzerne dort mit dem systematischen Ausbau der Erdölförderung und der Verteilungsinfrastruktur, z. T. durch den Bau von Pipelines,71 die auch Teile Europas mit arabischem Öl versorgten. In den 1950er und 1960er Jahren kam es darauf hin zu einem kräftigen Wirtschaftsaufschwung in Westeuropa und den USA. Die Folgen waren Massenmotorisierung, die Ausweitung des Straßenbaus und ein steigender Öl-Konsum.72 Öl wurde zu einem unverzichtbaren Grundstoff in der chemischen Industrie, der Landwirtschaft und der Konsumgüterproduktion. Der Anteil des Erdöls am Primärenergieverbrauch stieg deutlich auf Kosten der Kohle.73 Kontrolliert wurde die globale Lieferkette fast ausschließlich von privaten Ölkonzernen, die mit den Ländern am Persischen Golf langfristige Verträge geschlossen hatten und so gegen Abgaben Öl fördern konnten. Für die geopolitische Absicherung waren die USA und zum Teil auch Großbritannien verantwortlich. Ende der 1950er Jahre prallten erstmals unterschiedliche Interessen von privaten Konzernen und Ölstaaten aufeinander. Weil es zu keiner Einigung kam, mündete der Streit zwischen den Erdölstaaten und den Konzernen 1960 in der Gründung der „Organization of Petroleum Exporting Countries“ (OPEC).74 Die OPEC wurde geschaffen, um die einzelnen Interessen der Ölstaaten

70 71 72 73 74

Vgl. Bukold 2009a, S. 20. Vgl. Bukold 2009a, S. 21. Vgl. Bukold 2009a, S. 22. Vgl. Bukold 2009a, S. 22. www.opec.org/opec_web/en/about_us/24.htm, zuletzt abgerufen am 29. 08. 2016.

Die Relevanz der Peak-Oil Theorie?

53

zu bündeln und so deren Verhandlungsposition gegenüber den Konzernen zu verbessern.75 Nach ihrer Gründung wurde die OPEC zunächst kaum wahrgenommen, was sich jedoch 1970 schlagartig änderte. Die Mitgliedsländer der OPEC nutzten Neuverhandlungen mit den privaten Ölkonzernen dazu, zahlreiche Verstaatlichungen voranzutreiben und sich so das Eigentum an den Ölquellen in ihren Ländern zu sichern.76 Ihre neu erworbene Marktmacht nutzten die Ölstaaten 1973 aus, um die westliche Staatengemeinschaft ökonomisch und politisch unter Druck zu setzen. Die OPEC verhängte zum ersten Mal in ihrer Geschichte ein Ölembargo gegen zahlreiche Staaten, hauptsächlich jedoch gegen die USA, wegen deren Einmischung in den Syrisch-Ägyptischen Krieg gegen Israel.77 In der Folge stiegen die Ölpreise rasant von 4,31 US$/bbl auf 10,11 US$/bbl im Januar 1974 (s. Abb. 8) und stürzten die Industriestaaten auf Grund ihrer hohen Abhängigkeit von Rohölimporten in eine tiefe wirtschaftliche und politische Krise. Erst 1974 lösten sich die Spannungen auf diplomatischem Weg.78 Als Konsequenz aus den Ereignissen wurde 1974 die internationale Energieagentur (IEA) in Washington gegründet.79 Diese sollte bei zukünftigen Versorgungskrisen eine koordinierte Reaktion ihrer Mitglieder gegenüber der OPEC ermöglichen.80 Darüber hinaus wurde der Aufbau von sogenannten strategischen Ölreserven (Strategic Petroleum Reserves = SPR) beschlossen, die dazu dienen sollten die Auswirkungen akuter Versorgungskrisen zumindest zeitweise abzumildern. In den Jahren von 1979 bis 1981 kam es zu einer weiteren weltweiten Ölkrise, die von den Industriestaaten jedoch auf Grund unausgereifter Reaktionsmechanismen noch nicht wirksam bekämpft werden konnte. Hauptauslöser für diese Krise war der Ausfall großer Fördermengen im Iran. Der Angebotsrückgang führte fast unverzüglich zu einem Anstieg der Ölpreise um 20 %, wobei Befürchtungen laut wurden, dass das gesamte System der globalen Ölversorgung zusammenbrechen könnte. An den internationalen Ölmärkten machte sich in der Folge Panik breit, wobei Hamsterkäufe, Spekulation und Engpässe zu einem Angebotsdefizit führten. Der Ölpreis stieg von fast 15 US$/bbl (Jan. 1979) auf fast 40 US$/bbl (April 1980, s. Abb. 8), was in vielen Teilen der Welt zu einem Einbruch des Wirtschaftswachstums führte. Industrienationen reagierten auf die Krise, indem sie anfingen ihren Energieverbrauch aktiv zu senken. Besonders in Westeuropa und in Japan wurden große Anstrengungen unternommen, um Energie einzusparen, und so die Abhängigkeit von Rohölimporten zu reduzieren.81 Die Krise endete 1982 aus verschiedenen Gründen, z. T. einem deutlichen Nachfrag-

75 76 77 78 79 80 81

Vgl. Bukold 2009a, S. 30. Vgl. Bukold 2009a, S. 31 ff. Vgl. Yergin 1991, S. 588 ff. Vgl. Bukold 2009a, S. 36. IEA (1994). Vgl. Yergin 1991, S. 630. Vgl. Bukold 2009a, S. 47.

54

Boris Baic und Jörg Clostermann

rückgang wegen des Konjunktureinbruchs und der Sparbemühungen. Darüber hinaus wurden neue Ölvorkommen in der Nordsee, in Alaska und im Golf von Mexiko erschlossen. In der Folge entwickelten sich bis zum Beginn der 90er Jahre gewaltige Reservekapazitäten. Dieser Anstieg beendete die großen Befürchtungen bezüglich einer drohenden Energiekrise abrupt.82 Selbst als 1990 der 1. Golfkrieg ausbrach, stieg der Ölpreis auf Grund von Spekulationen nur kurzzeitig von 18 US$/ bbl auf fast 40 US$/bbl (s. Abb. 8). Die USA setzten daraufhin 1991 zum ersten Mal einen Teil ihrer strategischen Ölreserven frei, um den Produktionsausfall des Iraks und Kuwaits zu kompensieren, was zur Beruhigung der Situation auf den globalen Ölmärkten führte. Nach dem ersten Golfkrieg wechselten sich mehrere Phasen von Überangeboten und Marktgleichgewichten ab, während die Ölpreise zwischen 20 US$/bbl und ca. 10 US$/bbl schwankten.83 Erst nach dem Jahrtausendwechsel stieg die Ölnachfrage vor allem in den Schwellenländern (BRIC-Staaten) exponentiell an und führte in der Folge zu neuen Verknappungsängsten und pessimistischen Prognosen in Bezug auf die Verfügbarkeit von Erdöl. Juni und Juli 2008 lag der monatliche Durchschnittspreis für Öl bei über 133 US$/bbl (s. Abb. 8). Die amerikanische Finanzkrise lies den Ölpreis im Februar 2009 auf unter 40 US$/bbl fallen. Nach einer kurzen Regeneration auf über 100 US$/bbl brach der Ölpreis u. a. wegen einer kräftigen Eintrübung des internationalen Konjunkturumfelds und eines Überangebots von Öl wegen der neuen Fracking-Technologie ab Oktober 2014 ein und hält sich seit einem Jahr in einem Band von 40–50 US$/bbl. Den ressourcenökonomischen Theorien zufolge, sollte der reale Ölpreis im Lauf der Zeit steigen, d. h. einen steigenden Trend haben. Die Tests auf Zeitreiheneigenschaft, ob der reale Ölpreis eher als langfristig konstant oder eher als trendbehaftet gelten kann, hängen naturgemäß von dem gewählten Datenzeitraum ab. Allerdings sind die Ergebnisse unabhängig vom gewählten Datenzeitraum (Jan. 1946–Juli 2016 alternativ Jan. 2000–Juli 2016) ähnlich. Macht man sich die mangelnde Trennschärfe der Tests bewusst, seien folgende vorsichtige Schlussfolgerungen erlaubt: – Augmented-Dickey-Fuller Tests84 deuten darauf hin, dass der Ölpreis einem Random-Walk ohne Drift folgt. Dies impliziert, dass der reale (logarithmierte) Ölpreis einen stochastischen Trend beinhaltet (s. Tab. 1). – Kwiatkowski-Phillips-Schmidt-Shin-Tests85 signalisieren, dass der reale (logarithmierte) Ölpreis trendstationär ist, d. h. er folgt einem linearen Trend (s. Tab. 2). – Darüber hinaus zeigen Kointegrationsanalysen,86 dass der nominale (logarithmierte) Ölpreis und das (logarithmierte) US-Konsumentenpreisindex zwar ko-

82 83 84 85 86

Vgl. Bukold 2009a, S. 50 ff. Vgl. Bukold 2009a, S. 54 ff. Vgl. Dickey/Fuller (1979). Vgl. Kwiatkowski (1992). Johansen (1995).

Die Relevanz der Peak-Oil Theorie?

55

Tab. 1: Augmented-Dickey-Fuller-Test für den logarithmierten realen Ölpreis. Null Hypothesis: LOG(R_OIL) has a unit root Exogenous: None Lag Length: 1 (Automatic − based on SIC, maxlag = 20) t-Statistic Augmented Dickey-Fuller test statistic Test critical values:

0,100510 1 % level 5 % level 10 % level

Prob.* 0,7143

−2,567702 −1,941198 −1,616447

*MacKinnon (1996) one-sided p-values.

Tab. 2: Kwiatkowski-Phillips-Schmidt-Shin-Test für den logarithmierten realen Ölpreis. Null Hypothesis: LOG(R_OIL) is stationary Exogenous: Constant, Linear Trend Bandwidth: 23 (Newey-West automatic) using Bartlett kernel LM-Stat. Kwiatkowski-Phillips-Schmidt-Shin test statistic Asymptotic critical values*:

Residual variance (no correction) HAC corrected variance (Bartlett kernel)

0,164035 1 % level 5 % level 10 % level

0,216000 0,146000 0,119000 0,165971 3,412742

* Kwiatkowski-Phillips-Schmidt-Shin (1992, Table 1).

integriert sind, allerdings die Elastizität des Konsumentenpreisindex hinsichtlich des nominalen Ölpreis mit einem Wert von 1,65 signifikant größer als 1 ist (Irrtumswahrscheinlichkeit < 5 %), d. h. eine 1-prozentige Inflation geht mit einer 1,65-prozentigen Erhöhung des Ölpreises einher. Wenn der nominale Ölpreis signifikant stärker wächst als das allgemeine Preisniveau, ist dies ein weiterer Hinweis darauf, dass der reale Ölpreis nicht stationär bzw. als im Trend steigend angenommen werden darf (s. Tab. 3). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass bis zum heutigen Zeitpunkt ein statistisch gesehen im Trend steigender Ölpreis beobachtet werden konnte. Allerdings ist der Ölpreis sehr volatil. Diese Eigenschaft fällt sofort ins Auge und ist auch aus ökonomischer Sicht betrachtet gewichtiger. Sie starken Schwankungen des Ölpreises werden durch politische und große weltwirtschaftliche Ereignisse verursacht. D. h., der Ölpreis ist vor allem ein Spielball politischer und strategischer Interessen verschiedenster Akteure.

56

Boris Baic und Jörg Clostermann

Tab. 3: Test auf Kointegration87 von nominalen Ölpreis und US-Konsumentenpreisindex. Included observations: 842 after adjustments Trend assumption: No deterministic trend (restricted constant) Series: LOG(N_OIL) LOG(CPI) Lags interval (in first differences): 1 to 4 Unrestricted Cointegration Rank Test (Trace) Hypothesized No. of CE(s)

Eigenvalue

Trace Statistic

0,05 Critical Value

Prob.**

None* At most 1

0,047795 0,008940

48,79790 7,561047

20,26184 9,164546

0,0000 0,0998

Trace test indicates 1 cointegrating eqn(s) at the 0,05 level. * Denotes rejection of the hypothesis at the 0,05 level. ** MacKinnon-Haug-Michelis (1999) p-values.

Unrestricted Cointegration Rank Test (Maximum Eigenvalue) Hypothesized No. of CE(s)

Eigenvalue

Max-Eigen Statistic

0,05 Critical Value

Prob.**

None* At most 1

0,047795 0,008940

41,23685 7,561047

15,89210 9,164546

0,0000 0,0998

Max-eigenvalue test indicates 1 cointegrating eqn(s) at the 0,05 level. * Denotes rejection of the hypothesis at the 0,05 level. ** MacKinnon-Haug-Michelis (1999) p-values.

Normalized cointegrating coefficients (standard error in parentheses) LOG(N_OIL)

LOG(CPI)

C

1,000000

−1,652721 (0,18543)

6,025016 (0,84546)

3.3 Erdölvorkommen: Wie viel Erdöl haben wir? Weltweit gibt es mehrere tausend Rohölsorten, die teilweise deutliche Qualitätsunterschiede aufweisen. Zwei Merkmale haben sich für die Bestimmung der Qualität durchgesetzt: die Dichte und der Schwefelgehalt. Enthält ein Rohöl weniger als 0,5 % Schwefel, spricht man von „süßem Öl“, bei mehr als 0,5 % von „saurem Öl“.88 Grundsätzlich gilt: je niedriger der Schwefelgehalt, umso hochwertiger ist

87 Hannan-Quinn-Information-Kriterium empfiehlt eine optimal Laglänge von 4. 88 Vgl. Neukirchen/Ries, 2014, S. 292.

Die Relevanz der Peak-Oil Theorie?

konventionell

nicht konv.

0

10

20 25

SchwerstöI Bitumen

SchweröI

6,1

1,068

57

6,6

1,000

30 31,1

40

LeichtöI

Kondensat

7,35

0,934 0,905 0,876

°API

50 45

7,98

0,825

b/t

0,755 g/cm3

Abb. 11: Klassifikation von Erdöl nach seiner Dichte. Quelle: BGR, 2014, S. 125.

die geförderte Erdölsorte. Die Dichte von Rohöl wird in einer vom Amercian Petroleum Institut (API) entwickelten Einheit, dem API-Grad gemessen. Je höher dieser Wert, umso leichter ist das Rohöl und umso hochwertiger. Die Höherwertigkeit von leichtem und süßem Öl ergibt sich daraus, dass es sowohl leichter gefördert, als auch leichter zu wertvolleren Mineralölprodukten verarbeitet werden kann.89 Hinsichtlich der Lagerstättengeologie und der Viskosität des Öls und damit letztlich des zur Ölförderung und Ölweiterverarbeitung nötigen Aufwandes unterscheidet man im Allgemeinen unkonventionelles und konventionelles Erdöl. Konventionelles Erdöl umfasst Schweröl, Leichtöl, Kondensate und sog. Natural Gas Liquids (NGL) (s. Abb. 11). Kondensate sind sehr leichte flüssige Kohlenwasserstoffe, die als Nebenprodukt bei der Erdölförderung entstehen und typischerweise eine Dichte von 50–75° API haben. Als Leichtöl bezeichnet man alle Rohöle mit einer Dichte über 20° API bis 45° API. Der Begriff Natural Gas Liquids (NGL) umfasst all diejenigen Fraktionen von Erdgas, die bei normalen Temperaturen flüssig sind, oder unter geringem Druck leicht verflüssigt werden können und bei der Gasförderung als Nebenprodukt anfallen.90 Ölsande, Ölschiefer, Schieferöl und Schwerstöl repräsentieren unkonventionelles Erdöl.91 Schwerstöle sind Erdöle, welche deutlich schwerer als Wasser, und darüber hinaus sehr zähflüssig sind (Dichte unter 10° API).92 Ölsande bzw. Teersande sind natürlich vorkommende Gemische aus Sand, Wasser, Tonmineral und Bitumen. Schweröl, als auch Ölsand sind extrem zähflüssig und können nur mit speziellen Verfahren gefördert werden. Ölschiefer ist Gestein, das kein Erdöl enthält sondern eine Vorstufe davon, ein organisches Material, welches als Kerogen

89 90 91 92

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Bukold 2009a, S. 66. Miller/Sorrell 2014, S. 4. Bukold 2009b, S. 39. Neukirchen/Ries, 2014, S. 310.

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Boris Baic und Jörg Clostermann

bezeichnet wird. Ölschiefer lässt sich entweder direkt verbrennen, oder es kann daraus synthetisches Erdöl hergestellt werden.93 Schieferöl 94 hingegen ist in der Regel ein leichtes, flüssiges und qualitativ hochwertiges Erdöl,95 das in relativ undurchlässigen Gesteinsschichten verblieben ist. Dieses sogenannte „Light Tight Oil (LTO)“ (z. B. das US-Fracking-Öl) kann ausschließlich mit speziellen Förderverfahren gewonnen werden, weshalb es trotz einer Dichte von mehr als 10° API den unkonventionellen Erdölen zugeordnet wird.96 Aus Kohle (Coal-to-Liquids/CTL) oder Erdgas (Gas-to-Liquids/GTL) synthetisierte flüssige Kohlenwasserstoffe, sowie aus Biomasse erzeugte Erdölsubstitute („Biofuels“) werden nicht als unkonventionelles Erdöl bezeichnet, sondern als unkonventionelle flüssige Kohlenwasserstoffe („Non Conventional Liquids“). Nur konventionelles und unkonventionelles Erdöl stellen Erdöl im engeren Sinne dar („All Oil“). Erdöl im engeren Sinne und unkonventionelle flüssige Kohlenwasserstoffe werden in der Gruppe aller flüssigen Kohlenwasserstoffe („All Liquids“) zusammengefasst.97 Nur ein kleiner Teil aller bekannten Erdölvorkommen lässt sich unter bestimmten Umständen auch tatsächlich fördern. Diese gewinnbaren Erdölvorkommen bezeichnet man als Reserven und Ressourcen. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe definiert Reserven als: „[...] die Mengen eines Energierohstoffes, die mit großer Genauigkeit erfasst wurden und mit den derzeitigen technischen Möglichkeiten wirtschaftlich gewonnen werden können.“ 98

Der Begriff Ressourcen hingegen wird von der BGR wie folgt definiert: „Ressourcen sind die Mengen eines Energierohstoffes, die geologisch nachgewiesen sind, aber derzeit nicht wirtschaftlich gewonnen werden können und die Mengen, die nicht nachgewiesen sind, aber aus geologischen Gründen in dem betreffenden Gebiet erwartet werden können.“ 99

Betrachtet man die oben genannten Begriffsbestimmungen genauer, so wird deutlich, dass sowohl Reserven als auch Ressourcen keine fixen Größen sind, sondern von technischen und ökonomischen Faktoren beeinflusst werden. Reservenschätzungen spiegeln somit nur den aktuellen Kenntnisstand und die aktuellen Rah-

93 Vgl. Neukirchen/Ries, 2014, S. 310. 94 Manchmal wird der Terminus „Schieferöl“ fälschlicherweise für aus Ölschiefer gewonnenes synthetisches Rohöl verwendet. 95 Im engeren Sinne wäre Schieferöl, den physikalischen Eigenschaften nach, „konventionelles Erdöl“. 96 Vgl. Neukirchen/Ries, 2014, S. 303. 97 Vgl. Miller/Sorrell 2014, S. 7 f. 98 Siehe BGR 2009, S. 23. 99 Siehe BGR 2009, S. 24.

Die Relevanz der Peak-Oil Theorie?

59

menbedingungen der Erdölförderung wieder. Deshalb können sie sich im Zeitablauf sehr stark verändern, auch wenn die Anpassung der Reservenmengen in der Realität häufig nicht vorgenommen wird.100 Unsicherheiten bei der Schätzung von Reserven- und Ressourcenmengen entstehen auch dadurch, dass die absolute in der Erdkruste vorhandene Erdölmenge nicht mit ausreichender Genauigkeit bestimmt werden kann, weil sie sich nicht direkt beobachten und messen lässt.101 Erdölvorkommen werden immer nur punktuell durch Erkundungsbohrungen oder über seismische Methoden erfasst.102 Aus diesem Grund stellen alle Angaben zu Reserven und Ressourcen immer ungenaue Schätzungen dar, die entweder mit deterministischen oder probabilistischen Ansätzen vorgenommen werden. Bei den probabilistischen Ansätzen werden drei verschiedene Klassen von Reserven gebildet: 1. P90-Reserven: P90-Reserven sind sichere Reserven die nachgewiesen wurden und bei denen eine Wahrscheinlichkeit von 90 % besteht, dass die tatsächlich vorhandene Menge größer ist als die ursprünglich geschätzte Menge. 2. P50-Reserven: P50-Reserven sind wahrscheinliche Reserven. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Reserven als zu hoch oder zu niedrig eingeschätzt werden beträgt 50 %. 3. P5/P10-Reserven: Diese möglichen Reserven sind dadurch gekennzeichnet, dass bei ihnen nur eine Wahrscheinlichkeit von 5 % bzw. 10 % besteht dass die tatsächlich vorhandene Menge über der zunächst angenommenen Reservenmenge liegt.103 Deterministische Reservenangaben weisen keine Wahrscheinlichkeiten aus, sondern werden nur als „sicher“ (1P/proved), „wahrscheinlich“ (2P/proved and possible) oder „möglich (3P/proved and possible plus probable) ausgewiesen.104 Dieses gängige System für die Einteilung von Reserven und Ressourcen stammt von der Society of Petroleum Engineers (SPE) und wird als Petroleum Resource Management System (PRMS) bezeichnet.105 Die oben genannten Definitionen und Ansätze für die Schätzungen zeigen auch auf, dass Reservenmengen als auch Ressourcenmengen nicht immer klar voneinander abgegrenzt werden können. Erdölvorkommen, die zunächst als Ressourcen klassifiziert wurden, können durch verschiedene Faktoren zu großen nutzbaren Reserven werden.106 Besonders die probabilistischen Methoden zur Abschät-

100 101 102 103 104 105 106

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Bukold 2009a, S. 93. BGR 2009, S. 22. Bukold 2009a, S. 94. Miller/Sorrell 2014, S. 8. BGR 2009, S. 25. SPE et al. 2007. Reich 2015, S. 153.

60

Boris Baic und Jörg Clostermann

Distribution of proved reserves in 1995, 2005 and 2015 Percentage Middle East S. & Cent. America North America

3.0 55.0 9.1

8.1

6.4

12.5

11.3

2.5 47.3 7.6

Europe & Eurasia Africa Asia Pacific

2015 Total 1697.6 thousand million barrels

3.5 58.9

1995 Total 1126.2 thousand million barrels

2005 Total 1374.4 thousand million barrels

10.1

14.0

16.3

7.4 7.5

19.4

Abb. 12: Entwicklung und Verteilung der sicheren Reserven (1P). Quelle. BP 2016a, S. 7.

zung der Vorratssituation führen dazu, dass es häufig zu Höherbewertungen von bereits bekannten Erdölvorkommen kommt. Diese nachträgliche Höherbewertung von bereits bekannten Erdölvorkommen nennt man Reservenwachstum („ReserveGrowth“). Das Reservenwachstum in bekannten Erdölfeldern entsteht vor allem durch: – Eine bessere Kenntnis einzelner Erdölvorkommen durch die fortschreitende geologische Untersuchung der Lagerstätten. – Verbesserte Fördertechniken, die einen größeren Anteil des in einer Lagerstätte vorhandenen Erdöls zugänglich machen. – Veränderungen der ökonomischen Rahmenbedingungen, z. T. durch einen Anstieg der Ölpreise oder durch Kostensenkungen bei der Förderung. – Statistische Effekte, z. T. durch Neudefinitionen oder die Änderung der Schätzmethoden.107 In den meisten öffentlich verfügbaren Statistiken werden sowohl die Neubewertungen bereits bekannter Erdölvorkommen, als auch neu entdeckte Mengen nicht getrennt ausgewiesen. Die nach deterministischen Methoden ausgewiesenen sicheren Erdölreserven sind aus diesem Grund im Vergleich zum Jahr 2005 kräftig angestiegen108 (s. Abb. 12). Einer der wichtigsten Gründe für dieses große Reservenwachstum ist, dass kanadische Ölsande, venezolanische Schwerölvorkommen und das US-Fracking-Öl, welche vorher z. T. nur als Ressourcen ausgewiesen waren, nach einer Neubewertung teilweise zu den Reserven hinzugerechnet werden.109

107 Vgl. Miller/Sorell 2014, S. 9. 108 Vgl. BP 2016a, S. 7. 109 Vgl. Schindler/Zittel 2008, S. 31.

Die Relevanz der Peak-Oil Theorie?

61

160

Production cost (USD/b)

140 120 Ultra-deepwater Arctic

100

Non-CO2-EOR

80 60

Other conventional oil

40 20

Already produced

MENA conv. oil

Kerogen oil

Extra-heavy oil and bitumen

LTO CO2-EOR

0 –2,000 –1,000 0 1,000 2,000 3,000 4,000 5,000 6,000 Remaining technically recoverable oil resources (bb) Abb. 13: Zusammenhang zwischen Förderkosten und Ressourcen. Quelle: IEA 2013, verfügbar unter: www.iea.org/Textbase/nptable/2013/Resources2013_f8_3.pdf, zuletzt abgerufen am 29. 08. 2016.

Damit wird deutlich, dass letztendlich die Höhe des Ölpreises auch die wirtschaftlich nutzbaren Reserven bestimmt. Je höher der Ölpreis, desto mehr Erdölvorkommen sind wirtschaftlich nutzbar. Allerdings muss auch festgestellt werden, dass dieser Effekt ausschließlich durch die entsprechenden Definitionen determiniert ist, ohne Berücksichtigung der entsprechenden Effekte auf die Nachfragesituation. Die Förderung von unkonventionellem Erdöl verursacht einen deutlich höheren technischen Aufwand als die Förderung von konventionellem Öl. Dieser höhere technische Aufwand spiegelt sich letztendlich auch in den jeweiligen Förderkosten wieder. Abb. 13 zeigt auf, wie hoch die geschätzten Produktionskosten für ein Barrel Erdöl in Abhängigkeit von der eingesetzten Fördertechnologie bzw. der Art des geförderten Erdöls sind. Die Förderkosten von konventionellem Erdöl liegen zum Beispiel zwischen ca. 10 und 70 US$/bbl (dunkelroter und gelber Balken). Gleichzeitig liegt die Höhe der Reserven, die mit Hilfe von primären und sekundären Fördermethoden gewonnen werden können, bei etwa 2,4 Billionen Barrel. Bei unkonventionellem Erdöl, z. T. aus Schweröl, Ölsanden und Schieferöl (LTO) liegen die Kosten zum Teil deutlich höher (dunkelgrüner und hellroter Balken), zwischen 55 und 100 US$/bbl. Bei einem Ölpreis von dauerhaft über 120 US$/bbl würde sich der derzeitige Reservenbestand bei den gegenwärtig gegebenen Kosten verdreifachen. Die Ausführungen in diesem Kapitel verdeutlichen, dass die Menge wirtschaftlich nutzbarer Erdölvorkommen keine konstante Größe ist. Diese wird maßgeblich durch den Ölpreis selbst und den technischen Fortschritt in der Abbautechnik be-

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einflusst. Aussagen darüber, „wie viel Öl wir derzeit haben“, werden unter bestimmten Annahmen gemacht. Eine pauschale Antwort ist unmöglich.

3.4 Ist die Nachfrage nach Erdöl ungebrochen? Sowohl die IEA, als auch OPEC und BP gehen in ihren Prognosen von einer steigenden Erdölnachfrage in den nächsten zwanzig Jahren aus. Der Zuwachs der Ölnachfrage findet maßgeblich in den Entwicklungs- und Schwellenländern statt, maßgeblich eben China und Indien, während in den industrialisierten OECD-Staaten die Ölnachfrage leicht rückläufig ist. (s. Abb. 14). Die Nachfrage nach Erdöl wird vom Transportsektor dominiert. Er benötigt derzeit über 50 % des gesamten jährlich geförderten Öls (s. Abb. 15) und weist im Vergleich zu anderen Sektoren für die nächsten 20 Jahren den höchsten Anstieg auf. Nach den bisherigen Ausführungen in diesem Kapitel scheint die Erdölnachfrage ungebrochen. Der Aufholhunger von Entwicklungs- und Schwelländern und deren Imitation von Produktionsprozessen, Lebensweise und Konsummuster der industrialisierten Welt lässt eine steigende Ölnachfrage in den nächsten 20 Jahren erwarten. Wie sich die Ölnachfrage allerdings auf noch längere Sicht entwickelt, hängt wohl maßgeblich vom Bemühen der weltweiten Staatengemeinschaft ab, die CO2-Emissionen zu reduzieren. 1 Liter Öl erzeugt ca. 2,5 Kg CO2. Öl ist für rund ein Drittel der weltweiten CO2-Emission verantwortlich.110 Auf der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 wurde die Absichtserklärung verfasst, CO2-Neutralität bis 2050 weltDemand Mb/d 115 110

Other

105

Mid East

100

Other Asia India

95

China

90 85 80

2014

OECD decline

Non-OECD growth

Abb. 14: Ölnachfrage gegliedert nach Ländern bzw. Ländergruppen. Quelle BP (2016b) S. 20.

110 Vgl. Greenpeace (2016) S. 36.

Die Relevanz der Peak-Oil Theorie?

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Liquids demand by sector Mb/d 70 60 50

Transport Industry Other Power

40 30 20 10 0 1965

2000

2035

Abb. 15: Ölnachfrage gegliedert nach Sektoren. Quelle BP (2016b) S. 22.

weit umzusetzen. Würde dies passieren, wird dies wohl die Ölnachfrage im Zuge der Zeit reduzieren. Vor diesem Hintergrund würde dies einer von der Peak-OilTheorie vermuteten kräftigen Ölknappheit entgegenwirken. Weil die Nachfrage in den Peak-Oil-Modellen keine Berücksichtigung findet, ist die Zuverlässigkeit der Prognosen eines potenziellen Verknappungszeitpunkts durchaus zweifelhaft.

4 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Die Peak-Oil-Diskussion hat zu Recht in Erinnerung gerufen, dass Öl ein endlicher Rohstoff ist. Obwohl es auf der Erde noch sehr große Rohölvorkommen gibt, ist deren Erschöpfbarkeit unstrittig, zumal wir mehr Erdöl verbrauchen, als wir neue Vorkommen entdecken. Allerdings wurde dieser Aspekt in der ressourcenökonomischen Literatur nie vernachlässigt, sondern auch hier sah man schon frühzeitig, dass Öl sich zunehmend verknappen könnte. Das gilt insbesondere für das einfach und günstig zu fördernde konventionelle Erdöl, bei dem der Peak der Förderung tatsächlich schon überschritten zu sein scheint. Ein globales Ölfördermaximum ist nur deshalb noch nicht eingetreten, weil unkonventionelles Erdöl und andere flüssige Kohlenwasserstoffe den Förderrückgang mehr als ausgleichen konnten. Dies ist eine direkte Folge stark steigender Preise, die den Einsatz von teuren Fördertechnologien und die Ausbeutung unkonventioneller Erdölvorkommen erst ermöglichten. Die zunehmende Nutzung unkonventionellen Erdöls bringt allerdings neue Probleme mit sich, denn diese neuen Formen der Gewinnung von Erdöl sind mit drastischen ökologischen Folgen verbunden. So gehen durch die Förderung von

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Ölsanden im Tagebau große Naturräume verloren und der Wasserverbrauch ist sehr hoch. Darüber hinaus werden für Fördermethoden, die bei unkonventionellem Erdöl zum Einsatz kommen, große Mengen an Energie verbraucht, auch um Wärme für darauffolgende Verarbeitungsprozesse bereitzustellen (unkonventionelles Erdöl ist häufig dichter, zähflüssiger und meist auch schwefelhaltiger als konventionelles Erdöl). Dies könnte dazu führen, dass mit zunehmendem Bewusstsein bezüglich der ökologischen Folgen der Erdölförderung und des Erdölverbrauchs ein globales Umdenken stattfindet. Staatliche Eingriffe zur Senkung des Verbrauchs und zur Entwicklung von Alternativen werden dann immer wahrscheinlicher. Politische Entscheidungen könnten letztendlich einen globalen Peak-Demand, also einen Höchststand der Ölnachfrage, verursachen. Dem Peak-Demand wird anschließend zwangläufig ein Peak-Oil (= Peak-Supply) folgen, jedoch nicht aus geologischen Gründen, wie von den Peak-Oil Vertretern vermutet, sondern aus ökonomischen. Wenn der Bedarf an Erdöl zurückgeht, so wird mit etwas Zeitverzug automatisch auch die Förderung zurückgehen. Darüber hinaus wird auch die Strategie der Ölförderländer eine wichtige Rolle dabei spielen. Es ist aus deren Sicht durchaus rational, die Förderung nicht zu drosseln, wenn man allerorts Alternativen fördert oder beabsichtigt, die CO2-Emission zu verteuern, mit einem entsprechenden Druck auf den Ölpreis. Aus alledem kann abschließend nicht die Frage beantwortet werden, ob der Ölpreis auf lange Sicht dauerhaft real steigen muss, selbst wenn statistische Tests dies für die Vergangenheit meinen feststellen zu können und sowohl die Peak-OilTheorie als auch die meisten ressourcenökonomischen Modelle dies vermuten. Aus den gleichen Gründen kann zum derzeitigen Zeitpunkt nicht eindeutig geklärt werden, ob Peak-Oil und damit verbundenen Befürchtungen einer zu schnellen Verknappung von Öl relevant oder irrelevant sind.

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Albert Hoffrichter und Thorsten Beckers

Perspektiven für die Bereitstellung und Refinanzierung von Windkraft- und PVAnlagen – Eine Analyse von Weiterentwicklungsoptionen des institutionellen Rahmens unter Einbezug institutionenökonomischer Erkenntnisse 1 Einleitung Deutschland befindet sich inmitten eines Prozesses zur fundamentalen Transformation des Stromversorgungssystems.1 Der Transformationsprozess geht insbesondere im Bereich der Erzeugung mit einem umfangreichen Investitionsbedarf einher. Das Rückgrat der zukünftigen Erzeugung werden Windkraft- und Photovoltaik(PV)Anlagen darstellen, deren fluktuierende Einspeisung durch flexibel steuerbare Erzeugung und Nachfrage (sogenannte Flexibilitätsoptionen) ergänzt wird. Ebenso wichtig wie kontrovers diskutiert ist die Frage, wie das institutionelle Sektordesign ausgestaltet sein sollte, damit der Transformationsprozess möglichst erfolgreich gestaltet werden kann. Bezüglich der Stromerzeugung geht es dabei vor allem um die Mechanismen zur Bereitstellung und Refinanzierung neuer Kapazitäten. Ent-

1 Dieser Beitrag stellt im Kern eine umfangreich überarbeitete Fassung des Arbeitspapiers „Grundsätzliche und aktuelle Fragen des institutionellen Stromsektordesigns – Eine institutionenökonomische Analyse zur Bereitstellung und Refinanzierung von Erzeugungsanlagen mit Fokus auf FEE“ aus dem Jahr 2014 dar, das anschließend unter dem Titel „Eine (institutionen-)ökonomische Analyse grundsätzlicher und aktueller Fragen bezüglich des institutionellen Stromsektordesigns im Bereich der Erzeugung“ in der EnWZ − Zeitschrift für das gesamte Recht der Energiewirtschaft (Heft 2/2014, 3. Jg. S. 57–63) veröffentlicht worden ist. Dieses Arbeitspapier aus dem Jahr 2014 (und somit auch die mit diesem korrespondierende Veröffentlichung in der EnWZ) basiert wiederum auf dem im Tagungsband des 29. Trierer Kolloquiums zum Umwelt- und Technikrecht erschienenen Aufsatz „Eine institutionenökonomische Analyse der Bereitstellung von Stromerzeugungskapazität“. In allen diesen Beiträgen wird im Übrigen umfangreich auf Ergebnisse der Forschungsarbeiten von TU Berlin – WIP zum institutionellen Stromsektordesign im Rahmen von durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Forschungsprojekten zurückgegriffen (unter anderem Projekt „Weiterentwicklung des Marktdesigns und der Netzregulierung zur Transformation des Stromsystems“; bis Ende 2013 erfolgte die Förderung hier gemäß der damaligen Zuständigkeitsverteilung durch das Bundeministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU)). Weiterhin erfolgt ein Rückgriff auf Inhalte des laufenden von Thorsten Beckers betreuten Promotionsvorhabens von Albert Hoffrichter zum Thema „Organisationsmodelle für die Bereitstellung und Refinanzierung von Stromerzeugungskapazität – Eine institutionenökonomische Analyse mit besonderem Fokus auf Fragestellungen im Kontext der ‚Energiewende‘“. https://doi.org/10.1515/9783110525762-005

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Albert Hoffrichter und Thorsten Beckers

sprechend befinden sich auch das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) sowie das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), welche diesbezüglich die wesentlichen Rahmenbedingungen festlegen, in einem fortlaufenden Revisions- und Reformprozess. So erfolgten hier jüngst im Zuge des im Juli 2016 vom Gesetzgeber beschlossenen Gesetzes zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz) jeweils wieder umfangreichere Änderungen. Im vorliegenden Aufsatz erfolgt eine qualitative ökonomische Analyse grundsätzlicher und aktueller Fragen bezüglich des institutionellen Stromsektordesigns im Bereich der Erzeugung. Der Fokus der Analyse liegt auf der Bereitstellung und Finanzierung von Anlagen zur Erzeugung von Strom auf Basis von fluktuierenden Erneuerbaren Energien (FEE-Anlagen); hierbei wird überwiegend (und zumeist implizit) auf PV- und Onshore-Windkraftanlagen abgestellt. Die Untersuchungen beziehen sich auf die generelle Vorteilhaftigkeit unterschiedlicher Ansätze und Ausgestaltungsoptionen hinsichtlich des institutionellen Rahmens. Bei den Analysen wird vornehmlich auf die (Neue) Institutionenökonomik zurückgegriffen. Weiterhin werden Erkenntnisse der Wohlfahrts- und Industrieökonomik einbezogen. Nachdem im folgenden Abschnitt 2 eingangs das Zielsystem dargestellt worden ist, welches den Analysen in diesem Beitrag zugrunde gelegt wird, werden allgemeine institutionenökonomische Grundlagen thematisiert, die im Rahmen der weiteren Untersuchung von zentraler Bedeutung sind. Anschließend werden alternative idealtypische Modelle für die Bereitstellung von Erzeugungskapazität dargestellt und mit diesen jeweils einhergehende grundlegende Wirkungsmechanismen aufgezeigt; hierbei handelt es sich um das „Energy-Only-Markt“-Modell sowie das „Kapazitätsmechanismus“-Modell. Darauf aufbauend erfolgt eine nähere Darstellung von sogenannten Kapazitätsoptionen, die eine mögliche Ausgestaltungsform im Rahmen eines „Kapazitätsmechanismus“-Modells verkörpern. Auf dieser Grundlage werden in Abschnitt 3 ausgewählte Fragen im Zusammenhang mit dem aktuellen institutionellen Rahmen für die Bereitstellung von FEE-Anlagen vorgenommen, welche im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags stehen. Neben einer kurzen Skizzierung des Einspeisevergütungsansatzes wird insbesondere auf die Optionen des Einbezugs von Marktpreiselementen in die Vergütung sowie die Direktvermarktung und weiterhin Ausschreibungen eingegangen. In diesem Kontext erfolgen neben der Einordnung aktueller Entwicklungen Hinweise auf alternative, gegebenenfalls vorzugswürdige Sektordesignanpassungsmöglichkeiten. Abschließend wird ein Fazit gezogen.

Perspektiven für Windkraft und Photovoltaik

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2 Alternative Modelle zur Bereitstellung von Erzeugungskapazität 2.1 Grundlagen Um im Rahmen einer ökonomischen Analyse Aussagen hinsichtlich der Eignung verschiedener institutioneller Lösungen treffen zu können, muss zunächst ein Zielsystem definiert werden, welches der Bewertung zugrunde gelegt wird. Grundsätzlich kann für energiepolitische Entscheidungen eine Vielzahl unterschiedlicher Ziele relevant sein. Ein hohes Maß an Konsens besteht darüber, dass die Erreichung der übergreifenden Ziele Versorgungssicherheit, Umwelt- und Klimaschutz sowie Kosteneffizienz angestrebt werden sollte. Sinngemäß verkörpern diese Ziele das klassische sogenannte energiewirtschaftliche Dreieck.2 Auch korrespondiert der in § 1 Absatz 1 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG)3 beschriebene Gesetzeszweck mit diesen drei Zielen. Vor diesem Hintergrund wird auch im Rahmen der vorliegenden Untersuchung grundsätzlich auf ebendiese Trias übergeordneter Ziele abgestellt. Explizit Bezug genommen wird hingegen ausschließlich auf das Ziel der Kosteneffizienz, da es in Hinblick auf die betrachteten Fragestellungen im Zusammenhang damit, wie die Bereitstellung von FEE-Anlagen organisiert werden sollte, von hervorgehobener Wichtigkeit ist.4 Was das Kosteneffizienzziel anbelangt, ist zu bestimmen, welche Form oder Formen von Kosteneffizienz betrachtet werden, da eine Fülle abweichender Definitionen vorliegt. In den Ausführungen dieses Aufsatzes wird dabei aus Vereinfachungsgründen lediglich stellenweise explizit thematisiert, ob Kosten aus der Wohlfahrtsperspektive (d. h. ohne Berücksichtigung der Verteilung von Renten zwischen Produzenten und Konsumenten) betrachtet werden oder ob eine Konsumentensicht eingenommen wird. Mit der Setzung eines institutionellen Rahmens für die Bereitstellung von Erzeugungskapazität geht die Festlegung einher, bis zu welchem Grad die Bereitstellungsentscheidung zentral getroffen wird und auf welchen Stufen dezentrale Ent-

2 Anstatt des Ziels „Umwelt- und Klimaschutz“ wird häufig allgemeiner das „Umweltziel“ genannt. Weiterhin wird traditionell statt der hier verwendeten ökonomischen Begrifflichkeit „Kosteneffizienz“ von „Wirtschaftlichkeit“ gesprochen. 3 Die Bezüge zum institutionellen und rechtlichen Status-Quo erfolgen im Rahmen dieses Aufsatzes grundsätzlich auf Basis der Ende 2016 in Deutschland gültigen Rechtslage. Die im Rahmen der Verabschiedung des Strommarktgesetzes im Juli 2016 beschlossene EnWG-Novelle ist insofern bereits berücksichtigt. Soweit auf Regelungen der parallel verabschiedeten, aber noch nicht in Kraft getretenen EEG-Novelle Bezug genommen wird, wird dies durch die Bezeichnung „EEG 2017“ kenntlich gemacht. 4 Eine positive Wirkung auf das Umwelt- und Klimaziel wird bei Bereitstellungsmechanismen, die zu einem effektiven FEE-Ausbau führen, in dieser Studie unterstellt. Fragen der Versorgungssicherheit werden nur stellenweise implizit berücksichtigt, wenn es um die Systemdienlichkeit von FEEAnlagen geht.

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scheidungen und wettbewerbliche Elemente zum Zuge kommen. Dabei kann weder wettbewerblichen noch planerischen Elementen eine generelle Vorteilhaftigkeit attestiert werden.5 Vielmehr hängt diese von den jeweiligen spezifischen Umständen des zu betrachtenden Zusammenhangs im Kontext des Bereitstellungsprozesses ab.6 In diesem Kontext wird in der vorliegenden Analyse ausdrücklich davon Abstand genommen, den Umfang, in dem Marktmechanismen (anstatt regulatorischer Entscheidungen) zum Einsatz kommen, als selbständiges Kriterium für die Bewertung institutioneller Lösungen aufzunehmen. Die Rückschlüsse von den vorliegenden Gegebenheiten auf die Frage, ob bestimmte Aktivitäten im Bereitstellungsprozess zentral (dem Regulierer) oder dezentral (Akteuren im Wettbewerb) zugeordnet werden sollten, erfolgen in diesem Beitrag auf Basis von Erkenntnissen aus der ökonomischen Theorie. Besonders hilfreich erweisen sich hierbei unter anderem die Analysen von Oliver E. Williamson zur „Make-or-Buy“-Frage. Darin beschreibt Williamson, inwieweit die Eignung verschiedener Koordinationsformen von den Eigenschaften der betreffenden Transaktion abhängt.7 Die dabei betrachteten Fragen weisen im Allgemeinen gewisse Analogien zur Frage der Wahl von wettbewerblichen und planerischen Elementen im Kontext öffentlicher Bereitstellungsentscheidungen auf. Im Speziellen scheinen sie auch eine hohe Anwendungstauglichkeit für den Kontext von Elektrizitätserzeugungsinvestitionen zu besitzen. In Hinblick auf die Implikationen für das geeignete Sektordesign können bestimmte Eigenschaften von Erzeugungsanlagen als besonders bedeutsam eingestuft werden: Die Bereitstellung von Kraftwerken geht mit spezifischen, langfristigen und kapitalintensiven Investitionen einher. Das bedeutet, ein hoher Anteil der Mittel, die im Rahmen der Stromproduktion durch ein Kraftwerk eingesetzt werden, kann nach der technischen Fertigstellung der Anlage als versunken angesehen werden. Im Anschluss an die Durchführung der Investition können die Anlagen in aller Regel mehrere Dekaden betrieben werden. In diesem Zusammenhang sind die Ausgestaltung des Refinanzierungsmechanismus und insbesondere die darin verankerte Risikoallokation entscheidend für die Kosten sowie die Realisierbarkeit von Kraftwerksprojekten durch dezentrale Anbieter. In der Folge werden zwei grundlegende, idealtypische Modelle betrachtet, auf die im Rahmen der Be-

5 Dies deckt sich auch mit den Erkenntnissen von Friedrich A. v. Hayek. In seinen Auseinandersetzungen mit dem Thema Allokation und Transfer von Wissen klassifiziert v. Hayek sämtliches ökonomisches Handeln als „Planung“ und ordnet Wettbewerb als Planung durch viele einzelne Personen ein. Vgl. v. Hayek (1945), The Use of Knowledge in Society, The American Economic Review, Vol. 35, No. 4, S. 520 f. 6 Vgl. auch Ostrom/Schroeder/Wynne (1993, S. 73), Institutional Incentives and Sustainable Development – Infrastructure Policies in Perspective, Westview Press, Boulder/San Francisco/Oxford. 7 Vgl. hierzu Williamson (1975), Markets and Hierarchies: Analysis and Antitrust Implications, The Free Press, New York und Williamson (1998), The Economic Institutions of Capitalism, The Free Press, New York.

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reitstellung und Refinanzierung von Erzeugungskapazität zurückgegriffen werden kann, der sogenannte „Energy-Only-Markt“ (EOM) sowie ein „Kapazitätsmechanismus“.8

2.2 Modell „Energy-Only-Markt“ Beim EOM-Ansatz wird die Verantwortung für einen großen Teil der wesentlichen Bereitstellungsentscheidungen auf dezentrale Akteure übertragen. Vornehmlich erfolgt die Organisation der Bereitstellung im Rahmen einer Koordination dieser gewinnorientierten Akteure auf Großhandels- sowie Endkundenmärkten. Entsprechend der Intention eines EOM-Ansatzes wird nachfolgend davon ausgegangen, dass auf diesen Märkten ein funktionierender Wettbewerb vorliegt. Sämtliche Erlöse zur Refinanzierung von Investitionskosten ergeben sich aus dem Verkauf von Elektrizitätsmengen während der Lebensdauer der Anlagen.9 Langfristige Verträge mit Laufzeiten nahe der Anlagenlebensdauer werden mit Nachfragern häufig nicht abzuschließen sein. Dies liegt unter anderem daran, dass ein großer Teil der Endkunden den eigenen Strombedarf nicht über lange Zeiträume abschätzen kann und nicht zu entsprechenden Commitments in der Lage ist. Das gleiche gilt für Vertriebe, wenn zumindest in gewissem Umfang Wettbewerb auf dem Endkundenmarkt vorliegt. Kontrakte über Stromlieferungen werden in der Regel also nur mit begrenztem Vorlauf zum Lieferzeitpunkt geschlossen. In diesem Zusammenhang sind die zukünftigen Marktentwicklungen für Investoren von hoher Bedeutung. Die Summe der Deckungsbeiträge, welche eine Anlage erwirtschaftet, stellt im Investitionszeitpunkt eine mit hoher Unsicherheit behaftete Größe dar. Die Deckungsbeiträge ergeben sich aus der Kombination von Absatzmengen, Absatzpreisen sowie Inputpreisen (d. h. variablen Kosten der Produktion). Welche Absatzmengen und -preise eine Anlage erreicht, hängt maßgeblich von zukünftigen Entscheidungen anderer Akteure über den Zubau und Weiterbetrieb von Kraftwerken ab. Diese bestimmen zunächst die Position der betrachteten Anlage (bei gegebenen Grenzkosten der Produktion) in der aggregierten Angebotskurve (Merit-Order) und damit die Häufigkeit ihres Einsatzes zur Stromproduktion. Weiterhin determinieren sie den Verlauf bzw. die Steigung der Merit-Order. Hieraus ergeben sich im Zusammenspiel

8 Im Zusammenhang mit der kompakten Darstellung im Rahmen dieses Beitrags erfolgt die Argumentation nachfolgend an vielen Stellen notwendigerweise stark vereinfacht oder gar verkürzt. In diesem Zusammenhang werden unter anderem auch nicht sämtliche Annahmen expliziert, die dem Modellvergleich zugrunde gelegt werden. 9 Daneben sind mit einem EOM-Ansatz auch Erlöse aus vergleichsweise kurzfristigen Verträgen über die Bereitstellung von Systemdienstleistungen vereinbar. Da deren Berücksichtigung jedoch keinen Einfluss auf die grundsätzlichen Erwägungen bezüglich des EOM-Ansatzes hat, werden sie in der Folge nicht weiter betrachtet.

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mit der Nachfrageseite die Preise für Strommengen, die sich am Markt einstellen und die damit auch für den Investor maßgeblich sind. Ein einzelner Investor ist grundsätzlich nur in sehr beschränktem Umfang dazu in der Lage, die Investitionsentscheidungen sämtlicher anderer Anbieter über die Lebensdauer seiner Anlage hinweg korrekt zu antizipieren oder gar zu beeinflussen. Vor diesem Hintergrund – und unter Berücksichtigung diverser weiterer Unsicherheiten, bspw. bezüglich der Entwicklung von Inputpreisen oder der Nachfrage – ergeben sich hohe Risiken für die Investoren;10 dies ist insbesondere beim Vorliegen einer hohen Wettbewerbsintensität der Fall. Diese Risiken äußern sich in hohen Kapitalkosten,11 welche im Kontext der hohen Kapitalintensität einen wesentlichen Einfluss auf die Kosteneffizienz der Bereitstellung haben. Da im Rahmen eines idealtypischen EOM-Ansatzes keine Zuweisung der Verantwortung für die Bereitstellung ausreichender Erzeugungskapazität erfolgt, können sich neben den Defiziten in Hinblick auf die Kosteneffizienz auch Probleme in Bezug auf die Versorgungssicherheit ergeben. Ein spezielles Manko, das in der technischen Konzeption des grenzkostenbasierten Großhandelsmarkts begründet ist, kann im sogenannten Missing-Money-Problem gesehen werden. Für die Kraftwerke mit den höchsten variablen Erzeugungskosten bestehen oft große Schwierigkeiten, ausreichende Deckungsbeiträge zur Erreichung der Rentabilität zu erwirtschaften. Eine Lösung hierfür wird teilweise im sogenannten Peak-Pricing durch die Kraftwerksanbieter oder die Nachfrageseite gesehen. Im Falle der Preissetzung durch Anbieter handelt es sich dabei um eine temporäre Ausnutzung von Marktmacht. Dies wirft die Frage nach einer regulatorischen Kontrolle auf, um überhöhte Produzentenrenten zu Lasten der Konsumenten zu verhindern. Eine solche Kontrolle ist allerdings nicht möglich, ohne dass der Regulierer die Kosten- und Preiskalkulation der Anbieter praktisch vollständig nachvollzieht. Das Organisationsmodell würde in solch einem Falle einer Kostenzuschlagsregulierung gleichen, womit eine deutliche Entfernung von den Grundideen des EOM-Ansatzes vorliegen würde.12 Auch die Alternative, fehlende Deckungsbeiträge für Kraftwerke über nachfrageseitige Maßnahmen mit hohen Einsatzkosten zu erzeugen, ist nicht frei von Fallstricken. Erstens gehen Maßnahmen im Bereich Demand-Respond (DR)13 10 Vgl. etwa auch Cramton/Ockenfels/Stoft (2013, S. 12), Capacity Market Fundamentals, Paper, abgerufen im Internet am 08. 11. 2016 unter http://stoft.com/wp-content/uploads/2013-05_CramtonOckenfels-Stoft_Capacity-market-fundamentals.pdf. 11 Unter Kapitalkosten werden in diesem Beitrag die Kosten der Kapitalbereitstellung durch Kapitalgeber verstanden, welche die Verzinsung des eingesetzten Kapitals umfassen. Abschreibungen stellen gemäß der hier verwendeten Definition also keinen Bestandteil der Kapitalkosten dar. 12 Vgl. auch Monopolkommission (2015, S. 134 f.), Energie 2015: Ein wettbewerbliches Marktdesign für die Energiewende, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 62 Abs. 1 EnWG, abgerufen im Internet am 08. 11. 2016 unter www.monopolkommission.de/images/PDF/SG/s71_volltext.pdf. 13 DR-Maßnahmen eröffnen die Möglichkeit eines zeitweisen Verzichts auf Strombezug. Diese Option können sie am Großhandelsmarkt über Gebote offerieren, deren Höhe die von Erzeugergeboten regelmäßig und teilweise deutlich übersteigt. Eine andere Form nachfrageseitiger Maßnahmen stellen Effizienzmaßnahmen dar, welche eine dauerhafte Reduktion der Nachfrage bedeuten. Da durch

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häufig selbst mit umfangreicheren Investitionskosten einher, weshalb das MissingMoney-Problem gewissermaßen auf sie übergeht. Diesem könnte nun durch staatliche Maßnahmen zur Förderung von DR-Maßnahmen entgegengewirkt werden. Es scheint aber unplausibel, dass durch den isolierten Einsatz von Kapazitätsinstrumenten auf der Nachfrageseite eine aus Gesamtsystemsicht effiziente Lösung erreicht werden kann. Zweitens stellt sich beim Einsatz von DR-Maßnahmen das Problem der Marktmachtausnutzung im Grunde im selben Maße wie bei Kraftwerken. Das Hauptproblem bezüglich der Versorgungssicherheit ist allerdings viel grundlegender. Selbst wenn Missing-Money keine Rolle spielen sollte – etwa weil ausreichend DR-Maßnahmen zur Verfügung stehen – müssen Investoren angesichts der hohen Unsicherheit von Deckungsbeiträgen erhebliche Risikozuschläge einkalkulieren. Im Zusammenhang damit, dass Möglichkeiten zur langfristigen Absicherung oder selbst zur Beeinflussung von Preisen fehlen, können die Risikokosten oft so hoch sein, dass die dezentralen Anbieter nicht dazu in der Lage bzw. bereit sind, systemisch benötigte Investitionen umzusetzen.14 Die generellen Defizite in Hinblick auf die Kosteneffizienz und die Versorgungssicherheit sind insofern eng miteinander verbunden. Vor diesem Hintergrund dürfte bei der Anwendung des EOM-Ansatzes ein Rückgriff auf eine sogenannte Strategische Reserve ergänzend sinnvoll sein. Bei dieser finanziert der Regulierer bestimmte (häufig andernfalls stillgelegte) Anlagen, um akute Versorgungssicherheitsprobleme zu beheben. Zu beachten ist im Zusammenhang mit dem Rückgriff auf eine Strategische Reserve, dass dies gewissermaßen mit einer Abkehr vom Paradigma einhergeht, dass die Bereitstellung und Refinanzierung ausreichender Kapazität über gewinnorientierte Akteure am EOM erfolgen kann. Auch kann das grundsätzliche Defizit des EOM-Modells in Hinblick auf das Ziel der Kosteneffizienz durch eine Strategische Reserve nicht beseitigt werden. Darüber hinaus werden durch die Marktmechanismen im EOM-Modell bei weitem nicht durchgängig genau die Investitionsentscheidungen von dezentralen Akteuren induziert, die in Hinblick auf die Bereitstellungsziele wünschenswert sind. Zwar gehen einerseits grundsätzlich von den in Marktpreisen widergespiegelten Veränderungen relativer Knappheiten tendenziell sinnvolle Informationen für die Ressourcenallokation aus. Andererseits führt die Existenz von Transaktionskosten zu Koordinationsproblemen bei der Interaktion der dezentralen Akteure, woraus

ihren Einsatz keine höheren Marktpreise gesetzt werden, kommen sie von vornherein nicht für die Lösung des Missing-Money-Problems in Frage. 14 Ähnliche Schlussfolgerungen zieht bspw. auch Paul L. Joskow aus der Analyse realer, am EOMAnsatz orientierter Strommärkte. Vgl. Joskow (2006, S. 26), Competitive Electricity Markets and Investment in New Generating Capacity, Paper, abgerufen im Internet am 08. 11. 2016 unter http:// economics.mit.edu/files/1190.

