Die Erklärung aus der Berliner Pastoralkonferenz gegen den Protestantenverein 9783111486833, 9783111120225


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Die Erklärung aus der Berliner Pastoralkonferenz gegen den Protestantenverein
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aus der

Berliner Pastoralkonferenz gegen

den Protestantenverein.

Ein Wort der Rechenschaft und Beleuchtung

Von

Thomas, evangelischem Prediger an der Nikolaikirche.

D e r l i n. Druck und Verlag von Georg Reimer. 1*68.

Roma loquuta est!

Das Verdammungsurtheil ist gesprochen, der

Bannstrahl ist geschleudert. Wer ist hier der Stellvertreter Christi, der Statthalter Gottes, der allerheiligste Vater, der mit Jrrthumslosigkeit ge­ schmückt, für Erde und Himmel, für Zeit und Ewigkeit bindet?

Es ist

diesmal nicht, wie noch kürzlich, der Mann mit der dreifachen Krone in Rom, der Papstkönig in seiner aus uralter Zeit her ererbten Glorie.

Respekt! — Es ist der Herr Superintendent Tauscher*) aus Berlin und eine Zahl lutherisch sein wollender Geistlicher, die auf seinen Ruf mit ihm in die Posaunen gestoßen haben, damit die Mauern des heidni­

schen Jericho zusammenstürzen.

Wer sind die Unglücklichen, welche sich,

von dem zermalmenden Blitz des Bannes getroffen, in ihrem Elend krüm­

men? Es sind die armen Mitglieder des Protestantenvereins und seiner Zweigvereine, welche gegen „unsere Kirche," d. i. gegen die Kirche des

Herrn Tauscher und seiner Genossen, „eine Bewegung" hervorgerufen

haben. Hatte in früheren Jahrhunderten der Hohepriester zu Rom die Bann­ bulle ausgehen lassen; dann erwartete er, daß Fürsten, Könige, Kaiser

ihre Schuldigkeit thaten und den Gebannten aller Rechte und alles Schutzes

im Lande beraubten, ja ihn selbst wo möglich dem Schwerdt des Henkers Ob Herr Tauscher und Genossen, wenn auch nicht grade das Gleiche, doch immerhin Aehnliches zu fordern, sich berechtigt halten? überlieferten.

Gewiß rechnen sie es dem bestehenden Kirchenregiment als Unrecht, als

sträfliche Nachgiebigkeit gegen die Welt, als Schwäche und Feigheit an, wenn es zunächst die mit dem Bann belegten Geistlichen nicht von der Kanzel und aus ihrer ganzen Amtswirksamkeit entfernt.

Das dermalige

Kirchenregiment aber ist bei uns so mit dem staatlichen noch verflochten,

daß von dieser Seite keine bedeutende Entscheidung getroffen werden kann, ohne auch staatlichen Karakter an sich zu tragen. Ja die heiligen Män­ ner klagen in ihrem Herzen ohne Zweifel über die Gottlosigkeit der Zeit

und die Entchristlichung des Staates.

Nach ihrem Ermessen wäre es des

Staates, den nun unter dem Anathema stehenden Männern des Prote*) Vergl. Vosstsche Zeitung Nr. 135 v. 12. Juni d. I. Berliner Pastoralkonferenz."

Erste Beilage p. 3.

„Die

4 stantenvereins jede freie Aeußerung zu verbieten, ja den Verein selbst mit

der Strenge der obrigkeitlichen Gewalt aufzulösen, damit das Volk vor dem verderblichen Gift seiner Ansichten bewahrt bliebe. Jedenfalls hat Herr Tauscher und Genossen mit jener Erklärung eilte feierliche Denun-

ziazion bei dem Kirchen- und Staatsregimcnt gegen den Protestantenver­

ein erhoben.

Erwarten wir, welche Erfolge nach dieser Seite dem Un­ Wie sehr aber auch das kühne Unternehmen der

terfangen erwachsen.

ihre Absicht richtete sich unzweifelhaft WaS hülfe alle Verurtheiluug von Oben her, wenn die Verurtheilten noch irgendwie die Herzen der Gemei­

Herren nach dieser Seite zielte,

noch vielmehr nach anderer Richtung.

nen für sich hätten.

Wie leicht könnte es geschehen, daß ein erlangter

Sieg zuletzt sich in die völligste Niederlage umwandelte!

Darum hier, in

den Gemeinen, gilt es den Männern des Abfalls den Boden unter den Fußen zu entziehen,

hier gilt es, den vernichtenden Schlag wider die

Gegner zu führen, erst wenn hier der Sieg errungen wäre, ließe sich in

gemächlicher Ruhe ein feierliches Tedeum anstimmen. Und wie man auch über Gott- und Glaubenslosigkeit dieser Zeit klagt, man hat doch eine Ahnung davon, daß dem Deutschen zuletzt feine Stellung zu dem Ewigen das Höchste und Heiligste bleibt. Dies Verhältniß zu Gott aber bezeich­ net unsere Sprache

nun

einmal

am Liebsten mit dem Wort Glaube.

Wohlan, gelten nur erst die Glieder des Protestantenvereins als die, welche

den Glauben weggeworfen haben; dann sind sie auch in der öffentlichen Meinung des Volkes und der Gemeinen gerichtet und vernichtet. Darum wird die Beschuldigung erhoben,

die Thätigkeit des Protestantenvereins

geht aus von dem „Unglauben dieser Tage," welcher „gegen den Fels unseres Heiles anläuft."

eine Denunziazion bei den Gemeinen.

Jene Erklärung ist in erster Stelle Auch in dieser Beziehung sind die

Resultate mit größter Seelenruhe abzuwarten.

Ja mit Recht darf man

sagen: Wer Augen hat zu sehen, der sehe und wem Gott Geistesklarheit

verliehen, der prüfe; wer aber das Licht und die geistige Arbeit scheut,

wer betrogen sein will, der lasse sich betrügen, er bewirkt sich selbst die gerechte, wohlverdiente Strafe. Uud doch wäre man damit nicht int Recht, weil nicht in der Liebe. nen,

Es ist heilige Pflicht, vor dem Unrecht zu war­

die Stimme der Wahrheit zu erheben,

Rechenschaft vom eignen

Glauben, von dem Tiefsten und Heiligsten der Persönlichkeit zu geben, wenn der finstre Geist des Widerchristenthums, sich in die Gestalt eines Lichtengelö hüllend, seinen Umgang hält nnd sich anschickt, durch fromm klingende Reden, wenn es möglich wäre, auch die Auserwählten zu ver­

führen.

Nur noch einige bestimmtere Bemerkungen über die Beweggründe

zu diesen Zeilen.

Allerdings sehe ich in der in Rede stehenden Erklärung,

wie in ihrer Vorläuferin der 21 Geistlichen und Laien aus der Friedrich-

5 Werdischen Synode und ähnlichen andern Kundgebungen unverantwortliche,

frevelhafte Angriffe gegen die heiligsten Güter der evangelischen Kirche, gegen diese Kirche und ihr Wesen. Eben so sehr liegt mir das Nichtige dieser Attentate klar vor Augen und ich bin gewiß, daß, welche vorüber­

gehende Folgen sich auch an dieselben knüpfen könnten, sie im Großen und Ganzen an der evangelischen Kirche, ja auch an der Preußischen Landes­ kirche spurlos vorübergehen werden, selbst dann, wenn das gesammte Kir-

chenregtment mit vollster Entschiedenheit die ihm von den Herren vorge­ zeichneten Wege einschlagen

könnte.

Oder

welche Früchte hätte seiner

Zeit ein Ministerium Wöllner von seiner Arbeit geerndtet, welche Spuren

seiner Wirksamkeit in der Kirche znrückgelassen?

Jedes Kirchenregiment,

das heute diese Wege wandelt, wird sich auch heut nur den Schmuck der Lorbeeren verdienen, welche für immer nm das Haupt jenes Ministers

gewunden sind.

An dem gesunden Sinn, wie ich ihn bei unserm evan­

gelischen Volke trotz mancher betrübenden Erscheinung noch immer voraus­

setze, wird all dies armselige Wesen gründlich zu Schanden werden.

Der

heilige Gott, welcher wahrlich auch die Geschichte evangelischer Christenheit

durchwaltet, wird den Pharisäismus dieser Tage so gut wie einst den Israels seinen Gerichten unterwerfen. Das ist der Grund, welcher viele evangelische Christen solchen vermessenen Angriffen

gegenüber in

voller

Ruhe verharren läßt nnd der allerdings zum Schweigen bewegen könnte.

Aber zweierlei ist es, was als ein Tiefbewegliches zum Worte drängt. Ein gut Theil derer, die ihre Namen unter die Erklärung aus der Ber­

liner Konferenz oder unter ähnliche Dokumente gesetzt haben, stehen völ­

lig unter dem Wort des Erlösers: „Sie wissen nicht, was sie.thun." Es ist unglaublich, wie bei einer derartigen Pflege, welche seither bei uns

meistentheils das kirchliche Wesen gefunden hat, der Mangel des Verständ­ nisses für das Wesen der Kirche nnd kirchlicher Dinge, für das Sittliche

in diesen Verhältnissen grade

unter den Theologen sich verbreitet hat.

Hier ist auch nur ein bescheidenes Maaß der Zurechnungsfähigkeit vorhan­

den.

Aber es gibt auch Männer in diesen Reihen, denen es an theolo­

gischer Bildung, an geistiger Begabung, ja an geistlicher Erfahrung nicht

gebrechen dürfte, denen man nach ihrem Lebensgange und ihrer Stellung tiefe Einsicht und klare, freie Umsicht zutrauen sollte.

Auch sie in solchem

Thun zu sehen, das will Einblicke in einen Seelenzustand eröffnen, welche

mit tiefem Grauen erfüllen.

Freilich, wo man sich einmal aus selbstischen

Motiven dem Sauerteig der Pharisäer, der Selbstgerechtigkeit und innern

Unwahrheit überläßt, da pflegt man auch die Brust mit dreifachem Erz gegen die schlichte, sittliche Wahrheit zu umpauzern. Trotz dem bleibt es geboten, auch mit schwacher Kraft sich den Versuchen anzuschließen, welche

diese Schleier der Unwahrheit zum Heil der Betreffenden zu zerreißen,

6 sich als Aufgabe stellen. — Das Zweite bezieht sich auf schlichte, recht­ schaffene und fromme Glieder der Gemeinen. Die fromme Geberdung,

die christliche Gewandung, die Sprache Kanaans, wie man sich ausdrückt, und Aehnliches, ist es, womit die Herren Erklärer stets auftreten. Wie sehr ist diese geistliche Salbung geeignet, fromme, schlichte Gemüther zu verblenden, zu verstricken und zu bethören!

Wie leicht werden diese mit fortgerissen, Christum selbst in den Gliedern seines Leibes zu verdammen und jenen gleich zu werden, welche einst, in der Meinung ihrer Frömmig­

keit zu genügen, den heidnischen Richter mit dem Geschrei „Kreuzige, kreu­

zige!" bestürmten und zur Fällung des Bluturtheils drängten! Schon wollen uns manchmal Gestalten begegnen, welche nur zu lebhaft an das fromme Bäuerlein erinnern, das in seinem Glaubenseifer Holz zum Schei­ terhaufen hinzutrug, damit es an der nöthigen Gluth zur Verbrennung des Huß nicht fehle. Das Dokument aus der Pastoralkonferenz ist durch das, was es sagt und was es verschweigt, ganz geeignet, nach dieser Seite

zu verblenden und zu verführen.

Auch hier ist es, wie schon oben aus­

gesprochen, einfache Christenpflicht, so weit eS möglich ist, die warnende

Stimme zu erheben, daß treue Seelen bewahrt bleiben, fremder schwerer Verschuldung sich mit theilhaftig zu machen. Da nun auch ich in der Verdammniß mich befinde,

dem hiesigen Unionsverein und damit auch

dem Protestantenverein anzugehören und gleichfalls durch Herrn Tauscher

und Genossen mit seinem Bann beehrt bin; so halte ich aus angegebenen Gründen es für geboten, im Folgenden eine kurze Erwiderung, so auch

eine Beleuchtung dieser neusten Bulle zu geben. Herr Tauscher begründet sein VerwerfungSurtheil, wie billig, durch sein Bekenntniß. „Wir glauben und bekennen mit den Kirchen der Reformation," u. s. w.; so lautet es.

Auf diese mehrfach sich wiederho­

lende Rede heißt es dann weiter: „der Protestantenverein muß auf die

Frage: „Glaubst du das?" ehrlicher Weise „Nein" antworten" und dar­ aus wird schließlich gefolgert, daß er kein Recht in der Kirche, auch nicht

in der Union habe.

Zuerst an die Herren die Frage: Warum ist euer

Bekenntniß gegenüber dem Protestantenverein so wenig vollständig, warum stehen einzelne wesentliche Punkte nur so mehr nebenbei erwähnt, ohne

scharfe, klare, umfassende Formulirung? Ist da Alles so recht lauter und aufrichtig? Hätte nicht am Ende die glaubensmuthige Kirche der reinen

Sakramente und der reinen Lehre auch in Betreff eurer über einige Ver­ dunklung aus schwächlicher Rücksicht und Menschenfurcht zu klagen, nicht

vielleicht auch im Betreff eurer betend zu singen: „Den Tauben öffne das Gehör,

Die Stummen richtig reden lehr', Die nicht bekennen wollen frei,

Was ihres Herzens Glaube sei?"

7 So nebenbei wird bei dem Bekenntniß zum heiligen Geiste die heilige

Dreieinigkeit genannt, deren dritte Person jener ist.

Wenn nun der Pro­

testantenverein, wie wohl schwerlich zu bezweifeln steht, das Bekenntniß ablegt: Wir glauben nach des Erlösers Wort an Vater, Sohn und hei­ ligen Geist und damit an die Trinität, und da wir wissen, daß auch

rechtgläubige Kirchenlehrer die Unzulänglichkeit des Ausdrucks „Person," wenn derselbe auf Vater, Sohn und Geist übertragen wird, anerkannt

und deshalb uneigentlich verstanden haben, so lassen auch wir in solchem Sinn uns das Wort wohl gefallen; sehet, dann habt ihr mit eurem Schlachtschwert hier nur Luftstreiche gemacht, wirkungslos ist der Blitz­ strahl eures Bannes, er hat nicht einmal getroffen, viel weniger gezündet und vernichtet. Wolltet ihr mustergültige, gewissenhafte Bekenner in eurem

Sinn sein, dann mußtet ihr wenigstens hervorheben, daß in Betreff der

Dreieinigkeit die drei Personen nicht in einander zu mengen sind, aber auch das göttliche Wesen nicht zu trennen, daß alle drei, ein einiger Gott,

gleich in der Herrlichkeit und gleich in ewiger Majestät sind, daß alle drei ungeschaffen, unermeßlich und allmächtig sind, also allmächtig der Vater,

allmächtig der Sohn, allmächtig der heilige Geist und doch nicht drei All­ mächtige, sondern nur ein Allmächtiger, daß von diesen dreien Personen keine die erste, keine die letzte, keine die größeste, keine die kleinste ist; sondern daß alle drei Personen mit einander gleich ewig, gleich groß sind.

Ja ihr hättet hinzusetzen müssen:

Wer nun diesen Glauben „nicht ganz

rein hält, der wird ohne Zweifel ewiglich verloren sein."*) Damit hättet ihr weiter mit großer Sicherheit dreifach das Anathema aussprechen müssen über jeden Prediger und Lehrer, der nicht und

immer wieder und wieder mit beharrlichster Beständigkeit seinen Hörern und Schülern diese Formeln des Heils einprägt, hättet ein Wehe für Zeit und Ewigkeit über jeden Vater und Mutter herabrufen müssen, welche

nicht von den ersten Jahren an ihre Kinder durch Beibringung solcher

Sätze vor der ewigen Verdammniß zu bewahren suchen.

So, ihr wißt

es ja recht gut, könntet ihr allein dem Athanasianischen Symbol genügen. Wenn ihr dann mit solchem Bekenntniß dem Protestantenverein den Dolch auf die Brust gesetzt und ihn gefragt hättet: „Glaubst du das?" da hätte er im Bewußtsein seiner Armuth wohl aus der größten Zahl seiner Mit­

glieder mit einem ehrlichen Nein antworten, sich also auf Gnade und Ungnade euch ergeben müssen. — Wir kommen zu einem zweiten Punkt! Wenn ihr, wie nicht anders *) Für den Laien die Bemerkung, daß alle Bekenntniß entlehnt sind, wie gleichfalls tes die orthodoxen Ansichten, wie sie die bar den Bekenntuißschristen entnommen

diese Bestiminungen dem Athanasianischen bei den übrigen Punkten dieses Abschnit­ Herren als die ihrigen ansehen, nnmittelsind.

8 möglich, in eurem Bekenntniß der Person Jesu Christi ausführlich ge­ denkt, warnm schweigt ihr so ganz von seinem Werk, von der Versöhnung

der sündigen Menschheit, warum von der damit auf's Engste zusammen­ hängenden Rechtfertigung des Sünders vor Gott? Ihr wißt ja doch sehr

gut, welche hervorragende Bedeutung grade die Rechtfertigung in „den Kirchen der Reformazion" stets gehabt, wie grade sie stets als Quell-,

Kern- und Mittelpunkt des evangelischen Glaubens gegolten hat.

Sollte

denn der ungläubige Protestantenverein nicht auch hier, wo der evange­

lische Glaube sein tiefstes Wesen ausspricht, seinen schmachvollen Abfall eingestehen müssen?

Doch nein, hier hattet ihr vielleicht eure Bedenken.

„Befindet sich der Protestantenverein zur Zeit auch nicht in der Lage, über die Person und die Bedeutung des historischen Christus eine gemein­

same Auffassung kund geben zu können;" dennoch dürfte er in allen sei­ nen Mitgliedern Gott danken, daß er in Christo Versöhnung und Erlösung findet, in allen seinen Mitgliedern dürfte nicht nur so viele Geistesklar­

heit, sondern auch so viel geschichtliches Verständniß walten, um freudig

anzuerkennen, daß im Gegensatz zu römischer Zuversicht auf kirchliche Gna­

denmittheilung und zu römischer Werkgerechtigkeit in der Rechtferti­

gung allein

durch den

Wahrheit sich bekundet.

Glauben die tiefste religiöse und

sittliche

So würde der Verein dem Anathema von die­

sem Punkte des Bekenntnißgrundes aus sich in seiner Aalglätte entziehen

und es hat euch deshalb mehr gerathen gedünkt, hier zu schweigen. Aber, nicht wahr? das kann doch nicht Ernst sein! Ihr habt viel zu gute

Augen, um euch über die tödtlichen Schwächen eures Gegners verblenden zu lassen oder euch selbst zu verblenden.

Es wäre ja auch hier nur dar­

auf angekommen, mit eurem Bekenntniß in das Einzelne, Bestimmte, in

die längst gestaltete, scharfe Ausprägung einzugehen und unfehlbar ließ

sich auch hier der Unglaube nachweisen und das gerechte Berdammungsnrtheil sprechen. Etwa in dieser Weise: Wir glauben, daß Christus durch

seinen blutigen Tod, als ein Opfer nicht allein für die Erbsünde, sondern auch für alle andre Sünde, Gottes Zorn versöhnet hat und daß nun dies so erworbene Verdienst Christi und seine Gerechtigkeit dem Sünder um

seines Glaubens willen zugerechnet wird.

Oder gründlicher ließe sich noch

sagen, daß für die unendliche Sündenschuld des Menschengeschlechtes erst eine unendliche Genugthuung durch Abbüßung der verdienten ewigen Stra­

fen geleistet werden mußte, ehe Gottes Gerechtigkeit befriedigt, sein Zorn

beschwichtigt werden konnte, ehe es seiner Liebe möglich wurde, die Sün­

den zu vergeben.

Christus als Gottmensch konnte allein die ewige, un­

endliche Verdammniß des ganzen Menschengeschlechtes erdulden und hat

sie am Kreuz erduldet.

Jetzt, da so Gottes Zorn gestillet, ist es möglich,

daß dem Schuldbeladenen die Abbüßung seiner Strafen durch den Utt-

9 schuldigen im feierlichen Gerichtsverfahren zugerechnet, daß er so als ein

Gerechter ausgenommen wird. Glaube, daß so Christi Verdienst das deine ist, und dir ist geholfen, du bist gerecht durch diesen deinen Glauben. Aber auch nur unter der Bedingung findest du Heil und Seligkeit, wenn du diesen Glauben „ganz und rein hältst," will sagen, diesen so ausge­ führten Glaubenssätzen unbedingt znstimmst. Im entgegengesetzten Fall gehst du ohne Zweifel auf ewig verloren.

Fragt ihr darauf die Glieder

des Protestantenvereins: „Glaubst du das?" es würde euch aus manchem

Munde das gewünschte „Nein" entgegenklingen und wieder ein schlagender Beweis für den Unglauben des Vereins, für seine Verdammungswürdig­ keit wäre gegeben. Mit der gläubigen Aneignung der Versöhnung durch Christum hängt

nothwendig das Bewußtsein der eignen Sünde zusammen und kann deshalb

in einem irgendwie in's Einzelne gehenden christlichen Bekenntniß unmöglich die menschliche Sünde übergangen werden.

Auch in diesem so wichtigen

Punkt schweigt ihr vollständig. Ihr wißt, wenn auch wohl wieder sämmt­ liche Glieder der Protestantenvereine sich unter das Paulinische Wort:

„Sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie an Gott haben sollten," demüthig stellen, ihr seid vor der euch so grauenhaften Uebereinstimmung mit diesen Ungläubigen dennoch völlig gesichert. Nur

mit dem vollen Bekenntniß in eurem Sinne heraus und an vernichtender Klarheit wird es nicht fehlen.

Durch Adams und Evas Ungehorsam, so

etwa dürftet und müßtet ihr sprechen, sind alle Menschen, die natürlicher Weise geboren wurden, in der Erbsünde, welche an sich schon wahrhaftig-

lich Sünde ist und alle unter Gottes ewigen Zorn verdammt, durch welche

alle in Teufels Reich dahingegeben und unter des Teufels Reich gefangen sind.

Diese Erbsünde ist eine tiefe, böse, greuliche, grundlose, nnerforsch-

liche und unaussprechliche Verderbung der ganzen Natur und aller Kräfte, sonderlich der höchsten, vornehmsten Kräfte der Seele, im Verstände, Her­ zen und Willen, so daß eine völlige Feindschaft wider Gott der mensch­

lichen Natur anhaftet.

Vermöge der Erbsünde ist der Mensch alles Gu­

ten baar und ledig, ganz erstorben und rodt, so daß er in geistlichen und

göttlichen Sachen, was der Seelen Heil betrifft, also in Religion und Sittlichkeit, vollständig einer Salzsäule, einem Klotz und Stein, einem todten Bilde, das weder Augen ncd; Mund, weder Sinn noch Herz brau­ chet, gleich ist.

Somit fehlt dem Menschen auch jede Freiheit des Wil­

lens, *) etwas Gutes ans sich zu denken oder zu thun und ist er voll*) Allerdings schreiben unsere Bekenntnißschriften dem Menschen einige Freiheit in weltlichen oder bürgerlichen Dingen zu, so daß er etwa ein Weib nehmen oder ein Haus bauen kann. In geistlichen Dingen d. i. im Religiösen und Sittlichen ist nach ihnen die menschliche Freiheit gleich Null.

10 ständig unfähig, nur das Mindeste zu seiner Bekehrung mitzüwirken. glauben und bekennen

wir mit den Kirchen der Reformazion."

„So

Hattet

ihr so gesprochen und wäret damit dem Protestantenverein auf den Leib gerückt, hättet gefragt:

„Glaubst du das?"

wie manche der Mitglieder

hätten der Zumuthung, das so buchstäblich zu glauben, sich kopfschüttelnd

entzogen, hätten nothgedrnugen ihr ehrliches „Nein" gesagt und euer wäre der Triumph zu rufen: die Ungläubigen, die von dem Glauben der Väter Abgefallenen!

sie sind billig auch die Verworfenen!

Nur einen Punkt will ich noch hervorheben.

