Die Einheitsschule: Ein Organisationsentwurf. Den Politikern gewidmet 9783111553955, 9783111184326


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Die Einheitsschule. Ein Organisationsentwurf
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Die Einheitsschule: Ein Organisationsentwurf. Den Politikern gewidmet
 9783111553955, 9783111184326

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Die Einheitsschule (Ein (Drganifationsentwurf Den Politikern gewidmet

von

Dr. Heinrich Schnell Direktor der Dberrealschule zu Gießen

Verlag von Klfred Töpelmann in Gießen 1919

„welche unendlichen Kräfte schlafen im Schatze einer Nation un­ entwickelt und unbenutzt! 3n der Brust von tausend und abertausend Menschen wohnt ein großer Genius, dessen aufstrebende Flügel seine tiefen Verhältnisse lahmen. Währenddem ein Reich in seiner Schwäche und Schmach vergeht, folgt vielleicht in seinem elendesten Dorfe ein Cäsar dem Pfluge und ein Epaminondas nährt sich karg von dem Ertrag der Arbeit seiner Hände. Warum griffen die Höfe nicht zu dem einfachen und sicheren Mittel, dem Genie, wo es sich auch immer findet, eine Laufbahn zu öffnen, die Talente und Tugenden aufzumuntern, von welchem Range und Stande sie auch sein mögen? Warum wählten sie nicht diese Mittel, ihre Kräfte zu vertausendfachen?" Diese Worte Gneisenaus aus dem Jahre 1807 sind wie ein Leit­ spruch zu den heutigen Linheitsschulbestrebungen, deren Ziel ja doch ist, allen Volksgenossen den Weg zu den höchsten höhen der Bil­ dung frei zu machen. „Freie Bahn dem Tüchtigen" wurde, als ob es vorher nie etwas dergleichen gegeben hätte, dem deutschen Volke während des Krieges, gewissermatzen als Lohn für seine Dpferwilligkeit, versprochen, und von den ersten Tagen der Revolution an steht im Vordergrund der Kulturpolitik die Forderung der freien Bildung für alle Volksgenossen. Die Einheitsschule gilt jetzt als das große Heilmittel aller Bildungsschmerzen. Wenn man die Verfechter des Ein­ heitsschulgedankens in den politischen Versammlungen hört, erscheint die Sache ja so einfach: Man setze das Arbeiterkind und das Millionär­ söhnchen auf dieselbe Schulbank, und dann ist, das gehört seit Kaiser Karls berühmter Schulvisitation zu den unveräußerlichen Bestandteilen des Volksglaubens, das arme Kind fleißig, begabt und tüchtig und das reiche ebenso faul, dumm und nichtsnutzig und die Ummodelung der sozialen Verhältnisse ergibt sich alsbald von selbst. 3n Wirklich­ keit verlaufen die Dinge in den meisten Fällen doch etwas anders. Die Verfechter der Einheitsschule scheinen meistens auch keine rechte Vorstellung davon zu haben, welche Bedenken der Einführung der Einheitsschule entgegenstehen, und werfen daher den Gegnern unsach­ liche Beweggründe vor. Wenn aber gerade sachverständige und urteils­ fähige Kreise die Einheitsschule bekämpft haben, so ist dies nicht geschehen, weil sie den Kindern aus den unteren Ständen den Weg in die höhe verlegen wollen, sondern weil sie den hohen Stand unserer höheren Schulbildung durch die Einheitsschule gefährdet sehen. Die besonderen Zwecke der Einheitsschule glauben sie innerhalb des alten Sqsjems mit Hilfe anderer Maßnahmen gerade so gut, ja besser erreichen zu können. Die Frage der Einheitsschule ist zu einer politischen geworden, und nachdem die sozialistisch-demokratischen Parteien die politische Macht erlangt haben, ist die Frage entschieden. Es hat für die Gegner

3 der Einheitsschule keinen Zweck mehr, ihre Kraft im Kampfe für die Erhaltung des bestehenden Schulsystems zu verpuffen, wer prak­ tische Schulpolitik treiben will, muß sich auf den Boden der gegebenen Verhältnisse stellen und die Einheitsschule als die in aller Kürze kom­ mende Schulform anerkennen. Es kann sich jetzt nur noch darum Handein, dafür zu sorgen, daß der Einheitsschule d i e Form gegeben werde, die ihre allgemeinen sozialen Zwecke sichert, zugleich aber unserer höheren Schulbildung den seitherigen hohen Stand erhält, hier muß die Arbeit der sachkundigen Fachleute ansetzen. Venn wenn die Ver­ fechter des Einheitsschulgedankens auch im allgemeinen Ziel übereinstimmen, so sind sie doch weder sich klar noch einig über den Weg, der zum Ziele führen soll. 3m Folgenden soll ein solcher weg gezeigt werden.

Was versteht man unter Einheitsschule? 3n der im Auftrag des Geschäftsführenden Ausschusses des deutschen Lehrervereins von 3. Tews herausgegebenen Schrift „Vie deutsche Ein­ heitsschule" heißt es: „Die Einheitsschule will nicht eine Schul­ bank, ein Schulbuch, ein Schulziel für alle, sondern eine in sich verbundene Vielheit von Schulen, in der jede Kraft nach ihrer Eigenart sich entwickeln kann, in der nicht die äußeren Verhält­ nisse des Lebens: vermögen, Stand, Bekenntnis und Wohnort der Eltern in erster Reihe oder allein den Bildungsgang des Kindes be­ stimmen, sondern im wesentlichen und in vielen Fällen einzig und allein die Willenskraft und die Begabung des Kindes." 3ch» erkenne die in diesen Worten enthaltene Begriffsbestimmung der Einheits­ schule im vollen Umfange an und werde meinen Drganisationsentwurf darauf aufbauen.