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sich regelmäßig mehr oder minder schwerwiegende Abweichungen von angestrebten Allokations- bzw. Bereitstellungsergebnissen ergeben. In diesem Zusammenhang kann unter anderem keineswegs davon ausgegangen werden, dass dezentrale Investoren im EOM strukturell dazu bewogen werden, sowohl Unter- als auch Überkapazitäten im System zu vermeiden.15 Dies kann unter anderem damit zusammenhängen, dass dezentrale Anbieter Investitionen oft einen anderen Wert beimessen als denjenigen, den sie für das System (bzw. aus gesellschaftlicher Perspektive) aufweisen. Eine Ursache hierfür kann zum Beispiel darin liegen, dass das Tragen von Risiken bei privaten Investoren zu höheren Kosten führt. Teilweise besteht der Grund auch darin, dass sich die Investoren nicht den kompletten Wohlfahrtszuwachs aneignen können, der aus der Durchführung einer Investition resultiert.16 Konträr dazu können ebenfalls Konstellationen vorliegen, in denen sich Anbieter im Zuge der Durchführung bestimmter Investitionen überwiegend bestehende Renten anderer Akteure aneignen und diese positiv beurteilen, auch wenn die Investitionen unter Berücksichtigung der damit verbundenen Kosten nicht mit Wohlfahrtssteigerungen einhergehen.17 Weiterhin können Investoren im EOM Anreize zur Wahl von Anlagentypen bzw. Technologien haben, welche nicht die am besten geeignete Ergänzung des Kraftwerksparks zur effizienten Erfüllung der Versorgungsaufgabe darstellen. Der Grund hierfür kann wiederum in der Bewertung von Risiken durch private Akteure liegen.18 Ebenso kann es zu Bereitstellungsentschei-

15 Vgl. auch Cramton/Stoft (2006, S. 26 ff.), The Convergence of Market Designs for Adequate Generating Capacity with Special Attention to the CAISO’s Resource Adequacy Problem, A White Paper for the Electricity Oversight Board, abgerufen im Internet am 08. 11. 2016 unter https:// dspace.mit.edu/bitstream/handle/1721.1/45053/2006-007.pdf?sequence=1. 16 In solchen Fällen kann es zu einer zu geringen Kapazitätsausstattung kommen. Die hier vorgenommenen Erwägungen korrespondieren unter anderem mit den Analysen von Kenneth Arrow zum „replacement effect“; vgl. Arrow (1962), Economic Welfare and the Allocation of Resources for Invention, in: The Rate and Direction of Inventive Activity: Economic and Social Factors, National Bureau of Economic Research, Inc, / Princeton University Press, 609–626. Ähnliche Überlegungen finden sich in Baumol/Willig (1981), Fixed Costs, Sunk Costs, Entry Barriers, and Sustainability of Monopoly, The Quarterly Journal of Economics, Vol. 96, No. 3, 405–431 sowie Dixit/Stiglitz (1977), Monopolistic Competition and Optimum Product Diversity, The American Economic Review, Vol. 67, No. 3, 297–308. 17 In solchen Fällen kann es zu Überkapazitäten kommen. Vgl. hierzu auch die Analysen zum „business-stealing effect“ in Mankiw/Whinston (1986), Free Entry and Social Inefficiency, The RAND Journal of Economics, Vol. 17, No. 1, 48–58. 18 Vgl. auch Gaidosch (2008, S. 22 ff.), Zyklen bei Kraftwerksinvestitionen in liberalisierten Märkten − Ein Modell des deutschen Stromerzeugungsmarktes, Dissertation, abgerufen im Internet am 08. 11. 2016 unter https://depositonce.tu-berlin.de/bitstream/11303/2196/2/Dokument_18.pdf, Nabe (2006, S. 69), Effiziente Integration erneuerbarer Energien in den deutschen Elektrizitätsmarkt, Dissertation, abgerufen im Internet am 08. 11. 2016 unter www.deutsche-digitale-bibliothek.de/binary/ B3XL6C4EMWJBLBDB2G55XI76NXJDG4SU/full/1.pdf sowie Neuhoff/De Vries (2004, S. 254), Insufficient incentives for investment in electricity generations, Utilities Policy, vol. 12, issue 4, 253–267.

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dungen kommen, welche nicht mit den langfristigen Umwelt- und Klimazielen kompatibel sind. Mitunter kann den Ursachen oder Symptomen von Koordinationsproblemen über gezielte Maßnahmen des Regulierers effektiv begegnet werden. Dabei ist teilweise von einer hinreichenden Kompatibilität mit den Grundideen des EOMModells auszugehen.19 In anderen Fällen wirken sich die erforderlichen Maßnahmen so umfangreich auf die Bereitstellung aus, dass die grundlegenden EOMMechanismen stark an Bedeutung verlieren, weshalb die Kompatibilität mit dem Ansatz zu bezweifeln ist. Allgemein ist zu berücksichtigen, dass mit der zentralen Aktivität ein entsprechender Wissensbedarf sowie Ressourceneinsatz beim Regulierer und mitunter bei den betroffenen dezentralen Akteuren einhergeht.

2.3 Modell „Kapazitätsmechanismus“ Bei einem „Kapazitätsmechanismus“-Ansatz werden einige wesentliche Entscheidungen und Aufgaben im Kontext der Bereitstellung – die im EOM-Modell der Koordination der dezentralen Akteure überlassen werden – dem Regulierer zugeordnet. Bei Anwendung eines „Kapazitätsmechanismus“ setzt der Regulierer (Kapazitäts-)Instrumente ein, welche den Akteuren einen Zugang zu langfristigen Zahlungsströmen eröffnen, die im Basisfall nicht von unsicheren zukünftigen Marktentwicklungen abhängen (Kapazitätsprämien). Eine hohe Bedeutung in Hinblick auf die Erreichung der zugrunde gelegten Ziele kommt der Festlegung der Kriterien zu, die ein Investor bzw. eine Investitionsmaßnahme erfüllen muss, um Zugang zu den langfristigen Verträgen mit dem Regulierer zu haben. Die damit einhergehende Auswahl fällt in großen Teilen mit der regulatorischen Entscheidung zusammen, welche Anlagen im System bereitgestellt werden bzw. werden sollen. Über die Festlegung von Zugangskriterien und der Gesamtkapazität kann der Regulierer die Bereitstellung dahingehend beeinflussen, dass zum einen ausreichend viele und zum anderen solche bzw. nur solche Anlagen bereitgestellt werden, welche Eigenschaften aufweisen, die der Erreichung der zugrunde gelegten

19 Insbesondere in Hinblick auf die Notwendigkeit des Einsatzes regulatorischer Maßnahmen zur Erreichung von Umweltzielen besteht in der ökonomischen Literatur ein breiter Konsens. Hier stehen Koordinationsprobleme häufig im Zusammenhang mit dem Vorliegen von öffentlichen Gütern oder technologischen externen Effekten. Kontroverser wird hingegen die Implikation für den konkreten Instrumenteneinsatz diskutiert. So werden etwa in vielen Publikationen Grünstromzertifikate (als „marktbasierter Steuerungsmechanismus“) präferiert. In realen Märkten ist dieses auch als „Quotenmodell“ bezeichnete Instrument allerdings häufig mit Problemen – unter anderem im Zusammenhang mit notwendigen regulatorischen Commitments – konfrontiert, die zu einer mangelnden Effektivität oder Effizienz bezüglich der Erreichung der Umweltziele führen. Vgl. hierzu bspw. auch Gawel et al. (2016), The rationales for technology-specific renewable energy support: Conceptual arguments and their relevance for Germany, UFZ Discussion Papers, No. 4/2016.

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Ziele zuträglich sind. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die Verträge so zu differenzieren, dass diese den jeweiligen Bedürfnissen verschiedener Anlagentypen und -technologien bestmöglich gerecht werden. Die Auswahl der Anlagen hat unmittelbaren Einfluss auf die Gesamtkosten der Bereitstellung aus Wohlfahrtsperspektive. Weiterhin erfolgt im Zusammenhang mit der Auswahl der Kapazitäten eine Festlegung oder Ermittlung der Vergütungssätze (insb. in Form von Kapazitätsprämien) für die Bereitstellung, was neben der Wohlfahrts- auch für die Konsumentenperspektive von Bedeutung ist, da sich im Rahmen der gewählten Verfahren mehr oder weniger hohe Produzentenrenten ergeben können, die letztendlich von den Nachfragern bezahlt werden. Verfügt der Regulierer über deutlich eingeschränktes Wissen zu benötigten bzw. angemessenen Vergütungssätzen, können unter Umständen Ausschreibungsmechanismen herangezogen werden, um die Kosten aus Konsumentensicht zu begrenzen. Hierzu ist es zum einen nötig, dass ein ausreichender Wettbewerb auf der Anbieterseite vorliegt. Zum anderen eignen sich Ausschreibungsansätze in der Regel nur ab einer gewissen – von den entsprechenden Gegebenheiten abhängigen – Mindestgröße der einzelnen Investitionsvorhaben. Andernfalls ist davon auszugehen, dass oftmals die mit einer Ausschreibung einhergehenden Transaktionskosten im Allgemeinen und die Risikokosten im Speziellen die positiven Kosteneffekte überkompensieren. Allerdings kommt es hierbei auch wesentlich auf die Ausgestaltung des Ausschreibungssystems an. Durch ein geeignetes Design können adverse Effekte häufig deutlich begrenzt werden. So ist etwa weiterhin von Bedeutung, welcher Projektstatus für eine Teilnahme an der Ausschreibung vorausgesetzt wird. Dabei ist zu beachten, in welcher Höhe bei Erzeugungsprojekten bereits im Rahmen des Planungsprozesses spezifische Investitionen, die aus Investorensicht versunkene Kosten darstellen, anfallen. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Transaktionskosten im Zusammenhang mit der Teilnahme an Ausschreibungen sowie umfangreiche spezifische Investitionen im Planungsprozess möglicherweise den Rückzug kleiner Anbieter aus dem Wettbewerb bewirken können. Daher kann es sich insbesondere im Zusammenhang mit kleinteiligen Erzeugungsprojekten als vorteilhaft erweisen, dass der Regulierer ein ausreichendes Wissen zu Kosten aufbaut und regulatorische Preisangebote anbietet. Oftmals ist es sinnvoll, die Preisangebote mit Mengensteuerungsmechanismen zu kombinieren, wenn eine bestimmte Zielkapazität bereitgestellt werden soll. Ein ausreichend hoher Wissensstand des Regulierers stellt auch generell eine wichtige Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Anwendung von „Kapazitätsmechanismus“-Ansätzen dar. Dies gilt insbesondere dann, wenn Erzeugungsanlagen mit unterschiedlichen Eigenschaften (bspw. in Bezug auf Technologie, Flexibilität oder Standort) über sehr unterschiedliche Potentiale verfügen, Beiträge zur Erreichung der Ziele zu leisten. Ebenso erfordert eine geeignete Ausgestaltung der Verträge einen hohen Wissensstand, wobei auch „übliche“ Vertragsprobleme (bspw. in Bezug auf deren generelle Unvollständigkeit oder auf den Umgang mit

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Reinvestitionsmaßnahmen) zu berücksichtigen sind. Wenn keine zu großen Defizite bezüglich des zentralen Wissens vorliegen, kann der Regulierer die Auswahlkriterien dahingehend festlegen, dass die Eigenschaften der bereitgestellten Erzeugungsanlagen eine hohe Kompatibilität mit den zugrunde gelegten Zielen aufweisen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, bestehen potentiell große Kostenvorteile gegenüber dem EOM-Modell. Durch die Begrenzung des Risikos für die dezentralen Anbieter bei Investitionsprojekten, können die Kapitalkosten relativ niedrig gehalten werden. Demgegenüber sind bei der Anwendung eines „Kapazitätsmechanismus“ hingegen die Transaktionskosten im Kontext der Involvierung von Politik und Verwaltung bei Beschlüssen über deren Ausgestaltung und Weiterentwicklung sowie der Administration des Instrumentariums zu erwarten. Allerdings kann wiederum nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass die zentral anfallenden Transaktionskosten stets höher als beim Rückgriff auf einen EOM-Ansatz sind, da auch hier – wie zuvor beschrieben – zentrale Aktivität letztendlich unvermeidbar erscheint. In Konstellationen, in denen ein Übergang von einem EOM-Ansatz auf einen „Kapazitätsmechanismus“ erwogen wird, sind zudem weitere Aspekte zu beachten. So ist es vor allem wichtig, inwieweit davon ausgegangen werden kann, dass sich ein in Hinblick auf die Bereitstellungsziele als sinnvoll erachtetes Konzept im politischen Prozess als robust erweist. Ist zu erwarten, dass Modifikationen an der ursprünglichen Ausgestaltung vorgenommen werden, durch welche sich die Eignung in Hinblick auf die Ziele deutlich ändert, kann es mitunter sinnvoll sein, (zu einem gegebenen Zeitpunkt) von einer Reform abzusehen. Diese Aspekte stellen allerdings keine Eigenart des speziellen Betrachtungsgegenstandes dar, sondern sind im Grunde stets bei Reformen des institutionellen Rahmens zu berücksichtigen – insbesondere wenn diese mit großen Verteilungseffekten verbunden sind.

2.4 Zwischenfazit Es lässt sich zusammenfassen, dass „Kapazitätsmechanismus“-Ansätze im Vergleich mit EOM-Ansätzen hohe Potentiale zur Kapitalkostenreduktion aufweisen. Ein hoher Wissensstand des Regulierers trägt insbesondere dann zur erfolgreichen Anwendung eines „Kapazitätsmechanismus“-Ansatzes bei, wenn bei Erzeugungsprojekten mit verschiedenen Eigenschaften große Unterschiede bezüglich möglicher Beiträge zur Erreichung der energiepolitischen Ziele vorliegen. Jedoch kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein hoher Wissensstand des Regulierers in einem EOM-Modell unter denselben Voraussetzungen grundsätzlich weniger notwendig bzw. sinnvoll ist.

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2.5 Kapazitätsoptionen als Ausgestaltungsform von Kapazitätsinstrumenten Unter den verschiedenen Ausgestaltungsformen von Kapazitätsinstrumenten, die bei einem „Kapazitätsmechanismus“-Ansatz zu Einsatz kommen können, weist das Instrument der sogenannten Kapazitätsoptionen ein besonders hohes Potential zur Kapitalkostenreduktion auf. Kapazitätsoptionen basieren auf dem Grundgedanken, dass die Erlöspotentiale der Erzeuger am Großhandelsmarkt beschnitten und durch eine entsprechend höhere Kapazitätsprämie ersetzt werden. Dies erfolgt dadurch, dass der Regulierer einen bestimmten Höchstpreis festlegt, den die am Mechanismus teilnehmenden Erzeuger während des – typischerweise langjährigen – Vertragszeitraumes für erzeugte Elektrizitätsmengen maximal erhalten. Werden Strommengen direkt am Handelsmarkt zu Preisen oberhalb des festgelegten Höchstpreises verkauft, so sind die Erzeuger verpflichtet, dem Regulierer die Differenz zwischen Marktpreis und Höchstpreis zu erstatten. Insofern entspricht der Höchstpreis dem Ausübungspreis einer Kaufoption auf Elektrizität, die der Regulierer hält und deren Stillhalter der Erzeuger ist (woher sich die Bezeichnung Kapazitätsoptionen ableitet). Die Bestimmung des Höchst- bzw. Ausübungspreises stellt eine Entscheidung von zentraler Bedeutung dar. Auf der einen Seite muss der Ausübungspreis der Option stets oberhalb der kurzfristigen Grenzkosten der Erzeugung liegen, damit den Produzenten keine Risiken übertragen werden, gegen die sie nicht abgesichert sind. Auf der anderen Seite ist die Risikokosten senkende Wirkung einer Kapazitätsoption umso größer, je näher der Preis an den Grenzkosten der Erzeugung liegt. Führt man sich nun vor Augen, dass die Grenzkosten der Produktion in vielen Erzeugungsbereichen (etwa bezogen auf den Einsatz unterschiedlicher Brennstoffe) im Zeitablauf schwanken (bspw. aufgrund von Brennstoffpreisänderungen), so offenbart sich die Komplexität der Aufgabe, den Ausübungspreis so zu setzen, dass er einerseits so nahe wie möglich an den Grenzkosten und andererseits im Zeitablauf permanent oberhalb derselben liegt. Vor diesem Hintergrund können bspw. Brennstoffpreisindizes hinzugezogen werden, welche eine dynamische Anpassung des Ausübungspreises als Reaktion auf Schwankungen von Inputpreisen erlauben. Weil die Etablierung von Ausübungspreisen die Erlöspotentiale im Bereich des Strommengenverkaufs begrenzt, werden die Erzeuger eine entsprechende Gegenleistung in Form einer – im Vergleich zu einem Kapazitätsinstrument ohne Optionselement – erhöhten Kapazitätsprämie fordern. Indes wird der hierbei geforderte Aufschlag unterhalb des Erwartungswerts der entgangenen Großhandelserlöse liegen, da risikoaverse Investoren (von denen hier ausgegangen wird) sichere Erlöse, wie eine Kapazitätsprämie, höher bewerten als unsichere Erlöse, wie zukünftige Markterlöse. Somit werden den einzelnen Investoren beim Rückgriff auf Kapazitätsoptionen in geringerem Umfang Marktrisiken übertragen als bei einem EOMAnsatz. Im Zusammenhang mit den geringeren Kosten der Übernahme von Markt-

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risiken durch das Konsumentenkollektiv gegenüber einzelnen Investoren, ergibt sich insgesamt ein kostensenkender Effekt.20 Nimmt der Regulierer im Rahmen seiner Bereitstellungsentscheidung eine Differenzierung hinsichtlich verschiedener Bereiche von Erzeugungsanlagen vor (bspw. mit Bezug auf verschiedene Technologien oder Eigenschaften von Anlagen), so kann über Kapazitätsoptionen häufig ein besonders großer Beitrag zur Kapitalkostenreduktion geleistet werden. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Grenzkosten der Produktion einerseits innerhalb einzelner Erzeugungsbereiche recht homogen sind und andererseits zwischen einzelnen Bereichen stark abweichen. Unter diesen Voraussetzungen ist es möglich, für die verschiedenen Bereiche unterschiedliche Ausübungspreise festzulegen, die jeweils relativ nahe an den entsprechenden Grenzkosten liegen.

2.6 Fazit Die theoriegeleiteten Analysen, die im Rahmen dieses Aufsatzes nur stark verkürzt dargestellt werden, führen zu dem Ergebnis, dass das Modell „Kapazitätsmechanismus“ – unabhängig vom Erzeugungsbereich – grundsätzlich ein höheres Potential zur Erreichung der zugrunde gelegten Ziele aufweist als das „Energy-Only-Markt“Modell. Des Weiteren wird deutlich, dass der Regulierer einen hohen Wissensstand benötigt, wenn er gewährleisten will, dass die zugrunde gelegten Ziele erreicht werden. Für die Entscheidung über eine Einführung von Kapazitätsinstrumenten ist es zudem von Bedeutung, dass die politischen Transaktionskosten im Zusammenhang mit der Durchsetzung und Implementierung der Instrumente sowie bei späteren Anpassungen des Rechtsrahmens ein begrenztes Ausmaß aufweisen.21 Bei der Ableitung von Rückschlüssen hinsichtlich konkreter Reformen des Stromsektordesigns ist zu beachten, dass die bei einem Modellwechsel vorliegenden Übergangseffekte und -probleme gegebenenfalls einen inkrementellen Übergang sinnvoll erscheinen lassen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass erhebliche Verteilungseffekte generiert werden können. Weiterhin ist – insbesondere wenn komplexe Regelungen politisch zu beschließen sein sollten – die Robustheit von Reformvorschlägen hinsichtlich gezielter Einwirkungen von Partikularinteressenvertretern von Relevanz. Werden diese Aspekte hingegen ignoriert, können aus Reformprozessen entscheidend abgewandelte Mechanismen hervorgehen, deren Wirkung von der ursprünglich intendierten deutlich abweicht.

20 Vgl. auch Beckers et al. (2008), Rationalität und Ausgestaltung privater Finanzierung in PPPProjekten, S. 21 ff., abgerufen im Internet am 08. 11. 2016 unter www.wip.tu-berlin.de/fileadmin/fg280/ forschung/publikationen/2009/private_finanzierung_in_ppp-projekten.pdf. 21 Vgl. Beckers/Hoffrichter/v. Hirschhausen (2012), Internationale Erfahrungen mit Kapazitätsinstrumenten und Schlussfolgerungen für die deutsche Diskussion, abgerufen im Internet am 08. 11. 2016 unter www.wip.tu-berlin.de/fileadmin/fg280/forschung/publikationen/2012/tu_berlin-wip_2012internationale_erfahrungen_mit_kapazitaetsmechanismen.pdf.

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3 Diskussion von Instrumenten für die Bereitstellung von FEE-Anlagen in Deutschland 3.1 Grundmodell der Einspeisevergütung: Kapazitätsoptionen für FEE-Anlagen Der Zubau von FEE-Anlagen erfolgte in Deutschland bislang im Kern auf Grundlage langfristiger Verträge zwischen Investoren und dem Regulierer im Rahmen des im EEG geregelten Einspeisevergütungssystems. Auch das Grundgerüst der mittlerweile überwiegend angewandten – und im späteren Verlauf näher diskutierten – sogenannten gleitende Marktprämie, basiert (weiterhin) im Wesentlichen auf dem Einspeisevergütungsmodell.22 Einspeisevergütungsansätze weisen in der Wirkung eine Reihe von Aspekten auf, die mit denen von Kapazitätsoptionen vergleichbar sind, berücksichtigen aber die spezifischen Eigenschaften von Erneuerbaren Energien. Insofern können sie als eine Ausgestaltungsform des Instrumenteneinsatzes im Rahmen eines „Kapazitätsmechanismus“-Modells aufgefasst werden. Zwar erfolgt die Vergütung nicht als Prämie mit Bezug auf die installierte Kapazität, sondern über die Lebensdauer der Anlagen (bzw. weite Teile davon) gestreckt und in Abhängigkeit der Verfügbarkeit für die Stromproduktion, jedoch ergibt sich eine vergleichbare Wirkung hinsichtlich der Risikoreduktion für die Investoren. Darüber hinaus trägt die Kopplung der Vergütung an den Betrieb dazu bei, dass die dezentralen Investoren ihr Wissen dazu nutzen, die Anlagen an geeigneten Standorten zu errichten, was bei FEE aufgrund der hohen Abhängigkeit vom lokalen Dargebot in Hinblick auf das Ziel der Kosteneffizienz grundsätzlich förderliche Effekte hat. Die ansonsten häufig anspruchsvolle Herausforderung bezüglich der Setzung eines geeigneten Ausübungspreises entfällt bei FEE weitestgehend. Die kurzfristigen Grenzkosten von FEE betragen praktisch null, was allgemeines Wissen darstellt. Somit kann der in Deutschland applizierte EEG-Bereitstellungs- und Refinanzierungsmechanismus für FEE als in Bezug auf das Kostenziel grundsätzlich sehr geeignet eingeordnet werden. Diese auf Basis theoriegeleiteter Erwägungen abgeleitete These lässt sich auch durch empirische Indizien stützen. So schneidet Deutschland etwa bei europäischen Vergleichen zu Kapitalkosten und Produzentenrenten im Kontext von FEE-Investitionen regelmäßig deutlich besser ab als Länder, in denen Ansätze verfolgt werden, bei denen den Investoren umfangreicher Risiken übertragen werden.23 Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass die Ausgestal22 Bei der gleitenden Marktprämie stellt der Einspeisetarif als sogenannter anzulegender Wert die zentrale Bezugsgröße der Vergütung dar. 23 Vgl. etwa Steinhilber et al. (2011), Indicators assessing the performance of renewable energy support policies in 27 Member States, D17 Report of the project „RE-Shaping: Shaping an effective and efficient European renewable energy market“, abgerufen im Internet am 08. 11. 2016 unter www.reshaping-res-policy.eu/downloads/RE-Shaping%20D17_Report_update%202011_final.pdf sowie Noothout et al. (2016), The impact of risks in renewable energy investments and the role of smart policies, final report of the project „DiaCore“, abgerufen im Internet am 08. 11. 2016 unter

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tung des EEG-Mechanismus in jeder Hinsicht durchgängig als optimal eingestuft werden konnte bzw. kann. Vielmehr konnten auch in Deutschland immer wieder gewisse mehr oder weniger gravierende Mängel festgestellt werden. Wie oben beschrieben hängt der Erfolg des Einsatzes von Kapazitätsinstrumenten oft nicht unwesentlich von der Höhe des Wissensstands des Regulierers sowie der Höhe von politischen Transaktionskosten im Kontext sinnvoller Anpassungsentscheidungen bezüglich des Instrumentendesigns ab. In der Vergangenheit lagen in Deutschland diesbezüglich stellenweise Defizite vor. So führte etwa der Mangel an zentralem Wissen in Kombination mit polit-ökonomisch erklärbaren Problemen dazu, dass die Anpassung der Tarifhöhen im Zeitablauf und damit auch die Steuerung von Zubaumengen nicht in befriedigendem Maße funktionierten. Zum einen wurde dadurch eine möglicherweise suboptimal hohe Anzahl von Anlagen eines vergleichsweise frühen Entwicklungsstadiums zugebaut.24 Zum anderen lag teilweise eine signifikante Überkompensation der Investoren vor, was sich in Bezug auf die Kosteneffizienz des Instrumenteneinsatzes aus Wohlfahrts- bzw. Konsumentenperspektive negativ auswirkte.25 In den letzten Jahren gab es diverse Reformen im Regelwerk des EEG, durch die den dezentralen Akteuren eine Reihe von Entscheidungen und Aufgaben zugeteilt wurden, die vormals zentral beim Regulierer verortet waren. In gewissem Umfang wurde durch diese Anpassungen auf beobachtete Defizite reagiert. Auch können sie grundsätzlich als im Einklang stehend mit dem Vorhaben des Energiekonzepts der Bundesregierung aus dem Jahr 2010 gesehen werden, das für EE „(…) eine schrittweise, aber zügige Heranführung an den Markt (…)“ vorsah; in diesem Kontext sollte das EEG künftig „(…) stärker am Markt orientiert werden und der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien in stärkerem Maße marktgetrieben erfolgen.“ 26 Daneben sind die Reformen allerdings auch im Lichte von Erfordernissen bezüglich der Herstellung einer Konformität des nationalen Regelwerks mit dem übergeordneten EU-Recht zu sehen. Unter den Reformen hervorzuheben sind die bereits angesprochene Einführung der gleitenden Marktprämie sowie der schrittweise Übergang auf Ausschreibungen. Nachfolgend erfolgt diesbezüglich eine Einordnung,

www.diacore.eu/images/files2/WP3-Final%20Report/diacore-2016-impact-of-risk-in-res-investments. pdf. 24 Allerdings stellt sich auch die Frage, ob die Realisierung von Lernkurveneffekten und das konsequente Voranschreiten bei der Systemtransformation im Zuge eines gebremsten Zubaus in gleichem Maße möglich gewesen wären. 25 Als ursächlich für die Überrenditen kann – interdependent mit den Wissensdefiziten des Regulierers – insbesondere auch eine gezielte Einflussnahme unter Ausnutzung von Informationsasymmetrien durch Vertreter von Partialinteressen gesehen werden. Vgl. auch Gawel et al. (2016, S. 15 f.). 26 Vgl. S. 8 im Energiekonzept der Bundesregierung („Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung“), abgerufen im Internet am 08. 11. 2016 unter www.bundesregierung.de/ContentArchiv/DE/Archiv17/_Anlagen/2012/02/energiekonzept-final.pdf? __blob=publicationFile&v=5.

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die in den Kontext einer grundsätzlichen Diskussion der wesentlichen Ausgestaltungsparameter des Instrumentariums eingebettet ist, auf die sich die Reformen jeweils beziehen.

3.2 Einbezug von Marktpreiselementen in die Vergütung und Vermarktung erzeugter Strommengen Bei einem steigenden Anteil von FEE an der Erzeugung wird es immer wichtiger, wann und mit welcher Kontinuität Anlagen Strom generieren. Daher stellt sich die Frage, wie Investoren dazu bewegt werden können, die Standortwahl und Auslegungsentscheidung dahingehend zu treffen, dass der erzeugte Strom einen hohen Wert für das System aufweist. Hierfür kommen regulatorische Vorgaben in Frage, die zum Beispiel entsprechende Standorte oder Konstruktionsweisen vorgeben. Dies kann sinnvoll sein, wenn der Regulierer sowohl die Auswirkungen auf den erzeugbaren Systemwert der Produktion, wie auch die Kosten der Maßnahmen abschätzen kann. Bei eingeschränktem Wissen zu den Kosten können alternativ Anreize in Frage kommen, die etwa auf einer erhöhten Vergütung im Falle einer Umsetzung der entsprechenden Maßnahmen basieren. Verfügt der Regulierer auch nicht über adäquates Wissen zu generell sinnvollen Maßnahmen zur Erhöhung des Systemwerts, kann unter Umständen die Übertragung von Risiken auf die Investoren einen zielführenden Weg darstellen. Ein Beispiel hierfür ist der Einbezug von Marktpreiselementen in die Vergütung. Voraussetzung dafür, dass die Übertragung von Marktpreisrisiken eine sinnvolle Beeinflussung von Investitionsentscheidungen bewirkt, ist, dass die Investoren im Gegensatz zum Regulierer die Entwicklung der Marktpreisstruktur über die relevante Betriebsdauer ihrer Anlage hinreichend gut prognostizieren können. Zudem müssen von den prognostizierbaren Schwankungen der Strompreise hinreichend solide Signale ausgehen, um die Investitionsentscheidung in die gewünschte Richtung zu lenken. Vor dem Hintergrund, dass eine Übertragung von Marktrisiken auf die Akteure mit Kapitalkostensteigerungen einhergeht, sollte sich der Regulierer vor der Einführung eines solchen Ansatzes zumindest über dessen Effektivität gewiss sein. Vielfach wird es bereits umfangreicherer zentraler Ressourcen bedürfen, um treffend einschätzen zu können, inwieweit die dezentralen Akteure über das benötigte Wissen verfügen und ob die aus der Risikoübertragung resultierenden Anreize stark genug sind, um eine Wirkung zu entfalten bzw. in welchem Umfang Risiko übertragen werden muss. Weiterhin besteht eine gewisse Analogie zu den in Abschnitt 2.2 thematisierten Optionen zur regulatorischen Beeinflussungen des Investorkalküls im Rahmen eines EOM-Ansatzes, weshalb sich hier ähnliche Probleme und Herausforderungen ergeben. Häufig wird es eine enorme Herausforderung darstellen, durch die Übertragung von Risiken über den gesamten Anwendungszeitraum des Instruments genau die Anreizkonstellationen zu schaffen, welche die erwünschten Reaktionen

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der Investoren erzeugen und unerwünschte Reaktionen unterbinden. Das bedeutet, auch zur Umsetzung eines adäquaten auf der Übertragung von Risiken basierenden Designs – sprich: die Konstruktion, Überwachung und Anpassung des Anreizmechanismus – benötigt der Regulierer ein umfangreiches Wissen. Dies gilt insbesondere in Bezug auf technisch-systemische und wirtschaftliche sowie institutionenökonomische Zusammenhänge. Somit ist nicht davon auszugehen, dass durch den Einbezug von Marktpreiselementen grundsätzlich die Anforderungen an den Wissensstand des Regulierers verringert werden können. Vielmehr können sogar diverse Konstellationen vorliegen, in denen der Regulierer ein umfangreicheres Wissen benötigt, um ein adäquates Design für einen marktpreisbasiertes Anreizregime umzusetzen als um sinnvolle administrative Festlegungen zu treffen. Sollte es tatsächlich gelingen, von vornherein ein Design zu treffen, das im Zeitverlauf stabil die an das Instrument gestellten Anforderungen erfüllt, kann es ein durchaus wertvoller Vorteil der Nutzung von Marktpreiselementen sein, dass in der Folge auf politische Festlegungen und Anpassungen verzichtet werden kann. Allerdings wird die Übertragung von Marktpreisrisiken oft an anderen Stellen eine Steigerung von Transaktionskosten (auch jenseits der thematisierten Auswirkungen auf Kapitalkosten) zur Folge haben. Bei einer Gesamtbetrachtung der Effekte und in Hinblick auf das zugrunde gelegte Zielsystem sollte das Potential aus der Nutzung von Marktpreisen im Rahmen der Vergütungsermittlung für FEE-Anlagen nicht überschätzt werden. Vor diesem Hintergrund ist es auch als wenig plausibel einzustufen, dass das Wissen über die Eignung bestimmter Anlagen in einem solchen Maße auf dezentraler Ebene konzentriert ist, dass umfassend Marktrisiken auf die Investoren übertragen werden sollten, um die Bereitstellung eines geeigneten Anlagenparks zu erreichen. Insbesondere ist auch festzuhalten, dass die Übertragung von Marktrisiken auf Investoren bei weitem nicht zwangsläufig zu Anreizkonstellationen führt, die aus gesellschaftlicher Perspektive als sinnvoll einzustufen sind. Zu berücksichtigen ist bei der Ausgestaltung des institutionellen Rahmens für die Bereitstellung von FEE-Anlagen, dass die Frage der Übertragung von Marktpreisrisiken an Investoren generell von der Frage der Zuordnung der Vermarktungsverantwortung (zentral oder dezentral/„direkt“) zu trennen ist. Diese Trennung erfolgt in der öffentlichen Diskussion nicht immer konsequent, was gegebenenfalls darauf zurückzuführen ist, dass bestimmte Umsetzungsformen von Direktvermarktungsansätzen die Übertragung gewisser Marktpreisrisiken implizieren. In Deutschland fand die Vermarktung der erzeugten Elektrizität nach der Einführung der ersten EEG-Fassung im Jahr 2000 zunächst auf Basis des sogenannten „physischen Wälzungsmechanismus“ statt, bei dem letztendlich eine Zuteilung von Elektrizitätsmengen auf die Vertriebe erfolgte. Im Jahr 2010 wurde dieses Verfahren von einer zentralen Vermarktung erzeugter FEE-Strommengen durch die Übertragungsnetzbetreiber am Großhandelsmarkt abgelöst. Seit der EEG-Novelle 2012 erfolgte schrittweise der Übergang zu einer mittlerweile weitgehend ver-

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pflichtenden Direktvermarktung, die überwiegend im Rahmen des Modells der gleitenden Marktprämie erfolgt. Bei diesem Ansatz werden bestimmte Marktrisiken auf die Investoren übertragen, allerdings nur in sehr beschränktem Umfang. Einerseits kann daher auch die mit der Übertragung der Marktrisiken verbundene Erhöhung der Kapitalkosten als vergleichsweise gering eingestuft werden, da bei diesem Ansatz die grundlegenden positiven Eigenschaften der Einspeisevergütung erhalten bleiben. Gleichzeitig ist eine etwaige Lenkungswirkung im Investitionszeitpunkt in Hinblick auf eine erhöhte Systemdienlichkeit der Anlagen zumindest sehr fragwürdig. Andererseits ist davon auszugehen, dass die Komponente der Direktvermarktung eine nicht unerhebliche erhöhende Wirkung hinsichtlich der Transaktionskosten mit sich bringt. Auch ist kritisch zu hinterfragen, inwieweit sich aus der gleitenden Marktprämie (oder einer Übertragung von Marktpreisrisiken an sich) nennenswerte Vorteile in Hinblick auf den Betrieb von FEE-Anlagen ergeben. Optimale Kraftwerkseinsatzentscheidungen liegen normalerweise dann vor, wenn in den Situationen Strom erzeugt wird, in denen der Marktpreis größer oder gleich den Grenzkosten ist. Von den Befürwortern der kombinierten Übertragung erhöhter Marktpreisrisiken und einer (Direkt-)Vermarktungszuständigkeit bezüglich des erzeugten Stroms an FEEBetreiber wird häufig angeführt, dass hierdurch optimierte Abregelungsentscheidungen erzeugt werden.27 Das wäre dann der Fall, wenn dezentrale Betreiber exklusives Wissen hinsichtlich der Grenzkosten einzelner Anlagen nutzen und diese immer dann abregeln, wenn der Großhandelsmarktpreis unterhalb der Grenzkosten liegt. Allerdings ist nicht von einer Konzentration des Wissens bezüglich der Grenzkosten von FEE-Anlagen auf dezentraler Ebene auszugehen. Vielmehr ist bekannt, dass die volkswirtschaftlichen, kurzfristigen Grenzkosten der FEE-Produktion bei sämtlichen verfügbaren Anlagen bei null liegen.28 Insofern werden andere Ansätze zur Herbeiführung sinnvoller Abregelungsentscheidungen (bspw. zentrale Vorgaben) deutlich besser geeignet sein. Im Rahmen eines Einspeisevergütungsmodells und verwandter Konzepte (wie der gleitenden Marktprämie) könnte dies erreicht werden, indem die Abregelung der entsprechenden Anzahl von Anlagen auf Veranlassung eines zentralen Verantwortlichen hierfür (bspw. der Übertragungsnetzbetreiber) erfolgt. Die Tarife sollten hingegen auch an die abgeregelten Anlagen weiter ausbezahlt werden, da diese – wie dargestellt – (der zeitlich gestreckten Auszahlung) einer Verfügbarkeitsprämie entsprechen. Dass von Regelun-

27 Vgl. bspw. Kopp et al. (2013), Wege in ein wettbewerbliches Strommarktdesign für erneuerbare Energien, S. 9 f., abgerufen im Internet am 08. 11. 2016 unter www.mvv-energie.de/media/media/ downloads/mvv_energie_gruppe_1/nachhaltigkeit_1/MVV_Studie_EE_Marktdesign_2013.pdf und Klobasa et al. (2013), Nutzenwirkung der Marktprämie, S. 5, abgerufen im Internet am 08. 11. 2016 unter www.econstor.eu/bitstream/10419/68599/1/734951493.pdf. 28 In Zeiten, zu denen FEE-Anlagen mangels eines entsprechenden aktuellen Dargebots (oder aus anderen Gründen) nicht verfügbar sind, weisen sie faktisch extrem hohe Grenzkosten auf.

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gen, bei denen die Vergütung im Falle negativer Marktpreise ausgesetzt oder reduziert wird, eine sinnvolle Steuerungswirkung auf Investitionsentscheidungen ausgeht, ist vor dem Hintergrund der für dezentrale Akteure schwer prognostizierbaren Systementwicklung nicht auszugehen. Insofern kann auch die sogenannte „6-Stunden-Regelung“ aus § 51 EEG 2017, die eben dies für FEE-Anlagen ab einer gewissen Größe vorsieht, als höchst fragwürdig eingestuft werden. Teilweise wird dieser Regelung auch die Funktion einer Anreizsetzung zur Entwicklung dezentraler Flexibilitätskonzepte zugeschrieben. Allerdings erscheint es wenig zielführend, dies darüber zu erreichen, dass nahezu sämtliche FEE-Investitionen – deren Durchführung die Umsetzung einer zentralen Bereitstellung darstellt – in signifikantem Umfang mit schwer prognostizierbaren Marktpreisentwicklungen konfrontiert werden. Die bisherigen Erfahrungen mit der kombinierten Übertragung von Marktpreisrisiken und einer (Direkt-)Vermarktungszuständigkeit an Investoren und Betreiber zeigen, dass in Zeiten stark negativer Marktpreise zumindest in gewissem Umfang die vom Gesetzgeber intendierten Abregelungsentscheidungen von den FEE-Betreibern getroffen wurden, was unter anderem auch auf die Nachrüstung bestimmter Anlagenparks mit entsprechender Steuerungselektronik zurückgeführt wird. Gegebenenfalls könnte das Instrument insofern zumindest in Bezug auf die Herbeiführung sinnvoller Abregelungsentscheidungen bei Altanlagen einen effektiven Ansatz darstellen, speziell wenn zentrale (technische) Vorgaben zur Steuerbarkeit der Anlagen (aus technischen oder rechtlichen Gründen) nicht sinnvoll hätten etabliert werden können. In Bezug auf Neuanlagen stellen Vorgaben zur Installation entsprechender Steuerungstechnik (wie in Deutschland mittlerweile vorhanden) in Kombination mit einer zentral koordinierten Abregelung einen sinnvolleren Weg zur Vermeidung negativer Preise dar. In der öffentlichen Debatte wird weiterhin der Direktvermarktung teilweise eine höhere Effizienz in der Vermarktung der Strommengen zugeschrieben.29 Dass der sinnvollste Weg allerdings – vor dem Hintergrund des zugrunde gelegten Zielsystems und unter Berücksichtigung der Transaktionskosten steigernden Effekte – die Übertragung der Vermarktungsverantwortung an die dezentralen Investoren ist, erscheint fragwürdig.30 Auch bei einer zentralen Vermarktung bestehen im Übrigen für Händler ebenso wie beispielsweise für Investmentbanken umfangreiche Möglichkeiten, neue Produkte zu vertreiben. Das heißt, eine Trennung der Ver-

29 Vgl. bspw. Kopp et al. (2013) und Klobasa et al. (2013). 30 Zudem ist zu hinterfragen, in welcher Höhe im Vermarktungsbereich tatsächlich Potentiale zur Wohlfahrtssteigerung vorliegen und warum diese Potentiale nicht bereits von Akteuren des Finanzmarktes erschlossen werden. Sollten tatsächlich generell hohe Potentiale vorliegen, so könnte möglicherweise der Abbau von Hemmnissen für die Betätigung von Finanzmarktakteuren – aufgrund geringerer Risikokosten – eine aus Wohlfahrts- und Konsumentenperspektive sinnvollere Option darstellen als die Übertragung der Marktrisiken an die einzelnen Investoren bzw. Betreiber.

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marktungsverantwortung von der Erzeugung des Stroms geht nicht damit einher, dass Handelsakteuren diese Möglichkeiten zur Generierung und Vermarktung weiterer Produkte verschlossen werden. Ebenfalls könnten etwaige Potentiale für Effizienzsteigerungen bei der Vermarktung gehoben werden, indem der zentrale Vermarkter mit einem entsprechenden Anreizregime konfrontiert werden würde.31 Wie oben dargestellt, bleibt es ebenso letztlich fraglich, inwieweit sich durch die Übertragung der Marktrisiken bei den Investoren sinnvolle Anreize bezüglich Standortwahl und Auslegungsentscheidung einstellen. Zu bezweifeln ist weiterhin, dass die Übertragung von Marktrisiken in sämtlichen Situationen den kostengünstigsten Weg zur Herbeiführung einer sinnvollen Anlagenabregelung darstellt, wobei hier zwischen Bestands- und Neuanlagen zu unterscheiden ist. In der Summe sind somit die im deutschen Stromsektor zu beobachtende Entwicklung der Übertragung von immer umfangreicheren Marktrisiken an die Investoren und Betreiber sowie die vorgenommene deutliche Ausweitung der verpflichtenden Direktvermarktung als kritisch einzustufen. Nicht zuletzt ist dabei zu beachten, dass sich hieraus Entwicklungen ergeben könnten, die zum Ausschluss kleiner Investoren aus dem Anbieterkreis führen. Das Ausmaß einer viel zitierten „Marktintegration“ von FEE zu maximieren, scheint kein zielführender Weg zu sein. Vielmehr sollte überprüft werden, an welchen Stellen des institutionellen Rahmens der Einbezug von Marktsignalen unter Berücksichtigung der damit einhergehenden Transaktionskosten (insb. in Form von Kapitalkosten) tatsächlich ein sinnvolles Element darstellen kann, um erwünschte Anreizkonstellationen bei Investoren und Betreibern herbeizuführen. Derweil wird sich oft eine erhöhte Systemdienlichkeit von Anlagen am effizientesten durch entsprechende Vorgaben oder Anreizsetzungen des Regulierers erreichen lassen, die ohne die Übertragung von Marktrisiken auskommen.

3.3 Anbieterauswahl und Vergütungshöhenfestsetzung Bis ins Jahr 2012 sah das Einspeisevergütungsmodell des EEG in Deutschland vor, dass die Höhe sämtlicher Vergütungssätze zentral durch den Regulierer (das heißt den Gesetzgeber) festgelegt wird. Zudem erfolgte keine explizite Anbieterauswahl; stattdessen stand die Vergütung grundsätzlich sämtlichen FEE-Investoren als regulatorisches Preisangebot offen. Im Segment der PV-Anlagen wurde der Mechanismus zur Vergütungshöhenanpassung im Zuge der „PV-Novelle“ im Jahr 2012 auf den formelbasierten Ansatz des sogenannten „atmenden Deckels“ umgestellt. Durch die darin angelegte Vergütungsdegression in Reaktion auf den Zubau von PV-Anlagen, weist der Mechanismus zugleich eine mengensteuernde Wirkung auf.

31 Bei einer Vermarktung durch Netzbetreiber wäre allerdings zu beachten, dass solche Anreizregime aufgrund von Unbundling-Vorschriften aus rechtlicher Sicht gegebenenfalls als nicht vereinbar mit der Aufgabe des Netzbetriebs einzustufen sind.

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Mit der EEG-Novelle 2014 wurde beschlossen, die Anbieterauswahl und Vergütungshöhenfestsetzung in Zukunft bei einem möglichst großen Teil der FEEAnlagen im Rahmen von Ausschreibungen vorzunehmen. Daraufhin erfolgte zunächst die Umstellung auf Ausschreibungen bei PV-Freiflächenanlagen. Der Übergangsprozess bei Onshore-Windkraftanlagen ist derzeit in der Umsetzung begriffen. Vereinfacht zusammengefasst, reichen Anbieter bei diesen Ausschreibungen bestimmte Projekte einer gewissen Größe ein und geben dazu ein selbst gewähltes Vergütungsgebot ab, welches sich auf die Höhe des anzulegenden Wertes (also des Einspeisetarif-Äquivalents beim Ansatz der gleitenden Marktprämie) bezieht. Anschließend werden die Gebote nach aufsteigenden Preisen bezuschlagt, bis die ausgeschriebene Gesamtkapazität erreicht ist.32 Um die tatsächliche Umsetzung ausgewählter Gebote zu befördern, müssen eingereichte Projekte einen bestimmten Planungsstand erreicht haben und entsprechende Genehmigungen vorweisen können.33 Zudem sind finanzielle Sicherheiten zu hinterlegen. Eine verspätete Inbetriebnahme wird mit Pönalen belegt. Grundsätzlich können Ausschreibungselemente in bestimmten Konstellationen einen sinnvollen Bestandteil eines Bereitstellungs- und Refinanzierungsmechanismus darstellen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn andere Ansätze zur Anbieterauswahl und Mengensteuerung mit gravierenden und persistenten Problemen einhergehen. Notwendig ist es außerdem, dass im entsprechenden Segment ein ausreichender Wettbewerb vorliegt. Weiterhin ist es wichtig, dass typische potentielle Probleme im Zusammenhang mit Ausschreibungen effektiv begrenzt werden können. Allem voran ist die Teilnahme an Ausschreibungen mit Transaktionskosten verbunden. Diese können insbesondere, wenn sie mit spezifischen Investitionen im Verlauf der Projektentwicklung im Zusammenhang stehen, ein bedeutendes Ausmaß annehmen. In Verbindung mit der Unsicherheit über den Zuschlag können sich daraus deutliche, erhöhende Effekte auf die Kapitalkosten ergeben.34 Für kleine Anbieter können die Transaktionskosten sogar eine prohibitive Höhe erreichen, da eine Risikodiversifikation bezüglich der Bezuschlagung und eine Streuung von fixen Transaktionskosten über mehrere Projekte nicht (im Falle eines einzelnen Investitionsprojekts) bzw. nur eingeschränkt (im Falle weniger Investitionsprojekte) möglich ist. Eine Möglichkeit, den Problemen im Zusammen-

32 Im Falle von Windkraft wird bei der Errechnung der tatsächlichen Vergütung bezuschlagter Anlagen eine Umrechnung der Gebote gemäß dem Referenzertragsmodell vorgenommen. Dieses kommt vor allem zum Einsatz, um die Zuschlagschancen von Anlagen an Standorten mit geringerer Windhöffigkeit zu erhöhen und Produzentenrenten im Rahmen von Projekten an Standorten mit sehr hohen Winderträgen zu begrenzen. 33 Konkret handelt es sich dabei vor allem um die immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Projekts. 34 Als vergleichsweise unkritisch sind Ausschreibungselemente somit vor allem in Bereichen anzusehen, in denen es sich um Investitionen mit sehr großen Projektvolumina handelt oder in denen die spezifischen Investitionen in der Entwicklungs- und Planungsphase gering sind.

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hang mit spezifischen Investitionen in der Entwicklungs- und Planungsphase entgegenzuwirken, bestünde grundsätzlich darin, dass diese Phase von der öffentlichen Hand verantwortet wird und sich die anschließenden Ausschreibungen lediglich auf die Anlagenerrichtung sowie den Anlagenbetrieb beziehen. Allerdings würde ein solches Modell angesichts des Status-Quo der Organisationsmodelle für die Bereitstellung der in dieser Studie im Fokus stehenden Technologiesegmente PV und Onshore-Wind eine sehr weitgehende Reform darstellen, da sehr umfangreich Aufgaben von privaten Investoren auf den Regulierer (bzw. auf von öffentlicher Seite beauftragte sonstige Behörden oder öffentliche Unternehmen) verlagert werden würden.35 Angesichts dieser theoriebasierten Erwägungen ist die Einführung von Ausschreibungen für FEE-Anlagen in Deutschland generell skeptisch zu sehen. Abgesehen davon ist durchaus anzuerkennen, dass es über die gewählte Ausgestaltung gelungen ist, viele potentielle Probleme von Ausschreibungen im Umfang zu begrenzen. Auch wurden spezielle Regelungen für lokal verankerte Bürgerenergiegesellschaften36 erlassen, durch die auch kleinen Akteuren eine Teilnahme ermöglicht werden soll.37 Da in gewissem Umfang dennoch allgemein höhere Transaktionskosten und speziell Risiken im Zusammenhang mit einer Entwertung spezifischer Investitionen bei Nichtbezuschlagung verbleiben, ist der Übergang auf Ausschreibungen für kleine Anbieter keineswegs als gänzlich unproblematisch anzusehen. Eine fundierte Aussage über die Wirkung des Ausschreibungselements auf die Entwicklung von Produzentenrenten lässt sich im jetzigen Stadium des Übergangsprozesses kaum treffen. Unter anderem lässt sich die Höhe von Geboten schlecht einordnen, da davon auszugehen ist, dass diese auch Erwartungen über die Entwicklung von Input- bzw. Komponentenpreisen im Zeitraum zwischen der Gebotsabgabe und der Realisierungsfrist enthalten. Auch werden sich gefestigte Erkenntnisse zu Realisierungsraten und damit zur Güte der Mengensteuerung erst zu einem späteren Zeitpunkt einstellen. Um den erwähnten beobachteten Problemen im alten System (mit administrativer Vergütungshöhenfestsetzung und ohne fixe Beschränkungen von Zubaumen-

35 Im Bereich Offshore-Wind gibt es hingegen aktuell Tendenzen hin zu einem Organisationsmodell, das dem beschriebenen Vorgehen nahe kommt. In Anbetracht der unterschiedlichen Gegebenheiten im Offshore-Wind-Segment (unter anderem in Bezug auf die typische Projektgröße oder die Eigentümerschaft von Flächen) wird der Übergang auf einen solchen Ansatz hier auch mit ungleich geringeren Transaktionskosten einhergehen als in den Segmenten PV und Onshore-Wind. 36 Grundsätzlich ist die Frage, wie Bürgerenergie definiert werden sollte, nicht trivial. Inwieweit die im EEG 2017 gewählte Definition in Hinblick auf die Verfolgung der hier zugrunde gelegten oder anderer Ziele geeignet sein könnte, wird in diesem Beitrag nicht diskutiert. 37 Insbesondere müssen diese – die Erfüllung gewisser Anforderungen vorausgesetzt – keine immissionsschutzrechtliche Genehmigung vorweisen und geringere finanzielle Sicherheiten hinterlegen. Außerdem erhalten sie im Falle einer Bezuschlagung nicht den Vergütungssatz des eigenen, sondern des höchsten erfolgreichen Gebots.