Ihr wißt, wie die Messe

und das Meßopfer so recht den Mittel- und Höhepunkt deö römischen Glaubens und Wesens bildet, wie hier die wunderbegabte Hierarchie in voller Glorie strahlt und hier die gehorsame Masse der Gläubigen in dem

Wunder des Opfers, wie es der Priester bringt, ihren höchsten Trost angelegentlich zu suchen, gelehrt und geschult wird. Ihr wißt, wie gerade deshalb — soll ich sagen: euer Luther? — ich kann ihn euch doch nicht lassen, wie stark ihr auf ihn pocht, er ist und bleibt der Mann des ganzen deutschen Volkes, der gesammten Kirche, — wie also unser Luther in den

Schmalkaldischen Artikeln die Messe den größten und schrecklichsten Greuel,

die höchste und schönste Abgötterei im Papstthum, den Drachenschwanz nennt,

der sonst auch viel Ungeziefers und Geschmeis mancherlei Abgötterei erzeuget. Nein,

ihr erhebt euch nicht zu der ungeheuren, schwindelnden Höhe des

römischen Klerus, ihr nehmt nicht die Macht in Anspruch, durch euer

heiliges Wort das Brod in den Leib, den Wein in das Blut Christi um­

zuwandeln, wagt nicht, die hohepriesterliche Stellung einzunehmen, um wieder und wieder das Opfer des Leibes und Blutes Christi darzubringen und so die Sünden der Gemeinen zu versöhnen.

Davor bewahrt euch

doch — nun, gerade die Tradizion in der Lutherischen Kirche und der zu

klare Buchstabe ihrer Bekenntnißschriften.

Aber ein ganz spezifisches Be­

wußtsein von der absonderlichen Heiligkeit eures Pastorenamtes als eines solchen, das doch allein die Gnadengaben zu vermitteln habe, das allein das Recht der Sakramentsaustheilung und des Vergebens und Behaltens der Sünde besitze, und darum zur Herrschaft in der Gemeine allein we­ sentlich berufen sei, ist doch der innerste Mittelpunkt eures Denkens und

eurer Gesinnung, und damit auch die bestimmende Norm und die treibende

Kraft für eure Bestrebungen.

So ist es denn natürlich, daß ihr unver-

hältnißmäßig starkes Gewicht auf die Sakramente legt und sie hoch über

das Wort Gottes hinaus in ein mystisches Dunkel erhebt.

Daher denn

auch für Lehre und Bekenntniß die Sakramente bei euch so entschieden

hervorgehoben werden. Wie, Verehrteste Herren, soll man es sich erklären, daß ihr auch über diesen wichtigsten Punkt eures Glaubens so ganz mit Stillschweigen fortgeht, so gar nicht den doch seines Erfolges so sichern

11 Versuch gemacht habt, den Protestantenverein hier in der ganzen Blöße

seines Unglaubens dem vernichtenden Gericht Preis zu geben? Unstreitig werden die große Mehrzahl seiner Glieder, wenn sie auch die Kindertaufe nicht verwerfen, doch nicht mit euch die Wiedertäufer deshalb verdammen, weil sie glauben, daß auch ungetaufte Kinder selig werden (pueros sine baptismo salvos fieri).

Wenn ihr bekennt und glaubt, daß die Ein­

setzungsworte des Erlösers beim heiligen Abendmahl nicht bildlich, sondern wie sie lauten, also buchstäblich, zu verstehen sind, daß also der Leib und das Blut Christi auch int Brod und Wein gegenwärtig sind und deshalb

mit dem Munde empfangen werden, so daß auch jeder unwürdige, gottlose Kommunikant den Leib Christi wirklich ißt; wie Wenige aus dem Pro­ testantenverein werden diese eure Vorstellungen theilen! Kein einziges Mit­ glied aber wird es über sich bringen, mit euch alle diejenigen, welche die Einsetzungsworte bildlich auffassen und die äußere heilige Handlung irgend­

wie als Sinnbild dessen ansehen, was sich geistig im Innern der Seele vollzieht, alle diese feinen und groben Sakramentirer und Schwärmer in einen „Kuchen" zu rechnen und sie mit Herz und Mund zu verwerfen und zu verdammen.

Also auch hier wart ihr mit dem vollen Bekenntniß

so recht eurer Sache gewiß, den Protestantenverein als einen ungläubigen an den Pranger zu stellen.

Leicht ließen sich diese leeren Stellen des Bekenntnisses der Herren Wa­

Tauscher und Genossen noch mehren; aber das Angegebene genügt.

rum nun, das ist die Frage, warum int Bekennen und Verdammen so

bescheiden, so wenig vollständig? Hängt das etwa damit zusammen, wie im Eingang der Erklärung die Herren von „den Kirchen der Reformazion" sprechen, wie sie am Ende auch mit liebreicher Sorgfalt der

Union erwähnen, um aus dieser den Protestantenverein hinauszuwerfen, um sich damit mittelbar als die vollberechtigten Vertreter derselben geltend

zu machen?

„Die Kirchen," wir würden diesen Ausdruck, wenn wir den

Herren auf ihren Standpunkt folgen und uns an den Buchstaben der Bekenntnißschriften halten wollten, nach dem Sprachgebrauch des Augs­

burgischen Bekenntnisses von den einzelnen Gemeinen der Lutherischen Kirche verstehen. Aber wenn doch nachher auch der Union gedacht wird, so wird man vielmehr genöthigt, ihn auf die verschiedenen Konfessionen in evange­

lischer Christenheit, zunächst auf die lutherische und reformirte, zu beziehen. Das aber eben ist das Bedenkliche. Die Berliner Pastoralkonferenz, im Anschluß an die Berliner Missionsgesellschaft, ist ja bekanntlich seit Jahrzehnden die vorzüglichste Brut- und Pflegestätte deö Lutherischen Konfessio­

nalismus. Hier hat man seit länger als einem Vierteljahrhundert die Symbole als die alleinige Grundlage und Grenze der Kirchengemeinschaft erklärt und vertheidigt, hier hat man den Unmuth und Haß gegen die

12 Union bald offener, bald verdeckter Hervorgernfen und genährt, hier ist ge­ wöhnlich die Parole gegeben, feiner Zeit von dem geistvollsten Führer der

Partei, von Stahl, ob zur Zeit milder ober schärfer im Leben aufzutreten

fei, hier mußten diesem Konfessionalismus selbst Männer wie Nitzsch und Krummacher als die Geschlagenen das Feld räumen. Freilich haben sich Jahr ein Jahr aus wohl nicht wenige Besucher eingefunden, die solchem Streben in ihrer Gesinnung nicht zustimmten.

Aber für die ihres Zweckes

sich bewußten Führer war das ausschließende und abschließende Lutherthum mit feiner Verwerfung ebenso entschiedener Ausgangs- wie Zielpunkt. Wie

weit Herr Tauscher zu den Führern der Partei gehört, darüber habe ich

kein Urtheil; aber daß gerade er und die sich ihm für jene Erklärung an­ geschlossen haben, Anhänger eines prononzirten, nnionsseindlichen Lutherthums sind, darüber waltet wohl kein Zweifel. Wenn nnn auf der Konferenz das so wichtige Thema über den Gehorsam gegen die kirchliche Obrigkeit,

bei dessen Besprechung, wie verlautete, die Streiche nach ganz anderer Rich­ tung ausgetheilt werden sollten, ohne Weiteres wegfiel, damit man sich ge­

gen den verhaßten Protestantenverein wenden konnte; so hat wohl fromme Politik und Diplomatie dafür die Anregung und Entscheidung gegeben und nach Kräften das Ihre geleistet.

Hatte doch der Generalsuperintendent

Hoffmann in einem von ihm neuerdings herausgekommenen Buch schon den Stab über den Protestantenverein gebrochen *). Aber wie bis dahin der Oberkirchenrath überhaupt, so war auch dieses Mitglied desselben in seiner Weise als Vertreter der Union aufgetreten. Dem Standpunkt der ober­ sten Kirchenbehörde, dem Standpunkt der sogenannten Bermittelungstheo-

logie gehören indeß trotz aller Propaganda für den Konfessionalismus noch eine große Schaar die Extreme scheuender Geistlichen an. Diese galt es zu gewinnen, damit ein recht voller Chorus die Verwerfungsformeln singe.

Daher erklärt sich unser, für einen Lutheraner von ächtem Schrot und Korn so abgeblaßtes, so verkürztes Bekenntniß. Wie groß nun die Erfolge,

welche damit errungen sind, das entzieht sich meinem Wissen. — Gern will ich der klugen Politik und Diplomatie ihr Recht und ihre Bedeutung

auf dem ihr zustehenden Gebiet zuerkennen.

Aber wie vielfach dieselbe

nicht nur in der Regierung der Kirche, sondern auch in der Feststellung

von Lehren schon wirksam gewesen ist, mich dünkt doch, sie gehört nirgend weniger hin als auf das Gebiet der Kirche, hat nirgend weniger Recht

als in Angelegenheiten des Glaubens.

Hier kann ihre Anwendung der

Kirche, der Wahrheit, dem Seelenheil nur den empfindlichsten Schaden

bewirken und hat ihn auf's Vielfachste im Verlauf der Geschichte bewirkt, *) So viel Reiz da wäre, auf einzelne, in der That mir unbegreifliche Partien dieses Buches des hochgestellten Mannes näher einzugehen, so vermeide ich es der Be­ schränkung halber, da unsere Erklärung als Muster für Aehnliches genügt.

13 so daß die gesammte Christenheit noch heute auf's Schwerste an den Fol­

gen krankt.

So hätte denn ein ausgeprägteres Bekenntniß der Herren

Erklärer mit seinen Ecken und Kanten vielleicht noch mehr

angestoßen,

hätte aber jedenfalls den Herren als konsequente», ehrlichen Männern viel

eher einige Achtung erwerben können. Doch kommen wir nun zu den einzelnen Punkten des Bekennens und Verdammens.

„Wir glauben und bekennen," so beginnt der eigentliche,

gewichtige Erlaß der heiligen Herren, „wir glauben und bekennen mit den Kirchen der Reformazion, daß die heilige Schrift alten und neuen Testa­

mentes das Wort Gottes und als solches alleinige Quelle und Richtschnur unseres Glaubens und Lebens ist."

Fragen wir den Protestantenverein:

„Glaubst Du das?" so muß er ehrlicher Weise antworten: Nein! Denn er erklärt in seiner Mitte „jede Anschauung Uber das Wesen der Offen­ barung Gottes und die Entstehung der heiligen

Schrift für

berechtigt,

welche im Laufe der geschichtlichen Entwickelung sich wissenschaftlich heraus­ gebildet hat und in der Ueberzeugung des christlichen Gewissens Boden findet."

Zunächst ist es von Interesse, zu sehen, wie sich die Herren zur Auf Wissenschaft und

Wissenschaft und zum christlichen Gewissen stellen.

christliches Gewissen will der Protestantenverein jede berechtigte Anschauung über Offenbarung und Bibel gegründet wissen, gerade das ist ihnen ver­ werfliche Ketzerei. — Wenn die ernste wissenschaftliche Forschung also etwa mit noch so großer Klarheit herausstellte, daß z. B. in dem prophetischen

Buch, das den Namen des Jesaias in unserer Bibel führt, der letzte Theil die Gesichte

eines

viel späteren großen Propheten, dessen Wirken und

Leben in das Ende des babylonischen Exils fällt, enthält, daß unsere zwei

ersten Evangelien nach ihrer gegenwärtigen Gestalt unmöglich von Mat­ thäus und Markus geschrieben sein können, daß dies und jenes andere Buch unächt sei, daß hier oder dort sich ein Zug findet, welcher einer

unsicher» Tradizion angehört,

wenn das sonnenhell nachgewiesen würde;

was kümmern sich diese Herren in der Kirche um die Wissenschaft mit ihren Arbeiten und Ergebnissen? Stimmt es nicht mit ihrer Satzung:

„Die Bibel ist von vorn bis hinten Gottes Wort," überein, dann ist ihnen das Alles arge Ketzerei. Das christliche Gewissen ist doch nothwendig das

an Christo erwachte, gereinigte, lebendig und kräftig gewordene.

Christum

aber in seiner wirklichen Persönlichkeit finden und gewinnen wir doch nur

durch die evangelischen Zeugnisse, also aus der heiligen Schrift. Wenn dies christliche Gewissen, so selbst auf Christum und die heilige Schrift sich stützend, sich z. B. nicht finden kann in das Gebot an die Israeliten,

den Eghptern ihr Eigenthum zu entwenden, sich nicht finden kann in die Ergüsse der Rachsucht, wie sie in heiligen Liedern frommer Psalmensänger vorkommen, sich nicht finden kann in die Art, wie der Apostel Paulus zu

14 den Korinthern die Ehe mit einer gewissen Geringschätzung /behandelt u. s. w., wenn das christliche Gewissen darum in solchen Stellen nicht Gottes Wort

sieht; was kümmern sich jene um das christliche Gewissen, das ist ihnen

leidige Subjektivität, eigentliches Heidenthum; denn es kommt ja mit ihrer Doch die Herren sind

Ansicht von der heiligen Schrift in Widerspruch.

am Ende nicht so schlimm, wie es aussieht. Sie lassen ja die freie Wissen­ schaft und freie Forschung gelten. Aber, wohl gemerkt, nur wenn sie sich verpflichtet, allein das längst von der Orthodoxie Festgestellte als ihr Er­ gebniß und ihre Frucht darzustellen und jede Abweichung zu vermeiden! Wohl, sie lassen das christliche Gewissen, wie es im Glauben an den Er­

löser seine Lebenskraft gewonnen hat, gewähren; aber auch hier gilt die gewährte Freiheit nur bis dahin, daß sie auch an keinem Punkte den Bann

ihrer Satzungen durchbreche!

Wahrlich, sie sind tief eingedrnngen in die

von dem Apostel gepriesene „herrliche Freiheit der Kinder Gottes," sie, denen, wenn es zu ernster Entscheidung zwischen den Gegensätzen in der Untersuchung kommt, weder ächte Wissenschaft, noch christliches Gewissen

eine Bedeutung behält! Sollte man aber weiterhin aus dem, wie sie der Union Erwähnung

thun, schließen, daß sie irgendwie eine geschichtliche Entwickelung anerkennen, hier ist ja von vorn herein das völlig abgeschnitten. Wie vielseitig ist seit langer Zeit her die Frage behandelt worden, ob die ganze Bibel Gottes

Wort sei, oder ob man überhaupt nur in ihr Gottes Wort finde. Davon scheinen die Herren keine Silbe zu wissen. Streng orthodox heißt es hier, die Bibel nnd Gottes Wort sind eben ein und dasselbe. Die Bibel wird damit in allen ihren Theilen zu einem Kodex der göttlichen Wahrheit ge­ macht. Jede Abweichung von jedem Buchstaben der Bibel ist danach Un­ glaube.

Diese Annahme der Herren ruht nothwendig auf einem andern

Glaubenssatz, nämlich auf dem, daß die Bibel bis auf den einzelnen Buch­ staben hin inspirirt, d. h. vom heiligen Geist eingegeben sei, daß die heilige

Schrift eigentlich das Produkt des heiligen Geistes sei, zu dessen Entstehung die heiligen Schriftsteller nicht anders mitgewirkt haben, wie meine Schreib­ Das ist der Herren Ansicht, das und das allein ist in diesem Punkt wirkliche Orthodoxie (Rechtgläubigkeit). Rur so hat

feder zu dieser Schrift.

man dann an der Bibel in jeder Stelle das Gesetzbuch

irrthumsloser

Wahrheit, nur so ist es möglich, auf jeden Buchstaben derselben zu schwören. Prüfen wir ein wenig diese Ansichten. — Zuerst fragen wir, entsprechen

solche Anschauungen wohl irgendwie einer erleuchteten, evangelischen Fröm­ migkeit? Gott schüttet nach denselben vom Anfang der Geschichte Israels an die Wahrheit als eine fertige in die heiligen Schriftsteller, und diese sind nur die Kanäle, durch welche das heilige Wasser hindurchströmt, oder

in schon angeführtem Bilde, sie sind eben nur die Schreibfedern, deren

15 sich der heilige Geist bedient.

Wenn so Gott mit unwiderstehlicher Wunder­

gewalt den Schriftstellern die Wahrheit eingab, es muß auf dieselbe Weise auch die Verbreitung der Heilswahrheiten ohne Mitwirkung menschlicher,

geistiger Thätigkeit geschehen. Wie das mit dem Wesen der Gottheit, mit dem Wesen weiser, heiliger Liebe, welche die Menschen für Gottebenbild­

lichkeit bildete und berief, sich vereinigen läßt, dürfte eine unauslösbare

Frage sein und für immer bleiben. Aber wie wenig hätte Gott doch auch sein Werk gut und genügend ausgeführt!

Wie hat es in Betreff des

neuen Testamentes bis in's 4. Jahrhundert hinein so manche Bewegung

im Streit gekostet, ehe es in seinem fetzigen Bestände allgemeine Aner­

kennung fand?

Wie sind früher sehr hoch gehaltene, allgemein als heilig

erkannte Bücher aus dem Kanon verschwunden, und wie haben andere viel bestrittene zuletzt doch ihre Stelle gewonnen und behalten! Wo haben wir den Bericht über den Wundervorgang, mittelst dessen Gott zuletzt end­ gültig das neue Testament vom Himmel herab festgestellt hat, daß nur diese Schriften und nur sie das ungefälschte Gotteswort in jedem Buch­ staben enthalten!

Und warum hat er dies Wunder nicht alsbald, nach­

dem die Bücher geschrieben waren,

gewirkt und damit manch Aergerniß

und manchen schweren Irrthum für die Einzelnen zwei Jahrhunderte hin­

durch abgewendet? Hatte aber Gott so die Bibel als untrüglich in allen ihren Buchstaben gegeben, wie hat er dann späterhin so gar nicht für ihre

Reinhaltung gesorgt! wie viele Stellen, wo so verschiedene, viel umstrittene Lesarten in den alten Handschriften sich finden, bei denen doch die mensch­

liche Vernunft prüfen, urtheilen, richten und sich entscheiden soll!

Wie

sind wohl Stellen da, nur deshalb dunkel, weil der Text verfälscht ist,

weil man eben die rechte Lesart nicht kennt und nicht hat!

Gott sollte

eine buchstäbliche, fertige, irrthumslose Offenbarung in der Bibel gegeben

sie vor den vielen falschen, so leicht in die Irre führenden Lesarten nicht geschützt haben? und doch gar nicht für ihre Reinerhaltung gesorgt,

So niedrig von dem heiligen Gott zu denken, wer möchte das über sich gewinnen? Die Bibel soll das volle Gotteswort, der Gesetzeskodex der Offenbarung sein, so die Norm, die Regel des Glaubens. Aber alle die Dogmen, die in den späteren Jahrhunderten als Regeln und Gesetze des Glaubens innerhalb der Kirche geltend gemacht wurden, stehen so nicht in der Bibel, sind so erst unter viel Arbeit der Lehrenden, in heftigen Kämpfen zu ihrer Herausbildung gelangt.

Wenn es nach der Orthodoxie

für das Seelenheil darauf ankommt, diese ausgeprägten Dogmen anzu­ nehmen, warum hat sie Gott nicht als fertige den heiligen Schriftstellern eingegeben und so gleich in den biblischen Büchern niederschreiben lassen?

Auch hier würde der Allweise, nie etwas in feinem Regiment Versehende von diesem Standpunkte aus schwerer Versäumniß geziehen werden.

16 Wie unhaltbar aber die Annahme ist, daß Gottes untrügliches Wort und der Buchstabe der Bibel zusammenfallen, daß also die Bibel allent­

halben in jedem Theil und Thetlchen Gottes Wort sei, davon überzeugt

sich wohl jeder, der unbefangen und vorurtheilsfrei mit dem Buch der Bücher sich beschäftigt. Wäre es so, sollten die Verfasser der heiligen

Bücher nicht darum gewußt haben? Und wenn sie darum wußten, hätten

sie cs verschweigen dürfen? Wäre es nicht für sie heilige Pflicht gewesen, mit besonderem Nachdruck es für die Leser auszusprechen?

Aber, wenn

auch der Verfasser der Apokalypse den Inhalt des Buches als Worte der

Weissagung bezeichnet und darin, unähnlich den anderen heiligen Schrift­ stellern, unter harter Drohung jeden Zusatz zu seinem Buche und jede

Weglassung verbietet; den Anspruch erhebt er doch nirgend, durchweg das Wort Gottes zu reden, höchstens würde er das nur von den Worten der

Weissagung behaupten, die er auf Jesum Christum selbst zurückführt, die

er als von ihm empfangen darstellt.

Aber gerade das sehr starke Selbst­

bewußtsein, in dieser Art ausgesprochen, dürfte mit der Grund sein, wes­

halb das Buch schon in der alten Kirche mannichfachen Allstoß erregte

und vielfach bestritten wurde, weshalb auch Luther demselben keine aposto­ lische Art und Weise zuerkennen wollte. Luther denkt da wohl recht eigent­ lich an den Apostel Paulus, und die ächt apostolische Art fällt ihm zu­ sammen mit dem sittlich Schönen, mit der Offenheit, Demuth, Lauterkeit,

in welcher dieser als Apostel sich gibt. Er erklärt all sein Wissen, so doch auch sein mündlich und schriftlich Lehren, als unvollkommen und Stückwerk. Sein Erkennen ist ihm wie ein Schauen durch einen Spiegel

im Räthselwort. Bestimmt unterscheidet er zwischen dem, was ihm ein vom Heiland Ueberkommenes ist, und dem, was er nach seiner Ueber­ zeugung zu rathen und zu empfehlen hat, und verlangt nur für das Erstere, nicht für das Letztere Gehorsam.

Er steht so mit der Behauptung, daß

Alles in der Bibel Gottes Wort sei, im entschiedenen Widerspruch.

Weiter! Ist Alles in der Bibel Ausfluß der Gottheit, vom heiligen

Geist eingegeben, unbedingt irrthumloses Gotteswort; dann muß doch auch nothwendig völligste Uebereinstimmung durch Alles hindurchgehen. Wie nun auch in der That durch diese Sammlung von Büchern aus so ver­ schiedenen Zeitaltern eine lebendige

lautere Frömmigkeit auf der einen

Seite, eine Einwirkung des göttlichen Geistes auf der anderen Seite sich

uns bezeugt, wie auch stets wieder und wieder das eine Ziel, die Erfüllung

des göttlichen Willens, das Werden des Gottesreiches als das Eine, was Noth thut, hingestellt wird, wie man so von Einem Geist der Bibel in gewissem Sinne reden darf;

an einer vollen Uebereinstimmung in den

Vorstellungen, Gedanken, Anschauungen fehlt doch außerordentlich viel. Wohl ist das neue Testament nach einer Seite die Entfaltung und Erfül-

17 lung des alten Testamentes und dürfen wir hier von einem Einklang sprechen. Aber ebenso waltet ein Gegensatz zwischen dem alten und neuen

Bunde, wie ihn der Erlöser selbst in's dicht stellt, wenn er spricht: „Zu

den Alten ist gesagt" — „Ich aber sage euch" (z. B. „Auge um Auge, Zahn um Zahn;" „Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde" u. s. w.); wenn er gegenüber dem

alttestamcntlichen Sabbatsgebot, wie es durch

das Ruhen Gottes am siebenten Tage begründet wird, ruft: „Mein Vater

wirket bis hierher und ich wirke auch," wenn er den Jüngern, die sich auf das Thun des Gottesmannes Elias nach dem alten Testament als

auf ein vorbildliches berufen, strafend sagt: Wisset ihr nicht, wes Geistes Kinder ihr seid? wenn er die mosaische Gesetzgebung zum Theil auf Her-

zenshärtigkeit zurückführt. In der That, um ein neutestamentlicher Mensch zu sein, dazu gehört nothwendig, ein gut Theil des Alttestamentlichen in Aber auch innerhalb jeder der beiden Sammlungen sind entschiedene Wider­

religiösen und sittlichen Anschauungen als ein Irriges abzustreifen.

sprüche vorhanden. Es genügt, allein Paulus und Jakobus anzuführen. Daß beide Männer von lauterer, durch Christum bestimmter Frömmigkeit erfüllt sind, daß der Geist Christi in beiden wohnt und wirkt, ist gewiß

nicht in Abrede zu stellen.