Die Abschaffung der Vorschule. Die Forderung der Abschaffung der Vorschule ist die einzige, in der sich die Verfechter des Einheitsschulgedankens völlig einig sind. Alle die klugen und zum Teil tief in den Kern des Lrziehungs- und vildungsproblems eindringenden Gedanken, die für die Erhaltung der Vorschule ausgesprochen wurden, sind, von den Gegnern ungehört, ver­ hallt. Die allererste Tat der Einheitsschulreform wird die Aufhebung der Vorschule sein. 3ndem ich mich auf den Boden dieser Tatsache stelle, möchte ich mich darauf beschränken, die Bedeutung und Wirkung dieser Maßnahme ihren Freunden und Gegnern noch einmal vor Augen zu stellen: Die Abschaffung der Vorschule bedeutet 1. eine gewaltsame Gleichstellung aller Kinder unter Beiseite­ setzung der geistigen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingtheiten. Sie verhindert den einzelnen, seinen Kindern auf seine eigenen Kosten eine Bildung zu geben, die über die Durchschnittsbildung der Masse hinausgeht. Das kommt mir gerade so vor, wie wenn der wohl­ habende verhindert werden sollte, einen besseren Rock zu tragen, weis sich der Ärmere nicht auch einen solchen leisten kann oder will.

4 2. den versuch, durch die Schulorganisation die sozialen Gegensätze auszugleichen. Ich bin keinen Augenblick im Zweifel, daß dieser ver­ such gänzlich mißglücken wird. Übrigens dürften über die soziale Schichtung der Schülerschaft der Vorschulen in weiteren Kreisen nicht immer ganz zutreffende Vor­ stellungen bestehen. Für die von mir geleitete Vorschule des Real* gymnasiums und der Dberrealschule zu Gießen gibt die Zusammen­ stellung der Litern der Schüler nach verufsklassen in diesem Jahre folgendes Bild: 3 akademisch Gebildete, 5 Fabrikanten, 7 Lehrer, 67 selbständige Kaufleute, Gewerbetreibende und Landwirte, 41 kauf­ männische Angestellte und Privatbeamte, 68 Unterbeamte, 9 Unter­ offiziere, 12 Gesellen, Arbeiter und Diener. Gewiß gibt es Vorschulen, die aus durchschnittlich höheren sozialen Schichten beschickt werden,aber die oben angeführten Zahlen, wie die Statistik überhaupt, be­ weisen, daß es nicht nur, wie meistens behauptet wird, Standesdünkel ist, der die Litern ihre Kinder in die Vorschule schicken läßt, sondern der kein Gpfer scheuende Wille, den Kindern im Leben vorwärts zu helfen. 3. sie bewirkt einen beachtenswerten Ausfall von Schulgeld. Die Vorschulen unterhalten sich durch das Schulgeld nicht nur selbst, sondern sie erzielen zum Teil sogar noch Überschüsse. 3n Gießen beträgt die Einnahme aus dem Schulgeld sämtlicher Vorschulen in diesem Jahre 55—60 000 Ulk. bei einem Gesamtschulausgabenetat der Stadt von rund 500 000 Mk. 4. sie bewirkt ein Aufblühen des Privatschulwesens. Für die höhere Schule hat der Fortfall der Vorschule die wirkung, daß die in Sexta eintretenden Schüler durchschnittlich weniger gut vorbereitet sein werden als seither. Ls wird also manche Arbeit, die seither in der Vorschule geleistet wurde, auf die Sexta übernommen werden müssen. Die Folge davon wird sein, daß in Zukunft die Sextaner stärker belastet oder das Lehrziel der Sexta herabgesetzt wer­ den muß. Indessen werden die allgemeinen Lehrziele der höheren Schulen doch auch dann noch ungefähr in der alten höhe beibehalten werden können, und darum werden sich auch die Gegner der gemein­ samen Grundschule mit der Aufhebung der Vorschule abfinden. (Es wird auch so gehen!

Die Ausdehnung der Grundschule. Für die drei ersten Schuljahre also ist die Lösung des Linheitsschulproblems einfach und klar. Über den weiteren Gang der Reform besteht jedoch bei den Einheitsschulfreunden selbst keine Übereinstim­ mung. Die einen fordern nur die Abschaffung der Vorschule, andere die Ausdehnung der Grundschule auf das 4., teils auch auf das 5. und 6. Schuljahr. Zu den Verfechtern der 6 jährigen Grundschule gehören Professor Rein in Jena und der deutsche Lehrerverein. Die Einführung der 6 jährigen Grundschule wäre gleichbedeutend mit dem Untergang unserer derzeitigen höheren Schulbildung.