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gen) zu begegnen, wären alternative Lösungswege zur Verfügung gestanden; bzw. sind diese alternativen Ansätze für Technologiebereiche zu erwägen, in denen weiterhin keine Ausschreibungen zur Anwendung kommen (hierunter fallen etwa Dach-PV-Anlagen). Die beschriebenen Probleme weisen zunächst auf den Bedarf eines verstärkten Wissensaufbaus beim Regulierer hin, um einerseits Produzentenrenten zu begrenzen und andererseits anvisierte Ausbaupfade einhalten zu können. In diesem Zusammenhang sollte überprüft werden, inwieweit es zum Abbau von Informationsasymmetrien möglich ist, standardisierte Verfahren zu etablieren, welche die Erzeuger bzw. Akteure aus verbundenen Industriezweigen dazu verpflichten, bestimmte auf die Kostenentwicklung von FEE-Projekten bezogene Daten und Informationen an den Regulierer zu übermitteln. Vor dem Hintergrund der erwähnten polit-ökonomisch erklärbaren Probleme im Kontext des Instrumenteneinsatzes – insbesondere in Hinblick auf die Festsetzung und Anpassung von Tarifhöhen – ist zu untersuchen, inwieweit eine grundlegende Veränderung des institutionellen Anpassungsprozesses der Tarife dazu beitragen könnte, die Kosteneffizienz zu erhöhen. Hierbei könnte etwa (wie im Falle des „atmenden Deckels“) vermehrt auf Anpassungsformeln zurückgegriffen werden. Gegebenenfalls könnte auch die Delegation von Kompetenzen an eine Behörde einen erwägenswerten Schritt darstellen. Sollte aus bestimmten Gründen zudem ein zielgenaues Treffen eines bestimmten Ausbaupfades als wichtig angesehen werden, könnte zusätzlich etwa ein „Windhundrennen“-Ansatz zum Einsatz kommen. Im Übrigen soll es neben den separaten Ausschreibungen für PV-Freiflächenanlagen und Onshore-Windkraftanlagen gemäß der in diesem Sommer beschlossenen EEG-Novelle ab dem Jahr 2018 sowohl gemeinsame Ausschreibungen für die Segmente PV und Onshore-Windkraft als auch sogenannte Innovationsausschreibungen zur Förderung besonders netz- und systemdienlicher Anlagenkonzepte geben.38 Der Umfang der technologieoffenen Ausschreibung sowie der Innovationsausschreibung wird zunächst auf 400 bzw. 50 Megawatt pro Jahr begrenzt. Da die letztendliche Eignung solcher Ansätze enorm von der konkreten Ausgestaltung abhängt, über die jeweils noch auf Basis von Verordnungen zu entscheiden sein wird, ist eine explizite Bewertung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich. In Zukunft wird kritisch zu hinterfragen sein, inwieweit im Rahmen technologieübergreifender Ausschreibungen eher Kosten gesenkt oder Produzentenrenten erhöht werden.39 In diesem Zusammenhang wird ein hoher Wissensstand des Regulierers auch bei einem technologieneutralen Gebots- und Auswahlverfahren unerlässlich für eine effiziente Beschaffung sein, da eine passende Ausgestaltung fundierte Kenntnisse der vorliegenden Gegebenheiten und der institutionellen Wirkungsme-

38 Die konkreten Regelungen und Verordnungsermächtigungen zur technologieübergreifenden Ausschreibung sowie zur Innovationsausschreibung finden sich in §§ 39i, 88c EEG 2017 bzw. §§ 39j, 88d EEG 2017. 39 Vgl. auch Gawel et al. (2016, S. 3).

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chanismen voraussetzt. Mit der Höhe des zentralen Wissensstands steigen allerdings auch die Möglichkeiten, potentielle Vorteile einer differenzierten Beschaffung – etwa durch an die Unterschiede der Technologien angepasste Regelungen – auszuschöpfen. Vor diesem Hintergrund ist kritisch zu hinterfragen, ob tatsächlich Konstellationen angesteuert werden, in denen die Vorteile einer übergreifenden Beschaffung die Vorteile einer differenzierten Beschaffung letztendlich überwiegen. Hinsichtlich der Innovationsausschreibung wird es eine gewisse Herausforderung für den Verordnungsgeber (in diesem Fall die Bundesregierung) darstellen, Vorgaben zu machen, die einerseits differenziert genug sind, um ausschließlich tatsächlich erwünschte Angebotskonzepte anzusprechen und andererseits offen genug, um den Anbietern Raum zur Einbringung dezentralen Wissens zu gewähren.

4 Fazit In diesem Aufsatz wurden zentrale institutionenökonomische Aspekte im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Stromerzeugungskapazität aufgezeigt. Dabei erfolgte die Darstellung mit Fokus auf ausgewählte Aspekte des institutionellen Status-Quo bei der Bereitstellung von FEE-Anlagen. Insofern beziehen sich die hier aufgeführten Erkenntnisse und Schlussfolgerungen auch nur auf einige der Bereiche, in denen ein politischer Handlungsbedarf vorliegt, um die Kosteneffizienz der Bereitstellung von Erzeugungskapazität zu verbessern. Auf Basis des zugrunde gelegten energiepolitischen Zielsystems wurden zum einen Erkenntnisse bezüglich der grundsätzlichen Eignung alternativer, idealtypischer Ansätze für die Bereitstellung verglichen und zum anderen Implikationen bezüglich des Instrumenteneinsatzes in Deutschland abgeleitet. In diesem Kontext wurde zunächst dargestellt, dass über den Rückgriff auf Kapazitätsinstrumente prinzipiell Vorteile hinsichtlich der Erreichung der zugrunde gelegten Ziele realisiert werden könnten. Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Anwendung von Kapazitätsinstrumenten ist allerdings ein ausreichender Wissensstand des Regulierers. Mit Blick auf die Bereitstellung von FEE sollte in diesem Kontext geprüft werden, inwieweit Bestimmungen bezüglich einer obligatorischen Weitergabe bestimmter Daten und Informationen von den dezentralen Akteuren an den Regulierer zur Reduktion von Informationsasymmetrien beitragen könnten. Ein besonders hohes Potential zur Begrenzung der Kosten weist ein nach Technologien bzw. Eigenschaften der Erzeugungseinheiten differenzierender Kapazitätsoptionen-Ansatz auf. In Deutschland wurde in Form von Einspeisetarifen bzw. der gleitenden Marktprämie bislang überwiegend auf Mechanismen zurückgegriffen, die diesem Ansatz konzeptionell entsprechen. In der Vergangenheit wurde in der öffentlichen Debatte in Deutschland nicht selten das Ziel einer vollständigen Bereitstellung von FEE-Anlagen „über den

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Markt“ ausgelobt. Mittlerweile scheint sich ein vergleichsweise breiter Konsens eingestellt zu haben, dass ein „Energy-Only-Markt“ insbesondere vor dem Hintergrund klar formulierter, konkreter öffentlicher Zubauziele zumindest im FEE-Segment keine sinnvolle Option darstellt. Vielmehr wird eine fortgeführte Verwendung und schrittweise Weiterentwicklung des EEG als Basis für die FEE-Bereitstellung und -refinanzierung angestrebt. Bezüglich der in den letzten Jahren erfolgten Einführung einer weitgehenden Direktvermarktungspflicht und der damit einhergehenden Übertragung von Marktrisiken auf Investoren kommt die institutionenökonomische Analyse ebenso zum Ergebnis, dass die Nachteile die möglichen Vorteile deutlich übersteigen, wie in Bezug auf den Übergang auf Ausschreibungen. Die in Deutschland vom Regulierer gewählte Ausgestaltung des Regelwerks trägt jedoch dazu bei, negative Effekte dieser Reformen auf die Zielerreichung zu begrenzen. Davon abgesehen könnte eine teilweise Entkopplung der Vergütung von der Produktion unter bestimmten Voraussetzungen durchaus sinnvoll sein, um die Systemdienlichkeit bzw. den von FEE-Anlagen erzeugbaren Systemwert zu steigern. Hier sind jedoch weitergehende Forschungsarbeiten von Nöten, um gesichertere Aussagen darüber treffen zu können, ob und in welchen Bereichen auf Anlagencharakteristika bezogene, einspeisungsunabhängige Kapazitätsprämien Vorteile gegenüber einer Vergütung aufweisen, die sich ausschließlich an der Einspeisung bzw. Verfügbarkeit orientiert. Gut vorstellbar ist es auch, dass es hier sinnvoll ist, den Investoren Anreize zu setzen und damit einhergehend bestimmte Entscheidungen zu überlassen, soweit der Regulierer über ein eingeschränktes Wissen zu geeigneten, den Systemwert erhöhenden Maßnahmen sowie deren Kosten verfügt. In Hinblick auf die Diskussion bezüglich einer verstärkten Konfrontation der einzelnen FEE-Investoren mit zukünftigen Marktpreisschwankungen ist detailliert zu überprüfen und abzuwägen, inwieweit die mit einer Anpassung verbundene Zuordnung von Marktrisiken dazu führt, dass die dezentralen Akteure aus gesamtgesellschaftlicher Sicht wünschenswerte Investitionsentscheidungen treffen und in welcher Höhe sich kapitalkostensteigernde Effekte ergeben. Zudem sind etwaige Effekte zu berücksichtigen, die aus einer möglichen Dezimierung des Anbieterkreises resultieren, wenn kleine Akteure aufgrund der erhöhten Risiken ausscheiden; unter Umständen können hier auch gesonderte Regelungen für kleine Anbieter – grundsätzlich vergleichbar zu denen bei der Ausschreibung von Onshore-Windkraftanlagen – eine Lösung sein. Es ist zu erwarten, dass im Ergebnis häufig administrative Vorgaben oder eine Anreizsetzung ohne die Übertragung von Marktrisiken gegenüber dem verstärkten Einbezug von Marktpreiselementen Vorteile aufweisen.

Literatur Arrow, K. (1962): Economic Welfare and the Allocation of Resources for Invention, in: The Rate and Direction of Inventive Activity: Economic and Social Factors, National Bureau of Economic Research, Inc, / Princeton University Press, 609–626.

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Albert Hoffrichter und Thorsten Beckers

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Perspektiven für Windkraft und Photovoltaik

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Florens Flues, Johanna Arlinghaus, Luisa Dressler und Kurt Van Dender

Effektive CO2-Sätze – Bepreisung von CO2 durch Steuern und Emissionshandel Um die Schäden des Klimawandels für die Gesellschaft zu begrenzen und die möglicherweise katastrophalen Auswirkungen zu verhindern müssen die Nettotreibhausgasemissionen und insbesondere die energiebedingten CO2-Emissionen über die nächsten 50 Jahre auf nahezu null fallen. Das Pariser Abkommen der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, welches am 4. November 2016 in Kraft getreten ist, bezweckt den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur der Erde auf gut unter 2 °C zu begrenzen. Angestrebt wird zudem einen Temperaturanstieg von 1.5 °C im Vergleich zu der Zeit vor der Industrialisierung nicht zu überschreiten. Dafür müssen die Nettoemissionen in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts auf null sinken.1 Die bisherigen Zusagen für Emissionsminderungen der Länder im Rahmen der Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen reichen nicht aus um die Überhitzung der Erde zu stoppen. Wenn alle Länder ihre bereits zugesagten Einsparungen umsetzten, würde die globale Durchschnittstemperatur wohl um gut 3 °C ansteigen (Gütschow et al. 2015; Kitous und Kiramides, 2015). Die Länder müssen also deutlich mehr Emissionen einsparen, als sie bis jetzt zugesagt haben, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Die Bepreisung von CO2-Emissionen ist eine wirksame und kostengünstige Methode um Emissionen einzusparen. CO2-Bepreisung führt zur Substitution von CO2 -intensiven Energieträgern durch emissionsfreie Energieträger oder solchen mit niedrigen Emissionen sowie allgemein zu höherer Energieeffizienz. CO2-Preise verteuern diejenigen Energieträger, welche stark mit Emissionen belastet sind. Somit verringern CO2-Preise die Nachfrage nach emissionsintensiven Energieträgern und folglich Emissionen (Martin et al., 2016; Arlinghaus, 2015). CO2-Preise führen zudem dazu, dass Emittenten mit Einsparungskosten unterhalb des CO2-Preisniveaus ihren CO2 Ausstoß reduzieren, während Emittenten mit höheren Kosten weiter Emissionen erzeugen und den CO2-Preis zahlen. Im Ergebnis werden dort Emissionen eingespart, wo dies am günstigsten ist. Doch wie stark werden CO2-Emissionen derzeitig bepreist? Dieses Kapitel fasst die Ergebnisse aus dem kürzlich erschienenen OECD-Bericht Effective Carbon Rates – auf Deutsch effektive CO2-Sätze – zusammen (OECD, 2016). Der Bericht

1 Dieser Artikel basiert wesentlich auf der Publikation „Effective Carbon Rates: Pricing CO2 through taxes and emissions trading systems“ (OECD, 2016) und fasst diese kurz auf Deutsch zusammen. Der Beitrag spiegelt die Meinung der Autoren und nicht notwendigerweise ihrer Institution wieder. https://doi.org/10.1515/9783110525762-006

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Florens Flues, Johanna Arlinghaus, Luisa Dressler und Kurt Van Dender

Effektiver CO2-Satz (in EUR pro Tonne CO2) Zertifikatspreis CO2-Steuer Spezifische Energiesteuern (z.B. Mineralölsteuer, Gassteuer, etc.)

Abb. 16: Bestandteile des effektiven CO2-Satzes. Quelle: OECD (2016).

misst die effektiven CO2-Sätze auf Energieträger im Jahr 2012, d. h. die aus Steuern und Emissionshandel resultierenden Preise für energiebedingte CO2-energiebedingte Emissionen in 41 OECD- und G20-Ländern. Die 41 Länder verantworten zusammen 80 % des globalen Energieverbrauchs und der globalen CO2-Emissionen. Bezüglich Steuern wird CO2 dabei sowohl durch sogenannte CO2-Steuern als auch durch spezifische Verbrauchssteuern, die auf Energieträger erhoben werden, bepreist, siehe Abb. 16. Letztere sind allgemein der wichtigste Bestandteil der effektiven CO2-Sätze.

1 Zu niedrige CO2-Sätze in OECD- und G20-Staaten Häufig sind die CO2-Sätze gleich null oder sehr niedrig. In den 41 betrachteten Ländern haben 60 % der energiebedingten Emissionen keinen Preis. Gibt es einen Preis für CO2-Emissionen, so ist dieser in der Regel gering. Der Schaden, den eine Tonne CO2 für die Gesellschaft verursacht, kann konservativ geschätzt mit mindestens 30 Euro angesetzt werden (Alberici et al., 2014; Centre d’analyse stratégique, 2009; Rogelj et al., 2015; Smith and Braathen, 2015). Nur 10 % der untersuchten CO2-Emissionen unterliegen einem effektiven CO2-Satz von 30 Euro je Tonne CO2 oder mehr. Mit anderen Worten wird die Bepreisung von 90 % der Emissionen nicht einmal der Mindestanforderung gerecht, den durch sie verursachten Schäden zu entsprechen. In allen betrachteten Ländern sind die effektiven CO2-Sätze außerhalb des Straßenverkehrssektors besonders niedrig: 70 % der Emissionen werden dort überhaupt nicht bepreist, und nur für 4 % beträgt der effektive CO2-Satz über 30 Euro je Tonne CO2. Im Industriesektor, auf den ein Drittel aller energiebedingten CO2Emissionen in den betrachten Ländern entfallen, werden 74 % aller Emissionen nicht bepreist, und nur 2 % mit mehr als 30 Euro pro Tonne CO2 (Abb. 17). Ähnliche Bilder zeigen sich für den Elektrizitätssektor, der ein weiteres Drittel der energiebe-

Effektive CO2-Sätze – Bepreisung von CO2 durch Steuern und Emissionshandel

2%3%

46 % 48 %

2% EUR 0 EUR 0–5 EUR 5–30 EUR >30 pro Tonne CO2

EUR 0 EUR 0–5 EUR 5–30 EUR >30 pro Tonne CO2

12 % 12 % 74 %

Straβenverkehr

Industrie

4%

3%

EUR 0 EUR 0–5 EUR 5–30 EUR >30 pro Tonne CO2

19 % 13 % 64 %

Elektrizität

99

5%

EUR 0 EUR 0–5 EUR 5–30 EUR >30 pro Tonne CO2

11 %

80 %

Gewerbe und Haushalte

Abb. 17: Effektive CO2-Sätze in einzelnen Sektoren. Quelle: Eigene Abbildung basierend auf OECD (2016).

dingten Emissionen verursacht, wie auch für den Gewerbe- und Haushaltssektor, der für weitere 15 % der Emissionen verantwortlich ist. Außerhalb des Straßenverkehrssektors sind spezifische Steuern auf den Energieverbrauch der wichtigste Bestandteil der effektiven CO2-Sätze. 23 % der energiebedingten Emissionen unterliegen solchen Steuern, wobei die spezifischen Steuersätze im Durchschnitt über dem Niveau der reinen CO2-Steuern und der Preise aus handelbaren Emissionsrechten liegen. Emissionshandelssysteme spielen ebenfalls eine wichtige Rolle: Durch sie erhöht sich der Anteil der CO2-Emissionen, für die ein Preis gezahlt wird, auf 30 %. Im Straßenverkehr, der 15 % der energiebedingten Emissionen in den 41 Ländern verursacht, sind die effektiven CO2-Sätze vergleichsweiche hoch. 46 % der Straßenverkehrsemissionen sind mit einem Preis von über 30 Euro je Tonne CO2 belegt, und nur 2 % haben keinen Preis. Diese Sätze gehen fast vollständig auf spezifische Kraftstoffsteuern für den Straßenverkehr zurück, bei denen das Hauptmotiv für die Einführung im Allgemeinen ein Anderes als der Klimaschutz ist. Kraftstoffsteuern können den Kosten der Luftverschmutzung sowie in gewissem Maße auch der Verkehrsbelastung Rechnung tragen, was Steuersätze von deutlich über 30 Euro je Tonne CO2 rechtfertigt.

100

Florens Flues, Johanna Arlinghaus, Luisa Dressler und Kurt Van Dender

2 Deutliche Unterschiede in der Bepreisung von CO2 zwischen Ländern Die effektiven CO2-Sätze variieren deutlich zwischen Ländern. Besonders sichtbar ist dies für die Sektoren außerhalb des Straßenverkehrs, siehe Abb. 18. Während Australien, Chile, Indonesien, Mexiko und Russland in diesen Sektoren so gut wie keine CO2-Emissionen bepreisen, liegt der Anteil der bepreisten CO2-Emissionen in Israel, Italien und Korea bei über 90 %. Die Niederlande, die Schweiz und Dänemark bepreisen den höchsten Anteil an Emissionen über 30 Euro pro Tonne CO2. Auch wenn man die 41 untersuchten Länder einzeln betrachtet, wird CO2 deutlich stärker im Straßenverkehr als in den anderen Sektoren bepreist. Alle Länder bepreisen mindestens 80 % aller Emissionen und lediglich acht Länder (Brasilien, Indien, Indonesien, Kanada, Mexiko, Neuseeland, Russland, und die USA) bepreisen weniger als 90 % der Straßenverkehrsemissionen mit weniger als 30 Euro pro Tonne CO2.

Anteil der Emissionen mit effektiven CO2-Satz 100% EUR>30 90%

EUR 5-30

EUR 0-5 pro Tonne CO2

80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 57%

42%

39%

37%

35%

26%

22%

21%

20%

19%

18%

18%

16%

12%

8%

8%

5%

5%

CH M L E USX BRA A IN D ID N RU HU S N IS L LU X NZ CA L N PR T CZ E ZA F JP N FR A PO AR L CHG AUN KOS R BE L ES T TU GBR ESR P IR L SV N IS R SW NO E GRR C ITA SV K AU T FI N DE DNU CHK NL E D

0%

4%

10%

Abb. 18: Anteile der bepreisten CO2-Emissionen in allen Sektoren außerhalb des Straßenverkehrs. Quelle: Eigene Abbildung basierend auf OECD (2016).

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Effektive CO2-Sätze – Bepreisung von CO2 durch Steuern und Emissionshandel

3 Niedrigere CO2-Emissionen der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung bei umfassenderer CO2-Bepreisung

Anteil der Emissionen mit einem Preis größer EUR 30 pro Tonne CO2

Die vorhergehenden Paragraphen haben gezeigt wie unterschiedlich Länder CO2 bepreisen. Mikroökonometrische Studien belegen, dass höhere CO2 Preise zu niedrigeren Emissionen führen (Martin et al., 2016; Arlinghaus, 2015). Somit stellt sich die Frage ob sich dieser Zusammenhang auch auf Länderebene zeigt. Abb. 19 zeigt, dass ein höherer Anteil an mit über 30 Euro bepreisten CO2-Emissionen mit einer prozentual deutlich niedrigeren CO2-Intensität der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung, oder in anderen Worten des Bruttoinlandprodukts (BIP), einhergeht. Im Durchschnitt sinkt die CO2-Intensität um rund 1.3 %, wenn sich der Anteil der über 30 Euro bepreisten CO2-Emissionen um einen Prozentpunkt erhöht. Der inverse Zusammenhang zwischen dem Anteil bepreister CO2-Emissionen über 30 Euro und der CO2-Intensität der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung drückt nicht unbedingt einen kausalen Effekt in eine Richtung aus. Eine niedrigere

1

.8

LUX

.6

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BRA

200

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400

IND

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800

CO2 -Intensität des BIP in Tonnen CO2 pro Millionen USD Abb. 19: Anteile der über 30 Euro pro Tonne bepreisten CO2-Emissionen im Vergleich zur CO2-Intensität der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung (BIP). Quelle: Eigene Abbildung basierend auf OECD (2016).

1000

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Florens Flues, Johanna Arlinghaus, Luisa Dressler und Kurt Van Dender

CO2-Intensität der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung kann das Resultat von höheren CO2-Sätzen sein, die zu höherer Energieeffizienz und niedrigeren Emissionen führen. Es mag aber ebenso sein, dass Länder mit einer hohen gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung es einfacher finden CO2 zu bepreisen. Dies berücksichtigt, zeigen empirische Studien eindeutig, dass höhere CO2-Preise Emissionen mindern, und die Verringerung der CO2-Intensität ist eine Möglichkeit dafür.

4 Wie lässt sich die CO2-Preislücke schließen? Die „CO2-Preislücke“ ist ein synthetischer Indikator, der anzeigt, inwieweit die effektiven CO2-Sätze vom Ziel einer Bepreisung der CO2-Emissionen mit 30 Euro je Tonne CO2 entfernt sind. Wenn alle Emissionen mindestens mit einem Preis von 30 Euro je Tonne CO2 belegt sind, ist die CO2-Preislücke gleich null. Wären alle Emissionen unbepreist, betrüge sie 100 %. Derzeit beläuft sich die CO2-Preislücke für die Gesamtheit der 41 betrachteten Länder auf 80,1 %, siehe Abb. 20 links. Die dunkelgraue Fläche zeigt den Anteil aller Emissionen in den 41 Ländern, der einen CO2-Preis erhält. Dafür werden alle Emissionen, unbeachtet ihrer Herkunft, von links nach rechts gemäß ihres CO2-Satzes aufgetragen. Die vertikale Achse gibt dabei den genauen CO2-Satz an. Die dunkelgraue Fläche zeigt somit die Verteilung der CO2-Sätze bis zu einem Satz von 30 Euro in den 41 Ländern an. Die hellgraue Fläche zeigt das Ausmaß, zu dem Emissionen noch nicht mit 30 Euro je Tonne CO2 belegt sind. Um diese Lücke zu schließen, müssten alle Emissionen mit mindestens 30 Euro bepreist werden. Wenn das Niveau und der Erfassungsgrad der CO2-Preise soweit stiegen, dass sie wenigstens den aktuellen Medianwerten der verschiedenen Wirtschaftsbereiche entsprächen, verringerte sich die CO2-Preislücke auf 53,1 % (Abb. 20 rechts). In anderen Worten, die CO2-Preislücke sänke deutlich, wenn jedes Land in jedem Sektor, in dem es CO2 unter dem Niveau des jeweilig mittleren Landes bepreist, oder in dem es weniger Emissionen mit einem Preis belegt als das jeweilig mittlere Land, zu den Ländern in der vorderen Hälfte aufschlösse. Das bedeutet, dass bei der CO2Bepreisung wesentliche Fortschritte erzielt werden können, wenn die Sätze dort angehoben werden, wo sie derzeit niedrig sind, und wenn dort, wo sie derzeit bei null liegen, Preisinstrumente eingeführt werden. Dadurch werden die CO2-Preise stärker vereinheitlicht und die Kosteneffizienz steigt. Besonders lohnt es sich, die effektiven CO2-Sätze außerhalb des Straßenverkehrs, insbesondere in der Industrie, in der Stromerzeugung sowie dem Gewerbeund Haushaltssektor, anzuheben. In diesen Bereichen werden nichtmineralölbasierte Energieträger in der Regel geringer besteuert als Mineralölprodukte. Zudem lohnt es, CO2 verstärkt in jenen Ländern zu bepreisen, in denen die effektiven CO2Sätze für alle Energieverbrauchsformen niedrig sind, auch wenn dies in einigen Fällen Forderungen nach Transfers zwischen den Ländern auslösen könnte. Mit

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Effektive CO2-Sätze – Bepreisung von CO2 durch Steuern und Emissionshandel

Effektiver CO2-Satz (EUR/tCO2)

Effektiver CO2-Satz (EUR/tCO2)

30

30

20

20

53.1% Unbepreiste Emissionen

80.1% 10

10 Unbepreiste Emissionen

0 0%

25%

Bepreiste Emissionen 50%

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% an CO2-Emissionen aller 41 Länder

100%

Bepreiste Emissionen 0 0%

25%

50%

75%

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% an CO2-Emissionen aller 41 Länder

Abb. 20: CO2-Preislücke: Status-Quo (links) und unter Annahme, dass jedes Land in jedem Sektor zur vorderen Hälfte der Ländergruppe bezüglich CO2-Satz und Anteil bepreister Emissionen aufschließt (rechts). Quelle: OECD (2016).

einem derartigen graduellen Ansatz können einheitlichere CO2-Preise gewährleistet werden, womit sich der Spielraum für eine kostengünstige Emissionsminderung vergrößert. Kosteneffizienz ist stets zu begrüßen. Wenn die Emissionsziele ambitionierter werden, wird sie sogar unverzichtbar. Fortschritte bei der CO2-Bepreisung können durch Steuern oder Emissionshandelssysteme erzielt werden. CO2-Preismechanismen können aber von anderen Emissionsminderungsmaßnahmen begleitet werden. Im Idealfall sollte die CO2Bepreisung das wichtigste Instrument zur Förderung von Emissionsminderungen sein, denn eine Dominanz regulatorischer oder sonstiger Maßnahmen kann die Kosteneffizienz beeinträchtigen. Emissionshandelssysteme können den Vorteil haben, politisch leichter durchsetzbar zu sein, vor allem wenn sie mit einer kostenlosen Zuteilung von Emissionsrechten kombiniert werden. Voraussetzung für nachhaltige Fortschritte im Hinblick auf eine wirksame CO2-Bepreisung sind jedoch höhere und stabilere Preise, als sie derzeit in den Emissionshandelssystemen zu beobachten sind. Außerdem bedarf es größerer Anstrengungen zur Erzielung der Einnahmen wie auch produktiverer Formen der Verwendung der Einnahmen aus Steuern und versteigerten Emissionszertifikaten. Steuern einzusetzen, dürfte in verwaltungstechnischer Hinsicht der einfachste Ansatz sein, da CO2-Steuern häufig in bereits bestehende Systeme eingebaut werden können. Zugleich dürfte dies auch die wirtschaftlich wirksamste Methode sein, da es nicht immer einfach ist, gut funktionierende Emissionsmärkte zu schaffen.

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Florens Flues, Johanna Arlinghaus, Luisa Dressler und Kurt Van Dender

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Christian Schubert

Grüne Nudges 1 Einleitung Die als Verhaltensökonomik („Behavioral Economics“) bekannt gewordene psychologisch informierte Ökonomik ist inzwischen in aller Munde.1 Sie macht in der Öffentlichkeit vor allem mit einigen recht speziellen Politikempfehlungen von sich reden: Der sogenannte „Libertäre Paternalismus“ schlägt vor, allerlei gesellschaftliche Probleme mit Hilfe von „Nudges“ – zu deutsch „Stupser“ – zu bewältigen (Thaler und Sunstein 2008; Sunstein 2014; Sunstein 2016).2 Dieses z. T. kontrovers diskutierte politische Programm hat insbesondere im angelsächsischen Raum Aufsehen erregt und dort auch bereits staatliche Regulierungspolitik beeinflusst (Rebonato 2012). In diesem Kapitel soll ein auf den ersten Blick eher wenig kontroverses Anwendungsfeld von Nudges diskutiert werden: Grüne Nudges werden mit dem Ziel eingesetzt, die Individuen auf „sanfte“ Weise in Richtung umweltfreundlichen Handelns zu bewegen.3 Das geschieht, indem Details des Handlungskontextes – der sogenannten Entscheidungsarchitektur (choice architecture) – so verändert werden, dass bekannte psychologische „Verzerrungen“ (Biases) seitens der zu beeinflussenden „Nudgees“ ausgenutzt werden. Unverändert bleiben jedoch monetäre Anreize und die Optionenmenge selbst; folglich bliebe ein Homo Oeconomicus von Nudges unbeeinflusst (Thaler und Sunstein 2008: 8).4 Beispielsweise lässt sich die als Status quo Bias bekannte Beharrungstendenz ausnutzen, indem die Standard- oder Voreinstellung (welche bestimmt, was geschieht, wenn das Individuum keine aktive Entscheidung treffen will) modifiziert wird. Derlei bewusste Änderungen des Defaults gelten als besonders effektives Beispiel von Nudging. Wichtig erscheint der Hinweis, dass genuine Nudges stets hin-

1 Nützliche Überblicksaufsätze sind z. T. Camerer und Loewenstein (2004) sowie Della Vigna (2009). Kurzgefasst geht es darum, das Modell ökonomischen Handelns „realistischer“ zu fassen, indem insbesondere angenommen wird, dass reale Individuen beschränkte mentale Ressourcen haben, d. h. beschränkte kognitive Fähigkeiten, Aufmerksamkeit und Willenskraft. 2 Vgl. auch Thaler und Sunstein (2003), Sunstein und Thaler (2003). 3 Teile dieses Kapitels basieren auf Schubert (2017a). Weitere nützliche Überblicksaufsätze zu grünen Nudges (z. T. freilich mit konzeptionellen Unstimmigkeiten) sind Weber (2013), Croson und Treich (2014: 337–342), Ölander and Thøgersen (2014), sowie Lehner et al. (2016). 4 Die „choice architecture“ sollte man sich als die Menge aller physischen, sozio-ökonomischen und institutionellen Faktoren vorstellen, die das Handeln eines Individuums zu einem gegebenen Zeitpunkt auf irgendeine Weise beeinflussen. Insbesondere umfasst der Begriff Faktoren wie das „Framing“ von Handlungsalternativen, die aus standardökonomischer Sicht irrelevant sein müssten. https://doi.org/10.1515/9783110525762-007

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Christian Schubert

reichend transparent sein müssen, um dem Vorwurf der Manipulation zu begegnen (Thaler und Sunstein 2008: 244) – allerdings ist der Begriff der „Transparenz“ nicht selbsterklärend, und der in diesem Zusammenhang im Buch Nudge vorgeschlagene Maßstab ist vielfach kritisiert worden (z. T. Bovens 2009, Hansen 2016). Wir abstrahieren im Folgenden aber von den Details dieser eher technischen Debatte. Dieses Kapitel liefert einerseits einen konzisen Überblick über die wichtigsten bislang in der Literatur analysierten Grünen Nudges. Zum anderen schlägt es einen konzeptionellen Rahmen vor, mit dem sich die ethische Qualität grüner Nudges in der Praxis zumindest insofern beurteilen lässt, als er dazu anregt, die richtigen Fragen zu stellen. In der Zusammenschau erlauben die beiden Teile dieses Kapitels Schlussfolgerungen darüber, unter welchen Bedingungen grüne Nudges sowohl wirksam als auch aus ethischer Sicht akzeptabel sind.5 Das Kapitel ist wie folgt aufgebaut. Abschnitt 2 schlägt zunächst eine präzise Definition von (grünen) Nudges sowie eine Taxonomie dieser Instrumente vor. Die Abschnitte 3 bis 5 diskutieren die drei wichtigsten Unterarten grüner Nudges: solche, die an das Selbstbild der Individuen appellieren; solche, die sozialen Konformismus ausnutzen; sowie solche, die auf der Modifikation von Defaults beruhen. Abschnitt 6 stellt den konzeptionellen Rahmen vor, der im Sinne einer Heuristik helfen soll, die ethische Qualität grüner Nudges zu beurteilen, und Abschnitt 7 enthält einige Schlussfolgerungen.

2 Zur Definition und Taxonomie von (grünen) Nudges Zunächst lassen sich Nudges nach den verfolgten Zielen unterscheiden: Sie können entweder paternalistisch oder nicht-paternalistisch eingesetzt werden. Im ersteren Fall geht es darum, mittels einer Intervention in den Entscheidungskontext die

5 Vgl. Zur gegenwärtigen politischen Relevanz grüner Nudges etwa das OECD-Projekt „Behavioral and experimental economics for environmental policy“, www.oecd.org/environment/tools-evaluation/ behavioural-experimental-economics-for-env-policy.htm, sowie OECD (2012), Lissowska (2011); für die EU der Bericht aus dem Jahr 2012 der GD Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, ‚Green Behavior‘: http://ec.europa.eu/environment/integration/research/newsalert/pdf/FB4_en.pdf. Für Großbritannien, siehe den Bericht der bekannten „Nudge Unit“ (‚Behaviour change and energy use‘), in Behavioural Insights Team (2015), sowie auch RAND Europe (2012), Dolan et al. (2012), und v. a. Halpern (2015). Für Frankreich siehe Oullier and Sauneron (2011), und für Deutschland Purnhagen und Reisch (2016). Hilfreiche Online-Ressourcen zu Nudges generell bietet der Behavioral Science Blog der Universität Stirling, http://economicspsychologypolicy.blogspot.com/. Siehe zudem http:// inudgeyou.com/en (Dänemark) und die norwegische GreeNudge Foundation, www.greenudge.no/. (Alle Webseiten besucht 03. 12. 2016).

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Wohlfahrt des adressierten Individuums selbst zu erhöhen;6 im letzteren Fall hingegen geht es darum, die soziale Wohlfahrt zu erhöhen, indem Individuen dazu bewogen werden, Beiträge zur Produktion von Kollektivgütern zu leisten. Im Einzelfall kann die Einordnung konkreter Nudges kontrovers sein, und eine Reihe auf den ersten Blick paternalistisch motivierter Nudges lassen sich – zumindest partiell – auch nicht-paternalistisch rechtfertigen (Guala und Mittone 2015).7 Der Einfachheit halber werden wir im Folgenden und insbesondere in Abschnitt 6 grüne Nudges als nicht-paternalistischen Anwendungsfall ansehen. Zur genauen Definition von Nudges gibt es inzwischen eine eigene Subliteratur, was auch der Tatsache geschuldet ist, dass die quasi „offizielle“ Definition, die Thaler und Sunstein (2008) selbst anbieten, erstens von anderen Definitionen abweicht, die die beiden Autoren (v. a. aber Sunstein) andernorts vorgeschlagen haben, und zweitens in sich widersprüchlich ist. Ich werde die Leserin hier nicht mit den relativ technischen Details dieses Problems langweilen, sondern nur vorschlagen, Nudges wie folgt zu verstehen: Als zielgerichtete, bewusst durchgeführte Modifikationen der Entscheidungsarchitektur, die das Handeln realer (beschränkt rationaler) Individuen verändern, nicht aber das Handeln eines unvollständig informierten Homo Oeconomicus. Der Zusatz „bewusst durchgeführt“ verweist auf die politische Dimension von Nudges, die nicht mit der Entscheidungsarchitektur selbst verwechselt werden sollten.8 Der Zusatz „unvollständig informiert“ dient dazu – Rebonato (2012) und Hansen (2016) folgend – Maßnahmen bloße neutraler Informationsvermittlung von eigentliche Nudges abzugrenzen. Sunstein selbst versucht häufig, ethisch vollkommen unbedenkliche Instrumente wie Navigationssysteme und GPS als „Nudges“ zu vermitteln, um ethische Einwände gegen Nudging abzuwehren. Dem eigentlich originellen Beitrag des Nudging-Konzepts zum regulatorischen Werkzeugkasten wird das aber natürlich nicht gerecht. Ebenso sollten Maßnahmen, die allein der „rationalen Überzeugung“ von Konsumenten dienen, nicht als Nudges angesehen werden (Hausman und Welch 2010). Relativ unstrittig ist, dass es sich bei folgenden Instrumenten um Nudges handelt: Änderungen von Voreinstellungen bzw. Defaults; Verweise auf das Handeln Dritter, z. T., in Mahnschreiben der Steuerbehörden; „Schockbilder“ auf Zigarettenschachteln bzw. am Rand von Schnellstraßen; manipulierte Straßenmarkierungen – etwa nahe gefährlicher Kurven – um Autofahrer zu einer umsichtigeren Fahr-

6 Paternalistisch ist eine Maßnahme, insoweit sie (a) ohne dessen Zustimmung (b) in die Autonomie eines Individuums eingreift, mit dem Ziel bzw. Motiv, dessen Wohlfahrt zu erhöhen (Dworkin 2016). Man beachte, dass die idiosynkratischen (und widersprüchlichen) Paternalismusbegriff, die Thaler und Sunstein (2008: 5) bzw. Sunstein (2014: 53 f.) verwenden, davon abweichen. 7 Aber vgl. Schnellenbach (2012) zu einer gegenteiligen Auffassung. 8 Insofern sind Behauptungen von Sunstein selbst, etwa zuletzt in Sunstein (2016: 35 und passim), dass „Nature nudges“, irreführend. Sie dienen offenbar dazu, die angebliche „Unvermeidbarkeit“ von Nudging zu demonstrieren, was für die ethische Bewertung natürlich von zentraler Bedeutung wäre.

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weise zu verleiten; Modifikationen des physischen Layouts von Cafeterias oder Buffets, um z. T. die Wahl „gesunder“ Lebensmittel zu stimulieren, sowie kurze „Cooling-off“-Perioden, etwa bei sogenannten Haustürgeschäften. Da nicht nur die Literatur zu Nudges insgesamt, sondern auch jene zu grünen Nudges rasch wächst und jeder Versuch eines umfassenden Überblicks vergeblich wäre, beschränke ich mich im Folgenden auf jene drei Anwendungsarten, die nach meinem Eindruck die größte Rolle in der Diskussion spielen: – Grüne Nudges, die den Wunsch der Konsumenten ausnutzen, ein möglichst attraktives Selbstbild (hier: mittels umweltfreundlichen Handelns) aufrechtzuerhalten – indem sie z. T. Produktinformationen vereinfachen oder die „Salienz“ bestimmter (hier: ökologisch relevanter) Produkteigenschaften erhöhen.9 – Grüne Nudges, die die Neigung realer Verbraucher ausnutzen, der „Herde zu folgen“, d. h. das Verhalten bestimmter Referenzgruppen nachzuahmen – etwa indem bestimmte (hier: umweltfreundliches Handeln induzierende) soziale Normen vermittelt werden. – Grüne Nudges, die die Verhaltenseffekte der Modifikation bestimmter Voreinstellungen ausnutzen. Wie auch im Falle der Abgrenzung paternalistischer von nicht-paternalistischen Nudges mag die präzise Einordnung eines konkreten Nudges gelegentlich strittig sein – das betrifft v. a. den „Graubereich“ zwischen der oben genannten ersten und der zweiten Teilmenge grüner Nudges. Mein Vorschlag: Grüne Nudges zählen dann zu Gruppe 2, sobald ihr Handlungseffekt davon abhängt, dass das betreffende Handeln für andere Individuen erkennbar ist. Schauen wir uns die verschiedenen Gruppen grüner Nudges genauer an, beginnend mit jenen, die auf das Selbstbild von Verbrauchern abstellen.

3 Verbrauchern liegt an ihrem Selbstbild Insoweit umweltfreundliches Handeln in dem betreffenden kulturellen Kontext positiv konnotiert ist, lassen sich grüne Nudges verwenden, die auf das schon von Adam Smith (1759/2009) beobachtete Bedürfnis realer Menschen abstellen, ein attraktives Selbstbild zu pflegen – und zwar dadurch, dass sie sich selbst gegenüber bestimmten Präferenzen Ausdruck verleihen. Dies kann man (zum Beispiel) auf

9 „Salient“ ist eine Produkteigenschaft, wenn sie aus irgendeinem Grund relativ zu anderen Eigenschaften „heraussticht“ bzw. besonders auffällig ist. Technisch ausgedrückt, bezieht sich Salienz auf das Phänomen, dass „when one’s attention is differentially directed to one portion of the environment rather than to others, the information contained in that portion will receive disproportionate weighting in subsequent judgments“ (Taylor und Thompson 1982: 175).

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dreierlei Weise erreichen: Man kann die Kommunikation bestimmter Produktinformationen vereinfachen; man kann – mittels Öko-Labelling – die „Salienz“ ökologisch relevanter Produktcharakteristika steigern; oder man kann das Bedürfnis realer Menschen nach Ausdruck „sozialer Identität“ ausnutzen.

3.1 Vereinfachung „grünen“ Handelns Aus der Verhaltensökonomik wissen wir, dass reale Individuen Informationen vollkommen anders verarbeiten als es ein Homo Oeconomicus tun würde. Zum Beispiel vernachlässigen sie regelmäßig Informationen zur langfristigen Kosteneffizienz bestimmter Produkte. Auch nehmen sie Information selektiv auf: Jene, die etwa die eigenen ideologischen Vorurteile zu bestätigen scheint, wird typischerweise stärker gewichtet als jene, die die Vorurteile in Frage zu stellen droht. Vor allem der Umgang mit probabilistischer Information weicht regelmäßig vom Maßstab des statistisch korrekten „Bayesian Updating“ ab. In unserem Zusammenhang ist nun wichtig, dass Informationen bezüglich ökologisch relevanter Produkteigenschaften oft auf eine Art und Weise kommuniziert werden, die diese Verarbeitungsprozesse nicht berücksichtigt. Oft werden Verbraucher von Informationsmassen „erschlagen“ und ignorieren sie konsequenterweise. Damit stellt sich in unserem Zusammenhang die Frage, „how to structure information in an appropriate way so as to encourage pro-environmental behavior“ (Artinger et al. 2015: 207). Natürlich kann auch einer der Klassiker des Nudging, die Modifikation der Auslagen einer Cafeteria (Thaler und Sunstein 2008: 1–3) als grüner Nudge des hier gemeinten Typs fungieren – schließlich trägt der Konsum von Fleisch indirekt erheblich zum Klimawandel bei. Das Redesign der Auslagen verringert den mentalen Aufwand, den umweltbewusste Gäste leisten müssen, um ihren ökologischen „Metapräferenzen“ zu folgen. Nudges können indes noch mehr: Wie Kallbekken und Sælen (2013) zeigen, lässt sich die Erzeugung von „Essensmüll“ am Frühstücksbuffet von Hotels reduzieren, wenn die Entscheidungsarchitektur der Gäste verändert wird – etwa durch kleinere Teller oder Gläser.

3.2 Öko-Labels Öko-Labels sind ein Schlüsselinstrument, um Verbraucher auf umweltrelevante Eigenschaften von Produkten aufmerksam zu machen. Sie gelten als Nudges, sobald sie nicht vollkommen neutral gestaltet sind, sondern bewusst psychologische Erkenntnisse etwa zur Lenkung der knappen Ressource Aufmerksamkeit nutzen. Ein besonders gut erforschtes Gebiet sind Labels zur Kraftstoffeffizienz von PKW: Den relevanten Informationen mangelt es offenkundig an „Salienz“, so dass sich die Aufgabe stellt, die begrenzte Aufmerksamkeit der Verbraucher auf sie zu lenken (z. T. Sunstein 2014: 65–67, 140–142). Im Bereich des Stromverbrauchs priva-

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ter Haushalte bietet sich die sogenannte „Ambient Orb“ an, eine kleine Plastikkugel, die abhängig von Echtzeitdaten zum Energieverbrauch entweder grün oder rot leuchtet, je nachdem wie stark das lokale Stromnetz gerade in Anspruch genommen wird. Analog könnten Haushalte über ihren CO2-Fußabdruck aufgeklärt werden – was nebenbei dazu beitragen könnte, den Medianwähler besser zu informieren, etwa über die negativen Effekte des täglichen Milchkonsums in Relation zur Autofahrt zum Arbeitsplatz (Van der Linden et al. 2015). Um zukünftig effektive Ökolabels zu gestalten ist es wichtig, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Beispielsweise hatte die EU 1995 ein verpflichtendes ÖkoLabel-System für elektrische Haushaltsgeräte eingeführt, das vorsah, die Geräte mittels einer farbigen 7-Punkte-Skala nach ihrer Energieeffizienz zu bewerten, von der Bestnote A (grün) bis hin zur schlechtesten Note G (rot). Nachdem um 2003 ca. 90 % aller verkauften Geräte die Stufe A erreicht hatten, entschloss man sich, das System zu modifizieren: Jenseits der alten A-Note wurden zusätzliche Stufen eingeführt, von „A+++“ bis hin zu „A+“. Die erwünschten Wirkungen auf das Konsumverhalten blieben jedoch weitgehend aus: Die Verbraucher nahmen alle „A“Stufen als im Wesentlichen gleichwertig wahr. Technisch ausgedrückt: Sie nahmen „A“ als neuen Referenzpunkt bzw. „Anker“ wahr – zwischen „A+++“ und „A+“ wurde demgemäß kaum ein Unterschied erkannt.10 Wichtig erscheint schließlich die Beobachtung, dass die Empfänglichkeit für derlei grüne Nudges auch von der ideologischen Orientierung der betroffenen Haushalte abzuhängen scheint: Gromet et al. (2013) z. T. berichten, dass politisch konservative Verbraucher mit geringerer Wahrscheinlichkeit eine (kurzfristig teurere) energieeffiziente Glühbirne kaufen, wenn diese als „umweltfreundlich“ etikettiert wurde, als wenn dies nicht der Fall war.

3.3 Ansprache sozialer Identität Grünes Nudging kann auch dazu dienen, Individuen dazu zu bewegen, weniger Müll zu produzieren bzw. ihren Müll nicht „wild“ zu deponieren. Einer der erfolgreichsten grünen Nudges – avant la lettre – ist die „Don’t mess with Texas“-Kampagne, die 1986 lanciert wurde und die wilde Abfallentsorgung entlang der texanischen Highways in den Jahren bis 1990 um rund 70 % reduzierte (Mols et al. 2015: 93). Der Slogan sprach weniger die Ratio als vielmehr den Lokalpatriotismus v. a. junger männlicher Texaner – deren soziale Identität – an, indem er Umweltverschmutzung als etwas darstellte, was „echte“ Texaner nicht tun. Auf diese Weise trug dieser Nudge dazu bei, eine bestimmte soziale Norm zu internalisieren (ebd.).

10 Vgl. Ölander und Thøgersen (2014) sowie für Deutschland Heinzle und Wüstenhagen (2012).

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3.4 Verbraucher folgen der Herde Allgemein hat die – unmittelbare oder mittelbare – Wahrnehmung dessen, was andere Individuen tun, einen signifikanten Einfluss auf das persönliche Handeln (Nolan et al. 2008) – diese tief verwurzelte Neigung zu sozialem Konformismus ist vielleicht sogar der zentrale Beitrag der Verhaltensökonomik zur modernen sozialwissenschaftlichen Forschung (Gowdy 2008).11 Diese Neigung kann man auf vielfältige Art und Weise für umweltpolitische Ziele nutzbar machen. Man kann z. T. soziale Normen bezüglich „erwünschten“ Verhaltens mittels sogenannter „Peer comparisons“ kommunizieren (4.1), was im hier interessierenden Kontext indes nicht immer den gewünschten Effekt hat (4.2), oder man kann Verbraucher dazu ermuntern, ihr umweltfreundliches Handeln im Rahmen einer Art Statuswettbewerb selbst offenzulegen (4.3).

3.5 „Peer comparisons“ Zunächst einmal gilt es zu unterscheiden zwischen „deskriptiven Normbotschaften“, die schlicht und einfach auf die Existenz einer bestimmten sozialen Norm im Umfeld der angesprochenen Verbraucher hinweisen, und „normativen Botschaften“, die direkt eine bestimmte Wertung des beobachteten Handelns transportieren.12 Der Schwerpunkt der gegenwärtigen Forschung zu grünen Nudges liegt eindeutig auf ersteren. Ein besonders prominent analysierter Anwendungsfall betrifft das in Arlington im US-Bundesstaat Virginia angesiedelte Unternehmen Opower. Es bietet Stromversorgern an, mit Hilfe schriftlicher Vergleichsdaten zum Stromverbrauch private Haushalte dazu zu bewegen, Strom zu sparen.13 Im Rahmen eines von Allcott (2011) beschriebenen Feldexperiments wurde seit 2008 das Konsumverhalten von rund 600.000 Haushalten in den USA erfasst. Die Mitglieder der Treatment-Gruppe erhielt in regelmäßigen Abständen (mindestens vierteljährlich) sogenannte Home Energy Reports, die ihren eigenen Stromverbrauch relativ zu dem ihrer unmittelbaren Nachbarn (anonymisiert) darlegten. Insgesamt erwiesen sich deskriptive Normbotschaften dieser Art als moderat erfolgreich: Relativ zur Kontrollgruppe reduzierten die Haushalte ihren Energieverbrauch um durchschnittlich 1,4 bis 3,3 %, was der Wirkung einer langfristigen Preiserhöhung um ca. 5 % entspricht (ebd.). Eine andere Fallstudie betrifft Versuche, auf indirektem Wege Wasserverschwendung zu verringern, indem man Hotelgäste dazu bewegt, ihre Handtücher

11 Nach weitverbreiteter Selbsteinschätzung der Verhaltensökonomen gebührt diese Auszeichnung hingegen die Erkenntnis, dass reale Menschen regelmäßig „Fehler“ machen. 12 Vgl. Cialdini und Trost (1998), die von „descriptive norms“ und „injunctive norms“ sprechen. 13 Gewinnmaximierende Unternehmen partizipieren an solchen Programmen, um Auflagen auf bundesstaatlicher Ebene einzuhalten (Allcott und Rogers 2014: 3004).

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mehrmals zu verwenden. Deskriptive Normbotschaften (zum Wert umweltbewussten Handelns) wie die bekannten Hinweisschilder in Hotelbadezimmern können dazu beitragen. Wie Goldstein et al. (2008) zeigen, kann man die Wirksamkeit dieser Hinweise steigern, indem man sie um ein Element von komparativen „peer comparison“ ergänzt, d. h. um einen Hinweis dazu, dass auch andere Hotelgäste sich „typischerweise“ für die umweltfreundliche Option entscheiden – und die Wirkung ließ sich sogar noch weiter steigern, wenn fälschlicherweise behauptet wurde, „75 %“ der anderen Gäste verhielten sich umweltfreundlich (vgl. aber Bohner und Schlüter 2014).14

3.6 Die Grenzen von „Peer comparisons“ Bei der Gestaltung grüner Nudges, die sich die Wirksamkeit von vergleichsbasierten deskriptiven Normbotschaften zunutze machen, sollte dreierlei beachtet werden. Erstens scheint der Effekt komparativer Botschaften wie der oben beschriebenen Home Energy Reports überschaubar zu sein – um genauer zu sein, scheint er einem zyklischen Muster von (energiesparendem) Handeln und Gegenreaktionen zu folgen, das langfristig aber abebbt (Allcott und Rogers 2014). Es braucht offenbar seine Zeit, bis Verbraucher umweltfreundliche Gewohnheiten ausbilden (vgl. auch Michalek et al. 2015). Zweitens ist die Reaktion privater Haushalte auf die beschriebenen grünen Nudges offenbar auch hier von ihren persönlichen ideologischen Einstellungen abhängig: In einer viel beachteten Studie weisen Costa und Kahn (2013) für den USBundesstaat Kalifornien nach, dass registrierte Demokraten signifikant stärker im gewünschten Sinne auf die Home Energy Reports reagierten als registrierte Republikaner. Letztere werteten die Intervention auch mit größerer Wahrscheinlichkeit als „nutzlos“. Derlei Evidenz liefert natürlich wertvolle Hinweise, wenn es darum geht, grüne Nudges zielgerichtet einzusetzen. Drittens berichten manche Autoren im Zusammenhang sowohl von Home Energy Reports als auch von Interventionen, die zu wassersparendem Verhalten anregen sollten, von einem „Bumerang-Effekt“: Einige jener Haushalte, die vor der Maßnahme unterdurchschnittlich viel Strom bzw. Wasser verbrauchten, erhöhten ihren Konsum nach Einführung der Maßnahme (Schultz et al. 2007). Aus der psychologischen Forschung ist seit langem bekannt, dass Individuen, wenn sie über das in ihrer Referenzgruppe „übliche“ bzw. „typische“ Verhaltensmuster informiert

14 Siehe Abschnitt 6, unten, zur ethischen Problematik falscher Behauptungen im Kontext grüner Nudges. Eine im Auftrag der EU-Kommission erstellte Metastudie kommt zum ernüchternden Ergebnis, dass direkte Appelle an das Umweltbewusstsein von Verbrauchern bestenfalls wirkungslos und schlimmstenfalls kontraproduktiv sind: „Don’t mention the environment when trying to make people act more green“ (Ecologic Institute 2015).

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werden, ihr eigenes Verhalten entsprechend anpassen. Aus einem etwas anderen Blickwinkel kann man diese Reaktion so rekonstruieren, dass die Haushalte das nun aufgedeckte Referenzhandeln zum Anlass nehmen, sich selbst eine „moralische Lizenz“ auszustellen, das die eigene Verhaltensanpassung legitimiert (z. T. Cialdini et al. 2006). Man kann diesem „Bumerang-Effekt“ begegnen, indem man z. T. Elemente normativer Botschaften einführt – etwa in Gestalt von Smileys, die den komparativen Hinweisen im Falle erwünschter Verhaltensweisen beigefügt werden (Allcott und Rogers 2014). Eine alternative Strategie besteht darin, deskriptive Normbotschaften – wie etwa jene im Hotelbadezimmer – sprachlich so zu gestalten, dass Quantifizierer verwandt werden, welche das Vorliegen von Gründen nahelegen, die für das gewünschte Handeln sprechen – etwa „mindestens“ statt „nur“ oder „mehr und mehr“ statt „höchstens“ (Demarque et al. 2015). Komparative Hinweise der beschriebenen Art sind inzwischen in einer Vielzahl von Kontexten ausprobiert worden, z. T. auch um Haushalte dazu zu bewegen, energiesparende Ventilatoren statt Klimaanlagen zu nutzen (Nolan et al. 2008) oder direkt den Wasserverbrauch zu senken (Ferraro und Miranda 2013).