Aber wie viel Eifer und Scharfsinn sich auch

schon gemüht hat, die Einstimmigkeit beider in ihren Lehren nachzuweisen,

nimmer wird das gelingen, immer wird zu klar der Widerspruch hervor­ treten, in dem beide Apostel über Glaube und Werke sich befinden, so daß auch die bestgemeinten Versuche nach der entgegengesetzten Seite der

Beschuldigung der Sophistik nie entgehen können. Soll nun der heilige Geist, der Alles nach jener Ansicht eingegeben hat, sich selbst widersprechen? Soll ein Gotteswort das andere aufheben? Ein weiterer Punkt ist der, daß wenn die Bibel von vorn bis hinten

in jedem Theil inspirirt und also Gotteswort ist, daß dann auch jedes Buch und jedes Stück die gleiche Dignität, den gleichen Werth und die

gleiche Bedeutung in Anspruch nehmen muß.

Wem aber ist in gleicher Weise deö göttlichen Geistes voll, in gleicher Weise also Gotteswort das dritte wie das erste Buch Moses? Wer schöpft Gotteswort als Lehre, Trost, Ermahnung ebenso aus dem Buch Esther, das nicht einmal Gottes

gedenkt und nirgend auf eigentliche Frömmigkeit hinweist, wie etwa aus dem Psalter oder dem Propheten Iesaias? Wer sucht das reine Evange­ lium in gleichem Maaße in der Offenbarung, wie in dem Evangelio des Johannes? Um das zu vermögen, dazu müßte ein Mensch nicht nur daS

gesunde Urtheil, sondern jede gesunde Frömmigkeit aufgegeben haben. Aber treten wir ganz in'S Konkrete hinein. Den Gegnern ist es Unchristenthum und Unglaube nicht die ganze Bibel für Gottes Wort an­ zunehmen.

Kommen

wir denn

mit unserem fluchwürdigen

2

Unglauben

18 offen an's Tageslicht.

Zunächst stimme ich gern dem Kön. Konsistorio

unserer Provinz zu, daß die Bibel nicht Quelle und Norm naturwissen­ schaftlicher (ich meine, anch überhaupt wissenschaftlicher) Erkenntnisse sein

könne, wonach denn Alles in heiliger Schrift, was etwa der Physik, der Astronomie, der Geschichte als solcher angehört, als menschliche Mitthei­

lungen auzusehen ist und der menschlichen Forschung und Untersuchung anheimfällt. Nur halte ich dafür, daß mit solcher Ansicht das Konsistorium

so gut wie der Protestantenverein den Boden der wirklichen Orthodoxie verlassen hat und in seinem Erlaß mit sich selbst in nicht unbedenklichen

Widerspruch gerathen ist.

Die Heilswahrheit ist bei den biblischen Schrift­

stellern vielfach so sehr mit den astronomischen Anschauungen der Zeit, mit der dermaligen Welterkenntniß und Weltanffassung verwachsen, daß sie dadurch mannichfach eine besondere Färbung und Gestaltung annimmt. Es scheint daher nicht so schwer zu erklären, daß Melanchthon bei Be­

sprechung der Kopernikanischen Ansichten sagte: Wenn der Mann recht hat, dann ist es mit dem Christenthum vorbei.

Es bedarf, um den Er­

gebnissen der neue» Wissenschaften gegenüber mit fröhlichem Glauben an

dem Christenthum festzuhalten, der Fähigkeit, wie sie die neue Zeit aller­ dings den Strebenden gewährt, das Wesen, den eigentlichen Kern des Christenthums von den verschiedenen Gedanken- und Erscheinungsformen desselben zu unterscheiden. Doch immerhin einmal zugegeben, daß sich die Heilswahrhcit in der Bibel so reinlich abgesondert von der dermaligen

anderweiten Erkenntniß vorfinde.

Auch wo die Bibel über Heilswahrheit

d. i. über das Religiöse und Sittliche handelt, gibt sie nicht stets untrüg­ liches Wort Gottes, hat sie mit ihrem Buchstaben deshalb nicht das Recht, die christlichen Geister unbedingt an sich zu fesseln.

Beispiele sind schon

im Vorigen andeutend gegeben, ich will aber die Wiederholung nicht scheuen. Das ganze Buch Esther hat seine geschichtliche Bedeutung, seine Bedeutung für den Festknltus in Israel.

Aber Offenbarung der Heils­

wahrheit kann ich in demselben nicht finden.

Gewiß suche ich die mit größerem Rechte und besserem Erfolge in diesem oder jenem apokrhphischen

Buche. Es ist mir deshalb wohl ein Buch von geschichtlichem Werth; aber kein Buch, das nur zum Theil oder gar ganz und gar Gottes Wort

zum Inhalt hat. *)

Dasselbe würde ich von einzelnen Abschnitten anderer

biblischer Bücher urtheilen müssen.

Die Anschauungen, wie sie im alten

Testament vorkommen, die uns Gott malen in jenem Zorn, der nur durch Fürbitte des barmherzigen Moses gesänftigt wird, oder ihn uns, allerdings *) So viel Schönes und Wahres in seiner Weise grade ein hervorragendes Mitglied des Protestantentages (Baumgarten) zu Gunsten dieses Buches beigebracht hat; von meinem obigen Urtheil über sein Verhältniß zum Worte Gottes kann ich dadurch nicht abgezogen werden.

19 im Gegensatz zu einem anderen ausdrücklichen Bibelspruch, zeigen, wie ihn früheres Beschließen und Thun gereut, sind mir nicht göttliches Wort, sondern menschliches Irren. Alle die Ausführungen in der sittlichen Ge­ setzgebung, aus denen klar wird, daß im Gebot der Liebe zu den Nächsten unter diesen nur die männlichen Volksgenossen Israels zu verstehen sind, kann ich nicht gelten lassen als Strahlen göttlichen Lichtes, sondern als

Verdunklungen,

der

menschlichen Herzenshärtigkeit entsprungen.

Das

schon erwähnte Gebot Gottes an die Israeliten, den Egyptern Werthvolles

zu entwenden, ich werde eS nie als ein göttliches Gebot begreifen, sondern als eine sittliche Verirrung, die, wie es auch sonst vorkommt, mit einem gewissen Maaß der Frömmigkeit sich verbunden hatte und das Gelüsten

des eigenen Herzens als eine göttllche Stimme ausfaßte.

Wenn in den

Frommen des alten Bundes sich oft ein so glühender Haß geltend macht und Rache schnaubt, wenn diese Gefühle auch ihren Ausdruck in manchem Psalmwort finden, nicht was der Geist Gottes eingegeben hat, kann ich

sondern das, was der menschlichen Sünde entsprang. Doch auch Einiges aus dem neuen Bunde! Wenn hier jedes Krankheits­ darin entdecken;

leiden, was irgend wie das Seelenleben trübend affizirt, auf die Einwoh­ nung von Teufeln zurückgeführt wird; so sind und bleiben mir das mensch­ liche Vorstellungen damaliger Zeit, aber nicht göttliches Wort.

Erinnern

wir uns an einige Beispiele, wie der größeste der Apostel, Paulus, die Schriften des alten Bundes auslegt und anwendet. Im Gesetz des Moses wird geboten: „Du sollst dem Ochsen nicht das Maul verbinden, der da drischt." Wir sehen in diesem Befehl unstreitig ein schönes Zeugniß, wie auch schon in der mosaischen Gesetzgebung ein Zug der Milde und der

Humanität sich geltend machen will, so daß auch des Thieres, das dem

Menschen mit seiner Arbeit dient, fürsorgend gedacht wird. Paulus da­ gegen fragt, als ob sich die Antwort ganz von selbst verstände: „Sorget Gott für die Ochsen? Oder sagt er's nicht allerdinge um unsertwillen?"

Ganz in der Weise der erst später zu rechter Blüthe gekommenen allegori­ schen Auslegungsmethode sieht er hier allein die göttliche Bestimmung, daß

die Diener des Wortes, welche der Gemeine das geistliche Brod reichen, von dieser das leibliche zu empfangen haben.

Ebenso, indem er die Christen

und Juden mit den beiden Söhnen Abrahams, dem Isaak und Ismael,

in Parallele stellt, beweist er aus dem Namen der Mutter des Ismael,

der Hagar, der im Arabischen den Berg Sinai bedeuten soll, daß die Kinder des alten Bundes in der Knechtschaft stehen. Wenn im alten Testament dem Abraham und seinem Saamen die Verheißung zugesagt ist, so schließt der Apostel aus dem Singular, in dem hier das Wort Saamen steht, ohne Weiteres, daß nur Einer und zwar Christus damit

gemeint sein könne, ohne irgend wie zu bedenken, daß das Wort als Sam-

20 melname stets schon eine Vielheit in sich schließt. Es ist in allen drei Fällen nichts gegen den eigentlichen Gegenstand des Gedankens, um den es sich handelt, einzuwenden; aber die Art, wie das alte Testament er­ klärt und angewendet wird, ist sicherlich nicht eine solche, welche einer ge­ sunden, vernünftigen Auslegekunst entspricht. Das ist denn so auch nicht

Gotteswort, vom heiligen Geist eingegeben, vielmehr ist dergleichen der ist etwas, was wohl noch hie und da einmal an dem großen Apostel sich

spitzfindigen, buchstäbelnden Schulweisheit der Rabbinen entsprossen,

zeigte, wie das Stückchen der Eierschale am jungen Hühnchen, wenn es aus seinem dunklen Gefängniß zum Licht der Freiheit schon hindurchge­ brochen ist. — Für die gottesdienstlichen Versammlungen schreibt derselbe Apostel auf das Bestimmteste vor, daß der Mann, wenn er betet oder

weissaget, es mit unbedecktem Haupte thue, das Weib aber mit bedecktem Haupte — und zwar um der Engel willen. Gern ehre ich darin wie die Anschauung, so die Sitte der damaligen Zeit. Aber ein heiliges, da­ mit allgemein verbindliches Gotteswort ist es nimmermehr. Es genüge nur noch Eins, wie es mir gerade einfällt, zu erwähnen.

Im siebenten

Kapitel des ersten Korintherbriefes spricht Paulus vom ehlichen und ehe­

losen Stand nnd wie nüchtern und milde er auch im Ganzen urtheilt, so viel ist unbestreitbar, daß er das Ledigsein hoch über die Ehe stellt,

daß er diese doch eigentlich nur damit rechtfertigt, daß sie eine Abwehr Er sagt, daß die Ehefrau als solche denken müsse auf das, was nicht Gott, sondern dem Manne gefalle, daß die gegen die Unzucht gewähre.

Nichtverheirathete dagegen sorgt, was dem Herrn angehöre.

Diese Bevor­

zugung der Ehelosigkeit dürfte, abgesehen von der Erfahrung, so wenig mit dem göttlichen Willen übereinstimmen, daß das Wort Gottes vielmehr

in dem uralten Spruch:

„Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei"

und in dem Satz neuster Sittenlehre entlehnt:

„die Ehelosigkeit ist nur

als eine nichtgewollte sittlich" sich uns darbietet.

Das sind Einzelnheiten,

nur deshalb angeführt, um anschaulich nachzuweisen, wie unmöglich Alles, was in der Bibel steht, deshalb schon eo ipso Gottes Wort ist.

Sie

ließen sich natürlich reichlich vermehren. Wären solche Anschauungen aber Unglaube, so möchte ich doch die Herren daran erinnert haben, daß niemand Geringeres als Luther selber Wohl, wenn

mit dem Protestantenverein in gleicher Verdammniß steckt.

es gilt, theoretisch einen Lehrsatz aufzustellen, dann ist der große Mann

stets bereit, der Orthodoxie seine Zustimmung zu geben.

Aber wenn es

die frische Bethätigung angeht, dann kennt er seine Jnspirationslehre in

Betreff des Kanons nicht mehr, dann behandelt er die biblischen Bücher

vollständig wie andere menschliche Bücher, prüft sie nach ihrem Inhalt und Karakter im Allgemeinen,

wie nach ihren einzelnen Ausführungen

21 und

spricht

unbedenklich alle seine Bedenken aus.

Wie hoch

ihm die

Apostel als Verfasser heiliger Schriften stehen, es ist ihm nicht so undenk­ bar, daß sie auf den einigen Grund, Christum, auch wohl einmal Heu, Stroh und Stoppeln bauen. Ist ihm Paulus der, welchem so ganz sich seine denkende Vernunft, wie sein Gemüth hingegeben hatte, er steht nicht

an, hier und da seine Beweisführung als ungeeignet, nicht zutreffend, der

Schärfe entbehrend zu kennzeichnen.

In Vergleich zu dem Evangelio des

Johannes, den Briefen deö Paulus, dem ersten Brief des Petrus man­ gelt es nach ihm selbst den drei ersten Evangelien an der evangelischen

Art, die er in gleicher Weise im Hebräerbrief vermißt.

Der Brief des

Judas ist ihm ein völlig unnöthiges Buch, weil allein dem Petrus ent­ lehnt.

In die Offenbarung des Johannes kann er sich so wenig finden,

kann so wenig in ihr den Geist eines Apostels entdecken, daß er dem,

welcher ihm nachweist, daß sie johanneisch sei, seinen Doktorhut verspricht,

um für sich selbst dann zur Narrenkappe zu greifen.

Jakobus ist ihm

wohl ein rechtschaffener, frommer Mann, aber ohne wahres Verständniß Christi.

So hält er denn seinen Brief auch für eine „stroherne Epistel,"

die in seine Bibel nicht hineingehört.

Im alten Testament vollends ver­

nimmt er gar noch nicht Gottes Stimme, sondern nur die des Moses und der Propheten und hat nach ihm Moses sein Gesetz nicht von Gott, sondern von den Engeln empfangen. Gott, der nur aus seinem Wesen

heraus reden kann, hat deshalb wirklich erst durch seinen Sohn und den heiligen Geist gesprochen. Gewiß ein solch Verhalten hat nichts gemein mit dem Satz, daß die Bibel alten und neuen Testamentes von vorn bis hinten Gotteswort sei, nichts mit der Orthodoxie. Nach dem Angeführten

würde Luther in diesem Punkte etwa auf der linken Seite des Protestan­ tentages seine Stelle einnehmen, um nicht nur durch die Bulle Leo's, son­

dern auch durch die des Herrn Tauscher mit dem Bann belegt zu werden.

Doch eö ist ein eigenes Ding mit dem Aufstellen von Regeln und Gesetzen. Wie oft geschieht es, daß grade diejenigen, welche Gesetze proklamiren, sie am wenigsten halten, daß es dann fast scheint, als wollten sie ihre großen Verdienste um die Aufstellung und theoretische Festhaltung

der Gesetze durch ihre Willkür in praktischer Uebertretung belohnen.

Herr

Tauscher und Genossen stellen die heilige Schrift als alleinige Quelle und

Richtschnur ihres Glaubens und Lebens auf.

Grade sie sind es, welche

der heiligen Schrift dies Ansehen nehmen, welche eine durchaus andere Richtschnur für den Glauben geltend machen, nämlich die Kirchenlehre, die Symbole. Freilich behaupten sie, lutherische Kirchenlehre und Lehre der heiligen Schrift stimmen vollständig überein, decken sich vollständig als das auszulegende und richtig ausgelegte Wort Gottes. Aber das ist die gleiche Behauptung, die wir bei der römischen, wie bei der griechischen

22 Kirche wieder finden, welche Arianer und Athanasianer, Pelagianer und

Augustiner vor sich her trugen, welche wir auS dem Lager der Reformirten, gleichviel ob Calvinisten oder Zwinglianer, Anhänger der Synode zu Dortrecht oder Arminianer, vernehmen, auf welche sich Baptisten und Irvingianer stützen, welche die Pietisten und die Orthodoxen, die dem Spener

über 100 Ketzereien nachwiesen, für sich in Anspruch nahmen.

Wer hat denn nun das Recht auf seiner Seite? Unsere Gegner sind sich der reinen Lehre freilich sicher, aber grade eben so wie der Pabst. Kühnlich behaupten wir, daß jeder die für sich in Anspruch genommene Regel auf den Kopf

stellt und umstößt, welcher seine spezielle Schriftauslegung und Glaubens­ auffassung faktisch als die authentische hinstellt, welcher nicht demüthig die

Möglichkeit des Irrthums bei sich selber zugesteht, welcher den Buchstaben

seiner Lehre zum Gesetz in der Kirche erhebt und die Geister daran zu

binden unternimmt. Die Pharisäer und Schriftgelehrten zur Zeit Jesu setzten die Aufsätze der Aeltesten,*) ihre überlieferte Kirchenlehre, neben die heilige Schrift als verbindlich! Der Erlöser sagt ihnen: Ihr machet mit

euren Aufsätzen (mit eurer Kirchenlehre), daß niemand mehr Gottes Ge­

bote hält, will sagen, mit dem Ansehen eurer Aufsätze hebt ihr das An­ sehen der heiligen Schrift auf. Grade wie jene zu dem alten Testament, so stehen unsere Orthodoxen in ihrer Konsequenz zu der Bibel überhaupt.

Mit ihren Lehrsatzungen schlagen sie das Wort Gottes in heiliger Schrift, das frei sein und richten soll, in Fesseln und richten es selber. DaS Pochen auf die Uebereinstimmung der Lutherschen Kirchenlehre mit der

heiligen Schrift ist aber heut viel anmaaßlicher und sündlicher als im

16ten und 17ten Jahrhundert, ist ein sich Auflehnen gegen den Geist der Wahrheit, der sich bei allem Irren dennoch durch die Arbeiten der wissen­ schaftlichen,

also auch der theologischen Forschungen hindurchzieht.

Ja

mannichfache Irrthümer werden sich in der Entwicklung der Theologie

im 18ten und 19ten Jahrhundert Nachweisen lassen, ein Resultat aber steht wohl unumstößlich fest, nämlich, daß die entwickelte Lutherische Kir­

chenlehre, wie tiefe Momente der Wahrheit sie auch enthält, und die Lehre der heiligen Schrift vielfach auseinandergehen.

Grade herausgesprochen:

die kirchliche Trinitätslehre, wie etwa das Athanasianische Bekenntniß sie enthält, die Lehre über Sünde und Erbsünde, über Versöhnung, über das

h. Abendmahl u. s. w., wie sie den Lutherischen Symbolen

entspricht,

geht weit ab und weit hinaus über die heilige Schrift. Grade der wieder

mit so mächtigen Anstrengungen nach der Alleinherrschaft in der Kirche *) So werden im neuen Testament die weiteren Ausführungen über das alte Testa­ ment, wie sie von den Schriftgelehrten aufgestellt waren, genannt. Sie nicht zu beachten, wurde faktisch oft viel härter beurtheilt als die Uebertretung einfacher, kla­ rer Gottesgebotc.

23 ringenden Orthodoxie gegenüber kommt es darauf an, das Schriftprinzip der

evangelischen Kirche, das normative Ansehen der heiligen Schrift zu wahren. Aber weiß denn der vervehmte Protestantenverein auch noch etwas von der heiligen Schrift? Ich denke, er eignet sich noch heut den Satz an, daß die heilige Schrift oder das Wort Gottes in heiliger Schrift die Quelle und alleinige Richtschnur des christlichen Glaubens und Lebens ist, freilich in dem Sinn, wie überhaupt von einer Richtschnur für den Glau­

ben sich sprechen läßt. Hat nämlich der Gedanke der Gottebenbildlichkeit des Menschen einen Sinn und Inhalt, so vor Allem den, daß der Mensch und die Menschheit Alles wird und erlangt allein durch freie Selbstthätig­ keit, daß er bis auf einen gewissen Punkt bestimmt ist, der Schöpfer sei­

nes irdischen und geistigen Gutes, ja seiner eigenen Persönlichkeit zn wer­ den. Wie das in Beziehung auf alles irdische Besitzthum gilt, so auch von dem Besitzthum der Wahrheit, auch der Wahrheit des religiös sittlichen Lebens. Gott gibt Alles den Menschenkindern, aber in der Ordnung

und unter der Bedingung, daß die Menschheit sich alles Gegebene als Gut erst in freier Selbstbestimmung erarbeitet.

Unter solchem göttlichen

Gesetz, wie es das der Menschheit überhaupt ist, haben die Verfasser der

heiligen Schriften gestanden, stehen heute ihre Leser.

Rur, wie für geistige

Freiheit es möglich ist, nur unter der Bedingung freier, geistiger Aneignung, lebendigen Verständnisses kann also auch allein die heilige Schrift als Richtschnur

für den christlichen Glauben gelten.

Ist uns

die heilige

Schrift aber Richtschnur; so wissen wir auch in ihr Gotteswort, kommen durch sie zu der Quelle göttlicher Offenbarung. Gewiß nehmen wir —

wir haben unseren Trost, unsere Kraft, unser Heil darin — Gotteswort,

göttliche Offenbarung als wirklich vorhanden an.

Aber wir wissen, jedes

besondere Gotteswort, wie es in der Geschichte ertönte und etwa in einer heiligen Schrift in den Buchstaben gefaßt ist, es ist durch das menschliche

Denken hindurchgegangen und hat die Hülle des menschlichen Wortes an­ gezogen, es ist im Innern des Menschen empfangen und dann geboren, indem des Menschen Geist, eben so fromm sich hingebend wie sittlich selbstthätig, die Einwirkung des heiligen Geistes auf sich erfahren hat. Wir finden das Licht der göttlichen Offenbarung in heiliger Schrift; aber nicht als das ursprüngliche, sondern als das im Spiegel eines bestimmten menschlichen Gemüthes reflektirte Licht, so daß eö damit je nach der Be­ schaffenheit dieses Gemüthes auch in bestimmter menschlicher Färbung, natürlich da und dort auch in menschlicher Trübung erscheint. Wo danach aber Gotteswort in der Bibel steht? welche Aussprüche es in sich schlie­

ßen? — Ja, da gilt eS für jeden, der aus der Wahrheit ist, der das

Streben nach Wahrheit nicht in sich durch Selbstsucht vernichtet, daß er mit eignen Augen sehe, mit eignen Ohren höre, mit eignem Gemüthe ver-

24 stehe, daß er sich eben bei gewissenhafter Lesung und Prüfung durch Got­

tes Geist bezeugen lasse, was grade hier und dort Gott zu ihm spricht. Wer diese geistige Arbeit scheut, dem kann immerhin die Wahrheit als

fertiges, irrthumloses Lehrshstem in den Schooß geschüttet, oder in den Verstand und das Gedächtniß hineingetrichtert werden; weder den Frie­ den noch die Kraft zur Heiligung wird er dadurch gewinnen. In die­ sen Andeutungen liegt, was schon vielfach ausgesprochen ist, daß uns die Bibel nicht ist ein Kodex, eine Gesetzsammlung der irrthumslos zusammen­ gestellten Wahrheiten des christlichen Glaubens und Lebens, aber dennoch

eine Quelle der Wahrheit und des Lebens.

Was ist sie uns nämlich?

Kurzweg: sie ist uns die Sammlung derjenigen unschätzbaren, schriftlichen

Urkunden, welche etwa in einer Reihe von 15 Jahrhunderten entstanden, die geschichtlichen Zeugnisse über die Heraus- und Heranbildung der wah­ ren Religion in der Menschheit, über die allmählig fortschreitende Entfal­

tung der göttlichen Offenbarung für unser Geschlecht enthalten.

Wahre

Religion und göttliche Offenbarung, menschliche, geistige Thätigkeit und

göttliche Gnadenwirkung, das Eine nicht ohne das Andere, beides die zwei Pole derselben Einheit! Es steht hier Alles unter der Regel des Spruches: Nahet euch zu Gott, so nahet er sich zu euch!

Darin liegt die unendlich

hohe Bedeutung der heiligen Schrift zugleich mit ihrer Einschränkung. Das sich Gott Nahen hat seine Stufen, hat seine Gradunterschiede; so auch das Nahen Gottes zu den Menschen, damit auch die Mittheilung seines Lichtes. Das noch nicht völlig Genahtsein hat nämlich seinen

Grund in dem dunklen kleineren oder größeren Rest der Selbstsucht und

Sünde, in einer theilweisen Unreinheit. Nur der völlig Gott genahte, der völlig reine Geist kann völlig rein und ungetrübt Gottes Licht, die gött­

liche Offenbarung in sich aufnehmen und von sich wieder rein ausstrahlen lassen.