5 Nach Verwirklichung der Nein'schen Grundschule würden die Schü­ ler in einem Lebensalter in die höhere Schule eintreten, in dem sie jetzt nach Untertertia versetzt werden, und die höhere Schule hätte alsdann statt 9 nur noch 6 Jahrgänge, da es nicht wünschenswert ist, den Besuch der höheren Schule über das 18. Lebensjahr hinaus auszu­ dehnen. Rein meint, „der Unterbau mutz sechsjährig fein, damit er tief in den Boden heimatlicher Erfahrung, Naturbetrachtung und Kunst gegründet sein kann". Das sind meines Erachtens weiter nichts als große Worte. Außerdem berechtigt nichts im Lehrplan und Unter­ richtsverfahren der Volksschule zu der Annahme, daß hier „der Boden heimatlicher Erfahrung und Naturbetrachtung tiefer gegründet" sei als in der höheren Schule bei gleicher Altersstufe. Tatsächlich ist der Schüler der höheren Schule bei seiner Versetzung nach Untertertia dem gleichalterigen Volksschüler mindestens um die Lehraufgabe eines gan­ zen Jahres im Rechnen und um die fremdsprachlichen Lehraufgaben der drei untersten Klassen voraus. Die Volksschule kann nicht das­ selbe leisten wie die höhere Schule — und die Grundschule könnte es ebensowenig —, weil sie nicht in dem Maße wie die höhere Schule die moralische und praktische Unterstützung des Elternhauses hat, in­ folgedessen auch die Einübung des Lehrstoffes fast ganz dem Unterricht überlassen bleibt, und weil sie die unbefähigten, den Unterricht hem­ menden Schüler nicht in hinreichendem Maße aussieben kann. In der Reinschen Einheitsschule müßte der fremdsprachliche Lehrstoff auf 6 Jahre zusammengedrängt und die ganze Arbeit, die jetzt in den drei untersten Klassen vorweggenommen wird, nachgeholt werden. Dabei handelt es sich um das Linprägen der Wörter und Formen, eine Arbeit, die dem jüngeren Schüler mit seinem frischen und aufnahme­ fähigen Gedächtnis leicht fällt und mit fortschreitendem Lebensalter durchaus nicht leichter wird. Die Folge aber wird sein, daß gerade die Fächer, auf die die Einheitsschulmänner so großen Wert zu legen scheinen, wie Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Naturwissenschaften, Lek­ türe der Schriftsteller, zu kurz kommen müssen. Es wäre ganz un­ möglich, in der Reinschen Einheitsschule an den seitherigen Bildungs­ zielen unserer höheren Schulen festzuhalten, und darum lehne ich die Einheitsschule in dieser Form ab. Es gibt keinen sachlichen Grund, aus dem die Forderung hergeleitet werden könnte, daß sämtliche Schulkinder 6 Jahre lang in derselben Schule zusammengehalten wer­ den müßten. Vie Schüler, die einer höheren Bildungsstufe zugeführt werden sollen, würden ja geradezu künstlich in ihrem Entwickelungs­ gang zurückgehalten. Der deutsche Lehrerverein fordert doch selbst in der Darstellung des Begriffs der Einheitsschule, die oben angeführt worden ist, daß die Schüler gemäß ihrer Befähigung verschiedene Bildungswege geführt werden sollen. Aus psychologischen und didaktischen Gründen ist der Beginn des 4. Schuljahres der geeignete Zeitpunkt, wo die erste Scheidung der Geister vorgenommen werden soll. Nur für die Schüler, die von ihrem Wohnort aus nicht täglich eine höhere Schule erreichen können, liegen Gründe vor, den Zeitpunkt des Über-

6 gangs in die höhere Schule hinauszuschieben. Mr diese soll daher in besonderer Weise gesorgt werden. Näheres wird darüber in dem Abschnitt über die Landesschule gesagt. Die wunde Stelle der Keinschen Einheitsschule ist ihren Freunden und Verfechtern sehr wohl bekannt. Sie verteidigen deshalb ihr System, indem sie dem fremdsprachlichen Unterricht die Vorzüge, die ihm sonst allgemein zuerkannt werden, absprechen und insbesondere behaupten, der deutsche Unterricht könne den fremdsprachlichen hinsichtlich seiner Lildungs- und Erziehungswertes voll ersetzen. Tatsächlich aber ist der fremdsprachliche Unterricht ein Bildungsmittel, das, gerade auch auf der Unterstufe, durch nichts ersetzt werden kann. Vas Übersetzen aus einer Sprache in die andere ist ein geistiges Zuchtmittel allerersten Ranges. (Es zwingt den Schüler zum Zergliedern der Wortformen und Satzteile, also zum genauen Untersuchen eines vorliegenden Sachver­ halts, es zwingt ihn zu der wichtigen logischen Tätigkeit des Unter­ ordnens des Linzelfalls unter die allgemeine Regel, das ist hier die grammatische Regel, das veklinationsschema und dergleichen, es zwingt ihn zur vor- und Umsicht, Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit — und dies alles Tag für Tag, so daß diese Tätigkeit und dieses Ver­ halten nach und nach zur Gewohnheit wird. Ferner übt der Sprach, unterricht das Gedächtnis, und außerdem hat er den Vorzug, daß sich der Lehrstoff auf die einfachste und natürlichste weise in schulmäßige Form bringen läßt. Er eignet sich ebenso zur gemeinsamen Arbeit in der Klaffe wie für häusliche Aufgaben, die für die Erziehung des Schülers zur Selbständigkeit und Pflichterfüllung von so großer Be­ deutung sind. Der Lehrstoff kann auf jeder Stufe der geistigen Kraft des Schülers angepaßt und nach Umfang in jeder beliebigen weife abgestuft werden, wenn behauptet wird, daß der deutsche Unterricht den Schülern dieselbe geistige Zucht gibt wie der fremdsprachliche, so ist das einfach nicht richtig. Die Probe ist gemacht. Die hessischen Realschulen haben in der Sexta keinen fremdsprachlichen Unterricht. Sch glaube aber, es gibt bei uns keinen einzigen praktischen Schulmann, der die geistige Erziehung der Realschulsextaner der der Sextaner der anderen Schulgattungen für gleichwertig hält. Sogar in der Kennt­ nis der deutschen Grammatik sind die Realschulsextaner, trotz ihrer zehn wöchentlichen Unterrichtsstunden im Deutschen, unterlegen. Dazu kommt noch ein weiterer sehr wichtiger Grund, aus dem die Notwendigkeit der frühzeitigen Einführung einer Fremdsprache folgt, das ist die Pflicht der Aussiebung. Da in Zukunft jedem fähigen Schüler der Zugang zu allen Stufen der höheren Schule praktisch möglich gemacht werden soll, so erwächst dadurch der Schule in weit höherem Maße als seither die Aufgabe, die tüchtigen Schüler aus­ zulesen und die unbefähigten zurückzuhalten. Dazu bedarf sie aber wirksamer Wertungsmaßstäbe, und als solche eignen sich nach der Er­ fahrung der höheren Schulen vor allem die fremden Sprachen und die Mathematik (Rechnen). Deutsch hat sich nach dieser Seite hin gar nicht bewährt. Ich kann wieder auf die Erfahrungen in den hessischen Real-

7 schulen verweisen, hier ist überall der Prozentsatz der in der fremdsprachenfreien Sexta sitzenbleibenden Schüler ein verschwindender, und die Aussiebung der unfähigen Schüler beginnt erst in Quinta, wo der Unterricht im Französischen anfängt. Nach dem Gesagten mutz die frühzeitige Einführung einer Fremdspräche gefordert werden. Vas äußerste, was vielleicht noch ertragen werden könnte, ist eine vierjährige Grundschule. Aber es besteht kein durchschlagender Grund, von dem seitherigen bewährten System der Einführung der ersten Fremdsprache nach dem 3. Schuljahre abzugehen.