3.7 Grüner Statuswettbewerb Schließlich lässt sich die Kraft sozialer Vergleiche für grünes Nudging nutzen, indem man Verbraucher dazu animiert, ihr eigenes umweltfreundliches Handeln im Rahmen einer Art Statuswettbewerb selbst offenzulegen. Das vielleicht bekannteste Beispiel ist die Nutzung umweltschonender PKW wie dem Toyota Prius (Sexton und Sexton 2014). Auch Sticker, die andere Verkehrsteilnehmer über den eigenen niedrigen Kraftstoffverbrauch informieren, sind hier zu nennen (Thaler und Sunstein 2008: 204 f.). Ein (noch) rein hypothetisches Beispiel wäre die Veröffentlichung der eigenen „Ambient Orb“-Daten über soziale Medien. Manchmal trennt nur ein Mausklick „Salienz“-basierte Nudges von jenen, die auf dem Wege des induzierten Statuswettbewerbs ihr Ziel zu erreichen versuchen. Die Wirksamkeit solcher künstlich induzierter „Rivalität“ im Umweltkontext ist verschiedentlich experimentell nachgewiesen worden (z. T. Bühren und Daskalakis 2015).

4 Die Macht grüner Voreinstellungen Die bewusste Modifikation von Voreinstellungen („Defaults“) – welche bestimmen, was geschieht, wenn eine aktive Entscheidung ausbleibt – gilt in der Literatur grundsätzlich als wirksamster grüner Nudge.

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4.1 Zwei Beispiele Pichert und Katsikopoulos (2008) demonstrieren die Wirkung solcher Modifikationen mit Hilfe zweier Labor- und zweier Feldexperimente. Das erste (und bekannteste) Feldexperiment findet bis heute in der kleinen Schwarzwaldgemeinde Schönau statt. Im Jahre 1998 veranlasste eine lokale Bürgerinitiative, dass der örtliche Energieversorger standardmäßig „grüne“ Energie, d. h. solche aus erneuerbaren Ressourcen bereitstellen sollte. Bis zum heutigen Tag beziehen rund 99 % der Haushalte im Ort „grünen“ Strom (Sunstein und Reisch 2014). Laborexperimente bestätigen die allgemeine Hypothese, dass Individuen eher dazu neigen, eine Option zu wählen, wenn diese in ihrer „Entscheidungsarchitektur“ als Standardeinstellung angeboten wird (Pichert und Katsikopoulos 2008).15 Ölander und Thøgersen (2014) berichten vom Einsatz „grüner Defaults“ bei der flächendeckenden Einführung von sogenannten Smart Grids in dänischen Haushalten. Smart Grids sind eine technische Voraussetzung für den Ausbau erneuerbarer Energieversorgung: Sie erlauben es Haushalten, ihren Stromverbrauch in Echtzeit zu verfolgen und Anbietern, die Preise adäquat der Nachfrage anzupassen. Die normativen Kosten sollen jedoch nicht verschwiegen werden: Smart Grids erlauben es zugleich dem Energieversorger, den Stromverbrauch direkt zu beobachten und zu kontrollieren, was man als Eingriff in die Privatsphäre werten mag.

4.2 Psychologische Faktoren Etwas vereinfacht sind es drei Faktoren, die die Effektivität grüner Default-Modifikationen erklären können und im Einzelfall komplementär oder substitutiv heranzuziehen wären: Trägheit, Verlustaversion und/oder implizite Empfehlung. Die Identifikation des konkreten Faktors, der im Einzelfall für die Verhaltenswirksamkeit einer Voreinstellung verantwortlich ist, ist dabei nicht nur von „technischem“ Interesse für das Design grüner Nudges – sie mag auch für die ethische Qualität derselben relevant sein, wie wir unten in Abschnitt 6 sehen werden. Zu den Faktoren im Einzelnen: – Offensichtlich spielt Trägheit eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, die Kraft von Defaults zu erklären. Individuen schrecken zuweilen davor zurück, sich mit komplexen Tradeoffs – wie etwa hier dem Tradeoff zwischen dem subjektiven Wert umweltfreundlichem Handeln und dem Grenznutzen von Geld – zu beschäftigen. Mit anderen Worten: Sie können – vollkommen rational – bestrebt sein, die damit verbundene „kognitive Steuer“ zu vermeiden. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Feldexperiment unter OECD-Beschäftig-

15 Ebeling und Lotz (2015) berichten über ein erheblich umfangreicheres Feldexperiment – in Gestalt eines randomized controlled trials – das rund 40.000 Kunden eines deutschen Energieversorgers umfasste und zu ähnlichen Ergebnissen führte.

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ten im Pariser Winter: Eine Reduktion der Büro-Thermostate um 1 Grad Celsius generierte eine erhebliche Einsparung von Energie; als die Zimmertemperatur jedoch um 2 Grad gesenkt wurde, rafften sich die Angestellten auf und stellten die Anlage zurück aufs Ausgangsniveau – ein stärkerer Nudge wirkt unter Umständen also schwächer als ein kaum spürbarer Nudge (Brown et al. 2013). Individuen wählen die Voreinstellung gegebenenfalls aufgrund von Verlustaversion, einem der bestdokumentierten „Biases“ der Verhaltensökonomik. Das ist dann der Fall, wenn die Voreinstellung als Referenzpunkt bzw. als „Ausstattung“ (endowment) wahrgenommen wird – ein Abweichen davon wirkt dann wie ein „Verlust“, den es zu vermeiden gilt. Für diesen Zusammenhang spricht z. T. die experimentelle Evidenz von Pichert und Katsikopoulos (2008), demzufolge die Akzeptanzbereitschaft der mit einem grünen Default konfrontierten Probanden (auf grünen Strom zu verzichten) erheblich höher ausfiel als ihre Zahlungsbereitschaft für grünen Strom.16 Eine Voreinstellung kann schließlich auch als implizite Handlungsempfehlung wahrgenommen werden (Mckenzie et al. 2006). Das scheint v. a. dann zu gelten, wenn es den Individuen an Erfahrung bzw. Expertise in einem gegebenen Bereich mangelt – was in unserem Zusammenhang nicht unplausibel erscheint. Wesentlich ist, dass das Vertrauen in den „Entscheidungsarchitekten“ dann eine zentrale Rolle spielt (Sunstein und Reisch 2014: 141). Für die Relevanz dieses dritten psychologischen Faktors spricht z. T., dass die Wirkung grüner Defaults mit zunehmender Expertise nachzulassen scheint: Löfgren et al. (2012) zeigen das anhand der begrenzten Wirkung eines grünen Defaults (bezüglich eines CO2-Ausgleichs) unter Teilnehmern einer Konferenz von Umweltökonomen in Göteborg im Jahre 2008.

5 Zur ethischen Qualität von (grünen) Nudges Angesichts der Popularität verhaltensökonomisch informierter Umweltpolitik im allgemeinen und grüner Nudges im besonderen erstaunt es ein wenig, dass die ethischen Aspekte dieses neuen Instruments kaum systematisch Beachtung finden – trotz der richtigen Einsicht, dass „understanding the risks and concerns involved with any intervention is pivotal to ensuring its appropriate implementation“ (Croson und Treich 2014: 342).17 16 Einen weiteren Indikator liefert Homonoff (2013), die herausfand, dass eine 5 cent-Steuer auf die Verwendung von Plastiktüten in Supermärkten einen signifikanten negativen Effekt auf deren Nutzung hatte, während ein gleichhoher Bonus auf die Verwendung alternativer Tüten praktisch wirkungslos blieb. 17 Zuweilen fallen auch irreführende Aussagen zur ethischen Qualität grüner Nudges, wenn z. T. argumentiert wird, diese seien unstrittig, da „unvermeidbar“ (Momsen and Stoerk 2014: 376 f.), oder wenn behauptet wird, dass Nudges „do not seem to raise serious fairness concerns, as they are equally applied to all.“ (Croson und Treich 2014: 338).

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Wie sähe ein konzeptioneller Rahmen aus, der es uns erlauben würde, im Sinne einer heuristischen Hilfsgerüsts über die richtigen Fragen zu einer begründeten Einschätzung der ethischen Qualität grüner Nudges zu gelangen? Zunächst einmal sollten Nudges und Entscheidungsarchitektur begrifflich klar unterschieden werden: Nudges sind intentionale Modifikationen von Teilen der Entscheidungsarchitektur. Diese Unterscheidung ist aus einem einfachen Grund von Bedeutung: Während der Verhaltenseffekt einer gegebenen Entscheidungsarchitektur tatsächlich unvermeidbar (und damit schlechterdings nicht kritisierbar) ist, ist dies bei Nudges – zumal bei paternalistischen Nudges – offenkundig nicht der Fall. Diese einfache Erkenntnis scheint selbst die Hauptvertreter des Libertären Paternalismus noch nicht wirklich erreicht zu haben.18 Auch sollten wir berücksichtigen, dass die – objektiv messbare – instrumentelle Wirksamkeit eines gegebenen grünen Nudges selbstverständlich für die ethische Bewertung relevant ist: Angesichts der Dringlichkeit regionaler wie globaler Umweltprobleme sind wirkungslose grüne Nudges unmoralisch. Die Vermutung liegt dann nahe, dass wir es mit reiner Symbolpolitik zu tun haben, die an die Stelle wirksamer, nur eben politisch aufwendigerer Maßnahmen getreten ist (Schubert 2017b). Nachdem diese beiden Punkte geklärt sind, gehen wir nun in vier Schritten vor: Wir diskutieren die Frage der Legitimität nicht-paternalistischer Nudges im Allgemeinen (6.1), die Einwände bezüglich der Gefährdung der persönlichen „Autonomie“ der Nudgees (6.2), die Auswirkungen grüner Nudges auf den Charakter offener demokratischer Deliberation (6.3) und schließlich die Frage nach der „Fairness“ von grünen Nudges. Trotz der hier suggerierten „Systematik“ ist zu beachten, dass es keineswegs darum geht, die ethische Qualität einzelner grüner Nudges quasi algorithmisch – more geometrico – zu ermitteln. Vielmehr sollen Anhaltspunkte geliefert werden, die im Einzelfall gegeneinander abzuwägen sind. Idealerweise wäre dies Aufgabe einer konstitutionellen Versammlung aufgeklärter Bürger (Schubert 2014).

5.1 Zu den Zielen nicht-paternalistischen Nudgings Man kann Nudges hinsichtlich der eingesetzten (psychologisch informierten) Mittel oder der mit ihnen verfolgten Ziele bewerten. Während sich die akademische Kritik auf den „manipulativen“ Charakter der eingesetzten Mittel kapriziert, scheint sich die Einstellung einer Mehrheit der Bevölkerung gegenüber Nudges maßgeblich an der Bewertung der jeweils verfolgten Ziele zu orientieren. Tannenbaum et al. (2014) sprechen von einem „partisan nudge bias“. Dieser spiegelt sich in unserem Kontext u. a. darin wider, dass Individuen mit a priori umweltfreundlichen Einstellungen

18 Siehe FN 8, oben, sowie Hausman und Welch (2010), Hansen (2016).

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eher im gewünschten Sinne auf grüne Nudges reagierten als andere (Costa und Kahn 2013). Zur Popularität nicht-paternalistischer Nudges, insbesondere grüner Nudges, gibt es noch nicht viel empirische Evidenz. Reisch und Sunstein (2016) stellen eine mehrheitliche Unterstützung für einige grüne Nudges in sechs europäischen Ländern fest und bestätigen den von Tannenbaum et al. konstatierten „partisan nudge bias“. Hagman et al. (2015) finden heraus, dass unter den von ihnen befragten USamerikanischen und schwedischen Bürgern eine Mehrheit für komparative Normbotschaften im Stil der Home Energy Reports plädiert, nicht aber für die Modifikation von Defaults, die die Teilnehme an CO2-Ausgleichsprogrammen anregen soll. Bezüglich der spezifisch normativen Einschätzung von Nudges ist die Abgrenzung von paternalistischen und nicht-paternalistischen Nudges zentral. Hinsichtlich ersterer (die – der Name deutet es an – den Schwerpunkt des „Libertären Paternalismus“ ausmachen) werden in der Literatur eine Reihe teilweise schwerwiegender Einwände erhoben, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll (s. etwa Hausman und Welch 2010, Schnellenbach 2012, Schubert 2014). Denn wie in Abschnitt 2 erwähnt, betrachten wir grüne Nudges als nicht-paternalistisch motiviert. Anders gewendet: Sie zielen darauf, die soziale Wohlfahrt zu steigern, indem sie freiwillige Beiträge zum Kollektivgut „Umweltschutz“ anregen sollen. Nun ist es schwierig, in einer „verhaltensökonomischen Welt“ – auch bekannt als reale Welt –, wo Präferenzen regelmäßig inkonsistent, instabil oder unvollständig sind, von „Wohlfahrt“ zu sprechen, wird dieser Begriff in der normativen Ökonomik doch gemeinhin als Grad der Befriedigung gegebener konsistenter Präferenzen verstanden.19 Für paternalistisches Nudging – mit seinem Fokus auf die Steigerung individueller Wohlfahrt – ist dieses Problem unmittelbar relevant. Inwieweit es auch nicht-paternalistisches Nudging vor Herausforderungen stellt, ist eine durchaus offene Forschungsfrage. Negative Externalitäten sind indes selbstverständlich auch in der verhaltensökonomischen Welt ein Problem. Oder in den Worten von Van den Bergh et al. (2000: 55): „The notion of externalities can be maintained, as it depends merely on the existence of utility and production functions, and requires neither maximizing behavior nor specific assumptions regarding preferences or production structures” (Hervorhebung hinzugefügt).

5.2 Gefährden Nudges die „Autonomie“ der Individuen? Während das Programm des „Libertären Paternalismus“ explizit welfaristisch ausgerichtet ist und seine Vertreter nur rudimentär Verständnis für komplexe normative Kostenelemente wie Selbstbestimmung und Freiheit aufzubringen scheinen,

19 Aus der Literatur dazu sei nur auf Bernheim (2016) und die Debatte zwischen Schubert (2015) und Sugden (2015) verwiesen.

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sind sich die meisten Kritiker dahingehend einig, dass Nudges zumindest das Risiko bergen, die „Autonomie“ der beeinflussten Individuen zu kompromittieren (z. T. Hausman und Welch 2010, Schnellenbach 2012). Auf den ersten Blick leuchtet das ein: Nudges funktionieren meist dann am besten, wenn die Adressaten unvollständige Präferenzen haben, d. h. – möglicherweise unbewusst – empfänglich sind für einen Eingriff in die eigenen Prozesse der Präferenzbildung. Im Grenzfall droht Nudging die Werte und Präferenzen des Entscheidungsarchitekten an die Stelle des Individuums selbst zu setzen und „fragmented selves“ zu hinterlassen (Bovens 2009). Praktisch relevant werden Autonomieargumente z. T., wenn es darum geht, die bewusste Modifikation von Voreinstellungen zu bewerten. Smith et al. (2013) etwa argumentieren, dass die ethische Qualität solcher grüner Nudges davon abhängt, welche mentalen Prozesse für die beobachteten Verhaltenseffekte verantwortlich sind: Insoweit sie auf Trägheit zurückzuführen sind („choice without awareness“, ebd.) statt auf die (möglicherweise begründete) Wahrnehmung als implizite Empfehlung, seien derlei grüne Nudges ethisch problematisch. Es gibt jedoch ein fundamentales (und wenig beachtetes) Problem mit diesen weitverbreiteten Autonomie-Argumenten: Der typischerweise verwandte Autonomiebegriff lässt sich kaum kohärent in einer verhaltensökonomischen Welt anwenden, setzt er doch ein Maß an Rationalität und Selbsttransparenz (insbesondere bzgl. der Gründe oder Ursachen des eigenen Handelns) voraus, das schlicht unrealistisch ist. Ein deskriptiv adäquates Konzept sollte berücksichtigen, dass menschliches Handeln regelmäßig von einer Vielzahl von persönlichen und Umweltfaktoren beeinflusst wird, derer sich das Individuum nur teilweise bewusst ist. Wir realen Menschen haben nur ausnahmsweise Zugang zu den psychischen Ursachen unseres Tuns (Buss 1994). Oft missversteht das Selbst sich selbst; zuweilen will es sich sogar missverstehen – Selbsttäuschung ist seit langem als potenzielle Quelle subjektiven Wohlergehens bekannt.20 Wie sollte man also in einer verhaltensökonomischen Welt „Autonomie“ verstehen? Ein vielversprechender Ansatz stammt von Buss (2012): Ihr zufolge sollten wir aufhören, „Autonomie“ nur demjenigen zu attestieren, der rational, gutinformiert und reflektiert handelt und stattdessen jenes Handeln als autonom akzeptieren, das entweder (a) dem Charakter des Handelnden entspricht oder (b) andernfalls objektiv bestimmbaren „conditions of minimal human flourishing“ genügt. Im Lichte eines solch weniger anspruchsvollen Autonomiebegriffs kann für grüne Nudges Entwarnung gegeben werden: Offenkundig gefährden sie nur ausnahmsweise die Autonomie der beeinflussten Individuen. Intuitiv scheint dieser Schluss gleichwohl etwas voreilig – immerhin greifen Nudges ja in der Tat regelmäßig in die persönliche Präferenzbildung ein. Die Be-

20 Vgl. zum „attribution bias“ etwa Pal (2007) und zum Konsum irrationaler „beliefs“ Akerlof (1989).

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troffenen können sich jedenfalls subjektiv „manipuliert“ bzw. „fremdbestimmt“ fühlen und insofern prozedurale Nutzeneinbußen erleiden (Rebonato 2012). Das wäre in einem konsequent welfaristischen Ansatz als Verlust in der „normativen Währung“ Wohlfahrt zu verbuchen. Derlei Einbußen können natürlich instrumentelle Wirkungen haben, insoweit Nudgees z. T. auf die Intervention mit Reaktanz reagieren (Arad und Rubinstein 2015).

5.3 Nudges, Integrität und demokratische Deliberation Jenseits von Autonomie-basierten Einwänden ist denkbar, dass (grüne) Nudges qua Eingriff in die Präferenzbildung zumindest langfristig die Fähigkeit der Adressaten beeinträchtigen, aktiv selbständig neue Präferenzen zu lernen. Diese Sorge ist zum einen auf individueller, zum anderen auf gesellschaftlicher Ebene relevant. Auf individueller Ebene geht es darum, die Auswirkungen von Nudges auf die persönliche Integrität der Individuen zu beachten. Nudges wirken, indem sie die Nudgees systematisch von der Notwendigkeit entlasten, selbst aktive Entscheidungen zu treffen: Man denken an das Redesign in der Cafeteria oder die kognitive Entlastung, wenn es darum geht, langfristige Rentensparpläne durchzuhalten. Einerseits ist diese kognitive Entlastung essenziell, um autonomes Handeln zu ermöglichen (Sunstein 2014: 130 f., 137). Andererseits droht sie, zu weit getrieben, den eigentlichen Wert aktiven Handelns zu missachten: Jenseits der instrumentellen Folgen einzelner Entscheidungen – in Form von prozeduralem oder Ergebnisnutzen – sollte man jeden einzelnen Wahlakt als Investition in die (oft mühevolle) Bildung einer unverwechselbaren persönlichen Identität verstehen. Wir Menschen stehen vor der existenztiellen Lebensaufgabe, etwas aus uns zu machen. In der Ökonomik hat nach meinem Eindruck nur Buchanan (1999) in einem zu wenig beachteten Aufsatz auf diese Funktion aktiven Handelns hingewiesen. Indem sie Individuen systematisch entmutigen, aktive Entscheidungen zu treffen, gefährden Nudges tendenziell die Fähigkeit, dieser Lebensaufgabe nachzukommen.21 Der potentielle Teufelskreis ist unverkennbar: Je mehr die Individuen diese Fähigkeit verlieren, desto mehr bedürfen sie wiederum der kognitiven Entlastung durch Nudges.22 Auf gesellschaftlicher Ebene besteht ein analoges Risiko: Umfassendes Nudging beeinträchtigt potenziell den Charakter offener demokratischer Deliberation, indem es Bürger nicht als rationale aufgeklärte, Respekt verdienende Personen an-

21 Vgl. ähnlich argumentierend White (2013). 22 Aus methodologischer Sicht ist interessant, dass der hier nur skizzierte Ansatz im Gegensatz zum „Mainstream“ der Verhaltensökonomik und der „Libertären Paternalisten“ inkonsistente Präferenzen nicht in Form gespaltener Individuen mit multiplen – und konfligierenden – Nutzenfunktionen abbildet, sondern an einem einheitlichen integrierten Selbst festhält, das nur eben potenziell die Fähigkeit zur Fortentwicklung der eigenen Präferenzstruktur einbüßt.

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spricht, sondern als kognitiv defizitäre, grundsätzlich beeinflussbare „Ressourcen“ behandelt, deren erfolgreicher „evidenzbasierter“ Lenkung ein instrumenteller Wert zur Realisierung vorgegebener Politikziele zukommt (John et al. 2009, White 2013). Das ist natürlich besonders deutlich, wenn im Zuge grünen Nudgings z. T. deskriptive Normbotschaften mit bewusster Täuschungsabsicht verwandt werden (s. o. Abschnitt 4.2). Die Nudges einsetzende Exekutive wird zu einem weiteren Produzenten psychologisch informierter „Tricks“ (neben den kommerziellen Anbietern, von denen derlei seit jeher erwartet wird), was zur Entfremdung der Bürger von ihrer Regierung beitragen mag, was wiederum die instrumentelle Effektivität einer Reihe von regulatorischen Instrumenten beeinträchtigen kann. In diesem Zusammenhang ist schließlich ein politökonomischer Aspekt erwähnenswert: Nudges unterscheiden sich von traditioneller anreizbasierter Regulierung v. a. dahingehend, dass ihre Wirkung meistens negativ von der Transparenz abhängt, mit der sie implementiert werden. Ungeachtet der wichtigen Erkenntnis, dass auch transparente Nudges wirksam sein können (Bruns et al. 2016), kann davon ausgegangen werden, dass Politiker und Bürokraten (in der Rolle als „Entscheidungsarchitekten“) einen latenten Anreiz haben, die Transparenz der verwandten Nudges zu reduzieren, um sie wirksam z. T. als Elemente symbolischer Politik einsetzen zu können (Schubert 2017b).

5.4 Nudges und „Fairness“ Grundsätzlich funktionieren umweltpolitische Maßnahmen nur, wenn sie seitens der Adressaten als „fair“ wahrgenommen werden (Gowdy 2008). Das gilt selbstverständlich auch für den Einsatz grüner Nudges. Wir sollten hier unterscheiden zwischen (a) ihren redistributiven Effekten und (b) ihrer Wirkung auf die generelle Wahrnehmung gesellschaftlicher Probleme. Bezüglich Punkt (a) geht es darum zu fragen, inwiefern grüne Nudges Wohlfahrt und/oder Freiheit im Kontext einer heterogenen Bevölkerung umverteilen. Unterstellen wir mit Mullainathan und Shafir (2014), dass die Ärmeren mit höheren kognitiven Lasten konfrontiert sind als die Reichen – die Autoren sprechen von einer „bandwidth tax“. Sich täglich Sorgen um die Befriedigung der Grundbedürfnisse der eigenen Familie machen zu müssen verzehrt knappe kognitive Ressourcen. Die Verteilungseffekte von Nudges sind folglich hochgradig kontextabhängig: oft werden sie die Ärmeren kognitiv entlasten – man denke an die Vereinfachung komplexer Antragsformulare oder Cooling-off Perioden. In anderen Fällen werden die Bevölkerungsteile mit höheren kognitiven Lasten jedoch schlechtergestellt, und zwar in der normativen Währung Freiheit. In den Worten von Smith et al. (2013: 165): „For those who are unable to detect or resist default effects – especially those due to cognitive biases – defaults may not offer the freedom of choice that libertarian paternalism suggests“. Lehner et al. (2016) folgern daraus, es sei „democratically worrying to use nudging to influence the behavior of those that are unable to iden-

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tify a nudge, while allowing those that are able to identify it (and thus avoid it) escape the costs while benefitting from the gains.“ Bezüglich Punkt (b) – der Wirkung von Nudging auf die Art und Weise, wie die Adressaten die Ursachen für gesellschaftliche Probleme wahrnehmen – sind Nudges dafür kritisiert worden, dass sie die knappe Ressource Aufmerksamkeit weglenken von den tatsächlichen sozio-institutionellen Faktoren, die für eine Vielzahl jener Probleme ursächlich verantwortlich sind, für die Nudges vermeintliche Lösungen anbieten. Es ist paradox: Während der Libertäre Paternalismus einerseits als genuin institutionalistisches Programm gepriesen wird (Reiss 2013: Kap. 15), könnte der massenhafte Einsatz von Nudges – angesichts des starken Fokus auf kognitiven „Biases“ auf individueller Ebene – dennoch zu einer politischen Kultur führen, „where the blame for all society’s ills is pinned on the mindset of individuals. This might distract from broader understandings of society’s problems, and the need for robust and evenly-applied policy instruments“ (Emmett 2014). Grüne Nudges könnten einem exzessiv „individualistischen“ Blickwinkel auf eine Vielzahl gesellschaftlicher Probleme Vorschub leisten, was eigennutzorientierten Politikern womöglich gelegen käme, soweit es sie von der mühevollen Aufgabe entlastet, zu tun, was ursprünglich von ihnen erwartet wird: Defekte Institutionen zu reparieren (Schubert 2017b).

6 Schlussfolgerungen Wie sehr kann die Verhaltensökonomik mit ihrem „realistischeren“ Modell menschlichen Handelns das Design von Umweltpolitik verbessern? Wie wir gesehen haben, offeriert der Werkzeugkasten der grünen Nudges einige vielversprechende Instrumente, um umweltfreundliches Verhalten anzuregen. Es gilt aber, (mindestens) drei Dinge zu beachten. Erstens scheinen viele grüne Nudges von eher begrenzter oder jedenfalls bedingter Wirksamkeit zu sein: ihre Wirkung kann z. T. von ideologischen Präferenzen der Adressaten abhängen. Darauf könnte man mit dem Einsatz personalisierter Nudges reagieren (z. T. Sunstein 2016: 183–185). Davon abgesehen gibt es jedoch gute theoretische Gründe für die Vermutung, dass Nudges weniger nachhaltig wirken als traditionelle anreizbasierte Instrumente: insofern sie kognitive Biases ausnutzen, ist ihre Wirksamkeit eine Funktion der Bereitschaft der Adressaten, ihre Biases zu überwinden. Hinzu kommt das politökonomische Argument, dass der Einsatz von Nudges womöglich effektivere, aber auch politisch kostspieligere Instrumente verdrängen könnte (Loewenstein und Ubel 2010). Zweitens sollten grüne Nudges stets komplementär zu anreizbasierten Instrumenten eingesetzt werden, nicht als Substitute (z. T. Ferraro und Miranda 2013: 377 f., Lehner et al. 2016). Das scheint aber auch unter den Libertären Paternalisten unstrittig zu sein (Sunstein 2014). Gowdy (2008: 639) drückt es so aus: „Moving

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away from a fossil fuel economy requires institutional change, not merely modifying individual behavior at the margin“. Vermutlich sind in den kommenden Jahren die Grenzerträge verhaltensökonomischer Forschung dort am höchsten, wo es darum geht, das dynamische Zusammenspiel von „weichen“ psychologischen Stupsern und „harten“ monetären Anreizen zu untersuchen. Drittens schließlich erweist sich die Gewährleistung, dass grüne Nudges transparent gestaltet und implementiert werden als Schlüssel zu einer psychologisch informierten Umweltpolitik, die zugleich wirkungsvoll und ethisch akzeptabel ist. Idealerweise sollte mindestens der von Bovens (2009: 217) vorgeschlagene Maßstab der „token transparency“ angelegt werden. Demnach ist sicherzustellen, dass jeder Nudgee, der aufmerksam ist, die „Manipulation“ erkennt und durchschaut. In diesem Sinne transparente Nudges wären dann auch im Rahmen der deutschen Energiewende zu empfehlen, wenn zugleich gute Gründe für die Hypothese sprechen, dass sie dauerhaft umweltfreundliche Verhaltensweisen unterstützen.

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Entpolitisierung von Zulassungsund Genehmigungsverfahren für Energiewendeprojekte? Der Ausbau von Hoch- und Höchstspannungsnetzen und die Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle

1 Einleitung Allgemein genießt die Energiewende in der Bevölkerung großen Zuspruch.1 Allerdings lässt dieser Zuspruch deutlich nach, wenn es um die Planung und Zulassung von konkreten Infrastrukturmaßnahmen geht, wie das Beispiel des Ausbaus von Hoch- und Höchstspannungsleitungen in den letzten beiden Jahren gezeigt hat (vgl. u. a. Bauer 2015a; Bauer 2015b). Die formalen Planungs- und Zulassungsprozesse wurden aufgrund politischen Drucks von Seiten der bayerischen Staatsregierung in der zweiten Jahreshälfte 2014 unterbrochen und durch die Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung von Bestimmungen des Rechts des Energieleitungsbaus im Dezember 2015 bei den größeren Vorhaben weitgehend zurückgesetzt, obwohl sie sich bereits im fortgeschrittenen Planungsstadium befanden. Grundsätzlich war dem Gesetzgeber bewusst, dass bestimmte Projekte, wie der Ausbau der Hoch- und Höchstspannungsnetze oder die Suche nach einem Endlagerstandort für hochradioaktive Abfälle, bei der Umsetzung der Energiewende unter größeren Akzeptanzproblemen und lokalen Widerständen leiden werden. Deshalb hat er 2011 für den Bereich des Netzausbaus und 2013 für die Endlagersuche komplexe und mehrstufige Planungs- und Zulassungsverfahren eingerichtet, die sachliche und offene Entscheidungsprozesse ermöglichen sollen. Die Organisation und Durchführung dieser Verfahren wurde auf der Bundesebene zentralisiert und Regulierungsbehörden übertragen, die mit Abstand zu Industrie und Politik operieren sollen. Dahinter stehen die Annahmen, dass unabhängige Regulierungsbehörden sachgerechtere Entscheidungen hervorbringen als der politische Prozess und dass ihre Entscheidungen eine größere Akzeptanz genießen. Die Verlagerung von Entscheidungskompetenzen auf den administrativen Bereich kann auch als „Entpolitisierung“ oder „Depolitisierung“ bezeichnet werden. Das Beispiel des Netzausbaus zeigt, dass eine solche Entpolitisierung äußerst voraussetzungsvoll ist. Denn die bayerische Staatsregierung verfügte zwar über

1 In einer größeren Befragung im März 2015 genoss die Energiewende eine Zustimmung von 92 % unter den befragten Bundesbürgern (PWC 2015). https://doi.org/10.1515/9783110525762-008

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keine Möglichkeiten, die formalen Planungs- und Zulassungsprozesse unmittelbar zu beeinflussen, konnte aber trotzdem ihre Interessen auf politischem Wege durchsetzen. Die beiden Ausgangsfragen dieses Beitrages sind: – Warum ist die Entpolitisierung der Planung und Zulassung von Hoch- und Höchstspannungsnetze gescheitert? – Welche Folgen hat dies für die Planung und Zulassung eines Standorts für hochradioaktive Abfälle?

2 Depolitisierung durch unabhängige Regulierungsbehörden 2.1 Konzeptionelle Grundannahmen In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in den USA unabhängige Regulierungsbehörden mit weitreichenden Gestaltungs- und Eingriffsbefugnissen eingeführt, um den Missständen einer hochgradig ineffizienten und stark politisierten öffentlichen Verwaltung entgegenzutreten (vgl. u. a. Yeung 2010; Bohne 2013). Durch die Trennung von Verwaltung und Politik sollte verhindert werden, dass sich die Politik unmittelbar in die Vollzugstätigkeit einmischt. Davon erhoffte man sich effektivere und effizientere Vollzugsergebnisse. Das Konzept unabhängiger Regulierungsbehörden hat sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch in Europa durchgesetzt und ist zu einem festen Bestandteil des EU-Verwaltungsrechts geworden (vgl. u. a. Gärditz 2010; Bauer/Seckelmann 2014). Die konzeptionellen Überlegungen zur Trennung von Politik und Verwaltung spiegeln sich auch in der Credible Commitment-Theorie (vgl. u. a. Levy/Spiller 1996; Jordana/Levi-Faur 2004; Christensen 2011) wider. Die Grundannahme dieses Ansatzes ist, dass Politiker im Wahlkampf dazu tendieren, kurzfristigen gemeinwohlschädigenden Forderungen nachzugeben, wenn sie sich davon einen größeren Wahlerfolg versprechen als von einer langfristig auf die Förderung des Gemeinwohls ausgerichteten Politik (Christensen 2011: 170). Durch die Delegation von Gestaltungs- und Entscheidungskompetenzen an unabhängige Regulierungsbehörden sollen bestimmte Bereiche vor kurzfristigen Eingriffen durch die Politik durch entpolitisierte Entscheidungsstrukturen geschützt werden. Damit verbunden ist die Annahme, dass die unabhängige Regulierungsbehörde keine eigenen Interessen verfolgt und wissenschaftsbasierte Entscheidungen im Sinne des Gemeinwohls fällt (Döhler/Wegrich 2010: 41; Christensen 2011: 171). Dem entgegen steht die Capture-Theorie, die von einer ähnlichen Ausgangskonstellation ausgeht (vgl. u. a. Stigler 1971; Peltzman 1976; Knieps 2007: 182 ff.; Leschke 2010: 308 ff.). Die Grundannahme ist, dass auf privater Seite eine Nachfrage nach staatlicher Regulierung besteht, um sich vor Wettbewerbsdruck und Markteintritten potenzieller Konkurrenten zu schützen. Politiker bieten entspre-

Entpolitisierung von Zulassungs- und Genehmigungsverfahren

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chende Regulierungsprivilegien gegen Unterstützung an und werden dadurch zu „Gefangenen“ ressourcenstarker Interessengruppen, da sie deren Interessen befriedigen. Im Unterschied zur Credible Commitment-Theorie geht die Capture-Theorie davon aus, dass auch Regulierungsbehörden eigene Interessen verfolgen, um ihren Bestand zu sichern und ihre Regulierungskompetenzen auszuweiten. Zur Erfüllung ihres Regulierungsauftrags sind sie oftmals auf die Kooperation der Regulierungsadressaten angewiesen, weshalb sie ebenfalls zu „Gefangenen“ ressourcenstarker Interessengruppen werden können, um durch ein Entgegenkommen Regulierungserfolge zu erzielen oder Unterstützungsleistungen bei der Ausweitung ihrer Einflusssphäre zu gewinnen (vgl. u. a. Bauer 2014: 44). In empirischer Hinsicht gibt es keine eindeutigen Belege für das Eintreten der Grundannahmen der Credible Commitment- oder der Capture-Theorie (vgl. u. a. Christensen 2011: 173 ff.; Bauer 2014: 46). Beide Ansätze spielen in der Debatte über die Zuständigkeiten und Ausgestaltungen der Planungs- und Zulassungsprozesse für den Netzausbau und die Endlagersuche eine zentrale Rolle.

2.2 Rechtliche Rahmenregelungen Das Konzept unabhängiger Regulierungsbehörden ist inzwischen zum festen Bestandteil des EU-Regulierungsrechts geworden. In Deutschland stellen (weisungs-)unabhängige Regulierungsbehörden immer noch einen Ausnahmefall dar, da die Ausübung von Hoheitsgewalt nach dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 i.v.m. Art. 20 Abs. 1 GG auf das Volk, in dessen Namen gehandelt wird, rückführbar sei (vgl. u. a. Gärditz 2010; Bauer/Seckelmann 2014). Diese Rückführung wird durch eine Aufsichts- und Weisungskette vom Parlament, über das Kabinett und die Ministerialbürokratie bis zu den nachgeordneten Behörden gewährleistet. Ministerialfreie Räume bedürfen deshalb einer besonderen Begründung und Rahmenregelungen, die den Verlust der demokratischen Legitimation kompensieren.

2.2.1 Netzausbau Auf europäischer Ebene ergeben sich die Anforderungen an die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde aus Art. 39 Abs. 4 der Richtlinie 2009/72/EG. Dort heißt es in Satz 1: „Die Mitgliedstaaten gewährleisten die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde und gewährleisten, dass diese ihre Befugnisse unparteiisch und transparent ausübt.“ In Unterabsatz a) heißt es weiter, dass die Behörde „rechtlich getrennt und funktional unabhängig von anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen ist“. Dies wird in Unterabsatz b) ii noch weiter spezifiziert: die Behörde darf bei „der Wahrnehmung der Regulierungsaufgaben keine direkten Weisungen von Regierungsstellen oder anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen“ ein-

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holen oder entgegennehmen. Ausgenommen hiervon sind lediglich „politische Leitlinien der Regierungen“, die nicht mit den Regulierungsbefugnissen und aufgaben befasst sind. Hinsichtlich der Kompetenzen zum Netzausbau stellen die europäischen Regelungen nicht auf die konkrete Planung und Zulassung von Ausbauvorhaben durch die Regulierungsbehörde ab, sondern beschränken sich in Art. 22 der Richtlinie 2009/72/EG auf die Kompetenz zur Genehmigung von Investitionsentscheidungen im Rahmen eines kohärenten „zehnjährigen Netzentwicklungsplans“. Faktisch ist damit natürlich eine Feststellung des Netzausbaubedarfs verbunden, so dass hiermit implizit auch Vorgaben an das Planungs- und Zulassungssystem verbunden sind. Erstaunlicherweise hat der Gesetzgeber bei der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) in 2011 zur Umsetzung der Richtlinie die Anforderungen an die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde nicht im Gesetz verankert und die EU-rechtswidrige Regelung des § 61 EnWG beibehalten. Demnach sind „allgemeine Weisungen“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (jetzt Bundesministerium für Wirtschaft und Energie) an die Bundesnetzagentur (BNetzA) mit ihrer Begründung im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Da bis zum Inkrafttreten der Regelungen der Richtlinie 2009/72/EG kein Gebrauch vom Weisungsrecht gemacht wurde, ist auch nicht zu erwarten, dass zukünftig EU-rechtswidrige Weisungen an die BNetzA erlassen werden und § 61 EnWG bei der Novellierung des EnWG in 2011 übersehen wurde (Bauer 2014: 84 f.). Die meisten Bundesländer, die ebenfalls die Anforderungen der Richtlinie 2009/72/EG für ihre Landesregulierungsbehörden umsetzen mussten, haben ihre Regulierungsbehörden explizit weisungsfrei gestellt (Bauer/Seckelmann 2014: 956 f.).

2.2.2 Endlagerung hochradioaktiver Abfälle Auf europäischer Ebene ist Endlagerung hochradioaktiver Abfälle in der Richtlinie 2011/70/Euratom geregelt. Die Richtlinie sieht in Art. 5 vor, dass die EU-Mitgliedstaaten ein Genehmigungssystem für Anlagen und/oder Tätigkeiten zur Entsorgung von hochradioaktiven Abfällen einrichten. Die Anlagen und/oder Tätigkeiten sollen durch eine unabhängige Regulierungsbehörde kontrolliert und überwacht werden. Die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde ist in Art. 6 der Richtlinie 2011/ 70/Euratom geregelt. Dort heißt es in Absatz 2: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständige Regulierungsbehörde funktional von allen anderen Stellen und Organisationen getrennt ist, die mit der Förderung oder Nutzung von Kernenergie oder radioaktivem Material, einschließlich der Elektrizitätserzeugung und der Anwendung von Radioisotopen, oder mit der Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle befasst sind, um die tatsächliche Unabhängigkeit von ungebührlicher Beeinflussung in ihrer Regulierungsfunktion sicherzustellen.“

Entpolitisierung von Zulassungs- und Genehmigungsverfahren

131

Eine konkrete Rolle der Regulierungsbehörde im Genehmigungsverfahren ist von der Richtlinie nicht vorgesehen (vgl. u. a. Bull 2014: 905). Diese kann allenfalls implizit angenommen werden, da die Behörde nach Art. 7 der Richtlinie 2011/70/ Euratom regelmäßig überprüfen soll, ob der Genehmigungsinhaber seinen gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt. Im Rahmen der Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie im Standortauswahlgesetz (StandAG) vom 23. Juli 2013 ist das Bundesamt für kerntechnische Entsorgung als Regulierungsbehörde beauftragt worden. Es „reguliert“ nach § 7 StandAG das Standortauswahlverfahren durch die Festlegung von Erkundungsprogrammen und standortbezogenen Prüfkriterien, die Erarbeitung von Vorschlägen für die Standortentscheidung und den Vollzug des Standortauswahlverfahrens. Das Bundesamt für kerntechnische Entsorgung ist durch das Gesetz über die Errichtung eines Bundesamtes für kerntechnische Entsorgung (BfkEG) vom 23. Juli 2013 als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) eingerichtet worden. Es untersteht nach § 3 BfkEG der Aufsicht des BMUB und ist dadurch formal weisungsabhängig. Allerdings stellen Weisungen an Bundesoberbehörden Ausnahmeentscheidungen dar, da die Ministerien sich im Regelfall nicht in die Vollzugstätigkeit der ihnen unterstehenden Behörden einmischen (vgl. u. a. Bauer 2014: 85).

3 Depolitisierung durch Verfahren Die Übertragung auf unabhängige Regulierungsbehörden ist im Sinne der Credible Commitment-Theorie nur zweckmäßig, wenn auch ein technokratisches Entscheidungsverfahren vorgesehen ist, dessen Entscheidungsprogramm – frei von politischer Einflussnahme – nach den gemeinwohlverträglichsten Lösungen sucht.

3.1 Grundelemente 3.1.1 Zentralisierung Ein zentrales Element der beiden Beispielbereiche ist die Zentralisierung der Planungs- und Zulassungsverfahren bei Bundesoberbehörden auf der Bundesebene. Dies hat dazu geführt, dass der unmittelbare Einfluss der Bundesländer auf die Verfahren und Entscheidungen deutlich reduziert wurde. Landesregierungen, Landesbehörden und Kommunen verfügen in den formalen Verfahren teilweise über besondere Beteiligungsrechte, aber diese gehen oftmals nicht über großzügigere Fristen zur Abgabe von Stellungnahmen hinaus. Wenn sie eine Entscheidung verhindern wollen, dann müssen sie diese vor Gericht ebenso anfechten, wie die von der Entscheidung betroffenen Bürgerinnen und Bürger.

132

Christian Bauer

3.1.2 Öffentlichkeitsbeteiligung Grundsätzlich dient die Öffentlichkeitsbeteiligung in Planungs- und Zulassungsverfahren der Transparenz des Verfahrens, der Kontrolle der Verwaltung, der Kanalisierung von Interessenkonflikten, dem Rechtsschutz der Betroffenen und der sachlich-inhaltlichen Legitimation der Entscheidung, indem alle entscheidungsrelevanten Informationen in das Verfahren eingespeist und abgewogen wurden (vgl. u. a. Ziekow 2012; Gurlit 2012; Frenz 2012). Allerdings stehen Beteiligungsrechte oftmals nur den von den Planungs- und Zulassungsverfahren betroffenen Akteuren zu. Bei Verfahren von unabhängigen Regulierungsbehörden entfällt zwar die Aufsichts- und Weisungskette, aber diese wird im Regelfall durch umfangreiche Beteiligungsrechte für jedermann kompensiert, weshalb die Öffentlichkeitsbeteiligung in diesen Fällen auch über einen eigenen „demokratischen Gehalt“ verfügt (Groß 2011: 511), der sich in einer kontinuierlichen Begleitung des Entscheidungsverfahrens durch die interessierte Öffentlichkeit ausdrückt. Dadurch erhofft man sich eine größere Akzeptanz des Verfahrens und der Ergebnisse durch die Bevölkerung. Akzeptanz meint in diesem Fall nicht, dass die Gegner des Vorhabens ihre Haltung gegenüber dem Projekt ändern, aber zumindest das Verfahren und die daraus hervorgegangene Entscheidung als ausgewogen ertragen können (Bauer 2015b: 275). Sowohl bei der Planung und Zulassung von Hoch- und Höchstspannungsleitungen als auch bei der Suche nach einem Endlagerstandort für hochradioaktive Abfälle sind umfangreiche Beteiligungsmöglichkeiten für jedermann auf den unterschiedlichen Planungs- und Zulassungsstufen vorgesehen. Der Gesetzgeber erhoffte sich hiervon eine Steigerung der Akzeptanz der Verfahren (vgl. u. a. Bundesregierung 2011: 18 ff.; Bundesregierung 2013: 23 ff.).

3.1.3 Gesetzliche Festlegung von Zwischenergebnissen Eine Besonderheit bei der Planung und Zulassung von Hoch- und Höchstspannungsleitungen sowie bei der Suche nach einem Endlagerstandort ist, dass von den Behörden vorbereitete Zwischenergebnisse in Gesetzesform festgelegt werden. Dies hat zur Folge, dass nachgelagerte Verfahren an diese Zwischenergebnisse gebunden sind und der Rechtsschutz gegen Entscheidungen, die zu diesen Zwischenergebnissen geführt haben, eingeschränkt wird. Dadurch erhofft man sich eine Beschleunigung der nachgelagerten Verfahren und damit verbundenen Rechtsstreitigkeiten (vgl. u. a. Bull 2014: 902; Schirmer/Seiferth 2013: 515). Formal besteht natürlich die Möglichkeit, dass der Gesetzgeber von den im behördlichen Verfahren entwickelten Vorschlägen und Entwürfen abweicht, aber dies würde einerseits das vorangegangene behördliche Verfahren delegitimieren und andererseits mit einem größeren Begründungsaufwand verbunden sein, wenn

Entpolitisierung von Zulassungs- und Genehmigungsverfahren

133

nicht der Eindruck einer interessengeleiteten Intervention entstehen soll. Insofern besteht eine große faktische Bindungswirkung für den Gesetzgeber, die vorgelegten Vorschläge und Entwürfe zu verrechtlichen.

3.2 Beispiel: Netzausbau 3.2.1 Verfahren Das Verfahren zur Planung- und Zulassung von Hoch- und Höchstspannungsleitungen sind 2011 im EnWG und Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) sowie in der 2013 erlassenen Planfeststellungszuweisungsverordnung (PlfZV) neu geregelt worden. Kernpunkte der neuen Regelungen sind: – Zentralisierung des Planungs- und Zulassungsverfahrens bei der BNetzA, – Abschichtung des Planungs- und Zulassungsverfahrens in fünf Verfahrensschritte und – Einführung von zahlreichen Beteiligungsmöglichkeiten auf den unterschiedlichen Planungs- und Zulassungsstufen. Tab. 4 gibt einen Überblick über die Form der Entscheidung, den Entscheidungsgegenstand, den entscheidenden Akteur und den Turnus der einzelnen Entscheidungsstufen. Die erste Stufe des Planungs- und Zulassungssystems beginnt alle zwei Jahre mit der Erstellung eines gemeinsamen Szenariorahmens durch die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNBs), der die mögliche Entwicklung des Netzausbaubedarfs für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre abdecken soll. Dieser wird der BNetzA zur Genehmigung vorgelegt. Die BNetzA stellt den Entwurf zunächst zur Konsultation, das bedeutet, dass sie jedermann die Möglichkeit gibt, sich zum Entwurf zu äußern. Bei der Genehmigung des Szenariorahmens hat sie die Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung zu berücksichtigen. Auf der zweiten Stufe entwickeln die ÜNBs alle zwei Jahre einen gemeinsamen Netzentwicklungsplan, der Start- und Endpunkte von Optimierungs-, Verstärkungs- und Ausbauvorhaben benennt. Die ÜNBs müssen ihren Entwurf zunächst selbst zur Konsultation stellen und die Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Überarbeitung ihres Entwurfs beachten. Anschließend wird der überarbeitete Entwurf bei der BNetzA eingereicht, welchen diesen noch einmal zur Konsultation stellt. Sollte eine Überarbeitung des Bundesbedarfsplans anstehen, welche alle vier Jahre erfolgt, dann fertigt die BNetzA zum Netzentwicklungsplan noch ein Umweltgutachten an, das sie ebenfalls zur Konsultation stellt. Bei der Genehmigung des Netzentwicklungsplans hat sie ebenfalls die Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung zu berücksichtigen.

Netzentwicklungsplan

Bundesbedarfsplan

Bundesfachplanung

Planfeststellung

2

3

4

5

Quelle: Bauer 2015b: 278.

Genehmigung (§ 12a Abs. 3 EnWG)

Szenariorahmen

1

Planfeststellungsbeschluss (§ 24 Abs. 1 NABEG)

Entscheidung (§ 12 Abs. 2 NABEG)

Bundesbedarfsplangesetz (§ 12e Abs. 4 EnWG)

Bestätigung (§ 12c Abs. 4 EnWG)

Art

Stufe

Tab. 4: Verfahrensstufen des Planungs- und Zulassungssystems.

Festlegung des Trassenverlaufs

Festlegung eines Trassenkorridors

– Bestätigung der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit und des vordringlichen Bedarfs von Vorhaben – Zuweisung von Vorhaben in die Bundesfachplanung

Ermittlung von Optimierungs-, Verstärkungs- und Ausbauvorhaben auf der Grundlage des Szenariorahmens

Ermittlung des Optimierungs-, Verstärkungs- und Ausbaubedarfs für die nächsten zehn Jahre

Gegenstand

BNetzA

BNetzA

Gesetzgeber

BNetzA

BNetzA

Akteur

vorhabenbezogen

vorhabenbezogen

mindestens alle vier Jahre

alle zwei Jahre

alle zwei Jahre

Turnus

134 Christian Bauer

Entpolitisierung von Zulassungs- und Genehmigungsverfahren

135

Die dritte Stufe ist der Erlass des Bundesbedarfsplans durch den Gesetzgeber. Mindestens alle vier Jahre legt die BNetzA dem Gesetzgeber den genehmigten Netzentwicklungsplan als Vorlage zum Erlass des Bundesbedarfsplans vor. Dieser wird vom Bundestag als Anlage 1 des Bundesbedarfsplangesetzes erlassen und stellt die energiewirtschaftliche Notwendigkeit der darin enthaltenen Vorhaben fest, bestimmt die Start- und Endpunkte dieser Vorhaben und weist diese entweder der Bundesfachplanung durch die BNetzA oder der Planfeststellung durch die Bundesländer zu, je nachdem, ob es sich um ein länderübergreifendes Vorhaben handelt. Das bedeutet, dass in nachgelagerten Verfahren die Notwendigkeit oder die Startund Endpunkte der Vorhaben nicht mehr in Frage gestellt werden können. Die vierte Stufe beginnt mit einem vorhabenspezifischen Antrag auf Bundesfachplanung eines ÜNBs bei der BNetzA, der einen Vorschlag für einen tausend Meter breiten Trassenkorridor und mögliche Alternativen umfasst. Die BNetzA leitet nach Eingang des Antrags eine Antragskonferenz ein, um den Untersuchungsrahmen und die damit verbundene strategische Umweltprüfung für die Bundesfachplanung festzulegen. Zur Antragskonferenz werden der Vorhabenträger, vom Vorhaben betroffene Träger öffentlicher Belange und anerkannte Umweltvereinigung geladen. Die Öffentlichkeit kann an der Konferenz teilnehmen, verfügt aber über keine aktiven Beteiligungsrechte. Nach der Erörterung des Antrags auf der Antragskonferenz legt die BNetzA einen Untersuchungsrahmen zur Konkretisierung des Antrags fest. Der ÜNB konkretisiert seinen Antrag diesen Vorgaben entsprechend und legt ihn wieder bei der BNetzA vor. Diese stellt den Antrag zur Konsultation und gibt jedermann die Möglichkeit, sich zum Antrag zu äußern. Träger öffentlicher Belange verfügen über eine großzügigere Äußerungsfrist und ihre Stellungnahmen müssen auch noch nach Ablauf der Frist berücksichtigt werden, wenn sie erheblich für die Rechtmäßigkeit der Fachplanungsentscheidung sind. Anschließend führt die BNetzA einen mündlichen Erörterungstermin durch, auf dem die Äußerungen und Stellungnahmen verhandelt werden. Anschließend fällt sie unter Berücksichtigung der Öffentlichkeitsbeteiligung einen Fachplanungsbeschluss, der einen tausend Meter breiten Trassenkorridor für das nachfolgende Planfeststellungsverfahren festlegt. Die vom Beschluss betroffenen Länder können Einwendungen gegen diesen Beschluss erheben. Hierbei handelt es sich um eine vorgezogene Rechtsschutzmöglichkeit der Länder. Die BNetzA muss zu Einwendungen schriftlich Stellung nehmen und gegebenenfalls ihren Beschluss anpassen. Die fünfte Stufe, die Planfeststellung, verläuft genauso wie die Bundesfachplanung und beginnt mit einem vorhabenspezifischen Antrag, auf den eine Antragskonferenz und die Festlegung eines Untersuchungsrahmens zur Konkretisierung des Antrags folgt. Anstatt einer strategischen Umweltprüfung muss im Rahmen der Planfeststellung eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden. Die Öffentlichkeitsbeteiligung zum konkretisierten Antrag richtet sich nicht mehr an jedermann, sondern nur nach an die von dem Vorhaben betroffenen Akteure und Bürger, da die Äußerungen in Form von Einwendungen dem Rechtsschutz der Be-

136

Christian Bauer

troffenen dienen und Voraussetzung für eine gerichtliche Anfechtung eines Planfeststellungsbeschlusses darstellen. Auf dem Erörterungstermin werden die Einwendungen mündlich von der BNetzA verhandelt und abschließend wird ein Planfeststellungsbeschluss erlassen, der das beantragte Vorhaben genehmigt. Der Beschluss kann durch betroffenen Akteure und Bürger im Rahmen einer Anfechtungsklage angefochten werden, sofern sie im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens bereits Einwendungen erhoben haben. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet in erster und letzter Instanz über entsprechende Anfechtungen.