Wie lebendig die Frömmigkeit der heiligen Männer vor dem Er­

löser auch sein mochte;

die volle Einheit ihres Geistes mit Gott hatten

sie nicht errungen, die ans der Selbstsucht immer wieder aufsteigende Verdunklung ihres Geistes nicht überwunden. So mußte sich bei allem Licht der Gotteswahrheit, dessen Träger sie für ihr Volk wurden, auch

noch trübender Irrthum bei ihnen finden. Wie tief die Apostel aus dem Born der Gnade geschöpft hatten, wie sehr sie sich in der Gemeinschaft des Erlösers zu einer wunderbaren Höhe heiligen Lebens emporgeschwungen

hatten;

sie bekennen doch, daß sie es noch nicht ergriffen hätten, noch

nicht vollkommen wären in der Heiligkeit; so sind auch sie nicht über die

Möglichkeit des Irrens völlig hinaus gekommen.

Als aber einst nach

der Entwicklung von Jahrtausenden die Zeit göttlicher Vorsehung gemäß sich erfüllt hatte, da trat die über Alles hinausragende, wunderbar herr­ liche Gestalt Jesu von Nazareth auf den Plan. Wenn ich ihn indeß von

25 vorn herein so als wunderbar herrlich Hinstelle, so habe ich dabei nicht so­

wohl die äußeren Thatsachen, welche man Wunder zu nennen Pflegt, son­ dern vielmehr seine Persönlichkeit im Äuge. Hier eine Tiefe, eine Rein­

heit, eine Vollendung in der Auffassung des Sittlichen, daß auch heut von gegenseitigen Standpunkten aus dieselbe anerkannt wird! Hier aber zugleich

diese Erfassung reiner Sittlichkeit vollständig im Thun realisirt, inneres und äußeres Leben geworden. Hier das reine Herz, darum hier das Schauen der Gottheit. Hier die wahre Religion auf ihrem höchsten Gipfel in reinster Schönheit, hier die göttliche Offenbarung zur fleckenlosen beseli­ genden Klarheit geworden! Darum gilt von ihm sein Wort: „Ich bin das Licht der Welt."

Darum will er nur allein der Meister für seine Jün­

ger sein und kennt keine Stellvertretung, die ihn ersetzen könnte. Darum will Paulus weder an sich, noch an Petrus, noch an Apollo binden, son­ dern weist die Christen auf den alleinigen Grund des Heils und der Wahr­

heit, welcher gelegt ist, auf Christum.

Das ist eS, was Luther mit dem

gesunden Takt seines Geistes ergriffen hatte und was er auf die heilige

Schrift thatsächlich anwendete. Seine freien Urtheile über die biblischen Schriften fällt er nach dem Maaßstab, den er an Christo hat und äußert sich gelegentlich dahin, daß, wenn die Gegner sich auf Worte der heiligen

Schrift gegen Christum stützten, er sich auf Christum auch gegen die Schrift

stützen wolle. Unzweifelhaft gelten bei solchen Ansichten die biblischen Bücher als Erzeugnisse menschlicher Geistesthätigkeit und werden demgemäß auch als solche behandelt und gebraucht.

Ob aber dabei die Bibel ihren

Werth, ihre hohe Bedeutung verliert?

Ich denke bei aller Freiheit der

geschichtlichen Forschung und der Kritik bekommt jeder ächt protestantische

Mann über die heilige Schrift erst recht das Urtheil:

Hier ist heiliger

Boden. Hinein tritt er in die Hallen der heiligen Schrift wie in den erhabensten, großartigsten Dom, der in allen seinen Theilen von der An­ betung Gottes im Geist und in der Wahrheit wiederhallt. Haben auch

Menschenhände ihn gebaut, hat auch der Geist der Menschen für die ein­ zelnen Theile den Plan entworfen, den Grundriß gezeichnet und die Aus­ führung bewirkt; Gottes Geist hat auf das Sichtbarste dabei gewirkt und seine Gnade hat leitend und segnend ob des Baues gewaltet.

Der

Odem des Geistes und der Gnade Gottes wehet hindurch durch den gan­ zen Bau und labt und belebt, beseligt und heiligt alle, seine Hallen be­

tretenden, für Wahrheit und Heil empfänglichen Menschen.

Was stört da

das hier und dort in der Ausführung hervortretende menschliche Unvoll­

kommene? Wen erfaßt nicht immer von Neuem mit lieblicher wunderbarer

Gewalt gleich der Eingang, der heilige Mythus über die Schöpfung der Welt, um so mächtiger wirkend auf das Gemüth, je weniger man ihn

auffaßt als äußere, buchstäbliche Geschichte, je mehr man in ihm sieht das

26 erste herrliche Glaubensbekenntniß der werdenden Gemeine deß Einen Got­

tes, Schöpfers Himmels und der Erden? Wer, wenn er sich in das über die Schöpfung des Menschen und über den Sündenfall Erzählte vertieft, staunt nicht über die tiefe, klare Erfassung der Grundlagen aller Sittlich­ keit, über den klaren Blick in das Wesen aller menschlichen Sünde! Wer wird, wenn er die mosaische Gesetzgebung verfolgt, nicht eben so durch

den gewaltigen, heiligen Ernst, wie durch die hindurchblitzenden Lichtblicke der Humanität in derselben erhoben! Wer erkennt es nicht an, daß edle Vaterlandsliebe hier erst im lebendigen Verhältniß zur Gottheit ihre Weihe

und volle Kraft gewinnt, zugleich darin aber auch das allerdings noch ver­ hüllte Gegengift gegen alle sündige Ueberspannung und Verzerrung des

Patriotismus, womit er sonst im Alterthum behaftet ist, in sich trägt?

Wer verfolgt nicht, dadurch zur Andacht gestimmt, alle leuchtenden Strah­ len heiliger, göttlicher Regierung durch die Geschichte des Volkes und Ein­

zelner im Volke, wie sie auch aus allem Dunkel immer wieder hervor­ brechen? Wer lernt an den ungeschminkt geschilderten Sünden auch der

Frommen nicht im eignen Herzen lesen, um die tiefsten Bedürfnisse dessel­ ben zu begreifen? Wen erfaßt nicht die tief poetische Sprache lebendiger Frömmigkeit in den Psalmen, da wo sie im Lobe jubelt, in der Noth klagt und doch in Ergebung sich faßt, aus der Tiefe des Sündenbewußtseins

heraus seufzt und doch wieder zur frohen Hoffnung auf das Heil aus der

Höhe sich emporschwingt? Wer begleitet die Entwicklung kräftiger Weis­ sagung, wie sie mehr und mehr irdischer, sinnlicher Bestandtheile sich ent­ ledigt, bis sie auf ihrem Gipfel den durch Leid und Tod, durch Hin­ gebung und Aufopferung siegenden Gottesknecht malt, wie er durch seine Wunden die Krankheit seines Volkes heilt, wer begleitet sie nicht mit from­ mem Dank für allen göttlichen Trost?

Ich stehe still und schweige von

dem Allerheiligsten, wie der zerrissene Vorhang uns das lebensvolle, wahr­

haftige Bild des Menschen- und Gottessohnes erblicken läßt, schweige von

der unergründlichen Tiefe, wie sie sich mit der heiligen Mystik eines Jo­ hannes, mit der scharfen Dialektik eines Paulus verbindet! Genug, wenn

ich die altorthodoxe Lehre von der Inspirazion, die Ansicht, daß Gottes Wort und der Buchstab der Bibel zusammenfallen, daß ohne Weiteres jeder biblische Ausspruch fertige, unfehlbare Wahrheit ist, aus innerem

Wahrheitssinn verwerfen muß;

wenn ich die menschliche Entstehung der

biblischen Bücher, damit auch Irrthümliches in denselben anerkenne; den­ noch strahlt mir das volle Licht der Gotteswahrheit hier entgegen, und was dem wahren Frieden und meiner Heiligung dient, wird mir hier lauter

gewährt, wenn ich im lauteren Sinn, wenn ich in der Aneignung des denkenden, gläubigen Geistes hier schöpfe! Daran soll mir genügen, mag immerhin aus jenem Lager wieder und wieder das Anathema ertönen. —

27 Das herrliche Dokument neuster Ketzerrichterei stellt als zweiten Hauptsatz auf: „Wir glauben mit der gesammten Christenheit ans Erden an Gott den Allmächtigen, Schöpfer Himmels und der Erden, an den Gott, der Wunder thut." Fragen wir den Protestantenverein: Glaubst

du das? so muß er ehrlicher Weise antworten: Nein!

Denn nach seiner

Meinung haben die Naturwissenschaften das Weltbild der biblischen Schrift­ steller durch ein anderes ersetzt, in welchem für das durch die Weltgesetze durchbrechende Wunder keine Stelle blieb. Das Wunder zu leugnen, ist

aber dem nur niöglich, in welchem der Glaube an einen persönlichen Gott,

der Wunder thut, nicht mehr lebendig ist."

Wunderbare Rede, nämlich

wunderbar unbedacht und unbesonnen! Das eigentliche Bekenntniß ist hier so einfach, so sehr in allgemein angenommener Sprache ausgedrückt, daß

der Protestantenverein trotz des Satzes „der Wunder thut," in ehrlichster Weise dasselbe sich aneignen kann.

Atheisten, so viel ich weiß, suchen den

Verein nicht. Was hätten sie auch für ein Interesse an demselben, da es sich doch jedenfalls bei ihm um Kirche und Frömmigkeit handelt. Es ist eine eben so kecke, wie unbesonnene Insinuazion, wenn dem Verein auch in diesem Punkte der Glaube abgesprochen wird. Freilich, wer merkt eö nicht, es dreht sich dabei doch eigentlich Alles nm den Ausdruck Wun­ der.

Aber die Herren mögen zusehen, ob sie sich hier in Gedankenlosig­

Bei ihnen, so will es mir wenigstens scheinen, gibt es nur Wunder, wenn eine andere Reihe von Ereignissen

keit nicht selber gefangen haben.

und Thatsachen

nicht Wunder sind, nicht ein wunderbares Gepräge an

sich tragen. Sie sprechen nun, fast möchte ich sie darum loben, nur von Wundern, welche von Gott ausgehen und gewirkt werden. Da merke man auf die Zusammenstellung: „Der allmächtige Gott, der Wun­

der thut."

Wer ist denn der Allmächtige? Ohne Zweifel, der Alles

macht, der Alles bewirkt.

Nun Alles in Natur und Geschichte, was sich Und ein Theil dessen

begibt, geschieht danach durch göttliche Wirksamkeit.

sollte nicht wunderbar sein, sollte nicht meine Verehrung und meine Anbe­ tung wecken? Mir ist Alles Wunder, was ich der allgegenwärtigen Wirk­

samkeit des lebendigen Gottes zuschreiben muß, Alles, was der ewige Wille Gottes als des Urgeistes setzt und gestaltet. Es ist mir Wunder, denn es geht stets über all mein Begreifen und Verstehen hinaus. Also in jedem hervorsprießenden Grashalm, in jedem Hervorbrechen des Lebens, in je­ der Auflösung desselben auf dem Gebiet der Natur, in all den stillen und

doch oft so tief wirkenden, in all den großartigen Erscheinungen der Kräfte

in der Welt, eben so in jeder Regung des frommen Gefühls und der Liebe in der Menschenbrust, ja bei jedem Vollbringen des Bösen durch Menschenhand, in dem ganzen Verlauf aller Völkergeschichte tritt mir das Walten des ewigen Urgeistes entgegen und führt mich zu dem anbetenden

28 Wort: „ Du bist der Gott, der Wunder thut."

Will es mir aber hier

oder dort im ungeheuren Gewoge nicht gelingen, die durch Alles hindurch­ tönende Stimme des Ewigen gleich zu vernehmen, in diesem oder jenem Ereigniß den Finger der allweisen Gottesregierung gleich zu erblicken; ich weiß, das liegt nicht daran, daß Gott hier schwiege und thatlos ruhte,

sondern es liegt an der Beschränktheit und Schwäche meines geistigen Ohres und Auges. Mit der Energie des Glaubens ergreife ich aber auch

in solchen Fällen das Unsichtbare als wäre es mir schon sichtbar, bin ich auch da seiner gewiß. Allenthalben also umgeben mich die Wunder mei­ nes Gottes. Die Gegner aber stehen einer Denkungsweise sehr nahe, die

sie auf's Stärkste verabscheuen, dem sogenannten Deismus. Diesem ge­ mäß hat Gott einst in unvordenklicher Zeit die Welt geschaffen, ihr alles

Gesetz und alle Kraft eingehaucht und nun thront er seither in unendlicher

Erhabenheit vollster Ruhe, völlig abgezogen von der Welt. Die Welt aber, etwa wie eine treffliche Maschine, bewegt sich dnrch ihre Kräfte und nach ihren Gesetzen selbstständig fort. So thront denn Gott im Jenseits für sich ohne die Welt; so ist die Welt voll Bewegung und Leben im

Diesseits ohne Gott. Verwandtschaft.

Damit, wie gesagt, hat der Gegner Denken viel

Das sogenannte Natürliche in der Natur und Geschichte

gehört nach ihnen eben nur der Natur an, nicht der lebendigen, gegen­ wärtigen Wirksamkeit Gottes! Gott ist auch so von Natur und Menschen­

geschlecht geschieden.

Aber die Maschinerie kommt hier und da in Unord­

nung, die Geschöpfe vergessen ihrer Bestimmung und bewirken wesentliche Störungen, da greift dann der ewige Gott außerordentlich aus dem Jen­ seits her ein, stellt wieder her und bringt seinen Willen der Natur zum

Trotz zur Vollziehung, da müssen eben die Kräfte und Gesetze der Natur

dem unmittelbaren Wirken Gottes weichen, sie werden

aufgehoben

und hier allein ist nach der Anschauung der Gegner die Stätte des

Wunders.

Mich will bedünken, daß ein so gefärbter Glaube weder der

Klarheit, noch der Tiefe, noch der Kraft sich zu rühmen, sonderliche Ursach hätte. In der That zu merkwürdig, daß grade dieser Punkt von den Her­

ren herausgegriffen ist. So viel sonst allenthalben die Orthodoxie von Wundern spricht; so wenig hat sie sich bemüht, einen scharfen und festen

Begriff von denselben zu geben, ja so mannichfach scheinen hier und dort die gegebenen Bestimmungen aus einander zu gehen. Vielleicht ist als das Allgemeingültigste am Richtigsten noch anzugeben, daß das ächte Wun­ der zuerst nicht, wenigstens nicht allein, aus der Natur hervorgegangen, nicht das reine Ergebniß ihrer Kräfte und Gesetze ist, sodann daß es Gott selbst gewirkt hat. Aber wer bei lebendigem Glauben zu denken gewohnt

ist, der wird gewiß auch hier zu dem obigen Resultat, daß alles Wunder

29 ist, gelangen.

Die Entwicklnngsknoten in Natur und Geschichte, wie aus

ihnen eine ganz neue Gestaltung hervorgeht, treten nach jenen Bestim­

mungen besonders unter dem Schein und Licht des Wunders uns entge­ gen. Vergleiche die regelmäßig, schön gebildeten Krystalle im Gegensatz zu dem, ich möchte sagen, rohen Gestein, zu der chaotischen Masse der

Erdschichten, vergleiche die fröhlich die Erdrinde durchbrechende, dem Licht entgegenstrebende, sich zur schönen Gestalt im saftigen Grün entfaltende, liebliche Blumen und Früchte erzeugende Pflanze mit dem in der Erde

Tiefe und Finsterniß gebannten und verschlossnen Krystall, vergleiche das im frischen Lebensgefühl froh und frei über den Erdboden sich dahin be­ wegende Thier mit der an dem Boden fest gebundenen Pflanze, vergleiche

den Menschen, wie in ihm der Geist seiner selbst bewußt wird und den­ kend die Natur durchdringen und beherrschen lernt, wie er ein neues Le­

ben der Sittlichkeit zu gestalten befähigt und berufen ist, mit dem Thier, von dunklen Naturtrieben beherrscht und der Macht der Sinnlichkeit allein

unterworfen, vergleiche, um nur noch Eins zu erwähnen, die hohe, heilige Gestalt Jesu von Nazareth in dieser fleckenlosen Reinheit des Lebens, in

dieser lebensvollen Einheit mit Gott, vergleiche ihn mit dem ganzen frü­ heren Menschengeschlecht, das bei mannichfachen Regungen und Strebun­

gen zum Guten und Göttlichen doch immer wieder aus Sünde in Irr­

thum, aus Irrthum in Sünde sich verlor; o auf allen diesen Punkten bekennst du: die neue Stufe des Seins oder Lebens will sich mir aus der vorigen nicht erklären. Ich kann bei der Natur nicht stehen blei­ ben, sondern muß zur Gottheit und ihrem schöpferischen Walten zurück. Ich habe hier das über die Natur Hiuausgehende, das von Gott Gewirkte;

also das Wunder. — Sehr gut, so weit es die menschliche Beobachtung

angeht, die eben, um wahrzunehmen, so besonders in die Augen fallender Aber erhebt sich der Mensch zum folgerichti­ gen Denken und starken Glauben, dann wird er dessen inne, was der Entwicklungspunkte bedarf.

oberflächlichen Beobachtung entgeht, daß nämlich nichts aus der Natur und ihren Kräften und Gesetzen an sich hervorgeht, sondern Alles und Jedes zugleich durch den allgegenwärtigen, Alles durchdringenden und erfüllenden

Gott, so wohl das, was sich dem Blick unsers Geistes zeigt, wie das, was sich demselben entzieht, kurz daß eben Alles Wunder ist.

Freilich ge­

hört dazu als andre Seite, daß Gott nichts außer der Natur, außer dem Zusammenhänge mit der gesammten Welt, außer den von ihm ausgehen­ den Gesetzen und Ordnungen wirkt, daß also von einem die Welt Durch­

brechen im eigentlichen Sinn nicht die Rede sein kann. Doch bleiben wir, etwa wie die Gegner es sich vorstellen, einmal

bei dem Begriff des Wunders in dem Sinne, daß sich dasselbe von na­ türlichen Erscheinungen unterscheidet.

Wer hat denn da die Schärfe des

30 Geistes, die Tiefe und den Umfang des Blickes, um uns nachzuweisen,

wo das Wunderbare beginnt und wo eS aufhört? Wer dürfte sich dessen rühmen, daß er den Umfang der Gesetze der Welt und der Natur in

ihrer Tiefe erfaßt hätte? Wer könnte sagen, wie weit sie reichen, wie weit nicht? Bei allem Fortschritt in der Erkenntniß der Natur ist uns, behaupte ich kühn, auch noch nicht einmal annähernd ein klares, umfassen­

des Wissen darüber gegeben.

Ja so manche Theologen und Naturfor­

scher wissen in ihrer Weise unendlich viel, und wenn man's bei Licht be­

sieht, doch recht sehr, sehr wenig.

Um festzustellen, was über diese Welt,

über die Natur, ihre Kräfte in einzelnen Fällen hinausgeht, was also in diesem Sinn Wunder wäre, dazu reicht das Vermögen beider Klassen der

Gelehrten mit all ihrer Gelehrsamkeit keineSwegeS hin.

Wie mißlich es

aber mit der Auffassung des Wunders ist, die auf das „Gegen die Na­

tur" basirt, das fühlte ein Vater der Orthodoxie, freilich geist- und le­ bensvoll wie wenige, Augustin. Ihm kann nichts gegen die Natur sein, was überhaupt durch Gottes Willen ist. DaS Bestimmte des göttlichen Schöpferwillens ist ihm eben die Natur jedes Wesens.

Gott hat auch Nur uns,

in allen Wundern nach ihm nichts gegen die Natur gemacht.

nicht Gott erscheint das uns Ungewohnte gegen die Natur. So haben in

seinem Geist viel orthodoxe Denker das „Gegen die Natur" gescheut

und vermieden und sind bei dem „ Ueber die Natur" stehen geblieben.

Unsre verdammenden Herren offenbar nicht. Sie meinen die Ehre des Wunder thuenden Gottes nur retten zu können, wenn bei ihnen als Grundsatz gilt: Credo, quia absurdum est, „ Ich glaube es, weil es Narrheit ist." Oder was hat es mit dem „die Weltgesetze durchbrechen­ den Wunder," von dem sie reden, für eine Bewandniß! „Die Weltge­ setze," von wem mögen sie denn herrühren? Wie hoch die Herren auch sonst vom Teufel halten, ich glaube doch nicht, daß sie diese Gesetze dem

Fürsten der Finsterniß zuschreiben, ich traue es ihnen fest und gewiß zu, daß sie die wirklichen Gesetze der Welt für nichts Anderes halten, als für die geistigen Ordnungen der ewigen Weisheit, Macht und Liebe, welche

diese allem Sein in seiner Gesammtheit und in seiner Besonderheit be­ stimmt.

Ob diese Gesetze nun nicht als ihren Ausdruck und Inhalt die

göttliche Weisheit und Liebe in sich tragen, ob Gott sie anders als voll­

kommen geben könne, ob das denn Gott möglich ist, seine heilige, weisheitsvoüe Liebe zu durchbrechen und damit theilweise aufzuheben? Ja, wer das so annimmt, der verlegt doch eigentlich das Absurde selbst in die

Gottheit. Aber möchten die Herren immerhin etwas verwirrt in ihrer Gedankenbildung sein, was schadete es? Dabei wäre die volle Möglich­ keit gegeben, daß sie mit ihrem ganzen sonstigen Leben als treffliche Jün­

ger Christi sich bewähren könnten.

Der Protestantenverein strebt aller-

31 dings pflichtmäßig nach immer mehr Acht in gläubiger Erkenntniß, nach

der Vermittlung des Christenthums mit allem ächten Wissen und Forschen, mit aller ächten geistigen Bildung; aber weit entfernt ist er, wegen man­ gelhaften Wissens und unklaren Denkens ächte Christen von sich auszuschlie­ Ja diese Herren sind von ihm geschieden, nämlich sie scheiden sich selbst von ihm, nicht aber durch ihre eigenthümliche Glaubensansichten, ßen.

sondern durch den Stolz und die Herrschsucht ihrer Rechtgläubigkeit.

Die Herren bekennen weiter ihren Glauben „an Jesum Christum, wahrhaftigen Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren und auch wahrhafti­ gen Menschen von der Jungfrau Maria geboren, den Gekreuzigten und

Auferstandenen, unsern Versöhner und Erlöser." Es folgt das gleiche Manöver wie früher. Der Protestantentag kann dazu ehrlicher Weise nur „Rein" sagen; denn „er befinde sich ja nicht in der Lage über die Person und Bedeutung des historischen Christus eine gemeinsame Auf­

fassung kundgeben zu können."

Aber damit sind die Herren noch nicht

zufrieden, sondern sie meinen, der Verein sei darin einig, „daß Christus

jedenfalls nicht wahrhaftiger Gott, nicht gleichen Wesens mit dem Vater

ist."

Woher wissen sie denn das?

Wo hat der Verein erklärt, daß An­

hänger der Nizäischen und Chalzedonensischen Formel über die Person Christi in seiner Mitte kein Recht und keinen Platz in Anspruch nehmen

dürfen? Grade, weil er keine „gemeinsame Auffassung" über die Per­ son des Erlösers kundgeben kann, gestattet er innerhalb seiner Grenzen

die volle Mannichfaltigkeit der Auffassungen etwa vom Chalzedonensischen Konzil bis hin zu dem ehrlichen Razionalismus.

Rur, wie schon bei vo­

rigem Punkt bemerkt ist, die stolzen Geister, welche nicht nur von der

Untrüglichkeit ihrer Ansichten überzeugt sind, sondern dieselben auch allen Christenmenschen als Joch aufzulegen streben und alle Abweichende als Ungläubige verdammen, diese Stolzen, gleichviel ob Razionalisten oder Supranaturalisten, ob Orthodoxe oder Heterodoxe, finden allerdings im

Verein keine Stelle.

Ihr Hochmuth eben hält sie geschieden.

Darf ich

einen Namen bei dieser Gelegenheit nennen, so ist es der Baumgartens.