Die Unentgeltlichkeit des Unterrichts und die Auslese der Schüler. 3m März 1916 wurde im preußischen Abgeordnetenhause der fol­ gende sozialdemokratische Antrag eingebracht: „Das Haus der Abgeord­ neten wolle beschließen, die Königliche Staatsregierung um baldige Vorlegung eines Gesetzentwurfes zu ersuchen, der das Schulwesen auf der Grundlage der Einheitlichkeit, der Unentgeltlichkeit und der Weltlichkeit und nach den Richtlinien einer zeitgemäßen wissenschaftlichen Pädagogik regelt." Darnach fordert also die Sozialdemokratie die Unentgeltlichkeit des Unterrichtes. Welches sind die Folgen dieser Forderung?

Vie nächste ist die, daß die Entscheidung über den Bildungsgang der Rinder den Litern abgenommen und der Schule zugeteilt werden muß. Bei der Unentgeltlichkeit des Unterrichts besteht für kein Rind mehr ein Hindernis, die höhere Schule zu besuchen, wenigstens an allen (Drten, von denen aus sich eine solche Anstalt täglich bequem er­ reichen läßt, verbleibt nun den Litern wie seither das Recht zu be­ stimmen, welche Schule ihre Rinder besuchen sollen, dann werden sie sie lieber der höheren als der Volksschule zuweisen, und es wird alsbald das Verhältnis der Schülerzahlen in den beiden Schulgattungen das umgekehrte sein wie seither. (Es bedarf keiner weiteren Ausfüh­ rungen, daß dies zu unmöglichen Zuständen führen würde; es gibt aber auch kein anderes Mittel, daraus herauszukommen, als der Schule das alleinige Recht zuzuerkennen, die Schüler den einzelnen Schulgattungen zuzuteilen. Damit würde aber der Schule, d. h. den Lehrern, eine Verantwortung aufgebürdet, die sie einfach nicht über­ nehmen kann, da es uns an einem zuverlässigen Verfahren für eine objektive Auslese der befähigten Schüler fehlt, über diese Frage der Auslese ist in den Erörterungen über die Einheitsschule, soweit ich sie verfolgt habe, überall leicht hinweggegangen worden, und doch ist sie es, die meines Erachtens die Durchführung des Gedankens der Ein­ heitsschule in seiner reinsten Form unmöglich macht. Wie soll die Auslese getroffen werden? Man denke sich z. B. einen Lehrer, der bei einer Klaffe von 40 Schülern nach dem 3. Schuljahre entscheiden soll, welche Schüler der Volksschule und welche der fremd­ sprachlichen Abteilung zuzuteilen sind! (Er wird vielleicht zunächst

8 jedem Schüler eine nach den Leistungen bestimmte Grdnungsnummer geben und alsdann seine Entscheidung treffen. Da wird es Keiner wei­ teren Überlegung bedürfen, was mit den ersten und letzten zu geschehen hat. Vie Skrupel und Zweifel aber kommen, wenn es gilt zu entscheiden, wo der große Trennungsstrich zu ziehen ist. Soll etwa der 20. noch in die höhere Schule herübergenommen werden und der 21. nicht mehr? Nr. 20 war vielleicht vor einem halben Jahre der 25. und Nr. 21 der 16., und in einem weiteren halben Jahre würde es möglicherweise wieder so sein. Ja, worin besteht überhaupt der Unterschied in den Begabungen und Leistungen zweier so nahe stehender Schüler? Der Lehrer wird es wahrscheinlich selbst nicht wissen. Und überall, wo auch der Trennungsstrich gezogen werden soll, ent­ stehen dieselben Zweifel und Fragen. Die Sache wird nicht leichter, wenn man sich nach den Gesamtnoten richtet, etwa in der Weise, daß man bestimmt, die Schüler mit der Gesamtnote 1, 2 und 3 kommen in die eine Abteilung, die übrigen in die andere. Wieder entsteht die ähnliche Frage wie vorher, worin besteht der Unterschied zwischen dem Schüler mit dem geringsten Dreier und dem mit dem besten vierer usw. Über selbst wenn der Lehrer für den Augenblick eine richtige Ent­ scheidung getroffen hat, so braucht sie noch nicht überhaupt richtig zu sein. Der Schüler mit dem guten Gedächtnis, der in unteren Klassen, wo es sich hauptsächlich um Gedächtnisleistungen handelt, zu den besten gehört und in den oberen Klaffen zu den ganz schwachen heruntersinkt, ist eine Erscheinung, die einem immerfort begegnet. Dagegen stehen auf der anderen Seite die, die auf der unteren Stufe zu den schlech­ testen Schülern gehören, wie die blutarmen Nervösen, weil sie nicht achtgeben können, und oft in den Dberklassen zu den befähigsten zählen. Da sind die sich langsam Entwickelnden, die gewöhnlich nicht die schlechtesten sind, ferner die ganz einseitig Begabten, die in den Schul­ fächern nichts und im Leben oft das Höchste leisten. Wie will man diesen gerecht werden? Dazu kommt noch eins. „Vas Wesen des Menschen liegt im Willen." Was der Mensch im Leben leistet, hängt viel mehr vom Willen als vom verstände ab. Die Schulzeugnisse aber beurteilen in der Hauptsache den verstand des Schülers, und das wird immer so bleiben, weil sich der Wille nicht so objektiv greifbar in seinen Leistungen darstellen läßt wie der verstand. Selbst wenn also die Schule die Schüler nach ihren Leistungen richtig ausgelesen hat, so hat sie da­ mit noch nicht die, die im Leben am tüchtigsten sein werden, heraus­ gesucht. Ls ist klar, es würde zu unerträglichen Härten und Unge­ rechtigkeiten führen, wenn die Schule allein die Aufgabe übernehmen müßte, den Bildungsgang der Schüler zu bestimmen. Nun denke man sich die Eltern, die in Bezug auf das, was ihnen am teuersten ist, ganz von dem Urteil eines oder einiger Lehrer ab­ hängen! Wir wissen ja, wie die Lehrer jetzt schon bei Nichtversetzungen der Schüler angefeindet werden, wo es sich doch nur um den Verlust eines Jahres auf dem Ausbildungswege handelt. Welche Feindschaft