3.2.2 Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung Die Möglichkeiten der Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung variieren in den unterschiedlichen Stufen des Planungs- und Zulassungsverfahrens und sind akteursabhängig (hierzu Bauer 2015b: 283 f.). Auf den ersten beiden Planungsstufen verfügen alle Akteure über dieselben Beteiligungsrechte. In den letzten beiden Stufen variieren die Beteiligungsrechte stärker und im Planfeststellungsverfahren können sich nur noch die Betroffenen beteiligen. Die Bundesländer und die Träger öffentlicher Belange genießen hier gegenüber den anderen Akteuren besondere Beteiligungsprivilegien, da sie über großzügigere Fristen zur Abgabe von Stellungnahmen und Einwendungen verfügen. Nur die Bundesländer können nach Abschluss der Bundesfachplanung Einwendungen erheben, aber um gegen Entscheidungen der Bundesfachplanung oder der Planfeststellung gerichtlich vorgehen zu können, müssen sie ebenso wie alle anderen Akteure den Abschluss des Planfeststellungsverfahren abwarten.

3.3 Beispiel: Endlagersuche 3.3.1 Verfahren Wenn bereits das Planungsverfahren zum Netzausbau verschachtelt und komplex anmutet, dann stellt das Verfahren zur Standortsuche für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle sicherlich noch eine deutliche Steigerung dar. Die Besonderheiten dieses Verfahrens nach dem StandAG von 2013 sind: – Aufgabenteilung zwischen dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), als Vorhabenträger, und dem Bundesamt für kerntechnische Entsorgung (BfE), als Regulierungsbehörde, – Abschichtung der Standortsuche in neun Verfahrensschritte und mehrfache Festlegung von Zwischenschritten durch Gesetze, – Einführung unterschiedlicher Beteiligungsmöglichkeiten auf den unterschiedlichen Verfahrensstufen sowie Einrichtung eines gesellschaftlichen Begleitgremiums.

Entpolitisierung von Zulassungs- und Genehmigungsverfahren

137

Tab. 5: Planungsstufen des Standortauswahlverfahrens Stufe

Verfahren/Gegenstand

Ergebnis

1

Bericht der Kommission Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe

Kommission schlägt Ausschlusskriterien, Gesetz Mindestanforderungen und Abwägungskriterien (§ 4 Abs. 5 für die Endlagersuche vor, die vom Gesetzgeber StandAG) als Gesetz verabschiedet werden sollen

2

Ermittlung in Betracht kommender Standortregionen

BfS ermittelt in Betracht kommende Standortregionen und übermittelt einen entsprechenden Vorschlag an BfE.

Vorschlag (§ 13 Abs. 3 StandAG)

3

Entscheidung über übertägige Erkundung

BfE prüft Vorschlag und übermittelt diesen an das BMUB. Die Bundesregierung legt dem Gesetzgeber einen Gesetzentwurf über die übertägig zu erkundenden Standorte vor.

Gesetz (§ 14 Abs. 2 StandAG)

4

Festlegung von BfS erarbeitet Vorschläge für standortbezogene standortbezogenen Erkundungsprogramme und Prüfkriterien. Erkundungsprogrammen BfE legt Programm und Kriterien fest.

Festlegung (§ 15 Abs. 2 StandAG)

5

Übertägige Erkundung und Vorschlag für untertägige Erkundung

Bfs führt übertägige Erkundung durch und übermittelt dem Bfe einen Vorschlag für untertägige Erkundungen.

Vorschlag (§ 16 Abs. 2 StandAG)

6

Auswahl für untertägige Erkundung

BfE prüft Vorschlag und übermittelt diesen an das BMUB. Die Bundesregierung legt Bundestag und Bundesrat einen Gesetzentwurf über die untertägig zu erkundenden Standorte vor.

Gesetz (§ 14 Abs. 2 StandAG)

7

Vertiefte geologische Erkundung

BfS erarbeitet Vorschläge für standortbezogene Erkundungsprogramme und Prüfkriterien. BfE legt Programm und Kriterien fest.

Festlegung (§ 18 Abs. 2 StandAG)

8

Standortvergleich und Standortvorschlag

BfE schlägt auf der Grundlage der Ergebnisse der vertieften geologischen Erkundung einen Standort vor und übermittelt diesen Vorschlag an das BMUB.

Vorschlag (§ 19 Abs. 2 StandAG)

9

Standortentscheidung

Das BMUB prüft den Standortvorschlag. Anschließend legt die Bundesregierung dem Gesetzgeber einen Gesetzentwurf zur Festlegung eines Standorts vor.

Gesetz (§ 20 Abs. 2 StandAG)

Im Gegensatz zum Netzausbau gibt es bei der Endlagersuche keine privatwirtschaftlichen Unternehmen als Vorhabenträger, weshalb bei der Endlagersuche die Aufgaben des Vorhabenträgers und der Regulierungsbehörde im Planungs- und Zulassungsverfahren auf zwei Bundesoberbehörden im Geschäftsbereich des BMUB aufgeteilt wurden. Tab. 5 gibt einen Überblick über die unterschiedlichen Verfahrensstufen.

138

Christian Bauer

Die erste Stufe der Endlagersuche dient der Festlegung von Ausschlusskriterien, Mindestanforderungen und Abwägungskriterien für die behördliche Endlagersuche. Hierzu wird eine Kommission „Lagerung hochradioaktiver Abfälle“ eingesetzt, die sich nach § 3 StandAG aus Vertreterinnen und Vertretern der Wissenschaft, von Umweltverbänden, Religionsgemeinschaften, der Wirtschaft, Gewerkschaften, des Bundestages und der Landesregierungen zusammensetzt. Aufgabe der Kommission ist nach § 4 StandAG die Erarbeitung entsprechender Festlegungen unter Beteiligung der Öffentlichkeit, die anschließend vom Bundestag als Gesetz beschlossen werden sollen. Der Bericht sollte ursprünglich bis zum 31. 12. 2015 vorliegen, wurde aber erst am 30. 08. 2016 vorgelegt. Darin enthalten sind teilweise äußerst umfassende Vorschläge zur Überarbeitung des StandAG und der vorgesehenen Akteurskonstellation (Kommission 2016). Bislang (Stand 30. 10. 2016) hat der Gesetzgeber noch keine Entscheidung zum Umgang mit diesen Empfehlungen getroffen, weshalb im Folgenden das Verfahren nach dem StandAG 2013 vorgestellt wird. Auf der zweiten Stufe identifiziert das BfS in Betracht kommende Standortregionen und schlägt dem BfE unter Beteiligung der Öffentlichkeit und der zuständigen Behörde entsprechende Regionen für eine übertägige Erkundung vor. Auf der dritten Stufe prüft das BfE den Vorschlag des BfS und gibt betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften und Grundstückseigentümern die Möglichkeit zur Stellungnahme. Anschließend übermittelt das BfE die geprüften Vorschläge an das BMUB. Abschließend legt der Gesetzgeber die in Betracht kommenden Standortregionen per Gesetz fest. Auf der vierten Stufe erarbeitet das BfS Vorschläge für standortbezogene Prüfprogramme und Kriterien, die bei der obertägigen Erkundung zur Anwendung kommen sollen, und übermittelt diese an das BfE. Das BfE legt unter Beteiligung der Öffentlichkeit und der zuständigen Behörden Prüfprogramme und Kriterien fest. Auf der fünften Stufe führt das BfS obertägige Erkundungen durch und schlägt dem BfE unter Beteiligung der Öffentlichkeit Standorte für eine untertägige Erkundung vor. Auf der sechsten Stufe prüft das BfE den Vorschlag des BfS und hört die betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften und Grundstückseigentümer an. Anschließend stellt das BfE per Bescheid fest, dass die Vorschläge den Anforderungen und Kriterien des Standortauswahlverfahrens genügen. Die betroffenen Gemeinden und deren Einwohnerinnen und Einwohner sowie anerkannte Vereinigung können den Bescheid nach § 1 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes anfechten. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet in erster und letzter Instanz über entsprechende Anfechtungen. Abschließend übermittelt das BfE dem BMUB die Standortvorschläge für die untertägige Erkundung, welche vom Gesetzgeber als Gesetz festgelegt werden. Auf der siebten Stufe erarbeitet das BfS Vorschläge für standortbezogene Prüfprogramme und Kriterien, die bei der untertägigen Erkundung zur Anwendung

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kommen sollen, und übermittelt diese an das BfE. Das BfE legt unter Beteiligung der Öffentlichkeit und der zuständigen Behörden Prüfprogramme und Kriterien fest. Anschließend führt das BfS die vertiefte geologische Erkundung durch und berichtet dem BfE über die Ergebnisse. Auf der achten Stufe vergleicht das BfE die Ergebnisse der untertägigen Erkundung und erarbeitet unter Beteiligung der Öffentlichkeit und der zuständigen Behörden einen Standortvorschlag. Den betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften und Grundstückseigentümern wird noch einmal die Möglichkeit gegeben, sich zu dem Standortvorschlag zu äußern. Abschließend wird der Vorschlag mit den Ergebnissen der Öffentlichkeitsbeteiligung an das BMUB übermittelt. Auf der letzten Stufe legt der Gesetzgeber den Standort per Gesetz fest. Die Standortentscheidung ist für das nachgelagerte Genehmigungsverfahren verbindlich.

3.3.2 Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung Die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung besteht beim Verfahren nach dem StandAG aus mehreren Elementen. Das Verfahren wird nach § 8 StandAG durchgehend durch ein gesellschaftliches Begleitgremium begleitet, das sich pluralistisch zusammensetzt und Akteneinsicht in die Akten von BfS und BfE erhält. Es soll die Gemeinwohlorientierung des Auswahlprozesses gewährleisten. Seine Beratungsergebnisse werden veröffentlicht. Der Öffentlichkeit ist nach § 9 Abs. 2 StandAG die Möglichkeit zur Abgabe von Stellungnahmen zu folgenden Punkten zu gewähren: – den Vorschlägen für die Entscheidungsgrundlagen; – dem Vorschlag für in Betracht kommende Standortregionen und die Auswahl von übertägig zu erkundenden Standorten; – den Vorschlägen für die standortbezogenen Erkundungsprogramme und Prüfkriterien; – dem Bericht über die Ergebnisse der übertägigen Erkundung, deren Bewertung und der Vorschlag für die untertägig zu erkundenden Standorte; – den Vorschlägen für die vertieften geologischen Erkundungsprogramme und Prüfkriterien; – den Erkenntnissen und Bewertungen der untertägigen Erkundung sowie dem Standortvorschlag. Darüber hinaus sollen nach § 10 StandAG zu den Vorschlägen für die in Betracht kommenden Standortregionen, den standortbezogenen Prüf- und Erkundungsprogrammen für die obertägige Erkundung, den Vorschlägen für die vertiefte geologische Erkundung, den standortbezogenen Prüf- und Erkundungsprogrammen für

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die untertägige Erkundung sowie den Ergebnissen der Erkundung und dem Standortvorschlag Bürgerversammlungen in den betroffenen Regionen durchgeführt werden, um die Vorhaben mündlich zu erörtern. Die Behördenbeteiligung richtet sich nach § 11 StandAG. Bei der Ausarbeitung der Grundlagen des Verfahrens durch die Kommission sind die obersten Landesbehörden und die kommunalen Spitzenverbände zu beteiligen. Die betroffenen Gebietskörperschaften und Träger öffentlicher Belange sind bei den Vorschlägen für die in Betracht kommenden Standortregionen, den standortbezogenen Prüf- und Erkundungsprogrammen für die obertägige Erkundung, den Vorschlägen für die vertiefte geologische Erkundung, den standortbezogenen Prüf- und Erkundungsprogrammen für die untertägige Erkundung sowie den Ergebnissen der Erkundung und dem Standortvorschlag zu beteiligen.

3.4 Probleme der Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung Die mit der Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung verbundenen Erwartungen an die Akzeptanz von Verfahren und Entscheidungen im Kontext des Netzausbaus und der Endlagersuche sind äußerst voraussetzungsvoll. Eine effektive Beteiligung setzt voraus, dass potenziell Betroffene in der Lage sind, Beteiligungsmöglichkeiten und -grenzen zu erkennen, dem Verfahren zu folgen und den jeweiligen Entscheidungsgegenstand zu verstehen. Folgende Probleme verschärfen diese Ausgangssituation: – der Abstraktionsgrad des Entscheidungsgegenstands auf den ersten Stufen wirkt als Beteiligungshemmnis, da die potenziell betroffenen Akteure die möglichen Auswirkungen der Entscheidungen noch nicht erkennen; – die Verschachtelung der Verfahren und die langen Verfahrensdauern führen dazu, dass Beteiligungsverfahren parallel laufen, so dass es schwerer wird, den Überblick über Verfahren und Verfahrensgegenstände zu behalten; – oftmals bringen die Teilnehmer von Beteiligungsverfahren Werthaltungen oder Erwartungen in das formale Entscheidungsprogramm der Behörden ein, die von diesen nicht im förmlichen Verfahren verarbeitet werden können; – darüber hinaus akzeptieren die Teilnehmer von Beteiligungsverfahren häufig nicht vorangegangene Entscheidungen und stellen diese häufig in nachgelagerten Verfahren in Frage. Deshalb kommt es möglicherweise nicht zur erhofften Steigerung der Akzeptanz, sondern sogar zum Gegenteil, der Ablehnung des formalen Verfahrens, weil es als undemokratisch und interessengesteuert empfunden wird. Erste Untersuchungen zum Netzausbau zeigen (Bauer 2015a; Bauer 2015b), dass solche ablehnende Haltungen gegenüber dem formalen Verfahren nicht nur von Bürgerinnen und Bürgern, sondern auch von Trägern öffentlicher Belange eingenommen werden, wenn diese ihre Interessen im Verfahren nicht ausreichend berücksichtigt sehen (Bauer

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2015b: 289). Der Abteilungsleiter Netzausbau bei der Bundesnetzagentur Otte (2015: 8) merkte hierzu an: „Eine wesentliche Erkenntnis der bisherigen Verfahren ist, dass das ‚ob‘ (immer wieder) erklärt werden muss, bevor das ‚wie‘ diskutiert werden kann. Der Bedarf eines Vorhabens wird – trotz intensiver öffentlicher Diskussion und gesetzlicher Bestätigung – immer wieder angezweifelt.“ Die Grundprobleme des förmlichen Verfahrens wurden im Bereich des Netzausbaus auch von der BNetzA und den Vorhabeträgern erkannt, weshalb sie die Öffentlichkeitsbeteiligung des formalen Verfahrens durch informale Dialogangebote ergänzen, um bestehende Beteiligungshürden zu reduzieren, vor Ort über Möglichkeiten und Grenzen der Öffentlichkeitsbeteiligung zu informieren und Entscheidungsentwürfe und Entscheidungen zu erläutern (Paulus/Noske; 2014: 227, Otte 2015: 6).

4 (Re-)Politisierung durch Politikverflechtung 4.1 Politikverflechtung Die Verhandlungsmacht der bayerischen Staatsregierung ergibt sich aus einer bestimmten Konstellation der politisch-administrativen Problemverarbeitung in Mehrebenensystemen, die als „Politikverflechtung“ bezeichnet wird. Der Begriff wurde von Scharpf (1978; 1985) entwickelt, um Probleme der Bund-Länder-Koordination beschreiben und erklären zu können. Ausgangspunkt des Ansatzes ist die Feststellung, dass im Verhältnis zwischen Bund und Ländern starke Verflechtungen zwischen horizontal und vertikal differenzierten Strukturen bestehen, um Zentralisierungs- oder Dezentralisierungsprobleme zu lösen (Bauer 2015a: 117). Zentralisierungsprobleme entstehen beispielsweise, wenn die übergeordnete Ebene nicht in der Lage ist, die Komplexität der Problemlage zu erfassen und/oder Problemlösungen gegenüber den nachgeordneten Ebenen durchzusetzen. Dezentralisierungsprobleme können hingegen entstehen, wenn Problemzusammenhänge die Zuständigkeit einer Entscheidungseinheit übersteigen oder Kosten und Nutzen von Entscheidungen nicht bei derselben Entscheidungseinheit anfallen. In beiden Fällen ist eine befriedigende Problemlösung nicht auf derselben Ebene möglich, und es ist erforderlich, andere Ebenen zu beteiligen. Inkongruenzen zwischen Entscheidungs- und Problemstrukturen werden deshalb durch verflochtene Strukturen abgemildert, in denen die betroffenen Entscheidungseinheiten in einem informalen oder formalen Entscheidungskollektiv miteinander verknüpft sind, so dass diese über keine Entscheidungsautonomie mehr verfügen (Scharpf 1978: 23). Diese Verknüpfung kann zu einem Problem werden, das als „Politikverflechtungsfalle“ bezeichnet wird. Diese Falle schnappt zu, wenn kein Konsens zwischen den beteiligten Entscheidungseinheiten aufgrund von divergierenden Interessenlagen oder tiefgrei-

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fenden Konflikten erzielt werden kann. Da keine der beteiligten Entscheidungseinheiten mehr über die Möglichkeit verfügt, eine Entscheidung ohne Zustimmung der anderen beteiligten Entscheidungseinheiten zu fällen, kommt es zur Selbstblockade des verflochtenen Entscheidungssystems (Bauer 2015a: 118). Gleichzeitig werden die beteiligten Entscheidungseinheiten einer Entflechtung des Entscheidungssystems nicht zustimmen, da sie so ihre Veto-Position verlieren würden, so dass weder Sachkompromisse noch institutionelle Reformen möglich sind. Möglichkeiten, um aus der Politikverflechtungsfalle zu entkommen, sind die Reduzierung der Zahl der beteiligten Entscheidungseinheiten, die Sequenzierung der Entscheidung oder die Vereinbarung von konfliktminimierenden Entscheidungsregeln oder die Vereinbarung von Kopplungsgeschäften. Grundsätzlich sind die formalen Verfahren zum Netzausbau und zur Endlagerung als weitgehend zentralisierte und stark sequenzierte Verfahren ausgestaltet, um die Entstehung von Politikverflechtungsfallen zu verhindern, aber im Fall des Netzausbaus hat sich gezeigt, dass die Verfahren dennoch durch politische Interventionen beeinflusst werden können, wenn die Länder ihr Blockadepotenzial in anderen Bereichen nutzen, um Koppelgeschäfte abschließen zu können.

4.2 Bayerischer Energiedialog und seine Folgen Grundsätzlich hat die bayerische Staatsregierung die Zentralisierung des Planungsund Zulassungsverfahrens zum Netzausbau auf der Bundesebene und die Verabschiedung des ersten Bundesbedarfsplans in 2013 mitgetragen. Allerdings hatten sich entlang der im ersten Bundesbedarfsplan vorgesehenen Trassen zahlreiche Bürgerinitiativen gegründet, die den Netzausbau in ihrer Region verhindern wollten. Deshalb forderte der bayerische Ministerpräsident im Vorfeld der im März 2014 anstehenden Kommunalwahlen ein Moratorium für den Netzausbau und eine erneute Prüfung des Netzausbaubedarfs. Die Tatsache, dass die bayerische Staatsregierung im Vorjahr diesem Bedarf zugestimmt hatte, wurde ignoriert. Als Argument wurde vorgebracht, dass die neuen Trassen nicht dem Transport von Strom aus Erneuerbaren Energien dienen würden, sondern dem Anschluss von Braunkohlekraftwerken und dadurch den Zielen der Energiewende entgegenstehen würden (StMWi 2014: 30). Mit Blick auf die Capture-Theorie wurde angedeutet, dass die Planungs- und Zulassungsverfahren durch die Interessen der großen Energiekonzerne gesteuert und die Interessen betroffener Gemeinden, Bürgerinnen und Bürger nicht hinreichend berücksichtigt würden. Die Haltung der bayerischen Staatsregierung blieb nicht ohne Folgen, da sie die Rechtmäßigkeit des formalen Verfahrens in Frage stellte und androhte, ihr Blockadepotenzial in anderen Gesetzgebungsverfahren zu nutzen, um weitere Energiewendeprojekte zu verzögern oder zu verhindern (Montag 2014; Bauer 2015a). Dieses Vorgehen hat dazu geführt, dass die ÜNBs ihre Planungen zur Vorbereitung der Bundesfachplanung einstellten und ein klares Bekenntnis der Politik zum

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formalen Planungs- und Zulassungsverfahren forderten (Zitzler 2014: 10). Die bayerische Staatsregierung wich auch nach den Kommunalwahlen von ihrer Haltung zum Netzausbau ab, weshalb im Rahmen eines Treffens des Koalitionsausschusses vereinbart wurde, dass man Bayern drei Monate Zeit geben würde, um einen eigenen Energiedialog durchzuführen, der sich auch mit der Netzausbauthematik befassen würde. Dieser Dialog stand unter dem Motto „Energie für Bayern – sicher, bezahlbar, sauber“ und wurde am 01. 11. 2014 gestartet und am 02. 02. 2015 beendet. In der Regierungserklärung zum Energiedialog gab die bayerische Wirtschaftsministerin Aigner (2014: 28) an, dass man die Ergebnisse des Energiedialogs in die „Entscheidungsprozesse auf Bundesebene“ einbringen wolle. Im Rahmen des Dialogverfahrens wurden die bestehenden Akzeptanzprobleme des Netzausbaus auch auf die „Nichtberücksichtigung von Bürgerinteressen“ im Planungsprozess zurückgeführt (StMWi 2015: 40). Darüber hinaus wurde dem Planungs- und Zulassungssystem vorgeworfen, dass es zu einer Überdimensionierung des Bedarfs durch die ÜNBs führe. Bayern würde Netzausbauvorhaben deshalb nur noch zustimmen, wenn – diese dem Abtransport von in Norddeutschland produzierten Überschussstromes aus Erneuerbaren Energien zur Deckung des bayerischen Strombedarfs dienen, – weitgehend Bestandstrassen genutzt würden und – angemessene ökologische und ökonomische Ausgleichsmaßnahmen ergriffen würden, insbesondere in Form von Mindestabstandsregelungen, Erdverkabelung und Regelungen zur finanziellen Kompensation (StMWi 2015: 56). Am 1. Juli 2015 verständigte sich die Bundesregierung (Koalitionsausschuss 2015) auf ein Eckpunktepapier, das den bayerischen Forderungen entgegen kam und „Anpassungen an der Netzplanung und dem Netzausbau“ ankündigte, um einen „bürgerfreundlicheren Netzausbau“ zu erreichen. Im Rahmen dieses Papieres wurden auch Forderungen an die ÜNBs und die Bundesnetzagentur formuliert, die im Rahmen der Bundesfachplanung berücksichtigt werden sollten. Hierzu gehört auch die Anpassung der in Bayern vorgesehenen Trassenführung. Formal sind BNetzA und ÜNBs nicht an dieses Eckpunktepapier gebunden, aber es ist davon auszugehen, dass der informale Druck von politischer Seite groß genug ist, um entsprechende Anpassungen zu bewirken. Die Forderungen Bayerns spiegeln sich auch im Gesetz zur Änderung von Bestimmungen des Rechts des Energieleitungsbaus, das im Dezember 2015 verabschiedet wurde und einen Vorrang für Erdverkabelung im Netzausbau vorsieht, um die Akzeptanz des Netzausbaus zu verbessern. Im Herbst 2016 wurden hierzu erste räumliche Überlegungen der Übertragungsnetzbetreiber zum Trassenverlauf vorgestellt. Mit formalen Anträgen auf Bundesfachplanung ist in 2017 zu rechnen. Derzeit ist noch nicht abzusehen, ob die Erdverkabelung zu einer dauerhaften Befriedung örtlicher Widerstände gegen den Netzausbau führen wird.

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5 Schlussfolgerungen Die bayerische Staatsregierung hat gezeigt, dass das Planungs- und Zulassungssystems des Netzausbaus durch politische Interventionen weiterhin beeinflusst werden kann. Wesentliche Planungen der ÜNBs und der BNetzA sind weitgehend zurückgesetzt worden und die Planungs- und Zulassungsverfahren werden sich erheblich verzögern. Ob diese Intervention der bayerischen Staatsregierung nützen oder schaden wird, kann noch nicht beurteilt werden, da noch nicht abzusehen ist, ob sich die Trassengegner mit der Erdverkabelung zufriedengeben. Zur Interventionswahrscheinlichkeit bei der Endlagerung hoch radioaktiver Abfälle kann noch keine Einschätzung abgegeben werden, aber zum Abschlussbericht der Kommission wurden bereits zwei Sondervoten von Bayern und Sachsen vorgelegt, in denen sie sich für abweichende Standortkriterien ausgesprochen haben. Darüber hinaus hat die bayerische Staatsregierung durchblicken lassen, dass sie im Kontext der Endlagersuche einen möglichen Standort in Bayern ausschließe (Bojanowski 2015), so dass auch hier politische Interventionen wahrscheinlich sind. Ein Grundproblem von Planungs- und Zulassungsverfahren im Bereich des Netzausbaus und der Endlagersuche ist, dass sie erhebliche lokale Auswirkungen mit sich bringen, die häufig von der lokalen Bevölkerung nicht mitgetragen werden. Solange es dem formalen Planungs- und Zulassungsverfahren nicht gelingt, glaubwürdig zu vermitteln, dass die Sorgen der lokalen Bevölkerung berücksichtigt werden, werden die betroffenen Kommunen und Bundesländer versuchen, diese Sorgen aufzugreifen und in das Verwaltungsverfahren einzuspeisen. Wenn dies nicht im Rahmen des formalen Verfahrens gelingt, werden sie ihre Einflussmöglichkeiten in verflochtenen Strukturen nutzen, wie im Fall des Netzausbaus. Was bedeutet diese Intervention für die Ent- bzw. Depolitisierung von Planungs- und Zulassungsverfahren? Das Beispiel des Netzausbaus hat gezeigt, dass die Zentralisierung der Planungs- und Zulassungsverfahren auf der Bundesebene und die Beauftragung der BNetzA mit der Durchführung des Verwaltungsverfahrens nicht vor politischen Eingriffen schützen. Die der Politikverflechtung entgegenwirkende Zentralisierung und Sequenzierung des Entscheidungsverfahrens ist in solchen Fällen mitunter nicht durchsetzungsstark genug, wie die Auswirkungen des bayerischen Energiedialogs auf das formale Planungs- und Zulassungsverfahren zeigen. Hier hätte es vermutlich einer klareren Haltung der Bundesregierung bedurft, um der Intervention entgegen zu wirken. Je nachdem, wie man politische Intervention und ihre Ergebnisse bewertet, kann man zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen: – Variante 1: In einer Demokratie muss der Gesetzgeber grundsätzlich in der Lage sein, auf veränderte Rahmenbedingungen und Anforderungen zu reagieren und diese über Anpassungen des Rechtsrahmens in laufende Planungs- und Zulassungsverfahren einzuspeisen;

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Variante 2: Interventionen des Gesetzgebers in laufende Planungs- und Zulassungsverfahren führen zu einer Delegitimierung des Verfahrens und stellen letztlich das Planungs- und Zulassungssystem in Frage.

Grundsätzlich haben wir es sowohl beim Netzausbau als auch bei der Endlagersuche mit neuartigen Kombinationen aus Öffentlichkeitsbeteiligung, Verwaltungsund Gesetzgebungsverfahren zu tun, die sich erst noch einschwingen müssen. Die öffentliche Meinung wird hierbei eine zentrale Rolle einnehmen. Erst wenn die Regulierungsbehörden in diesem Prozess, im Sinne der Credible CommittmentTheorie, als neutrale Planungs- und Zulassungsbehörden wahrgenommen werden, die eine ausgewogene Abwägung aller entscheidungsrelevanten Interessen vornehmen, würden politische Interventionen, wie die bayerische Blockade des Netzausbaus, stärker durch die öffentliche Meinung geächtet werden. Solange der Verdacht besteht, dass die Behörden im Sinne der Capture-Theorie beeinflusst werden können, wird sich auch die öffentliche Meinung nicht gegen politische Interventionen sträuben. Insofern obliegt es den Regulierungsbehörden, eine glaubwürdige Öffentlichkeitsbeteiligung und einen offenen und transparenten Entscheidungsprozess zu organisieren, wenn sie von politischen Interventionen verschont werden wollen. Eine erfolgreiche Entpolitisierung der Planungs- und Zulassungsprozesse setzt voraus, dass diese Prozesse auch als unabhängig und gemeinwohlorientiert wahrgenommen werden, eine bloße Zentralisierung und Sequenzierung der Entscheidungsprozesse reicht hier wohl nicht aus. Ansonsten können die gesteigerten Erwartungen an die Effizienz und Akzeptanz dieser Prozesse vor dem Hintergrund der deutschen Politikverflechtung nicht erfüllt werden.

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Fukushima – ein natürliches Experiment 1 Der Aufstieg der Erneuerbaren Energien Erneuerbare Energien sind per se keine Erfindung der jüngeren Geschichte. Wasser- und Windkraft werden schon seit langer Zeit als Energielieferant genutzt. Fossile Energieträger oder die Erzeugung von Energie mit radioaktiven Energieträgern waren damals die alternativen Erzeugungsmethoden, welche die traditionelle Energiegewinnung aus erneuerbaren Ressourcen in den Hintergrund treten ließ. Die Gründe waren sowohl technischer als auch ökonomischer Natur. Energieerzeugung aus fossilen Energieträgern war flexibler zu bewerkstelligen und unabhängig von Wind und Wasser realisierbar. Aus heutiger Sicht scheint sich die Perspektive wieder umzudrehen. Die erneuerbaren Energien sind die Alternative und die fossilen bzw. nuklearen Technologien die Traditionellen. Gründe für den Wandel hin zu erneuerbaren Energien scheint die jüngere Geschichte ausreichend zu geben. Die zunehmende Nachfrage nach Energie, die Umweltverschmutzung und vor allem die zur Realität gewordenen Gefahren der Kernenergie lassen eine Veränderung unabdingbar erscheinen. Am 23. April 1986 explodierte während eines Stresstests Reaktor 4 des Kernkraftwerks in Tschernobyl. Dieser Unfall forderte viele Tote und Verletzte. Der darauffolgende radioaktive Niederschlag betraf nahezu ganz Europa. Neben den zahlreichen Menschen, die bei den Aufräumarbeiten halfen, wurden landwirtschaftliche Produkte radioaktiv kontaminiert und mussten entsorgt werden (Malone, 1987). Die Auswirkungen sind noch heute messbar. Etwas mehr als eine Dekade danach ereignete sich im September 1999 der bis dahin größte Reaktorunfall in Japan. Aufgrund menschlichen Versagens beim Umgang mit spaltbarem Material wurde eine Kettenreaktion im Kernkraftwerk von Tokaimura ausgelöst, die mehrere Menschen das Leben kostete und weitere verstrahlte (Aldrich, 2012). Mit dem Vorfall von Fukushima im März 2011 passierte ein weiterer undenkbarer Unfall. Die Reaktoren konnten nach einem Erdbeben zwar erfolgreich gestoppt werden, doch der darauffolgende Tsunami schädigte die elektrische Versorgung des Kernkraftwerks. Das Kühlsystem fiel aus und die Reaktoren 1, 3 und 4 explodierten mit der Folge einer Kernschmelze (Hirose, 2012). Die Gefahren der Kernenergie waren auch schon vor den Unfällen bekannt. Der Fall, dass solche Unfälle tatsächlich passieren konnten, erschien unrealistisch. Mit jedem Unfall nahm das Vertrauen in die Kernenergie ab (Aldrich, 2012). Mit dem jüngsten Unfall in Fukushima Daiichi, scheint der Beweis erbracht zu sein, dass diese Technologie keine weiter zu verfolgende Alternative sein kann. Die Akzeptanz befindet sich weltweit auf einem Tiefpunkt (Kim et al., 2013). Viele Länder beschlossen der Technologie den Rücken zu kehren. Italien beschloss nach einem https://doi.org/10.1515/9783110525762-009

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Referendum kurz nach dem Vorfall in Tschernobyl alle Reaktoren bis zum Jahr 1990 abzuschalten (Jahn und Korolczuk, 2012). Nach dem Vorfall in Fukushima legte Japan jegliche Weiterentwicklung von Kernenergie auf Eis und begann seine Energiepolitik zu überdenken (Vivoda, 2012). Im darauffolgenden Jahr, im Mai 2012, beschloss Japan 50 seiner Reaktoren für eine umfassende Inspektion abzuschalten (Batty, 2012). Deutschland schaltete unverzüglich acht Reaktoren ab und beschloss wie die Schweiz eine Auslaufphase für Kernkraftwerke. Als Alternative waren die erneuerbaren Energien schnell gefunden und so wurde in Deutschland beschlossen, nicht nur die Atomkraftwerke bis 2022 vom Netz zu nehmen, sondern auch bis 2020 die „grüne“ Energieerzeugung anteilig auf 35 % zu erhöhen. Japan setzte sich das Ziel einen 20-prozentigen Anteil an grüner Erzeugung bis 2020 zu erreichen (Vivoda, 2012). Die IEA rechnet sogar damit, dass die grüne Energie bis 2035 die fossile Energie übersteigt (Olejarnik, 2013). Es scheint also ein weltweiter Konsens zu bestehen, dass die Zukunft der Energieversorgung in den erneuerbaren Energiequellen liegt. Ein schneller Wechsel zeichnet sich jedoch nicht ab. Nach den Prognosen der IEA wird der Anteil der grünen Energie (Biotreibstoff, Biomasse, Geothermie, Wasserkraft, Wind und Sonne) am weltweiten Energieverbrauch im Jahr 2040 erst 15 % betragen (Olejarnik, 2013). Dabei erstaunt, dass die IEA in ihrer Analyse auch von einer jährlichen Wachstumsrate der nuklearen Stromerzeugung weltweit von 2,5 % ausgeht. Das bedeutet ein Wachstum von 60 % innerhalb von 20 Jahren. Die Gründe für diesen langsamen Wandel sind vielfältig. Zum einen sind es ökonomische Gründe wie etwa die Tatsachen, dass die Kosten der nuklearen Energieerzeugung i. d. R. immer noch geringer sind als für erneuerbare Energien und der Konsument nicht prinzipiell eine höhere Zahlungsbereitschaft für den ökologischen Zusatznutzen hat (Müller et al., 2011). Zum anderen sind das rein technische Gründe, da die Versorgungssicherheit durch erneuerbare Energien aufgrund deren hohen Volatilität in der Erzeugung gegenwärtig nicht sichergestellt werden kann. Grüner Strom ist nicht zu jeder Zeit in ausreichender Menge verfügbar, kann nicht in der benötigten Menge gespeichert werden und gefährdet zu Spitzenlastzeiten die Netzstabilität. Es bedarf also einer Alternative. Vor dem rasch voranschreitenden Klimawandel scheint die Wahl auf die Kernenergie zu fallen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der gesellschaftliche Aufschrei nach Katastrophen wie Tschernobyl oder Fukushima nur ein Sturm im Wasserglas ist oder diese nicht-intendierten exogenen Shocks tatsächlich einen Einfluss auf die Energiewende haben. In der politikwissenschaftlichen Literatur wird in solchen Fällen von „Windows of Opportunities“ gesprochen oder von „Focusing-events“, welche die Chance auf Veränderung nachhaltig erhöhen. Aus dieser Literatur heraus werden in Abschnitt (II) die Hypothesen abgeleitet, die in Abschnitt (III) empirisch getestet werden. Die Ergebnisse aus Abschnitt (IV) werden in Abschnitt (V) diskutiert. Abschnitt (VI) schließt mit einer kurzen Zusammenfassung und einem Ausblick.

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2 Krisen als Chance für Veränderung Unerwartete Krisen bezeichnen nach Nohrstedt (2005) nicht nur den Moment des Eintritts einer Katastrophe wie eine Nuklearunfall, sondern auch die Tatsache, dass alle gesellschaftlichen Gruppen ihr Handeln überdenken, Politik und Institutionen in Frage stellen. Birkland und Warnement (2013) bezeichnen den Moment der Krise auch als „Focussing Event“, ein Event, welches die Aufmerksamkeit aller Akteure auf das gleiche Problem lenkt. Krisen werden häufig als Auslöser für drastische, nicht-inkrementelle Politikveränderungen genannt (Nohrstedt, 2008; Hart und Boin, 2001). Die theoretische Beschreibung des Phänomens erfolgt meist anhand von Modellen aus der „Agenda Setting“ Theorie. Die Modelle, wie das „Advocacy Coalition Framework“ (ACF) von Sabatier und Weible (2014), das „Event-Based Policy Change“ Konzept (EPO) nach Kingdon (1984), das „Multiple Streams“ Modell von Kingdon (1995) oder das punktuelle Gleichgewichtsmodell (PE), welches auf Baumgartner und Jones (1991) zurückgeht, beschreiben im Wesentlichen, wie verschieden Interessensgruppen bestimmte Politikinteressen auf die politische Tagesordnung bringen und dadurch den politischen Wandel vorantreiben (Birkland und Warnement, 2013). Die Erfolgsaussichten hängen dabei vom Ausmaß der Krise ab. Entsprechend der Einteilung von Rosenthal et al. (2001), handelt es sich bei Tschernobyl, Ibaraki und Fukushima um Krisen, die sich sehr schnell entwickeln, nicht unmittelbar vorhersehbar sind und eine lange Nachwirkung haben. Deshalb kann ein solcher Vorfall auch als natürliches Experiment gesehen werden. Es ist exogen, da es ohne Vorbereitung eintritt. Nach dem Shock beginnt eine neue Zeit, in der Wirtschaft, Politik und Gesellschaft umdenken und ihr Verhalten ändern. Damit ein Politikwandel tatsächlich zustande kommt, müssen nach Zahariadis (2014) drei Strömungen zusammentreffen: das Problembewusstsein beider, Bürger wie Politiker, muss sich auf die Herausforderung konzentrieren, der politische Diskurs muss zu adäquaten Problemlösungsstrategien führen und der Zeitgeist sich so entwickeln, dass sich der notwendige Konsens zum Wandel einstellt. Die Entwicklung der Problemlösungsstrategie wird dabei auch durch andere Determinanten wie die technologischen Möglichkeiten bestimmt. In der gegenwärtigen Diskussion erscheinen die erneuerbaren Energien langfristig als einzige Alternative. Im Gegensatz zu fossilen Energieträgern sind sie langfristig verfügbar und stehen nicht im Verdacht die Umwelt bzw. das Klima zu schädigen. Daher gelten sie als langfristige Lösung aller Energieversorgungsprobleme. Auch wenn der Weg zu diesem Ziel nicht detailgenau beschrieben werden kann, ist es dennoch plausibel anzunehmen, dass es sich dabei um einen gesellschaftlichen Konsens handelt. Ein Nuklearunfall wie Fukushima sollte deshalb eine katalytische Wirkung auf den Politikwandel haben. Aus diesem Verständnis heraus lassen sich folgende Hypothesen ableiten: Hypothese 1: Nuklearunfälle öffnen ein „Windows of Opportunity“ und erhöhen die Anzahl „grüner“ Politikmaßnahmen.

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Die Erhöhung grüner Politikmaßnahmen sollte sich über die Zeit auch in einer höheren Erzeugung grüner Energie niederschlagen. So lautet Hypothese 2: Hypothese 2: Grüne Politikmaßnahmen führen zu mehr Erzeugung erneuerbarer Energie. Aus diesen beiden Hypothesen lässt sich eine dritte schlussfolgern: Hypothese 3: Nuklearunfälle wirken als Moderator und erhöhen die Effektivität grüner Politikmaßnahmen. Im Folgenden wird die Datengrundlage sowie die methodische Herangehensweise diskutiert, mit der die obigen Hypothesen getestet werden sollen.

3 Daten und ökonometrische Prozedere Als Datenbasis werden verschiedene Datenbanken zusammengeführt. Die Informationen über die verabschiedeten grünen Politikmaßnahmen stammen von der Internationalen Energieagentur (IEA). Zur Messung der technologischen Kompetenz eines Landes werden Patentdaten des europäischen Patentamts (EPO) verwendet. Der daraus entstehende Makro-Panel-Datensatz erlaubt es, neben „Fixed-Effects“ auch dynamische heterogene Panel-Regressionen wie das „mean group“ bzw. „pooled mean group“ Verfahren anzuwenden. Dadurch können kurz- und langfristige Effekt voneinander separiert werden.

3.1 Datenbasis Die Internationale Energieagentur (IEA) bietet umfangreiche Informationen über die verabschiedeten Politikmaßnahmen der OECD-Länder. Die Variable Renewable Energy Policies (REP) soll als Proxy für die politische Aktivität im Bereich erneuerbarer Energien dienen. Diese Verfahrensweise wurde bereits von Johnstone et al. (2010), Nesta et al. (2014) bzw. Dasgupta et al. (2001) angewendet. Aus den IEA Informationen können der Zeitpunkt der Einführung einer grünen Politikmaßnahme sowie deren Gültigkeitsdauer entnommen werden. Im Detail können die Politikmaßnahmen auch nach Art des eingesetzten Instruments unterschieden werden, ob es sich beispielsweise um ein regulatorisches, fiskalisches oder ein reines Anreizinstrument handelt. Zur Vereinfachung wird hier nicht nach Art des Instruments unterschieden, sondern ein Index über alle REP hinweg gebildet. Diese Aggregation stellt eine starke Vereinfachung dar, denn die bloße Anzahl der Maßnahmen kann nicht kardinal verglichen werden. Dadurch gehen Informationen

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über individuelle Effekte verloren (Johnstone et al., 2010). Würde eine Gewichtung gemäß des Volumens der jeweiligen Maßnahme berücksichtigt, könnte dieses Manko zum gewissen Grad kompensiert werden. Diese Informationen stehen jedoch nicht zur Verfügung. Dennoch kann dieser einfache Index REP als Maß für die politische Aktivität im Bereich erneuerbarer Energien des jeweiligen Landes interpretiert werden (Nesta et al., 2014). Ob nun externe Schocks wie Nuklearunfälle Einfluss auf die politische Aktivität eines Landes nehmen, hängt von mehreren kontextbezogenen Variablen des Landes ab. Ein Land, welches bereits fortschrittlich im Bereich der erneuerbaren Energieerzeugung ist, könnte noch sensibler auf externe Schocks reagieren. Ebenso verhält es sich mit dem verfügbaren technologischen Knowhow eines Landes. Hat ein Land bereits viel an Ressourcen in die technologische Entwicklung erneuerbarer Energien gesteckt, sollten auch die Fähigkeiten den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben höher sein. Als Kontrollvariablen werden hierfür die Produktionskapazität an grünem Strom (RC) und der Wissenskapitalstock (GK) eingeführt. Die grüne Energieerzeugung betrifft im Wesentlichen die Stromerzeugung, übrige energetische Anwendungszwecke werden vernachlässigt. Der Wissenskapitalstock wird anhand von Patenten gemessen, welche aus der PATSTAT Datenbank des Europäischen Patentamts entnommen wurden. Das Patentsystem stellt im Wesentlichen eine Klassifizierung von Wissen dar. Die Wissens- bzw. Technologieklassen werden entsprechend dem Internationalen Patentklassifizierungssystem (IPC) kategorisiert. Werden Patente in IPC-Klassen angemeldet, die in den Bereich erneuerbare Energien fallen, kann die Anzahl an Patenten als Maß für das akkumulierte Wissen innerhalb eines Landes interpretiert werden. Um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass auch Wissen einem zeitlichen Wertverfall unterliegt, wird wie von Popp (2002) gefordert, der Wert eines Patents über die Zeit hinweg abgeschrieben. Dieses Verfahren wird „Perpetual Inventory Method“ genannt und wurde bereits in Meinen et al. (1998), Hall (1993), Hall et al. (2000) oder Nesta und Saviotti (2006) angewendet. Die Berechnung des Wissenskapitals eines Landes lautet demnach: GK t = (1 – δ)GK t–1 + Pat t mit Pat t als Anzahl der angemeldeten Patente im Bereich erneuerbare Energien im Jahr t. Die Abschreibungsrate δ wird üblicher Weise auf 15 % festgesetzt. Die Zuordnung der Patente zum Bereich erneuerbare bzw. grüne Energie wurde aus der Zusammenführung der IPC mit der neueren CPC (Cooperative Patent Classification) gewonnen. Die CPC entstand aus der Harmonisierung der EPO und der amerikanischen Klassifizierung nach USPTO.1 Da keine eindeutige Technologieklasse für grüne Technologien in den genannten Klassifizierungssystemen existiert, wurde der Umwelttechnologieindikator nach OECD (2012) verwendet. Tab. 6 fasst die deskriptiven Statistiken zusammen:

1 Die Abkürzung USPTO steht für „United States Patent und Trademark Office“, welches das Pendant zum europäischen Patentamt darstellt.

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Tab. 6: Deskriptive Statistik. Zeitraum: 1975–2013. Variable a)

REP TC b) RC c) GDP d) GK e)

Obs

Mittelwert

Std. Abw.

Min

Max

1,428 1,296 1,296 1,328 1,224

7.369 58 13,063 812.4 271.7

12.33 141 21,938 1,766 954.7

0 0 0 4 0

101 1,068 177,014 14,499 10,653

a)

akkumulierte Anzahl grüner Politikmaßnahmen. Gesamte Stromerzeugungskapazität in Gigawatt (GW). b) Grüne Stromerzeugungskapazität in Megawatt (MW). d) Bruttoinlandsprodukt in 2005 US$. e) Wissenskapitalstock im Bereich grüner Technologien, berechnet mit der „Perpetual Inventory Method“. c)

3.2 Empirisches Prozedere Zur empirischen Überprüfung der Hypothesen werden zum einen Panelregressionen mit fixen Effekten gerechnet und zum anderen dynamische Panelverfahren angewendet. Die Zeitkomponente des verwendeten Datensatzes erstreckt sich über 39 Jahre, die Panelstruktur hinsichtlich der Zahl der betrachteten Länder beträgt lediglich 33. Damit handelt es sich um einen Makropaneldatensatz. Modelle mit fixen Effekten können so möglicher Weise zu verzerrten Ergebnissen führen. Deshalb werden Robustheitsprüfungen mit verschiedenen dynamischen heterogenen Panelregressionsmodellen vorgenommen.

3.2.1 Schätzer für heterogene Zusammenhänge Ist die zeitliche Komponente t eines Panels im Vergleich zur betrachteten Anzahl im Querschnitt i gering, so spricht man von einem Mikropanel. Die Grundmodelle zur Analyse von Mikropaneldaten verwenden meist Schätzer mit fixen bzw. Zufallseffekten oder einer Kombination aus beiden (Arellano und Bond, 1991). Mit zunehmender Länge der Zeitkomponente T belegen Pesaran und Smith (1995), dass diese traditionellen Schätzer keine erwartungstreuen Ergebnisse generieren. Der Grund steckt u. a. in der Endogenität der berechneten fixen Effekte. Im betrachteten Fall kommt hinzu, dass eine endogene Beziehung zwischen REP und GK unterstellt werden kann, wie Nesta et al. (2014) belegen. Darüber hinaus handelt es sich um integrierte Zeitreihen, so dass von einer seriellen Korrelation und inkonsistenten Ergebnissen ausgegangen werden muss. Werden verzögerte Variablen als erklärende Variablen verwendet, führt dies zu Scheinkorrelationen (Phillips und Moon, 2000; Im et al., 2003). Die Annahme homogener Koeffizienten, wie bei Schätzern mit fixen Effekten angenommen, führen deshalb mit zunehmender Zeitkomponen-

Fukushima – ein natürliches Experiment

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te T zu verzerrten Ergebnissen. Pesaran und Smith (1995) zeigen, dass GMM-Schätzer bei dynamischen Panelmodellen inkonsistente Langzeitkoeffizienten ergeben, wenn die tatsächlichen Koeffizienten heterogen sind. Der „Pooled Mean Group (PMG)“-Schätzer, wie von Pesaran und Smith (1995) eingeführt und von Blackburne und Frank (2007) diskutiert, korrigiert diesen Fehler. Beim PMG-Schätzer handelt es sich um ein Fehlerkorrekturmodell, welches sowohl die Wirkung kurzfristiger Schocks als auch die Konvergenz zu langfristigen Entwicklungspfaden berücksichtigt (Blackburne und Frank, 2007).

3.2.2 Dynamische Heterogene Paneldaten Schätzung In diesem Abschnitt wird insbesondere auf die Schätzung von dynamischen heterogenen Panel Modellen eingegangen, wie sie von Pesaran und Smith (1995) entwickelt und in Stata von Blackburne und Frank (2007) implementiert wurden. Für die herkömmlichen Panelregressionsmodelle wird auf die Standardliteratur verwiesen.2

3.2.3 Basismodell Das Basismodell kann Blackburne und Frank (2007) entnommen werden und beruht auf einem „Autoregressive Distributive Lag Model“ ARDL(p, q, ..., q k)-Modell. Die Parameter beziehen sich auf die Autoregression der Ordnung p und den integrierten Fehler der Ordnung q. Der Zeithorizont des Modells erstreckt sich über die Jahre t = 1, 2, ..., T und die Panelvariable i = 1, 2, ..., N bezeichnet die Querschnittskomponente. Gleichung (1) beschreibt das Basismodell: p​

q​

y​i​t​ = ∑λ​i​j​ y​i​, t​ − j​ + ∑δ​'​ X​i​, t​ − j​ + μ​i​ + ϵ​i​t​ j​ = 1

(1)

j​ = 0

Die Dynamik des Modell zeigt sich in der Lag-Struktur bezüglich der unabhängigen und den abhängigen Variablen: yi, t als abhängige Variable wird auf der rechten Seite der Gleichung mit Lags der Länge p als unabhängige Variable erneut berücksichtigt. Die zu schätzenden Koeffizienten sind mit λij bezeichnet. Die unabhängigen, erklärenden Variablen sind in der Matrix Xit subsumiert. Sie besteht aus k + 1 Spalten mit k als Anzahl der erklärenden Variablen. Auch Xit ist mit einer LagStruktur der Länge q versehen und die zu schätzenden Koeffizienten werden mit δ' bezeichnet. Panel-spezifische Effekte sind durch den Parameter μit repräsentiert,

2 Zum Beispiel Greene (2003) oder Wooldridge (2015).

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Sherief Emmam, Thomas Grebel und Ana-Despina Tudor

der Fehlerterm mit cit. Des Weiteren gilt die Annahme, dass die unabhängigen mit der abhängigen Variablen kointegriert sind, mit I(1), während der Fehlerterm einem I(0)-Prozess unterliegt. Dies ermöglicht eine Reparametrisierung, wie sie bei Fehlerkorrekturmodellen üblich ist: p​ − 1

q​ − 1

Δ y​i​t​ = ∅i​ (y​i​, t​ − 1 − β​'i​ ​X​i​, t​ ) + ∑λ​ i*​j​ Δ y​i​, t​ − 1 + ∑δ'​i​j*​​ Δ X​i​, t​ − j​ + μ​i​ + ϵ​i​t​ j​ = 1

(2)

j​ = 0

Gleichung (2) beschreibt nun die Veränderung der abhängigen Variable Δy​i​t​ in Abhängigkeit kurzfristiger und langfristiger Einflüsse. Parameter ∅i​ bezeichnet die Fehlerkorrektur, welche die Anpassungsdynamik an den langfristigen Entwicklungspfad nach jedem Schock bestimmt. Sie wird berechnet mit: p​ − 1

∅i​ = (1 − ∑λ​i​j) ​

(3)

j​ = 1

Nimmt der Parameter ∅i​ den Wert 0 an, dann kann keine Langfristbeziehung festgestellt werden. Der Vektor β beinhaltet die Langfristbeziehungen zwischen der abhängigen und den unabhängigen Variablen. Er ergibt sich aus der Summe der q​

vergangenen, korrigierten kurzfristigen Einflüsse δ​ i​j​ mit β​i​ = ∑δ​ i​j​ / (1 − ∑λ​i​k), ​ p​

λ​ i*​j​

=−

∑ λ​i​m​ für j​ = 1, 2, …, p​ und

q​

δ​ i*​j​

=−

m​ = j​ + 1

j​ = 0

k​

∑ δ​i​m​ für j​ = 1, 2, …, q​ − 1. m​ = j​ + 1

Das Modell erlaubt weiterhin, mit heterogenen Koeffizienten (MG = Mean Group), homogenen Koeffizienten (PMG = Pooled Mean Group) bzw. dynamischen fixen Effekten (DFE) zu rechnen. Im PMG-Modell werden Langfristkoeffizienten als homogen angenommen, im MG-Modell gilt die Heterogenitätsannahme für alle Koeffizienten, welche im Nachhinein gemittelt werden. Im DFE-Modell werden alle Koeffizienten bis auf die panel-spezifischen Achsenabschnitte als homogen angenommen.3 Ein Panel-Hausmann-Test liefert den Vorzug für das jeweilige Modell.

4 Empirische Ergebnisse Zur Überprüfung der genannten Hypothesen wird folgende Basisschätzgleichung verwendet: (4) repit = γ'Dt + β1 rcit + β2 gkit + μi + ϵi

3 Vergleiche Blackburne und Frank (2007) oder Pesaran und Smith (1995).

Fukushima – ein natürliches Experiment

157

Tab. 7: Einfluss von Nuklearunfällen auf die politische Aktivität. Variable

Modell I

Tschernobyl (Dummy)

0.043* (0.022) −0.062*** (0.011)

1.359*** (0.134) 1.490*** (0.117) 0.051 (0.112) 0.043* (0.022) −0.062*** (0.011)

0.515*** (0.112)

0.515*** (0.112)

Ibaraki (Dummy) Fukushima (Dummy) ln(GK) ln(RC)

Modell II

Tschernobyl × ln(GK) Ibaraki × ln(GK) Fukushima × ln(GK) Constant

Beobachtungen Anzahl id R2 adj. within R2 adj. between R2 adj. overall

1,176 34 0.849 0.0438 0.640

1,176 34 0.849 0.0438 0.640

Modell III 1.303*** (0.138) 1.364*** (0.136) 0.359** (0.169) −0.060* (0.032) −0.053*** (0.011) 0.094*** (0.024) 0.026 (0.017) −0.064** (0.026) 0.536*** (0.111) 1,176 34 0.852 0.0715 0.639

Abhängige Variable: ln(REPt+1). Standardfehler in Klammern, *** p < 0.01, ** p < 0.05, * p < 0.1. Anm.: rep ist ein Jahr nach vorne, der Wissenskapitalstock um ein Jahr nach hinten verschoben.