Wie dieser überhaupt in der Lehre möglichst orthodox ist; so wird er es auch in Betreff der Person Jesu sein. Und warum sitzt er nicht an der

Seite der Herren auf der Lutherischen Pastoralkonferenz, warum spricht er nicht mit ihnen zugleich das Anathema über den Protestaiitenverein? Warum ist er im Gegentheil ein eifriges und thätiges Mitglied desselben? Weil er wohl mit seiner Vernunftthätigkeit das orthodoxe System als das nach seiner Ueberzeugung der Wahrheit am Nächsten kominende sich an­

geeignet hat, weil er aber noch vielmehr mit seinem ganzen inwendigen Menschen Jesum Christum in sich ausgenommen hat, weil ihm das Chri­ stenthum Leben ist und weil ihm so Demuth, volle Wahrhaftigkeit und die

32

die Freiheit und das Recht der Glieder und der Gemeine Christi ehrende Liebe das Erste und Letzte, das Höchste und Tiefste bleibt. Wie er selbst sagt, so wird er im Verein, was die Dogmatik an geht, eine ziemlich iso-

lirte Stellung haben, dennoch ist er eine Zierde desselben und steht ganz in der Tiefe seines Geistes und Wesens. Manche dogmatische Differenz mag auch zwischen mir und ihm walten, dennoch bekenne ich gern, ich fühle

mich keinem Gliede des Vereins näher, weihe keinem mehr Achtung als diesem treuen, wirklichen Bekenner seines Heilandes.

Aber eben deshalb

will ich für meine Person an diesem Orte weder hinter seiner Rechtgläu­

bigkeit, noch hinter der Weite und Mannichfaltigkeit des Vereins meine

Ueberzeugung verhüllen.

Wenn die Herren Tauscher und Genossen mit

ihren Bekenntnißsormeln anrücken

und mit ihrer Frage:

„Glaubst du

das?" so antworte ich mit voller Offenheit: „Nein, gewiß wenigstens nicht so, wie

ihr!"

Nur Einiges zur Erläuterung.

„Christus wahrhaftiger

Gott," „gleichen Wesens mit dem Vater," das ist ihr Bekenntniß, das sprechen sie unserm Verein ab.

Mit diesem

„gleichen Wesens" sind

wir zurückversetzt in die dogmatischen Streitigkeiten und Spaltungen des

dritten, noch vielmehr des vierten Jahrhunderts, die wahrlich vielfach kein erbauliches Bild uns zeigen. Ob Christus dem Vater „wesens gleich" oder „wesens ähnlich" ^6[tooiotog-onoioi5oiog) war, das war der die Einheit der Kirche zerreißende Gegenstand des Streites.

Nun, im dritten Jahr­

hundert spricht sich eine hochansehnliche Kirchenversammlung Kleinasiens entschieden für das „wesens ähnlich" aus und verwirft das „wesens gleich"

als dem lauteren Christenglauben nicht entsprechend.

Das berühmte Kon­

zil von Nicäa aber (325) stieß jenen Satz nm, erklärte den Sohn für „wesens gleich" mit dem Vater, und verurtheilte alle, welche bei dem

„wesens ähnlich" stehen blieben. Seit der Zeit gilt die Wesensgleichheit des Sohnes mit dem Vater als nothwendiges Stück der Rechtgläubigkeit. Woher der Beschluß des hochheiligen Konzils? Ohnstreitig ist er eingege-

beu vom heiligen Geist, werden die Herren von der Berliner Pastoral­ konferenz uns sagen.

Ja, wenn nur nicht die böse Geschichtsforschung

wäre, die, wenn auch nicht alle, so doch manche Geheimnisse an's Licht bringt!

Diese belehrt uns denn auch hier, wie es so außerordentlich, nicht

nur menschlich, sondern weltlich auf der heiligen Synode einst zuging.

Die große Majorität der Bischöfe war den eifrigen Kämpfern auf den beiden Seiten des Streitfeldes nicht geneigt, wollte nicht für das eine oder andere Schlagwort sich entscheiden, wollte in mehr allgemeinen und

biblischen Ausdrücken ein möglichst vereinigendes Bekenntniß abfassen.

Aber

der Kaiser war von der einen Partei für das „wesens gleich" gewonnen. Der Kaiser forderte und gebot ■— und die hochansehnliche Synode ge­ horchte widerwillig mit sehr geringer ehrenwerther Ausnahme dem Macht-

33

gebot.

Also der Kaiser vertrat die Stelle des heiligen Geistes?

war dieser Kaiser?

Und wer

Freilich ein Mann, dem bei seinen Lebzeiten der kläg­

lichste Servilismus von Seiten der Bischöfe entgcgenkam und ihn im Na­ men des Christenthums mit dem betäubenden Weihrauch der Schmeichelei

umnebelte, der nach seinem Tode von Christen oft fast heilig gesprochen Es war ja der erste vom Heidenthum zum Christenthum übergetretene Kaiser. Freilich, wie viel die Religion, wie viel die Politik worden ist.

an diesem Schritt Theil hatte, wie viel Glaube und wie viel Aberglaube

sein Christenthum in sich schloß, das läßt sich schwer herausstellen. Aber das steht unwiderleglich fest, daß wie er selbst durch Lebensunterhalt, durch Verwendung und Schutz, durch freundliche Aufnahme, durch Ehrengeschenke

zum Christenthum hinübergeführt wissen wollte, daß so unter seinem Re­

giment die Zeit unbeschreiblicher Heuchelei und unwürdigsten Sklavensinnes

in der Christenheit anbrach, daß von da ab auf das Widerwärtigste die Glaubensstreitigkeiten geführt wurden und am Hof häufig durch ränke­ süchtige, sittenlose Weiber und Eunuchen ihre Entscheidung fanden.

Das

steht fest, daß dieser erste Bekenner auf dem Thron seinen eignen Schwa­ ger, als er ihn in Gefangenschaft bekommen hatte, treulos und unedel-

müthig hinrichten ließ, daß er eben so mit dessen Sohn, dem Sohn seiner­ eignen Schwester, verfuhr. Ja das steht geschichtlich fest, daß er als äch­ ter Despot

aus Mißtrauen

und Argwohn

heraus der Mörder seines

eignen Sohnes wurde, um dann wieder die eigne Frau im glühenden Bade tobten zu lassen. Das ist der heilige Mann, durch ihn ist die We­ sensgleichheit Christi als christliche Rechtgläubigkeit aufgerichtet, während

bis auf ihn hin dieselbe viel eher für ketzerisch galt.

Aber lassen wir diese Entstehung der rechtgläubigen und dann rechts­ verbindlichen Formel in der Christenheit auf sich beruhe» und gehen zu

de« Vertheidigern

der „ Wesensgleichheit"

und

der „ Wesensähnlichkeit

Christi," um die Gründe für das Eine und das Andere zu hören und

dann geistig abznwägen. Ja manchem ehrlichen Christenmenschen dürfte es dabei begegnen, daß ihm nur das Wort aus dem Faust bliebe: „Mir wird von alle dem so dumm, Als ging mir ein Mühlrad' im Kopf herum."

Weder Erleuchtung noch Erbauung nähme er mit hinweg.

Wieder ein

anderer dürfte jenem Richter gleichen, der jeder Partei, wie er sie und sie allein hört, völlig das Recht zusprechen muß.

Ist es dasselbe Wort,

welches verschiedene Menschen im Munde führen, wie verschiedene Fär­ bung, wie verschiednen Gehalt der Bedeutung nimmt es oft bei den verschiednen an!

Das „wesens gleich" sollte alle arianisch Gesinnte ans der

alten Kirche schließen.

Sehr bald hatten die mehrsten derselben, die so­

genannten Semiarianer, sich mit der Formel zurecht gefunden. Nun heute 3

34 trifft es nach der Meinung der Orthodoxen wenigstens unsre Razionali-

sten tödtlich.

Ich aber sehe nicht ein, warum es ein ehrlicher Razionalist

nicht bestens akzeptiren könnte.

Wer will ihn der Unehrlichkeit, der Un­

wahrhaftigkeit bezüchtigen, wenn er sagt:

Nach dem Neuen Testament ist Nun Christi Eigenthümlich­

das ureigentliche Wesen Gottes die Liebe.

keit besteht ja grade darin, daß sein ganzes Fühlen, Denken, Wollen und Thun, ja sein Leben und Sterben in heiliger Liebe aufging. Diese Tiefe, Unendlichkeit, Unüberwindlichkeit der Liebe ist es, welche ich als sein We­

sen klar erkenne, welche mir ihn zum Gegenstand innigster Verehrung und Hingebung macht.

So ist er aber auch vermöge dieser Liebe dem Vater

nicht nur wesens ähnlich, sondern wesens gleich. Gegen solche Auffassung suchen sich die Gegner freilich durch das „wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geboren" zu schützen. Werden wir ihnen gerecht und sehen wir gnaner zu, was sie darunter verstehen. Als die ächten Söhne der Rechtgläubigkeit binden sie sich und wollen alle andern binden nicht nur an Nicäa und Chalzedon, sondern natürlich auch

an das, was die Luthersche Orthodoxie weiter hinzugefügt hat.

Danach

ist ihnen in Christo die göttliche und die menschliche Natur „unvermischt

und unverwandelt, unzertrennt und ungesondert" zu einer Person ver­

einigt.

Die göttliche Natur ist aber eben die zweite Person aus der Gott­

heit, aus der heiligen Dreieinigkeit, ist allmächtig, allwissend, allgenngsam wie der Vater, von Ewigkeit her mit die Welt schaffend und regierend.

Der menschlichen Natur in Jesu wird zwar nicht die Persönlichkeit aus­ drücklich zugeschrieben, doch aber Wille, Verstand, Vernunft, Selbstbewußt­ sein, wie ja ohne dieselbe auch von einer vollen, wirklichen menschlichen

Natur nicht die Rede sein könnte.

Beide, göttliche und menschliche Natur,

theilen ihre Eigenschaften einander mit, wie denn daher die Möglichkeit

der Allgegenwart des Leibes Christi und damit seine wirkliche Gegenwart im Brode bei jeder Abendmahlsfeier nachgewiesen wird. folgt, daß am Kreuze auch Gott für uns gestorben ist.

Eben daraus

Christi Tod ist

Gottes Tod, und nur wenn Gottes Tod in der Waage liegt, fährt unser Heil in die Höhe.

So singt man denn höchst rechtgläubig und erbaulich:

„O große Noth! Gott selbst ist todt." Nun dieser offen sich aussprechenden Orthodoxie setze ich gern mein eben so offnes nnd ehrliches „Nein" entgegen. niß für das Wort des Paulus:

Welt mit ihm selber," auch für das:

Fülle der Gottheit leibhaftig." in das Johanneische:

Ich habe ein Verständ­

„Gott war in Christo nnd versöhnte die „In ihm (in Jesu) wohnte die

Ich kaun mich mit sinnender Andacht

„Das Wort ward Fleisch" vertiefen.

Auch nicht

weniger gilt mir, was im vierten Evangelio uns als eignes Wort des

35 Erlösers gegeben wird: „Ich und der Vater sind Eins," „Wer mich sie­

het, der siehet den Vater." Aber bei der entfalteten Kirchenlehre, welche zwei Persönlichkeiten (so verhält es sich doch der Wahrheit nach) zn einer Person verknüpft, welche diese Persönlichkeiten oder Naturen „unvermischt und unverwandelt, ungetrennt und ungesondert" zusammenschmilzt, welche

die Person Jesu mit Allmacht, Allwissenheit rc. behaftet, nur daß dieselbe diese göttliche Majestät während des irdischen Lebens „heimlich gehalten," welche Gott selbst am Kreuz bluten und sterben läßt; ja bei dieser Lehre geht für mich alles Verständniß, alle Andacht, alle Erbauung zn Ende. War die allwissende, allmächtige, allgenugsame zweite Person der Gottheit

in Jesu

vom Anfang bis zum Schluß seines Lebens „ungetrennt" mit

der menschlichen Natur geeinigt, dann sehe ich nicht, wie noch von einem

Zunehmen an Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen die Rede

sein konnte. Ich begreife ferner nicht, wie menschliche Bedürfnisse, Leiden und Lasten für ein solches Wesen irgend welche Bedeutung haben konnten, wie es möglich war, daß er im tiefen Angstschmerz seufzen konnte: „Meine

Seele ist betrübt bis in den Tod!" oder sagen konnte: „Wie ist mir so

bange!"

Von solchem Wesen, selbst die Allmacht, die Allwissenheit und

Allgenugsamkeit in sich tragend, ist es mir unbegreiflich, daß es sich be­ tend und dankend alle Zeit an Gott wendet und bekennt, es nehme Al­ les nur von ihm.

Von solchem Wesen wäre es für mich völligst unwahr,

wenn es hieße: „Er ist versucht allenthalben gleichwie wir, doch ohne

Sünde" oder „er mußte aller Dinge uns gleich werden."

Das ganze

Leben Jesu würde mir zu einem Schauspiel, in dem ein geschickter Büh­

nenmann ein ihm völlig fremdes Sein darstellt.

Die ganze evangelische Geschichte trüge mir fortan durch und durch den Stempel der Unwahr­ heit. Aber zu behaupten: „Gott selbst ist gestorben," das streifte in mei­

Die Kirchenlehre hat allerdings den Doketismus, die Anschauung und Lehre, welche in Christo das Mensch­

nem Munde an Gotteslästerung.

liche aufhebt und nur zum Schein macht, verdammt; aber was sie ver­ dammt, hat sie nach meiner Ueberzeugung in sich selber gehegt und be­

wahrt.

Nach ihr ist für meine Beobachtung die Menschheit in Jesu nur

Schemen und Schatten unter täuschender Hülle geblieben.

Mir ist da­

nach in ihr die Einigung Gottes und des Menschen in Jesu nur Schein und somit der eigentlichste Kern des Evangelii aufs Stärkste gefährdet. Also für meine Person, für mein Denken, Glauben und Bekennen kann

ich

nicht auf diesen Wegen wandel».

Meistentheils hat man in der

Christenheit, wenn es sich nm den Glauben an die Person des Erlösers

handelte, unverhältnißmäßig die göttliche Seite, die Gottheit in den Vor­ dergrund gestellt, hat, wenn man auch der Menschheit gedachte, doch fak­

tisch sie nicht zn ihrem Rechte kommen lassen.

Ich halte das für christ-

3*

36 lichen Glauben itub für christliche Sittlichkeit höchst bedenklich. Mel noth­ wendiger ist es, Jesu Spuren auch hier zu folgen und, wie er sich so konstant den Menschensohn nennt, so ihn auch zuerst als den ganzen, vol­ len Menschen, wie er in sich die Bestimmung des Menschen erfüllt und

vollendet,

Wer ihn erst als den rechten Menschen nach

anzuschauen.

Gottes Herzen erfaßt hat, für dessen Glauben, sollte auch sein Bekennt­ niß uns dürftig dünken,

brauchen wir nicht besorgt zu sein.

Wahrlich

thatsächlich ist ihm auch in Jesu das Allerheiligste auf Erden, die Woh­

nung Gottes gegeben,

thatsächlich hält er es auch in seinem Gemüth:

Hier ist Gottheit und Menschheit wirklich und wesentlich geeinigt.

Immerhin ist es aber mit dem menschlichen Denken ein eigenes Ding. Was für einen Menschen oft selbstverständlich, ist für den andern oft un­

begreiflich und umgekehrt.

Können eigenthümlich geartete Geister Jesum

als ihren Heiland nur in orthodoxen Denkweisen auffassen und zeigen sie uns ihren Glauben als ächtes Christenthum in Demuth, Wahrhaftigkeit, Liebe, Gerechtigkeit, kurz in dem, was Paulus als Früchte des Geistes

bezeichnet; sie sollen uns als die geehrtesten Jünger Christi, als die theuer­

sten, liebsten Brüder gelten. Aber wo ist bei den Herren der Berliner Konferenz Demuth, Wahrheitssinn, Liebe, welche vor Allem doch in der Achtung des göttlichen Ebenbildes bei den Nächsten, darum in der Ach-

tnug der redlich erworbenen Ueberzeugung und des Gewissens sich bethä­

tigt, wo sind sie geblieben? Der Rost maaßlosen Hochmuths, so will es wenigstens ans ihrem Gebühren hervorleuchten, hat das Alles zerfressen und zerstört. Welch ernstes, tiefgründliches, gewissenhaftes Forschen ist von wackersten Männern im Dienst der Wahrheit, da denke ich, doch auch

recht im Dienst Jesu Christi und seiner Kirche, den biblischen Schriften gewidmet, wie Vieles, was sonst in Dunkelheit lag, ist jetzt ans Licht des Tages gezogen.

Nach der Erklärung dieser Herren sind alle die treuen

Arbeiter im Weinberg Gottes geächtet, denn sie alle verstoßen mehr oder weniger gegen ihre Formeln der Rechtglänbigkeit!

Wie ist auf philoso­

phischem und theologischem Gebiet gearbeitet, um den Wahrheitsgehalt die­

ses Dogma's klarer herauszustellen. Die mehrsten der trefflichen Theo­ logen und Philosophen nach dieser Seite (auch ein Nitzsch, Müller, Dörner, denn auch sie sind nach jener Elle gemessen keineswegs rechtgläubig) fal­

len unter das Verdammungsnrtheil dieser Heiligen unserer Tage. Na­ mentlich unter den Gebildeten dieser Zeit, wie viele edelste Männer und Frauen von aufrichtigster Gottesfurcht erfüllt, im unanstößigen Wandel Segen in und außer dem Hause stiftend, mit gläubiger Liebe an der Per­

son Jesu von Nazareth hängend, können doch in keiner Weise jene Bekenntnißformeln als den Ausdruck ihres Glaubens gebrauchen.

Wie fromm,

wie trefflich sie aber auch sein mögen, „hinans mit ihnen aus der Kirche,"

37 das liegt als eigentlicher Sinn in dieser Erklärung.

keine Abweichung von ihren Satzungen, vertragen!

Die Herren können

sie können keinen Widerspruch

Doch damit der Unglaube des Protestantenvereins in diesem

Punkte, wie er in jener Erklärung verdammt wird, sich selbst so recht ka-

rakterisire, will ich schließlich noch einige Worte aus dem Vortrag eines

hervorragenden Gliedes (des Professors Holtzmann) über die Person Christi zu Neustadt an der Haardt gehalten, anführen.*)

„Fragen sie (die Men­

schen) uns aber," so heißt es gegen den Schluß hin, „was denn, wo so

Vieles unsicher geworden, noch bleibe, und wo denn der Faden des Zu­ sammenhanges liege, der auch die Söhne des neunzehnten Jahrhunderts mit ihren

okzidentalischen Anschauungen noch verbinde mit jenen Vätern

der griechischen und morgenländischen Kirche, welche im vierten und fünf­ ten Jahrhundert einst die kirchliche Lehre von Christus festgestellt haben, so lasset uns nur getrost und zuversichtlich Hinweisen ans jene einzigartige Durchsichtigkeit, welche die Gestalt Gottes selbst in diesem Menschenbilde

gewonnen hat.

Eben vermöge dieses Eindruckes fühlen wir ja, daß ihm

ein Name gegeben ist, der über alle Namen ist, wenn gleich er schwer auszusprechen ist für Menschenzungen. Die alte Kirche hat ihn schlecht­

weg Gott genannt und direkte Anbetung ihm gewidmet.

Von religiösem

Standpunkt betrachtet, war das nicht schlechtweg eine Ungeheuerlichkeit. Dies ist ja eben das Einzige an ihm, daß wir mit allem Andachtsgefühl,

das wir seiner Person widmen, wirklich Gott selbst meinen, weil keiner­ lei menschliche Unebenheit in seinem Bilde ist, welche die suchende Gottes­ ahnung ans Irrwege zu leiten und mit sich selbst in Zwiespalt zu setzen geeignet wäre. Seine Gestalt ist ein Spiegel, in welchem Gott sich wirk­

lich anschanbar machen konnte.

„Wer mich siehet, der siehet den Vater."

In der harten Schale der Chalzedonischen Lehre von der Gottheit Christi

hat ein Jahrtausend die Christenheit den Kern der christlichen Frömmig­ keit empfangen.

sprang.

Dieser Kern ist es, der stehen blieb, als die Schale zer­

Was bleibt denn noch stehen bei euch? so fragt man ungläubig.

Wir haben eine Antwort auf diese Frage.

Stehen bleibt die große That­

sache, daß der Jesus, den die historische Kritik hinter den in ihre Be­ standtheile zerfallenden Evangelien sich aufrichten sicht, ein souveränes Be­ wußtsein davon in sich trägt, über der Welt und vor der ganzen Menschheit

zu stehen als Schöpfer und Träger eines Gottesgedankens,

auf dessen

Offenbarung Aller Augen vor ihm nur harren, zu dessen Innigkeit und Wärme alle Herzen nach ihm nur nachbildend sich erheben können. Im Aufblicke zu ihm wird die Menschheit fort und fort deutlicher jenes wun­ derbaren Doppelgefühles inne werden, dessen Klärung alle Räthsel des *) Vergl. der zweite deutsche Protestantentag.... L. Friedrichs, p. 70.

Elberfeld 1867. Verlag von R.

38 Daseins klärt — es ist dies ein Ineinander von Tiefe und /Höhe, von Unterliegen und Triumph, von Sterben und Leben. In der andächtigen

Versenkung in das Geschick deö Vollendeten und Heiligen vergessen wir die Bitterkeit der Erdenloose, überwinden wir das hohle Gefühl der End­ lichkeit, schauen wir milden Gemüthes auch dem äußersten Geschick ins

Auge, sinken wir endlich, wenn gleich ins Herz getroffen, doch versöhnt in die Arme Gottes zurück." Prüfe wohl, lieber Leser, ob dieser Mitverbannte oder ob die den Bann Aussprechenden in ihrer Erklärung als

Jünger Christi sprechen. „Wir glauben mit der gesammten Christenheit auf Erden," das ist der folgende Satz der Erklärung, „an den heiligen Geist, gleichen Wesens

mit dem Vater und dem Sohne, der uns berufet, sammlet, erleuchtet und heiliget. Fragen wir den Protcstantenverein: Glaubst Du das? so muß er ehrlicher Weise antworten: Nein! Denn er kennt keinen heiligen Geist

ans Gott als die dritte Person der heiligen Dreieinigkeit, sondern nur den Geist der Gemeine." Wahrlich eine schnöde Rede, mit kecker Stirn so in die Welt hinein gerufen, dem Verein den Glauben an den heiligen Geist abzusprechen! Wahrlich, wenn der heilige Geist der Geist Jesu Christi, der Geist der Wahrheit und der Liebe ist; er hat die Herren nicht beseelt

und getrieben, als sie ihre Erklärung niedersetzten; sondern gerade der entgegengesetzte Geist. Ist der Geist Gottes, der Geist Jesu Christi nicht gerade dasselbe wie der heilige Geist?

Sollte ein anderes Wesen in diesem

Geiste sein und von ihm ansgehen, als im Vater, als in Jesn Christo?

Sollte dieser Geist etwa eine absonderliche, andere Heiligkeit, Wahrheit,

Liebe wirken, als wir sie in der Person Jesu anschauen?

Auf der uns

gegenüberstehenden Seite könnte man freilich dergleichen Anschauungen fast

voraussetzen.

Sie machen auf den heiligen Geist Anspruch, und wie oft

suchen und sehen sie die Heiligkeit in dem strengen, gesetzlichen Jnnehalten einer oft finstern Askese, die Wahrheit in den scharf zugeschnittenen, har­ ten Formeln eines Systems, das allerdings auf außerordentliche Energie des Haare spaltenden Verstandes hinweist, aber mannichfach das volle, frische Leben der Innerlichkeit mit seinen heiligen Rechten vergißt und

deshalb bei schärferer Kritik die schroffsten Widersprüche in sich schließt,

die Liebe endlich im Richten und Verdammen solcher Männer, denen sie nicht werth sind, die Schnhricmen zn lösen. (Ich nenne, nm von anderen geistigen Heroen

unserer Nation zu

schweigen, hier nur Männer wie

Schleiermacher und Rothe, die ja längst ihrem Banne verfallen sind.) Das ist wahrlich nicht der Geist Jesn, nicht der Geist des Vaters, den wir

durch Jesum gefunden haben, das ist ein Geist ganz anderen Wesens. Mögen die Herren zusehen, ob nicht das oben formulirte Bekenntniß ihres Mundes und das übrige Bekenntniß ihres Verhaltens im schroff-

39 sten

Gegensatz steht.

Was hat eö doch

so recht

eigentlich

Glauben an den heiligen Geist, der uns abgesprochen wird,

mit

dein

ans sich'?