9 und welcher Kampf zwischen Schule und Elternhaus müßte aber erst entbrennen, wenn durch die Entscheidung der Schule die ganze Lauf­ bahn eines Menschen in einer den Eltern unerträglich erscheinenden Weise bestimmt würde. Gewiß ist dies vereinzelt auch seither schon vorgekommen; aber es war doch immer so, daß den Eltern durch die Entscheidung der Schule nicht die Hände gebunden waren. Das wäre gerade das Furchtbare in dem neuen Verhältnis, daß den Eltern die persönliche Entscheidung über den geistigen Bildungsgang ihrer Kinder entzogen und damit den Menschen einer der edelsten und wirksamsten Antriebe, die Fürsorge für die Nachkommen, genommen würde. Aus allen diesen Schwierigkeiten ist nur herauszukommen, wenn die Forderung der unbeschränkten Unentgeltlichkeit des Unterrichts auf­ gegeben wird. Die Schulgeldfrage muß vielmehr so gelöst werden, daß jedem begabten Schüler — nur am Aufstieg dieser hat die Allgemein­ heit ein Interesse — der Zugang zu jeder Stufe der höheren Schule frei gemacht wird, ferner aber die Eltern der anderen Schüler die Möglichkeit behalten, ihren Kindern eine höhere Schulbildung zu geben. Ich glaube, daß dies durch Annahme folgender Vorschläge erreicht werden könnte: 1) Alle Schüler, deren Schulleistungen die Gesamtnote 1 oder 2 erhalten, sind, einerlei ob reich oder arm, schulgeldfrei. Die­ sen Schülern können nach vollendetem 14. Lebensjahr aus Antrag besondere Lrziehungsbeihilfen gewährt werden. 2) Schüler, deren Schulleistungen mit der Gesamtnote 3 oder 4 bezeichnet werden, zahlen ein ermäßigtes Schulgeld, etwa in der höhe des seitherigen. 3) Schüler, die wegen ungenügender Leistungen einmal eine Klasse haben wiederholen müssen, zahlen für die weitere Dauer des Schulbesuchs, wenn nicht mildernde Umstände vor­ liegen und keine wesentliche Änderung in den Leistungen später eintritt, als Schulgeld den vollen auf einen Schüler entfallenden Anteil des Gesamtbetrags der Schulkosten. Die Abgrenzung der drei Gruppen gegen einander könnte auch etwas anders erfolgen, darüber ließe sich reden,' aber der Gedanke, der der Gruppeneinteilung zu gründe liegt, muß aufrecht erhalten werden, wenn die Herstellung eines sozialen Ausgleichs zu Gunsten einer Klasse nicht durch die Vergewaltigung der anderen Klassen er­ kauft werden soll.

Die Gliederung -er höheren Schule. Nach den früheren Darlegungen ist von der Grundschule nach dem dritten Schuljahre eine Schulgattung, die zunächst eine Fremdsprache aufnimmt, abzuzweigen. Diese Schule mit der Gesamtheit ihrer wei­ teren Verzweigungen soll in Übereinstimmung mit dem seitherigen Sprachgebrauch die höhere heißen. Es ist nun die Frage, mit welcher Fremdsprache begonnen werden soll. Für mich besteht kein Zweifel, daß sich die lateinische Sprache

10 hierzu am besten eignen würde, sowohl mit Rücksicht auf die Er­ ziehung zum Denken als auch aus die Eignung für die schulmäßige Behandlung. Dennoch Kann meines Erachtens als Anfangsfremdsprache nur die französische in Betracht kommen. Latein als Anfangssprache würde für all«, die für einen kaufmännischen, landwirtschaftlichen, technischen oder ähnlichen Beruf bestimmt sind, einerseits eine Kraft« Vergeudung bedeuten, da sie diese Sprache als vildungsmittel nicht richtig ausnützen können, und andererseits würde ihnen dadurch die Seit für die Erlernung der praktisch wichtigen modernen Sprachen allzusehr gekürzt. Wollte man diesem Mißstände dadurch Rechnung tragen, daß man gleich eine doppelte Gabelung durch Bildung eines Latein und eines Französisch treibenden Sweiges vornähme, so würde man wieder zu sehr gegen den Gedanken der Einheitsschule verstoßen, der verlangt, die Schüler so lange zusammenzuhalten, wie es die Unterrichtszwecke nur irgendwie gestatten. Die sogenannten Reform­ schulen aber haben bereits praktisch bewiesen, daß die seitherigen Siele der sämtlichen höheren Schulen bei einem dreijährigen gemeinsamen Unterbau mit Französisch als Fremdsprache erreicht werden können. Die praktischen Vorteile des gemeinsamen Unterbaus sind ja derart groß, daß seine allgemeine Einführung in weiten Kreisen seither schon gewünscht wurde. Nur der Widerspruch der Freunde des humanisti­ schen Gymnasiums, die von ihrem Standpunkte aus eine Reihe beachtenswerter Bedenken gegen das Reformgymnasium vorzubringen haben, hat es verhindert, daß sich die Reformschulen mit gemeinsamem Unterbau allgemein durchgesetzt haben. Aber nachdem nunmehr die Partei der Einheitsschulfreunde die politische Wacht gewonnen hat, werden die Gymnasialfreunde froh sein, wenn sie ihre Schulgattung auf dem weg über die Reformschule überhaupt noch retten können. Ich möchte also in Anlehnung an den Lehrplan der Reformschulen Vorschlägen, an die dreijährige Grundschule eine dreijährige gemein­ same Unterstufe der höheren Schule mit Französisch als Fremdsprache anzuschließen. Diese Unterstufe soll weiterhin den Namen Unterschule führen. Ferner möchte ich dann ebenfalls nach dem Muster der Reformschulen vorschlagen, am Schluß der Unterschule, also mit Beginn des 7. Schuljahres, eine zweite Fremdsprache einzuführen und zugleich eine weitere Gabelung vorzunehmen, indem zu dem Französischen in dem einen Sweig Englisch, in dem anderen Lateinisch als Fremdsprache Hin­ zutritt. Der Latein treibende Sweig würde sich nach zwei weiteren Jahren nochmals gabeln dadurch, daß in der einen Abteilung Englisch und in der anderen Griechisch hinzugenommen wird. Damit wären dann die drei Schulgattungen: Dberrealschule, Realgymnasium und Gymnasium in die Einheitsschule ausgenommen. Der auf die Unterstufe folgenden Mittelstufe wurden seither drei Schuljahre, das 7.-9., das find die Klassen Untertertia bis Unter­ sekunda, zugerechnet. Ich möchte vorschlagen, die Mittelstufe, die weiterhin die Mittelschule heißen soll, auf vier Jahre, das ist bis