Variablen in Kleinbuchstaben geben logarithmierte Variablen an. Die logarithmierte Anzahl an aktiven Politikmaßnahmen eines Landes repit im Jahr t hängt demnach von den Nuklearunfällen ab, welche in Dt zusammengefasst sind. Dt stellt einen Spaltenvektor mit drei Elementen dar, die jeweils für die Unfälle in Tschernobyl, Ibaraki und Fukushima stehen. Im Jahr des Unfalls wird die Indikatorvariable von 0 auf 1 gesetzt und verändert danach seinen Wert nicht mehr; der Vektor γ besteht folglich aus drei Elementen, welche den jeweiligen Einfluss des Unfalls auf repit ausdrücken. Als Kontrollvariablen sind rcit und gkit eingefügt, d. h. die logarithmierte grüne Stromerzeugungskapazität eines Landes in MW bzw. der logarithmierte Wissenskapitalstock. Tab. 7 präsentiert die Ergebnisse aus der Schätzung der Basisgleichung. Die abhängige Variable repit + 1 wird mit einem Jahr Vorlauf berücksichtigt. Anstelle einer Verschiebung um ein Jahr nach vorn, könnten alle unabhängigen Variablen um ein Jahr verzögert in die Modelle integriert werden. Dies drückt die Idee aus, dass die Politikmaßnahmen auf die unabhängigen Variablen reagieren.

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In Modell I werden zunächst die Kontrollvariablen ln(GK) und ln(RC) eingeführt. Länder mit einem hohen Wissenskapital ln(GK) im Bereich erneuerbarer Energien führen tendenziell mehr grüne Politikmaßnahmen ein. Ist die grüne Stromerzeugungskapazität ln(RC) stark angestiegen, ist die Anzahl zukünftiger aktiver Politikmaßnahmen geringer. Modell (2) fügt Indikatorvariablen für die Nuklearunfälle hinzu. Die Koeffizienten für Tschernobyl und Ibaraki sind signifikant und positiv. Die Anzahl grüner Politikmaßnahmen ist nach diesen Unfällen angestiegen. Im Falle Fukushimas ist der Koeffizient nicht signifikant. Das kann u. a. daran liegen, dass die verfügbare Zeitspanne der Daten nach dem Unfall zu kurz ist. Interagiert man das Wissenskapital mit den Indikatorvariablen, erhält man einen Interaktionsterm, der ausdrückt, inwieweit die Wirkung eines Schocks von der Höhe des Wissenskapitals eines Landes abhängig ist. Dieser sogenannte Moderationseffekt wurde in Modell (3) untersucht. Der Interaktionsterm mit der Tschernobylindikatorvariable ist positiv. Länder mit höherem Wissenskapital ln(GK) erhöhten ihre Politikaktivität nach Tschernobyl signifikant. Für Ibaraki ist dies nicht feststellbar. Im Falle Fukushimas ist der Interaktionsterm sogar negativ. Länder mit hohem Wissenskapital haben im Vergleich zu anderen Ländern die Politikmaßnahmen weniger stark erhöht. Der Gesamteffekt durch Fukushima beläuft sich auf 0.359 – 0.064 · ln(GK). Der R-Quadrat für die „within“-Regression ist im Vergleich zum R-Quadrat „between“ sehr hoch, was darauf hindeutet, dass die Wirkung der Unfälle für alle Länder ähnlich war, hinsichtlich der politischen Aktivität eines Landes. Hypothese 1 scheint folglich nicht widerlegbar. Ob die Politikmaßnahmen zu mehr erneuerbarer Energieerzeugungskapazität geführt haben, wird in Tab. 8 untersucht – gemessen anhand der Zunahme der grünen Stromerzeugungskapazität. Als abhängige Variable wird der Anteil der erneuerbaren Stromerzeugungskapazität verwendet. Modell IV beinhaltet die Gesamtstromerzeugungskapazität ln(TC) und die grünen Politikmaßnahmen ln(REP) als erklärende Variablen. Durch ln(TC) wird einerseits die Größe des Landes als Einflussfaktor berücksichtigt und andererseits die grüne Stromerzeugung ins Verhältnis zur Gesamtproduktion gesetzt. Der Koeffizient ist signifikant negativ. Nimmt die Gesamtkapazität der Stromerzeugung zu, sinkt im Durchschnitt der Anteil der grünen Stromerzeugung. Es werden also durchschnittlich mehr an nicht erneuerbaren Kapazitäten aufgebaut. Grüne Politikmaßnahmen wirken ebenfalls positiv auf den Anteil der grünen Stromerzeugung. Werden die drei Dummies für die Nuklearunfälle berücksichtigt (Model V), verliert ln(REP) an Signifikanz. Der R-Quadrat „within“ nimmt signifikant zu. Alle drei Dummies sind hoch signifikant positiv und zeigen erneut eine vermittelnde Wirkung auf den Ausbau an erneuerbaren Energien in den OECD-Ländern. Model VI berücksichtigt die Interaktionsterme zwischen den Politikmaßnahmen und den Nuklkearunfalldummies. Dadurch verliert der Dummy für Ibaraki seine Signifikanz, während die beiden anderen signifikant positiv bleiben. Addiert man die direkten und indirekten Effekte

Fukushima – ein natürliches Experiment

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Tab. 8: Nuklearunfälle, REP und ihr Einfluss auf die grüne Stromerzeugungskapazität. Variable ln(Gesamtkapazität) REP

Modell IV

Modell V

−0.230*** (0.014) 0.190*** (0.020)

−0.254*** (0.014) −0.010 (0.038) 0.329*** (0.059) 0.274*** (0.082) 0.454*** (0.100)

0.322** (0.128)

0.415*** (0.130)

Tschernobyl Ibaraki Fukushima Tschernobyl × ln(REP) Ibaraki × ln(REP) Fukushima × ln(REP) Constant

Beobachtungen Anzahl id Number of id R2 adj. within R2 adj. between R2 adj. overall

1,262 0.190 34 0.190 0.00373 0.0405

1,232 0.226 34 0.226 0.000667 0.0354

Modell VI −0.253*** (0.014) −0.343*** (0.098) 0.250*** (0.068) 0.136 (0.120) 1.336*** (0.416) 0.330*** (0.100) 0.062 (0.063) −0.307** 0.492*** (0.131) 1,232 0.238 34 0.238 0.000776 0.0373

Modell VII −0.270*** (0.015) −0.458*** (0.100) 0.415** (0.196) 0.996*** (0.240) 0.830* (0.448) 0.333*** (0.101) −0.027 (0.068) −0.220 0.540*** (0.181) 1,232 0.267 34 0.267 0.00001 0.0342

Abhängige Variable: ln(RC/TC). Standardfehler in Klammern, *** p < 0.01, ** p < 0.05, * p < 0.1.

(Interaktionsterme), ergibt sich ein anhaltend positiver Effekt für Tschernobyl (.250 + .330rep) und für Fukushima lediglich ein positiver, direkter Effekt, der durch den indirekten Effekt reduziert wird (1.336 − 0.307rep). Werden zusätzlich Jahresdummies berücksichtigt (Model VII) verliert der negative indirekte Effekt für Fukushima an Bedeutung. Alle Nukleardummies sind jedoch signifikant positiv, wobei der Effekt der Politikmaßnahmen nach Tschernobyl als einziger indirekter Effekt signifikant und positiv ist. Die Ergebnisse unterstützen folglich alle drei Hypothesen. Bisher wurde jedoch wenig auf die oben angesprochenen Endogenitätsprobleme eingegangen. Um auf diese Problematik einzugehen, wird nun zur Überprüfung der Robustheit der Ergebnisse auf die dynamischen heterogenen Panelschätzverfahren zurückgegriffen (Pesaran und Smith, 1995; Blackburne und Frank, 2007). Die Schätzgleichung wird an den oben beschriebenen Modellrahmen (siehe Gleichung 2) angepasst. Tab. 9 zeigt die Ergebnisse der Modellregressionen (Modell VIII, IX und X) mit Hilfe des Pooled-Mean-Group-Verfahrens. Da zwischen kurzfristigen und langfristigen Effekten unterschieden wird, treten die Variablen zweimal in jeder Spalte auf.

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Tab. 9: Nuklearunfälle und deren Wirkung auf grüne Politikmassnahmen (REP). Variable

Model VIII

Model IX

Model X

langfristig Tschernobyl (Dummy) Ibaraki (Dummy) Fukushima (Dummy)

0.433*** (0.086) 2.408*** (0.089) 0.106 (0.124)

0.800*** (0.116) 2.349*** (0.106) 0.066 (0.171)

ln(GK) −0.026 (0.028)

ln(RC)

0.313*** (0.116) 1.384*** (0.099) −0.025 (0.122) 0.408*** (0.044) −0.047* (0.026)

kurzfristig ec Nuklearunfälle

−0.143*** (0.023) 0.131*** (0.033)

−0.145*** (0.019) 0.141*** (0.035)

0.041*** (0.014)

−0.173 (0.282) 0.037** (0.018)

ln(GK) ln(RC) Constant

Observations LL

1,360 139.4

1,232 92.35

−0.196*** (0.024) 0.109*** (0.033) 0.076** (0.035) 0.029 (0.407) −0.040 (0.028) 1,142 134.3

Abhängige Variable: Δrep. Standardfehler in Klammern, *** p < 0.01, ** p < 0.05, * p < 0.1.

In der oberen Hälfte der Tabelle werden die langfristigen Effekte gezeigt. Bis auf Fukushima hatten die übrigen Unfälle einen positiven Langfristeffekt auf die politische Aktivität der Länder. Auch kurzfristig (unterer Teil der Tabelle) wirken Nuklearunfälle4 positiv. Die anhaltende Wirkung der Schocks aus der kurzfristigen Sicht kann anhand des Fehlerkorrekturparameters (ec) berechnet werden. Dessen Kehrwert gibt an, nach welcher Zeitspanne das System wieder zum langfristigen Entwicklungspfad zurückkehrt. Damit sollte die Wirkung eines Nuklearunfalls auf die Politikaktivität nach ungefähr 1/.143 ≈ 7 Jahren wieder abgeklungen sein. Dieses Ergebnis ändert sich nicht Wesentlich, wenn man den Stand des Ausbaus an erneuerbaren Energien eines Landes ln(RC) berücksichtigt (Modell IX).

4 Die Variable Nuklearunfälle summiert die drei Dummies der Nuklearunfälle auf, da sie in der Kurzfristbetrachtung als Differenzen eingehen.

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Tab. 10: Nuklearunfälle, REP und deren Einfluss auf den Anteil erneuerbarer Energien. Variable

Modell XI

Modell XII

Modell XIII

langfristig Tschernobyl (Dummy) Ibaraki (Dummy) Fukushima (Dummy) ln(REP) ln(GDP)

0.026*** (0.008) −0.027 (0.033)

0.040*** (0.010) −0.035 (0.059) −0.005 (0.007)

−0.149*** (0.041) 0.040 (0.048) −0.305 (0.303)

−0.133*** (0.043) 0.024 (0.051) −0.461* (0.261) −0.047* (0.027)

−0.118* (0.071)

−0.083 (0.056)

ln(GK)

0.212 (0.307) 0.894*** (0.281) 1.056*** (0.310) 0.080 (0.187) 1.169 (1.165) 0.078 (0.168)

kurzfristig ec ln(REP) ln(GDP) ln(GK) Nuklearunfälle Constant

Observations LL

1,262 1,871

1,142 1,777

−0.026*** (0.006) −0.005 (0.062) −0.155 (0.273) −0.033 (0.027) −0.090 (0.106) −0.206*** (0.051) 1,142 1,801

Abhängige Variable: ln(RC/TC). Standardfehler in Klammern, *** p < 0.01, ** p < 0.05, * p < 0.1.

Modell X schließt den Wissenskapitalstock der Länder mit ein. Länder mit einem hohen, grünen Wissenskapitalstock sind sowohl kurz- als auch langfristig politisch aktiver. Der positive Einfluss der exogenen Schocks sowie die Zeitdauer des Abklingens der Wirkung eines Schocks bleibt im Modell X erhalten. Hypothese 1 ist demnach weiterhin als robust einzustufen. Tab. 10 fasst die Modellberechnungen hinsichtlich der Wirkung der Schocks auf den Ausbau der erneuerbaren Energien zusammen. Modell XI berücksichtigt das Bruttoinlandsprodukt (gdp) um für Größeneffekte zu kontrollieren. Die Zunahme der Politikmaßnahmen rep hat lediglich langfristig eine positive Wirkung auf den Anteil der grünen an der gesamten installierten Stromerzeugungskapazität.

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Dies erscheint insofern plausibel, als dass ein Ausbau eines längeren zeitlichen Vorlaufs bedarf. Model XII suggeriert, dass der Wissenskapitalstock im Bereich erneuerbarer Energien eines Landes (gk) langfristig keine Erklärungskraft für die Veränderung des Anteils an erneuerbarer Stromerzeugung hat. Kurzfristig scheint der Zusammenhang sogar negativ zu sein.5 Schließt man die Dummies für die Nuklearunfälle in Modell XIII mit ein, sind nur noch die beiden Dummies für Ibaraki und Fukushima signifikant positiv. Der Grund für den nicht feststellbaren Einfluss dieses Schocks kann damit zusammenhängen, dass der Aufbau des Wissens im Bereich erneuerbarer Energien erst nach Tschernobyl einen bemerkenswerten Aufschwung erfuhr. Ungeachtet dessen, auch der dynamische Ansatz der Pooled-Mean-GroupMethode deutet auf eine grundsätzlich positive Wirkung von nuklearen Schocks auf den Ausbau der erneuerbaren Energien hin.

5 Diskussion Die empirischen Ergebnisse stützen die aus der politikwissenschaftlichen Theorie abgeleiteten Hypothesen. Nuklearunfälle können als „Windows of Opportunity“ gesehen werden. Sie sind exogene Schocks, die von keinem Akteur antizipiert werden. Insofern trifft es alle Beteiligten völlig unerwartet, so dass eine VorherNachher-Betrachtung möglich ist. In den OECD-Ländern wurde nach diesen Schocks die politische Aktivität im Bereich erneuerbarer Energien erhöht. Es wurden mehr grüne Politikmaßnahmen (REP) verabschiedet (Hypothese 1). Ebenso stieg in den Folgejahren die Erzeugungskapazität für Strom aus erneuerbaren Energien (Hypothese 2). Hypothese 3 konnte nur bedingt unterstützt werden. Hinsichtlich des Kapazitätsanteils der erneuerbaren Energie konnte ein positiver Effekt aus dem Zusammenwirken von Nuklearunfall und den politischen Fördermaßnahmen nur im Fall von Tschernobyl festgestellt werden. Das könnte daran liegen, dass bis zum Zeitpunkt vor dem Unfall die technologischen Möglichkeiten im Bereich erneuerbarer Energien nicht ausgenutzt wurden, während später eher die technologischen Möglichkeiten der beschränkende Faktor waren.

5 Die Variablen gdp und gk sind stark positiv korreliert. Folglich könnte die Signifikanz der Koeffizienten ein Artefakt sein. Wird nur gk berücksichtigt, verliert auch der Koeffizient dieser Variable seine Signifikanz. Beide Variablen werden jedoch als Kontrollvariablen betrachtet. Deren Berücksichtigung verschlechtert die Effizienz des Schätzers. Der Schätzer bleibt jedoch erwartungstreu. Die Ursache für einen negativen Zusammenhang zwischen dem Wissensstock und dem Anteil an erneuerbaren Energien könnte auch mit der Tatsache zusammenhängen, dass neues technologisches Wissen im Vorlauf zum Ausbau der neuen Technologie aufgebaut werden muss. Da der Wissensstock abgeschrieben wird, entsteht so eine gegenläufige Beziehung zwischen den beiden Variablen.

Fukushima – ein natürliches Experiment

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Die Bedeutung des technologischen Wissens GK wurde auch in den dynamischen Panelregressionen deutlich. Denn ebenso wie die Nuklearunfälle wirkt auch der Wissenskapitalstock eines Landes positiv auf die politische Aktivität. Die Effektivität von Fördermaßnahmen hängt von der vorhandenen Kompetenz im Bereich der erneuerbaren Energieerzeugung ab. Ist diese im jeweiligen Land hoch werden auch mehr entsprechende Fördermaßnahmen aufgesetzt (Tab. II und IV). So entstehen sowohl kurzfristig als auch langfristig mehr Förderprogramme. Durch die exogenen Shocks verstärkt sich auch die Wirksamkeit der Programme (Tab. III und V). In der Zeit nach diesen Schocks kann nicht nur eine höhere Anzahl an Politikmaßnahmen, sondern auch ein langfristig höherer Ausbau von erneuerbaren Energien festgestellt werden. Den Erwartungen entsprechend kann also die Wirkung von Nuklearunfällen sowohl auf die Politikaktivität als auch auf den Ausbau an erneuerbaren Energien bestätigt werden. Hinsichtlich der Richtung der Kausalität zwischen Schock und den verabschiedeten Politikmaßnahmen besteht kein Endogenitätsproblem. Zwischen den Politikmaßnahmen und dem Wissensstock jedoch kann eine endogene Beziehung nicht ausgeschlossen werden, wie Nesta et al. (2014) unterstreichen. Während letztere dieses Problem mit einer Pre-Sample-Mean-GMM-Schätzung angehen, wird hier mit dem Pooled-Mean-Group-Schätzverfahren nach Pesaran und Smith (1995) bzw. Blackburne und Frank (2007) gearbeitet. Dieses Verfahren reduziert das Ausmaß des Problems, löst es aber nicht gänzlich wie Pesaran und Smith (1995) selbst bemerken. Der Vorteil gegenüber dem Pre-Sample-Mean-GMM-Verfahren liegt darin, dass zwischen kurz- und langfristigen Effekten unterschieden werden kann. Demnach führen exogene Schocks vom Ausmaß eines schweren Atomunglücks wie in Fukushima sowohl kurzfristig als auch langfristig zu mehr Politikmaßnahmen im Bereich erneuerbarer Energien (Tab. IV). Kurzfristig kommt es zu keinem überproportionalen Ausbau an erneuerbaren Energien (Tab. V); langfristig kann ein stärkerer Ausbau beobachtet werden. Das ist wenig überraschend, da der Ausbau eine gewisse Planungs- und Bauzeit erfordert und kurzfristig nicht realisiert werden kann. Aufgrund des Datenmangels blieben in der Analyse einige Aspekte unberücksichtigt. Der länderspezifische Transmissionsmechanismus wie es letztendlich zur Durchsetzung neuer Politikmaßnahmen kam, spiegelt sich in keiner der erklärenden Variablen wider. Die Ergebnisse obiger Berechnungen belegen lediglich, dass Resultate aus dem Agenda-Setting (Nohrstedt, 2008; Sabatier und Weible, 2014) und der Konvergenz der verschiedenen gesellschaftlichen Strömungen (Kingdon, 1995) nach einem Nuklearunfall zu einem erfolgreichen Ergebnis geführt haben. Zumindest kann nach den Unfällen mehr grüne Politikaktivität in den Ländern gemessen werden. In zukünftigen Analysen sollten Indikatoren, die gesellschaftliche Strömungen abbilden können, mit einbezogen werden. Sind tiefergehende Informationen vorhanden, können auch Probleme der Multikollinearität oder der Endogenität durch eine genauere Beschreibung des Zusammenhangs, vor allem aus dynamischer Sicht, besser gehandhabt werden.

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6 Zusammenfassung/Ausblick Die statistischen Risiken eines Nuklearunfalls mögen gering sein, die Konsequenzen sind verheerend. Tschernobyl, Ibaraki und Fukushima sind zum Sinnbild der Gefahren der Kernenergie geworden. Der gesellschaftliche Konsens auf Atomstrom zu verzichten, scheint nach solchen Desastern am größten. Folglich müsste auch die Chance auf eine Veränderung hin zu mehr erneuerbaren Energien nach diesen Schocks stark ansteigen. Ob derartige exogene Schocks tatsächlich eine Änderung induzieren, ist Gegenstand der Analyse dieses Beitrags. Nuklearunfälle sind exogene Schocks. Sie sind nicht vorhersehbar und wirken dennoch wie ein natürliches Experiment, ein Experiment, dass weder beabsichtigt noch gewollt wurde und trotz aller Sicherheitsmaßnahmen nicht zu vermeiden war. Aus politikwissenschaftlicher Sicht werden solche Krisen als „Focusing-Event“ bezeichnet, Momente die dazu führen, dass sich die verschiedensten gesellschaftlichen Strömungen annähern und der politische Prozess letztendlich zur Umsetzung entsprechender Maßnahmen führt. Erst dann kann ein politischer Wandel vollzogen werden. Neben den traditionellen Panel-Schätzungen mit fixen Effekten, wurden dynamische heterogene Panel-Schätzverfahren verwendet. Letztere erlauben zwischen einer kurz- und langfristigen Perspektive zu unterscheiden und ohne Informationsverlust Endogenitätsfragen anzugehen. Die Ergebnisse in beiden Verfahrensweisen zeigen einen grundsätzlich positiven Zusammenhang zwischen Nuklearunfällen und der darauffolgenden Zunahme grüner Politikmaßnahmen. Darüber hinaus kann auch ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen den Unfällen und dem Ausbau an erneuerbaren Energien identifiziert werden. Die Unfälle erhöhten nicht nur die Zahl der Politikmaßnahmen, sondern verstärkten auch deren Wirkung: der Anteil erneuerbarer Energien an der Gesamtstromerzeugung stieg signifikant an. Der kurzfristige Impuls der Schocks hält im Durchschnitt sieben Jahre und kehrt danach auf ein höheres Niveau als vor dem Schock zurück. Aufgrund des Designs der Studie, welche die Wirkung exogener (nicht intendierter) Schocks in den Mittelpunkt stellt, lassen sich keine Politikimplikationen direkt ableiten. Es steht außer Frage, dass Nuklearunfälle grundsätzlich zu vermeiden sind. Wenn sich jedoch ein „Window of Opportunities“ öffnet, sollte es effizient genutzt werden. Aussagen über die Effizienz des länderspezifischen politischen Prozess können jedoch nur getroffen werden, wenn weitere politisch und gesellschaftliche Variablen mit einbezogen werden, so dass generalisierbare Aussagen über politische Prozesse möglich werden. Eine bessere Generalisierbarkeit wirft jedoch neue Fragen wie die grundlegende Messbarkeit politischer Prozesse auf. Diese Fragen gilt es, in der zukünftigen Forschung anzugehen.

Fukushima – ein natürliches Experiment

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Andreas Fleig und Marc Debus

Außergewöhnliche Ereignisse und responsives Regieren Die Auswirkungen der Energiewende auf das Vertrauen in politische Institutionen

1 Einleitung „A key characteristic of democracy is the continuing responsiveness of the government to the preferences of its citizens, considered as political equals.” (Dahl, 1971: 1)

Die grundlegenden sozialen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in einem Land sind das Ergebnis eines langfristigen Entwicklungsprozesses, innerhalb dessen sich auch die jeweiligen institutionellen und politischen Gegebenheiten einer Gesellschaft herausbilden. Der Idealtypus einer modernen, repräsentativ organisierten Demokratie (vgl. Schmidt, 2000: 148–165) bringt hierbei anhand des politischen Prozesses einen „Policy Output“ hervor, welcher die Vorstellungen einer Mehrheit seiner Bürgerinnen und Bürger wiedergibt. Entscheidend für die Legitimität des politischen Entscheidungsprozesses ist dabei ein ausreichendes Maß an politischer Beteiligung der Bevölkerung (vgl. Easton, 1975; Decker, 2016). Im Regelfall erfolgt dies in Form von Wahlen, bei welchen die Bevölkerung sich jeweils zwischen verschiedenen Kandidaten und deren inhaltlichem Programmangebot entscheiden kann (vgl. Pierson, 2004; Schmitt-Beck und Weick, 2001). Setzen die gewählten politischen Akteure anschließend die von den Bürgerinnen und Bürgern präferierten Inhalte um (Prinzipal-Agenten-Theorie; vgl. Gilardi und Braun, 2002), dann sollte dies dazu führen, dass das politische System und damit dessen demokratische Qualität von einer großen Mehrheit der Bevölkerung unterstützt und nachdrücklich befürwortet wird. In modernen, westlichen Demokratien erfolgt die Delegation der Bevölkerungsinteressen an Parteien dabei nicht nur zu vereinzelten Wahlterminen (vgl. Detterbeck, 2002). Vielmehr befinden sich politische Akteure im „Dauerwettbewerb“ (Knirsch, 2003: 29; vgl. Schmidt, 2007) der politischen Kommunikation (vgl. Korte und Hirscher, 2000). Die laufende Herausforderung besteht für alle politischen Parteien darin, die Wünsche, Hoffnungen und Ideale der Wählerschaft zu erfassen und die eigene Programmatik entsprechend auszurichten (vgl. Debus und Müller, 2013). Somit kann die Qualität eines demokratischen Systems – neben weiteren Kriterien – anhand der Responsivität im Hinblick auf von der Bevölkerung präfe-

Anmerkung: Wir bedanken uns bei Laura Zöckler und Lisa Schlesewsky für die vielen hilfreichen Kommentare und Anregungen. https://doi.org/10.1515/9783110525762-010

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Andreas Fleig und Marc Debus

rierte Politiken bemessen werden (vgl. Druckmann, 2014; Morlino, 2004). Im Idealfall kommt ein solches politisches System dabei der Idealvorstellung des responsiven Regierens nahe, welches Powell (2000; 2004) als erstrebenswertes Modell im Rahmen der modernen Parteiendemokratien diskutiert. Dass jedoch die kontinuierliche Umsetzung des mehrheitlichen Bevölkerungswillens nur einen theoretischen Extremfall darstellt, wird in erster Linie beim Auftreten von „außergewöhnlichen Ereignissen“ augenscheinlich. Diese Ereignisse zeichnen sich durch ein zwar seltenes, aber, falls eintretend, auch plötzliches und das bestehende System erschütterndes Auftreten aus. Da sie in sehr kurzer Frist zu Spannungen im bestehenden System und daraus resultierend(en) sozialen Veränderungen führen (vgl. Birkland, 1997), stellen sie die Politik vor vielfältige Herausforderungen. So muss diese nicht nur eine nun angemessene politische Strategie entwickeln bzw. eine bestehende ideologische Ausrichtung entsprechend anpassen und sich ergebende soziale, ökonomische sowie ökologische Konsequenzen kommunizieren, sondern auch gegenüber der Bevölkerung die erfolgten Anpassungen glaubhaft vermitteln. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die politischen Institutionen stellt hierbei nicht nur einen Nebenaspekt dar, vielmehr bildet es als „seelische Grundlage der repräsentativen Demokratie“ (Hennis, 1962, zitiert in Blanke, 2013: 74) eine notwendige Bedingung für die Umsetzung von politischen Entscheidungen. Das zentrale Forschungsinteresse dieses Beitrags gilt einer ebensolchen Politikveränderung als Reaktion auf ein außergewöhnliches Ereignis und der Untersuchung der hieraus resultierenden Auswirkungen auf das Vertrauen in politische Institutionen. Aufbauend auf Tosun et al. (2015) betrachten wir als empirisches Fallbeispiel das Reaktorunglück von Fukushima im März 2011, welches (im Anschluss) zu einer umwälzenden Neuausrichtung der Energiepolitik in Deutschland führte (vgl. Kießling, 2012; Mautz, 2012; Seeliger, 2012). Die Mehrebenenstruktur des deutschen Parteienwettbewerbs impliziert dabei, dass nicht nur der Bund, sondern auch Bundesländer sowie lokale Gebietskörperschaften Entscheidungsbefugnisse in manchen Politikfeldern haben (vgl. z. T. Benz, 2009; Kropp, 2010; Reus, 2014) und die dort agierenden politischen Parteien ein eigenständiges programmatisches Profil aufweisen (vgl. z. T. Bräuninger und Debus, 2012). Vor diesem Hintergrund betrachten wir die Implementation der „Energiewende“ im Bundesland Hessen.1 Von besonderem Interesse ist dabei, dass der Landtag von Wiesbaden seit den 1970er Jahren von einer überaus scharfen Form ideologischer Auseinanderset-

1 Die „Energiewende“ formuliert Zielvorgaben für die Entwicklung der Struktur der deutschen Energieversorgung bis zum Jahr 2050. Die energiepolitischen Ziele umfassen im Wesentlichen die Reduktion der Treibhausgase sowie die Verminderung des Energieverbrauchs und eine Veränderung der Struktur des Energiemix. Die gravierendsten Veränderungen betreffen die Rückführung des Anteils der Kernenergie auf null Prozent bis zum Jahr 2022 sowie die Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch auf 18 % bis zum Jahr 2020 (acatech 2012: 12).

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zungen zwischen den Parteien geprägt war, während der in 2011 von der hessischen Landesregierung initiierte Energiegipfel eine bemerkenswerte überparteiliche Initiative darstellt. In diesem spezifischen Kontext gehen wir im vorliegenden Beitrag folgender Forschungsfrage nach: Wie hat sich die Umsetzung der Energiewende in Hessen auf das Vertrauen in die dortigen politischen Institutionen ausgewirkt? Um diese Frage zu beantworten, legen wir im zweiten Abschnitt zunächst dar, was unter dem Begriff „außergewöhnliches Ereignis“ zu verstehen ist. Dabei gehen wir auch auf die Abgrenzung zu verwandten Konzepten ein, indem wir den Stand der politikwissenschaftlichen Forschung zur theoretischen Analyse des politischen Gestaltungsprozesses allgemein diskutieren. Im dritten Abschnitt zeichnen wir unseren empirischen Untersuchungsfall nach und besprechen sowohl die Ausgestaltung und Probleme bei der Umsetzung der Energiewende als auch die Muster von Wählernachfrage und Parteienwettbewerb in Hessen. Die Auswirkungen auf das Vertrauen in die hessischen Institutionen evaluieren wir in Abschnitt Vier anhand von Umfragedaten sowie Informationen zur hessischen Kommunalwahl 2016. Abschließend werden die gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst und es wirdnach normativen Implikationen für die Qualität demokratischen Regierens angesichts des Auftretens außergewöhnlicher Ereignisse gefragt. Dabei umreißen wir Möglichkeiten, die neue Energiepolitik in einer modernen, repräsentativ organisierten Parteiendemokratie kritisch zu begleiten und zu beeinflussen.

2 Außergewöhnliche Ereignisse und responsives Regieren Im Folgenden erörtern wir die für unsere Untersuchung notwendigen analytischen Konzepte und ordnen unser Fallbeispiel entsprechend ein. Unsere Analyse fokussiert auf Politikveränderungen im Anschluss an das Auftreten eines außergewöhnlichen Ereignisses. Hierunter verstehen wir Vorkommnisse, welche nur selten eintreten, sich hierbei aber stark auf die Betroffenen auswirken. Konkret kann den Ereignissen nur eine geringe oder keine Vorhersagbarkeit zugerechnet werden, während ihre Auswirkungen ein immenses Ausmaß aufweisen (vgl. Taleb, 2007). Die Bedeutung solcher „Focusing Events“ (Kingdon, 1984; 1995) wird in der politikwissenschaftlichen Forschung von vielen Beiträgen zur politischen Entscheidungsagenda bestätigt (vgl. z. T. Baumgartner und Jones, 1993; Birkland, 1998; Cobb und Elder, 1983).2 Sie entsprechen nach ihrer Konzeption auch den „External Pertubati2 Die Bandbreite möglicher Ereignisse ist dabei weit gefasst. Als mögliches „Focusing Event“ diskutiert Kingdon (1984) unter anderem ein neu auftretendes Problem oder institutionelles Element sowie eine Veränderung des Problemverständnisses oder des Verständnisses politischer Handlungsmöglichkeiten.

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ons“ bei Baumgartner und Jones (punctuated equilibrium theory; 1993). Dabei sind diese nicht zwingend auf „externe“ Anstöße begrenzt, vielmehr können sich entsprechende Entwicklungen auch innerhalb des politischen Systems ereignen (vgl. Sabatier und Weible, 2007: 204–205). Die plötzlich eintretenden Ereignisse führen in sozialen Ordnungen in sehr kurzer Frist zu Spannungen im bestehenden System und eröffnen hierdurch Möglichkeiten für Reformen („Window of Opportunity“; Kingdon, 1984; Zahariadis, 1999). Dabei ist zu beachten, dass nach einem solchen Ereignis eine Politikveränderung eintreten kann, aber nicht muss. Die jeweilige Entwicklung hängt auch davon ab, ob mögliche Alternativen bereits vor dem Eintreten des außergewöhnlichen Ereignisses innerhalb des politischen Systems bekannt waren (Rinscheid, 2015). Zahariadis (2007) verweist hierbei auf das notwendige Zusammenspiel von Problemstellungen, Policies, Politics sowie „Policy Entrepreneurs“. Von Bedeutung ist auch der Typus des Ereignisses. Hierbei kann danach unterschieden werden, ob das Ereignis aufgrund menschlichen Fehlverhaltens oder aufgrund unglücklicher Umstände eintritt (Birkland, 1997: 2). Falls die öffentliche Meinung das Eintreten nicht beeinflussbaren Umständen (Erdbeben, Unwetter usw.) anlastet, richtet sich der Fokus auf mögliche Hilfsleistungen für die Opfer des Unglücks. In diesem Fall wirkt der Schock des Eintretens Salienz erhöhend, die öffentliche Meinung verlangt jedoch keine substanzielle Änderung der vorherrschenden Strukturen. Ist die Ursache in menschlichem Versagen zu finden,3 liegt der Fokus der öffentlichen Debatte hingegen auf der Identifizierung der Schuldigen und der Ausbesserung der bisherigen Regelungen, um aus dem Geschehenen für die Zukunft zu lernen (vgl. Birkland, 1997; Sabatier, 1988). Abhängig vom eingetretenen Schock und seinen Auswirkungen auf die Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger (bzw. auf unterschiedliche „Belief Systems“; vgl. Sabatier und Weible, 2007) fallen die geforderten Änderungen somit ungleich weitreichender aus. Finden diese Forderungen Eingang in den öffentlichen Diskurs – vermittelt durch die mediale Berichterstattung – und führen sie zu einer Veränderung der Interessenstrukturen der Bevölkerung, so müssen politische Akteure hierauf reagieren (vgl. Bräuninger, 2009; Debus und Müller, 2013; Elff, 2007). Rüb (2012) unterscheidet bei hieraus resultierenden Politikveränderungen nach den Kriterien der Geschwindigkeit und des Umfangs: i) inkrementelle Politikveränderung (langsam und teilweise), ii) rasche Politikwende (schnell und teilweise), iii) umfassender Politikwandel (langsam und umfassend) und iv) radikaler Politikwechsel (schnell und umfassend). Wie nun Politikveränderungen und außergewöhnliche Ereignisse zusammenhängen, wurde von Walgrave, Varone und Dumont (2006) untersucht. Dabei kommen die Autoren zu dem Schluss, dass traditionelle Parteienmodelle, die von einer

3 Solche Fehler erstrecken sich vom Bedienfehler eines Technikers über das Fehlverhalten ganzer Konzerne bis hin zur unzureichenden Gestaltung von Gesetzen (vgl. Birkland, 1998: 67–71).

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Umsetzung der inhaltlichen und ideologischen Parteiprogrammatik in Politikergebnisse ausgehen (vgl. Klingemann et al., 1994; McDonald und Budge, 2005; Schmidt, 1996), sehr gut in der Lage sind, Ergebnisse des legislativen Prozesses zu erklären. Anders verhält es sich jedoch bei umfassenden Politikveränderungen. Diese sind vielmehr determiniert von Ereignissen, die während einer Legislaturperiode ungeplant eintreten und neue Politikinhalte stimulieren (vgl. Baumgartner und Jones, 1993; Jones und Baumgartner, 2005). Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass außergewöhnliche Ereignisse Reformen von ansonsten festgefahrenen Hierarchien und Regelungen ermöglichen (vgl. Kubon-Gilke, 2011). Ausschlaggebend für die Neuausrichtung ist in der Regel die öffentliche Nachfrage nach einem bestimmten Handeln (vgl. Jones und JenkinsSmith, 2009). Unser Argument basiert somit auf der Verknüpfung der Effekte von außergewöhnlichen Ereignissen mit der Wählernachfrage nach Politikwandel und den Dynamiken des Parteienwettbewerbs. Betrachtet man mögliche Ereignisse, denen eine Gesellschaft ausgesetzt ist, so sticht die Kernenergie mit ihrer herausragenden Rolle in Energiefragen generell sowie die Energiepolitik in Deutschland insbesondere heraus (vgl. Butler et al., 2011; Feindt, 2010; Mükusch, 2012). Das Reaktorunglück von Fukushima stellt ein außergewöhnliches Ereignis dar, welches, trotz des bekannten Restrisikos der Kernkraft, in dieser Form nicht zu erwarten war und in kürzester Zeit zu einer veränderten Interessen- und Präferenzstruktur der Bevölkerung führte. Kernenergie war und ist ohne eine immense staatliche Förderung nicht möglich, sei es in Form von finanzieller Unterstützung, Risiko-Absicherung oder öffentlichem Rückhalt (Birkland, 1997: 106). Der Staat steht somit in der Verantwortung für diese Technologie. Dementsprechend haben Parteien in der Regel konkurrierende Vorstellungen darüber, wie mit der Kernenergie umzugehen ist. Ein solches Unglück wird entsprechend nicht unbeeinflussbaren Umständen angelastet – auch wenn das Auftreten eines Erdbebens für sich allein in eine solche Kategorie fällt –, vielmehr verlangt die Öffentlichkeit eine Anpassung der entsprechenden Regelungen und Konzepte. Auf eben diese Nachwirkungen des Reaktorunfalls von Fukushima reagierten wiederum die politischen Akteure; seit März 2011 ist der Parteienwettbewerb in Deutschland bezüglich der Kernenergie stark abgeebbt. So unterstützte nun jede etablierte Partei den Ausstieg aus der Kernenergie, Unterschiede bestanden nur noch im Hinblick auf die Modalitäten des Ausstiegs. In Anbetracht der kurzen Zeitspanne sowie der Tragweite dieser Entscheidung stellt die Energiewende somit einen radikalen Politikwechsel dar (vgl. Rüb, 2012). Dabei wäre die Angleichung aller politischen Positionen zu einem solch fundamentalen Politikbereich über fast das gesamte Parteienspektrum hinweg ohne das Auftreten eines außergewöhnlichen Ereignisses nicht möglich gewesen.

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3 Die Energiewende in Hessen In diesem Abschnitt diskutieren wir die Umsetzung der Energiewende in Hessen. Hierfür erläutern wir zuerst die dortige Konstellation des Parteienwettbewerbs sowie den von der hessischen Landesregierung initiierten Energiegipfel und das beschlossene Energiezukunftsgesetz (Abschnitt 3.1). Anschließend weisen wir auf Probleme und mögliche Konflikte innerhalb der Umsetzung hin (Abschnitt 3.2). Da der Fokus unseres Beitrags explizit auf die empirischen Befunde zu Auswirkungen auf das Vertrauen in politische Institutionen gerichtet ist, wird der Überblick kompakt gehalten. Eine ausführlichere Darstellung des hessischen Parteienwettbewerbs findet sich in Bräuninger und Debus (2012) sowie Schroeder und Neumann (2016), eine detaillierte Aufarbeitung des Hessischen Energiegipfels in Tosun et al. (2015).

3.1 Die Umsetzung der Energiewende Der Parteienwettbewerb in Hessen war seit den frühen 1970er Jahren durch ein enorm hohes Ausmaß an ideologischer Polarisierung gekennzeichnet, welche maßgeblich durch die explizit rechtskonservative Position der CDU Hessen wie auch durch die dem linken Flügel der Bundespartei zuzurechnende hessische SPD bedingt war (vgl. Bräuninger und Debus, 2012; Debus und Müller, 2013). Diese programmatische Ausrichtung der beiden großen Parteien CDU und SPD wie auch von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und der seit 2008 im Landtag vertretenen „Die Linke“ hat sich von 1991 bis 2009 nicht grundlegend geändert und führte zu festgefügten Koalitionsblöcken im Landtag (vgl. Neumann, 2016). Die vielfach polarisierend geführten Wahlkämpfe (vgl. Schmitt-Beck und Faas, 2009a; 2009b) mündeten zudem häufig in langwierigen Regierungsbildungsprozessen. Aus dieser allgemein polarisierten Parteienkonstellation heraus war es umso überraschender, dass sich eine aus Vertretern von CDU und FDP bestehende hessische Landesregierung auf eine drastische Veränderung ihrer regionalen wie lokalen Wirtschafts- und Energiepolitik verständigte, die ihrer bis dahin bestehenden wirtschafts-, umwelt- und energiepolitischen Haltung widersprach. Die Reaktorkatastrophe von Fukushima veränderte die Energiepolitik in Deutschland und Hessen nachhaltig (vgl. Kießling, 2012; Radtke und Hennig, 2013). Dies zeigt sich augenscheinlich in den politischen Beschlüssen zur hessischen Energiewende. Zudem ist eine Abkehr sowohl vom konfrontativen Politikstil, welcher die Auseinandersetzungen im Hessischen Landtag bis dato kennzeichnete, als auch ein Aufbrechen der politischen Lager zu verzeichnen (vgl. Jesse, 2011). Ein zunehmend konsensualer Umgang der Parteien auf legislativer Ebene lässt sich dabei sowohl anhand der Bildung einer Koalitionsregierung aus CDU und Bündnis 90/ Die Grünen in Folge der Landtagswahl vom September 2013 (vgl. Faas, 2014), als auch anhand des Hessischen Energiegipfels als überparteiliche Initiative erkennen.

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Der Hessische Energiegipfel wurde am 5. April 2011 von Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) einberufen und schloss Vertreter aller Fraktionen des Hessischen Landtags, der Kommunen, der Wirtschafts- und Umweltverbände sowie der Gewerkschaften und der Industrie mit ein. Das Ziel war es, mit allen Beteiligten zu diskutieren, wie der Ausstieg aus der Kernenergie und eine erfolgreiche Energiewende in Hessen möglichst rasch eingeläutet werden können. Im Fokus standen dabei die Fragen nach einem zukunftsfähigen Energiemix, die Identifizierung von Energieeffizienz- und Energieeinsparpotenzialen sowie die Anforderungen an eine versorgungssichere Energieinfrastruktur. Der Gipfel kam zu dem Ergebnis, dass im Bundesland Hessen im Jahr 2050 eine Energiebereitstellung zu 100 % auf Basis regenerativer Energien möglich erscheint (Hessischer Energiegipfel, 2011). In diesem Zusammenhang wurde auch der erforderliche Zuwachs an Windkraftanlagen (WKA) vereinbart, sodass zukünftig Flächen in der Größenordnung von zwei Prozent der Landesfläche für die Nutzung der Windenergie zur Verfügung stehen sollen (Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung, 2012). Zur rechtlichen Verankerung der konsensgetragenen Vorschläge aus dem Energiegipfel hat die Landesregierung aus CDU und FDP am 21. November 2012 das Hessische Energiezukunftsgesetz verabschiedet (Hessischer Landtag, 2012). Dieses legt konkrete Ziele (u. a. energetische Standards für landeseigene Gebäude und Einrichtung eines Monitoring-Systems), Fördermaßnahmen (u. a. Investitionszuschüsse und Verbraucherberatung) und Zuständigkeiten (u. a. Änderungen bestehender Verordnungen) für eine erfolgreiche Energiewende in Hessen fest (für eine umfassende Diskussion vgl. Tosun et al., 2015: 161–163). Dabei lässt sich insgesamt konstatieren, dass das zentrale Instrument der Energiewende die „Verfünffachung der Windvorrangflächen“ (Gremmel, 2012) darstellt. Zum hier skizzierten Ablauf ist der ambitioniert inklusive Charakter hervorzuheben, mittels welchem die hessische Landesregierung die Energiewende umzusetzen versuchte („Good Governance“; vgl. Kersting, 2008). Das Bemühen um eine breite gesellschaftliche Akzeptanz einer veränderten Energiepolitik in Hessen ist zum einen daran zu erkennen, dass sich während des Energiegipfels eine eigene Arbeitsgruppe gezielt mit dieser Frage beschäftigte. Zum anderen wurde während des Energiegipfels eine Internet-Plattform eingerichtet, auf der die Öffentlichkeit Beiträge verfassen konnte, welche direkt von Teilnehmern beantwortet wurden. Auch im weiteren Verlauf war es das Ziel der hessischen Landesregierung, die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger zu gewinnen und mögliche Reibungspunkte zu entschärfen. So weist, beispielsweise, der erste Monitoringbericht zur Energiewende in Hessen (Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung, 2015: 7) explizit die „Steigerung der gesellschaftlichen Akzeptanz der energiepolitisch notwendigen Schritte in der Zukunft“ als Ziel aus.4 Ein 4 Hinweise auf eine beabsichtigte und notwendige Steigerung der „gesellschaftlichen Akzeptanz“ finden sich in zahlreichen weiteren öffentlichen Mitteilungen (vgl. z. T. Hessisches Ministerium für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, 2012; Hessische Staatskanzlei, 2015).

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Ansatz hierfür bildet das im Auftrag des Hessischen Wirtschaftsministeriums geschaffene „Bürgerforum – Energieland Hessen“ (BFEH; Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung, 2014), welches mittels regionaler Dialogveranstaltungen, Energie-Coaching sowie Mediation und Konfliktbearbeitung die Energiewende in Hessen begleitet.

3.2 Konflikte und Probleme bei der Umsetzung Die fortlaufenden Anstrengungen der öffentlichen Institutionen machen deutlich, dass eine ausreichende öffentliche Akzeptanz der Energiewende auch vier Jahre nach dem Hessischen Energiegipfel noch nicht erreicht ist. Dies ist nicht überraschend, da die Energiewende als radikaler Politikwechsel „das hochkomplexe und risikobehaftete Umsteuern der gesamten Energieversorgung […] in atemberaubender Geschwindigkeit“ (Rüb, 2012: 36) zum Ziel hat. Dabei ist zu beachten, dass für eine solch große sozio-technische Transformation wie die Energiewende ein konfliktfreier Verlauf in keiner Weise zu erwarten war (vgl. Raum und Energie, 2016). Die nun dabei aufgetretenen Probleme sind vielschichtig und beziehen sich sowohl auf die inhaltlichen als auch die organisatorischen Aspekte der Umsetzung. So werden im Zuge des Hessischen Energiezukunftsgesetzes auf politischer Ebene konkurrierende Ziele den energiepolitischen Vorgaben untergeordnet und somit, beispielsweise, bewusst ein Zielkonflikt zwischen Natur- und Landschaftsschutz auf der einen und dem Ausbau erneuerbarer Energien zur Kompensation der Rückführung von Kernenergie auf der anderen Seite geschaffen (vgl. Mautz, 2012: 162). Hierdurch werden die Präferenzen eines Teils der Bevölkerung, der negativ von den Konsequenzen der Energiewende betroffen ist, vielfach kaum bis gar nicht im politischen Entscheidungsprozess berücksichtigt. Im Gegensatz zu üblichen Verfahren bei großen Infrastrukturprojekten, deren Planung mehrere Jahre in Anspruch nimmt, in welchen die betroffenen Anwohner und ihre Einwände einbezogen werden, fand die Planung, Genehmigung und der Bau von WKA in Hessen in einem sehr kurzen Zeitfenster statt. Dieses ließ eine umfassende Integration der Interessen der betroffenen Akteure in den Planungsprozess nicht adäquat zu. Den Ergebnissen des politischen Entscheidungsprozesses wird dann möglicherweise eine nicht unbedeutende Anzahl an von den neuen energiepolitischen Maßnahmen lokal Betroffenen ablehnend gegenüberstehen. Letzteres sollte nicht nur die Akzeptanz der Energiewende negativ beeinflussen, sondern auch das Vertrauen in die politischen Institutionen signifikant mindern („Tyrannei der Mehrheit“; vgl. Schmidt, 2000: 138–142). Die Gefahr einer solchen Entwicklung besteht generell immer dann, wenn der Zeitdruck einer Entscheidung auf Kosten der zugrundeliegenden Sachlichkeit geht und eine ausreichende Wissensbeschaffung, eine angemessene Abwägung von Für- und Gegenargumenten oder die Erstellung von Expertisen aus Zeitgründen nicht erfolgt (vgl. Rüb, 2012).

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Mehrere zentrale Aspekte der Energiewende in Deutschland, wie das „AtomMoratorium“ (14. März 2011) oder das Einsetzen einer „Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung“ (22. März 2011), wurden zentral durch das Kanzleramt koordiniert und stehen stellvertretend für die „Verexekutivierung der Politik“ (Rüb, 2012: 39) bei der Energiewende.5 Hinzu kommt für den hessischen Fall, dass alle parlamentarisch vertretenen Parteien am Energiegipfel teilgenommen und dessen Ergebnisse weitgehend unterstützt haben, sodass keine Landtagspartei in eindeutiger Opposition zur Energiewende und den damit verbundenen Politikinhalten stand. Die Bürgerinnen und Bürger hatten somit für ihre gegen die Energiewende gerichteten Argumente und Bedenken keine parlamentarisch vertretenen Ansprechpartner, welche diese in den originären politischen Prozess einer repräsentativ organisierten Demokratie einspeisen konnten. Dies zeigt, dass auch „offene Verfahren“ für eine Selektivität der Beteiligten anfällig sind (vgl. Kersting, 2008: 274). Die Bevölkerung musste sich somit „außerparlamentarisch“ organisieren, um zu versuchen, ihre Position doch noch in den politischen Prozess zu integrieren. So protestierten die lokal betroffenen Bürgerinnen und Bürger gegen den Bau von WKA und es wurden zahlreiche lokale Bürgerinitiativen gegründet (vgl. Leibenath, 2013).6 Solch alternative Formen der politischen Partizipation haben in repräsentativ organisierten, durch politische Parteien strukturierten Demokratien den Nachteil, dass es ungleich schwieriger ist, auf diese Art und Weise die politische Agenda im Parlament zu beeinflussen. Schäfer (2009; 2014) weist zudem darauf hin, dass alternative Formen politischen Engagements nochmals stärker als Wahlen sozial verzerrt sind.7 Eine Konsequenz sollte – folgt man der Literatur zu politischem Vertrauen und ihren Determinanten (vgl. Freitag und Bühlmann, 2009; Freitag und Traunmüller, 2009; Schnaudt, 2013) – darin bestehen, dass nicht nur das Vertrauen in die politischen Institutionen der repräsentativen Demokratie dieser Teilsegmente der Bevölkerung zurückgeht, sondern auch die Zufriedenheit und Unterstützung mit den demokratischen Institutionen an sich im Niedergang begriffen ist. Zu beachten ist außerdem, dass politische Entscheidungen, welche unter Zeitdruck, hoher Unsicherheit oder der fehlenden Berücksichtigung konträrer Meinungen getroffen werden, oft durch eine mangelnde Legitimation gekennzeichnet sind

5 Auch Haunss et al. (2013) identifizieren „Akteurszentralität“ als einen der Hauptgründe für den rasanten Ausstieg aus der Kernenergie. 6 Eine aktuelle Übersicht über die Vielzahl existierender Bürgerinitiativen findet man unter „Schutzgemeinschaft Odenwald“ (http://rettet-den-odenwald.de/mitamchen) und „Vernunftkraft – Bundesinitiative für vernünftige Energiepolitik“ (www.vernunftkraft.de/akteure-hessen). Interessant ist dabei die Beobachtung, dass sich über die Zeit eine zunehmende Professionalisierung der Proteste vor allem in einer steigenden Vernetzung und überregionalen Zusammenarbeit der Bürgerinitiativen zeigt (vgl. Raum und Energie, 2016). 7 Gilens (2005) argumentiert, dass auch in Wahlen ein generelles Ungleichgewicht bei der Berücksichtigung von Wählerpräferenzen zugunsten höherer Einkommensschichten vorliegt.

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(vgl. Weick, 1995). Auch wenn sie in schneller Abfolge den legislativen Prozess durchlaufen haben, hat dies keineswegs zur Folge, dass Konflikte über die Beschlüsse vermieden werden. Rüb (2012) argumentiert, dass, insbesondere weil gegensätzliche Interessen im politisch-legislativen Entscheidungsprozess nicht aufgearbeitet werden, sich die Auseinandersetzungen vielmehr auf die Stufe der Implementation in Form von juristischen Prozessen sowie informellen und formellen Protesten verlagern. Die diskutieren Probleme bei der Umsetzung der Energiewende in Hessen machen deutlich, dass nicht nur die Akzeptanz der Energiewende, sondern auch das Vertrauen in die dortigen politischen Institutionen negativ betroffen sein könnte. Die unmittelbaren Folgen wären in Form einer Kombination des Rückgangs der „klassischen“ Formen politischer Partizipation wie Wahlbeteiligung und Engagement in politischen Parteien sowie der Unterstützung von Protestparteien in den betroffenen Regionen zu erkennen. Im Hinblick auf die beiden Aspekte der Akzeptanz und Partizipation werden nun im folgenden Abschnitt die Auswirkungen der Energiewende in Hessen untersucht.

4 Die Akzeptanz der Energiewende In diesem Abschnitt evaluieren wir die Auswirkungen der Energiewende auf das Vertrauen in politische Institutionen. Dabei ist zu beachten, dass die Energiewende in Deutschland von den Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr als vordringliches Problem gesehen wird. Während umwelt- und atompolitische Fragen unter dem unmittelbaren Eindruck des Zwischenfalls in Fukushima das wichtigste Problem aus der Sicht der Deutschen waren (vgl. Debus, 2014; Tosun et al., 2015),8 so hatte die Problematik bereits ein halbes Jahr später wieder deutlich an Signifikanz eingebüßt. Dies ging damit einher, dass die Bundesregierung und der Bundestag im Juni 2011 – erneut – den Ausstieg aus der Kernenergie zum Jahr 2022 beschlossen hatten und auf Landesebene wie etwa in Hessen die Regierungen ebenfalls mit Maßnahmen wie dem Energiegipfel, dem auch ein symbolisch-steuerndes Element innewohnte, auf den exogenen Schock reagierten. Es scheint, als ob das Thema für einen Großteil der Befragten mit dem schnellen Handeln von Regierungen und Parlamenten auf allen Ebenen des politischen Systems der Bundesrepublik wieder von der politischen Agenda, auf der sich die dringlichsten Aspekte befinden, verschwunden ist (vgl. z. T. Bytzek, 2008). Dies muss allerdings nicht zwingend auch für die Ebene der deutlich mehr in die schlussendliche Implementation der Energiewende eingebundenen Länder,

8 Datenquelle: Datenarchiv GESIS, German Longitudinal Election Study (GLES). Thema: Nennung des persönlich am wichtigsten politischen Problems in Deutschland zum Zeitpunkt der Befragung.

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Kreise und Kommunen gelten. Die beiden folgenden Abschnitte rücken nun Hessen und die dortigen Konsequenzen der Energiewende in den Fokus. Dabei betrachten wir sowohl landesweite Umfragedaten (Abschnitt 4.1) als auch Wahlergebnisse auf kommunaler Ebene (Abschnitt 4.2).