Ich meine, wir stehen hier auf dem Punkt, wo das Iudenthum, wenn es sich, wie es prinzipiell in die Geschichte eingetreten ist, so

auch einseitig festhält, mit dem Christenthum in gegensätzlicher Ausschließ­ lichkeit sich befindet.

Mit dem Gefühl tiefster Abhängigkeit schaut

der

fromme Mann des alten Bundes zu dem Gott, der als der Allmächtige die Natur und alle Lebensgebiete durchwaltet, empor. Weil sein Volk in den Vätern von den nichtigen Götzen sich losgesagt und den Ruf dieses Gottes HiminelS und der Erden gehört hat, darum ist ihn: vom Ewigen Mit ehrfurchts­

der heilige Wille als Gesetz aufgeschlossen und gegeben.

vollem Zittern und Beben vernimmt der Israelit in diesem Gesetz die Stimme des Heiligen, des Gerechten, und ob er sich nicht in die Nähe des unendlich Erhabenen wagt, doch spricht er in hohem

Selbstgefühl:

„Wo ist so ein herrlich Volk, das so gerechte Sitten und Gebote habe."

Gott hat das Gesetz gegeben, des Menschen und des Menschen allein ist die Erfüllung desselben. Alles im irdischen Leben, auch alle Kräfte und Gaben, die der Mensch besitzt, schreibt der Israelit dankend und lobend

Gott zu, aber die Vollbringung göttlicher Gebote, wie sie von ihm gefor­

dert wird, ist auch allein sein Thun, dafür fordert er dann seine Beloh­ nung. Das Christenthum tritt als Evangelium, als frohe Botschaft von versöhnender Gottesliebe in die Welt. Jesus von Nazareth ist Träger und Bringer dieser Gottesliebe,

weil er zugleich ist der reine,

sittliche

Mensch nach dem Herzen Gottes. Das Christenthum wird Leben, wo ein

demüthiges Gemüth mit vollem Glauben diese vergebende Liebe Gottes in Christo ergreift, wo ans diesem Glauben naturgemäß Liebe hervorwächst, wo Glaube und Liebe in fester, heiliger Zuversicht auch der Zukunft sicher,

nothwendig mit der Hoffnung verbunden sind.

Das Christenthum ist so

die Aneignung des Friedens, der Heiligkeit, der Wahrheit, der Liebe, die

in Christo erschienen sind.

Wie kommt man zu derselben?

Ja, „schaffet

mit Furcht und Zittern eure Seligkeit", wendet in vollster Anstrengung

alle eure Kräfte an, das Kleinod zu erringen; — aber: Gott wirket das Wollen und das Vollbringen. Wenn der Jünger Jesu im

Glauben seines Heiles sicher wird, wenn die Liebe in ihm ihre Schwingen regt, und sich zum schönen Fluge, um Segen zu verbreiten, erhebt, wenn die Wahrheit seinen Geist mehr und mehr durchleuchtet, wenn fester, freu­ diger Muth ihn zum Kampf für Recht und Gerechtigkeit durchdringt, wenn

immer zarter und lebendiger das Gewissen in ihm spricht, wenn so das Wort und die Person des Erlösers in ihm das Gottgefällige hervorrnfen; dann, wie er selbst auch thätig gewesen ist, auf Gott führt er doch das Alles zurück. Gottes Gnade hat ihnl beim Hören des Wortes, beim An-

■ 40 schauen des Erlösers das Herz bewegt, den Geist erleuchtet,/den Willen

befruchtet und zur That gestählt.

Gabe.

Glaube, Liebe, Hoffnung ist ihm Gottes

„Durch Gottes Gnade bin ich, das ich bin,"

bleibt des Christen

demüthiges Bekenntniß. Die Gnade Gottes, wie sie, allerdings vermittelt

durch das Evangelium, wie es durch die Christenheit als Wort und Thun hindurchklingt, im Innern des Gemüthes auf das Leben aus Gott hin­ wirkt, ist aber gerade dasselbe, was wir unter dem heiligen Geist zu ver­ stehen haben. Der Glaube an den heiligen Geist ist das kindliche Zurück­

führen alles im Inneren gewordenen, im Leben vollbrachten Guten auf

den kräftigen Beistand göttlicher Liebe. — Die finstern Mächte der Lüge und Selbstsucht haben auf Erden zur Zeit oft „groß Macht und viel List" und wirken Verderben stiftend in allen Kreisen des Lebens.

Ja gerade

das Gewand christlicher Frömmigkeit lieben sie und bedienen sich dessen als trügerischer Maske, um Wahrheit und Gerechtigkeit zu vernichten. Wie

viel da oft diesen Mächten gelingt, wie scheinbar groß oft ihre Erfolge; der Jünger Jesu hat die Znversicht: durch all dies Treiben der Finster­ niß bricht immer wieder von Oben her das göttliche Licht in die Herzen und Geister hinein und zerreißt die schlimmen Netze des Truges und der Falschheit und entzündet immer von Neuem die heilige Gluth für Wahr­

heit und Liebe in den Gemüthern.

Durch diese Gottesgnade, wie sie Er­

leuchtung und Begeisterung in der Geschichte hervorruft, bleibt der Sieg

des höheren Lebens gesichert. Diese so in der christlichen Menschheit fort­ wirkende Gottesgnade ist gerade dasselbe wie der heilige Geist.

Darum

„Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmuth, Keuschheit," ist sonst noch eine Tugend, es sind Früchte des heiligen

Geistes.

Wo darum der heilige Kampf für Wahrheit, für Recht und Ge­

rechtigkeit in der Christenheit würdig geführt worden ist, wo die Liebe in

helfender, dienender, heilender, segnender Thätigkeit gewirkt, wo heilige Sitte in schöner Anmuth sich herausgebildet hat; da erkennen wir freudig das Wirken des heiligen Geistes und hoffen, daß sein lebendiger Gottes­

odem auch ferner die Christenheit reinigend und belebend werde.

durchströmen

Wer stolz und vermessen meint, für die Entwickelung seines gei­

stigen Lebens, für seine Frömmigkeit und Tugend den Beistand göttlicher

Gnade nicht zu bedürfen, wer kleingläubig und verzagt an dem endlichen Siege der Wahrheit, Liebe und Gerechtigkeit verzweifelt und deshalb auch für die Interessen des Himmelreiches weltliche Macht gebrauchen will, der

und der in der That glaubt nicht an den heiligen Geist und wenn er hundert Mal das Athanasianische Glaubensbekenntniß unterschriebe. Aber wir haben den Herren hier doch wohl Unrecht gethan. Der Anfang der Rede Uber den heiligen Geist, der auf die schönen Worte Luthers in der Erklärung des dritten Artikels zurückgeht, verleitete uns

41 zu der augenblicklichen Annahme, sie ständen hier auf dem Boden des ein­ fachen praktischen Christenthums, sie dächten über den heiligen Geist, wie es uns die Sprache eines Paulus, ja wie es der Herr selbst uns lehrt. Wir hatten einen Augenblick vergessen, daß wir es mit orthodoxen Luthe­

ranern zu thun haben, denen die rechtgläubige Formel alleiniges Maaß des Christenthums bleibt.

Sie zerstören sehr schnell diesen Irrthum, indem

sie am Schluß dieses Passus ihr verdammendes Absprechen gegen den Verein mit den Worten begründen: „denn er kennt keinen heiligen Geist

Damit sind wir von ihrem Standpunkt aus wieder auf das Grunddokument der Recht­ aus Gott als die dritte Person der heiligen Dreieinigkeit."

gläubigkeit, auf das Athanasianische Symbol verwiesen. Der heilige Geist eine andere Person als Vater und Sohn, aber gleich in der Herrlichkeit, gleich in ewiger Majestät, der heilige Geist unermeßlich, allmächtig, in

keiner Weise größer oder kleiner als der Vater, gerade eben so Gott wie der Vater.

Da haben die Herren freilich Recht, viele Glieder des Pro­

testantenvereins kennen nnd haben solchen Glauben nicht und wenn man ihnen denselben als Christenthum zumuthet, dürften manche unter ihnen

sagen: Ihr gebt uns Stein statt Brod. Sie ziehen es vor, sich zu den frischen Quellen der Bibel zu wenden und hier zu schöpfen. Sie sagen,

der Erlöser selbst mußte nichts von diesen dogmatischen

Bestimmungen

wissen oder nichts von ihnen als Heil begründend wissen wollen, wie hätte

er sonst so gar keine Belehrung darüber gegeben!

Johannes nnd Paulus,

die Tiefen der Mystik und die Höhen der Spekulazion gerade nicht scheuend, bleiben doch weit entfernt von diesem als dem „rechten" formulirten Glau­

ben, würden mit Entsetzen vor der Behauptung zurückbeben, wer ihn, den Glauben, so nicht habe, der könne nicht selig werden. Wenn Männer wie

Augustin in der alten Kirche, Nitzsch oder anch ein Sartorius in der neueren Zeit die Dreieinigkeit, auch die sogenannte Wesensdreieinigkeit im Gegensatz zur Offenbarungstrinität tiefsinnig begründen; so folge ich ihnen

gern in ihren Erörterungen und auch wohl nicht ohne geistige Förderung und Erbauung.

Das Fördernde und Erbauliche bei ihnen liegt darin,

daß sie bei all ihren Spekulationen von dem einfachen Christenglauben an die heilige Gottesliebe, der wieder Liebe wirkt, getragen werden und eigentlich nur danach ringen, diesem Glauben einen ihrem Denken ent­ sprechenden, begrifflichen Ausdruck zu geben. Wollte aber jemand uns ihre

dogmatischen Festsetzungen Uber das innere Verhältniß in der Gottheit, über die beziehungsweisen Gegensätze in derselben als adäquaten Ausdruck der Wahrheit, als mit dem Gehalt des Glaubens nothwendig Eins, auf­

nöthigen, so hörte für mich jede Erbauung und Förderung auf und machte

im Gegentheil berechtigtem Unwillen Platz. Jeder im Gefühl der Unfehl­ barkeit und mit dem Streben, in seinen Sätzen den Mitchristen ein ver-

42 kindliches Joch anfzulegen, über Dreieinigkeit spekulirende Theologe erschiene mir nicht anders als das Insekt, welches so lange das Licht umflattert,

bis es mit versengten Flügeln am Boden liegt.

In dieser Ordnung der

Dinge kommt der Glaube über solche Punkte nur zu einem Wissen, wenn

er zugleich mit einem heiligen Nichtwissen verbunden bleibt, wenn er bei allen Ergebnissen der theologischen Wissenschaft demüthig bei der Panlinischen Anschauung verharrt: Wir sehen wie durch einen dunklen Spiegel, und unser Wissen ist Stückwerk, das aufhören wird, wenn einst das Boll­ kommene eintritt. Von solcher Demuth wissen freilich die Herren nichts.

Dafür haben sie, welche so laut und so oft die religiöse Unwissenheit ge­

bildeter Laien anklagcn, auch so manche in ihren Reihen, denen kaum eine Ahnung davon geworden ist, was der Gegensatz zwischen Athauasianismus und Sabellianismus, zwischen Wesens- und Offenbarungstrinität besagen will.

Freilich etwa eine Abhandlung wie die Schleiermachers über diesen

Gegenstand zu studiren, darf man ihnen nicht zumuthen. — Besonders

ärgerlich scheint endlich den Erklärern, daß der Protestantenverein vom „Geist der Gemeine" spricht, während sie wohl den heiligen Geist an ganz anderer Stelle suchen. Wie in der römischen Kirche nur der Klerus im Papste gipfelnd Organ für die Mittheilung des heiligen Geistes ist; so scheint der heilige Geist nach ihnen die volle Wahrheit den Verfassern der

symbolischen Bücher bei deren Abfassung eingehaucht zu haben, so gibt

der heilige Geist nach ihnen allein dem orthodoxen Kirchenregiment und noch vielmehr den orthodoxen Pastoren das richtige Verständniß dieser

Symbole. Alle anderen, die an dem so von Oben hergegebenen System der

Rechtgläubigkeit nicht durchweg haften, die vermessen genug sind, unter der Hoffnung ans göttlichen Beistand aus dem göttlichen Wort auch selbständig zu schöpfen, dieses Volk, — ja wie die Schriftgelehrten zur Zeit Jesu sich

anssprachen, — es ist verflucht. Im vollen Gegensatz dazu wissen wir allerdings, daß der heilige Geist sich von Anfang an in der Gemeine und durch die Gemeine bekundet hat, daß er eben als Gemeingeist gewirkt hat. Richt etwa über Apostel allein oder gar über Priester, sondern selbst über

Knechte und Mägde, so weit sie Empfänglichkeit ihm entgegen brachten, kam der Geist Gottes nach alter Weissagung.

Die Gemeine ist es, ans

sie gehen die Apostel in streitigen Fragen zurück, und wenn in der Ge­ meine Beschluß gefaßt ist, lautet es:

„Es gefällt dem heiligen Geist und

uns." Die Gemeine in allen ihren Gliedern ist der Leib des Herrn, und

sie alle sind von dem Einen Geiste beseelt.

Jeder, der Jesum wirklich

seinen Herrn heißt, thut es durch den heiligen Geist. Wir lassen uns nicht durch die Anklage irre machen, daß so der Herr Ornnes, daß so der zusammengelaufene Pöbel die Kirche, die den heiligen Geist habe, repräsentire.

Wir wissen es recht gut, daß viele den Namen Christi tragen,

43 zu ihm irgendwie Herr, Herr sagen und doch sehr fern sind vom Himmel­ reich. Und nicht etwa allein da, wo in zuchtloser Liederlichkeit, in Be­ gierden und Lastern die Feindschaft gegen das Evangelium hervortritt,

sondern auch da, wo Heuchelei, Herrschsucht, Stolz, wie sie der Heiland an den Pharisäern so scharf und schneidend rügte, sich mit den Formen und Formeln des Christenthums verbrämt und zu verhüllen sucht, ist kein heiliger Geist; sondern der Geist der Finsterniß.

Aber wir kennen keinen

Stand, auch nicht den des Regimentes und des Pastorates, als einen privilegirten, des Geistes theilhaftig zu werden; sondern wir wissen, daß Gott

ihn denen gibt, die ihn darum bitten, denen, die als Hungernde und Durstende nach Wahrheit und Gerechtigkeit sich auch fortwährend um die Person des Erlösers als seine ächte Gemeine sammeln. Knrz, der heilige Geist als aus Gott ist uns zugleich wesentlich der Gemeingeist in der Christenheit, der eben alle Glieder zu einem Leibe des Herrn, zu einer Gemeine verbindet. Auf dieses Geistes Beistand werden wir uns bei allem

Streben nach Wahrheit nnd Gerechtigkeit mit froher Zuversicht verlassen, auch wenn die hochmögenden Herren fortfahren,

ihn uns abzusprechen,

auch wenn sie in ihrer Rechtgläubigkeit wähnen, ihn allein zu besitzen. Der letzte Satz des verdammenden Glaubensbekenntnisses lautet: „Wir glauben an eine heilige, allgemeine, christliche Kirche, die auf Christum gegründete, durch Wort und Sakrament gesammelte, durch Amt und Re­

giment verfaßte Gemeinschaft der Gläubigen, an eine Heilsanstalt, die

göttlicher Stiftung ist.

Fragen wir den Protestantenverein:

Glaubst Du

das? so muß er ehrlicher Weise auch hierauf antworten: Nein! Denn er

verlangt für die Majorität der Gemeine das Recht, sich nach ihrem Er­ messen von

unten nach oben eine Kirche zu erbauen und zu bestimmen,

was in ihr als gemeinsame Ueberzeugung gelehrt und geglaubt werden

soll."

Auch diesem Erguß haftet der schlimme Makel des gehässigen Shko-

phantenthums an, indem damit böse Berläumdung gegen Christi Jünger verbreitet wird.

Traurig, wenn die Herren, die sich zu Richtern in der

Christenheit berufen halten, nicht wissen, was sie thun, weil ihnen die Fähigkeit des Verständnisses nnd des Urtheils gebricht! Aber wahrhaft entsetzlich wäre es, wenn mit diesen Unwahrheiten das Bewußtsein um sie vereint wäre und ihnen dann den Stempel gemeiner Luge aufdrückte. Wir können nicht wissen, von welcher Seite her die Berschuldnng ihre Ent­ stehung genommen. Aber der Wirklichkeit und Wahrheit nach ist der Pro­ testantenverein von nichts weiter entfernt als von dem Unternehmen, sich erst eine Kirche durch Majoritäten zu bauen.

Wir leben in der christ­

lichen, evangelischen Kirche, wie sich dieselbe in ihrer geschichtlichen Ent­

wicklung bis hierher gestaltet hat, schöpfen unser geistiges Leben ans ihrem innersten Wesen und wissen uns derselben zum heiligen Kampf gegen alles

44 Unchristliche und Unevangelische verpflichtet.

Wir wissen itiid als vollbe­

rechtigte Glieder und Bürger derselben, ob auch Tausende von lutherischen Pastoren den Bann über uns sprächen, ob auch alle Konsistorialräthe und

Generalsuperintendenten in der Welt uns für Inden und Heiden erklär­ ten. Wir wissen, daß solche Bannsprüche, selbst wenn sie Amtsentsetzuugen nach sich ziehen, in Betreff der wirklichen Kirche grade so machtlos sind, wie einst der Bannstrahl vom Pabst gegen Luther und seine Anhän­

ger geschleudert.

Wir sehen, bauend auf göttliche Gnade, getrost dem

heiligen Gericht unsers ewigen, einigen Hauptes entgegen und harren des­ sen, wenn auch in Demuth, doch mit Zuversicht, wem er den Platz un­ ter denen, die Herr, Herr sagen, wem die Stelle unter denen, die den Willen seines Vaters im Himmel thun, anweisen wird. Wir glauben an die

Eine Kirche,*) welche den Grund ihrer Einheit in ihrem Stifter hat („Ich

in ihm und du in mir") und aus diesem Glauben heraus dünkt cs uns

Frevel und Sünde, durch die Aufrichtung eines infallibelen Systems der Rechtgläubigkeit, um dasselbe allen Geistern als knechtisches Joch aufzule­ gen, auf Spaltung und Zertrennung in der

Christenheit hinzuarbeiten

und so durch menschliche Willkür von einander zu reißen, was Gott der

Herr verbunden hat. Wir glauben an eine Heilige Kirche, d. i. an die Gemeinschaft aller Seelen, welche durch ihre Stellung zu dem Heiligen

Gottes selbst mehr und mehr sein heiliges Leben sich aneignen, so daß

niemand ein wahres Mitglied seiner Gemeine sein kann, der nicht in der Heiligung steht, der nicht an seiner Selbstbesserung arbeitet.

Der Heilig­

keit innerster Kern und Gehalt ist und bleibt aber nach dem Wort und Geist des Evangeliums die Liebe als das Band der Vollkommenheit, die

zu ihrer Selbstbewahrung vor Allem der Demuth bedarf. Aus unserm Glauben an diese Heilige Kirche erscheint es uns als Frevel und Sünde, durch hochmüthiges, verdammendes Ketzerrichten Liebe und Demuth mit

Füßen zu treten.

Wir glauben an eine Allgemeine Kirche, in welcher

die schneidenden, scharfen Gegensätze des Alterthums ihre Versöhnung ge­ funden haben, welche liebend als gleichberechtigt den Mann und das Weib,

den Juden und

den Griechen (jede Nazionalität), den Knecht und den

Freien (jeden Stand) umschließt, welche darum auch die Kluft zwischen

Priestern und Laien ansfüllt und alle Gläubigen durch den Erlöser prie­ sterlich weiht und sie zu einem Volke von Priestern macht. Aus dem Glauben an diese Allgemeine Kirche heraus muß uns Frevel und Sünde *) Wollten wir der vollen Genauigkeit im Ausdruck uus befleißigen, würden wir allerdings nicht sagen: Ich glaube an Eine rc. Kirche. Wir glauben nur an Vater, Sohn und he.ligen Geist und in Folge des Glaubens au den heiligen Geist glauben wir die Kirche, die Vergebung, das ewige Leben. Es thut aber der Sache keinen Eintrag, wenn wir die nicht ganz korrekte Ausdrucksweise der Gegner bei­ behalten.

45 fein, was irgendwie als hierarchische Bestrebung die Freiheit der Gottes­ kindschaft für die Gemeinen zu »erkundschaften sucht, wie eben aus diesem Grunde unserm Luther das Pabstthum als Antichristenthum sich darstellte. Wir glauben an eine Christliche Kirche, die also auf Christum gegrün­

Ihr sind Diener gewesen Paulus und Petrus und Johannes, Origenes, Augustin und Chrhsostomus, Luther, Melanchthon, Zwingli und

det ist.

Calvin.

Ihr sollen dienen alle Bekenntnisse, in denen zu irgend einer

Zeit gemeinsamer, lebendiger Glaube gemeinsamen Ausdruck fand, so gut

das von Nicäa, wie das hochherrliche von Augsburg! Ihr sollen dienen

alle die reichhaltigen Arbeiten hochbegabter Männer christlicher Wissenschaft.

Aber wie Christus ist der Einige Grund, so bleibt er auch das Einige Haupt, der Einige Herr und Meister. Ihm bleibt das Regiment, mit­ telst seines Worts und durch den Geist, den er sendet. Darum muß es nach diesem Glauben an die christliche Kirche sich als Frevel und Sünde darstellen, wenn man irgend einen Mann, so hoch er auch stände, also

etwa Luther oder Calvin, oder wenn man die Schriften eines solchen

Mannes, etwa die Bekenntnißschriften, an Christi Stelle setzt, daß sie das Christliche zu bestimmen haben, daß sie nicht mehr stehen unter dem rich­

tenden Wort Christi, sondern als authentische Auslegung dies selbst rich­ ten, daß sie seinen Geist in der Gemeine fesseln und dämpfen sollen. Auch wir wissen, daß diese Eine, Heilige, Allgemeine, Christliche Kirche durch das Wort und durch das Wort allein gesammelt ist, gesammelt wird, ge­

sammelt werden wird bis an das Ende der Tage.

Dagegen stellt sie

sich als die zu ihm, ihrem Haupt, gesammelte, welche von ihm Gnade nm Gnade, Wahrheit um Wahrheit nimmt, in den von ihm geordneten

heiligen Stiftungen nach ihrem innersten Wesen dar um dadurch zugleich

nach seiner Verheißung Erhöhung ihres Lebens zu erfahren. — In Er­ innerung an frühere Zeiten aber will mir in jener Erklärung etwas auf­ fallen, nämlich das, daß die Herren auch das „durch Amt und Regiment verfaßte" jetzt als bekenntnißmäßig von der Kirche aussprechen. Vor

Jahrzehnten wurden von dieser Seite die Schüler Schleiermachers sehr gern der Ketzerei beschuldigt, daß sie auf die Verfassung ein so großes

Gericht legten.

Die Verfassung gehöre für den Lutheraner zu den indif­

ferenten Dingen, die „reine Lehre" allein sei der Kirche eigentliches

Gut, sei allen alles Kampfes werth. Zeit fort.

Allerdings man schreitet mit der

Wie dem römisch-katholischen Christen die unter dem Pabst­

thum streng gegliederte Hierarchie, wie dem hochkirchlichen, englischen Epis­

kopalen die Sukzession der Bischöfe, so ist dem in der Weise des Herrn Tauscher fortgeschrittnen Lutheraner heut die „durch Amt und Regiment

verfaßte" Gemeinschaft eben die göttliche Stiftung. Verstehen wir es nur recht. Das Amt ist das Pastorat, das dem Landeskirchenregiment

46 ans den Symbolen das Fahrwasser zeigt, in welchem allein das Schiff der Kirche zu halten ist, welches damit zuletzt doch auch die eigentliche, regierende Seele für das Regiment bleibt. Das Pastorat und das nach

ihm sich richtende Regiment, ja das ist nach dieser Anschauung so recht eigentlich die Kirche selbst.