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(Obersekunda einschließlich, auszudehnen. Der Abschluß in Untersekunda war seither durch die Verleihung der Einjährigenberechtigung bedingt. Die Rücksicht hierauf dürfte nunmehr gegenstandslos geworden fein. Andererseits gibt es eine ganze Reihe von Bernsen, für die das Zeug­ nis über die primareife Bedingung für die Zulassung ist. (Es ist somit schon in Hinsicht auf die große Zahl der am Schluß der (Obersekunda oustretenden Schüler an dieser Stelle einen Abschluß int Lehrplan zu machen. Entscheidender sprechen aber noch rein didaktische Gründe mit. Bei dem Abschluß in Untersekunda muß der Lehrstoff in den meisten Fächern in eigentlich unzulässiger Weise abgekürzt und zurecht­ geschnitten werden. Die Zugabe eines weiteren Jahres dagegen würde gestatten, diese Mängel zu beseitigen und einen wohl ausgeglichenen, geschlossenen Lehrplan zu verwirklichen. An die vierklassige Mittelschule hätte sich dann noch die zweijährige (Oberstufe, die (Oberschule, anzuschließen. Dieser sollte nun meines Erachtens eine (Organisation gegeben werden, die von der unserer seit­ herigen Primen wesentlich abweicht. Sch glaube, daß die vorwürfe, die die Schüler der höheren Schulen in ihrem späteren Leben gegen ihre Schulen erheben, hauptsächlich in den Verhältnissen der (Oberklassen begründet sind, und daß nur durch grundlegende Änderungen in der (Organisation der (Oberstufe das Verhältnis der Schüler zu ihrer Schule gebessert werden kann. Zunächst muß nach meiner Ansicht dem Schüler der (Oberschule eine gewisse Freiheit in der Wahl der Unterrichtsfächer gegeben wer­ den. Die Schüler dieses Alters haben gerade die Entwickelung vom Rinde zum jungen Manne durchgemacht. Sie befinden sich in einem Zustande höchster Empfänglichkeit für alles Große in Wissenschaft und Kunst, aber auch im Zustande größter Empfindlichkeit für alles ihnen Gemäße. Einigen Unterrichtsgegenständen treten sie mit überschweng­ licher Begeisterung entgegen, andere lehnen sie in unüberwindlichem Widerwillen ab. 3n diesem Zustande werden nun die Schüler ge­ zwungen, den verschiedenartigsten Gegenständen, die unsere Lehrpläne enthalten, mit gleichem Interesse und gleicher Arbeitslust gegenüberzutreten. Äußerlich mögen sie dazu gezwungen werden, innerlich lehnen sie diese Zumutung ab. Sie empfinden diese als Zwang, der ihnen zu­ weilen, wenn er noch durch die Art des Uitterrichtsbetriebs unb manche Schuleinrichtungen gesteigert wird, fast unerträglich wird. Geistig und sittlich wertvoll wird die Arbeit nur, wenn sie sich an Stoffen, denen der Schüler Neigung entgegenbringt, vollzieht. Darum soll man ihm wenigstens eine gewisse Freiheit in der Wahl der Fächer zubilligen. Die Natur der Gegenstände verlangt es allerdings, daß jeder Schüler am Unterricht in Deutsch, Geschichte, Erdkunde und philoso­ phischer Propädeutik teilnehmen müßte. Für diese Fächer sollten bis zu 12 Stunden wöchentlich vorgesehen werden. Außerdem müßte sich der Schüler noch für mindestens zwei Hauptfächer entscheiden und als solche wären etwa Lateinisch und Griechisch oder Französisch und Eng­ lisch oder Mathematik und Naturwissenschaften anzusehen. Gänzlich

12 wahlfrei sollten Religionslehre, Zeichnen, Kunstgeschichte bleiben. 3m einzelnen wäre noch mancherlei auszuführen; da aber hier keine Lehr­ pläne aufgestellt werden sollen, so wird davon abgesehen. Zu dieser Freiheit in der Wahl der Unterrichtsgegenstände sollte sich noch eine gewisse Freiheit im Unterrichtsbetrieb gesellen. (Es ist nicht wünschenswert, daß den erwachsenen Schülern so wie seither ihre Lernportion Stunde für Stunde zugeschnitten wird. Ulan sollte die Schüler in größeren Zusammenhängen lernen und arbeiten lassen, ohne indes eine geeignete Kontrolle außer acht zu lassen. Man würde sie dadurch mehr zur Verantwortung gegen sich selbst erziehen und sie außerdem besser für die unbegrenzte akademische Freiheit vorbereiten, als dies bis jetzt geschieht. Meines Erachtens wäre alles dies nur durchführbar, wenn die (Oberschule von der Mittelschule möglichst getrennt und unter eine be­ sondere Leitung gestellt würde. 3n jeder Schule bildet sich ein ge­ wisser Gesamtton heraus, und dieser kann unmöglich dem neunjäh­ rigen Kinde und dem 18 jährigen jungen Manne zugleich angemessen sein, so wenig wie unsere gemeinsame Schulordnung allen Alters­ stufen gerecht wird. 3n einer solchen abgesonderten (Oberschule würde sich alsdann auch viel leichter der richtige Verkehrston zwischen Lehrer und Schüler einstellen. Vie (vberstufe würde in der von mir vorgeschlagenen Form etwa dem amerikanischen Lollege entsprechen. (Es braucht kein Fehler zu sein, daß das Vorbild in Amerika zu Hause ist.