4.1 Betroffenheit und Zumutbarkeit in Hessen Um die Einstellung der hessischen Bevölkerung gegenüber den in Abschnitt 3.1 herausgestellten beachtlichen Ausbauabsichten von WKA einschätzen zu können, greifen wir auf eine im Herbst 2015 von TNS Infratest durchgeführte Umfrage zur Energiewende in Hessen zurück (TNS Infratest, 2015).9 Die Ergebnisse machen dabei zum einen deutlich, dass, auf einer generellen Ebene, eine große Mehrheit der hessischen Bevölkerung die Energiewende befürwortet. So halten 89 % der Befragten die Energiewende für „wichtig“ oder „sehr wichtig“ und 82 % beurteilen das Ziel der hessischen Landesregierung, den Energieverbrauch in Hessen bis 2050 zu 100 % aus erneuerbaren Energien abzudecken, für „richtig“. Die Zustimmungsrate bleibt auch bei einer getrennten Betrachtung einzelner Energiewendeaspekte wie „Energiesparen“, „Ausbau erneuerbarer Energien“, „Bau von Stromspeichern“, „Aus- und Umbau der Stromnetze“ und „Ausstieg aus der Atomenergie“ konstant zwischen 80 und 90 %. In Tab. 11 werden die Umfrageergebnisse im Hinblick auf Zustimmung und Ablehnung zu WKA in der eigenen Nachbarschaft dargestellt. Diese erfassen sowohl die Einstellung gegenüber einem potentiellen Bau als auch die aktuelle Betroffenheit. Dabei beurteilt eine Mehrheit von 71 % den Bau von WKA auch in der eigenen Nachbarschaft als „zumutbar“, wobei rund 28 % der Befragten eine WKA aus unmittelbarer Nähe kennen. Interessant ist, dass die Werte zur Zustimmung nicht in Abhängigkeit einer bereits existierenden WKA schwanken (Zustimmung von 75 % bei Betroffenen und 70 % bei Nicht-Betroffenen unter Berücksichtigung einer Fehlertoleranz von 1,41 bis 3,12 Prozentpunkten; TNS Infratest, 2015: 2). Die bisher diskutierten Umfragedaten legen nahe, dass eine Mehrheit der hessischen Bevölkerung die Energiewende und den Bau von WKA befürwortet. Es wird allerdings auch deutlich, dass eine nicht zu vernachlässigende Anzahl an Bürgerinnen und Bürgern einen ebensolchen Ausbau von WKA als „nicht zumutbar“ erachtet. Diese Ablehnung speist sich nicht spezifisch aus eigener Betroffenheit, auch Personen, in deren unmittelbarer Nähe bisher keine WKA existiert, lehnen den Bau

9 Die Umfrage wurde im Auftrag des Beratungsunternehmens „Institut für Organisationskommunikation“ (IFOK GmbH) von TNS Infratest Politikforschung durchgeführt. Mittels einer repräsentativen Zufallsauswahl wurde dabei eine Stichprobe von 1.000 Befragten aus der Grundgesamtheit der Wahlberechtigten in Hessen (Bevölkerung ab 18 Jahren) mittels computergestützter Telefoninterviews im Erhebungszeitraum vom 26. bis 31. Oktober 2015 zu ihrer Einstellung gegenüber der Energiewende in Hessen befragt. Fehlende Werte zu 100 % in Tab. 11: „weiß nicht / keine Angabe“.

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Tab. 11: Ausgewählte Umfrageergebnisse zur Energiewende und Windkraftanlagen in der Nachbarschaft für Hessen (Quelle: TNS Infratest, 2015). Kategorie

Fragestellung

Antworten

Bedeutung

„Für wie wichtig halten Sie die Energiewende in Deutschland?“

Sehr wichtig Wichtig Weniger wichtig Nicht wichtig

Zustimmung

„Ziel der Hessischen Landesregierung ist es, den Ja, richtig Energieverbrauch von Strom und Wärme in Hessen bis Nein, nicht zum Jahr 2050 möglichst zu 100 % aus erneuerbaren richtig Energien abzudecken. Halten Sie dieses Ziel für richtig oder für nicht richtig?“

82 % 14 %

Zumutbarkeit

„Die Umstellung auf Ökostrom heißt u. a., dass in Ja, zumutbar vielen Gebieten Windenergieanlagen gebaut werden. Nein, nicht Einmal angenommen in Ihrer Nachbarschaft – also im zumutbar Umkreis von 5 km – würde eine solche Anlage gebaut, halten Sie das für zumutbar?“

71 % 26 %

Betroffenheit

„Ist in Ihrer Nachbarschaft bereits eine Windenergieanlage vorhanden?“

28 % 70 %

Ja Nein

45 % 44 %  7 %  2 %

einer ebensolchen ab (Ablehnungsrate von 23 % bei Betroffenen und 27 % bei Nicht-Betroffenen). Die Zurückweisung erstreckt sich dabei auch auf einen möglichen eigenen Beitrag zur Umsetzung der Energiewende. So belegt die Umfrage, dass 21 % der Befragten nicht bereit sind, zu einem Ökostromanbieter zu wechseln, 33 % die eigene Erzeugung von Strom ablehnen und 41 % sich dagegen aussprechen, sich an einer Bürgerenergiegenossenschaft zu beteiligen. Ein ähnliches Muster tritt auch bei der Frage nach der Wichtigkeit verschiedener Aspekte bei der Ausgestaltung der zukünftigen Energieversorgung hervor. Dabei sind Umwelt- und Klimaschutzziele (u. a. Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen und ein reduzierter Schadstoffausstoß) ebenso wie Wirtschaftlichkeitsaspekte (u. a. Energiepreise und Wettbewerbsfähigkeit der Industrie) breit konsensfähig. Die stärkste Dissonanz ist bei der Frage, ob „Anlagen zur Energieerzeugung und zum Energietransport im Landschaftsbild nicht übermäßig sichtbar werden“ sollen, zu erkennen. Rund 62 % der Befragten ist solch ein reduzierter WKA-Ausbau innerhalb Hessens „wichtig“ oder „sehr wichtig“.

4.2 Hessische Kommunalwahl 2016 Neben Umfragen zur Akzeptanz der Energiewende bieten sich Ergebnisse von Wahlen auf der lokalen Ebene an, um zu untersuchen, ob Bürgerinnen und Bürger, die aufgrund ihres Wohnortes direkt von geplanten Windkraftanlagen betroffen sind,

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ein anderes Wahlbeteiligungs- und Wahlverhalten an den Tag legen als Wahlberechtigte, die in von geplanten WKA weniger betroffenen Orten leben. So kann eine fehlende Berücksichtigung der Ängste, Sorgen und Befürchtungen, die diesen Teil der Bürgerschaft aufgrund der Einrichtung von WKA in unmittelbarer Nähe ihres Wohnorts umtreibt, dazu führen, dass das Vertrauen in das bestehende politische Institutionensystem zurückgeht. Dies manifestiert sich, indem die Wahl von Parteien und Kandidaten, die das bestehende politische System repräsentieren und für die momentane Politik (und damit auch für die Umwelt- und Energiepolitik) verantwortlich sind, unwahrscheinlicher wird (vgl. Stokes, 2016). Auch wenn die Nichtteilnahme an einer Wahl oder Abstimmung natürlich durch Gründe wie Krankheit oder Abwesenheit am Wahltag bedingt sein kann und das Wahlverhalten durch eine Reihe weiterer Faktoren beeinflusst wird (vgl. Falter und Schoen, 2014), so können die Höhe der Wahlbeteiligung, der Anteil ungültiger Stimmen und der Stimmenanteil für „Anti-System-Parteien“ als Indikatoren für die Zustimmung zu bzw. die Zufriedenheit mit einem politischen System angesehen werden (vgl. Hirschmann, 1970; Norris, 1999). Wenn – beispielsweise bei einer Direktwahl des Bürgermeisters – keine Möglichkeit gegeben ist, für einen alternativen Kandidaten zu stimmen, da niemand bereit war, gegen den Amtsinhaber anzutreten, dann ist Nichtwahl, die Abgabe einer ungültigen Stimme oder die Ablehnung des einzigen Kandidaten durch das Ankreuzen der Option „Nein“ eine Möglichkeit, wie Bürgerinnen und Bürger ihre Unzufriedenheit, ihren Protest oder ihre Ablehnung deutlich ausdrücken können (vgl. Allenspach, 2012; Debus, 2016). Wir überprüfen diese Überlegungen anhand der hessischen Kommunalwahl vom 6. März 2016. Die Ergebnisse korrespondieren dabei mit den im vorigen Abschnitt 4.1 diskutierten Umfrageergebnissen. So mussten etablierte Parteien, insbesondere die Regierungskoalition aus CDU und Bündnis 90/Die Grünen, deutliche Verluste hinnehmen. Zudem erreichte die Alternative für Deutschland (AfD), welche die hessische Energiewende und den Ausbau von WKA ablehnt (AfD, 2015), aus dem Stand als drittstärkste Kraft 11,9 % der Stimmen (vgl. Hessenschau, 2016). Neben diesen landesweiten Effekten lassen sich allerdings auch auf kommunaler Ebene Auswirkungen erkennen. In vielen Gemeinden erreichten Bürgerlisten, welche nicht selten aus Anti-WKA-Initiativen hervorgegangen sind, zum Teil über 20 % der Stimmen (vgl. Pörtner, 2016). Im Folgenden betrachten wir ein weiteres Fallbeispiel im Detail, nämlich die Ergebnisse der im Rahmen der Kommunalwahl durchgeführten Bürgermeisterdirektwahl in der hessischen Großgemeinde Dautphetal (bestehend aus 12 Ortsteilen mit insgesamt rund 11.500 Einwohnern) im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Die Wahl in Dautphetal ist deswegen von besonderem Interesse für die hier behandelte Thematik, da an der südlichen Grenze Dautphetals zur – ebenfalls im Landkreis Marburg-Biedenkopf liegenden – Nachbargemeinde Bad Endbach der Bau eines von dieser Gemeinde betriebenen Windparks mit bis zu acht 180 Meter hohen WKA bereits zu Beginn des Jahres 2011 – und damit noch vor dem Reaktorunglück von

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Fukushima – geplant wurde. Der geplante Standort lag auf einem Höhenzug direkt an der Grenze zur Gemeinde Dautphetal und dem unter diesem Höhenzug liegenden Ortsteil Holzhausen (rund 1.900 Einwohner). Die Sichtbarkeit und die potentiellen Gefahren der WKA waren aufgrund der größeren Distanz für die Einwohner der Ortsteile Bad Endbachs geringer als für die Einwohner des Dautphetals und insbesondere des Ortsteils Holzhausen. Die Thematik des Baus eines großen Windparks der Gemeinde Bad Endbach an der südlichen Grenze zu Dautphetal spielte sowohl im Vorfeld der Bürgermeisterwahl vom März 2010 als auch – überraschenderweise – im Kommunalwahlkampf im Februar und März 2011 noch keine Rolle. Erst ab Frühsommer 2011 wurde sie zu dem das für mehrere Jahre die Kommunalpolitik in Dautphetal und den angrenzenden Gemeinden bestimmenden Thema. Dies führte zu einer starken Polarisierung innerhalb der Bevölkerung mit der Gründung von Bürgerinitiativen, die sich gegen die Art und Weise der Planung und Errichtung des Windparks der Gemeinde Bad Endbach positionierten (vgl. Bürgerinitiative Holzhausen, 2011; Pfeifer-Sternke, 2012). Ein maßgeblicher Grund dafür war, dass keine der drei in der Dautphetaler Gemeindevertretung repräsentierten Parteien – CDU, SPD und Freie Wähler (FW) – die skeptisch bis ablehnenden Positionen zur Errichtung des Bad Endbacher Windparks aufgriffen und damit auch die Interessen der Einwohner des Ortsteils Holzhausen vertreten hatte. Dies galt auch für den amtierenden Bürgermeister Bernd Schmidt (FW), der sich sowohl 2010 als auch 2016 ohne einen Mitbewerber zur Wahl stellte. Die Ergebnisse der Bürgermeisterdirektwahl in Dautphetal für 2010 und 2016 sind in Tab. 12 abgetragen. Diese zeigen, dass Schmidt im März 2010 – bei einer Wahlbeteiligung von 37,2 % – eine Zustimmung von 96,1 % erzielte.10 Der Anteil der ungültigen Stimmen an allen abgegebenen Stimmen betrug 0,9 %. Im von Bad Endbach geplanten und später – nach einigen juristischen Auseinandersetzungen – errichteten Windpark betroffenen Ortsteil Holzhausen unterschieden sich die Ergebnisse der Bürgermeisterwahl 2010 kaum vom Resultat auf Gemeindeebene: 96,8 % der abgegebenen und gültigen Stimmen entfielen auf den Amtsinhaber, der Anteil der ungültigen Stimmen lag bei nur 0,5 % an allen abgegebenen Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag jedoch mit 27,9 % deutlich unter dem Wert für die Gesamtgemeinde. Bei der Bürgermeisterdirektwahl 2016 – und damit nach den Konflikten um die Planung und Errichtung des Windparks der Gemeinde Bad Endbach an der Grenze zu Dautphetal und seines Ortsteils Holzhausen – hat sich das Bild deutlich geändert. Die Wahlbeteiligung stieg in der Großgemeinde deutlich auf 53,1 % an, was vor allem mit der im Gegensatz zu 2010 gleichzeitig stattfindenden Wahl der Kommunalparlamente auf Gemeinde- und Landkreisebene zu erklären ist. Im Ortsteil

10 Da sowohl 2010 als auch 2016 nur ein alleiniger Kandidat antrat, ergibt sich der Anteil ablehnender Stimmen spiegelbildlich aus dem Grad der Zustimmung und wird hier nicht gesondert aufgeführt.

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Tab. 12: Ergebnisse der Bürgermeisterdirektwahl in der hessischen Großgemeinde Dautphetal in 2010 und 2016 (Quelle: Hessenschau, 2016). Bürgermeisterdirektwahl vom 7. März 2010

Wahlbeteiligung Zustimmung Ungültige Stimmen

Bürgermeisterdirektwahl vom 6. März 2016

Veränderungen von 2010 auf 2016 (in Prozentpunkten)

Dautphetal

Holzhausen Dautphetal

Holzhausen Dautphetal

Holzhausen

37,2 % 96,1 % 0,9 %

27,9 % 96,8 % 0,5 %

50,2 % 61,0 % 4,5 %

+22,3 −35,8 +4,0

53,1 % 86,3 % 2,1 %

+15,9 −9,8 +1,2

Holzhausen betrug die Wahlbeteiligung 50,2 % und lag zwar damit noch immer unterhalb des Durchschnitts, konnte sich jedoch dem gemeindeweiten Wert angleichen (ohne die Berücksichtigung der Wähler Holzhausens lag die Wahlbeteiligung in den restlichen 11 Ortsteilen bei 53,7 %). Dies spricht zunächst gegen die Erwartung, dass eine Nichtberücksichtigung der Interessen, Ängste und Sorgen von bestimmten Bevölkerungsteilen zu einer geringeren Partizipation am politischen Geschehen und damit zu einem Entfremdungsprozess führt. Allerdings stieg der Anteil der „Nein“-Stimmen sowie der ungültigen Stimmen im Ortsteil Holzhausen im Vergleich zum Resultat in den 11 restlichen Ortsteilen der Gemeinde Dautphetal deutlich an: 4,5 % der abgegebenen Stimmen bei der Bürgermeisterwahl 2016 in Holzhausen waren ungültig, während dieser Anteil in den restlichen 11 Ortsteilen bei nur 2,1 % lag. Der Anteil der Zustimmung an allen gültigen Stimmen im Ortsteil Holzhausen sank auf 61 %, wohingegen 86,3 % der Bürgerinnen und Bürger in Dautphetal eine weitere Amtszeit von Bernd Schmidt befürworteten. Insgesamt betrachtet zeigt dieses Fallbeispiel keine Evidenz dafür, dass die mangelnde Berücksichtigung der Interessen und Befürchtungen eines Teils der Bevölkerung im Hinblick auf die Energiewende zu einem Rückgang von Partizipation am bestehenden politischen Institutionensystem führt. Allerdings hat sich der Widerstand von Teilen der Bevölkerung in einem sich deutlich von dem Rest der Bürgerinnen und Bürger abweichenden Wahl- und Entscheidungsverhalten ausgewirkt: das Ausmaß der Ablehnung für den amtierenden Bürgermeister ist im betroffenen Ortsteil drastisch gestiegen. Gleichzeitig stieg der Anteil ungültiger Stimmen, die wie erläutert ebenfalls Opposition signalisieren können. Sollten bei kommenden Wahlen keine Mitbewerber antreten, die die abweichenden Interessen eines Teils der Bürgerschaft aufgreifen oder diese parlamentarisch repräsentieren, kann dies zu einer Entfremdung und zu einem Rückgang von konventioneller politischer Partizipation und politischem Vertrauen führen.

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5 Diskussion und Schlussbetrachtung Wir sind in diesem Beitrag der Frage nachgegangen, wie sich die Umsetzung der Energiewende in Hessen auf das Vertrauen in die dortigen politischen Institutionen ausgewirkt hat. Aufbauend auf Tosun et al. (2015) haben wir hierzu für Hessen die vor dem Reaktorunglück in Fukushima vorherrschende polarisierte politische Kultur skizziert sowie die im Bundesland erfolgten Schritte zur Umsetzung der Energiewende aufgezeigt. Auffallend war dabei, dass neben dem programmatischen Politikwechsel auch ein Aufbrechen der politischen Lager und ein zunehmend konsensualer Umgang der Parteien auf legislativer Ebene zu verzeichnen war. Im Rückblick konnten wir zudem die Probleme und auftretenden Konfliktlinien bei der Umsetzung der Energiewende identifizieren. So zeigt sich, dass bei einer zu raschen Reaktion der politischen Entscheidungsträger die Gefahr besteht, dass die Interessen einer nicht zwangsläufig kleinen Minderheit von Seiten der parlamentarisch vertretenen parteipolitischen Akteure nicht berücksichtigt werden können. Dies führt nicht nur zu anderen Partizipationsformen, was für eine repräsentative Demokratie nicht zwangsläufig ein Problem darstellt, sondern kann auch zu einem Rückgang des Vertrauens in demokratische politische Institutionen beitragen, welcher für die künftige demokratische Entwicklung sehr wohl problematisch sein kann (vgl. Armingeon und Guthmann, 2014). Anhand von landesweiten Umfragedaten sowie ausgewählten Ergebnissen der hessischen Kommunalwahl konnten wir die aus den Unstimmigkeiten resultierende Unzufriedenheit mit den politischen Institutionen in Hessen belegen. Unsere Untersuchung kann dabei nur den Zeitraum seit dem Reaktorunglück in Fukushima bis heute betrachten. Die Energiewende stellt jedoch einen auf Jahrzehnte angelegten sozio-technischen Transformationsprozess dar. So ist der Anteil erneuerbarer Energien am Brutto-Stromverbrauch in Hessen von 2000 bis 2014 zwar um das Sechsfache auf 14,4 % gestiegen (Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung, 2015), in 2050 soll die hessische Energieversorgung in den Bereichen Strom und Wärme jedoch vollständig auf erneuerbaren Energien basieren. Daher sollten auch zukünftige Studien anhand von Umfrage- und Wahlergebnisdaten auf Landes- und kommunaler Ebene versuchen, die langfristigen Auswirkungen der Implementation der Energiewende (bestehender und zukünftiger Ausbau der WKA, Stromtrassen usw.) auf das Vertrauen in die politischen Institutionen zu beleuchten. Unserer Analyse nach wird das politische Bemühen um eine rasche Umsetzung der Energiewende in einem Maße abgelehnt, welches einen entsprechenden Verlust an politischem Vertrauen nahelegt. Ein weiteres Ziel künftiger Forschung sollte es zudem sein, herauszuarbeiten, wie und in welcher Form in repräsentativen Demokratien adäquat auf außergewöhnliche Ereignisse reagiert werden kann (vgl. Merkel, 2015). Responsives Regieren trägt dabei zwar dem Problembewusstsein in der Bevölkerung Rechnung, sollte aber einige grundsätzliche Charakteristika aufweisen, welche einen inklusiven

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Charakter des politischen Entscheidungsprozesses sicherstellen. Rüb (2012) verweist hierbei neben dem Ausmaß der Policy-Variation auch auf die Aspekte der zeitlichen Geschwindigkeit, der Sachangemessenheit sowie der sozialen Angemessenheit. Insgesamt ergibt sich hieraus die Handlungsempfehlung, auch auf außergewöhnliche Ereignisse und exogene Schocks im Zuge der Politikgestaltung nicht überstürzt zu reagieren, sondern vielmehr im Rahmen eines längeren politischen Entscheidungsverfahrens, das die Anhörung auch von Vertretern der Minderheitsposition in adäquater Weise zulässt und deren Vorstellungen in das Politikergebnis mit einfließen lässt, einen ausgewogenen Beschluss für die künftige Policy zu erarbeiten. Beyer (2008) und Ganghof (2008) argumentieren bei politisch besonders kontroversen und daher mit potenziell hohen elektoralen Kosten verbundenen Maßnahmen zugunsten einer inkrementellen Strategie. Die Durchführung politischer Reformen „Schritt für Schritt“ zielt dabei nicht auf den politischen, sondern vielmehr auf den potentiellen gesellschaftlichen Konflikt ab. Bei einer inkrementellen Vorgehensweise könnte sichergestellt werden, dass die Parteien ihre Wählerinnen und Wähler auch bei kontroversen und gleichzeitig schnell zu implementierenden Reformen „mitnehmen“ und auch Kritik in den innerparteilichen Willensbildungsprozess einbringen können. Selbst wenn die Position der Minderheit kaum oder gar nicht berücksichtigt werden kann, so sollte ein solcher partizipativ-integrativer Weg der Entscheidungsfindung mit geringerer Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass nicht unbedeutende Teile der Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen in politische Institutionen verlieren. Holtkamp und Bogumil (2007: 241) betonen, dass hierfür eine klare Abgrenzung der Beteiligung von reiner Symbolpolitik essentiell ist. Ein weiteres Spannungsfeld beim schrittweisen Vorgehen wäre zudem, ob es dem Problembewusstseinsdruck der Öffentlichkeit noch ausreichend Rechnung trägt. Ein mögliches Szenario für eine breite Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen stellen sogenannte „Mini Publics“ (Planungszellen, Jurys usw.) dar. In diesen debattiert ein möglichst bevölkerungsrepräsentatives Gremium über eine spezifische Problemstellung und entwickelt, hierauf aufbauend, entsprechende Handlungsempfehlungen für die zuständigen politischen Entscheidungsträger (vgl. Calvert und Warren, 2014: 205).11 In diesem Sinne war von Seiten der Initiatoren des Hessischen Energiegipfels durchaus das Ziel angestrebt worden, die Bevölkerung und deren Sorgen und Ängste, welche sich durch die Neuerungen in der Umwelt- und Energiepolitik ergaben, in die Rahmenplanung der Energiewende zu integrieren. Entscheidend für eine integrative Wirkung der deliberativen sowie anderer Beteiligungsinstrumente ist jedoch, dass auch konträre Meinungen im Forum vertreten sind (vgl. Fung, 2003; Grönlund et al., 2014). Hier muss im Rückblick für

11 Vetter (2014) weist hierbei darauf hin, dass solche Beteiligungsverfahren in vielfältiger Form Einfluss nehmen können. Dies kann von einem reinen Informationsaustausch bis hin zu der konkreten Ausarbeitung von Entscheidungsgrundlagen reichen.

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die Energiewende in Hessen attestiert werden, dass Interessen von Minderheiten in der Vorbereitungs- und Beschlussphase des Energiezukunftsgesetzes von den parlamentarischen Akteuren nicht in Betracht gezogen wurden. Ein Ansatz, dies im weiteren Verlauf zu korrigieren, bildet nun das seit 2014 laufende „Bürgerforum – Energieland Hessen“ (Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung, 2014), welches bestrebt ist, den Dialog auch auf lokaler Ebene und mit einer breiten Öffentlichkeit zu suchen. Solche Bemühungen zugunsten einer klareren Kommunikation und größeren Transparenz sind sicher zentrale Bestandteile einer erfolgreichen Umsetzung der Energiewende (vgl. Holzmann-Sach, 2016; Köppel und Marquardt, 2016). Dies ermöglicht zum einen die Identifikation der jeweils spezifisch vor Ort vorliegenden Konfliktdynamiken und -typen (u. a. Verteilungskonflikte, Verfahrenskonflikte oder Standortkonflikte; vgl. Becker und Naumann, 2016) und, zum anderen, diesen auch entsprechend begegnen zu können. Beispielsweise könnte versucht werden, die Akzeptanz der Energiewende zu steigern, indem eine Einbindung breiterer Bevölkerungsschichten in Form von Bürgerenergiegenossenschaften angestrebt wird (vgl. Klemisch und Boddenberg, 2013; Nachhaltigkeitsrat, 2016; Radtke, 2013; Warren und McFadyen, 2010). Kritisch anzumerken ist hierbei jedoch, dass sich zwar theoretisch jeder an einer Energiegenossenschaft beteiligen kann, im Fall von Hessen aber annähernd die Hälfte der Bevölkerung eine solche Beteiligung für sich selbst ausschließt (vgl. TNS Infratest, 2015).

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Alexander Eisenkopf und Andreas Knorr

Scheitert die Energie- und Klimawende in Europa im und am Verkehr? 1 Einleitung Das europäische Verkehrssystem hat sich seit der ersten großen Ölkrise in den siebziger Jahren gravierend verändert. Technischer Fortschritt, neue organisatorische Konzepte, aber auch umfassende Deregulierungen haben die Effizienz der Leistungserstellung bei allen Verkehrsträgern erheblich gesteigert. Leistungsfähige Verkehrsangebote ermöglichen wohlfahrtssteigernde Produktions- und Distributionskonzepte in Industrie und Handel und schaffen neue Mobilitätschancen für breite Bevölkerungsschichten. Auch die Energieeffizienz des Verkehrssektors ist deutlich gestiegen. Trotzdem hängen 90 % der Verkehrsaktivitäten in der EU von der Nutzung von Öl oder Ölerzeugnissen ab (Europäische Kommission 2011, S. 3). Weltweit entfällt auf den Verkehrssektor über die Hälfte des Ölverbrauchs, insbesondere den Straßenverkehr. Mit einer zunehmenden Nutzung von Kraftfahrzeugen in Schwellen- und Entwicklungsländern wird der Anteil des Verkehrssektors am Weltölverbrauch sogar steigen (Engerer und Kunert 2015, S. 779), da in diesem Sektor Substitutionsmöglichkeiten eher begrenzt sind, während für andere Nutzungen Effizienzsteigerungspotenziale oder energetische Alternativen plausibler erscheinen. Insgesamt ist der Verkehr auch wesentlich umweltfreundlicher geworden, aber das starke Verkehrswachstum der letzten Jahrzehnte hat einen wesentlichen Teil der spezifischen Emissionsminderungen im Verkehr wieder kompensiert. Nach wie vor werden daher die sogenannten externen Kosten des Verkehrs als Problem angesehen. Hierunter sind zusätzliche, einzelwirtschaftlich nicht kalkulierte Lasten für die Allgemeinheit zu verstehen, wie etwa Umweltverschmutzung, Lärmbeeinträchtigungen, ungedeckte Unfallfolgekosten oder Folgen des anthropogenen Klimawandels. Die europäische und die nationale Verkehrspolitik ringen vor diesem Hintergrund seit vielen Jahren um Strategien für einen nachhaltigen bzw. umweltverträglichen Verkehr (Sustainable mobility). Der nachfolgende Beitrag diskutiert zentrale aus diesem Spannungsfeld erwachsende Probleme. Im Fokus stehen die Fragen, ob eine Energiewende im Verkehr gelingen kann und welche Rolle der Verkehrssektor für die Beanspruchung fossiler Ressourcen und die daraus resultierenden Emissionen von CO2 spielt. Die anderen im Zuge der Nachhaltigkeitsdiskussion relevanten Externalitäten des Verkehrs werden dagegen in diesem Papier weitgehend ausgeklammert. In Kapitel 2 nehmen wir eine kurze Bestandsaufnahme der Rolle des Verkehrs auf den Energiemärkten und der daraus resultierenden Ressourcennachfrage und Umweltwirkungen im Hinblick auf CO2-Emissionen vor. Anschließend stellen wir https://doi.org/10.1515/9783110525762-011

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in Kapitel 3 ausgewählte Handlungsoptionen für eine europäische Energie- bzw. Klimawende im Verkehr vor und bewerten diese aus ökonomischer Perspektive. Dabei beschränken wir uns auf den Landverkehr und verzichten auf vertiefende Überlegungen zum internationalen Luft- und Seeverkehr. Abschließend erarbeiten wir eine gesamthafte Würdigung und gehen dabei auch auf aktuelle Trends wie die jüngste Ölpreisentwicklung ein.

2 Verkehr, Umwelt, Energie: Eine Bestandsaufnahme Der Globale Transportsektor hat im Jahre 2010 rund 2.200 Megatonnen Öläquivalente (mtoe) an Energie verbraucht. Dies entspricht rund 19 % des globalen Energieangebots. Rund drei Viertel des Energieverbrauchs entfallen auf den Straßenverkehr, darunter 52 % auf den Pkw-Verkehr und 17 % auf den Straßengüterverkehr. Die Anteile der Luftfahrt und des Seeschiffsverkehrs liegen bei jeweils 10 %, während der Energiebedarf der Eisenbahnen nur 3 % ausmacht. Betrachtet man die Wachstumsraten der letzten Dekaden, so ist der transportbedingte Energiebedarf seit 1990 in den Nicht-OECD-Ländern deutlich stärker gewachsen als in den OECD-Ländern, wobei die Dynamik sich in der ersten Gruppe sogar beschleunigt hat. Die größten Wachstumsraten wiesen die internationale Schifffahrt und der internationale Luftverkehr auf (World Energy Council 2011). Der weltweite Kraftstoffverbrauch im Straßenverkehr ist von ca. 1,4 Mio. Kilotonnen im Jahre 2000 auf zuletzt 1,8 Mio. Kilotonnen gestiegen. Das Wachstum fand insbesondere in den Nicht-OECD und BRIC-Staaten statt. Bezogen auf die einzelnen Kraftstoffarten ergibt sich ein uneinheitliches Bild. Während der Benzinverbrauch in den meisten OECD-Ländern zurückgeht, nimmt er im Rest der Welt stark zu. Die Dieselnachfrage hat sich in der betrachteten Periode weltweit erhöht. Damit entfallen heute auf Diesel weltweit über 45 % und in Europa sogar über 70 % des Kraftstoffabsatzes (Engerer und Kunert 2015, S. 779). Entsprechend sehen die Anteile der verschiedenen Verkehrssektoren an den globalen Treibhausgasemissionen aus. Der Verkehr war mit 7 Gt CO2-Äquivalenten für ca. 23 % der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich und hat seine Emissionen in den letzten Jahren deutlich stärker als alle anderen Sektoren erhöht. 72 % der Emissionen entfallen auf den Straßensektor, gut 9 % auf die internationale Schifffahrt und ca. 10 % auf den Luftverkehr (Sims et al. 2014). Unter Status quoBedingungen wird erwartet, dass sich die CO2-Emissionen des Verkehrssektors bis 2050 noch einmal verdoppeln (International Energy Agency 2013). In der EU betrug der Endenergiebedarf des Verkehrssektors im Jahre 2010 rd. 365 Mtoe. Dies waren gut 20 % des gesamten Bruttoenergieverbrauchs von rd. 1.760 Mtoe oder 31 % des Endenergieverbrauchs von 1.160 Mtoe. Damit steht der Energie-

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bedarf des europäischen Verkehrssektors für derzeit 17 % des weltweiten verkehrsinduzierten oder rund 3 % des gesamten globalen Energiebedarfs. Der Energieverbrauch des Verkehrssektors in Europa basiert zu gut 95 % auf fossilen Ressourcen. 52 % des Energieverbrauchs entfielen auf den Straßenpersonen- und 31 % auf den Straßengüterverkehr, während der Schienenverkehr nur 2 % der Energie beanspruchte. Dagegen wurden im Luftverkehr anteilig 14 % des Energiebedarfs für den Verkehrssektor eingesetzt und in der Binnenschifffahrt 2 % (European Commission 2014). Bei der Würdigung dieser Werte ist allerdings der Modal Share der jeweiligen Verkehrsträger einzubeziehen. So erbrachte der Straßengüterverkehr im Bezugsjahr 72,4 % der Tonnenkilometer in der „EU-28“, während die Schiene nur auf einen Modal Share von 16,2 % kam. Im Personenverkehr entfielen 73,4 % der Verkehrsleistung auf den Pkw und nur 6,2 % auf die Bahn. Der Luftverkehr stand im Jahr 2010 für 8,2 % der Personenkilometer (European Commission 2014a). Für die Zukunft erwartet die Europäische Kommission in ihrem Szenariobericht 2050 ein weiterhin starkes Wachstum des Verkehrs zumindest bis zum Jahre 2030. Laut ihrer Analysen wird der Straßenverkehr seine dominante Stellung am Markt behalten, auch wenn der Marktanteil des Pkws am Straßenverkehr nach ihren Prognosen bis 2050 auf 76 % und der des Straßengüterverkehrs auf 70 % sinken wird. Umgekehrt sollte die Schiene aufgrund höherer angenommener Wachstumsraten im Jahre 2050 Marktanteile von 10 % im Personenverkehr – insbesondere aufgrund des Ausbaus des Hochgeschwindigkeitsverkehrs – und von 18 % im Güterverkehr erreichen. Der Modal Share des Personenluftverkehrs dürfte sich von 8 auf 12 % erhöhen (European Commission 2014). Während Energiebedarf und Transportaktivitäten in der Vergangenheit relativ eng aneinander gekoppelt waren, erwartet die EU-Kommission für die nächsten 40 Jahre eine schrittweise Entkopplung dieser beiden Größen. Dies wird vor allem auf Politikmaßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz bei Pkw und leichten Nutzfahrzeugen (insbesondere Regulierung durch Flottenstandards) sowie auf sonstige technologische und organisatorische Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz (z. T. im Luftverkehr oder bei Schwerlastfahrzeugen) zurückgeführt. Als wesentlichen Treiber dieser Entwicklung sieht die Kommission stark steigende Preise für fossile Treibstoffe. Insgesamt soll der Energiebedarf des Verkehrs trotz eines gemittelten Wachstums der Verkehrsaktivitäten von 40 % bis 2050 in etwa konstant bleiben. In diesem Status quo-Szenario würden die CO2-Emissionen des Verkehrssektors trotz deutlich höherer Verkehrsleistung um 8 % sinken, was nur im Einklang mit dem propagierten 2°-Ziel der Klimapolitik stehen könnte, wenn andere Sektoren die Anpassungslast deutlich stärkerer CO2-Minderungen tragen (European Commission 2014). In Deutschland steht der Verkehrssektor heute für 30 % des Endenergieverbrauches und 20 % der Treibhausgasemissionen (Umweltbundesamt 2015). Die Anteile der einzelnen Verkehrsträger sind als den Werten der EU vergleichbar anzuse-

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hen, da auch der Modal Split im Güter- und Personenverkehr dem EU-Durchschnitt sehr nahe kommt.

3 Energiewende im Verkehr: Ausgewählte verkehrsund wirtschaftspolitische Handlungsoptionen 3.1 Ausgangspunkt: Das Weißbuch der EU-Kommission zur Verkehrspolitik aus dem Jahre 2011 Seit vielen Jahren wird in der EU kontrovers über Lösungskonzepte diskutiert, mit denen den Herausforderungen der Verkehrspolitik durch Verkehrswachstum, Emissionen und des steigenden Energiebedarfs begegnet werden kann. Bei dieser Diskussion um umweltverträglichen Verkehr standen lange Zeit die Externalitäten des Verkehrs im Vordergrund der Betrachtung.1 Während bei den „klassischen“ Schadstoffemissionen, bei Lärm und den Unfallkosten in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzielt werden konnten, richtet sich die Aufmerksamkeit seit geraumer Zeit auf die CO2-Emissionen des Verkehrs und damit auch auf den Energieverbrauch des Verkehrssektors. Die EU hat sich das Ziel gesetzt, bis 2050 die Treibhausgasemissionen (insbesondere CO2-Emissionen) der gesamten Wirtschaft um 80–95 % zu reduzieren. Dies erfordert im Endeffekt eine nahezu vollständige Dekarbonisierung der Ökonomie. Insbesondere die Stromerzeugung, aber auch der Verkehrssektor, sollen einem vollständigen Wandel unterzogen werden. Ausgangspunkt der verkehrspolitischen Strategie der EU ist das Weißbuch der EU-Kommission zur Verkehrspolitik aus dem Jahre 2011 (Europäische Kommission 2011). Es steht ganz unter dem Eindruck dieser Zielsetzung, die wiederum aus dem 2°-Ziel der europäischen Klimapolitik abgeleitet ist. Zusätzlich tritt im Verkehrssektor neben das Ziel der CO2-Reduktion das parallele Ziel, die Abhängigkeit von dem sich nach Einschätzung der EU-Kommission verknappenden Rohstoff Erdöl stark zu mindern. Als konkrete Ziele werden eine Reduzierung der CO2-Emissionen des Verkehrs um 20 % bis 2030 (gegenüber dem Jahr 2008) und um 60 % bis 2050 (gegenüber 1990) formuliert. Letzteres entspricht nach Angaben der Kommission einer Minderung um 70 % gegenüber 2008, weil die CO2-Emissionen des Verkehrs im Gegensatz zu denen anderer Sektoren seit 1990 sogar noch angestiegen sind. Im Stadtverkehr soll die Nutzung von „mit konventionellem Kraftstoff betriebenen Pkw“ bis 2030 halbiert und bis 2050 ganz abgeschafft werden.

1 Vgl. z. T. schon das „Grünbuch über faire und effiziente Preise im Verkehr“ der EU-Kommission von 1995.

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Aus der Perspektive der Sustainability sagt die Kommission explizit, dass das Verkehrssystem in seiner jetzigen Gestalt nicht nachhaltig sei. Bei bleibender Ölabhängigkeit von ca. 90 % würden die CO2-Emissionen bis 2050 unter Status-quoBedingungen um ein Drittel gegenüber dem Jahr 1990 steigen. Die Staukosten würden um die Hälfte zunehmen. Die Zielvorstellung eines nachhaltigen Verkehrssystems übersetzt die EU-Kommission daher in eine „Vision“, die insbesondere die Gewährleistung des Verkehrswachstums und die Unterstützung der Mobilität bei Erreichung des Emissionsminderungsziels von 60 % umfasst: „Die Herausforderung besteht darin, die Abhängigkeit des Verkehrssystems vom Öl aufzuheben, ohne seine Effizienz zu opfern und die Mobilität einzuschränken. […] Die Einschränkung von Mobilität ist keine Option.“ 2 Hieraus wird dann ein Katalog von zehn beschriebenen Zielen für ein wettbewerbsorientiertes und ressourcenschonendes Verkehrssystem abgeleitet. Die zehn Ziele der „Vision“ lauten wörtlich (Europäische Kommission 2011): 1. Halbierung der Nutzung „mit konventionellem Kraftstoff betriebener PKW“ im Stadtverkehr bis 2030; vollständiger Verzicht auf solche Fahrzeuge in Städten bis 2050; Erreichung einer im Wesentlichen CO2-freien Stadtlogistik in größeren städtischen Zentren bis 2030. 2. Anteil CO2-emissionsarmer nachhaltiger Flugkraftstoffe von 40 % bis 2050; ebenfalls bis 2050 Senkung der CO2-Emissionen von Bunkerölen für die Seeschifffahrt in der EU um 40 % (falls erreichbar 50 %). 3. 30 % des Straßengüterverkehrs über 300 km sollten bis 2030 auf andere Verkehrsträger wie Eisenbahn- oder Schiffsverkehr verlagert werden, mehr als 50 % bis 2050, was durch effiziente und umweltfreundliche Güterverkehrskorridore erleichtert wird. Um dieses Ziel zu erreichen, muss auch eine geeignete Infrastruktur geschaffen werden. 4. Vollendung eines europäischen Hochgeschwindigkeitsschienennetzes bis 2050. Verdreifachung der Länge des bestehenden Netzes bis 2030 und Aufrechterhaltung eines dichten Schienennetzes in allen Mitgliedstaaten. Bis 2050 sollte der Großteil der Personenbeförderung über mittlere Entfernungen auf die Eisenbahn entfallen. 5. Ein voll funktionsfähiges EU-weites multimodales TEN-V-„Kernnetz“ bis 2030, mit einem Netz hoher Qualität und Kapazität bis 2050 und einer entsprechenden Reihe von Informationsdiensten. 6. Bis 2050 Anbindung aller Flughäfen des Kernnetzes an das Schienennetz, vorzugsweise Hochgeschwindigkeitsschienennetz; Alle Seehäfen des Kernnetzes ausreichend an das Güterschienenverkehrsnetz und, wo möglich, an das Binnenwasserstraßensystem anzuschließen. 7. Einführung der modernisierten Flugverkehrsmanagement-Infrastruktur (SESAR) in Europa bis 2020 und Vollendung des gemeinsamen europäischen Luftver-

2 Europäische Kommission 2011, S. 7.

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kehrsraums. Einführung äquivalenter Managementsysteme für den Land- und Schiffsverkehr (ERTMS, IVS, SSN und LRIT, RIS). Einführung des europäischen globalen Satellitennavigationssystems (Galileo). 8. Bis 2020 Schaffung des Rahmens für ein europäisches multimodales Verkehrsinformations-, Management- und Zahlsystem. 9. Bis 2050 Senkung der Zahl der Unfalltoten im Straßenverkehr auf nahe Null. Im Hinblick auf dieses Ziel strebt die EU eine Halbierung der Zahl der Unfalltoten im Straßenverkehr bis 2020 an. Zu gewährleisten ist, dass die EU bezüglich der technischen Sicherheit und Gefahrenabwehr bei allen Verkehrsträgern weltweit führend ist. 10. Umfassendere Anwendung des Prinzips der Kostentragung durch die Nutzer und Verursacher und größeres Engagement des Privatsektors zur Beseitigung von Verzerrungen (einschließlich schädlicher Subventionen), Generierung von Erträgen und Gewährleistung der Finanzierung künftiger Verkehrsinvestitionen.

3.2 Operationalisierung der Energiewende im Verkehr 3.2.1 Systematischer Überblick verkehrspolitischer Strategien Auf den ersten Blick erscheinen die zehn Ziele der EU-Kommission für das Verkehrssystem des Jahres 2030 wie eine bunte Mischung sehr unterschiedlicher Ansätze. Bei genauerer Analyse lassen sich jedoch die Setzungen auf drei grundsätzliche verkehrs- bzw. wirtschaftspolitische Konzepte zurückführen, die mittlerweile die Diskussion dominieren: – Als naheliegende und „einfachste“ Möglichkeit, Ressourcenbeanspruchung und Umweltbelastung durch Verkehr zu verringern, wird häufig die Vermeidung von (unnötigem) Verkehr genannt (Avoid). Der Tenor des EU-Weißbuchs zeigt, dass Verkehrsvermeidung per se nicht als realistische Alternative angesehen wird. Trotz gesellschaftlicher Skepsis gegenüber dem Verkehr und seinen Umweltwirkungen hat Verkehrsvermeidung bei nüchterner ökonomischer Betrachtung keinen Eigenwert, da die volkswirtschaftlichen Verluste und Nutzeneinbußen eines Verzichtes auf Verkehrsaktivitäten erheblich sein können. Aus ökonomischer Sicht geht es immer um eine korrekte Anlastung relevanter Externalitäten und nicht um normativ-affirmativ motivierte Limitierungen des Verkehrsgeschehens („unnötiger“ Verkehr). Anders formuliert dürften Verkehrsverbote und interventionistische Begrenzungen in der Regel einer ökonomischen Kosten-Nutzen-Analyse nicht standhalten (Eisenkopf 2006). Sie werden daher im Folgenden nicht weiter betrachtet. – Ein häufig in der Verkehrspolitik adressiertes Ziel ist die Verlagerung von Verkehren auf energieeffizientere bzw. umweltfreundlichere Verkehrsträger, d. h.

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die „Verbesserung“ des Modal Split im Sinne der Nachhaltigkeit (Shift). In der Vision des Weißbuches finden sich solche Ideen z. T. in Form der Verlagerung des Güterverkehrs über 300 km auf die Schiene oder das Schiff sowie der Verkehrsverlagerung im städtischen Personen- und Güterverkehr. Zur Operationalisierung von Verlagerungszielen stehen Push- und Pull-Strategien zur Verfügung. Push-Strategien setzen auf ordnungs- oder preispolitische Maßnahmen, welche die Attraktivität eines ressourcenintensiven Verkehrsträgers für den Nutzer verringern. Dies können preispolitische Maßnahmen wie z. T. eine Maut oder die zusätzliche Besteuerung von Inputfaktoren solcher Verkehrsaktivitäten bzw. auch ordnungspolitische Maßnahmen sein (z. T. Vorgaben für konkrete Verlagerungs- oder Energieeinsparungsziele). Umgekehrt sollen PullStrategien die Attraktivität der ressourcenextensiven Verkehrsträger steigern: Mutatis mutandis würde die Politik Subventionen aus öffentlichen Mitteln (oder ggfs. aus Abgaben der Nutzer von im Wettbewerb stehenden Verkehrsträgern) einsetzen, um über sinkende Preise der von ihr bevorzugten Verkehrsalternativen eine Verkehrsverlagerung zu erzielen. Als Beispiel wären hier die Subventionen für den öffentlichen Personennahverkehr in Deutschland zu erwähnen, die aus der Mineralölsteuer gegenfinanziert werden. Ein zentrales Element der Pull-Strategie dürfte allerdings die Infrastrukturpolitik sein, d. h. der gezielte Ausbau der Infrastrukturen der als relativ ressourcenschonend und umweltfreundlich angesehenen Verkehrsträger. Die zehn Ziele des Weißbuchs sind vor allem von derartigen Ansätzen geprägt. So finden sich preispolitische Maßnahmen in Ziel Nr. 10 versteckt (Prinzip der Kostentragung), während Infrastrukturmaßnahmen in den Zielen vier, fünf und sechs angesprochen werden. Generell können die vom Verkehrssektor ausgehenden Ressourcenbeanspruchungen vermindert werden, wenn es gelingt, die Effizienz und dabei insbesondere die Energie- und Umwelteffizienz des Verkehrssektors zu steigern (Improve). Effizienzsteigerungen finden vor allem durch kontinuierliche oder disruptive Innovationen statt, die sowohl technologischer als auch organisatorischer Natur sein können. Angesprochen sind also z. T. die Verbrauchsreduzierung von Fahrzeugen oder ein besseres Verkehrsmanagement und eine bessere Integration der Verkehrsträger (vgl. Ziele Nr. 7 und 8 des Weißbuchs). Auch der Ersatz der Nutzung fossiler Ressourcen in Fahrzeugen durch elektrische Antriebe (Elektromobilität) ist in diesem Zusammenhang relevant.3 Je nach Marktsituation kann auch ein intensiverer inter- bzw. intramodaler Wettbewerb die Effizienz des Verkehrs steigern. Politische Instrumente um solche Effizienzsteigerungen zu incentivieren können sowohl Standards und Grenzwerte (z. T. Emissionsgrenzwerte für CO2) wie auch spezifische Technologiefördermaßnah-

3 Vgl. hierzu Kapitel 3.3

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men sein. Die Effizienz staatlich gesteuerter Effizienzsteigerungsprogramme ist jedoch in jedem Fall kritisch zu überprüfen. Darüber hinaus beeinflussen allerdings auch generelle wirtschafts- und strukturpolitische Rahmensetzungen die Effizienz des Verkehrssystems einer Gesellschaft. Hinzuweisen ist z. T. auf die Siedlungs- und Raumstrukturpolitik oder auch die Abzugsfähigkeit von Fahrtkosten zur Arbeit mittels einer Pendlerpauschale.

3.2.2 Verlagerungsoptionen – Modal Shift im Güterverkehr Das Spannungsverhältnis zwischen anhaltendem Verkehrswachstum und Ressourcenbeanspruchung wird insbesondere im Güterverkehr relevant, da dieser im Zuge der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes und der fortschreitenden Globalisierung überproportional gewachsen ist und ein weiteres starkes weltweites Wachstum auch für die Zukunft absehbar ist (OECD/ITF 2015). Laut der verkehrspolitischen Konzeption des Weißbuches soll der wesentliche Teil der Anpassungslast zur nachhaltigen Gestaltung des Verkehrssystems über Verlagerungen von der Straße auf die Schiene bzw. Binnenwasserstraße getragen werden. Die entsprechende Zielformulierung sieht vor, dass 30 % des Straßengüterverkehrs über 300 km bis 2030 auf andere Verkehrsträger wie Eisenbahn- oder Schiffsverkehr zu verlagern sind und mehr als 50 % bis 2050, was durch effiziente und umweltfreundliche Güterverkehrskorridore erleichtert werden soll.4 Im Grundsatz ähnliche verkehrspolitische Ideen verfolgt die deutsche Verkehrspolitik, auch wenn eine konkrete Quantifizierung auf diesem Niveau vermieden wird (BMVBS 2013). Ein derartiges Verlagerungsszenario könnte auf den ersten Blick als dirigistischer Eingriff in die freie Verkehrsträgerwahl interpretiert werden. Allerdings finden sich im Weißbuch keine entsprechenden Hinweise auf entsprechende Pläne. Auf der anderen Seite wird allerdings auch nicht gesagt, welche Maßnahmen konkret ergriffen werden müssen, um den beabsichtigten Modal Shift zu bewerkstelligen. Es werden zwar die Umgestaltung der verkehrsbezogenen Steuern und Abgaben und die Weiterentwicklung der Anlastung externer Kosten als Hebel adressiert, angesichts der Erfahrungen mit den bisherigen Wirkungen von Preissignalen (z. T. Einführung der Lkw-Maut in Deutschland) dürften jedoch nur prohibitive Abgabenerhöhungen (z. T. entsprechend hohe CO2-Abgaben) oder dirigistische Maßnahmen der Ordnungspolitik in der Lage sein, derartige umfassende Verlagerungseffekte zu erzielen. Vergleicht man die externen Kosten der Verkehrsträger Straße und Schiene im Güterverkehr, so zeigen einschlägige Studien, dass der Schienengüterverkehr wesentlich geringere Externalitäten als der Straßengüterverkehr verursacht. Dies gilt 4 Im Folgenden klammern wir die Diskussion von Verlagerungsoptionen auf die Binnenschifffahrt aus.

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auch für die CO2-Emissionen, die dort unmittelbar mit der Nutzung fossiler Energieträger verbunden sind (Ricardo-AEA 2014). Das Verkehrsmittel mit den niedrigsten externen Kosten bzw. den geringsten CO2-Emissionen ist aber nicht unbedingt das günstigste Instrument zur Lösung einer Transportaufgabe. Ein Transport, der wegen der Nutzung der Bahn mehrfach umgeschlagen werden muss, bedeutet für den Kunden in der Regel einen höheren Aufwand. Außerdem verlängert sich zumeist die Beförderungsdauer. Beklagt wird von den Verladern häufig auch die schlechte Qualität und mangelnde Pünktlichkeit von Bahntransporten, insbesondere bei internationalen Verkehren. Eine isolierte Verlagerungsstrategie von der Straße auf die Schiene führt daher möglicherweise zu erheblichen Nutzeneinbußen für die Volkswirtschaft insgesamt (Eisenkopf 2006). Tragfähige Konzepte für einen ressourcenschonenden Güterverkehr müssen zudem den Einfluss der generellen politischen Rahmenbedingungen beachten. Ein Großteil des Verkehrszuwachses in den letzten 15 Jahren beruht auf der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes und der Integration der europäischen Volkswirtschaften mit der Erweiterung der EU nach Osten. Wenn die wirtschaftliche Integration und Erweiterung der Europäischen Union – auch wegen der wohlfahrtssteigernden Effekte – politisch gewünscht wird, ist zusätzlicher Verkehr unausweichlich. Es stellt sich lediglich die Frage, wie dieser möglichst ressourcenschonend gestaltet werden kann. Eine umfassende Verlagerung des europäischen Güterverkehrs insbesondere auf die Schiene dürfte zudem mit den derzeit vorhandenen bzw. in absehbarer Zukunft verfügbaren Infrastrukturkapazitäten kaum realisierbar sein. Im Jahre 2012 erreichte der Schienengüterverkehr in Europa einen Wert von 407 Mrd. tkm, der Straßengüterverkehr stand für 1.693 Mrd. tkm. Dies entspricht einem Modal-SplitAnteil der Schiene von ca. 17 % (European Commission 2014a). Wollte man nur ein Viertel der derzeitigen Leistung des Straßengüterverkehrs auf die Schiene verlagern, müsste sich die Schienengüterverkehrsleistung gut verdoppeln. Dies erscheint schon angesichts der auf absehbare Zeit nicht ausreichend verfügbaren Infrastrukturkapazitäten nicht realistisch. Hinzu kommt das für die Zukunft prognostizierte Wachstum der Verkehrsaktivitäten. Ob und wie der nach den Ideen des Weißbuchs erforderlich Ausbau der Schieneninfrastruktur realisiert werden wird, ist jedoch angesichts der Erfahrungen der Vergangenheit mit der Realisierung der TEN-Projekte mit einem großen Fragezeichen zu versehen. Hier wurden zwar zuletzt entsprechende Initiativen der EU angestoßen, die aber angesichts der unzureichenden Finanzierungsmittel auf EU-Ebene und der Konflikte zwischen nationalen und EU-Interessen sehr vorsichtig zu bewerten sind.5 Auch in Deutschland sind auf dem Streckennetz der Bahn derzeit kaum freie Kapazitäten für zusätzliche Güterverkehrstraßen vorhanden. Noch fraglicher ist allerdings, ob die geplante Verlagerung einen ausreichenden Beitrag zu der geplan-

5 Vgl. grundsätzlich Eisenkopf 2007.

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ten massiven Reduzierung der Treibhausgasemissionen leisten kann, da der entsprechende Zuwachs des Schienenverkehrs ebenfalls nicht emissionsneutral darzustellen ist. Der derzeitige Energiemix der Schiene ist zwar aufgrund der geringeren Abhängigkeit von fossilen Energieträgern klimapolitisch vorteilhaft, wobei auf die nach wie vor bestehende Abhängigkeit von der Kernenergie hinzuweisen ist. Das zentrale Problem besteht aber darin, die für den massiven Aufbau der Infrastruktur und den Transportbetrieb erforderlichen Energiemengen klimaneutral zu produzieren. Dies ist im Wesentlichen eine Wette auf den Erfolg der Energiewende in der Zukunft. Die von der EU angestrebte Veränderung des Modal Split im Güterverkehr verlangt also implizit sowohl massive ordnungs- und preispolitische Eingriffe in den Straßenverkehr, um diesen entsprechend unattraktiv zu machen, als auch einen umfassenden Ausbau der Schieneninfrastruktur. Es ist in Frage zu stellen, ob derartige Ausbauszenarien zeitlich und vom finanziellen Aufwand her realistisch sind und gesellschaftlich durchgesetzt werden können. Hierzu wären auch intensive Prozesse mit Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich. Zudem wird bezweifelt, ob die Ausbauszenarien mit dem eindeutigen Schwerpunkt Schiene, die dazu erforderlichen ordnungspolitischen Eingriffe in den Straßenverkehr und die angestrebten Modal-Split-Anteile der Schiene verkehrspolitisch sinnvoll sind. Die Schiene bietet zwar wie oben ausgeführt bezüglich der Treibhausgasemissionen (derzeit noch) Vorzüge gegenüber der Straße, doch weist sie nach wie vor auch schwerwiegende ökonomische Probleme auf. Die einen hohen Anteil der Wertschöpfung des Schienenverkehrs in Europa dominierenden großen Schienennetzbetreiber sind kaum substituierbar und können daher gegenüber ihren Nutzern und der Politik als Monopolisten auftreten und Renten abschöpfen. Auch auf der Ebene der Eisenbahnverkehrsunternehmen beherrschen Unternehmen den Markt, die zudem meistens im Staatsbesitz stehen. Der Straßentransportsektor ist dagegen durch intensiven Wettbewerb und einfachen Markteintritt geprägt. Zudem sind in den meisten europäischen Ländern die marktbeherrschenden Eisenbahnverkehrsunternehmen mit den monopolistischen Infrastrukturbetreibern integriert. Es wäre daher problematisch, wenn mit drastischen ordnungs- und preispolitischen Eingriffen eine Verlagerung auf die Schiene erzwungen würde. Gelänge es etwa durch verkehrspolitische Instrumente, die Ziele des Weißbuchs – 50 % des Güterverkehrs und der Großteil des Personenverkehrs über 300 km auf die Bahn – tatsächlich umzusetzen, entstünden bedeutende Marktsegmente des Personenund Güterverkehrs, in denen die Kunden auf den teilweise monopolistisch geprägten und (partiell) ineffizienten Eisenbahnsektor angewiesen wären. Das kann nicht das Ziel der Verkehrspolitik sein. Daher sollten solche anspruchsvollen Verlagerungsziele erst nach der Verwirklichung eines tatsächlich liberalisierten europäischen Schienenverkehrsbinnenmarktes angestrebt werden.6 6 Vgl. Ahrens, Baum et al. 2013.