Die Gemeine hat nur Theil an derselben,

sofern sie sich ihm unterwirft, so fern sie mehr oder weniger lebendig die

Formeln der Rechtgläubigkeit nachbetet oder denselben wenigstens nicht widerspricht. Die Heroen unserer Litteratur, Lessing, Göthe, Schiller, Herder, die Philosophen Kant, Fichte u. s. w., die vielen Theologen wie

Schleiermacher, Baur, Rothe u. a., ja Prediger wie Oberlin, Männer,

welche in den verschiedensten Wissenschaften als deren hohe Zierden mit ihrem Ruhm die Welt durchstrahlen, so viele im sozialen, bürgerlichen, im staatlichen Leben durch hohe Bildung und reiche gemeinnützige Thätig­

keit hervorragende Persönlichkeiten, so viele, schlichte, treue, rechtschaffne

Bürger — sie glauben nicht die Formeln des Athanasinms, nicht die Beschwichtigung des Gotteszornes durch Christi Blut, nicht die Gegenwart des LeibeS Christi im Brod des Abendmahls und den mündlichen Genuß

desselben u. s. w., wie eö das Pastorat, das göttlicher Stiftung ist, nach

den Symbolen fordert und fordern muß — nun so sind sie, wie die Herren meinen, auch von dem Glauben abgefallen, auf den sie getauft sind und den sie in ihrer Konfirmazion bekannt haben.

Dennoch, die Herren

sind sehr gütig und gnädig. „Die Kirche" (Herr Tauscher und Genossen) „kann wohl schwache und irrende Glieder mit Geduld und Nachsicht tra­

gen; fordert aber der Unglaube" (und Unglaube ist Alles, was von der Orthodoxie der Herren abweicht) „als gleichberechtigt mit dem Glauben

anerkannt zu werden, so müssen wir eine solche Znmnthung mit aller Mit andern Worten: Wenn ihr von der

Entschiedenheit znrückweisen."

Rechtgläubigkeit abweicht, so wollen wir das gern tragen, so lange ihr

den Mund haltet. Sprecht ihr aber offen eure Abweichungen aus, ja dann hat Geduld und Nachsicht ein' Ende. Ich frage: Wer möchte wohl als ein durch die Gnade und Nachsicht des Herrn Tauscher geduldetes Glied in der Kirche leben, wer möchte von diesen Herren sich wohl das Stillschweigen befehlen lassen? Wer, der als ein Mann mit seinem

Glauben und Gewissen in Christo gegründet ist, empfindet solchen hierar­ chischen und pfäffischen Zumuthnngen gegenüber nicht die tiefste Indignazion? Wir wissen, daß die Gemeine Christi, die allerdings auch uns gött­ licher Stiftung ist, wie und wo sie in geschichtlicher Wirklichkeit hervortritt, auch der Verfassung, der Ordnung ihres äußern Lebens bedarf.

Wir

wissen, sie kann namentlich ohne Verkündigung des Wortes,

ohne die Handreichungen dienender Liebe, ohne die Leitung und Regierung nicht bestehen.

Wir wissen, daß es deshalb nach göttlichem Willen für sie eine

47 Nothwendigkeit war und bleibt, bestimmte Aemter und Ordnungen in sich Aber wir kennen keine bestimmte, fixirte Verfassung, die als solche der Heiland hinterlassen, oder Gott vom

heraus zu bilden und zu erhalten. Himmel herab gegeben hätte.

Die Christenheit selbst hat sich darum in

den verschiednen Zeitaltern, in verschiednen Ländern, unter verschiednen Verhältnissen sehr verschieden gestaltete Verfassungen und Ordnungen ge­ geben.

Das Alles hat in der Geschichte unter der göttlichen Regierung

gestanden, dabei hat mannichfach wohl mit gewirkt Anregung aus Gottes Geist, dabei ist aber auch oft und vielfach thätig gewesen menschliche

Sünde und menschliches Irren, und zwar auf der einen Seite besonders Hochmuth und Herrschsucht im Lehrstande, wie er immer wieder ein be­ sonderes Priesterthum, eine besondere Dignität für sich anstrebt, auf der andern Seite Lauheit, geistige Trägheit, Indifserentismus in den Gemei­

nen.

Die Verfassung, die bestimmte Ordnung in der Kirche mußte sich

deshalb in der Wirklichkeit immer nach der Beschaffenheit derselben ge­

stalten und mußte darum so gut und so schlecht ausfallen, wie sie es ver­ diente. Wie es deshalb fürs sittliche Leben, für die religiöse Erkenntniß

stets auf Reinigung und Weiterführung dem Evangelio gemäß, also auf Reformazion, ankommt, so auch in Beziehung auf Verfassung und Ord­

nung.

Da können wir freilich nicht das Pastorat nach der Herren Auf­

fassung, nach welcher im vollsten Sinne des Wortes die Gemeineglieder

zu Schafen, die nur dem in seiner Rechtgläubigkeit gebietenden Hirten zu

folgen haben, herabgesetzt werden, für göttliche Stiftung ansehen. Viel­ mehr halten wir wohl den Lehrstand für nothwendige, von Gott gewollte Ordnung in der Kirche; aber so, daß er weiß, er hat den Dienst am

Wort Gottes für, und nicht die Herrschaft Uber die Gemeinen, er hat nach allen Kräften sich zu bestreben, die Gemeinen durch seinen Diene zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes und zur männlichen Selbststän­

digkeit im Glauben zu führen, aber nicht ein knechtendes Joch alter oder neuer allein verbindlicher Lehrformeln auf ihre Hälse zu legen. Wir wissen, daß das landesherrliche Kirchenregiment in harter Zeit nicht ohne

göttliche Regierung in evangelischer Christenheit entstanden ist.

Wir wis­

sen, daß fromme Fürsten, namentlich auch in unserm Lande, das Regi­ ment der Kirche im Ganzen mit Milde und Weisheit gehandhabt und mancherlei Segen gestiftet, daß sie namentlich nicht selten ein hochmüthiges, engherziges, widerstrebendes Pastorat an Erleuchtung, Demuth und

Liebe weit überragt und auch wohl in seine Schranken zurückgewiesen Wir bringen noch heut unserm evangelischen Monarchen als sol­

haben.

chem im Gegensatz zu jenem rechtgläubigen Pastorat entschiednes Vertrauen

entgegen und können am wenigsten in letzterem die „rechten Hände" er­ kennen, in welche der König sein kirchliches Regiment niederzulegen hätte.

48 Aber das landesherrliche Kirchenregiment für göttliche Stiftung auszu­

geben, das wird man uns um so weniger zumuthen, je weiter grade auch unsre frommen Landesherren, wie es noch Friedrich Wilhelm IV. aufs Nachdrücklichste ausgesprochen hat, von solcher Anschauung entfernt geblie­

ben sind.

Bei aller Anerkennung des Segens, der auch für die Kirche

vielfach vom Thron ausgegangen ist, läßt sich doch nicht leugnen, daß grade,

je weiter, umfassender und tiefer dies Regiment geübt wird, desto mehr die Gemeinen in Passivität und völlige kirchliche und geistliche Unthätigkeit versinken.

Auch

dem

besten

und

wohlwollendsten landesherrlichen

Kirchenregiment gegenüber ist deshalb stets an die Urrechte und Urpflich­ ten der Gemeinen zu erinnern, daß sie wie zur Anerkennung so auch zur

Ausübung gelangen.

Wie aber im Reformazionszeitalter der gewaltigen

Herrschaft des Pabstthums und des päbstischen Klerus gegenüber von al­

len Reformatoren das „allgemeine Priesterthum " geltend gemacht wurde, wie demgemäß auch unsre Bekenntnißschriften „die Schlüssel," d. i. die leitende Macht in der Kirche, der Gemeine beilegen; so sind es grade

die hierarchischen, pfäffischen Bestrebungen dieser Tage, wie sie das harte Joch der Lehrformeln des vierten und fünften, des sechzehnten und sieb­ zehnten Jahrhunderts und die nicht minder harte hochmüthige Pastoren­

regierung den Gewissen auflegen wollen, welche auf's dringendste nöthigen und verpflichten, das Gemeinderecht in evangelischer Kirche mit allem Nachdruck zu betonen und geltend zu machen. Gemäß der Entwicklung

des ganzen, geistigen Lebens, der ganzen, sittlichen Bildung der Zeit, ge­ mäß dem Wort und Geist der Reformazion, den Prinzipien unserer evan­ gelischen Kirche, gemäß dem göttlichen Worte werden wir nicht ablassen, in geordneter, gesetzlicher Weise für das evangelische Gemeinderecht einzu­

stehen, damit weder die Majorität, noch ein hochmüthiges Pastorat bestimmt, was geglaubt und gelehrt werden soll, sondern Christus der Herr durch sein Wort und durch die Kraft und das Licht des fortwährend von ihm ausgehenden, heiligen Geistes.

Hat erst die Gemeine in geordneter Weise

ihre natürlichen Urrechte in der Verfassung wieder gewonnen, wird sie sich erst einigermaaßen in dieselbe eingelebt haben, dann wird es nicht

schwer fallen, etwaige Ausschreitungen, welche den Boden des Christen­ thums verlassen, christlichen Glauben und christliche Sitte zerstören, in

ächt evangelischer Art zu beseitigen oder noch besser geistig zu überwinden. Nachdem wir das Bekenntniß

der Herren mit den

entsprechenden

verwerfenden Schlußfolgerungen gegen den Protestantenverein vernommen

haben, bekommen wir schließlich noch Einiges über Union nnd Wissenschaft. Freilich wenig, aber wieder außerordentlich viel in Mißverstand und Miß­

deutung. Unsere Agende ist nach bestehender Ordnung das Buch, dessen die Geistlichen beim Gottesdienst und im Kultus überhaupt sich zu bedienen

49 haben. Wem ist es jemals eingefallen, diese Agende zu einem verpflich­ tenden Symbol der Union zu machen? Wo hat der König, wo haben die

kirchenregimentlichen Behörden, wo Synoden und Gemeinden jemals er­ klärt, daß man mit dem Beitritt zur Union

sich unter die Agende in

allen in ihr enthaltenen Stücken als unter ein bindendes Lehrgesetz stelle?

So aber die Herren, indem sie Gewicht darauf legen, daß die allgemeinen Bekenntnisse in die Agende ausgenommen sind.

Wem ist es bei der Stif­

tung der Union wohl je eingefallen, wer möchte es gesunden Sinnes heut

behaupten, daß diejenigen, welche nicht glauben, daß alle, welche die For­ meln des Athanasianischen Bekenntnisses bezweifeln und nicht annehmen, ewig verloren und verdammt sind, daß diese kein Recht innerhalb der von Friedrich Wilhelm III. eingeführten Union hätten? Wie würde der fromme, schlichte König über solche ungeheuerliche Behauptung sich entsetzt haben!

Dazu kommt dann die Anklage gegen den Protestantenverein, er habe sich

von diesem Bekenntnißgrnnde losgesagt. „Bekenntnißgrund" steht hier als ein recht schielendes Wort. Was ist mit demselben gemeint? Soll es etwa das Urwort des Erlösers vom Vater, Sohn und heiligen Geist bezeichnen, dessen Ausführungen und Erklärungen jene drei Bekenntnisse

nur sein wollen?

losgesagt?

Wo, wann, wie hätte sich jemals der Verein davon

Ja wenn auch diese Bekenntnisse mit ihren Formeln selbst,

wie es dem Sinn der Erklärer wohl mehr entspricht, gemeint sind; so ist

es immer noch eine Unwahrheit, daß sich der Verein von ihnen losgesagt

hätte.

Nirgend hat er irgend wie erklärt, daß, wer diesen Formeln zu-

stin.me, sein Mitglied nicht sein könne, daß solche Anschauungen in der

evangelischen Kirche keinen Raum hätten; und doch erst dann könnte man sagen, er habe sich von jenen Bekenntnissen losgesagt.

Allein jener im

Athanasianischen Bekenntniß mehrmals wiederkehrende Satz, welcher alle verdammt, die den dort aufgestellten Formeln über die Trinität nicht zu­

stimmen, kann allerdings im Verein keine Duldung beanspruchen, hat sie auch nie in evangelischer Christenheit gehabt, von ihm, als von einem durch und durch unchristlichen Gebühren wird sich jedes Mitglied des Vereins lossagen, wie orthodox er auch über die Trinität selbst denken

möchte. Sollten das die Herren meinen, dann haben sie Recht. Dann aber ist der Geist, der sie beseelt, auch jener „unglückliche Sektengeist," über den der fromme König den 31. Oktober 1817, als er seine Glaubens­ genossen zur Union einlud, klagte, daß er bis dahin dem „gottgefälligen

Werk" derselben „unüberwindliche Schwierigkeiten" bereitet habe, dann

haben sie freilich von der „neu belebten, erangelisch christlichen Kirche," welche er im Sinne trug, keine Idee, dann können sie von der Union aber auch nur als bittere Feinde'sprechen. Ja aus dieser ihrer Feind­

schaft erklärt sich Alles, um dieser ihrer Feindschaft willen vermögen sie 4

50 in keiner Weise ein gerechtes und vernünftiges Urtheil über die Union zu fällen. Wenn ausgeprägte Bekenntnißformeln, wenn formulirte, unver­ änderliche Dogmen der heilige unerschütterliche Grund der Kirche sind,

ja dann hatte und hat die Union nicht das mindeste Recht der Existenz. Lutheraner und Reformirte, wie können sie sich einigen, wenn der eine

die mündliche Genießung des Leibes Christi behauptet, der andere dieselbe verwirft, wenn der eine die bildliche Auslegung der Einsetzungsworte des Erlösers fordert und übt, der andere dieselbe verdammt? Einfältige, ver­ nünftige Christen mögen immerhin es nicht begreifen können, wie man bei wirklichem Glauben an den Erlöser, bei einiger Liebe und Demuth

um solcher verschiedenen Ansichten willen sich scheiden und gegenseitig ver­

dammen könne, der so genommene Standpunkt, das einmal formulirte heilige Dogma als Grundlage der Kirchengemeinschaft fordert es mit ge­ bieterischer Nothwendigkeit.

Es läßt sich hier dem Verdammen der Brü­

der nicht entgehen. Eine Union hat sich stets nur angebahnt durch die Ahnung, daß etwas Anderes ist der Glaube und etwas Anderes der Glaubenssatz, daß das Christenthum nicht in Lehrformeln, sondern in einem von Christi Geist bestimmten Leben bestehe.

Das ist es, was in so vielen

Vorläufern der Union, — ich nenne nur Melanchthon, Kalixt und Spener

und will nur Hinweisen auf den Geist, der in dieser Beziehung sich in

den verschiedenen Fürsten des Hauses Hohcuzollern bekundet hat, — lebte und zu Unionswünschen und Unionsversuchen Hintrieb. Diese Ahnung war immer mehr zur Einsicht geworden, so daß namentlich Schleiermachcr

das allgemeine Bewußtsein der gebildeten, evangelischen Welt über sich

selbst verständigte, als er mit unwiderstehlicher Klarheit und lebensvoller Wärme nachwies, daß die Religion weder in Uebungen eines gewissen Handelns, noch in Lehrformeln einer gewissen Art des Denkens; sondern

in der Tiefe des Gemüthes, — scheuen wir das allerdings leicht zu miß­ deutende Wort nicht — in dem Gefühl der Seele, wie es aus der gegen­ seitigen Berührung Gottes und des menschlichen Geistes erwächst, ihren Quell- und Kernpunkt, ihr eigentlichstes Leben und Wesen hat.

Diese

Religion wird im Denken der Erkenntniß entgegen streben und die Mensch­ heit über sich selbst zu verständigen suchen, sie wird bestimmte Uebungen,

bestimmtes Handeln hervortreiben, um sich selbst darzustelleu und so weit es geht, mit ihrem Leben zu wirken; aber niemals werden ihr diese Werke

und jene Lehren genügen, als hätte sie schon in ihnen das Vollkommene erreicht, niemals wird sie, wenn sie sich selber klar ist, diese immer noch

unvollkommenen Aeußerungen mit ihrem eigenen Wesen verwechseln, nie­ mals dieselben anderen als ein knechtendes Joch aufzwingen.

So wird

denn auch der Glaube an Christus nicht in der Annahme bestimmter Lehr­

formeln über ihn bestehen, sondern in dem Ergriffensein des Gemüthes

51 von der Macht seiner Persönlichkeit,

von dem Geist,

der ans seinem

Wort, seinem Thun, seinem Leiden und Sterben spricht, in dem Ergrif­

fensein des Gemüthes, wie es nothwendig ist und immer mehr wird ein Sichbinden des Herzens, des Gewissens, des Willens an ihn. So wird der Christenglaube an Vater, Sohn und Geist nicht an die Annahme jener Athanasianischen Formeln über die Trinität, von denen Christus

und die Apostel selber nichts wußten, gebunden sein, sondern daran, ob

man in Natur und Geschichte göttliche Schöpfung, Erhaltung und Regie­ rung, ob man in dem, was Christus war und that und fort und fort

durch den von ihm ausgehenden Geist wirkt, versöhnendes, erlösendes

Wirken wahrnimmt, ob man aus der so sich offenbarenden Liebe Trost und Frieden und Kraft der Heiligung für Leben und Sterben schöpft. Dieser Glaube drückt sich nothwendig aus im Bekenntniß, sucht sich dar­

zulegen in der Lehre, um mittelst derselben sich mitzntheilen.

Aber in wie

verschiedener Lehrentwicklnng ist das von jeher nach verschiedenem Bil­ dungsgang und verschiedener Eigenthümlichkeit geschehen!

Das

ist der

„unglückliche Sektengeist," welcher allerdings durch achtzehn Jahrhunderte hin so mannichfach das wahre Leben in der Kirche lähmte und vielfach um seine edelsten Früchte betrog, welcher entweder bestimmte äußere Hand­

lungen oder bestimmte Lehrformeln zum Wesen des Christenthums macht

und daran fesselt, welcher damit, er mag wollen oder nicht, mehr oder weniger, mittelbar oder unmittelbar, das Eigentliche der Religion und des Glaubens zum Unwesentlichen herabsetzt. Gegensatz.

Zu

ihm steht die Union im

Auf das eigentliche Wesen der Religion und des Glaubens

zurückgehend hat sie die Lehrformeln über das Abendmahl, über die Person

Christi, so weit sie in die Abendmahlslehre eingreifen, über die Vorherbestimmnng für und Liebe erklärt.

nicht

wesentlich zur Kirchengemeinschaft

in Glaube

Sie kann, ohne sich selbst aufzngeben und zu tobten,

nicht die Lehrformeln über Trinität, über die Art der Genugthnung Christi

u. s. w. als verbindliches Glaubens- und Lehrgesetz hinstellen. Damit ist sie auf den Urgrund der christlichen Kirche, wie wir ihn in der Bibel

haben, zurückgegangen.

Wie Paulus nicht die Lehrweise des Petrus oder

des Apollo oder seine eigene als allein berechtigte hinstellt, sondern den Einen und Heiligen Grund Christum hervorhebt, auf den allein zu bauen

sei und wie er es dem göttlichen Gericht anheimstellt, zu entscheiden, ob jemand Heu, Stroh und Stoppeln oder Gold, Silber, Edelsteine auf die­

sem Grund baue; so kennt auch die Union nur Christum als ihren einigen,

ewigen Grund.

Wie Paulus selbst die Apostel als die Diener der Ge­

meinen, die der Gemeinen Eigenthum sind, und nicht umgekehrt, erklärt; so sieht auch die Union in der großen Reihe herrlicher Kirchenlehrer Die­

ner der Gemeinen, welche zur Wahrheit führen, aber nicht über die Ge-

52 meinen herrschen.

Im Gehorsam verharrt sie gegen das Wort des Er­

lösers: „Ihr sollt euch nicht Meister nennen lassen, Einer ist euer Meister, Christus, ihr aber seid alle Brüder." Die Union ist damit weiter die

Rückkehr der Reformazion zu sich selber, die Rückkehr aus schweren Irr­ gängen zu ihrem eigentlichen Wesen. Nirgend hat die Reformazion ihr Wesen kürzer, schlagender und herrlicher ausgesprochen als durch ihren

größten Heros und Führer, durch Luther zu WormS.

Der Autorität der

Kirche gegenüber beruft er sich allein auf Vernunft und heilige Schrift

und will nur klaren Gründen,

aus diesen Quellen geschöpft,

Sein „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir!"

weichen.

ist der

bleibende Mahnruf an das evangelische Deutschland, sich nie anders zu stellen. Wie es diesen Mahnruf vergißt, so hat es sich das Ehrendenkmal

des großen Mannes zur eigenen Anklage und Schmach errichtet. Nirgend klarer und lebendiger spricht sich das Wesen des Protestantismus aus, als an jenem Ort und in jener Stunde, wo er geschichtlich unter diesem

eigenen Namen in die Welt tritt, auf dem bekannten Reichstag zu Speier.

Die heilige Schrift soll den evangelischen Neichsständen von den katholischen frei gelassen werden, „aber nur mit der Erklärung der von der Kirche approbirten Bücher."

Solche Znmuthung weisen die evangelischen Stände

entschieden von sich und wollen vor wie nach „Schrift durch Schrift" er­

klären und empfangen daher den Namen Protestanten als ihren Ehren­ namen, der sie schmücken wird, so lange es eine Geschichte der Kirche und Deutschlands geben wird. Entschiedner Abfall von diesem Wesen des Protestantismus ist es, wenn dennoch wieder an die von der Kirche approbirten Schriften, also an die Symbole die Geister gefesselt werden.

Die Union läßt allein die heiligen Urkunden des Christenthums als Born gelten, ans dem man die lautere Wahrheit desselben zu schöpfen habe, an

der alles Andere zu prüfen und zu richten ist. testantismus zu sich selber.

Sie ist Rückkehr des Pro­

„Die Rechtfertigung allein aus dem Glauben"

war das Schlag- und Lebenswort der Reformazion, der evangelischen Kirche. Nicht diese oder jene von der Kirche gebotenen Werke, sondern

der persönliche Glaube an den Erlöser, die Herzensstellung zu ihm und zu Gott, die Hingabe des Gemüthes und Willens an ihn! Wenn später wieder die Annahme der Kirchenlehren zur Bedingung des Heils gemacht

wurde, was war das Anderes, als ein Herausfallen ans der Rechtfertigung allein aus dem Glauben.

Nicht die Werke der Hand,

aber die Werke

deö menschlichen Verstandes, nicht die eignen, aber die berühmter Kirchen­

lehrer, die inan als untadelhaft annimmt, machen dann selig.

Daß solche

orthodox lutherische Werkgerechtigkeit wesentlich besser ist als die römisch

katholische, dürfte schwer nachzuweisen sein. Auch hier ist die Union, wie sic mit der Dogmenherrschaft sich nie vertragen kann, Einkehr in das in-

53 «erste Wesen der Reformazion *). — Schließlich nur noch die Andeutung einer Seite der Betrachtung, die von besseren Männern schon des Weiteren ihre Ausführung gefunden hat.

Man kann auf Reformazion, Protestan­

tismus, evangelische Kirche nie näher eingehen, ohne im Gegensatz dazu

des römischen PabstthumS, der römisch katholischen Kirche zu gedenken. Worin liegt der eigentlichste Grund des Gegensatzes zwischen evangelischer

und römisch katholischer Kirche? Gewiß darin, wie sich beide als christliche Kirche fühlen und wissen.

Da ist es der römischen Kirche als solcher

wesentlich, sich als die vollkommne zu wissen. Sie trägt in sich selber alle Schätze der Gnade, alle Fülle der Wahrheit, steht darum in ihrer Heilig­ keit als die infallible dar. Ja ihr höchster Repräsentant ist darum der allerheiligste Vater, der in seinem Amte, ex cathedra sprechend, nicht

irren kann. Sie nach ihrem Wesen muß alle ihre Glieder unbedingt unter ihre Satzungen stellen, sie kann in ihrer Mitte keine Freiheit der Geister, keine

Freiheit des Glaubens und des Gewissens dulden. — Der innerste Le­ benstrieb dagegen, die eigentlichste Lebenskraft, aus welcher die Reforma­ zion und die evangelische Kirche geboren wurde, war das Gefühl, das

unmittelbare Bewußtsein, daß auch die Kirche als solche sich auf Erden nie dem Paulinischen Bekenntnisse entziehen kann: „Nicht daß ich es schon

ergriffen hätte oder vollkommen wäre," daß sie das Vollkommene sittlich religiöser Wahrheit und sittlich religiösen Lebens nur in ihrem ewigen

und einigen Haupte finde und habe.

Sie weiß sich in ihren wahren Glie­

dern als die Gemeine der Heiligen, aber solcher, die erst in die Heiligkeit ihres Hauptes hineinwachsen, die deshalb noch mit manchem Unheiligen

behaftet sind, gegen das der Kampf fortzusetzen ist bis an das Ende der Tage.