Die Landesschule. Durch die vorgeschlagene (Organisation ist jedem Schüler, Her in oder in der Nähe einer Stadt mit einer höheren Schule wohnt, der Weg bis zur Hochschule geöffnet. Nicht gesorgt ist damit für die Schüler in den abseits gelegenen (Orten, wollte man sie auf die gleichen Schulen verweisen, dann müßten die Eltern sie im Alter von 9 Jahren aus dem Hause geben, hierzu können sich Leute vom Lande und in kleinen Verhältnissen am allerwenigsten entschließen, auch ist ihnen dies in finanzieller Hinsicht meistens nicht möglich. Soll aber, wie es der Gedanke der Einheitsschule fordert, allen Schülern, also auch den Schülern auf dem platten Lande der Weg zur höheren Bildung frei gemacht werden, dann muß für diese eine besondere Schulgattung ge­ schaffen werden. Sie soll den Namen Landesschule führen. Auf einen größeren Landesteil sollte immer eine derartige Anstalt kommen, etwa in der Weise, daß auf einen Bereich, wie ihn ein größerer preußischer Negierungsbezirk oder der Staat Hessen umfaßt, eine Schule zu rechnen wäre. Sie mag auf dem Lande, oder in einer kleinen Stadt, oder wo geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung stehen, errichtet werden. Man könnte daran denken, die Schüler erst nach vollendeter volksschulpslicht in diese Schule überzuführen. Dies scheint mir jedoch zu spät. Die Schüler sollen sich dieselbe wissenschaftliche und allge­ meine Bildung wie die Schüler der anderen höheren Schulen erwerben.

13 Dazu ist jedoch auch bei den besonders günstigen Verhältnissen, die in diesen Anstalten geschaffen werden sollen, die Seit von 6 Jahren erforderlich. Venn es soll sich für die Schüler nicht um den Erwerb einer bestimmten Menge abfragbarer Kenntnisse, sondern um eine gründliche geistige und sittliche Durchbildung handeln, und diese mutz ihre Zeit haben, um ausreifen zu können. Die Schüler würden somit bis zum Besuch der Hochschule zwei Jahre älter wie ihre Kameraden von den andern höheren Schulen. Um diesen Nachteil zu vermeiden, sollen die Schüler nach dem vollendeten 12. Lebensjahre aus der Volks­ schule ihres Heimatsortes in die Landesschule ausgenommen werden. (Es sollen nur solche zugelassen werden, die von ihrem Lehrer als hoch­ begabt empfohlen sind, und nur die, die sich als solche bewähren, sollen behalten werden. Mit solchen Schülern wird es alsdann leicht sein, das einzuholen, was die Schüler der anderen höheren Schulen in der Unterschule vorausgelernt haben. Die Landesschule besteht nur aus einer vierklassigen Mittelschule und einer zweiklassigen (Oberschule. Die unterste Klasse der Mittel­ schule beginnt mit Französisch als Fremdsprache und zweigt bereits nach einem Jahre eine Latein treibende Abteilung ab. Mit Beginn des dritten Jahres nimmt die erste Abteilung Englisch auf, während sich die Lateinabteilung nochmals gabelt und zwar in eine Abteilung mit Englisch und eine mit Griechisch. Da die Schule nur wirklich hoch­ begabte Schüler haben soll, so dürften Bedenken gegen die rasch hinter­ einander folgende Aufnahme neuer Sprachen nicht bestehen. Die Ober­ stufe soll mit der der anderen höheren Schulen übereinstimmen. Die Schule soll außerdem eine Internatsschule sein, die aus allge­ meinen Mitteln unterhalten wird. Sie wird somit etwa den niederen Seminaren in Württemberg vergleichbar sein. Schüler mit der Gesamt­ note 1 oder 2 haben alles frei, solche mit 3 oder 4 zahlen Schul- und Verpflegungsgeld, das jedoch nicht die höhe der Selbstkosten zu erreichen braucht, und Schüler mit unzureichenden Leistungen, insbesondere solche, die sitzen bleiben müssen, werden überhaupt ausgeschieden.

Die Volksschule. Die Volksschule soll 8 Jahrgänge umfassen, wie dies ja jetzt schon in den meisten deutschen Staaten gesetzlich festgelegt ist. An die drei­ jährige Grundschule werden sich also 5 weitere Jahrgänge anschließen. Je nach der Größe der Gemeinden werden die 8 Jahrgänge in ein« bis achtklassigen Schulen unterrichtet. Die größeren Städte können aber nicht nur den Vorteil bieten, jeden Jahrgang in einer besonderen Klasse unterrichten zu lassen, sondern sie können auch noch Einrich­ tungen treffen, um den verschiedenen Begabungen gerecht zu werden. Sie können nach dem Vorgang der Stadt Mannheim neben dem acht­ stufigen Hauptklassensystem sieben- und sechsklassige Förderklassen- und vierstufige Hilfsklassensysteme und außerdem noch Anstalten für Schwachsinnige einrichten. Für jedes dieser Systeme ist ein geschlossener Lehrplan aufgestellt. Bleibt ein Schüler in einer Hauptklasse einmal

14 sitzen, so wird er dem siebenstufigen Förderklassensystem eingeretht und erhält dann hier, obwohl eine Stufe für ihn ausfällt, doch bis zum Abgang eine abgeschlossene Bildung. Für solche, die in einer siebenstufigen Förderklasse nochmals sitzen bleiben, ist dann das sechs­ stufige Förderklassensystem da. Schüler, die noch schwächer sind, werden dem vierstufigen Hilfssystem, das für sich einen geschlossenen Lehrplan hat, zugeführt. fln die Volksschule schließt sich dann für das 15.—18. Lebensjahr die Pflichtfortbildungsschule an. Diese kann durch Fachschulen, wie die kaufmännische Schule, die Gewerbeschule oder landwirtschaftliche Win« terschule, ersetzt werden. Line weitere Ergänzung kann dann die allgemeine Volksbildung noch durch die Errichtung von Volkshochschulen erfahren, die von Erwachsenen, die im allgemeinen das 20. Lebens­ jahr überschritten haben, besucht werden sollen. Auf die Volksschule ist auch das Volksschullehrerseminar, das sechs Jahrgänge umfassen soll, aufzubauen. Es hat dies schon deswegen zu geschehen, weil int allgemeinen die, die in der Volksschule unterrichten sollen, auch diese Schule als Schüler haben kennen lernen müssen. Nichtsdestoweniger soll der Zutritt zu den verschiedenen Stufen des Lehrerseminars auch von den höheren Schulen her möglich sein, wobei unter Umständen auch ein Zeitgewinn von einem Jahre zulässig ist.