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3.2.3 Modal Shift im Personenverkehr Auch wenn das zukünftige Wachstum des Personenverkehrs in Europa angesichts der soziodemografischen Einflussfaktoren eher gering sein wird, werden Maßnahmen zur Verlagerung des Personenverkehrs insbesondere vom Pkw bzw. dem Flugzeug auf andere Verkehrsmittel intensiv diskutiert.7 Im Fernverkehr steht als Alternative die Eisenbahn im Vordergrund, mit der Liberalisierung des Buslinienfernverkehrs bietet aber auch der Fernbus eine ressourcenschonende und umweltfreundliche Alternative zu Pkw und Flugzeug. Der Verkehr in Ballungsräumen ist zunehmend durch Überlastungserscheinungen zu Stoßzeiten und Umweltprobleme gekennzeichnet (insbesondere Überschreitung von Feinstaub- und Stickoxidgrenzwerten), so dass auch hier der Umstieg auf nichtmotorisierte Verkehrsmittel (z. T. Fahrrad) und den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) angezeigt erscheint. Abstrahiert man von der Stauproblematik, kann auch die Nutzung von Elektroautos zur Lösung der Umweltprobleme in Ballungsräumen und der Schonung fossiler energetischer Ressourcen beitragen. Unter Ressourcenaspekten zunehmend diskutiert werden auch organisatorische Innovationen wie das Carsharing, bei dem auf den Besitz eines eigenen Fahrzeuges zugunsten der Nutzung von Fahrzeugen aus einer Carsharing-Flotte verzichtet wird. Eine Verlagerung von Verkehren im Personenfernverkehr kann wiederum durch Push- und Pull-Maßnahmen incentiviert werden. So besteht einerseits die Option, durch ordnungs- und preispolitische Maßnahmen das Preis-/Qualitätsprofil der relativ ressourcenintensiven Verkehrsmittel zu verschlechtern und andererseits die Attraktivität der ressourcenextensiven Verkehrssektoren zu erhöhen. Im Sinne einer Push-Strategie würden demnach eine allgemeine kilometerabhängige Pkw-Maut, höhere Mineralölsteuern oder eine Besteuerung des Flugbenzins wirken. Als Pull-Maßnahmen wären z. T. subventionierte Angebote der Bahn im Personenfernverkehr einsetzbar. Letztlich wird eine Verlagerungspolitik aber nur erfolgreich sein, wenn sich die Nutzer im Rahmen Ihrer Verkehrsmittelwahlentscheidungen tatsächlich für alternative Verkehrsmittel entscheiden. Im Personenfernverkehr sind daher insbesondere die Substitutionsbeziehungen zwischen dem Motorisierten Individualverkehr (MIV), dem Luftverkehr, dem Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) und dem Buslinienfernverkehr relevant. Analysen zu den Substitutionsbeziehungen zwischen diesen Verkehrsmittelalternativen zeigen, dass intermodale Wettbewerbsbeziehungen eine geringere Rolle spielen, als dies häufig angenommen wird, weil die von den Reisenden zu überwindenden Substitutionslücken sowohl im Urlaubs-/Freizeitverkehr als auch im Geschäftsreiseverkehr relativ groß sind (Eisenkopf, Hahn und Schnöbel 2008). Dies gilt beim Freizeitverkehr insbesondere für die Substituti-

7 Die sozidemografischen Einflussfaktoren können sich allerdings der derzeit diskutierten Migration mittelfristig massiv verändern.

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on von Pkw-Fahrten durch die Bahn, während im Geschäftsreiseverkehr über längere Entfernungen die Substitution von Bahnfahrten durch den Pkw problematisch ist. Ein Argument für erhebliche Substitutionslücken zwischen den Verkehrsträgern findet sich auch in der Empirie der gemessenen Kreuzpreiselastizitäten zwischen dem Schienenverkehr und dem Pkw bzw. dem Luftverkehr. Der seit dem 01. 01. 2013 liberalisierte Buslinienfernverkehr ist seither zwar sehr dynamisch gewachsen und hat Kunden von der Bahn und dem privaten Pkw abgezogen (Bundesamt für Güterverkehr 2015), doch dürften auch hier langfristig die relevanten zusätzlichen Verlagerungspotenziale begrenzt sein. Bei der Analyse der Substitutionsmöglichkeiten zwischen dem Luftverkehr und dem Schienenpersonenfernverkehr ist eine differenzierte entfernungs- und sogar relationsspezifische Betrachtung erforderlich. Im Entfernungsbereich bis ca. 300 km spielt der Luftverkehr als Wettbewerber für den Schienenverkehr lediglich eine sehr eingeschränkte Rolle. Dagegen stellen bei Strecken über ca. 600 bis 700 km Bahn und Flugzeug aus Sicht des Geschäftsreiseverkehrs keine geeigneten Substitute dar. Im Entfernungsbereich zwischen etwa 300 und 600 km dürften dagegen grundsätzlich Substitutionspotenziale zwischen Luftverkehr und Schienenverkehr gegeben sein, insbesondere wenn es der Schiene gelingt, ihre Angebotsqualität weiter zu verbessern (Eisenkopf, Hahn und Schnöbel 2008). Die empirische Relevanz eines Modal Shift weg vom Pkw hin zu ressourcenschonenderen Verkehrsmitteln entscheidet sich anhand der gemessenen Kreuzpreis- und Preiselastizitäten. Während die Kreuzpreiselastizitäten die Verlagerung z. T. vom Pkw zur Bahn aufgrund einer Erhöhung der Betriebskosten des Pkw beschreiben, stellt die direkte Preiselastizität der Nachfrage nur auf die Veränderung der modalen bzw. der Verkehrsaktivitäten insgesamt bei Preisänderungen ab. Im Folgenden wird primär auf die direkte Preiselastizität abgestellt, da zum einen geeignete Datengrundlagen für die Kreuzpreiselastizität in der Regel fehlen und zum anderen die Preispolitik im Schienenpersonenverkehr sich häufig an der Entwicklung der Nutzerkosten des Pkw orientiert, d. h. der Schienenpersonenfernverkehr nutzt Erhöhungen der Betriebskosten für Pkw für eigene Preiserhöhungen. In der einschlägigen Literatur werden höhere Mineralölsteuern, Kfz-Steuern, spezifische Zulassungssteuern und Infrastrukturabgaben häufig als geeignetes Instrument zur Verkehrsvermeidung und Verlagerung angesehen.8 Dies ist angesichts der oben skizzierten Substitutionslücken und der traditionell als relativ niedrig angesehenen Preiselastizitäten eher ein Wunschgedanke. Die in der Literatur lange als Faustregel angenommene Größenordnung von −0,2 für die direkte Preiselastizität der Nachfrage des Pkw-Verkehrs impliziert, dass eine Kraftstoffpreiserhöhung von 100 % erforderlich wäre, um die Fahrleistungen um 20 % zu reduzieren (Aberle 2009, S. 12). Aktuelle Schätzungen weisen für Deutschland heute höhere Elastizitäten zwischen −0,42 für Diesel und −0,51 für Benzin aus (Frondel und Vance 2014).

8 Vgl. Lah (2015) und die dort angegebene Literatur.

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Dies würde bedeuten, dass eine Verdopplung der Dieselpreise zu einem Rückgang der Fahrleistungen von 42 % führen würde. Derartige hypothetische Rechnungen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. Zum einen sollte man sich klar machen, dass dazu bei einem Dieselpreis von ca. 1 Euro die Verdopplung eine Erhöhung der Mineralölsteuer von aktuell 47 Cent je Liter um rund einen Euro bedeuten würde, was erhebliche gesamtwirtschaftliche Verwerfungen nach sich ziehen würde – ganz abgesehen von der politischen Durchsetzbarkeit. Außerdem ist der methodische Einwand zu beachten, dass Elastizitäten stets für sehr kleine Änderungen der unabhängigen Variable definiert sind und daher ihre Validität bei solchen nicht-inkrementellen Veränderungen in Frage zu stellen ist. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass Preiselastizitäten der Nachfrage nach Transportleistungen mit steigendem Einkommen abnehmen (Fouquet 2012). Auch im Nahverkehr existieren erhebliche Substitutionslücken zwischen dem Motorisierten Individualverkehr und dem Öffentlichen Personennahverkehr. Hinzu kommt, dass Öffentlicher Straßenpersonenverkehr (ÖSPV) und Schienenpersonennahverkehr (SPNV) aufgrund unterschiedlicher Verkehrswertigkeiten keine aus Nutzerperspektive hinreichend homogenen Angebote machen. Zudem unterliegen ÖSPV und SPNV aus Sicht der öffentlichen Nachfrage unterschiedlichen institutionellen Rahmenbedingungen (Eisenkopf, Hahn und Schnöbel 2008). Trotzdem zeigen internationale Beispiele immer wieder, dass z. T. mit Hilfe von City-Maut-Konzepten der Motorisierte Individualverkehr wirksam begrenzt werden kann. Es gibt international zahlreiche Erfahrungen mit fahrleistungsabgängigen Infrastrukturabgabensystemen (mindestens 46 Länder weltweit). Häufig werden die City-Maut-Konzepte in Singapur, Oslo, London oder Stockholm zitiert, die allerdings den ökonomischen Anforderungen an ein congestion pricing selten nahekommen. So nutzt z. T. nur die Maut in Stockholm Ansätze der Spitzenlasttarifierung, während alle anderen Modelle sich auf eine mehr oder weniger pauschale Tarifierung stützen. Bereits einfache Lösungen führen aber in Ballungsräumen zu einem Rückgang des Verkehrs von 15–20 % und damit zu einer Reduzierung der Staus. So bewirkte die City-Maut in London relativ schnell eine wirksame deutliche Minderung des einfahrenden Pkw-Verkehrs (Größenordnung nach Einführung ca. 20 %) und ein Reduzierung der Pkw-Fahrleistungen in der Mautzone; die Fahrleistungen von Bussen und Fahrrädern haben sich dagegen erhöht. Die Umweltwirkungen sind insgesamt weniger (eindeutig) positiv, auch wegen des zusätzlichen Verkehrs mit Dieselbussen. Bedeutsam sind die relativ hohen Systemkosten, so dass die Ergebnisse einer ökonomischen Nutzen-Kosten-Analyse unterschiedlich ausfallen. Nach wie vor gibt es auch erheblichen politischen Widerstand, der in London zum Beispiel zur Rücknahme der Maut-Extension geführt hat (Eisenkopf et al. 2009). Analysiert man z. T. die Entwicklung der City-Maut in London im Zeitablauf, zeigt sich, dass der verkehrsdämpfende Effekt im Zeitablauf schrittweise verblasst

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und trotz kräftig steigender Mautsätze erhebliche Verkehrsprobleme bleiben. Auch die dem ERP-System in Singapur zugeschriebenen positiven Effekte sind nur vor dem Hintergrund zahlreicher weiterer, zum Teil drakonischer Maßnahmen zur Eindämmung des Pkw-Verkehrs zu interpretieren. So gibt es Quotenregelungen für die Zulassung, die mit Zulassungssteuern von bis zu 50.000 Euro verbunden sind sowie Einfuhrsteuern auf Pkw, die ca. 40 % des Fahrzeugwertes ausmachen. Hinzu kommen hohe Kraftstoffsteuern und eine äußerst restriktive Parkraumbewirtschaftung (Roduit 2002). Insgesamt ist also die Regulierung des Pkw-Verkehrs auch ein Spiegelbild des generell restriktiven und autoritären politischen Systems in Singapur.

3.2.4 Maßnahmen zur Effizienzsteigerung – Verbrauchsstandards für Personenkraftwagen Die Energieeffizienz des Verkehrssektors lässt sich durch zahlreiche Instrumente steigern. Im Vordergrund dürften Maßnahmen zur Verbrauchsreduktion (und damit Emissionsreduktion) von Fahrzeugen stehen. Häufig genannt werden auch besseres Verkehrsmanagement und eine bessere Integration der Verkehrsträger. Auf diese Ansätze soll im Folgenden vertiefend eingegangen werden. Es werden zudem einige kurze Hinweise auf die Bedeutung des Wettbewerbs für die Effizienz der Verkehrsmärkte gegeben.9 Wichtigstes Instrument der europäischen Klimapolitik im Bereich des motorisierten Individualverkehrs sind die (Flotten-)Emissionsstandards für Pkw. Sie entsprechen im Gegenzug Verbrauchsstandards für die Fahrzeuge und sind damit unmittelbar relevant für die Nachfrage des Verkehrs nach energetischen Ressourcen. Solche Standards stellen einen mächtigen Hebel dar, da rund die Hälfte des verkehrlichen Energieverbrauchs (weltweit und in der EU) auf den Pkw-Verkehr entfällt. Bereits im Jahre 1995 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU darauf, bis zum Jahre 2012 den CO2-Ausstoß neuer Pkw-Flotten auf 120 g/km zu reduzieren (entspricht 4,5 l Diesel/100 km oder 5 l Benzin/100 km). Im Jahre 2009 wurde dann durch Europarecht ein Grenzwert von faktisch 130 g CO2/km festgelegt, der ab 2015 für alle Neuwagenflotten verbindlich ist. Die Differenz von 10 g CO2/ km soll durch „zusätzliche Maßnahmen“ realisiert werden (Biokraftstoffe, Anrechnung von elektrisch betriebenen Fahrzeugen). Bis zum Jahr 2021 sollen die Flottengrenzwerte nach derzeitiger Rechtslage weiter auf 95 g CO2/km abgesenkt werden, wobei zahlreiche Anrechnungsmöglichkeiten zur Entlastung beitragen (z. T. sogenannte „Supercredits“).

9 Ausgeklammert wird dagegen der klimapolitisch ebenfalls relevante Einsatz von CO2-effizienteren oder neutralen Treibstoffen.

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Während die Automobilhersteller gewöhnlich mit dem hohen technischen Aufwand argumentieren, den sie betreiben müssen, um anspruchsvollere Verbrauchsminderungsziele zu erreichen, kann man das Problem der CO2-Vermeidungskosten bei Pkw auch aus einer anderen, neutralen Perspektive analysieren. So findet sich z. T. in Deutschland (mutatis mutandis aber auch in den anderen EU-Staaten) zur Internalisierung von Externalitäten eine implizite Steuerlösung in Gestalt der Mineralölsteuer (heute: Energiesteuer). Der Steuersatz beträgt derzeit 65,45 Cent je Liter Benzin (47,04 Cent für Diesel) bei Verwendung in Kraftfahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Im Zuge der ökologischen Steuerreform ab 1999 wurde die Erhöhung der Steuersätze (Fünfmal 6 Pfennige = 3,07 Cent im Jahresrhythmus) sogar explizit mit einer beabsichtigten Reduzierung der CO2-Emissionen begründet (These von der „doppelten Dividende“). Interpretiert man die Mineralölsteuer insgesamt als Abgabe auf die mit der Verbrennung von Treibstoffen verbundenen CO2-Emissionen, wird jede Tonne CO2 bei Superbenzin implizit mit ca. 280 Euro besteuert, für Diesel liegt der implizite Steuersatz bei ca. 180 Euro (Annahme: 1 Liter Super = 2,32 kg CO2; 1 Liter Diesel = 2,62 kg CO2). Aus ökonomischer Sicht bedeutet dies, dass Autofahrer bereits einen hohen Schattenpreis für den Energieverbrauch und damit für die CO2-Emissionen zahlen. Für sie wären alle Investitionen in die Senkung des Benzinverbrauchs interessant, wenn deren Grenzvermeidungskosten kleiner als 280 Euro je Tonne sind. Alle technischen Maßnahmen bei Dieselfahrzeugen, die geringere Kosten als 180 Euro verursachen, wären aus Kundensicht sinnvoll und würden auch von den Kunden nachgefragt werden, da sie deren Kosten reduzieren. Da im Automobilsektor Wettbewerb herrscht, ist allerdings davon auszugehen, dass relevante Maßnahmen bereits weitgehend realisiert sind. Zusätzliche Anstrengungen zur CO2-Einsparung z. T. bei Dieselfahrzeugen dürften daher Grenzvermeidungskosten von mehr als 180 Euro aufweisen, ein Vielfaches des in den letzten Jahren relevanten Börsenpreises für eine Tonne CO2.10 Eine weitere Verschärfung der Flottengrenzwerte für Pkw erscheint vor diesem Hintergrund ökonomisch ineffizient und unsinnig. Mit dem Geld, das die Gesellschaft auf diese Weise in die Vermeidung einer Tonne CO2 investiert, könnte man an anderer Stelle eine vielfache Wirkung entfalten. Es gibt daher keine ökonomische stichhaltige Begründung für eine weitere Verschärfung der Flottengrenzwerte. Grenzwerte werden auch kritisiert, weil die Grenzwertverschärfungen in der Vergangenheit nur relativ schwache Emissionsreduktionen nach sich gezogen haben. Dies wird insbesondere auf den so genannten Rebound-Effekt zurückgeführt (Lah 2015, S. 4). Beim Rebound-Effekt wird darauf abgestellt, dass eine Senkung der Nutzungskosten durch zusätzliche Verkehrsaktivitäten zumindest teilweise kompensiert wird (zusätzliche Fahrten, längere Distanzen, weniger energiesparender Fahrstil). Ältere Untersuchungen taxieren den entsprechenden Effekt auf 10

10 Vgl. zu einer solchen Argumentation Weimann 2008.

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bis 30 % für den Straßenverkehr (International Energy Agency 1998). Neuere Studien stellen fest, dass empirische Aussagen zum Rebound-Effekt einer großen Streuung unterliegen; Die Rebound-Raten liegen langfristig zwischen 5 und 66 % (International Risk Governance Council 2013). Für Großbritannien wird der ReboundEffekt aus Kraftstoffeinsparungen (z. T. wegen verschärfter Grenzwerte) zwischen 20 und 60 % geschätzt (Eine zehnprozentige Kraftstoffeinsparung führt zu einer um 20 bis 60 % höheren Fahrleistung; (Fouquet 2012)). CO2-Grenzwerte sind darüber hinaus deswegen kontraproduktiv, weil die Messund Evaluierungsverfahren so ausgerichtet sein werden, dass die theoretisch definierten und politisch gesetzten Bedingungen erfüllt werden. Dies muss aber nicht den praktischen Nutzungsbedingungen der Fahrzeuge entsprechen. Es kommt bereits heute zu erheblichen Anreizverzerrungen („people only do what they are measured to do“). So wird vielfach beklagt, dass die tatsächlichen Kraftstoffverbräuche von Pkw stark von den herstellerseitig angegebenen Normverbräuchen abweichen. Auch der aktuelle insbesondere die Stickoxidemissionen von Pkw betreffende Skandal bei Volkswagen zeigt, dass die staatliche Regulierung eher schlecht funktioniert (Doll 2015). Ein umweltökonomisch besonders interessantes Instrument zur Internalisierung von CO2-Emissionen im Verkehr könnte der Emissionshandel sein. Die Einbeziehung von Pkw’s in das EU-Handelssystem wäre über einen Upstream-Ansatz ohne hohe Transaktionskosten möglich (Erwerb von Emissionsrechten durch Kraftstoffanbieter). Midstream- oder Downstream-Ansätze, bei denen einzelne Hersteller oder gar Millionen von Pkw-Nutzern am Emissionshandel beteiligt werden, erscheinen dagegen wenig attraktiv, insbesondere wegen der damit verbundenen Transaktionskosten. Ein Zielpreis von 30 Euro je Tonne CO2 würde in einem solchen Modell einem Preisaufschlag von 7 Cent pro Liter Benzin bzw. 8 Cent für Diesel entsprechen. Angesichts der derzeit und wahrscheinlich auf Dauer niedrigen Ölpreise dürften allerdings mit einer solchen Preiserhöhung keine relevanten Wirkungen auf den Modal Split einhergehen. Mit der Einbeziehung des Straßenverkehrs in den Emissionshandel über die Kraftstoffe wären auch Überlegungen zur Einführung von Flottenstandards für schwere Nutzfahrzeuge obsolet, wie sie die EU-Kommission derzeit vorantreibt. Hier ist die Festlegung von Emissionsgrenzwerten noch sehr viel problematischer, da die CO2-Emissionen stark mit der spezifischen Fahrzeugkonfiguration, den Einsatzbedingungen und selbst verständlich dem Beladungszustand variieren.

3.2.5 Verkehrsmanagement- und Informationssysteme Die im Weißbuch niedergelegte verkehrspolitische Strategie stellt in hohem Maße auf die Einführung von Verkehrsmanagement- und Informationssystemen zur effi-

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zienteren Nutzung von Infrastruktur und Transportmitteln ab. Im Güterverkehr geht es dabei primär um die effiziente Verknüpfung der Verkehrsträger und die Optimierung der Schnittstelle zwischen dem Güterfernverkehr und dem Verteilerverkehr (letzte Meile). Hierdurch würde z. T. die Verlagerung von Verkehren auf aus Umwelt- und Ressourcenaspekten wünschenswerte Verkehrsträger wie die Schiene erleichtert, da im kombinierten Verkehr Transaktionskosten gesenkt werden. Eine zentrale Rolle spielt auch die Einführung eines EU-weiten Flugverkehrsmanagementsystems (SESAR) sowie des europäischen Eisenbahnverkehrsleitsystems (ERTMS). Zu erwähnen sind weiterhin integrierte Verkehrsleit- und -informationssysteme, die intelligente Mobilitätsdienste unterstützen sowie multimodale paneuropäische Reiseinformations- und Buchungssysteme (Europäische Kommission 2011). Während mögliche CO2-Einsparungen bei der Vereinheitlichung der europäischen Flugsicherung relativ gut abschätzbar sind,11 erscheinen die Effizienzwirkungen einiger anderer unter dem Stichwort „Intelligent Transport Systems“ (ITS) subsumierten Konzepte nur schwer greifbar. Es bleibt z. T. unklar, welche CO2Minderungspotentiale ein multimodales paneuropäisches Reiseinformations- und Buchungssystem aufweist; entsprechende Effekte wären nur relevant, wenn die Nutzung dieser Systeme tatsächlich mit einem spürbaren Modal Shift einhergehen würde. Tatsächlich dürften jedoch Rebound-Effekte bei der Nutzung eines derartigen Systems (Reisen wird einfacher) eventuelle Modal-Shift-Effekte überkompensieren. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei den CO2-Einsparungen im Zuge der Vereinheitlichung der Flugsicherung um Einmaleffekte handelt, die das laufende Wachstum des Luftverkehrs nicht tangieren.

3.2.6 Förderung des Wettbewerbs und Abbau von Subventionen Mustervoraussagen aus der Industrieökonomik und die Erfahrungen mit der Liberalisierung der europäischen Verkehrsmärkte legen nahe, dass funktionsfähiger Wettbewerb die ökonomische Rationalität auf den Märkten und damit die Effizienz stärkt. Nachholbedarf gibt es in dieser Hinsicht insbesondere im Hinblick auf die Zielsetzung der Vollendung des europäischen Binnenmarktes für Schienenverkehrsdienste. Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang die im Rahmen des sogenannten 4. Eisenbahnpaketes diskutierte Verpflichtung zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge im Rahmen von Ausschreibungen, die Schaffung einer einheitlichen Zulassung von Fahrzeugtypen und die Option der Trennung von Infrastruktur und Transport. Angesichts der vielfältigen Widerstände bei der Verabschiedung des 4. Eisenbahnpaketes in den Mitgliedsstaaten ist es fraglich, ob es

11 Durch einen „Single European Sky“ sollen bis zu 12 % oder 16 Mio. t CO2 jährlich eingespart werden (Deutsche Flugsicherung 2010).

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gelingt, in absehbarer Zeit eine umfassende Liberalisierung des europäischen Schienenverkehrs auch praktisch durchzusetzen, um damit die Voraussetzungen für eine höhere Marktbedeutung des Schienenverkehrs und die gewünschte Verkehrsverlagerung zu schaffen. Eine Abschätzung der aus einer stärker wettbewerblichen Marktorganisation resultierenden Effekte auf Ressourceneffizienz und CO2Emissionen wäre damit rein spekulativ. Im Rahmen der allgemeinen Wirtschaftspolitik sollte die Politik auch Subventionen abschaffen, die Anreizwirkungen in Richtung von zusätzlicher Mobilität und CO2-Emissionen erzeugen. Im Fokus steht hier in Deutschland die sogenannte Entfernungspauschale, die eine steuerliche Berücksichtigung des Weges von der Wohnung zur Arbeitsstätte als Werbungskosten ermöglicht. Hieraus resultieren einerseits steuerliche Mindereinnahmen bei der Einkommensteuer von geschätzt ca. 4 Mrd. Euro und andererseits ökonomische Ineffizienzen bei der Wahl von Wohnstandorten und Arbeitsplätzen, die wiederum zusätzliche Verkehrsaktivitäten und CO2-Emissionen nach sich ziehen. Quantitativ relevante Anpassungseffekte werden aufgrund der ökonomischen Trägheit des Systems aber erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung zu beobachten sein.

3.3 Förderung der Elektromobilität Einen wesentlichen Schritt zur Reduzierung der Nutzung fossiler Ressourcen im Verkehr stellt der verstärkte Einsatz von Elektrofahrzeugen im Straßenverkehr dar.12 So sieht das Weißbuch Verkehr der Europäischen Kommission die Halbierung der Verwendung konventioneller Fahrzeuge in der Stadtlogistik und eine CO2freie City-Logistik in größeren urbanen Zentren bis 2030 als wesentliche Zielsetzung, doch wird die Elektromobilität verkehrspolitisch auf EU-Ebene bisher nur über Regeln zum Ausbau der Ladeinfrastruktur durch Legalakte aktiv unterstützt.13 Diskussionswürdig erscheinen dagegen die Initiativen auf nationaler Ebene. Ein erklärtes verkehrspolitisches Ziel der Bundesregierung ist die stärkere Verbreitung elektrischer Antriebe im Motorisierten Individualverkehr. Laut dem Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität aus dem Jahr 2009 sollen bis zum Jahr 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf Deutschlands Straßen unterwegs sein; bis 2030 soll der Bestand auf sechs Millionen erhöht werden. Diese politische Zielvorgabe wurde immer wieder bestätigt und ist auch Bestandteil des Koalitionsvertrages der derzeitigen Bundesregierung. Zum Zwecke der politischen Umsetzung dieser Ziele hat die Bundesregierung eine Nationale Plattform Elektromobilität etabliert, in der

12 Im Schienenverkehr werden in Deutschland bereits über 90 % der Verkehrsleistung elektrisch vollbracht, wobei nur ca. 60 % der Schienenstrecken elektrifiziert sind (Allianz pro Schiene 2012). 13 Vgl. die Richtlinie 2014/94: Infrastruktur für alternative Kraftstoffe, (Europäische Kommission 2014).

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Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft über geeignete Maßnahmen zur Realisierung des „Markthochlaufs“ beraten (Schill, Gerbaulet und Kasten 2015, S. 207). Zudem trat im Juni 2015 ein Elektromobilitätsgesetz in Kraft, das bestimmte Privilegien für die Nutzung von Elektrofahrzeugen vorsieht. Die Energiewende auf Rädern kommt allerdings nicht voran. Zum 01. 01. 2016 waren in Deutschland rund 23.500 reine E-Pkw auf den Straßen unterwegs; damit liegt Deutschland auf Platz 6 der weltweiten Statistik hinter Großbritannien (28.000), Frankreich (27.000) und Norwegen (25.000).14 Welche Rolle elektrisch betriebene Autos jenseits des medialen und politischen Hypes tatsächlich für Verkehr und Umwelt spielen, wird klar, wenn man diese Zahlen mit den insgesamt 3,2 Mio. Pkw-Neuzulassungen im Jahre 2015 und dem Bestand von rd. 44 Mio. Pkw vergleicht (Kraftfahrtbundesamt 2016). Allerdings hält die Bundesregierung unbeirrt an ihrem seinerzeit ausgegebenen Ziel von 1 Mio. Elektroautos im Jahre 2020 fest. Der Verkehrsminister glaubte zumindest im Frühjahr 2016 nach wie vor, dass man dieses Ziel erreichen könne. Vor diesem Hintergrund wurden im Mai 2016 zusätzliche Maßnahmen zur Förderung der Elektromobilität vom Bundeskabinett beschlossen und später vom Bundesrat ratifiziert. So wird ab sofort zeitlich befristet bis 2019 eine Kaufprämie von 4.000 Euro für rein elektrisch angetriebene Pkw und von 3.000 für sogenannte Plug-In Hybride gewährt. Die Förderung wird hälftig aus Bundesmitteln und seitens der Automobilindustrie finanziert, wobei insgesamt 600 Mio. Euro Bundesmittel zur Verfügung stehen. Fördervoraussetzung ist ein Netto-Listenpreis für das Basismodell von unter 60.000 Euro; antragsberechtigt sind Privatpersonen, Unternehmen, Stiftungen, Körperschaften und Vereine, auf die ein Neufahrzeug zugelassen wird. Zudem wird in der Förderrichtlinie eine 10jährige Kraftfahrzeugbesteuerung für Zulassungen vom 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2020 festgeschrieben. Hinzu tritt ein Förderprogramm zum Aufbau von Ladestationen von 2017 bis 2020 im Umfang von insgesamt 300 Mio. Euro (Bundesregierung 2016). Diese Fördermaßnahmen gehen allerdings mit Ausnahme der Förderung des Ausbaus der Ladestationen allesamt am Kern des Problems vorbei. Trotz mittlerweile zahlreicher angebotener Fahrzeugmodelle auch aus deutscher Produktion sind reine Elektrofahrzeuge wegen begrenzter Reichweiten, langer Ladezeiten und schlechter Ladeinfrastruktur sowie immens hoher Kaufpreise für den Kunden in der Regel unattraktiv (Döring 2012, S. 565 f.). Bereits vorher wurden E-Pkw durch Freistellungen bei der Kraftfahrzeugsteuer und der Berechnung des geldwerten Vorteils von Geschäftswagen subventioniert. Eine andere, nicht realisierte Forderung, die auch von der SPD unterstützt wurde,

14 In der politischen Diskussion werden zu den Elektrofahrzeugen zusätzlich auch noch die sogenannten Plug-in-Hybride und Fahrzeuge mit Range-Extender gezählt, was aber die genannten Relationen nicht grundsätzlich verändert.

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waren Sonderabschreibungen (für 2015 in Höhe von 50 %) für den Kauf von gewerblich genutzten Elektrofahrzeugen.15 Mit der Kaufprämie hat die Bundesregierung offensichtlich einen ordnungspolitischen Sündenfall begangen. Ein marktwidriger Eingriff führt zu regressiven Verteilungseffekten (Begünstigung von Zweit- oder Drittwagen für Wohlhabende), führt zu kontraproduktiven Wirkungen bei der Anrechnung von Supercredits auf die Emissionsstandards und verabschiedet sich von der Idee der Technologieoffenheit in der Klimapolitik. Dies ist umso mehr zu kritisieren, als Elektro-Pkw aus ökologischer Sicht unter den gegenwärtigen Bedingungen der Stromversorgung keine Vorteile gegenüber Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor bieten. In noch viel stärkerem Maße gilt dies für Plug-In-Hybride. So stellt das ifeu-Institut in einem Forschungsbericht aus dem Jahre 2011 fest: „Die Analysen zeigen, dass batterieelektrische Fahrzeuge heute bei der Bilanzierung des gesamten Lebensweges (inkl. Fahrzeugherstellung und Energiebereitstellung) und bei Nutzung des durchschnittlichen deutschen Strommixes eine ähnliche Klimabilanz haben wie Verbrennungsfahrzeuge“ (ifeu 2011, S. 1). Um eine Flotte von vier bis fünf Millionen elektrischen Pkw zu versorgen, müsste zudem der Ausbau erneuerbarer Energien gegenüber den derzeitigen Plänen massiv verstärkt werden; außerdem würde eine rein nutzergetriebene Ladepolitik mit erheblichen Spitzenlasten zu ungünstigen Zeiten die Systemsicherheit des Stromnetzes tangieren (Schill, Gerbaulet und Kasten 2015, S. 211 f.). Während ersteres erhebliche volkswirtschaftliche Ressourcenverschwendung mit sich bringen würde, bedeutet die Notwendigkeit einer zentral gesteuerten Ladepolitik ein weiteres erhebliches planwirtschaftliches Element. Elektrisch betriebene Pkw dürften unter den gegebenen Marktbedingungen demnach auch in den nächsten Jahren nicht wettbewerbsfähig gegenüber Pkw mit Verbrennungsmotoren sein. Dies gilt auch international. So müsste bei den derzeit realistischen Batteriekosten von 325 USD je kWh der Ölpreis bei 350 USD je Barrel liegen, damit die Elektrofahrzeuge sich rechnen. Zielkosten von 125 USD/kWh, die vom US Department of Energy für 2022 erwartet werden, erforderten einen minimalen Ölpreis von 115 USD. Selbst unter der Annahme, dass die Elektrizität klimaneutral erzeugt wird und die sozialen Kosten der CO2-Emissionen dem Verbrennungsmotor voll zugerechnet werden, liegt die Wirtschaftlichkeitsschwelle der Elektromobilität in diesem Fall bei einem Ölpreis von 90 USD (Couvert, Greenstone und Knittel, 2016, S. 126). Elektromobilität wird also auf absehbare Zeit keinen relevanten Beitrag zur Reduzierung der Nachfrage nach fossilen Ressourcen leisten. Jüngere Studien aus Deutschland erwarten bis zum Jahr 2030 auf Basis der Lithium-Ionen-Technologie eine Verdopplung der Energiedichte auf 200 Wh/kg und Kosten von unter 100 Euro/kWh (Fraunhofer 2015). Für einen repräsentatives Elektrofahrzeug wie den VW e-Golf dürfte nach eigenen Berechnungen damit der break even im Vergleich zum Benziner erst bei Ölpreisen jenseits von 100 USD

15 Vgl. zur Diskussion einzelner Maßnahmen Heymann (2016).

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erreicht werden. Zu vergleichbaren Ergebnissen kommen auch unabhängige Studien, welche die Wirtschaftlichkeit der Elektromobilität für verschiedene Fahrzeugklassen und Anwendungsfälle aus Nutzersicht analysieren (Bubeck, Tomaschek und Fahl 2016). Nach den Ergebnissen dieser Studie sind rein batterieelektrisch betriebene Fahrzeuge und Plug-In-Hybride derzeit ohne Subventionen nicht wettbewerbsfähig. Je nach Fahrzeugklasse sind Subventionen von 9.400 bis 18.000 Euro erforderlich, um den Kostennachteil solcher Fahrzeuge auszugleichen. Erst im Jahr 2030 werden Elektrofahrzeuge in einigen Fahrzeugklassen und bei Langstreckennutzung gegenüber konventionell angetriebenen Pkw wettbewerbsfähig sein.

4 Würdigung und Ausblick Laut dem fünften Assessment Report des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) wäre es für die Erreichung des 2°-Ziels ausreichend, wenn der Transportsektor weltweit bis zum Jahre 2050 seine CO2-Emissionen stabilisieren würde. Unter Status quo-Bedingungen wird allerdings weltweit in diesem Sektor eine Verdopplung der Emissionen und damit auch der Beanspruchung fossiler Ressourcen bis 2050 erwartet (Creutzig et al. 2015). Die EU hat sich demgegenüber in ihrem Weißbuch noch wesentlich anspruchsvollere Ziele gesetzt. Angesichts der in Kapitel 3 vorgetragenen Argumente erscheint es fraglich, wie im globalen Maßstab zumindest eine Begrenzung des Zuwachses der Treibhausgasemissionen des Verkehrs erreicht werden kann, wenn schon in Europa die Optionen der Verkehrsverlagerung und Effizienzsteigerung nur bedingt erfolgreich und aus Effizienzgründen ökonomisch nicht wünschenswert erscheinen, denn die zu erwartende Steigerung der Nachfrage nach fossilen Ressourcen im Transportsektor wird insbesondere aus dem wirtschaftlichen Aufholprozess der Entwicklungs- und Schwellenländer und dem damit verknüpften Wachstum des Welthandels resultieren. Ein Wirtschaftswachstum in den bisher weniger entwickelten Ländern ist aber erforderlich, um das Bevölkerungswachstum zu begrenzen und damit langfristig die Ressourcen- und Umweltbelastung zu stabilisieren.16 Nimmt man die klimapolitischen Ziele ernst, müssten nämlich auch im Verkehrssektor sehr schnell wirksame Maßnahmen zur CO2-Reduzierung ergriffen werden. Die EU-Kommission hat sich allerdings bisher gescheut, hierfür geeignete konkrete, kurzfristig und ausreichend wirkende Maßnahmen zu benennen. Es werden zwar anspruchsvolle Verlagerungsziele angeführt, aber nicht operationalisiert, welche Politikmaßnahmen in welcher Dosierung die Umsetzung dieser Ziele gewährleisten. Offensichtlich hat die EU-Kommission erkannt, dass aufgrund der

16 Vgl. zu dieser These Ganteför (2010), S. 255 f.

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weitgehend fixierten Rahmenbedingungen der Verkehrserzeugung (Standort- und Wertschöpfungsstrukturen) und der für die nächste Dekade absehbaren Innovations- und Technologiepfade ein größeres Potenzial zur CO2-Vermeidung im Verkehrssektor in den nächsten 15–20 Jahren nicht gegeben ist bzw. nur zu prohibitiv hohen Kosten realisierbar wäre, und möchte diesen Zielkonflikt in der Öffentlichkeit nicht kommunizieren. Die mit der Beschränkung der Mobilität und den erforderlichen Maßnahmen zur Reduzierung den CO2-Emissionen verbundenen Wohlstandsverluste und sozialen Spannungen wären politisch wohl kaum akzeptabel. Hinzuweisen ist auch darauf, dass die globalen Preiselastizitäten der Nachfrage für Transportleistungen im säkularen Trend (insbesondere mit steigenden Einkommen) abnehmen und daher preispolitische Maßnahmen tendenziell weniger wirksam sind bzw. wesentlich drastischer ausfallen müssen, um zu wirken. Damit wird die Erreichung der klimapolitischen Ziele zusätzlich erschwert. Der Trend einer abnehmenden Preiselastizität wurde in den letzten Jahrzehnten zwar durch die stärkere Marktdurchdringung des Luftverkehrs verzögert, dürfte sich aber im Zeitablauf wieder verstetigen (Fouquet 2012). Eine kürzlich vorgelegte Modellrechnung (Creutzig et al. 2015) schätzt dagegen, dass sich die weltweiten CO2-Emissionen des Verkehrssektors ohne weiteres bis 2050 halbieren lassen. Das Autorenkollektiv setzt dabei insbesondere auf den Straßenverkehr, während das zu erwartende Wachstum des weltweiten Luftverkehrs hingenommen wird. Hierzu wäre es vorrangig erforderlich, die Effizienz des Verkehrs wesentlich zu steigern, eine umfassende Substitution von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor durch Elektrofahrzeuge zu erreichen und die Personenverkehrsnachfrage insbesondere in Ballungsräumen zu reduzieren. Im Hinblick auf die Rolle der Elektromobilität wird in dieser Studie angenommen, dass Elektrofahrzeuge wegen starker Batteriepreissenkungen schneller den Markt erobern als bisher erwartet. Wie aber oben gezeigt wurde, dürfte die Wettbewerbsfähigkeit der Elektromobilität bei realistischer Betrachtung zumindest in der nächsten Dekade eher gering sein. Angesichts der Trägheit der Substitutionsprozesse wird es im weltweiten Maßstab ohnehin sehr lange dauern, bis ein relevanter Anteil der Flotte von derzeit 1,2 Mrd. Fahrzeugen ohne fossile Brennstoffe betrieben werden kann. Hinzu kommt, dass eine möglicherweise längerfristig verhaltene Preisentwicklung für Öl und andere fossile Ressourcen die Marktfähigkeit der Elektromobilität negativ tangiert. Neuere Studien zeigen aber, dass das Angebot fossiler Brennstoffe ohne politische Eingriffe in den Markt in Zukunft eher steigen wird. Die rasante technologische Entwicklung bei der Exploration insbesondere unkonventioneller Ölvorkommen dürfte auch die Wirkung politischer Maßnahmen zur Reduzierung der Nachfrage durch Erhöhung der Kosten von Erdölprodukten in Form von Steuern oder Emissionshandelssystemen überkompensieren (Couvert, Greenstone und Knittel, 2016, S. 126). Die aktuelle Entwicklung des Ölpreises mit einem Preisniveau von zeitweise unter 30 USD/Barrel mag zwar nicht von Dauer sein, zeigt aber die Risiken einer

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nur auf die Begrenzung der Nachfrage ausgerichteten Politik. Was Hans-Werner Sinn einst als das „grüne Paradox“ bezeichnete – rein nachfrageorientierte, schrittweise schärfere Klimapolitik verstärkt den Klimawandel, da die Ressourceneigner eine Entwertung ihrer Vorräte befürchten müssen und daher das Angebot steigern (Sinn 2008) – wird im Zuge solcher solche Marktentwicklungen zu einem selbstverstärkenden Prozess, denn die Politik wird in einer Situation auf längerer Frist niedriger Ölpreise nichts unversucht lassen, durch höhere Abgaben die Nachfrage einzuschränken und auch zusätzliche Einnahmen zu erzielen, und die Förderländer müssen den Ausstoß erhöhen, um ihre Staatshaushalte zu finanzieren. Bleibt der Ölpreis für längere Zeit auf einem niedrigeren Niveau als bisher erwartet (z. T. unter 50 USD/Barrel), wären auch die Voraussetzung für das in Kapitel 2 skizzierte Energie- und Emissionsszenario der EU obsolet. Ein Großteil der angenommenen spezifischen Effizienzsteigerungspotenziale z. T. der EU beruht auf der Annahme einer Incentivierung durch stark steigende Öl- und Treibstoffpreise. Falls die Marktkräfte auf dem Ölmarkt diese Anreize torpedieren, ist es fraglich, ob dieser fehlende Anreiz durch anstehende zusätzliche Abgaben kompensiert werden kann bzw. ob diese politisch in der erforderlichen Höhe durchsetzbar sind. In jedem Fall wäre dies ein planwirtschaftlicher Markteingriff, der erhebliche Verwerfungen auf den Märkten nach sich ziehen würde. In der zitierten aktuellen Studie zu den Klimaschutzpotenzialen des Verkehrssektors (Creutzig et al. 2015) werden zudem die Infra- und Siedlungs- bzw. Stadtstrukturentwicklung sowie Verhaltensänderungen als wesentlicher Pfeiler der Emissionsreduktion angesprochen. Ohne auf spezifische Wirkungszusammenhänge einzugehen, wird geschätzt, dass hierdurch 20 bis 50 % der Emissionen gegenüber einem Baseline-Szenario eingespart werden könnten. Kritisch anzumerken ist in diesem Zusammenhang aber, dass z. T. der massive Ausbau der Eisenbahninfrastruktur im Personenfernverkehr unter den gegebenen Marktbedingungen auf den Verkehrsmärkten erhebliche allokative und produktive Ineffizienzen aufgrund der weitgehend monopolistischen Marktstrukturen in diesem Sektor nach sich ziehen könnte. Die Autoren gehen zudem davon aus, dass Verhaltensanpassungen der Nachfrager kostenlos zu haben sind, d. h. mögliche Nutzeneinbußen und Anpassungskosten aufgrund von Substitutionslücken werden nicht thematisiert. Insgesamt ist an diesen Modellrechnungen – und diese gilt auch für die Projektionen des IPCC (Sims et al. 2015) – zu kritisieren, dass keine umfassende gesamtwirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse der auf ihre CO2-Emissionen hin analysierten und rein mechanistisch verwendeten Instrumente vorgenommen wird. Eine durchdeklinierte Sektorbetrachtung sichert nämlich nicht, dass die erforderlichen bzw. gewünschten CO2-Einsparungen mit den insgesamt geringsten gesamtwirtschaftlichen Kosten bzw. Nutzeneinbußen erreicht wurden.17

17 Dies könnten z. T. globale Aufforstungsprogramme sein.

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Letztlich zeigen insbesondere die Maßnahmenkataloge des IPCC, dass harte Eingriffe der Politik im Sinne einer „großen Transformation“ erforderlich sind, wenn der Verkehrsbereich klimaneutral umgestaltet werden soll. So stellt das IPCC fest: „A range of strong and mutually-supportive policies will be needed for the transport sector to decarbonize and for the co-benefits to be exploited (robust evidence, high agreement).“ 18 Ohne eine harte internationale Klimapolitik werden aber global weiterhin fossile Brennstoffe eine Hauptrolle bei der Energieversorgung spielen,19 denn sie werden auch infolge technologischer Fortschritte bei der Erschließung und Nutzung neuer fossiler Ressourcen nicht knapp werden. Umgekehrt dürften im Verkehrssektor elektrisch betriebene Fahrzeuge gegenüber Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor unter den gegebenen Marktbedingungen auf absehbare Zeit nur eine Nebenrolle spielen (Couvert, Greenstone und Knittel, 2016, S. 135). In einem Szenario, in dem wir weltweit alle fossilen Brennstoffe auch tatsächlich verbrennen, könnten dagegen am Ende 12.000 bis 17.000 Gigatonnen CO2 in die Atmosphäre emittiert werden; dies würde eine Erhöhung der weltweiten mittleren Temperaturen um 5,5° bis 8° Celsius nach sich ziehen. Es wird aber schwierig bis unmöglich werden, eine adäquate Klimaschutzpolitik im Weltmaßstab zu etablieren, da der Energieverbrauch insbesondere in den Entwicklungs- und Schwellenländern stark ansteigen wird; ohne entsprechende Kompensation werden diese aber nicht bereits sein, für fossile Energien höhere Preise aufgrund klimapolitischer Restriktionen zu zahlen (Couvert, Greenstone und Knittel, 2016, S. 135). Der Klimaschutz im Verkehrsbereich mutiert damit vom technischen bzw. ökonomischen Problem zu einem politischen bzw. politökonomischen Problem, das weniger mechanistischen klimapolitischen Ziel-Mittel-Beziehungen als spieltheoretischen Regeln für Verteilungskämpfe folgt. Einen Vorgeschmack auf solche Auseinandersetzungen geben generell die Verhandlungsrunden im Rahmen der internationalen Klimakonferenzen und speziell für den Verkehrssektor die Reaktionen auf die einseitige Einbeziehung des internationalen Luftverkehrs von und nach der EU in das EU-ETS. Es besteht daher die realistische Möglichkeit, dass die Energiewende im Verkehr und damit auch die internationale Klimapolitik scheitern werden – nicht nur wegen des Verkehrs, aber auch daran. Entschließt sich vor diesem Hintergrund die EU angesichts der Herausforderungen des Klimaschutzes, die „große Transformation“ der Wirtschaft und speziell des Transportsektors ernsthaft zu verfolgen, wird dies unseres Erachtens zwangsläufig in eine planwirtschaftliche und paternalistische Politik münden. Die Perspektive eines solchen Politikkonzeptes zeigt sich etwa in folgendem Zitat: „Beha-

18 Sims et al. 2015, S. 604. 19 Die Internationale Energieagentur prognostiziert, dass unter Status-Quo-Bedingungen fossile Brennstoffe nach wie vor 79 % des Energieangebots im Jahre 2040 ausmachen werden (International Energy Agency 2015).

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vioural interventions have mostly zero or low monetary costs (SM), but unlocking their considerable mitigation potential requires policies that explicitly take nonstandard preferences, beliefs, and decision-making processes into account, as well as normative considerations of policy makers.“ 20 In der Konsequenz geht es wohl um die Steuerung der Präferenzen der Nachfrager im Sinne der übergeordneten Zielsetzung des Klimaschutzes, d. h. um notwendige Verhaltensänderungen. Denkt man dieses Konzept weiter, müssten zwangsläufig nicht nur die Transportaktivitäten (kleines Elektroauto oder Pedelec statt SUV, Verzicht auf Fernreisen) sondern auch das Verhalten in allen sonstigen Lebensbereiche unter dem Primat des Klimaschutzes optimiert werden. Politische Vorgaben zur Obergrenzen des individuell genutzten Wohnraums und für den Verzicht auf Lebensmittel mit schädlichen Klimawirkungen wären naheliegende nächste Schritte; am Ende einer solchen allein auf den Klimaschutz ausgerichteten Politik stünde dann möglicherweise die Durchsetzung einer Ein-Kind-Politik. Auch eine Überwindung der Demokratie, deren Entscheidungsmechanismen ja offensichtlich nicht in der Lage sind, den gefährlichen Klimawandel wirksam zu bekämpfen, zugunsten einer autoritären Expertenregierung scheint vielen Klimaforschern heute denkbar (Von Storch und Stehr 2009). Erste Anzeichen für klimapolitisch motivierte planwirtschaftliche Eingriffe in den Verkehrssektor zeichnen sich bereits am Horizont ab. So liegt ein Bundesratsbeschluss vom 23. 09. 16 vor (Bundesrat 2016), der sich auf eine aktuelle Mitteilung der EU-Kommission über eine „Europäische Strategie für emissionsarme Mobilität“ (Europäische Kommission 2016) bezieht. Aus Sicht des Deutschen Bundesrates ist der Ansatz der Kommission zu vorsichtig und es wird explizit artikuliert, dass ein Rahmen geschaffen werden sollte, „damit spätestens ab dem Jahr 200 unionsweit nur noch emissionsfreie Pkw zugelassen werden“ (Bundesrat 2016, S. 2). Die Forderung, ab 2030 Autos mit Verbrennungsmotor in Deutschland nicht mehr zuzulassen, findet sich auch bei den Grünen in Deutschland (o.V. 2016) und wird im Zusammenhang mit dem Klimaschutzplan 2050 der Deutschen Bundesregierung diskutiert (BMUB 2016). Offensichtlich werden zum Schutz des Klimas auch radikale planwirtschaftliche Eingriffe hoffähig, die bei nüchterner Betrachtung weder einer freiheitlichen Gesellschaft angemessen noch an Effizienz- und Wohlfahrtsüberlegungen orientiert sind. Vielleicht wäre es dagegen umgekehrt an der Zeit, sich mit Politikentwürfen zu beschäftigen, die verstanden haben, dass eine Klimapolitik scheitern muss, die allein auf ein einziges Ziel ausgerichtet ist, die Emissionsreduktion, in dem alle anderen Ziele aufgehen sollen.21

20 Lah (2015). Der Autor hat am IPCC-Assessment zum Verkehr mitgewirkt. 21 Vgl. zu einem solchen Politikentwurf das sog. Hartwell-Paper (Prins et al. 2010).

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Index Deregulierung 191 Endlager 2, 127, 129, 130, 132, 136 ff, 142, 144, 145 Energiepolitik 3 ff., 10 ff. Energiewende 6 ff., 15 ff., 31, 33, 69, 74, 122, 127, 142, 150, 167 ff., 172 ff., 191, 194, 196, 200, 209, 214, Emissionshandel 18, 21, 23, 25, 29, 32, 33, 97 ff., 206, 212 Erdgas 19, 38, 46, 47, 57, 58 Erdöl 3, 37 ff., 194, 212 Erneuerbare Energien Gesetz/EEG 16, 21 ff., 70, 82 ff., 88 ff., 93 Europäische Union 10 Globalisierung 198 Governance 4 Klimawandel 8, 97, 150, 191, 213, 215, 213

https://doi.org/10.1515/9783110525762-012

Kohle 3, 10, 19, 24, 25, 38, 44, 51, 52, 58 Kohlenstoffdioxid/CO2 3, 8, 17, 30, 44, 62, 64, 97 ff., 115, 117, 191 ff., 204 ff. Marktwirtschaft 20, 22, 24, 25, 44, Monopol 5, 6, 15 ff., 200 Netzausbau 20, 127, 129, 130, 133, 136, 137, 140 ff. Ordnungspolitik 29, 198 Partizipation 175, 176, 181, 182 Photovoltaik 22, 26, 69 Preisregulierung 5, 124 ff. Primärenergie 3, 4, 11, 43, 52, 168 Privatisierung 16 Regulierung 6, 10, 12, 15 ff., 24 ff., 74, 105, 120, 127 ff., 136, 137, 145, 193, 204, 206 Wettbewerbspolitik 4