Sie weiß sich als die Gemeine der Erleuchteten, aber solcher, die

fortwährend mehr sich vom Lichte der Wahrheit Christi durchstrahlen lassen, die, noch mit Irrthum behaftet, gegen denselben beten und arbeiten müssen bis in den Tod.

Sie sieht in die Geschichte ihrer eigenen Entwicklung

hinein ■— keins ihrer Glieder, das ohne Sünde, keiner ihrer Lehrer, der

ohne Irrthum gewesen wäre.

Was von allen Einzelnen, das gilt noth­

wendig von der Gesammtheit. Ist so die evangelische Kirche noch irrthums*) Wenn wir die Dogmenherrschast allerdings verwerfen; so gibt es keine mehr wun­ derliche, in sich selbst nichtige Anklage als die, daß wir damit die Geistesarbeit der größten Kirchenlehrer, der Reformatoren als unnützen Ballast über Bord werfen. Wer erhebt die thörichte Anklage, daß wir Alles, was die großen Geister der Nazion, ein Göthe, Schiller, Herder, ein Lessing, Kant, Fichte an ächtem Gehalt der Wahrheit und Bildung an's Tageslicht gefördert haben, muthwillig verschleudern, wenn wir uns nicht verpflichten, auf jeden ihrer Sätze zu schwören? Ein Anderes ist es, dächte ich, aus den Symbolen und Kirchenlehren zu schöpfen und zu lernen, ein Anderes die einzelnen Glaubenssätze derselben zn infalliblen unbedingt verbind­ lichen Gesetzen zu erheben. Sollte den sonst so klugen Leuten wirklich die Ur« theilssähigkeit so weit fehlen, daß sie diesen Unterschied nicht begreifen?

54 fähig, welcher Riickfall in das römische Wesen, wenn sie dennoch an ihre

einzelnen Glaubenssatzungen als an eine infallible Autorität binden will! Welche Verurtheilung ihrer selbst i» ihrer Entstehung!

Auch hier ist die

Union, die demüthig an die Schwachheit und Unvollkommenheit der wer­

denden und wachsenden Kirche erinnert und von ihrem ewigen Haupte Christo allein Gnade um Gnade, Wahrheit um Wahrheit schöpfen lehrt, die Reformazion, wie sie sich auf sich selbst wieder besonnen hat. Wie fern übrigens dem Könige bei Einführung der Union der Gedanke an Dogmenherrschaft gelegen hat, geht wohl daraus hervor, daß, als ein er­ neutes Bekenntniß zu der Augsburgischcn Konfession vorgeschlagen wurde,

er diese Forderung eigenhändig umgestaltete, indem er schrieb „auf den Wohlan so ist nichts grundloser als diese Rede der Herren!

Geist."

Wir wissen uns durch und durch berechtigt in der Union, welche längst

im evangelischen Volke lebte, welche aber durch die Kabinetsordre vom 27. September 1817 auch offiziell in der Landeskirche ihre feste Grundlage gewonnen hat.

Ja aus den Geist, auf den ewigen innersten Gehalt un­

serer Bekenntnisse gehen auch wir zurück und sind der guten Zuversicht, daß grade ihm die Union entspricht, daß die Bekämpfung und Verleugnung

derselben eine Bekämpfung und Verleugnung der Symbole selber in sich schließt.

Jede Lutherische Kirche, so gut wie jede reformirte, wenn sie

dem Geist, dem innersten Wesen ihrer Symbole getreu sein will, muß in ihrer Entwicklung nothwendig zur Union gelangen.

Darum nicht nur in

der Union wissen wir uns berechtigt, sondern bekennen es auch kühn,

wir sind die ächten Söhne der wahren Lutherischen und reformirten Kirche

und sollen uns Herr Tauscher und Genossen diese Eigenschaft und dies Recht nicht rauben. Die Schlußbehauptung der Herren Erklärer gibt es endlich als ihre

„wohlbegründete Ansicht, daß alle von der Wissenschaft — der Geschichte und Archäologie, Physik und Astronomie — wirklich erwiesenen Thatsachen

mit der heiligen Schrift in keinem Widerspruch stehen."

Da sind sie wohl

dem Kön. Hochwürdigen Konsistorio zuvorgekommen, welches durch eine

razionalistische Erklärung, die als wissenschaftlich begründete Ansicht nam­ hafter Theologen aufgeführt wird, den Lauf und die Unterbrechung des

Laufes der Sonne

aus Josua 10, 12—13

hinwegerklärt.

Jedenfalls

wollten sie sich damit von der bekannten Behauptung Knak's auf der Friedrich-Werderschen Synode lossagen. Wer es daher noch nicht wüßte, könnte

es hieraus klar entnehmen, daß wir in der Erklärung des Herrn Tauscher nur die Fortsetzung bekannter Vorgänge auf einer Synode Berlins genie­

ßen.

Es kehrt sich hier die Partei nicht nur gegen den Protestanten­

verein, sondern gegen eins ihrer eigenen, treusten, und ich denke, auch ehrenwcrthesten Mitglieder, gegen Knak.

Ich weiß nicht, wenn ich mich

55 des allgemeinen Hohnes und Spottes erinnere, wie er von allen Seiten seit jener Synode über den Mann ausgegossen ist, ich kann mich eines gewissen, lebhaften Mitgefühls mit demselben nicht erwehren, ja bis auf einen gewissen Punkt hin muß ich ihm meine Anerkennung und Achtung

zollen.

Er kommt mir beinah vor, wie ein armer, theilweise unschuldiger

Prügeljunge, der das leiden muß, woran die Hauptschuld ganz andere tragen. Ja auch positiv muß man ihn loben. In dem, wie er sich gibt, ist volle, nackte Ehrlichkeit, und das ist nichts Geringes.

In der Art,

wie er, man möchte fast sagen, einer Welt gegenüber, zu seiner Ueberzeu­

gung steht, ist doch Muth und Tapferkeit, wer möchte die geringschätzen? Endlich diese gute, fröhliche Stimmung, in welcher er verharrt, wie sehr er auch mit der Lauge der Sathre überschüttet wird, ist wahrlich auch nicht zu verachten.

Aber, sagt man, es ist doch zu große Beschränktheit,

der ganzen Wissenschaft zum Trotz anzunehmen, daß unsere kleine Erde fest steht und die große Sonne ja auch die übrigen Sterne als ihre Die­

ner sie umkreisen!

Du lieber Gott, welcher Mensch wäre denn frei von

aller Beschränktheit? Das nur ist der Unterschied, daß sie bei dem einen etwas früher, bei dem anderen etwas später beginnt; und doch das freilich der noch mehr in's Gewicht fallende Unterschied, daß die einen, je weiter

sie forschend vordringen, desto mehr der Schranken ihres Denkens und Wissens sich bewußt werden, die anderen dagegen von denselben keine Ah­ nung haben, sondern alle Weisheit, Aufklärung und Erleuchtung in sich

zu tragen wähnen. Es ist noch ein Anderes, das ich zu Knak's Gunsten möchte geltend machen. Nach seinem Lebensgange, seiner Eigenthümlichkeit

sind

ihm gewisse Grundwahrheiten

des Evangelii gemäß seiner Erfah­

rung als unumstößliche Gottesoffenbarungen aufgegangen. Diese findet er in der kirchlichen Gemeinschaft, welcher er angehört, verflochten mit vielen anderen Lehrsätzen, findet sie wieder in dem System der Äirchen-

lehre.

Was ihm für die Heilswahrheit in ihrem Grunde, wie sie ihm

Frieden und Halt gewährt, feststeht, das überträgt er einfach, und glaubt

es nothwendig übertragen zu müssen auf das ganze System in allen seinen Ausführungen und Sätzen.

Gehört zu diesen Lehren auch unbestreitbar

die von der Inspirazion der heiligen Schrift in weitester Ausdehnung, oder die, daß Bibel und Gotteswort völlig zusammenfallen;

so macht er

von seinem Standpunkt aus als ehrlicher Mann mit seiner Ueberzeugung Ernst. Was ihm weltliches Wissen auch sagt, wie seine Vernunft vielleicht auch demselben zustimmend sich zuwendet; das „Wort Gottes", das vom

heiligen Geist selbst Geredete sagt das Gegentheil und das ist und muß allein die Wahrheit sein.

So trotz aller Wissenschaft steht ihm die Erde

still und die Sonne macht täglich ihre Reise um dieselbe. Der That und Wahrheit nach dürfte übrigens die still stehende Sonne zu Gibeon

56 und der Mond im Thale Ajalon für Knak wenig zu Zedenten haben.

Für seine ganze Predigtweise können sie wohl nur hie und da, ich möchte sagen, in den Außenwerken als Zierrath dienen. Dem sei indeß wie ihm wolle, nach meiner Ueberzeugung wirkt Knak, ein seinem ganzen Wesen nach methodistischer Pietist, als solcher entschieden ehrlich und in seiner Gemeine gewiß zum Segen. Es gibt in niedrigsten und höchsten Ständen Naturen, die nach ihrer ganzen Richtung und nach dem, was sie im Leben

durchgemacht haben, nur auf diesem methodistisch pietistischen Wege zur Aufnahme des Evangelii, zum Frieden ihrer Seele und zu einem festen

Halt für ihr Leben gelangen. Also da dem Mann, wenn er in seinem Kreise, in seiner Gemeine, die sich um ihn bildet, verharrt, alle Anerken­

nung.

Nur in einer schlimmen Gefahr befindet er und seine Geistes­

genossen sich beständig, nämlich bei der Exaltazion, die mit diesem Stand­

punkt nothwendig verbunden ist, fast wie unbewußt jedes Mittel sich ge­

fallen zu lassen und dann auch zu ergreifen, wenn es nur seiner Sache,

die ja für ihn mit dem Himmelreich zusammen fällt, zu dienen verspricht.

Ist überhaupt nichts gefährlicher und nichts verbreiteter, als was wir mit dem Ausdruck Iesuitismus zu bezeichnen pflegen, so besonders da, wo

man, ich möchte sagen, mit der Gluth der Leidenschaft sich einer bestimm­ ten kirchlichen oder auch politischen Richtung hingegeben hat.

Wirkliche

Sünde aber war eö, wenn auch Knak unter jene 21 Glieder der Synode sich reihte und anstatt in seiner Weise und in seinen Kreisen Frieden zu

bringen, in gänzlich ungehöriger Weise kirchenregimentlich austrat, wenn er von seiner immerhin engherzigen Auffassung des Evangeliums ans mit das

Gericht darüber sich anmaßen wollte, was noch in die Kirche und ans die Kanzel gehöre.

Könnte er, der anderen so eindringlich Buße zu predigen

versteht, hier selbst Buße thun und sich jenes hochmüthigen Richtens ent­ äußern und enthalten; so wüßte ich gar nicht, was zwischen ihm und uns der brüderlichen Gemeinschaft entgegenstände. Wo Seelen wirklich Jesu als ihrem Erlöser sich hingeben, aus der Liebe Gottes durch ihn Trost

und Kraft schöpfen und ihren Glauben in Demuth, Liebe, Wahrhaftigkeit und Rechtschaffenheit bewähren, da, ob sie Kopernikaner oder Josuaner sind, gehören sie unter dem Einen Haupte in die Eine evangelische Kirche

und sollen unter einander fleißig sein zu halten die Einigkeit im Geist

durch das Band des Friedens. Es wird aber Zeit, zu den Herren Erklärern wieder zurückzukehren.

Da dünkt es mich nicht fein und schön, daß sie so schnell von einem Kampf­ genossen, der so treu zu ihnen gestanden hatte, in der Oeffentlichkeit sich

lossagten, daß sie nicht vielmehr von der Höhe ihres Standpunktes ans die Schwäche des Bruders mit schonendem Schweigen übergingen. Doch das geht nns ja weniger an, mögen sie es mit ihm und er es mit ihnen

57* abmachen. Aber was wollen nun ihre Worte in Betreff ihrer selbst be­ sagen? Nach ihrer „wohlbegründeten Ansicht" stehen alle von der Wissen­ schaft wirklich erwiesenen Thatsachen mit der Bibel in keinem Widerspruch. Nun wer an der ewig jungen Schönheit ursprünglichster Poesie beim Ho­ mer sich erquicken will, was fragt der nach geographischen oder astrono­ mischen Anschauungen des Sängers und der gefeierten Helden, was fragt er danach, ob diese mit den seinen übereinstimmen oder nicht? Wie er in

vollen Zügen den Nektar der Dichtung schlürft, existirt für ihn nicht und stört ihn nicht der Widerspruch in solchen Dingen, welche der Prosa der Welt angehören.

Grade so, wer in die biblischen Bücher sich versenkt,

iver hier an den Urquellen des religiösen Lebens den eignen Geist erfrischen, seinen Glauben kräftigen, seine Liebe läutern will, was kümmert es ihn,

ob Abraham, Moses, Josua, David, ja ob Jesus die Anschauungen des Ptolemäischen oder des Kopernikanischen Shstems hatten, ob sie sich die

Erde als Kugel oder als Scheibe dachten, ob diese ihre Anschauungen von

den seinen abweichen oder nicht? Ihm ist es zu thun um das Himmels­ brod, von dem der Erlöser spricht. Damit den Geist zu nähren, das ist Da existirt zur Zeit für ihn kein Widerspruch, er ist mit seiner Bibel in vollster Harmonie. Wenn ein gewisser Mate­

seine alleinige Absicht.

rialismus unserer Tage sich z. B. müht, aus der Wissenschaft nachzuwei­ sen, daß, was 1. Moses 1 über die Schöpfung berichtet wird, so nicht buch­

stäblich geschehe» sein könne und daun triumphirend meint, die ganze Bibel und alle darin enthaltenen religiösen Wahrheiten über den Haufen gewor­ fen zu haben;

so gibt er sich damit selbst ein vollgültiges Zeugniß einer-

gewissen Bornirtheit, ein vollgültiges Zeugniß, daß es ihm an jeder Fähig­ keit, die Bibel zu lesen, zu verstehen und zu würdigen, gebricht. Zu mei­ ner Ueberraschung und Freude hat sich das Kön. Hochwürdige Konsistorium nach dieser Seite hin ausgesprochen, daß nämlich die Bibel nur für die

christliche Heilswahrheit Norm und Quelle sei, wobei freilich fraglich bleibt,

ob die hohe Behörde auch die Tragweite anerkennt, welche in diesem Satze nothwendig liegt. Ist das nun etwa auch der Sinn, den die Herren am

Schluß ihrer Erklärung haben ausdrücken wollen?

Keinesweges;

gleich auch sie sich von Knak feierlich loö sagen wollten.

wenn

Sie rechnen es

ja im Anfang ihrer Erklärung dem Protestantenverein als Sünde des Unglaubens an, daß nach ihm die Naturwissenschaften das Weltbild der Bibel durch ein anderes ersetzt haben.

Sie nennen ausdrücklich die Wissen­

schaften der Geschichte und Archäologie, der Physik und Astronomie, welche es doch mit ihren Gegenständen als solchen zu thun haben und nur auf

diesem ihren Gebiet Thatsachen feststellen können. Die von der Wissen­ schaft begründeten Thatsachen stehen mit der Bibel in keinem Widerspruch, das ist demnach grade so zu verstehen, wie es lautet.

Demnach wäre

5

58 auch die Physik und Astronomie der alt- und neutestamentlichen Schrift­

steller grade dieselbe wie die der heutigen Vertreter dieser Wissenschaften.

Oder hatten jene andere Ansichten und glaubten die Thatsachen hier und

dort anders, als sie heut von der Wissenschaft nachgewiesen werden, dann

muß nach Ansicht der Herren hier natürlich der heilige Geist geholfen haben, muß ihnen das Richtige in Astronomie und Physik im Gegensatz zu ihrem falschen Wissen bei ihrem Schreiben eingegeben haben.

Damit

wäre aber eigentlich Knak doch wieder anerkannt und die Herren wissen

am Ende selber nicht, was sie wollen.

Aber im Ernst!

Das Weltbild

der biblischen Schriftsteller, d. h. die Anschauung der Welt als Univer­ sum und aller Theile in ihrem Verhältniß zum Ganzen wäre wirklich dasselbe, wie das, welches die Wissenschaft der Neuzeit durch Arbeiten eines Kopernikus, Newton, Humboldt und so vieler anderer ausgezeichneter

Forscher sich gebildet hat? Wie tief müssen diejenigen, die solches behaup­ ten, in diese Wissenschaften eingedrungen sein, mit welchem Verständniß müssen sie die Bibel gelesen haben!

Das wenigstens läßt sich wohl nicht

bezweifeln, daß an solchen Behauptungen weder die Wissenschaft, noch der

heilige Geist irgendwie Theil haben kann.

Wollten sie sich von der Be­

schränktheit des Herrn Knak damit lossagen, wir fragen, wenn von solcher die Rede sein soll, auf welcher Seite findet sich die Beschränktheit?

Bei

Knak, der den Widerspruch der antiken und modernen Anschauungen der

Thatsachen, denn um diesen handelt es sich, sehr wohl zu kennen scheint

und allein aus seinem Prinzip heraus unbedingt allein die antiken zur Ehre der Bibel gelten läßt, oder bei jenen, die kühnlich behaupten, daß ein solcher Widerspruch gar nicht existire? Allerdings wird es uns schwer,

die Herren, die sonst stets viel Klugheit verrathen, hier uns beschränkt vorzustellen. Was aber bewegt und treibt sie, diesen Widerspruch zu leug­ nen und sich mit sich selbst in Widerspruch zu bringen?

Es ist besser,

hier jede Vermuthung uns zu untersagen und zu schweigen.

Wir sind am Ende. Da könnten wir nach allem Vorangegangenen mit vollem Recht die Anklagen gegen die Erklärer und ihre Gesinnungs­ genossen erheben.

Wir könnten auf dem Grunde der Wahrheit zu ihnen

sprechen: Ihr nehmt dem Wort Gottes in heiliger Schrift die richtende

Kraft und das ihm gebührende Ansehen, indem ihr es einzwängt in die

Schnürbrust eurer Bekenntnißformeln, indem ihr, so viel an euch ist, zu hindern sucht, daß man vorurtheilsfrei mit lauterem Wahrheitssinn aus den Urquellen den reinen Trunk heiliger Wahrheit schöpft. — Ihr, mit euren hier und da den jWeltlauf und die Weltgesetze durchbrechenden Wundern in ihrer Widernatürlichkeit, mit eurer, einem hölzernen Deis­

mus entlehnten Weltanschauung verdunkelt, so viel an euch ist, den Glau­ ben an das allgegenwärtige, durch Alles hindurchgreifende, immerdar wun-

59 derbar wirkende Walten der Gottheit, so unendlich wunderbar, weil stets

in heiliger Ordnung, darum im vollsten Einklänge mit dem All und den von der Gottheit her dasselbe stets durchströmenden Gesetzen. — Ihr seid es, die manchen, edlen, freien Geist von Jesu, welcher als die Wahrheit frei

macht, fern haltet, indem ihr den Erlöser für jeden in die Formeln von Chalzedon bannt. Ihr seid es, die ihr mit kecker Hand nach seiner Ge­ walt und seinem Recht in den Gemeinen greift, indem ihr euch der Dog­ men als Mittel bedient, um eine neue Hierarchie in der evangelischen Kirche aufznrichten und zu befestigen. — Ihr seid es, die ihr euren Un­

glauben an den heiligen Geist und an die christliche Kirche thatsächlich

bekundet,

indem ihr auf das Pastorenamt, mit ungebührlichen Rechten

versehen, und auf die weltliche Macht, die diesem Amt ihren Arm zu lei­

hen hat, bauet, die ihr, wo von den heiligen Urrechten der Gemeine als solcher gesprochen wird, sofort die verläumderische Anklage auf Unglaube

erhebt.

Ihr seid die Ungläubigen,

die ihr behauptet, daß wenn jene

Rechte anerkannt und zur Geltung gebracht werden, dann die Arche der

Kirche versinken müsse.

Ihr seid es, die das innerste, eigentlichste We­

sen der evangelischen Kirche, wie es sich ausspricht in der Rechtfertigung allein durch den Glauben, mannichfach verleugnet, indem ihr das Heil ab­ hängig macht von den Werken des menschlichen Verstandes, von den aus­ geprägten Lehrsätzen. — Doch nein, wir stehen von diesen Anklagen zu­

rück und wollen uns lieber demüthig erinnern:

Wir fehlen und irren

alle noch mannichfalt. — Was aber ist es, das sich drohend zwischen nnS und jenen stellen will?

Kurz gesagt: Sie wollen die Zertrennung.

Ge­

länge es ihnen, uns hinauszustoßen, auch andre würden uns bald folgen

müssen.

Auf abschüssiger Bahn ist kein Aufenthalt. Der erste Schritt Wir wollen in der That

zieht mit Nothwendigkeit die andern nach sich.

die Union, die Einheit, die Gemeinschaft.

Böte man uns eine Kirche,

ich will einmal sagen, liberale Christen, welche alle gleicher Ueberzeugungen wären, in sich

selbst aufs Beste organisirt und dotirt, die nur, nun

schlösse, wir müßten bestens danken, sie wäre uns allzu arm und dürftig. Das ist uns der unendlich herrliche Reichthum göttlicher Gnade und Wahr­

heit, daß dieselbe in so verschieden gerichteten Geistern in verschiedenster Strahlenbrechung ihre Kraft und ihr himmlisches Licht offenbart.

Luthe­

raner, Zwinglianer, Calvinisten, Methodisten, Pietisten, Razionalisten u. s. w., wie sie dem Erlöser sich hingeben, unter sein Wort sich stellen; sie sind berufen, indem sie alle nach allen Seiten evangelisches Recht und evangelische Freiheit anerkennen und ehren, die Eine evangelische Kirche in ihrem Reichthum, in ihrer Schöne und Herrlichkeit zu bilden.

Darum gewiß in dieser geschichtlichen evangelischen Kirche, wie in ihr Raum und Recht ist für die reiche Mannichfaltigkeit verschiedner Richtungen, auch bei

60 dem Herrn Tauscher und Genossen, mögen sie uns haben wollen oder nicht, sind wir gesonnen mit zähester Treue auszuhalten und, so weit sie es uns möglich machen, die kirchliche Gemeinschaft zu pflegen. So for­

dert es von uns unser unS von Gott angewiesener Beruf, das ist unser Recht und unsre Pflicht, unS von ihm verliehen. Sollte den Herren aber jemals ihr sehnlicher Herzenswunsch erfüllt werden — man kann ja darüber nichts vorher sagen — uns ans der Landeskirche auSgestoßen zu heu; nun so würde das unter solchen Umständen uns zunächst am wenig­ sten eine Ausstoßung aus der wahren Kirche Christi sein, vielmehr ein Zeugniß und Siegel, daß wir erst recht unzertrennlich derselben angehören. Immerhin möchten sie so nach ihrer Meinung uns in die Wüste treiben,

unter solchen Umständen würde sich auch die Wüste uns zum Paradiese gestalten. Wohlan, trotz aller schon geschleuderten und noch zu schleudern­ den Bannstrahlen, trotz aller Verlänmdnngen und hämischen Anklagen be­ harren wir sroh und frei in dem Glauben an den allmächtigen, heiligen Gott, der in dem Menschensohn, welcher ist die vollendete Blüthe und Krone seines Geschlechtes, sein ewiges Wesen als Liebe und Gnade er­

schlossen hat und von ihm aus Versöhnung und Erlösung verbreitet, wel­ cher in seinem heiligen Geiste die ganze Geschichte der Kirche und der

einzelnen Glieder trotz vieler menschlicher Sünden durchwaltet. Christus, der Mittelpunkt der Geschichte der Menschheit, durch den sie zum Vater kommt, von dem sie den heiligen Geist empfängt, ist und bleibt uns des­ halb in der Kirche der Einige Grund, das Einige Haupt, der Einige Herr und Meister. An ihn uns in unserm Gewissen bindend sind wir die Freien, kein Mensch soll unS knechten.

Als Gotteskinder frei von allen

binden wir uns an ihn und an sein heiliges Wort. Somit fordern wir für seine Kirche unter Leitung seines Wortes und Geistes die Freiheit für Glaube, Ueberzeugung und Gewissen, fordern damit die Freiheit in

der Einheit, die Einheit in der Freiheit! Berlin, den 12. August 1868.

Dabei solls bleiben.