Vas nebenstehende Schema gibt ein Bild des Schulsystems, wie es im vorstehenden entworfen wurde.

Die Lehrer der Einheitsschule. Tews schreibt int Auftrage des Geschäftsführenden Ausschusses des deutschen Lehrervereins: „Der deutsche Lehrerverein verlangt für die einheitlich gegliederte Schule auch einen einheitlichen Lehrerstand, d. h. eine gemeinsame Grundlage in der Vorbildung auf Mittel- und Gberschulen und Hochschulen für Erziehungskunde." Die zukünftigen Volks­ schullehrer sollen also nicht mehr auf dem Lehrerseminar ausgebildet werden, sondern sie sollen die höheren Schulen besuchen, hier das Reifezeugnis erwerben und alsdann die „Hochschulen für Erziehungs­ kunde" beziehen. Über die Einrichtung dieser neuen Art von Hoch­ schule schweigt sich Tews völlig aus; man muß' sich also selbst ein Bitb davon zu machen suchen. Das Studium der Erziehungskunde allein wird den Bedürfnissen der höheren Schulen nicht gerecht. Diese er­ fordern die Fachbildung der Lehrer in dem seitherigen Umfang. Die Volksschullehrer dürften die Schwierigkeiten des Unterrichts namentlich in den Gberklassen der höheren Schulen nach der sachlichen Seite int allgemeinen doch etwas unterschätzen. Die wissenschaftliche Ausbildung der Gberlehrer erfolgte seither durch die philosophische Fakultät, deren eigentlicher praktischer Zweck dies ja ist. (Es müßte also die philoso­ phische Fakultät an die Hochschule für Erziehungskunde verlegt wer­ den oder, was wahrscheinlicher geschähe, umgekehrt diese an jene. Es läuft also die Forderung des Lehrervereins darauf hinaus, daß die

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Einheitsschule

16 Volksschullehrer geradeso wie die Gberlehrer studieren sollen, eine Forderung, die ja durchaus nicht neu ist. Vas kommt mir gerade so vor, als sollte gefordert werden, daß in einem großen technischen Betrieb, etwa einer elektrotechnischen Firma, alle Beamte, vielleicht vom Werkführer an, Hochschulbildung haben müßten, damit auch der Werkführer die Möglichkeit habe, ein* mal Direktor zu werden. Das ist keine Forderung, die in der Natur der Sache begründet ist. Die Sache verlangt, daß jeder die Ausbildung erhält, die ihn befähigt, die Arbeit, die ihm zugeteilt wird, zu leisten. Die Volksschullehrer sind mit ihrer seitherigen Vorbildung ihrer Auf­ gabe durchaus gerecht geworden. 3n der zukünftigen Einheitsschule wird doch auch der größte Teil der Lehrer für immer an der Volks­ schule tätig sein müssen, was sollen nun alle diese in ihrem Berufe mit der akademischen Vorbildung anfangen? Und andererseits wird diese, die ja notwendig einseitig sein mutz, nicht einmal der viel­ seitigen Tätigkeit des Volksschullehrers genügen. Schließlich muß auch noch gefragt werden, wie die Kosten für diesen Luxus bestritten wer­ den sollen. Nach dem im Staatsbetrieb geltenden Grundsatz „Gleiche Vorbildung, gleiche Bezahlung" müßten alsdann die Volksschullehrer wie die Gberlehrer bezahlt werden. Das würde im deutschen Reiche einen riesigen Mehraufwand für die Schulen erfordern. Sch fürchte, man wird in Zukunft für die Schulen nicht mehr die seitherigen Kosten, wieviel weniger diese Mehrkosten aufbringen können. Selbst Rein, der eifrige Verfechter der Einheitsschule, schreibt: „Es ist eine unfruchtbare Utopie, für sämtliche Lehrer und Lehrerinnen einen gemeinsamen Bildungsgang bis zum Eintritt in den Beruf zu verlangen. Der Realpolitiker, der die historischen und sozialen Be­ dingtheiten kennt, rückt von solcher Verstiegenheit ab, die der Volks­ schulbildung mit ihren verschiedenartigen Bedürfnissen nicht gerecht wird. Es gilt, die Refdrmvorschläge an die bestehenden Verhältnisse anzuknüpfen, und von hier aus den weg zur Weiterbildung zu suchen. Das Seminar muß zur Fachschule umgestaltet, die allgemeine Vorbil­ dung auf einer höheren Schule, der Gberrealschule oder der Studien­ anstalt gesucht werden. 3n keinem Fall kann die Universität die Aus­ bildung der Volksschullehrer übernehmen. Sie ist nicht imstande, die Arbeit, die jetzt mehrere hundert Seminare leisten, auf sich zu nehmen." Jede sachliche Prüfung der Lehrerfrage führt zu dem Ergebnis, daß die Gliederung und Ausbildung des Lehrerstandes so, wie diese sich geschichtlich entwickelt haben, den natürlichen Verhältnissen ent­ sprechen und auch den Anforderungen der zukünftigen Einheitsschule gerecht werden. Berechtigt sind die Standesbestrebungen der Volksschullehrer insoweit sie sich auf die Forderung beschränken, daß die Stellen der Schulaufsichtsbeamten bis hinauf in die Ministerien den Angehörigen ihres Standes vorbehalten bleiben sollen.